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T^
^ VERMISCHTE
SCHRIFTEN
L. eOLDSCHMIDT,
OITSBUllT SDUI.
ZWEITER BAND.
BERLIN 1901.
J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG,
6
-^^^. ^!^t«^. z.!'/?"/
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INHALT
DES ZWETTEN BANDES'.
'' I. Vebei die winenichalUklt« Bebandlong dei denachen HandeltMchti
and den Zweck ia Zeitachiift für du gaammte Huidelirecht
U858) (9J I
" 3. lUndeltKchl (geschichtliche Entwicklung) (i&gi) [39S] 37
3. Ucber die Benntiang nnd Bedentiiag der Beiathu^^iMokolU für die
Interpretation dei dcntschen HmdeliKCMtibncfai ^1866) [96] . . 53
4. UUcellen tu Theoiie der Weithpapiere (1S81) [135] 73
5. Tue Kiealionslheorie nnd d«i Enlwnrf einee Bflrgerlichei) Getetttracfai
für <Ui Dentiche Reich (1889) [381] 137
6. lahiber-, Order- und eiekatorische Utkanden im Itlasntcben Alter-
thnm {1889) [373] t6l
7. Unpritnge d«i MKUenechti. Inibeuindere : Senul (iSSz) (236]. . 309
8. Die GeschiftiopeTationen oaf den Messen der Champagne. (La
diiüioDS des foires de Champagne.) (1893) [300] 3>5
9. Ueber Edilionspflicbt , insbesondere betreffend gemeimcbafUiche Ur-
kunden nnd Handelibflcher. (Ein Rechtsgnlachten.) (1884) [344] 155
10. Alte nnd neue Fonoen der Handelageaellichafl. Voitng, gehalten
in der juristischen Gesellscban xa Berlin (1S92) [399] 331
11. Die Haftpflicht der Genossen und dos Umlageverbhren (1888) [367] 351
t-a. Das receplmn Dantarum, canpoDum, itabalarioram. Eiae geschicht-
lich-dogmaliBche Abhandlung (1860) [38] 397
13. Znr Geschichte der Seeversicherung (18S5) [347] 503
Sachr^ister 534
Qoellenregiiler lu der Abhaodlnng : Grundlagen der Besitilehre (Bd. i Nr. l) 531
') Die in eckiger Klammer l>cfindliche Ziffer bezeichnet bei den schon
frilher Teröffentlichten Schriften die Nammet der Schrift in dem Bd. IS. 1 ff.
endulienen VeneichDisi.
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ÜBER DIE
WISSENSCHAFTLICHE BEHANDLUNG
DES
DEUTSCHEN HANDELSRECHTS
UND DEN
ZWECK DER ZEITSCHRIFT
pOr das
GESAMMTE HANDELSRECHT.
(18S&)
Digiliiec »Google
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Die Wissenschaft des Handelsrecbts ist gegenwärtig in
einem erfreulichen Aufschwung begriffen. Es ist be-
deutsam und leicht erklärlich, dass derselbe mit einer grossen,
langersehnten nationalen That zusammentrifft : einem umfassen-
den Gesetzgebungswerk, welches der beklagenswerthen und
auf diesem Gebiete vorzugsweise empfindlichen Verschieden-
heit deutschen Rechts ein Ende zu machen bestimmt ist. IDer
Zusammenhang dieser Erscheinungen ist kein äusserlicher. Wie
die Wucht der wirthschaftlichen Interessen den centrifugalen
Hang der deutschen Stämme und Regierungen, welcher alle
unsere Einheitsbestrebungen kläglich scheitern Hess, in die
entgegengesetzte Bahn zwingt, so vermag sie auch den wider-
strebenden Sinn des deutschen Juristenstandes zur eingehenden
Prüfung der Rechtsprinzipien zu bestimmen, nach welchen
unser heutiges Verkehrsleben sich regelt. Es lässt sich nicht
vornehm ignoriren, was auf Schritt und Tritt begegnet und
jeden IDenkenden zum Nachdenken anregt.
Mochten noch vor einem Measchenalter die Meister unserer
Wissenschaft es unter ihrer Würde halten, den Erscheinungen der
Gegenwart ihre fruchtlningende Aufmerksamkeit zuzuwenden,
oder mochten sie, was wir lieber annehmen wollen, es für ihre
nächste Aufgabe erachten, die Grundpfeiler des Privatrechts
durch kritisch-historische Forschung zu sicherem Weiterbau
blosszulegen : in beiden Beziehungen lässt sich ein Umschwung
der Ueberzeugungen nicht verkennen, welcher dem Handels-
recht in besonderem Maasse zu Gute kommt.
Es ist Zeit, Grosse Abschnitte sind noch immer völlig
unbearbeitet, andere kaum in ihren GrundzUgen entwickelt,
für andere kaum erst das Material mehr oder weniger kritisch
gesammelt. Genügende monographische Darstellungen —
durch welche ja der wahre Fortschritt der Wissenschaft vor-
iOgIc
4 Ucbei die winenichaftliclie Behindlmig dei deaticlieii Huidelirechts
zugsweise ermöglicht wird — vieler wichtiger Institute fehlen
noch gänzlich, selbst von solchen, welche schon seit vielen
Jahrhunderten in anerkannter Wirksamkeit bestehen, wie vom
Kauf, der Handelssocietät, dem Konunissioos- und Speditions-
geschäft, dem Frachtvertrag. Die Pflege des Handelsrechts
auf den Pflanzstätten der Wissenschaft, den deutschen Uni-
versitäten, steht noch gegenwärtig ausser allem Verhältniss
zu der Wichtigkeit dieses Rechtszweiges. Einen eigenen Lehr-
stuhl hat derselbe, meines Wissens, nirgends; Specialvorträge
darüber sind verhältnissmässig selten ; ob und in welchem Um-
fange er als Theil des »Deutschen Privatrechtsc, dem man ihn
zugewiesen hat, Berücksichtigung findet, hängt von der Indi-
vidualität und der Richtung der Lehrenden ab. Auf die ge-
rade hier so wichtigen und schwierigen Streitfragen ein-
zugehen, verbietet meist schon die Kürze der ihm gewid-
meten Zeit.
Sobald ein Wissenschaftszweig, sich in die Breite und die
Tiefe ausdehnend, zur selbstständigen Entwicklung gelangt ist,
erheischt er nothwendig ein eigenthümliches Organ, welches
den Ueberblick im Ganzen wie in jedem einzelnen Theile er-
mSgÜcht, den jedesmaligen Stand der Forschung tmd die Er-
gebnisse der Praxis klar abspiegelt und die Veröffentlichung
auch kleinerer Abhandlungen gestattet, welche sonst gar leicht,
wo nicht ungeschrieben, doch unverbreitet geblieben wären.
Auch wird hier nicht zum ersten Male versucht, diesem Be-
dUrfniss entgegenzukommen, wohl aber von einem weiteren,
und, wie ich hoffe, fruchtbareren Gesichtspunkt aus, als bisher.
Die erste deutsche handelsrechtliche Zeitschrift, das »Ar-
chiv fUr das Handeisrecht, herausgegeben von
einigen hamburgischen Rechtsgelehrtenc (1818 bis
1820, 2 Bde.) ist nach nur dreijährigem Bestände eingegangen.
So verdienstlich dieses Unternehmen an sich war, dessen Be-
deutung für das deutsche Handelsrecht wir noch welter unten
würdigen werden, so war es doch durchaus ungeeignet, dem-
selben als Organ zu dienen. Es beschränkte sich aaf die Dar-
stellung und Beleuchtung der wichtigsten >vor dem Hamburger
Handelsgericht verhandelten Rechtsfälle*, trug also nicht altein
einen durchaus partikulären Charakter, sondern verzichtete
auch auf die selbstständige und allseitig wissenschaftliche Er-
örterung handelsrechtlicher Gegenstände. Denn in den Rechts-
oo;?lc
nnd den Zweck det ZäOchtilt fitr du goMmmte Handelvecht. 5
tauen erscheint >die rechtliche PrUfong vorzagsweiae nur ein-
zdnen Seiten der vorliegenden Sache zugewendet, und so
loandier, bei einer allgemeinen Betrachtung einer handels-
rechtlichen Frage als nicht unerheblich, sogar als zweifelhaft
hervortretende Punkt bleibt dunkel und imerOrtert'.
Ebenso berücksichtigte die iHamburgische Monats-
schrift ftlr Politik, Handel und Handelsrecht, her-
ausgegeben TOD C. W. Asher< (1. Jahrg., Bd. 1, 2;
2. Jahrg., Heft 1—4; 3. Jahrg., Heft 1, 1834—1836) das
Handelsrecht im Wesentlichen nor durch Mittheilmig Ham-
burgischer RechtsfälJe, an welche sich theoretische Erörte-
rungen von sehr verschiedenem Umfang reihten.
Die nächstfolgende Zeitschrift, das »Archiv für das
Preussische Handels- and Wechselrecht, heraus-
gegeben von Gräff« (Bd. 1, 1844—1845; Bd. 2, Heft 1,
1848) theilt vorzugsweise preussische Gesetze und Rechts-
sprüche mit und kommentirt dieselben; unter den wenigen
selbstständigen Abhandlungen, welche nur das einheimische
Recht berücksichtigen, ist keine von bleibendem wissenschaft-
lichem Werth.
In weit höherem Grade als die vorhergebenden entsprach
Gelpke's «Zeitschrift für Handelsrecht« (Heft 1—3, 1852,
1853) den Anforderungen eines wissenschaftlichen Organs, und
es muss tief beklagt werden, dass der Tod des geistvollen
Herausgebers das kaum begonnene Werk so frühzeitig unter-
brach. Reiche Erfohrung und lebendige Anschauung des
Handelslebens verleihen seinen Erörterungen und legislativen
Vcwschlägen einen grossen Reiz selbst da, wo die besonnen
prüfende Forschung des bestehenden Rechts wie die Bedürf-
nisse des Handelsverkehrs die gewonnenen Resultate als un-
haltbar bezeichnen müssen und den Mangel scharfer jwistischer
Aufbssung wie eine unbefangene Würdigung des gemeinen
deutschen Handelsrechts mit Bedauern vermisst. Dennoch, und
zwar abgesehen von der vorzugsweisen Berücksichtigung der
preussischen Praxis und Gesetzgebung, deren Förderung Haupt-
zweck der Zeitschrift war, hat dieselbe auf diese Bezeichnung
um deswillen keinen Anspruch, weil ihr das wesentliche Ele-
ment einer Zeitschrift abging: das Zusammenwirken ver-
> Gelpka, Zuticbrift fm HHddndit, i. Heft, S. IV.
j .«.yGüogle
6 UebcT die wiueiuchaAliclie BehindlnDg dct deutichen HandelirecliU
schiedener Kräfte, deren Beiträge nicht allein die verschiedenen
Individualitäten, sondern auch die mehrfachen Richtungen der
Wissenschaft repräsentiren. Gelpke aber hat alle seine Auf-
sätze selbst ge^hrieben, er hat nicht eine Zeitschrift, sondern,
unter diesem Namen, eine Reihe von Abhandlungen in zwang-
losen Heften herausgegeben.
Indem so zum ersten Male ■ der Versuch gewagt wird, den
vielen bestehenden Organen deutscher Rechtswissenschaft eine
besondere Zeitschrift für das Handelsrecht anzureihen und
dadurch auch einer immer lästiger empfundenen äusserlichea
Zeisphtterang der einschlägigen wissenschaftlichen Leistimgen
in unzählige gemeinrechtliche und partikuläre Zeitschriften ein
Ziel zu setzen, erscheint es als die Pflicht des Herausgebers, die
Gesichtspunkte darzulegen, weiche er behufs Erreichung seiner
Aufgabe zu verfolgen gedenkt. Ein Rückblick auf die Entwick-
lungsphasen der Handelsrechtswissenschaft dürfte die Erkennt-
niss dieser Aufgabe erleichtern. Vielleicht, dass derselbe den
weiteren Zweck erfüllt, die noch immer gänzlich fehlende litterar-
geschichtliche Behandlung dieses Rechtszweiges anzubahnen. —
Man hat die auf den Handelsverkehr bezüglichen Be-
stimmungen der römischen Rechtsquellen dürftig gescholten,
und einen Grund dafür in dem alten Vorurtheil ' gesucht, dass
der römische Handel, selbst nach dem Maassstabe des Alter-
' Seitdem diese« (^drackt worden, hat man auch von anderer Seite ver-
tnchl , dem dargelegtcD Bedflrfnin entgegemiikomiiien. Du seit Ittjo m
Leiptig encheinende lArchiv fttr deatiches Wechielrecliti, faeranigfegebeti ton
Siebanbaar und Tanchniti, hat mit dem enlen Hefte de» Mchtten Bandei
(ich beirit etkllit, auch Anftlti« am anderen Thcilen dei Handelarechti anf-
lunehmen, und mit dem aocben ansgeeebenen dritten Hefte detselben Bandet
den Titd lArchiT fUi Deudclies Wechselrecht und Handeluecht« angenommen.
Von einer za Hamburg eiKheiaeaden Zeitichrift, >Neaes Arcbir fOz Handels*
recht', hentnsg^eben Ton Voigt nnd Heinieben, welche nach dem Pro-
spekt sich an das oben besprochene iltere Hamburger Archiv anschlietst , ist
das eilte Heft anigegeboi. Endlich hat Dr. G. M. Kletke eine iZeitschrift
rOr Handeligeaetxgebung nnd fbr Entscheidungen der obersten deutschen Ge-
richtshöfe in Handelsrechtlichen t angektlndigt.
■ Es genügt tur WiderlegnDg, anfMommten's meisterhafte Darstellung
der rttmitchen Verkehrarcihlltnisse lu verweisen: Römische Geschichte, s. Aufl.,
Bd.I, Buchl, Cap.it, 13 ; Buch ni.Cap. 13; Bd.II,BscbJV,Cap.lI,in;BnchV,
Cap. II [8.Anfl. Bd. I, Bnch I, Cap. 13; Buch H, Cap. 8; Buch HI, Cap. 11.—
Bd. n, Bnch tV, Cap. 11, Buch V, Cap. 7]: nnd auf Ihering's Geist de«
rtim. Rechun,. S. 99, loo, 249 bb 355 [vfl. 3. Anfl. IS. 333; US. loi, 151].
ui.r.., ...GooqIc
und den Zwedi der Zeitscbrifl ßlr du gmiDinte Hutdelxreclit. 7
tbums, TOD geringfügigen Dimensionen, der römische Geist
grundsätzlich dem Handel abgeneigt, das römische Recht auf
die kleinlichen Dimensionen eines Ackerbaustaates berechnet
gewesen wäre. Die Behauptmig selbst ist insofern richtig, als
das römische Recht gar wenige, dem Handelsverkehr eigen-
thümliche Rechtsinstitute enthält, allein nicht darum, weil es
für diesen keine Norm gehabt hätte ■ , sondern weil das ge-
sammte römische Vermögensrecht , insbesondere das Obli-
gationenrecht, mit vorzngsweiser Berücksichtigung des um-
fassendsten internationalen Handelsverkehrs und nach dessen
Bedürfnissen ausgebildet worden ist. Zur Befestigung dieses
Irrthums haben allerdings zwei bemerkenswerthe Thatsachen
beigetragen.
Wir kennen das römische Recht wesentlich nur in der
Gestalt, in welche es die späteste Kaiserzeit gebracht hat, zur
Zeit des tiefsten wirthschaftlichen wie politischen Verfalls, da
manche ehemals hochwichtige Institute gar nicht oder kaum
noch dem Namen nach bekannt waren. Es mag hier beispiels-
weise an das für den Geldverkebr so einflnssreiche Hausbuch-
wesen, an die grossen Societäten mit Korporationsrechten er-
innert werden, deren Organismus eine so Überraschende Aehn-
lichkeit mit den heutigen Aktiengesellschaften zeigt Aus
dieser Epoche des Verfalls schreibt sich auch die volle Aus-
bildung des unbegrei0ich zweckwidrigen Hypotheken- imd
Konknrsrechts her, welches der Begrtlndung eines gesunden
Personal- wie Realkreditsystems gleichmässig entgegensteht.
Noch einflussreicher erscheint in dieser Beziehung die viel-
bewunderte Methode der römischen Juristen, in deren auch
kasuistischen Darstellungen nur diejenigen thatsächlichen Mo-
mente mitgetheilt werden, welche zum unmittelbaren Ver-
ständniss des maassgebenden oder zu entwickelnden Rechts-
satzes erforderlich scheinen. Indem so von einem jeden That-
foestand nur die juristisch relevanten Umstände hervorgehoben
werden, übersieht man leicht, dass die aufgestellten Rechts-
sätze auch auf einen scheinbar sehr viel reicheren und kom-
plicirtereo Thatbestand berechnet sind. So erklärt sich die
häufige Erscheinung, dass vermeintlich durchaus eigenthdm-
■ Wie I. B. Bdicli, DuiteUung der Handlang, Bnch V, Cap. 9, g 3,
behauptet.
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8 Veber die wiJKiucluftliche Behuidlimg det deutsctien Hudelicechti
liehe moderne Verkehrsverhältnisse, auf ihren juristischen Kern
zurückgeführt, bereits in den römischen Quellen die geeignete
Norm finden.
Die Aufnahme dieses im Verlauf seiner Entwicklung
touier mehr denationalisirten Rechts in das europäische Kultur-
leben fiel in die Zeit der städtischen BlUthe und der Anfänge
eines umfassenden auswärtigen Verkehrs. Was bis dahin von
eigenthUmlicheo Handelsrechtsnormen sich in Europa entwickelt
hatte, erscheint verhältnissmässig überaus dürftig, ausgenommen
allein die grosse Zahl seerechtlicher Gewohnheiten, welche
theils in die Stadtrechte Aufnahme fanden, tbeüs unter dem
Namen von Schiffs- oder Seerechten privatim oder officiell
gesammelt und redigirt wurden. Die schon früh vorkommen-
den See- und Handelsgerichte, die unter Mitwirkung kauf-
n^nnischer Schöffen insbesondere in internationalen Streitig-
keiten und mit Vermeidung der rohen Formen des damaligen
bUrgerUchen Processes entschieden, haben sicherlich die recht-
liche Anerkennung manches internationalen Handelsbrauchs
wesentlich gefördert. Indessen auch sie berufen sich nur allzu-
häufig auf die römischen als die natürlichen und gemeinen'
Recbtssätze. Waren es doch gerade die grossen Städte, welche
im Gegensatz zum Bauern- und Adelsstande die Verbreitung
des »kaiserlichen Rechtsc am eifrigsten förderten, weil es der
Freiheit des bürgerlichen Verkehrs und der unbeschränkten
VermOgenscirkulation ebenso gUnstig war, wie es durch seine
innere Vollendung und seine Reichhaltigkeit nicht allein die
leitenden fVinzipien fUr die Praxis, sondern auch ein zur un-
mittelbaren Anwendung geeignetes Material darbot. In diesem
Sinne zeichneten sich die norddeutschen Handelsplätze, nament-
lich Lübeck, durch ihre Sorge ftlr die Eirichtung von Lehr-
stühlen des römischen Rechts auf den neugegründeten Uni-
versitäten aus.
Die erste wissenschaftliche Pflege ward den handelsrecht-
lichen Instituten in den Schriften der italienischen Juristen zu
Theil. Deren Darstellung ti^gt durchweg ein romanistisches
Gepräge, selbst dann noch, da die Ausscheidung des Handels-
rechts als eines besonderen Rechtszweiges bereits vollendet
war, wie in den Schriften des Straccha, Raphael de
1 Archir f. cml. Praxü, 36, :
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und den Zweck der ZeiUchrift fUr diu {cnminte Huidebrecht. 9
Turris, Scaccia, de Laca, Ansaldis und selbst des
scharfsinnigen und erfahrenen Casaregis, welcher Überdies,
in noch höherem Grade als seine Vorgänger, in den scholasti-
schen Formen der BartoUnischen Schule befangen ist Weit
entfernt, die Unanwendbarkeit des römischen Rechts fUr die
Verhältnisse des neueren Handelsverkehrs zn behaupten, suchten
diese Tielgefeierten Praktiker selbst solche Institute, welche
ihren Ursprung oder ihre besondere Gestaltung unzweifelhaft
dem modernen Rechtsbewnsstsein verdankten, so gut oder so
schlecht es anging, unter die Regeln des Corpus juris zu
pressen oder doch nach deren Analogie juristisch zn kon-
struiren. FUr die allgemeinen Lehren des Haodelaechts in-
dessen gebührt ihnen das grosse Verdienst, diese Regeln durch
geschickte Benutzung fruchtbar gemacht zu haben.
Deutschland hat nicht allein viele seiner Handelsinstitnte,
wie den Wechsel, die Banken, die Buchführung, sondern auch
deren rechtliche Gestaltung grossentheils von den Italienern
entlehnt Die deutsche Reichsgesetzgebung hat für das Han-
delsrecht nichts gethao, die zahlreichen Fartikulargesetze haben
mehr die polizeilichen Verhältnisse und einzelne Specialzweige,
namentlich das Wechsel- und Assekuranzrecht und den Process,
als das allgemeine Handelsrecht geregelt Die deutschen Juristen
stehen hier in noch höherem Grade als sonst auf den Schultern
der italienischen. So namentlich der lubische Senator Johann
Marquardt, dessen Tractatus politico-juridicus de jure merca-
torum et ccunmerdorum singulari (1662) indessen das eigen-
thümliche Verdienst gebührt, durch umfassende Berücksichti-
gung der deutschen Partikularrecbte und der handelsrechtlichen
Satzungen fast des gesammten Europa dem modernen Handels-
gewohnfaeitsrecht eine breitere und universalere Grundlage ge-
schaffen zu haben.
Die fast gleichzeitige Inauguraldissertation von Lucas
Langermann, De jure in curia mercatorum usitato (1655),
welche unter Lauterbach 's Namen citirt zu werden pflegt,
ist ihrer Anlage nach nur eine kurze Uebersicht der wesent-
lichsten vom Civilrecht abweichenden Normen des Handels-
rechts und der hierllber bestehenden Kontroversen, theilt jedoch
mit Marquardt den universalen Standpunkt.
Dieser ersten Periode der deutschen Handelsrechtswissen-
schaft gehört auch Marperger's Neueröffnetes Handels-
, Cioogic
10 Ceber die wUseoschaftlicIw ßebandlaiig d« deuBchen HandeUrechW
gericht (Hamburg 1709) an, in welchem freilich die umfassend
gestellte Aufgabe wenig genügend gelöst wird. Auch er be-
rücksichtigt noch das römische Recht durchweg und erklärt
bei Aufzählung der Quellen des geltenden Handelsrechts
(S. 171):
sAus welchen jetzt erzählten Titulis und deren allegirten
Stellen genug erhellet, wie die Römische Republik die Auf-
nahme der Commerciorum, und dass eine richtige Ordnung in
denselbigen möchte gehalten werden, ach habe angelegen sein
lassen; in massen dann der meiste Theil solcher Römischen
Commerciengesetze (und als solche führt er fast sämmtliche
dem Obligationenrecht und viele dem Sachenrecht angehörigen
Titel der Pandekten und des Codex auf) noch heutigs Tags
in unseren Judiciis in Observantz gehalten wird.t
Gleiches gilt von dem letzten Werk dieser Periode, der ziem-
lich umfassenden Darstellung des Handelsrechtes in v. R o h r ' s
Vollständigem Haushaltungsrecht (2. Aufl., 1738), Buch XI
»von Commerciensachent , dessen erstes und umfassendstes
Kapitel namentlich durchweg römisches Recht bringt —
Tritt schon in den bisher besprochenen Schriften der Ge-
sichtspunkt hervor, dem Handelsrecht, als dem Recht eines
besonderen Standes, eine Ausnahmestellung gegenüber dem
römischen Recht, als dem gemeinen Civilrecht, anzuweisen, so
finden wir diese Auffassung seit dem Beginne des vorigen
Jahrhunderts mit besonderer Energie vertreten und für das
weitere Schicksal unserer Wissenschaft verhängnissvoll,
Als die so folgenreiche wissenschaftliche Sonderung der
einheimischen Bestandtheile unseres Privatrechts von den ur-
sprünglich fremden römischen und kanonischen Elementen ein-
trat, fielen auch die den Handelsverkehr beherrschenden Rechts-
normen nach ihrem Ursprung in zwei Hälften auseinander: die
wirklich oder vermeintlich moderne wurde dem »Deutschen
Privatrecht« zugewiesen, die römisch rechtliche verblieb den
>Pandektenc und bildete in diesen einen ungesonderten Be-
standtheil des Vermögens-, namentlich des Obligationenrechts.
Freilich übersah man bei dieser Theilung, dass selbst die mo-
dernen Bestandtheile des Handelsrechts in wesentlichen Be-
ziehungen sich von den übrigen Instituten des deutschen
Privatrechts unterscheiden: einmal darin, dass sie nicht spe-
cifisch germanischen, sondern wesentlich europäischen Ursprungs
und den Zweck der Z«Uchrift für d«* gesammte Handelirecht. 1 1
sind and schon durch die Verschiedenartigkeit ihrer Quellen
der Verbindung mit den eigentlich einheimischen Recbtslehren
erhebliche Schwierigkeiten entgegenstellen. Ist doch erst in
neuerer Zeit der Versuch gemacht worden, diese Verbindung
auch wissenschaftlich zu begründen'. Sodann, dass die ein-
zelnen handelsrechtlichen Institute durch eine gemeinsame
wirthschaftliche Bestimmung zusammengehalten und nur in
ihrem innem Zusammenhang richtig gcYrtlrdigt werden können,
ein Auseinanderreissen des innerlich Zusammengehörigen nach
zufälligen historischen Gesichtspunkten somit gerade hier be-
sonders bedenklich sein musste, zumal das geltende Recht von
dem römischen nicht selten nur in einzelnen, juristisch wenig
erheblichen Punkten abweicht. Um so schlimmer, als man
sich daran gewöhnte, in dem an das deutsche Privatrecht ab-
gegebenen Theil das ganze Handelsrecht zu sehen.
Zugleich ging durch diese Behandlung der weite Gesichts-
kreis verloren, von welchem aus die italienischen und selbst
die älteren deutschen Juristen das Handelsrecht bearbeitet
hatten. War es bis dahin vorzugsweise als das Recht der
Handelsgeschäfte, nicht des Kaufmannsstandes gepflegt worden,
so schrumpfte es nun zu einem Standesrecht der Kaufleute,
zu einem der vielen »besonderen deutschen Privatrechtec zu-
sammen', meist mit überaus dürftigem Inhalt. Manche be-
schi^nkten dabei das »Handelsrecht« auf eine Darstellung der
grossentheils dem öffentlichen Recht und dem Process an-
gehörigen Veriassimg und Privilegien der Handeltreibenden,
oder zogen wohl auch gar die städtischen Privilegien, das
Stapel-, Krahn- nnd Einlagerrecht dahin, während sie die Han-
delsgeschäfte mehr oder weniger vollständig, meist jedoch mit
■ Die moderneD Verkehnintlirate bildelra «nen twäten, noEhwendiKen
Bestacdtfaeil des denucfaen PiiTtttrecbta, i. B. Blnntictili, Dentsche« Print-
lecbt, 1 S. 4, 14 [BlnDtichli-DkhQ S. 7].
' Bejei, ^ecinieii jaris Gernunici (1718), lib. i, cip. 14, 18. Fiicher,
Ldubegiiff linuatliclKT Cameral- Bnd Poliieireclite (17S5), Bd. I, Einl. S. 8;
Bd. III S. 133 — 251. Auch Neuere, obwohl mitnoter voUititidiger, i. B.
Dick, GnmdhM da deubchen PrivRtrechti (1836) §§430—511. Philipp*,
GnuidtlU« dei g«ineiiie& denUchen PrivatrecbU, a. Aufl. (1S39) [3. Aufl. 1846],
Bd. II, g§ 376 — 318 und viel onuichtiEer, wie Millermaier, Grendsitze de*
geneinen dentccben Privatrechti, 7. Anll. (1847), Bd. II, %% 530—576; Kraut,
.GrundiiM, §g 331— 399 (6- AnA., S8>^S — 3^7). Beseler, SyMem de* gemeioen
deutschen Privatrecbt«, Bd. III (1855) g§ 113—355 [4. Aafl,, g§ 333—267].
12 Uebei die wisMiucIuftlicb« Behandlung det deubchen Huidetsrechti
willkürlicher Auswahl des Wechselvertrags, der Assekuraaz
und eiii2elDer Theile des Seerechts, io das System des all-
gemeioen Vertragsrechts einreihten ■ , wie selbst Runde,
obwohl dieser ganz richtig das Handelsrecht nicht zu den
persönlichen, sondern zu den sachlichen Specialrechten zählt
(Grund^tze § 8). Diese Scheidung ist fttr eine systematische
Darstellung des deutschen Privatrechts vollkommen begründet,
allein für das Handelsrecht verhindert sie jede Einsicht in den
wahren Zusammenhang seiner einzelnen Theile. Jedenfalls
aber muss alsdann für die Darstellung der kaufmännischen
Sonderrechte der ganz unpassende Name eines >Haodelsred)tst
aufgegeben werden, wie dies ganz konsequent von Neueren,
z. B. von Gengier und Walter, geschehen ist, falls man
nicht mit Gerber und Bluntschli so weit gehen will, die-
selben ganz aus dem Sjrstem zn verbannen.
Noch bedenklicher und willkürlicher freilich war es, wenn
Eichhorn zwar das Versicheningsrecht , das Wechselrecht
und die Bodmerei im Recht der Forderungen behandelt, da-
gegen im »Recht des Handels und der Schiffahrt«, welchen
er zusammen sieben Paragraphen widmet, neben den Staodes-
rechten auch einige Handelsgeschäfte darstellt. Hier ist jeder
leitende Gesichtspunkt verloren. —
Unter diesen Missständen hatte vorzugsweise das All-
gemeine Handelsrecht und zum Theil das Seerecht zu leiden,
während Wechsel- und Versicherungsrecht als einheitliche und
überdies durchweg moderne Institute vor denselben mehr ge-
schützt blieben, und mehrfach monographisch bearbeitet wurden:
von Heineccius, Siegel, PUttmann, Sieveking, Sur-
land, Wedderkop, Magens und Anderen.
Erst zu Ende des vorigen Jahrhunderts beginnt, nach fast
SOjähriger Unterbrechung, eine wenigstens äusserlich selbst-
ständige Behandlung des gesammten Handelsrechts — allein
' Z. B. Heinecciai, EUmenta jari* Germuiici (ed. 3, 1746). §S "6
bU ISO, 336, 330—333, 335 — 340. Engaa, ElemenU jnrü Gennuiici cürilü
(rf. 3, IJ48). lü>- I tit. 8 §§ 199-K'S. lib. III tit. 3 g§ a»— 30, 13S— 130,
143—151, 1S6— 313, Mt — 333, 335—336. Selchow, iDsdtutionei joria-
prudentiae Gennu. (i7SS)i §S "3— 'IS. 356. 358, 359, 368—383; Elementa
juri» Germanid priTati (5. Aufl., 1775), g§ 334— 33<>. S9S. 598, 599, 60B bit
£33. Eiienhait, InitituC. jarii Gennan. privati (ed. 3, 1755), Üb. 1 tit 5,
^ 9-~ii, lib. m tit. 10 gg 3, 7, tiL II §8 9-31, tit. 17.
„Google
mtd dcD Zweck der ZeilKlwirt ftat da* gettmmte Hudelirecbl. 13
sie zeigt in jeder Beziehung wesentliche Rückschritte. Es ist
eine beachtenswerthe Thatsache, dass in den langen Zeitraum
von 1709 Ks 1824 nur drei Darstellungen dieser Art fallen,
darunter zwei ganz ungenügende, jetzt mit Recht verschollene
kurze Versuche , Kompilationen elendester Art , weder be-
fruchtet von der Erfahrung eines grossartigen Verkehrslebens,
noch durchdrungen von der geistigen Scharfe theoretischer
Forschung, unter denen Musaeus (Anfangsgründe des Hand-
iongs- und Wechselrechts, 2. Auflage, Hamburg 1799; in erster
Auflage waren das Handlungs- und das Wechselrecht getrennt
erschienen 1785, 1774, 1777) dem Versicherungsrecht nur zwei
Paragraphen widmet; Lobetfaan (Grundsätze des Handlungs-
rechts, 1795) eigentlich nur das Allgemeine Handelsrecht dar-
stellt. Vollständiger und in jeder Beziehung bedeutender ist
freilich der iGrundriss des Handelsrechts, insbesondere des
Wechsel- und Seerechts« von G. F. vonMartens (Göttingen
1797, 1805, 1820), doch sind von den 238 Paragraphen des-
selben nur die ersten 45, oder ebenfalls 53 Paragraphen dem
Allgemeinen Handelsrecht gewidmet, und der berühmte Rechts-
lehrer selbst will diesen Abschnitt nur als kurze Einleitung
betrachtet wissen, indem er von dem entschieden irrigen Ge-
sichtspunkt ausgeht, dass Wechsel- und Seerecht >die beiden
Haupttheile dieser Wissenschaftt seien.
Bezüglich der Methode hatte die Anlehnung selbst der
modernen Rechtserscheinungen an die römischen Quellen neben
vielen Nachtheilen auch den einen Nutzea gestiftet, die Be-
arbeiter dieses Rechtszweiges zu dem Versuch einer juristi-
schen Begründung zu nOthigen — an deren Stelle begnügte
man sich nun mit einer weder juristisch noch auch nur wirth-
schaftlich genügenden Beschreibung der darzustellenden
Institute. Die durch Savary's und Busch 's Verdienst auf-
strebende Handelswissenschaft hätte der Ausbildung und
Vertiefung des Handelsrechts reiche Frucht bringen mUssen
durch vermehrte Einsicht in die ökonomischen Zwecke der
einzelnen Rechtslehren. Aber sie bahnte anfänglich höchstens
eine wenig befriedigende, durchaus einseitige Kritik derselben
an. Das Handelsrecht sank zu ihrer Dienerin herab, man
begann die geltenden Prinzipien desselben in den Schriften
von Savary und Bohn, von Ludovici und Busch zu suchen.
Mit einer vollständigen Verkennung der Natur aller Rechts-
■oogle
14 U«ber die wissenschaftliche BehaDdlniig des deabdien Handelwedits
tüldung und der gewohnheitlichen insbesondere ging eine
durchaus anklare Übertriebene Vergötterung des kaufmänni-
schen Gewohnheitsrechts, der Usance, Hand in Hand — und,
was vor Allem nachtheilig wirkte, ohne alle Scheidung ihrer
faktischen und ihrer rechtlichen Gestaltung, ohne auch nur
den Versuch, Gewordenes vom Werdenden zu sondern. (B U s c h ,
Ueber Handlungsusancen in Büsch's und Ebeling's Hand-
lungsbibliothek I, S. 241—271, 660-681). An die Stelle ab-
strakter und vielfach unlebendiger romanistischer Konstruktion
tritt nun ein seichtes ökonomisches Raisonnement ohne jeden
juristischen Halt. Nicht in der Praxis, wohl aber in der
Wissenschaft, geräth die Existenz eines positiven gemeinen
Handelsrechts, insbesondere seiner römischen Elemente, in Ver-
gessenheit, und eine unvollkommene vergleichende Jurisprudenz
versucht dessen Stelle einzunehmen. Denn das wirklich im
Bewusstsein des Handelsstandes lebende Recht zu ermitteln,
dazu war jene Zeit völlig ausser Stande, und in thOrichtem
Eifern gegen das römische Recht vergass sie nur allzusehr,
dass ein grosser Theil desselben gerade hier viele Jahrhunderte
lang ohne jede Anfechtung gegolten und im Bewusstsein der
Nation feste Wurzeln geschlagen hatte.
Während Fischer, Musaeus, Lobethan unter den Quellen
des Handelsrechts »einige brauchbare Stellen des römischen
Rechtsc, >etwas weniges aus den römischen Gesetzenc, >einige
römische Reditstexte< nennen, stellt Runde, ganz auf Busch's
Standpunkt eingehend, den unwahren Satz auf, dass idie
eigentlichen Handlungsrechte sich mehr auf den Handlungs-
gebrauch und die richtigen Begriffe von der wahren Natur
der Handelsgeschäfte, als auf allgemeine gesetzliche (d. h. nach
damaligen Begriffen positivrechtliche, sowohl dispositive als
absolute) Bestimmungen stützen«.
Martens wäre wohl im Stande gewesen, die richtige
Methode, welche er klar genug erkannte, durchzufuhren ^ allein
er wandte sich nur allzubald vom Handelsrecht ab, imd die
späteren Auflagen seines Grundrisses (1805, 1820) braditen zu
dessen dürftigem Inhalt nichts als einzelne Berichtigungen und
Literatumotizen hinzu. lEine vollständigere Entwicklung
des Handelsrechts!, erkärte er in der Vorrede zur dritten Aus-
gabe, landeren Händen Überlassen zu müssen.f
Die Neubelebung der Rechtswissenschaft durch die erfolg-
ogk-
und den Zweck d«f ZeiUchrift Air du geonunte Huiddsrecht. 15
reichen Bemühungen der historischen Schule brachte zunächst
dem Handelsrecht keine Frucht Nicht einmal die geschicht-
liche Forschung, welche Martens im Gebiet des Wechselrechts
angebahnt hatte (1797), wurde aufgenommen. Die national-
ökonomische Richtung blieb zunächst eine Phrase. Die Stellung
des gemeinen Handelsrechts wurde zweifelhafter als je, nach-
dem Preussen durch das Allgemeine Landrecht ein umfassendes
und für seine Zeit bedeutendes Handelsrecht erbalten, das
ganze überrheinische Deutschtand und Baden die französische
Gesetzgebung angenommen hatte, fur Oesterreich in dem All-
gemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch eine neue Basis für sein
nur dürftig entwickeltes partikulares Recht gewonnen war.
Inzwischen hatte in Frankreich die nie unterbrochene
handelsrechtliche Literatur auf der Gnmdlage des Code de
commerce neue Blüthen getrieben. Das klassische, durch
systematische Vollständigkeit und Eleganz der Darstellung
gleich ausgezeichnete Werk von Pardessus (Cours de droit
commercial, zuerst 1814, 6. Aufl. 1856), die tief eingehenden
kritischen Erörterungen des erfahrenen Vincens (Exposition
raisonn^ de la l^gtslation commerciale, 1821) fanden schnell
in Deutschland Eingang, und bei dem elenden Zustand der
einheimischen Handelsrechtswissenschaft ebenso eifrige Be-
wunderung als Benutzung'. Diesen Zustand reprasentirt ge-
treu genug das erste grössere Werk, welches nach 120]ährigem
Zwischenraum über das allgemeine Handelsrecht Deutschlands
erschien : B e n d e r ' s Grundsätze des engeren Handlungsrechts
(Darmstadt 1824), welche in seltsamster Art zwischen handels-
wissenschaftlicher, handelsgeschichtlicher und handelsrechtlicher
Darstellung, zwischen der Berücksichtigung gemeiner Quellen
und blinder Abhängigkeit von deutschen Partikularrechten
und der französischen Gesetzgebung und Literatur schwanken.
Zu einer wissenschaftlichen Konstruktion der Handelsrechts-
^tze wird in dieser Erstlingsarbeit des fleissigen Verfassers
' Du plt, obwohl in miDderem Grade, auch von der spSteren , sehr
trieben , doch in Werth lehr angleichen handelsrechtlichen Litentor Frank-
reichs. Sie liigt einen Tonngtireise fOi die Praxis bestimniten Charakter, und
Matt lieferer jnriMisclier Begründnng tindeo wir hi«r in der Regel ein lorg-
nitige* Eingehen in das räche Detail und eine wohlthKtige Kritik der gericht-
Ücboi Entscheidni^en , wie des Kassationshofes , so der Gerichte iweiter und
sogar eraier Instani.
„Google
16 Veber die witseusctiafüiche Behutdlang de« dcnucbea Huidcitrechti
kaum der Anfang gemacht. Um so auäallender, da der
wesentliche Inhalt dieses Werks den haadelsrechtlichen Vor-
trägen des berühmten Pandektisten und späteren Präsidenten
des Lübecker Oberappellationsgerichts, Georg Arnold Heise,
entlehnt sein soll ', welcher an der tieferen und quellenmässigen
Behandlung des romischen Rechts einen so wesentlichen An-
theil hatte. —
Die Wiedergeburt des deutschen Handelsrechts, njit welcher
die steigende Blüthe des deutschen Verkehrs zeitlich zusammen-
fällt, und die dritte Epoche unserer Wissenschaft beginnt, ging
von den freien Städten aus, deren ausgebreitete Handels-
beziehungen die Vernachlässigung eines praktisch so wichtigen
Rechtszweiges schmerzlich vermissen Hessen.
In dem mit Hamburg engverbundenen Altona hatte be-
reits zu Anfang des Jahrhunderts der erfahrene Jakobsen
auf die bedeutsame französische und namentlich englische
Praxis hingewiesen, und in seinem >5eerecht des Friedens und
des Krieges« (1815), wie in der »Neuen Sammlung handels-
rechtlicher Abhandlungen« (1823) tleissig benutzt. 2u einem
kritischen Neubau des gesammten Seerechts fehlte ihm freilich,
wie seinen Nachfolgern, das unumgängliche historische Rüst-
zeug durchaus.
Auch hatte schon 1805 der Hamburger Benecke sein
noch immer unentbehrliches iSystem des Assekuranz und
Bodmereiwesensc herausgegeben, in welchem, unter sorg-
fältiger Berücksichtigung der Gesetze wie der Praxis aller
handeltreibenden Völker und fast nur zu genauer Benutzung
seiner Vorgänger, ein tüchtiger Anfang gemacht wurde, aus
der »Natur der Sache« neue Entscheidungsnormen zu ge-
wimien und die Prinzipien des geltenden Rechts zur klaren.
Erkenntniss zu bringen.
Die Einsetzung des Hamburger Handelsgerichts (Februar
1816) förderte die Handelsrechtswissenschaft zui^chst durch
das gesteigerte Interesse, welches sie auch aiisserhalb Ham-
burgs für die handelsgerichtliche Praxis erweckte. Aus dem
trefflichen »Archiv für das Handelsrechte , welches in seinem
Gefolge entstand, und, leider nur zu kurze Zeit, unter eifriger
' Vgl, Georg Arnold Htäte, Mittheilangen aus desten Leben, genmmelt
von Dr. W. v. Bippen, Halle 1S53, S. 271, 371.
und den Zweck der ZeiUchriCt ftlr du eea, Handelsrecht. ^7
Mitwirkung der tüchtigsten hamburgischen Juristen eine Reihe
belehrender Rechtsfälle mit gründlichen theoretischen Erörte-
rungen brachte (1818 — 1820), weht der -frische Hauch eines
bewegten Handelstreibens und unmittelbar gewonnener reicher
Erfahrungen. In den allgemeinen Materien tritt das Romische
Recht wieder in die ihm gebührende Stellung.
Ein besonders folgenreiches Ereigniss war die Eröffnung
eines gemeinschaftlichen Oberappellationsgerichts für die vier
freien Städte Deutschlands zu Lübeck (13. November 1820).
Hier war ein Mittelpunkt für die Praxis jener bedeutenden,
sämmtlich dem gemeinen Recht angehörigen Handelsstädte ge-
wonnen, mid die Besetzung der Richterstellen mit ausgezeich-
neten Gelehrten sicherte die zwar stets zu erstrebende, im
Handelsrecht jedoch geradezu unentbehrliche Verbindung von
Theorie und Praxis. Neben der grossen Reihe vortrefflicher
Urtheile, welche nun erst alloiälig in verschiedenen Sanmi-
lungen zu Tage treten und häufig der theoretischen Forschung
ganz neue wichtige Gesichtspunkte eröffnen, verdankt die
Wissenschaft diesem höchsten Gerichtshof auch die klassischen
handelsrechtlichen Abhandlungen Cropp's (Juristische Ab-
handlungen I, II, 1827, 1830), wie später dem Preussischen
Obertribunal, ausser dessen nicht minder bedeutsamen Erkennt-
nissen, die oben erwähnte Zeitschrift Gelpke's. Diese Auf-
sätze sind mehr noch durch ihre Methode, als durch ihren
vielfach bahnbrechenden Inhalt Muster für die ganze Folge-
zeit geblieben. Hier finden wir zum ersten Male gründliche
Kenntniss des Römischen Rechts und der modernen Handels-
rechtsquellen in echt historischem Sinne verbunden, und der
lichtvollen Darstellung gereicht es nicht zum geringsten Ver-
dienst, dass sie durchweg die genaueste Anschauung der Han-
delsverhaltnisse wie das wohlbegrUndete Streben verräth, das
geltende Recht den Bedürfnissen derselben gemäfs anzuwenden
und weiter zu entwickeln.
Einen wesentlichen Fortschritt in allen diesen Richtungen
zeigt auch das fast gleichzeitige, zum ersten Male und bisher
allein sämmtliche Handelsrechtszweige umfassende Werk des
fleissigen Pohls (Darstellung des gemeinen Deutschen und
des Hamburgischen Handelsrechts; allgemeiner Theil 1828;
Wecbselrecht 1829; Seerecht 1830—1833; Seeassekoranzrecht
1832, 1834; das Recht der Aktiengesellschaft 1842). Insbesondere
Goldicbmidt, VermluhH Schrirun. U. »
, Google
18 Ueber die wiueiucliftftticbe Behandlung dei deaUcIien HaDdeUretits
gebührt ihm das Verdienst, eine schärfere Sooderung des ge-
meinen Rechts von den Partikularrechten angebahnt und (Ur
das Seerecht zum enten Male das gesammte Material neuerer
Rechtsbildung benutzt zu haben.
In ganz origineller und vielversprechender Weise begann
Thöl seine erfolgreiche Thätigkeit. Zeichnete »der Verkehr
mit Staatspapieren« (1835) durch die sorgsamste Prüfung der
>Natur der Sache* sich in hervorstechender Weise vor allen
früheren Darstellungen dieses Gegeastaades aus, so ist in
seinem .Handelsrecht« (Band I, 1841, 1847, 1854; Band II,
1847 >) dieser wirthschaftliche Geachtspunkt fast durchweg zur
Grundlage — tritt diese auch nicht Überall gleich deutlich
hervor — einer tlberaus scharfsinnigen , echt juristischen
Deduktion gewählt, welche zwar sorgsamer als irgend ein Vor-
gänger das gesammte europäische Rechtsmaterial berücksich-
tigt, überall jedoch den Standpunkt des positiven gemeinen
deutschen Rechts mit Festigkeit behauptet. Darum ent-
nimmt er seine Waffen so viel als möglich den römischen
Rechtsquellen, deren ganzen Reichthum für das Handelsrecht
er zuerst unter den Neueren aufdeckt. An Klarheit, Besonnen-
heit und Tiefe der Forschung, an Prägnanz der Gedanken und
des Ausdrucks steht er keinem unter den Meistern unserer
deutschen Rechtswissenschaft nach, an juristischem Gestaltungs-
vermögen Vielen voran, Dass auch er nicht den ganzen Kreis
nicht einmal des allgemeinen Handelsrechts erschöpft, dass er
vielfach bloss abwehrend behauptete Modifikationen römischer
Rechtsprinzipien negirt, statt auf geschichtlichem und dogmen-
geschichtlichem Wege deren heutige Geltung zu untersuchen,
diese und andere geringe Mängel treten neben so bedeutenden
Verdiensten billig in den Hintergrund. Durch ihn ist der
streng juristische Boden und die richtige Methode für das
Handelsrecht dauernd gewonnen worden — das Mehr oder
Weniger allein nach der römischen oder der modernen, der
dogmatischen oder der historischen Richtung kann in Frage
stehen, und wird, je nach der Individualität eines jeden Schrift-
stellers, muss, je nach der Gestalt des zu behandelnden Gegen-
standes, verschieden beantwortet werden.
Während so im engeren Kreise des hanseatischen Nordens,
' [Bd. I, 6. Aufl. tS79, Bd. II, 4. Aafl. 1878, Bd. lU 1880.]
,j ., .„Google
und den Zweck der Zdocbfih fttr du gtMiniiite Huidebrecht. 19
welchem auch der mit dem Handelsleben vertraute und fleisstge
Briackmanii(Lehrbuch des Handelsrechts 1853, 1S54') seiner
Geburt und seiner früheren Berufsstellung nach angehiirte,
eine neue Blüthezeit der HandelsrechtswissenschaH begann,
welche vor der älteren italiesiscbeo insbesondere die geläuterte
Auffassung des Rechts und die tiefere Behandlung seiner
Quellen voraus hat, waren auch Süd- und Mittel-Deutschland
nicht uothätig geblieben.
Mittermaier hatte die Rechtsentwicklung der deut-
schen Partikniarrechte wie des gesammten Auslandes in der
alteren wie in der neueren Literatur mit unermüdlicher Aus-
dauer verfolgt und von diesem universalen Standpunkte aus
dem Handelsrecht in den Lehrbüchern des deutschen Privat-
rechts endlich den gebührenden Platz gesichert, Nebenius
für einen wichtigen Zweig die ökonomische Grundlage gelegt
(Der öffentliche Kredit, zweite Auflage, 1829). In Sachsen
hatte Treitschke, abgesehen von seiner gründlichen >Ency-
klopädie der Wechselrechte« (1831), für die Sodetät (1825,
1844), den Kauf (1838') und das Kommissionsgeschäft (1839)
monographische Vorarbeiten geliefert, welche durch ihre tüch-
tige civilistische Basis noch heute Beachtung verdienen, E i o e rt ,
(Das Wechselrecht, 1839) »mit bewunderungswürdigem Takt
die Rechtsanschauungen, vrelche die gesammte kaufmännische
Welt der Gegenwart durchdringen, aus ihrem geheinmissvoUen
Dunkel ans Licht gebrachte ^
Aus der grossen Zahl trefflicher Vorarbeiten, denen end-
lich die allgemeine Deutsche Wechselordnung entsprungen ist,
ging Liebe's epochemachende, und wenngleich nicht von
ihm zuerst angedeutete, so doch von ihm ausschliesslich in
den Gmodzügen wie im Einzelnen geistvoll durchgeführte
Theorie hervor, durch welche nicht allein für den Wechsel,
sondern für eine ganze Reihe modemer Institute ein neuer
überaus fruchtbarer Gesichtspunkt gewonnen, die Einsicht tn
die Struktur des Obligationenrechts unermesslich gefördert
wurde (Entwurf einer Wechselordnung für Braunschweig,
1843. Die allgemeine deutsche Wechselordnung mit Einleitung
■ [For^esetit von Endemann iSte.]
* [i. Aufl. 1865.]
1 TicffendB Worte Ftck't in dei Heidelbe^er kritüclieii ZdUcluift I,
S. 479-
oogle
20 Ueber di« vitKiucharüiche Behandlung des deutschen Handelsiechts
und Erläuterungen, 1848). Den glanzenden, wenngleich nicht
selten einseitigen historischen Untersuchungen Frdm^ry's
(Etudes de droit commercial, 1833) reihten sich die gründ-
lichen Forschungen B i e n e r ' s über die Geschichte des
Wechsels an (Abhandlungen aus dem Gebiet der Rechts-
geschichte, 1846 [1859]).
Der Deutschen Wechselordniuig selbst ist eine reiche und
gediegene Literatur gefolgt, welche den jetzigen Standpunkt
" der deutschen Rechtswissenschaft nach allen Richtungen hin
würdig repräsentirt. An ihr Gelingen knüpft sich zugleich
die Hoffnung, den berechtigten Wunsch nationaler Gesetz-
gebung wenigstens im Gebiet des gesammten Handelsrechts
verwirklicht zu sehen.
Was in den letzten zehn Jahren für dasselbe geleistet ist,
lehnt sich durchaus an die bisher charakterisirten Richtungen
an. Hier zuerst hat die deutsche Rechtswissenschaft die Ver-
söhnung römischer und modemer Elemente und die Ver-
schmelzung beider zu einem neuen Ganzen, die Einfügung neuer
Rechtsgedanken in das überkommene, aber in der Gegenwart
vertiefte System der römischen Begriffe, wie deren dogmatische
Konstruktion, vielfach nicht ohne Glück, versucht. Hier hat
auch jenes bald hoch gepriesene, bald tief geschmähte »Natur-
studiumt reiche Frucht getragen, das, richtig verstanden, nichts
Anderes ist als die klare Erfassung der wirthschaftlichen Ge-
setze, nach denen der Wille der Verkehrtreibenden sich be-
stimmt und denen gemäfs er die Regeln aufstellt, welche all-
mälig in Form der Gewohnheit oder des Gesetzes sich zum
positiven Recht verdichten. Selbst die ehemals so schroffe
Scheidung der Theorie von der Praxis hat auf diesem Gebiet
einem erfreulichen Zusammenklang Raum gegeben, und zahl-
reiche Sammlungen von Entscheidungen deutscher Gerichts-
höfe, wie deren sorgsame Berücksichtigung in der neueren
wissenschaftlichen Literatur, z, B. in Beseler's System des
gemeinen deutschen Privatrechts, Bd. III, 1855 [4. Aufl. 1885],
und in Renaud's Lehrbuch des Wechselrechts, 2. Aufl.,
1857 [3. Aufl. 1868], geben davon ein beachtenswerthes Zeugniss.
Was uns Noth thut, ist also nicht ein neuer Stand-
punkt, sondern die gleichmässige Pflege aller
der verschiedenen und sämmtlich fruchtbaren
Riebtungen, welche nach einander in der Ge-
,.: .«:,yGüOgle
und den Zweck der ZeiUchrin fOt da» getammte Handelmcbt. 21
schichte unserer Wissenschaft hervorgetreten
sind: der wirthschaftlichen (iNatur der Sache<), wie der ge-
schichtlichen und dogmatischen; die genaue Beachtung wie
unserer einheimischen Praxis, so der Gesetzgebung, Recht-
sprechung und Literatur aller auf gleicher Kulturstufe stehen-
den handeltreibenden Nationen; endlich auch die liebevolle
E^ege und immer sichere Ergründung der ursprünglich fremden,
aber mit uns verwachsenen Elemente unseres heutigen Rechts,
deren wir uns weder entäussem wollen, noch zu entbehren
im Stande sind. Allerdings braucht man nicht nothwendig
röniisch zu denken, um streng juristisch zu denken ; allein wer
Überall und prinzipiell anders denken will als die Römer, selbst
da, wo deren Auffassung unseren heutigen Verkehrsbedürf-
oissen vollkommen entspricht, wird nicht selten das juristische
Denken ganz verlernen. Dem wirklich reifen Gedanken setzt
die römische Theorie, richtig verstanden, keine Schranke. Von
wirklichen Fesseln des Romanismus befreien können wir uns
nur durch unbefangenste ErgrUndung unseres gegenwärtigen
Rechtszustandes, seiner ökonomischen und geschichtlichen Grund-
lagen.
Gegen jede einseitige Uebertreibung der einen wie der
andern Richtung tragen Wissenschaft und Leben in sich ihre
Korrektive.
Hiermit glaube ich, wie meinen eigenen Standpunkt in
unserer parteienretchen Zeit — für den ich übrigens den Vor-
wurf des Eklekticismus keineswegs scheue — so auch die all-
gemeine Aufgabe dieser Zeitschrift bezeichnet zu haben, deren
Methode und Inhalt durch den vor einiger Zeit erschienenen
Prospekt in folgender Art angegeben ist:
>Dte Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht stellt
es sich zur Aufgabe, dem deutschen Juristen- und Handels-
stande ein Centralorgan für diesen wichtigen Rechtszweig
zu werden.
Der Herausgeber gedenkt dieses Ziel zu erreichen so-
wohl durch gleichmässige Vertretung sämmtlicher Theile
des Handelsrechts in selbständigen Abhandlungen, wie durch
SOTgfältige Berücksichtigung aller irgend erheblichen Er-
scheinungen auf dem Gebiete der Gesetzgebimg, der Rechts-
Ubung und der Literatur in allen Theilen Deutschlands.
Das Rechtsleben einzelner deutscher Städte wird nur insofern
, Cioogle
22 Uebet die wiweDicIiBrtlicIie BeliandluDg des deuticlien Handelirecbti
vorzugsweise Berücksichtigung erfahren, als die Wichtigkeit
der dort geltenden Rechtsnormen oder zur richterlichen Ent-
scheidung gelangten Rechtsfragen solche erheischt.
Bis zur ersehnten Vollendung eines Deutschen Handels-
gesetzbuchs fallt der Zeitschrift die weitere Aufgabe zu, die
Grundlagen wie die Bausteine zu prüfen, auf und mit denen
das grolse Werk errichtet werden soll; ist der Bau beendigt,
so soll sie den Uebergang aus dem alten in das neue Recht
vermitteln, die mühsam errungene Einheit wahren und der
drohenden Zersplitterung der deutschen Praxis nach Mög-
lichkeit vorbeugen.
Den Anforderungen der Wissenschaft wie des Lebens
kann jedoch das zu begründende Organ nur alsdann gerecht
werden, wenn es zugleich durch treue Erforschung der Ver-
gangenheit die geschichtlichen Grundlagen unseres geltenden
Rechts aufzudecken und so dem gegenwärtigen Rechls-
zustand eine sichere Basis zu gewahren bestrebt ist Auf
diesem Felde vorzüglich ist noch Vieles zu tbun, und wird
durch die Kodifikation nicht entbehrlich werden.
Soll nun auch das Deutsche Handelsrecht, das gemeine,
wie das besondere der Einzelstaaten, vorwiegend dargestellt
werden, so erscheint es doch durchaus geboten, auch die
Rechtsentwicklung des Auslandes nicht zu ignoriren. Die
immer wachsenden Dimensionen des auswärtigen Waaren-
handels, der enge Zusammenhang der Geldverhältnisse in
allen Theilen der Erde, die steigende Bedeutung der überall-
hin verbreiteten Kreditpapiere, die Entstehung ungeheuerer
Associationen, welche ihre Operationen über alle civilisirten
Länder ausdehnen, machen die Kenntniss des Rechts wenig-
stens der wichtigsten Handelsvolker dem Juristen wie dem
Kaufmann unentbehrlich. Gleich erheblich sind die aus der
Natur des Handelsrechts hergenommenen Gründe. Dasselbe
ist in vielen Punkten allgemeines Recht aller handeltreibeo-
- den Staaten; es ist für sie theils aus gemeinschaftlichen
Quellen hervorgegangen, theils haben die gleichen Bedürf-
nisse überall ähnliche Normen erzeugt; selbst unmittelbare
Entlehnungen fremden Rechts sind nirgends häufiger als auf
diesem Gebiet. So bietet das fremde Recht ein wichtiges
Hülfsmittel für die richtige Erkenntniss imseres eigenen, die
fremde Gesetzgebung und Rechtsbildung nicht allein Be-
MD^ dm Zweck dn Zeitschrift tat du get*mtate Haadeltncht. 23
lehning, sondern auch ein häufig bedeutsames, und nament-
lich in dem gegenwärtigen Stadium der deutschen Rechts-
bildung höchst beachtenswerthes Vorbild. Die Literatur des
auswärtigen Handelsrechts ist überdies so reichhaltig und
werthvoll, dass deren Vernachlässigung der deutschen Wissen-
schaft nur bleibenden Nachtheil bringen könnte.
Das umfassende Gebiet der Volkswirthschaftslehre ist
zwar selbstverständlich ausgeschlossen, allein die bedeuten-
deren literarischen Erscheinungen auf demselben sollen
insoweit berücksichtigt werden, als deren Inhalt für die
tiefere Einsicht in das Wesen des geltenden Handelsrechts
tind dessen zweckmässige Gestaltung förderlich erscheint.
Die Zeitschrift wird demgemäß enthalten:
1. Abhandlungen dogmatischen, exegetischen und histo-
rischen Inhalts.
2. Uebersichten über ältere und neuere Quellen des
Handelsrechts, namentlich über geltende Usancen und über
deutsche und fremdländische Gesetzgebung.
3. Die wichtigeren einschlägigen PräJudicien der deut-
schen und, soweit möglich und zweckmäs^g, der auswärtigen
Gerichtshöfe.
4. Uebersichten der inländischen und ausländischen
handelsrechtlichen und nationalökonomischen, namentlich
handelswissenscbaftlichen Literatur in Recensionea, Aus-
zügen und Anzeigen.
5. Miscellen, insbesondere statistische Nachrichten aus
dem Gebiete der Handelsrechtspflege. <
Im Einzelnen mag hier noch Folgendes bemerkt werden:
Die Zeitschrift beschränkt sich auf das Gebiet des Handels-
rechts, begreift darunter indessen, nach dem Vorgang neuerer
Gesetzbücher und der Entwürfe für ein Deutsches Handels-
gesetzbuch, namentlich auch diejenigen allgemeinen Lehren
des Obligationenrechts, welche für die Regelung des Handels-
verkehrs von besonderer unmittelbar praktischer Wichtigkeit
sind '.
In der möglichst vollständigen und gleichmässigen Ver-
tretung der faandelsgericbtlichen Praxis aller deutschen Staaten
' VgL meine Krilitc des Entwurfs eines HaDdelsgesetibocbi für die
pientsiscben Stuten, Heft i, S. i, i.
izecoy Google
24 Ueber die winenschafUiche Behandlung des deutschen H*ad«1srechU
muss ein besonders wichtiges Mittel für die Förderung wie die
Erhaltung nationaler Einheit auf diesem Gebiete gesehen
werden. Die alsbaldige Mittheilung noch ungednickter Ent-
scheidungen erscheint darum besonders wünschenswerth. Doch
soll, um eine feste Zeitgrenze innezuhalten, nur ausnahmsweise
über das verflossene Jahr hinausgegangen werden.
Aeltere, bisher ungedruckte, oder unvollständig oder fehler-
haft oder in sehr seltenen Werken edirte, desgleichen wichtige
neuere partikularrechtliche und auswärtige Quellen, falls er-
forderlich mit f>eigefügter Uebersetzung, werden als wichtige
Forderungsmittel für die geschichtliche Erkenntniss unseres
geltenden Handelsrechts mit besonderem Dank aufgenommen
werden.
In den LiteraturQbersichten sollen die bedeutendsten Er-
scheinungen, insbesondere auch die durch reiche Kasuistik und
durch sorgfältige Beobachtung des Handelslebens ausgezeich-
neten französischen und englischen Werke, in eingehenden
Recensionen besprochen, minder wichtige durch Auszüge oder
Anzeigen zur Kenntniss gebracht werden.
Ft)r die Rubrik >Miscellen< sind statistische Nachrichten
über die Praxis der Handelsgerichte, über die wichtigsten In-
stitute des Handelsrechts, z. B. Über das numerische Ver-
haltniss der verschiedenen Arten von Handelssocietäten nach
Anzahl und Kapitalhöhe, femer einschlägige Mittheilungen aus
Werken, welche einem anderen Gebiet angehören, endlich
kürzere Bemerkungen erwünscht, welche nur den Zweck haben,
zu weiteren Untersuchungen anzuregen.
Es ist im Laufe dieser Erörterungen mehrfach die ge-
schichtliche Seite der Forschung mit besonderem Nachdruck
hervorgehoben worden. Hätte B eseler Recht, dass dieselbe
»so fruchtbar für andere Rechtstheüe, für das Handelsrecht in
praktischer Hinsicht nur selten einen lohnenden Ertragt ge-
währe, so dürften wir darin eine Erklärung der jedenfalls
unleugbaren Thatsache finden, dass dieselbe gerade auf unserem
Gebiete in unbegreiflicher Weise vernachlässigt ist, und dass
wir in den meisten Fällen genöthigt sind, auf die nicht immer
sorgfältig und unbefangen und selten mit annähernder Voll-
ständigkeit angestellten Untersuchungen der auch hier sehr
viel thätigeren französischen Juristen zurückzugehen. Richtiger
haben wir indess die Ursache dieser Erscheinung in den be-
,, Google
und den Zweck der Zeitschrift fHr du getanunte HmdelttechL 25
sonderen Schwierigkeiten historischer Forschungen auf diesem
Felde zu sehen, zu denen das erforderliche Rüstzeug wie die
nothwendige Ausdauer nur Wenigen zu Gebote zu stehen
pflegt'. Ueber den praktischen Werth derselben aber auch
für das Handelsrecht durfte das Unheil des vorzugsweise
praktischen und vielerfahrenen Gelpke entscheiden, welcher
die geschichtliche Methode als die einzige bezeichnet, die »zu
einem richtigen Verständnisse und zu einer angemessenen Aus-
legung und Anwendung der positiven gesetzlichen Bestim-
mungen< auf diesem Gebiet in den Stand setzt. —
Inwieweit diese Zeitschrift die umfassend gestellte Auf-
gabe zu lösen vermag, wird von der Unterstützung abhängen,
welche ihr von den Männern der Wissenschaft und des Lebens
zu Theil wird, deren Gewährung indess nach vielseitigen,
ebenso erfreulichen wie mich ehrenden Zusagen in sicherer
Aussicht steht.
I Dui diei nicht von B«ielei gilt, venteht lich von «elbst !□ einem
Lehrboch des beutigen dentKben FrivMrecbts würde olineliiii die hiitoriicfae
Ecörtemug nor einen geringen Ranm in Anspruch nehmen kSnnen. Dem
Handelsrecht könnte nur damit gedient sön , wenn et UbeikU eine so um-
Bchtige und voUstSndige Dantellung erführe , wie in dem Werke dieses au^
geieiclineten Gelehrten. Einen Uberau* eifrealichcD Fortschritt teigt auch
hierin die neueste handelsrechtliche Monographie: Kuntie's Lehre voa den
Inhaberpapicren, Leipzig 1S57.
izecoy Google
iLCD, Google
2.
HANDELSRECHT.
(GESCHICHTLICHE ENTWICKLUNG.)
(1892.)
iLCD, Google
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v
1. Einleitung,
ersteht man unter >Handel< den Güterumsatz schlechthin,
so fällt die Geschichte des »Handelsrechts* mit der Ge- i
schichte des Verkehrsrechts zusammen, umschliesst somit auch
den grössten Theil des gemeinen Obligationenrechts und einen
grossen Theit des Sachenrechts. Nimmt man dagegen den
Begriff »Handel* in dem engeren, allein technischen Sinne
einer den Güterumsatz vermittelnden Erwerbsthätigkeit, so um-
fasst das »Handelsrecht* nur die diesem besonderen Zweige
wirthschaftlicher Thätigkeit eigenthümlichen Rechtsnormen und
hat die Geschichte des Handelsrechts nur die Entwicklung
dieses besonderen Rechtszweiges darzulegen.
Ein derartiges Sonderrecht hat sich seit alter Zeit aus
inneren wie aus geschichtlichen Ursachen gebildet. Seine
charakteristischen Eigeoschaften sind im Gegensatz zum ge-
meinen bürgerlichen Recht die grBssere Freiheit, Beweglich-
keit, endlich das höhere Maass upiversaler (kosmopolitischer)
Geltung. Es ist um so dürftiger, je weniger entwickelt einer-
seits die besondere Thätigkeit des Handels ist, je mehr anderer-
seits das gemeine bürgerliche Recht den besonderen Bedürf-
nissen des Handels entspricht; letzteres ist auch bei reicher
Entfaltung der Handelsthätigkeit möglich. Ueberall aber
nimmt es dem gemeinen bürgerlichen Recht gegenüber eine
bahnbrechende Reformstellung ein. Wie dem Handel die Rolle
des Organisators und damit auch des Herrschers in der ge-
sammten Volkswirthschaft zufällt (Sc hm oll er), so ist auch
das Handelsrecht unter dem vorherrschenden Einflnss wie Ober-
wiegend nach den Interessen der wirthschaftlich am höchsten
geschulten und weitsichtigsten Bevölkerungsklassen ausgebildet.
Indem seine Tendenzen das gesammte bürgerliche Recht za
30 Hudelarecht (Geschichtliche EDtwieklimg.)
durchdringen pflegen, verengt es, in diesem
erheblichem Theile aufgehend, auf der einen Seite seinen
Sonderkreis, während gleichzeitig auf der anderen Seite durch
neu hinzutretende Rechtssätze, welche mindestens zunächst
oder gar schlechthin nur den besonderen Bedürfnissen des
Handels entsprechen, sein Umfang in stetem Wachsen be-
griffen ist. Sein jedesmaliges Verhältniss zum gemeinen bürger-
lichen Recht ist so stets ein relatives: ein beträchtlicher
ITheil des beutigen gemeinen bürgerlichen Rechts ist ursprüng-
lich blosses Sonderrecht des Handels gewesen, ein erheblicher
Theil des heutigen Handelsrechts strebt danach, zum gemeinen
bürgerlichen Recht zu werden.
Findet in dem Handel und durch denselben wie der wirth-
S schaftliche Zusammenschluss, so die kapit^istische Organisation
der Gesellschaft ihre volle Ausbildung, so mag man das Han-
delsrecht als das Recht der zur Interessengemein-
seßhaft verbundenen kapitalistisch o fgTüTs i r t e n
Gesellschaft bezeichnen. Es bedarf niu* des Hinweises auf
die grossen social-ethischen Strömungen und Gegenströmungen
in den verschiedenen Epochen der Geschichte, um die wechselnde
Bedeutung zu ermessen, welche dem Handelsrecht im Wechsel
der Zeiten zugekommen ist und zukommt. Weiter hängt dies
damit zusammen, dass, um neuere Schlagworte zu gebrauchen,
der Handel und dessen Recht im Wesentlichen »individualistische
angelegt sind und damit in scharfen Gegensatzzu der »socialen c
oder »kollektivistiscbenc Strömung treten, welche das Wirth-
scbaftsleben in verschiedenen Epochen beherrscht. Immerhin
sind schon in den Uranfängen der Geschichte der Handel und
sein Recht zugleich social einigend.
Denn von Urzeit her ist der Güterumtausch vornehm-
lich diu^ die vermittelnde Thätigkeit des Händlers, ins-
besondere des stammfremden, bewirkt worden. Den Mittel-
punkt des Handels bildet von jeher der Markt, ursprünglich
ein »befriedeter« Platz unter religiösem Sc£ütz; an den fried-
lichen Markttausch knüpfen sich die Anfänge internationaler
Rechtssitte und universalen Handelsrechts, und noch lange
nach der Gründung der einen ständigen Markt bildenden Städte
erhalten sich die vorübergehenden Markte und Messen als
wichtige Stätten des Austausches uod Geldverkehrs für engere
und weitere Kreise,
itizecy Google
t. EmleitoDs. 31
Mit der Ausbildung der ^^chiffahrt, hinter welcher der
Binneotransport bis in unser Jahrhundert weit zurücktritt,
wird der Handel der Mittelmeerstaaten, später auch des nörd- 1
liehen Europa, überwiegend Seehandel, daher die Rechtssätze I
des Grosshandels vorwiegend im Seeverkehr entstanden und,
wenn überhaupt, nur aUmäUg auf den Binnenhandel Über-
tragen worden sind. So ist das griechisch-römische foenus h
nauticnm fpecnnia trajectitia. Seedarlehn) die Grundlage me '
der hV^mifmv(^ichening. so des Wechsels geworden, bildet die
Seeversicherung den Au^ang der Assekuranz Überhaupt, ^nd
die überseeische commenda tind der Kolonialaktienverein die
Urtypen der modernen Handelsgesdlschsft^S.jnit beschränkter b
Haftung.
Aller Handel ist ursprünglich Tauschhandel , Handel im
Umherziehen, Kleinhandel, Eigenhandel; nur allmälig haben
sich die höheren Formen des Kauf-(Geld-)Handels, des stehen-
den Handels, des Grosshandels, am spätesten""der "Kommissions-
handel entwickelt, üie i hatbestände des Handels gehören
zum erheblichen Theil bereits der altorieotalischen (egyptischen,
insbesondere babylonischen, auch wohl phönizischen), dann der
hellenischen und römischen Kulturwelt an; in minderem Um-
fange lassen sich dieselben auch in dem mittelalterlichen nörd-
lichen (germanischen, slavischen) Huropa nachweisen; überall
hat auch mehr oder minder festentwickelter Handelsgebrauch
bestanden. Aber die typische Rechtsform haben diese i
Thatbestände vorwiegend erst von den Sötnem im Alterthum, l
von den italienischen und anderen romanischen Mittelmeerstaaten I
im Mittelalter empfangen. Die Rechtsbildung ist im Alterthum
bis auf die justinianische Kodifikation, desgleichen im Mittel-
alter vorwiegend eine gewohnheitsrechtliche gewesen, obwohl im
Mittelalter das Statutarrecht der Städte wie der gewerblichen
Innungen wachsende Bedeutung gewinnt. Auf der Mischung l
antiker, mittelalterlicher und modemer Elemente beruht unser ':
heutiges Handelsrecht; än~ der Fortbildung des von allen
europäischen Nationen recipirten romanischen Handelsrechts
haben seit Ausgang des Mittelalters alle Kulturvölker An-
theil gencHnmeo; dorcb geschickte Kodifikation hat nament-
lich im 19. Jahriiuodert Frankreich hier, wie auf allen Rechts-
gebieten, vorwiegenden Einfluss gewonnen.
Die Hauptphasen der Entwicklung soll die folgende Ueber-
, CiOOglc
32 Handelsrecht. (Geschiclitliche EntwicIduDfi.)
sieht ergeben, welche im Wesentlichen der bisher einzigen
Darstellung der Geschichte des Handelsrechts (Goldschmidt,
Universalgeschichte des Handelsrechts [auch Handbuch des
Handelsrechts, 3. Aufl., I] 1. Lieferung, 1891, dazu einstweilen
noch auch Goldschmidt, Handbuch des Handelsrechts I,
2. Auß., 1875) entnommen ist.
2. Das Handelsrecht der alten Welt
I Das Wirthschaftsleben der alten Welt wird wesentlich
\ durch den allgememen _Be5tand der Sklaverei bedingt, sein
Grundzug ist der hauswirthschaftliche Typus, obwohl solcher
den Handel weniger als andere Wirthschaftszweige beherrscht-
Der Grossbetrieb ist vorwiegend kapitalistischer Waaren- und
Geldhandel; das Transportgewerbe und die mannigfachen, all-
mäiig vervielfältigten Hilfsgewerbe haben sich selten zu selbst-
ständigen Unternehmungen ausgebildet. Zwischen dem Herrn
und dessen als Geschäftsführer oder auch auf eigenen Namen
Handel treibenden Sklaven (HaussOhnen) bestehen in der Haupt-
sache nicht Rechts-, sondern blosse Rechnungsverbältnisse.
1. Eigenthtlmliches Handelsrecht der grossen orien-
talischen Reiche ist nicht bekannt, obwohl namentlich bei
dem grossen Handelsvolke der Babylonier im neubabylonischen
Reiche ein beträchtlicher Theil der heutigen Handelsgeschäfte
begegnet und der Kreditverkehr entwickelt ist. Gänzlich ver-
scbollen ist das Recht der Phönizier und Karthager; die aben-
teuerliche Hypothese Revillouts (Les obligations en droit
Egyptien, compar^ aux autres droits de i'antiquit^, Paris 1886),
dass von den Phöniziern, indirekt durch deren Vermittelung
von den Egyptem und Babyloniem, der eigentlich brauchbare
Theil des römischen Rechts stamme, entbehrt jeden Anhalts.
Nicht Handelsvolk war in seiner Heimath das jüdische Volk.
2. Was von besonderem Handelsrechte der hellenischen
Staaten, auch der Handelsstaaten, einschliesslich der hellenisti-
schen Weltemporien, wie Alexandria, Seleucia u. a., bekannt
ist, geht nicht Über vereinzelte Notizen hinaus. Die ge-
schriebenen Gesetze sind uns nur zum geringen Theil erhalten,
I das Verk^ursrecht witerlag überwiegend der flüssigen Handels-
' Sitte und der freien Uebereinkunft. Voll entwickelt ist das
wichtige Seedarlehmgeschäft, die grosse Haverei jeden^ls in
, CiOO^^Ic
3. Du Handettrechl dei alten Well. 33
Rhodos (lex Rhodia de iactp) geregelt, das Bankwesen aus-
gebildet, zumal in Attika, wo gesetzliche Zinsfreiheit herrschte.
Zu Assekoranzen und Wechseln begegnen Ansätze, Inhaber-
und Orderpapiere finden sich in hellenistischer Zeit. Bei Über-
wiegender Unproduktivität des herrschenden BUrgerstandes
pflegten nur Grosshandel und Rhederei höhere Achtung zu
gemessen, \rährend sogar die gegen den Materialismus re-
agirende spätere philosophische Spekulation (Plato, Aristoteles)
jede Arbeit um Gelderwerb, insbesondere den Handel und die
Zinsleihe, brandmarkte.
3. Der griechischen Philosophie schÜesst sich die entlehnte
Philosophie der Römer, insbesondere Cicero's an, wie deoa
auch die Sitte dem ersten (Senatoren-) Stand den Handel auf
eigenen Namen untersagte und das Gesetz (Lex Claudia 216
a. Chr.) denselben von der Grossrhederei ausschloss. Der
höhere römische Kapitaliste nstand^^ die eguites der späteren
Republik, betrieb dagegen in erheblichem Umfange die handels-
mässige Grossspekulation. Immerhin ist seit den letzten Jahr-
hunderten des Freistaates der äusserst umfassende Handel des
römischen Weltreiches in römischen Händen, die Hauptstadt
Rom ein Verkehrs- und Bankplatz ersten Ranges, auch Mittel-
punkt der abendländischen Industrie , insbesondere des Kunst-
handwerks. In der blühencistenWirthschaftse poche der alten
Welt, der römischen Kaiserzeit, bildete das Weltreich ein un-
geheures Wirthschafts-, ja Freihandelsgebiet, in welchem Ge-
werbef reiheit . wie Freizügigkeit bestand und zu Lande wie zur
See ein verhältnissmässig wenig gestörter Frieden (pax Romana)
herrschte. Erbe der Gesanuntkultur der alten Weit hat dieses-
Weltreich auch kommerziell und nautisch die auf allen Lebens-
gebieten bewährte selbstständig ordnende und assimilirende
Kraft entwickelt.
Sein ursprüngliches Stadtrecht (ius civile), welches bei
aller Schneidigkeit und Schärfe dem grossen Verkehr äusserst
förderlich war, hat durch Aufnahme aller brauchbaren Ele-
mente aus dem Recht der verbündeten und unterworfenen
Völker sich zum Weltrecbt (ius gentium) ausgebildet und da-
mit auch für den dar^'^'C" TVplthanHfl eine universale Rechts- •
Ordnung von unvergleichlichem Werthe geschaffen. Weniger j
duTcK besondere Satzungen für den Handel, obwohl es auch
an solchen und sehr wichtigen keineswegs fehlt (Sonderrecht
GoldichmEilt. V«rnii.rbte SchiiTien. 11. 3
, C-'Oogle
34 HuddiTMlit (Geschichtliche Entwicklung.)
der Bankiers, der Skkvenhändler, der publicani . actio tribu-
toria, exercitoria, Seedarlehn und grosse Haverei), vielmehr
dadurch, dass das gemeine bürgerliche Recht in einer auch
den Anforderungen des grossen Handelsverkehrs entsprechen-
den Weise aus- und durchgebildet wurde, dazu der wechseln-
den Verkehrssitte und dem erkennbar erklärten Willen der
Interessenten freiester Spielraum gelassen wurde, Treue und
Glauben (bona fides) in der Rechtsprechung die sorgsamste
BerUcksicBtigung"Tanden.
Freilich begegnen bereits in klassischer Zeit Vergröbe-
rungen und werden bedenkliche Abwege (z. B. Ausartung der
Hypothek, Erweiterung der Konkursprivilegien) eingeschlagen ;
aber doch erst in der späteren Kaiser zeit und unter dem Ein-
fluss christlicher Weltanschauung findet sich ein gegen die
Auswüchse d^ Kapitalismus (Ausbeutung^ Wucher j_ Härte)
gerichteter, systematischer Schutz, welcher vielfach auch den
redUchen Handel unangemessen einengte, und begegnen mancher-
lei Irrungen, insbesondere mechanische Abgrenzungen des Er-
laubten und Unerlaubten, welche dem stetig sinkenden Niveau
des Verkehrs wie der juristischen Kraft entsprechen. Lebens-
fähige Genossenschaften hat das alternde Reich nicht mehr
erzeugt, wohl aber pnvUegirte, aber auch besonders besteuerte
Zwangskorporatiooea ^insbesondere der navicnlarii) mit aus-
gedehnter Specialjurisdiktion und damit ein eigenthümliches,
in der Hauptsache freilich fiskalisches, kaufmännisches bezw.
gewerbliches Handelsrecht. Daher auch die charakteristischen
Versuche einer gesetzlichen Tarifirung der Waarenpreise und
der Arbeitslohne (Diocletian) oder die Herabsetzung der gesetz-
Hchen Zinstaxe, während der thatsächliche Zinsfuss in stetem
Steigen begriffen war (Justinian),
Als das römische Weltreich zerfiel, stand der Handel der
ganzen damaligen Kulturwelt, von dem fernen Osten abgesehen,
unter dem vorhin charakterisirten römischen Weltrecht. Aber
ein nicht unbeträchtlicher Theil dieses Rechts ist in die Justi-
nianische Kodifikation nicht übergegangen, ein anderer durch
abstrakte Behandlung verdeckt und schwer erkennbar (z. B.
hinsichtlich der commenda, des Wechsels, der Orderklausel etc.).
Für dieses versteckte, insbesondere aber für das in der Ört-
lichen und provinziellen Praxis fortlebende römische bezw.
izecoy Google
3- Du HondclirMfat im Mittelalter. 35
hellenische Recht mag man den Namen > Vulgarrecht« braachen.
(Vgl. meme Universalgesch. , S. 90—94 und das soeben er-
schienene bedeotende Werk von L. Mitteis, Reichsrecht und
Volksrecht in den östlichen Provinzen des römischen Kaiser-
reichs, Leipzig 1891.)
3. Das Handelsreoht im Hittelalter.
Mit dem Untergang des weströmischen Kaiserreichs, der
immer schärferen Scheidung von Abend- und Morgenland
(Islam, arabische Herrschaft), der neuen germanischen Staaten-
bildong, der germanischen Kolonisation des Ostens verliert der
Welthandel seinen einheitlichen Charakter. Wenngleich in ge-
wissen Richtungen sich sein Gebiet erweitert (insbesondere
nach Nordosten), so verengt sich doch sein Umfang, gehen
die Leistungen von Handel und Schiffahrt zurück, vergröbert
sich das Verkehrsrecht und zersplittert sich in enge, zum Theil
sehr beschrankte Herrschaftsgebiete. Nur allmälig gelangt
es mittelst gesteigerter Wiederaufnahme antiker Elemente und
durch Ausbildung universalen Handelsgebrauchs zur grösseren
Einheit, im WiderstreJL JBJl .kiichlicher.. W£lUD^hil^u^.g zn
freier Vollentfaltung.
I. Bis in das 12. Jahrhundert bleibt das byzantinische
Reich Träger des orientalisch-europäischen Welthandels, jedoch
uiter wachsender, siegreicher Konkurrenz der Araber, welche
eine neue, auf Eroberung, Glauben und Handel gebaute Welt-
herrschaft über nahezu den ganzen Orient aufrichten, ja Jahr-
hunderte hindurch einen erheblichen Theil der westlichen
Mittelmeerländer unterwerfen. Ihre Münze ist zeitweise Welt-
mÜDze, zahlreiche arabische Bezeichnungen von Handelsinsti-
tuten und Waaren (Arsenal, Magazin, Karawane, Sensal, zecca
— Safran, Kaffee, Juwel, Kattun, Atlas etc.) sind in die euro-
päischen Sprachen übergegangen. Eine Weltemmgenschaft
bildet das indisch-arabische Zahlensystem, welches zu Anfang
des 13. Jahrhunderts (Lionardo Fibonacci) im Abendlande be-
kannt wird. Auch das reich ausgebildete Verkehrsrecht des
Islam mag die abendländische Rechtsbildung beeinflusst haben ;
doch liegt die Annahme näher, dass die Araber die im Ver- r
kehr noch fortlebenden Rechtsinstitute des römischen Welt-/
rdchs recipirt, vielleicht auch weiter verbreitet haben.
3"
::,y Google
36 HindeltKcht. (Geschichiliclie Entwicldung.)
Das byzantinische Reich ist, nach vorübergehenden Ver-
suchen selbstständiger Fortentwicklung des Rechts, in der Haupt-
sache bei dem justinianischen Recht (Basiliken 886—911) ver-
blieben. Der sog. vö^ios'Po^ituv vattiviög, das pseudorhodische
Seerecht (Pardessus, CoUection de lois maritimes I, p. 231 bis
251, Basilika lib. 60 (ed. Heimbach] t. V, p. 119—127) ist aus
justinianischen Quellen und lokalen oder provinziellen Satzungen
bezw. Gebräuchen des östlichen Mittelmeeres zusammengestellt,
nach Annahme Zachariae's im 8. Jahrhundert als Kaisergesetz
erlassen, nach Form und Inhalt ein mittelalterliches Seerecht,
welches dem gesimkeaen Stande von Seeschiffahrt und Rechts-
kunst entspricht.
2. Die germanischen Stämme treiben dürftigen Binnen-
handel, noch überwiegend Tauschhandel; nur von einzelnen
Seevölkem, insbesondere den Nordgermanen (Skandinaviern)
und den Friesen, ist Antheil an dem Welthandel bezeugt. Nur
in hartem Kampfe mittelst straffen genossenschaftlichen Zu-
sammenschliessens gelangen, neben den gemeinfireien und ritter-
lichen Grundbesitzern, Handel und Handwerk in den neu auf-
blühenden Städten zur selbststflndigen Stellung. In wachsendem
Maasse erringen Grosshändler und Grossindustrielle, vornehm-
lich in monopolistischen Kaufgilden oder Hansen, dann auch
die kleineren Handelsleute und Handwerker in ihren Zünften
und Innungen die Verkehrspolizei, Gerichtsbarkeit, Selbstver-
waltung! Wenn in älterer Zeit überwiegend römische Pro-
vinzialen, Syrer, eingewanderte und umherziehende Italiener
(»Lombarden«), Stifter, Klöster, kirchliche Orden und Weh-
geistliche, endlich die trotz ihrer gesteigerten Schutz- und
Rechtlosigkeit in wachsendem Maasse sich ausbreitenden Juden
die Träger von Handel und Industrie sind, so bildet sich all-
Imälig ein selbststäodiger, aus Freien, bestehender germanischer
Handelsstand und seit dem 12. Jahrhundert eine neue geld-
wirtßscTiäftliche Organisation der freien gewerblichen Arbeit.
So in der städtischen Marktgenossenschaft, deren iKaufmanns-
recht* auch auf Nichtgewerbetreibende erstreckt wird; in den
Innimgen und Zünften der Handwerker; in den Gilden oder
Hansen , welche namentlich im überseeischen Auslande als
wagende Handelsgenossenschaften auftreten, ein wachsendes
Kolonial- oder doch Faktorei-System begründen und mit Erfolg
den zahllosen Hinderungen und Bedrückungen des Handels,
3- Du Hudeltrecbt im Mittdilter. 37
namentlich der Fremden, entgegentreten. War der fest ge-
ordnete Grosshandet der Romerzeit zerfallen, der Kredit-, ja
nahezu der geldwirthschaftltche Verkehr rerktlmmert, waren
die sicheren Handelswege der alten Zeit zu erheblichem Theile
abgeschnitten, Wirthschaft und Recht territorial und lokal zer-
splittert, so bilden sich doch die schöpferischen Keime einer
grossen, in Wirthschaft und Recht das Alterthum schliesslich
uberflOgelnden Zukunft. Der rohere, aber kräftig vorstrebende
Kleinbetrieb in Handel und Handwerk, die Arbeit der in
liiannigtafügen genossenschaftlichen Bildungen gegliederten
Freien und der durch freien Dienstvertrag wie durch die
Korporationsverfassung ihnen verbundenen Hilfspersonen ist
an die Stelle des kapitalistischen Grossbetriebs der alten Welt
getreten; es bilden "sich zäElreicBe Hilfegeschäfte des EÜndels
zu selbstständigen Verkehrs- und Rechtsinstituten aus; der
früher verdeckte Gegensatz des Platz- und Distanzfaandels,
des Eigen- und Kommissionshandels gewinnt an Bedeutung.
Das Recht dieses neuen Verkehrs ist überwiegend Ge-
wohnheitsrecht, die verkehrspolizeiliche Gesetzgebung der karo-
lingischen Könige (Capitulana) verkümmert bald. Trägt schon
das neue städtische Recht der »Bürgere, das ius fori = ius
mercatorum, Kauffleutrecht, welches von Stadt zu Stadt über-
tragen wird, die merkantile Signatur, so erzeugen gleiche Be-
dUrinisse, das wachsende Netz der »gefreiten und befriedeten«
Märkte und Messen, der Handelsverträge und Handelsnieder-
lassungen ein nahezu gemeinsames Recht , zuvörderst der \
Mittelmeerlander. Der juristisch geschultere romanische Geist, '
das frtlfa au^ehildete Institut der Notariatsurkunden mit ihren
typischen, formukrmässigen Festsetzungen, die ausgedehnte
Jurisdiktion der Innungsgerichte fuhren hier zu genauer und
vielfach gleichmassiger, fast gesetzlicher Fixiruny. Allein
auch hier, vornehmlich in Frankreich, erhalten sich germanische
Rechtsanschauungen lebendig und gelangen in den unter
römischer Zucht ausgebildeten Rechtsinstituten zur Entfaltung.
(Die Nachweise in meiner Universalgeschichte S. 131 — 137.)
3. Gegen den aufblühenden Handel und Kreditverkehr
verhält sich das Recht der Römischen Kirche wesentlich
negativ. Das leitende Prinzip der kirchlichen, immer schärfer
zugespitzten »Wuchertheoriet besteht wesentlich darin, dass
das Geldkapital unproduktiv ist und sein soll, daher das Zinsen-
38 Handelsrecht. (Geachichtüche EntwicklaDE)
nehmen in Darlehen und sonstigen Kreditgeschäften prinzipiell
unstatthait ^ aller Gelderwerb >ohne rechte Arbeit« sündhaft
oder doch mindestens verdächtig, »Preisgerechtigkeit« überall
zu erzielen.
IWeit über sein berechtigtes Ziel hinausschiessend , schei-.
terte dieses kühne und konsequente System kirchlicher Ver-
kehrsbevormundung an dem Schwergewicht der wirklichen
wirthschaftlichen Interessen. Die praktische Folge des Zins-
verbotes bestand nur darin, dass der ohnehin naturgemäss
hohe Zinsfass sich erheblich steigerte und eine in periodischer
Plünderung der »Wucherer* (insbesondere der iLombardeo«
und der Juden) gipfelnde Verwirrung aller wirthschaftlichen
und Rechtsbegriffe sich über das Mittelalter hinaus behauptet
(hat. Auf die Ausbildung des Handelsrechts hat die kirchliche
Doktrin und Praxis keinen wesentlichen Einiluss geübt. Die
gegentheilige, insbesondere von Endemann verfochtene An-
sicht wird dadurch widerlegt, dass sich im Gesammtgebiet
des neueren Handelsrechts kein praktischer Rechtssatz nach-
weisen iässt, welcher jener Kirchenlehre seine Entstehung ver-
dankt oder auch nur in seiner Entwickelung durch die Kirche
beeinflusst wäre. Und wenngleich einzelne Rechtsinstitute
1 unter der Ungunst der Kirchenlehre verkünstelte Gestaltungen
annahmen, wie das Handelsdarlehn und das verzinsliche Depo-
sit, so ist doch sogar hier die endliche, wenngleich nur wider-
willige Anerkennung nicht ausgeblieben. Nur darf nicht
übersehen werden, dass auch das weltliche Verkehrsrecht
des Mittelalters J-uf^Zwang^ und Kontrole beruht, freilich nicht
nach kirchlichen Gesichtspunkten kirchlicher Oberen, sondern
nach Auffassung der Berufs- und Standesgenossen. Ans
i' eigensten Bedürfnissen und Anschauungen heraus hat der
i mittelalterliche Kaufmannsstand sein Recht gebildet,
4. Das zunächst lokale Handelsgewohnheitsrecbt der
romanischen S_tädte_wurde durch die in typischer Form
von Notaren geschlossenen Rechtsgeschäfte (Notariatsurkunden)
entwickelt imd befestigt; durch Statuten der Stadtgemeindeo
— unter denen das constitutum usus von Pisa, um 1161 redi-
girt, den vornehmsten Platz behauptet — und der gewerblichen
Innungen zum erheblichen Theil kodificirt ; durch zünftige
und staatliche Rechtspflege, im internationalen Verkehr durch
Handels- und Schiffahrtsvertra|;e_fortgebildet. Nur dies sind
„Google
3- XH* Handeltrecht im MitteklUr. 39
die sicheren und unmittelbaren Erkenntnissquellen des neueo
Gewohnheitsrechts-, die meist jüngere Literatm- , insbesondere
die theologisch-kanonistische , gibt nur ein eigenthUmlich ge-
färbtes Spiegelbild.
Unter den gewerblichen Innungen pQegt die Kaufmanns-
innung die erste Steile einzmiehmen; mitunter, z. B. in Pisa,
bilden die Grossfaändler zur See und die Rheder einen be-
sonderen Verband, desgleichen Qnden sich häufig besondere
Innungen der Bankiers (bancherii, campsores), der Tuchhändler
und Tuchfabrikanten (ars lanae) u. A. m. In einzelnen Städten
begegnen Gesammtverbände vieler Innungen (in Pisa, spater
in Florenz die universitas mercatorum oder mercanzia u. s. f.).
Die Statuten der Kaufmannsinnung oder Innungen (statuta
mercatorum), welche überwiegend erst seit dem Ende des
13. Jahrhunderts redigirt sind, enthalten ursprünglich in dar"
Hauptsache ge werbepolizeil i che und prozessuale Satzungen,
haben aber allmälig in wachsendem Umfange auch Privat-
rechtssatze aufgenommen und werden so nahezu Kodifikationen
des partikulären Handels- und GewerberechtSj z. ii. in Florenz,
Bologna, Siena (meine Universalgeschichte S. 166 — 169).
Polizei und Rechtspflege pflegt bei den Innungsvorstehem
(consules und drä-gl.) zu stehen i unter Ausschluss öder unter
elektiver Konkurrenz mit dem ordentlichen (städtischen) Ge-
richt. Bei überwiegender disciplinärer und gewerbepolizeilicher
Gerichtsbarkeit werden doch auch die privatrechtlichen Streitig-
keiten mindestens unter den Innongsgenossen, vielfach darüber
hinaus, der Kognition des Innungsgerichts unterstellt (Innungs-
sache, Handelssache, causa mercantilis) -, die Jurisdiktionsgrenzen ]
schwanken, sogar innerhalb der einzelnen Stadtgemeinden, nach |
politischen und anderweitigen Wandelungen (mein Handbuch
I', S. 42 und 43). Das Verfahren dieser keineswegs als
> Handelsgerichte c eingesetzten, wenngleich auch als solche
fungirenden Innungsgerichte ist summarisch und zeigt zahl-
reiche, einerseits auf Schleunigkeit der Entscheidung, anderer-
seits auf freie Wahrheitsermittelung berechnete Eigenthümlich-
keiten.
Zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten auf der Fahrt
der in Convoy segelnden Handelsschiffe und während des vor-
übergehenden Aufenthaltes in der Fremde dienen die »Reise-
konsuln« ; für auswärtige Faktoreien die von den Mitgliedern
.OOgk'
40 Handelsrecht. (Geidiichlliche Eotwieklung.)
der Faktorei gewählten oder von der Obrigkeit der Heimat
bestellten ständigen Konsuln, mitunter besteht auch ein General-
konsulat (z. B. das Venetianer und das Pisaner in Syrien).
Besondere Seegerichte (consulatus maris) begegnen theils
als AdministratlTbehOrde und Gericht einer Seehandelsgilde
(so in Pisa, Valencia, ursprünglich wohl auch in Genua und
Barcelona), theils als Staatsbehörde (z. B. 1347 in Barcelona).
Theilweise aus der Rechtsprechung der Seegerichte sind
besondere Seerechte hervorgegangen: Venedig 1255. Amalfi
(tabula Amalfitana — vermuthtich dem 13. und 14. Jahrhundert
angehörig), Trani (1363?, es wird behauptet 1063, 1183, 1453),
Barcelona (costums de la mar, 13, Jahrhundert, später genannt
Ubro de consolat de! mar, in letzter Redaktion um 1370),
Ancona (spätestens 1397), Ol^ron jjei La Rochelle (vielleicht
cchon aus dem 12. Jahrhundert). Anderswo bildet das See-
recht einen Theil des Statuts der Seehandelsgilde (Pisa: breve
curiae maris 1305, breve dell' ordine di mare 1332) oder des
Stadtrechts (z. B. in Genua 13. und 14. Jahrhundert, Mar-
seiUe 1255).
In den Kolonialstaaten gilt durchgehends das besonders
kodificirte Recht der Mutterstadt, z. B. genuesisches Recht in
Pera (Galata): magnum volumen Peyre 1316, und in der Krim
(Gazaria): imposicio ofäcii Gazariae 1313 — 1441; pisanisches
Recht in Sardinien: breve portus Kallaretani 1318.
Daneben finden sich endlich zahlreiche Ein^lgesetze, wie
Mäklerordnungen (z. B. Barcelona 1271), Handelsprozessgesetze
(z. B. Valencia zwischen 1336/43), Versicherungsgesetze (z. B.
Barcelona 1435—1484) u. A. m.
5. Eine Rechtsganeinschaft der italienischen oder sonstigen
romanischen Kaufleute verschiedener Handelsplätze im Aus-
lande findet sich nur ausnahmsweise. VornehmlicE" in Frank-
reich auf den Messen der Champagne besteht seit dem Aus-
gange des 13. und im Laufe des 14. Jahrhunderts eine Ver-
bindung der provengalischen Handelsstädte und eine noch
bedeutsamere univcrsit^is mercatorum Lombardonim et Tusca-
norum unter einem Generalkapitän, welcher den Specialkonsuln
der einzelnen zum Verbände gehörigen Städte und Innungen
übergeordnet ist (meine Universalgesch. S. 193—200). Die
Champagnemessen aber sind seit dem 12. Jahrhundert die
Mittelpunkte des Waaren- und Geldverkehrs für das ganze
üigilizecoy Google
3- Du Hutdelvecht in Hitldtlter. 41
westliche Europa; auf sie werden GeldverpQicfatungen aller
Art abgestellt, die Champagner Messplatze sind europäische
Wechseldomizile. t^iH da die sechs JahresineSS<:tu (](!r vier
Messplätze (L^gny sur Marne [1], Bar surAube [1], Provins[2],
Troyes [2]), eine jede über sechs Wochen während und in
etwa zweimonatlichen Zwischenräumen aufeinanderfolgend,
nahezu das ganze Jahr ausfüllten, so war die Champagne ein
gleichsam ständiger Mess- und Zahlungsplatz. Die hier kon-
trabirten Schulden unterlagen der ausschliesslichen Jurisdiktioo
des MessgCTchts, genossen stillschweigende Hypothek und un-
bedingten Vorzug vor sonstigen Schulden, wurden im schleu-
nigen Verfahren abgeurtheilt und mit äusserster Strenge durch
Personalhaft exequirt. Polizei und Gerichtsbarkeit der Messen
wurden von der landesherrlich bestellten Messbehörde gehand-
habt, den maltres oder gardes des foires (custodes nundinarum) ;
Berufung geschah an das Obergericht der Champagne~oder
an das Pariser Parlament. Gegen Schuldner, welche sich dem
Gerichtszwang entzogen, erging Ezekutionsmandat der Mess-
behOrde mittelst Befehls bezw. Requisition an das Heimaths-
gericht, unter Androhung des Messbannes, dessen Vollstreckung
für alle Angehörigen der betreffenden Stadt oder des betreffen-
den Staates den Ausschluss von der Messe nach sich zog. Die
MessbehOrde bildete so eine Centralbehörde, von welcher Kauf-
leute aller Nationen Schutz gegen Vertragsbruch und sonstige
Rechtsverletzungen erlangten.
Mit dem Verfall der Champagnemessen seit der Mitte
des 14. Jahrhunderts wurde das sb^rage Messrecht auf neu
errichtete Messen übertragen, insbesondere auf ^ zuerst 1419
«richteten, 1494 definitiv" geordneten Messen von Lyon, deren
BlUthe dem 16. und 17. Jafariiundert angehört. Nunmehr ist
Lyon der Hauptbank- und Zahtplatz des ■westlichen Europa,
doch wird das lu^prUngUche Messgericht später zum all-
gemeinen, hochprivilegirten Handelsgericht (itribunal de conser-
vationt). (Meine Universalgeschichte S. 224—237 und
meine Abhandlung, Zeitschr. f. Handelsr., Bd. 40, S. 1 ff.)
6. Das so entwickelte romanische Handelsrecht lehnt)
sich zum erheblichen Theil an römische Satzungen unJ föriiisch- ■
griechisches »Vulgarrecht» an; insbesondere findet, mit 3er i
allmäligen Wiederannäherung des mittelalterlichen Handels-
betriebes an den kapitalistischen Grossbetrieb der römischen
^ „Google
42 Huidelnedit (Gaduchtliche EntwicUnng.)
Kaiserzeit, das klassische römische Recht umfassende An-
wendung, aber ergänzt und modificirt durch neue fruchtbare
Rechtsbildungen, während die dem Grosshandel ungeeigneten
Satzungen der späteren römischen Kaiserzeit zum erheblichen
Theile au^estossen werden. Die neuen RechtsschSpfungen
der romanischen, insbesondere der italienischen Kaufmannswelt
zeugen von hoher wirtfaschaftlicfaer Einsicht, genialer Rechts-
begabuug und sicherer praktischer Schulung, sie stehen eben-
bürtig neben den ewigen Schöpfungen der klassischen römi-
schen Jurisprudenz. Es genügt der Hinweis auf die diffe-
rentiirten Gesellschaftsformen : der commenda, aus welcher wie
die heutige Kommandit- und stille Gesellschaft, so wesentlich
das heutige Kommissionsgeschäft hervorgegangen ist — der
offenen Handelsgesellschaft — des Aktienvereins ^ auf die sich
mehr dem hellenischen Recht anschliessende, unter der Ein-
wirkung formalen germanischen Urkundenrechts entwickelte
Ausbildung der Werthpapiere ^ insbesondere der Order- und
Inhaberpapiere; auf das Kredit- und Zahlungsgeschaft ins-
besondere des Bankverkehrs, welches nahezu in seiner heutigen
Gestalt vollentwickelt ist Für den Seeverkehr ist, neben dem
allmälig durchdringenden reifen römischen Recht auch mancher
wichtige neue Rechtssatz, z. B. hinsichtlich der Haftung des
Rheders, hinsichtlich der Rhederei, des Frachtgeschäfts, vor-
nehmlich durch die Ausbildung des Konnossements, zur Geltung
gelangt. Aus dem antiken Seedarlehn hat sich auf der einen
Seite die Prämienassekuranz, auf der andern Seite die schrift-
liche Geldrimesse herausgebildet, welche zunächst in Form
des domizilirten Eigenwechsels, seit dem Ausgange des 14. Jahr-
hunderts insbesondere in Form der Tratte (namentlich Mess-
tratte) zum wichtigsten Werkzeug des interlokalen wie inter-
nationalen geldwirthschaftlichen Kreditverkehrs wird und bereits
in den Kaufmannsstatuten von Bologna 1509 eine umfassende
statutarische Regelung findet. (Ueber all dies im Einzelnen
meine Universalgeschichte S. 237— 465, wo auch die Special-
literatur angeführt ist.)
7. Das romanische Handelsrecht wird in der Hauptsache
auch im östlichen und nördlichen Europa recipirt. Diese
Reception hat allmälig seit Ausgang des "Mittelalters statt-
gefunden, theils direkt jm internationalen Handelsgebrauch,
tbeils unter dem Einfluss der überall verbreiteten italienischen
i;lc
3. Dh HudelvMbt im MitieUIler. 43
Kanfleute und der romanischen Literatur. Aus den Ent-
scheidungen der italienischenGerichte , insbesondere der rota
Genuae, aus den italienischen Schriftstellera des 16., 17., 18.
Jahrhunderts: Stracca, Scaccia, Rafael de Turri, Cardinalis de
Laca, Roccus, Ansaldus, Casaregis schöpfte überall die ge-
lehrte Doktrin und Praxis. Man sehe z. B. den tractatus^ de
iure commerciorum des Lübecker Bürgermeisters Joh. Marquaid
1662. Denn der neue geldwirthschaftliche Kreditverkehr findet
in diesem romanischen Rechte seine entsprechendste Regelung,
und das dürftigere, wie überall päftikülär~zersplitterte ein-
heimische, insbesondere das deutsche Recht unterliegt, wie dem
reicheren und universalen rOmischen Civilrecht, so auch dem
durch die gleichen Eigenschaften ausgezeichneten Handelsrecht
der Mittehneerstaaten. Namentlich lässt sich in Flandern und
Brabantj wo Brügge, später Antwerpen Mittelpunkte eines um-
fässenden europäischen Verkehrs bilden, bereits im 15. Jahr-
hundert das wa(±scnde Eindringen des Italienischen KecTits
verfolgen, wie auf der anderen Seite insbesondere die seit dem
iSTJalirhundert festgeordnete, vorwiegend oberdeutsche Faktorei
in Venedig, das Kauf- und Lagerhaus der Deutschen (fondaco
dei Tedeschi), die Kenntniss des italienischen Handelsgebrauchs
vermittelt. (Thomas, Das Kapitular des Deutschen Hauses
in Venedig, 1874. Simonsfeld, Der fondaco dei Tedeschi
in Venedig, 2 Bde., 1887.) Das überreiche Material des
niederländisch-belgischen, deutschenj englischen, skandinavischen
Statütar-, Gesetzes- und Urkundenrechts, die Masse der Zunft-
röllen un3"Gfldestatuten zeigt zwar bedeutsame Ansätze zu
selbstständiger Ausbildung des Handelsrechts, doch findet sich
nur Weniges darin, was die Reception des romanischen Handels- ji
rechts überdauert und so zur universalen Geltung geTaiigf ist.||
Ueberall war die Innungsgerichtsbarfeeit dürftiger entwickelt
als in Italien, der Umfang autonomer Rechtsbildung ein weit-
aus geringerer. (Man vgl. z. B. Pauli, Lubeckische Zustände
im Mittelalter, I.— ffl., 1846,78. Th. Hirsch, Danzig's Han-
dels- und Gewerbsgeschichte, 1858. Neamann, Beilageheft
zur Zeitschr. f. das ges. Handelsrecht, Bd. VTI. Gengier,
Deutsche Stadtrechtsalterthümer, 1882. Neu mann, Geschichte
des Wuchers in Deutschland, 1865. Femer die Specialwerke,
z. B. über Basel [Geering], Strassburg [Schmoller] u. v. A.
J. Falke, Geschichte des deutschen Handels I, 11, 1859/60.)
lOglc
44 Hindelscecht. (Geschichüiche Entiricldung.)
Sogar der mächtige Bund der deutseben Hanse, wie hoch auch
seine politische und wirthschaftliche Bedeutung vomehmlich
fUr das nth-dliche Europa Jahrhunderte hindurch gewesen ist,
hat doch in seinen Rechtssatzungen, insbesondere den Recessen
der Hansetage, den Statuten der hansischen Kontore u. A, m.
nur wenige dauernde Schöpfungen hervorgebracht. (Vgl,
Sartorius-Lappenberg, Urkundliche Geschichte des Ur-
sprungs der deutschen Hanse, 1830, 2 Bde., insbesondere die
Publikationen seit 1872: Hanserecesse, in 3 Abtheitimgen
[1256—1430; 1431—1476; 1477—1530], bisher 16 Bde. Höhl-
baum, Hansisches Urkundenbuch , bisher 3 Bde., 1876/86.
Hansische Geschichtsblätter seit 1872. D. Schäfer,
Die Hansestädte und König Walderoar von Dänemark, 1879
u. V. A.) Nur das Seerecht zeigt wichtige Eigenthümlichkeiten,
welche sich über das Mittelalter hinaus behauptet haben : eine
kodificirende Zusammenfassung enthält der Recess von 1591.
revidirt als: Der Ehrsamen Hansestädte Schiffsordnung und
Seerecht 1614. Das »"Waterrecht c, d. h. die den Namen des
Wisby'schen Seerechts tragende, zuerst 1505 in dem gegen-
wärtigen TTmlange publicirte Kompilation (am besten Schlyter,
Corpus iuris Sueo-Gotorum antiqui vol. VIII: Wisby stadslag
och sjsrätt, Lund 1853) ist in ihrem ersten Haupttheile dem
Seerecht von Olöron entlehnt, in ihrem zweiten Haupttheile
auf der Grundlage des eisten, wahrscheinlich 1407 zu Amsterdam
für das hansische Kontor zu Brügge festgestellt, endlich durch
mancherlei Zusätze, insbesondere aus dem lübisch-hamburgi-
schen Rechte erweitert.
4. Das Handelsrecht der neueren Zelt.
1. In Folge der Entdeckung des Seeweges nach Indien
und der neuen Welttheile, des Vordringens der osmanischen
(türkischen) Macht, der spanischen Herrschaft über einen Theil
Italiens und der südlichen Niederlande, der politischen und
wirth schaftlichen Centralisation der mittel- und nordeuropäischen
Staaten mit Ausnahme Deutschlands geht die Seeherrschaft
von Italien und Deutschland zeitweise auf die Staaten am
Altlantischen Ocean über. Die neuen WeMlheile, später Indien
und beträchtliche Gebiete Nord- und Ostasiens werden euro-
päische Kolonialstaaten, an denen Italien und Deutschland,
4, Du Handelirecltt der neaeren ZeiL 45
trotz anßinglicheti Mitbewerbs im indischen Handel, keinen
Antbeil haben. Die Besitzer der neu entdeckten oder zugäng-
licher gewordenen Kontinente, Portugal und Spanien, dem-
nächst die nach glorreichem Befreiungskampfe zu hoher wirth-
schaftlicher und KulturUuthe aufsteigenden nördlichen Nieder-
lande monopolisiren den Kolonialbandel ; insbesondere wird
Amsterdam der Hauptmarkt wie der ostindischen so der
nordischen Waaren, im 17. Jahrhundert der europäische
Geldmarkt; seine Börse nimmt, wie heute die Londoner,
eine weltbeherrschende Stellung ein. Mit Cromwell, dauernd
seit dem 18. Jahrhundert, beginnt die industrielle und mari-
time Vorherrschaft Englands , welchem im 19. Jahrhundert
rivalisirend der grosse nordamerikanische Freistaat zur Seite
tritt. Frankreich gelangt seit Heinrich IV. durch glückliche
Eroberungskriege und geschickte, vielfach vorbildliche Ver-
waltung (Sully, Richelieu, Colbert) zu wirthschaftücher Blüthe,
während seine Kolonialpolitik ohne dauernde Erfolge bleibt.
Deutschland strebt nach dem tiefen wirthscfaaftlichen Nieder-
gang, welcher sich vornehmlich an den furchtbaren Dreissig-
jährigen Krieg knUpfte, zunächst in seinen Einzelstaaten, vor
allen in Brandenburg-Preussen, wieder empor; aber erst in dem
Zollverein (1833) ward es zum grösseren Theile wirthschaft-
lich, in dem Deutschen Reiche (1870/71) wirthschaftlich wie
politisch voll geeinigt. Endlich hat auch Italien die im Mittel-
alter stets vergeblich angestrebte staatliche Einheit in dem
letzten Menschenalter erreicht.
2. Wenn die Entdeckung und leichtere Zugänglichkeit
der entfernteren Welttheile eine unermessliche Zunahme der
Waarenmenge (Kolonial waaren, wie Kaffee, Thee, Zucker, Baum-
wolle o. dgl.), die gesteigerte industrielle Thätigkeit das gewaltige
Anwachsen der Industrieerzeugnisse hervorruft, so entspricht
die gleichfalls erheblich gewachsene Gold- und Silberproduktion
doch nicht annähernd dem Bedlirfniss an Zahlungsmitteln. So
gelangt der Metallgeld sparende Kreditverkehr zu seiner
vollen Ausbildung ; seine Werkzeuge sind der sich insbesondere
durch das Giro vervollkommnende Wechsel nebst den ander-
weitigen Geldpapieren (Banknoten, Checks, Anlehenspapieren)
und der sinnreiche Mechanismus der Abrechnungsoperationen.
Bank-, Assekuranzgeschäft, Kolonialhandel, in wäc'hsenäenrtJm-
fang betrieben, erfordern die volle Durchbildung des Systems
46 Haodeltrecbt. (Geschichtliche Entwicklung.)
der bescbränbten Haftung, wie es in den Aktienvereinen, den
tCommandit- und Aktienkonunanditgesellschaften zu Tage tritt.
Das immer mehr verknöchernde und zur Lösimg wirthschaft-
licber Aufgaben unfähige Zunftwesen wird zuerst in England
gebrochen , später in Frankreich imd dem übrigen Europa,
aber die den Selbstständigkeitstrieb erstickende, wenngleich
energisch reformirende Staatspolizei (Schmoller, Jahrb. für
Volkswirthschaft, VIII) ;vermag auf die Dauer die Wieder-
belebung genossenschafthcher Organisation (insbesondere eng-
lisch-deutsche Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften) nicht
zu hindern.
Wachsende finanzielle Bedürfnisse der Staaten, Gemeinden,
Aktienvereine führen zur Vervollkommnung der Anlehens-
S3^teme; Aktienbriefe und Anlehenspapiere werden Objekt der
Kapitalanlage wie des handelsmässigen Umsatzes, und es bildet
sich der neue Geschäftszweig des sog. Papier- oder Effekten-
handels mit originellen, später auch auf den Waarenhandel Über-
tragenen Geschäftsformen, schon früh zur Agiotage (Börsen-
spiel) ausartend. Der Gegensatz des Platz- und des Distanz-
geschäfts in Abschluss und Erfüllung bildet sich zufolge der
gesteigerten Kommunikationsmittel schärfer herai^. Neben
und zum Theil an Stelle der vorübergehenden Märkte und
Messen treten die Börsen als ständige Mittelpunkte des Gross-
bandels und Regulatoren der möghchst nivellirten Marktpreise.
Endlich tritt neben die sich vervollkommnende Schiffahrt
(Dampfschiff, Eisenbau etc.) ebenbürtig der Grossbetrieb des
Landtransports (Eisenbahnverkehr) und des Nachrichten Verkehrs
(Post, Telegrapbie, Telephonie),
3. Mit den Fortschritten des Wirthschaftslebens hält die
Entwicklung des Handelsrechts nicht immer gleichen Schritt
Denn die gewohnheitliche Rechtsbildung war vielfach ein-
geengt durch verkehrte Anschauimgen über das Gewohnheits-
recht, durch die Tlnkpnntriiss der gejplirfpn (Iprirhfp^ welche
man in steigendem Maasse mit der Rechtsprechung auch in
Handelssachen betraut sind, durch reglementirende und immer
mehr sich territorial abschliessende Gesetzgebung, welche zur
Abschwächung der universalen Recbtsbildung führt. Immer-
bin haben selbst die Kodifikationen, welche das bisherige ge-
meine Recht und Gewohnheitsrecht völlig ausschlössen, auf
die Dauer die naturgemäss kosmopolitische Entwicklung des
. - ...GooqIc
4- Du Handelnecht der neaeren Zeit. 47
Handelsrechts nicht verhindert, indeci das fremde Gesetz vielfach
vorbildlich benutzt oder gar kopirt und so mittelst gegenseitiger
Entlehnvmg pJn Stampf yfmpiiisamen Rechts geschaffen wurde.
Am wenigsten hat England nebst seinen Kolonialstaaten, i
insbesondere auch den Vereinigten Staaten von Amerika, die I
handelsrechthche Kodifikation begünstigt ; den Grundstock des |
Handelsrechts bildet hier noch immer das als Theil des common
law geltende, in der Praxis der Obergerichte anerkannte Han-
delsgewohnheitsrecht ~^aw mercbant; lex mercatoria), wenn-
gleich die 2^hl wie der Üinfang der Handelsgesetze (Statutes)
in stetem Wachsen begriffen ist, und in den amerikanischen
Einzelstaaten vielfach eine hOchst umfassende Handelsgesetz-
gebang besteht.
Wenn aber bereits die revidirten Kaufmannsstatuten der
it^ieniscben und spanischen Handelsstädte eine näEezu er-
schOpfende Fixirung des Handelsrechts anstreben , so wurde
das gleiche Ziel für ein grosses Staatsgebiet insbesondere in
Frankreich seit dem 17. Jahrhundert verfolgt. Mit den beiden
berühmten Handelsgesetzen, der Ordonnance du commerce 1673
tmd der Ordonnance de la marine 1681 tntt dasselbe an die
Spitze, zwar nicht der Entwictfung des Handels, aber doch
des Handelsrechts; wesentlich auf ihnen beruht der noch jetzt
geltende code de commerce von 1807, welcher für einen grossen
Theil der civilisirten Welt direkt oder indirekt zur Herrschaft
gelang ist An die beiden ersterwähnten Gesetze schliesst
sich auch die revidirte Handelsordnung von Bilbao von 1737,
die Grundlage des späteren spanischen Handelsrechts.
In den deutschen Territorien bestanden die zahlreichsten
Stadt- und Laadrecbte wie Einzelgesetze verschiedenster Be-
nennung und Inhalts: Markt-, Mess-, Börsen-, Merkantil-, Pro-
kuren- , Firmen- , Wechselordnungen , Seegesetze etc. Der
preussische Staat erhielt gemeinsames Recht in der Wechsel-
ordnung von 1751, der Assekuranz- und Havereiordnung 1766;
ein erstes, unter überwiegendem Einfluss hamburgischer Kauf-
leute tmd Juristen verfasstes, vollständiges kodificirtes Handels-
recht als Theil des Allgemeinen Landrechts von 1794: II. 8
§§ 475 — 2464, welchem dann als erstes selbstständiges Handels-
gesetzbuch der französische Code de commerce folgte und als-
bald auch in zahlreichen Theilen Deutschlands gesetzliche Auf-
nahme fand.
itizecy Google
48 Huidelsrecht (Getchichtlkhe EntwicUmig.)
4. Der unleidlichen, immer tiefer empfundenen Rechts-
zersplitterung haben für Deutschland abgeholfen : die vortreff-
Uche Allgemeine Deutsche Wechselordnung ^ verfasst 1847,
nebst den ergänzenden und modifiorenden sog. Nürnberger
Novellen, verfasst 1861; das Allgemeine Deutsche Handels-
gesetzbuch , verfasst 1857—1861; die Bundes- bezw. Relchs-
gesetze, welche diese ursprünglich partikulär eingeführten
Gesetzbücher zum Bundes- bezw. Reichsrecht erhoben und
dessen einheitliche Anwendung garantirt haben (Gesetz vom
5. Juni und 12. Juni 1869); endlich zahlreiche ergänzende,
theilweise abändernde Reichsgesetze (zusammengestellt mit den
beiden Gesetzbüchern z. B. in der Ausgabe von Schröder,
7. Aufl. 1891; Friedberg 1890 [3. Aufl. 1894]).
5. Neben diesem so kodificirten Deutschen Handels-
recht, welches, mit Ausschluss des Seerechts, wenig modificirt
auch in den dsleithanischen Theilen der Osterreichischen
Monarchie gilt, bestehen zur Zeit folgende Rechtsgebiete:
Das Gebiet des englischen (bezw. nordamerikanischen)
Rechts — von welchem das schottische Recht wesentlich ab-
weicht ; Gesetzbücher bestehen in einzelnen Kolonien, z. B. in
Malta (1857) und Niederkanada (1866).
Das Gebiet des französischen Handelsrechts , zu
welchem, nach französischer Auffassung, auch das Konkurs^
recht gehört. Der jetzt in der Hauptsache veraltete code de
commerce ist durch zahlreiche neue Gesetze sehr erheblich er-
Igänzt und modificirt — eine Revision des ganzen Societäts-
rechts ist im Gange. Er gilt noch gegenwärtig im Königreich
Polen und in Luxemburg; ist wenig verändert übergegangen
in die Handelsgesetzbücher von Griechenland, der ionischen
Inseln, des Fürstenthums Monaco, der Türkei und Egyptens,
San Domingos und Haitis, früher auch Rumäniens (1841 bezw.
1863); er bildet endlich die Hauptgrundlage des Holländi-
schen Handelsgesetzbuches (1838), obwohl dasselbe im See-
und Versicherungsrecht mehr dem älteren einheimischen Recht
folgt (für Handelspapiere, insbesondere Wechsel, ist ein Gesetz-
entwurf auf deutscher Grundlage ausgearbeitet, 1886), sowie
der zahlreichen älteren Handelsgesetzbücher der italienischen
Einzelstaaten und noch des gemeinsamen italienischen Handels-
gesetzbuchs von 1865.
Das Gebiet des spanisch-portugiesischen Handel
oogic
4- Dm HudebMcbt der nenetca Zeil. 49
rechts. Mutterrechte sind das spanische Gesetzbuch von 1829
und das sehr originelle portugiesische von 1833, beide stark
beeinflusst vom älteren einheimischen wie französischen Recht;
Tochteirechte sind die Gesetzbücher der spanischen und portu-
giesischen Kolonialstaates Amerikas, nSmlich von Brasilien
(1850), La Plata-Staaten und Argentinien (1869, 1862, jetzt
neu 1889), Peru (1853), Chile (1865) u.a.m., zuletzt Mexiko
(1857, jetzt neu 1889). In allen diesen Staaten ist die frühere
Geltung der Ordenanzas von Bilbao beseitigt; einzelne haben
wieder von einander ihr Gesetzbuch entlehnt, z. B. Uruguay
(Montevideo) und Paraguay von Argentinien, Honduras von
Chile.
Das Gebiet des französisch-deutschen Handelsrechts,
d. h. Gesetzbücher auf wesentlich französischer Grundlage, aber
mehr und minder stark beeinflusst von dem neuen deutschen
Recht. So das Gesetzbuch von Serbien (1860), das in den
Jahren 1867 ff. allmälig revidirte belgische Handelsgesetz-
buch und das neue italienische Handelsgesetdmch (1882).
Das letztere wiederum ist stark benutzt in dem neuen span i-
schen Handelsgesetzbuch (1885) und ist in der Hauptsache
übergegangen in das neue rumänische Handelsgesetzbuch
(1887) wie das neue portugiesische Handelsgesetzbuch
(1888).
Das Gebiet des modificirten deutschen Handels-
rechts, d. h. selbstständige Gesetzbücher, aber wesentlich auf der
Grundlage des deutschen Handelsgesetzbuchs und der deutschen
Wechselordnung, Dahin gehören das Handelsgesetz für das ]
Königreich Ungarn (1875), desgleichen Wechselgesetz (1876): (
eine nicht immer glückliche Modifikation der deutschen Gesetz-
bücher-, das schweizerische Bundesgesetz über das Obli-
gationenrecht (1881), welches auch Handelsrecht und Wechsel-
recht in origineller, aber nicht immer klarer Verbindung mit
dem gemeinen Civilrecht enthält; für das Wechsebecht auch
die drei skandinavischen Reiche (1880) und Finnland (1859);
für das Seerecht einstweilen Schweden (1864, insbesondere 1891),
Finnland (1873) — Norwegen und Dänemark werden sich
anschliessen , indem ein, in Schweden bereits publicirter ge-
meinsamer skandinavischer Entwurf vorhegt. Wesentlich das
ungarische Handelsgesetz ist adoptirt in dem Handelsgesetz-
buch für Bosnien und die Herzegowina (1883).
Galdichmldi, TenniKhM Schriften, n. 4
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50 Handeltredt. (GMchichtliehe EntvicUiiiig.)
Das Gebiet des skandinavischen Rechts — sehr ver-
schieden für Schweden einerseits, für Dänemark und Norwegen
andererseits, in der Hauptsache nicht kodificirt. Der Einfluss
des deutschen Handelsrechts ist im Steigen, in den Materien
des Wechselrechts und Seerechts bereits durchgedrungen.
Das Gebiet des russischen Rechts. Das russische
Handelsgesetzbuch bildet einen Theil des eine systematische
Zusammenstellung älterer Gesetze (Inkorporation, nicht Kodi-
fikation) darstellenden russischen Gesetzkodex (Swod sakönow),
welcher in revidirten Ausgaben publicirt wird (zuletzt 1887).
(Eine deutsche Uebersetzung des grössten Theils von V. v.
Zwingmann, Riga 1889.) Für das Wechselrecht liegt ein 1882
veröffentlichter, 1883 revidirter Entwurf auf deutscher Grund-
lage vor. Finnland hat, ausser den bereits erwähnten neuen
Gesetzen, zum Theil schwedisches Recht ; in den Ostseeprovinzen
gilt in erster Linie das kodificirte Provinzialrecht (Liv-, esth-
und kurlandisches Privatrecht 1864): überwiegend deutsches
Handelsrecht.
Endlich hat auch Japan ein wesentlich auf deutscher
Grundlage verfasstes und publicirtes, aber noch nicht in Kraft
getretenes Handelsgesetzbuch erhalten (1890) '. —
Die vorstehende Uebersicht zeigt , dass das g^etzUch
fixirte oder gar kodificirte Handelaecht gegenüber dem Han-
delsgewohnheitsrecht überall lin^Vordringen ist Der Umfeng
des gesetzlichen Handelsrechts ist freilich Verschieden. So sind
das Verlagsrecht, das Binnenschiffahrtsrecht, das Binnenver-
sicherungsrecht, zahlreiche Bankgeschäfte noch im deutschen
Handelsgesetzbuch und dessen reichsgesetzlicben Ergänzungen
nicht geregelt, während sie in einzelnen neueren Gesetzbüchern
eine mehr oder minder umfassende Normirung gefunden haben
und bei der bevorstehenden Revision des deutschen Handels-
gesetzbuchs gesetzlich fixirt werden sollen. Während femer
in den Gesetzbüchern auf französischer Grundlage das Konkurs-
recht, zum Theil auch das Handelsprozessrecht ausführlich ge-
regelt sind, gehört das erstere nach deutscher Anschauung
gar nicht dem Handelsrecht an und ist das letztere in der
deutschen Gerichtsverfassung und der deutschen Prozessordnimg
enthalten, während in einzelnen Staaten (z. B. Holland, neuer-
■ [Inzwischen am i.Jannar 1891 in Kraft getreten, vgI.Zet(schr.XLV[Ii36.]
4- !>■■ Huide1ic«cht der neneKn Zdt. 51
dings in Italien und Spanien) die besondere Handelsgerichts-
barkeit völlig beseitigt ist. —
Nicht mehr vollständig ist die Zusammenstellung der
Handelsgesetze, welche in nicht immer zuverlässigen üeber-
setzungea geben:
S. Borchardt, Vollständige Sammlung der deutschen
Wechselgesetze und der ausländischen Wechselgesetze in deut-
scher Uebersetzung, 2 Bde., 1871. O. Borchardt, Samm-
lung der seit 1871 publicirten Wechselgesetze mit Uebersetzung
und Anmerkungen, 1883, und Nachtrag (das italienische Wechsel-
gesetz), 1883. O. Borchardt, Die geltenden Handelsgesetze
des Erdballs, gesammelt und in's Deutsche übertragen. Erste
Abtheilung: Die kodificirten Handelsgesetze, Bd. I, 2. Auft.
1884, Bd. II— V and Register, 1884,'87'. Fortlaufende Mit-
theilungen enthalten die Zeitschrift fur das gesammte
Handelsrecht von Goldschmidt, Laband u, A. (seit 1858)
und das Annuaire de I^gislation ätrang^re, Paris
(seit 1872), dazu Annuaire de legislation fran^ise, Paris (seit
1882), endlich die Annales de droit commercial fran^ais,
tftranger et international, public par E. Thaller Paris (seit 1886).
Mit seiner Gesetzgebung, seiner hervorragenden Doktrin
und Praxis (0. A. G. Lübeck, Reichsoberhandelsgericht, Reichs-
gericht) ist Deutschland seit dem letzten Menschenalter an die \
Spitze der europäischen Handelsrechtsentwickelung getreten
und hat den bis dahin vorherrschenden Einfluss des französi-
schen Rechts erheblich zurückgedrängt. Aber ein einträchtiges
Zusammenarbeiten der grossen Kultumationen ist insbesondere
auf diesem Gebiete nothwendig und trägt reiche Früchte.
Sogar eine auf vertragsmässiger Regelung beruhende Aus-
gleichung der noch zahlreichen Rechtsverschiedenheiten wird
nicht ohne Erfolg erstrebt, auf diesem Gebiete der alte Traum
der Recbtsuniversalität (non erit alia lex Romae, alia Athenis)
annähemd zu verwffElichen gesucht. Dahin gehören die inter-
nationalen Post- und Telegraphenverträge (zuletzt vereinbart
1891/92); die internationale Meterkonvention (1875), das (noch
nicht allseitig ratificirte) internationale Uebereinkommen über
den Eisenbahnfrachtverkehr (1891); die von der association
for the codification of the law of nations und dem institut de
■ [Sowi« 4 HachCrige 1893— 1S99.]
Digitizecy Google
52 Handdvecbt — 4. Dh Handelirecht der Deneren Zeit.
droit international, sowie zahlreichen anderen Vereinigungen
aufgestellten Entwürfe eines gemeinsamen europäischen Wechsel-
rechts, Havereirechts, Seefrachtrechts, welche in den von der
belgischen Regierung berufenen internationalen Handelsrechts-
kongressen zu Antwerpen und BrUssel (1885, 1888) weitere
Förderung erfahren haben (Uebersicht: mein Handbuch I»,
§38, Georg Cohn, t>rei rechtswissenschaftlicbe Vortrage
[1888], III. Meili, Die internationalen Unionen [1889]).
Weniger als je erscheint endlich die von einigen Juristen
(in DeutscJiland namentlich von Endemann [früher] und von
Demburg, in Italien von Vivante und Bolaffio, in Holland von
Molengraaff) verfochtene Ansicht sachentsprechend, es müsse
die schmerzlich vermisste Einheit des gesammten bürgerlichen
Rechts dadurch hergestellt werden, dass das Handelsrecht als
besonderer Rechtszweig in dem allgemeinen bürgerlichen Recht
aufgehe. Eine solche Unifikation entspricht weder der ge-
schichtlich begründeten relativen Selbstständigkeit des Handels-
rechts, noch dem besonderen Bedürfniss des grossen, zumal
internationalen Verkehrs, welcher gebieterisch ein seinen eigen-
thUmüchen Zwecken geeignetes Recht erheischt. Auch die
I immerhin nur in zweiter Linie wichtige Sonderung des Han-
' delsrechts in einem eigenen Gesetzbuch empfiehlt sich aus
> praktischen Gründen und ist von den legislativen Faktoren
E>eutschlands einmüthig als unumgänglich anerkannt (s. den
Bericht der Vorkommission für das bürgerliche Gesetzbuch und
den Beschluss des Bundesrathes 1874 in der Zeitschrift für
Handelsrecht XX, S. 134 ff. und meine Universalgeschichte
S. 10 ff.). Nur versteht sich, dass mit der Kodifikation des
bürgerlichen Rechts manche, nur wegen des Mangels eines
gemeinsamen bürgerlichen Rechts in das Handelsgesetzbuch
aufgenommenen Rechtssätze, als nunmehr entbehrlich, aus diesem
ausgemerzt werden müssen (s. auch Riesser, Zur Revision
des Handelsgesetzbuchs Abt. 1, 2, 1887/89, insbesondere Abt 2,
S. 387 ff.). Im Uebrigen ist es nicht Aufgabe der Gesetz-
gebung, auf Kosten des obersten Rechtszweckes, welcher dne
angemessene Ordnung der Lebensverhältnisse erheischt,
eine nur formale Rechtsgleichheit zu schaffen, welche
sich als völlig unzureichend erweist, die vielfach auseinander-
gehenden oder gar widerstreitenden Interessen der mensch*
liehen Gesellschaft gleichmassig zu befriedigen.
,.: .«:,yGüOgle
Ober die
BENÜTZUNG UND DIE BEDEUTimO
DER
BERATHUNGS PROTOKOLLE
fOr die
INTERPRETATION
DES
DEUTSCHEN HANDELSGESETZBUCHS.
(1866.)
iLCD, Google
iLCD, Google
IQ seinem gediegenen Kommentar zum Deutschen Handels-
gesetzbuch' entwickelt Fr. v. Hahn seine Ansichten über
die Bedeutung und Benutzung der Berathungsprotokolle der
Nürnberger und Hamburger Konferenzen für die Interpre-
tation des Deutschen Handelsgesetzbuchs ; Einleitung S. XLIV
bis XLVin [4. Aufl. S. 42—56]. Die gleichen Fragen sind
gleichzeitig von mir in meinem Handbuche des Handelsrechts
Bd. I S. 222 f. [2. Aufl. S. 312 ff.] und Vorrede S. XI [2. Aufl.
S. IX], denmächst ausführlich von Schlesinger (Göttingi-
sche Gelehrte Anzeigen 1864 Stück 50 S. 1968-1979)
und wiederum von v. Hahn (Blätter für Rechtspflege in
Thüringen und Anhalt Bd. XII S. 175—178) in Recenaonen
des letzterwähnten Werkes erörtert worden. — Und zwar
stehen ach, was 1. die Frage von der Bedeutung der Proto-
kolle anlangt, am schroffsten Schlesinger 's und meine
Ansicht gegenüber, während v. Hahn in seinem Kommentar
die von mir entwickelte, ihm zur Zeit aber noch nicht be-
kannte Ansicht mit Gründen bekämpft, welche Schlesinger
für nicht zureichend erklärt, dagegen in seiner Recension
meines Handbuchs sich den weiter gehenden Gründen
Schlesinger's anschliesst. Ich werde demgemäss unter-
scheiden :
A. Die erste Erörterung v. Hahn's (Kommentar).
B. Die Erörtenmgen Schlesinger's und die zweite
Darstellung v. Hahn's (Bl. f. Rechtspfl. in Thüringen).
C. Ueber einige Ausführungen v. Hahn's.
■ Ueber Bd. I Abth. i t. Znttchr. VI S. 330. Dan >ach die Fort-
■elmig des Werkes durch gründlicbc Sacbkeiuitnisa, lelbitstlndige Fonchuog,
getandes Urtheil and kisre Entwicklung einen hervorragenden Rang in der
huideUrecbtlichen Liceralur einnimmt, mag hier nur beiläufig bemerkt nerden.
[a. Aufl. Bd. I, 1871, Bd. 11, 1875; 3. Aufl. Bd. I, 1877; 4. Aufl. Bd. I
Lfg. I u. a, 1894. In der 4. AoH. S. 5z hat Habn seine Andcbt modifiiirt.]
, Google
56 Ueber die Benutzung und Bedeutung der BerathungsprolokoUe etc.
Was dagegen die Methode der Benutzung der Proto-
kolle wie sonstiger Vorarbeiten bei wissenschaftlichen Erörte-
rungen anlangt, so sind v. Hahn und ich darüber wesentlich
einverstanden , während Schlesinger uns beiden gleich-
massig entgegentritt.
Diese letzte, einfachere Frage mag zunächst besprochen
werden.
L Die Benutzung der Protokolle.
Wie gross oder gering die Bedeutung der Protokolle für
die Interpretation des Gesetzbuchs sein mag, ihre Benutzung
kami und darf für diesen Zweck nicht unterbleiben. Damit
ist auch Schlesinger einverstanden a. a. O. S. 1977. 1978.
Nur verlangt er eine rechte Benutzung. Als solche erscheint
ihm nicht die Mittheilung von Stellen aus den Vorarbeiten
oder des Ganges der Verhandlungen; die nackte Mittheilung
aus der Entstehungsgeschichte eines Gesetzes sei eitel Papier-
verschwendung und habe mit der Jurisprudenz, als der Wissen-
schaft des positiven Rechts, gar nichts zu schaffeiL Allerdings
müsse der Jurist die Protokolle u. dergl. studiren, aber das, was
er dadurch etwa wissenschaftlich gelernt hat, in seinem Geiste
festhaltend, im Uebrigen so zu Werke gehen, als ob jene
Aktenstucke gar nicht existirten. Hierauf hat schon v. Hahn
treffend erwidert. Das blosse Ausschreiben der Protokolle,
einzelner oder selbst aller Stellen, ist freilich wenig werth,
schadet sogar nicht selten (mein Handbuch, Vorrede S. XI,
S. 223 [2. Aufl. Vorrede S. D£, S. 314], Zeitschr. f. Handelsr.
VII S. 179); allein die gewissenhafte Ordnung des häufig
für einen einzigen Satz sehr reichhaltigen und zerstreuten
Materials erspart nicht allein jedem Einzelnen, welcher
nun einmal den Inhalt der Vorarbeiten kennen lernen will,
eine grosse Mühe, dem nicht vollkommen Erfahrenen zahl-
reiche Missverständnisse, sondern sie erleichtert auch, was
nicht hoch genug angeschlagen werden darf, dem Leser das
Gewinnen einer selhstständigen Ueberzeugung. Wenn ein
denkender Schriftsteller sich für diese immerhin mühevolle,
und wenig anregende Arbeit nicht zu vornehm erachtet, so
sollte man, scheint mir, ihm dafür eher Dank wissen. Wie
derselbe sein eigenes Denken durch die Ermittlung dessen
oy Google
IL Di« B«d«ntnaK dsr Protokolle. 57
kontrolirt, was vorher von Anderen, und nun gar den Ver-
fassern eines Gesetzes, Über denselben Gegenstand gedacht
ist, so soll er auch seinen subjektiven DUnkel und seine Eitel-
keit beherrschen, indem er, was Andere gedacht haben, als
deren und nicht als seine eigenen Gedanken kundgibt. Be-
natzen und nicht cttiren ist hier so wenig als sonst empfeblens-
werth. Handelt es sich aber gar, wie die Erörterung der
zweiten Frage zeigen wird, nicht um blosse Gedanken und
Meinungen von Schriftsteilem, sondern um den Willen des
Gesetzgebers, so erscheint es um so mehr in der Ordnung,
dass die zu dessen Ermittelung geeigneten Aeusserungen als
solche angezeigt und nicht in Form individueller schriftstelle-
rischer Ansichten eingekleidet werden. — Dass mit solcher,
selbst gewissenhafter Arbeit freilich nur ein sehr kleiner
Theil der wissenschaftlichen Aufgabe gethan erscheint, ist
eben so klar, als ich es jemals verkannt habe und einen
Vorwurf gerade nach dieser Seite hin am wenigsten zu be-
fürchten glaube. ■ —
IL Die Bedeutung der Protokolle.
A. Erste Erörterung v. Hahn's.
(VeriMser und Getetigeber.)
V. Hahn erkennt an, dass ohne Benutzung der Proto-
kolle kein gründliches Studitun des Gesetzbuchs mOgUch sei,
dass dieselben unter allen Interpretationsmitteln fort und fort
die erste Stelle einnehmen werden. »Weiter aberc — heisst
es sodann — >geht ihre Bedeutung nicht; eine äussere Autorität
kommt ihnen nicht zu. Mögen einer in ihnen enthaltenen An-
sicht alle Mitglieder der Kommission beigetreten sein, mag
beschlossen sein , über dieselbe eine ausdrückliche , proto-
kollarische Erklärung aufzunehmen — wenn die Ansicht sich
als innerlich unbegründet herausstellt, so hat sie ebensowenig
Gewicht als die irrthUmliche Ansicht eines beliebigen Schrift-
stellers.* Und in der Vorrede zur ersten Abtheilung des
zweiten Bandes Seite VI bemerkt er, >bei der Interpretation
des ersten Abschnitts (von H.G.B. Buch IV) bin ich mit Gold-
schmidt vielfach zu den gleichen Resultaten gelangt. Von
den EHfferenzpunkten haben die meisten ihren Grund in der
oogic
58 Ueber die Benutzung und Bedeutung der BeratliiiiigtprotolcoUe etc.
Verschiedenheit unserer Ansicht über die Bedeutung der Kon-
ferenzprotokolle für die Interpretation des Gesetzes«.
Nun habe ich in meinem Handbuch Folgendes ausgeführt :
Jedes Gesetz empfängt seinen wahren Inhalt nur durch den
mit den gebrauchten Worten verbundenen Sinn, die Worte
eines Gesetzes sind nur der mehr oder weniger vollkommene
Ausdruck des vom Gesetzgeber mit denselben verbundenen
Sinnes. Jedes Gesetz gilt so, wie der Gesetzgeber es erweis-
lich gewollt hat, sofern dieser Wille irgend einen Ausdruck,
wenn auch einen unvollständigen, unklaren, zweideutigen ge-
funden hat. Gesetzgeber in Bezug auf das D. H.G.B. siod
an sich zwar die Regierungen und Kammern bezw. Land-
stände der Einzelstaaten; da sie indessen das D. H.G.B. nicht
selber abgefasst, vielmehr durch die Nürnberger und Hamburger
Kommission haben abfassen lassen, und da sie das Gesetzbuch
durchaus unverändert als ein allgemeines deutsches haben ein-
führen wollen, so kann im Zweifelsfalle vernünftigerweise ihr
Wille nur dahin gegangen sein, dass der von diesen Kcnn-
missionen mit den Worten des Gesetzes verbundene Sinn, also
der Wille dieser Kommissionen, wie der Wille des wirklichen
Gesetzgebers angesehen werden, somit für die Auslegung des
Gesetzes maassgebend sein solle.
Mit Unrecht beruft man sich hiergegen auf die Autorität
T höl's, welcher Handelsr. I § 11 not. q. [6. Aufl. I, S. 83] bemerkt:
iDie Benutzung derselben (der Motive) zur Auslegung
des Gesetzes geschieht fast durchweg auf verkehrte Weise,
die im Wesentlichen darauf hinauslauft, dass man die gesetz-
gebende Gewalt, deren Wille in dem Wort des
Gesetzes public! rt ist, mit den einzelnen Ver-
fassern des Gesetzes, welchen die Motive an-
gehören, identif icirt. Man übersieht, dass das Gesetz
durch die PubUkation sich vom Gesetzgeber losreisst und nun-
mehr durch den systematischen Zusammenhang, in welchem seine
einzelnen Rechtssätze zu einander und zu dem bereits gelten-
den Recht aufzufassen sind, so selbstständig als der public
cirte Wille der gesetzgebenden Gewalt heraustritt,
dass der Wille und die Einsicht der eigentlichen
Verfasser des Gesetzes gleichgültig wird. Auf
dieser Selbstständigkeit beruht es, dass das Gesetz ein-
sichtiger sein kann als der oder die Gesetzgeber.«
ogic
n. Die Bedentoog der PiotokoUe. 59
Alles das ist vollkommen richtig', berührt aber unsere
Frage nicht im Geringsten. Der Wille des Gesetzgebers
ist in dem Wort des Gesetzes publicirt, und dieser Wille ist
nicht nothwendig identisch mit dem Willen der Verfasser
des Gesetzes. Der Wille der Verfasser des Gesetzes ist
an sich gleichgültig-, der Wille des Gesetzgebers ist nicht
gleichgtiltig, wohl aber dessen Einsicht: insbesondere kann
das Gesetz eine weit grössere Tragweite haben, als der Gesetz-
geber sich dachte, oder es kann einem Gedanken, der dem
Gesetzgeber nur unklar vorschwebte, einen klaren Ausdruck
verleihen — aber es kann als Inhalt des Gesetzes niemals das
Gegentheil von dem gelten, was der Gesetzgeber mit dem-
selben hat sagen wollen. Denn publicirt ist zwar nur das
Wort, aber das Wort als Willensausdruck, also, wie Thöl mit
Recht sagt, der Wille in dem Wort. Maassgebend
ist, was der Gesetzgeber wollend gesagt hatj ver-
kehrt wäre der Satz: maassgebend ist, was der Gesetzgeber
gesagt hat, gleichviel, was er damit gewollt hat.
Auch hiermit dürfte v. Hahn in seiner ersten Erörterung,
Kommentar! S.XLIV. XLV [4. Aufl. S. 47, 48], noch vollkommen
Übereinstimmen, da er der in den Motiven geäusserten Ansicht
des wirklichen Gesetzgebers, bezw. der tibereinstimmenden An-
seht der mehreren Gesetzgebungsfaktoren, auch wenn sie inner-
lich nicht begründet ist, entscheidende Bedeutung für die Er-
gänzung, Präcisirung, Berichtigung unvollständiger, mehr-
deutiger oder unrichtiger Gesetzesausdrücke zuspricht. Dagegen
fuhrt er den von Tb öl nur hypothetisch angedeuteten Gegen-
satz zwischen dem Willen des oder der Gesetzgeber und dem
Willen der Verfasser eines Gesetzentwurfs, speciell der Ver-
fasser des Deutschen Handelsgesetzbuchs, näher aus und ge-
langt hier zu meines Erachtens unzulässigen Ergebnissen ".
Es ist richtig, dass formell die verschiedenen Entwürfe
nebst ihren Motiven nur eine »Privatarbeit« sind. In dem
Augenblicke jedoch, wo der letzte Entwurf von einer Regie-
rung zur Gesetzesvorlage erhoben wurde, ging der Wille dieser
Regierung dahin, dass der I nhalt des Entwurfs Gesetz werden
1 Durch die neuerdings angekllndigte [demntchil |E66 erschienene] Aus-
gabe der PiotokoUe lar Deut»chen WechicIordnuDg gibt Thel idber hin-
IKoglich die Bedentaog lu erkenneii, welche er denwlben beimMt.
■ [In der 4. Aufl. (S. 53) hat Hahn >eine Anucht niodi£iirt.]
, Google
60 Ueber die Benumug und B«deatnng der Bercthongqirotokolle etc.
solle, gleich als ob er von ihr selber verfasst
worden wäre. Im Augenblicke der Gesetzesvorlage identi-
ficirte sich die Regierung mit dem Verfasser, nicht anders
wie durch Vorlage eines im Auftrage nur dieser Regierung
von ihren Beamten oder von einem Privatmann ausgearbeiteten,
oder ohne solchen Auftrag von einem EVivatmann ausgearbeiteten,
aber von dieser Regierung adoptirten Gesetzentwurfs. Denn
wie ein von Kommissarien sämmtlicber deutschen Regierungen —
und das waren ja die Abgeordneten der Nürnberger wie der
Leipziger Konferenz — , welche überdies noch durch das Ge-
sammtorgan der deutschen Regierungen, die Bundesversanun-
hing, einberufen waren, verfasster Entwurf in höherem Grade
eine Privatarbeit sein soll als der in dem Ministerium des
einzelnen Staates ausgearbeitete Entwurf, ist schwerlich ein-
zusehen. Nun versteht es sich freilich von selbst, dass weder
die Regierung noch die Übrigen Gesetzgebungsfaktoren der
Einzelstaaten mit den Verfassern des Entwurfs tlber den Sinn
der darin enthaltenen Rechtssätze gleicher Ansicht zu sein
brauchten; es ist mOglich, dass sie die Worte adoptirten,
dass ihr Wille aber von dem des Entwurfeverfassers ver-
schieden war, und wenn das klar erhellt, so wird der Wille
des Verfassers als völlig gleichgültig erscheinen. Sofern aber
eine solche Differenz nicht hervortritt, im Gegentheil durch-
gehends die Erhebung des letzten Nürnberger Entwurfs zum
Gesetze en bloc, ohne alle Erörterung der einzelnen Fragen,
erfolgt ist, so bleibt eben nichts Anderes als die Annahme
tlbrig, dass dasjenige zum Gesetz erhoben sei, was
die Nürnberger Konferenz wollend gesagt hat.
Nicht etwa darum , weil die einzelnen Regierungen und
Kammern die in den Protokollen und sonstigen Motiven ent-
haltenen Erörterungen zu den ihrigen gemacht hätten, sondern
aus dem ganz verschiedenen Grunde, weil ein Gesetz nicht
pnblicirte Worte, sondern einen in Worten publicirten Willen
enthält. Wenn also die gesetzgebenden Faktoren der Einzel-
staaten nicht willenlos die Worte des Nürnberger Entwurfs
haben zum Gesetz erheben können, so muss, da sie überall
einen eigenen Willen nicht geäussert haben, nothwendig vor-
ausgesetzt werden, dass sie den Willen der Nürnberger Kon-
ferenz als ihren eigenen Willen haben angesehen wissen wollen.
Und dieses stimmt auch allein zu der Verkündung des Nürnberger
, CiOOglc
n. Die BedcBtimg der ProtokoUe. 61
Entwurfs als eines allgemeinen deutschen Gesetzes, denn nur
dann wurde das Gesetz ein wirklich gemeinsames, d. b. ein Gesetz
von überall gleichem Inhalt, wenn nicht der Gesetzgebnngswille
jedes einzelnen Staates, sondern ein von allen Staaten gleich-
massig anerkannter Wille seinen Inhalt bestimmt hatte.
So sind und bleiben die Motive und Protokolle freilich
eine »Privatarbeit*; allein, soweit aus ihnen der Wille der
Verfasser und der im vorliegenden Falle damit übereinstimmende
Wille der Gesetzgebiangsfaktoren aller Einzelstaaten über den
Inhalt der gesetzlichen Bestimmungen sich ergiebt, sind sie
das wichtigste Hülfsmittel zur Feststellung des g e s e t z -
geberischen Willens, und eben darum, zwar nicht for-
mell, aber materiell von grösserer Wichtigkeit als die Kammer-
verhandlungen eines einzelnen Staates, in denen nur ein
Faktor der gesetzgebenden Gewalt sich ausspricht. Welche
»Ansichten* die Nürnberger Konferenz über den Sinn eines
einzelnen Artikels gehegt haben mag, ist somit freilich gleich-
gültig, aber nicht, was sie mit den Worten eines Artikels
positiv oder negativ hat sagen wollen; ihre unzwei*
deutigen Erklärungen hierüber sind also nicht »Inter-
pretationen eines beliebigen Dritten* und nur sofern erheblich,
als sie nach der subjektiven Ansicht des oder jenes Schrift-
stellers »innerlich begründete erscheinen, sondern es and für
die Interpretation maassgebende Willenserklärungen.
Meine Ansicht, weit entfernt, den Richter auf eine mechanische
Befolgung der in den Protokollen und sonstigen Gesetzes-
motiven ausgesprochenen Meinungen zu beschränken, lässt
ihm, soweit nicht eine klare Aeusserung des gesetzgeberischen
Willens vorliegt, vollkommen freie Hand, während die gegen-
theilige Annahme zur blossen Wortinterpretation oder zur
subjektiven Willkür führt. Wenn z. B. aus den Protokollen
klar erhellte, dass durch Art. 1 den Handelsgebräuchen dero-
gatorische Kraft hat versagt, dass in Art. 234 mit den Worten
»sonstigen Bevollmächtigten oder Beamten* die Prokuristen
haben ausgeschlossen werden sollen; dass unter »Vermögens-
einlagenc in Art. 150 nur Geldeinlagen verstanden wurden;
dass unter »Anschaffung* in Art. 271 Z. 1 die Miethe und
der Erwerb durch Selbstproduktion nicht hat begriffen werden
sollen, so würde dieses Ergebniss für den Interpreten maass-
gehend sein, and er wäre nicht befugt, dem gesetzgeberischen
, C-'OOgIc
62 Ueber die Benutiiuig nnd Bedentong der Bertthnngsprotokolle etc.
Willen als einem »innerlich unbegründeten« einen anderen Ge-
danken zu substituiren.
B. Schlesinger und die zweite ErSrteruog v. Hahn's.
(Geietzeswoite und Wille des Gesetzgebers.)
Wie V. Hahn in seiner ersten Erörterung — in schein-
barem Anschluss an Thöl — die in sich berechtigte Unter-
scheidung zwischen den Verfassern eines Gesetzentwurfe und
dem Gesetzgeber näher durchzuführen versucht und so zu dem
unhaltbaren Ergebniss gelangt, dass die unzweideutige Er-
klärung der Gesetzesverfasser über den Inhalt der von ihnen
aufgestellten Bestimmungen vOUig gleichgültig sei, so knüpft
Schlesinger gleichfalls scheinbar an Thöl an, indem zwar
auch er den wirklichen Willen des Gesetzgebers für maassgebend
erklärt, aber verneint, dass der Sinn, welchen der Gesetzgeber
im Augenblick der Publikation den Gesetzesworten beilegte,
mit diesem Willen identisch sei, ja nur zur Feststellung des-
selben dienen dürfe. »Für die Auslegung des Gesetzes kommt
es auf den von der gesetzgebenden Gewalt den Worten zu-
geschriebenen Sinn als solchen gar nicht an.( Welches ist
nun aber der für die Auslegung maassgebende Wille der gesetz-
gebenden Gewalt? Nach Schlesinger kann die gesetzgebende
Gewalt vernünftigerweise nur wollen, dass das Gesetz in dem
Sinne gelten solle, wie es im Augenblicke seiner Publikation
vom Volke vernünftigerweise verstanden werden müsse. Dieser
Sinn, nicht der vom Gesetzgeber den Worten beigelegte Sinn,
sei die objektiv richtige Auslegung.
In einem ähnlichen Gedankengange bewegt sich v. Hahn,
wenn er Bl. f. Rechtspfl. in Thüringen XII S. 176. 177
ausfuhrt, dass der Wille des Gesetzgebers nur aus dem Ge-
setze selber entnommen werden dürfe. »Zwar ist es voll-
kommen richtig, dass, um zu erforschen, was der Gesetzgeber
als seinen Willen hat erklären wollen, alle Interpretations-
mittel, durch welche der wahre Sinn der Erklärung hergestellt
werden kann, zulässig sind, und dass, wenn Zweifel über die
Bedeutung eines Ausdrucks entstehen, auch auf Aeusseningen
des Gesetzgebers, eines gesetzgebenden Faktors oder selbst
eines Organs eines solchen rekurrirt werden kann. Immer
aber ist festzuhalten, dass es sich nur um eine Interpretation
II, Die Bedeutimg der Protokolle, 63
der solennen Willenserklärung des Gesetzgebers
darch das Gesetz handeln kann, dass aber die direkte Er-
forschung des Willens des Gesetzgebers, abgesehen von der
Erklärung desselben im Gesetz, ohne Bedeutung ist. Gesetz
ist nicht, was der Gesetzgeber will, sondern was er in
solenner Weise alsGewoUtes erklärt IDaraus folgt
nicht nur, dass, wenn der durch Interpretation des Gesetzes
dargethane Wille des Gesetzgebers mit demjenigen , was sich
anderweitig als der Wille des Gesetzgebers (richtiger: der mit
der Gesetzgebung betrauten Personen) ergibt , in Wider-
sprach tritt, lediglich der erstere in Betracht kommt, sondern
auch, dass die selbstständige Berücksichtigung irgend einer
nicht solennen Aeusserung des Gesetzgebers oder eines Orgaas
desselben über den Inhalt eines im Gesetz enthaltenen oder
hinsichtlich der Nichtaufnahme eines Rechtssatzes in dasselbe,
d. h. die Berücksichtigung desselben neben dem in dem Ge-
setz erklärten gesetzgeberischen Willen ausgeschlossen ist.*
Indem v. H a h n so unter allen Interpretationsmttteln den
in den Vorarbeiten des Gesetzes enthaltenen Aeusserungen
des Gesetzgebers über den mit den Gesetzesworten verbundenen
Sinn, also über seinen eigenen gesetzgeberischen Willen,
die letzte Stelle einräumt, ja denselben im Widerspruch mit
dem Ergebniss anderweitiger Interpretattonsmittel jede Wirkung
versagt, erscheint sein nunmehriger Standpunkt mit dem vor-
hin bezeichneten Schlesinger's wesentlich identisch.
Um das zu erkennen, mUssen nur zwei Punkte scharf von
einander gesondert werden. Die eine Behauptung v. Hahn's,
mit welcher ich, wie schon früher bemerkt, voUkonmien Über-
einstimme, geht dahin, dass der wahre Wille des Gesetzgebers
nur eben in den publicirten Worten des Gesetzes zu finden
sei. Ein gesetzgeberischer Wille, welcher gar keinen positiven
oder negativen Ausdruck gefunden hat, besteht überall als
verbindlich nicht. Weiter geht die zweite Behauptung, dass
ZOT Interpretation der vom Gesetzgeber gebrauchten Worte
dessen eigene in den Vorarbeiten enthaltene Aeusserungen
über deren Sinn gar nicht (Schlesinger), oder doch nur in
letzter Linie (v. Hahn) verwendet werden dürien. Hier wird
vorausgesetzt, dass der Gesetzgeber einen Willen erklärt
hat; soll nun aber angenommen werden, dass er als maass-
gebend gewollt habe, nicht was er bei Gelegenheit der Ent-
„GüOglc
64 Ueber die Benntinng imd Bedeutnng der BerathnDgaprotololIe ete.
stehung des Ciesetzes als seinen Willen geäussert hat, sondern
was durch anderweitige Interpretationsmittel als sein Wille
festgestellt werden kann, so ist, mit Schlesinger, anzuerkennen,
dass sein wirklicher Wille nicht der von ihm bei Gelegenheit
der Entstehung des Gesetzes geäusserte, sondern der von dem
Volke mittelst anderweitiger Interpretationsmittel zu erkennende
gewesen sei.
Um hier zur Verständigmig zu gelangen, durfte es zweck-
mässig sein, nur die einfachsten Fälle in Betracht zu ziehen.
Und zwar mögen zwei Hauptfälle unterschieden werden.
1. Der Gesetzgeber hat sich eines durchaus unzwei-
deutigen Ausdrucks bedient.
2. Der Gesetzgeber hat sich eines mehrdeutigen Aas-
drucks bedient.
Im ersten Falle wird zwar, nach allgemeinen Auslegungs-
grundsätzen, der dem gebrauchten Ausdruck nach Sprach-
regeln entsprechende Sinn als der gewollte zu erachten sein.
Wenn indessen die Verfasser des Gesetzes bezw. die gesetz-
gebenden Faktoren in allen oder doch den die schliessliche
Fassung bestimmenden Vorarbeiten mit diesem Ausdruck er-
weislich einen anderen Sinn verbunden haben, darf alsdann
der Interpret bei dem grammatischen Wortsinne stehen bleiben ?
Liesse sich z. B. weder aus dem Zusammenhange des Gesetzes,
noch aus allgemeinen geschichtlichen Momenten, wohl aber
aus unzweideutigen und übereinstimmenden Aeusserungen der
Gesetzesverfasser in den Vorarbeiten nachweisen, dass mit
dem Worte »kaufent jedes entgeltliche Aneignungsgeschäft
gemeint war, so wtlrde schwerlich die Auslegung es sich
nehmen lassen dürfen, über den technischen Wortsinn hinaus-
zugehen. Und wenn sich in gleicher Weise darthun liesse,
dass mit dem Ausdruck >Vermögenseinlagenc in H.G.B.
Art. 150 die blossen Arbeitseinlagen ausgeschlossen werden
sollten, würde gleichwohl das Gegentheil angenommen werden
dürfen, weil auch die Arbeitskraft und deren Ergebniss ein
Gut und Vermögensbestandtheil ist?
Viel bedenklicher noch erscheint die gegnerische Ansicht
im zweiten Falle. Bei mehrdeutigen Ausdrücken fehlt der
objektive, aus den Sprachregeln sich ergebende Anhalt voll-
kommen; die Erforschung des wirklichen Willens des Gesetz-
gebers ist hier häufig eine überaus schwierige Aufgabe. Und
, CiOOglc
II. Die BedeutODg der Protokolle. 63
unter den zahlreichen für diese Erforschung benutzbaren Inter-
pretationsmitteln soll die klare unzweideutige Erklärung der Ge-
setzesverfasser bezw. Gesetzgebungsfaktoren über den Sinn des
Gesetzes ein unerhebliches oder doch wenig erhebliches bilden?!
Schlesinger geht von einer zweifachen unzulässigen Vor-
aussetzung aus. Das Gesetz müsse den Sinn haben, in welchem
es vom Volke vernünftiger Weise verstanden werden müsse,
weil Dur dies der Gesetzgeber vernünftigerweise wollen kOnne.
Allein wie muss vernünftigerweise ein Gesetz verstanden
werden? Und was muss vernünftigerweise ein Gesetzgeber
wollen? Wären alle Ausdrücke klar , unzweideutig , be-
stimmt, wäre jeder Gesetzgeber der Sprache überall voll-
kommen mächtig, herrschte über den Inhalt eines zu erlassen-
den Gesetzes stets eine vollkommene Uebereinstimmung aller
Volksgenossen, so Hesse sich das hören. Da indessen solch
vollkommener Zustand nun einmal nicht besteht und schwerlich
jemals zu erreichen steht, so sind eben Zweifel unvermeidlich.
Schlesinger glaubt diesen durch BNotoriet.lt* zu entgehen,
»Die praktischen Ziele, welche sich die Staatsgewalt notorisch
vorgestellt hatte, indem sie das Werk der Gesetzgebung unter-
nahm; die juristischen Anschauungen und Sprachge brauche,
die zur Zeit der Abfassung der Gesetzgebung in der Wissen-
schaft lebten; die fremden Legislationen, welche als Vorbilder
vorlagen und vieles Andere. Nur nicht gerade die blossen
Ansichten, welche die Staatsgewalt in ihrem Innern über die
Bedeutung der von ihr publicirten Worte gehegt hat. Diese
sind im Augenblicke der Publikation nichts weniger als
notorisch; von ihnen kann daher das Volk nichts wissen;
sind sie daher auch Beweggründe für die Wahl dieser be-
stimmten Wortfassung gewesen, so kann die Staatsgewalt sie
doch nicht schlechthin unmittelbar als Inhalt des Gesetzes ge-
wollt haben«.
Diese Ausführung dürfte schwerlich überzeugen. Was
ist notorisch? Und wer wird über die «praktischen Zielet,
die derzeitigen juristischen Anschauungen und Sprachgebräuche,
die benutzten fremden Legislationen u. dergl, bessere Aus-
kunft geben können, als der Gesetzgeber in seinen Vorarbeiten?
Auch sollte man denken, dass die eigenen subjektiven juristi-
schen Anschauungen imd Sprachgebräuche des Gesetzgebers
nicht geringere Beachtung verdienen und dass, wo immer
Gsldichmidt, Venoiicbte Sctaiiflea. H. 5
,j _. „Google
66 Ueber die Benutznng n&d Bedevtnng der Berathungsprotokolle etc.
durch den Gesetzgeber selber oder durch Andere die Mi^lich-
keit der Einsicht in den Gang der Gesetzgebungsarbeit ge-
währt wird, das bloss Innerliche zu einem Aeusseren erhoben,
d. h. Allen zugänglich gemacht ist.
Schlesinger illustrirt seine Theorie mit folgendem Beispiel :
Dass die Grundsätze der Partikularrechte über die Usance
durch das H.G.B. beseitigt seien, dürfe nicht darum angenommen
werden, weÜ aus den Vorarbeiten sich diese Absicht der Ge-
setzesverfasser entnehmen liesse, sondern weil es bekannt sei,
dass man schon lange in jenen Beschränkungen einen Uebel-
stand für den Handelsverkehr erbhckte und durch eine neue
Gesetzgebung vor allen (?) Dingen diesen zu beseitigen wünschte
und weil die Wahl des an ^ch weniger korrekten Ausdruckes
iHandelsgebräuchec statt »Handelsgewohnheitc erkennen (?)
lasse , dass der Gesetzgeber diesem allgemeinen Wunsche (?)
□achgeben wollte.
Hier ist Alles schwankend, nichts weniger als notorisch.
Wer wünschte jene Abänderung ? Schwerlich bestand darüber
eine durchaus sichere AllgemeinUberzeugung. Und wem wäre
die Allgemeinheit dieser Ueberzeugung bekannt? Der aller-
dings weitere Ausdruck iHandelsgebi^ucbec will doch in
Art, 1 des H.G.B.'s nichts Anderes bezeichnen als gewohn-
heitliche Rechtssätze; es lässt sich also aus ihm allein für
die Theorie des Handelsgewohnheitsrechts garnichts folgern.
Und wenn trotz der Protokolle, welche meines Erachtens über
den wahren Willen des Gesetzgebers keinen Zweifel lassen,
der auch von Schlesinger anerkannte Satz keineswegs un-
bestritten ist, so darf man wohl annehmen, dass ohne die
Protokolle es an jedem sicheren Anhalt fehlen würde. —
Zur tieferen Begründung seiner Auffassung zieht Schle-
singer die Analogie des Vertrages an. Der Gesetzgeber kOnne
vernünftigerweise nicht wollen, dass die Bestimmungen des
Gesetzes in dem Sinne gelten sollen, der ihnen nach seiner
Ueberzeugung beiwohnt, er könne nur wollen, dass das Gesetz
in dem Sinne gelten solle, wie es im Augenblicke der Ver-
kündigung vom Volke vernünftigerweise verstanden werden
muss — denn auch als Inhalt eines Vertrages gelte nicht,
was wirklich von beiden Theilen gewollt sei, sondern
was jeder Theil vernünftigerweise als den Willen des anderen
Theiles annehmen durfte,
itizecy Google
II. Die Bedeutuag der Protokolle. 67
Diese Argumentation ist theils unzutreffend, theils unrichtig.
Unzutreffend, weil das Gesetz ja eine einseitige Willens-
erkiärung der Staatsgewalt ist, welche die Unterthanen als
Norm für ihre Lebensverhältnisse anerkennen mtlssen. Hier
würde also nur die Analogie anderer einseitiger Willens-
erkläningen, namentlich der Testamente, zntreäen. Und für
diese ist ]& unzweifelhaft nur der erweisliche Wille des Er-
klärenden maassgebend, wie anvollkommen auch der Ausdruck
dieses Willens sein mag.
Unrichtig, weil auch der Inhalt der Verträge ^ch nur
nach dem wirklichen Willen der Kontrahenten bestimmt. I. 3
D. de reb. dub. (34, 5): qui aliud dicit, quam vult, neqne id
dielt, quod voz significat, quia non vult — . 1. 83 § 1 D. de
V. O. (45, 1): si Stichum stipulatus de alio sentiam, tu de
alio, nihil actum erit ~. 1. 1 § 2 D. de pactis (2, 14): et
est pactio duorum pluriomve in idem placitum consensus.
Allerdings wird der blosse Nachweis, dass vor Abschluss des
Vertrages der eine Kontrahent einen gewissen Ausdruck in
einem eigenthümlichen , aussergewQhnlichen Sinne verstanden
habe, nicht genügen, wegen mangelnden Konsenses den Ver-
trag für wirkungslos zu erklären, denn es ist ja nicht sicher,
dass jener Kontrahent auch noch in dem maassgebenden Mo-
ment des Vertragsschlusses an dieser aussergewQhnlichen Be-
deutung des gebrancfaten Ausdrucks festgehalten habe. Stände
dagegen das letztere fest, so wäre allerdings kein Vertrag zu
Stande gekommen, wenn auch möglicherweise zu Gunsten des
schuldlos irrenden anderen Theiles ein Schadensersatzanspruch
begründet. Hätte z. B, ein Engländer über die Lieferung
von 100 Ceatner »Korne kontrahirt und ergäbe es sich, dass
der Engländer , welcher des Deutschen nicht vollkommen
mächtig ist, unter dem Ausdruck »Komi stets Weizen ver-
standen hat, während am Etablissementsorte des Verkäufers
unter iKornt nur Roggen verstanden wird, so wäre wegen
mangelnden Konsenses kein Kaufvertrag zu Stande gekommen,
wie begründet auch die Annahme des Verkäufers erscheinen
mag, dass über Roggen kontrahirt worden sei. —
Aber anch sonst dürfen Gesetz und Vertrag, ja über-
haupt private Willenserklärung, nicht auf eine Linie gestellt
wenJen. Zum Vertrage ist Einverständniss der Kontrahenten
erforderlich: das Gesetz gilt nach dem Willen des Gesetz-
5'
, C-'OogIc
68 U«ber die BenntEiuig und Bedeotang der BemthuDgsprotokoU« etc.
gebers, mögen die Unterthanen mit dem Inhalt des Gesetzes
einverstanden sein oder nicht, mögen sie in der Lage sein, es
nach dem Willen des Gesetzgebers zu verstehen oder nicht:
sie sollen es nach diesem Willen verstehen. Ein umsichtiger
und der Verantwortlichkeit seines Berufs bewusster Gesetz-
geber wird auf eine Fassung bedacht sein, welche möglichst
Zweifel und Missverständnisse ausschliesst , und er wird auch
durch Veröffentlichung der Vorarbeiten das Verständniss seines
Willens zu erleichtern suchen. Solche in den Vorarbeiten ent-
haltene deutliche Erklärung der Gesetzesverfasser bezw. Gesetz-
gebungsfaktoren ist freilich keine authentische Interpretation,
weil sie nicht selber in Gesetzesform auftritt. Auch werden
nicht selten Zweifel entstehen, ob die Erklärung eine zuver-
lässige, vielleicht gar, ob der Gesetzgeber sich über seinen
wirklichen Willen klar geworden ist. Alles das aber hindert
nicht, wo sie als durchaus zuverlässig erscheint, ihr ein ftlr
die Interpretation des Gesetzes entscheidendes Gewicht bei-
zulegen. Und wenn unzweifelhaft die Gesetzes entwürfe
nach Auffassung ihrer Verfasser zu verstehen sind und für
die Auslegung dieser Entwürfe das in den Vorarbeiten ent-
haltene Material maassgebend erscheint, darf da angenommen
werden, dass im Augenblicke der Publikation der Worte des
Entwurfs der Gesetzgeber diesen Worten einen anderen, als
den von den Verfassern gewollten Sinn substituirt habe und
die Benutzung der Vorarbeiten für die Ermittelung seines
Willens abschneiden wolle?! Oder, um die Frage zu ver-
einfachen, wenn ein absoluter Regent persönlich ohne jeden
Beistand ein Gesetz abgefasst und publicirt hätte, und in den
gleichzeitig, indessen nicht in Gesetzesform veröffentlichten
Motiven klar ausgesprochen hätte, welche Bedeutung er jedem
einzelnen Ausdruck beilegt, so will er doch offenbar, dass das
Gesetz in dem Sinne verstanden werde, welchen er selber nach
Inhalt der Motive ihm beilegt, und er hat bei Publikation des
Gesetzes keinen davon verschiedenen Willen gehegt. —
C. Ueber einige Ausftlbrungen v. Hahn's.
V. Hahn beruft sich an verschiedenen Stellen seines Kom-
mentars auf seine vorstehend unter A. und B. besprochenen
Grundsätze, und glaubt mittelst derselben zu anderen und
richtigeren Ergebnissen als die übrigen Ausleger zu gelangen.
II. Die BedenttiDf der Protokolle, 69
Von der Richtigkeit dieser Ergebnisse mag hier ab-
gesehen werden, allein es ist nicht anznerkennen, dass gerade
für die von v. Haha berührten Fragen eine abweichende
Ansicht Über die Bedeutung der Protokolle zu entgegen-
gesetztem Resultat führen würde.
So geben z. B. hinsichtlich der Frage, ob auch dem
wissenden Dritten gegenüber die beschränkte Vertretungs-
befugniss eines Gesellschaftera ohne rechtliche Wirkung sei
(v. Hahn I S. 291 [4. Aufl. S. 495]), die Protokolle kein
sicheres Ergebniss, weil zwar Art 114 S. 2 des Pr. Entwurfs
gestrichen wurde, aber aus verschiedenen Gründen.
Ebenso ist zu H.G.B. Art. 150 {v. Hahn I S. 361 [4. Aufl.
S. 620]) nicht ersichtlich, ob die Majorität blosse Arbeitseinlagen
ausschliessen wollte, da zahlreiche Mitglieder unter »Vennögens-
einlagenc auch blosse Arbeitseinlagen verstehen mochten.
Aehnlich verhält es sich mit der bestrittenen Befugniss der
Aktienvereine zur Bestellung von Prokuristen (v. Hahn I
S. 464 [3. Aufl. S. 731]). Die Aufnahme einer bejahenden
Bestimmung ist aus zwei Gründen abgelehnt worden:
1. weil eriahrungsmässig Aktienvereine niemals Proku-
risten haben,
2. weil die Prokura zu der ganzen Struktur des Aktien-
vereins nicht passe.
Mit dem ersten Grunde ist die Statthaftigkeit der Be-
stellung von Prokuristen nicht negirt, nur der Vorschlag als
liberflüssig zurückgewiesen^ dagegen richtet sich der zweite
Grund direkt gegen die Zulässigkeit. Da nun nicht erhellt,
ob beide Gründe von der Majorität getheilt wurden oder ob
Einzelne aus dem ersten, Andere aus dem zweiten Grunde
gegen den Vorschlag stimmten, so liegt auch hier ein klarer
Wille der Konferenz nicht vor.
Bd.U S. 7ff. 15 [2. Aufl. S. llff.] tritt v.Hahn meiner
Ansicht entgegen, dass das Anschaffungsgescbäft des Lieferanten
ein objektives Handelsgeschäft sei, und auch hier wird darauf
verwiesen, dass der Wille der Gesammtheit oder doch der
Majorität der Nürnberger Kommission für die Auslegung ohne
erhebliche Bedeutung sei. Freilich wird auch hier nachzu-
weisen versucht, dass aus den Vorarbeiten sich solcher Wille
nicht ergebe, und es würde somit auch dieser Fall ausscheiden.
Indessen möchte ich doch gegen die hier versuchte Methode
, Google
70 t'eb«t die Bennteiiiig und Bedeutung der Benthnngiprolokolle etc.
der Interpretation Einspruch erheben. Die Annahme, dass
mit dem Gesetz nur die Worte publicirt seien, dass der
Wille des Gesetzgebers, der nicht in den Worten fUr sich
einen unzweideutigen Ausdruck gefunden hat — Ubrigeos,
welcher Ausdruck ist unzweideutig? man denke an neueste
Interpretationsversuche von Ver&ssungsgesetzen — , schlechthin
nicht in Betracht komme, lässt sich wenigstens mit schein-
baren Gründen vertheidigen. Davon ist oben die Rede gewesen.
Allein solche Argumentation ist doch geradezu undenkbar für
einen blossen Entwurf, wie v. Hahn selber sagt, eine
Privatarbeit. Die Verfasser des Reichshandetsgesetzbuchs and
des prenssischen Entwurfs sagen aber, ungeachtet die Fassung
der Entwürfe selbst Zweifel erregen könnte, in den Motiven
zu denselben mit dürren Worten, dass auch das Anschaffungs-
geschäft des Lieferanten als objektives Handelsgeschäft gelten
solle (mein Handbuch I S. 439 (2. Aufl. S. 577] Not. 12).
Wenn nun v. Hahn in Bezug auf diese Entwürfe bemerkt:
»diesen klaren Worten gegenüber kann die entgegenstehende
Interpretation der Motive nicht berücksichtigt werden*, so ist
das mir geradezu unverständlich. Die Verfasser einer Schrift
sagen uns in dem Augenblicke, wo sie diese Schrift ver-
öffentlichen: mit diesen Worten will ich das und nichts Anderes
gesagt haben — und der Interpret will auf diese Erklärung
keine Rücksicht nehmen, weil e r in den Worten etwas Anderes
gesagt findet! Wenn nun aber dies der Wille der Verfasser
des prenssischen Entwurfs war und in dem Handelsgesetz-
buche selber eine Fassung gewählt ist, welche mit diesem
Willen noch weit verträglicher ist als die ältere Fassung, und
nirgends eine Andeutung sich findet, dass ein Anderes gewollt
sei, so scheint doch Über den wirklichen Sinn des Gesetzes
kein Zweifel bestehen zu können. Allerdings führt v. Hahn
hiergegen drei Gründe an:
1. Den Wortlaut. Das Wort »veräussem* könne nur
bedeuten: einen Verkauf oder dergl. abschliessen. Dieses
Argument ist an sich misslich, denn der Wortlaut des preus^-
schen Entwurfs »um weiter zu verkaufen« scheint doch
ganz klar das Anschaffungsgeschäft des Lieferanten aus-
zuschliessen und sollte dennoch nach dem erweislichen Willen
der Verfasser auch dieses umfassen! Es ist aber auch in sich
hinfällig. V. Hahn sagt, >die Absicht, eine zn kaufende
U. Die Bedntmig der FrolokoUe. 71
Sache einem Anderen zu tradiren, kann an sich nie das
Motiv zur Ein^^ehung eines Spekulationskaufes sein*. Wanun
nicht? Der Ausdruck iSpekulationskauf« ist zweideutig; es
Ifisst sich darunter verstehen der Kauf, welcher das erste
Glied einer Handelsoperation ist — im Gegensatz zum Reali-
sationsgeschäft ; aber auch allgemein ein Kauf, welcher in der
Absicht zu gewinnen, geschlossen wird. Bei einem Speku-
lationskauf im ersten Sinne freilich kann niemals die blosse
Absicht, zu tradiren, das Motiv zur Eingehung sein, wohl aber
bei einem Spekulationskauf im zweiten Sinne. Ein Realisations-
geschäft, welches in der Absicht zu gewinnen geschlossen
irird — es soll wohlfeiler eingekauft werden, als verkauft ist — ,
ist ein Spekulationskauf im zweiten Sinne, und das Motiv für
die Eingehung eines solchen ist allerdings die Absicht, zu
tradiren , nämlich durch die Erfüllung einen Gewinn zu
machen, da erst durch die Erfüllung die Beziehung der beiden
Glieder der Handelsoperation hergestellt wird. Es liegt somit
auch kein Grund vor, mir eine Inkonsequenz vorzuhalten. Dass
aber Art. 271 Z. 1 eben nur von dem Spekulationskauf,
welcher das erste Glied einer Handelsoperation ist, und nicht
von dem Spekulationskauf allgemein, also nicht auch von einem
solchen, welcher das zweite Glied einer Handelsoperation ist,
spreche, ist petitio principii und wird, wie bemerkt, durch die
Entstehungsgeschichte widerlegt.
2. Den inneren Grund, dass die Anschaffung darum dem
Veräusserungsgeschäft vorangehen müsse, weil die Absicht zu
veräussem bei der Anschaffung vorhanden sein müsse. Allein
diese Absicht ist in der That in beiden Fällen vorhanden:
bei der Spekulationsanscbaffung die Absicht ein Veräusse-
rungsgeschäft abzuschliessen , bei der Realisationsanscbaffung
die Absicht zu veräussem, d. h. ein geschlossenes Veräusse-
rongsgeschäft zu erfüllen.
3. Die Inkongruenz zwischen Speculation ä la hausse und
a la baisse. Ich habe — ohne diese Inkongruenz zu ver-
theidigen — die Gründe, welche eine solche, und nicht allein
für Werthpapiere, bis zu einem gewissen Grade rechtfertigen,
angegeben. Und ich meine auch jetzt noch, was v. H a h n nicht
einsehen zu können erklärt, dass ganz abgesehen von Werth-
papieren, eine Spekulation ä la baisse z. B. in Zucker, Ge-
treide, Baumwolle, Spiritus, Eisen, bei Nichtkauflenten ein ganz
■oogle
72 Ueber die Benutzung und Bedeutung der BeialhungsprotokoUe etc.
seltener Ausnahmefall sein wird, dass daher solches Geschäft
in der That einen so specifisch handelsoiässigen und darum
handelsreclitlichen Charakter trägt, dass es schlechthin nach
Handelsrecht beurtheilt werden will, somit für ein objektives
Handelsgeschäft erachtet werden muss, während der Reali-
sationsverkauf , weil er dieses specifisch faandelsmässigen
Charakters entbehrt, nicht mit gleicher Nothwendigkeit als
objektives Handelsgeschäft anzuerkennen war. —
izecoy Google
4
MISCELLEN
THEORIE DER WERTHPAPIERE.
(1882.)
iLCD, Google
iLCD, Google
INHALT.
I. PendcnsttieoTle und Elgvnthumsfheorle 77
IL Das PrfisentatlODSpapler and di« Katogortaen dar W«rth-
paplare 83
III. Das Dduolarlsoha IndoaaaiiieDt 91
IV. 'Wechsalaooapt und „Kreatlonetheorle" 94
I. Art. 31 der denliclieD WecbteloTdnang 94
lDib«K>Dder« das HmitiTte Accept:
DenUdie Wectudordnniig Ait. 13 106
II. Die Jodikktnr da Rdcht-OberluuidebgericIiU nnd d«t
Rdchagerichti 108
III. Die Haftnng dm Aawtellen «w dem ohne oder «ider
Willen det AoiUellen aa» detsm Rand gekommeiiea
P'pi" "4
Die richtiKe Konstmlctioii nnd du geltende Kecbt .... 1 1$
V. Dar Ladaschaln lao
izecoy Google
iLCD, Google
De nachstehenden Erörterungen schliessen sich zum Theil
an frühere Untersuchungen ergänzend oder modificirend
an. Einzelnes ist von mir zuerst in den Eotscheidungen des
Reichs-Oberhandelsgerichts {bis zum 30. Juni 1875) ausgeführt
worden.
I. Pendenztheorie und Eigenthumstheorie.
Der Herr Verfasser der in der Zeitschrift XXVIII S. 56 -62
mitgetheilten Skizze [Riesser] tritt, in der Hauptsache, der von
mir, unter Anschluss an Ihering, Zeitschrift III S. 275, 276
(1860), als möglich angedeuteten iPendenz-c oder »Präsentations-
Theorie« bei '. Da ich auch sonst noch gegenwärtig als Vertreter
dieser Theorie genannt werde ", so glaube ich darauf hinweisen
zu müssen, dass ich mich seit geraumer Zeit von der Unstatt-
haftigkeit dieses Konstruktionsversuches überzeugt habe, und
dass mit demselben die von mir Zeitschr. VIII S. 330, IX S. 62 ff.
(1865—1866) entwickelte »sachenrechtliche* oder »Eigen-
thums-Theorie« unvereinbar erscheint. Zwar behauptet Thöl
(Handelsr. I, 6. Aufl., § 223) s, dass die »Eigenthums-Theorie«,
■ Diesdbe hat emen nambaften Vertreter gefunden in Förster, Theorie
nnd Praxis des prensBischen PriTatrechts I g 64 — nicht mehr bei dessen Her-
ausgeber Eccins (4- Aufl. 1881, I S. 424 Note 30 [7. Aufl. S. 375 Note is]).
S. auchO. T. Berlin 1866 (Strielhorsl's Archiv Bd. Ö5 S. 77). Verwandt
ist der Gedanke t. Gerbe r's (Deutsches Privatrecht [11. Aufl.] g i6i Note 3
[vgl. jetil aber Cosack bei Gerber, 17. Aufl. § 237]), dass in den nrischen
den Fälligkeitstenninen liegenden Zeiten das obligatorische Verh£ltniss ge-
wixsermaassen (?) ruhe. Dagegen i. 6. bereits Kuntze, Inhaberpapiere S. t4S ;
Jotly, Ktit. Vierteljabnschr. IIl S. 559.
' Z. B. Stobbe, D. Privalr. III § 180 Note 4 [3. Aufl., bearbeitet von
Lehmann, g »55 Note 7].
1 In dessen >Literatariibenicht< vor diesem Paragraphen die eben ge-
nannten Ausftlhrungen so wenig erwähnt sind, als meine Erörtemngeti itt
Bd. VI S. 341 der Zeitschrift, sondern nur die Uteren.
::,y Google
78 Mitcdlen inr Theorie der Werthpi^ieK.
welche er verwirft, nothwendig auf die von ihm gleich-
falls abgelehnte »PräseDtations-Theoriet führe. Die Behaup-
tung trifft nicht zu. An das Papiereigentum kann eine Kette
sämmtlich und ausschliesslich skriptunnässiger Forderungen
(nicht blosser Expektanzen) geknüpft sein und ist an dasselbe
bei den wirklichen Order- und Inhaberpapieren derart ge-
knüpft, dass bei jedem neuen Papiereigentfaümer die skriptur-
mässige Forderung neu ', unabhängig von den Mängeln, welche
ihr hei dem >Vonnanne« anhafteten (D. W.O. Art. 82;
H.G.B. Art. 303 Abs. 2 ; sächs. bürgeri. G.B. § 1046 ; schweizer.
Bundesgesetz über das Obligationenrecht [1881] Art. 811, 838,
839, 842, 847) entsteht. Der Erwerb der Forderung gründet
sich so wenig auf eine (obligatorische) Succession (Renaud),
als der Eigenthumserwerb des Papiers auf eine wahre (sachen-
rechtliche) Succession (v. S a v i g n y) : H.G.B. Art 307 ; D. W.O.
Art. 74 — womit zugleich gesagt ist, in welchem Haupt-
punkte, von anderen gleichfalls sehr wichtigen hier zu schweigen,
sich die von mir formulirte Theorie gegen andere schon früher
aufgestellte >Eigentbums-Theorieenf abhebt. Sie unterscheidet
nicht mit Thöl von dem >Rechtc die »Legitimationsnach-
weisuDgc, sondern das Recht und die blosse »Legitimation t
(D. W.O. Art. 36) — d. h. hier, richtig verstanden (denn der
Ausdruck ist vieldeutig), nicht Berechtigung, sondern gesetz-
lichen Ausweis der Berechtigung — zur Geltendmachirag der
Forderung; sie bejaht, was dieser noch jetzt — sogar an-
gesichts der reichsgesetzlichen Besttaunungen — verneint
■ (Handelsrecht [I, 6. Aufl.] §§ 223, 226 H., 231; Wechseh^ht
[II, 4. Aufl.] § 176), dass die Frage von der Zulässigkeit der
> sogenannten Vindikation c dem Sachenrecht angehöre. Es
kann ThöI zugegeben werden, dass die Forderung nicht um
der Sache (des Papierstuckes) willen vorhanden sei , dagegen
nicht, dass die Sache der Forderung, statt umgekehrt, folge.
Man darf allenfalls diejenige Formulirung gelten lassen, welche
nicht mit Thöl übereinstimmt, sondern dessen Formel einen
andern Sinn unterlegt (Brunner in Endemann 's Handbuch
' Will Windicheid, Ftndeklea [auch 7. Aufl.] II g 391 Note 3. 3 ia
feiner nur ta kurien Andeutung ein Änderet ugenP Du Gegentheil sagt
Brunner in dem Handbnch des deutachen Handelt-, See' und Wechsel rechts,
herausgegeben von Endemann, Bd. II S. 164, 170. S. nnten S. 85 Note 1
und S. 118 Not« t.
itizecy Google
I. Pcndenitheorie und Eigenthnnutheorie, 79
des Handelsrechts II S. 163), dass die >Rechtssätze über den
&werb der Forderung in sacfaenrechtlichem Gewände er-
schemen<, — vgl. auch meine Ausführungen: Zeitschrift VIII
S. 336, 338 — falls nämlich damit, wie anzunehmen (vergl.
Brunner a. a. O. S. 164, 207, 211), gesagt sein soll, dass
sie wahre Rechtssätze des »Sachenrechtst sind, nur Objekten
dieser Art eigenthümltche.
Wenn femer Stobbe (Deutsches Privatrecht III § 180
[v^. aber 3. Aufl., bearbeitet von Lehmann III § 255])
zwar anerkennt, dass die Obligation aus dem Inhaberpapier
>auch von sachenrechtlichen Grundsätzen erfasst wird« und
dAss nach den Bestimmungen des Deutschen Handelsgesetz-
buchs »der gutgläubige Erwerber dem EigenthUmer des In-
haberpapiers völlig gleichsteht« (richtiger: Eigenthümer ist),
aber gleichwohl ausfuhrt, dass nicht der »EigenthUmer«, son-
dern der ilnhaber« Gläubiger sei, so räumt er doch zugleich
ein, dass diesem »Giäubigcr« die Forderung von dem >Eigeo-
thUmert durch Vindikation oder Kontraktsklage wieder ab-
gestritten werden könne (». . . Reproduktion der verlorenen
Forderung ...«), und dass »nur Derjenige die Forderung in
sicherer, unnehmbarer Weise erwirbt, welcher das Papier auf
Grund eines auf EigenthumsUbertragung gerichteten Geschäfts
erhalten hat« ; nur freilich sei der vindicireade Kläger nicht
Gläubiger, er bestreite auch nicht, dass der Beklagte Gläubiger
sei, sondern dessen Recht, das Papier zu besitzen und dem*
gemäss Gläubiger zu sein (richtiger: zu bleiben). Nach dieser
Theorie wäre die >Vindikation< ein Rechtsmittel nicht zur'
Geltendmachung einer bestehenden, sondern zur Wieder-
erlangung einer verlorenen Forderung, gerichtet auf Rescission
des für den Papierinhaber eingetretenen Forderungserwerbs.
Dabei erkennt Stobbe an, dass die mit der Eigenthums- und
anschliessenden Legitimations-Theorie vereinbare, wenn auch
mitunter positiv-rechtlich ausgeschlossene (säcbs. bürgeri. G.B.
§ 1045, modificirt : Schweiz. Obligationenrecht Art. 846 Abs. 2),
dagegen mit seiner Auffassung durchaus unverträgliche Ge-
stattung eines Beweises gegen das »Rechte des Inhabers unter
Umständen von der laequitas und von den Bedürfnissen des
Verkehrs« dringend erheischt wird, dass somit im praktischen
Ergebniss die beiden Theorieen einander sehr nahe kommen.
Ich sage iTfaeorieenc Denn dass Stobbe das nur zu harte
^.y Google
so Miscellen tnr Tbeoiie der Werthptipiere.
wirklich >geUende« Recht darstelle, aber dessen Korrektur
durch ein künftiges milderes Recht erstrebe, wird eben von
mir geleugnet — es ist mindestens sehr unwahrscheinlich,
dass das Gewohnheitsrecht, welches ja gemeinrechtlich
allein in Frage steht, gegen das VerkehrsbedUrfniss und die
Anforderungen der Billigkeit Verstösse — ; ob das künftige
Reichsgesetz ein anderes normiren wird, bleibt abzuwarten.
Schon aus diesem Grunde mochte die Theorie von dem
»Forderangsrecht des Inhabers« als solchen in Verbindung
mit dem iRescissionsrecht des Eigenthümers als vormaligen
Gläubigers* ein sehr bedenklicher theoretischer Umweg sein
und schwerlich vereinbar mit dem Rechtsbewusstsein des Ver-
kehrs, welches keineswegs an den Verlust des Gewahrsams
den Forderungsverlust knüpft. Wäre der ilnhaben, sogar
wenn und solange er nur alieno nomine detioirt, der wahre
Gläubiger, so wäre schon mit der blossen Deponinmg von
Inhaberpapieren nicht nur die faktische und in gewissem Sinne
rechtliche Möglichkeit des Forderungsverlustes, sondern dieser
selbst unausbleiblich verbunden!
Aber das Versprechen, an den Inhaber, Vorzeiger, In-
dossatar zu zahlen, ist juristisch ein Versprechen, an den Be-
rechtigten zu zahlen — nur soll der Rechtsausweis dem Aus-
steller gegenüber durch Innehabung etc. erbracht sein. Der
Wille des Ausstellers und der allgemeine Wille des Verkehrs
gehen nicht dahin, dass ein Unberechtigter Gläubiger sein
solle. Der Eigenthümer, welcher dem Unberechtigten das
Papier mit der Eigenthums- , Kontrakts- , Deliktsklage ab-
fordert, erwirbt nicht die verlorene Forderung zurück, sondern
macht sein bestehendes Forderungsrechf geltend. Auch dem
Schuldner gegenüber sind Recht und Legitimation nicht gleich-
bedeutend ; der Schuldner darf stets an den Legitimirten
zahlen — er muss an ihn zahlen, sofern er nicht in der Lage
ist, den schwierigen, meist unmöglichen Nachweis des Nicht-
rechts zu führen; die Pflicht, solchen Nachweis zu versuchen,
hat er an sich nicht.
Die vorstehend bekämpfte Ansicht scheint (?) in einem
schon früher nach anderen Richtungen besprochenen (Zeit-
schrift XXIII S. 307} Unheil des II. Senats des Reichsober-
handelsgerichts (Entsch. XVII S. 159) angenommen zu sein.
Jedenfalls gewinnt in der neueren Literatur, wenngleich nicht
, CiOO^^Ic
I. Pendenitheori« und E^entfaDouiheoTie. 81
ohne Abweicbimgea im EinzeloeD, die lEigenthamstbeoriec
immer breiteren Boden: Hauser, Stellvertretung im Besitz
S. 83 fi.; G. Binding (Zeitschr. X S. 412 ff., 418 ff.;
De Fontenay (Zeitschr. XVHI S. 65ff.); Randa, Besitz
(3. Aufl. S. 335 [4. Aufl. S. 436] Note 48); Brunner in
Endemann's Handbuch II S. 163, 164, 190, 191, 207,
211; Carlin, Niemand kann auf einen Anders mehr Recht
Obertragen, als er selbst hat (1882) S. 9, 73, 77'. Damit
stimmt im Endergebniss auch wohl Dernburg Uberein
(Preuss. Privatr. 11 [3. Aufl.] S. 211 [5. Aufl. S. 217J); wenn,
ungeachtet einzelner allgemeiner lautenden Aeusserungen,
>Recht ans dem Inhaberpapier nur der gutgläubige Erwerber
des Papiers« hat, dieser letztere aber nicht bloss >gegen die
Vindikation geschützt«, sondern reichsgesetzUch wahrer Eigen-
thtlmer des Papiers ist, so lässt sich doch nicht bezweifeln,
dass der Eigenthfimer und nur dieser Gläubiger ist. Im prak-
tischen Ergebniss kommt darauf für das geltende Recht ja
auch Thöl (Handelsrecht I § 223 vgl. 231) hinaus — ob zur
Begründung der »Vindikationt ein anderes und mehr verlangt
wird als der Nachweis eines Eigenthumserwerbsgrundes, und
als solcher reicht selbstverständlich ein nach Art. 307 H.G.B.'s
genügender aus, darf hier unerörtert bleiben. Aber es ist be-
stimmt hervorauheben , dass ein sicherer Aufbau der Theorie
der wahren Inhaber- wie Orderpapiere erst durch die der
Natur dieser Papiere imd dem Rechtsbewusstsein der Gegen-
wart durchaus entsprechenden ' reichsgesetzlichen Bestimmungen
(D.W.O. Art. 74, Schweiz. Obligationenrecht Art. 268, 790,
ital. H.G.B. [Text 31. Okt. 1882] Art 37, 332, H.G.B. Art.
307) nicht über die Beschränkung oder den Ausschluss der
Vindikation, sondern über den Eigenthumserwerb an dergleichen
Papieren ermöglicht worden ist und dass die konstruirende
< S. >nch die Kieb«n enchcinende a. Aufl. von Mandry, Der dTÜ-
iccfatlicbe Inhalt det Kcidugeteue (tSSa) S. 193 [4. And. (Geib) S. 207].
' Das GegcDtheil behauptet v. Gerber. Denticbei Privatr. § 161 [anders
Cosack, 17. Anig. S. 406]. Er Qbenielit n. A. , dass der richterlicbeD An-
vitBduag der cmlen ViadilcatioiisgnindBltic alsbald denm gtsetlticha Besdti-
gUttg gefolgt ist, nm deo flagranten Widertprach iwUchen positiTam Reckt und
RechtabenulMiu der G^enmut ca beseitigen, i. B. in Haonovar nnd Baael-
Stadt (Zeitschi. U S. 545, IX S. 137). S. jetit Brini, Pandekteo IL s
(1. AnO. 1883) S. 581 fL
Goldacbmidt, TwBiiclit« Sebrirtes. n.
:.y Google
82 Mbcellen au Theorie der Werthp«piere.
Theorie diese Grundlage zu acceptiren hat. Diese Aufgabe
hatte ich mir in der vorhin erwähnten, übrigens der Revision
bedürfenden Abhandlung gestellt. Gründliche Ausfuhrungen
in diesem Sinne enthalt die sorgfältige Berliner Inaugural-
dissertation von M. Pappenheim, Begriff und Arten der
Papiere auf Inhaber im Sinne des Art. 307 des Deutschen
H.G.B.'s (1881). Nur wird, da Art 307 H.G.B.'s lediglich
die »verSusserten und Ubergebenen« Inhaberpapiere trifft, weiter
zu untersuchen sein, ob auch, Über Art. 307 hinaus, ein ander-
weitiger Eigenthumserwerbsgnmd des Papiers, wie Ersitzung
etwa pro berede oder auf Grund eines Putativtitels, Occnpation
u. A. m., zugleich den Forderungserwerb nach sich zieht.
Für die »Pendenz- oder Präsentations-Theorie* , welche
ich nicht mehr vertrete, darf ich daher die mehrfach abweichen-
den Ausführungen von Riesser unberührt lassen.
n. Das Präsentationspapier und die Kategorieen der
Werthpapiere.
Nicht auf der »Präsentations-Theoriee beruht, wie dem
Wortlaut nach scheinen könnte, das Wesen des zuerst von
Brunner so bezeichneten und in die Doktrin eingeführten
»Präsentationspapiers«'. Er versteht darunter nicht
eine Urkunde, deren rechtliches Wesen in der Präsentation
aufgeht, für welche somit die Präsentation (Vorlegung) ein
die Entstehung oder doch mindestens jede Ausübung des beur-
kundeten (Forderungs-) Rechts schlechthin bedingendes Moment
bildet. Sondern, obwohl die Schuld und sogar deren Fällig-
keit ohne Präsentation bestehen, so sei doch die >Leistungs-
pfhcht des Schuldnersc an die Präsentation in der Art ge-
bunden: dass der Schuldner nur gegen Vorlegung tmd Aus-
händigung des Papiers (bezw. eines das Papier vertretenden
■ Zuerst in t, Holtzendorffs Encjltlopidie (3. Aufl. I S. aio). Ge-
Ecliichtliche Untennchnngea : Zeituhrift XXII S. tff., 59fr., 505 ff., XXIII
S. 3^5 and; Du frunHsiscfae Inluberpapier des Mittelalten — FestKbrift 1879;
gedringte Zuttunmenfumng der geschichtlichen Unten uchungen jelit in
V. HoltiendorffiEncfldopSdiel, 4. Aufl., S. 353— 354 [5. Anfl. S. 378 ff.].
Ueberwiegend doematlKh : DieWerthpapiere, imHsndbuchdeiD. Htuidelirechls,
b^ausgeg. von Endem&nn, II S. i4off. nnd in v. Holticndorff * Eni^-
kloptdie, RechtilexikoQ, s. v. «Inhaber-, PiKsentation*-, Werlh-Fapierei.
Gooülc
IL Du PrIseDt>tianq>ipieT und die Kategorie«!) der WeiÜiptpiere. 83
AmortisatioDserkeimtnisses) zu zahlen brauche — die voll-
stäodige Erfüllung der Forderung somit hier begrifflich als
»Einlösung des Papiersc erscheine ; dass die Schuld den Charakter
nicht einer Bring-, sondern einer Hol-Schuld habe; endlich,
dass der Verzug des Schuldners mit seinen rechtlichen Folgen
— wohin anscheinend auch der Ausschluss der Zinsverbind-
lichkeit aus Art. 289 H.G.B„'s gezählt wird — nicht durch
den Verfallstag an sich — also unter Ausschluss der Regel
dies interpellat pro homine — , sondern nur durch eine solenne
Mahnung, nämlich durch die Präsentation zur Verfallzeit, be-
dingt werde. Dies ist der Kern der an verschiedenen Orten
nur iinweseatlich varürten, bald kürzeren bald längeren For-
mtüirung. Mao darf hiernach, wie das theilweise auch von
Branner selbst geschieht, zur Charakterisirung der drei
Momente die Stichworte : >EinlOsungsschuId< , >HoIschuldc ,
>Mahnschuldc (sc. solenne) wählen.
Es sollen so mit dem Ausdruck »Präsentationspapieri ge-
wisse bisher mehr oder weniger scharf von der Gesetzgebung
(z. B. einerseits: D.W.O. Art. 39, H.G.B. Art. 303 Abs. 3
— andererseits: D. W.O. Art. 40, 41, 91 ff., H.G.B. Art. 325)'
und Doktrin (insbesondere Thal, v. Salpius, v. Hahn)
fonnulirte, für gewisse Arten von Urkunden geltende Rechts-
satze in dem Sinne zusammengefasst werden, dass deren an-
erkannte Geltung die selbstständige Kategorie »PrSsen-
tationspapien begründet.
Wenn dabei Brunner ursprünglich (Zeitschr. XXII S. 60)
> für das heutige Recht die Kategorieen des Präsentations-
papiers, des Inhaberpapiers und des Dispositionspapiersi auf-
stellte, so war dies wohl nicht als erschöpfende, überhaupt
kaum als wahre Gliederung der modernen »Papiere« ge-
meint — wie denn auch später eine abweichende Klassifikation
gewählt ist (z. B. in Endemann's Handbuch II S. 151,
152; s. aber auch S. 146, 147), Denn von dem ilnhaber-
papier» ist es ja zweifellos, dass es nothwendig zugleich
>Di5positiTpapier< ist: die Inhaberforderuog kann nur durch
das Papier begründet werden, und auch das «Präsentations-
papier« muss insofern zugleich »Dispositivpapier« sein, als
> Adb den Protokollen der NOroberger Konfereni (S. 584, 588, 589,
I3T2| 1373) ^g}^t lieh, wie »ehr nllmihlich der wichtige und doch noch lu
beachrinkte RechtMaU imit AuBnahiae der indottabelo oder aaf Inhaber lanteD-
den Papiere* all klar ericanntes RechUprin^ip zum Durchbruch gelangt ht.
oogle
34 MHcdlen zur Theorie der Wenhpapiere.
der ihm eigenthümliche Forderungsinhalt (nur gegen das
Papier) nicht anders als durch das Papier begründet wird —
es wären also wohl Inhaber- und Präsentationspapiere den
Dispositivurkunden einzuordnen. Weiter aber würde augen-
scheinlich das ilnhaberpapier« neben allen — oder doch den
weitaus meisten, nämlich allen nicht die megative PrSsen-
tationsklauselc (Zeitschr. XXII S. 63 und sonst häufig) tragen-
den Orderpapieren ', endlich neben vielen Namenpapieren eine
blosse Unterart der umfassenderen Kategorie >Präsentatioiis-
papier« bilden — oder hat Brunner hier mehr historisch
(so wohl Zeitschr. XXII S. 98) imter >Inhaberpapierc jedes
»Papier» verstanden, dessen >Haben> für das Gläubigerrecht
von wesenthcher Bedeutung ist ? EndUch bedarf es einer Zu<
sammenfassung der Forderungspapiere auf Inhaber mit vielen
Orderpapieren und gewissen Namenpapieren (Rettapapieren)
in die wichtige Kategorie der iSkriptur-Obligationent • , für
welche Brunner die neue Bezeichnung »Papiere öffcntUchen
Glaubensc (in Endemann's Handbuch II S. 152, 168ff. und
sonst) empfiehlt. Man sollte aber doch an der alten festhalten.
Dean wollte man auch ohne entsprechende »Öffentliche Ein-
richtungen» »öffentlichen Glauben« statuiren, so steht es ja,
iedenblls auch nach Brunner's Ansicht, fest, dass ein un-
echtes oder von einem Verpflichtnngsunfähigen ausgestelltes
oder von dem Aussteller gar nicht begebenes Papier der Art
eine Obligirung des wirklichen oder angeblichen Ausstellers
nicht begründet, während der »öffentliche Glauben«, z. B. des
Grundbuchs, nothwendig diese Folge nach sich ziehen würde 3.
Die oder mindestens gewisse aus dem »öffentlichen Glauben«
hergeleiteten Satze folgen eben aus dem, vras der Name
»Skriptur-Obligation« — noch pr^ciser: »Urkunde über eine
Skriptur-Obligation« < — mit sich bringt : nämlich , dass die
< «Ohne TOt^ingige PrisenUtioiK : EnUcheidungen des Reich« -Obcr-
bandel^ericbtt VIU S. 164, vgl. V S. 103, XIV S, 415; Verbaadlungen des
XV. jDriilentagB I S. 58 (Sclinlie-Delittieh), III (Hoise).
* Nicht identtich mit »bitt«kten< (Zeitschr. XXII S. 64 Note 1, S. 89) —
*. aber ancb in EndemaDn's Handbuch II S, 151, Tgl. mit meinen Hand-
bach I, 3 S. $85.
) Daher ancb Dernburg, welchec tcbon früher (3. Aufl.) >nf eine der-
utige Analogie hingewiesen hatte, nmunehr deren juristische VenrartbbMiteit
beiwäfelt (Preiui. Frintrecht, 3. [avch 5.] AnS., 11 % 353).
* WelchedemiTeiteianKTeiseder>Skriptiii^odeTLitenl-Rechte< angehört.
L., .. „Gooslc
n. Du PritenUCionspapier und die Kategorieen der Werthpapiere. g5
Forderung schlechthin und lediglich nach Maassgabe der echten
Schrift (des Urkundenwortlauts) besteht, dass also der nort-
gemässe und echte (abstrakte oder diskrete) Inhalt der Schrift
für wahr und gewollt gilt, unter Ausschluss des Gegenbeweises
und unter Zulassung der Anfechtung nur gegenüber dem mit
der Unwahrheit bekannten Papiererwerber, sofern dieser nicht
ein Rechtsnachfolger des der Anfechtung ausgesetzten Vor-
mannes ist'. —
Um aber auf das iPrasentationspapiert zurückzukommen,
so darf, auf Grund namentlich der eindringenden Unter-
suchungen Brunner's' und Franken's^, als sehr wahr-
scheinlich erachtet werden, dass die aus der spätrömischen,
vielleicht im Provinzialrecht eigentbümlicb weiter entwickelten
Dispositivurkunde entstammende Forderungsurkunde des Ger-
manischen Mittelalters — nicht nur die handelsrechtliche —
ursprünglich in der Regel als Dispositivurkunde und sogar
ohne Präsentationsklausel — anders anfänglich Brunner —
als ipräsentationspapieri in dem Sinne gegolten hat, dass der
Schuldner nur gegen das Papier bezw. gegen dessen Amorti-
sation (Todeserklärung in verschiedenen Formen) zu leisten
verbunden war, die Zahlung sich somit als »Einlösung des
Papiers* darstellte,
Hiermit ist die geschichtliche Grundlage erkannt, auf
welcher allein eine sehr grossartige und mannigfaltige Rechts-
entwicklung ermöglicht war. Das Ergebniss ist aber auch
fUr das geltende Recht sehr erheblich: einmal, indem in den
Skriptur-Obligationen das eigenthUmliche Element des Präsen-
tationspapiers erkannt ist, welches seine besondere Analyse
erfordert; weiter indem es auch noch gegenwärtig Forderungs-
' M«in Handbach des HaDdelirecbu I, a g 72 Note Stf., vgl. Note 4 ff.
nnd I. (3. Aufl.) § 34 Note 15. Das erkennt, bis auf den letiten Sati, auch
Brnnner an (EndemaDn's Huidbuch II S. 191) — aber das:> die »publica
fidai schlechthin den weiteren Nehmer icbätieii würde, lieaae sich nicht er-
klären, mnn dieser, wie S. 164 und sonst poatulirt wird, die Forderung durch
Rechtioachfolge enrttrbe. S. oben S. 7S Note t nnd nnteo S. II8 Note t.
Vgl, Dernburg, Preuss. PriTBtr., 3. [auch 5.] Aufl., II § 8j Note l.
' S. namentlich Zeitcchr. XXII S. 83, 87; Das franiäsiscbe Inhaber-
papier S. 90. 93 [s. aoch in den >FoTuhang;en inr Geschichte des deutschen
and foutztisiscben Rechtii (1894), S. 534, S44]. Daiu: Brauner, Zur Rechts -
gesciüchte der römischen ticd germani*chen Urkunde Bd. I (18S0}.
1 Dm fruizCsische FAmdiecbt im Mittelalter, Bd, I S. 348 — 154.
, Cioogle
86 Miscdlen »ur Theorie der Werthpsiäere.
papiere gibt, welche lediglich »Präsentationspapiere* in dem
Sinne der ursprunglichen germanischen Fordenrngsurkunde
sind ' ; endlich weil unverkennbar die noch zu wenig gewürdigte
Verkehrssitte dahin neigt, den Forderungsurkuadea mindestens
diese rechtliche Bedeutung — entgegen dem specifisch römi-
schen Recht der blossen Beweisurkunde — beizulegen. Der-
gleichen gewissermaassen unvollkommene Residuar- und doch
gleichzeitig Keim-Gestaltungen finden sich ja auch sonst, zumal
auf diesem Gebiet. Lässt z. B. das ältere Recht, welchem das
Indossament noch fehlt, an sich eine Legitimation des späteren
Brieferwerbers durch jedes Beweismittel (Willebrief u. a.) zu ',
so ist dies auch noch beute insofern ^ mOgtich , als nicht die
besonderen Wirkungen des Indossaments, d. h. eben der Order-
klausel im modernen Sinne, in Frage stehen*.
Immerhin ist die Rolle, welche das iblossec Präsentations-
pdpier — nicht als Element der »Skriptur-Obhgationenc — im
Heutigen Verkehrsleben spielt, eine sehr bescheidene, und für
die geschichtliche Entwicklung der »Skriptur-Obligationent
bildet es, wie bemerkt, lediglich einen ersten Ausgangspunkt.
Denn in dem*Begriffe des iPräsentationspapiers« liegt keines-
wegs, dass schlechthin an den »Präsentanten* gezahlt
werden muss — das hat auch im germanischen RecJit nur
für Order- und Inhaberpapiere und auch hier nur unter er-
hebhchen Schwankungen gegolten; es ist erst — wie man
schon mehrfach (z. B. G. L. Maurer, Platner, Biener,
V. Poschinger) behauptet, aber erst Brunner genauer
nachgewiesen hat — durch Ueberwindung der ursprünglichen
germanischea Grundsätze von der Un2ulässigkeit der gericht-
lichen Stellvertretung und Cession ermöglicht, womit dann
' Du (cheinl anch B ranner anianehmen, da er tod gewissen •schlichten
Namenpapiereni iprichl, welche nicbt oothwendig >Skripturobligalionei)> nnd
lEndemann's Haodbach II 5. 159, 171). Dagegen (cheint dieselbeo n>
identitieiren; Stobbe, Deutsches Privatr. UI g 173 (S. I36ff.). [Stobbe-
Lehmann III g 317, S. 159.]
■ Zeitschr. XXIIl S. 34S ff. und Cit
1 Auch darnber hinaoi? So Brnniier in Endemanii'i Handbach 11
S. 189 Note 15,
* Ygl. I. B. C.P.O. gg 733, 732 [neue FMSong gg S32, 831]: Enuchei-
dungen de* Reichs-Oberhandelsgericba Bd. XI S. 350, 362. Sollte anch noch
geseawtrtig ein •schlichte» OrdeqMpier, welches niclil sogleich •PritentationE-
pepier' ist (ttranner, Das franaösische InbAberpapier S. JZB-), Totkommen?
II- Dm PtStenUtioiupapieT und die Katcgorieen der Werlbpapierc 87
einerseits das Niveau der römischen Beweisurkunde erreicht,
andererseits aber gleichzeitig, da die Ueberwindung durch An-
nahme ursprünglicher Gläubigerrechte der späteren Brief -
erwerber erfolgte, ein viel weiter gehendes, nämlich den
Cessionsstandpunkt überflügelndes Ergebniss erzielt wurde.
Ebensowenig ist mit dem »Präsentationspapierc ohne Weiteres
der allerdings im Geiste der germanischen Rechtsanschauung
liegende Rechtssatz gegeben, dass nur an den Präsentanten
mit iiberirender Wirkmig gezahlt werden kann — ein solcher
Rechtssatz ist im germanischen Recht wohl kaum für das
reine Inhaberpapier, sicher nicht für das viel häufigere Papier
mit der alternativen Inhaberklausel oder für das Orderpapier
zum vollen Durchbruch gelangt". Höchstens im Keime aber
können auf das > Präsentationspapier < als solches die den Kern
des heutigen Rechts von den Order- und Inhaberpapiereo
bildenden Rechtssätze über den selbstständigen Rechtserwerb
des weiteren Nehmers und die Ausschliessung der Einreden
in dritter Hand, den Forderungserwerb durch blossen redlichen
Papiererwerb u. A. m. zurückgeführt werden, wie sie denn
auch Brunner auf ganz verschiedenartige Prinzipien stützt
(Endemann's Handbuch II S. 163, 164, 168 ff., 189 ff., 213).
Indessen dürfte hier doch ein engerer geschichtlicher wie
dogmatischer Zusammenhang rorliegeo. Zwischen der
Formel »gegen das Papier* (Präsentationspapier) und
der Formel >geinfias dem Papier« (Skripturrecht) be-
steht eine unverkennbare Verwandtschaft und
die Zurtickfuhrung beider auf einen obersten for-
malen, ursprünglich sehr rohen, naturalistischen,
dann aber, entgegen dem feineren spiritualisti-
schen Prinzip .des römischen Rechts, mit glück-
lichem Takt im Interesse des Verkehrs, nament-
lich des Handelsverkehrs festgehaltenen' Grund-
gedanken erscheint unabweislich. Nur bedürfen, um
' Vgl. I. B. Braaner: Zeitechr. XXII S. 7S ff., 55, 56.
* Ueber die itreng formoliitUdie Beliaiidlnng gerade im IntereBta
dei Verkebtt, die nequitu mercstoTia in dieiem Sinne Tgl. mein Hand-
buch T (a. Aufl.) S. 31a Ea handelt lich um die Konseivirnng und
Weiterführung germanitcbea Forma Irechts. Kaum ändert iteht ei
JB mit dem Grandniti (Hand moss Hand wahren'. Vgl. meine AbhoDdlnng
in der Zeitscbr. VIII S. 346 ff., 359 und Franken, Da» fruuSdtcbe Pfand-
recht I S. 2679., aSgff., 300 ff.
::,y Google
gg Misc«llen va Hieorie der Werthpapiei«.
ZU einem abschliessendeo Urtheil zu gelangen, die bisherigen
bereits so ergiebigen geschichtlichen Untersuchungen in den
bezeichneten Richtungen der Vervollständigung. —
Dass nun dem iPräsentationspapier« , auch sofern es für
sich als »blosses Präsentationspapier« auftritt', die drei von
Brunner bezeichneten Kriterien regelmässig zukommen,
tässt sich nicht bestreiten. Dagegen fragt sich, ob sie ihm
wesentlich, also für die Begriffsbestimmung maassgebend sind.
Selbstverständlich geräth, auch wo prinzipiell der Eintritt
des Verfalltages der Mahnung gleichsteht (dies interpellat pro
homine), der Schuldner nicht ohne Weiteres in Verzug, so-
fern nicht er zu bringen, sondern der Gläubiger zu holen hat
(«Holschuld«). Dieses Kriterium ist somit nicht ein selbst-
ständiges, sondern eine nothwendige Konsequenz der so-
genannten »Abholungspflicht«.
Von der letzteren aber bemerkt Brunner (in Ende-
mann's Handbuch 11 S. 156), sie sei Konsequenz der >Prä-
sentationspflicht* , nicht umgekehrt. Das Letztere trifft un-
zweifelhaft zu, auch wenn man die Deduktion aus Art. 91
der deutschen W.O. dahingestellt lässt; denn das >Holen« ist
nicht begrifflich mit einer Präsentation der etwa über die
Forderung vorhandenen Urkunde verbunden. Das Erstere ist
zu bezweifeln. Es kann trotz der iPräsentationspflicht« des
Gläubigers der Schuldner zum »Bringen« verbunden sein —
nämlich sich mit der Leistung an einem bestimmten Ort, ins-
besondere auch bei dem (wirklichen oder möglichen) Gläubiger
einzufinden und dort igegen das Papier« zu leisten: sei es
zufolge »Domicilirung« oder auch nur anderweitiger »Zahlbar-
machung« des Papiers bei dem Gläubiger, z. B, falls der
eigene Wechsel beim Remittenten, der gezogene Wechsel beim
Aussteller »zahlbar« ist '. Ob solchenfalls schon das blosse
' Z. B. die civil« Anweisang oder der dvfle Schuldschein auf Namen:
•Gegen diese Anweisung zahlen Sie an Heim X die Summe von . . .<, «Gegen
diesen Schein (Schuldfchein, Urief etc.] lahle . ich ao Herrn X die Samme
von . . ,t (auch etwa individualisirt : von . . . Kaufgeld, Darlehosvaluta etc.),
' So schon Protokolle der Nürnberger Kunferenr S. 588 a. E. Vgl,
Mosse, Verhandl. des XV. Juristeutafs I S. izt. Die gleichwohl bestehende
' Prisen tationspflichli hebt ausdrücklich hervor das Urtheil des Reicbsoba-
haudelsgerichti vom 4. September 1876 (Entsch. Bd. XXI S. 26). Eine >Vei-
wandlungi ursprünglicher Holschuld in eine Bringichuld (Brunner in Ende-
mana's Handbuch II S. 157) liegt nicht immer vor.
::,y Google
IL Du PiisenttttioQipai^ und die KittgoHeen der Werthpapiere. 89
Nichtbringen, oder, wie das Reichs-Oberhandelsgericht an-
nimmt, nur dann, wenn zugleich die »Präsentatioospflichtt er-
lassen ist, den Verzug des Schuldners begründet % darf hier
dahingestellt bleiben — man sollte aber denken, dass die durch
das Nichtbriagea verhinderte Präsentation in ihren Rechts-
wirkungen der erfolgten Präsentation gleichstehen mtlsse.
Immerhin ist Präsentationspflicht bei Mangel der Abholungs-
pflicht möglich, die Schuld aus dem Präsentations-
papier ist somit nicht begrif fsnothwendig eine
Holschuld.
Auch die >Einl»sungspflicht< dürfte dem Prä-
sentationspapier nicht wesentlich sein. Besteht die
lEinlOsungspQichti auch bei Papieren, welche nicht Präsen-
tationspapiere sind: z. B. dem Orderpapier mit der Klausel
•ohne Präsentation zu zahleni (Bruoner a. a. O. II S. 159),
so lässt sich umgekehrt sehr wohl ein »Prasentationspapier«
denken, welches nicht zugleich »EinlOsungspapiert ist: nur
durch eine im Wege der Präsentation erfolgende Mahnung soll
der Schuldner in Verzug gerathen, ohne doch dessen Leistungs-
pflicht von der vorgängigen oder gleichzeitigen Aushändigung
(Einlösung) der Schuldurkunde abhängig zu machen.
Man würde so zur Unterscheidung wesentlicher und nur
naturaler Elemente im Begriff des >Präsentationspapiers< ge-
langen. Als einziges wesentliches Kriterium für ein unter
diesem Namen sicher abzugrenzendes Rechtsinstitut bliebe die
*Prä5entationspflicht< des Gläubigers, und zwar mit der ein-
zigen wesentlichen Rechtsfolge, dass nur durch Präsentation
der Schutdnerverzug und anschliessend die Leistirngspfllcht
aus nur sekundären Zahlungsverbindlichkeiten (Regressver-
pflichtung) begründet wird. E>ementspräche, was auch Brunner
(a. a. O. II S. 158) anerkennt, dass die Behauptung erfolgter
Pi^sentation überhaupt, wie im Urkunden- bezw. Wechsel-
prozess insbesondere, nur insoweit zur Klagebegründung ge-
hört, als die Wirkungen des Verzuges oder die von primärer
' Vgl. EnBch. XXI S. I6 mit VIII S. 164 und V S. 375, VI S. 157.
Die Deduktion , dais in der n^ativen Pclientationskknsel »tUbcliweigend die
Untenrerfong nnter die getetdicbeo Venagifolgen entbatten lei, also eine
Fiktion der Pifientation (Vni 5. 164), encheint aettt bedenklich.
::,y Google
90 MisceUen lui Theorie der Werthpapiere.
Nichtzahlung abhängigen Regressverbindlichkeiten in Frage
kommen'.
Indessen wäre auch dies noch nicht vOlUg genau. Unter
>Präsentationspflicht* will Brunner augenscheinlich nur eine
iBedingUDgt a. a. O. II S. 155, vgl, 158) verstehen — noch
genauer wäre: eine nothwendige rechtHche Voraussetzung —
für den Eintritt gewisser Rechtsfolgen. Er fUgt aber hinzu
(S. 155): »Der Schuldner hat seinerseits kein Recht, gegen
das Anerbieten der Leistung die Aushändigung des Papiers
zu verlangen und ist demgemäss, wenn nicht eine besondere
Verabredung vorliegt, zu einem Anerbieten nicht verpflichtet.«
Der letzte Satz ist unzweifelhaft richtig, der erste nur inso-
fern, als ein Klagerecht auf Annahme gegen den Gläubiger
nicht besteht'. Dagegen darf unzweifelhaft der Schuldner
dem ihm bekannten Gläubiger Zahlung der fälligen Schald
gegen Vorlegung und Aushändigung des Papiers unter dem
Präjudiz des Annahmeverzuges anbieten (W.O. Art 48, Art. 98
Ziff. 6); er darf weiter, falls zur Verfallzeit die Vorlegung
unterbleibt, sich durch gehörige Deposition befreien und die
deponirte Summe wird an den Gläubiger nur gegen Aus-
händigung des Papiers gezahlt (W.O. Art. 40, 98 Ziff. 5, 6).
Ob dieses Recht zur Deposition Folge des mit der unterlassenen
Präsentation eintretenden Annahmeverzuges oder der blossen
Ungewissheit über die Person des Gläubigers ist 3, mag zweifel-
haft erscheinen, v. Hahn leugnet, dass schon an die unter-
lassene Präsentation sich der Annahmeverzug kntlpfe, weil der
Verpflichtete nur selten die nach allgememen Rechtsgrund-
sätzen oder specieller Vorschrift (W.O. Art. 40) erforderlichen
Schritte, diesen Verzug herbeizuführen, machen werde *. Dass
■ VerhaDdluDgen de« XV.JuristcDtag« I S. 51, iii, II S. 140. Die eot-
gegenMehende Anaiclit kann nur >(U dner anderen als der herrschenden Gmnd-
auffassung des KUgerechts and leiDer Eatttehung begrdnd«! werden.
> Dies bildet die Regel, aber nicht die antnahmilose : F. Mommien,
Bcitrige 2um Obligationeniecht III S. 134?.; Windscheid, Pandekten [anch '
7. Aufl.] II § 347 Note I. Zu weit: Kohlet in Ihering' s Jihrböchcm XVII
5. zfi5ff. Eine Annahmepflicht im weiteren Sinne ist flberali aniuerlcennen.
S. auch DernbuTg, Ptenss. Privatr, [auch 5, Anfi,} II § 73.
} Kühne in Ihering'i Jahrb. VII S. i S.
* Kommentat lu H.G.B. Art. aSg g§ i, 3 (2. Aufl.}- ^»^ i° FiUen
dieser Art die Bereitschaft des Schuldners sur gehörigen Leistung bis auf den
Nachweil des GegenlbeiU anzunehmen sei, erkennt er an (II S. 103).
ogic
II. Du PrSuiitBdoiupi.pier nnd die Kategorieen der Wetthpapiere. 91
die iDeposition« (W.O. Art. 40) nicht ein solcher Schritt ist,
versteht sich; sie ist, wenn überhaupt in diesem Zusammen-
hange aufzufassen, nicht Voraussetzung, sondern Folge des
Verzugs, v. Hahn kann also nur an das Anerbieten der
Leistung denken. Es fragt sich daher, ob bei Präsentations-
papieren' die unterlassene Präsentation fUr sich, auch ohne
lOblation« des Schuldners, den Annahmererzug des Gläubigers
bewirkt. Mir scheint die Frage zu bejahen. Wer nur >gegen
das Papiere Zahlung fordern kann, verhindert durch Nicht-
vorlegung des Papiers die Leistung».
Nimmt man dies an, so liegt die wesentliche rechtliche
Bedeutung des Präsentationspapiers als solchen in beiden
Richtungen der Verzugsbegründung: positiv darin, dass nur
durch Präsentati(»i der Schuldner in Zahlungsverzug, negativ
darin, dass durch Nichtpräsentation zur Verfallzeit der Gläubiger
in Annahmeverzug geräth.
Dass die Verzinslichkeit der fälligen Geldschulden unter
Kaufleuten aus beiderseitigen Handelsgeschäften (H.G.B.
Art. 289) bei unterlassener Vorlegung des Präsentationspapiers
cessirt, ist unzweifelhaft — mag man, weil sie »Verzugs-
zinsen! sind, den zu ihrer Begründung erforderlichen Schuldner-
verzug vermissen * oder, obwohl sie nicht Verzugszinsen sind ',
ihren Eintritt wegen Gläubigerverzugs ausschliessen s , oder
' Bei jeder .HoUchuid.I F. Mommien a. a. O, III S. I73— 17S-
Köhler in IheriDg's Jihib. XVII S. 401 ff. Protokolle der NOmberger
Konfereni S. 1316, Dafregen Windaclieid [auch 7. Aufl.] % 345 Note 11.
Ist die Schuld au( dem PrbentatioiupBpier eine Biingtchutd, so liegt iu dem
Bringen des Schnldnen die erforderliche >ObIatioQ>.
* So ancb Urtheil des Oberlribonftls Berlin Tom 18. Uai 1854
(StrfethoTSt's Archir XUI S. 112) 'selbst im Verenge veiwft*. Vgl.Dern-
bnrg, Prenss. Priralr. II § 73 Note 10 (3. Anfl, S. 171 [5. Aufl. S, 175J).
3 T. Hahn ft. a. O. Entscheidongen des Rächs-Oberhuideltgeriehts
Bd. XXII S. 305. So wohl auch Brnnner (in Endemano's Handbach II
5. 156), obwohl er die hier in Betracht kommenden Zinsen neben den Ver-
4 So nnzweifelbaft nach der Quelle des HJS3.'s Art. 189 (vgl. Motive
des prenaischen Entwurfs S. iio); A.L.R. II, 8 g 696. Vgl. auch Dem-
bürg, PreuB. Frivatr. II g 37 Note 11 [5. Aufl. ebendort].
5 Für du prenstische Recht nimmt das GeKcnCheil an: Obertribnnal
Berlin 1S41 (FrSjudii 1029. Sammlung I 5.86]. So auch Förster, Theorie
nnd Praxis Ig 105 Note 81 [7. Aufl. ebendort Note 71] ondDernburg a. a,0.
g 37 a. E. Die Berufung auf A.L.R, I II § 111 ist nicht ü
, C-'Oogle
92 MiKdlen znr Tbeorie der Werlbpapiere.
endlich aus dem rechtlichen Gründe der gesetzUchen Zins-
pflicht, nämlich der jederzeitigen Möghchkeit h'uchtbringender
Verwendung der Kapitalien, fUr den Fragefall, wo der Schuldner
die geschuldete Summe zur Verfügung des Gläubigers halten
moss, den Wegfall der Verzinsungspfücht entnehmen. —
Es gibt endlich, was bisher in diesem Zusammenhange,
meines Wissens, noch nicht berücksichtigt ist, Präsentations-
papiere potenzirter Art: das sind die Sicht- bezw. Nach-
(befristeten) Sicht-Papiere. Die Präsentation bestimmt
hier zugleich, allein oder verbunden mit einem weiteren Um-
stände — bei den Nach-Sicht-Papieren — die Verfallzeit, so-
mit insoweit auch den Inhalt der Schuld'. Derselbe Akt, an
welchen sich die Fälligkeit der Forderung knüpft, begründet
bei dem einfachen Sichtpapier, nicht bei dem befristeten, den
Schuldnerrerzug. Ein Annahmeverzug ohne Pl^sentation ist
bei dem einfachen Sichtpapier undenkbar, wenngleich eine
gesetzliche Begrenzung derartiger Verbindlichkeiten mögUch,
z. B. D.W.O. Art 31, 32, vgl. Art. 19, 20. Die Klage aus
dem Sichtwecbsel ohne vorgängige Präsentation ist Klage aus
nichtfälliger Schuld — die für prozessualische Zwecke vor Ge-
richt erfolgende Vorlegung auch des Originalwechsels ist nicht
die nach Zweck and Ort (W.O. Art. 91) zur Herbeiführung
der Fälligkeit erforderliche Handlung'.
IIL Das flduoiarisohe Indossament
Der Inhaber des Inhaberpapiers ist als Gläubiger legiti-
mirt, aber ist nicht schlechthin Gläubiger. Demi es besteht
kein Rechtssatz, dass die blosse Detention oder auch nur der
blosse, nicht zum Eigenthumserwerb führende juristische Besitz
eines Inhaberpapiets das Gläubigerrecht gewahrt (vgl. S. 79 ff.).
Würde ein solcher Rechtssatz eingeführt, so bedürfte er zur
' Vgl. dun m ein« AutRlhniageD in dem U. des BaDdesoberhkadelsgerichts
Bd. n S. 362 tr. und gegen Thfll, in der Zeitichr. f. Huidelsr, XIXS. 33tfr.
> Anden, iniberccdere tos dem nicht enUcbeidenden Gnmde, dui eine
ent im Laufe des ProiesMS eintretende FlUigkeit der Schuld der Venutheiluag
nicht entgegenstehe: Entscfaeidangen da Reichi-Obethuidelsgcrichts Bd. III
S. 300 (der berilhmte F»I1 der >F&ttü. Wechsel* — d» Unheil erging iwm
auf meinen Vortrag , in dem betreffenden PunVte aber entgegen meinem An-
trag), V a 314. VI S. 422 — 1. aber auch II S, 363, V S. a? ff.
::,y Google
III. Du fidncUriiche Indotaainent, 93
Ergänzung einer Reihe seine wesentlichen Wirkungen paraly-
sirender Rechtssätze.
Dagegen Tver im Ordemecfasel — beziehungsweise in
einem sonstigen wahren Orderpapier — als Remittent oder
durch eia gehöriges Eigenthiunsindossaraent (auch in blaoco)
als Indossatar bezeichnet ist, hat eben durch diese Bezeich-
nung, welche ein lediglich durch ihre Form , ohne Rücksicht
auf den Grund der Begebung, ja ohne Rücksicht auf den
nächsten Vertragszweck (EigenthumsUbertragung — Pfand-
bestellung — Berollmächtigung etc.) der Paciscenten wirkender
Rechtsakt ist, das Eigenthnm an dem Papier imd mit diesem
die Forderung aus dem Papier erworben. Daraus ergibt
sich, dass meine frühere, sich der herrschenden Theorie an-
schliessende Bemerkung, es kOnne ungeachtet eines Eigen-
thumsiadossameots das Eigeotbum des Wechsels und die
Wecbselfordenmg bei dem Ueberlragenden zurückbleiben',
dem Wesen des Indossaments nicht gerecht wird imd dass >ein
Dualismus formeller und materieller Gläubigerschaft« in diesem '
Sinne für das Orderpapier nicht anzuerkennen ist. Der Rechts-
akt, durch welchen Jemand als Nehmer (Indossatar) eines
Orderpapters ohne einen die Wirkung des Eigenthums- be-
räehungsweise Forderungserwerbs unzweideutig ausschliessen-
den Zusatz (>in Vollmachte, »in Prokura», »zur Einkassirung«
u. dgl.) bezeichnet wird, mag unter Umständen ein nur fi-
duciarischer sein, kann aber niemals weniger sein, und
äussert auch als nur fiduciarischer Akt alle Rechtswirkungen,
welche ihm seiner Natur nach zukommen, vorbehaltlich der
unter den Paciscenten gebotenen Ausgleichung '. Dass beim
I Zeiticlir. VIU S. 336.
* Brnnncr in EndeniKnn't Handbuch 11 S. 163 rgl. S. 195. Aohn-
iKb, gegen du S. 91 Note 1 genumte Urtfaeil des Reicbt-ObeikinddtgeTiehU,
Dernbutg, Pnon. PrivUr. II § 117 Aan. 7 [5. Aufl. abendort, Anm. S}.
I Anf dieun GmndlUxen bemhen dis bekjumtan Mhlrckben Enttchei-
dungen de« Raichi-Oberbandeltgerfcht» aber die RechtHteUimg dei ilt
VolliudoMatu beteicbncten Mandktan, iubesondere dM «if meinen Vortraf
ergangene, die FiiniipieDfragen nBtamicliende Urtbeil dei L Senat* rom
9. April 1871 i. S. Wieribicki c. Fink (Entich. Bd. VI S. 53, 54. v^
Bd. XXII S. IT3 nnd CState). Dan daa allgsraetn wichtige Uttheil dei
Reicbtgerichti L Ciriltenat tdid 9. Oktober 1S80 (äittchddangwi in
Cirilsacbmi n S. 166). Regeliberger, Archiv C. driL Pmi> Bd. «3
S. 170, 181 ff.; Kobler, in Iheiing'« Jahrb. XVI S. 149?., H6S.
, C-'Oogle
94 MäceDen znr Theorie der Werthpapiere.
ifiduciarischem Geschäft der Indossatar (Remittent) Eigen-
thümer werde gegenüber Dritten, nicht aber gegenüber dem
Indossanten, verstösst wider die Fundamentalsätze unseres
Rechts.
Auf diesen Erwägungen beruhte mein in der Konkurs-
kommission des Deutschen Reichstags wiederholt gestellter An-
trag, dem bisherigen Recht entsprechend, ausdrücklich die
hiemach singulare Aussonderung der nur zu Inkassozwecken
indossirten Wechsel vorzuschreiben (Protokolle S. 28 — 32,
127—131, 163-170, 172). Es wird wohl kaum mehr be-
zweifelt, dass die durch den Widerspruch der Vertreter des
Bundesraths bewirkte Ablehnung dieses Antrages zu einem
— der feierlichen protokollarischen Erklärungen der Konkurs-
kommission und ihres Referenten unerachtet — sehr unbehag-
lichen Rechtszustande geführt hat". Zu hoffen steht freilich,
dass der souveräne ob^ste Gerichtshof die Lücke des Gesetzes
in entsprechender Weise ausfüllen wird.
IV. Weohselaooept und Kreationstheorie'.
I. Die einzige 3 wenigstens anscheinende positive Stütze
der »Kreationstheoriec bildet der Art. 21 der deutschen Wechsel-
ordnung. Es wird gegenwärtig, nach den sorgfältigen Aus-
' Vgl. i~ B. V. Sarwsy, Die Konlcareordnung fSr das Deutsche Reich
a. Aufl., S. 345 [3- A"1- bearbeitet von Boaiert S. 3»]; v. Wilraowski,
Deutsche RelcEu-Koakuitordnung, 2. Aufl., 5. 3o6, 307 [5. Aufl. S. 175, 176].
RegeUberger a. a. O. S. 187; Kohler a. a. O. S. 351 ff.; Mandry,
Der ciTilrechtlicbe lahtdt der Reichsgeietie, 3. AuQ., S. 314 Note 7 [4- Aufl.
S. 334 Note 8].
* Auf das mir erst bei der Rerision zukomniende Gutachten Kuntze's
in den VerhandTungen das XVI, Juriiteotagi Bd. I 5. 131 ff. kann ich mcfat
mehr eingeben. Ich finde nicht, dass die S. 136, 137 aufgeführten >Rechts-
sitiei die >Kieationstheorie< sttttien.
i In DieiDen wiederholten Ausführungen gegen diese Theorie (Zeitschrift
III S. 341, VIII S. 330, IX S. 63, XIII S. 34S, XXIII S. 306) findet sich
Zeiltcbr. VI S. 341 dritte Zeile von' unten der Druckfehler »diei itolt >der*;
es must, wie auch aus der ganien ErCiterung klar hervorgeht, heissen: >Db«
Richtige der Kreationstheorie liegt nicht darin , dasa durch einseitigen Schrift-
akt der Aussteller seinen Willeo gebunden hat, sondern das« er den Inhalt
seines Willeu und damit »der* Verpflichlung g^enUber jedem Nehmer des
Papiers fizirt hat — freilich auch cur vorliufig, da eine Abindenmg auch des
Inhalts ihm jederzeit bis zur Begebung freisteht. — Der Ansstdler lagt: falls
ich wollen «erde, so will ich dies — ich werde gewollt haben, .sobald ich du
ijl.ecoy Google
IV. WechseluMpt und Kreatioiutlieoric. 95
führongen G r a w e i n ' s • , sogar von einem entscbiedeoen
Gegner der iKreationstheoriec hier ein, freilich singulärer
Ansnahmesatz anerkannt'.
Obwohl ich indessen stets die Ansicht vertreten habe,
dass nach der Deutschen Wechselordnung bereits mit der
Niederschrift auf den Wechselbrief auch ohne Aushändigung
desselben die un-widemiftiche Bindung des Acceptanteo, und
zwar dessen Obligirong aus dem Wechsel, nicht lediglich dessen
Bindung an das Wort (Thöl, Siegel) erfolgt', so hatte ich
doch, nach 'me vor, den Schluss, es bilde diese Niederschrift
einen einseitig obligirenden Verpflichtungsakt, nicht den blossen
Bestandtheil eines Vertragsaktes, für ungegrUndet
Die unwiderrufliche Annahmeerklärung oder, was das-
selbe sagen will, das unwiderrufliche EinlOsungsrersprechen
des Bezogenen erfolgte ursprünglich mündlich auf mündliche,
von der Wecbselpräsentation begleitete oder nicht begleitete
Anfrage, welche von dem Remittenten oder Präsentanten oder
für denselben (durch öffentlichen Aufruf auf der Wechselmesse)
geschah und wurde demnächst im Messwechselkonto (scarta-
bccio, tnlan) vermerkt, auch wohl demnächst oder gleichzeitig
durch den Bezogenen auf dem Wechsel; bei den nicht regu-
lären (Aussermess-)Wechseln schon früh durch blossen schrift-
Uchen Vermerk auf dem präsentirten oder zugesendeten Wechsel- "
brief. Später wurde die nur mündliche oder aus Wort und
Schrift kombinirte Annahme allgemein durch die nur schrift-
Uche Annahme auf dem Wechsel und zwar mit der gleich«)
Papier begeben bab&i Vgl auch Zeitacbrifc XXIII S. 306. Auf diesem
DmckfeUer dOrfle beruhen, du« Grftwein, Die Perfektion de« Accepts
S. 13, 13 mir die Theorie michreibt, »welche die WecbselobligKdan durch
äa eimätiges Rechtsgeschift entstehen liw nnd dts lEonititnirende (?) Moment
dieses letzteren in der AushSndigtuig der Wechietiltriptar erbliclitt.
■ Die Perfektioii des Accepts, Gru 1S76. Ueber diese gediegene , min-
destens T h 0 1 ' s Accepttheorie an der Warael angreifende Monogtaphie findet
sich bei Thöl, Wechselrecht, 4. Aufl., g 79 Note 5 nar folgende Bemerknngt
•Das Wesentliche ist widerlegltch' ; schliesslich S. 176 -wird empfohlen die ent-
setsUche gesetzliche Beitimmimg: »Der Bezogene bleibt ani einem ausgetilgten
Accept wechselmfissig verpflichtet •.
> Gareis, Zeitacht. XXIV S. 313.
1 Zötschr. t 5. 550. Eine fOr die Konstruktion unerhebUche nnd
daher hier nicht zu nutemichcnde Fr^e ist, ob aas dem durchstrichenen
Accept die Wechaelklage bleibt oder nur dvile Klage auf Wiederlierslellnng des
gelitten Accepts stattfindet.
Google
96 MilceUen tm Theorie der WerthpipieTe.
Rechtsfolge der Unwidemiflichkeit ersetzt'. Es unterliegt
so keinem Zweifel, dass die Uswiderruflichkeit des einmal
niedergeschriebenen Accepts iirsprüngüch auf der Korrespon-
denz von Anforderung (Anfrage) und Zusage beruhte — das
ist auf einem Vertrage ~ es wäre zu erweisen *), dass gegen-
wärtig die schriftliche Annahme einen Vertrag nicht darstellt.
Der Beweis durfte um so schwieriger sein, als der entscheidende
Art. 21 Abs. 4 der deutschen W.O. fast wörtlich dem Prenssi-
schen Allgemeinen Landrecht ^ entnommen ist: A.L.R. II, 8
§§ 997, 998, und wohl noch kaum behauptet ist, dass das alt-
preussische Wechselrecht auf der Kreationstheorie beruhe, auch
von Anderem zu schweigen, das Gegentfaeil aus 11, 8 § 715:
»Wer überhaupt unfähig ist, Verträge zu schliessen,
kann sich nicht wechselmässig verbinden (Th, I Tit 5 §§ 9
bis 31)c und hinsichtlich des Accepts aus dem Grundsatz er-
hellt, dass der schriftlichen Acceptation die stillschweigeade
durch Behalten des vorgezeigten und eingehändigten Wechsels
über Nacht durchaus gleichsteht (II, 8 § 993).
Es ist von dem Normalfall des zur Annahme präsen-
tirten oder eingesendeten und wie trassirt (pure) schriftlich
• GTftwiin >. a. O. S. 84 ff., «xL mit Biener, WeduelrechtUche Ab-
-hkiidluDgen S. 46, 49, 87, lOSfT., 131 ff.; EBdemann, Studien in der
romftnistilch-kaaoniitiscben Wiithscluifts- and Rectitslelu« I S. 175 ff. , 305 ff.,
318 ff. ; Zeitschrift VI S. 338 (G«ld*climidt], XXTI S. 31 CBranner),
XXIII S. 174, »75 (L«iti8).
> In dem Satxe Grawein'i (S. S8); «Zur Entdeckung de* Unterachiedi,
dau früher zur Zdl der Vornahme des Schiiftrennerkl die Voraaisetrungen
zu einem perfditen Vertrag« vorhanden waren, wthrend nun eine zwar gc-
schiiebene aber nicht abgegebene Willenterkllnuig vorlag, bitte bei dem da-
maligen Stande der Rechtnriuenichaft ein romaniiticch gebildetes Ange gehSrt
(desieo, wie weiter bemerkt wird, »ich nur Wenige erfrenten}> , l«t der Vorder-
MtE bis ■waren* aniweifelhait richtig, der Nadnati rwfhrend — vorlag* petitio
prindpii, det in Parenthete getettte Sati schwerlich zntreSoid.
I D«** die Motive lu § 11 des pienssischsn Entwarft «ich «gleich anf
ArL 131 de« Code de commerce benien, welcher nicht die VerlnndlidUceit dei
geKhriebenen, (ondem des reditigtitig etthdlten, d. h. nach fnuitSntcher Anf-
bssung erst de« begebraen Accepti Tettstellt (ch) aocetta pag«), lelgt nur, das»
die Verfasier des Entwarft die Frage von dem Moment nnd von der Wirkung
der PcffektioD nicht aoseinander gehalten haben; auch die beflSafige Aense-
mng des Eutwnibverfuaers als Referenten der Leipttger Wechtelkonfereni Ober
den Moment der Perfektion itt ftlr die Auslegung von geringen GeiridiL Vgh
Grawein S. »3ff., 38.
„Google
IV. Wecluelaccepl nnd Krektioiistheoria. 97
angenommenen Wechsels auszugehen. Nicht allein, weil an-
zunehmen ist, dass die Rechtsregel mit Hinblick auf diesen
regelmässigen Fall aufgestellt ist, daher so erklärt werden
darf und muss, wie sie für diesen Nonnalfall sich am un-
gezwungensten eiUärt', sondern auch aus dem kaum minder
wichtigen Grunde, dass der gleiche Rechtssatz für ausser-
gewöhnliche Fälle, sofern er überall für diese gelten will,
sehr wohl aus eigenthümlichen Grtlnden gegen das Prinzip
gelten kann. Dies mag doch hervorgehoben werden gegen-
über einer gerade neuerdings sehr verbreiteten Neigung, aus
anssergewOhnlichen oder gar anomalen, mindestens aber nur
sekundären Erscheinungsformen die rechtliche Natur eines
Instituts zn erschliessen, z. B. aus der Tratte an eigene Order "
oder aus dem trassirteigenen Wechsel zu entnebmoi, dass in
der Formel auch der Normaltratte : «Zahlen Sie gegen diesen
Wechself ein Auftrag im Rechtssinne nicht enthalten sei. Wer
die Typen nicht festhält, läuft Gefahr, durch maasslose Ab-
straktion inhaltslose Begriffsschemen zu konstnairen oder doch
die einer besonderen Art des Gattungsinstitnts (z. B. derjenigen
wirklichen Art der »Versicherunge, weiche wir Lebensversiche-
rung nennen) eigenthümlichen Rechtssätze zu generahsiren,
wenn nicht gar aus einer nur vermeintlichen Art unrichtige
Schlüsse auf die Natur des Gattungsinstituts (z. B. vom so-
genannten iliterarischen Eigenthumi auf die Natur des Eigen-
thums) zu ziehen'.
Wäre anzunehmen, dass der Rechtssatz, idas einmal
niedergeschriebene, wenngleich nicht ausgehändigte oder vor
der Aushändigung durchstrichene Wechselaccept obligirt aus
dem Wechself«, lediglich auf Zweckmässigkeitsgründen be-
■ L. 3 — 6 D. de leg. (i, 3). Insbesondere: E^ hii, quM fofte ono
tliquo cun accidere poiniDt, innt Don coniCitiiiintiir, N>m ad ea debet
potin» tptiri ins, qa«e et freqnenter «t ftdle qnun qua« pemro Mddntit.
Der Sau ^t nicht allein fttr die GMetigebang, tondern auch fDi die Aui-
legung (FettxteUtnig) d«« Gesellten.
* So I. B. V. Salpiu*, NoTation und Delegation S. 464, welcher die
Tratte an eigene Order sogar ftlr die heutige >GTnndrormi des Wechsels eikUrt.
I So t. B. A. WagDST, Allgemeine Volknrirthschaftslehre (1876) I
I 181 IT.
* Dast iwat die grossen Grappen des englitchen (i. jetit da* neue engL
Wechielgeieti, 18S1 [det Zeltschrift BeUageh. in Bd. XXVIII 5. 31]) und &«n-
iSaischeD nad de* unveränderten spanischen Rechu entgegenstehen, aber doch
Gotdicliiiiidl, Vcimiichte Schriftsa. 11. 7
oogic
98 Miscellen lur Theorie der Werthpapiere.
ruhte, insbesondere behufs Abschneidong der allerdings ge-
fährlichen Kollusionen zwischen dem Acceptanten und dem
dermaligen Wechselinhaber, so fände die Kreatioostheorie in
demselben keine prinzipielle Stütze, da sich die Möglich-
keit ausnahmsweise gesetzlich oder gewobnheitsrechtlich als
rechtswirksam anerkannter blosser Kreationsakte ja nicht be-
streiten lässt. Man darf aber anerkennen, dass der betreffende
Rechtssatz noch innerhalb des regelmässigen Rechts steht und
gleichwohl leugnen, dass derselbe auf die Kreationstheorie führe.
Wer eine Tratte zur Annahme vorlegt (eiDseodet), be-
gehrt deren Annahme — gleichviel ob er dies in eigenem
Interesse oder im Interesse eines Dritten thnt (W.O. Art. 18:
>Der blosse Besitz des Wechsels ermächtigt zur Präsentation
des Wechselsc). Das Begehren geht auf schriftliche Annahme
(W.O. Art. 21 Abs. 1: »Die Annahme des Wechsels muss auf
dem Wechsel schriftlich geschehene). Wer auf den zur An-
nahme vorgelegten (eingesendeten) Wechsel sein Accept setzt,
thut, was von ihm begehrt wird, entspricht thatsächlich (re,
hier scriptura) dem an ihn gestellten Begehren (dem Antrag,
zu acceptiren). Dem feierlichen oder formlosen spondesne?
entspricht das schriftliche spondeo. Das blosse schriftliche
spondeo (Accept — auch durch blosse Namens- oder Firmen-
niederschrift) auf dem Wechsel ist die begehrte Annahme
(W.O. Art. 21 Abs. 2, 3). Durch diese Annahme wird ein
»Wechsel vertrage geschlossen, nicht ein » Wechselvorvertrag* ' :
durch diese Niederschrift wird nicht dem Präsentanten oder
dessen Machtgeber versprochen, einen acceptirten Wechsel aus-
händigen zu wollen, sondern es wird zu Gunsten des gegen-
■choti frilli in lahlreichen Gcietien, intbetondere auch im hall. H.G.B. An. 119
der gleiche Satz aneikamiC ist, 1. Grawein S. 75 ff. Unter den neuesten Ge-
setzen und Entwtlrfea schlienen' dai schweizerische Obligationenrecht (188t)
Art 740, die skandinaTische Wechtelordnang (18S0) Art 31 nnd der Entwurf einer
Wechsel ordnai^ ftlr das russische Reich (iSSl) g 34 Abs. a sich dem richtig
Tentandenen deutschen Recht, unter ausdrilcldichei Entscheidung der Streitfrage
an ; ebenso die Regel Nr. 14 des intematiaiialeii Wechselrechtsprojekts. Dagegen
das italienische Handel^esetibuch (i88z) Art. 165. (neucMe Fassung) ISist bis
inr B^ebung Durchstreichung zu, wihrend das belgische Wechselgesell (1S73)
Art ti Abi. 3 in eigenthUmlicher Weiie vermittelt, aber doch m^ auf dem
Boden det fraotttsischen Rechts steht
■ So nach der deutschen W.O., Thöl, Weduelcecht (4. Aufl.) § 79
Note 3. Dagegen richtig Grawein S. lt3fC
„Google
IV. WechteUtceept nnd ICreatioiutheorie. 99
Wältigen Wechselgläubigers wie dessen etwaiger Vonnanner,
selbstrerstandlich auch der etwaigen Nachmänner, ein Accept
gegeben. Ein Vertrag: denn es ist ein zwar noch ver-
einzelt bestrittener, aber nichtsdestoweniger unzweifelhaft fest-
stehender Grundsatz, dass diejenige Annahme eines Antrags,
durch welche der Vertrag zn Stande kommt, nicht nothwendig
darcb eine dem Antragsteller gegenüber abgegebene Erklärung
(in Worten, durch Schriftaushändigung u. dgl.) zu erfolgen
braucht, sofern eine anderweitige Art der Annahme, ins-
besondere eine Annahme durch (nicht einmal nothwendig so-
fortige) Ausführung in dem erklärten oder erkennbaren,
insbesondere nach der Natur des Verhältnisses verständiger-
weise zu unterstellenden Willen des Antragenden liegt '.
Dass dies sich beim Accept so verhält, hat bereits Liebe"
treffend berrorgehoben , wenngleich seine Formulirung nicht
ganz einwandsfrei ist Das Entscheidende aber ist doch:
»Andere schriftliche Versprechen, selbst Wechsel, werden
freilich noch nicht durch das blosse Schreiben bindend, sondern
nur dadurch, dass der Versprechende seine Schrift dem Andern
ausliefert Bei der Acceptation hat aber der Acceptant keine
' EntKlieidnnsendesReichsoberh&ndeisfericlitsBd. XVUI S. 34a,
vgL XIV S. 301 und ßam«ntlich de» Reichsgetichls ic CivÜMcben Bd. II
S. 43. Richtig (chon , wenngleich nicht immer in zutreffeader Begrltadimg,
z, B. T. Schenrl, Beitrige lur Beubeitnng des rSmiKhen Rechti II S. 311;
T. H&hD, Kommenlar lU H.G.B. Art. 319 § 13 (2. Aufl. II S. H)6ff0; So hm,
in derZälKhr. f. HandeUr. XVII S. gi ff. , 105 B. und Citate; Schott, Der
obligatoiische Vertrag unter AbwcKuden S. 123 C (mit eigen thtlmlichen Be-
KhjSnkungen und nicht fUr unseren Fall); Schweiz. Obligationen!. Art j S. 3,
Art. 8 S. 3; itaL H.G.B. Art. 36. Noch weiter, fUr jede durch stülschweigende
WiUeDMTkISnuig erfolgende Annahme: Windscheid, Pandekten II g 306
a. E. [7. Aufl. ebendoTt]; Kuppen, Der obligatorische Vertrag anter Abweten-
dcD S. Z33, 135, u. A. m. Dagegen freilich Thöl, Handelsrecht {) 339
Note 6; aDein weder ist richtig, dass der Antragsteller immer eine »Antwort*
erwartet oder erwarten darf, noch dais die >Anseige> von der erfolgten Per-
iektioD (Auiftlhrung), welche er hiafig erwartet oder auch erwarten darf, die-
jenige ■Antwort» ist, durch welche der Vertrag lur Perfektion geUngt: die
Ge&hi der rechtzätigen Ankunft jener Anieige liitn an sich nicht den An-
nehroenden, sondern den Antragsteller.
* Allg. D. W.O. mit Erläuterungen (1848) S. 95, 96. Aehnlich und noch
tchSrfer deutet Holtias, Voorleiingen ovei handeis- en zeeregt I bL 3zz djuauf
lün, dan die Zdchnnng des Accept* die Annahme des der römischen stipulatio
anlq>rechenden, in der PrStentMion liegenden VertngsaQtr«ge« sei.
7*
ooqI
100 MUcellen rni Theorie der Weithp«piere,
eigene Urkunde auszustellen und auszuliefern, sondern sich
über ein bestimmtes, ihm im Wechsel vorgelegtes Verhältniss
zu erklaren und zwar schriftlich zu erklären. Gibt er diese
Erklärung, so ist seine Verbindlichkeit perfekt und unwider-
ruflich.< Auch die Gegner kCnnen sich der Anerkennung der
Grundverschiedenheit von Accept und sonstigen Wechselrechts-
akten nicht entziehen. Wenn freilich dieselben die Erklärung
darin suchen, dass das Accept eine Ergänzung des einem Dritten
gehörigen Papiers sei, in dem Ausstreichen des Accepts
somit ein unstatthafter Eingriff in das fremde Papier hege
(Kuntze, Wechsebecht S. 303 Note 5; ähnüch Grawein
S. 46, 47, 166), so ist die Heranziehung des Eigenthums an dem
Stück Papier verfehlt, der juristische, nur nicht erfasste Kern
der Deduktion aber der obige, dass das zu restituirende >Papier<
eben eine schriftliche Annahmeerklärung aufiaehmen soll und
aufnimmt. Dernburg, Preuss. Privatr., II § 257 (3. Aufl.
S. 749 [5. Aufl. S. 792]) meint, dass die einseitige Willens-
erklärung, im Unterschiede von anderen gleichfalls als Kreations-
akte anzusehenden Wechselrechtsakten (eod. § 267, 3. Aufl.
S. 771 [5. Aufl. S. 818]), hier darum schon mit der blossen Nieder-
schrift die perfekte Obligation hervorrufe, weil der Gläubiger
bereits durch das Papier legitimirt sei. Wird aber dadurch,
dass X als Gläubiger von A, B, C (Trassant, Indossanten)
legitimirt ist, X auch zum Gläubiger des D (Accep-
tanten)? Das wäre eben zu erweisen. Der Satz: »Die
Gläubiger ezistiren hier bereits bei der Niederschrift des
Accepts und erhalten durch dieselben (soll heissen : dieselbe)
konsequentermaassen Rechte auch ohne Wissen und Willen«
enthält die petitio principii; er dürfte richtiger so lauten; JC
(welcher bereits Gläubiger von A, B, C ist) will, wie der
Wechsel ergibt, durch blosse Niederschrift der Annahme-
erklärung Gläubiger des Trassaten (demnächstigen Acceptanten)
D werden — diesem Willen gemäss wird er es durch die
Ausführung seines Vertragsantrags. —
Wenn Grawein S. U8ft hiergegen, zum Thril im An-
schluss an Jolly und Kuntze, einwendet, dass dies allen-
falls der »strengen Aensserungs»- oder der »Ausfuhrungsc-
Theorie, nicht aber den übrigen für den Vertragsschluss
unter Abwesenden aufgestellten Theorieen entspreche, so über-
sieht er ein Doppeltes: Einmal, dass in unserem Nonnalfall
i..O(>;;lc
IV. WecIueUecept aod Kreatbnstlieorie, 101
regelmässig nicht einmal ein Vertrag unter Abwesenden, son-
dern anter Gegenwärtigen m Frage steht: falls nämlich, wie
gev{>hnlich, das Acxept anmittelbar aaf die fVäsentation ge-
schieht. Sodann, dass weder fllr die >Aeusserungs-<, noch
für die »Empfangs-f , noch fUr die iVemehmongs-Theoriec
da ein Raum ist, wo nicht Aimahmeerklärung gegenüber dem
Antragsteller, sondern Annahme des Vertragsantrages durch
Ausfahrung gewollt ist; es bedarf daher keiner Unter-
suchung, ob die verbindende Kraft des nur oJedergeschriebeDen
Wechselaccepts mit einer dieser Theorieen verträglich ist : die
Annahme durch Ausfühning gebCrt nicht unter die Annahme-
erklärungen, sondern stellt in ihrem Bereiche koordinirt
neben denselben. —
Ausserhalb des NormalfaUes steht das Accept eines nicht
zur Annahme vorgelegten (bezw. eingesendeten) Wechsels and
das Accept eines zur Annahme vorgelegten blossen Wechsel-
blanketts.
Ob in dem letzten Falle Art 21 Abs. 4 der W.O. Platz
greift, ob somit der Wechselnehmer ein derartiges zwar accep-
tirtes, aber mit durchstrichenem Accept ihm wieder aus-
gehändigtes Blankett mit der Wirkung ausfüllen, d. h. zu
einem formgerechten Wechsel macheo kann, dass er selbst
oder ein anderweitiger Wechselnehmer den lAcceptanten«
aus dem Accept, bezw. auf Wiederherstellung des Accepts
belangen darf, ist mindestens höchst zweifelhaft'; der Be-
jahnng kennte allenfalls die Annahme zu Grande liegen, dass
— vorbehaltlich der exceptio doli wegen vertragswidriger
Aasfüllung — das später formgerecht ausgefüllte Blankett
in allen Beziehungen dem schon bei der Ao^ptirung form-
gerechten Wechselbrief gleichstände.
Anlangend den eisten Fall, so bliebe zunächst zu erweisen,
dass in der älteren oder neueren Praxis der Rechtssatz des
Art, 21 Abs. 4 der W.O. jemals auch auf das Accept eines
nicht zur Annahme vorgelegten (eingesendeten) Wechsels aus-
gedehnt worden sei. Indessen konnte immerhin zugegeben
> FUr witkongslot hilt du dnrchitrichene Blsakooccept i. B. H>rt-
rnano. Du deatKhe WechMlreeht S. 323 bl E. Vgl, ancli meiae Abhand-
limg in der ZäUchr. f. Huidelir. VIII S. 331. Dahin dttrft« uch die Ent>
•Ladung; de« Reicb«g«richti Bd. II S. 89 rahrea, ^1. Detabnrg,
Pien«. PriT«tr. II § 267 Note 9 [5. Aufl. ebendort].
::,y Google
102 MUcellen lut Theorie der Werthpapiere.
werden, dass das Accept auch unter dieser Voraussetzung im
Sinne des Art. 21 Abs. 4 der W.O. wirkt, oder, um mit
Grawein zu sprechen, dass es nicht »eines gestiun zwischen
dem Bezogenen und einem einzelnen Interessenten, dessen Vor-
handensein aus dem Wechsel in keiner Weise erhellt,» bedürfe;
es würde sich nur fragen, aus welchen Gründen.
Von den zur Illustration konstruirten Fällen ' mag der
letzte, bei welchem, nach Grawein, »selbst die kühnste
Phanta^e einen Vertrag nicht zu konstruiren vermöge*, vor-
aufgenommen werden.
1. Eter Bezogene acceptirt die auf dem Wege des In-
dossaments erworbene Tratte. Seine unwiderrufliche Bindung
durch blosse Niederschrift würde sich sehr einfach aus den in
Trassirung und beziehungsweise Indossirung unzweifelhaft
liegenden Aufträgen resp. Anträgen zur Acceptation der
Tratte erklären, welche keineswegs dadurch erloschen sind,
dass die Tratte an den Bezogenen indossirt ist; alle früheren
Wechselverbundenen bleiben trotzdem in der Kette, nicht allein
als Wechselschuldner, sondern auch als mögliche Wechsel-
gläubiger', imd es liegt ja unzweifelhaft das Wechselacxept im
Interesse sowohl der Wechselschuldner (Regresspflichtigen) wie
auch der (möglichen) Wechselgläubiger.
2. B besucht den A und findet in dessen Abwesenheit
auf dessen Schreibtische eine bei diesem eingelaufene , auf B
gezogene, dem A von einem Geschäftsfreund zur Präsentation
bei B eingesendete Tratte liegen; um Zu- und Rücksendung
des Wechsels zu ersparen, setzt B ohne Weiteres sein Accept
auf denselben. Angenommen nun, dass B in der That aus
diesem Accept auch dann obligirt wäre, falls er dasselbe, noch
bevor A von der erfolgten Acceptirung irgend welche Kennt-
niss erlangt, durchstrichen hätte, so Hesse ^ch entweder vom
Standpunkt der Vertragstheorie aus sagen, dass B den zu
seiner Kenntnissnabme bestimmten Vertragsantrag als nego-
tiorum gestor des A zu seiner Kenntniss gebracht und dem-
■ Grawein S. 113 fr.
■ Ihr Wiedereintrilt iit nur an eine rechtliche Vonmoetziinf; gcknnpfti
S. DHmentlich Plenarbeachliisi des Reichi-OberhaDdeUgertchl* vom
31. Juni 1878 (EnUcb. XX[V S. i ff.). Di« erkeDDt «nch Dernbutg an
a. «. 0. [auch 5. Aufl.] g 371.
itizecy Google
IV. Wecluelaccept und Kreadonstheotic 103
nächst denselben durch sein Accept angenommen hat ' ; oder
man dürfte sagen, es sei nnbedenklich, das Gesetz, obwohl es
nur die vertragsmässige Acceptation trifft, analog in einem
Falle zur Anwendung zu bringen, wo der Bezogene sich
augenscheinlich in gleicher Weise habe binden wollen, als ob
ihm der Wechsel zum Accept vorgelegt worden wäre.
3. Die auf X gezogene Tratte wird von dem Indossatar
A an B indossirt und im Auftrage des B an dessen Bankier X
übergeben; A'acceptirt die in seinen Händen befindliche Tratte.
Grawein vermisst den »Vertrage aus zwei Gründen:
Einmal, weil der in der Tratte liegende Zahlungsauftrag nicht
zugleich den Antrag zum Acceptiren in sich schliesse — das
Gegentheil ist richtig, wie vorlangst Unger' nachgewiesen
bat und schon aus dem Dualismus von Pt^sentation und
Regress zur Annahme bezw. wegen Nichtannahme und von
Präsentation und Regress zur Zahlung bezw. wegen Nicht-
zahlung folgt. Sodann, weil X auch dann obligirt würde,
wenn die Tratte gefälscht wäre. E>as ist richtig, weil es
genUgt, dass auch nur ein Zahlungsauftrag (bezw. Antrag
zum Acceptiren) vorliegt — ein solcher kann in dem echten
Indossament liegen, ungeachtet die Tratte falsch oder gefälscht
ist. Wären freilich alle Tratten (die Tratte und alle In-
dossamente) falsch, so entstünde zunächst aus dem Accept
keine Verpflichtung ; würde aber der acceptirte Wechsel weiter
begeben, so würde nun X den weiteren Nehmem aus seinem
Accept haften, aber nicht kraft seines, wenn auch nur ein-
seitig erklärten Willens, sondern kraft singulärer
Gesetzesvorschrift im Interesse des Verkehrs: D.W.O.
Art. 75'.
' Diae VerbindnDg; zweier FonktioneD in einer Perion, xumil im Inter-
esK Icdiglicl) d«i GUnbigeis, unterliegt inriitiich keinerlei Bedenken.
* Die recbdiche Natur der Inhabeipapiere S. 73 ff.
i Die Geieueifonchrift benihl kdneiwegs allein, wie hlulig angenommen
wird, auf dem allerdingt wichtigen Princip der >Sclbitindi£kri(< eioei jeden
Wechielakti. Denn ein solcher Acceptant ist gar nicht iTrauat* -~ die
RllgeineiD Abgelehnte Konteqneoi würde ja andemlalls mit sich bringen , dan
jeder Nichttranat wirknun acceptiren , d. h. aoi «einem Accept rerpflicbUt
wttrde. Da* potitive Recht von den Wirkungen der V/echselltlscliaiig beruht
Oberwi^end auf den die Recbtilogik durchbrechenden Verkehninteressen und
erklSrt nch daiaos auch die DiT£rgeni der Gesetxgeboiigen (vgl. z. B. mein«
AbbandlnDgioderZeitKhr. r. Handelir. VIII S. 3i7ff. imd Grawein a. a. 0.
104 MUce11«ii rar Theorie der Werthpftpiere.
Höchst Singular sind endlich die Grundsätze über das
timitirte Accepl, in welchen die gegnerische Ansicht von
jeher eine Hauptstutze gefunden zu haben glaubt'. Zugegeben
wird von den Gegnern, dass die Haftung des Bezogenen aus
dem Theilaccept mit der Vertragstheorie vereinbar sei; ge-
leugnet, dass dessen Haftung aus dem anderweitig be-
schränkten und demnächst noch vor der Aushändigung
durchstrichenen Accept sich mit dieser vereinigen lasse.
Nun mag freilich richtig sein, dass wer 1000 will, auch
das Minus von 500 wolle ; dass dagegen wer 1000 zum
1. Februar in London will, nicht auch schlechthin 1000 zum
1. März oder in Petersburg oder nur unter Abrechnung einer
Gegenforderung (Acceptklausel : >an mich selbst zu zahlen*)
oder gar unter einer wahren Bedingung' wolle. Gleichwohl
S. 93). Anders *«rUeIte et lieh, wenn der (ZthluDgKaoftng* in der Tratte
blona •Motiv zur Ucbernahme der WechselTerbindlichkeit Seitens de* Be-
zogenem wir« ü°l'y. Archiv fOr Wechselrecht I! S, i8o) — d«nn wUrde
sich lyrai aichl ■□ der vollen Einseitigkeit des Acceptationsaktel iweifela lassen,
m&ute aber auch der Nichttrauat wirksam »acceptirenc ; es kann also anch
nicht, wie Giawein meint, der Art. 75 lediglich als iussente Konseqaaii
ans der lAbitrakthät der Wechselobligation < encheinen. FOr die VerpSich-
tang dem Remittenten eegenüber vettrilt anch ThSl (Wecbieh^ht g§ 170,
173) da* Gegentheil des Art. 75 der deutschen W.O. — den Mangel jedes
'Zahlungsauftrags' unterstellt er vohl nicht.
' Jollf, Kriüsche VierteljahrsichriR III S. 551; Kantie, Wediselrecht
S. 299 nnd sonst; Siegel, Das Vertprechen alt VerpfliehtUDgigrand S. 136 IT.
Grawein S. 121; Dernhurg, Preuss. Privatr. II § 257 (3. Auf). S. 74S
[5. Aufl. S. 791]); Stobbe, Deutsches Privatr. III § 171 Note »4 [Stobbe-
Lehmann III § 319 Note 38].
> Ist das wirklich bedingte Accept, z. B. »falls ich bis inm 1, Februar
Deckung erhalten habe*, 'falls meine Tochter heirathet«, überhaupt giltig?
Die Frage wird bejaht vom Obeitribanal lu Stuttgart (Seuffert'a Archiv XV
^''- 55)1 verneint u. a. vom Obersten Oesterreichischen Gerichtshof (Borchardt,
Deutsche W.O. S. Aufl. Zus. 105 c d. 334). Nach dem Wortlaut des Art, 31
Abs. 3 >»» unter gewissen Einschränkungen t und Art. Zl Abs, 3 »andere
Einschrfinknngent könnte man die Frage bejahen, und es ist auch zuzugeben,
dass sowohl in den Motiven des preussischen Entwurfs wie in den Verhaad-
tungen der Leipziger Konferenz nicht unterschieden, ja sogar auf andere •Be-
dinguDgen* als die Modiükatioa von Zahlungszeit oder Zahlungsort hingewiesen
worden ist, wenngleich immerhin betont wurde, dass es dch in der Hauptiache
nur um dergleichen Limitationen handle. Aber entgegen steht doch der Zn-
sammenhang des ganzen Gesetzes. Denn jede wahre Bedingung macht die
Vetfallieit des Wechsels zu einer nngewinen , gegen deo schlechthin durch-
greifenden Grundsatz, dass solche L'ngewissheit aasschliesslich in Form der
IV. WechsebccBpt und KioatioiuthMirie. 105
steckt schon in dem ersten Satze insofern eine Singutarität,
als der Wechselinhaber — gegen die Regel des bürgerlichen
Rechts — Theilaccept, wie Theilzahlung, nicht zurückweisen
darf, im Interesse der so theilweise befreiten Regresspflich-
tigen: W.O. Art. 22 Abs. 1, Art 25, 29 — Art. 38, 39
Abs. 2, Art. 50 Ziff. 1.
Noch augenscheinlicher ist die Singularität des zweiten
Satzes*. Der Wechseliohaber wird durch das beschränkte
Accept, welches nicht blosses Theilaccept ist, selbstverständlich
an dem vollen Regress mangels Annahme nicht verbindert:
W.O. Art. 22 Abs. 1, Art. 25; er darf also das limitirte
Accept so behandeln, als ob kein Accept erfolgt wsurt und
gleichwohl aus diesem limitirten Accept den Acceptanten nach
Maassgabe seines Accepts in Anspruch nehmen. Ein derartiges
limitirtes Accept gilt hiemach, auch wenn es undorchstrichen
an den Präsentanten abgegeben ist, nur insofern als wahres
Accept, als aus demselben der Acceptant haftet, nicht aber,
insofern es den doch nur für den Fall der Nichtannahme
statthaften Regress beschränkt. Mit anderen Worten: das
Gesetz gewährt dem Wechselinhaber ein auch durch un-
zweifelhaften Vertrag gar nicht zu gewährendes Recht: ein
Recht aus dem Accept, welches gegenüber anderen Wechsel-
interessenten als Nichtaccept behandelt wird. Der Zweck des
Gesetzes ist klar: um die Macht des Wechselgläubigers zu
verstärken and insoweit, als diesem Zwecke dient, wird das
Nichtaccept als Accept behandelt, somit — wie sonst — auch
das durchstrichene Nichtaccept als undurchstrichenes Accept.
Ja vom Standpunkte dieses Gesetzes aus lässt sich sogar
das Vorhandensein eines Acceptations vertrag es gar nicht
Siclitkla.n«el (der dobchen oda betrutelen) »tatthart ist. Du Wec)i*elacc«pt
aber kann nicht gUlig enthalten , was der primlre Wechielbrief (die Tratte)
nicht enthalten darf. Andeien&lU wtirda äa Accept auch gjltig dahin lauten;
I^ht looo Hark (wie bttseirt), sondem x Hektoliter Wdien, i Araberhengit
n. dgl. An dergleichen «Beschrlnkungena iit eben nicht gedacht worden.
Vgl. die S. 107 Anm. i ff, citirtea Protokolle.
> Anden Thfil, Wechielrccht § 85 I a. E. (4. Aufl. S. 197). Mit der
AntfUmmg im Text ichelnt wohl anch Kuntie m stimmen, wenn denelbe
Wecluelrechl S. 90 das limitirte Accept als ein (thnlweiM) gewUirtet Accept
hiniichtHch des Acceptanten selbst , als (theilweise) Terweigerte* Accept hin-
lichtlich des Regresspflichtigen bezuchnet.
Digil.ze.:,, Google
10g MUcellen lar Theori« der Weitlipapiei«.
bezweifeln : der Präsentant will, wenn nicht illimitirtes
Accept zu erlangen sein sollte, lieber ein limitirtes Accept als
gar keines, also eventualiter das erste, da dasselbe ihm nie-
mals schaden, sondern niu- nützen kann; es ist somit eventua-
liter ein solches begehrt, und dieser Antrag wird — wie
sonst — durch Ausfuhrung angenommen.
Dies wird bestätigt auch durch die gerade hier so auf-
fallende Divergenz der Gesetzgebungen und durch die Ent-
stehungsgeschichte des Art. 22.
Während zahlreiche, darunter gerade die einflussreicbsten
älteren deutschen Wechselordnungen ' , eine anders als durch
Theilaccept bewirkte Limitation als gar nicht geschrieben be-
handeln, somit das Accept als illimitirt ansehen — erklären
andere Wechselgesetze, darunter der Code de commerce Art. 124
(vgl. schon Ordonnance du commerce von 1673: »Les accep-
tations sous condition passeront pour refusc), ein derartiges
limitirtes Accept für ungiltig' — stellt endlich, mit anderen
alteren Wechselordnungen, das A.L.R. II, 8 §§ 1014—1017
sich konsequent auf den Boden der Vertragstheorie; der
Wechselinhaber braucht das so limitirte Accept nicht anzu-
nehmen; lässt er es sich aber gefallen, so verliert er den
Wechselregress gegen die Vormänner. Die geltende Deutsche
Wechselordnung adoptirt ein viertes System, welchem unter
den neuesten Gesetzen und Entwürfen nur wenige, wie das
schweizerische Obügationenrecht Art. 741 und das italienische
Handelsgesetzbuch (1882) Art. 266 (a. E.), sich angeschlossen
haben — während andere, welche sonst wesentlich auf der
Grundlage der Deutschen Wechselordnung stehen, dem franzö-
sischen System gefolgt sind: belgisches Wechselgesetz (1872)
Art. 15, und vcllig unzweideutig: skandinavische Wechsel-
ordnung (1880) Art. 22, Entwurf einer Wechselordnung für
■ Duo, komplicirt, N. engl. W.G. iSSi S. 19. 44.
> S. Tteitschke, Encrltlopidie I S. 105—107, anch Grawein, S. 154,
155; neuere Wechie1ee«etie bei WScbler, EnerklopSdie I S. 58 ff. Der
Wolltaal ÖDMlneT Geietze gibt kernen unzweifelhaften Sinn, doch «ild t, B.
du HoUindiiche H.G3. Art. I>o *Oe aceeptatie mag niet onder eene vooi-
«arde gedtian worden* im Sinne de* Code de commerce Art 124 ventaudes
— s. aber auch die EinKbrankungen bei Holtins, Voorleiingeu I bl. Slßff.;
dagegen Kist, Beginielen van handelsregt II (2. Auflage) b1. 151.
ügic
IV. Wechselaccept md Kreationstheorie. 107
das Russische Reich (1882) Art. 33 vgl. 37, 45. Die Be-
stimmung des Preussischen Laiidrechts ist Übrigens um so be-
merkenswerther , als dasselbe gleichzeitig das durchstrichene
Accept für wirksam erklärt. — In der Leipziger Wechsel-
konferenz wurde nun ursprünglich der § 24 des preussischen
Entwurfs, welcher Theilaccept und anderweitig limitirtes
Accept gleichmässig fUr verbindend erhört, dem Inhaber aber
in beiden Fällen den vollen Regress gegen die Vormäuier
gewährt (fünftes System), abgelehnt und mit erheblicher
Mehrheit beschlossen, nur das Theilaccept solle verbindlich,
somit auch für den acceptirten Betrag der Regress aus-
geschlossen sein, jede andere Limitirang des Accepts a!s nicht
geschrieben gelten'. In einer sinteren Sitzung wurde an-
erkannt, dass die Benennimg eines anderweitigen Zahlers
(sogen. >Domiciliaten<) am Zahlungsorte durch den accep-
tirenden Bezogenen eine statthafte Limitirung des Accepts
enthalte '. Eine nochmalige eingehende Berathung ' stellte
dann wieder die stärksten Meinungsverschiedenheiten heraus.
Es wurde, wie schon in der ersten Lesung, obwohl mit Modi-
fikationen, beantragt, jede Limitirung des Accepts, welche
nicht ausweislich gehörigen Protestes« vorgängig gestattet oder
nachti^glich koncedirt sei, für nicht geschrieben zu erklären
(Behn-AItona); von anderer Seite: dem Theilaccept eine
Limitirung hinsichtUch der Zahlongszeit gleichzustellen (Camp-
hausen — aber unter Widerspruch mehrerer kaufmännischer
Mitglieder); von dritter Seite: das limiürte Accept mit Aus-
nahme des Theilaccepts fUr ungtUtig zu erklären (Heisler-
Wien); von vierter Seite: das Theilaccept für wirksam, alle
anderwdtigen Limitirungen fUr nicht geschrieben zu erklären
(Einert)-, von fünfter Seite : Aufrechterbaltung der ursprüng-
lich gefassten Beschlüsse. Das Ergebniss der schliesslichen
> ProIo^oHe der X. and XI. Sitmng (Leipiiger Angabe S. 46—51.
Thöl'» Anigabe S. 50— SS)-
* Protokone der XVI. Siunng (Leipziger Ansgttbe S. S7. Theri Aiu-
gibe S. 93).
3 FrotoküUe der XXIX. Sitiim£ (Lcipuger Antgabe S. 196 — 3oo. Thöl'i
Aufgabe S. 209 — 313).
* Die Wichtigkeit derartiger Komtatirnng im Verhotmig Ton Kolloiionen
dnrcb nacbtrigüclie AcceptUmitinrng liegt auf der Hand. S. auch Gcawein
>. a. O. S. isoffi, 167.
izecoy Google
10g Miscdlen zur Theorie der Werthpapiere.
Abstdminung war die Wiederherstellung des preossischen Ent-
wurfs; ob nur um deswillen, weil kein anderes System Aus-
sicht auf Annahme hatte, oder aus maassgebenden Gründen,
erhellt nicht. Im Protokoll ist nur bemerkt, dass die preussi-
schen Al^eordneten *die Annahme des im § 24 des Entwürfe
aufgestellten Gnmdsat2e& im Allgemeinen, eventuell wenigstens
in Anwendung auf Bedingungen, welche die Verfallzeit be-
treffenc, befürworteten.
Diese merkwürdigen Schwankungen und eine grosse An-
zahl denkbare Lösungen vertretender Anträge zeigen deutlich,
wie wenig man sich auf dem Boden prinzipieller oder auch
nur schlechthin durchgreifender praktischer Erwägungen be-
wegt hat; die schliessliche Entscheidung erklärt sich am ehesten
vom kaufmännischen Standpunkte aus, insofern der Wechsel-
inhaber so den geringsten Nachtheil hat, dem limitirt Accep-
tirenden aber durch Festhalten an seiner Erklärung kein Un-
recht geschiebt.
Dies dürfte genügen, um jeden Schluss aus der Wirksam-
keit des limitirten (gleichviel ob undurchstrichenen oder durch-
strichenen) Accepts auf die Einseitigkeit des Acceptationsaktes
(Verpflichtung durch Kreation) zu beseitigen. —
II. Einen sehr entschiedenen Vertreter hat die »Kreations-
theorie c in Dernburg gefunden. Er leitet aus derselben ins-
besondere her, dass >die in dem Papier beurkundete Obligation
auch zur Geltung kommt, wenn die Papiere dem Aussteller
gestohlen wurden und in die Hand des bona fide Erwerbers
kommen«, und er meint, dass idie Praxis hieran nicht zweifeln
wirdc '. Dies, behauptet er, sei anerkannt vom Reichs-Ober-
handelsgericht Bd. XVII S. 150 ff. der Entscheidungen und
er leugnet, dass entgegenstehe die Entscheidung Bd. XIK
S. 33. Beides, wie mir scheint', ohne Grund.
Zunächst waren in dem ersten Falle die betreffenden
Inhaberpapiere (Hypothek-Obligationen) dem Aussteller nicht
gestohlen, sondern von dessen mit der Emission beauf-
tragten SachfUhrer widerrechtlich , nämlich nach erfolgtem
■ Lehrbuch dei prenaischen Privatrechu Bd. II § 13 (1. AaS. Note 14;
3. AuB. Not« 15 [S. Aal!. Note 16]).
• Dies i» bernn von mir herro^hoben Zeitschr. XXIII S. 307.
„Google
IV, Wecluelaceept nnd Kmtioiiitheorie. 109
Widerruf des Emissionsanftrages, begeben, um deren ErlOs im
eigenen Nutzen zu verwenden, also veruntreut. Ob nicht
in einem derartigen Falle, in wenigstens analoger Anwendong
des Grundsatzes »Hand muss Hand wahrenc auch auf der-
artige »Sachenc, der redliche Erwerber geschützt werden mtlsse,
mag hier dahingestellt bleiben". Jedenfalls stutzt der oberste
Gerichtshof seine entsprechende Entscheidung nicht darauf,
dass der Aassteller bereits durch die >Kreation( obligirt
gewesen sei; er verwirft weiter ausdrücklich die Haftung
ex culpa, deducirt vielmehr, dass der Natur der Sache nach
nothwendig den Aussteller von Inhaberpapieren die Gefahr
treffe, um welche es sich hier handle, und dass er schon durch
den Akt der Ausstellung diese Gefahr nicht nur hervor-
rufe, sondern auch zugleich übernehme. Er tinteistellt
somit entweder eine an die Aosstelltmg sich knüpfende ge-
setzliche oder (vielleicht beides?) eine mit derselben stilt-
schweigend übernommene Garantiepflicht, vielleicht noch ge-
nauer: SchadensausgleichungspfUcht. E>ie einzige* positive
Stütze des behaupteten Rechtssatzes bildet ein schon vielfach an-
gezogenes württembergisches Gesetz vom 16. September 1852
(jetzt Gesetz vom 18. August 1879 Art. 17, vgl. Art. 16),
nach welchem die Staatsschuldenkasse, welcher ein Schtdd-
schein verloren geht, der Klage des Inhabers nur den Ein-
wand entgegenstellen kann, dass er den Schuldschein in biteem
Glauben erworben hat; aber es ist zu konstatiren, dass auch
dieses Gesetz die vor jeder Begebung »verlorenen Schuld-
scheine* nicht, mindestens nicht ausdrücklich erwähnt, also in
soweit nichts Anderes feststellt als die Art. 307 D.H.G.B.'s
imd Art 74 0.W.O.
In dem zweiten Falle (Entsch. XXX S. 31 ff.) handelte
es sich eigentlich um einen angeblich gefälschten (d. i. die
echte Unterschrift des angeblichen Wechselausstellers nicht
tragenden) Wechsel; aus prozessualischen Gründen kam es
' In diesem ^ne itt wobl m venteheo die Bemerkung Brnnner'i in
Endem&an'i Htuidbncb II S. 167 Note 17: 'Bfne erentndl Tcrpfliehlende
Begebimg liegt vor, weim der Anuleller die Pmpien einem Dritten mit dem
Auftrage Übergab, ile (Hr seine Rechiiniig miteraubnngeD.i
' Du« fDr >in bluico indonirte Wechsel« ein denrliger Rechtasati nicht
beitefae, habe ich tdion io der Zeit«cbr. XXIII S. 367 bemerltl ; da» ihn du
Slchincbe Bürger]. Geutibach nicht »n&telll, i. Brunner a. a. O.
„Google
110 MUcellen iut Theorie der Wenhpapieie.
jedocb zu wirksamer Kootestation der Echtheit nicht, so dass
nimiaehr die Frage entstand, ob der (angebliche) Aussteller
aus diesem Wechsel dem darin benannten Remittenten (bezw.
dessen Konkursmasse) hafte. Das Reichs-Oberhandelsgericht
legte dem Nachkläger (angeblichen Aussteller) den alternativen
Beweis auf, idass er dem Helle (Remittenten) den Wechsel
nicht ausgehändigt, Helle vielmehr ohne Wissen und
Willen des Nachklägers den Besitz der Wechselurkunde
erlangt habe, oder: dass weder auf Seiten des Nachklägers
noch auf Seiten des Helle die Absicht obgewaltet habe, dass
Helle auf Grund der Wechselurkunde einen Wechselanspmcb
gegen den Nachkläger erheben solle.« Motivirt wird diese
Entscheidung folgendermaassen : >Eine Wechselobligation
kommt nämlich durch die Unterschrift des Wechsels allein
noch nicht zu Stande. Wenn der Nachkläger den Wechsel
zwar, wie derselbe vorUegt, ausstellte und unterschrieb, dann
aber in sein Pult legte, dem Helle weder selbst aushändigte
noch durch einen Andern aushändigen liess, so blieb die
Wechselurkunde ein Stück Papier ohne Werth und rechtliche
Bedeutung. Wenn Helle ohne oder gegen den Willen des
Nachklägers den Gewahrsam der Wechselurknnde, sei es durch
eine unerlaubte Handlung oder durch einen Zufall eriangte,
so erwarb er dadurch keinen Wechselanspruch an den Nach-
kläger. Ob im Falle weiterer Indossining des Wechsels ein
dritter Inhaber des Wechsels einen solchen Anspruch gegen
den Nachkläger hätte erlangen können, kann unerörtert bleiben,
da eine solche Indossirung nicht erfolgt ist. — Helle resp.
dessen Konkursmasse wtlrde bei solcher Sachlage einen An-
spruch nicht erheben können, ohne dass sie der begründete
Vorwurf des dolus träfe.« — Weiter wird ausgeftlhrt, die Be-
hauptung des Nachklägers sei erheblich, also zum Beweise zu
stellen, weil sie dahin gehe, »dass die Urkunde überhaupt
nicht dem Helle von dem Nachkläger oder mit dessen Wissen
thatsächlich ausgehändigt sei and dass bei einer solchen
etwaigen Aushändigung bei keinem der beiden Betheiligten
die Absicht der Begründung eines Wechselanspnichs ob-
gewaltet habe.« — Die Entscheidung stellt somit Alles auf
den Gegensatz von mit und ohne Willen und verneint, dass
der erste Nehmer aus einem ohne Willen des Ausstellers
erlangten Wechsel emen Wechselanspruch wider denselbea
-oslc
IV. Wecluducept nnd KicatioiittliEorie. Itl
habe — sie Temeint damit die »Kreationstbeoriec '. Dass
sie aasserdem noch den Gesichtspunkt des dolus anzieht
— vielleicht überflüssigerweise — ist gleichgültig. Die
Frage Über das Recht späterer ^gutgläubiger) Nehmer wird
weder bejaht, noch verneint, sondern ganz korrekt unerOrtert
gelassen. —
Dem entspricht die bisherige Judikatur des Reichs-
gerichts.
Das jüngste veröffentlichte Urtheil (III. Civilsenat, 27. Sep-
tember 1881 : Entsch. V S. 82 ff.) schliesst , unter ausdrück-
licher Berufung auf das vorstehend analysirte Urtheil des
Reichs-Oberhandelsgerichts, sich sogar hinsichtlich des Indossa-
ments der Theorie von dem >im Geben und Nehmen des
Wechsels beruhenden Wechselvertragcf an. Von einem »Be-
gebungsvertrage in Form des Blanko-Giroc spricht ein Urtheil
des V. Civilsenats vom 2. März 1881 (Entsch. IV S. 255). In
dem Urtheil des I. Hilfesenats vom 1. Oktober 1880 (Ent-
scheidungen n 5. 90) heisst es: >Der Wechselanspnich selbst
wird erst durch die Wechselobligation erzeugt, und diese ent-
steht , wenn ein Wechsel (hier im Gegensatz zum Wechsel-
hlankett) gegeben und genommen wird,c es wird betont: »das
Geben und Nehmen des Wechsels«. Ein Urtheil des I. Civil-
senats vom 16. Oktober 1880 (Entsch. II S. 97) fasst die kon-
stituirenden Elemente der Wechselverpflichtung dahin zu-
sammen: leines in Umlauf gesetzten sich äusserlich als
unverdächtig darstellenden, die echte Unterschrift des urkund-
lich verpflichtet Erscheinenden tragenden, an sich durch seine
Form verbindenden Geldsummen Versprechens.«
■ Denn ftlr die«« gut, wu Dernburg lelbM II g 157 (3. Aufl. [eben-
doTt 5. AulLJ) koniequent iiufulirt, dEss Dicht lUem der ladosMtBr (wie
man nacb § iz Note 15 [j. Aufl. Note 16] icbUessen «Urde, wo geragt
wird, das Reichs- OberhaDdelsgericfat Tcrneiae >mit Recht« die Frage, ob
der Wechsel *eTpflichte, wenn der in demselben genannte Remittent ihn
ohne den Willen des Ausstellers durch eine unerlsubte Handlung oder durch
Zufall erhielt), sondern auch der Remittent >Wechselg1iabEger< wird,
>wenn er ohne den Willen des Ausstellen in den Besitt des Wechsels ge-
luig;le, der ihn Sosserlich legitimiit, t. B. der Aussteller wollte den Wechsel
mir nach Empfang der Valuta begeben , ein Unberufener hindigt ihn aus
Versehen Torher ausi. E^ ist somit klar, dass das Reichs-Oberhandelsgericht
die >KreatioDstheorie* in der tod Dernbarg selbst au^estellten Formu-
linmg rerwirfL
„Google
112 MUcdlen rar Theorie der Werthptpiere.
Eine eigenthUmliche Frage lag in dem vom V. Civil-
senat, Urtheil vom 19. Juni 1880 (Eotsch. II S. 6 ff.) ent-
schiedenen Falle vor. Soll ein schenkungsweise ausgestellter
und ausgehändigter eigener Wechsel als »Ubergebene Sache«
im Sinne von A.L.R. I, 11 § 1065 gelten, so dass es zur
Verbindlichkeit der Schenkung des gerichtlichen Abschlusses
nicht bedarf? Diese Frage wurde bejaht, in der Anshändi-
gang eines solchen Wechsels somit nicht die blofee schenkungs-
weise BegrUndimg einer Forderung gegen den donator
(Wechselaussteller) , nicht ein bloCses SchenkungsversprecbeD,
sondern die ErfUlltmg eines soldieo gefunden. Die Bejahung
erscheint auch für den allerdings zweifelhaften Fall des eigenen,
vom donator selbst ausgestellten Wechsels zutreffend, weil die
so begründete abstrakte Wecbselfordenmg nicht eine Forde-
nmg aus einem blossen Schenkungsversprechen ist, vielmehr
das letztere eben durch Aushändigung des die Wechselforderung
begründenden Wechselbriefs bereits erfüllt ist : es wird nicht
aus dem Schenknsgsversprechen , sondern aus dem Wecl^el
geklagt. DazQ tritt, anter der regelmässigen Voraussetzung,
dass der Wechsel indossabel ist, also eine entgegenstehende
Klauset (Rektaklausel : micht an Ordere u. dgl.) nicht enthält,
dass in der Hand des dritten Nehmers die Berufung auf die
causa donationis schlechthin wegfällt, der Beschenkte somit
stets in der Lage ist, durch Veräusserung des Wechsels den
Werth der Forderung ohne eine ErfUlIungsktage wider den
donator zu realisiren. Das somit in der Sache vollkommen
zutreffende Urtheil ist auf folgenden Grund gestützt: >Dass
ein so qualifizirtes, selbstständiges, von dem Begebungsgrande
losgelöstes, daher nicht den letzteren beurkundendes, seine
Wirksamkeit — insbesondere bei Blanko-Signaturen — in den
Besitz verlegendes und daher gleichsam schon einen gewissen
ökonomischen Werth in sich tragendes Wechselpapier, als eine
bewegliche kCrperliche Sache, animo donandi dem Nehmer
übergeben and somit als Erfüllung eines Schenkungsver-
sprechens — des Vorvertrages — dienen bann, unterliegt am
so weniger einem berechtigten Zweifel, als sonst ein Wechsel
durch Ausstellung niemals zu Zwecken der Liberalität ver-
wendet werden kOnnte, hierzu vielmehr nur eine Begebung in
Form eines Indossaments — nach Schaffung der Wechsel-
ation — geeignet wäre. Und doch dient die Aus-
oogic
IV. Wechielaccept und Kreationstheorie. 113
Stellung des Wechsels im Verkehre auch freigebigen Geld-
operationen.«
Diesen, mit der obigeo Betrachtung wesentlich Uber-
einstinmiendea Grtlnden geht nun motivirend, nämlich zu
näherer Charakteristik eines derartigen Wechsels, folgender
Satz voraus:
»Ein Wechsel, in der Regel auf Grund eines Vorver-
trages — pactum de cambiando — von dem Geber ausgestellt,
begründet in der Hand des Ausstellers, also vor seiner Aus-
händigung an den Nehmer, zwar noch keine Wechsel-
obligation, noch kein wechselmässiges Forderungs-
recht; allein er stellt in seiner objektiven realen Aeusserlich-
keit mit dem Akte der Kreation — und somit noch vor
der Aushändigung an den Nehmer — eine »bewegliche körper-
liche Sachet dar, welche an sich und nach dem Willen der
Wechselinteressenten (welcher? — es gibt ja zur Zeit nur
einen Kreator) geeignet ist, Gegenstand eines Rechtsverhält-
nisses zu sein, und welche durch die Thatsache der Aus-
händigung — und selbst durch die Cirkulation ohne
den Transportwillen des Ausstellers — auf Grund
ihrer formalen und abstrakten Rechtsnatur wechselmässige An-
sprüche zu begründen geeignet ist.«
Es scheint so unterstellt zu werden, dass, was regelmässig
unmöghch ist, nämlich die Entstehung einer Wechselobli-
gation ohne Aushändigung des Wechselbriefs, doch
unter Umständen mOglich sei, und zwar auf Grund der eigen-
thümlichen »Rechtsnaturc dieser Urkunde, welche schon durch
die »Kreationc zur Sache werde. Wie das zu denken und
unter welchen Umständen »die Cirkulation ohne den Transport-
willen des Ausstellers* diese Wirkungen herbeiführe, bleibt
unerörtert. Mindestens wird in derartiger beiläufiger, die Ent-
scheidung gar nicht tragender, sicher nicht bedingender Moti-
virung schwerlich' eine Anerkennung der »Kreationstheorie*
auch nur in einem Urtheil des obersten Gerichtshofs ge-
> Knntze, in seinem GntachCcD, VerhKndInngen des XVI. Jnrixtentages
Bd. I S. 131 fuhrt, ohne BerttckiichtiKimg der voistehecd initgethdlteD Ent-
icheidimgen and des inneren Znsunmenhui^es anch des zuletzt analynrten
Uitheib, tmter Berufung auf dieses das Reichsgericht als AnhJCnger der von
üun als •Redlichkciutheorie* bezeichneten, praktisch mit der >KreationsÜieorie<
CTuammenfallenden Anticbt anf.
Goldichmjdl, Vantiubt« Scluiften. II, 8
Digitizecy Google
1 14 Miicellen tnr Theorie d«r WertlipipieTe.
hioden werden dürfen, zumal deren Gegner sich mit gleich
gutem Grunde auf dasselbe berufen könnten. —
in. Die nothwendige und äusserste Konsequenz der
»Kreationstheoriec ist die Haftung des iKreatorc (des Aus-
stellers) auch aas dem ohne oder wider seinen Willen aus
seiner Hand gekommenen, somit insbesondere aus dem ge-
stohlenen, geraubten, verlorenen, durch den Wind verwehten
u. dgl. äusserlich fertig hergestellten Papier. Wer diesen Satz
nicht will — genauer, da es sich nicht um zukünftiges, son-
dern um geltendes Recht handelt, wer die Existenz eines der-
artigen Rechtssatzes in unserem bestehenden Recht in Abrede
stellt, muss die »Kreationstheorie« verwerfen. Wer den Satz
will oder doch als bestehend anerkennt, kann ihn auf andere '
Gründe stutzen als auf die Verbindlichkeit der iKreatione,
d. h. des blossen, wenn auch vielleicht in der Absicht
späterer Begebung erfolgenden Niederschreibens: eines an
sich rein thatsächlichen " Aktes. Etwa; auf (wirkliches oder
fingirtes) Verschulden^ des Ausstellers; auf die »bona fides
des Verkehrs* • ; auf eine (stillschweigende) Gefahrsübemahme >
oder Garantieübemahme des Ausstellers*; auf einen, gleich-
viel ob und wie innerlich zu begründenden positiven' Rechts-
< Nur anf di« KTCAtionstheorie iratzt ihn Kantze in leinem Gutachten
(VerhandL des XVI. Jnr!»t«ntag« Bd. I S. 131 ff.).
* S. auch S. Schnitze, Kritische Viertdjahntchrift XVIII S. 246;
BruDQer in der ZdUchr. XXII S. Sioff. und in Endemann's Handbach
II S. 149, i64ff.
> Dagegien : du Reicbs-Oberhandeligericht 5. oben S. ioS; meine Au«-
ftthnrng in dei Zeitzchr. f. Handeltr. XXIII S. 306; F. Mommzen, Erörte-
mogen >us dem Obligatianenrecht Heft 3 S. Ilz; Leonhard in der Zälschr.
f. HandeUr. XXVI S. 296; Brunner in Endemann's Handbuch II S. 167.
* DagcE^ meine Ansftahrung in der Zeitscht. f. HandEltr. XXIII S. 3061
Brunner a, a. O. S. 167.
5 S. auch Windscheid, Arch. f. civU. Pnudt LXIII S. 8a.
^ So G. Binding, Zeitichr. X S. 419 und anzcheinend dai Reichs-
Oberbandeligericht, Entsch. XVII S. 149 (oben S. 108), Dag^eo
Th«I, Handelsrecht I g 224 Note 8; Stobbe, Deuttches Privatr. in S. 109
Note 12 a. E. [Stobbe-Lehmann § 219 IV].
' So ThOl, Handelsrecht l % 214 Note 8 für da« Inhaberpa{ner. Er
findet ro dem Urtheil des Reichi-Oberhandelsgeiichts die Anerkennung eines
aUg^neinen Geirohnheitsrechts. Das hat noch Niemand la behaupten gewagt.
Jedenfalls würde dieses > Gewohnheitsrecht r zieh nicht über den allein ent-
IV. Wecb$«bccept und Kreaäonstheorie. 115
satz von wiederum denkbarerweise verschiedenem Inhalt: es
solle aus dem Papier gehaftet werden — oder es solle der
durch das Nehmen eines den Aussteller nicht obligirenden
Papiers entstehende Schaden ersetzt werden u. s. f. Aber
man muss wissen , auf welchen Rechtsgrund die Haftung ge-
stützt werden soll, weil, je nachdem, ganz verschiedene Rechts-
folgen eintreten und ganz verschiedene Rechtsfolgenmgen zu
ziehen sind. Die Art ist rein zu halten. Wer die Verbind-
lichkeit auf >Kreation< stützt, braucht nicht anzuerkennen, dass
auch aus dem unerkennbar gefälschten Papier der angebliche
Aussteller obligirt wird, denn ein solches hat derselbe nicht
»geschriebene — darauf legt vielleicht der Kaufmann Gewicht,
welcher seine »Handschrift« nicht anzweifeln lassen mag, wenn-
gleich in einigermaassen heiklen Fällen er sich schwerlich nach
den Anforderungen der »Kreationstheorie < gebunden halten
dürfte. (Man denke: Die Verwaltung einer Aktiengesellschaft
hat Werthpapiere zur Ausgabe fertig gestellt ein richter-
liches Urtheil, etwa auf Einspruch von Aktionären erlassen,
inhibirt die Ausgabe — nun werden einzelne Stücke gestohlen.
Der rechtlich verbindenden künstlich hergestellten »ünter-
schnft<, z. B. gedruckten, hthographirten, gestempelten, legt
der >Kaufmann< nicht gleiches Gewicht bei wie der eigenen
iHandschrifti.) Wer dagegen die Haftung auf angebliches
Verschulden, noch mehr, wer solche auf eine Gefahrs- oder
Garantie-Uebemahme stützt, wird mindestens dann, wenn die
Unterschrift echt und nur der Inhalt verfälscht ist, desgleichen,
wenn das Papier amortisirt ist, die Haftung des Ausstellers
dem redlichen Nehmer gegenüber nicht ablehnen können ; wer
gar lediglich die »bona fides des Verkehrst ins Feld führt,
muss konsequent sogar dem redlichen und vorsichtigen Neluner
des falschen Papiers Rechtsschutz gewähren, wie das denn
auch tfaatsächlich im Verkehr, insbesondere seitens der Banken,
der Staatsschuldenverwaltungen u. dgl., um den nur auf dem
Vertrauen des Publikums beruhenden Umlauf ihrer Papiere
nicht zu gefährden, mitunter geschieht. Dass ich also, bei
tchiedenen Fall hinaus eratreckeni eines beha& »pSterer Beeebuog einem
DiiKea onvertnuten und van dieiem wideirechllich emittirteD P>pien. S, auch
oben S. loS. Oder in rMan« bei Th. nicht Thöl selbit? — S. Zeitschr. f.
Handelir. XXVm S. 446 unten.
■oogle
Wß Miscellen int Theorie da Weithpapiere.
Unterstellung, dass nicht ex scriptura, sondern aus Verschulden
oder dgl. gehaftet werde, in der Gleichstellung von gestohle-
nen und von gefälschten Papieren »den springenden Punkt,
worauf es hier ankommt, nicht erkanntf haben soll ', ist doch
schwerlich gegründet. Nach Dernburg soll die ibona fides
des Verkehrs« mit sich bringen, dass der}enige, welcher durch
sein Verhalten die Schuld daran ti^gt, dass ein Dritter in
mangelhafter Weise erwirbt, den Erwerb nicht anfechten
könne, und dies sei sicher der Fall, wenn Jemand Inhaber-
papiere ausstellte und sie nicht begab, aber auch nicht ge-
eignete Vorkehrungen traf, dass sie ohne seinen Willen nicht
in Verkehr gebracht werden konnten; dagegen sei es isonnen-
klar< , dass Niemand durch gefälschte Papiere verpflichtet
werde, die ihm die Eigenschaft als Schuldner aufbürden; hier
sei eher dem bona fide Erwerber, als demjenigen, dessen Unter-
schrift gefälscht sei, ein Vorwurf zu machen. Mir scheint,
dass auf so höchst verschiedenartig nüancirte, rein tfaatsäch-
liche Verhältnisse sich nicht Rechtsprinzipien gründen lassen:
die Vorkehrungen gegen Entwendung, Raub u. dgl. können
sehr geeignete und gleichwohl durch »höhere Gewaltc das
Papier in Umlauf gekommen sein — umgekehrt können die
möglichen, ja üblichen Vorkehrungen gegen Fälschung oder
Verfälschung unterlassen sein. Liegt die Gefahr der Ver-
fälschung nicht, wie die tägliche Erfahrung zeigt, sogar naher
als die Gefahr der Entwendung des noch unbegebenen Papiers
aus dem eisernen Geldschrank oder dem Gewölbe?
Aus der wirklichen, angeblich im Rechtsbewusstsein der
Gegenwart wurzelnden, jedenfalls nicht aus dem igerma- '
nischen Recht« stammenden »einseitigen Kreationc folgert
Dernburg:
1) Die Haftung aus dem vor der Ausgabe gestohlenen ,
Papier. Dies ist soeben erörtert. I
2) »Ein von A ausgefertigtes Inhaberpapier ist gültig,
auch wenn es erst von seinem Erben B ausgegebai ist und
dies der Nehmer weiss.« i
Die Konsequenz ist anleugbar, und es werden so nicht |
allein der Emittent B, sondern auch dessen unbetheiligte Mit-
' So Dernburg, Preuss. Privatr. II § la (a. Aufl. Note 14, 3. Anfl. |
Nole 15 [5. Aufl. Noie 16]). 1
...ecoy Google
IV. Wechidtccept and Krealionitheorie. X17
erben C, D, E, desgleichen, wenn über den Nachlass des A
der Konkurs ausgebrochen ist, die übrigen Glaubiger diesen
Passivzuwacbs des Nachlasses bei dem todten A zu beklagen
haben, weil dieser durch die Skriptur, welche unter gewissen
nie eingetretenen Voraussetzungen ausgegeben werden sollte,
sich bereits — vielleicht 10 Jahre vor seinem Tode (denn
es ist, nach Dernburg, das Datum der Niederschrift schlecht-
hin entscheidend) — ibindend obligirt hat*. Das soll sogar
dem wissenden Nehmer gegenüber gelten. Werden denn
im Verkehr Unterschriften von Todten als gleicbgeltend mit
Unterschriften Lebender genommen?
3) »Das Recht des späteren Erwerbers besteht auch dann,
wenn der erste Nehmer erwerbsunfähig, z. B. ein Kind war.*
Der Satz ist zuzugeben. Er spräche sicher dann nicht
gegen die Vertragstheorie, wenn — was freilich weder
Dernburg noch ich annehmen — jeder ilnhaberi der
Gläubiger aus dem Libaberpapier wäre; denn ein blosser
detentor kann auch ein Kind sein. Er steht aber, auch bei
der richtigeren entgegengesetzten Annahme, der Vertrags-
theorie nicht entgegen, weil, wie ich schon früher bemerkt
habe ', der spätere Erwerber sein Recht nicht von dem ersten
Nehmer herleitet. Ich habe dabei den freilich nicht ganz
präcisen Ausdruck gebraucht: »Der Wille zu kontrahiren
ist ja Jedem gegenüber erklärt, welcher Eigenthümer (gemäss
H.G.B. Art. 307) des Papiers wird« — statt »zu kontrahiren«
sollte und wollte gesagt sein, »sich zu obligiren* '. Der Ver-
trag, welchen allerdings der Ausgeber des Papiers mit dem
ersten Nehmer abschliesst, enthält ein gleichzeitig zu Gunsten
aller späteren successiven Papiereigenthümer abgegebenes ein-
seitiges, der Acceptation gar nicht bedürftiges und gleichwohl
nach Gewohnheitsrecht schlechthin bindendes Versprechen des
' Zdtschr. f. Handelsr. XXIII S. 307.
■ So erklirt sich wohl die AimaluDeDerDbaTg's a.&.0. (2. Aufl. Note tj,
3. Ana. Note l6 [;. Aufl. Note iS]), dasi ich eincD >Vertnig* da Ausstellen mit
jedem spiteren Nehmer, also Ata berachtigten und allerdings undenklurRD Ver-
tisg cum iucerta persona unterstelle. (Zu den AnllSngem einer «Variationc des
tnebdiiaflen contraclus cum incecta persona* lihlt mich ohne Grund Kuntie
in dem Gutachten: VerhandL des XVL Juristentags Bd. I S. 13a.) An« der
Darstellung im Text ergibt sich zugleich, worin sich mcioe AolTassung Ton der
•Konstruktion der Vertrige mit unbestimmten Glfiubigemt bei Dernburg 11
% IS' vgL Obrigeus §§ 18, 19 [5. Aufl. ebendort], unterschrideL
::,y Google
118 Miicellen lur Theorie der Wetthpapiere.
Ausstellers': er ist ein Vertrag nicht mit unbe-
stimmten Dritten, sondera mit einer bestlniinten
Person zu Ounsten dieser Pereon und eines weiteren
noch unbestimmten Personenkrelses, der Art, dass
jede diesem Kreise angehörtge Person ein selbst-
ständiges, nicht von einem der früheren Nehmer
abgeleitetes Recht gegen den Aussteller des
Papiers erlangt. Es handelt sich so um Begründung
successiver Rechte.
Hier darf nun allerdings die Frage aufgeworfen werden,
ob die Gültigkeit des Vertrages zugleich die Gültigkeit des
zu Gunsten der späteren Nehmer vermittelst eben dieses Ver-
trages abgegebenen einseitig bindenden Versprechens
bedingt.
Es ist zu unterscheiden:
Liegt die Ungültigkeit des Vertrages in der Verpflich-
tungsunfähigkeit des Ausstellers oder in einem sonstigen jeden
Verpflichtungs willen desselben ausschliessenden Umstände,
so kann auch ein künftiger, wenngleich redlicher Nehmer des
Papiers keinerlei Rechte erwerben — der Unterschied von der
»Kreationstheorie« tritt hier in aller Schärfe hervor: denn
nach dieser ist aus dem in verpflichtongsfähigem Zustande
niedergeschriebenen Papier der (redliche) Erwerber auch
' Diesen Gesichtspunkt habe ich bereits , unter auidrUckUcher Bezug-
nahme auf daslIüEtitut der Inhaber- und der Orderpapiere, und iwat als sogar
mit den Priniipien des rfimischen Rechts vertriglich, geltend gemacht in dem
Unheil des Reichi-OberhandelsgerichtE vom 3t. April 1874, den
bekannten 'Leipsiger TheaterproieKs« betreffend (Entscheidungen Bd. XU S. 359
bis 361). Beigetieten ist das ohne meine Betheiligung ergangene, die gleichen
Geüchtspunktenoch weiter begründende Urt heil des Reichi-Oberhindals-
gerichts Tom S. Februar 1S73 (Entscb. Bd. XXIII S. 365—367). Vgl. anch
Gareia, Z. XXI S. 357fr., 37» ff.; Sohm, Z. XVII. So auch Stobbe,
Dentsches Frivatr. Ill S. 109 [vgl. S tobbe-Lehmann III S. 483], obwohl er
im Uebrigen (S. to6S.) nicht Vertrag verlangt, sondern 'Auafertigimg und
Emi*don< genügen liUat — übrigen« bt Slobbe's anichemende •Dereliktion*
nicht wahre DerelikdoD, sondern traditio in incerlam pertonam, eine praktische
Differenz von der •Vertrsgstheorie' also schwerlich vorhanden. Verwandt, aber
doch in dem be«onder« nicbtigei) Punkte der >Sdbctsll(ndigkeiti des Fordemngs-
rechts abweichend — es soll aar den spiteren Erwerber idie dem froheren
GlSnbiger zustehende Forderung Übergehen': Btunner in der Zeitschrift f.
Handelsr. XXII S. «off. und in Endemann't Handbuch 11 S. iCoff., vgl.
S. 164, i63fr. S. auch oben Seite 78 Note i, S. S5 Note I.
::,y Google
IV. Wech*elaccept und Kreationitheorie. 119
dann berechtigt, wenn der wahnsinnig gewordene Aussteller
oder dessen unmündiges Kind es auf die Strasse geworfen,
oder wenn ein Erbe des verstorbenen Ausstellers es nach
dessen Tode weggegeben hat (s. oben).
Liegt dagegen die Ungültigkeit des Vertrages lediglich
ia mangelnder Erwerbsfähigkeit des Vertragsgegners (Kind,
Wahnsinniger etc.), so realisirt sich zwar der Verpflichtungs-
wille des Ausstellers nicht zu Gunsten des Vertragsgegners,
aber zu Gunsten aller späteren redlichen Papiererwerber. Der
Vertrag mit dem ersten Nehmer ist nicht das konstitutive Ele-
ment der durch die erste Begebung des Papiers ein für allemal
als rechthch möglich und eventuell gewollt begründeten
successiven Obliginmgen, sondern ein juristisches Mittel zur
Herbeiführung dieses Erfolges; der erste Nehmer ist hinsicht-
lich des Erwerbes der späteren eine blosse Mittelsperson, ein
Werkzeug: ministerium tantiunmodo hoc casu praestare vide-
tur: 1. 15 D. de const. pec. (13, 5), dessen juristische Quali-
fikation, insbesondere eigene Erwerbsfähigkeit, in dieser Hin-
sicht somit völlig unerheblich. So gut der »Bote*, welcher
ja auch keineswegs nur ifaktiscbe* Dienste leistet', ein Kind
oder Geisteskranker sein kann ', so kann auch hier durch Ver-
mittlung des seinerseits erwerbsunfähigen ersten Nehmers ein
Erwerb der weiteren Nehmer begründet werden. Die Ver-
mittlung selbst aber wird dadurch keineswegs entbehrlich.
Würde man sogar den ersten Nehmer für noch weniger als
einen Boten — als einen blossen »Briefträgerc s — ansehen,
so würde doch sicher ein nicht einmal dem »Briefträger« ge-
gebener, sondern dem Schreiber gestohlener oder verlorener»
ja auch nur von dem Dienstboten wider den Willen des Brief-
stellers in den Briefkasten geworfener Brief nicht geeignet
sein, den Briefsteller gegen den Adressaten in Gemässheit der
in dem Briefe enthaltenen Zusage zu verpflichten — ob etwa
' Zimmermsnii , Die stellTertreteDde negotiomiii gestio S. 3i.
* Ihering üt denen Jahrbnchem I S. 3S9; ZimmermanD a. a. O.
S. 18 ; Thei , Hudelirecht I § 75 Note 3. Daher ncMig TbOl , § an >. E.,
ungeachtet er sogar eine Kette von VertrSgen cwischen dem AnuteÜer und
den IndoautatCD annimmt, den Zwiachenitidosanten fHi diese mit den sidteren
IndoBataren geschlouenen >VerIrIge< dei Ausstellers als >blotse« Instnunent,
Bote, Briefi eiklln.
) Zimmermann a. a. O. S. 10.
itizecy Google
120 Miscellen iut Theorie der Werlfapapiere.
aus anderen Gründen und in welchem Umfange, darf hier un-
erörtert bleiben. —
Die »Praktikabilität« der »Kreationstheoriei, auf welche
Kuntze und dessen Anhänger entscheidendes Gewicht legen,
habe ich nie in Abrede gestellt. Es lassen sich mit derselben
leichter, d. h. ohne schwierige Konstruktionen, gewisse un-
zweifelhaft feststehende Rechtssätze gewinnen bezw. erklären.
Aber die blosse Leichtigkeit der Konstruktion entscheidet nicht
über deren Richtigkeit, und sie ist abzulehnen, sofern sie zu
unzweifelhaft unrichtigen oder doch unserem bestehenden Recht
fremden Rechtssätzen führt.
Es ist mir nicht bekannt, dass unter den zahlreichen
neueren Wechsel- und Handelsgesetzen ein einziges die Krea-
tionstheorie oder deren Konsequenzen adoptirt hätte. Da-
gegen erkennt die neueste legislative Arbeit, der Entwurf
einer Wechselordnung für das Russische Reich (1882), welche
unter sorgfältiger Berücksichtigung der neuesten Gesetze ver-
fasst ist, mit ausdrücklichen Worten für den Wechsel die Ver-
tragstheorie an: § 1 = deutsche W.O. Art. 1; § 15: >Der
Wechsel erlangt Wechselkraft, sobald der Aussteller denselben
an den Remittenten begeben hat« ; § 16: »Kraft der Begebung
ist der Aussteller eines eigenen Wechsels verpflichtet, die
Zahlung zur Verfallzeit zu leisten, und haftet der Aussteller
eines trassirten Wechsels für dessen Annahme und Zahlung.c
Dem ungeachtet und ganz korrekt (s. oben S. 97 Note 4)
heisst es § 34: iDie Annahme gilt als erfolgt, sobald das
Accept auf den Wechsel gezeichnet ist. Das einmal gezeich-
nete Accept kann von dem Bezogenen nicht eigenmächtig
durchstrichen oder auf eine andere Weise widerrufen oder ver-
ändert werden, auch wenn der Wechsel sich noch in den
Händen des Bezogenen befindet.« Das neue engl. W.G. hält,
wie schon das ältere, strenge an der Vertragstheorie fest (accep-
tum und indossament) : s. o. 5. 97 Note 4.
V. Der Ladesohein.
I. Diejenigen »Waarenpapieres ', an deren Umlauf sich
dingliche Wirkungen hinsichtlich der in denselben bezeich-
' Mein Handbuch des Handelsreclits § 69.
Dij.i«,,, Google
V. Der LKdcKhein. 121
netea Waaren knüpfen können, und mit deren genauerer
Analyse ich mich früher befasst habe ' , werden in neneren
Gesetzen als eine eigenthümliche Gruppe zusammengefasst.
Aber die mehr beschreibende als definirende Bezeichnung weist
deutlich darauf hin, dass die Gesetzgeber sich entweder über
den Kreis dieser Papiere nicht völlig klar waren, oder — viel-
leicht trifft auch Beides zu — dass äe es für bedenklich er-
achteten, die noch im Russe befindliche Entwickltmg des Ver-
kehrsrechts durch eine dogmatische Formel einzudämmen.
Immerhin lässt sich nicht verkennen, dass die energische
Arbeit der jüngeren Rechtstheorie auf die gesetzlichen Formu-
lirungen einen förderlichen Einfluss geübt hat.
Das deutsche Handelsgesetzbuch nennt einfach neben
einander :
>Konnossemente, Ladescheine oder Lagerscbeinec
und zwar in bestimmter rechtlicher Beziehung, nämlich als
VerfUgungsmittel über Sachen, welche Jemand nicht in seinem
iGewahrsam« hat:
H.G.B. Art. 313, 374, vgl. Art. 382.
Eben diese Waarenpapiere nennt H.G.B. Art. 302 als
eine besondere Klasse der indossabeln Papiere, jedoch neben
den hinsichtlich der Amortisation (H.G.B. Art. 305 S. 3) gleich-
behandelten an Order lautenden Bödmereibriefen und See-
assekuranzpolicen.
Dingliche Wirkungen werden allgemein ausdrücklich nur
für Orderkonnossemente statuirt:
H.G.B. Art. 649,
nur für diese und die nachgebildeten Ladescheine wird die
eigenthümliche rechtliche Natur der an das Waarenpapier ge-
bundenen Obligation näher bestimmt:
H.G.B. Art. 652 ff., 415—418.
Dagegen stellen die neuesten Gesetze eine allgemeine
Kategorie der oben bezeichneten Waarenpapiere auf:
Reichsgesetz, betr. die Einführung der Konkursord-
nung vom 10. Februar 1877, § 14 Abs. 2:
>Das Absonderungsrecht besteht ohne Uebergabe der
Sache, sofern:
1. nach den Reichsgesetzen oder den Landesgesetzen die
' Mein Handbuch §§ 70 ff.
Digitizecy Google
1 22 Miscellen tnr Hieorfe d«r Werthpkpiere.
Uebergabe von Konnossementen und ähn-
lichen Papieren über Waaren oder andere be-
wegliche Sachen der Uebergabe derselben — gleich-
steht.»
Preassisches Ausführungsgesetz zur Konkursordnung
vom 6. März 1879 § 5:
»Im Geltungsbereich des gemeinen' Rechts steht bei
Verpfändung von aufgespeicherten oder niedergelegten
Waaren, Fabrikaten, Boden- oder Bergwerkserzeugnissen,
sowie auf dem Transport befindlichen Gütern die Ueber-
gabe des auf den Gläubiger Übertragenen Konnosse-
ments, Ladescheins, Lagerscheins oder ähn-
lichen Papiers der Uebergabe der Sache gleich, sofern
der Gläubiger mittelst des Papiers in der Lage ist , über
den Gegenstand der Verpfändung zu verfügen,*
Uebereinstimmend lauten die Gesetze bezw. Verordnungen
zur Ausführung der deutschen Konkursordnung von: Mecklen-
burg-Schwerin, Verordn. vom 26. Mai 1879 § 4. — Mecklen-
burg-Strelitz , Verordn. vom 26. Mai 1879 § 4. — Anhalt,
Gesetz vom 10. Mai 1879 § 5. — Sachsen-Altenburg, Gesetz
vom 26. März 1879 § 2. — Sachsen-Koburg-Gotha , Gesetz
vom 7. April 1879 § 2. — Sachsen-Meiningen, Gesetz vom
20. Juni 1879 § 2. — Reuss a. L., Gesetz vom 5. Mai 187»
§ 17. — Reuss j. L., Gesetz vom 22. Februar 1879 § 4. —
Schwarzburg-Rudolstadt, Gesetz vom 1. Mai 1879 § 20. —
Schwarzburg-Sondershausen, Gesetz vom 20. Mai 1879 § 2. —
Lippe, Gesetz vom 26. Juni 1879 § 5. — Schaumburg-Lippe^
Gesetz vom 30. Juni 1879 § 93.
Das hamburgische Gesetz vom 25. Juli 1879, betr. Aus-
fahrung der Konkursordnung enthält § 3 die noch weiter-
gehende Vorschrift:
»Durch Verpfändung von Forderungen und anderen
Vermögensrechten wird ein Faustpfandrecht im Sinne des
§ 40 der Konkursordnung begründet :
2. in dem Falle, dass über die Forderung oder das Ver-
mögensrecht eine Urkunde ausgestellt ist, welche auf
■ Für du Gebiet det preussische» Rechti erUhrift solche Vorschrift nach
A.L.R. I 3o §§ 329 fr. verb, mit den eigenlhflinlichen GrundsXtien über die
Waarenuiwritnne; A.L.R. 1 7 §§ 66 ff., Preass. Einr.Ge«. lum H.G.B. An. 37.
S. mein Handbuch g§ 7Ö, 84.
itizecy Google
V. Der LkdMcludii. 123
lohaber lautet oder durcb Indossament übertragen
werden kann, wenn ein Pfandgläubiger oder ein Dritter
für ihn den Gewahrsam der Urkunde, bezw. (bei Ur-
kunden, welche nicht auf Inhaber lauten) der indossirten
Urkunde erlangt und behalten hat« ;
und schliesst im § 5 das Verfoigungsrecht des § 36 der
Konkursordnong aus, in Gemässheit des Art. 306 H.G.B.'s
und des § 52 des hamburgischen Einführungsgesetzes zum
H.G£., falls der Gemeinschuldner die Waare
»unter Uebertragung des an Order lautenden Konnosse-
ments oder Ladescheins verpfändet oder veräussert c
hat
Die Motive zu § 40 der Konkursordnung fuhren aus, dass
unter gewissen Voraussetzungen die Wirksamkeit einer »so-
genannten (gleichviel ob richtig oder unrichtig als solche be-
zeichneten) symbolischen Verpfändung! anzuerkennen sei, und
zu § 14 des Einführungsgesetzes ad v. »Konnossementen und
ähnlichen Papierene :
»Eine nähere Bezeichnung der letzteren ist zu ver-
meiden. Der Ausdruck bezeichnet, dass nicht blosse Beweis-
urkunden genügen, dass vielmehr eine dem rechtlichen"^
Wesen eines Konnossements entsprechende Verpflichtungs-
urkunde vorausgesetzt wird, welche den Gläubiger mit Aus-
schluss des Schuldners in den Stand setzt, über die Sache
zu verfügen und ihren Besitz zu erlangen. Der Ausdruck
schliesst also namentlich Ladescheine und Lagerscheine
nicht aus. Man kann aber weder positiv diese benennen,
denn ein einheitliches Recht Über Wirkung derselben besteht
nicht ' , noch mit ihnen den Kreis abschliessen , denn es
kann nach Landesrecht noch anderen Verpflichtungsscheinen
eine den Konnossementen ähnliche Wirkung beigelegt sein.
Das Handelsgesetzbuch verfährt in derselben Weise (vgl.
Art. 313 Abs. 1, Art. 374 Abs. 1, Art. 382 Abs. 1 u. s. w.).«
Endlich enthalt das schweizerische Bundesgesetz über das
Obligationenrecht vom 14. Juni 1881 folgende entsprechende
Bestimmungen :
■ Die« wird , in lelir enger Autlastang, in den Motivea in % 36 der
Konk.O. antgefUirt.
itizecy Google
124 Miscellen xur Theorie der Werthpapiere.
Art, 209. Werden Waaren durch Lagerscheine,
Ladescheine oder ähnliche Papiere vertreten, so
gilt der gutgläubige Erwerber des Scheines als EigenthUmer
der Waare.
Art. 212. Waaren, welche durch indossable Lager-
scheine, Ladescheine oder ähnliche Papiere ver-
treten sind, können durch blosse Uebergabe des indossirten
Scheines an den Faustpfandgläubiger verpfändet werden. —
Für diese Gruppe von Waarenpapieren ist eine gemein-
same Bezeichnung wünschenswerth. Es empfiehlt sich die von
Brunner' vorgeschlagene: Traditions-Papiere.
Für die juristische Behandlung aber ist entscheidend, ob
man ein mehr zufälliges Nebeneinander einzelner, vielleicht
gar sämmtlich singulärer' Rechtssätze annimmt, oder aber,
ob alle einzelnen unzweifelhaften Rechtssätze als blosse Kon-
sequenzen eines Rechtsprinzips sich darstellen, welches dann
selbstverständlich auch zu weiteren durch Gesetz und Gewohn-
heitsrecht noch nicht positiv ausgeprägten Folgesätzen führen
kann oder muss. Indem ich diesen zweiten Standpunkt ver-
_^jTete und den Nachweis erbracht zu haben glaube, dass das
aufgestellte Rechtsprinzip selbst sich innerhalb des normalen
Rechts bewegt, insbesondere der richtig verstandenen civil-
■ ZeitEchr. XXII 5. 535, 526 uad in Bndemann's Huidbucli des
Handclirecfati II S. i jo. Nicht bo gut — denn ei gibt >uch nnr obUgatoruche
■Dispoiitians-Papiere' — ueiml lie •Diapoudoni-Pftpiere« ; Endemann, da-
Mlbit II S. 35 fT. Die AeuEsening E.'s II S. 36 Note 4 kommt doch wohl
darauf hinaus, dui ich die auch nach Endemann't Ansichl mausgebenden
innereii Ursachen der Entwicklung atureicheDd dargelegt habe. Als 'Kredit-
papierec aber lassen sich die Tradition s-Fapieie nui sehr uueigentlich be-
zeichoen; wer gegen Konnossement u. dgl. den Kau^reit baar oder durch
Wechselaccept erlegt, will nicht •kreditir«i>. Uebrigens hat Endemann im
Handbuch seine Mhere Darstellung (Handelsrecht g 78 [4. Aufl. § 97]) unter
Anschluss an meine AosfUhrungcn erheblich modilidrt
* Dahin gelangt man nothwendig von dem Standpunkt Exner's,
welcher nicht sowohl einen eigenen RechUsati konstniirt, als die Ensteu
eines (vieler)) rein positiven Rechtssatzes (Eigen thumserwerb ohne Besitz) be>
hauptet: Die Lehre vom Rechtserwerb durch Tradition (Wien 1867} S. i86ff.
und Kritische Vierteljahrsschrift XIII S. 313 C, im Zusammenhang mit semer
gewiss unialreffenden Auffassung der sogen, ^symbolischen Tradition' ; selbst-
vemlndlich vom Standpunlcie T h 9 1 ' s , welcher in dem stets ene^isch be-
kfimpfien Art. 649 H.G.B.'t einen durchaus aingulSren Rechtssati findet (H.R.
i§»7i. vgl. § J70, m §42[?D.
itizecy Google
V. Der Lidewliein. 125
rechtlichen Besitztheorie gemäss ist, gelange ich zu dem prak-
tisch imgemein wichtigen Ergebniss, von den etwa nur für
eine Art des »Traditions-Papiers* positiv aufgesteUten Rechts-
sätzen entsprechende Anwendung auf andere >Traditions-
Papiere» machen zu dürfen. Dass dies aber ebenso richtig
wie nothwendig ist, hat neuerdings, unter Billigung zugleich
meiner Konstruktion, nicht nur eine wachsende Zahl gerade
solcher hervorragender Juristen, welche das Bedürfniss \md
die Uebung des grossen Handelsverkehrs sehr genau kennen ',
sondern auch der oberste deutsche Gerichtshof wiederholt
anerkannt:
U. des Reichs-Oberhandelsgericbts II. S. vom 15. Sep-
tember 1879 (Entsch. XXV S. 351 ff.), betreffend
den Lagerschein;
U. des Reichsgerichts I. CS. vom 1. Oktober 1881
(Entsch. V S. 79ff.), betreffend den Ladeschein,
nachdem bereits früher der ohnehin kaum zu bezweifelnde
Rechtssatz ausgesprochen war, dass das Handelsgesetzbuch
nicht ausschliesse, auch Konnossemente, welche nicht
an Order lauten, als Traditions-Papiere anzuerkennen:
U, des Reichs-Oberhandelsgerichts II. S. vom 19. No-
vember 1873 (Entsch. XI S. 413 ff.).
Vgl. auch Lewis, Das deutsche Seerecht I S, 299 ff.
[2. Aufl. I S. 384], Endemaan, im Handbuch des
Handelsrechts II § 170, und Lew is, daselbst IV § 37.
II, Dass die Obligation aus Konnossement und Lade-
schein weder eine sogen, »formellec, richtiger abstrakte,
d. i. von einem in der Urkunde angegebenen Verpflichtongs-
grunde unabhängige ist", noch aus dem Frachtverträge^
■ So u. A. der TieljSIiTige Prfisc« des hambai^[ücben HandeltgerichU,
tpfiter de* doitigen Landgericliü , Dr. Albrecht (Verhandl. dei XIV. dent-
Khen JnrisEentagslIS. 55) und Rddugericlitirath Dr. Wienet (Verhandl. des
XV. D«DUch. Jnristenlagi II S. 88).
Bei der Korrektur geht mir ta v. Hlhn'i Kommentar II lÄeS. 4i
3. Aufl., 5. 6S2, wo die Mhere abweichende Anticlit det Verfusen (i. Anfl.
S. 501) anfg^eben Ut,
1 SonochEndemano, Handeltrecht g 7g [4. Aufl. §97]- Konnoisement
nnd Ladeacheia nnd aber nicht einfeche «Verpflichtangsichdne', ue geben noth-
wendig all Verpflichtongsgmnd die Aufgabe (Empfang) zum Traniport, an.
S. m e io Handtmcfa g 7z Note S ff. nnd da* sogleich folgende U. des Reichsf^chti.
J So, mit Aelteten, jeUt wieder Thöl, Handelvecht I % 370, intbei.
.oügle
126 Miseellen lur Theorie der WerOtpapiere.
entspringt, sollte nicht mehr bezweifelt werden. Dagegen
bleibt noch za untersuchen, inwiefern die Obligationen aus
Konnossement und Ladeschein schlechthin gleichartig sind, oder
welche rechtliche Verschiedenheiten zwischen denselben be-
stehen.
Diese Frage hat bisher auch in den Entscheidungen der
obersten Gerichtshäfe keine ausreichende Lösung gefunden. In
dem Urtheil des Reichsgerichts I. CS. vom I. Oktober 1881
(Entsch. V S. 80-82) heisst es in dieser Beziehung:
»Der Erwerber auf dem Transport befindlicher Waare
hat nicht nur ein Interesse daran, durch den Ladeschein
in den Stand gesetzt zu werden, sich nach Ankunft des
Frachtführers am Bestimmungsorte- in sicherer Weise in
den thatsächlichen Besitz des Gutes zu setzen, sondern auch
daran, vom Frachtführer eine Erklärung tlber die Be-
schaffenheit des Gutes zu erhalten. Der Frachtführer
weiss dies, ist sich also bewusst, durch seine Angabe über
die Beschaffenheit des Gutes eine für den Inhaber des Lade-
scheins bedeutsame Handlung vorzunehmen. Er dokumen-
tirt femer durch die Form, in welcher er diese Angabe
vornimmt, dass er damit dem Inhaber des Ladescheins
gegenüber eine Rechtshandlung vornimmt. Er ibekenntc,
das Gut in der und der Beschaffenheit empfangen zu haben.
Er »verspricht« oder »verpflichtet* sich, das Gut in der
gleichen Beschaffenheit abzuliefern. Er hat also damit eine
Erklärung gegenüber dem Inhaber des Ladescheins ab-
gegeben und in der Absicht abgegeben, dass dieser dieselbe
beim Erwerb des Ladescheins berücksichtige. Es ist daher
evident, dass er mit dieser Erklärung eine Haftung über-
nommen hat. Allein welchen Inhalt, welchen Umfang,
welche Voraussetzung hat diese Haftung? Verliert der
Ladeschein durch die Beifügung derselben seine Bedeutung
Note 3 und in gg 43 — 45 , iowie iHandelsrechtlichs Erürtemn^n. Eiun-
bahorecht und aDderet FrvcbtrechN (i88a) S. 15 — 37. Dam: meine Aueig«
in ZeiBchr. XXVI S. 608 and Replik; XXVIIl S. 44S and mein Handbuch
g 71 Note 3a ff., % 73 Note l ff., gif.
Ueber die Praxis i. EnttcheidnngcD des Reichs-OberhandelsgeHchti
I S. 301, III S. 34ff., VI S. 346, XV S. 377 ff., XVU S. JOS. Vgl. auch
Lewis, Da» deutsche Searecht I S. 307 ff. [2. Aufl. S. 390fr.] und im Iland-
buch des HandelsrechU IV g 36. v. Hahn 11 (1. Aufl.) S. 681 >»b wenn — >.
V. Der L»de«häii. 127
als eine Urknode Ober die Verpflichtung , das über-
nommene Gut auszuliefern? Wird er zumVeq)flich-
tnngsscheinüber Lieferung der bezeichneten Waare? Aus
der Erklärung Über den Empfang des Gutes ist dies nicht
zu entnehmen, ebenso wenig aber auch aus der Erklärung
tlber die Ablieferung, denn diese geht immer darauf, das
»empfangene t Gut abzuliefern, und es ist ausserdem
immer vorausgesetzt (wenn nicht gar, wie dies in den
Konnossementen üblich, ausdrücklich ausgesprochen), dass
der Aussteller Verluste und Beschädigungen, für welche er
nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht aufzukommen
Inzucht, nicht zu vertreten hat. Der Inhalt der durch die
im angegebenen Sinne abgegebene Erklärung übernommenen
Verpflichtung kann daher nur der sein, für denjenigen
Schaden zu haften, welchen der Inhaber des Ladescheins
infolge eines bei der Abgabe der Erklärung über die Be-
schaffenheit des Gutes vorgekommenen Verschuldens
erlitten hat. Etwas Weiteres folgt aus allgemeinen
Grundsätzen nicht, insbesondere nicht dies, dass der Fracht-
führer dem Inhaber des Ladescheins für die Richtigkeit
der fraglichen Bezeichnungen der Beschaffenheit des Gutes
tmbedingt, also auch, wenn kein Verschulden auf seiner
Seite vorliegt, haftet Ein solcher Satz ist in Art. 654
Satz 1 H.G.B.'s für den See-Frachtvertrag über die Haftung
aus der im Konnossement enthaltenen Bezeichnung der
abgeladenen Güter aufgestellt. Derselbe ist aber, ebenso
wie die in Satz 2 des Artikels beigefügte Beschränkung
des Umfangs der Haftung, positiver Natur, ergibt sich
keineswegs aus allgemeinen Sätzen und kann darum auf
den Ladeschein nicht ausgedehnt werden.
Hieraus folgt, dass, wenn der Frachtführer sich selbst
darauf beruft, dass seine Angabe über die Beschaffenheit
des Gutes im Ladeschein nicht mit der Wirklichkeit über-
einstimmt, der Inhaber des Ladescheins ihn mit diesem
Vorbringen nicht alsbald unter Bezugnahme darauf, dass er
fUr seine eigene Erklärung einzustehen habe, zurückzuweisen
befugt ist Dieses negative Resultat genügt aber für die
Beurtheilung des vorliegenden Falles, und es bedarf der
weiteren Untersuchung der Wirkungen der irrigen Bezeich-
nung des Gutes im Ladeschein nicht.«
izecoy Google
128 MUcellen tat Theorie der Werthpapiere.
Damit darf ich mich im Resultat einverstanden erklären,
nicht ganz in der Begründung. Enthält wirklich der Art. 654
Satz l H.G.B.'s nur eine durchaus positive Bestimmung über
den Inhalt der Konnossementsobligation, nach deren Detrak-
tion eine fUr Konnossement und Ladeschein identische Grund-
obligation zurückbleibt ' ? Oder liegt die Sache vielleicht so,
dass die Konnossementsforderung die normale, nämlich voll-
kommen ausgebildete >Skripturobligation< ist, die Ladescheins-
fordenmg weniger vollkommen, »hinkend«, aus besonderen
Gründen abgeschwächt oder, wohl richtiger, im Verkehr und
Recht nicht in gleicher Konsequenz entwickelt?
In diesem Sinne hatte ich vor Jahren als Referent eines
dem ersten Senat des Reichs-Oberhandelsgerichts vorliegenden
Streitfalles' die Frage behandelt; sie kam damals aus be-
sonderen Gründen nicht zum Aastrag. Und es mag so die
Veröffentlichung meines damals erstatteten Votums auch jetzt
nicht verspätet erscheinen.
Der an Order gestellte und in der Hand des Remittenten
befindliche Ladeschein enthielt das Anerkenntniss des beklagten
Schiffers , » 1400 Zentner guten, gesunden und trockenen
Winterrübsen wohlkonditionirt empfangen zu haben« , sowie
die Verpflichtungserklärung des Schiffers, >dieselbe Quantität
in eben der Beschaffenheit an die Order der Klägerin wieder-
abzuliefernc, mit dem Zusatz; »Aus der Ladung sind vier —
Proben entnommen, wonach ich zu liefern habe.«
Es entstand 'die Frage, ob, abgesehen von der letzten
Klausel, dem Beklagten wider die Richtigkeit seines Anerkennt-
nisses der Gegenbeweis zu versagen sei. In einem früheren,
gleichfalls von mir referirten Falle hatte der I. Senat des
Reichs-Oberhandelsgerichts sich der Bejahung zugeneigt, jedoch
die Frage unentschieden gelassen (vgl, Entsch. des R.O,H,G.'s
VIII S. 411 ff., wo in der Note die Citate aus der Ham-
* I(A babe Irfllier i.iisgeftlhrt, dus Siii i des Art. 654 nur ein Folge-
(bU, nicht der einiige, «di der juiistiicheii Natur der KonnosieimeDtsfordemiig,
einer lediglich i.at der Schrift beruhenden nnd der Schrift ^mlsien Forde-
mog (•Skripturobligationi) bl : Mein Handbuch § 73 Note 8 ff., iDibei.
Note 14- Vgl, die S. 136 Note 3 dtiiten Enticheiduiigen de* R.O.H.G.'s und
U. des ReichtgerichU I. CS. 16. Apnl 18S1 (Entich. IV S. g?}.
" In Sachen A. Reimoer Söhne c. C Mejet. Rep. 1157/74- — A»f
dieies Votum verweist jeut auch t. Hahn II (2. Aufl.) 5. 6S3 Note 5.
V. Der L«deuh«iD. 129
bur^er Praxis irrtbümlich in Satz 1 statt in Satz 2 gatellt sind,
und VI S. 107). Im vorliegenden Falle hatte der Appellations-
richter {Kammetgericht Berlin) den Gegenbeweis zugelassen,,
anter Berufung auf seine konstante Praxis (Tgl. jedoch das
ältere Urtbeil von 1866 im Centralorgan N. F. IH S. 368 H.).
Mein Votum ging auf Bestätigung des angefochtenen,
Urtheils.
)Zunächst ergibt sidi, dass die Praxis des Kammef-
gerichts entspricht der Praxis des (ehemaligen) preussischen
Obertribunals (1865: Busch's Archiv IX S. 270ff., 1867:
Striethorst's ArcMv LXVni S. 174ff. und Zeitschf. XIX
S. 583), sowie der hamburgischen und bremischen Gerichte,
mindestens insofern, als sie dem Schiffer deü Nadhweis ent-
schnldbaren Irrthums freiläs&t (Hamburger Handelsgerichts-
zeitung 1868 Nr. 238, 1870 Nr. 261, Centralorgan N. F. IX
S. 9ff,). Verwandt ist die Ansidit v. Hahn's, Kommentar
11 S. 501, 502 (jetzt 2. Aufl. S. 682, 683), vgl. An schütz
und v. Völderndorff, Kommentar III S. 461 — s. jedoch
S. 126 ff. — , dass der Aussteller des Ladescheins nof für die
von ihm verschuldete Unrichtigkeit der Waarenbezeichnung
auf Ersatz des hierdurch dem Inhaber des Ladescheins er-
wachsenen Schadens hafte.
Andererseits hat in einem bereits vor Emanation des-
Handelsgesetzbuchs ergangenen Urtheil vom 9. Dezember
1861 das Ober-Appellationsgericht zu München (Seuffert's
Archiv XV Nr. 49) auf die Ladescheine der Binnenschiffer
schlechthin die Grundsätze des Seekonnossements angewandt,
and es findet diese Auffassung auch in der Doktrin zahlreiche
Vertreter: Gad, Handelsrecht S. 299f.; Endemaiin, § 178'
[ebendort 4. Aufl.] (und jetzt im Handbuch II S. 39);
Bluntschli-Dahn, Deutsches Privatrecht S. 489; Puchelt,
Kommentar S. 854, 855 (in der 2. Aufl. II S. 407, 408 ist
mit Recht die Berufung auf die >zweifellose Ansicht des
Reichs-Oberhaudelsgerichts« in Wegfall gekommen [vgl. 4. Aufl.
U S. 1266]).
In meinem Handbuch habe ich bemerkt (§75 Note 94):
Inwieweit eine Haftung für Qualitäts- und Quanti-
täts-Angaben im Ladeschein anzunehmen, ist nach
dem zu ermittelnden Willen der Betheiligten und den
Umständen bezw. nach Handelsgebrauch festzustellen,
Goldicliniiilt, Vermiichle Scbrifien. H. g
, Google
130 MUceUen zur Theorie der Werthpapiere.
im Zweifel jedoch greift die Analogie der Konnosse-
mentsgrundsätze Platz.
Auch nur eine derartige Präsumtion halte ich in der an-
gegebenen Richtung nicht mehr für begründet, nachdem ich
mich genauer über das im Binnenschiffahrtsverkehr übliche
Verbalten der Betheiligten informirt habe*),
So unbedenklich nämlich davon auszugehen ist, dass der
geschichtlich dem Konnossement des Seeschiffers nachgebildete
Ladeschein, gleich dem ersteren, eine einseitige, nur auf der
Schrift beruhende Verbindlichkeit zur Auslieferung des in
demselben bezeichneten Frachtgutes begründet, und dass zur
Ausfüllung gesetzlicher Lücken die Grundsätze vom Konnosse-
ment verwendet werden dürfen,
Protokolle S. 4768, 4769, 4770, vgl. auch hamburger
Handelsgericbtszeitung 1874 Nr. 26,
so bedarf doch eine derartige Verwendung jedes einzelnen
Rechtssatzes der sorgsamen Prüfung, and es lässt sich nicht
allgemein, insbesondere nicht für den hier in Frage stehenden
Ladeschein eines gewöhnlichen Flussschiffers, an-
nehmen, dass eine gesetzliche oder doch auf dem Willen der
Betheiligten beruhende Verantwortlichkeit des Schiffers für
die in dem Konnossement enthaltene Qualitätsbezeichnung
bestehe.
Die Art. 653 und 654 des H.G.B.'s bestünmen:
Das Konnossement ist entscheidend für die Rechts-
verhältnisse zwischen dem Verfrachter und dem Em-
pfänger der Guter; insbesondere muss die Ab-
lieferung der Güter an den Empfänger nach
Inhalt des Konnossements erfolgen.
Der Verfrachter ist für die Richtigkeit der
im Konnossement enthaltenen Bezeichnung
•) Von besonderem 'Gewicht war mir die Aiuknnft meine» iniwischen
(lS8l) verstorbenen Brüden, des Geh. Kommeraiennths Goldschmidt in
Danilg, welcher als vieljEhriger Vorsteher der Aeltesten der dortigen Kaof-
mannschof t , als Richter am Kommeri-Kotleg und Inhaber eines srotsen Ge-
trdde-KommiMionsgesehSfts die Uebongen namentlich der Weichielschiltiihrt g«ian
kannte. Er erkUrte mrine nunmehrige Anffimnog >I» die in der KanT-
mannswelt allgemein and ausnahmslos geltende. Man lege auf das Bekenotniss
im L*deschein kein erhebliches Gewicht, viel gtSsseres auf die • Probe« ; die
Klatnel ^Inhalt nnbekannt* komme in Ladescheinen polnischer Stro mschifTer
nicht vor und wflide verdichtig erscheinen.
izecoy Google
V. Der Ladeschein. 131
der abgeladenen Güter dem Empfänger ver-
antwortlich.
Diese Gnmdsätze stehen in genauer Verbindung mit deo Be-
stimmungen der folgenden Artikel 655, 656, 657, 660, welche
die Verantwortlichkeit fUr die richtige Bezeichnung verpackter
oder in geschlossenen Gefässen übergebener Guter modificiren,
Statthaftigkeit und Wirkung der üblichen, die Verantwort-
lichkeit abschwächendes oder beseitigenden Klatiseln >In-
balt unbekannt!, *Zahl, Maass, Gewicht unbekannte, regeln.
Und wenn mit gutem Grunde behauptet werden darf, dass
die hervorgehobenen Prinzipien der Art, 653, 654 H.G.B.'s
sich als die natürlichen Konsequenzen aus dem Wesen der
durch das Konnossement begrtlndeten Skripturobligation er-
geben, so bildete doch eben die gesetzliche Anerkennung dieser
Konsequenzen Gegenstand des lebhaftesten Streites, and sie
■ sind nur in Verbindung mit den erheblich abschwächenden
Bestimmungen der folgenden Artikel zur Geltung gelangt.
Weder die deutsche Praxis und Theorie erkannte die Kon-
nossemeotsangaben über Beschaffenheit und Menge der Waaren
als schlechtbin verbindende, vielmehr regelmässig als nur
enunciative an, noch ist das strenge Prinzip in Gesetz
und Praxis der wichtigsten Handelsvölker bisher zum vollen
Durchbnich gelangt:
Goldschmidt, Handbuch S. 687—690, insbes.
Note 10, 13, 16.
Der für Ladescheine maassgebende Art. 415 H.G.B.'s ent-
hält die hervorgehobenen Bestimmungen der Art 653, 654
nicht Er begnügt sich mit dem Satze:
Der Ladeschein entscheidet für die Rechtsverhält-
nisse zwischen dem Frachtführer und dem Empfänger
des Gutes.
Nimmt man hierzu freilich Art. 413 Abs. 2:
Der Ladeschein ist eine Urkunde, durch welche der
Frachtführer sich zur Aushändigung des Gutes ver-
pflichtet,
und Art. 414 Abs. 1:
Der Ladeschein enthält :
1) die Bezeichnung der geladenen Guter nach
Beschaffenheit, Menge und Merk-
zeichen,
itizecy Google
132 Miscdlen im Theorie der Werthpipier«.
SO ist der Schluss statthaft, dass gegealiber dem Empfänger
des Gutes schlechthin die im Ladeschein enthaltene Bezeich-
nung von Beschaffenheit und Menge maas^ebend sei and ver-
treten werden müsse. Der Schluss liegt um so näher, als in
den meisten anderen maas^ebenden Beziehungen der Lade-
schein ausdrucklich nach den Regeln der Konnossemente
normirt ist, auch Art. 303 den Grundsatz der modernen
Skripturobligationen, dass der Verpflichtete sich nur solcher
»Einreden« bedienen könne, welche ihm nach Maassgabe der
Urkunde selbst oder unmittelbar gegen den jedesmaligen Kläger
zustehen, auf den Ladeschein zur Anwendung bringt — wo-
bei freilich zu bemerken ist, dass es sich in einem Falle dieser
Art um keine Einreden handelt, daher auch ein Unter-
schied zwischen indossirten und nicht-indossirten Ladescheinen
nicht anzuerkennen ist, endlich, weil augenscheinlich die vom
Gesetzgeber ja bezweckte Schaffung eines sicheren und nego-
ciablen Umlaufspapiers eine derartige Normirung zu erfordern
scheint.
Dagegen darf jedoch nicht anerwogen bleiben, dass gerade
die hier in Frage stehende Konsequenz aus dem Wesen der
Skriptur Obligation für das seit vielen Jahrhunderten in all-
gemeiner Uebung der civilisirten Nationen befindliche Kon-
nossement sich bisher keineswegs überall und auch im deut-
schen Handelsgesetzbuch nur unter mannigfachen Kauteleu
Geltung verschafft hat; dass der Gesetzgeber dergleichen
Kautelen für den Ladeschein nicht aufgestellt hat, und dass
dieselben auch im Binnenschiffahrtsverkehr keineswegs in
Uebung sind, dass namentlich die wichtige und weittragende
Klausel >lnhalt unbekannte hier nur selten oder gar nicht
(z, B, nicht im polnischen Getreidehandel) vorkommt; endlich
dass die wirthschaftlichen Unterlagen des Binnenschiffahrts-
verkehrs erfahrungsmassig von denen des Seefrachtverkehrs
erheblich abzuweichen pflegen. Der letztere wird regelmässig
nur in grosseren mthi oder minder kostspieligen Fahrzeugen
durch Einzelne oder durch Gesellschaften (Rhedereien, Aktien-
gesellschaften u, s. f.) nach kau&nännischen Grundsätzen be-
trieben. Der Verfrachter pflegt nach Vermögenslage, Erfahrung
und Schulung mit dem Umfange der durch Gesetz, Usance
oder ausdrückliche Uebereinkunft auferlegten Verpflichtung
ausreichend vertraut zu sein. Die Hilfepersonen, deren er sich
„Google
V. Der LadetchetD. 133
im Frachtgeschäft bedient, pflegen erfahrene und nicht bloss
seemännisch gebildete Männer xa sein, welchen an den Ab-
lade- und LOscbungsplätzen noch dazu sehr häufig Agenten
oder GescfaähsCremide der Rhederei zur Seite stehen. Altes
dies verhält sich in dem gewöhnlichen Binnenschiffahrtsver-
kehr anders. Die Verfrachter sind hier meist Einzelunter-
nehmer, von geringer geschäftlicher Erfahrung und kleinem
Vermögen, für ihren Beruf mehr oder minder nothdürftig ge-
schalt, persönlich mit einigen Knechten an der Ausführung
des Transports betheiligt, nach ihrem Bildungsgange mit ge-
schäftlichem Brauche nicht vertraut und zum Verständniss
komplicirter Geschäftsverhältnisse nidit geeignet. Es ist daher
billig und gerecht, dass das Gesetz diesen Unterschieden Rech-
nung trägt.
Dies ist in zahlreichen Beziehungen geschehen. Während
die Uebemahme der Beförderung von Gütern oder Reisenden
zur See ein absolutes Handelsgeschäft, H.G.B. Art. 271 Ziff. 4,
ist das Geschäft des auch den Schiffer einschliessenden Binnen-
FracbtfUhrers ein nur relatives Handelsgeschäft , H.GJB.
Art. 272 Ziff. 3, und gelten gewöhnliclie, mit dem blossen
Personentransport befasste Transportunternehmer Überhaupt
nicht als Kaufleute, H.G.B. Art. 272 Ziff. 3 verb. mit Art. 4.
Während der Rheder schlechthin Vollkaufmann ist, sind die
gewöhnlichen Schiffer nur Kaufleute minderen Rechts und
minderer Pflicht, H.G.B. Art, 10. Demgemäss waren von der
ursprünglich statuirten Zwangspflicht zur Ausstellung von
Ladescheinen {bezw. entsprechenden Frachtbriefsduplikaten) die
gewöhnlichen Fuhrleute und Schiffer ezimirt, wie denn über-
haupt das ganze Institut der Ladescheine nur mit Rücksicht
auf die grösseren Transport-Unternehmungen vertheidigt wurde
(Protok. S. 1240—1247), bis mit dieser Zwangspflicht auch
die Ausnahme wegfiel:
Goldschmidt, Handbuch §75 Note 80, 91 (S. 760,
763).
Endlich wurde, nachdem erst in der Berathung des See-
rechts die entsprechenden Bestiomiungen der Konnossements-
lebre ihre gegenwärtige definitive Gestalt erhalten hatten,
zwar in der dritten Lesung der vier ersten Bücher bean-
tragt, deilt gegenwärtigen Art. 415 (II. Nürnberger Entwurf
Art. 387) eine dem gegenwärtigen Art. 653 des Gesetzbuchs
.oogle
134 MiicelleD ixa Theorie der Werthpapiere.
entsprechende Fassung zu geben, dieser Antrag jedoch mit
12 gegen 1 Stimme abgelehnt. Es wurde darauf hingewiesen,
dass die Verhältnisse bei Konnossementen und Ladescheinen
nicht vollkommen gleich seien ^ dass es für den Ladeschein an
allen Vorschriften tiber die Anwendung und Auslegung der
Klausel alnhalt unbekannt« fehle-, dass der Antrag zwischen
den verschiedenen Fällen, wo die Güter verpackt und wo sie
lose tibergeben seien, nicht gehörig unterscheide; dass die
entsprechenden und keineswegs selbstverständlichen Vorschriften
des Seerechts mit dessen Bestimmungen über die üblichen
Klauseln ein zusammengehöriges Ganzes bildeten und es da-
her angemessen sei, die Frage, wie weit der Frachtführer
den Ladeschein in den angegebenen Beziebtmgen zu ver-
treten habe, der Beurtheilung nach den Umständen
der einzelnen Fälle anheimzugeben:
Protok. S. 4771—4774.
Schon bei der früheren Berathung aber war darauf hin-
gewiesen worden, wie das ganze Institut sich nur für gröfsere
Schiffahrtsuntemehmungen eigne, imd dass, wenn man auch
bisher schon im Flussverkehr sich häufig der Konnossemente
bedient habe, ihnen doch in der gerichtlichen Praxis die Kraft
von solchen nicht beigelegt worden sei, weil der kleinere
Frachtführer selten im Voraus die Bedeutung eines derartigen
Papiers zu würdigen vermöge:
Protok. S. 1240-1243.
Auch der neueste, durch eine Kommission des Deutschen
Handelstages festgestellte Entwurf eines Gesetzes zur Rege-
lung der Verhältnisse der Fluss- und Binnenschiffahrt, Berlin
1869, will zwar § 58 den Kahnschiffer für die Richtigkeit der
im Ladeschein enthaltenen Bezeichnung der abgeladenen Güter
dem Empfänger verantwortlich machen, aber doch nur, indem
er gleichzeitig Bestimmungen über die entsprechenden Klauseln
trifft, und die Motive S. 51 heben ausdrücklich hervor, dass
diese Grundsätze bisher für die Binnenschiffahrt nicht ge-
golten haben. —
Enthält so das bestehende Gesetz eine Regel für Fälle
der vorliegenden Art nicht, und kann, zumal unter der Herr-
schaft entgegenstehender Praxis des höchsten preussischen
Landesgerichtshofs, sich schwerlich eine Ueberzeugong der Be-
theiligten gebildet haben, dass durch die blosse Unterzeichnung
V. D« Ladeschein. 135
eines Ladescheins, weicher f ormularmässig eine gewisse
Qualität der eingeladenen Guter angibt, eine Garantie für
diese angegebene Beschaffenheit dem Empfänger gegenüber
tlbemommen werde , so entbehrt der erhobene Angriff der
rechtlichen Begründung. Ob es bei schuldbarer Unter-
zeichnnng eines unrichtigen Ladescheins sich anders veriialten
würde, bedarf [keiner Erörterung, denn Klägerin behauptet
selbst nicht, dass der Verklagte im Stande war, die mangel-
hafte, von ihr bestimmt verneinte Beschaffenheit des Rübsens
zur Zeit der Unterzeichnung des Ladescheins zu erkennen.«
izecoy Google
D, Google
DIE
KREATIONSTHEORIE
UND DER
ENTWURF
EINES
BÜRGERLICHEN GESETZBUCHS
fOr das
DEUTSCHE REICH.
iLCD, Google
iLCD, Google
I.
Es ist eine peinliche Wahmehmung , denn sie erweckt
Zweifel an der Gesundheit unseres nationalen Rechts-
bewusstseins , dass über die so wichtige Frage, ob die Ver-
pflichtung aus Inhaber- und Order-Papieren bereits durch
Fertigstellung der Urkunde oder erst durch deren Weggabe
(Begebung?) begründet werde, seit einem Menschenalter ein,
man darf sagen, mit steigender Lebhaftigkeit geführter Kampf
entbrannt ist. Denn auch, nachdem diese Frage, welche ur-
sprünglich nur im Gewände konstruktiver Spekulation erschien,
auf das noch bedeutsamere Gebiet der praktischen Rechts-
folgen hinübergeleitet ist, stehen sich die Ansichten vielleicht
gleich erfahrener und wissenschaftlich eindringender Juristen
auch über das, was Treu und Glauben, was die Interessen und
die Sicherheit des Verkehrs erheischen, somit über diejenigen
Anforderungen , welche nach dem Rechtsbewusstsein
der Gegenwart an eine gerechte und zweckmässige Rechts-
ordnung in Gegenwart und Zukunft zu stellen seien, schnur-
stracks entgegen. Wenn Kuntze, Endemann, Wind-
scheid, Dernburg u. A. es nur zweckmässig und gerecht
finden, dass ein von mir fertig hergestelltes Papier, welches
eine Verpflichtung zu Gunsten noch unbestimmter Nehmer
ausdrückt, auch dann meine Verpflichtung gegen jeden (nach
Einzelnen : mindestens gegen jeden gutgläubigen) Nehmer be-
gründe, wenn dieses Papier von mir an Niemand begeben
oder auch nur weggegeben ist, vielmehr ohne, ja wider meinen
Willen meinem Gewahrsam entzogen worden ist, wird eine zu
dieser Konsequenz fuhrende juristische Konstruktion von einer
sehr grossen, ja wohl noch von der weit überwiegenden Zahl
der Juristen, unter denen sich gteichmässig gewiegte Kenner
des römischen, wie des deutschen und des Handelsrechts, her-
vorragende Rechtslehrer wie Praktiker befinden, als schlecht-
.OOgk'
140 I^c Krotioiistheorie und der Entwurf eioea bUrgerlklteu Getetibiiclia
hin zweckwidrig, ja ungerecht verworfen. So hat, um von
den bekannten wissenschaftlichen Erörterungen dieser Streit-
frage zu schweigen, der sechzehnte deutsche Juristen-
tag 1882 (Referent Brunner) sich gerade de lege ferenda
sehr entschieden gegen die sog. Kreationstheorie erklärt, wenn-
gleich fUr massenhaft emlttirte Inhaberpapiere nach Öffentlich
angekündigter Emission oder nach thatsächlich erfolgtem
Emissionsbeginn eine Konzession an das unterstellte Verkehrs-
bedUrf niss für wUnschenswerth erachtet wurde (Verhandlungen
II S. 227—238, 338—340). Dieser Meinungsäusserung wohnt
naturgemäss, wenn amcb nicht gerade für streng wissenschaft-
lidie, wohl aber für solche Fragen, weldie nur aus dem
Rechtsbewusstsetn der Nation und aus lebendiger Gesammt-
anschauung der VerkehrsbedUrfnisse gelöst werden können,
ein sehr erhebliches Gewicht bei. Ein so erfahrener, seit mehr
als einem Menschenalter im grossen Bankverkehr stehender
Jurist wie Ladenburg hat schon 1865 (Archiv für Wechselr.
XIV S. 290) gegen Kuntze ausgerufen: »Der Finder, der
Dieb, der Räuber erlangen durch die Besitzergreifung des
Papiers dieselben Rechte wie derjenige, welcher es von dem
Aussteller erhalten hat. Diese Lehre, sollte man glauben,
kann nicht von einem Rechtslehrer herrühren, denn sie lehrt
Unredit; sie ist wider die Grundlage des Rechts, der Moral
und der Sitte gerichtet ; sie bedroht den Verkehr und empört
das Rechtsgefühl. Die Rechtswissenschaft wäre ihres Namens
unwürdig, wenn sie dieselbe annahme.f Und der schweize-
rische Jurist Carlin sagt jetzt (Zeitschr. XXXVl S. 16):
»An diesem Einwurfe scheint uns die Kreationstheorie in Er-
mangelung einer positiv-rechtlichen Bestimmung, wie sie z. B.
der Entwurf eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs § 687
vorschreibt, unbedingt zu scheitern.«
Es darf den Vertretern der Kreations^eorie der Vorwurf
nicht erspart bleiben, dass sie es mit der Untersuchung, ob
die Recfatssätze, welche sie — mehr oder minder folgerichtig —
als Konsequenz ihres Theorems anerkennen oder wider
Willen anerkennen müssen, auch wirklich in unserem gelten-
den Recht begründet sind, ja nur dem Rechtsbewusstsein der
Gegenwart (nicht dem einer möglichen Zukunft) entsprechen,
sehr leicht nehmen. Denn ihr noch so scharfsinnig aus-
gedachtes »Prinzip* ist doch nur dann richtig, falls die
für du Deauche Rekli. 141
diesem Prinzip eatsprecheodeD Recbtssätze besteheo,
nicht, wenn sie sich logischer Weise aus einem uoterstellteo
Prinzip aUeiten lassen. Ex jure quod est, regula suma-
tur. Charakteristisch in dieser Hinsicht sind die Aeasserungen
Endemann's, Das deutsche Handelsrecht:
In der 3. Auflage (1876) hatte dieser Schriftsteller sich
ziemlich unbestimmt darüber geäussert, ob schlechthin auch
aus dem wider Willen in den Verkehr gekommenen Papier
der Aussteller obligirt werde (S. 395 veib. mit Note 17
S, 407), auch keinen Versuch positiv-rechtlicher Begründung
gemacht. In der 4. Auflage (1887) sagt er S. 380: »Von
dem Wesen des Werthpapiers aus liegt die Antwort (ob die
V'erpflichtung schon aus der Ausstellung oder erst aus der
Begebung entspringt) am nächsten, dass der Aussteller durch
die Ausstellung, bei der er sich der Verantwortung bewosst
sein muss, die eigene Verbindlichkeit oder die Erfüllung des
Dritten Übernimmt. Dafür spricht auch, dass das Recht auch
aus solchen Order- und Inhaberpapieren geltend gemacht werden
kann, die ohne oder gegen den Willen des Ausstellers des
Papiers selbst oder der Uebertragungserklärung in Umlauf ge-
kommen sind.« (Dazu Note 20: >Die Praxis scheint sich
dieser Auffassung anzuschliessen : R.G. II S. 7, vgl. R.OJI.G.
XIX S. 31« — von diesen beiden allein citirten Urtheilen
steht das letztere der Kreationstheorie entgegen — s. Zeit-
schrift für Handelsr. XXVIII S. 103 [oben S. 109] - und
enthält das erste nur eine die Entscheidung nicht tragende
Motivirung — s. Zeitschr. für Handelsr. XXVIII S. 106
(oben S. 112]). >Indessen ist die Theorie nur theilweise
geneigt , eine solche Bedeutung des Kreationsaktes anzu-
erkennen« u. s. f. Dann heisst es S. 386: »Das Inhaberpapier
ist Kreditpapier, das der Realisirung bedarf. Der Aussteiler
steht kraft der Ausstellung für die darin versprochene Leistung
ein.* Und dazu Note 12: >Kuntze' § 79 ff.: Die Kreations-
theorie ist hier ganz unentbehrlich. Die Kreation liegt in der
Unterzeichnung, die auch eine faksimilirte sein kann.c
Somit folgert Endemann die »Kreationstheorie« theils
aus dem »Wesen« des Werthpapiers, theils, bei Inhaberpapieren
wenigstens, aus ihrer Unentbehrlichkeit, und seine einzige posi-
tive Stütze für den behaupteten Rechtssatz ist, dass die Praxis
sich dieser Auffassung anzuschliessen »scheint«.
::,y Google
142 Die Kreationstheorie and der Entwurf einet bürgerlichen Gesettbuchs
Ich finde nicht, dass irgend ein Vertreter dieser Theorie
einen besseren Beweis erbracht hätte. Denn, wäre es auch
wahr, dass in einigen oberstrichterlichen Entscheidungen die
vielleicht oder sicherlich sachlich zutreffende
Entscheidung unnötigerweise auf die Kreationstheorie
gestutzt wäre, mit anderen Worten, dass der oberste Gerichts-
hof, wie das ja auch sonst nicht selten begegnet, eine sachlich
zutreffende oder, obwohl mit dem positiven Recht schwer ver-
einbare, immerhin dem Rechtsbewusstsein der Gegenwart ent-
sprechende Entscheidung in ein juristisch nicht zutreffendes
Gewand gekleidet hätte, so würde doch dieser juristischen
Deduktion nicht der Charakter eines Rechtssatzes zukommen,
auch nur eines vom obersten Gerichtshof anerkannten und be-
folgten Rechtssatzes. Man mllsste denn mit Thöl (Handels-
recht, 6. Aufl., I § 225 Note 8) in solchem gelegentlichen
Ausspruch des obersten Gerichtshofs die Statuirung eines
»Gewohnheitsrechts« finden — was ebenso gefährlich wäre,
wie es unserem bestehenden Recht widerstritte.
Da ich die von den Vertretern der Kreationstheorie
(Kuntze will in diesen Urtheilen nicht sowohl die Kreations-
theorie als iRedlichkeitstheoriet anerkannt finden) immer
wieder allegirten Urtheile bereits einmal genau analysirt und
auf ihren wahren Werth zurückgeführt habe (Zeitschrift
XXVIII S. 180 ff., oben S. 108 ff.), so erübrigt der Nachweis,
dass niu- eine sehr flüchtige Lektüre zu der Annahme
führen kann, der oberste Gerichtshof habe die Kreationstheorie
adoptirt. Das erste und wichtigste dieser Urtheile (Entschei-
dungen des R.O.H.G.'s Bd. XVII S. 105«., II. Senat, 27. Fe-
bruar 1875) entscheidet den Fall, dass der mit der Emission
fertig hergestellter Inhaberpapiere beauftragte Sachfuhrer die-
selben nach Widerruf des Emissionsauftrages begibt, um deren
Erlös im eigenen Nutzen zu verwenden. Die Haftung des
Papierausstellers stützt der oberste Gerichtshof in diesem Falle
nicht darauf, dass der Aussteller bereits durch die Ausferti-
gung des Papiers obligirt gewesen sei, sondern darauf, dass
derselbe durch den Akt der Ausstellung eine Garantiepflicht
— Schadensausgleichungspflicht? — bei missbräuchlicher Be-
nutzung übernahm. Gelangt man aber nicht zu dem gleichen
praktischen Ergebniss, falls man den die Haftung des Aus-
stellers gegen gutgläubige Nehmer rechtlich bewirkenden Um-
lUr du Deutsche Reich. 143
stand nicht in die Ausstellung des Papiers, sondern in dessen
Anvertrauung an den ungetreuen SachfUhrer (Mandatar,
Depositar) findet? Unzweifelhaft lässt sich ja mit guten
Gründen (s, auch, obwohl in der Motivirung vielleicht nicht
ganz zutreffend. Brunner in Endemann's Handbuch II
S. 167 Note 17) die Annahme vertreten, dass ein nicht ge-
stohlenes oder verlorenes, sondern veruntreutes (unter-
schlagenes) und dadurch (von dem ungetreuen Verwalter,
Depositar etc.) in Verkehr gesetztes Inhaber- oder Orderpapier
in dritter re<Üicher Hand Recht wider den Aussteller gibt.
Man darf innerhalb eines Rechtssystems, welches wie das
deutsche Handelsgesetzbuch und das in casu — einem bremi-
schen Fall — maassgebende bremische Recht den Grundsatz
>Hand wahre Hand* in aller Schärfe durchführt, die Anwen-
dung dieses I^inzips auf einen derartigen Fall, sei es direkt
(die Begründung, welche hier etwas zu umständlich ausfallen
würde, könnte auf einer eingehenden Prüfung des Geltungs-
umfanges von H.G.B. Art. 306 im Verhältniss zu den be-
sonderen Vorschriften des Art 307 fussen), sei es mindestens
analog, ohne Rechtsirrthum, sicher ohne Verstoss wider das
nationale Rechtsbewusstsein für statthaft, ja fur geboten er-
aditen; es könnte anch vielleicht die Gesetzgebung veranlasst
sein, zur Absclmeidung von Zweifeln einen derartigen Rechts-
satz aufzustellen. Allein es bedari keiner Ausfuhrung — und
dies hat leider die imnOthiger Weise weit über das praktische
Ziel der Entscheidung hinausgreifende Rechtsdeduktion
des Reichs-Oberhandelsgerichts Übersehen — dass der Fall,
da der Aussteller des Inhaberpapiers dasselbe einem EJritten
zur Aufbewahrung und sogar zur eventuellen Begebung Über-
gibt und damit dessen Treue vertraut, und der Fall, dass das
im Besitz des Ausstellers gebliebene Papier demselben wider
Willen entzogen wird , sehr weit auseinanderliegen ' ; es ist
durchaus petitio principii, dass diejenige ratio, welche das
pret
dam die in dem P&pier benrkuDdete Obligation anch lur Geltnng konunC, weaii
die FBpiere dem AanUUer >ge«lo1ilen* vorden und in die Hand da» bona-
fide-Erwerben kommen, lo hat er jetit (4. And. S. 37 [5. Aufl. ebendort]) an
die Stelle des Wortes igettohlena du Wort 'Teruntteut> gesetzt, und die
AntoritiU de* Rdcbi-Oberhandel^ericht*, welche et Mbtt tOi die Wirkiaiiikdt
der igestohlenen* Papiere angerufen hatte, jettl mit betserem Grond nor für
oügle
144 Ilie Kieatioustheorie and d«i Entwurf etna bUrgerliclien Gcsetcbnchs
Gesetz bei dem vom Aussteller bereits begebenen Inhaber-
papier Über den Grandsatz »Hand wahre Handc hinausgehen
lässt (Art. 307 im Verhältniss zu Art. 306 H.G.B.'s), für das
noch nicht begebene, ja nicht einmal ans der Hand des Aus-
stellers mit dessen Willen herausgekommene Papier zutreffe.
Die zweite Entscheidnng, einen Wechsel betreffend (Ent-
scheidungen desR.O.H,G.'s XIX S. 31 ff.) Teineint die Kreations-
theorie nnd lässt die Frage über das Recht ^terer (gut-
gläubiger) Nebmer ganz korrekt unerOrtert (s. Zeitsdir. XXVHI
S. 102 ff. [oben S. 109 ff.]). Ein drittes Urtheü (5. Cml-
senat des Reichsgeridits, 19. Juni 1880: R.G. II S. 66) moti-
virt eine unzweifelhaft richtige Entscheidong, nänüich dass
ein schenkongsweise ausgestellter und ao^ehändigter eigener
Wechsel als ȟbergebcne Sache, im Sinne des preuss, Rechts
(A.L.R. I, U § 1065) gilt, mit dem beiläufigen, die Entschei-
iang gar nicht tragenden und recht unklar gefassten Satze,
dass der Wechsel bereits vor der Aushändigung eine beweg-
liche Sache sei, welche sogar durch die Cirkulation ohne den
Transportwillen des Ausstellers wechselmässige Ansprüche zq
begründen geeignet sei.
Diesen Urtheilen, von denen jedes ohne die an die Krea-
tionstheorie direkt oder indirekt anklingenden Entscbeidungs-
grUnde zu durchaus gleichem Ergebniss gelangen musste, steht
gegenüber eine sehr beträchtliche Zahl von Urtheilen des
obersten Gerichtshofs, welche direkt sich gegen die Kreations-
theorie erklären. So die bereits in der Zeitschr. XXVIII a 103,
104 [oben S, 111 ff.] analysirten Urtheile vom 1. Oktober,
16. Oktober 1880, 2. März und 27. September 1881 (Bitsch.
II S. 90, 97, IV S. 255, V S. 82), welche sich sämmtlich auf
Orderpapiere (Wechsel) beziehen. Vgl. aiich Entsch. des
R.O.H.G.'s XVn S. 336 und 406'. Ein weiteres Urtheil des
die >veruDtrenteii< in Ansprach genommen. Wenn aber Detubnrg noch jetzt
in der Note i6 Tonnthrt^ •Gegen diese Ansicht hat seh erklan Gold-
schmidt, Rezension in seiner Zeitschr. Bd. 33 S. 307', so dbecsieht Dern-
burg; audiülender Weise, d&ss ich mich ui der dtirten Stelle nicht gegea
das praktische Ergebniss der Entscheiducg , sondern gegen deren Deduktion
ausgesprochen und dasi ich Zütschr. XXVIII 5. 100 sehr scharf iirischen ge-
stohlenen und venintreuten Inhaberpapieren untecKhieden habe.
■ S. anch Lehmann, l.ehrbuch des dentschen Wechseliechts S. zot — 304,
Auch De rn bürg gibt jetzt lu (4. Aufl. S. 37 Note 16 [ebendoit J. Aufl.]): >Die
Theorieen der Reich^erichte sind übrigens keinesw^s miteii»adei konform.'
L,_, ,Goo!;lc
fBr du DentKhe Reicfa. 145
m. Civilsenats vom 12. Juni 1885 (Entsch. XIV S. 22 ff.)
führt ans: »Der Vorinstanz ist zuzugeben, dass die Ent-
stehung einer jeden Wechselverbindlichkeit durch
den Abschluss eines Wechselvertrages bedingt ist
und dass demnach die Einrede eines Wechsel-
beklagten, er habe einen dem eingeklagten
Wechselanspruch entsprechenden Wechsel vertrag
nicht abgeschlossen, aus dem Wechselrecht selbst
hervorgeht, und somit gemäss Art. 82 W.O. an
sich gegen jeden Wechselkläger vorgeschützt
werden kann.< Demnächst heisst es, im Anschluss an die
konstante Praxis, dass dieser Vertrag auch durch Geben und
Nehmen eines Blancoaccepts mit der Wirkimg geschlossen
werden könne, dass der Blancoacceptant auch für den vom
Nehmer etwa vertragswidrig ausgefüllten Wechsel gutgläubigen
Dritten haftet. In einem weiteren Falle, Urtheil des I. Civil-
senats vom 24. Juni 1884 (Entsch. XIV S. 94 ff.), handelte
es sich imi Inhaber- oder Orderpapiere, welche einem Dritten
von der Ausstellerin mit der Ermächtigung übergeben waren,
sie in Umlauf zu bringen.
Dies dürfte genügen, um die Berufung der Vertreter der
Kreationstheorie auf die deutsche Praxis klarzustellen.
Die Kreationstheorie beruht aber auf unrichtigen ge-
schichtlichen wie dogmatischen Prämissen. Dies
soll noch in Kürze berührt werden.
Geschichtlich ist der von Kuntze und Sieget mit
grossem Aufwand von Scharfsinn versuchte Nachweis, dass
die Kreationstheorie, welche ja unstreitig im römischen Recht
nicht ihre Wurzel hat, auf Prinzipien des deutschen Rechts
beruhe, nicht nur völlig misslungen, sondern es ist auch von
den gründlichsten Kennern der Quellen des deutschen Rechts,
insbesondere von Brnnner, das volle Gegeatheil dargethan.
Und wenn Dernburg (Preuss. Privatrecht, 4. [auch 5.] Aufl., II
S. 25 ff.) in freilich sehr abgeschwächter und unbestimmter
Fassung gleichwohl auf die angeblich >deutsche Rechts-
anschauungc zurückkommt, indem zwar >in älterer Zeitc ein
Begebungsvertrag erfordert sein mag, aber später doch die
sehr lax behandelte Acceptation »ihre materielle Bedeutung
verloren habe und schliesslich in gewissen Fällen absterben
GaldicIiiDidt, VumiicfaUi Schein«!. U. lO
,.: .«:,yGüogle
146 !)■< KrMtioutlieorie and der Eotwntf eb«« Uli|;eTUd)«i Gegettbuchi
musstei, so ist er sogar für diese Thatsache, so viel ich sehe,
jeden Beweis schuldig geblieben.
Dogmatisch lässt sich:
1. meines Wissens in unserem gesammten Recht nirgends
der Grundsatz nachweisen, dass ein blosses intemum, das Nieder-
schreiben einer Urkunde, wenngleich zu rechtsgeschäftlichen
Zwecken, eine rechtliche Verpflichtung des Ausstellers dieser
Urkunde zu erzeugen vermöge — denn dass es mit dem Wechsel-
accept, welches thatsächliche Annahme eines voraufgegangene»
Vertragsantrages ist, sich anders verhalt, 'durfte ausreichend dar-
gethansein (vgl. meine Ausführungen Zeitschr. XXVIII S. 84 ff.
[oben S. 94 ff.] und Pappenheim ebenda XXXIII S. 449)
— noch dass in Ermangelung positiver Rechtsvorschrift eine Ver-
pflichtung ohne bethatigten Verpflichtungswillen entstehe;
2. die Gesammtheit der unzweifelhaft für Order- und
Inhaberpapiere geltenden Rechtssatze ohne die Kreations-
theorie juristisch konstmiren — ich komme zum Schlosse
darauf zurück — \ dagegen lassen sich allerdings die-
jenigen Rechtssätze, deren Bestand eben nur be-
hauptet wird, ohne dass für deren Existenz auch nur der
Anschein eines Beweises erbracht wäre, nur mittelst der
Kreationstheorie konstmiren. Diese Theorie ist so-
mit nur ein vielleicht bequemerer Konstruktionsapparat für
geltende Rechtssätze, dagegen gleichzeitig, und darin liegt
ihre Gefährlichkeit und UnStatthaftigkeit, ein Konstruktions-
apparat für eine unabsehbare Fülle nor erdachter, weder
geltender noch auch nur zweckmässiger Rechtssätze.
IT.
War es auch bekannt, dass unter den Mitgliedern der
Civilgesetzkommission sich Anhänger der Kreationstheorie be-
fanden, dass insbesondere der Redaktor des Obligationenrechts,
der scharfsinnige württembergische Obertribunals- Vizepräsident
V. K Ü b e 1 sich bereits in der Vorlage des ersten Theilentwurfs
ganz den Siegel 'sehen Deduktionen angeschlossen hatte,
wie denn auch in Württemberg — und nur hier — ein Gesetz
vom 16. September 1852, jetzt vom 18. Oktober 1879 Art 17,
vgl. 16, die Staatsschuldenkasse anscheinend schlechthin (?)
zur Einlösung »verlorener» Staatsschuldscheine gegen den gut-
gläubigen Erwerber verpflichtet, so überraschte es doch, dass
flir du Deabche Reich. 147
der nunmehr vorliegende Entwurf des bürgerlichen
Gesetzbuchs die Kreationstheorie gleichsam mit Haut und
Haaren adoptirt, ja sämmtlicbe von ein^lnen Schriftstellern
deducirten Konsequenzen zu positiven Rechtssätzen,
wenngleich nur für die Inhaberpapiere (alle?), gestaltet. Diese
Auffassung, heisst es in den — hier ungewöhnlich dürftigen —
Motiven n S. 695, welche »entgegen der Vertragstheorie die
rechtliche Verpflichtung des Ausstellers zu der in der Schuld-
verschreibung bezeichneten Leistung in der verbindlichen Kraft
des in der Urkunde erklärten einseitigen Verpflichtungswillens
findet, hat in der Doktrin, wie in der Praxis der Gerichte,
stetig fortschreitende (! !) Anerkennung gefunden <. In der That
finden auch die wichtigsten Rechtssatze Über das aus der Aus-
stellung von Schuldverschreibungen auf Inhaber entstehende
obligatorische Verhältniss, welche an sich heutzutage kaum
noch einer Anfechtung ausgesetzt sind, nur in jener Auffassung
ihre natürliche, der Absicht des Ausstellers derartiger Ur-
kunden entsprechende Erklärung^. Die Auffassung des Ent-
wurfs ist also augenscheinlich nur als Konstruktivsatz für ge-
wisse unbezweifelte Rechtssatze gemeint — es ist nicht gesagt,
welche Rechtssätze zu den unzweifelhaften gerechnet werden;
indessen aus der Ausführung der Motive S. 697, auf welche
ich zurückkomme, scheint hervorzugehen, dass gewisse vom
Entwurf aufgestellte Rechtssätze aus andern als konstruktiven
Gründen, nämlich aus Zweckmässigkeitsgründen adoptirt sind.
In ihrem Zusammenhang lauten die hier einschlagenden
Rechtssätze des Entwurfs wie folgt:
1.
§ 342. Das einseitige, nicht angenommene Ver-
sprechen ist unverbindlich, sofern nicht das Gesetz ein
Anderes bestimmt.
§ 343. Wird ein einseitiges Versprechen von dem
Gesetze als verbindlich anerkannt, so finden auf das
daraus entstehende Schuldverhältniss die für Schuld-
verhältnisse aus Vertragen geltenden Grundsätze ent-
■ Die Note hieraa citirt Windscheid, HaienöbrI (vgl. Über dessen
AnifllhniiigeDKiasnopoliki In der Zdttcbr. Hr Hudelr. XXXIV S. 583^.),
Eccint und die beiden wiedarbolt beiprocbeDea EDtscheidimgen: R.OJLG.
XVn S. 150 E — Senffert'« Arch. XXXI Nr. »77 und R.G. IV S. 177.
.oogle
148 I^is Krektionttheorie und der Entwurf dnes bttTgerlkhen Goedbuclu
sprechende Anwendmig, soweit nicht das Gesetz ein
Anderes bestimmt.
Die obligirende Kraft des einseitigen Versprechens bildet
so, nach dem Entwurf, einen nur in den gesetzlich bestimmten
Fällen zugelassenen Ausnahmefall. Ausnahmsweise zugelassen
werden im Gesetz (Entwurf) nur drei Fälle: »Schuldverschrei-
bung auf Inhaber (§§ 685—703), die Auslobung (§§ 581 bis
589) und die Stiftung« {§ 58) — wie auch in den Motiven II
S. 175 ausdrücklich hervorgehoben wird, doch soll die An-
wendung auf »rechtsähnliche Verhäitnissei (Entw. § 1) nicht
ausgeschlossen sein.
Mir scheint § 342 Überflüssig zu sein, insofern ja der Ent-
wurf selbst zu erkennen gibt, welche nicht vertragsmässigen
Verpflichtungen er anerkennt; schädlich, weil der ja möglichen
richterlichen Anerkennung anderweitiger einseitiger Zusagen
(z. B. der einseitigen Erklärung des Uebemehmers eines
Handelsgeschäfts, er wolle die Geschäftsschulden zahlen) trotz
der Verwahrung der Motive, ein Riegel vorgeschoben und
damit, zumal in Verbindung mit der so prinzipwidrigen Aus-
schliessung des Gewohnheitsrechts (§ 2) der gesunden Rechts-
entwickelnng eine unerträgliche Fessel angelegt wird.
§ 879 bestimmt, dass ein Inhaberpapier (nicht bloss »eine
Schuldverschreibung auf Inhaber') tmgeachtet mangelnden
Eigenthtuns des Veräusserers auch dann, wenn es ohne den
Willen des EigenthUmers oder des Inhabers aus deren In-
habung gekommen ist, in das von dinglichen Lasten und der-
gleichen freie Eigenthum des redlichen Erwerbers übergeht,
welcher dasselbe durch einen, mit körperlicher Tradition ver-
bundenen, auf Eigenthumsverschaffung gerichteten Veräusse-
rungsvertrag erworben hat. Dieser Rechtssatz entspricht, wie
auch die Motive III S. 349 bemerken, dem zur Zeit nach
Art. 307 H.G.B. geltenden Recht. Die Streitfrage, ob unter
»Inbaberpapierc auch ein unvollkommenes (sogenanntes blosses
Legitimationspapier) und ein vom Aussteller noch gar nicht
begebenes Papier zu verstehen sei, wird weder im Entwurf
selbst, noch in den Motiven berührt. Doch wird die zweite
Frage im Sinne des Entwurfs, wenigstens für obligatorische
Inhaberpapiere sicherlich zu bejahen, die erste im Sinne des
D,j,i,.e,.,,Güoglc
Ar das Dentsche Rdch. 149
Entwurfs (vgl. § 685 in Verbindung mit §§ 702 , 703) an-
scheinend zu verneinen sein.
Im Uebrigen spricht der Entwurf nur von »Schuldver-
schreibungen auf Inhaber« , und stellt für diese — ich will
dafür den kürzeren, obwohl ja an sich umfassenderen Aus-
druck »Inhaberpapierc brauchen — folgende Rechtssätze auf:
a) Gläubiger aus dem Inhaberpapier wird der jewei-
lige Inhaber der Schuldverschreibung: § 685, d. h. nach
§ 797 ein Jeder, der auch nur momentan die thatsäcbliche Ge-
walt über das Papier hat. Es ist somit Gläubiger nicht allein
der EigenthUmer, der redliche juristische Besitzer, der juristi-
sche Besitzer, sondern schlankweg jeder Detentor. Es ist ver-
worfen die von Savigny und mir entwickelte, in neuerer Zeit
immer allgemeiner anerkannte (vgl. z. B. Zeitschr. f. Handelsr.
XXVIII S. 66, XXXIII S. 447) Eigenthumstheorie, mit ihrer
scharfen Scheidung von Recht und von blossem Rechtsausweis
(Legitimation), nicht minder jede Zwischentheorie; vielmehr
macht die blosse Inhabung nicht allein formellen Rechtausweis,
sondern materielles Recht. Dass insbesondere auch der un-
redliche Inhaber, auch der Dieb, Gläubiger wird, sagt zudem
ausdrücklich § 687:
»Der Aussteller der Schuldverschreibung
darf dem Inhaber derselben die Leistung
nicht deshalb verweigern, weil dieser die
Schuldverschreibung in unredlicher Weise
erworben hat, unbeschadet der Vorschrift
des § 689..
Das »unbeschadet u. s. f.c heisst, dass der Aussteller sich
gegen den Inhaber solcher Einwendungen bedienen darf,
welche lin dem zwischen dem Aussteller und dem Inhaber
bestehenden persönlichen Rechtsverhältnisse sich gründen*.
Danach hat freilich der Aussteller — ganz Kuntze's
Deduktion entsprechend — exceptio doli gegen den Inhaber,
sofern dieser Mandatar, Depositar u. dgl. des Ausstellers,
Dieb vom Aussteller ist u. s. f. — nicht dagegen, wenn der
Inhaber das Papier einem Anderen, etwa dem Depoätar, Man-
datar des Ausstellers u. s. f. veruntreut, ja gestohlen, geraubt
hat. Juridisch ausgedruckt: was bisher nur hinsichtlich des
LiOOgIc
150 Q>s KieBiianEtheorie nnd der Entwurf eine* bflrgerlichen Goetebnclit
Besitzschutzes galt, dass die auch wideirecbtltch erworbene
Gewalt nur demjenigen weicht, gegen welchen sie fehlerhaft
erlangt ist (exe. vitiosae |>o5sessionis ab adversario — so auch
b. Entw. § 819, 820), wird zum Prinzip des schlechthin sogar
an die Inhabung geknüpften Forderungsrechts. Ein schon für
den Besitzschutz trotz dessen nur interimistischer, dem Recht
nicht präjudizirender Tragweite, nicht unbedenkliches Princip
wird zum leitenden Grundsatz für Forderungsrechte erhoben!
Nach dem Entwurf sind Gläubiger zahlreiche Personen,
welche dies nach der Verkehrsanschaunng weder sind noch
sein wollen: die Dienstmagd, welche die Biwknote, den Kupon
u. s. f. zum Auswechseln oder zur Bezahlung des Kaufmanns
in Händen hat, jeder Kassenbote, Depositar u. dgl. m., und
zahlreiche Personen, welche nach bestehendem Recht wie nach
unserem Rechtsbewusstsein dies nicht sein köimen : der Finder,
Dieb, Räuber n. s. f. Weiter: in dem Augenblick, da das
Papier aus der Hand des Berechtigten, gleichviel wie, in
fremde Hände geräth, erlischt das Gläubigeirecfat des er^teren,
und bleibt gleichwohl, gemäss § 879 (H.G.B. Art. 307) dessen
Eigenthum am Papier bestehen; es ist das Eigenthnm nicht,
was es verständiger Weise nur sein kaim, Voraussetzung des
Gläubigerrecfats, sondern ein blosser Rechtsbehelf zur Wieder-
erlangung verlorenen Gläubigerrechts.
Diese, wie mir und vielen Anderen scheint, höchst ver-
zwickte Auffassung, welche gleichmässig dem Wesen des
Eigenthums wie des Forderungsrechts widerstreitet, wird in
den Motiven lediglich mit der apodiktischen, eben erst zu er-
weisenden Behauptung begründet, dass der Inhaber als solcher
der Gläubiger sei (S. 694, 697), und dass der Aussteller —
von Fällen gerichtlichen Zahlungsverbots (§ 693) abgesehen —
weder Recht, noch mach der Natur der auf den Inhaber
lautenden Urkunden ein berechtigtes Interesse daran habe, an
wen er zu leisten hatc (S. 697). Ob derselbe ein thatsäch-
liches Interesse daran hat, ist freilich thatsächliche Frage;
sein rechtliches Interesse aber lässt sich in abstracto gar nicht
bezweifeln, somit auch nicht, dass er berechtigt (wenngleich
nur in den seltensten Ausnahmefällen verpflichtet) ist, gegen
den Inhaber den Beweis des Nichtrechts zu führen. So sehr
gehen dem Entwurf Sacheigenthum an der Urkunde und
Gläubigerrecht aus derselben auseinander, dass die Motive
,GooqIc
fUr dai Deabche Rekh. 151
sich mit der Bemerkung begnügen (S. 694, 695): die Nor-
mirung der an die Inliaberpapiere sich knüpfenden sachen-
rechtlichen Fragen findet sich im dritten Buch.
b) Dieser ganze Komplex von Rechtssätzen soll
gelten auch von dem vor jeder Begebung durch
den Aussteller in fremde Gewalt gelangten In-
haberpapier.
§ 686 lautet:
Der Aussteller einer Schuldverschreibung auf In-
haber wird durch dieselbe auch dann verpflichtet, wenn
die Schuldverschreibung dem Aussteller gestohlen oder
von diesem verloren oder in anderer Weise ohne dessen
Willen in den Verkehr gelangt ist. Die Verpflichtung
wird dadurch nicht ausgeschlossen, dass die Schuldver-
schreibung erst, nachdem der Aussteller gestorben oder
geschäftsunfähig geworden ist, in den Verkehr gelangt.
Man kann nicht umhin, die Kühnheit der Verfasser zu
bewundem, welche ihrem Gedanken einen so völlig unzwei-
deutigen Ausdruck geben. Ja, in den Motiven S, 697 wird
gesagt, es kOmie dahingestellt bleiben, ob das Prinzip (Kreations-
theorie) sich vom theoretischen Standpunkt rechtfertigen lasse,
aach ob Wissenschaft und Praxis alle gezogenen Konsequenzen
billige, aber die Sicherheit des Verkehrs, das Verkehrsbedürf-
niss, erfordere nothwendig diese Sätze ; denn es könne vom Er-
werber nicht verlangt werden, dass er die Schuldverschreibung
daraufhin prüfe, ob sie von dem Aussteller ausgegeben oder
ohne dessen Willen in den Verkehr gelangt sei.
Nun lässt sich freilich diese Prüfung dem Erwerber nicht
ohne Beschwer zumutben, und es ist sogar weiter zuzugeben,
dass auch die sorgfältigste Prüfung häufig ergebnisslos bleiben
wird. Aber begründet diese Schwierigkeit als Rechtsfolge
die Verpflichtung des Ausstellers? Schon früher habe ich
darauf hingewiesen (Zeitschr. f. Handelsr. XXIII S. 307), dass
hier ein Fall der Interessenkollision vorliegt und dass in der-
artigen KonftiktsfäUen nicht absolut hinsichtlich der Gefahr&-
tragung — denn auf diese kommt es ja hinaus — die An-
forderung der Verkehrssicherheit oder der gute Glaube den
Ausschlag geben. Denn nicht nur, dass in solchem Falte
der — wie zunächst fttr die Entscheidung der Prinzipienfrage
vorauszusetzen ist — völlig schuldlose Aussteller weit mehr
„Google
152 Die Kieatioiiltheorie und der Entwurf eines bUrgerlichen Geseubncbt
beoachtheiligt wird als der vorsichtige Erwerber, welcher
meist an seinen Autor sich zu halten in der Lage ist, so ver-
stände sich ja — obwohl Deroburg noch jetzt an der gegen-
theiligen Behauptung festhält — nach dem gleichen Prinzip
von selbst, dass jeder Aussteller eines Scheines mit uner-
kennbar verfälschtem Inhalt dem redlichen Erwerber in
Gemässheit des verfälschten Inhalts zu haften hätte ^ weiter,
dass, wer bona fide und nach sorgfältiger Prüfung auf eine
verfälschte Anweisnng (Check, Tratte) gezahlt hat, gegen den
Mandanten (Trassanten) in Gemässheit des verfälschten Scheines
Revalirung beanspruchen dürfte, wohin ja das in der Zeitschr.
fUr Handelsr. Bd. XXXII S. 200 ff. mitgetheüte, freilich refor-
mirte Urtheil des Luzemer Bezirksgerichts augenscheinlich
neigt. Ohnehin lässt sich Fälschung oder Verfälschung in der
Regel durch Vorkehrungen leichter verhüten als Abhanden-
kommen wider Willen.
In dem Augenblick, da ich das Papier unterzeichne, unter-
stemple, wird es mir vom Räuber entrissen ; durch einen Wind-
stoss auf die Strasse getrieben; entsteht ein Brand, in Folge
dessen das Papier mit anderen Gegenständen unter die Menge
geräth ; trifft mich ein Herzschlag und es nimmt irgend Jemand
das Papier an sich — während ich dieses Papier überhaupt
nur bedingungsweise, nur gegen Entgelt, nur an eine be-
stimmte Person begeben, bis zur Begebung im eisernen Geld-
schrank aufbewahren woUte u. s. f. In allen diesen Fällen
haftet der Aussteller (dessen Nachlass, Konkursmasse u. s. f.) —
ganz abgesehen von jedem Verschulden — aus dem Papier,
weil bereits mit der vollendeten Ausstellung die
Verpflichtung begründet sei.
Diese Verpflichtung gründet sich augenscheinlich nicht
auf den Willen des Ausstellers, kann daher nicht, wie der
Entwurf thut, unter der Rubrik von >einseitigen, nicht
angenommenen Versp rechen c imtergebracht werden.
Denn richtig ist nur, dass ein »Versprechenc nicht ange-
nommen, unrichtig, dals ein Versprechen ertheilt ist. Der Wille,
zu versprechen, war einstweilen weder vorhanden, noch er-
klärt, der Wille des Ausstellers war der gerade entgegen-
stehende ; er wollte nicht schon jetzt, sondern, wenn überhaupt,
erst durch die Begebung verpflichtet werden. Darüber ist gar
kein Zweifel möglich; nur die Willkür juristischer Phantasie
ogic
flir i»M Dentacbe Rdch. 153
vennag hier einen Verpflicbtangswfllen zu Engireo. Diese
Obligation gründet sich viehnehr ausschliesslich auf den Willen
des Gesetzes, sie entsteht nicht voluntate, sondern lege.
Nun kann das Gesetz freilich Alles, der Gesetzgeber ist
omnipotent: >tbe parliament (the king in parliament) can do
everything but make a woman a man and a man a womanc
(Delolme) — aber es bleibt doch zu prüfen, ob das Gesetz
das UnveniUnftige bestimmen soll.
Weiter: ist nach dem Willen des Gesetzes, mit der Aus-
stellung des Scheines die Verpflichtung begründet und
sucht nunmehr nur noch der Schein, damit doch der
Wille des Gesetzes durchgeführt werde, einen Träger, wird
dieser Träger nach dem weiteren Willen des Gesetzes durch
Delikt oder Zufall (Raub, Luftzug u. s. f.) bestimmt, so
ist nidit abzusehen, weshalb das Gesetz eine durchaus natür-
liche, man darf sagen, nothwendige Konsequenz nicht zieht-
So gut der Schein seinen unbestimmten Rechtsträger sucht und
in dem Dieb, dem Räuber, in Jedem, der sich des Papiers be-
mächtigt, findet, muss ja auch der noch unbestimmte
Träger das Papier, d. h. das laut Papier bereits
fUr ihn bestehende Recht suchen können. Denn da
im Uebrigen nach den Prinzipien unseres Rechtssystems Delikt
oder Zufall nicht Gründe von Rechtserwerb sind, so verführe
das Gesetz, welches für die Inhaberpapiere das Gegen-
theil festsetzt, völlig konsequent, wenn es Jedermann
eine Popularklage auf Aushändigung des Papiers
gegen den Aussteller gewährte. Diese Klage wUrde
man actio ex creatione, oder, allenfalls nach bekanntem
Master: 1. 19 D. ad exbib. (10,4), actio ad exhibendum
nennen. Mindestens würde aber doch, sofern der juristische
Verstand gegen solche Klage des quivis ex populo Bedenken
trüge, bei dem alternativen Inhaberpapier (Herrn A oder [und]
Inhaber, to Mr. Smith or [and] bearer), und dem Orderpapier
(Herrn A oder dessen Order) schwerlich dem benannten Desti-
natar (Herrn A, Mr. Smith), kaum dessen erweislicher Order,
diese Klage verweigert werden dürfen.
Augenscheinlich indessen erachten die Verfasser des Ent-
wurfs, ungeachtet der angeblich zwingenden Gründe der Ver-
„GüOgle
154 Die Krefttioiutfaecirie nnd der Entwurf önet bUrgeTlichtD GcMtibucht
kehrssicherheit , die von ihnen beliebte Regelang nicht unbe-
denklich. Sie schaffen daher ein SicherheitsTentil.
Nach § 685 Abs. 3 kann :
>die Gültigkeit der Vollziehung durch einen
auf der Urkunde anzut»ingenden Vermerk von der Bei-
fügung eines bestimmten Zeichens oder Vermerks ab-
hängig gemacht werden c,
und es sollen, nach § 701 Abs. 4, »über die Form der Voll-
ziehungf der von einem Bundesstaate angestellten Schuldver-
schreibungen die Gesetze dieses Bundesstaats Bestimmungen
treffen können. Soweit es sich nicht um Staatspapiere handelt,
wird wohl konsequenter Weise den einzelnen Ausstellern (Pri-
vaten, Gesellschaften, Korporationen n. s. f.) freigestellt sein,
die Form wirksamer Vollziehung festzustellen.
Der Sinn dieser merkwürdigen Vorschrift ergibt sich aus
Bd. II S. 696 der Motive. Es wird hier unterschieden zwischen
der iHerstellung der Effektenformidaret, welche übrigens
bereits unterzeichnet (bezw. mit äquivalenten faksimilirten
Unterschriften versehen) sind und der »Ausfertigung
dieser Formulare«; erst »mit der Ausfertigung werde die Er-
klärung des Verpflichtungswillens vollständig«. »Zur Ver-
meidung der Gefahr, dass der Aussteller auf Grund eines nur
erst hergestellten, noch nicht ausgefertigten Effektenformulars
in Anspruch genommen werden könnte, ist hiemach die weitere
Bestimmung nöthig, dass die Gültigkeit der Vollziehung durch
einen auf der Urkunde anzubringenden Vermerk von der Bei*
fügung eines bestimmten Zeichens oder Vermerks abhangig
gemacht werden kann.«
Zunächst ist die Richtigkeit dieser subtilen Unterscheidung
zwischen »Herstellung« und »Ausfertigung« zu beanstanden,
und das für diese Unterscheidung citirte Urtheil des Reichs-
gerichts, Entsch. in Civilsachen XIV S. 96 ff., steht derselben
nicht zur Seite. Die allerdings mitunter hergebrachte Kontrol-
zeichnnng eines Dritten gehört so gut zur iHerstellung« wie
zur »Ausfertigung! ; wo diese Kontrolzeicbnung üblich- ist,
wird vor der Beifügung des Kontroizeichens bezw. der Kontrol-
unterschrift das Papier als noch unfertig betrachtet. Der un-
natürliche Gedanke aber, dass durch dieses Kontroizeichen
(vielleicht eines Buchstabens) der »Verpflichtungswille
erklärt werde«, so dass nunmehr eine fertige Obli-
„Google
Rb im Deanche Reich. 155
gation im Rechtssinoe vorliege, d. h. nicht eine fertige
Urkunde, sondern eine durch ihre blosse Existenz den Aus-
steller verpflichtende Urkunde, liegt sicherlich den be-
treffenden Institnten (Staatsscbuldenverwaltung, Aktienvereinen
u. dgl.) völlig fem.
Vergegenwärtigt man sich weiter die praktische Trag-
weite dieses Satzes, welcher eine Verpflichtimg aus dem Papier
dann, aber nur dann nicht entstehen lässt, wenn man dem
ausgestellten Papier seine >Unfertigkeit< ansehen kann, so darf
man wohl sagen, solche mit dem betreffenden Unferdgkeits-
vermerk versehene Papiere sind gewissermaassen im Voraus
ausser Kurs gesetzt, ihre »Wiederinkurssetzungc erfolgt
erst durch Beifügung des in dem Vermerk geordneten Kontrol-
zeichens u. dgl.
Nun wird es sich häufig ereignen, dass beide Vermerke,
der sospendirende und der die Sospendinmg beseitigende, sehr
schwer wahrnehmbar sind; der eine wie der andere können
gefälscht, von einem Unberechtigten aufgesetzt sein ; es kann
der erst« Vermerk, welchem ein zweiter aufhebender nicht ge-
folgt ist, unerkennbar getilgt sein u. s. f. Es hegt so die
höchste Gefahr vor, dass gerade durch diese EinschiHnkong
ein für den redlichen Verkehr, welchem die übrigen exorbi-
tanten Satze des Entwurfs dienen sollen, unleidlicher Zustand
geschaffen wird, noch unerträglicher als die gegenwärtige
Verworrenheit hinsichtlich der Ausserkurssetzung and Wieder-
inkurssetzung. Unter dem bestehenden Recht, nach welchem
auch die vollendete »Aosfertigungt für sich allein noch keine
Verpflichtung begründet, ist die übliche Kontroivorschrift
durchaus zweckmässig — imter dem System des Entwurfs
könnte sie, ja die blosse Thatsache, dass ein derartiger Rechts-
satz besteht, zur Diskreditirung aller aaf Inhaber gestellten
Papiere führen.
ni.
Liegt mm — um von allem Anderen zu schweigen —
ein praktisches BedUrfniss vor, die Kreationstheorie legis-
lativ zu Sanktioniren? Sind bisher in der deutschen
Praxis irgend welche F^Ile an den Tag getreten, für welche
vom Standpunkt einer anderen als der Kreationstheorie be-
oogle
156 Kc Ktotioiutlieorie und der Entwiirf «inei bOrgeTlichen GeteUbncfas
rechtigten loteressen des redlichen Verkehrs der gebührende
Schutz versagt hätte?! Ich finde in den Annalen unserer
deutschen Gerichte keinen Fall, zu dessen sachgemSsser
Entscheidung es der Kreationstheorie bedurft hätte, und es
ist schon wiederholt bemerkt, dass alle unzweifelhaft
feststehenden und not h wendigen Rechtssätze auch
ohne die Kreationstheorie zu gewinnen sind. Wie wUnschens-
werth es femer ist, dass der Gesetzgeber sich der Rechts-
prinzipien, auf welchen seine Festsetzungen beruhen, klar be-
wusst sei, so beruht der praktische Werth dieser Festsetzung
doch lediglich darauf, dass sie den wirklichen Lebensbedürf-
nissen und dem Rechtsbewusstsein der Nation entspricht; die
juristische Konstruktion mag das Gesetz der Theorie über-
lassen. Erst neuerdings durfte ich den Nachweis führen, wie
gefahrlich der Versuch ausfällt, aus juristischen Deduktionen
heraus legislative Feststellungen zu treffen, die Statthaftigkeit
oder UnStatthaftigkeit von legislativen Anordnungen danach
bemessen zu wollen, ob dieselben der, häufig missverstandenen,
Theorie entsprechen oder nicht entsprechen '. Sind die in den
§§ 685, 686, 687 aufgestellten Rechtssätze nothwendig,
d.h. zum Schutze des redlichen Verkehrs so unerlasslicb,
dass alle kollidirenden Interessen dahinter zurückstehen müssen,
so mag der Gesetzgeber dieselben aufstellen, unbekümmert,
ob dieselben sich aus irgend einer iTheorie«, >Konstruktionc
u. dgl. herleiten lassen oder nicht Wer — und das dürfte
doch wohl die Mehrheit der deutschen Juristen sein — diese
Nothwendigkeit leugnet, wird diese ^tze auch dann verwerfen
müssen, wenn sie sich aas einem für richtig erachteten Prinzip
herleiten Hessen.
Die theoretische Erörterung über die Kreationstheorie
dürfte wohl geschlossen sein. Wenigstens wüsste ich dem,
was von mir und Anderen gesagt worden ist, nichts hinzu-
zufügen. Nur auf eine neuerdings gemachte Bemerkung
meines Freundes Dernburg muss ich noch eingehen.
Dem bürg behauptet jetzt (Preuss. Privatrecht, 4. [auch 5.]
Aufl., 11 S. 28 Note 18), ich sei durch meine gegen ihn gerich-
teten Ausführungen in der Zeitschr. für Handelsr. Bd. XXVIII
■ Meine Schrift: I^ Haftpflicht derGenoxen und das Unilage*erfi>iiren.
D,3,l,:a,.,,GüOgle
ffli du DentMh« Reicli. 157
S. UOff. [oben S. U4ff.] unbewusst und »wie sehr ich mich
auch sträube < in die Gefolgschaft der Kreationstheorie eingetreten.
Dernburg hat den spitzen Fall ausgesonnen, dass der erste
Nehmer des Papiers erwerbsunfähig ist (ein Kind, ein Wahn-
sinniger) und demnächst das Papier in die Hand eines redlichen
erwerbsfähigen Nehmers gelangt. Die Möglichkeit eines der-
artigen Sachverhalts ist ja zuzugeben , und es lässt sich auch
die Ansicht vertreten, dass in diesem Falle der spätere red-
liche Nehmer das Eigenthum am Papier (H.G.B. Art 307)
und mit ihm das Fordeningsrecht erwirbt, obwohl augenschein-
lich ein praktisches Bedürfniss zu einer derartigen Annahme
nicht vorliegt und die grossen Schwierigkeiten, welche bei-
spielsweise durch den verwandten Fall der Zulassung von
Putativtiteln (si a furioso, quem sanae mentis putem,
emero u. dgl.) in der Ersitzungslehre entstanden sind und noch
bestehen, zu gewichtigen Bedenken führen. Allein den be-
haupteten Satz zugegeben, so wird selbstverständlich die kon-
struktive Subsumtion eines so anomalen Falles imter die nor-
malen Recht^;rundsätze auf Schwierigkeiten stossen — sogar
die klassischen römischen Juristen haben sich an viel ein-
facheren Problemen Jahrhunderte hindurch abgemüht.
Ich habe nun a. a. O. eine Konstruktion versucht, welche
vielleicht ungelöste Bedenken lässt und mit einem zu komplizirten
Apparat arbeitet. Aber auch dieser Konstruktion liegt doch
das Prinzip zu Grunde, dass nur aus demjenigen
Papier, welches der Aussteller mit dem Willen,
sich einem successiven, noch unbestimmten Per-
sonenkreis zu verpflichten, aus der Hand gegeben
hat, eine Obligirung des Ausstellers entstehen
kann, wenn nicht gegen den ersten, weil erwerbsunfähigen,
so doch gegen spätere, erwerbsfähige Nehmer. Wie diese
Annahme nun, selbst wenn die konstruktive Begründung un-
richtig wäre, auf die iKreationstheoriei hinauskommen
soll, d. h. auf die Verpflichtung des Ausstellers durch die
blosse Niederschrift bezw. Unterschrift des ihm auch wider
Willen entzogenen Papiers, bleibt mir unverständlich.
Weiter aber lassen sich für diese Annahme auch sonstige
Konstruktionsmöglichkeiten denken, welche sämmtlich zur
iKreationstheoriei in Widerspruch treten, insbesondere die
von Sohm allgemein, später vouGierke und Pappenheim
, Cioogic
158 Di* KreatioDtÜieorie und der Entwurf ein«* bdrgerlicbeii Goetilnicbi
(Zeitschr. für Handelsr. XVII S. 92 ff., XXDC S. 258, XXXIII
S. 447 f (.) versuchte Begründung , dass die Weggabe des an
einen unbestimmten Personenkreis gerichteten Papiers nur den
ersten Akt des Vertrages, nämlich ein (hier skripturmassiges)
Vertragsangebot (Offerte) darstellt, welches in der annehmen-
den erwerbsfähigen Person, und natürlich nur in dieser, zum
Vertrage und damit zur Verpflichtung des Ausstellers führt.
Kann der Aussteller das Papier, bevor es in die Hand einer
solchen (redlichen erwerbsfähigen) Person gelangt, wieder an
sich ziehen, so ist er niemals obligirt gewesen; sein skriptur-
massiges Vertragsangebot aber kann selbstverständlich ohne
das Papier nicht widerrufen werden.
Dass diese sich durchaus in den Grenzen der Vertrags-
theorie haltende Konstruktion doch mindestens gleich accep-
tabel ist wie die Kreationstheorie, liegt auf der Hand, und es
wäre erwünscht gewesen, dass Dernburg sich Ober dieselbe
ausgesprochen hätte. —
Wenn der Uriieber und bisher noch immer eifrigste und
scharfsinnigste Verfechter der Kreationstheorie, Kuntze, die-
selbe damit empfiehlt, dass sie die (einfachste, konsequenteste,
einheitlichste, korrekteste, praktikabelste, vernünftigste und
billigste sei«, welche nur von der »alten Schulec, die »vom
Vertragstypus nicht loskommen kann«, verworfen werde (für
den Wechsel in Endemann's Handbuch IV, 2 S. 74, 75,
für das Inhaberpapier in seinem Gutachten für den XVI. deut-
schen Juristentag, Verhandlungen I S. 135 ff.) und hinzufügt :
»Was will man mehr?«, so hat bereits Pappen he im (Zeitschr.
für Handelsr. XXXII S. 336) zutreffend bemerkt: mehr will
man gewiss nicht, man würde sich sogar mit viel weniger be-
gnügen, und falls man sich gegen sie sträubt, muss das wohl
darin seinen Grund haben, dass man eben den Nachweis jener
Vorzüge nicht für erbracht hält. In der That würde z. B.
mir genügen, wenn diese Theorie richtig wäre, d. h. falls
aus ihr diejenigen Rechtssätze äch ergeben, welche bestehen,
und nicht solche Rechtssatze sich ergeben, welche weder be-
stehen noch bestehen sollen.
Dass mittelst der Kreationstheorie sich genösse schwierige
Fragen des Rechts der Werthpapiere einfacher lösen lassen
als mittelst der Vertragstheorie, ist ja selbstverständlich, und diese
bestechende Einfachheit hat wohl vor Allem dem Kuntze 'sehen
_ .^ „Google
fliT iat D«uticbe Reicb. 159
Theorem jetzt sogar zur Anerkennung in dem Entwurf des
bürgerlichen Gesetzbuchs verholfen. Aber ich habe wieder-
holt bemerkt, dass die ^nfachheit eines Prinzips so wenig für
dessen Richtigkeit als für dessen Zweckmässigkeit entscheidet
Nichts wäre einfacher als die Feststellung, dass Jedermann
denjenigen Schaden ersetzt, welchen er auch nur äusserlich
verursacht hat ; dass jeder Dieb gehängt wird ; dass jede
Handel^esellschaft eine juristische Person sei; dass das Zins-
maass in keinem Falle fUnf Procent übersteigen dürfe; dass
»mter befreiender höherer Gewalt ganz bestimmt und absolut
bezeichnete Unßllle zu verstehen seien u. v. a. Aber solche
»Einfachheit« ist nur allzuhäufig ein Kennzeichen des noch
unentwickelten Rechts, während das hochentwickelte Recht
der Gegenwart sich mit so dürftigen absoluten Rechtssätzen
nicht begnügen kann. Die schwierigen Interessenkollisionen
lassen sich nicht mit einer einfachen abstrakten Formel durch-
hauen.
.Wirklichen Verkehrsbedürfnissen, welche etwa eine Haf-
tung des Ausstellers auch des imbegebenen Papiers erfordern
— ob solche unter Umständen vorliegen, soll an dieser Stelle
nicht erörtert werden — lässt sich durch Special gesetze, durch
Schadensersatzpflicht aus erweislicher Nachlässigkeit abhelfen,
geeigneten Falles wird das Interesse an der Aufrechthaltung
des eigenen Kredits die Schädigung redlicher Nehmer ver-
hüten.
Weiter zu gehen, muss entschieden widerrathen werden.
Keinesfalls dürfte die entsprechende Regelung isolirt für
die Inhaberpapiere erfolgen; es bedtlrfte der genauen
Untersuchung, wie weit entsprechende Rechtssätze auch für
die Orderpapiere, vielleicht für gewisse Rektapapiere
statthaft erscheinen. Den inneren Zusammenhang des
Rechts der »Werthpapiere« ignortrt der Entwurf
vollständig. Man wird sich entschliessen müssen, entweder
das Recht der Inhaberpapiere aus dem bürgerlichen Gesetz-
buch zu entfernen und gemeinschaftlich mit den Orderpapieren
u. dgl. dem zu revidirenden Handelsgesetzbuch zuzuweisen
oder^doch mit der Neu-Redaktion des Handelsgesetzbuchs ge-
meinschaftlich zu berathen, will man zu harmonirenden Rechts-
sätzen gelangen. Es wäre geradezu unerträglich, falls für
den Wechsel ein anderes Grundprinzip aufgestellt würde als
„Google
160 I)ie Kreationitheorie and der Entwurf eine« bar|>erIicheD G«»etibnclu etc.
für das Inhaberpapier. Bereits in dem von mir redigirten Be-
richte der Vorkommission (Zeitschr. f. Handelsr. XX S. 140)
heisst es: »Das Recht der Inhaberpapiere ist im Zusammen-
hange des bürgerlichen Gesetzbuchs festzustellen, vorbehaltlich
der etwaigen späteren Zuweisung an das Handelsgesetzbucbf
und ist damit, wie auch sonst am Schlüsse des Berichts (eod.
S. 149), die Noth wendigkeit, zwischen dem Handelsgesetzbuch
und dem bürgerlichen Gesetzbuch Uebereinstinunuiig herzu-
stellen, entschieden betont worden. —
oy Google
6.
INHABER-, ORDER-
UND
EXECUTORISCHE URKUNDEN
KLASSISCHEN ALTERTHUM.
(1889.)
Goldichmidt, VeimbcbtsSelirift«. Q. II
Digitizecy Google
D, Google
Einleitons 165
I. Recbt der oricDtalischen Völker 167
I, Order-, Inhaber-, Execntiv-Klanieln d«i mittelalterlichen Rechts i63
3. Die syngrapha in der Rede des Demoithenet c. LacriEom.
Eieculivklansel 173
4. Die Iiuchrift tod Orchomenoi, betrefTend die DarlehetugeschUte
der NikareU 17Ö
5. Die amoi^iniuhea Anlehentarknnden 180
6. Späterer helleninitcher Qnelienkrei» 184
7. Ceuion im griechischen Recht? 185
8. Fhiatat Ouculio; ai/ißokov in Plaatus' Bacchides und bei
l.jäaa 192
9. Klauiel eive ad quem ea les pertinebit, Verpflichtung zu
GnnsteD nnbestinimter Gliubiger 196
■O. Die Orderanweiiung : I. II D. de novit 198
II. Ueberweisungikelte. Scontratton, Schlutt 304
iLCD, Google
iLCD, Google
Inhaber- und Order-Papiere sowie ezecatorische Urkunden
gelten als dem klassischen Alterthum unbekannt, hinsicht-
lich der Wechsel mmmt dies mindestens die herrschende
Meinung ein.
Lässt sich nun, wie mir scheint, der sichere Nachweis
erbringen, dass diese Annahme in allen TheUen ungegrUndet
ist, so bedarf es doch zuvor einer Verständigung über den
Umfang des für die entgegenstehende Behauptung zu er-
bringenden Beweises.
So ist z. B. der heutige Wechselbrief wirthschaftlich wie
rechtlich ein von dem mittelalterlichen Wechselbrief sehr ver-
schiedenes Institut. Der letztere, und zwar gleichmäs^g in
den beiden Gnmdformen des (domicilirten) Eigenwechsels wie
der Tratte, ist lediglich urkundliche, wenngleich durch strenges
Urkundenrecht gesicherte Zuweisung einer (empfangenen oder
allenfalls als empfangen fingirten) Geldsumme nach auswärts ;
er ist dagegen weder Urkunde Über eine abstrakte Geld-
forderung, noch ist er im Sinne des heutigen Rechts in-
dossabel.
Hat aus dem heutigen vollkommenen Inhaberpapier der
Berechtigte ein durchaus selbstständiges, durch Einreden ans
der Person des ersten Nehmers wie sonstiger Vormänner an
sich nicht zerstörbares Recht, so hat es doch viele Jahrhun-
derte gewährt, ehe diese Selbstständigkeit des > Inhaberrechtsc,
mag sie auch vielleicht schon ursprünglich im Keime vor-
handen gewesen sein, zur vollen rechtlichen Anerkennung ge-
langt ist
Die Vollentwicklung der »Scripturrechtspapiere« (nach
Brunners Bezeichnung »Papiere öffentlichen Glaubens*) voll-
zieht sich So in sehr langen Zeiti^umen. Die Geschichte dieser
Entwicklung ist noch zu schreiben und erfordert genaue
ogic
166 Inbabei-, Otdci- und ezecutorisclie Uilmnden im klucUcben Alurtliuiii.
Kenntniss des sich allmäUg entfaltenden Gewohnheitsrechts
wie des theils hemmenden, theils fördernden römisch-kanonischen
Privat- und Prozess-Rechts in seiner mittelalterlichen Aus-
bildung, nicht minder aber des germanischen Urkimden-, Forde-
rungs- und Prozess-Rechts. Jeder Sachkundige weiss, dass in
allen diesen Richtungen noch sehr viel zu thun ist.
Dagegen wird für die Frage, ob bereits das Alterthum
die vorhin genannten Institute gekannt hat, der Nachweis ge-
nügen, dass vor der germanischen Epoche gleiche Rechts-
erscheinimgen vorhanden sind , wie sie die primitiven Ge-
staltungen des mittelalterlichen Rechts enthalten. Ja man
darf glauben, schon damit die geschichthche Forschung zu
fördern, wenn man nur im klassischen Alterthum gleiche
Thatbestände von unzweifelhaftem Rechtsgehalt aufweist,
sollte es, einstweilen mindestens, noch nicht gelingen, die ein-
zelnen Rechtsältze mit Sicherheit festzustellen, welche sich
an diese Thatbestände geknüpft haben. Die hier allein zum
Ziele fuhrende streng induktive Methode kann nicht vorsichtig
genug gehandhabt werden.
Von den Wechseln, welche eine besondere Untersuchung
erfordern, soll an dieser Stelle abgesehen werden.
Auszuscheiden ist femer das vielbehandelte Feld der
tesserae (Marken) der klassischen Zeit Denn wie unzweifel*
haft auch der blosse Inhaber (Vorzeiger) der Marken zur Ent-
gegennahme der durch dieselben bezeichneten Leistung legi-
timirt war', so gehören doch alle einschlägigen Einrichtungen
dem Gebiet nicht des Privatrechts, sondern des Verwaltungs-
rechts an *. Es ist weder ersichtlich, dass — mindestens nach
römischem Recht — dem Inhaber solcher Marken eine actio
zustand, noch umgekehrt, dass die an den blossen, vielleicht
unberechtigten Vorzeiger erfolgte Leistung mit einem Privat-
rechtsmittel hatte angefochten werden können.
■ Dw DBiMtten Untettachangen aber die attiichen a&fiflolm ßtr Tlieo-
rikm, Ekkleduten- nod HeliMten-Sold (Benndorf n. >.} ». bei Frlnkel
ni Boeckh, Die StutahmoilidlunK der Athener, 3. Antg. n Note 411, 430,
43I1 439 (S* C4*fr.); über rSmiicha U«ene (aüfiflola) frnmenteriae etc.:
Marqukrdt, ROmiKbe Stutrrannltung II S. 133 Note 3, S. 134 Note 8,
S. 135 Note 5, S. latf; m S. 476 Note 3, 3, S. $15 (538?).
* Fernice in d« ZeltMhr. f. RechttKeMh. N. F. VS.99f., 103 ff., iio.
Rccbt der orlcnUdhchcii Völker.
1.
Aus dem Recht der orientalischen Völker ist gar
nichts hinsichtlich der Phönicier und Karthager bekannt. Denn
das vielbesprochene karthagische »Ledergeld* (»etwas« in ein
Stück Leder von der Grösse eines Stater eingewickeltes) ' war
nur MUnzzeichen, es lief als Geld an Stelle des Metallgeldes
um — dass sich an dessen Innehabung irgend welche Privat-
rechtsansprilche knüpften, ist unglaublich, nicht einmal ein
Einlösungsrecht irgend welcher Art ist bezeugt.
Neuerdings ist behauptet worden, das unzweifelhaft grosse
Handelsvolk der Babylonier habe, sicher im 7. oder doch 6. Jahr-
hundert vor unserer Zeitrechnung, die Ordenu'kande gekannt,
aber ich vermisse fUr diese Annahme jeden Nachweis. Denn
wenn Revillout, les obligations en droit Egyptien, appea-
dice: sur le droit de la Chaldfe (1886) p. 467 behauptet, der
ihudut (?) des Bankiers sei eine Art auf Sicht lautendes ibillet
k ordre«, so erhellt dies mindestens nicht aus den beigebrachten
Urkunden. Ebensowenig ist ersichtlich, mit welchem Grunde
die zum Theil unleserlichen Urkunden aus den Jahren 536
and 524, auch wenn sie richtig gelesen und übersetzt sind,
von Oppert et Mßnant, documents Juridiques de l'Assyrie
et de la Chaldfe (1877) p. 266, 268 als »biUets ä ordre« be-
zeichnet werden — oder soll, wie das bei französischen Juristen
mitunter begegnet, dieser Ausdruck nicht technisch, sondern
für ein freibegebbares Papier überhaupt verstanden sein?
Weim endlich Lenormant, histoire ancienne de l'Orient
9. ed. (1887) V. p. 117 in dem komplicirten Kreditgeschäft vom
Jahre 553, welches vielleicht einen Wechsel (sipartu (?) = Sende-
brief) enthält, daraus, dass neben dem benannten Gläubiger
ein Präsentant nicht benaimt ist, folgert, dass jeder Inhaber
des Thontäfelchens legitimirt sein solle, so ist dieser Schluss
augenscheinlich ungerechtfertigt. Immerhin erscheint ja die
Möglichkeit eines derartigen Sachverhalts und der durch das so
umfangreiche, noch unedirte Urfeundenmaterial zu erbringende
Nachweis wirklicher Order- und Inhaber-Urkunden in baby-
lonischer Zeit keineswegs ausgeschlossen''.
■ Aecbina Eiyxiu 17 p. 399E bis 400A (Steph.) Ariitid. iff6t nkä-
raim öxig rnrnpan- XLVI (11 p. 195 Dind.).
> Die von Volt g^en HypolbeMn Rawliiisoiia «utgaMeUteii aH-
, Cioogle
168 luh&ber-, Order- und ezecntoriich« Udcnnden im klKtiiidien Alteräinm.
Wenn ferner Kuotze, Inhaberpapiere S. 47 ff. die Ver-
muthung aufstellt, es könnten die hellenischen syngraphae
unter dem Einfluss des späteren (im babylonischen Talmud
4. Jahrh. □, Chr. fizirtes) jüdischen Rechts allmälig den Cha-
rakter (modemer) Scripturobligationen angenommen haben, so
wird nunmehr, wenn sich die iScripturobltgationc schon im
vortalmudischen Recht der Hellenen erweisen lässt, wohl die
umgekehrte Annahme gerechtfertigt erscheinen. Die einzige
Erwähnung nämlich von Urkunden, welche rechtlich als In-
haberpapiere behandelt wurden (Tractat baba batra 172 a. b),
knüpft an die Namen zweier erst im 3. und 4. Jahrhundert
n. Chr. lebenden Rechtslehrer (R. Hana und Rabbah) an'.
Uebrigens enthält der Talmud (Tractat Gittin IS*») sicher auch
die Orderklausel": »Ich verpflichte mich Dir und jedem, der
durch Dich fordert.« Die Weiterentwicklung des talmudiscben
Rechts interessirt hier nicht.
Behufs Gewinnung eines sicheren Vergleichspunktes soll
paradigmatisch von den ältesten bisher bekannten Order- und
Inhaber- sowie Executiv-Urkunden bezw. Formeln ausgegangen
werden.
1. Orderklausel.
— Quod si non fecero — pro duplum — me aut heredis
meos aut heredes vestri »aut cui hanc cautionem dederitis exi-
gendam< teneatis obnoxium (Marculfi form. II [Zeumer p. 92]).
— rem vestra redete debiam et caucionem meam recipere
facias aut tibi »aut cui caucione ista dederis ad exagendum«^
(Form. Andecav. 22 [Zeumer p. 11]).
— aut vobis »aut cui caucione ista dederis ad exagenda<
(eod. 38 [Zeumer p. 17]).
— aut vobis *aat cui caucionem istas dederis ad exageada«
(eod. 60 [Zeumer p. 25]).
g«nieiiieD BedeDken — t. Knntie, Die Lelue tod d«D Inluberpapiereii
S. 36 — and k«iietw«gt Bbeneogeud.
■ S. die Stelle «ntfltlirlich bei L. Auerbach, Du jadbcbe ObligMioneQ-
recht Bd. 1 (1S70) S. 246fr., 370«:
> Von Aaetbacli S. 282 ff. nicht Tentanden.
::,y Google
Order-, Inhaber-, ExecutiTkUnsdn det mitteUlterlichen Rechts. 169
Zugleich mit Executivklausel:
— Qui (I. Quod) si minime fecero et diem huius meae
caocionis excessero, iuratus dico per hoc et illud, quia >Iiceat
tibi cautionem meam cui tu ipse volueris tradere et adibito
(adhibito? a debito? ad libito?) mihi excutere (executare?)
supradicta pecunia una cum beneficio suo dupplicata cogar
exolvere* (Form. Visigoth. 38 [Zeamer p, 591]).
Urkunden :<
760. — a quis de heredibus vel coosortes meos contra
suprascripta Sindruda vel contra illo homine »cui ipsa hanc
pagina ad exigendo dederett — causare — presupserit —
(Memorie dl Lucca V 2 Nr. 65).
882. — ubi ego bei meos heredes bobis >bel cui tu isto
cautn in manum emiseritisc reddederimus sol. 4 — (Cod. Cav. I
Nr. 91) u. V. a.
In der später üblichen Orderform:
Bedingter Eigenwechsel:
1160. — Nos bonus iohannes tinea et adalasia jugales
accepimus a te wilielmo borone libras 10 den. ianuens., quas
»tibi vel tuo missoc per nos vel nostrum missum dabimus per
totam istam estatem. si non, in scicilia dabimus >nuncio tuo
iooathe cerriolo ant ei quem mihi ordinaverisi uncias auri 6
(Monum. hist. patr. Chart. II Nr. 882 col. 650).
Die üblichen Klauseln fasst präzise zusammen z. B. die
Urkunde vom 16. August 1156 (eod. Nr. 335 col. 343): —
de quibus promitto reddere tibi >vel tuo certo missof — libr. 40
usque proximas kalendas augusti. quod si non fecero, penam
dupli tibi stipulanti promitto. pro sorte et pena bona pignori
tibi subücio, »intres et extimare facias tua auctoritate et sine
consulum iussu et facias quicquid voluerisc '.
< Hoch anifllhilichct lautet die EiecutlTklaosel, in der auch die Klamel
•tibi Tel tao ceito tnisio* entbaltendeii Urkunde Tom S. Juni 1156 (eod.
Nr. 316 col. 333): imde pro lorte et pena bona quae habemni et habitmi
»nmin tibi pignori lubjidmiu tali pacta, qood ti at »upenn* continetor, non
uUttumi liiiiin, exinde lic«at tibi intrare in bonis noitiü qae volneri« in solttttim
pro Sorte et pena tua inctoritate et tine conmlam ioisu et fadaa inde quicqnid
volneria sine omni nosCra noatrorumqae heredacn contradictione et omniom
penonaniin pro nobii.
170 Inb&bet-, Ordn* und executorische Uikuoden im kkstischeD Alterthnm.
2. Inhaberklausel,
a) alternative bezw. konjunktive:
Mit Stellvertretungsvermerk (wohl richtiger als Orderklausel
zu bezeichnen):
z. B. Urkunde 821 — obligavit se nobis »vel cui istum
brebe in manu paruerit in vice nostrac — (Cod. Cav. I Nr. 11).
964 — componere obligabimus — tibi nominati lohanni
»vel cui anc cartulam vice vestra in manu parueritc — (Cod.
Cav. 11 Nr. 225).
Ohne Stellvertretungsvermerk :
850 — in tua qui supra Periteo presb. >vel de illum
homine, qui bunc meum iudicatum pre manibus abuerit ad
exi[ge]ndum et dispensandumc — (Memorie di Lucca IV. 2.
App. Nr. 46).
928, — componere ipsorum Grimperti et loccardi et ad
eonim eredes »seu cui hunc scriptum in manum parueritt
50 aureos sol. (Cod. Cav. I Nr. 148).
974. — componere obligaverunt se suisque heredibus, mihi
ivel cui hunc brebem in manu paruerit« 30 auri sol. In der
gleichen Urkunde findet sich alternative Kombination der Order-
klausel und der Inhaberklausel: ille homo >cui per me disposi-
tum fuerit vel cui huac brebem im manu paruerit* — (Cod.
Cav. II Nr. 276). Desgleichen :
993. — obligabenmt se et suis eredibus mihi »et cui vel
ubi per me dati parueritc et ad nostris eredibus >et cui carta
ipsa in manum parueritc 100 auri sol. (Cod. Cav. III Nr. 463).
Hier mag noch der merkwürdige genuesische Eigenwechsel
mit Kursberechnung vom 18. September 1162 (Chart 11 Nr.
1183 col. 809) genannt werden, wo es heisst:
solvemus infra mensem postquam sciciliam pervenerimus,
uncias auri 31 '/j muncio tuo vel nomine mathei vel man-
fredi de portinco vel tuo certo nuncio, ei scilicet quod cartu-
lam sarracenicam quam tibi relinquimus, nobis aut uni nostrum
exhibuerit«.
b) Reine Inhaberklausel.
Urk. 968. — siant obligatos — componere homini illi
>cui scriptum in manu parueritc 50 sol. — (Cod. Cav. 11
^-. 257).
::,y Google
Order-. Inhaber-, Ex«cntivklftiu«ln de« mitteldterlichen Rechts. 171
997. Verbindung der Order- und Inhaberklausel : — obli-
gaverad se et suis heredibus ut — darent ipsi filÜ mei >ad
ille omo cui per me dispositum fuerit — 9 auri tari — ; et
ü ipsi filii mei — taliter >ad iUe omo cui per me dispositum
fuerit et cui scriptum iste in manum parueritt pro mea parte
DOn adimpleven[n]t, componere obligaverunt se et suis eredi-
bus lad ille omo cui scriptum iste in manum paruerit« tO auri
sol. {Cod. Cav. III Nr. 514).
Hinsichtlich der Executivklausel mag noch, statt aller,
auf das Formular bei Rolandiaus, aurora' gewiesen werden:
— possint ex pacto ipsos debitores et quemlibet eorum in
solidum ad solutionem dicti debiti faciendam in dicto termino
et ad omnia et singula in hoc contractu contenta efficaciter
obsenranda realiter et personaliter convenire. Femer: ita, quod
a termino in antea, si tunc solutio facta non fuent, liceat ex
pacto ipsiscreditoribuset cuiamque ipsorumpropria auctori-
tate sine curiae proclamatione aut aliqua denunciatione
vel aliquo praeiudicio dictonim bonorum — ingredi possessio-
nem etc. Desgleichen Durantis, speculum'. — —
An diese primitiven Formeln soll gehalten werden, was
aus dem klassischen Alterthum auf uns gelangt ist. Jedoch
bedarf es noch einer ergänzenden Vorbemerkung.
Neben den vollkommenen Inhaberpapieren des heutigen
Rechts giebt es unvollkommene, nSmlich solche, welche zum
Empfange der Leistung nicht in dem Sinne legitimiren, dass
der Rechtsausweis (die Legitimation) gegenüber dem Aus-
steller (Schuldner) erübrigt, sondern nur in dem Sinne, dass
der Aussteller (Schuldner) sich durch Zahlung an den In-
haber befreit; sie sind an den Inhaber gültig zahlbar, aber
nicht von dem Inhaber als solchem exigibel, sofern der Aus-
steller (weiteren) Recbtsausweis verlangt. Sie kommen vor
als Papiere mit der reinen oder mit der alternativen Inhaber-
klausel (von Brunner genannt »hinkende Inhaberpapierei)
und als schlichte Namenpapiere, welche gleichwohl an den
< Briegleb, Ueber esecatoriiche Urkunden 11 S. 6i ff.
* Briegleb, eod. II S. 77 ff. Der Znnmineiihang der EiecatiTkluu«!
mit dem UngobudischeD VolkiTBcht — *. W&ch, Der itolienliche Arred'
piote« I S. l6ff., 54?. nnd dort aacb die Urknndcii von 796, 819, vergl.
Schrftder, Deaticbe Recbttgefchiehte S. 366 [3. Aufl. S. 366, 367] — iit
hier nicht za Terfolgeit.
„Google
172 Inluber-, Order- und executoriKhe Urkunden im kluasclten Alterthnm.
blossen Inhaber gezahlt werden dürfen (von Brunner
ihinkende Namenpapiere« genannt). Beide Klassen der un-
vollkommenen Inhaberpapiere sind artenreicher, als angenommen
zu werden pflegt. — Der gleiche Gegensatz begegnet bei den
Orderpapieren.
Finden sich nun im klassischen Alterthum Urkonden,
welche nach ihrer Form als Inhaber- oder als Order-Papiere
erscheinen, so ist damit allein noch nicht entschieden, ob sie
der Klasse der vollkommenen oder der unvollkommenen (»hinken-
dem) angehören, und es wird häufig, in Ermangelung ander-
weitigen Anhalts, sich diese wichtige Frage gar nicht oder
nur mit annähernder Gewissheit entscheiden lassen. FUr den
hellenistischen Quellenkreis scheint mir das vollkonmiene Order-
und Inhaber-Papier sicher zu sein; fUr den römischen wird
sich zwar das vollkommene Orderpapier, wenn auch nur in
Gestalt der Orderanweisung, nicht bezweifeln lassen, dagegen
begegnet von den Inhaberpapieren, soviel ich sehe, nur das
unvollkommene, und auch dessen römische Herkimft bezw.
Verwendung ist keineswegs sicher.
Die vielbesprochene Seedarlehensurkunde (avyyQaipij) in
der etwa 341 verfassten angeblich Demosthenischen Rede c.
Lacritum (XXXV) 10—13 von zweifelhafter Echtheit" ent-
hält die Hypothecirung der zu tadenden 3000 Amphoren Wein
mit der Klausel, dass diese Ladung von jeder anderen Schuld
frei sei und nicht für ein anderes Darlehen verpfändet werden
dürfe. Demnächst heisst es: Nach glücklicher Rückkehr (in
den Piraeus) soll das Pfand unberührt zur Verfügung der
Gläubiger bis zu deren voller Befriedigung bleiben. Weiter:
iäy di ft^ änodiöaiv h> T^ üVfMtfiivffi XQOVt/}, to
vtroxsifisva rdlg davsiaaaiv i^iaita vrco^eivat xat ano-
• S. aber die alte Stteilüaee jeUt einendtt C. Wschinintli, Rhein.
Museum f. PhiloL N. F. 40 5. 301 ff., andereneiti Christ, Abb. dei Bayr.
Akad. Pbil. Kl. XVI Abth. UI (18S3) S. 361 ff. und Thalheia, Heimes
XXIII S. 333 ff, und Liptint tu Meier nnd Schömum, Der attUche Proies*
S. 679 Note 543, Ueber die kritischen und tprachlichea Gründe gegen die
Echtheit erlaube ich mir kein Urtheil (ist das Fehleo der Urkunden in der
Attikusausgabe ein sicherer Beweis tpKterer Erdichtung!), «achliche Bedenken
beslshon m. E. gegen die Echtheit nicht.
„Google
Die sjngrapha in der Rede d«s Demotthene« c. Lacritam. Execulivlclaasel. 173
äöa&ai x^g vnaqxovaijg rifiijg. xat löm ti ikXein:t] %ov
äqyvqiov o del yevia&ai xoTg davEtaaai Tunä t^v
avYyetffpyy, itenä ^i/tiftavog xai j^noXKodi&qov eOTia
■q tc^ä^ig xoig davBiaaat xal ex TWVTOvtwv anctynav,
xat iyyvtav xai yavrixtäv, navraxov orfov av niai,
xa^djttf) Slxtjv (a^Xijx^tav xat vrte^ftiQtoy oy-
x(i)v, xai ivt hunig^) TtSy 6aveiaävto>v xal afnpo-
zegoig.
Wenn nach Verfall der Seedarlehensschuld, d. h. innerhalb
20 Tagen nach der Rückkehr, die Schuldner nicht zahlen, so
dürfen die Gläubiger sich in den Besitz der Pfandobjekte
setzen und dieselben zum Preise, welchen sie erziel^i, ver-
kaufen. Bleibt danach noch ein Schuldrest, so dürfen die
Darlehensgläubiger gegen die Schuldner (Artemon und Appol-
lodor) Esecution vollstrecken auf all deren Gut, Landgut und
Seegut, aller Orten, wo sich solches befindet, gleich als wäre
gegen sie ein verurtheilendes Erkenntniss ergangen und sie
befänden sich in Zahlungsverzug, und es soll dieses Recht
sowohl jedem einzelnen der Gläubiger wie beiden zustehen
(aktive Solidarität). Den Schluss bildet die Klausel :
xvqidtegov de neqi zointav aXktav fiijdi* eivai z^g
av^fnatp^g —
was § 39 noch ausführlicher dahin wiedergegeben wird ;
^ ftiv yafj avyygaify^ ovdev xv^ibiTepov i^ elvai twv
iyyeygafifihtm' , ov3^ ttgoaifiigeiv oyre vöfiov ovve i/)ij-
(ptafia oiJr' äXX' ow5' bvtovv regög zijv avyy^aqiijv.
Mag nun auch die vorliegende Urkunde von den späteren
Grammatikern nach anderen Mustern fabrizirt sein, so unter-
liegt es doch, nach dem sonstigen Inhalt der Rede, keinem
Zweifel, dass die in der Urkunde erwähnten Vereinbarungen
wirklich getroffen worden sind; s. z. B. 21, 24, 37, 38, 39.
Nicht erwähnt wird in der Rede freilich die ausbedungene
„nTpö^ig", aber zu dieser ist es im konkreten Falle, da die
Schuldner theils die zugesagten Pfandobjekte gar nicht ge-
laden, theils den Gläubigern zu entziehen verstanden hatten,
gar nicht gekommen.
Dass in Demosthenischer Zeit im Seedarlehensgeschäft,
dem wichtigsten Spekulationsgeschäft des AUerthums, die be-
treffenden Vereinbarungen und Vertragsklauseln üblich waren,
erweisen :
Digitizecoy Google
174 Inhaber-, Order- und executorisch« Urknnden tm klastUdien Alterthnm.
Demosthenes c. Apaturios (XXXIII) 6:
ol xß'?"^"^' Kcet^fietyov atTÖv anaitovrreg xai «-b-
ßtkevov eig t^v vavv, eU.t]tp6teg iji vnEQijftBelg,
insbesondere aber Demosth. in Dionysodor. (LVI):
38: Ha/ de /i^ ^aQdaxo>ai tä {uroxel/jeva ifttfav^ xai avi-
ftatpa, ^ TtoiT^ataat zi na^ zijv avyygaipijv, anodidö-
zioadv ömXäata tä xeW'^" (po^"^ dupli),
vgl. 39 ff.:
45: ^ 3i avyy^qirj xe^tiei, iav fi^ naQix<oaiv liiipainj
t^v vavv, anOTiveiv avzois Sinhiuia tu xe^f^f*^^] '^V*
de ngS^tv tlvai xai i^ ivog xai i^afttpoir (passive
Solidarität).
Allerdings dafür findet sich m. W. aus älterer Zeit kein
Beleg, dass die figä^ig, wie laut aty/yqafpr, der Rede in
Lacritum, nach ausdrücklicher Vereinbarung über das Pfand
hinaus auf alle Güter des Schuldners erstreckt wird ; immerhin
and derartige, wenn auch sehr beschwerende Vereinbarungen
für sintere Zeit unzweifelhaft bezeugt, und kttnnen auch in
Demosthenischer Zeit vorgekommen sein.
Zur Erläuterung der bisher anscheinend nirgends eingehend
erörterten Lehre von der nreä^ig^ mag bemerkt werden:
Bekanntlich steht nach attischem Recht ans verurtheilen-
den Erkenntnissen die Execution dem obsiegenden Kläger
selbst, ohne staatliche Intervention zu, sofern nicht öffentliche
' Es i»t beieicbnend, dafi sogar du technische Wort in den Sachregistern
von Hermann, Thalheim, Meier und SchSmann (Lipsius) gar nicht
crwihDt wird [vgl. jetit aber Thalheim, 4. Aufl., 1S95, S. 103 und 18t].
Boeckh, ätutshauihalt , hat nqüiriiv, elajigäTTut' nur in der all-
gemcinen Bedeutung von eimiehen, einlLassiren (111 S. 70, 73). Gneist,
Die formellen Verttige de« neueren r(jnii*cben Obligationenrechts, erwihnt die
Klausel in seiner ausführliche u Beschreibung der griechischen Urkunden nicbt
und lässt sie sogar bei wfirtlicher Wiedergabe eioietoer Urkunden, in welchen
»ie steht (S. 477, 460), weg. Böchsenschüti, Benili und Erwerb im
gnechischen AlCerthum spricht S. 489 nur ganz allgemein von 'in Antpmch
uehmen«. Zuerst hat wohl Perrol, 1874, nach dem Citat bei Dareste, anf
die techobche Bedeutung von nfäiit hingewiesen, demnSchst Dareste, let
plaidojers civiU de Demosth^, Paris 1S75, I p. 333 Note 13 (»»fcatbn
par^, que nous tronvons en droit romaiu sous la forme de U manus in-
jectio.f), vgl. Daresle, hulletin de corr. heUen. VlII (1884) p. 362ff. und
Reviltout, les ohiigations en droit Egyptien (1886) p. 73, 304, 2W —
sämmtlich ohne nihere Ausführung.
itizecy Google
DioiTi>Knpb> indeTRcdedetDemoMhenMG.Lacrilain. ExecntivkIauKl. 175
Interessen betheiligt sind. Sie vollzieht sich durch Pfänduog
des vne^i^fie^os (der »Uebertägige«), soweit nicht ein Anderes
unter den Parteien vereinbart wurde. Widersetzte sich der
Verurtheilte der Execution, so riskirte er die Jt'xi; ^|ol'JIijs
(BesitzstOrungsklage), welche im Falle der Verurtheilung ausser
Judikatssumme und Schadensersatz eine der Judikatssumme
gleichkommende Busse an den Staat nach sich zog '.
Diese Privatexecution, ein selbstthätiges Einziehen*, wird
bereits von Demosthenes als eloTi^ärtttv, eiafifa^ig u. dergl.
bezeichnet '.
An die Hypothekbestellung kntlpfte nun das Gesetz
die Befugniss des Gläubigers, sich im Verzugsfalle in gleicher
Weise in den Besitz des Pfandobjekts zu setzen, als ob gegen
den Verpfänder ein verurtheilendes Erkenntniss ergangen wäre *.
Selbstverständlich konnte, was das Gesetz (vielleicht in
Folge üblicher Vereinbarung) festsetzte, auch durch Verein-
barung für den Fall der Hypothekenbestellung bestimmt werden,
und es wäre nur ein weiterer Schritt gewesen, dass solche Ver-
einbarung auch über den Fall der H3T)othecirung hinaus für
wirksam erachtet wurde. Diese Vereinbarung scheint nun in
späterer Zeit sehr allgemein gewesen zu sein; die Executiv-
kiausel begegnet so häufig, dass der Anschein entsteht, sie
habe die Regel des hellenistischen Schuldrechts gebildet.
• HeicT und SchömaDD, Der attiK^e Proios. Neu bearbeitet von
Lipiini S. 963if., 665 ff.; Th&lheim, Griech. Recbtsalterthamer S. 114 fr.
[4. Anfl. S. 130].
I S. I. B. Demosthenes pro Pbormione (XXXVl) 6.
) S. 1. B. Demo*lh. contra Energos und Mnesibuloi (XLVII) 19, 31, 35,
30, 33, 40, 41 und öfters. Lex Seg. 31t: tlan^TtuiF 6ntfi]fiieovs-
* Demoith. c Apalurios (XXXIII) 6: ot ;|^i7rsi Kai'^jitij'oy abiör
üntuTovvtts im\ tvfpitevov tlf Ti7f raiy tlltiipötie r^ i7iCQJifi4fl<t.
Demosth, c. Spoudias (XLI) 71 löv rofiov, os ovx t^ int^^^Srjv, öaa tii
ätmlfniacr tlvai SCxat, out' airoTt aCtt roie tlii^orö/iott, vgl. to; Bekker,
Anekdot. 249, iS: Ifißarttet ri xb> iaveunifv l/tßartvaai »al elaei&tiv tlc
TU xt^fiUTa roD vnoxqiou. Ueber die iCxii tfovXtts in diesem Falle s.
Meier und SchSmann (Upsiui) S. 66;, Thalbeim S. 90 Note t [4. Aufl.
S. 103 Note 3} Du epbesiscbe Geseti (etwa 83 v. Chr.) bei Ditten-
bcrger, »jll. inKr. Graec. 344, auch Thalbein a. a. O. S, 134 ff. [4- Anfl.
S. 153]. Ziff. 7 fi". bat^ tfißavtss tlf xirniaja xara ngä^ut fjfotxni' tÖ «rq-
fitsta xal »ifiovrai, that [aüror]; xv^ar tat Ifißnaus, tl /iq ri alXa
txorrtt Tipbf airoiii toftoluy^xamv. Thalheim S. 147 [4. Antl. S. 165]
Qberretzt du xaiä nQÜ^eit mit 'auf Grund von Vertrigen' — loUten nicht
die Execntivakte daiunter verstanden lein!
iiiiec »Google
176 Inhaber-, Order- und eiecDtomche Viknnden im klutüctieD Altenhom.
Auf dieses hat insbesondere eine erst in neuester Zeit
aufgefundene Doppelreihe von Urkunden ein ungeahntes Licht
geworfen.
4.
Eine wahrscheinlich aus der Zeit zwischen 223 — 192 v. Chr.
stammende, 1879 in Orchomenos gefundene, 7 zusammen-
gehörige Urkunden enthaltende Inschrift ' stellt die sehr merk-
wtlrdigen Schuldverhältnisse zwischen der Stadt Orchomenos
in Böotien und der GUubigerin Nikareta aus Thespiae dar.
Nikareta hatte auf die jener Zeit stark verschuldete Stadt
Orchomenos 4 (oder 5) durch Schuldverschreibungen — im
böotischen Dialekt aovyy^atpov genannt — verbriefte Forde-
rungen, deren Gesanamtbetrag, anscheinend mit inzwischen ver-
fallenen Zinsen, sich auf 18,883 Drachmen belief. Diese fälhgen
Forderungen, über welche Verzugsurkunden 0me^\rj\fttQiai)
behufs Liquidstellung und Exequirbarkeit aufgenommen waren,
Hess Nikareta vor den Thetmophylakes ' von Thespiae regi-
striren, einigte sich aber mit der Stadt Orchomenos dahin,
dass der Schuldbetrag ohne weitere Zinsen, innerhalb etwa
4 Monaten, und zwar 3 Tage vor dem Feste der Pamboiotia,
zurückgezahlt werden solle, bei Vermeidung der Üblichen Kon-
ventionalstrafe des duplmn, wogegen andererseits auf Annahme-
verzug der Nikareta sehr schwere Nachtheile gesetzt wurden.
Das Original dieses vor 7 Zeugen aufgenommenen, in die Form
eines Darlehensschuldscheins eingekleideten novirenden Vertrags
■ Zuerst verOffentlicbt, Übersetzt and eiliul«n von Foucarl, buUetm de
corretpoadance helWniqae 111(1879) P>4S9ff.i IV (1880) p. i ff„ S35 C VgL
dniu inibes. Latitchcw, Mittbeilungen de* deutschen archfioiogischen Institult
in Atben Bd. VII (1S83) S. 30 ff.; weitere LittersCur und berichtigten Text
bei Caner, delectus inscriptionum Nr, 29$. Au« den Erörterungen dam sind
zu nennen: Diresle, bnllctin de coir. hell. VIII (1S84) p. 371?.! Sianta,
Wiener Stadien (Zeitschr. f. klast. Pbitol.) Bd. VIl (1885) S. 23z ff., Vin
(1S86') S. ifT.; C. Wachsmulh, Rhein. Mas. f. FMl. N. F. Bd. 40 (1S87)
S. 183 ff.
> Beamte, welche ein Verteichniu der niclit bezahlten ßUigen Schulden
hielten, Sie kommen anscheinend nar in BSotien vor: Gilbert, Handb. der
griech. Staatsalterthtlmer II S. 53 ff., sind aber augenscheinlich verwandt dem
IgTptiscben avy^oaipotpilai bexw. avv9i\xo<f\i).a(ätxVlii\asAtrmU Gneist,
Die formellen Vertrilge S. 454 ff. Lumbroso, tconomie poUUque de r£g7ple
p. 363. Ueber jf^u^u^axiov s. Bocckh, Staatshaushalt 13 S. 596 und Her-
raann-BUmner, Gr. Piiratalterlhamer S. 461 Note i a. E.
::,y Google
Die Inichrift von OrchomeiiM, betr. die Darleben^GscIiifte der Nikareta. 1 77
(aovyygaq)ov), in welchem als Scliuldner eine Anzahl henror-
ragender (Polemarchen u. s, f.) Orchomenier, als Bürgen 10 an-
gesehene Männer der gleichen Stadt erscheinen, wird bei einem
der Zeugen deponirt.
Die Rückzahlung wird, anscheinend auf Andrängen der
Nikareta, schon vor der Verfallzeit kraft Beschlusses der Stadt
Orchomenos bewerkstelligt und zwar in Thespiae durch eine
Bankoperation, indem der Kämmerer (Ta/iia^) von Orcho-
menos, Namens Polioukritos, mit einem der drei Polemarchen
(obersten Magistrate) von Orchomenos bei dem Bankier Pistokles
in Thespiae die Summe auf Nikareta übertragen liess. Ob
nicht allein Nikareta, sondern auch die Stadt Orchomenos bei
Pistokles ein Konto hatte, ob also die Zahlung durch blosse
Ab- und Zuschreibung geschah, oder ob der Kämmerer von
Orchomenos den Betrag bei Pistokles für diesen Zweck baar
eingezahlt hat, erhellt nicht. Der hierüber lautende, gleich-
falls auf Stein gegrabene, wohl einzige aus dem Alterthum
erhaltene Vermerk' lautet:
jJiayqatpa Nixa^ittf ßta r^attiSdag läg Utoro-
xXeioi iv Qeajii^g. — ifti rag J7i(nox^iog iQaniddag
fteviov TOftlao ovmeqaftetQätav — a^yv^iov dqa%(i'^ 18,
833':
Umschreibung für Nikareta mittelst der Bank des
Pistokles in Thespiae. Am . . . hat bei der Bank des
Pistokles der Kämmerer von Orchomenos, Polioukritos,
der Nikareta zuschreiben lassen die für die verfallene
und liquide Schuld (ovnB^afteiffiai) vereinbarte Summe
von 18,833 I>rachmen Silber.
■ Ueber die ADweinngen (iw Anuahlimg im BuikTerkehr ■. Demoslli.
C Kalippum (LH) 3—7, 18, 19; c Timothenm (XLIX) 5, 30, 59, 65. Po-
Ijbiu XXXn 13. Vgl aacb Bflchsenichati, Erwerb und BenU S. 504
Note 5; Dar«(te, les plaidoyer« dvili de Demoithfaie I p. XXXVIU. Im
Sprachgebraach der Ftolemier ist iiaygatp^ eine fiOentliche Urknnde über
Eigenthamserwetb (PejrroD, papyri gieci. Täurini 1S36/37. I p. I44ff.
n p. 31 ff.).
* In dem BeicfalBii der Stadtgemeinde O. heint e>, dats er auf Stein ge-
graben werden solle, aucb : läv diaypatpav rar x^^^ötmv wv \naii\tyfa^av
GsldictiKldt, Vanncbte Sdniflai. H. 13
itizecy Google
\78 Inhaber-, Otder> und eicecatorisctie Urkunden im klastischen Alterthuni.
Demnächst wird im Register der Thetmophylakes zu Thes-
piae die Schuld gelöscht' und dieser Löschungsvermerk von
den Polemarchen der Stadt O. als Beleg für die Tilgung der
Schuld der Stadtgemeinde O. vorgelegt. Diese beschliesst,
indem sie ihren Beamten Decharge ertheilt, die einzelnen ein-
schlägigen Aktenstacke in Stein hauen zu lassen.
Die einzelnen älteren Schuldurkunden von O. gegen N.
sind nur ihrem wesentlichen Inhalt nach, vermuthlich so, wie
sie bei dem Thetmophylakes registrirt waren, in der Inschrift
enthalten; jede einzelne ist als owäHay/ta bezeichnet. Auf-
fallend ist, ausser gewissen Dunkelheiten' der böotische Aus-
druck nräfiada, wahrscheinlich xt^fiaza, d. h. Kapital (Cauer).
Weshalb Foucart den Ausdruck awälhxyfta mit »billet ä
ordrei übersetzt, ist nicht ersichtlich, in den Einzel Urkunden
findet sich keine Spur der Orderklausel.
Praktisch handelte es sich nur noch um die novirende *
G e s a m m t schuldurkunde. In dem Volksbeschluss von O.,
kraft dessen die Gesammtschuldurkunde aufgenommen ist,
heisst es:
2ovyygaq>oy de yfa^äa&t] t^ agyv(fi(it iwg — noXe-
/««ezws 'EgxofBviojv x^ iyyovatg oig xo dovufiäddtj Ni-
xa^ira, xai &ia9i] fteaiyyvov rräf fDigvädav Ttfio-
xXeiog &ea7ttsia:
eine syngraphe soll geschrieben werden über das
Geld durch die Polemarchen von O. und die Bürgen,
welche N, genehmigen wird und dieselbe soll deponirt
werden bei F. in Thespiae.
Der spätere Beschluss geht dahin, dass die Zahlung nur
gegen Vernichtung der Schuldurkunde geschehen solle:
xai läv avyytiaffäv ar i'xi — äveXia^t].
Diese sjrngraphe in Form eines neuen Darlehensschuld-
scheines — es wird die Hingabe des vereinharten (fälligen)
Schuldbetrages als Darlehen fingirt — , deren wesentlicher In-
' Der Vermerk lautet: . . . To aou[r]äUtt[j']fiit tfaygiiliii tat oiiif-
[aft]tQlas tot yacagfrae fr BtOTttiit tat "at tSs nölios — . Täv tt9/io-
tpviaxav y^afifiBids £a , , ,
* So das „Sowj-Öfia". Heisst el solidarisch (Foncan) oder ist es ein
Name (Cauer)?
i S. anch Sianto a. a. O. Vit S. 241 ; VIH S. 7, 30 ff.
.oogle
EHelDichnfiTonOrchomenos, betr. dU Dwlehen^^cKblft« der Nilureu. 179
halt bereits mitgetheilt ist, enthält nun vier hier in Betracht
kommende K. lausein:
1. die Klausel der Solidarverbindlichkeit gegen die nomi-
nellen (4) Darlehensempfänger und gegen die (10)
Bürgen;
2. die Executivklausel gegen alle diese Personen-,
3. die Klausel der unbedingten Verbindlichkeit (Uniun-
stösslichkeit) ■ der Urkunde;
4. die Order- oder die alternative Inhaber-Klausel.
Der einschlägige Passus lautet:
— atiodäraaay di tö Öävaiov oi davaiaäfisvot ^ oi
iäy di ftfj dtio3wa[t] ir^ax^^oovTat xarä lov
v6(iOv. [^] de ftQÖiig itnm ex le aiitäv rcj» Savaaa'
(iiv<av mai i$ ivos xai ^x nXeiövotv xai ix
nävttay xal ix tä/v vnagxoytioy avioig', sigaTtovaj]
of av TQÖftov ßovi.J}Tai. 'H 3i avyyfa<p^
xvQta i'oTdi xav aXXog irtKpigt} vnifi Nixa-
^etag.
Darauf folgen die Namen der sieben Zeugen, darunter Fiphia-
des, bei welchem & aovyygaifog deponirt werden soll.
Unter diesen vier Klauseln sind uns die drei ersten bereits
aus den früheren Erörterungen über das Recht der Demosthe-
nischen Zeit bekannt. Neu ist die vierte Klausel.
iniqiigeiy ist vorlegen, vorzeigen (exhibere)': die Urkunde
soll unumstOsshch (verbindend) sein, auch wenn ein anderer
als Nikareta selbst die Urkunde vorlegt, d. h. natürlich, im
Zusammenhange, aus derselben die Execution {neä^ig) voll-
streckt. Dagegen sind die Worte vjri^ Nixaghag mehrdeutig.
Sie können bezeichnen: für, d. h. zum Vortheil der N. ; an
Stelle der N. ; um der N. willen u. s. f. Es ist so nicht dent-
hch erkennbar, ob der Vorleger der syngraphe durch diese
allein legitimirt sein soll, oder ob er Vollmacht (Cession?) der
N. beizubringen hat, und ob er überhaupt kraft eigenen Rechts
■ D. h. gegen ihre Penon und ihr Vermögen.
■ Tnriner Papynis I (Peyron 18*6/37), p. 4 I. 16 : toij tnuptQOfiirtut —
OvyyQm^if, p. 6 1. z: itayatpri» (Steuerregiiter de« kBaigl. Bankiers) ^t-
ipfgorrot- S. auch Papynu du LaaT» (Puu iSäj) 15 Z. 59, 60: tt »ul tk
9tlj finStfitav tnupfqtiv tiiroiit ovyyfaip^r — .
, C-'Oogle
180 Inhaber-, Oider- und «xecutoriscb« Urkunden im klauiscliea Alterthum.
oder nur als Vertreter (Cessionar?) der N. exequiren dürfe.
Sicher ist nur, dass die Eintreibung der Schuld durch diese
»Inhaberklausel* hat erleichtert werden sollen.
Die voa Kumanudis zuerst publicirten ' Anlehensurkunden
der Stadt Arkesine auf der Insel Amorgos, welche dem
2. Jahrhundert v. Chr. angehören, enthalten überaus harte,
zum Theil exorbitante Anlehensbedingungen. Die beiden wich-
tigsten dieser Urkunden hat C, Wachsmuth neu edtrt und
mit vortrefflichem Kommentar versehen.
a. Inschrift I bei W. (Bull. VIII p. 23) betrifft folgen-
den Fall:
Prazikles aus Naxos hat der Gemeinde Arkesine 3 Talente
attischen Silbers geliehen zu 10 "ja Zinsen, und zwar ohne
jedes Risiko (des Gläubigers) heimzahlbar: aulrdvvoft fca[vt]6g
Kivdvvov". Zur Sicherheit dient eine Hypothek an allem Gut
der Arkesineer, zu Lande und zu Wasser, sowohl dem Staats-
gut wie dem Vermögen der Bürger und sogar der Metöken.
Das Kapital ist beliebig, jedoch mit sechsmonatlicher Frist
kündbar^ erfolgt die Rückzahlung des gekündigten Kapitals
nicht rechtzeitig, so tritt poena dupli ein.
Die wichtigsten uns interessirenden Klauseln sind:
I. Solidarverbindlichkeit sowohl der Gemeinde wie aller
Einwohner und Metöken von Arkesine:
xat i^ hog [h]xämov Snav td afyvfitoi' [i]al i^
anävitini, ZQonai tut Sy ijtlatrjtai — ■
' Athenaioii Bd. X (1S83) p, 537 ff. und bulleün de coir. heU. VIII
(1881] p. 13 ff. S. auch über dies« Urkunden die S. 176 Note l genannten
Ertcteruugen von Wacbtmuth, Daceste, Szanto.
* NSmlich im GegemaU tarn Seedulehen. Die Kloniel „ixlritivoi^
u. dfL enttpricht der im Miltelalter ablieben Klautel >ulvos (xalTum) in tena*
(asKtlvi in terra). Ei iil dai reine, gemeine Darlehen: der an* selbttrentSod-
lich cischeineDde Zusatz erVlibt nch aui der Hia&gkeit des Seedorlehena nnd
verwandter Geuhiße. S. Pteudorliod. Seetecht p. II c. 17 {Pardeasna colL
de loU marit. I p. 236): fyyva xa\ äxlvSwa; 1. i pr. D. de aant foen.
(aa. 3); 1. 2, S, 3 (i, 4, a) C. eod. (4, 33). Gcero ad fam. II, ij. 4: nne
vectnrae pericolo. Meine Abhandlung: Zur Geachichte der SeeverticbBrniig
(Juriit. Abhandlungen. Fettgabe fflr G. Beieler. 1S85) S. 211 ff. Dm Material
der mittelalterlichen Urkunden ist iniwiichen erheblich gcwachaen.
, Google .
Die amorpnischeii Anleheninrkniiden, 131
2, Die Exekutivklausel gegen alle diese Personen:
— idy di (iij ärtQdÜiaifx (y?), nämlich falls die
Zinsen von den Kämmerern der Stadt Arkesine nicht
rechtzeitig gezahlt werden, ngaxtol ^atia/* Ilga-
^ixXel Ol [t^ anodövrtq T/fiiöltov tö afyvqiov hl fcüv
Iditoy 7tfa§Ei näotji xa^änsQ iy dt'xijs vikog
ixo^orjg xcnä t6 avfißoXov tö Na^lloty x]ai l4ffM-
atviiov' —
Eav Se fti} mrodwaiv tb cc^yvQioy xarä td yeyQafi-
ftiva, — d.h. das Kapital — i^iatut tidä^aaS-ai
H^^ixlsl tavia jä zpiy^ac[a] tigä^ai Ttiiatji i[x]
« Tcüv -Aoivür %[bi]y L^(ix[»]aive<o» nävtav xai ix z£y
[t]diiin> — zf/otiifi (ui av ittlanjtai, xa^änt^ Ölxijy
ti)ti>i.t}x6tuiy iy t^ ixxX^Tiai xazd z6 avußoXov
10 Na^[iit>\v xai IdQxeaivitoy liXog ^orijfft ä^ij-
filioi oni fiäoijg ttjfiiag — .
Die urkundliche Feststellung des Eiecutivrechts soll so-
mit gleiche Kraft haben, wie ein auf Klage vor dem Schieds-
gericht", welches laut Staatsvertrag {avfißoXov) zwischen Arke-
sine und Naxos besteht, ergangenes Urtheil.
Widerstand gegen die fiQaiig wird mit Strafe von 1 Talent
und Ersatz aller Kosten und Schaden, ohne Minderung der
Schuld, geahndet; auch für diese Strafe ist die gleiche ngä^tg
statthaft. Das so executorisch Beigetriebene mindert nicht
den Betrag der Schuld.
3. Verschiedene Order- oder alternative Inhaber-Klauseln,
in Verbindung mit der Klausel der unbedingten Verbind-
lichkeit (Unumstösslichkeit) der Urkunde :
a) Z. 17, 18. Die Kündigung des Kapitals darf auch
durch einen Boten (nuntius, missus) des Gläubigers
geschehen :
To de aQxäiov dgyvQtov ajioddaovaiy iv ^| (iriaiv,
d<p' ov ay änafnjar^[i] IIßa[^t]x}.f/[g] i^ ov av ttimprji
Ilga^ixX^g aTtaiTi^aoyTa,
b) Z. 18—20. Die Rückzahlung von Kapital bezw.
die Zinszahlung soll in Naxos geschehen an den
Gläubiger oder an jemand anders auf dessen Geheiss :
' Ueber nöiltc üwZiito; cf. Hesycb, s, v. haciiiToi und Aechines c
Timtrch, 13, 3g; Hefft«T, Atbenfiitche GeticlilSTerfaiiung S. 91 Tcrb. S. 493.
, Google
182 Inhaber-, Order- und exccutoriscbe Urkunden im klMsitchen Altenhuro.
"Orav di aitodidüaiv [t\6v löxov i^ x6 iq%atov,
aTzoddaovatv iv Nä^wi Uga^ixlei ^ tut ay [K]eXev[r]t]
JTßa|ixi^S, in geeigneter Münzsorte [o]n-w[g] ay
neXeitji.
Diese Klausel macht wesentlich die Urkunde zu einem
domicilirten Eigenwechsel an Order des Gläu-
bigers.
c) Z, 32, 33. Die Execution kann geschehen durch
den Gläubiger oder durch andere Personen auf dessen
Geheiss :
vuti iäv Tiveg ahhoi jt^dtTtoatv xa xqi^fiaxa
xeKevovrog JlQa^ixliovg.
d) Z. 41 — 46. Die Urkunde gilt unumstösslich und
zwar zu Gunsten eines jeden, der sie vorlegt,
mag dies der Darlehensgläubiger sein oder wer immer
für ihn den Betrag einzieht (esequirt):
T^g di avyygatpijg r^ade [ü)]foXöyr,aav l4(f-
ii[saiv]eig litjdev aivai xv^näteffoi', ftr^Te vö^tov
fii^e rp[^tf)]tafia ^tfie d[6yf4]a [fj^]te OTQozTiyov fujte
fiiva fttjie alXo nrjdev fiiQve t^X"'!'' M"}« }ta[ge]v-
giaai [ttjdefiitf, dlV elvat t^v avyygatp^v xv-
Qiav ov [a]y efti(pegr}i, 6 Savelaag ^ ol
n^äa\aovz\tg VTcig aiivot.
b. Die Inschrift II bei W. (Athen. X p. 536 Nr. 9)
betrifft ein Darlehen von unbekanntem Umfang, welches ein
gewisser Alexandres (wahrscheinlich aus Arkesine) der Ge-
meinde Arkesine gegeben hat. Sie ist nur theilweise erhalten.
Auch sie enthält:
1, die Klausel der Solidarverbindlichkeit in gleichem Um-
fange wie Urkunde a;
2. die Executivklausel : i^saja) rtQÖiaa&ai, in wesent-
lich gleichem Umfange wie Urkunde a: xa&dfcee
dixtjv tatpXji'KOTtov iv t^i ixxX-^Tiai xai orttav
vTitgr^ftigotv. Besonders hervorgehoben ist hier noch, dass
jeder Widerstand gegen den Exequenten, auch seitens
eines Beamten {agx<»*')i ^ behandelt werden solle, als
wäre über die Jikij i^ovlt}g rechtskräftig entschieden':
■ S. oben S. 174.
DigitizecoyGOOgle
Di« anorginiichen AnIehnuuikiuideD. Ig3
. . . og xai si^axiog lant rovro rd agyvQioy tug wqoAij-
UV vited-^fie^og.
3. Verschiedene Order- oder alternative Inhaber-Klauseln.
a) Z. 9, 10, wörtlich gleich Urkunde a Z. 32, 33:
xai iäv riveg ai,Xoi. [7iigäTz]tüai lä ^^ij/tata
xeXavovjog l^Xe^ävdeov.
b) Z. 19—25, wörtlich gleich Urkunde a Z. 41—46,
auch hier die Klausel: elvai t^c avyyQaqi^v xv^lav
oh a* hntffidTii 6 Savtlaag ^ o'i Jigixaffoyzeg
vjiiq avtov.
c. Inschrift III (Athenaion X p. 537 Nr. 10) ist sehr ver-
stUounelt. Aber es findet sich doch sicher:
1. die Executivklausel :
Z. 2, 3: xai n^axtig tazot ro[ot]ro %6 aqyiqiov
tag UKfXrptCig 6ixTpi ....
Z. 5, 6: xai iä* vi ßXäßog ^ aväXtafta yivr^zai sig
T^v Eian^^ti' iröfv xqrjfi^ta» . . .
2. Z. 7 wörtlich wie Urkunde a Z. 41 ff. und Z. 11, 12:
aXX' elyat i^v avyyQaq>^v xvQio[>] ov ov ini-
tpif/Tii 0 iaveiaag y ot Jtgiiaaoyteg vTieq
aiTov — .
d. Inschrift IV (Bull, de corr. hell. VIII p. 26, 27). Sehr
verstümmelt. Verschiedene Personen aus Astypalaiai haben
an die Gemeinde Arkesine 5 alexandrinische Talente . . .
Drachmen zu monatlichem Zins von 4 Obolen 2 Chalkous bis
zu einem bestimmten Termine geliehen. Strafe bei Verzug.
Hinsichtlich der Zinszahlung findet sich die Executivklausel '
mit Orderklausel:
■ Auch du in dem Testament der Epicteta vod der Intel Thera,
ans dem 3. oder 2. Jahrbundert t. Chr., geordnete merkwittdige Statnt eioer
FuoDiengienoHenschaft (Boeckh, c. iiucr. gr. II Nr. 1448; Caaer, d«I.
iOKr. p. 77 — s. auch Darette, nouT. reme hiiEor. VI [18S2] p. a^ott.,
Keil, Hermei XXIII [1SS8] p. 339«*. — ) enthält an uhheichen Stellen die
Executivklausel wegen Nichtleistung von Busien u. dgl.; auch gegen den
Genonenichaftivoisteher : IV (III) 1. 37 : n^catc9iu ; V 30; ir^foro oülöv;
31; ä n^S'S t<niy\ VII 4S.: npoxröf tinai — : xzFT.: ngaxrot farat — ;
VIII 14: TigaicTif farta — meist mit dem Znaati xirn rot (,odtx roiit)
röftos — also augentcheinlich Gesell oder Gewohnheitsrecht.
::,y Google
184 Inhaber-, Order- und ezecutorische Urkunden im klamüchcn Alterthum.
Z. 9, 10: ÖTtodtöaovai <Si l/ioxeoiteis töv zöxoy
7un' htavtov roig davei(nmQ axiydvvov (s. oben
S. 180 Not. 2) iy UaxvnaXaiat v6fiiafta UU-
^ivSneov etc.
und dürfen, Z, 12, die Gläubiger selbst oder deren Boten
exequiren :
i] avvoi ^ aXXov iciftxpai ei[g\nQä\ao]6i.v,
vgl. auch Z. 14: n^iei, Z. 20: elanqäaoovxi.
Z. 26; fijjdiv xv^K^egov fi^e voftov fi^e i//);'-
(piafta ,
wahrscheinlich stand also auch hier, wie in den drei anderen
Urkunden, die Klausel: ov av inupiiirti oder dergl.
Weiter gehören dem hellenistischen Quellenkreise an:
ägyptische Papyrusurkunden der Ptolemäer- und der römi-
schen Zeit. In den von mir eingesehenen findet sich Order-
oder Inhaber-Klausel nicht und, was wichtiger ist, Herr Pro-
fessor Dr. Winkler erklärt, bisher diese Klausel nicht be-
merkt zu haben.
Anders verhält es sich mit der Executivklausel.
Der vielbesprochene Papyrus O. Leyden ' aus dem Jahre
89 V. Chr. betrifft ein unverzinsliches Darlehen des Conuphis
an den Perser Petimuthes in Höhe von 12 Drachmen; bei
nicht rechtzeitiger Rückzahlung soll die Schuldsumme auf
18 Drachmen und 30 °;o Jahreszinsen wachsen. Am Schlüsse
steht die Executivklausel:
r} nqa^is totta Kovovipei nai toig ^UQ atrcov
TiaSäfts^ itt dixtjg.
Ob unter den ol Ttaq atiov verstanden werden Bevoll-
mächtigte, Cessionare, Erben oder vielleicht nur die »Leute«
(Untergebenen), oder ob darin eine Orderklausel Hegt, ist nicht
festzustellen.
Der Papyrus 7 du Louvre ' , von unsicherem Datum
(166 V. Chr.?) beurkundet em Getreidedarlehen unverzinslich;
bei nicht rechtzeitiger Rückgabe Strafe des iifuö'kioy. Weiter :
■ Papyri graeci Mu»ei Lugduiu'-BftUivi ed. Leemuii (1843) p. 77.
■ Notices et extraits des muiascriu t. XVIII (Puit 1865) p. 171 ff.
, Google
Ceiuott im griechucben Recht? 185
^ ii TCßSiig liwai l4^ir,au (Gläubiger) ht tühi 'AuKXxntä-
io^ (Schuldnerin) xai hi räiy vnaiixöyi^^ avt^ närtfav nfjäa-
aovtt -AO^iinetj iy dixtjg.
Der Papyrus 62 du Louvre' (181 v. Chr.?) betrifft die
Einziehung von Abgaben. Es heisst dort:
col. 6 1. 14: 'Eäv de ttvtg ftgog tag iyXtjXlmg 6<pei-
kioatv ij ngä^tg tara i^ evog nai hi nda^iov (soli-
darisch).
Dass noch in der ROmerzeit Jt^^ig die Esecution be-
zeichnet, erweist u. a. das Edikt des Tiberius Julius Alexander
a. 68 n. Chr.:
4, Xva at npcf^Gig z€h> dofeioiy ix TÜr tTrapjfoWwi' t^t
xal (iij ix TMv aiufjänov, daher TtQtxKiö^or = Schuld-
gefängniss (Bruns-Mommsen, fontes^ p. 219).
In der von Josephus (antiq. lud. XVI 9, 1) erwähnten
ooyy^qiij des Herodes stand:
i^eivai Tijg jtQo&tttfuag (Zahlungstermin) na^tX-
&ovaijg ^MSia Xafißävuv i§ andaijg t^ X'^P'^i
d. h., wie bereits Wachsmuth a. a. O. S. 300 bemerkt hat,
unbedingtes Exequirungsrecht an dem gesammten (verpfändeten)
öffentlichen und privaten Eigenthum des Königs, hier dem
ganzen Land.
Ueberblickt man den durch die S. 172—185 umschriebenen
späthellenischen Rechtszustand, so wird sich nicht bezweifeln
lassen, dass in Gemässheit solcher Urkunden der blosse In-
haber bezw. der durch Order als Gläubiger legitimirte Inhaber
der Urkunde ein, gemäss der absoluten Verbindlichkeit der
Urkunde unanfechtbares, sogar durch unmittelbare Vollstreck-
barkeit ausgezeichnetes Forderungsrecht hatte. Wie sich hier-
mit die noch immer herrschende Annahme, dass die syngrapha
des griechischen Rechts, auch des späteren, eine schlichte Be-
weisurkunde gewesen sei, in Einklang bringen lässt', kann
hier nicht untersucht werden.
' Eod. p. 353 S. S. auch Papjrui III von Turin (PeyTon, papyri greci
r. T. M. A^. Turin 1826/77) 1. 44 {nptx^ijvai)- P'Prr- V eod. 1. 14«".:
ngSleu', n(faxt^atni, ngäoatir: Pap. VIII I, 86: n^/^viit nürör rii im-
' Zweifel gegen diese Annahme s. jetit bei Schnpfer, tingrafe e chiro-
,j ., .„Google
186 Inhaber-, Ord«r> und execotOTitche Urkand«) im klaittich«tt Alterlhuni.
Dagegen lösst sich die Frage nicht abweisen, in welchem
Verhaltniss die Inhaber- bezw, Order-Klausel zu den allgemeinen
Gnind^tzen des griechischen Obligationenrechts steht. Denn
die Bedeutung dieser Klausel ist ja eine sehr verschiedene, je
nachdem bereits freie (gerichtliche) Stellvertretung und freie
Uebertragbarkeit (Cessibilität) der Forderungen besteht oder
nicht besteht. Im ersten Falle bedarf es ihrer zur Geltend-
machung von Forderungen durch Andere bezw. zu deren Ueber-
tragung auf Andere nicht, wogegen sie sonstige, vielleicht weiter-
gehende Zwecke als die Cession {so in der Gegenwart) ver-
folgt. Im zweiten Falle ist sie Ersatzmittel der noch fehlen-
den (gerichtlichen) Stellvertretung und Cession, kann aber von
vorneherein mit weiteren Wirkungen als diese ausgestattet
sein und so sich später auch neben der anerkannten Ces^on
behaupten'.
Nun ist, soviel ich sehe, die Frage nach der allgemeinen
Statthaftigkeit der Cession im griechischen oder auch nur im
attischen Recht noch gar nicht der genaueren Untersuchung
unterzogen worden. WennCruchon, les banques dans I'anti-
quitö (Paris 1879) p. 25 behauptet: »la cession des cröances
^tait permise ä Äthanes par la loi de Solon* so ist er selbst-
verständlich dafür jeden Beweis schuldig geblieben und es steht
ihm keineswegs die Autorität Caillemers zur Seite, der
vielmehr bemerkt, dass sich von Cession oder Indossament
des »Wechsels« im attischen Recht keine Spur findet'. Da-
reste spricht in seinen schätzenswerthen Erörterungen zu
den Demosthenischen Reden (plaidoyers civils de Demosth^ne,
Paris 1875) gar nicht von der Cession; I p, XL behauptet er,
dass die Athener die effets ä ordre nicht gekannt hatten.
Später (bulletin de corr. hellen. VIII p. 375 ff.) zieht er aus
der syngrapha in Lacritum und den vorstehenden, neu auf-
gefundenen Urkunden folgende Schlüsse :
Unter syngrapha hätten die Griechen eine Urkunde ver-
grau (Ri«itta lUliantt per !e sdenie giuridiche VII, 3 [1S89], Tg), schon
Branner, Zur Reclitigeschichte der Tömitchen und germaaUchen Urkimde
(18S0) S. 49 Note 3.
■ S. meine Ausftthrungeii io der Zeitacbrift für du geummte Huiddv
recht Bd. XXVIII S. 74.
) Elude» sur le* antiqujt^ jun'diquet d'Athtne«. Leitra d« chaoge (Pkrit
1865) p. 14 ff.
Dijiii.«, .-Google
CenioQ im griBcIuicheD Rechi? {g7
standen, welche einen Öffentlichen Charakter trug, mindestens
auch die Gegenwart zahlreicher Zeugen und bereite Execution
ohne richterliches Urtheil nach sich zog. Die Urkunde stellte
regelmässig fest, dass das Vollstreckungsrecht Jedem zustehen
solle, welcher sich Namens des ursprünglichen Gläubigers vor-
stellte. Diese Klausel, welche man da, wo sie nicht aus-
gesprochen war, als stillschweigend verstanden ansehen darf,
macht aus der Urkunde »un titre, un valeur cessible et n^go-
ciable et m^me en r^alitö un titre au porteur, toute fois avec
l'obligation pour le porteur de prouver sa qualit^ de manda-
taire, en cas de contestation*. An einer anderen Stelle (p, 374)
nennt er die Klausel der Urkunde des Praxikles (oben S. 182)
das älteste Beispiel >de la clause ä ordre<.
Dass in dieser Darstellung Richtiges und Unrichtiges
durcheinandergehen, liegt auf der Hand. Einerseits ist es
sicherlich unbegründet, dass die (jede) syngrapha die Exe-
cutivklausel und gar die Inhaberklausel tacite in sich ge-
schlossen habe {etwa wie der deutsche — nicht der französi-
sche — Wechselbrief die Orderklausel), wie üblich auch die
erste war und wie häufig in späterer Zeit die zweite oder eine
verwandte Orderklausel vielleicht vorgekommen ist. Anderer-
seits ist nach dem Zusammenhang unserer Urkunden, nament-
lich bei den schweren Bussen, welche in den amorginischen
Urkunden auf Widerstand gegen die Execution gesetzt sind,
keineswegs wahrscheinlich, dass der Urkundeninbaber ver-
bunden gewesen wäre, sich über seine Befugniss zur Execution
anders als durch die Urkunde auszuweisen. Endlich v^re,
wenn die syngrapha schlechthin ein valeur »cessiblet war, der
Nachweis des Urkundeninhabers ja keineswegs auf seine »qua-
lit^ de mandatairei beschränkt gewesen — es hätte ihm, was
wohl auch Dareste nicht in Abrede stellen will, freigestanden,
sich als Cessionar auszuweisen.
Lipsius(Meier und Schömann, Der attische Prozess)
spricht von der Uebertragung der Forderung (?) nur S. 694 :
»In diesem Falle (bei der in Form des Verkaufs auf Wieder-
kauf, Trgäoig irti X^aet, erfolgenden Hypothekbestellung) wird
die Uebertragung des verpfändeten Guts auf einen andern
Scheinkäufer nicht selten vorgekommen sein. Dass aber bei
jedem Darlehensvertrag das in der avyydaip^ dem Gläubiger
zugestandene Recht ohne weiteres auf jeden Dritten Uber-
,, Google
183 lolisber-, Order- und ezecutorisch« Urkunden im Uassischeo Alterthum.
tragbar war, erscheint nicht glaublich.« Dazu Note 591 >Die
Bestimmung {auf die Besonderheit unserer Klauseln wird gar
nicht eingegangen) kommt auf Darlehensverträgen von Orcho-
menos und Arkesine vor, darf aber darum nicht mit Dareste
als stillschweigend auch da vorausgesetzt gelten, wo sie in
der avyygatfi^ nicht enthalten ist.«
Näher, und zwar unter Verneinung allgemeiner Cessibilität,
spricht sich Wachsmut h a. a. O. S. 295, 296 aus. Er findet
in den amorginischen Urkunden die Besonderheit, dass die exe-
cutorischen Maassregeln nicht nothwendig von der Person des
Gläubigers auszuftlhren sind, dass die Kündigung der Kapi-
talien nicht durchaus von der Person des Gläubigers auszu-
gehen und dass die Rückzahlung der Schuld nicht durchaas
an sie zu erfolgen hat, sondern dass für alle diese Geschäfte
von den Gläubigern Beauftragte eintreten können und dass
schliesslich ganz allgemein absolute Uebertragbarkeit jeder
aus der Scbuldurkunde erwachsenen Forderung auf andere
ausdrücklich ausgemacht wird. Daraus sei zu entnehmen, dass
nach hellenischem Recht gewöhnlich die Pfändung von dem
Gläubiger persönlich vorgenommen werden musste — wofür
auch ein, freilich nicht sicherer Beweis in der Pseudo-Demo-
sthenischen Rede gegen Euergos und Mnesibulos (XX,VII
§§ 63, 65) gehmden wird ~, diese Beschränkung werde hier
aufgehoben und etwas Aehnliches sei vermuthlich bei solchen
Darlehens vertragen öfters vorgekommen. »Doch ist der ein-
zige m. W. bisher anderweit nachweisbare Fall (der orcho-
menische der Nikareta) um deswillen nicht voll beweiskräftig,
weil es sich hier um eine Frau handelt. Ganz neu ist die
Uebertragung einer ausstehenden Forderung an Dritte, und
man könnte sich versucht fühlen, hierin ein erstes Auftreten
des Gedankens zu sehen, der zu dem modernen kaufmännischen
Wechsel führte; aber der Weg ist doch noch sehr weit, und
dass man auf ihm im Handelsverkehr innerhalb der helle-
nischen oder hellenistischen Welt die weiteren entscheidenden
Schritte gethan habe, dafür fehlt es bekanntlich an jedem
Beweis.«
Ich darf einige Bedenken gegen diese unzweifelhaft för-
dernde Darstellung nicht verschweigen. Zunächst finde ich
hinsichtlich der lUebertragung ausstehender Forderungen«
keinen Unterschied zwischen der Orchomenischen Urkunde der
..oslc
Cetsioa im griechischeD Rechte 1S9
Nikareta und den amorginiscben Urkunden; in allen gleich-
massig findet sich die alternative Inhaber- oder doch Order-
Klausel:
Kay ai.iog ifiigtief} ivcig Nixagitag und ov Sv im-
(pifltfi, 0 daveiaag ^ oi nfifioaoyteg vfttQ avzov,
nur dass in den amorginischen Urkunden noch ausdrücklich
besonders hervorgehoben wird, dass auch die tiQa^tg durch
andere (xelsvovzog nga^iy,3Jovg — xeXsvovrog j^te^avdffov —
^ avToi ij akXov nifi\pai iiun^jäaaBtv) geschehen dUrfe. Dass
Nikareta ein Weib ist, würde doch wohl nur insofern in Betracht
kommen, als sie diese Verfügung Über die ihr zustehende
Forderung nicht ohne ihren (hier assistirenden) y.vQtog vor-
nehmen durfte.
Sodann ist, wie W. wohl selber anerkennt, aus der That-
sache allein, dass in Demosthenes c. Euergos und Mnesibulos
die Möglichkeit, der exequirende Nichtgläubiger Euergos,
(der Bruder des Gläubigers Theophemos, 63 : ^i ovtB dixijv w<f>-
hqMty , ovie avftßöXaiov ijv not nqög alidv ovöiv. 65: Jtqbg
ovdiv ftoi ngayfia tjv — cfr. auch 53) könne den wirklichen —
bereits in Annahmeverzug gesetzten — Gläubiger vertreten
haben, nicht berücksichtigt wird, kein Schluss auf die recht-
liche UnStatthaftigkeit einer derartigen Vertretung kraft er-
weislicher Vollmacht oder Cession des wirklichen Gläubigers
zu entnehmen; um so weniger, als nach der Darstellung des
Redners, der Gläubiger Theophemos bis dahin und noch später
in Person mit seinem Schuldner verkehrt, auch die ersten
E*fändungsmaassregeln selbst (52), später in Gemeinschaft mit
Euergos (58 ff.) vornimmt.
Nicht in der Lage, das gesammte Quellenmaterial zu über-
sehen, will ich mich auf einige, insbesondere aus den echten
und pseudo-Demosthenischeh Reden entnommene Bemerkungen
beschränken.
Wider die allgemeine Statthaftigkeit der Cession
durfte der Umstand ins Gewicht fallen, dass anscheinend
überall der Gläubiger selbst seine Sache vor Gericht vertritt
(nul plaid par procureur), auch die Gerichtsrede des Logo-
graphen nur zur Unterstützung der Prozesspartei dient, mag
derselbe auch, wie Demosthenes für Phormio, allein sprechen ' ;
' S. *uch £. Platner, Der Proiess nnd di« Klagen bei den Attikem I
oogle
190 Inhaber-, Order- und execntorUche Urknnden im kluMscIieD Alterthum.
von einem cognitor oder procurator in rem suam des römischen
Rechts finde ich bei den Attikem keine Spur. Nicht unerheb-
lich erscheint auch, dass Quintilian, freilich kein zuver-
lässiger Zeuge für älteres attisches Recht, sagt (instit. orat.
II, 15, 30): Nam et Socrates inhonestam sibi credidit orationem,
quam ei Lysias reo composuerat; et tum maxime scribere liti-
gatoribus, quae illi pro se ipsi dicerent, erat moris, atque
ita iuri, quo non licebat pro altero agere, fraus
adhibebatur.
Die häufig vorkommenden Zahlungsmandate, insbesondere
Anweisungen auf die Bankiers, bestimmt bezeichneten Per-
sonen Auszahlungen zu machen ' , erweisen selbstverständlich
nicht die Cession, zumal häufig die Zahlung auf Kredit ge-
schieht.
Dass es nicht Üblich war, auf blosse briefliche Anweisung,
sogar an darin benannte Personen zu zahlen, zeigt Demosth.
c. Nausimachos und Xenophitos (XXXVIIl) 1 1, 12, wo, aller-
dings unter den besonderen Umstanden des Falles, eine so
behauptete Zahlung als unglaubwürdig bezeichnet wird : %avia
tip piij xv^ltjt Ttefttpavii ygäftftattx exav ditodovvai, und 14:
et Tiva errsfiipev 6 ^i}ttdgeieg.
Wenn in den Bankbüchern sogar von vornherein notirt
wird, wer an Stelle des Zahlungsdestinatärs die Zahlung in
Empfang nehmen soll (gleich der vierten Person des >Prtlsen-
tantent in der mittelalterlichen Tratte) : Demosth. c. Kalipptun
(LH) 4, vgl. 7, so fällt dies gegen die Statthaftigkeit, min-
destens gegen die Ueblichkeit der Cession, noch mehr selbst-
verständlich gegen die Ueblichkeit einer Order- oder Inhaber-
Klausel (eines etwa vom Bankier ausgestellten Empfang-
scheines) ' ins Gewicht.
Andererseits findet sich in Demosth. c. Apaturios (XXXIII)
7, 8. die Uebertragung einer Forderung von 3 Minen, des
Pannenon gegen Apaturios auf den Kläger, erwähnt : xai rag
(1S14} S. 94, obwohl er einige aatchänend abweichende VoTkommnUse auf-
zShlt.
■ So insbet. Demostli. c Timotheum (XLIX), wo FuJon im Auftrage
de* Timolheiu venchiedene Zahlungen leistet: 6, 16, 17, 22, 23, >S — 30, 65
(ioBvtti txiktvatv 'ttvTi/iäxv etc.).
■ SoderSiebenbOigiicheDepotitabchein a. iä7p.Qv. (Bruns-Mommsen,
routess p. z68).
izecoy Google
Cession im g;riechiacheo Recht? 191
%ifeig ag ti^ouXijtfiei oviog näg ixeivov ay&oXoyr^aa^isyog TiQog:
tovToy. Die Uebertragung kann im Wege der Novation " oder
der Cession erfolgt sein.
Wichtiger ist Demosth. pro Phonnione (XXXVI) 5, 6.
Pasioa hatte die bei ihm von Geschäftskunden deponirten
Gelder (11 Talente) im eigenen Namen verzinslich ausgeliehen.
Als nun der bisherige Geschäftsführer Phormion von Pasion
das Bankgeschäft pachtweise übernahm', somit auch die De-
positen — so dass er selfist Schuldner der Depositengelder
wurde (?) — sah er , dass er ausser Stande sein würde , die
von Pasion gegen hypothekarische Sicherheit ausgeliehenen
Gelder einzutreiben (eianQcrTTei») , weil er noch nicht athe-
nischer Bürger war: (j^ttio t^ noX$xeiag cdt^ nag' vfüv
ovtnjg. Deshalb übernahm Pasion gegen ihn (bezw. gegen
das »Bankgeschäft«) die Schuld von U Talenten, an Stelle
derjenigen Personen, welchen diese Summen von Pasion aus-
geliehen waren.
Der Schluss ist unabweislich , dass wenn dem Phormion
nicht der Mangel des athenischen Bürgerrechts entgegen-
gestanden hatte (wahrscheinlich, weil der blosse Metöke auch
des Pfandbesitzes an Immobilien unfähig war), Phormion un-
bedenklich die ausstehenden Bankforderungen an Stelle des
Pasion von den Schuldnern hätte eintreiben dürfen. Es muss
also, in Demosthenischer Zeit, die Cession oder gerichtliche
Stellvertretung statthaft gewesen sein — mindestens in Ver-
bindung mit Ueberlassung von Bank- und ähnlichen Hand-
lungen, zu deren Activa diese Forderungen gehörten — aber
— sofern es sich um hypothekarisch gesicherte Forderungen
handelte — oder allgemein (?) — nur zu Gunsten von Bürgern,
nicht von Metöken oder von Fremden '.
' So Dirette, plaidajen dvili de Demoith^c p. 103, 214 Note 3.
> Die ^fiiaSaati" siebt Jo der Rede des Demoith. (lichtiger ApoIIodot)
c. Siepluno* I (XLV) 31. Wie die Klausel: „öiftlUt 3i Ilaatio* taX rqv
Tganiiav irrStxa xälarta tls tis itttquB^Xtts" voo ApoUodor dahin am-
gedeutet wird, dut die 1 1 Talente in der Hatte gefehlt bitten nnd von Phiir-
tnion untenchljgen worden leien , ist ein Meisterstück der Rabulisterei in
diesem auch sodsI scbmaehrollen Recbtshaadel.
' Im mittelalterlichen Italien sind statutarische Verbote derart hlnfig,
z. B. in Pisa, Padua, Modemi und sonst: Pertile, storia del diritto Itsliono
IV p. SI7.
izecoy Google
192 Inhaber-, Order' und execntoriiclie Urkunden im ItlauUchen Alterthiun.
Dem hellenischen Quellenkreise nahe stehen selbst-
verständlich die Plautinischen KomCtdien, insbesondere die
nachweislich einem griechischen Original nachgebildeten.
Immerhin darf man als Regel annehmen, dass Plautus nicht
leicht Rechtsverhältnisse dargestellt hat, welche ganz ausser
dem Gesichtskreise seines römischen Publikums standen, so dass
sich aus solchen Erörterungen ein h-eilich nicht sicherer Be-
weis für deren Vorkommen auch im romischen Rechtsleben
entnehmen lässt. Gleichzeitig dürfte feststehen, dass zur Zeit
des Plautus die Cesslon dem römischen Recht noch durchaus
unbekannt war'.
Der Curculio' spielt bekanntlich in Karien und in
Epidaurus, also auf hellenischem Boden. Der miles hat von
dem Cappadox leno ein Mädchen für 30 Minen gekauft, dazu
noch Kleid und Schmuck für 10 Minen. Den Preis hat er
noch nicht bezahlt, sondern (mindestens die 30 Minen) bei dem
ttar3>essita< Luco in Epidauris deponirt : apud tarpessitam
situmst (2, 3, 64 ff. [v. 341 ff.], vgl. IV 3, 4 (v. 536]), aber
mit folgender Anweisung:
V. 345 ff.: Atque ei mandaui, qui anulo
Meo tabellas opsignatas attulisset, ut
daret
Operam ut mulierem a lenone cum auro et veste
abduceret.
Demnächst stellt sich Curculio dem Luco vor, als Abgesandter
des miles Therapongitonus Platagidorus : 3, 38 ff. (v. 402 ff.):
Luco: Novi edepol nomen : nam mihi istoc nomine
Dum scribo, explevi totas ceras quattuor.
Sed quid Luconem quaeris?
Cure: Mandatumst mihi
Ut has tabellas ad eum ferrem.
Luco: Quis tu homo's?
Cure: Libertus illius, quem omnes Summanum vocant.
' lieber die Terwttltungtrechtliche sttributio det let liordearium in Aiüul.
u. Foenul. i. Brnni, Zar Geichiclite der Cebion (Kleine Schriften II S. il,
vgl. S. 38).
' Benntzt itt die Aiugabe von Fleckeiien (Teubner 1887).
::,y Google
PloDlai Cmcnlkr; aififiolw in Flantiu' BMchUea nnd bei Lysias. 193
Nachdem sich Luco zu erkennen gegeben hat (v. 418 ff.), geht
das Gespräch weiter (v. 420 ff.) :
Cure: Multam me tibi
Salutem iussit Therapontigonus dicere
Et bas tabellas dare me iussit
Luco: Mihine?
Cure: Ita.
Cape-, Signum nosce. nostin?
Luco; Quid si noverim?
Clupeatus elephantum ubi machera dissicit'.
Cure: Quod istic scriptum esset, id te orare iusserat
Profecto ut faceres, suam si velles gratiam,
Luco: Coocede: inspiciam quid sit scriptum.
Cure: Maxume
Tuo arbitrato, dum auferam aps te id quod peto.
Demnächst liest Luco folgenden Brief (III 59 ff. [v. 429 ff.]):
iMiles Luconi in Epidauro [hospes] hospiti
Suo Therapontigonus Platagidorus plurumam
Salutem dicitc :
iTecum oro et quaeso, qui has tabellas
adferet
Tibi, ut ei detur quam istic emi virginem,
Quod te praesente isti egi teque interprete
Et aurum et restem. iam scis ut convenerit
Argentum des lenoni [et] huic des vir-
ginem.*
Nun fragt Luco (v. 437): Ubi ipsust? quor non venit? und
berichtet Curculio über die Schicksale des mlles Th. PI.
Nachdem sich durch diese Mittheilung Luco davon überzeugt
hat, dass Curculio wirklich von dem miles Th. PI. abgesendet
ist, bemerkt er (v. 452):
Credo hercle te esse ab illo
und erklärt: sich bereit, der Anweisung zu folgen (v. 453/4):
Nil moror.
Sequere hac: te apsolvam qua advenisti gratia.
Der leno Cappadox tritt auf. Luco sagt ihm (v. 458):
Argentum accipjas, cum illo mittas virginem.
' Di« alio at das Siegel.
Goldichmidl, Vermiichu Schri
iiiiec »Google
194 Inhaber-, Order- und eiecntoriscbe Urkunden im klutüchen Alterthnm.
In Act IV. 2 wird von Luco das Geld ausgezahlt, Luco er-
sucht den Curculio, an dessen patronus (den mües) beste
Empfehlung auszurichten (v. 524).
In Act. V erscheint der miles (Th. PL) bei Luco und be-
gehrt Rückzahlung der 30 minae >quas ego apud te deposui<
(V. 3, 4 [v. 535, 536]). Luco beruft sich darauf, dass er die-
selbe bereits an den Freigelassenen des miles, Sununaous,
zurückgezahlt habe. Dies bestreitet der miles, bemerkt
aber, er hätte allerdings niemals auf Rückzahlung (von dem
spitzbübischen Bankier) gerechnet (v. 541, 542):
Idem ego istuc quom credebam ' credidi
Te nihil esse redditurum.
Luco entgegnet (v. 549, 550), er habe nur den Auftrag des
miles respektirt:
quod mandasti, feci honoris gratia:
Tuum qui Signum ad me attulisset nuntiumne
spernerem.
Der miles wirft ihm seine Leichtgläubigkeit vor (v. 551):
Stultior stulto fuisti, qui bis tabellis crederes.
iLuco entgegnet (v. 552, 553):
Quis respublica et privata geritur, non
is crederem? — tibi res solutast recte.
Es erhellt nun, dass der miles allerdings um sein Geld
bezw. um das Mädchen geprellt ist, indem Curculio, der an-
gebliche Freigelassene des miles, den Brief gefälscht und mit
dem entwendeten Siegelring des miles verschlossen hatte
(II. 3, 81 ff. [v. 360 ff.]). Da aber doch zwischen dem miles
und Luco wirklich verabredet war, das Geld solle an den
Ueberbringer eines mit dem Siegel des Luco verschlossenen
Briefes ausgezahlt werden, so behauptet Luco, richtig an Cur-
culio und damit an den miles (tibi res solutast recte) gezahlt
zu haben und der geprellte miles erbebt schliesslich keinen
weiteren Widerspruch.
Zu beachten ist, dass Luco dem Curculio trotz Vorlegung
des Briefes nicht ohne Weiteres zahlt, sondern erst nachdem
■ Also das hier vorli^ende depoiitmn (irtegulire) wird als icrederer be-
leichnet. Du Folgende nt «in Wortiriti aus der Doppelb«d«Dtaiig von credere
d ^ •glauben*.
iiiiec »Google
Plsnlus Curcalio; trifißoXov in Plaatiu' BftccMdet nnd bei Lysias. 195
Curculio plausible Gründe dafür vorgebracht hatte, weshalb
des miles nicht selbst komme und dass er Bote desselben sei.
Andererseits ist, nach Plautus' Darstellung, an Curculio gültig
gezahlt, und es würde das auch vom miles nie bezweifelt
worden sein, falls Curculio wirklich rechtmässiger Briefinhaber
gewesen wäre. Ob nun wirklich in einem derartigen Fall,
trotz der voraufgehenden Vereinbarung, die Zahlung an den
Producenten einer gefälschten Inhaberanweisung Liberation
nach römischem (griechischem) Recht bewirkt hätte, mag
zweifelhaft sein, interessirt uns aber hier nicht. So viel er-
hellt mit Sicherheit: Die (echte) auf Inhaber lautende
Zahlungsanweisung legitimirt den blossen Brief-
inhaber zur Empfangnahme der Zahlung, minde-
stens in dem Sinne, dass die bona fide geleistete Zahlung des
Assignaten gegenüber dem Assignanten als giltige Zahlung
gilt. Da aber im vorliegenden Falle der Assignat (Luco) sich
bei dem blossen Inhaberbrief nicht beruhigt, sondern weitere
Legitimation des Präsentanten (Curculio) begehrt und erlangt,
so ist wahrscheinlich diese Inhaberanweisung nur ein un-
vollkommenes Inhaberpapier in dem oben (S. 171) ent-
wickelten Sinne: Luco durfte ohne weitere Prüfung gültig an
den Inhaber zahlen, aber auch weiteren Rechtsausweis be-
gehren. Entscheidend ist endlich nicht die in den Wachs-
täfelchen ohnehin schwer erkennbare Handschrift, sondern das
Siegel des miles. —
Naturlich konnte das gleiche Ergebniss auch durch ver-
einbarte Vorzeigung nur eines Siegelringes erzielt
werden, indem mtindlich oder schriftlich ausgemacht wird, es
solle an den Vorzeiger eines gewissen Siegelringes gezahlt
werden. Von diesem Falle, wo also der blosse Siegelring
als Inhaberanweisung fungirt, spricht Plautus in den
einer Komtidie des Menander nachgebildeten Bacchides.
Auch hier und noch klarer als im Curculio handelt es sich
also um hellenische Sitte.
Nach der Erzählung des Chrusalus ist von dem Sohne
des Nicobulus, Namens Mnesilochus, Geld des Nicobulus in
Ephesus bei Theotimus, Priester der Ephesischen Diana depo-
nirt, und zwar, nach bekannter griechischer Sitte, im Tempel :
ibidem puplicitus seruant (II. 3, 72 ff. [v. 306 ff.]); ist weiter
mit Theotimus verafjredet, er solle das Geld demjenigen zurück-
13'
, Google
196 Inhaber-, Order- and execntoruche Crkanden im klauisclieD Altetiham.
geben, welcher ihm den Ring des Mnesilochns vorzeigt (11. 3,
95 ff. [t. 329, 330]):
Quia iä signumst cum Theotimo, qui eum (sc. aaulum)
illi adferet,
Ei aurum ut reddat.
An einer andern Stelle II. 3, 29 ff. (v. 263 ff.) ist von
einem isumbulumt ohne nähere Bezeichnung die Rede, mit-
telst dessen sich der Sohn des Nicobulus bei dessen Schuldner
Archidemides in Ephesus legitimiren solle; der letztere leug-
nete aber die Echtheit des isumbulumc
Ni. Quid ubi ci ostendit sumbulum?
Ch. Infit dicere
Adulterinum, non verum esse sumbulmn. — . —
Wie der Siegelring, konnte auch ein anderes Erkennungs-
zeichen laut Vereinbarung zur Erhebung deponirter oder kre-
ditirter Gelder legitimiren.
Ein solches avußohnr ist vielleicht (?) die goldene Schale
des GrosskOnigs bei Lysias vtiSQ l^gimo<pavovg xQ^^fimiav
19, 25 (p. 154)". Auf diese Schale will nämlich deren Em-
pfänger Demos von Aristophanes Geld leihen, weil der Nehmer
der Schale auf diese, neben sonstigen Vortbeilen, auch Geld
genug auf dem ganzen Festland erhalten werde * , doch lässt
sich A. auf das Geschäft nicht ein.
9.
Unter den siebenbUrgischen Darlehensurkunden befindet
sich ein offenbar nach hellenischer Sitte fonnulirtes chiro-
graphum > vom Jahre 162 n. Chr. (Bruns-Mommsen,
fontesi p. 267), Inhalts dessen Alexander Cari(cci) bekennt,
von Julius Alexander 60 E>enare empfangen zu haben und
deren Rückzahlung nach Kündigung verspricht. Desgleichen
■ S. Ubd die vielerCrtarte Stelle Heinia
alteithUiiieT S, 454 NoL a. Dui hier nicht ti
■ein kann, lenchM ein.
* ort lUtß* avfißolov Jtafä ßaatUus roS fityälov ipiälifv X9'"'V' —
noi-iMV yaf äyii9^ xal alXam xal j[ftifiäi<oi> ivnoQ^oiiii tut rö eififlolov
3 S. anch Huichke, Die Lebre i» rSmiKlieii Rechts vom Darlehn
(igSa) S. 97.
izecoy Google
Klintel tei ad quem ea i«i psttinebit«. 197
verspricht er stipulationsweise vom Tage der Aasstellung ab
monatlich 1 "/o Zinsen:
dari Inlio Alezandro e. a. q. e. r. p.
d. h. eive ad quem ea res pertinebit*.
Die Unbestimmtheit dieser Klausel lässt die Möglichkeit
zu, an eine Order- oder gar eine Inhaber-Klausel zu denken.
Die Klausel >is ad quem ea res pertinett begegnet vielfach
und in sehr verschiedener Bedeutung. Die Legalerklänmg in
1. 70 D. de V. S. (50, 16):
Verba haec >is ad quem ea res pertinetc sie intelli-
guntur, ut qui in universiun dominium vel iure civil!
vel iure praetorio succedit, contineatur "
trifft nicht immer zu. Der Satz des Paulus in 1. 126 § 2 D.
de V. O. (45, 1):
plerumque enim in stipulationibus verba, ex quibus obli*
gatio oritur, inspicienda sunt: raro inesse tempus vel
condicionem ex eo, quod agi apparebit, intellegendum
est: nunquam personam, nisi expressa sit
gilt so allgemein nur fUr die römische Konventionalstipulation.
Schon die cautio de rato mit der Klausei » — heredemve eius
eumve ad quem ea res pertinebit«, bezw. mit der weiteren
Klausel >si ille in integrum restitutus fuerit heresue eius aut
is ad quem ea res, qua de agitur, pertinebit* ^ wird freier be-
handelt : 1. 3 pr. 1. 22 § 7 D. rat rem. hab. (46, 8), vgl. auch
1. 33 § 3 mit 1. 39 §§ I, 2 D. de proc. (3, 3). Desgleichen
die Ediktklausel >ei ad quem ea res pertineti in 1. 9 pr. g 3
D. de bon. auct. iud. (42, 5) ; die Satisdationsklausel des arro-
gator >ad quos ea res pertinet« in 1. 19 D. de adopt. (t, 7);
die Ediktklausel für das ins iurandum meque in ipsum neque
in eum ad quem ea res pertinet* in 1. 7, 8 D. de inreiur. (12, 2);
die (interpolirte ?) ' Klausel eius ad quem ea res pertinet im
iaterdictum quod iegatorum: 1. 1 §§ 11, 14, 15, vgl. 1. 1 §§ 3,
< IHe Klsnid fehlt in 4et toaU Umlichen Urkande L 135 pr. § 1 D.
de V. O. (4S, 0. findet sich dagegen in 1. 46 D. (leeta) D. d. R. C. (la, l)
TOD Panlui: Pnblio Maerio eire ad quem ea res pertiDebil.
' Vjl. L 53 § I D. de O. et A. (44, ?)■ 1-1 8 "• 1- "9 8 5- 1- 3'
% at D. de aed. ed. (21, i), auch (?) 1. 3 § nlt. D. de contr. tut. (17. 4)-
3 Lenel, edictum S. 433-
* Lenel, «dictum S. 361; Lenel, Palingeneüa II col. 801, 8m.
, Cioogle
198 Inhaber-, Order- und «lecntoriiche Urkunden Im klainicheD Alteithum.
10 jceteros successores« § 13: »sive per universitatem sive
in rem sit successum* D. quod leg. (43, 3).
Immerhin lasst sich aus dieser Klausel kein sicheres Er-
gebniss gewinnen und die allgemeinen Prinzipien des römi-
schen Obligationenrechts stehen der Erstreckung der Verbind-
lichkeit gegen nichtgenamite Dritte entgegen. Aber wie durch
diese Prinzipien sicher nicht die Statthaftigkeit der unvoll-
kommenen Order- und Inhaber-Klausel ausgeschlossen wird,
so zeigt das in den Rechtsquellen freilich nicht behandelte,
aber im Verkehrsieben häufige Institut der Auslobung, dass
nicht schlechthin an der Unbestimmtheit des Gläubigers Anstoss
genommen wurde. Denn tiberall wird die Belohnung dem (un-
bestimmten) Finder u. dgl. zugesagt : >si quis eum reddere aut
commostrare voluerit, accipiet n. M.«, idixit daturum se denar.
M ei qui ad se servum perduxisset< bis herab bis zu dem be-
rühmten Hundehalsband »cum revocaveris me domino meo
Zonino, accipis solidumt '.
Ist so das Schweigen der Rechtsquellen, bei deren arger
Lückenhaftigkeit und Verstümmelung, kein entscheidender Be-
weis gegen das Vorkommen der für den hellenistischen Quellen-
kreis sicheren Zusagen an Order oder an Inhaber, so ist doch
andererseits möglich, dass, wie aus leicht begreiflichen Gründen
die Executivklausel in Wegfall kam, so auch die hellenisti-
schen Ansätze zu Schuldur künden auf Inhaber und an Order
mit der vollen Ausbildung der Cession und Delegation, welche
das praktische Bedürfniss sicher befriedigt haben, verkümmert
sind. Um so eher, als Cession wie Einkassirungsvollmacht
in dem überwiegend urkundlichen Rechtsverkehr der späteren
Zeit sich durch formlose Hingabe der Schuldurkunde " voll-
ziehen konnten, die Delegation aber, wie sich sogleich zeigen
wird, indirekte Zuweisungen in umfassendem Maasse ermöglichte.
10.
Unbedenklich nämlich in Gebrauch ist die Cr der an Wei-
sung. Denn das Mandat (iussos, delegatio'), mittelst dessen
■ Tzscbirner, de indole promiss. popul. (Berol. 1S69) p. 35 ff., sucb
BrunB-Mominscn, fontei' p. 373. 374.
> 1. 44 g 5 D. de leg. I (30). 1. 59 D. de leg. III (31) u. a. m. Meine
Schrift: Studien zddi BesiUrecht (Festgabe ftlr R. T. Gneitt. läSS. 5. 70).
i Ueber inisoi und mondalum i. insbe». Biim, Pandekten II> S. 375
NoL 31 S. 3Z3.
Die OrderaDTeisnng: I. ii D. de doviL 199
sowohl die Kreditanweisung wie die Zahlungsanweisung bewirkt
wurde, ist eine überaus freie, ganz den Interessen des grossen
Verkehrs gemäss ausgebildete Rechtsform.
Der sichere Beweis dafUr liegt in einer sehr wichtigen,
zwar viel besprochenen, aber, soviel ich sehe, nur von Gide
richtig interpretirten , in ihrem Zusammenhang mit der hier
interessirenden Lehre nirgends gewürdigten Pandektenstelle,
der 1. 11 D. de novat. et deleg. (46, 2), Es ist sehr auf-
fallend, dass sogar Thöl, der bei seiner durchaus roma-
nistischen Auffassung der Orderklausel ausreichenden Anlass
gehabt hätte, unsere Stelle der näheren Prüfung zu unterziehen,
auf dieselbe zwar eingeht (Handelsrecht I * § 333 Note 4 und
dazu den Text), aber den entscheidenden Punkt ignorirt.
Ulpianus libro 27 ad Hd.
Delegare est vice sua alium reum dare creditori vel
cui iusserit. Fit autem delegatio vel per stipula-
tionem vel per Litiscontestationem.
Basil. XXVI 4, 11 : '0 xe*'"ö*'Jfi «'S f^ftov at-rov öidioaiv
vnev^tfvov Tip davei(n§ ^ ^tivt intz^i\pBi, ij dtä iite^ta-
XT^aetas ij dia Tt^oKozäQ^eoig.
Dass in dieser Legaldefinition für die klassische Zeit das
wichtige >vel per expensilationemc fehlt', desgleichen, dass
dieselbe insofern zu enge ist, als die Delegation keineswegs
nothwendig ein Schuldverhältniss zwischen Delegant und Dele-
gatar voraussetzt', hat man schon wiederholt mit Recht her-
vorgehoben.
Desgleichen ist ungenau der Satz >fit autem delegatio
u. s. f.*, da durch stipulatio oder litiscontestatio nicht die An-
weisung jgeschieht« (fit), sondern vollzogen wird. Es wird,
was allerdings auch sonst begegnet, der Ausdruck delegatio
auf das ganze, aus Anweisung und Vollziehung der Anweisung
(durch promittere) zusammengesetzte Rechtsgeschäft be
zogen ',
>E)elegare aliquemt heisst, jemand zu einer Leistung an-
' T.Salpin», Novation und Delegation S. 78 ff. i Gradenwiti, i
Zeibchr. f. Hkndelsr., N. F. VII S. 297, 398.
* Thöl, Handelsrecht I* § 333 NoL 4; Btinz, Pandecten II> 5. 379
Not 43-
3 Richtiger Seneca de benef. VI 5 g 2: delegatione et verbis petfidtur
solntio. S. auch Brinz a. a. O. S. 375.
, Cioogic
200 Inhaber-, Order- und executorische Uricaiiden im kla«Udien Aliecthum.
weisen, synonym mit mandare, iubere, nur spezialisirt durch
die nothwendige Beziehung auf den Leistungsdestinatär (alicoi,
d. h. creditori sive alio cuilibet)'.
Die Anweisung kann mündlich oder schriftlich erfolgen.
1. 17 D. h. t. (46, 2): delegare scriptura — debttorem suum
quis potest'.
Hat nun — um bei den Voraussetzungen der 1. II stehen
zu bleiben — Maevius von Titius 1000 zu fordern, so ge-
schieht die Kreditan Weisung (iussus oder mandatum promit-
tendi) und analog die Zahlungsanweisung (iussus oder man-
datum solveodi) dadurch, dass Titius den Sempronius münd-
lich oder schriftlich ersucht (anweist), er möge die 1000 dem
»Maevius vel cui iusserit« zu zahlen versprechen (zahlen) —
oder so, dass Titius den Maevius ersucht (anweist), er möge
»sich vel cui iusseritc die 1000 von Sempronius versprechen
(zahlen) lassen. Die schriftliche Anweisung in der üblichen
Briefform (epistola)» enthalt also die Orderklausel:
Maevio vel cui iusserit (sc. Maevius) promitti (dari),
etwa in der Form:
Titius Sempronio salutem.
Peto et mando tibi (quaeso etc.), ut M (quae
Maevio debeo) Maevio vel cui iusserit (Maevius) dari
pi^jmittas (des),
ganz wie in der araorginischen Schuldurkunde a (oben S. 182)
die Gemeinde Arkesine zu zahlen verspricht : IlQaiixlel §
wi av xeXevjji ÜQaifKX^g.
Selbstverständlich ist durch die blosse Anweisung die Zu-
wendung der 1000 an Maevius noch nicht vollzogen, daher
Titius (Delegant, Assignant) von seiner (etwaigen) Schuld
gegen Maevius (Delegatar, Assignatar) noch nicht liberirt.
Diese Rechtswirkung tritt aber ein, sobald Maevius oder
' S. auch Gradeuwiti i, a. O. und Wölfflin cod. IX S. SR
> S. auch Mflhieubrach, Ce(sion3 % 4 Not. 641 KcMct, Litis-
coutestation und Urlheil S. 90 Not. 5, 6.
3 Belüge bei Gneis t, Formelle Vertrlje S. 336—338; die Definition,
du« epiitola rin «Schuldscheine in der Form eines Briefe« sei, iat freilich Tiel
lu enge. So enthalten i. B., wie Gncist selbst hervorhebt, L S9 8 S ™^
L £a § I D. mand. (17, i) ein Kiediimandat, i. 60 § 4 eod. eine Vollmacht
in BiiefTonn. S. auch Bruns, Unlcrachriften S. titff. (Kleinere Schriften II,
S. 97 ff.).
izecoy Google
Die Oidermwelniiic : L ii D. de ooraL 20t
dessen Order (Delegatar, weiterer Assignatar, Indossatar,
etwa Seius):
a) von Sempronius (Delegaten, Assignaten) periculo suo '
die 1000 stipulirt, oder
b) mit Sempronius deswegen litem contestirt, oder
c) von Sempronius die 1000 (direkt oder indirekt) gezahlt
empfängt.
Wenn Seius die Order des Maevius stipulirt, so wtirde
dies in der Form geschehen:
Seius: M quae Titius Maevio debet, dare mihi
spondes? (mihi dabis etc.)
Sempronius: Spondeo (dabo etc.).
Im Falle c ist die beabsichtigte Zuwendung definitiv rea-
lisirt. In den Fällen a und b ist Sempronius dem Maevius
(oder dessen Order Seius) unmittelbar obligirt, wie ein
Wechselacceptant, und kann daher prinzipiell gegen Mae-
vius (Seius) nicht aus den Valuta- oder Deckungsver-
hältnissen excipiren:
quia in privatis contractibus et pactionibus non facile
scire petitor (Maevius bezw. Seius) potest, quid inter
eum qui delegatus est (Sempronius) et debitorem (Ti-
tium) actum est, aut etiamsi sciat, dissimulare debet,
ne curiosus videatur: et ideo merito denegandum est
adversus eum exceptionem ex persona debitoris'.
Durch Realisirung der Anweisung wird eine doppelte Ver-
mögenszuwendung bewirkt, des Deleganten an den Delegatar
und des Delegaten an den Eteleganten: 1. 180 D. de R. J.
(50, 17). 1. 56, 64 D. de solut. (46, 3). 1. 13 § 12 D. de don.
int. vir. et ui. (24, 1). l. 2 § 2 D. de donat (39, 5) u. a. m.^.
Durch Hinzufügung der Orderklausel erhöht sich die Zahl
der Vermögenszuwendungen, indem nun der Delegatar (Mae-
vius) seiner Order (dem weiteren Delegatar, Seius) eine
■ 5. unten S. ]o6.
■L 19 D. de aovKL (46, 1); ThOl, Handelnecht I*- S. 33a; Schle-
tinger, Die Unanfechtbarkeit der Delegationsati pnlation S. SfT.; t. S>1pia9
a. n. O. S. itglT.; Brini II' S. 380 E; Windscheid, Pandekten [auch
8. Anfl.] 11'' § 35S Not. 6 ff.
ä V. Salpin« ». a. O. S. 43 ff, ; Lotmar, Cansa S. 99 K, IlSif.;
A\'ind»cheid [anch 8. AuH.J II, § 353 NoL 9, § 412.
::,y Google
202 Inhaber-, Order- anA execuloritche UTkunden ii
Leistung zuwendet; es ist möglich, dass die Order (Seius)
einen weiteren Leistungsempfänger bezeichnet u. s. i.
Das Quellenmaterial ist zwar nicht tiberall vollkommen
deutlich, aber doch ausreichend :
1. 9 D. de cond. c. d. (12, 4): Jemand will einer Frau
schenken und verspricht auf deren Weisung (iussu eius) an
deren Bräutigam.
1. 36 D. de iure dot. (23, 3) : Der Schuldner einer Ehe-
frau verspricht iussu eius dem Ehemann derselben.
1. 5 § 3 D. de donat. int. vir. et ux. (24, 1): si debitor
viri iussu mariti uxori promiserit. Vgl. 1. 2 §§ 1 — 4 D. de
donat. (39, 5). 1. 7 pr. § 1 D. de doli m. exe. (44, 4). 1. 33
D. de novat. (46, 2). 1. 64, 66, 108 D. de solut. (46, 3).
Näher Gaius 1. 31 § 3 D. de m. c. donat (39, 6):
Si iusseris — mortis causa (mihi daturus?) debitorem
tuum mihi aut creditori meo expromittere decem — . Wie
nun , wenn der debitor zahlungsunfähig ist ? Habe ich stipu-
lirt, so bin ich bezahlt, soweit der Schuldner zahlungsfähig
war; hat mein Gläubiger (meine Order) stipulirt, so: tantam
videri pecuniam mc accepisse, in quantum a creditore meo
liberatus sum.
lulian. 1. 18 § 1 D. eod.:
Si donatunis mihi mortis causa debitorem tuum
creditori meo delegaveris, omnino capere videbor tan-
tam pecuniam , quanta a creditore meo liberatus fuero.
quod si ab eodem ego stipulatus fuero, eatenus capere
existimandus ero, quatenus debitor soluendo fuerit — .
Marcian I. 49 D. de solut. (46, 3);
— sed si iussu eius (creditoris) alü solvatur vel
creditori eius vel futuro debitori vel etiam
ei cui donaturus erat —
Papinian 1, 96 pr. D. eod.:
Pupilli debitor tutore delegante pecuniam credi-
tori tütorls solvit: liberatio contingit, si non malo
consilio cum tutore habito hoc factum esse probetur.
Julian (Ulpian) 1. 9 § 8 D. de R. C. (12, 1):
— cum quotidie credituri pecuniam mutuam ab alio
(z. B. dem Bankier) poscamus, ut nostro nomine cre-
ditor numeret futuro debitori nostro —
, Google
Die OrderanweitaDg: 1. ii D. de novit 203
Tgl. 1. 15, 30 eod. 1. 34 D. maodat. (17, 1). 1. 19 § 5 D. ad
S. C. Vellej. (16, 1).
Zwei gleichzeitige Deleganten (pater et filius) ; ei promit-
tendum fuit, cui uterque iusserit. 1. 2 § 1 D. sol. matr.
(24, 3), -
In der Regel wird von den Interpreten auf die Klausel
»vel cui iusserit« in 1. 11 D, de novat. nicht näher eingegangen,
oder dieselbe wird gründlich missverstanden. Thöl I' § 333
übersetzt die Klausel »vel cui iusserit* dahin, dass der Dele-
gant demjenigen, der sein Gläubiger ist, »oder werden soll«,
statt seiner einen neuen Schuldner stellt Ob mit den hervor-
gehobenen Worten die Order (der weitere Delegatar) be-
zeichnet werden soll, ist nicht ersichtlich.
V. Salpius S. 87 vertheidigt die in unserer Stelle ge-
gebene Definition der delegatio und bemerkt sodann: Die
Worte: »vel cui iusserit« werden gewöhnlich (?) bezogen auf
den komplizirten Fall einer gleichzeitig ausgeführten
doppelten Delegation, von dem Deleganten an den creditor,
von diesem an einen Dritten, so dass ergänzt wird, cui »cre-
ditor« iusserit, nämlich reum dari. Eine viel näher liegende
Beziehung gewinnen die Worte aber, wenn man ergänzt cui
(non creditori) delegans iusserit promitti. Der Fall wird
so gedacht, dass der Delegatar nicht Gläubiger des Dele-
ganten ist, der Delegant also fremden Kredit statt seines
eigenen giebt. — Diese Auslegung findet sich auch bei Aelteren,
insbesondere Duaren. Sie ist aber unmöglich. Denn in
unserer Stelle ist der Delegant stets Schuldner des Dele-
gatars, nur darf der Delegatar sich einen anderen (weiteren)
Delegatar substituiren. Natürlich erfolgt nicht gleichzeitige
Doppeldelegation, noch weniger Ausführung zweier Dele-
gationen. Vielmehr hat der Delegant (Titius) es in das Be-
lieben des Delegatars (Maevius) gestellt, ob derselbe vom
Delegaten (Sempronius) die Zahlung der 1000 sich (Maevio)
oder einem andern statt seiner (einem beliebigen , etwa dem
Seius oder dem Fublius oder wem er sonst will) versprechen
lassen will; vollzogen (ausgeführt) wird die Delegation
(das angenommene mandatum promittendi) dadurch, dass Sem-
pronius Zahlung verspricht, dem Maevius oder, falls dieser es
verlangt, einem andern (dem Seius oder Publius oder — ).
Salkowski, Novation S. 121, Not. 44, ergänzt richtig
204 Inliaber-, Order* und ex«catoritche Urltondeii im kUioicheii Alterthnm.
creditor, meint aber, A (Titius) weise den B (Sempronius) an,
dem C (Maevius) zu promittiren, was D (Seius), Gläubtgo'
des A, dem C schuldet. Eine solche Anweisung ist zwar
möglich, aber in unserer Stelle nicht enthalten. Es ist nicht
nothwendig, dass dem C promittirt wird, sondern es kann auf
Verlangen des C direkt dem D promittirt werden, und es ist
nicht nothwendig, dass D Schuldner des C, noch dass D
Gläubiger des A ist. Von alledem enthält unsere Stelle nichts.
Ganz wunderlich übersetzt unsere Stelle C. Danz, Die
ForderungsUberweisung — mit anscheinender Zustimmung
Dernburg's, Pandekten [auch 5. Aufl.] II § 59 Note 7:
lEine Delegation liegt vor, wenn ein Schuldner an seiner
Stelle seinen Gläubigem einen andern Schuldner gibt oder
wenn ein Gläubiger an seiner Statt seinem
Schuldner einen anderen Gläubiger gibt.« Das vel
cui iusserit heisse so viel wie >vel debitoric und es sei zn
lesen: vel (reum dare ei debitori) quem (delegans) iusserit.
Mir scheint hier Missverständniss auf Missverständniss gehäuft
und durch willkürliche Hineintragung des zweiten Falles der
Delegation (Delegation seitens des Gläubigers) der Sinn der
Stelle völlig verdunkelt.
Das Richtige meint vielleicht Gradenwitz a. a. O.
S. 298: >Man kann nicht bloss dem Gläubiger einen Mann
stellen, sondern ebenso einen Vierten, an den der Gläubiger
den Mann weist« — aber es scheint doch das Missverständniss
unterzulaufen, dass von vornherein die Person des »Vierten«
bestimmt sein müsse, womit die so werthvoUe Orderklause!
nahezu allen praktischen Werth für den Delegatar einbUssen
würde.
Auf Gide, 6tudes sur la novation (Paris 1879) komme
ich sogleich zurück.
11.
Die vorstehenden Ausführungen dürften ergeben haben,
dass das hellenische Recht, sicher das spätere, die Schuld-
verschreibung an Order oder an Inhaber, wenigstens mit alter-
nativer Order- oder Inhaber-Klausel kannte.
Aus Plautus erhellt, dass im zweiten Jahrhundert vor
unserer Zeitrechnung, anscheinend auch im römischen Ge-
schäftsleben, die briefliche Anweisung mit der einfachen In-
Ueberweisnngdcelte. Scontratlon. Schluu. 205
haberklausel vorkam, aber anscheinend nur als unvollkommenes
Inhaberpapier.
Für die Schuldverschreibung mit Inhaber- oder Order-
Klausel findet sich in römischen Quellen kein sicherer Anhalt ;
ganz sicher dagegen ist die (mtlndliche oder schriftliche) An-
weisung mit der Orderklausel.
Es ist femer nicht abzusehen, warum nicht die »Order<
(Seius) weitere »Order« ertheilen könnte, sowohl zum Z^ahlen
wie zum Promittiren, es ist also eine Kette von Ueber-
weisungea denkbar, wie mittelst des heutigen (indossirten)
Orderwechsels und im heutigen wie mittelalterlichen Scontro-
verband. Dies bemerkt auch zutreffend G i d e a. a. O.p. 439ff.,
indem er 1. 11 de novat. richtig von der successiven Delegation
versteht und die Bedeutung der Delegation für den römischen
Kreditverkehr richtig würdigt. Um so auffallender ist dann
freilich, dass Gide, nach Schilderung der heutigen Orderklausel
p. 437, 438 bemerkt: »une clause bien simple en apparence,
mais que tout le g^nie des jurisconsultes romains
n'avait pas su inventer*!
Es versteht sich von selbst, dass die komplizirten Kredit-
operationen, im Alterthum vielleicht noch mehr als in der
Gegenwart, sich vorzugsweise mittelst des hoch ausgebildeten
Bankwesens vollzogen. Der Ueberweisungsverkehr wird sich
vorzugsweise gegenüber oder gar zwischen Bankiers bewegt
haben. Jeder anständige, nicht völlig unbemittelte Grieche und
Römer hatte so gut seinen Bankier wie der heutige Engländer;
durch ihn zahlte er und kassirte er ein, ihm überwies er seine
atisstehenden Forderungen und Schulden u. s. f.". In den
Händen bezw. Büchern der Bankiers koncentrirte sich so die
Masse der ausstehenden Geschäftsforderungen, und da sie selbst-
verständlich untereinander in fortlaufenden Geschäftsbeziehungen
standen, so müssen sie auch ihre Konten durch regelmässige
Abrechnungen angeglichen haben.
Ist so der Delegatar (Maevius) Bankier, so lässt er selbst-
verständlich das Zahlimgsversprechen bezw. die Zahlung durch
den Delegaten (Sempronius) an denjenigen leisten, welchem
> Wu M.Voigt, Ueber die Bankien, die Buch fUunns und di« Litteral-
obliguioD der Rfimer (1887) S. 13 — 15 du lOrdergetcIiIft* nennt, okne die
„Google
206 Inhaber', Order- und «cecntoriiche Urkunden im IcUaitcheD Altotham.
er eine Zahlung zuweisen will: an einen Kunden, welchem er
zahlen, kreditiren will, an den Bankier dieses Kunden u. s. f.
Das Zahlungsversprechea bezw. die Zahlimg wird natürlich
nur einmal geleistet ; dass etwa der Delegat (Sempronius) »an
Order« promittirt, ist nach Obigem wenig wahrscheinlich.
Setzen wir an Stelle der promissio (Stipulation bezw. Sti-
pulationsurkunde : cautio) nach klassischem Recht die expensi-
latio, so wird der Delegatar (Maevius), welcher mit dem Dele-
gaten (Sempronius) in Geschäftsverbindtmg steht, die 1000
entweder sich oder seiner Order (Seius — vielleicht der wei-
teren Order des Seius) transscribiren lassen : a persona in per-
sonam, und es können auf weitere Order des nunmehrigen
Buchgläubigers (Seius etc.) weitere Uebertragungen in den
Bankbüchem erfolgen: Gaius III, 130.
Durch die promissio an oder die transscriptio auf (Maevius
bezw.) Seius wird Sempronius diesem obligirt: verbis oder
literis. Wird der Delegant (Titius) dadurch gegenüber dem
Delagatar Maevius (falls er dessen Schuldner ist), bezw. wird der
Delegatar (Maevius) dadurch gegen seine Order Seius (falls
er dessen Schuldner ist) liberirt ? Entscheidend ist, ob Maevius
bezw. Seius suo periculo' die Zusage (promissio , trans-
scriptio) des Sempronius entgegennimmt, oder ob dies nicht
der Fall ist
Paulus. I. 26 § 2 D. mand. (17, 1):
quia bonum nomen facit creditor, qui admittit debi-
torem delegatum.
Vgl. Paulus. 1. 22 § 2 eod.:
cum debitor mens periculo suo debitorem suum mihi
delegat.
Vollzieht sich die promissio bezw. transscriptio auf Gefahr
des Delegatars, so besteht die Möglichkeit der Scontration,
welche bekanntlich seit den mittelalterlichen Wechselmessen in
immer steigendem Maasse zur Ausgleichung der Schulden des
grossen Geschäftsverkehrs dient. Denn ihr einfacher Grund-
< Ob dt» >tno periculo* im Zwdf«l tablnteingirt wurde, insofern also
die promissio des Delegaten als Baarleistiiag des Deleganten
galt, ist freilich iweifelhaft, mid es dtlrfle diese reine Aasl^itngsfrage tod
den klassischea Juristen sellxt verschieden beantwortet worden sein — im Bank-
verkehr wahrscheialich bejahend. Ueber die Streitfrage s. Wiodscheid, Pan-
dekten 11^ [auch 7. beiw. S. Aufl.] § 412 Not. 17, § 500 Not 9 nnd Gt,
oogle
UebenreLiuDgikette. Scostration. Schlais. 207
gedanke ist, dass unter den Mitgliedern des Scontroverbandes —
und in einem solchen können sehr wohl römische wie griechi-
sche Bankiers gestanden haben, man denke nur an deren
Organisation in Konstantinopel noch zur Zeit Justiniaos :
Nov. 136. Ed. Justin. VII. IX. — jedes gleich gut ist, sich
daher die Ueberweisung jedes anderen Mitgliedes dieses Ver-
bandes als Schuldner gefallen lassen muss'. —
Endlich ist zu erwägen, dass zwar ein formlos statthaftes
constitutum zur Vollziehung der Delegation nicht genügte',
dass aber im späteren römischen Recht die promissio (das
Stipulationsversprechen) überwiegend urkundlich mit beigefügter
Stipulationsklausel geschah und dass sogar der Gegenbeweis
unterlassener Stipulation gegen die Stipulationsurkunde (cautio)
beschränkt, schliesslich nahezu angeschlossen wurde '. In dem
so überwiegend schriftlichen Geschäftsverkehr schon der klassi-
schen Zeit musste die Orderklausel der Anweisung eine wich-
tige Rolle spielen. '
Ob all dies sich im Bankverkehr nicht noch einfacher
vermittelst des receptum argentarü gestaltet hat, lässt
sich bei der Lückenhaftigkeit unserer Ueberlieferung nicht fest-
stellen. Dass dieses schneidige Institut nicht mehr zu dem
leitenden Gedanken des byzantinischen Wirthschaftslebens
passte, ist freilich zuzugeben, und Justinian motivirt denn auch
dessen Abschaffung, 1. 2 C. de const. pec. (5, 31), in ähnlicher
Weise, wie das heutige Wechselinstitut von manchen wenig
verständigeren Gegnern bekämpft wird.
Höchst fragmentarisch ist unser Wissen von dem grossen
Geschäftsverkehr der klassischen Zeit und nur mühsam ver-
mögen wir aus zufälligen Ueberlief erungen , sowie aus den
durch die KompUatoren arg verstümmelten Juristenschriften,
welche ohnehin durch ihre abstrakte Fassung die thatsSchliche
Unterlage der Geschäftsverhältnisse nur zu häufig verdecken,
ein sicheres Bild von dem Verkehrsrecht dieser Blüthezeit zu
gewinnen. Nicht einmal so viel ist zu ersehen, ob das spät-
■ Mein Sjstem da Handelmchli in GniDdrui> (1SE9) S. 17S [4. Aufl.
{1892) S. 319].
' S. anch Lenel, PolmgenesU inrii ciTÜii II col. 579 Not. 5.
S I, 14 C de contr. stip. {8, 37); Gneiit a. a, O. S. 243 ff. Vgl.
BruDDer, Zar Rechtsgcachichte der Urlmade S. 54, 6off. nnd Kftriowa,
Rdm. RechUgeichichCe I 5. 779 ff., SoolT., 995 ff., iioi.
::,y Google
208 Inhaber-, Ordei> und execnloisclw Urkunden im klasiBcheD Alterthnm.
griechische Recht mit seinen die Inhaber- bezw. Orderklausel
enthaltenden Scbuldurkunden, etwa auch mit der Executiv-
klausel', mindestens im hellenistiscben Osten noch in späterer
Zeit als Bestandtheil eines vorwiegend auf altem Handels-
gebrauch beruhenden »Vulgarrechts» Geltung bewahrt, viel-
leicht gar weitere Verbreitung gefunden hat. —
Dem antiken Wechselbrief, dessen Spuren noch mehr
verdunkelt sind, muss, wie schon im Eingange bemerkt ist,
eine besondere Untersuchung zu Theil werden.
* Dui lolche Toiluun, leifrC das pactum de ingredienda ponesaioael 1. 3
C. de pign. (8, 14) von Severut und Antoninus. S. über die Stelle Dern-
bnig, Ffandrecht 11 S. 337 mid Wach, ArreitproceM I S. 57 ff.
izecoy Google
7.
URSPRÜNGE DES MÄKLERRECHTS.
INSBESONDERE:
SENSAL.
(1882.)
Goldacbmidt, Tenn. Schiißen U.
izecoy Google
iLCD, Google
I.
Bekanntlich hat vor geraumer Zeit Labaod den Nachweis
versucht, dass die Handelsmäkler in den romanischen
Ländern wie in Deutschland ursprünglich nur Urkundspersonen,
nämlich mit öffentlichem Glauben versehene Schreiber und
Solennitätszeugen gewesen seien, welche dami auch, anfangs
wohl per abusum, sich mit der Vorbereitung tmd der Ver-
mittelung von Handelsgeschäften befasst, endlich dafür ein
Monopol erlangt haben ' ,
Die auf einen bisher nur wenig benutzten Apparat vor-
wiegend deutscher Rechtsquellen gestützte, mit Feinheit durch-
geführte Hypothese hält indessen, meines Erachtens, der ge-
schichtlichen Untersuchung nicht Stand. Insbesondere ergeben
die freilich erst während des letzten Measchenalters in aus-
reichender Zahl aufgedeckten romanischen Quellen, aus welchen
das moderne, auch in Deutschtand unter Ueberwindung des
vielleicht originären dürftigeren einheimischen Verkehrsinstituts
siegreich durchgedrungene, nun wieder im Absterben begriffene
Mäklerrecht erwachsen ist, dass in den Mittelmeerländem die
Handelsmäkler von vorneherein' als vereidigte Beamte der
Kaufmannschaft, Städte, vielleicht schon früher der orien-
talischen Fürsten in einer rechtlich fest geordneten und aus-
■ Zeitschrin für Deutschei Recht vonBeseler, Rejrscher und Stob be
Bd. XX S. I ff. C1860).
' Die Neapolittmische Urkunde tod 965 (Regii Neapol. archivi monnm.
1S47, n. 109 p. 137), welche PertUe, Stori« del diritto Ital. IV p. 647
Note 49, als Utestes Ztagtäf fBr die Geschiclite des italienischen Miklerrechts
dtirt, b«tieht lich nicht sowohl auf Getchäftavermittler, ils auf gute Freunde,
durch deren Znreden die Streittheile lu einem Vergleich über Grundsttlcks-
rechtirerhiltnitse gelangt und ; per colloqnia >TonoruiD homiuum< remmu« in
, Cioogic
212 UnprUuge de« Miklerrechti. Inibetondere; Sennd.
schliessenden VermittlersteUtmg auftraten. Ob sie von vorne-
berein auch die Vertragsurkunden abgefasst haben und ob sie
alsbald mit Öffentlicher Glaubwürdigkeit versehen waren, lässt
sich nicht nachweisen — eher dürfte das Gegeatheil wahr-
scheinlich sein.
Die rechtliche Ordnung des Mäklerwesens ist sehr alt;
ihre Anfänge reichen sicherlich in den Beginn der KreuzzUge
zurück.
Von früheren Erwähnungen der Mäkelei und Mäkler-
taxen für einzelne Gegenstände (z. B. für Pferdehandel, für
Heirathsvermittelungeo u. a. m.) soll hier abgesehen werden.
Aber:
Genua hat bereits 1154 »censariic, welche festbestellt
sind und zur Waarenschätzung verwendet werden (lib. iur.
reipubl. Genuensis I Nr. 205).
Eine von den emendatores brevis revidirte Mäklertaxe
von Genua, bei schon früherem Bestände von Statut und
Korporationsverfassung, datirt von 1204 (lib. iur. reipubl.
Gen. I N. 475).
In Venedig bestehen Mäklerordnung und Taxe 1217
(Romanin, storia documentata di Venezia II p. 38t)'; aus-
führliche Bestimmungen enthält u. A. das Capitular des Deut-
schen Hauses daselbst 1268 ff. (s. unten).
Barcelona hat eine Maklertaxe 1251 und eine ausführ-
liche Mäklerordnung 1271 (Capmany, memorias historicas
t. II , appendice de algunas notas p. 72 ff. , vgl. t. I parte 2
p. 215).
Ein bereits revidirtes Statut für die Mäklerinnung wird
1275 in Lucca erlassen (Bini, I Lucchesi a Venezia I
p. 345 ff.).
Für die Mäkler der Tucher- und Weber-Innung in Siena
enthält das Statute de' lanajuoli von 1298 dist. VI (Statuti
Senesi scritti in volgare — per cura di F. L. Polidori) aus-
führliche Bestimmungen.
In Piacenza ist schon vor 1275 ihr Rechtsverhältniss
geordnet (Stat. antiqua mercatorum placentiae , rev. 1321 :
Nr. 265 ff., 324, 363, 599, 628, 691, 692).
■ Vgl. auch Ubec die Venet. Miklcricnang : Sagredo, mlle
delle arti edificalive in Veneiia p. 59 ; Veouia e te sue lagoae vol. I p.
:.y Google
Unprtlage des MUderrecliU. IntbeioadeKt Sanaal. 213
In Florenz enthält Bestimmun^n das Statut der
Wechslerzunft von 1299 (Pagnini, della decima II p. 135),
ausführliche, das mindestens bis 1302 zurückreichende, wieder-
holt revidirte, 1332 vulgarisirte hochwichtige Statut der arte
de' mercatanti di Calimala, insbesondere lib. II c. 1 (bei
P. Emiliani-Giudici, storia dei comuni Italiani vol. III
p. 171 ff.).
Verona hat seine Mäklerordnung (auch hier Innung
und Innungsstatut) im Stat domus mercatorum von 1319
lib. III c. 63 ff.
Besonders reich ist, wie in allen handelsrechtlichen Ma-
terien, das Statutarrecht von Pisa. Neben zahlreichen Vor-
schriften im breve communis von 1286, insbesondere lib. I
c. 163, 164, aus denen wir u. A. ersehen, dass 100 Mäkler
bestellt werden — wenig abweichend das revidirte breve com-
munis von 1313 ff., insbesondere lib. I c. 215 (Bonaini,
Statut! ined. di Pisa I p. 295, III p. 231) — enthalten die
Statuten der grossen Kaufmanns- und Gewerbs-Gilden (curia
mercatorum, curia raaris, ars lanae, welche seit 1305 revi-
dirt sind), sowie die Speziaistatuten der einzelnen Innungen
theils sehr ausführliche Vorschriften, theils eigentliche be-
sondere Mäklerordnungen, z. B. breve sensalium zum breve
consulum mercatorum bezw. dem breve dei consoli di mer-
canti, zum breve curiae maris bezw. dem breve dell' ordine
dei mare u. a. m. (z. B. Bonaini, statuti ined. di I^sa vol. I
p, 97, 115, 585, 606). Daran schliessen sich Bestimmungen
in den Genuesischen und Pisaner Faktoreistatuten für Pera,
kodificirt spätestens 1316 (Promis in Miscellanea di storia
Italiana t. XI p. 513 ff., vgl. Lastig, Entwicklungswege und
Quellen des Handelsrechts S. 173ff.); Cagliari, von 1318
(zuletzt edirt von Bonaini a. a. O. III p. 1083 ff.: cap. 39ff.:
Capitulo de' Sensali) u. A. m., sowie mehr oder weniger
eingehende Bestimmungen in den zwischen den italienischen
Städten und den Sarazenenfürsten geschlossenen Handels-
verträgen (Amari, i diplomi Arabi dei R. Archivio fioren-
tino. M. de Mas Latrie, traitfö de paix et de com-
merce et documents divers concemant les relations des Chrötiens
avec les Arabes de l'Afrique septentrionale au moyen Ige).
Die Quellen bereits bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts fliessen
ungemein reichlich, dagegen die längst bekannten und viel
l^iOOglc
214 UrtprUng« det Mlklerrecbu. Insbesonder«: ScdmI.
fach erwähnten italienischen Mäklerordnungen gehören fast
alle der späteren Zeit an. —
Die Bezeichnungen der Geschäftsvermittler in den ver-
schiedenen Ländern sind Überaus mannigfaltig, und merk-
würdiger Weise ist für die meisten und wichtigsten darunter
die sprachliche Herleitung äusserst dunkel '. Das deutet
darauf hin , dass es sich um vielfach Übertragene und damit
' Id den germADischen Linden) begegnen intbeiondere die Beteicli-
nungen;
s Dd(t)er)(anffel, nndeTconfer n. dgl. '~ lubmetcator , Zwücben-
hKndter. So schon in Köln 1360 (Ennen und Eckerti, Urknodenbuch II
Nr. 416}, SUdtbnch Ton Augsburg 1276 (Meyer) Art. XXVI, SUdIrecht Ton
München (Auer) Art. 316, 495, 503, in StraBborg, aber ancli Prag, Brilnn,
Wien, Ofen n. 1. f. Vgl. «ach J. Grimm, WeiithUmer I 343, 761, 38;
U 15t. Eintelnet bei Laband a. a. O. S. soff, nnd namentlich SchmoMer,
Die Straaburget Tücher- nad Webenonft S. 366, 41g, 439S.
MSlcler, makelar n. d^,, das dem hochdeutschen imecheler* ent*
■precbende niederdcnlMfae nnd niederllnditdie Wort, von maken ^ machen,
alio dec Zutandebringer, Vermittler, Unterhfindler. S. Heyne im Dentfchen
Wötteibacli vonj. nnd W. Grimm b. *. Vgl. Pauli, LQbeckische ZostSnde *
im Mittelalt« I S. 139,- III S. 73 il. (in Lübeck bereits im Jahre 1300 nnter
diesem Namen); Hirsch, Handels- und Gewerb^eschicbte Daniigs S. 330;
Holtte, Du Berlitier Handelsrecht S. 47 (rgl. dain Zeitschrift Ar Handetsr.
XXVIS.623)iWarnk6Dig,FlandriicheRecht%eKJiichte II Anhangs. 74, 146.
Broker , die von Alten her in England ttbUche Bezeichnung — in den
Utereo lateinischen QueUen heissen sie abroctatores, abrocalores, brocatorea
(a. B. Charta Edw. U für London Hr. 167, Edw. III Nr. 163, Ricardi II
Nr. 339 u. a. m.: Über Albas I p. 143, 153, 15S u. s. f.), broccarii (i. B,
(^destatnt Ton Berwick c. 37 bei Toulmin Smith, English güds p. 343).
So auch in Dieppe 1x45 (1353^ (Ducange t. v. abrocator). Vgl. die Au-
diOcke abbrocamentnm nnd abrocamentnm (achat en gros et vente en detail);
aber auch abbocator (abböcamento) bei Dncange. Auf den lebrteren, ala
>Vermitiler, Zwischenhindler* schon im II. Jahrhundert Torkommend, will
den abrocalor lurtlckRIhreni De FrJville (Memoire snr te commerce mari-
time de Ronen I p. 163). ZusammenhSngeD<h biocanter, brocanteur; Littrtf,
dictionnaire erkllrt den Ursprung fUr unbekannt, fhhrt aber broc (s. B. de btoo
en bonche) an, ron den spltlateioischen brocns, t>roca. Das letstere hat anch
Dncange für ager incnltus, also •Bmchland«. So anch La Curne de St,
Falaye, Dict. histor. de I'anden langage francats h. t. Mir scheint alle-
dem die germanische Wurzel >brech< (brocke, brocken, goth. brikan, brCkun,
brukans, althochdeutsch u. a. prochau, angesSchsisch t>recan , brSc, englisch
break — 'gl- J- und W. G rimm h. t.) nnterinliegen : der Vertheiler, welcher
die Waare de« Grosshindlers an die Detailhlndler vertheilt, wie untweideatig
in abbrocamentnm u. dgl. ; jedenfalli niher als etwa die Wunel «brauch*.
.oügle
Unpittnge de« MUcIenechts. InfbetmideM; SchmI. 215
mehr oder weniger umgebildete Ausdrücke der kosmopolitischeD
Geschaftssprache handelt, deren variirende Formen daher auch
schwerlich sich aus den regelmässigen Formen der Sprach-
bildung erklären lassen. Vielleicht dass unsere Sprachforscher
diesen Gesichtspunkt doch zu wenig in's Auge fassen.
Bereits der vielgereiste Balducci Pegolotti führt in
dem seiner berühmten, bald nach 1335 geschriebenen Pratica
della mercatura voraufgehenden kurzen Vokabularium der im
Handelsverkehr gebräuchlichsten Worte, wesentlich erschöpfend
für Handelsmakler folgende Benennungen auf (Della dedma III
p. XXn): isensale, curattiere, mezzanoc, sämmtlich >in piü
linguaggic, endlich imessetto in Vinizianescoi.
In den romanischen Ländern begegnen, neben dem
aus den römischen Quellen entlehnten: prozeneta u. dgl.
(proseneta, prosoneta, proxoneta, z. B. in Verona, GaSta,
Savfma), die ganz allgemeinen Benennungen: mediator,
mezanus und namentlich die in Venedig und einzelnen
Nachbarstädten, wie Verona, Mantoa, Modena, Brescia und
Cremona vorzugsweise übliche Bezeichnung misseta(us),
auch messeta(us), missita, mezetus u. dgl.' augenscheinlich
dem byzantinischen fieahTjg entlehnt. Sodann die drei schwie-
riger-en eigenthUnüichen Ausdrücke:
maloserius oder tnarosserius, marossarius
u. dgl.: in Oberitalien', wie Mailand, Parma, Piacenza.
Mit weiterem Sprachgebiet: corratarius, cor{r)e-
tarins, curritor, cursitor, cursator, Cursor^ u.dgl.
< Damit hingt luMmineii die veoetUiuKbe Stutnt^abe von den durch
HlUer TermitteltcD , f^er tdd allen Vertrlgen , die miuetaria , mevettaria
u. dgl. So t. B. Capitoliie dei nsdomini dd fontego dei Todetchi in Veneiia
(ed. Thomai) tatp. 133 ff. und Thomai, R^iMer p. 396; Romanin,
itoria docniD. III p. 87, 356; IV p. Ö3; VI p. 44; VIII p. 363. Ferro,
diiionaiio dd diritto comune e Vmeto t. VII p. 175 ff. S. unten S. laS.
> iMalosomt ichon 1165 in Vercelli (Monnin. biitor. patr. Chart. U
Nr. iJiS ooL 996). Ducange hat nur imarosieTiDt*. In MtiUnder Statuten
(über conioel. Medial, anni 1216 ed. Berlan p. 337, 247) andi: marosiarii,
nwloMerü. Maröt, mttouie (nemoni; maroMenr) bexeichnat ala noch jetit in
Oberitalien (Iblich md will Ton dem Spaniichen maroEiJro (?) abldten ;
Chernbini, Tocabolorio Hi1anese>It«Iiana (1841) voL HI h. v. Vielleicht
arabiaclMn Urtpningi?
i >CBiMtot««' »choa 1194 im Prinleg ftli Cbarost (Contnmier gtintnl de
U France III, 3 p. tooj).
izecoy Google
216 Unprtliige de« MMdcrrsditi. Inibewodece: ScdmI.
in Marseille (1253), Nizza (1274), Piacenza (vor 1275), Barce-
lona (1283)' — so das spanische corredor (Barcelona 1271),
das portugisische corretor, das französische courtier u. dgl.
Endlich: sensalis, das italienische Sensale.
In der letzten, ja sehr allgemein gewordenen Bezeichnung
findet Laband einen deutlichen Beweis für den von ihm an-
genommenen Ursprung des Maklerinstituts.
Ueber die Abstammung und ursprüngliche Bedeutung des
Wortes, welches der lateinischen Sprache des Alterthums un-
zweifelhaft fremd ist, herrscht seit langer Zeit Streit, Du-
cange, dessen auch neueste Ausgabe von Henschel für
die dem Handelsrecht angehOrigen Ausdrücke der mittelalter-
lichen Latinität die bedauerlichsten Lücken aufweist, meinte,
dass in einer noch zu erwähnenden Stelle des Synodicon
Nicosiense statt sensales >cursales( zu lesen sei; später ist
zwar die Richtigkeit des Wortes und dessen Bedeutung »Ver-
mittler« anerkannt, aber ohne etymologische Erklärung. Bei
»sensariusc hatDucange, ursprünglich *qui ad censum, seu
> In den Paiüer lanungutataten des 13. JahrhundertB (r^lements des
irti et meliers de Paris) begegnen überall die Ansdittcke corratier, coorretier,
couna(e)tage a. dgl. Die Wemhandelsstatuten Ton GraTelingen 1363 haben
correclien und correüers (Wsinkfinig, Flindr. RecbCsgeschichte II, 3 An-
hang S. 139); das flandritche Privileg dei deutschen Kxnflente in Ardenbn^
1386 h&t rub. VIII — XI: couretBge, couretier (cod. Anh. 5. 47); sogar hi
Labeck schon 1290: conetagium (LUbeckei Urkundenbuch I Ni. JäS). Vgl.
über die Beieicbnungen : Ducange ed. Henachel h. v. Füi Franlueich
werden aus dem 13. und 14. Jahrhnndect erwShntt C0Dr(r)atier , coui(r}etier,
coT(t)etMr, cor(r)atier, cur(r)Btiet, cuitier, coulatier, coultier, z. B. La Carne
de St. Palaje, djct, historique de l'ancieD langage frasgalse l. IV h. v.,
LittrJ, dictionn. h. v. Dass die Herleitung von >curia> unrichtig ist, ver-
steht sich; iweifelhaft könnte nur sein, ob von currere oder tob curare. FUt
die erste spricht, ausser anderen Gründen, bsbesondere auch, dass die eigent-
lichen MSkler in Pisa genannt irerden: > umhergehende M&kler«: sensali andare
oder che deno andare, im G^ensati zu den stehenden, nümlich den im Kauf-
haus (fundacBs) stSndJg befindlichen, gleichfalls vennttlelndeD Kaufbausbeamten
(fondacarii) ; den ersteren wird das Umbergehen, das ist das Aufsuchen der
KSufer und Verkfinfer, sogar zur Pflicht gemacht, z. B. breve dell' arte ddia
lana (1305) c. 63, wie noch im Preoss. A. LJL II, 8 g 1335 ! Dass das Wort
in Italien entstanden ist, leidet wohl keinen Zweifel ; die Herleitni^ von cnta —
curato mag sprachlich unbedenklicher erscheinen , aber auch sie ist, wie mein
Herr Kollege Tobler anerkennt, nicht ganz befriedigend. Littrj vertritt
tn. A. diese Herleitnng, La Cnrne de St. Palaye mit Mfnage, Rej-
nouard u. a. die Hetleitong von cuneie (coorre, coutIt).
::,y Google
UnprOnge dei MikloTKchts. InsbeioDdeKi Senul. 217
SHb aliqua praestatiooe elocat< — jetzt richtig = sensalis.
Früher UbHche, mitunter noch jetzt' vertretene Herleitungen
sind von xenialis, welcher Bürger und Gäste vereinigt, also
entsprechend dem richtig verstandene» proxeneta; oder von
der venetianischen »sensai , d. h. »ascensac , der grossen
Waarenmesse am Himmelfabrtstage , welche ursprünglich 8,
später 14 Tage lang stattfand '. Die Herleitung von icensualisc
vertreten u. A. Adelung, Diez (s. v. sensal, censal, prov.
>cessal() und Laband. Der Letztere weist, was allerdings
von den Sprachforschem übersehen wird, darauf hin, dass
censnalis nicht allein den Schatz- und Steuerbeamten be-
zeichnet — aus welcher Bedeutung sich doch schwerlich die
Bedeutung »Mäkler« entwickelt haben kann — , sondern in
der späteren römischen Rechtssprache auch Schreiber, Ur-
kundenverfasser und Urkundenbewahrer (instrumentarü) 3 ; über
die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Sensal könne sonach
kein Zweifel sein (S. 18, 19).
Indessen erhellt nicht, dass auch in dem Neulatein des
späteren Mittelalters jemals censnalis in der Bedeutung von
»Schreiber« , noch weniger , dass es in der Bedeutung von
iMäklerc vorkommt. In c. 29 des Synodicon Nicosiense von
1257 (s. unten) werden vielmehr die motarii et alii scriptores«
scharf von den »mediatores, quos sensales appellant« ge-
schieden, und eine Identificirung beider ist mir in dem ganzen
italienischen Quellenkreise nicht begegnet.
Eine ganz andere Herleitung, nämlich von dem arabischen
simsär, findet sich, unter scharfer Zurückweisung anderer
Etymologieen, bereits bei Muratori, antiquit. Ital. med. aevi
t. VI (ed. Aret. 1775), diss. de origine et etymologia italicarum
vocum, Catalogus s. v. Sensal (p. 985), und bei einzelnen
Neueren, wie Amari, diplomi Arabi p. XXV, vgl. p. 411 —
5. auch den Hinweis bei Thomas (Urkunden zur älteren
Handels- und Staatsgeschichte von Venedig II p, 488 Note 1).
' Z. B. Bini, i Luccheii a Voneiia p. 91 ff.
> Romantn, Roiia 11 p. ili; IV p. 493.
i Dass flbrigens die den offida angehSrigeD •scribae« überhaupt lu den
Kassen- und Schatibeamten und insbesondere denCensoren in engeren
BeiiehnngeD standen, a.Mommsen. Römisches Staatsrecht I (2, Anfl.) S. 334,
3361 337 [3' Auft- S. 349, 350, 3S". 3S4]- Dihei mag sich der ipStere
Sprachgebrauch erklSren.
„Google
218 UrsprllDge des Milclerrechl*, Insbetoadere: SeoMl.
Die Etymologie ist ohne Zweifel richtig, aber es fehlt
doch bisher an jedem Versuch queUenmässiger Begründung.
Diese soll im Folgenden gegeben werden.
Was zunächst das arabische Stammwort betrifft, so ver-
danke ich der Güte meines Kollegen, Herrn Professor
Dr, Sachau, folgende Mittheilung, welche die weitere inter-
essante Thatsache ergibt, dass auch simsär nur ein persisches
Lehnwort ist.
iDas Wort SimsSr findet sich schon bei alt-
arabischen Dichtem und wird von den arabischen Lexiko-
graphen für ein Fremdwort erklärt (Gawailkls Mac&rrab
ed. Sachau, Leipzig 1867, S. 90, 83).
Es wird identificirt mit dem Wort sifstr, das in
etwas verschiedener Bedeutung bei einem altarabischen
Dichter ans der Zeit vor Mnhammed vorkonmit (z. B.
von Elasmiit, einem der berühmtesten arabischen Philo-
logen, bei H. D^renbourg, Dtwän de Näbtgha Dhob-
jänl S. 252).
Dasselbe Wort kommt vor im babylonischen Talmud
in der Form ~i;c5 safsär =^ proxeneta; davon ab-
geleitet ein Abstraktum safsdrüth = licitatio. Eine andere
Form desselben Wortes ist wahrscheinlich sarsfir im
rabbinischen Sprachgebrauch. S. Buxtorf, lexicon tal-
mudicum etc. 1529, 1555.
Auch das Syrische muss einmal das Wort safstr
gehabt haben, denn es hat ein davon abgeleitetes
Verbum safsar in der Bedeutung: handeln, viel
reden (Bar BahlOl); femer das Abstraktum sufse-
rQtha = licitatio.
Simsär geht zurtlck auf Sifsär und auf das persi-
sche sipsär, das im Neupersiscben in derselben Be-
deutung (Mäkler) gebraucht wird. Die semitischen
Unterthanen der sasanidischen Grosskönige durften das
Wort im Verkehr mit den Persera sich angeeignet haben,
und von diesen — oder auch direkt von den Persera —
erhielten es die Araber.
Eine plausible Etymologie von sipsär ist mir
nicht bekannt; wahrscheinlich ist es ein nomen com-
positum.*
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UnprfiDge des Miklenechu. Intbesonder«: SenuJ. 219
Ob nun das der Vulgärsprache angehori^ Sensale, latini-
sirt sensaHs, direkt, also unter Vertauschung namentlich des r
mit dem 1, aus dem isimsär* hergeleitet sein kann, werden
die Philologen besser beurtheilen. Wahrscheinlich ist mir,
dass ursprunglich in der italienischen Vulgärsprache sich ein
dem >5imsär< oäberstehendes Wort einbürgerte, welches dann
in den lateinisch abgefassten Notariatsurkunden und Statuten
latinisirt wurde.
Es braucht nur beispielsweise auf die Ausdrücke fnndacus,
fondicus, fontegus, fonticns u. dgi. (Lagerhaus, Kaufhaus) hin-
gewiesen xa werden, welche aus dem Vulgärwort fondaco,
foatego u. dgl. umgebildet sind, wie dieses dem arabischen
fondnk entstammt, welches seinerseits wieder aus dem griechi-
schen ttavämtog, jiapdoxüov entlehnt ist'. Charakteristisch
für den Ursprung unseres Wortes aus der Vulgärsprache ist
z. B., dass in den Statuten von Ga€ta (nach 1391 : Alianelli,
Delle antiche consuetudioi e legge marittime delle provincie
Napolitane) das cap. 192 die Ueberschrift trägt: Ete proxe-
netis et sansariis, imd mit den Worten beginnt: Proxenetae
seu sansarii, demnächst aber nur von den »sansarii* spricht,
somit von den unter dieser (latinisirten) im Geschäftsverkehr
üblichen Bezeichnung vorkommenden Personen, für welche
proxenetae oder mediatores die dem solennen Statutarstyl, weil
den römischen Quellen entsprechende Benennung bilden. Aehn-
lieh Synod. Nicos, c. 29: >mediatores, quos sensales appellant«.
In den latelnlsell geschriebenen Statuten und Urkunden
begegnen, spätestens seit dem 13. Jahrhnndert, die Ausdrücke
sensalis, sensalia, sensalaticum.
Das Synodicon Nicosiense, Beschlüsse der Synode von
Nicosia auf Cypern, entMIt rub. XIX contra usurarios vom
Jahre 1257 (Mansi, s. c. c. t. XXVI p. 320): .Similiter et
mediatoribus , quos sensales appellant, ne tractarent aut pro-
moverent conventiones contractuum praedictorum — < (sc.
vetuismus).
So durchgängig in Pisa: z. B. breve com. Pis. 1286
lib. I c. 60, 152, 163, 164 u. A. m.; breve cons. mercator.
■ S. die Nicbwräe i. B. bü Heyd, Geschichte de* Levtmtebsndeli II
5. 430 Note 6.
izecoy Google
220 UnprDnge d«* Htlclerrechtt. IiubesoDdere : SeoMt.
civit. Pis. von 1305 c. 30 ff.: >Sen5aIes, qui sint trametza-
tores* — also wohl zur Verdeutlichung des entlehnten Wortes.
Sassari, Stat. von 1316 lib. I c. 30 (Cod. diplom. Sardin. I
p. 522 ff.). Lncca, Stat. der ars sensalium 1275, servitium
Sensalie 1284 (Bini, i Lucchesi a Venezia p. 345 ff., 91 ff.).
Statt sensalis wird, meist später, auch geschrieben: sen-
zalis: Stat. del com. di Lucca 1308 lib. III c. 107, 121;
censalis: Privileg, von Nizza, 15. Jahrh. (Monum. bist patr.
leg. muncip. fol. 227), Stat. von Savona nach 1522 (Par-
dessus, collect, de lois mant. VI p. 595).
Aber neben >sen5alis< kommen auch in denselben Quellen
vor: sensarii, und senseria oder sensaria fUr Mäkler-Amt
und Geld: Venet Statut für Pagam 1341 (Monum. spect.
ad histor. Slavor\im meridion. II Nr. 180), Stat. von Florenz
1415 lib. IV tract. cons. art. et mercat. rub. 45, 51.
Weiter begegnet censarius', und zwar in Genua von
Alters her bis auf die späteste Zeit:
1154 (Üb. iur. reip. Gen. I Nr. 205), 1204 (eod. I Nr. 475);
1288 , 1290 (Privilegien des Königs Leo von Armenien und
des Sultans Melech Almansor von Aegypten: eod. II Nr. 64,
96); 1316 (?) Stat. für Pera c. 101; 1326 (?) (Breve bei
Canale, nuova istoria di Genova II p. 252); Urkunden von
1410, 1415 (lib. iur. II Nr. 380, 390); 1433: Vertrag zwischen
Genua und Tunis c. 34 (de Mas Latrie doc. p. 139); ISS''?
Stat. Genuae lib. VI c. 17; 1610 Gesetz (Genuensis reipubl.
leges anni 1576 nebst Addit. app. p. 9); Statut von Savona
nach 1522 u. a. m.
Dem entsprechend : censaria ^= Mäklerlohn (z. B. lib. iur.
II Nr. 64); später = Geschäftsstempelsteuer; gabella censarie
(z, B. noch Genues. Verordn. v. 1661 u. A. in leges compe-
ranmi S. Giorgii p. 133). Vgl. auch Arch. stör. Ital. 1866
p. 112, 113.
Nur sensarius und sensaria begegnet inConsuet. Agri-
genti 1319 ruh. XVII (v. Brünneck, Siciliens Stadtrechte
p. 228).
San seriös: Venet. Rathsschluss 1446 (Lattes, la
libertä delle banche a Venezia p. 63) — sanseria: Venet. In-
Dnonge hat die guiE nnrichtige AiuIeEung; qni >d cenium sen
e iliqaa elocat; Henichel s^, ohDc weitere ErklSrnng: teuMlii.
ogic
UnprUnge dei MtklecrecliU. Iii«be*oiidere: Senul. 221
struktion von 1322 (Romauin, storia doc. di Venezia III
doc. 2 p. 377).
Saosarius und sansaria: Venetianischer Vertrag
mit Aeg3fpten 1254: precipere debent sansariis (Tafel und
Thomas a. a. O. 11 Nr. 1325); Cabella super pignoribus etc.
um 1317 von Messina (Miscellanea di storia Ital. X p. 144 ff.);
StaL von Gaeta nach 1391 c. 192 (Alianelli 1. c).
Hiemach kann es keinem Zweifel unterliegen, dass in der
Geschaftssprache der Mäkler als Sensale, censar, sensar, sanser,
sansar, d. i. eben als simsär bezeichnet wurde. —
Dies ergibt sich aber auch aus den tn der VulÄftKippache
auf uns gelangten ältesten Quellen.
Die Ausdrücke sensali, sensalia, senseria, sensaria finden
sich z. B. in den Florentiner Ordinamenti agli sponsali,
etwa Ende des 13. Jahrhunderts (Emil. Giudici a. a. O. III
p. 149); im Stat. dell' arte di Calimala üb. I rub. 27, 71;
Üb. II c. 1 (eod.); im Statut von Sassari von 1316 üb. I
c. 30 (Cod. diplom. Sardin. I p. 522 ff.) ; in einem sehr wich-
tigen Erlass des podestä von Lucca 1346 (Bandi Lucchesi
del sec. XIV Nr. 181 p. 113), in Luccheser Geschäftsbüchern
1375 (Bini a. a. O. p. 381); in zahlreichen Verträgen italie-
nischer Staaten mit den SarazenenfUrsten : 1397 c. 22, 1445
c 25, 1488 Zusatzartikel 3, 1489 c. 6, 1496 c. 25 (Amari,
dipl. Arabi p. 319, 177, 369, 382, 197); in der italienischen
Version der Stat. mercat. von Brescia und Crema 142939;
isensali e cozoni«; in den statuti dell' universitä de' merca-
tanti di Bologna von 1509 und später, insbesondere rub. 31,
32 u. V. a.
Noch gewichtiger ist folgendes:
Bereits 1207 begegnet der isensalec in einem von dem
turcimanno di Bugia Achmed-Ibn-Tamin an einen Pisaner
Kaufmann gerichteten italienischen Schreiben (Amari a. a. O.
Nr. 25 S. 75 ff.). Der Rotentiner Balducci Pegolotti
(bald nach 1335) bezeichnet überall den Mäkler als Sensale,
die Courtage, wovon er zahlreiche Tarife der verschiedensten
europäischen Handelsplätze mittheilt, als senseria bder sense-
raggio (Della decima III p. 28, 74, 117, 130, 164, 200, 209,
229, 247, 276); der ein Jahrhundert jüngere G. Antonio de
Uzzano nennt dieselbe isenseriac (eod. IV p. 147).
In dem Vertrag zwischen Venedig und Aegypten 1442
oügle
222 Ursprung de* MEklerrecfats. Insbesondere: Sen«al.
c. 5 und Zusatz heisst es sanseri, sansaria (Amari a. a. O.
p. 350 ff.), eine ägyptische Mäklersteuer heisst 1309 : »sciam-
sera« (eod. p. 483 Note 8).
Am bedeutsamsten endlich für die Herleitung ist der
Sprachgebrauch von Siena und Venedig:
Die alten, für die italienische Vulgärsprache so wichtigen
Imiungsstatuten von Siena (Statuti senesi scritti in volgare
ne' secoli Xlll e XIV — ed. F. L. Polidori vol. 1} brauchen
promiscue die Ausdrücke: Sensale, sansale, sensaro", sen-
saio (sienischer Dialekt) — für Mäkleramt sensaria (vgl. stat.
de' lanaiuoli dist. V c. 6, dist. VI, VIII c 71, nebst Zu-
sätzen von 1301, 1308, 1286 u. a.: a. a. O. I p. 324, 363,
364, 468, 383).
Die venetianische Amtssprache kennt, wie oben be-
merkt, ursprunglich nur den Ausdruck messeta (misseta u. dgL),
aber derselbe wird allmählich von dem augenscheinlich ge-
schäftsUblichen senser, sanser, sanzer, sansar, sao-
sero, sansaro vollständig verdrängt. So steht ursprünglich
im Kapitular des Deutschen Kaufhauses (Capitolare dei Vis.
domini del fontego dei Todeschi ed. Thomas) senser oder
sanser, wenn tlberhaupt, nur in der Ueberschrift der Kapitel,
während der Text noch den misseta u. dgl. beibehält, z. B.
Parte I cap. 156 von 1366; cap. 214 von 1408 (De sanserüs
[missetis]) ; cap, 228 von 1415/16 im Text: per via di sanzaria
over de mezanaria; cap, 251 von 1431 (dei misseti [sanseri] —
im Text isanser over mezanc); später begegnen nur unsere
Ausdrtlcke, z. B. cap. 266 und durchgehends in Parte II bis
Ende des 15. Jahrhunderts (Thomas p. 219, 225, 230, 231,
232, 237, 238, 243 ff.). »Sanseri« heissen die Mäkler durch-
gehends ia jüngeren Capitolare dell' officio del fontego, dessen
Register Thomas in ' den Abhandlungen der Königlich baye-
rischen Akademie der Wissenschaften I. Kl. XIV. Bd. I. Abth.
mitgetheilt hat (die Daten gehen von 1400 bis 1641); vgl. auch
z. B. venetianisches Gesetz 1466 (?) (bei Mone, Zeitschrift
für die Geschichte des Oberrheins Bd. V S. 32); 1572 >sen-
sari*, 1586 »sansari* (Stat. Veneta ed. Griffo 1691 p. 304,
311); isansert oder »sanzen im venetianischen Bankregulativ
' Ali noch jelit in Siena Üblich beceichnet in Cherubini, Vocibolario
Milanese-ItEdiano (1S41) vol. IV p. 190 s. v. 'sensalet.
::,y Google
Ursprünge des Miklertecbts. Insbexondeie; ScdmI, 223
von 1523 und 1526 (Lattes a. a. O. Nr. XXX S. 83, XXXII
S. 90) u. A. m.
Im Provencalischen begegnen die Formen: Sensal,
ceosal, censan, ceinsäou — censaragi (Mäklerlohn), censaria,
censaroti (Honnorat, diction. de proven^l-fran^is 1846);
eine alte sUdfranzösische Form »sansal* und >sensaU nennt
auch Littr6 (diction. h. v.).
Auf die Frage , wie Sensal aus sensar u. dgl. entstanden
sein könne, hat mein Kollege, Herr Professor Tobler, mir
freundlichst erwidert; >Die Formen mit r als Grundlage fUr
die mit 1 anzusehen, hindert nichts; das Suffix — aris, das den
Romanen hier vorzuliegen scheinen musste, ist auch sonst
bisweilen mit — atis vertauscht, z. B. cingbiale aus singularis,
aatel aus altare«.
Lässt sich so der orientalische Ursprung des Ausdrucks
»Sensal« nicht bezweifeln, so ergibt die weitere Untersuchung
den Zusammenhang des Namens mit dem italienisch-orieo-
talischen Verkehr'. Dies führt, wovon ein andermal", auf den
übrigens, wie mir scheint, auch fUr das Alterthum wie für
das germanische Recht nachweisbaren Ursprung aus dem
Gasthandel (Fremdenverkehr) und dem damit verbundenen
Dolmetscherthum ; eine nur potenzirte und für die Ausbildung
des Mäklerwesens besonders wichtige Gestaltung des Gast-
handels findet sich in den mit dem ZoUwesen zusammen-
hängenden Kauf- und Lagerhaus -Einrichtungen
(Grosslagergeschäft), deren genauere Erforschung für Orient
wie Occident schon lange als dringend nothwendig bezeich-
net ist'.
' Darauf hingiedeDCet habe ich in der Zeitschr. für du gesAmmle Handels-
recht xxin s. 313. »gl. XX s. 654, XXVI s. 633.
» [Vgl. Universalgeschichte des HandeUrecht» S. »53 f.]
3 Mein Handbuch des HaDdelsrechts I, 1 (1S6S) § 76 Note 37
[Universalgeschichte des Handelsrechts S. asoC, 333 f-]- Schmoller, Die
Strassbnrger Tacber- und Webertonft S. 430 Note a.
oy Google
iLCD, Google
8.
DIE
GESCHÄFTSOPERATIONEN
AUF DBS
MESSEN DER CHAMPAGNE.
(LES DEVISIONS DES FOIRES DE CHAMPAGNE.)
(1892.)
Goldictamidt, VetmiKlite Scbriften. IL
itizecy Google
iLCD, Google
IQ meiner Unirersalgeschichte des Handelsrechts
(Handbuch des Handelsrechts, 3. Aufl., Bd. I Abth. I,
1891) habe ich S. 224 ff. die wirthschaftliche Bedeutung der
seit dem 12. Jahrhimdert urkundlich nachweisbaren, seit dem
Ausgang des 14. Jahrhunderts verkümmerten Messen der
Champagne dargelegt.
Sie waren periodische Zusammenkünfte für den Abschluss,
tbeilweise auch für die Erfüllung der damaligen Handels- und
sonstigen Verkehrsgeschäfte , insbesondere für Waarenkäufe
■und für direkte oder indirekte Geldzahlungen. Daher schon
im 12. Jahrhundert die Champagner Messplatze (Lagny sur
Marne , Bar sur Aube , Provins , Troyes) als europäische
"Wechseldomictle erscheinen, auf welchen der Eigenwechsel,
später auch die Tratte als >Messwechselc die weiteste Verwen-
dnng fand (ebenda S. 226, 227, 411 ff., 417 ff., 437 ff.), wenn-
gleich das schriftliche Wechseigeschaft (d. h. die Geldrimesse
nach auswärts) nicht auf ihnen zuerst vorkommt, noch gar
das >Wechselrecht( auf ihnen seinen Ursprung genommen
hat (ebenda S. 411 ff., 419 ff.).
Für die verschiedenen auf diesen Messen üblichen Ge-
schäftsoperationen bestanden feste, auf altem Herkommen be-
ruhende Zeiträume, über welche insbesondere eine zwar wieder-
holt, aber theils fehlerhaft mitgetheilte , theils nicht völlig
verstandene, in mehrfachen Varianten vorkommende Aufzeich-
nung nähere Kunde gibt
Diese Aufzeichnung ist m. W. zuerst in den M^moires
historiques et critiques pour l'histoire de Troyes (von Grosley)
t. I, Paris 1774, p. 497, und danach von G. F. v. Martens,
Versuch einer historischen Entwicklung des wahren Ursprungs
des Wechselrechts (Gflttingen 1797) S. 16 Note f, abgedruckt
(das sogleich zu erwähnende Manuskript b , bei Grosley be-
zeichnet als Extrait d'un Manuscrit des premiferes annöes de
'5*
, Google
228 ^'" GeKhSftsoperationen auf den Mmicd der Chanpagne.
quatorzifeme sitele tir^ de la bibliothtque de M. de Saint-Palaye).
Demnächst, nach zwei Manuskripten der Pariser biblioth^ue
royale (jetzt nationale) — jetzt Nr. 12,581 and 25,545 (die
sogleich zu erwähnenden Manuskripte a und b) — von Fr^-
m^ry, ^tudes de droit commercial (Paris 1833) p. 14, 15.
Beide Schriftsteller haben den Abdruck mit kurzen, zum Theil
ungenauen Erörtenmgen (Martens S. 15—18, Fr^mfiry
a, a. O.) verbunden, welche den Angaben von F. A. B i e n e r ,
Wecbseb-echtliche Abhandlungen (Leipzig 1859), S. 36, 37,
zu Grunde liegen , während die jüngeren Bearbeiter des
Wechselrechts auf die Sache nicht näher eingegangen and;
nur begegnen vereinzelte irrige Angaben (s. unten S. 241 ff.).
Weiter findet sich der Abdruck eines der einschlägigen
Manuskripte (b) beiGheldolf, histoire de la Flandre — par
L. A. Wamkönig, traduite de l'Allemand, t. II (Bruxelles
1836) p. 500 — 503, und eines anderen (des Manuskripts d oder
eines sehr ähnlichen, — Paulin Paris scheint nämlich nicht
den vollen Wortlaut mitzutheilen) bei Paulin Paris, Les
manuscrits fran?ais de la bibliothfeque du Roi, L IV (Paris
1841) p. 16.
Genauere Angaben über die Manuskripte der erwähnten
Aufzeichnung (es werden genannt 7 , davon 5 in Paris, 1 in
Provins, 1 in Venedig) gibt zuerst Bourquelot in seinem
sehr verdienstlichen und zuverlässigen Werke : £tudes sur les
foires de Champagne (I, II, Paris 1865: Mömoires, prfeent&
. . . ä l'acad^mie des inscriptions .... ser. 11, t V) I, p, 83 ff.,
wo zugleich die wichtigsten Bestimmungen abgedruckt und
erläutert sind. Endlich hat Konstantin Hohlbaum, Han-
sisches Urkundenbuch Bd. III (Halle 1882—1886), in den
Noten zur Ordonnance Philipp's IV. vom Juli 1344, Nr. 658,
auf S. 452 Note 1 eines dieser Manuskripte (d), welches er
für das älteste zu halten scheint, mitgetheilt.
Immerhin fehlt es noch jetzt an einer völlig zuverläsagen
Textfeststellung, da auch Bourquelot keinen Text voll-
ständig mittheitt, und insbesondere an der genügenden Erläute-
rung; auch die von Bourquelot gegebene, I p. 85— 92, bedarf
mehrfacher Berichtigung. Meine in wichtigen Punkten von der
herrschenden (?) Meinung abweichende Auffassimg, welche ich
in meiner Universalgeschichte S. 227, 228 kurz zusammeo-
gefasst habe, soll an dieser Stelle näher begründet werden.
„Google
Die GescbUUopenUionea aof d«b MesMn der Cbampign«. 229
Endlich hat der erfahrene und zuverlässige Florentiner
Kaufmann F. Balducci Pegolotti das c. 55 seiner zwischen
1335 und 1343 geschriebene Pratica della mercatura (in
[Pagnini] E>eUa decima. Lisbona e Lucca 1765 — 66. t. III)
den iFiere di Campagna del Reame di Franciai gewidmet
und hier eine Anzahl schätzbarer Nachrichten mitgetheilt, welche
nicht Töllig mit dem Inhalt der vorbezeichneten Manuskripte
übereinstimmen. Auch auf diese bisher etwas zu leicht be-
handelten Widersprüche ist einzugehen.
Von den fünf Pariser Manuskripten hat, durch freundliche
Vermittelung des Herrn Professor G. Blondel in Paris, Herr
Ph. Souchon daselbst die Güte gehabt, mir genaue Kopieen
zu senden : Mss. der bibtioth^ue nationale, mss, fonds franfais
12,581 fol. 312 [offenbar das bei Bourquelot mit Nr. 1281
fol. 312 bezeichnete], 25,545 fol. 17—18, 2625 in fine, 412
fol. 2, 16537 fol, 45, — sie sollen im Folgenden mit a, b,
c, d, e bezeichnet werden. Eine Kopie des in Venedig (Biblio-
thek von S. Marco, im Katalog von Zanetti, histoires diverses
en frantois XIV sifecle II append. nr. 2) befindlichen Manu-
skripts hat, auf mein Ersuchen, Herr Professor C, Vivante
in Bologna nehmen lassen; das Manuskript oder die Kopie
ist sehr fehlerhaft, stimmt zwar in der Hauptsache mit dem
Pariser Manuskript a, doch fehlen wichtige Sätze. Das Manu-
skript von Provins benutze ich nach den Angaben Bour-
quelots.
Unter den fünf Pariser Manuskripten enthalten a, b, c, d
— nicht aber e, noch das venetianische Manuskript — ausser
der genauen Angabe der Geschäftsoperationen, welche im Fol-
genden mitgetheilt wird, auch ein Verzeichniss der EUenmaasse
der auf den Champagner Messen gehandelten Tuche (moison
de dras, i. e. draps), unter Benennung der einzelnen am
dortigen Tuchhandel betheiligten franJösischen und t\iederlän-
dischen Städte. Dieses bereits mehrfach abgedruckte Ver-
zeichniss, welches nur für die Handelsgeschichte, nicht für
das Handelsrecht Bedeutung hat, wird im Folgenden weg-
gelassen.
iOgIc
230 I^'c GeschiEttopetatioDeii «.nf den Mcmcq der Chunpagne.
Manuskript a (Nr. 12581) — das erste beiFr^m^ry —
lautet:
ci commance la devisions des foires de Champaigne.
La foire* de laigoi* est livrte landemain^ de lanre-
nuef*. La foire* de bar' est livrfe le' mardi^ devant'
la"* mikaresme". La foire" de Provins en mai's est
livröe le'* mardi" devant lascension '*. La foire" de la
Saint jehan a troies est livrfe le mardi en XI jors apr&s
la feste saint jehan et se la feste saint jehan est au mardi
si Sera la foire as III semainnes'". La foire '» saint aioul
a provins est livröe le jor de la sainte croiz en septembre ".
■ i: fmm; e: fo«re.
* b, c; laigny; d: liingiii; e: Ligni; b hat d«n Zooti: mir mame.
} d: leademeiii.
* b: lanrenenfi c, e: Un noef. Dabinler ttebt c: «t n« doit point dea-
ti6t (cf. S. 33t Note 9).
^ b, c: bar lur anbe.
<° c, i: fehlt; e: le.
" c; mjkaresme; d: migareme; e; mi quaroime.
■3 b: pronTtni en maf; c: de may a prorins; d: de mal de proTins;
e: de Pronviiu.
*5 c: mardy,
■^ b: lucentioa; c 1> Keodon; d: lasuatioo.
■* Der Pamu laatet: b; La foii« de troie* la chaade eit Unit le mardi
apris laqainiaiiie dela laint jehaa et k la Mint jehan eit en mardi ti a
III aemainnes; c: La foire »aint jehan de troiet est livr^ le mard; apria la
XV« de la Saint Jehan et ae la Saint Jehan est en mard; il y a troit tept-
mainnei; d: La foire de la aeint jehan de troies est livrie dou premier mardi
en XV jori aprit la feste seiut jehan baptiste et >e la feste seint jehan vient
an mardi ai anra trolt semalnes; e: La foere de Troies a la Saeint Jehan est
Ufiie Ion mardi apris la feite Saint JeluD et est an mardi lia trois semainnes.
>° Der Passus lautet: b: La toiie saint ayoul de ptorins est livr^lejour
de fette S. crois en septembre; c, d: ebenso, nur mit kleiner Abweichung der
Schreibart; e: La foere de prouvins a la Saint aioul est livrfe loa jonr de la
Sainte f 6° septembre.
::,y Google
Die GetchiftiopentioiKa auf den Menen da Champagne. 231
La foire ' de la saint remi a troies est livr^ landematn de
la tozsains'. En chascuoe de ces VI f oires a VIII jors
dantr^e^ et dantr^ faillie juqua bare de dras a X jors*
et XI jors aprfes hare de dras vent on cordoan' et XV
jors apr6s hare de dras faut droiz paiemenz et faut avoir
de pois^ et I mois aprte hare de dras abatent li changeor'
et IUI jors aprfes cfaanges abatuz prant on lestres de foire •
mais la foire (de la foire) de laigni ne doit poiot dantrße '.
Hierauf folgt das S. 229 erwähnte Verzeichuiss der Ellen-
maasse der Tuche.
Am Schlüsse des Ganzen steht:
Explicit des foires. —
Manuskript b (Nr. 25545 Fol. 17—18). Es ist das von
Grosley (Martens) mitgetheilte, das zweite bei Frem^ry.
Die Ueberschrift lautet:
Si commencent les foires de champainne et de brie.
■ Der PiMu» lautet: b; U foire froide d« troiet eit lirrfe Uademam de
la tonnaint; c: La foire Saint Rem; de tioiei eit Utt^ landomain de la
tonwaiiu; d: La fotie de la teiot remi k troie« eM ünie lendemeiD de la feste
de toux loiii ; e : La foere de Troieea a la Saint Remi eit lirrie laodemain
de feite toonainz.
3 Ebemo b, d; c; Et en chaicane dei VI foirei a VIII joun dentr^;
e; En chacnne de cez VI fotm • Vin Jon dantrfe.
* Ebenso e: b (nur jniqnei a); c (nu- dentr^ und vor haia «ine LOcke);
dagegen d: etX Jon de foire. Nach einer Kopie da 16. Jahrbunderta findet
dch der Zniati •eicepti en la foire Saiut-Aionl, oü il n'en a qne IX< (Bonr-
qnelot p. 84>
1 Eben«) b (nnr cordnan] ; c (nnr drapi) ; fehlt ganz d nnd e.
^ Der Pami fehlt im venet. Manntkript; er lantet b: Et landematn de
hare de cordnan fant aroir de poii; c: et XV ]oBn aprt* hare de cordoan
faat avoir de poii et eit droii paiemeni; d: et XV Jon de droit paiement;
e: et XV jorz de droit paiement. Dal Uannakript Ton Provini (bei Bour-
qnelot p. S; Note i) lantet, bii auf venchiedene Schreibart, gleich c.
' Fehlt in d, e und im Venet. Mannakiipt. In b: et I moit apre» hare
de dni abatent changeort; c: et im moii aprit hare de dnps abatent
changenr.
■ Fehlt in d, e nnd im Venet Manoikript. In b: Et IUI Jon aprii
chaagenn abatu* pnnt od lettre* de foire; c: et un joun apris changea abatna
pnnt on lettrei de fbirei.
* Ebenio b, nnr mit Weglastong dea auf einem Schreibfehler bemhenden
doppelten il« ibire de<; d; maii la foire de laigni ne d<Mt point dentr^; fcUt
in e; in c iteht der Satz zn Anfang (). oben S. 130 Note 4},
„Google
232 Ilie GcKhEiUopentioDeii auf den Ueneo der Champagiie.
In der Mitte, hinter der Angabe der Daten der ver-
schiedenen Messen und vor Angabe der Zeiträume der ein-
zelnen Messoperationen (hinter tozsains und vor Ea chacune)
steht als Ueberschrift :
C'est U devisioas des foires et les coustumes.
Am Schlüsse des Ganzen steht:
Explicit k mani^re et la divisions des foires de
champaingne et de Brie. —
Manuskript o (Nr. 2625) hat zur Ueberschrift:
Quant les foires sont livrfes.
Schlussformel fehlt. —
Manuskript d (Nr. 412) fehlt Ueberschrift und Schlussformel.
Manuskript e (Nr. 16537) fehlt Ueberschrift und Schluss-
fonnel.
In d und e fehlen (s. S. 231 Note 6 ff.) die Sätze hinter
>droiz paiemenzt, doch hat d den letzten Satz (S. 231 Note 9).
Die sonstigen sehr zaMreichen Abweichungen der Manu-
skripte b— e von dem abgedruckten Manuskript a sind in den
Noten zu diesem angegeben.
Die Abweichungen, soweit sachlich, mOgen sich zum Theil
aus Aenderungen der Einrichtungen erklären, da die ver-
schiedenen Aufzeichnungen, obwohl anscheinend einem Gnmd-
text entsprungen, doch aus verschiedenen Zeiten herrühren
können. Der Grundstock gehört, nach der Sprache, dem 13.,
vielleicht schon dem 12. Jahrhundert an; e ist wohl etwas
jünger, in einem etwas abweichenden Dialekt verfasst. Von
den fünf Manuskripten ist a sicher 1284, d spätestens 1285
geschrieben, ein drittes (welches? bei Bourquelot Nr. 1802)
soll gleichfalls dem 13. Jahrhundert angehören; im Uebrigen
findet sich bei Bourquelot p. 83 — 85 nur die allgemeine
Angabe, dass die Manuskripte aus dem 13. — 16. Jahrhundert
stammen. Für b bemerkt G r o s 1 e y ' , dass es den ersten Jahren
des 14. Jahrhimderts angehöre. Dass ich das Manuskript a
zu Grunde gelegt habe, obwohl es anscheinend einen argen
Schreibfehler (XI statt XV jors) enthält, dürfte sich aus dessen
Inhalt rechtfertigen; das Manuskript b scheint mir einen
jüngeren Text zu enthalten; insbesondere fällt auf, dass, statt
der allgemeinen Ueberschrift in a, hier der Beginn der Messen
and deren Zeiteintheilung durch eine besondere Ueberschriit
getrennt sind.
' I P- 497. _, „Google
Die GeKhiftEopeiBtioncD >Df den Meuen der Champi^e. 233
n.
Zur Erläuterung mögen folgende Bemerkungen dienen;
1. Es gab sechs privilegirte Messen der ursprünglichen
Grafschaften Champagne und Brie, auf welche diese Aufzeich-
nung sich bezieht. Jede dieser Messen, welche in etwa zwei-
monatlichen Zwischenräumen auf einander folgten, währte
über sechs Wochen, so dass deren Gesammtheit nahezu das
ganze Jahr ausfüllte, die Grafschaften Champagne und Brie
somit einen nahezu ständigen Messbezirk bildeten.
Die Messe von Lagny zur Marne beginnt am 2. Januar'.
Die Messe von Bar sur Aube beginnt am Dienstag vor
Mittfasten, somit Ende Februar oder im März'.
Provins hat zwei Messen: eine Frühjahrsmesse (foire de
mai), welche am Dienstag vor Himmelfahrt beginnt und
46 Tage dauert ; eine Herbstmesse (foire de S. Aioul), welche
am 14. September (Kreuzerhöhung) beginnt und bis Aller-
heiligentag, d. h, 1. November, dauert '.
Troyes hat zwei Messen : eine Sommermesse (foire chaude
oder foire de S. Jean), beginnend am Dienstag nach Ablauf
von zwei Wochen ' seit Johannis (24. Juni), also drei Wochen
nach Johannis, falls dieser auf einen Dienstag fällt, jedenfalls
in der ersten Hälfte des Juli, endend am 14. September; eine
Wintermesse (foire froide oder foire de S. Remi), beginnend
am Tage nach Allerheiligen (2. November), endend am
2. Januar'.
Der Ausdruck >la foire est livrßei in unserer Auf Zeich-
nung gibt somit den Eröffnungstag an.
2. Die Messzeit zerfällt in folgende Abschnitte:
a) huit jours d'entr^e, nur Laigny me doit point
d'entr^«. Die jours d'entrde gehören bereits zur Messzeit
■ Im 13. Jahrhundert, Dich Boarquelot p. So Note ;, am l. Januar;
deigleicheD im 14. Jahrhundert nach Pegolotti.
' Ueber du iz. Jahrbnadert s. Boarquelot p. Si Note 1.
3 S. auch Bourquelot p. tSa; vielleicht begann die HetbitmesK ur-
iprtlnglich am 3 , September.
* XI JOTS im Manuttcript a ist augenscheinlich ein Schreibrehler flir XV,
wie alle Bbiigen Manuskripte , auch du venetianische, and aonitlg« Nach-
richten beweisen.
5 Di« Endieiten dieMr Mesten haben gewechwlt: Bourquelot p. Sa
oogic
234 ^>' Geichiftioperatianen ftnf den Meiien der Qmnpagne,
iDSofem, als die Messprivilegien, wie freies Geleit, insbesondere
Arrestfreiheit, Gerichtsbarkeit der Messbehörden sich auch auf
diese Vorbereitungszeit, in welcher das Aufschlagen der Mess-
budeo, das Auspacken und Auslegen der Waaren u. dgl. statt-
findet, erstrecken. Das findet selbstverständlich auch auf der
Messe von Lagny statt, — der Gegensatz betrifft die Ent-
richtung des EingangszolK Es wurde nämlich für Eingang
(entr^e) und für Ausgang (sortie) eine Abgabe, >le portage«,
auch idroit des portesc, erhoben'. Diese Abgabe brauchte
nun auf den Messen von Bar, Provins und Troyes erst nach
Ablauf der acht Freitage gezahlt zu werden, so dass, wer die
eingebrachte Waare unverkauft innerhalb dieser Frist zurück-
zog, abgabefrei blieb, — ein grosser Vortheil für die Impor-
teure, falls sich alsbald Unverkäuflichkeit oder Schwerverkäuf-
licbkeit der Waare herausstellte'. Für Lagny aber bestand
dieses Privileg für die ganze Messzeit.
Dies wird denn auch durch Pegolotti bestätigt, welcher
sagt: Jede der genannten Messen hat zu Beginn »8 giomi
francai, so dass während dieser acht Tage keine Waare,
welche auf die Messe kommt, irgend etwas zahlt; Lagny
aber ist ganz frei, so dass gar nicht »entratat gezahlt wird.
b) Erst nach Ablauf der »entr^et finden, wenigstens
offiziell, die Verkäufe der Messwaareo statt. Und zwar
werden, nach den Hauptgattungen der Messwaaren, drei Zeit-
räume unterschieden: für Tuche und Wollenstoff e (draps) ; für
Leder (cordoan) mit Einschluss der Pelzwaaren; für sog. Ge-
wichtswaaren (avoir du pois, d. h. du poids), z. B. Spezereien,
Droguen, Seidenstoffe und vielerlei anderes Gut^.
Es ergibt sich nun aber keineswegs mit Sicherheit, ob
diese Zeiträume, welche unzweifelhaft in ihren Endpunkten aus-
■ S. die Belege bei Boutquelot II p. 189, insbesondere die Ausxflge
aus den Extenta teire comitatos Ctunpanie et Brie eod. II p. 197 B.
' Vgl, auch die Urknnde: Le couis des foites de Troyes bei Bont-
quelot I p, 83 Note i. Richtig bereits Martens S. 17 Note f, Bonr*
qnelot (nach Panlin Paris H. a. O.) I p. 91. Gleiches findet üch wf
andeien mittelalterlichen Messen.
1 Ueber diese Waarengattnngen s. Bonrquelot I p. 209 ST., 258 ff.,
zfi^ff., 37off., zSoff., 394ff., Tgl. I p. 85. lieber den Tuchhandel s. anch
Scbmoller, Die Strnttbui^er Tücher- nnd Webennnft (1879) S. 368, 370.
Eine Ve^Ieichung der Maaise nnd Gewichte der Champagnennessen nut denen
anderer Handelsplatze gibt Pegolotti p. 54, 63, 89 und sonst.
Die GachSfttopeiBtiaiien auf den Menen der Champagne. 235
einanderfallen , auch in ihrem ganzen Verlaufe auf einander
folgen, so dass erst nach Schiuss der Tuchmesse die Leder-
messe beginnt und so fort. Von der Tuchmesse heisst es, dass
sie am zehnten Tage nach Ablauf der entrte mit dem >hare
de dras< endigt, — währt sie aber volle zehn Tage, wie nach
den Manuskripten sich kaum bezweifeln lässt? ' Dagegen
spricht, dass mehrfach in Quellen insbesondere des 14. Jahr-
hunderts von nur trois jours de draps die Rede ist". Nur
drei Tage gibt auch Pegol Ott i an, welcher den Tuchverkauf
erst am 17. Tage nach Anfang der Messe beginnen lässt; für
die Maimesse von Provins werden sogar nur zwei Tage Tuch-
messe angeführt '. Der Widerspruch ist, wie anscheinend auch
Bourquelot p. 85 ff . annimmt, vielleicht aus einer gegen
Ende des 13. oder Anfang des 14. Jahrhunderts erfolgten Ab-
änderung der Verkaufszeiten zu erklären; aber man sieht nicht
ein, welchen Zweck dann die sieben, nach Pegolotti sogar
acht Messtage nach Ablauf der entr^ bis zum Beginn der
Tuchmesse gehabt haben sollen..
Von der Leder- und Pelzmesse haben wir nur in einigen
Manuskripten die Angabe, dass sie am elften Tage nach dem
bare de dras stattfindet. Endigt sie an diesem Tage oder be-
ginnt sie alsdann? Ein >hare de cordoani erwähnen nur die
Manuskripte b, c und das Manuskript von Provins. Ist
dieses >hare de cordoan« der Endpunkt der Ledermesse, wie
Bourquelot p. 85, 89 annimmt? Denkbar wäre auch der
An^g derselben (s. unten).
Widersprechend sind endlich die Manuskripte hinsichtlich
der Gewichtswaareomesse. Nach a findet dieselbe 15 Tage
nach bare de dras statt, also beginnt anscheinend erst vier
Tage nach Endigung der Ledermesse; nach b findet sie statt
am Tage nach Schiuss der Ledermesse, nach c und dem
Manuskript von Provins 15 Tage nach »hare de cordoan<.
Die Manuskripte d und e und das venetianische Manuskript
' Die Oidonn. von IB95 (Ordonn. t. XI p. 377) spricht von 4 Tagen
Tnchverkauf der SUdte der vUmüehen Huue; Ordomiuizen und Urkunden
de* 14. Jihrhnnderti iprechen von >} jonn de drap». S, die Bel^e bei
Bourquelot I p. 86, 87.
* So Tenteht auch Bourquelot p. 88 die SteUen (DeUa decima ni
p. 238, 339) , obwohl wenigitens fUr die MctK von Bar eine andere Inter-
pretation mOglich wite.
„Google
236 ^'' Getchaftioperationen >nf den Messen der Champagne.
schweigen ganz. Bourquelot p. 85 nimmt an, dass mit
den angegebenen Tagen die Endzeitpunkte der Gewichts-
waarenmesse bezeichnet seien.
Pegolotti schweigt völlig von Leder- und Gewichts-
waarenmesse.
Man sieht, es sind hier zahlreiche ungelöste und nach dem
Stande unserer Quellen nicht zu losende Räthsel.
c) Wahrend der vorfaezeichneten Zeit wird auf den Messen
das Wechsel- und anderweitige Bankgeschäft durch die Wechsler
{changeurs, campsores) in ihren Buden und Ständen (Bänken,
Tischen) betrieben. Dass dieselben ihre Tfaätigkeit erst zu
Ende der Messzeit, insbesondere erst nach hare de dras be-
ginnen "), wird in den Manuskripten nicht gesagt.
Einen Monat nach dem Schluss der Tuchmesse schlagen
die Wechsler ihre Buden oder Stände ^b: abatent (s. unten
S. 246). Das Wechslergeschäft hat somit, wenn man die huit
jours d'entr^ nicht mitzählt, 40 Tage gewährt. In diesen
Zeitraum von 40 Tagen, und zwar 15 Tage nach hare de
dras, fällt die Zahlzeit: droiz paiemens. So nach a; fehlt b^
nach c und Manuskript von Provins: XV jours aprfes hare
de cordoan; nach den Manuskripten d und e gibt es, wohl
missverständlich, XV jorz de droit paiement.
Einen ausfuhrlichen Bericht über diesen Punkt gibt Pego-
lotti. Zu seiner Zeit beginnen die Geschäfte der Wechsler
(seggono i banchi) erst am zweiten Tage nach hare de dras,
dauern dann vier Wochen (e stanno 4 settimane), und der
15. Tag nach Ablauf dieser vier Wochen (e poi che le 4
settimane sono compiute 15 dl appresso) ist der Zahltag (ter-
mino dello pagamento della detta fiera). Dies wird für alle
sechs Messen, mit geringen Abweichungen, wiederholt und
am Schlüsse immer hinzugefügt, dass, wenn die Zahlung der
Messschulden durch Wechsel auf Genua oder Florenz ge-
schehen soll, für die Vcrfallzeit solcher Wechsel bestimmte
übliche Fristen gelten, sofern nicht ein Anderes vereinbart ist.
■ So Biener, Wecluelrechtliche Abhuidlnngen S. 37: »Deutlich ist,
dass am Ende der Meise die bancht (also die Wechsler) iht Geschift anfaDgeD
und mit dem Zahltage (termme del piLgamento) schliesien, wobei die Zahlungen
durch Wechsel von der Messe auf Florenz oder Genua unter Beobachtung ge-
wisser Usofristen bewirkt werden.« Der tetite Sali in ein Mistreratlndniii
Pegolotti's, vgl. unten S. 337.
Die GescbSftKipetatioiieii aof den Messen der Champagne. 237
Unzweifelhaft liegt zwischen dem Bericht des Manu-
skripts a und Pegolotti's Bericht eine erhebliche Abände-
rung der für die Messen geltenden Grundsätze, Während
ferner nach den Manuskripten die Messen 44 Tage und unter
Hinzurechnung der entrße 52 Tage dauern, erstrecken sich
dieselben bei Pegolotti auf 62 (Maimesse von Provins 61)
oder gar 64 (63) Tage.
Vier Tage nach Ablauf des vorgedachten Zeitraums von
40 Tagen, nach c bereits einen Tag nachher, werden lettres
de foire genommen. Das wäre also am 44. oder 45. (nach
c am 41. Tage, nach Beginn der eigentlichen Messzeit. Pego-
lotti schweigt davon, macht aber eine später zu würdigende
Angabe über die Nichtinnehaltung der Zablungszeit. —
Im Folgenden sollen nun einige, für die Geschichte des
Handelsrechts erhebliche Fragen, soweit nach dem Stande
imserer Quellen möglich, beantwortet werden.
in.
Das >hare de dras< spielt eine wichtige Rolle, weil von
ihm ab sich andere Fristen berechnen. Die Manuskripte b
und c und das Manuskript von Provins nennen, wie bemerkt,
auch ein ihare de cordoant als Endpunkt (vielleicht Anfangs-
punkt) der Ledermesse, Vielleicht gab es auf den Messen
noch andere »haret , allein die Quellen schweigen davon,
und es erscheint daher gewagt, wenn Bourquelot I p. 89
meint, dass das Ende eines jeden Messabschnitts, z. B. auch
des Gewichtswaarenverkaufs, durch den Ausruf >harec, aber
tmter Benennung der betreffenden Waarengattung, verkündigt
wurde. Diese Hypothese ist sogar in das dictionnaire de I'an-
cienne langue fran^ise du IX" au XV" sihcle von Godefroi
t. IV (Paris 1885) s. v. hare, are, ale S. 421 Übergegangen,
selbstverständlich ohne Beleg.
Auch auf den flandrischen Messen wurde, wie Pego-
lotti c. 57 (Della decima III p. 241) bezeugt, das Ende der
Tuchmesse durch den Ruf ara bezeichnet (la sera al tardi
grida »arai e non mostra piü drapperia), aber es findet sich
bei Pegolotti kein Hinweis, dass der gleiche Ruf auch das
Ende des Verkaufs anderer Waaren, sei es auf den Champagner
Messen, sei es auf den flandrischen Messen, bezeichnet habe.
„Google
238 I^ie GetchIftw)i>eiBtioiiei] auf des HcMcn der Champagne.
Da femer in deo Urkunden und sonst überall das iharec
ohne den Zusatz de dras als ein fester Zeitpunkt bezeichnet
wird, so kann darunter nur das bare de dras als das einzige
oder docb vornehmste >harec gemeint sein.
Auf einzelne dieser Urkunden haben bereits Bourquelot
und Ducange hingewiesen. Bei Bourquelot I p. 88, 89
finden sich citirt Urkunden von 1204: eine Messabgabe in
Troyes ist zu zahlen: infra octabas del hare ; 1218: eine Geld-
summe von 400 livres de Provins ist zu zahlen auf der nächsten
St. Johannismesse von Provins »vier Tage bevor man daselbst
ruft hare ! hare ! ; 1230 : eine Summe von 7,500 livres de Provins
ist zu zahlen auf der nächsten Maimesse von Provins >acht
Tage nachdem man daselbst hare ! hare ! gerufen haben wird* ;
1249 " : eine Geldsumme ist auf der nächsten Maimesse von
Provins zu zahlen »tribus diebus antequam clametur: hare!(
Ducange, gloss. mediae et infimae latin. 1885 ed. Heoschel,
IV p. 167, hat folgende Urkunden:
1219: 30 marcas sterlingorum zu zahlen in proximis
nundinis S. Johannis Trecensibus apud Trecas (Troyes) quatuor
diebus antequam clametur Hare, Hare.
1230: de fidejussione 1725 libramm pruviniensium solven-
darum in proximo futuris nundinis Maii de Pruvino apud Pru-
vinum (Provin'i) octo diebus postquam clamabitur Hare Hare —
(Martens S. 15 citirt diese Urkunde aus Carpentier mit dem
Datum 1213).
1294: Au quatri£^me jour de Hare de dras de la foire
S. Jehan ä Troyes. •
Dieses Verzeichniss lässt sich erheblich vermehren.
Urkunden über mehrere gegen römische Kaufleute kontra-
hirte Schulden des Kölner Erzbischofs Dietrich (Theodorich)
aus den Jahren 1213 und 1218 (Ennen und Eckertz, Ur-
kundenbuch der Stadt Köln 11 Nr. 40, 57) lauten auf Zahlung
in nundinis Sancti Agulfi apud Pruvinum 4 diebus antequam
clametur hare bare, desgleichen auf die nächste Messe von
Bar und auf die nächste Messe von Troyes (4 diebus oder
quarto die) antequam clametur hare, hare. Ebenso sind
Schuldvet^hreibungen des Kölner Erzbischofs zu Gunsten der
römischen Gläubiger 1221 (eod. Nr. 70) und zu Gunsten
■ Bourquelot p. tJ9 Note 3.
Digitizecy Google
Die G«tchiAiopentioften anf den Metten der Champigne. 239
Bologneser Gläubiger (eod. Nr. 73), die eine auf die Messe
von Bar, die zweite auf die Messe von Provins, gestellt : 4 die-
bus antequam clametur bare, bare; vgl. auch 1228 eod.
Nr. 107) ■.
Canale, nuova storia della repubblica di Genova vol. II
(Firenze 1860) verzeichnet:
a. 1227 (p. 527): Wechsel auf die St. Johannis-
messe von Troyes zahlbar >fra Otto giomi dopochö
sarä gridato nella stessa fiera: Ära, Arac
a. 1241 (p. 554): zwei Wechsel auf die nächste
Messe von Bar mit der gleichen Zahlungszeit. (In
dem Verzeichniss eod. S, 629 finden sich statt Ära
die Druckfehler Kara, Kara und Aira).
Nach dem Zeugniss von Bini, i Lucchesi a Venezia
(Lucca 1853, 1856) p. U6ff., sind die Luccheser Wechsel des
13. Jahrhunderts auf die Champagner Messen — welche Bini
nicht ausreichend kennt und daher z. B. Bar mit Bari in
Apulien verwechselt, den Ausdruck ange, agne = degli angeli
für die Septembermesse von Provins nicht versteht' — ge-
stellt, meist >acht Tage nach ara, ara ad pagandum tabulei.
Findet sich dieser letzte Satz wirklich, so wäre dadurch die
Zahlung an oder durch einen Messbankier, vielleicht einen
Luccheser, vorgeschrieben ^
Das bekannte Formular des Bologneser Studentenwechsels
bei Rolandinus, um 1250 (meine Universalgeschichte
S. 427), lautet auf Zahlung:
in nundinis Pruvim proxime (!) apud Pruvinum
octavo die postquam in ipsis nundinis cridatum fuerit
»hec arra< (soll heissen hare [a], hare [a]),
— danach Durantis, speculum (1272) lib. IV part. III de
obUg. (ed. Basil, 1563 II p. 333, Francof. 1612 II p. 345).
Unter den zahlreichen auf die Champagner Messen zahl-
bar gestellten MarseiUer Eigenwechseln findet sich, a. 1248,
' Milgelheilt bereiB vonNeumann, Geschichte des Wuchers in Deutsch-
land Ci86s) S. 374 Note i.
* BerichliguDgen bei Salvatore Bongi, della mercatura dei Laccbeü
od secoli XIII e XIV. Lucca 1858 p. 62.
3 Bini Tenteht deoAnidruck aU identisch mit >ad pagamentum tabolaei
nnd meint, nat nicht zutrifft, da» tavola Schein oder Rechnungsbuch der
Kaufleute genesen sei. Vielmehr ist tabula (tavola) der Zahltisch de* Baokiei*
(Weclulen), glnch mema, t^ÖTttCa.
::,y Google
240 I^i* GMchifUopentiooeii auf den Hcaen der Chunpagne.
Blaacard, doc. inädits sur le commerce de Marseille t. 11
(Marseille 1885) nr. 707 (p. 158), folgender:
80 liras paris., in nundinis Provinis de madio
proxime venturis, per III dies ante nundinas pannonim,
vel in termino dictarum nundinarum si forte dicte nun-
dine vacarent.
Eine Vorladung der custodes nundinamm (gardes des
foires), ergangen nach Florenz, lautet:
1279 (Berti, Giom. storico degli archivi Toscani
1857 nr. 3, 4 — p. 251 nr. 15) auf:
in predictis nundinis Sancti Remigii Treces (d. h.
auf die St. Remigiusmesse von Troyes) ad crastinum höre
(statt hare) pannorum.
Eine andere Vorladung, ergangen nach Florenz, enthalten
in einem Protokoll des Messgerichts 1303 (eod. p. 273 nr. 25),
lautet :
au disi^me jour aprfes hare de dras de la foire de
Laigny sur Marne prochainement venant.
Es wird somit am Schlüsse der Tuchmesse hare, hare ge-
rufen, augenscheinlich von den Messdienem (sergents)', doch
begegnet in dem alten Statut der arte di calimala von Florenz
(1301) Üb. IV ruh. 28 unter den duo cursores (Eilboten) ftlr
den französischen Verkehr ein cursor de aara«, neben dem
Cursor »de pagamentOf nundinarum Campame ; vielleicht dass
der Erstgenannte speziell für die Rorentiner (Tuchhändler und
Tuchfabrikanten der arte di calimala) das Ende der Tuchmesse
auszurufen hatte.
»Harec, im normannischen »harot, wird von Diez, Ety-
mologisches Wörterbuch der romanischen Sprachen (5. Au^.
1887) II S. 612, als »Zetergeschrei, bezw. Nothgeschrei er-
klärt =: hieher, herbei, althochd. hera und hara, herot,
auch harou, harou = latein. huc S. 611 wird das nor-
mannische harer (harier), altengl. hare (harie) = treiben,
drängen, plagen, hergeleitet von har, haro ;= Hilferuf, alt-
hochd. harSn = schreien, rufen.
Dieser Etymologie hat sich Littr^, dictionnaire h. v.,
desgl. A. Bos, glossaire de la langue d'oil, Paris 1891, b. v.
angeschlossen. Ganz entsprechend heisst es bei M. Heyne
■ Ueber diese t. Bourqaelot II p. 347.
,.: .«:,yGüOgle
Die GdchSflsopemtianei) auf den Metten der Champagne. 241
im Deutschen Wörterbuch von J. und W. Grimm tV, 2 (1877)
s. V. her, Sp. 999 ff. : althochd. hera oder hara, später har (so
in alemannischen Quellen und sonst), auch wohl ohne An-
laut (h), oder in erweiterter Form hero, als Zuruf, z. B, an
die Pferde, an die Kriegsleute; überhaupt kurz statt >komm
herc, »gib hert — s. auch »herauf Sp. 1017 unten.
Das »haroc spielt insbesondere in dem normäimischen
Recht eine wichtige Rolle als »Gertlft«, behufs Herbeinifung
der Nachbarn u. dgl., und wird hier als Formalakt fUr die
Einleitung von Kriminalklagen, Besitzklagen u. s. f. bebandelt ',
begegnet aber auch als Jagdruf, Kriegsnif und in manchen
ähnlichen Fällen.
Ebenso unhaltbar wie die thOrichte Ableitung von iHal
Rou!t (Rollo, Herzog der Normandie)', ist die Herleitung
von haraho = placitum , mallus ^ , womit sich die Deutung
verbindet, dass das hare auf den Messen ankllndigen sollte,
es werde die Gerichtsbarkeit über die auf der That ergriffenen
Verbrecher geübt werden ' ; oder die Deutung »in Ordnung
bringencS; oder die Deutung auf »Grenze, Schranke, Ende<,
welche in dem Worte »harett liegen soll*.
Man sollte doch an der sprachlich sichern und zur Er-
klärung voll ausreichenden Ableitung von dem altdeutschen
hara, har sich genügen lassen. Dass die Romanen den An-
laut opfern, ist natürlich. So begegnet auch das ara in Ver-
bindung mit ojats = hieher! hört! in der Verordnung des
Magistrats zu Barcelona 1394 (Capmany, memorias 11 p. 282)
als Publikationsformel des praeco. So heisst »arat : Aufgebot,
auch Angebot (nämUch Ausruf) in den Statuta Brixiae (Bresda)
1313 lib. 111 c 26, 28, 37, 276 und sonst.
Somit ist anzunehmen, dass die Messdiener u. dgl. durch
den Ruf »(kommt) hieher< den Messbesuchem , und wen es
■ S. aniftllirticb GltistoD, rerue hiltoiique de droit fhuifaii et jtruiger
L VI (iSaa) p. 397—446, 517—550, S. auch Viollet, «Ubiimementi de
S. Lonii I p. 188 ff.
> 5. bei DnoDge >. v. haro tll p. 17a.
I So GlastoD p. saoff.
* So Depping und Glaison p. 517. Ali ob wiche AnkOndigong am
Schlu« der Tuchmette geeignet gewesen würel
i So d'Arboii de Jubainville, hlstobe des comtes de Champagne
t III p. 234, dtitt bei Bourquelot I p. 90 Note 4.
!• So BoDrqaelot I p, 90.
Goldtetamidt, Vannüchtc SchilfMD, n.
itizecy Google
242 IKe Geschlftiaperation«]! auf den Menen d«T OuinpApie.
anging, den Schluss der (Tuch-) Messe verkündigten, vielleicht
auch noch andere, diesen Akt näher bezeichnende Worte hinzu-
fügten. Der öffentliche Ausruf (crierie) war im ganzen fran-
zösischen Rechtsgebiet , namentlich in Paris , während des
13. Jahrhunderts so allgemein üblich, dass es sogar besonders
dazu bestellte Beamte (crieurs) gab (Depping, introd. zu
Boileau, rfeglements sur les arts et mötiers de Paris p. LX ff.)-
Martens, S. 16 Note e, kommt also der Wahrheit nahe, wenn
er vermuthet: »Dies bare scheint ein öffentlicher Ausruf ge-
wesen zu sein, dass nun der Termin zu einem gewissen Ge-
schäft der Messe erschienen (bei der Tuchmesse iedenialls nicht
erschienen, sondern abgelaufen, — wie auch S. 18 Note b an-
erkannt wird) sei , oder vielleicht nur das Holla (?) oder An-
fangswort dieses Ausrufes.« Wenn Martens gleichwohl Be-
denken trägt, die Identität des Mess-hare mit dem normanni-
schen haro anzunehmen, so übersieht er, dass auch das letztere
nur »GerUft« war, an welches sich aber gewohnheitsrechtlich
eigenthümliche Rechtsfolgen knüpften. Dagegen ist ganz un-
richtig, wenn Grosley unter ihare« den Verfalltennin der
Messscheine — s. unten S. 248 ff. — versteht.
Unklar und anscheinend verkehrt ist die Bemerkung
Fr^mörys p. 15 Noteg: »hare« signifie ihalle«. Biener,
Abhandlungen aus dem Gebiet der Rechtsgeschichte S. 94
Note 12, sagt, ohne weitere Erläuterung, hare des draps sei
entweder Anfang oder Ende der Tuchmesse, welches durch
einen Aufruf verkündigt wurde; in den Wechselrechtlichen
Abhandlungen S. 37 aber: Das hare oder hara bezeiclmet
den Ausruf, durch welchen die verschiedenen E'erioden der
Messgeschäfte eingeleitet oder geschlossen wurden. Durch-
aus abwegig ist die Deutung Endemann's, Studien in
der romanisch - kanonistischen Wirthschafts- und Rechtslehre
I S. 176. Er spricht von der im 17. Jahrhundert auf der
Lyoner und anderen Messen üblichen Skontration, bei der ein
Jeder mit lauter Stimme die Wechsel ausruft, welche er als
Gläubiger oder für den Gläubiger inne hat, und fügt unter
grundloser Berufung auf Biener hinzu: »Das ist der Auf-
ruf, der unter dem Namen des hare schon auf den Cham-
pagner Messen für Messverbindlichkeiten Üblich gewesen war;«
ja, S. 85 wird zur Erläuterung des Wechselformulars bei Ro-
landinus gesagt; »Ob die Aussteller (des Wechsels) selbst
„Google
Die GeachSftfopentioDen auf den MetMn der Cbampi^e. 243
oder, wie leicht zu vermuthen, durch einen Geschäftsmann,
der für sie den Aufruf (hara) beantworten sollte, die Zahlung
zu bewirken gedachten , ist von untergeordnetem Belange ',
Die ergötzlichste Form nimmt diese grundlose Hypothese bei
Jäger (Der Tractat des Lucas Paccioli Über den Wechsel
von 1494, 1878 S. 23) an: die sog. hara sei ein Aufruf des
(Wechsel-) Schuldners durch den Gläubiger vor dem betreffen-
den Konsul am ersten Tage der Messe; er fügt hinzu: »Es
liegt nahe, dieses Wort mit hora = die Stunde in Verbindung
zu bringen, allein es ist überall mit a geschriebene
IV.
15 Tage nach hare de dras fällt nach Manuskript a
droiz paiemens, — auf die abweichenden Angaben anderer
Manuskripte und auf die Deutung Pegolotti's (termino
dello pagamento della detta fiera^ ist schon oben hingewiesen
(S. 236).
In den lateinischen Quellen steht dafUr der Ausdruck
rectum pagamentum, d. h. usancemässige oder gesetzliche
Zahlzeit der Messe. Auf diese feste Zahlzeit einer bestimmten
Messe werden die Schuldscheine und Wechsel häufig gestellt,
auch wohl vorsorglich bestimmt, wie es gehalten werden solle,
falls etwa die bezeichnete Messe ausfällt'.
So heisst es in den bei Bourquelot I p. 91 Note 1 mit-
^theilten Urkunden z. B.:
1187: in pagatione nundinarum S. Aygulphi.
1221 : io proximis nnndinis Bari 8 diebus ante paga-
mentum.
1240 : in nundinis S. Aygulphi 3 diebus ante rectum
pagamentum.
1273: infra rectum pagamentum nundinarum de
Harro.
1314: ad pagamentum dictarum nundinarum.
Bourquelot II p, 103 gibt weiter als übliche Aus-
drücke der Urkunden an:
' Danach G. Cohn in Endcmann'» Handbuch dn Handelsrechts III
S. 1059 Note 15.
> S. aoch meine Universalgeschichte S. 33J Note 137a, S. 415, 4S8
Note 158.
.6-
■ooqI
244 I^ic GMchä(tsop«TatioQ«n >af den Metten der Champa^e.
infra oder ante pagamentum, dans droit payement,
avant payement u. dgl. m.
Gleiche Formeln begegnen in den Marseiller Urkunden des
13. Jahrhunderts für die auf die Messe von Bar, die Messen
von Troyes und namentlich die Maimesse wie die Herbstmesse
von Provins gestellten Wechsel :
Bibliothfeque de l'to)le des chartes XXXIX' ann^ 1878.
Pikees justificatives Nr. 6, 10, 14 (1247); femer (1248) in Docu-
ments in^dits I Nr. 92, 100, 101, 104, 105, 150, 151, 156,
340, 351; II Nr. 825, 929, 995; II 375, 377, 424, 498, 550,
557, 564, 615, 625, 667, 685, 691, 717, 730, 770, 772, 782,
793, 800, 802, 806, 817, 819, 822, 828; II Nr. 1028, 1029.
Die übliche Formel ist :
In nundinis de Bari (Trecis, Pruvini de Madio oder
S. Aygidphi u. dgl.), proxime venturis infra rectum
pagamentum, vel in termino dictarum nundinarum, si
forte dicte nundine vacarent.
Sehr merkwürdig ist folgender Fall aus dem Jahre 1251.
Jacopo del Caretto, marchese di Savona, Schwiegersohn Kaiser
Friedrich's II., empfängt ein Darlehen von 2000 lire di Genova
von den Bankiers Guido Spinola e comp, und stellt dafür,
miter Verpfändung des mit Edelsteinen besetzten Thrones des
Kaisers, einen Wechsel aus über 1600 libr. perven., zahlbar in
proximis nundinis barii venturis ad rectam solutionem vel eo
tempore quo dicte nundine esse debent, si deficient (Bel-
grano, arch. stör. Ital. ser. III t. III part. I [1866] p. 117 ff.).
Die Gesellschaft Mangiavacca aus Florenz löst 1253 diesen
Thron ein und bezahlt an Spinola e comp, einen Wechsel,
zahlbar in primis nundinis S. Aygulfi >ad rectum pagameDtum«
(Mas Latrie, in Bibliothfeque de I'ö:ole des chartes, 5" s^rie,
t. III [1862] p. 251). Auf die weitere Geschichte dieses kom-
plizirten Rechtsgeschaftes ist an dieser Stellt nicht einzugehen.
Die feste Zahlzeit lässt sich nun in einem zwiefachen
' Sinne verstehen : als Zahlzeit der auf der Messe zahlbaren,
gleichviel, ob daselbst oder anderweitig kontrahirten Privat-
geldschulden oder als Zahlzeit der auf der Messe zu ent-
richtenden Abgaben (Zölle, Standgelder u. dgl. m.). In dieser
zweiten Bedeutung wird der Ausdruck idroiz paiemensc von
Paulin Paris, unter Zustimmung von Bourquelot p. 92,
verstanden.
„Google
Die GetchSftMperaCioiien »ut den MeMcn der Champagne. 245
Mir scheint diese Deutung unwahrscheinlich, und sie wird
nicht durch die von Bourquelot a. a. O. citirte Urkunde
aus dem Jahre 1241 unterstützt, welche besagt, dass, wenn
>post fioitum pagamentiunc Zoll (theloneum) ' gezahlt oder
eine Waare verkauft wird, nur der halbe Zoll entrichtet werde.
Denn wäre in der That unter >pagamentum< der gesetzliche
oder übliche Tag der Zollentrichtung zu verstehen, so ist
nicht begreiflich, weshalb die Unterlassung rechtzeitiger Zoll-
entncbtung zur Befreiung vom halben Zoll fuhren sollte. Viel
wahrscheinlicher ist, dass man die nach Ablauf der für die
Zahlung der Messschulden festgesetzten oder üblichen Zeit,
also die am Schlüsse der Messe stattfindenden Verkäufe durch
Erhebung nur des halben Zolles begünstigte, damit möglichst
■wenige Waare unverkauft von der Messe ging.
Dass aber eine gesetzliche bezw. übliche Zahlzeit nicht
allein für die auf der Messe verkauften Waaren, sofern der
Kaufpreis nicht kreditirt war, sondern auch für die überhaupt
auf die bestimmte Messe gestellten Zahlungsverpflichtungen
bestand, ist einleuchtend, und es ist wenig wahrscheinlich, dass
die Schuldurkunden, welche auf »die rechte Zahlzeitc lauten,
die für die Zahlung der privaten Messschulden ganz unerheb-
liche Abgabenzahlung im Auge haben sollten. Nur mit dieser
Deutung erscheint vereinbar der Bericht P e g o 1 o 1 1 i ' s (a. a. O.
p. 239): Wer am Zahlungstage (al giomo del pagamento)
nicht zahlt oder sonst seine Verbindlichkeiten nicht erfüllt,
gilt als fallit (fallato in fiere), hat keinen Kredit mehr und
darf nicht wagen, auf der Messe zu erscheinen, — natoriich
wegen der iTitn drohenden Fersonalhaft und VermOgens-
exekution". Daranf deutet auch die etwas dunkle Stelle in
den spateren »coustumes, stille et usaiges de la court et chan-
cellerye des foires de Champaigne et Brye« (Bourquelot
H p. 342), wo unterschieden werden les 3 jours de draps und
>les joum^es qui sont assign^es au payement de chascune
desdites trois foires«.
Biener, S. 36, begntlgt sich mit der ergötzlichen Be-
merkung, dass sich, aber nur in Fr^möry's Text (a), eine
undeutliche Angabe über >trois payementsc finde!
■ Aogmuclieiiilicli handelt et »eh nn die VerluiD&abgibe: tonlieu.
S. Bonrqvelot U p. 185 ff.
* Heine Univenalge«chicbte S. 3:9, 330.
itizecy Google
246 13'^ GeschSftGoperationen auf den Meisen der Champagne.
Neumann endlich (s. S. 239 Note 1) meint, das hare
scheine die Messe in 2 Theile getheilt zu haben , und nur in
dem ersten Theile sei Zahlung angenommen, aber nur in be-
stimmten Fristen (etwa 4 Tage zuvor, wie in der Kölner Ur-
kunde). Aber an derselben Stelle will er aus der Kölner Ur-
kunde von 1213 herauslesen, dass das hare die Messe beendet
habe und dass 4 Tage vorher die Baarzahlungen gegen die
auf die Messe ausgestellten Wechsel an die Reihe kamen.
Alle diese Hypothesen entbehren jeder Grundlage.
V.
Einen Monat nach hare de dras >abatent li chan-
geors*. Dieser Satz ist schon oben, in Uebereinstimmung
mit Bourquelot p. 85 (iferment leurs boutiques«), dahin
verstanden worden, dass die Wechsler ihre Buden berw. Stände
und Bänke ^abschlagen«. Von den )tabulae* der Wechsler
ist in zahlreichen Urkunden die Rede'. Der gleich darauf
begegnende Ausdruck ichanges abatuzc bezeichnet somit das
Abschlagen der Wechselstände und damit das Aufhören der
Wechsel- und sonstigen Bankgeschäfte. Des gleichen Aus-
drucks, laprds changes abatusc oder labatuzi, bedienen sich
die aus dem 13, Jahrhundert stammenden >privil&ges et coustumes
des foiresc (Bourquelot II p. 321 ff.) art. 18, 19, auf welche
ich im Folgenden zurUckkonmie. Desgleichen die Ordonnance
Juli 1344 art. 8: »des les trois jours de draps jusques a changes
abatuzc '.
Auf dieses Ende der Wechseigeschafte deuten die Ur-
kunden mit dem Ausdruck »dimissio camblorumi oder
genauer: idimissio campsorumi. Es finden sich nämlich
interessante, von Bourquelot noch nicht berücksichtigte Er-
lasse der custodes nundinarum (gardes des foires) an aus-
wärtige Schuldner, enthaltend Vorladung derselben vor das
Messgericht der Champagne ' auf einen bestimmten Tag :
1297: apud Pruvinum ad ottabas dimissionis campsonim
nundinarum instantium Sancti Aygulfi de Pruvino (Berti
a. a. O. Nr. 21 p. 261 ff.).
■ Bunrquelot II p. izjft.
' Am boten im HansUchen Utknodenbuch HI S. 454 ff. gedruckt.
3 Meine UniTenalgeKhichtc S. 231! IT.
„Google
Die GetcUfiMpeniionen *uf d«u MeiMii der duunpagne. 247
1298: Desgl. ad crastinum dimissionis cambiorum (eod.
Nr. 22 p. 264 H.).
1298: apud Barram — apud Trecas — ad quartum diem
dimissionis cambiorum (eod. Nr. 23 S. 267 ff.).
1300: apud Pruvinum die tertia dimissionis cambiorum
Sancti Augulphi proxime venturi (Mas Latrie, M^langes
historiques. Cboix de docum. III. [Paris 1880.] p. 20 ff.).
Es ist sprachlich völlig unmöglich, mit Martens, S. 17
und Fr^möry, p. 105, 480, welcher fälscblicb von >abattre
les changes* spricht, unter den technisch gebrauchten Worten
eine Abrechnung der Geldwechsler unter einander und mit
den Kaufleuten zu verstehen ; noch gar lässt , wie B i e n e r ,
Wechselrechtlicfae Abhandlungen S. 37, meint, >die Notiz Über
die Wechsler erkennen, dass zu Ende der Messe vier Tage
zum Skontriren bestimmt waren, worauf die Zahlungen folgten,
die durch Ritomowechsel — abgemacht wurden« ; noch lässt
sich, wie derselbe meint', erkennen, »dass die Wechsler ihr
Geschäft mit dem Zahltag schliesseni. Für all dies fehlt jeder
Anhalt in den Quellen.
VI.
»IV jors apr&s changes abatuz prant on lestres
de foire< (a). AehnUch b: IV jors aprSs chaogeurs abatus
praot on lettres de foire. Dagegen c: un jour aprte changes
abatus etc. Fehlt, wie S. 231 Note 8 bemerkt, in d, e und
im Manuskript von Venedig, anscheinend auch im Manuskript
von Provins.
Bereits Grosley bezieht die Messbriefe (lettres de foire)
auf die Kaufbriefe (papier) Über die auf der Messe ausgestellten
Waaren und fügt hinzu: >Ce papier se negocioit, ainsi que
les obligations qui se passoient sous le scel des Foires. Le
hare ötait le terrae de l'&heance des billets.<
Das Letztere ist undenkbar, wenn droiz paiemens die Ver-
fallzeit der Messschulden bezeichnet, denn droiz paiemens tritt
erst 15 Tage nach hare de dras ein. Die sehr unbestimmte
Aeusserung Grosleys scheint Übrigens die gemeinen (form-
losen) und die unter Messsiegel ausgestellten Urkunden Über
■ ». a. O. p. 37.
Digitizecoy Google
24d I^ Geachiftioperatioiieii mnf den Meisen der Ctuunpi£ne.
den Kaufpreis unter dem Namen papier und billets zu identi-
fiziren.
Martens, S. 17, bringt die lettres de foire in Verbindung
mit der von ihm in >abattent les changeurs« gehmdenen Ab-
rechnung und sagt : >Ueber das, was nun nicht durch Zahlung
oder Abrechnung getilgt war, nahm imd gab man lettres de
foire.c In diesem Sinne mag auch FrSmöry, obwohl er
sich nicht ausdrücklich darüber erklärt, den Satz verstanden
haben, da auch er (S. 104, 105, 408), wie bemerkt, in dem
»abattre les changes« die Abrechnung sieht. Biener,
Wechselrechtliche Abhandlungen S. 37, findet, wie schon er-
wähnt, dass zu Ende der Messe vier Tage zum Skontriren
bestimmt waren, worauf die Zahlungen folgten, die durch
Ritomowechsel , d. h. durch Wechsel von der Messe auf die
verschiedenen Plätze, abgemacht wurden — oder, wie es spater
heisst, durch Wechsel von der Messe auf Florenz oder Genua.
Diese Ritomowechsel wären somit die »lettres de foire« ge-
wesen. Ich habe bereits oben S. 236 Note 1 bemerkt, dass
dem ein Missverständniss Pegolotti's zu Grunde liegt,
welcher nicht sagt, dass die Zahlungen durch Ritomowechsel
geschahen, sondern dass, wenn die Zahlung auf diese Weise
geschab, der Uso dieser Wechsel in einer gewissen Weise be-
stimmt war.
Endlich Bourquelot, p. 85, bemerkt erläuternd: >Au
bout de cinquante-deux jours ä partir de la mfime ^poque
(nämlich dem Tage der Eröffnung) on prenait des lettres de
foire, c'est ä dire on faisait röiiger et sceller suivant les
formes vouloes les actes qui devaient assurer aux contractants
la jouissance des privil&ges des foires de CljampagDe.i
Es sind somit alle Schriftsteller darüber einig, dass lettres
de foire die — gleichviel, ob in Wechselform oder sonst, ob
formlos oder unter obrigkeitlicher Autorität (unter Messsiegel)
errichteten — Messkontrakte bezeichnen. Nun ist allerdings
diese Deutung an sich möglich, da in der That auch die Mess-
kontrakte mit diesem Namen bezeichnet werden. Gleichwohl
sprechen dagegen sprachliche wie sachliche Gründe.
Der Ausdruck iprendre lettres* deutet nicht auf die Er-
richtung von Messkontrakten, welche natürlich nur gemeinsam
durch Gläubiger und Schuldner geschehen konnte, sondern
auf einseitige Thätigkeit des Gläubigers.
::,y Google
Die GetcUftiopeTationMi anf den Mmmd der Chtinpigaa, 249
Sodann ist unerfindlich, aus welchem Grunde erat am
Schlnss der Messe die Aufnahme von Messkontrakten ge-
schehen sein sollte. Das wäre nur erklärlich, wenn iettres de
foire lediglich über den Saldo aus der Messabrechnung aus-
gestellt worden wären, wieMartens undBiener annehmen,
— aber es hat sich bereits gezeigt, dass diese Hypothese jedes
quellenmässigen Anhalts entbehrt. Im Uebrigen hat sicher-
lich während der ganzen Messzeit die Aufnahme und Be-
glaubigung wie Besiegelung von Messkontrakten durch die
auf der Messe ständig anwesenden Notare und gräflichen
bezw. königlichen Beamten stattgefunden'. Veranlassung zu
Messkontrakteo gab die ganze Messzeit, indem Waaren- und
Geldschulden zu verbriefen waren.
Nun aber gibt es noch eine zweite Klasse von Mess-
urkunden, welche gleichfalls Messbriefe genannt wurden, näm-
lich die von den richterlichen Messbeamten (gardes des foires)
ausgestellten Exekutivbefehle wegen nicht bezahlter Mess-
schulden; sie hiessen lateinisch mandamenta de nundinis, nun-
dinalia u. dgl. Solche Briefe worden natürlich nicht vom
Gläubiger und Schuldner gemeinschaftlich errichtet, sondern
vom Gläubiger einseitig beim Messgericfat auf Grund der
schriftlichen Messkontrakte oder auf andere Beweise hin ge-
nommen, d.h. bei der MessbehOrde erbeten '. Dies geschah
natürlich nur, wenn die auf der Messe geschuldete Zahlung
nicht erfolgt war, also erst nach Ablauf der Zahlungszeit, so-
mit in der Regel erst zu Ende der Messe, sofern nicht ein
früherer Zahlungstermin vereinbart war.
Diese Bedeutung des prendre Iettres de foire wird aber
auch unwiderleglich erwiesen durch die wichtigen Nachrichten,
welche uns anderweitig über die Rechtsgewohnheiten der
Messen erhalten sind:
In den mit unseren Manuskripten etwa gleichzeitigen
Privileges et coustomes (Bourquelot II p. 321 ff.) heisst es:
18. Item apr^ clianges abatus, doit la justice bailler
Iettres contre ceuls qui defaudront de foire (d. h. flüchtig
sind, fuitifs, daher nicht exequirt werden können) en la forme
qu'i! sera ordonn^, que les sergents porteront — .
■ UeiDC Univemlgeschiclite S. >3oK, 134 C
* Meine Uniretsalgstclilchte S. 331.
itizecy Google
250 I^ GetchUbopentioiicn anf dm Messen der ChMipagne.
Dagegen heisst es sab 19: Item aprte cbanges abatnz,
la justice ne recevra ntd octroi d'obligation, — ich mOcbte
diesen dunkeln Ausdruck von der durch die ßesiegeloog er-
folgenden gerichtlichen lAutorisationc der Messkontrakte ver-
stehen; jedenfalls sind die sub 18 erwähnten *lettres<, welche
erst nach changes abatus ausgefertigt werden, nicht die unter
Messsiegel vor changes abatus angefertigten >Obligationen<.
Von diesen letzteren ist sodann unter 20 die Rede: instru-
ment scellä du scel des dites foires. IDagegen kehrt 21
zurück zu den sub 18 erwähnten lettres: Item, sur les fuitifs
de la foire, seront prinses (d. h. prises) lettres premiferes,
secondes et tierces, mit Exekutivkraft vor allen Gerichten.
Ganz Übereinstinuneod heisst es in den jüngeren coustumes,
stille et nsaige, an verschiedenen Orten, insbesondere Bour-
quelot II p. 337: es gebe zwei Arten von obligations
(ä toujours): li un est faiz ceur ä ceur en foire (d. h. en
couTS de foire oder de cors de foire = sur le cors de foire,
d. h. anf der Messe selbst im örtlichen Messbezirk kontra-
hirt' — die Kaufschulden werdai in das Messregister ein-
getragen; die zweiten, sichereren erfolgen en vertu des mande-
mens des foires (d. h, richterlicher Befehle) empArä ä requeste
d'un cr^ancier des foires adressans au debteur, pour luy con-
traindre de la somme qu'il doit h son cr^ancier et ex^cut^
par la justice etc. : also richterliche Exekutionsmandate , auf
einseitiges Verlangen des Gläubigers erlassen. Diese lettres,
wie sie anderweitig genannt werden, auch imandemens des
foiresc (eod. p. 354), sind nicht die lettres obligatoires im ge-
wöhnlichen Sinn — vgl, auch die Ordonnance 1326 art. 2, 8,
10 (Ordonn. I p. 794 ff.), 1327 art. 11 (Ord. I p. 800ff.) — ,
sondern die exticutoires, und es wird auch anderweitig (z. B.
Houwald II p. 354) gesagt, dass die Gläubiger solche lettres
>prenaientc. Auf die zum Theil komplizirien Einzelheiten des
Verfahrens einzugehen, ist hier nicht der Ort; für die an-
genommene Bedeutung des prant on lettres de foire dürfte
die vorstehende Ausführung ausreichen.
■ Meine Univenalgetchidite S. 339 Note 154, — cf. auch courtnme«
bei Bonrquelot II p. 348: >et en Mt l'en let meUleuret lectrei obligatoires
izecoy Google
Die GeKhiftfopentÜODsii auf don Meven der Chtunpegne. 251
VII.
Es bat sich bisher das negative Resultat herausgestellt,
dass unsere Manuskripte keinerlei Anhalt fQr eine Abrechnung
unter den Besuchern der Champagner Messen, desgleichen
für Wechselbriefe, insbesondere Ritomowechsel , welche über
den nach Abrechnung verbleibenden Saldo ertheilt werden
müssen oder ertheilt werden, gewähren. Demungeachtet steht
nicht allein fest, dass, wie herkömmlich Wechsel zahlbar auf
die Champagner Messen gestellt sind, so auch von den Messen
Wechsel auf andere Messen (»cr&mces de foire en foire«) oder
auf andere Plätze abgegeben worden sind (Ordonn. 1311 und
1315 [I p. 484 bezw. 494]). Bei Pegolotti werden die
usuellen Verfallzeiten der letzterwähnten Wechsel genan an-
gegeben. Es ist femer selbstverständlich möglich, ja wahr-
scheinlich, dass diese Wechsel über den durch Abrechnung
bezw. sogar Skontratton ermittelten Schuldrest gelautet haben ;
nur sprechen weder unsere Manuskripte noch auch Pegolotti
von solcher Abrechnung oder gar Skontradon.
Dass aber ein Skoatrationsverfahren auf den Champagner
Messen bestanden hat, ergibt mit grosser Wahrscheinlichkeit
ein merkwürdiger Weise in dem vor 1210 geschriebenen
Poenttentiale des Robertus Flamesburiensis enthaltener Bericht.
Dieser Kanonist, wahrscheinlich Engländer von Geburt, Kanoni-
kus in dem Chorherrenstift St. Victor in Paris, Pönitentiar und
Lehrer daselbst, spricht in dem tractatus de usuris" von dem
Messwechsel :
§ 2. In nundinis mercatorum consuetudo est, ut sibi
ad invicem credant debita sua usque ad generalem
solntionem, quae est in fine nundinarum, et
gallice dicitur pagiament (d. h. payement). Pro XX
libris parisiensium non potui habere de manu ad manum ni^
XXIV libras andegavensium ; accepi ergo XXVI ad gene-
ralem solutionem. S. Ut mihi videtur, non est usura, quia
non emitur expectatio temporis. Si enim creditor tuus acces-
' Schulte, Roberti Flametbur. SuminR de matrimonio et de usuris — .
GieM«n i868; anch Schulte, Die Ge«cfaichte der Quellen und Literatur dei
kanoabchcB Recbti I ([875} S. 109 und aio. (Auungiweise mltgetbeilt vod
Aniohtlli, ZeitKhrift XVII S. lOg.) Ich habe die Stelle berats in meiDet
UniTcttalgeMhicIite S. 328 Note 100, aber nicht ToUitliidig, abgedrack^
, Google
252 ^e GdchiflsoperatioDen «nf den McMen der Ctuunptgne.
sisset, statim ei satisfecisset debitor tuus, sed emitiir con-
tractus cum aliis personis, ac si diceret debitor tuus:
Don potes habere pro XX libris parisiensium de manu ad
manum nisi XXIV libras andegavensium, dabo tibi XXVI, si
permiseris me satisfacere pro te aliis creditori-
bus tuis. Ecce hie non expectatur aliquis certus dies, sed
quandocünque aliquis creditor tuus repetit ali-
quid a te, satisfaciet ei ille, qui argentum tuum
emit, et ideo noa est hie expectatto, nee usura, alioquin esset
ibi eipeetatio et usura. Der Gläubiger (A) weist somit seinen
Schuldner (B) an, die an A geschuldete Summe zur Mess-
zahlzeit an einen Gläubiger (C) des A zu zahlen, xtaä B zahlt
für diese ihm gewährte Erlaubniss einen Auj^hlog (26 statt
geschuldeter 24 libr. andeg.). Es wird angenommen, dass
hier nicht, entgegen dem kirchlichen Wucherverbot, ein Zins-
aufschlag für eine gewährte Kreditfrist versprochen wird, son-
dern dass B seine Schuld (24 libr.) dem A abkauft gegen
die Verpflichtung , jeder Zeit , natürlich zur Messzahlzeit, an
C etwas mehr (26 libr.) zu zahlen. Es wird somit, wie häufig
sonst, das kirehUch verdächtige Geschäft unter der bequemen
Rubrik des >Kaufsc aufrecht erhalten. Sicher ist hiemach,
dass bei der igeneralis solutio« and zum Zwecke derselben
Delegationen im Gebrauch waren, und es sind damit die Ele-
mente der Skontration gegeben, indem selbstverständlieh die
Delegation insbesondere auch zu dem Zwecke geschah, um
Kompensationen indirekt zu ermöglichen ',
Weitere Spuren eines solchen Verfahrens ergibt z. B. die
Ordonnance von 1315 (Ord, I p. 584 ff.), welche sagt, dass
die cr^anees de foire en foire in Form der »vente, d'aehat ou
de changec vorkamen. Auf Delegation und Abrechnung
dürften endlich die zwar erst dem 15. Jahrhundert angehOrigen,
aber vielfach älteres Recht enthaltenden coustumes, stille et
usaige hindeuten, wo (Bourquelot n p. 355) gesagt wird:
II advient souvent que aucuns doit dehors de foire ä ung
autre et vient en foire, et cils qui doit pour celluy ä
* Dan die» schon toi den antiken GeldTsrlcelii wahncheinllch üt, lube
ich bei Betpfochung der antikea Orderklantd im Delet^tionirerlcalir bemerkt:
Zmitchrift der Sangnj-Stifhing fDr RechtiKeacliichte X (18S9) , Rom, Abtib.
:;. 395 [abgednckt oben S. ao6, 20}].
itizecy Google
Die GeichifuaperatioDen auf den Meuen der Cham;>agiie. 253
qui il doit dehors foire, (fait?) du consentemeat de
celluy ä qui il doit, creance en foire ä ung autre,
aucune fois od fait lectres, aucune fois non, et telz cr^ant
valent, combien que paravant ne fussent debtes de foire;
aucune fois n'est pas präsent cilz pour qui li cröant sy faict.
Es wird so eine ursprüngliche Nichtmessschuld , welche
daher nicht die Privilegien der auf der Messe kontrahirten
Schulden genoss ' , dadurch statthafter Weise in eine Mess-
tichuld verwandelt, dass sie auf der Messe mit Genehmigung
des vielleicht auf der Messe nicht einmal gegenwärtigen
Gläubigers einem andern Gläubiger (wahrscheinlich einem
Gläubiger des ersten Gläubigers) mündlich oder schriftlich
delegirt wird.
' Meine UniveisalgeKhichie S. iiS, 319 Note 154.
izecoy Google
D, Google
9.
UEBER
EDITIONSPFLICHT,
INSBESONDERE BETREFFEND
GEMEINSCHAFTLICHE URKUNDEN
UND HANDELSBÜCHER.
(Em RECHTSGUTACHTEN.)
(1882.)
iLCD, Google
D, Google
Von dem Bankhause X. & Cie. in Köln a. Rh. bin ich
um ein rechtliches Gutachten über einen zwischen diesem
Bankhause und dessen Theilhabern als beklagter Partei einer-
seits, der Frau A. B. geborenen X. und Genossen als kläge-
rischer Partei andererseits schwebenden Rechtsstreit, betreffend
die Edition gewisser Handelsbücher des beklagten Bankhauses,
eventuell Rechnungslegung desselben, angegangen.
Behufs meiner Information über den Thatbestand ist mir
von Herrn Th. X,, Theilhaber des beklagten Bankhauses, eine
Anzahl von Prozessschriftstücken und bisher ergangenen ge-
richtlichen Urtheilen, ausserdem eine Anzahl anderweitiger, in
einem Konvolut von 230 Seiten Folio (dazu ein »Akten-
verzeichnisst von 101 Nummern) enthaltener Schriftstücke
mitgetheilt worden. Aus diesen Materialien entnehme ich den
nachfolgenden Thatbestand.
I. Thatbestand.
1. Der Kommerzienrath W. L. X. in Köbi a. Rh. hat
seit dem 1. Januar 1858 mit dem Bankier A. M. daselbst in
einer offenen Handelsgesellschaft unter der Firma X & Cie.
gestanden. In diese Gesellschaft sind successive die Söhne des
Ersteren, welche noch gegenwärtig mit Herrn A. M. das
Bankgeschäft fuhren, die Herren Th. X-, O. X. und W. X.,
als offene Gesellschafter eingetreten. Durch einen 1868
zwischen dem Kommerzienrath X. , dessen Ehefrau , deren
Söhnen, Töchtern und Schwiegersöhnen geschlossenen, dem-
nächst in dem Testament des Ersteren 1869 als Bestandtheil
dieses Testaments bestätigten »Familienvertragi wurde »im
Interesse der Familie« festgestellt, dass das am 1. Januar 1864
in der Handlung befindliche >Guthaben< des Herrn Kom-
Galdichmldt, VrriDÜctateScbnrtdii. U. I7
, Cioogle
258 Ueber Editionip flicht, instxs. betr. gemdnschiAl. Urkanden etc.
merzienrath X. »auf die Dauer der] Societät, resp. solange
Söhne oder Schwiegersöhne desselben die Firma X. & Cie.
führen, jedoch längstens bis zum 1. Januar 1884, gegen eine
Verzinsung von 4 Prozent — welche unter Umständen für
einige der betheiligten Geschwister X. auf 5 Prozent erhöht
werden sollte — in dem Geschäft belassen bleibt.*
Diesem Familienvertrage entsprechend wurde durch einen
neuen Gesellschaftsvertrag vom 26. Juni 1869 das Verhältniss
zwischen den Theilhabem des Bankhauses X, & Cie. dahin
geändert, dass der Kommerzienrath X. jedem der drei ge-
nannten Söhne auf dessen elterliche Erbschaft Thaler
gegen Verzinsimg von 4 Prozent als Einschuss in die Hand-
lung Überschreiben Hess, sich weiter verpflichtete, ein Kapital
von Thalem gegen gleiche Verzinsung , solange min-
destens einer seiner Söhne oder Schwiegersöhne in der Hand-
lung bleibt, spätestens aber bis zum 1. Januar 1884 in der
Handlung zu belassen, endlich bis zu seinem bereits vor-
gesehenen Austritte selbst mit nur 4 Prozent an dem Gewinn
und Verlust des Geschäfts betheiligt blieb.
Am 30. Juni 1874 ist der Kommerzienrath X. gänzlich
aus der Gesellschaft ausgeschieden. Die durch Vertrag vom
26. Juni 1869 bis zum l. Januar 1875 prolongirte Gesellschaft
besteht noch gegenwärtig unter den oben genannten \-ier
Theilhabem; die Herren Th., O. und W. X. sind vertrags-
mässig verpflichtet, nicht vor dem 1. Januar 1884 aus der
Gesellschaft auszutreten.
Am 23. November 1876 ist der Kommerzienrath X. ge-
storben.
Als Betrag der demselben bei seinem Tode gegen die
Handlung X. und Cie., sowie gegen seine in der Gesellschaft
befindlichen Söhne zustehenden Ansprüche ist die Summe von
Thlr -I- Thlr + Thlr ermittelt; die
darüber von Herrn Th. X. vorgelegte RechnungsUbersicht
vom 12. Dezember 1876 ist, unter Verzicht auf jede weitere
Inventur, von sämmtlichen Miterben als richtig anerkannt:
Verhandlung vom 12. Dezember 1876.
Endlich wurde der hiemach einem jeden der hier in Be-
tracht kommenden Erben zustehende Antheil am väterlichen
Nachlass als Guthaben bei der Firma X. & Cie. gutgeschrieben
und erklärten sich die betreffenden Erben durch diese Gat-
ThatbesUnd. 259
Schrift für ihre Nachlassansprüche, soweit solche wider die
Handlung X. & Cie. oder deren Theilhaber bezw. Herrn
A. X. in London gingen, befriedigt,
Die von den sämmtlichen Miterben bestätigten Gutschriften
der Handlung X. & Cie. lauten Übereinstimmend:
Köln, den 30. Januar 1878.
Unter Bezugnahme auf umstehenden Brief unseres
Herrn Th. X. theilen wir Ihnen hierdurch mit, dass
wir Ihnen zu Lasten des Guthabens des verstorbenen
Herni W. L. X.
, J!^*? l Valuta 31. Dezember 1876
imd Mark )
auf Geheimbuchkonto gutgeschrieben haben , indem
wir Ihnen bezüglich des letzteren Betrages von
Mark bestätigen, dass wir Ihnen denselben
laut den getroffenen Vereinbarungen in drei gleichen
jährlichen mit dem 1. Januar 1884 beginnenden Raten
auszuzahlen und bis dahin mit 4 Prozent Zinsen jähr-
lich zu verzinsen haben u. s. w.
X. & Cie.
2. Alsbald nach dem Tode des gemeinsamen Erblassers
hat Herr T. T., welcher erst nach dem Familienvertrage vom
30. Juli 1868 durch Verehelichung mit Fräulein E. X. in die
Familie eingetreten war, von Herrn Th. X. wiederholt die
volle und persönliche Einsicht in die Handelsbücher der Hand-
lung X. & Cie. begehrt, um auf diese Weise festzustellen, ob
nicht eine von ihm vermuthete rapportpflichtige Begünstigung
einzelner Miterben , nämlich der Söhne gegenüber den Töch-
tern, durch den gemeinsamen Erblasser vorliege. Er hat
dieses Begehren — nachdem er zunächst, unter Beitritt zum
Erbrezess, davon Abstand genommen hatte — später und dies-
mal in Verbindung mit anderen Miterben wiederholt, seit ein
letzter Brief des Kommerzienraths X. an dessen Ehefrau vom
6. Mai 1874 zur Kenntniss der Erben gelangt war, aus
welchem einige derselben zu entnehmen glaubten, dass rapport-
pflichtige Begünstigungen der Söhne gegen die Töchter er-
folgt wären. Das alsbald zu erwähnende Urtheil des Königl.
Landgerichts zu Köln vom 17. November 1880 spricht übrigens
dem gedachten Briefe jede Beweiskraft in dieser Richtung ab.
Dem Verlangen auf Einsicht in die Handelsbücher wurde
, Google
260 Uebet Editiontpflicht, insbet. belr. gemeüuchaftl, Urkunden etc.
in dem begehrten Umfange nicht entsprochen, indem Herr
Th. X. zwar am 10. April 1880 die in seinen Händen befind-
lichen auf den Nachlass des Kommerzienraths X. bezüglichen
Papiere den Anwälten des Herrn T. und der sich demselben
anschliessenden Miterben zur Einsteht vorlegte, dagegen in
üebereinstiromung mit seinem Associö, Herrn A. M., die Vor-
legung der im Besitze der Gesellschaft befindlichen Handels-
bücher der Gesellschaft ablehnte: der Erstere wegen des be-
leidigenden und ehrverletzenden Charakters dieser Fordenmg,
Beide, weil den Miterben ein derartiges Recht gegen die Ge-
sellschaft nicht zustehe.
Auf einen von Herrn Th. X. gemachten Vergleichs-
vorschlag, desgleichen auf dessen Vorschlag, über die Streit-
frage bindende Gutachten allseitig acceptirter Anwälte ein-
zuholen, wurde von den Gegnern nicht eingegangen.
3. Demnächst ist vor der ersten Civilkammer des Königl.
Landgerichts zu Köln Klage erhoben worden auf nachträg-
liche Theilung des väterlichen Nachlasses von den Eheleuten
T. T. und E. geb. X. gegen die sämmtlichen Miterben des
Kommerzienraths W. L. X., nämlich 1) den Bankier A. X.
zu London, 2) den Bankier Th. X., 3) den Bankier O. X.,
4) den Bankier W. X-, 5) die Eheleute Kommerzienrath B. C.
und A. geb. X. , 6) die Eheleute Kaufmann V. W. und B.
geb. X., 7) die Eheleute Kommerzienrath C, B. und A. geb. X.,
2 — 7 zu Köln, 8) die Eheleute Kommerzienrath M. und L.
geb. X, zu T. — unter denen jedoch die Eheleute W., M.
und B. sich der Klage angeschlossen haben.
Die Kläger und die denselben beitretenden Beklagten be-
haupten, es seien von den übrigen Beklagten zur väterlichen
Nachlassmasse verschiedene Zuwendungen zu rapportiren.
Als solche werden, soweit für die Zwecke dieses Gut-
achtens in Betracht kommt, in dem Thatbestand des Urtheüs
dfes Königl. Landgerichts vom 17. November 1880 aufgeführt:
2. Nur den drei Theilhabem der Gesellschaft X. & Cie.
sei zu Gute gekommen die vertragsmässige Bestim-
mung, Inhalts welcher das ganze Vermögen des Erb-
lassers bis zum 1. Januar 1884 gegen eine Vergütung
von 4 Prozent bei dem Geschäfte festgelegt sei.
3. Die Gewinnbetheiligungen, welche der Erblasser den
Thatbeitand. 261
gedachten drei Söhnen laut Vertrag vom 24. De-
cember 1863 und 26. Juni 1869 habe zufliessen lassen,
charakterisiren ftlr sich und in Verbindung mit dem
unter 2. angeführten Momente die gedachten Verträge
als fraudulose Geschäfte zum Nachtheile der Übrigen
Familienglieder.
4. Es seien sehr erhebliche Beträge des Geschäftsgewinnes
während der Mitgliedschaft des Erblassers in der
Firma X- & Cie. ursprünglich nicht vertheilt worden,
hätten vielmehr, unter einem besonderen Konto gut-
geschrieben bezw. verwaltet, in dem Geschäfte weiter
gearbeitet, seien aber demnächst an die gedachten drei
Theilbaber vertheilt worden und in deren Privat-
vermögen übergegangen ; insbesondere seien im Jahre
1869 an den Beklagten O. X. und an den Beklagten
Th. X. je Mark vertheilt worden; gleichwohl
habe dieser Fonds bei Austritt des Erblassers aus der
Firma noch Mark betragen und der Erblasser
nur 4 Prozent erhalten.
5. Dahin gehörten endlich die Kapitatsbetheiligungen
von je Mark , welche der Erblasser laut Ge-
sellschaftsvertrag vom 26. Juni 1869 jedem der drei
genannten Söhne in den Büchern habe überschreiben
lassen, so dass jeder derselben für je diesen Betrag
Gläubiger auf Kapitalkonto der Firma X. & Cie.
und für denselben Betrag Schuldner des Erblassers
wurde. ~
Von diesen Klagebehauptungen ist durch Urtheil des
Königl. Landgerichts vom 17. November 1880 nur die ad 4
und nur insofern sie dahin geht, dass an die Beklagten O. und
Th. X. je Mark aus dem Reservefonds vertheilt seien,
zum Beweise gestellt, im Uebrigen die Klage schlechthin ab-
gewiesen, und zwar weil die ad 2., 3., 5. behaupteten That-
sacben eine Rapportpflicht überhaupt nicht begründen , die
Behauptungen ad 4. aber, mit einziger Ausnahme der als
kollationspflichtige Schenkung zu erachtenden angeblichen Zu-
wendung von Mark, weitaus zu vage seien, um daraus
auf eine Rapportpflicht der Beklagten in bestimmter Höhe
schliessen zu können.
oy Google
263 Ueber Editianspflicht, imbei. betr. gemäuscliiftl. Urkunden elc
4. Der Thatbestand des weiteren am 30. März 1881
unter denselben Parteien und den Intervenienten X. & Cie.
und A. M. ergangenen Zwischenurtheils der ersten Civil-
kammer des KOnigl. Landgerichts zu Käln und des Königl.
Oberlandesgerichts daselbst vom 2. Mai 1881 ergibt femer;
Es erging Beschluss, über die in dem Urtheil vom 17, No-
vember 1880 für erbeblich erachtete Klagebebauptung Zeugen-
beweis zu erheben. Nach abgehaltenem Zeugenverhör be-
antragten die Kläger ursprünglich Edition, demnächst die
Bewilligung einer Frist behufs Herbeischaffung gewisser im
Besitz der Handlung X. & Cie. befindlichen Urkunden. Die
Beklagten Th., O. und W. X. verkündeten ihrem Associ^,
A. M., den Streit, weil sie durch Vorlage der begehrten Ur-
kunden gegen den Gesellschaftsvertrag Verstössen würden.
Nachdem ursprunglich Herr A. M. intervenirt, aber die Inter-
vention zurückgezogen hatte, intervenirtea das Bankhaus
X. & Cie. und dessen Theilhaber, Herr A. M., mit dem An-
trag, die Intervention anzunehmen und das Gesuch um Frist-
bewilligung zu verwerfen. Durch Zwischenurtheil des Königl.
Landgerichts vom 9. März 1881 wurde die Zulässigkeit der
Nebenintervention anerkannt, auf sofortige Beschwerde der
Kläger hingegen durch Zwischenurtheil des Königl. Ober-
landesgerichts vom 2. Mai 1881 deren Unzulässigkeit aus-
gesprochen, weil den Intervenienten ein zur Anstellung der
Nebenintervention nach der Civilprozessordnung ausreichendes
Interesse fehle.
Der Antrag der Kläger war dabin gerichtet, dass eine
Frist zur Herbeischaffung folgender Urkunden bestimmt werde :
der Jahresabschlüsse der Gesellschaft X. & Cie.
per 31. December 1867, 1868, 1869;
der Rechnungsauszüge über den Geschäftsverkehr
des Erblassers mit seiner Firma X, & Cie.
Der so formulirte Antrag wurde durch Urtheil des
Königl. Landgerichts als unstatthaft abgewiesen. In den Ent-
scheidungsgrUnden heisst es, dass, abgesehen davon, ob die
»Rechnungsauszüge! hinlänglich genau bezeichnet seien, ob
femer die bezeichneten Schriftstücke als »Urkunden* zu er-
achten seien, und ob sie in der gegenwartigen Streitsache be-
weisen könnten, jedenfalls eine Editionspflicht der Firma
X. & Cie. gegenüber den Erben des Kommerzienraths X. nicht
ThatbeMaDd. 263
glaubhaft gemacht sei, vielmehr § 6 des Societätsvertrages
vom 26. Juni 1869 ia rechtlich statthafter und durchaus un-
zweideutiger Weise die Editionspflicht des Bankhauses X. & Cie.
hinsichtlich der Bücher desselben den Erben eines Mitgesell-
schafters gegenüber ausschliesse.
5. Demnächst stellte die Klagepartei des Hauptprozesses,
nämlich Frau A. verw. B. — welche jedoch in der münd-
lichen Verhandlung von der Klage zurückgetreten ist — , die
Eheleute W., M. und T. gegen das Bankhaus X. & Cie, be-
ziehentlich gegen dessen Theilhaber: die Bankiers A. M-,
Th. X., O. X., W. X., bei der ersten Kammer für Handels-
sachen des Königl. Landgerichts zu Köln Klage dahin an:
iKSnigl. Landgericht wolle die Beklagten für ver-
pflichtet erklären und verurtheilen, folgende Urkunden
im Original oder beglaubigter Abschrift oder in einer
sonst von den Gerichten zu bestimmenden geeigneten
Weise vorzulegen bez. zur Einsicht der Kläger zu
stellen, nämlich:
1) die über den Geschäftsverkehr des Bankhauses
X. & Cie. mit dem verstorbenen Kommerzien-
rath X. aus Köln geführten Konti, insbesondere
die laufenden Rechnungen;
2) die Jahresabschlüsse der Firma X. & Cie. bis
zum 30. Juni 1874, insbesondere diesen letzten
und die vom Jahre 1867 an;
3) das in demselben Bankhause geführte Reserve-
Konto.
Eventuell soweit die beklagte Firma Kontokorrent-
und Bilanz-Anerkenntnisse nicht besitzen sollte, wolle
Königl. Landgericht die Beklagten verurtheilen, über
diese Zeit des Geschäftsverkehrs und des Geschäfts-
verhältnisses Rechnung zu legen.«
Durch Urtheil vom 1. December 1881 ist dem prinzipalen
Antrag gemäss, jedoch mit Beschränkung der Editionspflicht
auf die bis zum 30. Juni 1874 geführten Konti und gemachten
Geschäftsabschlüsse, erkannt, der eventuelle Antrag dagegen
abgewiesen.
Aus der Klageschrift und dem Thatbestande des vor-
erwähnten Urtheils ergibt sich nicht mit ausreichender Be-
„Googlc
264 Ueber EditionspAicht, insbes. bett. gtmcinschafU. Urkunden etc.
stimmtheit, ob die Editionsklage lediglich bezweckt, Einsicht
in die zur Ausmittelung angeblicher Conferenda dienlichen
Urkunden zu erlangen. In der Klageschrift wird in dieser
Beziehung nur gesagt:
»Das Reserve-Konto und die Abschlüsse und Konto-
korrente nach 1867 sind den Klägern von ganz be-
sonderer Wichtigkeit, weil der dem Erblasser an dem
Reserve-Konto zustehende Antheil baar an die Söhne
mit Uebergehung der Töchter unentgeltlich vertheilt
worden ist. Diese Vertheilungen haben stattgefunden
im Betrage von mindestens 600,000 (?) nach dem
Jahre 1867. Letztere Beträge sind selbstredend dem
Rückbringen unterworfen, welche Ausgleichung der
Erblasser auch ausdrücklich in einem Briefe vom
6. Mai 1874 vorgeschrieben hat. Um die Höhe der
Beilage und namentlich der baaren Vertheilungen
festzustellen , sind das Reserve-Konto und die Konto-
korrente unumgänglich nothwendig.«
Aus dem Thatbestande ergibt sich weiter, dass die Kläger
ihre Editionsanträge auf alle im Erbtheilungsprozess auf-
gestellten Behauptungen, somit auch auf diejenigen stützen,
welche das Urtheil der Civilkammer des Königl. Landgerichts
vom 17. November 1880 betreffs der erhobenen Erbtheilungs-
klage als unerheblich oder rechtlich unschlüssig erklärt hat;
femer die klägerische Behauptung: zur Feststellung der Nach-
lassmasse sei die Edition der geforderten Urkunden noth-
wendig, um so mehr, da ihnen aus dem Nachlasse ihres Erb-
lassers keinerlei Urkunden zugegangen seien, welche über die
in den zu edirenden Urkunden niedergelegten Rechnungsver-
hältnisse Aufschluss gewährten.
Im Uebrigen imd anscheinend über den Zweck einer
blossen Feststellung der angeblichen Conferenda hinaus heisst
es in der Klageschrift: der klägerische Erblasser habe als
Theilhaber mit der Handlung X. & Cie. in einem Gesell-
schaftsverhältniss und als Kunde in Geschäftsverbindung ge-
standen: es sei anzunehmen, dass der Erblasser nie eine Ab-
schrift der betreffenden Skripturen erhalten habe.
Endlich findet sich in dem Thatbestand die weitere Be-
hauptung, es sei den Klägern noch niemals vollständig Rech-
-oslc
ThUbestind. 265
nung gelegt worden, und die erfolgte Theilung sei nur eine
partielle gewesen.
Die Editions p f ii c h t der beklagten Partei wird gestützt :
1) auf die Stellung, welche ihr Erblasser der Gesell-
schaft gegenüber als Theilhaber und als Kunde eingenommen
habe;
2) darauf, dass die begehrten Urkunden, insbesondere
der Bilanzabschluss und das Reserve-Konto gemeinschaftliche
Urkunden aller Gesellschafter seien: CP.O. § 387;
3) subsidiär auf die Grundsätze des gemeinen Rechts
über die Urkunden-Edition, bez. des D.H.G.B.'s Art. 105 ff.
bez. 145.
Die Pflicht zur eventaellen Rechnungsstellung wird als
selbstverständlich bezeichnet fUr diejenige Zeit, fUr welche
Bilanz nicht oder nicht fertig gemacht sein sollte oder für
welche eine der beklagten Firma ertheilte Anerkennung des
Kontokorrents nicht vorliegt.
Das Urtbeil der Kammer für Handelssachen des Königl.
Landgerichts vom 1. December 1881 steht in dem entscheiden-
den Punkte mit dem Zwischenurtheil der Civilkammer des
Königl. Landgerichts vom 30. März 1881 in direktem Wider-
spruch.
Es wird ausgeführt:
1) Die Statthaftigkeit der Editionsklage gegen den Dritten
bestimme sich niemals danach, ob dem Gesuch auf Frist-
gewährung im Hauptprozess entsprochen sei,
2) Das Verfahren im Editionsprozesse bestimme sich ledig-
lich nach allgemeinen Frozessgrundsätzen , insbesondere nicht
nach CP.O. § 395.
3) Eine Verpflichtung zur Edition nach den Vorschriften
des bürgerlichen Rechts sei nicht begründet, dagegen treffe
zu der Editionsgrund der Gemeinschaftlichkeit der Urkunden.
Als gemeinschaftlich seien anzusehen:
1) die Rechnungen Über alle Geschäftsverhältnisse, welche
W. L. X. als Theilhaber oder als Kunde mit der Firma ge-
habt habe — das ergebe sich aus den Grund^tzen des ge-
meinen Rechts über die Editionspflicht der argentarii hinsicht-
lich der für ihre Kunden geführten Rechnungen — ,
2) die Jahresabschlüsse der Firma X. & Cie. zwischen
allen Theilhabem,
oy Google
266 Ueber EdJtionspflicht, iiubes. bett. gemeiiucluftl. Urkunden etc.
3) das Reservekooto , weil zur Vervollständigung der
Bilanz gehcrig.
Die Edition aller dieser Urkunden hätte der Erblasser
von der Firma begehren können; folglich sei auch jeder seiner
Erben zu einem solchen Begebren befugt.
Betreffs der Editionspflicht aller dieser als Handelsbücber
anzusehenden Urkunden sei ein Widerspruch zwischen den
Vorschriften der C.P.O. und den allerdings in erster Linie
maassgebenden Bestimmungen des H.G.B.'s Art. 37 Abs. 1,
Art. 38, 40 nicht vorhanden.
Endlich stehe Art. 6 des Gesellschaftsvertrages vom
26. Juni 1869 dem Anspruch der Kläger nicht entgegen, da
derselbe nur für den Fall disponire, dass einer der Gesell-
schafter während bestehender Gesellschaft sterbe, nicht aber
für den Fall, dass das Gesellschaftsverhältniss schon vor dem
Tode des betreffenden Gesellschafters durch dessen Austritt
gelöst sei. Die in Societätsverträgen so häufige Klausel be-
zwecke, die MitgeseUschafter gegen das unliebsame Eindringen
Fremder in die Angelegenheiten der Gesellschaft zu schützen;
— trete aber ein Gesellschafter freiwillig aus, so bedürfe es eines
solchen Schutzes nicht, da beim Austritte entsprechende Bestim-
mungen getroffen werden könnten. Daher komme auch die
in dem Brief vom 7. Mai 1874 ausgesprochene rechtlich un-
verbindliche Meinungsäusserung des W. L. X. nicht in Be-
tracht. Es brauche daher auch nicht untersucht zu werden,
ob die etwaige hier nicht vorliegende vertragsmässige Aus-
schliessung der Edition überhaupt statthaft gewesen wäre.
Das zur klageweisen Geltendmachung ihres Editionsrechts
erforderliche rechtliche Interesse der Kläger liege in deren
im schwebenden Erbtheilungsverfahren erhobenen KoUations-
ansprtichen, welche sich aus den gesellschaftlichen Verhält-
nissen des Erblassers in der beklagten Gesellschaft und aus
den innerhalb der Gesellschaftsangelegenheiten erfolgten Ver-
buchungen ergeben sollen. Es sei gleichgiltig , ob die Rech-
nungen zwischen W. L. X- und X. & Cie. seitens des Ersteren
anerkannt seien, da es sich gar nicht um Erhebung von An-
sprüchen gegen die Firma oder um Angriffe gegen die Giltig-
keit der von W. L. X. innerhalb der Gesellschaft verabredeten
Buchungen handle ; die Kläger unterstellten eben diese Ver-
buchungen und Berechnungen als giltig erfolgt und zögen
Rechtliche Beleuchtung. 267
daraus ihre Schlüsse rücksichtlich der Rapportpflicht einzelner
Betheiligten. Daher sei auch die etwa durch die vorgelegte
Privatbilanz von W. L. X. dokumentirte Anerkennung der
Rechnungen der Firma nicht erheblich. Endlich sei gleich-
giltig, dass die klagenden Erben die Erbtheilung vollzogen
haben, da die Ansprüche der Kläger sich gerade gegen die
Giltigkeit einer von ihnen erfolgten Anerkennung richten.
Das Material zur Losung dieser Streitfrage solle der Editions-
prozess schaffen.
Dagegen ist der Antrag auf Rechnungslegung abgewiesen
worden, weil, insoweit W. L. X. Kunde von X. & Cie. war,
die Beklagte vermöge der ihr auferlegten Editionspflicht ge-
halten sei, die Rechnung, welche die Firma für ihren Kunden
W. L. X- führte, vorzulegen; soweit aber das Verhältniss des
Theilhabers W. L. X. gegenüber der Firma in Frage stehe,
die Beklagten die entsprechenden Rechnungen und Jahres-
abschlüsse vorzulegen haben, während im Uebrigen die Gesell-
schaft oder die übrigen Theilhaber einem geschäftsfUhrenden
Theilhaber Rechnung zu legen nicht verbunden seien.
Gegen das vorstehende Urtheil ist Berufung eingelegt',
der Hauptprozess betreffend die Erbtbeilimg einstweilen sistirt.
II. Reohtliehe Beleuehtung.
A. Die prozessualische Lage.
§ 1-
Das Zwischenurtheil des Königl. Oberlandesgerichts zu
Köln vom 2. Mai 1881 hat die in dem Hauptprozesse ver-
suchte Intervention der gegenwärtig beklagten Partei aus dem
Grande als unstatthaft zurückgewiesen, weil derselben ein zur
Intervention nach der Prozessordnong ausreichendes Interesse
fehle. Denn die Intervenienten würden in einem durch besondere
Klage gegen sie erhobenen Editionsprozess »nicht schlechter
gestellt sein<, als in dem Falle, dass in Folge ihrer Intervention
die Frage der Editionspflicht als eigentlicher Incidentstreit
unmittelbar in den Hauptprozess hineingezogen werde.
■ [Du in dieKT Sache ergan^ne Uitheil dea Reicb^erichts [EntBch. XII
S. 413 ff.) behandelt, Eoweit veiflfTeDtlicht , Dur die auf g§ 3S7 Z. z, 394
gettatzte BegTÜDdang der KUge and tritt intoweit im WcHntlichen dem Gold-
Khmidt' sehen Gutachten bet.J
oy Google
268 Ueber EdittonapflicM, inibes. betr. gemeiiiicliaftl. Urkunden etc.
Diese Entscheidung ist unzweifelhaft richtig, allein die
Kammer für Handelssachen des Königl. Landgerichts hat aus
derselben einen unrichtigen Schluss gezogen. Das Königl.
Oberlandesgericht hat keineswegs entschieden, dass die Edi-
tionsklage trotz Verwerfung des Antrags auf Fristgewährung
unter allen Umständen erhoben werden dürfe; — eine Ver-
anlassung zur Sonderung der verschiedenen möglichen Editions-
grUnde aber lag für den Oberrichter um so weniger vor, als
in der That durch die Verwerfung des Antrags auf Frist-
gewährung die Lage der gegenwärtigen Editionsbeklagten
nicht nur nicht verschlechtert, sondern im Gegentheil min-
destens prozessualisch verbessert worden ist.
Die §§ 386 ff. der Civilprozessordnung regeln aus-
schliesslich das Editionsverfahren im schwebenden Rechts-
streit. Das Gesetz unterscheidet, ob nach der Behauptimg des
Beweisführers die Urkunde sich in den Händen des Prozess-
gegners befindet (§§ 386 — 392) oder in den Händen eines
Dritten (§§ 393-399).
Im ersten Falle erfolgt die Beweisantretung durch den
Antrag, dem Gegner die Vorlegung der Urkunde aufzugeben,
(§ 386) und ordnet alsdann, unter den gesetzlichen Voraus-
setzungen, das Gericht die Vorlegung der Urkunde bezw. die
Leistung des Editionseides bei Vermeidung der gesetzlichen
Versäumnissfolgen an {§§ 389-392).
Im zweiten Falle erfolgt die Beweisantretung durch den
in bestimmter Weise zu begründenden Antrag, zur Herbei-
schaffung der Urkunde eine Frist zu bestimmen (g§ 393, 395),
und hat alsdann das Gericht, sofern nicht zur Zurückweisung
des Antrags gesetzliche Gründe vorliegen (§ 398) , eine
peremptorische Vorlegungsfrist zu bestimmen (§ 396). Um
diese Vorlegung zu bewirken, hat der BeweisfUhrer gegen
den angeblich editionspflichtigen Dritten in dessen Gerichts-
stand Klaee zu erheben {§ 394).
Die C.P.O. enthält so keine Vorschriften für die Editions-
klage ausserhalb eines schwebenden Rechtsstreites, noch für
den Fall, dass im schwellenden Rechtsstreit dem Beweisführer
die nachgesuchte Frist zur Vorlegung der Urkunde vom Pro-
zessgericht verweigert oder die Beweisantretung aus besonderen
Gründen zurückgewiesen ist (§ij 395—398), noch endlich für
den Fall, dass das Hauptverfahren nach fruchtlosem Ablauf
GooqIc
Rechtliche Beleuchtung. 269
der Vorlegungsfrist oder, unter Umständen, schon vorher ohne
Erledigung des schwebenden Editionsstreites (§ 396 Abs. 2)
fortgesetzt wird.
Das Schweigen des Gesetzes kann einen doppelten Gnmd
haben.
Einmal, dass der Gesetzgeber den Editionsprozess gegen
den Dritten als ein durchaus selbständiges Verfahren be-
trachtet, welches prozessualisch besonders zu regeln er keine
Veranlassting gefunden und fUr welches er allenfalls lediglich
die materielle Voraussetzung, nämlich die Editionspflicht, näher
normirt hat {§ 394). Dieses Verfahren würde somit seine be-
sonderen Wege gehen; es würde auch nach völliger Erledi-
gung des Hauptprozesses fortgesetzt werden dürfen und, so-
bald es einmal zur mündlichen Verhandlung im Editions-
prozesse gekommen ist, auf Antrag jeder Partei fortgeführt
werden müssen (C.P.O. § 243 Abs. 1).
Oder, dass der Gesetzgeber das Editionsverfahren Über-
haupt, gleichviel ob gegen den Prozessgegner oder gegen
Dritte, nur als Zwischenstreit zulassen will.
Bietet die erste Annahme die unter Umständen unzweifel-
haft wünschenswerthe Möglichkeit, sich durch rein präpara-
toriscbe Editionsklagen das Materia) für einen künftigen
Rechtsstreit zu beschaffen, so knüpfen sich andererseits an die
zweite Annahme sehr erhebliche, vom Gesetzgeber zu berück-
sichtigende Vortheile.
Nicht allein werden bei dieser Annahme unnütze Prozesse
und Prozcssvervielfaltigungen vermieden, sondern es wird
augenscheinlich auch der dritte Editionspflichtige gegen frivole
Editionsklagen und deren Fortführung in weit höherem Grade
geschützt: theils durch die zeitliche Begrenzung des Editions-
prozesses (§ 396) und durch die unter Umständen statthafte
Zurückweisung einer derartigen Beweisantretung (§ 398);
theils durch die Nothwendigkeit, im Hauptprozesse den Inhalt
der betreffenden Urkunden, sowie die Thatsachen, welche durch
dieselben bewiesen werden sollen, so genau zu bezeichnen, dass
daraus ein schutzwürdiges Interesse des Editionsklägers an
Vorlegimg der Urkunde deutlich erhellt (§ 395 verbunden
mit § 389), Man dürfte auch dafür anführen das allgemeine,
noch weiter unten zu erOilemde Prinzip des Gesetzes, welches
die Editionspflicht des Dritten nicht als allgemeine Burger-
, Cioogic
270 Ueber EditiontpflEcliC, iDsbes. betr. gemniuchaftl. Urkunden etc.
pflicht , sondern nur innerhalb gewisser genau gezogener
Grenzen anerkennt; femer, dass eine präparatorische >Siche-
rung des Beweisesc hinsichtUch der Urkunden nur innerhalb
bestimmter gesetzlicher Grenzen (C.P.O. § 231 vergl. mit
§§ 447 ff.) anerkannt ist. Man darf nicht dagegen anführen,
dass das Editionsgesuch gegen Dritte im Wege der Klage
erhoben werden muss. Denn es wird damit, wie in den
Motiven des Gesetzes wiederholt hervorgehoben wird, lediglich
bezweckt, die Unterstellung des Dritten unter einen anderen
als seinen ordentlichen Richter zu verhindern, und wird überall
der Editionsantrag als lAntrag auf Sistirung des Haupt-
prozesses bis zur Erledigung der gegen den Dritten zu er-
hebenden Editionsklage I, das Editionsverfahren nur als Theil
des »Beweisverfahrensc charakterisirt.
Vgl. z. B. die Motive zu §§ 366 ff. des Entwurfs von 1871,
zu §§ 380 ff. des letzten Entwurfs (1874) S. 270.
Struckmann u. Koch, Die Civilprozess-Ordnung für
das Deutsche Reich zu § 393 (7. Aufl. zu § 428
S. 525).
Die Uebelstände eines neben dem Hauptprozess durchaus
selbstständig hergehenden Editionsprozesses werden durch die
Sachlage unseres Falles drastisch genug illustrirt. Das mit
der Hauptklage befasste Prozessgericht verweigert Frist-
gewährung, weil es an den prozessualischen und den materiellen
Voraussetzungen dafür, insbesondere an der Editionspflicht der
Handlung X. & Cie. fehle; es verneint die prozessualische
oder materielle Zulässigkeit gewisser KollationsansprUche,
während zum Zwecke der Beweisung eben dieser Ansprüche
die Editionsklage erhoben wird. Es ist so schon gegenwärtig
— wenn auch zufolge Sistirung des Hauptprozesses noch nicht
rechtskräftig — festgestellt, dass den Editionsklägem mindestens
hinsichtlich gewisser erhobener Ansprüche ein rechtliches In-
teresse an der Einsicht derjenigen Urkimden fehlt, deren Vor-
legung sie begehren, entgegen dem unzweifelhaft geltenden
Recht :
Vgl. z. B. Entscheidung des Obertribunals Stuttgart
(Seufferfs Archiv XVIll Nr. 271 S. 428/429) und
die spätere Erörterung (§ 5). —
Gleichwohl ist nicht anzunehmen, dass die Civilprozess-
ordnung die selbstständige Editionsklage gegen Dritte schlecht-
„Google
Rechtliche Beleuchlang. 271
hin ausschliessen wolle. Es ist vielmehr eiae zwiefache Aus-
legung derselben möglich:
1. Die gesammten Vorschriften der Civiiprozessordnung
Über die Editionsklage gegen Dritte beziehen sich lediglich
auf den Fall, dass der Editionsstreit in einem bereits an-
hängigen Hauptprozess erhoben wird; für einen anderen Fall
— den der durchaus selbststäüdigen Editionsklage — enthält
sie keinerlei Vorschriften, weder prozessualische noch auch
nur materielle, über die Editioaspflicht. Der Satz des § 394
CJ'.O.:
»Der Dritte ist aus denselben Gründen wie der
Gegner des Beweisführers zur Vorlegung einer Ur-
kunde verpflichtet«
gälte somit nur für den ersten Fall, und wäre so zu lesen:
Wenn in einem anhängigen (Haupt-) Prozesse die
Vorlegung der in den Händen eines Dritten befind-
lichen Urkunde begehrt und diesem Begehren von dem
Prozessgericht durch Fristsetzung entsprochen wird,
so ist der Dritte aus denselben Gründen u. s. f.
Für alle übrigen Fälle verbliebe es sonach hinsichtlich
der Editionspflicht des Dritten durchaus bei den Vorschriften
des betreffenden bürgerlichen Rechts, somit hier des rheini-
schen, welches keineswegs eine so weitgehende Editionspflicht,
als die §§ 387, 394 der C.P.O. bestimmen, anerkennt.
Vergl. unten § 5.
Es leuchtet ein, dass diese der beklagten Partei günstigere
und von derselben vertretene Auslegung nicht allein mit dem
Wortlaut des Gesetzes vollkommen verträglich ist , sondern
anscheinend auch mit dem Zwecke des Gesetzes, welches ja
das Editionsverfahren gegen Dritte nur als Bestandtheil des
> Beweisverfahrens t , somit in einem anhängigen Hauptprozess
behandeln will und darüber hinaus über die Editionspflicht
Bestimmungen zu treffen, keinen entscheidenden Anlass hatte.
2. Die Vorschriften der Civiiprozessordnung über die
Editionsklage gegen Dritte beziehen sich, insoweit sie die
Editionspflicht regeln, auf beide Fälle, auch auf den der
durchaus selbstständigen Editionsklage; aber die Hditionspflicht
ist für diese beiden Fälle verschiedenartig geregelt. Bildet
der Editionsprozess einen blossen, wenn auch durch besondere
Klage verfolgten Theil des Hauptprozesses, so ist der Dritte
oogic
272 Ueber Editioiitpflicht, iotbM. betr. gemeinichafd. Urknndeii «tc.
editionspflichtig sowohl nach Ziffer 2 wie nach Ziffer 1 des
§ 387 C.P.O. Steht der Editionsprozess ganz ausserhalb des
Hauptprozesses, so ist der Dritte editionspflichtig nur nach
Ziffer 1 des § 387 C.P.O. Dieser Gegensatz scheint nun in der
That in den §§ 394, 387 C.P.O. enthalten zu sein.
§ 394. Der Eh-itte ist aus denselben Gründen wie der
Gegner des Beweisführers zur Vorlegung einer Urkunde ver-
pflichtet.
§ 387. Der Gegner ist zur Vorlegung der Urkunde ver-
pflichtet:
1) wenn der Beweisftlhrer nach den Vorschriften des
bürgerlichen Rechts die Herausgabe der Urkunde
oder deren Vorlegung auch ausserhalb des Pro-
zesses verlangen kann;
2) wenn die Urkunde ihrem Inhalte nach eine für den
Beweisführer und den Gegner gemeinschaftliche ist.
Damit ist gesagt, dass lausserhalb des Prozessesc —
und dieser sProzess* ist selbstverständlich für den Dritten
der zwischen dem Beweisführer und dessen Prozessgegner
schwebende Hauptprozess — der Dritte nicht editionspflichtig
ist hinsichtlich solcher Urkunden, für welche eben eine Pflicht
zur Herausgabe oder Vorlegung »ausserhalb des Prozesses»
nach den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts nicht be-
steht, und dies sind eben, nach der Bestimmung der Prozess-
ordnung, die nur ihrem Inhalte nach für den Beweis-
führer und den Gegner (hier Dritten) gemeinschaftlichen
Urkunden.
Vgl. unten § 6.
Diese zweite Auslegung dürfte der ersten vorzuziehen
sein. Denn sie führt dahin, dass für den Geltungsbereich der
Deutschen Civilprozessordnung , also im ganzen Gebiet des
Deutschen Reichs, sowohl für den von der Civilprozessordnung
geregelten Fall eines schwebenden Hauptprozesses, dessen pro-
zessualisch geordneten Bestandtheil der Editionsprozess gegen
den Dritten bildet , als für den von der Civilprozessordnung
nicht geregelten, aber auch nicht ausgeschlossenen Fall eines
selbstständigen Editionsprozesses die Editionspflicht des Dritten
für das ganze Reichsgebiet gleichmässig geregelt ist: für den
ersten Fall dahin, dass die beiden Gruppen der Editionsgründe
lUchtliche BelevchtniiE. 27S
Anwendung finden; für den zweiten Fall dahin, dass nur die
erste Gruppe Platz greift.
Dieses Ergebniss ist aber aach ein dorchaos verständiges.
Denn es wird dadurch die ToUkommen selbstständige präpara*
torische Editionsklage gegen den Dritten in allen Fällen zu-
gelassen, in welchen das bürgerliche Recht, welchem er
unterworfen ist, ihn schlechthin zur Herausgabe oder auch
nur zur Vorlegung der betreffenden Urkunde verpflichtet;
falls hingegen der viel unbestimmtere, erst durch die Civil-
prozessordnung allgemein geregdte Editionsgrund der blossen
iGemeinschaftlichkeit des Inhalts« einer Urknnde vorliegt, soll
die Editionspflicht nur alsdann gelten, wenn bereits ein Hanpt-
prozess schwebt und der Richter des Hauptprozesses dem An-
trag auf Fristbestimmung behufs Herbeischaffang der be-
treffenden Urkunde willfahrt, weil nur alsdann diejenigen
Garantieen gegen völlig nutzlose oder gar vexatorische Edi-
tionsklagen gegeben sind, welche das Gesetz unmöglich ausser
Acht lassen darf.
Das Ergebniss entspricht endlich wesentlich dem bis-
herigen, mindesteas in einem sehr grossen Theile Deutsch-
lands geltenden Recht. Denn, wenngleich hin und wieder
ganz allgemein die Behauptung aufgestellt wird, dass die
Editionspflicht auch des Dritten hinsichtlich der sogenannten
•docnmenta communiac unbeschränkt bestehe bezw. bestanden
habe, so findet ^ich doch weder ein Beweis dafflr, insbesondere,
dass eine derartige Editionspflicht auch ausserhalb eines
schwebenden Hauptprozesses von den Gerichten anerkannt
worden sei, noch pflegt man sich über die Verschiedenheit
der EditionsgrUnde des »bürgerlichen Rechtsc und des Editions-
grundes der iGemeinschaftlichkeit« ausreichende Rechenschaft
zu geben (vgl. unten §§ 5, 6), noch endlich ist der Gegensatz
des nur präparatorischen selbstständigen Editionsstreites und
der durch einen schwebenden Hauptprozess veranlassten
Editionsklage bisher jemals ausreichend untersucht, geschweige
denn gewürdigt worden.
Dagegen liegt genau die hier durchgeführte Unterscheidung
dem früheren preussischen Prozessrecht zu Grunde, obwohl
dieses sogar, viel weiter gehend als die Deutsche Civilprozess-
ordnung, die Editionspflicht wesentlich nach den Grundsätzen
der Zeugnisspflicht behandelt. Im schwebenden Rechtsstreit
a Sduifteii. U. iS -^ .
I,.: L-oogle
'274 Ucber Ediltoiupflicht, insbet, betr. geineiiuchaftl. Urkunden etc.
ist auch die dritte in den Prozess gar nicht verwickelte Person
<Jem Editionsgesuch schlechthin Folge zu leisten verpflichtet:
Allg. Gerichtsordnung für die Preussischen Staaten
Th. I Tit. 10, § 91,
soweit nicht die blosse iPrivatkorrespondeuzi zwischen einer
Partei und diesem Dritten in Frage steht:
eod. § 92a;
dagegen, wenn es sich nicht um die >Ausmittelung einer in
einem Prozesse streitigen Thatsachec handelt, so kann die
Edition nur begehrt werden , falls dem Editionssucher aus
einem bestimmten > rechtlichen Grunde ein besonderer An-
sprach* darauf zusteht:
eod. § 93.
' Es wird also, um in der Sprache der Deutschen Civil-
prozessordnung zu reden, im letzten Falle verlangt, dass >der
Beweisführer nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts
die Herausgabe der Urkunde oder deren Voriegung auch
ausserhalb des Prozesses verlangen kann«, und es hat dem-
gemäss das Obertribunal durch Urtheil vom 1. Februar 1856
durdiaus richtig entschieden:
>Dass aber Jemand ohne einen bestimmten An-
spruch klagend geltend zu machen, ohne sich also der
richterlichen Prüfung dieser Klage zu unterwerfen,
und ohne Fixirung des Anspruches sowohl als der zur
Begründung desselben dienenden Thatsachen, bloss
dessbalb, auch ausserhalb der prozessualischen Ver-
folgung eines dadurch zu begründenden Ansprachs,
die Edition einer Urkande verlangen könne, um ach
erst zu informiren : ob ihm nicht vielleicht ein klagbar
zu machender Anspruch gegen den, der ediren soll,
oder möglicher Weise auch gegen einen Dritten zu-
stehe und solcher dadurch zu begründen sein möchte?
— eine solche Vorschrift ist unserer Gesetzgebung
völlig fremd.«
Entscheidungen des KOnigl. Obertribonals Bd. 32
No. 27 S. 225, auch Striethorst's Archiv Bd. 20
S. 105 ff.
Vgl. auch Heidenfeld, in der Zeitschrift für Gesetz-
gebung und Rechtspflege in Preussen,. herausg. von
Behroid, Bd. III S. 325 ft
itizecy Google
Rechüicbe Belmcbtnng. 275
Gegenüber dieser AusfUhruog kann eine gelegentliche,
die Entscheidung nicht tragende Bemerkung über den Begriff
der documenta communia und das auch für diese bestehende
»selbetständigei Editionsrecht (Entscheidungen des Königl. Ober-
tribunals Bd. 66 S. 287) mindestens für das gegenwärtig
geltende Recht auf sich beruhen. —
Für den vorliegenden Fall ist es unerheblich, ob der
ersten oder der zweiten Auslegung der CP.O. beigetreten
wird. Nach der ersten würde die Editionsklage, wie weiter
nachzuweisen ist, aus Gründen des materiellen Rechts ver-
sagen, weil im Gebiete des rheinischen Rechts die blosse >Ge-
meinschafüichkeit des Inhalts^ einer Urkunde keinen Editions-
grund bildet. Nach der zweiten versagt die Editionsklage,
weil die Gemeinschafthchkeit des Inhalts einer Urkunde keinen
Editionsgrund ausserhalb einer in einem Hauptprozess gehiJrig
zugelassenen Editionsklage bildet.
B. Die Editionspflicht.
1. Allgemeine Gesichtspunkte.
§2-
1. In dem Erbtheilungsprozess ist die offene Handels-
gesellschaft X. & Cie. selbstverständlich nicht Partei, auch sind
es nicht alle Mitglieder derselben "und nicht lediglich solche.
Wären aber auch die Beklagten des Erbtheilungsprozesses
und die Theilhaber der Handelsgesellschaft X. & Cie. völlig
identisch, so würden die letzteren doch in jenem Prozess nicht
in ihrer Eigenschaft als Theilhaber der Handelsgesellschaft
X. & Cie. belangt werden, da von ihnen weder Leistungen
aus dem den Gesellschaftsgläubigem primär verhafteten Ge-
sellschaftsvermOgen beansprucht werden , noch die Kläger
Gläubiger der beklagten Theilhaber in ihrer Eigenschaft als
Gesellscbaftsgläubiger sein würden. Die von den Beklagten
im Erbtheilungsprozesse begehrten Leistungen berühren somit
die Interessen der Gesellschaft X. & Cie., auch wenn man
dieselbe nicht als eine selbstständige (juristische) Person, son-
dern — dem geltenden Recht entsprechend — lediglich als
eine Personenverbindung mit eigenthümlich abgegrenztem Inter-
essen- und Vermögenskreis betrachtet, nicht einmal mittelbar.
Umgekehrt ist, was ira Editionsprozesse von der Gesell-
, Google
276 Ueber Bditionspflicht, incb««, betr. gemeuuchiAl. UriEnnden elc.
Schaft X. & Cie. begehrt wird, eine Leistung, welche nur von
der Gesellschaft, d. i. von der Gesammtheit der Theilhaber
als solcher, nicht und bei ihrer Untheilbarkeit auch nicht zum
kleinsten Theil von irgend einem oder mehreren ihrer Theil-
haber bewirkt zu werden vermag. Die Handelsbücher, deren
Vorlegung beansprucht wird, gehören lediglich der Gesaomit-
heit in deren Interesse;
H.G.B. Art 28, 33, verbunden mit Art 5, III, 145;
über dieselben kann kein einzelner Theilhaber wider den
Willen eines anderen Tbeilhabers auch nur zum kleinsten
Theile verfügen, da sie nicht zugleich Bücher irgend eines
einzelnen Gesellschafters sind:
H.G.B. Art. 111, 119-122, 131, 143, verb. mit Art 99,
102, 103.
Seuffert's Archiv XXXV Nr. 49 S. 79; Zeitschrift
f. Handelsrecht XX S. 285;
auf deren Einsicht hat kein Gläubiger irgend eines einzelnen
Gesellschafters ein Recht.
Vgl. unten § 5.
Bei Auflosung der Gesellschaft fallen dieselben nicht zu
entsprechenden Theilen an die einzelnen Mitglieder, sondern
sie bilden bis zu ihrer Vernichtung einen untheilbaren Ver-
mOgensgegenstand unter gemeinsamer oder sonst entsprechend
geordneter Verwaltung:
H.G.B. Art. 145.
Entscheidungen des Reichs-Oberhandelsgerichts Bd. VII
S. 69 ff.
Die etwaige Editionspflicht einzelner Theilhaber der Ge-
sellschaft X. & Cie. erstreckt sich somit nicht auf die Handels-
bUcher der Gesellschaft und involvirt nicht eine Editionspflicht
der letzteren. Die etwaige Editionspflicht der Gesellschaft
gegen ihre zeitigen oder gewesenen Theilhaber begründet nicht
eine Editionspflicht der Gesellschaft gegen iDrittec
Urtheil des hamburgischen Handelsgerichts vom 28. Sep-
tember 1868 (Hamburger Handel^erichtszeitung 1868
Nr. 207).
Bei gegentheiliger Annahme wäre das Geschäftsgeheimniss
und damit häufig das wirthschaftliche Geschick einer Gesell-
schaft der Willkür oder den unberechenbaren Vermägens-
wandlungen und VermOgensverwicklungen des einzelnen Theil-
, Google
Rechtliche Beleuchtung. 277
habers preisgegeben. Darüber hat auch niemals in kauf-
männischer Sitte oder FVaxis ein Zweifel bestanden.
2. Darüber hinaus haben die gewichtigsten Bedenken
schon seit Jahrhunderten zu erheblichen Einschränkungen hin-
sichtlich der Editionspflicht von Handelsbüchem Überhaupt —
in Gegensatz zu anderen Urkunden — geführt. Denn einmal
ist hier, anders als bei sonstigen Urkunden, meist nur aus
einer Mehrheit, häufig einer Vielheit in sich zusammen-
hängender Aufzeichnungen Aufschluss über einen ein^lnen
Streitpunkt zu gewinnen. Sodann enthalten, wie die Motive
zu Art. 37 des Entwurfs eines Handelsgesetzbuchs für die
preussischen Staaten hervorheben, die HandelsbUcher Ein-
tragongen der verschiedensten Art und geben über den ge-
sammten Geschäftsverkehr und VermOgensstand des Kauf-
manns Aufschluss, daher dem letzteren die Offenbarung in
vielen Fällen nachtheilig sein kann. Es steht darin Vieles,
was der redliche und gewissenhafte Geschäftsmann eben nur
für sich aufgezeichnet hat und dessen Bekanntgebung an Dritte
seinem Willen, seinem und vielleicht seiner Erben Interesse
durchaus widerstreiten würde. Es ist, wie der mit den Be-
dürfnissen des Handelsverkehrs wohlvertraute C. H. L. Brinck*
mann (Archiv f. civilistische Praxis Bd. 33 S. 94, 95) aus-
fuhrt, nicht allein für den Kaufmann von htlchstem Interesse,
den Stand seines Geschäfts, seine Geschäftsverbindungen und
den Umfang seiner Verpflichtungen nicht bekannt werden zu
lassen, sondern auch für seine Geschäftsfreunde, dass man
nicht den Umfang ihrer Geschäftsvertiindungen mit dem Pro-
duzenten der Bücher erfahre u. s. f. Dass sogar für die
römischen Bankiers (argentarii), welche eine sehr eigenthüm-
lich privilegirte , zugleich aber unter steter obrigkeitlicher
Kontrole stehende Klasse von Gewerbtreibenden gebildet
haben, eine anbeschränkte Editionspflicht ihrer Rechnungs-
bUcher nicht, gegen >Dritte< aber überhaupt nicht bestanden
hat, wird sich unten ergeben; ohnehin sind die von ihnen
geltenden eigenthümlichen Rechtssätze niemals in Deutsch-
land recipirt worden und gegenwärtig jedenfalls vOUig anti-
quirt. Die gegentheilige Annahme einzelner Schriftsteller,
auf welcher das Urtheil der Kammer für Handelssachen fusst,
verkennt das geltende Handelsprozessrecht und dessen Ent-
wicklung.
„Google
278 Ueber EdiüoQtpflJchl, intbe*. betr. gemeiiuchaftl. UtfcuDden etc.
So war denn auch in der älteren deutschen gemeinrecht-
lichen Praxis und Literatur allgemein anerkannt, dass der
der Kaufmann dritten Personen seine Btlcher zur Durchsicht
vorzulegen nicht verbunden sei:
Vgl. z. B. (Hansel) über den Beweis durch Handels-
bücher im Civilprozess, Leipzig 1830, S. 147, 151 ff.,
insbes. 166 ff.
Bereits die französische Ordonnance du commerce von
1673, tit. in art. 9, aus welcher art 14 des code de commerce
hervorgegangen ist, hat zur Abschneidung der bedenklichsten
Missbräuche —
Vgl. Savary, le parfait negociant, livre IV. eh. IV.
(Ausgabe von 1713 I p. 275) —
die früher sehr weit ausgedehnte Editionspflicht, insbesondere
aber Mittheilungspflicht erheblich eingeschränkt (vgl. § 3).
Ueber die Nothwendigkeit solcher Einschränkung ist auch die
gegenwärtige französische E>oktnn einig:
Vgl. z. B. Bödarride, droit commercial I 2, Des
livres de commerce (2* id.) zu code de commerce
art. 40 Nr. 271 ff. Ch. Lyon Ca6n et L. Re-
nault, pr^is de droit commercial I Nr. 217 ff.
Dem entsprechend stellte Art. 37 des preussischen Ent-
wurfs des H.G.B.'s die Pflicht zur Edition der Handelsbücher
auch dem Prozessgegner gegenüber in das richterliche Er-
messen, und bestimmte, dass von dem Inhalt der BUcher, »so-
weit er den Streitpunkt betrifft«, Einsicht genommen werden
kt^ne, der übrige Inhalt der Bücher dagegen nur insoweit
offen zu legen sei , als die Prüfung ihrer regelmässigen
Führung erfordere. Aber auch die so begrenzte, in § 38 des
Entwurfs erster Lesung aufgenommene Editionspflicht wurde
in der Detailberathung der zweiten Lesung ursprünglich von
der Nürnberger Konferenz verworfen (Protokolle S. 942), Bei
nochmaliger Berathung vertrat zwar der Referent den Stand-
punkt des Entwurfs, aber scharf betonend, dass die Inter-
essen des Kaufmannsstandes nothwendig eine Beschränkung in
Betreff des Umfanges der Edition mit sich brächten (Prot.
S. 944 ff., vgl. S. 56). Man entschied sich endlich, und auch
dies nur gegen lebhaften Widerspruch, die Editionspflicfat ein-
mal nur auf Antrag, sodann nur nach richterlichem Ermessen^
H.G.B. Art. 37 Abs. 1,
itizecy Google
RedUliche Belenchtune- 279
ecdlich nur mit der Beschränkung zuzulassen, dass nicht die
gegnerische Partei, sondern nur der Richter luuter Zuziehung
der Parteient von dem Inhalt der vorgelegten Handelsbücher,
»soweit er den Streitpunkt betrifft*, Einsicht zu nehmen habe,
und dass der übrige Inhalt der Bücher nur dem Richter und
nur insoweit, als dies zur Prüfung ihrer ordnuogsmässigen
Führung nothwendig ist, offen zu legen sei,
H.G.B. Art. 38 —
also nicht dem Gegner, weil dies »zu weit gehe und den In-
teressen des Handelsstandes widerspreche c (Protok. S. 945).
S. auch V. Hahn, Kommentar zum A.D.H.G.B. Art. 38
(in. Aufl. I S. 160 (IV. Aufl. S. 229 f.]); Anschütz
und V. Völderndorff, Kommentar h. 1. (Bd. I
S. 288); Puchelt, Kommentar h. 1. (3. Aufl., Bd. I
S. 78 [4. Aufl. S. 97]).
Dies gilt noch gegenwärtig.
§ 10 des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend die Ein-
führung der D.C.P.O., wollte, ausser den Art. 34—36 und 39,
auch den Art. 38 des D.H.G.B.'s aufheben, weil derselbe, wie
es in den Motiven [S. 485] heisst, nicht den Grundsätzen der
C.P.O. über den Umfang, in welchem eine Urkunde dem
Gegner offen zu legen ist, entspreche. Dem entgegen — also
in klarer Abweichung von den sonst für Urkunden geltenden
Grundsätzen, C.P.O. §§ 122, 385 — beschloss die Justiz-
kommission des deutschen Reichstags (Prot, der 121. Sitzung
S. 640) die Aufrechthaltung des Art. 38, weil derselbe »im
Interesse der Wahrung der Geschäftsgeheimnisse nothwendig
sei« , während andererseits und durchaus den Prinzipien der
Civilprozessordnung entsprechend, Art. 37 Abs. 2 des D. H.G.B.'s
nach dem Beschluss der Justizkommission (Prot, S. 640) auf-
gehoben wurde und es, trotz sehr gewichtiger Bedenken
(Prot S. 640, 641), bei der Aufhebung des Art. 39 H.G.B.'s
verblieb :
Einführungsgesetz zur D.C.P.O. Art. 13 Abs. 2
Ziffer 2.
Die Feststellung dieses aligemeinen Gesichtspunktes ist
von sehr erheblicher Bedeutung, weit hinaus über die Spezial-
frage hinsichtlich des Umfanges der dem Prozessgegner gegen-
über obliegenden Editionspflicht (unten g 7 a. E.).
::,y Google
280 Uebei Editionipfliclit, iniba. betr. gemeiiMcluAl. Uikiutden etc.
2. Die Editionspflicht und Mittheilungspflicht
nach den Grundsätzen des Deutschen Handels-
gesetzbuchs.
§3.
1. Die noch geltenden Art. 37 Abs. 1, Art. 38 des
D.H.G.B.'s statuiren eine dem richterlichen Ermessen unter-
liegende, in der soeben bezeichneten Weise beschränkte Pflicht
des Kaufmanns, seine HandelsbUcher dem Prozessgegoer
offen zu legen, und nur soweit der Inhalt der Handelsbücher
den aStreitpunkt betrifftc Eine lallgemeinef Ehirch-
musterung der BUcher, zumal um Rechtsverhältnisse zu er-
mittehi, welche den Editionsbeklagten gar nicht angehen, ist
völlig unstatthaft:
Vgl. U. des Handels-Appellationsgerichts Nurnberg
1866 (Busch's Archiv XI, S. 300), des obersten
österreichischen Gerichtshofs 1869, 1871,
1872 (eod. XXI S. 27, XXIII S. 24, XXVIII
S. 446).
Anschütz u. V. Völderndorff a. a. O. I
S. 288 ff.; Puchelt a. a. O. (3. Aufl.) I S. 79
[4. Aufl. S. 97].
So schon sogar hinsichtlich der argentarii:
1. 10 § 2 D. de edendo (2, 13): scilicet ut non
totum cuique codicem rationum totasque membranas
inspiciendi describendique potestas fiat, sed ut ea
sotum pars rationum, quae ad instruendum aliquem
pertineat, inspiciatur et describatur,
und allgemein c. 5 X de fide Instrument. (2, 22), vgl.
1. 4 C. de edendo (2, 1).
Die so begrenzte Editionspflicht besteht nach dem
D.H.G.B. einmal:
a) nur in Handelssachen. Denn nur auf diese erstrecken
sich überhaupt die Bestimmungen des D.H.G.B.'s — H.G£.
Art. 1 .— soweit nicht etwa das H.G.B. selbst eine »Nicht-
handelssachec durch deren gesetzliche Regelung zur >Handels-
sachec noacht:
Goldschmidt, Handbuch des Handelsrechts, 2. Aufl.,
I S. 476 Note 20 —
und es versteht sich, dass durch die nunmehrige Aufhebung
RttJUlicb« BclenchlUDg. 261
der Art. 34 — 36 H.G3.'s, welche dies ausdrücklich vorsahen
(>bei Streitigkeiten Über Handelssachenc) nicht auch der Sinn
der stehen gebliebenen Artikel des D.H.G.B.'s geändert ist:
Behrend, Lehrb. des Handelsr. I § 42 Note 57 u. Cit.;
O. A. G. Oldenburg, 1877 {Juristische Wochen-
schrift, herausg. von Hänle und LUntzel, Jahrg.
VI S. 197),
Übereinstimmend mit der franzöascben Doktrin und Praxis:
Alauzet, commentaire du code de commerce I Nr. 114
(2- Ä).
Dntruc, dictionnaire du contentieuz commercial, 6* äl.
n p. 153 Nr. 57,
sodann:
b) nicht gegenüber Dritten. In dieser Beziehung ist es
bei dem Landesrecht verblieben :
IVotokoUe der Nürnberger Konferenz S. 947.
Behrend, a. a. O. I § 42 Note 57; Endemann,
Deutsches Handelsrecht § 22 Note 33; Puchelt
a. a. O. I S. 77 [4. Aufl. S. 98],
somit gegenwärtig das Recht der deutschen Civilprozessord-
nung maassgebend, während z. B. das französische Recht
Dritten gegenüber eine Editionspflicht der HandelsbUcher über-
haupt verneint:
Alauzet a. a. O. I Nr. 112.
Delamarre et Lepoitvin, traitä du droit com-
mercial I Nr. 178 (2" id.).
2. Durchaus verschieden von der Hditionspflicht ist die
Mittheilungspflicht, welche auch ausserhalb eines Rechts-
streites behufs Kenntnissnahme des ganzen Inhalts von
Handelsbtlcheni, nach richterlicher, von jedem Parteiantrage
unabhängiger, ausschliessend in richterlichem Ermessen stehen-
der Anordnung, in vier durch das Gesetz genau begrenzten
Fällen besteht:
D.H.G.B. Art. 40.
In diesen Fällen handelt es sich nicht um Aufklärung
einzelner Punkte, sondern um die Ermittelung des Gesammt-
omfanges des HandelsvermOgens und des Geschäftsbetriebs,
für welche eben die Einsicht nur einzelner Einträge nicht aus-
reichen würde. In diesen Fällen:
::,y Google
282 Ueber Editioiupflicht, insbes. b«lr. gerne! nicbafU. Urkiuideii etc.
Erbschafts-Angelegenheiten,
Gütergemeinschafts Angelegenheiten,
Gesellschaftstheilungssachen,
Konkursverfahren über den Buchführer (vgl. R-KontO.
§§ 112—114),
ist die augenscheinlich nothwendige Offenlegung des ge-
sammten Inhalts sänuntücher HandelsbUcher auch rechtlich
selbstverständlich, wie im Falle des Konkurses, oder doch gar
nicht oder nur in geringem Maasse bedenklich. Denn einmal
hat in Fällen dieser Art der Handelsbetrieb des Buchfuhrers —
mindestens regelmässig — sein Ende erreicht; sodann sind
die Interessen der im Besitz der Bücher befindlichen und der
die Mittheilung der Bücher begehrenden Bfrsonen im Rechts-
sinne durchgehends äqual, so dass namentlich die Gefahr eines
unstatthaften Eindringens >E)ritter< in noch laufende Ge-
schäftsbeziehungen, wenn nicht viJllig ausgeschlossen, so doch
eine äusserst entfernte ist.
Daher besteht die Mittheilungspflicht eben auch lediglich
in den vier gesetzlichen Fällen. Ueber diese nothwendige Be-
grenzung herrscht auch hinsichtlich der Quelle unseres Ge-
setzes, des Art. 14 des Code de commerce, in der französischen
Doktrin und Praxis kein Streit:
Locrö, esprit du code de commerce I p. 93.
Alauzet a. a. O. I Nr. 118.
Bravard- Veyridres et Demangeat, traitä de
droit commercial I p. 135 ff.
Bödarride, droit commercial. Des livres de com-
merce {2' ۊ.) Nr. 271 ff., 279 ff. und das Resume
Nr. 297.
Rivifere, r^p^titions fcrites sur le code de comm.
(7' €d.) p. 61.
Lyon Ca&n et Renault, pr^is du droit commercial
I Nr. 217 u. Cit.
vgl. Dutruc, a. a. O. 11 p. 153.
Und ganz entsprechend sagt das belgische Handelsgesetz-
buch I 3 (v. 15. Dezbr. 1872) Art. 21 :
La communication des livres et inventaires ne peut
€tre ordonn^e en justice que dans les affaires de
succession, communaut^, partage de sociätä et en cas
de faillite.
Digitizecoy Google
Rechtliclit BelenchlUDg. 283
Vgl. dazu Namur, le code de commerce Beige revis6
I p. 138 ff.
In den Vorarbeiten des D.H.G£.'s wird nicht mind«* die
Ausschliesslichkeit der vier bezeichneten Mittheilungsgründe
scharf hervorgehoben;
Entwurf eines Handelsgesetzbuchs fUr WUrttembei^
Art. 42 und dessen Motive S. 57.
Motive des preussischen Entwurfs S. 26.
Nömberger Protokolle S. 948.
Nur die Motive des Reichsministerialentwurfs von 1849
(des sog. Reichshandelsgesetzbuchs) S. 60 sprechen von blossen
iHauptfällen*, wobei wahrscheinlich an den ja unzweifelhaften
Fall des Miteigenthums der Streittheile an den betreffenden
HandelsbUchem gedacht ist.
Ueber den Inhalt des geltenden Rechts kann so ein
Zweifel nicht bestehen.
Wenn daher in einem Urthejl des Nürnberger Handels-
appellationsgerichts 1865 (Zeitschr. f. Handelsrecht XI S. 135)
auch dem Einzelgläubiger, welcher die Exekution in das Ver-
mögen seines Schuldners vergeblich gesucht hat, ein derartiges
Recht auf vollständige Mittheilung der Handelsbücher zu-
gesprochen wird, so ist das entschieden zurückzuweisen;
Vgl. auch Behrend, Lehrbuch des Handelsrechts I
S. 304 Note 70 ff.
Das bestehende Gesetz gewährt solchen Falls dem Gläu-
biger nur das Recht, von dem Schuldner die Vorlegung eines
Vermögensverzeichnisses und die Leistung des Offenbarungs-
eides zu begehren:
C.P.O. § 711.
Das Urtheil des Reichs-Oberhandelsgerichts vom 10. Sep-
tember 1872 (Entscheidungen VII S. 69 ff.) betrifft ein unter
den weiteren Begriff der iGesellschaftstheilungssachenc fallen-
des Verhältniss unter gewesenen Gesellschaftern vor beendigter
Liquidation. Der völlig zweifellose Umfang der Editions-
pflicht ist hier, ausser auf die schon für sich entscheidenden
Art. 105, 145 H.G.B., auch, und zwar unnöthiger Weise, auf
die >tm vorliegenden Falle« allerdings unbedenkliche lanatoge
Anwendung! des Art. 40 gestützt. Eine erweiternde Aus-
legung des Art. 40 hat damit keineswegs anerkannt werden
..oslc
284 Ueber Editiontpfliclit, ioibet. betr. gemefauchaftl. Urknod«D «tc.
sollen, wie die nicht vom Gerichtshofe herrührenden Citate in
der Note vielleicht annehmen lassen. —
Indessen sogar die analoge Anwendung des Art. 40
H.G.B. in »gleichen oder ähnlichen* Fällen als statthaft vor-
ausgesetzt, so fehlt es auch dafür in dem vorUegenden Falle
nach Wort und Geist des Gesetzes an jeder Handhabe. Es
handelt sich um keinerlei Auseinandersetzung oder Theilung
zwischen den Erben eines Einzelkaufmanns oder zwischen ge-
wesenen Gesellschaftern, sondern es wird zwischen den Erben
eines sogar vor seinem Tode aus der fortbestehenden Gesell-
schaft ausgeschiedenen Gesellschafters über die Kollationspflicht
gestritten und zu diesem Behufe prätendirt, die BUcber der
diesem Streit völlig fremden, an der Wahrung ihrer Geschäfts-
geheimnisse hochlichst interessirten fortbestehenden Gesellschaft
einzusehen.
In der gesammten Praxis imd Literatur, insbesondere
auch des französischen Rechts, findet sich keine Andeutung,
dass für einen derartigen Fall Mittheilungspflicht bestehe:
VgL namentlich die eingehende Kasuistik bei B^dar-
ride I Nr. 278 ff.
Dass die von den Klägern bezweckte >Mittheilung< der
HandelsbUcher sich unter dem Namen einer blossen »Vor-
legung«: versteckt, macht selbstverständlich keinen Unter-
schied. Die HandetsbUcher der fortbestehenden Gesellschaft
sind nicht Nachlass- oder Erbschafts-Papiere, und wie sie den
Erben als solchen auch nicht zum Thei! gehören, so fehlt ihnen
auch jedes Recht auf deren Mittheilung oder auch nur auf
deren Einsicht in Gemässheit der nur Erbschaftsangelegen-
heiten oder Gesellschaftstheilungen betreffenden Vorschrift des
Art. 40 H,G.B.'s und in Gemässheit der nur die Editions-
pflicht des Prozessgegners und nur in Handelssachen, nicht in
Erfastreitigkeiten, betreffenden Vorschriften der Art 37 Abs. 1,
Art. 38 H.G.B.'s. —
3. Die Editionspflicht nach den Grundsätzen der
Deutschen Civilprozessordnung.
§<■
Auf die HandelsbUcher , weil »Urkunden! im Sinne der
C.P.O., finden unzweifelhaft die allgemeinen Rechtssätze über
, Google
Rechtliche B«leuchtuDK. 285
die Pflicht zur »Vorlegimg« von Urkunden insoweit An-
wendung, als nicht das besondere Recht des Deutschen Han-
delsgesetzbuchs erweiternd oder beschränkend Platz greift.
Abgesehen von dem lediglich prozessualischen Editions-
gnind des § 388 C.P.O., besteht für den Dritten wie für den
Prozessgegner die gleiche und zwar gesetzlich fixirte Editions-
pflicht, und zwar aus einem doppelten Editionsgrunde:
C.P.O. § 387 Z. 1, 2, vgl. § 394.
Beide Editionsgründe gehören dem materiellen oder
Privatrecht an, nur dass der zweite lediglich in einem be-
reits schwebenden Prozesse, der erste auch ausserhalb eines
solchen die Editionspflicht begründet.
Vgl. oben § l.
Sie beruhen nicht auf einem Grundsatz des öffentlichen
Rechts, insbesondere nicht auf der Analogie der Zeugniss-
pflicht, wie auf Grund der unglossirten lex (restituta) 22 C.
de fide Instrument. (4, 21) hin und wieder angenommen und
in einzelnen Prozessordnungen, insbesondere der preussischen
Allgemeinen Gerichtsordnung und der hannoverschen Prozess-
Ordnung, sanktionirt war. DafUr bieten weder die allein zur
praktischen Geltung gelangten römischen QueUen einen Anhalt,
in welchen vielmehr eine derartige allgemeine Editionspflicht
klar negirt wird,
z. B. 1. 9 § 1 D. de edendo (2, 13). 1. 4 C. eod. (2, 1),
noch beruht die Erweiterung der römischen Editionspflicht in
Betreff der sogenannten adocumenta communiac, bei aUer Un-
bestimmtheit dieses Begriffs , auf einer prozessrechtlichen
Maxime, vielmehr ausschliesslich auf einer Ausdehnimg der
römischen, mittelst Pnvatklage, einer actio ad exhibendum oder
actio in factum zu realisirenden aequitas exhibitionis. Darüber
ist denn auch wesentUch die neuere gemeinrechthche Doktrin
und Praxis durchaus einig:
Vgl. z. B. J. Voet, commentaritis ad Pandectas II,
13 § 20.
Gluck, Pandektenkommentar XXII S. 112ff.
M. Mittermaier, Ueber die Gründe der Verpflich-
tung zur Edition von Urkunden (1835) S. 43 ff.
V. Vangerow, Pandekten HI § 708 (7. Aufl.) S. 644.
V. Bayer, Vortrage über den deutschen CivUprozess
(9. Aufl.), S. 955.
itizecy Google
286 U«ber EdilioDSpflicht, intbe». betr. gemcmscbftftl. Urkonden etc.
Wetzell, Civilprozess (3. Aufl.) § 24 Note 102.
Renaud, Civilprozess (2. Aufl.) § 125 Note 1.
Dem entspricht, dass sowohl die Ssreteme des heutigen
Civilrechts (Lehrbücher der Pandekten und dgl.) wie die
neueren Civilgesetzbücher und Entwürfe , z. B. Sächsisches
bürgerliches Gesetzbuch § 1566, Privatrechtliches Gesetzbuch
für den Kanton Zürich §§ 1823—1826, Entwurf eines allgemeinen
deutschen Gesetzes über Schuldyerhältnisse (sog. Dresdner Ent-
wurf) Art. 1042 — 1045, die Editionspflicht als eine durchaus
dem Privatrecht aogehörige Verpflichtung behandeln.
Vgl. auch Heidenfeld, in Behrends Zeitschrift für
preussisches Recht III S. 329.
Dass dies auch für das französische Recht, von den be-
sonderen handelsrechtlichen Vorschriften abgesehen, gilt, unter-
liegt keinem Zweifel.
Vgl. unten § 5.
Diese Auffassung liegt endlich auch der Deutschen Civil-
prozessordnung zu Grunde, wie nicht allein Wortlaut und
Inhalt der gesetzlichen Bestimmungen, sondern eben so sicher
deren Entstehungsgeschichte ergibt. Wiederholt und in allen
Stadien der Gesetzgebung ist der Gesichtspunkt einer der all-
gemeinen Zeugnisspflicht entsprechenden, somit dem öffent-
lichen Recht angehorigen Editionspflicbt entschieden zurück-
gewiesen, das Prinzip der preussischen Allgemeinen Gerichts-
ordnung, der hannoverschen Prozessordnung und einiger
anderer als ungeeignet verworfen worden. Das Gesetz will,
wie wiederholt erklärt wurde, lediglich die in der neueren
gemeinrechtlichen Doktrin zur Geltimg gelangten Grundsätze
über die Editionspflicht anerkennen und durch feste Begrenzung
sicher stellen.
Vgl. z. B. Motive zum Entwurf einer Prozessordnung
für die preussischen Staaten (1864) S. 101. Proto-
kolle der norddeutschen (hannoverschen) Prozess-
kommission S. 2486 ff., 5763 ff. Motive zum Entvrarf
einer Deutschen Civilprozessordnung von 1871 S, 342
und von 1874 S. 267, Protokolle der Justizkommission
des deutschen Reichstages S. 156, 553.
Uebereinstimmend die Kommentare zur CJ*.0.
§ 387, z. B. vonStruckmann und Koch, v. Wil-
mowski und Levy, Endemann u. A. m.
::,y Google
Rechtliehe Belenchtong. 287
Dies vorausgeschickt, sind die EditionsgrUnde nach Ziffer 1
und nach Ziffer 2 des § 387 CP.O. für sich zu betrachten.
a, >Nach den Vorschriften des bürgerlichen
Rechts.«
SelbstverständHch nicht eines beliebigen, etwa des preussi-
schen oder sog. igemeinen« Rechts, sondern desjenigen,
welches in dem maassgebenden Rechtsgebiete gilt, also hier
unzweifelhaft des rheinischen (französischen) bürgerlichen
Rechts.
Denn in diesem Gel»et ist die Handelsgesellschaft X. & Cie.
errichtet und hat dort ihren Sitz, hat der Erblasser der
Kläger seinen Wohnsitz gehabt und seine Verfügungen ge-
troffen, wird endlich, falls es darauf ankommen sollte, der
Prozess gefuhrt.
C. J. A. Mittermaier, Archiv für civil. Praxis XIII
S. 310, 311.
V. Bar, Das internationale Privat- und Strafrecht
S. 458, 459.
Unter >bürgerlichem( Recht ist hier selbstverständlich
sowohl das Handelsrecht begriffen (z. B. H.G.B. Art. 79
Abs. 1, Art. 225), als das sonstige Civilrecht,
1, Dass die allgemeinen Vorschriften des D.H.G.B.'s
über die Vorlegung und Mittheilung von Handelsbüchem dem
klägerischen Anspruch nicht zur Seite stehen, vielmehr, soweit
offen oder versteckt eine iMittheilung< der Handelsbücher
bezweckt wird, entgegenstehen, ist bereits früher dargelegt.
Vgl. § 3.
Desgleichen stehen die besonderen Grundsätze des Socie-
tätsrechts dem erhobenen Anspruch nicht zur Seite, sondern
entgegen.
Der Erblasser der Kläger, der Kommerzienrath W. L. X.
hatte als Theilhaber der Gesellschaft X. & Cie. das Recht der
jederzeitigen Einseht in alle Bücher und Papiere der Gesell-
schaft, durfte somit, soweit zu diesem Behufe erforderlich war,
auch deren Vorlegung im G«schäftslokal der Gesellschaft be-
gehren:
oy Google
288 Ueber EditionspAichl, faitbe«. betr. gemciiucluftl. Urkunden etc.
H.G.B. Art. 105, entsprechend dem älteren gemeinen
wie dem französischen Recht.
Aber diese Befugniss war strenge an seine Person ge-
bunden, weder der Uebertragung noch der Ausübung durch
gewillkürte Vertreter:
H.G.B. Art 98 Abs. 2, vgl. Allg. L.R. II, 8 § 638,
verb. I, 17 §218; Motive des Württemberg. Ent-
wurfs zu Art 212 (S. 191); Entscheidungen des
Reichs-OberhandelsgerichtsVnS. 75, XXIII
S. 120 ff.; Urtheile des Appellationsgerichts-
hofes zu Köln vom 27. Mai 1863 (Centralorgan
IIS. 132); Brinckma an, Handelsrecht §45 Note 3;
T h ö 1 , Handelsrecht I (6. Aufl.) § 95 S. 325 ; Kommen-
tare von Anschutz und v, VOlderndorff II
S. 213 ff.; Puchelt und Keyssner zu H.G.a
Art. 105; Lastig, in Endemann's Handbuch des
Handelsrechts I S. 371; Renaud, Das Recht der
Kommanditgesellschaften S, 327, 204,
noch durch dessen Gläubiger:
Urtheile des obersten österreichischen Ge-
richtshofes und des O. G.'s Wolfenbüttel: Zeitschr.
f. Handelsr. XXII S. 285, 286, 302; Renaud,
a. a. O. S. 204, 433,
fähig.
Löste sich, gleichviel aus welchem Grunde, die Handels-
gesellschaft auf, so behielt jeder der gewesenen Gesellschafter
das gleiche Recht der Einsicht in die im Miteigenthum der
ehemaligen Gesellschafter verbleibenden Gesellschaft^iapiere :
H.G.B. Art 144, 145, vgl. 1. 5, 8 pr. D. fem.
herdsc. (10, 2).
Entscheidungen des Reichs-Oberhandelsgerichts
V S. 394, VI S. 296, insbesondere VH S. 69 ff.
Ob dieses Recht, wie die Motive zu Art. 138 des preussi-
schen Entwurfs annehmen (S. 73), auch den Singular-
successoren des gewesenen Gesellschafters zusteht, ist keines-
wegs zweifellos:
s. dagegen z, B. Brinckmann, Handelsrecht g 52
zu Note 17, 18; ThOl, Handelsrecht (6. Aufl.)
§ 100 a. E. S. 340; Lastig, a. a. O. S. 425;
Renaud, a. a. O. S. 589, 590;
::,y Google
Recbtliche Beleaclitiuig. 289
sicherlich darf es nicht durch Vertreter ausgeübt werden:
Urtheü des Appeilationsgerichtshofes zu Köln
vom 12. Dezember 1874 (Zeitschr. für Handelsr.
XXII S. 312).
Scheidet dagegen bei Fortbestand der Gesellschaft ein
Gesellschafter aus, so verliert derselbe das societätsmässige
Recht zur Einsicht der Bücher und dergl. Er ist blosser
Gläubiger der fortbestehenden Gesellschaft geworden und hat
fortan nur noch ein Recht auf Rechnungsablage Über die nach
seinem Austritt erledigten Geschäfte und auf Jahresnachweise
über den Stand der laufenden Geschäfte:
H.G.B. Art. 130.
Entscheidungen des Reichs-Oberhandelsgerichts
XXrV S. 346. Vgl. Brinckmann, Handelsrecht
S. 181—183; Thöl, Handelsrecht, 6. Aufl., § 100
a. E., S. 340; Anschütz und Völderndorf f ,
Kommentar II S. 291; Puchelt, Kommentar zu
Art. 130 H.G.B. Anm. 9 [4. Aufl. S. 291]; Lastig,
a. a. O. I S. 425.
Es versteht sich dies um so mehr, als ja auch dem an den
Geschäften der Handlung noch dauernd interessirten Komman-
ditisten und stillen Gesellschafter Buchereinsicht versagt ist:
H.G.B. Art. 160, 253.
Entscheidungen des Reichs-Oberhandelsgerichts
XVII S. 274 f., I S. 195.
Bei Streitigkeiten über die Auseinandersetzung kann
Art. 40 H.G.B.'s Platz greifen.
Ist nichts (mehr) streitig, vielmehr abgerechnet, so ist
jedes denkbare, societätsmässige Recht auf Rechnungslage und
auf etwaige Jahresnachweise selbstverständlich erledigt.
Vgl. unten § 7.
Ob das Ausscheiden ans der Gesellschaft bei Lebzeiten
erfolgt oder durch den Tod, macht selbstverständlich keinen
Unterschied. Die nicht in die Gesellschaft eintretenden Erben
haben nicht umfassendere jRechte, als ihr Erblasser gehabt
haben würde — also keine, falls diese ihrem Erblasser vOUig
fehlten.
Somit ist ein sodetätsmässiges Recht der Kläger auf
volle oder auch nur beschränkte Einsicht irgend welcher Ge-
sellschaftsbücher oder GeseUschaftspapiere — auch vöUig ab-
Gcldichmidt, VnmiichteScbnfteD. U. I9
, Google
290 Ueber Editiontpflicht, laibei. betr. gemeüitchafü. Urkunden etc.
gesehen tod dem vertragsmässigen Ausschluss einer derartigen
Befugniss,
vgl. § 8 -
niemals vorhanden gewesen.
2. Nicht minder fehlt es an jedem anderweitigen Editions-
grund des ibUrgerlichen Recbtsc im Sinne des Art. 387
Ziff. 1 der CP.O.
Für ein dingliches oder Besitz- oder Tertragsnlässiges
oder gar Delikts-Recht, auf welches Kläger ihren Anspruch
gründen konnten,
vgl. z. B. 1. 9 pr. D. de edendo (2, 13),
findet sich keinerlei Anhalt.
Anlangend endlich die mittelst der actio ad exbibendum
oder der noch erweiternden actio in factum der römischen
Rechtsquellen zu realisirende Editionspflicht, so fehlt es an
deren Voraussetzungen im vorliegenden Falle sogar nach
römischem Recht, noch mehr — was ja. allein entscheidet —
nach dem maassgebenden rheinischen bürgerlichen
Recht.
Diesem letzteren nämlich ist unzweifelhaft die all-
gemeine actio ad exbibendum fremd. Art. 842 des Code
Napoleon, vgl. Art. 1476, 1872, gründet die Editionspflicht
auf Miteigentbum, bezw. Miterbschaft. Art. 1337 daselbst be-
stimmt, dass die Vorlegung einer Rekognitionsurkunde , in
welche nicht der ganze Inhalt der Primordialurkunde ein-
gerückt ist, die Pflicht zur Vorlegung der letzteren — soweit
solche Pflicht besteht — nicht aufhebt. Art. 2004 daselbst
statuirt die Pflicht des Bevollmächtigten zur Restitution der
Vollmachtsurkunde bei Widerruf der Vollmacht. Art. 839 ff.
des Code de procöiure setzen nur voraus bezw. ordnen die
Pflicht des Notare oder eines sonstigen Depositars der Ur-
kunde zu deren Herausgabe bezw. Vorlegung an die Inter-
essenten. Im Uebrigen handelt es sich um die Vorlegung der
im Prozess in Bezug genommenen Urkunden an den Prozess-
gegner, z. B, Code de procAlure Art. 188.
Wollte man nun auch, wie dies mitunter geschieht, für
das französische Recht über diese Fälle hinaus eine Pflicht
zur Edition sog. > gemeinschaftlicher Urkunden« annehmen, so
ist doch mindestens so viel sicher, dass dies keineswegs in
einem weiteren, vielmehr, wenn überall, in einem nicht so
,j _.. „Google
Rechtliche Beleuchtung. 291
weitreichenden Umfange statthaft erscheint, als gegenwärtig
durch die maassgebende Deutsche Civilprozessordnung
Tgl. unten § 6,
festgestellt ist, so dass eine Untersuchung dieses äusserst un-
bestimmten Begriffs erübrigt.
Vgl. Merlin, repertoire s. v. compulsoire § 2 [3. Ed.
Bd. II S. 686 ff.].
Berriat de Saint Prix, cours de proc^dure civile
n, 1 § m (ed. BruxeUes 1837 pag. 165).
S c h 1 i n k , Kommentar tlber die französische Civil-
ProzessOrdnung (2. Autl.) II S. 342 ff.
Insbes. Larombifere, Theorie et pratique des obli-
gations t. IV (Paris 1857) S. 498 ff. (zu Code civil
art. 1331 n. 12 ff.), wo entschieden die auf blosses
Interesse an der Einsicht einer Urkunde oder auch
auf einen blossen Billigkeitsgrund gestutzte Editions-
klage als unstatthaft zurückgewiesen wird. —
Für das romische Recht ist freilich nicht selten der
ganz vage Billigkeit^rundsatz behauptet worden, dass Jeder-
mann, welcher ein Interesse, mindestens ein Vermögensinteresse
an der Einsicht fremder, ihm weder ganz noch theilweise zu-
gehöriger Urkunden habe, deren Vorlegung und Einsicht —
mindestens nach richterlichem Ermessen — begehren könne.
Z. B. noch M. Mittermaier, a. a. O. S. 17 ff.;
Bayer, Vorträge über den deutscheu gemeinen Civil-
prozess, 10. Aufl., S. 957 ff. und hinsichtlich der
argentarii und der heutigen Kaufleute betreffs ihrer
HandelsbUcher, obwohl nicht allgemein, sogar Wetzell
(3. Aufl.], a. a. O. § 24 Note S. 224.
Allein, wie schon die römischen Juristen sich gegen der-
gleichen anscheinende BilligkeitsansprUche — in Wahrheit
ganz unstatthafte Prätensionen — ironisch ablehnend verhalten,
ja diese Annahme als eine völlige Verdrehung der Gedanken
des Gesetzgebers (hier des »Edikts*) in den stärksten Aus-
drucken zurückweisen, welche Überhaupt im Corpus juris civilis
für chikanöse Interpretationsversuche vorkommen:
1. 19 D. ad exhibendum (10, 4):
»Ad exhibendum possunt agere omnes »quorum
interest.c Sed quidam consuluit, an possit efficere
haec actio, ut rationes adversarii sibi ex-
19*
.OOgk'
292 Uebcr Editioiupflicltt, iiube«. betr. gemeituduAt. ürknndcn etc.
hiberentur, quas exhiberi magni eins in-
teresset, respondit (Paulus) non oportere ius
civile calumniari neque verba captari, sed
qua mente quid diceretur, aoimadTertere cooTenire.
nam illa ratione etiam studiosum alicuius doctrinae
posse dicere >sua interessei illos aut illos itbros sibi
exhiberi, quia, si essent exhibiti, cum eos legisset,
doctior et melior futurus esset. <
vgl. l. 3 § 10 D. eod.:
— ged hoc non suffictt —
so ist auch die besonnene und wirklich eindringende ober-
richterliche deutsche Praxis in dieser Zurückweisung einig.
Es gentlgt, folgende Urthei'Ie anzuführen:
Oberappellationsgericht Lübeck. Urtheil vom
30. Etezember 1857. (Sanunlung der Entscheidungen
des Oberappellationsgerichts der vier freien Städte zu
Lübeck in Frankfurter Rechtssachen [Sauerländer'sche
Sammlung] Bd. III S. 398):
iDass der Kläger ein erhebliches Interesse hat, den
Inhalt der von ihm verlangten Urkunde kennen zu
lernen, ist nach Lage der Sache keinem Zweifel unter-
worfen. Allein das Vorhandensein eines solchen Inter-
esses kann für sich allein, wie das Oberappellations-
gericht schon wiederholt erkannt hat, keine Editions-
pflicht des Gegners begründen. Es bedarf vielmehr
eines speziellen Rechtsgrundes hierfür — t.
In einem andern Urtheil desselben höchsten, durch seine
grtlndliche Kenntniss des gemeinen Rechts ausgezeichneten
Gerichtshofes vom 31. März 1859 (ebenda Bd. IV S. 332)
heisst es, und zwar in einem dem unsrigen sehr verwandten Falle;
»Der Kläger hat, ausser der Gemeinschaftlichkeit,
auch noch das rechtliche Interesse, welches er an
der Vorlegung der Handelsbücher der Beklagten
habe, als Klaggrund geltend gemacht. Es ist eine
sehr bestrittene Frage, ob Jemand die Vorlegung
einer Urkunde, an welcher er kein spezielles ding-
liches oder persönhches Recht hat, wegen seines
rechtlichen Interesses zur Einsicht derselben ver-
langen kann.c >Auch wenn man indessen die Frage
bejaht« (es wird sich zeigen, dass sie zu verneinen
„Goo^^lc
Rechtliche Beleuchtung. 293
ist), >so kann doch der Richter, auf dessen Ennessen
es hierbei ankommen würde, 1. 3 §§ 11, 14 D. ad.
exhib. (10, 4), nur aus einem ganz dringenden
Grunde der aequitas auf die Edition erkennen. Der
vorliegende Fall war dazu jedoch nicht geeignet.
Der einzige Grund, welcher zu Gunsten des Klägers
sprechen wüt^e, konnte nur in der Behauptung ge-
funden werden, dass der Nachlass seines Vaters
keine Papiere enthalten habe, welche Über das frag-
liche Forderungsverhältniss Aufschluss gegeben
hätten. Allein es würde zu weit fuhren, wenn der
Mangel von Papieren, auch wenn er nicht durch
eigene Sorglosigkeit, sondern durch die des Erb-
lassers entstanden ist, schon genügen sollte, um von
jedem Dritten Edition der Dokumente zu verlangen,
bei deren Einsicht man rechtlich interessirt ist.*
Uebereinstimmend wird in einem Urtheil des O b e r -
appellationsgerichts zu Rostock vom 21. März 1870
(Seuffert's Archiv XXIV Nr. 99) ausgeführt, wie die Be-
sitzerin einer die Privatrechtsverhältnisse derselben betreffenden
Urkunde einen wohlbegrUndeten Anspruch darauf hat, dass deren
Inhalt nicht zur Kenntoissnahme eines jeden Dritten gebracht
werde. »Selbst das Interesse, welches ein Dritter an einer Ein-
sicht derselben damit zu begründen vermag, dass er durch die be-
treffenden Verhandlungen die ihm in einem anhängigen Rechts-
streite auferlegten Beweise erbringen könne, verpflichtet sie nicht,
sich dieselbe gefallen zu lassen, und auch die c. 2 de edendo
(2, 1) gibt dem Richter eine so weit gehende Befugniss nicht.«
Vgl. auch u. A. die Urtheile des Obertribunals zu
Stuttgart 1845 (Seuffert's Archiv XXII Nr. 148)
und des Oberappellationsgerichts zu Darm-
stadt 1869 (Seuffert's Archiv XXIII Nr. 180):
beide oberste Gerichtshöfe erfordern ein besonderes
dingliches oder persönliches Recht an der Urkunde
oder auf deren Vorlegung.
Eben dies hat dann auch die neuere quellenmässige Unter-
suchung,
s. insbesondere G. Demelius', Die Exhibitionspflicht
■ Dam tritl jetzt auch Brinz, Ptndekteo, l. Aufl., Bd. II (1883)
S. 6yg ff., iutbes. Note 7, 54.
,j _.. „Google
294 Uebcr Edilionspflicbt, inibei. betr. gemÜDKh&fll. Urkunden etc.
in ihrer Bedeutung ftlr das klas^sche und heutige
Recht (1872) S. 127 ff., 250 ff., 269 ff.,
als den wahren Inhalt der römischen Recbtsquellen ergeben.
Abgesehen nämlich einstweilen von dem Sonderrecht hin-
sichtlich der argentarii und den Testamentsurkunden, so dar^
wer kraft Eigenthums oder sonstigen dinglichen Rechts, oder
juristischen Besitzes Anspruch auf Herausgabe einer Sache —
gleichviel ob Urkunde,
z. B. 1. 3 § 4 D. de tabul. exhib. (43, 5),
1. 3 D. testam. quemadm. aper. (29, 3),
oder NichtUrkunde — hat, deren Vorlegung bezw. Einsicht
behufs der Vorbereitung der dinglichen oder Besitz-Klage,
oder geeigneten Falls statt dieser von demjenigen, aber auch.
nur von demjenigen begehren, gegen welchen jene dingliche
oder Besitz-Klage zusteht. Darauf geht die actio ad exhibeu'
dum, bei welcher überdies noch dem Richter freie Würdigung
zusteht, ob ein vernünftiges rechtliches Vermögensinteresse
gerade diesen Anspruch ausreichend rechtfertigt:
1. 3 §§ 9, 12 D. ad exhib. (10, 4).
Darüber hinaus findet sich nirgends die actio ad eshiben-
dum gestattet. Die 1. 18 D. ad exhib. und die 1. 4, 6 C. de
edendo (2, 1) sprechen nur von der actio ad exhibendum des
Eigenthümers der Urkunde, die 1. 9 C. eod. gewährt dem
Schuldner nach bezahlter Schuld eine condictio (sine caiisa)
auf Rückgabe des Schuldscheins.
Ist jedoch im Auftrage oder sonst im ausschliesslichen
Interesse Jemandes eine diesen angehende Urkunde angefertigt
worden, ohne in dessen Eigenthum zu gelangen, — insbesondere,
weil das Material (Pergament, Papier), auf welches sie geschrieben
wurde, einem Anderen, etwa dem Urkunden Verfasser, oder
einem Dritten (z. B. der Ehefrau, deren Sklave im Auftrage
des Ehemannes dessen Rechnungen geführt hatte) gehört
— gemäss dem bekannten Grundsatz des römischen
Rechts, dass die auf fremdem Stoff geschriebene Ur-
kunde dem EigenthUmer des Stoffes gehört: I. 9
§ 4 D. de A. R. D. (41, 1), vgl. § 33 J. de rer.
divis. (2, 1) — ,
so wird diesem aus Billigkeitsgründen eine actio in factum
auf Vorlegung (Einsicht) der nach strengem Recht ihm nicht
RMhtlkhe Beleuchtung. 295
gehörigen Urkunde gewährt, da in solchem Falle gesagt
werden darf:
quod mea causa confectum est quodammodo ad me
pertinet:
1. 4 § 1 D. de edendo (2, 13).
Auf diesen Fall bezieht ach die 1. 3 § 14 D. ad exhibeo-
dum (10, 4):
Interdum aequitas exhibitionis efficit, ut, quam-
vis ad exhibendum agi non possit, in factum tarnen
actio detur, ut Julianus tractat. servus, inquit,
uxoris meae rationes meas conscripsit: hae rationes
a te possidentur: desidero eas exhiberi; ait Julianus,
si quidem mea Charta scriptae sunt, locum esse buic
actioni, quia et vindicare eas possum: nam cum
Charta mea sit, et quod scriptum est meum est : sed
si Charta mea non fuit, quia vindicare non possum,
nee ad exhibendum, experiri : in factum igitur actio-
nem mihi competere.
Vgl. Urtheil des Oberappellationsgerichts
Oldenburg 1870 {Seuffert's Archiv XXVI
Nr. 84).
Dies gilt, jedenfalls im Gebiete des gemeinen Rechts,
auch noch gegenwärtig, wie auch in der Justizkommission des
Reichstages von dem Vertreter der Bundesregierungen her-
vorgehoben wurde:
Protokolle der Justizkommission des Reichstages S. 126,
vgl. Struckmann und Koch, Civilprozessordnung
zu P.O. § 336 (3. Aufl. S. 315).
Im Uebrigen bestimmt das römische Recht nur, was
selbstverständlich, dass der Erbe, welcher den Legataren die
Quart abziehen will , den Bestand der Erbschaft durch Vor-
legung sämmtlicher Erbschaftspapiere ausweisen müsse:
1. 95 § 2 D. ad leg. Falcid. (35, 2),
und es gibt, was gegenwärtig antiquirt ist, im Prozess dem
Beklagten ein weitergehendes Editionsrecht wider den Kläger
als umgekehrt:
1. 8 vgl. 1. 1, 5 C. de edendo {2, 1),
während zugleich ein Edition»%cht hinsichtlich instrumenta
»alienai entschieden verneint wird:
l. 4 C. eod.
izecoy Google
296 Ucbec EditioDspflicht, ioibcs. betr. g;«meinic}iafU. Urkund» etc.
Die documenta >commuiiiac der 1. 7 C. eod., 1. 26 C.
de pactis (2, 3), vgl. c. 12 X. de fide instrum. (2, 22) sind
im Miteigenthmn der Ligitanten stehende Urkunden — die
Frage ist übrigens unerheblich, nachdem der jeden^ls weitere
gemeinrechtliche Begriff der agemeinschaftlichenc Urkonden
durch die CP.O. fixirt ist :
Tgl. unten § 6.
Darüber hinaus enthält das römische Recht nur zwei
eigenthümliche , auf besonderer gesetzlicher (Edikts-)Vor-
schrift beruhende Rechtssätze:
Einmal das mit dem interdictum de tabulis exhibendis zu
verfolgende Recht des Erben oder sonst letztwillig Bedachten
auf Vorweisung der betreffenden letztwilligen Urkunde:
!. 1 § 2, 1. 3 § 10 D. de tabul. exhib. (43, 5).
Sodann die Pflicht der Bankiers (argentarii) und Wechsler
(ntunmularii — Bankiers zweiter Ordnung), allen denjenigen
Personen, mit welchen sie in Geschäftsverbindung
stehen, diejenigen Rechnungsbücher (rationes) , welche
und insoweit sie Über die diese Personen betreffenden
Rechtsverhältnisse Auskunft geben, auch dann vorzulegen,
wenn ihr Geschäftsfreund nicht mit ihnen selbst, sondern mit
einem Dritten einen Rechtsstreit führt und für solchen
Rechtsstreit jene Buchvermerke von Erheblichkeit sind :
1. 10 pr. D. de edendo (2, 13).
Der Grund dieser von den römischen Juristen selbst als
durchaus singulär betrachteten und auf die eigenthümliche,
gewissermaassen öffentliche Rechtsstellung der vielfach privile-
girten Bankiers (vgl. oben S. 277) zurückgeführten Rechts-
bestimmung :
1. 10 § 1 vgl. 1. 4 § 1 D. de edendo (2, 13),
liegt auf der Hand. Die römischen Bankiers und Wechsler
waren, ähnlich den holländischen Kassirem, in geringerem
Maasse auch den heutigen Depositen- und Giro-Banken, allen-
falls gewissen Privatbankiers und Notaren, die Vermögens-
verwalter ihrer Geschäftsfreunde, welche wenig baare Kasse
zu fuhren pflegten. Sie nahmen von ihnen Depositen an und
für sie Zahlungen entgegen, leisteten Zahlungen von einem
Konto auf das andere durch Umschreibung (Giro), führten
mit vielen Personen Kontokorrente u. s. f. Ihre Rechnungs-
bücher (rationes) waren so ihren Kunden gegenüber >gemein-
Rechtlicbe Belencblupg. 297
schaftliche Urkunden c im eminenten Sinne des heutigen
Rechts. Da aber das römische Recht diesen Begriff noch
nicht kannte, da femer eine actio ad exhibendum auf Vor-
legung dieser Urkunden, welche }a unzweifelhaft nur dea
Bankiers gehörten, dem Geschäftsfreunde nicht zustand, eine
actio mandati oder dergleichen sich insofern bezweifeln Hess,
als die Rechnungsführung, streng genommen, nicht im Auf-
trage der Geschäftsfreunde und nicht lediglich in deren Inter-
esse geschah, aus gleichem Grunde auch die — übrigens einer
späteren Epoche angehOrige — erweiternde actio in factum
versagte, so mnsste die Editionspflicht besonders geregelt
werden, zumal, da sehr häufig Um- und Zuschreibungen auch
ohne speziellen Auftrag geschehen mochten.
Aber es findet sich keine Spur, dass jeder beliebige
Dritte, dessen Interesse etwa durch einen Eintrag in den
Buchem des Bankiers berührt wurde, einen Anspruch auf
Edition gehabt hätte, vielmehr ergeben die Quellen —
anders, aber unrichtig. Wetzeil, Civilprozess § 24
S. 224 Note 16 —
das klare Gegentheil:
1. 4 pr. § 1 D. de edendo (2, 13):
Argentariae mensae exercitores rationem quae
ad se pertinet, edent — . Huj'us edicti ratio
aequissima est: nam cum singulorum rationes
argentarii conficiant, aequum fuit, id quod mei
causa confecit meum quodammodo in-
strumentum mihi edi.
1. 6 § 5 eod. :
Nur Derjenige darf Edition verlangen, si ad
eum pertineat (sc ratio), pertinere autem
videtur ad me ratio, si modo eam tractaveris me
mandante.
I. 9 § 4 eod.:
Ad nos enim pertinet non tantum cum ipsi con-
traximus vel successimus ei qui contraxit,
sed etiam si is, qui in nostra potestate est, con-
' traxit.
Gleiches gilt von den nummularii :
1. 9 § 2 eod.:
Quia et hi nummularii sicut argentarii rationes
ogic
298 Ueber Editionipflicht, intbei. betr. gemdnicIiaFtl. Urknaden etc.
conficiunt, quia et accipiimt pectmiam et erogant
per partes, quanim probatio scriptura codidbusque
eomm maxime coatinetar : et frequentissime ad fidem
eonim decmritur.
Daher denn auch umgekehrt — was bei der entgegen-
gesetzten Ansicht völlig unerklärlich wäre — der argentarins,
welchem etwa seine Bücher verloren gegangen waren, von
dem dritten Besitzer, d. h. eben dem Geschäftsfreunde, die
Edition der die gemeinschaftlichen Rechtsverhältnisse betreffen-
den Urkunden, z. B. die diesem zugestellten Kootokorrent-
auszttge fordern durfte: ^
1. 6 §§ 8, 9 D. eod.
Richtig schon:
Casaregis, discursus legales de commercio, discursus
102 Nr. 5.
Bayer, Vorträge S. 955 ff.
V. Vangerow, Pandekten [7. Aufl.) Ol § 708 S. 643.
Demelius, Die Exhibitionspflicht S. 250 ff.
Für das heutige Recht, das den weiten Begriff der
»gemeinschaftlichen Urkundec kennt, fällt so unzweifelhaft
die gegenwärtig nicht mehr singulare Editionspflicht der
römischen Bankiers unter den zweiten alsbald zu erörternden
Editionsgrund. Bestände aber wirklich nach römischem Recht
eine darüber hinausgehende Editionspflicbt der argentarii, so
wäre dieselbe weder jemals Bestandtheil des gemeinen Rechts
geworden, noch könnte sie gegenwärtig neben und ausserhalb
der Bestimmungen der C.P.O. über die Edition >gemeinschaft-
licher Urkundenf gelten.
Gleiches versteht sich von den singulären Rechtssätzen,
betreffend die Editionspflicht bei den gegen den Fiskus ge-
richteten Klagen:
1. 2 § 1, 2 D. de iure fisci (49, 14)
und bei der Belangung von Zinswucberem :
c. 1 § 1 in Clement, de usuris (5, 5). —
b. Wegen >Gemeinschaftlichkeitt der Urkuaden.
§6.
CP.O. § 387 Ziffer 2 sagt:
»Wenn die Urkunde ihrem Inhalte nach eine für den Be-
weisfUhrer und den Gegner gemeinschaftliche ist«
oogle
Rechilich« Beleaditang. 299
Die >Gemeinschaftlichkeit( soll bestehen zwischen dem
Beweisfuhrer und dem Gegner — hier dem iDritten*.
Sie soll betreffen den »Inhalte der Urkunde, d. h. es
soll ausreichen, aber auch erforderlich sein, Gemeinschaftlich-
keit des ilnhaltsf, nicht erforderlich sein Gemeinschaftlichkeit
des >Rechts an der Urkunde« (Miteigenthum u. dgl.), noch
sonst ein besonderes Recht an der Urkunde oder auf dieselbe,
weil all dies bereits durch Ziffer 1 fvgl. § 5) gedeckt ist
Als Beispiele solcher Urkunden, welche ihrem Inhalt
nach für den Beweisführer und für den Gegner — für den
Dritten — gemeinschafthch sind, werden genannt:
1. Urkunden, welche im Interesse des BeweisfUhrers und
seines Gegners (Dritten) errichtet sind.
2. Urkunden, welche deren igegenseitigeRechtsverhält-
nisse«, d. h. Rechtsverhältnisse, welche zwischen dem
Beweisfuhrer und dessen Gegner (Dritten) bestehen,
beurkunden.
Nur eine Abart von 1 oder 2 bilden die, um einer zu
engen Deutung der Worte »Urkunden«, »beurkunden«, »er-
richtete zu begegnen, ausdrücklich (»gelten auch«) hinzu-
gefügten :
»Schriftliche Verhandlungen, welche über ein
Rechtsgeschäft zwischen den Betheiligten oder
zwischen einem derselben und dem gemeinsamen
Vermittler des Geschäfts gepflogen sind.«
Dass das Gesetz Beispiele nennt, ergibt der Zusatz »ins-
besondere«. Darüber sind auch die Kommentatoren der Pro-
mit einziger Ausnahme von Hetlmann zu § 387 —
einig. Man wollte vorsichtiger Weise etwa prinzipiell gleich-
stehende nicht genannte Fälle nicht ausscbliessen.
Das Wort »insbesondere« fehlte Übrigens sowohl in den
früheren Entwürfen, wie in den der gegenwärtigen Fassung
des § 387 zu Grunde liegenden deutschen Prozessgesetzen:
Preuss. Entwurf von 1864 § 440. Bayerische
Prozessordnung von 1869 Art. 386. Württem-
bergische Prozessordnung von 1868 Art. 537.
Vgl. auch Protokolle der Prozesskommission für den
in Hannover (im Auftrage der deutschen Bundes-
, Google
300 Ueber EdilFonspSicbt, inibe*. betr, gcmdniclurcl. Urkundeii etc.
veTsammlung) ausgearbeiteten Entwurf S. 2486 ff.,
5768 fi
Erst die seit 1869 abgefassten Entwtlrfe enthalten diesen
Zusatz, ohne dass die Motive über den Grund der Hinzu-
fUgung weiteren Aufschluss geben.
Es wäre, da ohnehin die verständige analoge Anwendung
des Gesetzes dem Richter freisteht, um der Sicherheit der
Rechtstlbong willen besser weggelassen worden. Auch sind
alle namhaften Kommentatoren der Prozessordnung darüber
einig, dass sich kaum ein Fall einer wahren >gemeinschaft-
licbeni Urkunde denken lässt, welcher nicht unter die aus-
drücklich genannten Rubriken fiele:
Vgl. z. B. Struckmann-Koch, v. Wilmowsky-
Levy, V, Sarwey, L. Seuffert, Gaupp,
V. Bülow ad h. 1.
Die Vollmachtsurkunde, welche Puchelt h. 1. noch da-
neben nennt, fällt unter die Rubrik >für die Personen, in
deren Interesse sie errichtet sind«; ob die > Aufzeichnung eines
dritten Zeugen über die Vorverhandlungen unter den Par-
teienc (v. Wilmowsky und Levy h. 1.) dahin gehört, ist
allgemein nicht zu entscheiden.
Aber zurückzuweisen ist doch durchaus die aus dieser
Fasstmg des Gesetzes möglicher Weise hergeleitete Folgerung,
dass es sich um blosse »Beispielec handle, derart, dass das
richterliche Ermessen völlig freien Spielraum habe:
So anscheinend (?) unter den Kommentatoren Ende-
mann h. 1. — wohl in Konsequenz seiner Paralleli-
sirung der Editionspflicht mit der Zeugnisspflicht
(Beweislehre des Civilprozesses S. 443).
Das Gesetz hat im Gegentheil, um Zweifel und Unsicher-
heit abzuschneiden, insbesondere um der mitunter versuchten
ungemessenen Ausdehnung der Editionspflicht nach Art der
Zeugnisspflicht entgegenzutreten, den immerhin unbestimmten
Begriff der igemeinschaftlichen Urkundenc in dem Sinne
fisiren wollen und fixirt, in welchem er von der bisherigen
gemeinrechtlichen Doktrin und Praxis und insbesondere der
neuen Civilprozessgesetzgebung Bayerns und Württembergs
weitaus überwiegend anerkannt war.
Vgl. oben § 5.
Ueber die, CP.O. § 387, als »Beispiekf genannten Fälle
Recbtlkfae Beleachtniig. - 301
ist die besonnene Praxis des gemeinen Rechts nicht hinaus-
gegangen, vielmehr sehr häufig weit dahinter zurückgeblieben.
Abgesehen von den eigentlich gar nicht hierher gehörigen,
vielmehr schon durch das römische Recht (actio ad exhiben-
dum bezw. actio in factum und sonstige KJagen) normirten
Fällen der Gemeinschaftlichkeit des Rechts an der Urkunde
oder deren ausschliesslicher »Zugehörigkeit < an den Beweis-
fuhrer:
vgl. oben § 5 S. 287 ff.
verstand man darunter entweder:
LedigUch Urkunden, welche Über ein zwischen
mehreren Interessenten abgeschlossenes Rechts-
geschäft errichtet waren;
z. B. v. Linde, Zeitschrift für Civilrecht und Prozess
Bd. I S. 220 ff.;
wesentlich auch Seuffert, Praktisches Pandektenrecht
§ 434. Urtheil des Oberappellationsgerichts
Jena 1835 (Seuffert's Archiv IV Nr. 169);
oder doch:
Urkunden über ein zwischen dem BeweisfUhrer
(bezw, dessen Rechtsvorgänger) und dem Inhaber
der Urkunden bestehendes Rechtsverhältniss und
zu dem Zwecke errichtet, um für den Inhalt dieses
Rechtsverhältnisses beiden Theilen bezw. deren Rechts-
vorgängem als Beweismittel zu dienen:
Urtheile des O.A.G.'s Lübeck 1875 (Seuffert's
Archiv XXXII Nr. 196), vgl. Urtheile von 1841,
1852, 1857 (Frankf. [Sauerländer's] Sammlung
in S. 398 f£. ; Jurisprudenz — in bürgerlichen Rechts-
sachen — aus Lübeck, redigirt von Wunderlich,
II S. 80, 81).
O.A.G. Darmstadt 1858 und sonst (Seuffert's
Archiv XIII Nr. 291, auch Zeitschr. f. Handelsrecht
n S. 291); vgl. Schäffer im Archiv f. praktische
Rechtswissenschaft VI S. 129 fi O.A.G. Celle 1840
(Seuffert's Archiv I Nr. 375). O.A.G. Kassel
1840 (eod. I Nr. 130). O.A.G. Wolfenbüttel
1840 (eod. XX Nr. 84) — ;
oder doch mindestens:
Urkunden, welche sich objektiv auf das Rechts-
302 Ueb«r Editionapfticht, iniba. betr. gemeintcbafU. Urkandeo «tc.
verhältniss des BeweisfUhrers und des Gegners be-
ziehen und im beiderseitigen Geschäfts-
interesse errichtet sind, -wenn auch nicht noth-
weodig in der Absicht , (überhaupt oder beiden
Theilen) als Beweismittel zu dienen:
Urtheile des Oberappellationsgerichts Rostock 1873
(Seuffert's Archiv XXIX Nr. 85), 1846, 1850,
1853 (Buchka und Budde, Entscheidungen III
S. 22 ff.), 1856 (Seuffert's Archiv XVI Nr. 157),
womit wesentlich die Formulirung übereinstimmt,
dass die Urkunde, um > gemeinschaftlich < zu sein,
in »Angelegenheiten des BeweisfUhrers und des
Gegners« errichtet oder angefertigt sein mllsse,
z. B.: Glück, Pandektenkommentar XXII S. 108;
M. Mittermaier, a. a. O. S.25ff., 78; v. Van-
gerow, Pandekten III § 708 S. 643; Renaud,
Civilprozess S, 355 § 125; Demelius, Exhibitions-
pflicht S. 269 ff. und auch die freilich sehr imbe-
stimmte Fassung Windscheids, Pandekten [auch
8. Aufl.] II § 474 a. E. sich in der Hauptsache
deckt.
Nach keiner dieser Auffassungen genügt, ist vielmehr
wiederholt als unzureichend in oberrichterlichen Entscheidungen
bezeichnet, z. B. in den sehr gründlichen Urtheilen der Ober-
appellationsgerichte zu Lübeck und zu Rostock, dass der
Edition^mplorant ein Interesse an Einsicht der Urkunde habe,
oder auch nur, dass Über dessen Rechtsverhältnisse die nicht
im gemeinschaftlichen Interesse errichtete Urkunde
Auskunft zu geben geeignet sein könnte. Vgl. oben § 5.
Dagegen wird man nicht irren, wenn man von den nach vor-
stehender Ausführung in der gemeinrechtlichen Praxis ver-
tretenen Auffassungen wesentlich die letzte, somit die Editions-
pflicht am weitesten ausdehnende (Ober^pellationsgericht
Rostock) durch die Civilprozessordnung sanktionirt findet. Dem
entsprechen Wortlaut wie Inhalt der allgemeinen Rubrik nicht
minder als die ausdrücklich hervorgehobenen Fälle.
Es reicht hiernach nicht aus:
1) dass die Urkunde über etwaige Rechtsverhältnisse oder
darauf bezügliche Thatsachen Auskunft gibt, welche den Edi-
tionskläger betreffen, sofern diese Rechtsverhältnisse nicht dem
, Google
RecKÜiche Bdeachtacg. 303
Editioosklager und dem Editionsbeklagteo gemeinschaft-
liche sind;
2) dass die Urkunde ihrem Inhalt nach fUr die streiten-
den Thejle gemeinschaftlich geworden ist, sofern sie es zur
Zeit ihrer Errichtung nicht war {»errichtet ist» — »be-
urkundet sind«): die iGemeinschaftlichkeitt muss bei der Er-
richtung vorhanden gewesen sein.
Vgl. auch z. B. die Kommentare vonGaupp, Struck-
manu- Koch, Wilmowsky u. Levy, Ende-
mann b. 1. und I. 4 § 1 D. de edendo (2, 13): quas
mei causa confecit';
endUch 3) dass die Urkimde ihrem Inhalt nach einmal
eine für die Streitenden »gemeinschaftliche* war, sofern sie
es zur Zeit der Erhebung der Editionsklage nicht mehr ist.
Es besteht keine Editionspflicht in Betreff erledigter Rechts-
verhältnisse :
— ne forte supervacuas rationes — edi sibi postu-
let — , 1. 6 § 2, 1. 9 § 3, 4 D. de edendo (2, 13).
Vgl. unten § 7.
C. Anwendung auf den Streltftill.
§7-
Die Pflicht zur Vorlegung oder gar zur Mittheilung von
HandelsbUchem unter dem hier noch allein in Betracht
kommenden Gesichtspunkt der »GemeinschafÜichkeit des In-
haltst —
denn dass ein anderer Editionsgrund des »bürger-
lichen Rechts« nicht voriiegt und dass die Vor-
schriften des AUg. Deutschen Handelsgesetzbuchs
theils nicht zutreffen, theils sogar entgegenstehen,
ist früher dargelegt worden: §§ 3 — 5. —
unterliegt durchaus den allgemeinen, im § 6 entwickelten Er-
fordernissen. Dass jedes >Handelsbuch « schlechthin und
Jedennann gegenüber eine »gemeinschaftliche Urkunde« sei,
ist eine völlig grundlose Annahme, welcher sogar das römische
' Dan: Unheil du Reichsgerichti III. CS. vom U. Mai l8Si
(Seuffert'» Archiv XXXVII Nr. 348).
izecoy Google
304 Ueber Ediiionipllicht, inabc«. betr. gemdiMclitfil. Urkuiid«ii eic.
Recht hinsichtlich der Rechnungsbücher der ßantders nicht
zur Seite, sondern entgegensteht.
Vgl. § 5 a. E.
S. auch die zahlreichen , gerade auf Handels-
bücher bezüglichen und deren Pflicht zur Edition unter
dem Gesichtspunkt der >Genieinschaftlichkeit der Ur-
kunden< verneinenden Entscheidungen des Ober-Appel-
lationsgerichts zu Lübeck (Frankfurter Sammlung
[Sauerländer] mS.398ff., 406, IVS.331). Gaupp,
Kommentar zu CP.O. II Anm. III zu § 387 Anm. III
zu § 394.
Demgemäss kommt es nicht darauf an, ob die Handels-
bücher der Gesellschaft X. & Cie. unter irgend einem
denkbaren Gesichtspunkt zwischen dieser Gesellschaft
und den Klägern als Theilerben des Kommerzienraths W. L. X.
gemeinschaftliche Urkunden sind oder gar einmal gewesen
sind, sondern ob sie dies gegenwärtig und zwar unter
dem hier allein in Betracht kommenden Gesichtspunkt sind,
weil sie Aufzeichnungen des Kompierzienraths W. L. X. oder
dessen Mitgesellschafter enthalten, welche geeignet erscheinen,
sei es relevante Rechtsbeziehungen zwischen den Klägern und
der Gesellschaft X. & Cie. oder deren Theilhabem als solchen,
sei es, und dies vornehmlich, kollationspflichtige Zuwendungen
des Kommerzienraths X, an einige seiner Erben festzustellen.
Indem das Urtheil der Kammer für Handelssachen des KOnigl.
Landgerichts zu Köln gerade diesen entscheidenden Gesichts-
punkt ignorirt und aus der in abstracto angenommenen
Gemeinschaftlichkeit jener Handelsbücher zwischen der Gesell-
schaft X. & Cie. und dem Kommerzienrath X. die Editions-
pflicht der ersteren wider die Editionskläger folgert, verstösst
es gegen die maassgebenden Rechtsgrundsätze.
1. Es ist insbesondere rechtlich völlig gleichgiltig , ob
der Kommerzienrath W. L. X. seinerseits einmal berechtigt
gewesen wäre, die Vorlegung dieser Bücher zu dem Behufe zu
beanspruchen , um Über diejenigen Rechtsverhältnisse , in
welchen er als »Gesellschafter t oder als angebUcher »Kunde*
zur Gesellschaft X. & Cie. gestanden hat, Auskunft zu er-
langen. Nicht minder ist rechtlich völlig gleichgiltig, ob den
Erben des Kommerzienraths X. , allen zusammen oder auch
nur einzelnen derselben besonders, ein Editionsrecht zu diesem
„Google
Rechtliche Beleuchtung. 305
Behufe zugestanden haben würde. Denn diese Rechts-
verhältnisse berühren hier überall nicht. Sie sind
aber auch rechtlich vollständig erledigt.
Die Kolorirung, welche die Kläger in dieser Richtung
ihren Ansprüchen gegeben haben, ist rechtlich darchans un-
haltbar, und erledigt sich damit zugleich von selbst und voll-
ständig deren eventueller Anspruch auf Rechnungslegung,
welchen die Kammer für Handelssachen des Königl. Land-
gerichts zu Köln zwar formell zurückgewiesen, materiell aber
insofern für statthaft erachtet hat, als die »Rechnungslegung t
in der Vorlegung der HandelsbUcher enthalten sei.
Es steht — mindestens nach Behauptung der Beklagten —
fest, dass der Kommerzieorath W. L. X. selbst imd dass dessen
Erben mit der Gesellschaft X. & Cie. vollständig ab-
gerechnet haben.
In welcher Weise die »Abrechnungc vollzogen ist, er-
scheint rechtlich gleichgiltig -, es genügt dazu, nach fester
Praxis, sogar eine Nichtbemängelung des zugestellten Rech-
nungsauszuges, überhaupt aber jede, auch nur stillschweigende,
wenn nur unzweideutige Anerkennung des im laufenden Ge-
schäftsverkehr für den einen oder den andern Thei! ordnungs-
gemäss, wenn auch nur einseitig festgestellten Gesammtschuld-
betrags (Saldo). Die vollzogene Abrechnung kann nur noch
durch den Nachweis des Betrugs oder Irrthums angefochten
werden; solange die Anfechtung nicht durchgeführt ist, ver-
bleibt es bei dem durch die Abrechnung bindend festgestellten
Rechtsverhältniss.
H.G.B. Art. 294.
V. Ha h n , Kommentar zu H.G.B. Art. 294, 291 (3. Aufl.)
und die dort citirten Entscheidungen des Reichs-
oberhandelsgerichts.
Goldschmidt, in der Zeitschr. f. HandelsrechtXS. 556 ft
Stobbe, Lehrbuch des deutschen Privatrechts in
S. 81 [3. Aufl. S. 196].
Grünhut, in der Zeitschrift für Öffentliches und
Privatrecht der Gegenwart (Gr.'s Zeitschr.) Bd. HI
S. 508 ff., 524 ff. und Cit.
Windscheid, Pandekten § 412b [8. Aufl. S. 777].
Nach Behauptung der Beklagten liegen nun sogar von
der eigenen Hand des Kommerzienraths W. L. X. geschriebene
.oogic
306 UebcT EditioDSpflicht, insbes. betr. gemeiiuchaftl. UrlcundeD «ic.
Privatbilanzen vom Jahre 1867 ab bei den Gerichtsakten; in.
diesem »Privatbilanzbuch« soll derselbe am Schlüsse eines
jeden Jahres sein Kapitalkonto durch Auistellung sänuntlicher
Saldi, also auch den Saldo bei der Firma X. & Cie. fest-
gestellt und alljährlich die Richtigkeit dieser Aufstellung durch
den Vermerk beglaubigt haben:
»Vorstehende Bilanz ■ Aufstellung meines Ver-
mögens wird hiermit als richtig von mir anerkannt.
Köln (oder M.), den
gez. W. L. X.«
und dieses Privatbilanzbuch nebst den darin ausgesprochenen
Anerkenntnissen soll derselbe jedes Mal, sofort nach Fertig-
stellung der jeweiligen Bilanz, seinem Sohne Theodor X., dem
Theilhaber der Gesellschaft X. & Cie., übergeben haben.
Schwerlich lässt sich eine präzisere und unzweifelhaftere
Form der Abrechnung, vollzogen zwischen einem geschäfts-
filhrenden Theilhaber einer offenen Handelsgesellschaft, welcher
sogar selbst die Bilanz aufmacht und den Saldo zieht, und
einem zweiten geschäftsfuhrenden Theilhaber derselben Gesell-
schaft, denken.
Es haben aber weiter, wie bereits in dem vorausgeschickten
>Thatbestande« sub I (oben S, 258) erörtert ist, die sämmt-
lichen Erben die ihnen von dem geschäftsführenden Theilhaber
der Gesellschaft Herrn Theodor X. vorgelegte Berechnung
des Guthabens ihres Erblassers gegen die Gesellschaft X. & Cie.
als richtig anerkannt. Es haben endlich die klagenden Erben,
insbesondere durch die lediglich diesem Zwecke bestimmten
wechselseitigen Schreiben, den Betrag des jedem Einzelnen
gegen die Gesellschaft zustehenden bezw. von dieser als Schuld-
nerin übernommenen Guthabens festgestellt (oben S. 259).
Sie prätendiren auch jetzt nicht, wie zutreffend das Ur-
theil der Kammer für Handelssachen des Königl. Landgerichts
zu Köln hervorhebt, dass ihnen irgend welche Ansprüche, mit
Ausnahme der allseitig unstreitigen, gegen die Gesellschaft
zustehen, noch behaupten sie , dass die Gesellschaft wider sie
irgend welche Ansprüche erhebt; noch dass sie etwa gegen
Dritte ihnen überwiesene Gesellschaftsschuldner dergleichen
Ansprüche zu erheben berechtigt oder gewillt seien; noch
endlich, dass sie von Dritten aus den Beziehungen ihres Erb-
lassers zur Gesellschaft in Anspruch genommen werden. Die
Rechtliche Beleucbtnng. 307
HandelsbUcher der Gesellschaft X. & Cie., welche allerdings
zwischen dem Erblasser der Editionskläger bezw. diesen selbst
und der Gesellschaft X. & Cie. insofern gemeinschaftliche
waren oder gewesen wären, als dergleichen Rechtsverhält-
nisse in Frage standen, haben, falls sie solches einmal für die
Erben waren, schlechthin tmd in allen Beziehungen auf-
gehört, gemeinschaftlich 2u sein. Der Editionsanspruch aus
dem Grunde auch der »Gemeinschaftlichkeitc besteht nicht
um seiner selbst willen, sondern nur als Schutzmittel eines
anderweitigen rechtlichen Interesses und cessirt mit diesem :
I. 3 §§ 9, 12 I. 19, I. 12 § ult. D. ad exfaib. (10, 4).
Auch die I. 18 eod., welche nach Erlöschen des Schuld-
Verhältnisses dem gewesenen Gläubiger eine Klage auf Heraus-
gabe des Schuldscheins gewährt, geht nicht gegen den ge-
wesenen Schuldner, sondern gegen den dritten Inhaber, z. B,
bei Verletzung des noch bestehenden Eigenthumsrechts : »ab
alio quam debitore.<
Vgl. auch Urtheil des Stadtgerichts zu Frankfurt a/M.
(Entscheidungen des Ober- Appellationsgerichts zu
Lübeck in Frankfurter Rechtssachen [Sauerländer]
IV S. 320): Nicht Editionsklage auf die Vertrags-
urkunde über einen wieder aufgehobenen Societäts-
vertrag. Heidenfeld in Behrend's Zeitschrift
in S. 342,
Zum Behufe einer, übrigens anscheinend gar nicht be-
zweckten künftigen Anfechtung der vollzogenen Ab-
rechnungen aber dürfte doch die beklagte Gesellschaft schwer-
lich verbunden sein, ihre Handelsbücher den Klägern vor-
zulegen! Oder sollten etwa >Rechnungsirrthümer« behauptet
werden ? !
Vgl. hamburgische Handelsgerichtszeitung von 1869
Nr. 104.
2. Angenommen weiter, dass die Handelsbücher der Ge-
sellschaft, wie Kläger behaupten, Aufzeichnungen über die
angeblich von ihrem Erblasser an einige seiner Söhne ge-
machten kollationspflichtigen Zuwendungen enthalten, so würden
dergleichen Aufzeichnungen zwar die Rechtsverhältnisse der
Kläger berühren, aber nicht solche, welche den Klägern
mit der Gesellschaft X. & Cie. gemeinschaftlich
wären. Es würde sich um Interessen nicht des Erblassers
, Google
306 Ueber EditioDtpflicfat, i'nsba. betr. gemeinschklU. Urkonden etc.
oder dessen Erben in ihrer Eigenschaft als dessen Saccessoren,
sondern lediglich um die Sonder interessen einzelner Miterben
gegen einander handeln, welche die Gesellschaft durchaus
nichts angehen. Die Aufzeichnungen, welche diese Rechts-
verhältnisse berühren, oder darüber Auskunft geben, waren
»blosse Privatannotationen des Erblassers oder seiner Theil-
haberc, auf deren Mittheilung imter dem Gesichtspunkt der
»Gemeinschaftlichkeit« keinerlei Anspruch gegen die Gesell-
schaft bestände.
Vgl. z. B. Urtheil des Ober-Appellationsgerichts zu
Oldenburg, 1848 (Seuffert 's Archiv III Nr. 119),
vgl. Celle, 1840 (eod. I Nr. 375); s. auch die früher
citirten Urtheile des O.A.G.'s zu Lübeck (Frank-
furter Sammlung III S. 398 ff., 406).
Um so weniger, als die allein denkbarer Weise, wenn
auch nur thatsächlich die Gesellschaft berührenden Zu-
wendungen, welche durch die Aufnahme der Gebrüder Th.,
O. und W. X. in die Gesellschaft X. & Cie, und die mit dieser
Aufnahme verbundenen Stipulationen, insbesondere die Fest-
legung des erblasserischen Guthabens in der Piandltmg, ge-
macht sein könnten, gar nicht dem Rapport unterliegen, Code
Napoleon art. 854, es müsste denn — was durch das Urtheil
der Civilkammer des KOnigl. Landgerichts vom 17. November
1880 als völlig grundlos verneint ist — nachgewiesen werden,
dass der Erblasser, dessen in die Gesellschaft aufgenonunene
Sohne und der zur Familie nicht gehörige Theilhaber Herr
A. M. sich zur Gefahrdung der übrigen Erben freventlich
verbunden hätten.
Waren oder wären also noch jetzt die HandelsbUcber von
X. & Cie, zwischen der Gesellschaft und dem Erblasser der
Kläger oder diesen selbst hinsichtlich eines gewissen Inhalts
gemeinsam , so doch nicht hinsichtlich ihres hier allein
relevanten angeblichen Inhalts.
Man nehme, um dies zu verdeutlichen, folgenden Fall.
A. steht mit B. in der Gesellschaft A. & Cie. In der ge-
schäftlichen Korrespondenz zwischen A. und B. werden Ver-
handlungen, Verträge und dgl. erwähnt, welche zwischen A.
und C. oder zwischen B. und D. oder zwischen C. und D.
stattgefunden haben, oder Zuwendungen, welche A. gewissen
Personen, künftigen Erben oder Dritten (X., Y., Z.) gemacht
Rechtliche Belenchiung. 309
hat, was aber alles die Rechtsbeziehungen zwischen A. und B.
bezw. zur Gesellschaft A. & Cie. gar nicht berührt. Dürfte
nun A., welcher aus der fortbestehenden Handlung A. & Cie.
ausgetreten ist, oder dürften Erben des A. oder dürften X.,
Y., Z. oder dürften etwa C. oder D. von A. & Cie. die Vor-
legung der Handelsbücher von A. & Cie. als »gemeinschaft-
lichere Urkunden begehren, um darauf Ansprüche gegen C.
oder (X., Y., Z.) gegen dritte Personen (Miterben u. s. w.) zu
gründen, oder sich gegen Ansprüche von D. oder C. zu ver-
theidigen ? Nur wer diese Frage bejaht, dürfte dies auch für
unsem Fall thun.
3. Weder also liegt der Fall vor, dass die betreffenden
HandelsbUcher von X. & Cie. in ihrem hier allein relevanten
Inhalt im Interesse der Gesellschaft X. & Cie. einerseits und
des Erblassers der Kläger oder dieser selbst andererseits er-
richtet sind; noch dass in denselben in ihrem hier allein
relevanten Inhalt gegenseitige, d.h. zwischen der Gesell-
schaft X. & Cie. einerseits und dem Erblasser der Kläger
oder diesen selbst andererseits bestehende oder auch nur be-
standene Rechtsverhältnisse beurkundet sind — da
ja vielmehr die etwa zwischen dem Erblasser und dessen
Kindern oder zwischen diesen unter einander begründeten, aus
den Handelsbüchem der Gesellschaft ersichtlichen rechtlichen
Beziehungen die Gesellschaft in keiner Weise berühren und zu
dergleichen Aufzeichnungen die Handelsbücher der Gesellschaft
weder bestimmt waren, noch sind — ; noch dass es sich um
»Verhandlungen über ein Rechtsgeschäft* handelt; noch end-
lich treffen die für jede" »gemeinschaftliche« Urkunde gelten-
den wesentlichen rechtlichen Kriterien hier zu.
Wie in der deutschen gemeinrechtlichen Praxis derartige,
aber für die Editionsklage noch weitaus günstiger liegende
Falle behandelt worden sind, zeigt u. A, der schon mehrfach
erwähnte, in den Entscheidungen des Ober-Appellationsgerichts
zu Lübeck (Sammlung in Frankfurter Rechtssachen [Sauer-
lander] Bd. IV S. 319 ff.) mitgetheilte Rechtsfall. —
4. Der angestellten Editionsklage steht überdies ent-
scheidend folgender Grund entgegen.
Nach der Sachlage besteht kein Zweifel , dass die
Kläger, behufs Ermittelung angeblich rapportpflichtiger Zu-
wendungen , eine soweit irgend angängig allgemeine
Google
310 Ueber Editionspllicht, in»b«a. betr. gemeiDschaftl. UtknndcD etc.
Durchmusterung der Handelsbücher der Gesellschaft
X. & Cie. begehren.
Nun aber ist die iMittheilungspflicht«: nur in bestimmten
Fällen, unter denen keiner vorliegt, zugelassen, in allen übrigen
gesetzlich ausgeschlossen,
vgl. oben § 3 — ,
die Editionspflicht von HandelsbUchem aber, soweit solche auf
>Gemeinschaft1ichkeit des Inhaltsc der Handelsbücher gestützt
wird, sicherlich dem Dritten gegenüber nicht in einem weiteren
Umfange begründet als gegenüber dem Prozessgegner.
Ist, nach CP.O. § 394 — weit über das in einem grossen
Theile Deutschlands bisher geltende Recht hinausgebend —
der Dritte aus den-selben Gründen, wie der Gegner des Be-
weisfuhrers zur Edition verbunden, so versteht sich auch, dass
er dazu nicht in einem weiteren Umfange verbunden sein
kann, als der Prozessgegner.
Die Grenze, welche in dieser Beziehung die ausdrücklich,
im Interesse der nothwendigen Wahrung der Geschäftsgeheim-
nisse aufrecht erhaltenen Bestimmungen des Art. 38 des
D.RG.B.'s hinsichtlich der Handelsbücher ziehen,
vgl, oben § 2 — ,
gilt nothwendig auch dem Dritten gegenüber, ja diesem
gegenüber aus noch gewichtigeren Gründen. Es würde, wie
keiner weiteren Ausführung bedarf, jedem verständigen Aus-
legungsgrundsatz, der klaren Intention des Gesetzes, dem noth-
wendig zu berücksichtigenden und jeder Zeit anerkannten Be-
dUrfniss des Handelsstandes, somit jeder Regel einer vernünf-
tigen Gesetzespolitik widerstreiten, sollte der editionsp flichtige
Dritte sich eine allgemeine Durchmusterung seiner Handels-
bücher — und zwar auch nur innerhalb der von der Kammer
für Handelssachen des Königl. Landgerichts zu Köln ge-
zogenen Grenzen — gefallen lassen, damit die Editionskläger
in den Stand gesetzt werden, statt für bestimmt formu-
lirte Behauptungen genau bestimmte Beweis-
mittel herbeizuschaffen, das fehlende Behauptungs-
material zu beschaffen oder, unter dem blossen Scheine be-
stimmter Behauptungen, aus einer Durchmusterung fremder
Handelsbücher mögliches Beweismaterial zu gewinnen.
Vgl. oben § cJ a. E., auch Hamburgische Handels-
gerichtszeitung 1873 Nr. 243, 1871 Nr. 64.
Ogk
RechtUche Beleachtnng. 31t
5. Endlich stände einer auf Grund des § 387 der Deut-
schen C.P.O. gleichwohl anzunehmenden Bditionspflicbt der
beklagten Partei die vertrag smässige Ausschliessung
dieser Editionspflicht entscheidend entgegen.
D. Die Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages.
i. Der am 26. Juni 1869 zwischen dem Kommerzienrath
W. L. X., Herrn A. M. und den Herren Th., O. und W. X.,
unter Zustimmung der Frau E. X. geborenen S., notariell ge-
schlossene Societätsvertrag bestimmt unter Ziffer 5, dass durch
den Austritt oder den Tod des Herrn W. L. X. die Societat
nicht aufgelöst werden solle, und unter Ziffer 6 wörtlich:
»Durch den Todesfall eines Associ& während der
Vertragsdauer wird die Gesellschaft nicht aufgelöst,
die Erljen des gestorbenen Associ^s hatten kein
anderes Recht, als auf Grundlage der letzten, vor
dem Todestage abgeschlossenen und von sämmt-
liehen Associ^s genehmigteD , respektive unter-
schriebenen Bilanz ihre Abfindung zu verlangen,
gleichviel welche Werthansätze darin aufgenommen
sind. An weiteren Geschäftsresultaten partizipiren
die Erben nicht; sollte jedoch ihr Erblasser seit
dem Tage der letzten Bilanz noch Einschüsse ge"
leistet haben, so müssen letztere selbstverständlich
unter Vergütung von 4 Prozent Zinsen restituirt
werden. Einsicht in die Bücher ist den
Erben nicht gestattet; desgleichen ist Siegel-
anlage, Inventarisation und jede andere gerichtliche
Einmischung unbedingt ausgeschlossen.'
Diese namentlich in Bankgesellschaftsverträgen bekannt-
lich überaus häufige Stipulation ist augenscheinlich nur gegen
diejenigen Erben eines der Theilhaber gerichtet, welche nicht
Theilhaber der ungeachtet des Todes ihres Erblassers —
gleichviel unter welchen Personen — fortbestehenden
Societat waren oder wurden. Sie setzt den Fall, dass einer
der genannten Theilhaber — gleichviel welcher — durch Tod
aus der fortbestehenden Gesellschaft ausscheidet.
Ihre Tendenz ist klar. Sie will die fortbestehende Gesell-
oogic
312 Ueber Editiontpflidit, inibst. betr. gemeinichafU. Urkunden etc.
Schaft gegen jede, stets lästige, unter Umständen höchst ge-
fahrliche Offenbarung ihrer Geschäftsverhältnisse und Ge-
schäftsgeheimnisse an irgend welche Personen, welche
nicht Gesellschafter sind, schützen. Sie beruht nicht,
oder doch, augenscheinlich, nicht vorwiegend in einem Miss-
trauen gegen die ja noch unbekannten Erben eines ausscheiden-
den Gesellschafters, sondern in dem Vertrauen auf die Mit-
gesellschafter, von deren Ehrenhaftigkeit und Gewissenhaftig-
keit erwartet wird, dass sie auch ohne Rechtszwang zur
Offenbarung der jeweiligen Vermögensverhältnisse , für das
Vermögensinteresse der Erben des verstorbenen Theilhabers
ausreichende Sorge tragen werden.
Sie unterstellt, dass den Erben des ausgeschiedenen Ge-
sellschafters an sich ein Recht auf Einsicht der HandelsbUcher
der fortbestehenden Gesellschaft zukomme, da gegenüber einem
Nichtrecht dieser Erben sie als Überflüssig keinen Sinn hätte.
Sie untersucht aber nicht, unter welchen Voraussetzungen und
in welchem Umfange dieses Recht bestehen kömite — was ja
auch, nach Lage der Sache, sich sehr verschieden gestaltet,
vgl. oben §§ 5, 7.
Sie will aber klar, dass jegliches derartige Recht,
welches etwa an sich einem der Erben zustehen könnte, im
Interesse der fortbestehenden Gesellschaft ausgeschlossen sein
solle. Mit andern Worten : es soll einem jeden derartigen, au
sich rechtlich begründeten Anspruch eines nicht zur fort-
bestehenden Gesellschaft gehörigen Erben eines der Gesell-
schafter die Einrede einer die Editionspflicht ausschliessenden
Vereinbarung, exceptio pacti ne edatur, rechtswirksam ent-
gegenstehen.
Diese Vereinbarung hat aber gleichzeitig die weitere
wichtige Wirkung, dass ein einzelner Gesellschafter, welcher
in Verletzung derselben den Erben eines verstorbenen Gesell-
schafters irgend welche, gleichviel wie beschränkte Einsicht in
die Handelsbücher, d. h. überhaupt in die Geschäftspapiere
der Gesellschaft gestatten wollte, vertragswidrig handeln, ja
sich der Gefahr einer Auflösungs- bezw, Ausschliessungs-Klage
seitens seiner Mitgesellschafter aussetzen wtlrde;
H.G.B. Art. 94, 125, 128.
2) Die Rechtsgiltigkeit einer derartigen Verein-
barung unterliegt keinem Zweifel,
itizecy Google
Recitliche BdeuchtnDg. 313
Soweit die Editionspflicht u, dgl. auf den Grundsätzen
des Societatsrecbts beruht, ist jede dieselbe einschränkende
Vereinbarung sogar durch ausdrücklicbe gesetzliche Vorschrift
mit der einzigen selbstverständlichen Ausnahme gestattet, dass
bei nachgewiesener Unredlichkeit das gesetzliche Recht wieder
in Kraft tritt:
H.G.B. Art. 105, vgl. Art. 90, Z. 2 — Art. 160, vgl.
Art. 157 — Art. 253.
Wenn schon nach Auflösung der Gesellschaft die
Nothwendigkeit unbedingter Offenbarung der Handelsbücher
an Dritte, gegen welche das persönliche Vertrauensverhältniss
der Gesellschafter nicht besteht , für die gewesenen Gesell
schafter, zumal solche, welche etwa den Handelsbetrieb fort-
setzen, die schwersten Nachtheile mit sich führen kann,
vgl. auch Brinckmann, Handelsrechts. 196 Note 18,
S. 199 Note 29,
so leuchtet dies um so mehr ein bei Fortbestand der Ge-
sellschaft,
Wurden doch aus diesem Grunde von den kaufmännischen
Mitgliedern der Berliner Sachverständigenkonferenz (1856)
sogar gegen die anbedingte Mittheilungspflicht der Handels-
bücher »in Gesellschaftstheilungssachent Bedenken erhoben,
welche nur durch das allseitige Eioverständniss darüber, dass
ftlr Gesellschaftsangelegenheiten beliebige abweichende vertrags-
mässige Feststellung gestattet sei, gemindert wurden, wie man
denn auch darüber einig war, dass sogar die einseitige Mit-
theilung einer »Bilanz* an den nur von einem Gesellschafter
einseitig betheiligten Dritten (H.G.B. Art. 98) die übrigen
Gesellschafter befuge, die Auflösung der Gesellschaft zu ver-
langen.
Protokolle über die Berathungen mit kaufmännischen
Sachverständigen und praktischen Juristen, betreffend
den Entwxirf eines Handelsgesetzbuchs für die Preussi-
schen Staaten. Berlin 1856 (Manuskript), S. 14, 29, 33.
Aber auch, sofern es sich nicht um eine, die sehr weit-
gehenden gesetzlichen Societätsrechte auf Einsicht, Mit-
theilung, Vorlegung der Handelsbücher einschränkende Ver-
einbarung handelt, sondern um eine vertragsmässige Modifi-
kation der anderweitigen engeren Editionspflicht, mag es sich
um die Editionsgründe des § 387 Z. 1 der C.P.O. oder um
,j ., .„Google
314 UebcT Ediliontpflicht, insbei. betr. gemeiDscluifÜ. L'ilcnndcD etc.
den Editionsgrund der »Gemeinschaftlichkeitc gemäss § 387
Z. 2 der C.P.O. handeln, ist, und zwar nicht allein, nach der
klaren Gesetzesvorschrift des Art. 90 H.G.B.'s, unter den
Gesellschaftern bezw. deren Rechtsnachfolgern, sondern —
was hier sogar unerheblich wäre — ganz allgemein die modi-
ficirende Vereinbarung statthaft. Denn wie bereits wiederholt
erwähnt,
vgl. oben § 4,
gehört die gesammte Editionspflicht, auch auf Grund der sog.
iGemeinschaftlichkeit der Urktmden* , nicht dem zwingenden
öffentlichen Recht, sondern dem dispositiven Privatrecht an;
wollte man aber etwa unrichtig den Editionsgrund der »Ge-
meinschaftlichkeit* als einen wahren prozessrechtlichen Rechts-
satz behandeln, so würde derselbe doch in die sehr zahlreiche
Klasse nur dispositiver Prozessrechtssätze gehören , wie denn
z. B. sogar aussergerichtliche und vor schwebendem Prozess
getroffene Vereinbarungen Über den Gerichtsstand unbezweifelt
Geltung haben (CP.O. § 38).
S. auch O. Bulow, Archiv für die civilistische Praxis,
Bd. 64 S. 1 ff.
Endlich sind diese Vereinbarungen im Gebiete des rhei-
nischen Rechts lange vor dem Inkrafttreten der Deutschen
Civil prozessordnung eingegangen zu einer Zeit, da in dem
Rechtsgebiete der Paciscenten die Vorschriften des gegen-
wärtig geltenden Rechts über die Editionspflicht Dritter aus
dem Grunde der blossen iGemeinschaftlichkeit des Inhalts<
von Urkunden, zumal von Handelsbüchem , unstreitig nicht,
sicher nicht in gleichem Umfange in Geltung gestanden haben.
Und es versteht sich, dass die in jener Zeit gUltig geschlossenen
Verträge durch eine lediglich die Grundsätze des Verfahrens
betreffende sogenannte irückwirkende Kraft« der Prozess-
gesetze nicht haben ausser Kraft gesetzt werden können, viel-
mehr die einmal vertragsmässig begründeten Rechte schlecht-
hin zu schützen sind.
Vgl. C. J. A. Mittermaier, Archiv für die civilisti-
sche Praxis, Bd. 10 S. 125.
Renaud, Civilprozessrecht (2. Aufl.) §8 S. 19 Note 5.
3) Anlangend endlich die Tragweite der Ziffer 6 des
Gesellschaftsvertrags vom 26. Juni 1869 , so erachtet die
Kammer fUr Handelssachen des Königl. Landgerichts zu KOId
Rechtliche Bdenchtnng. 3(5
die Stipulation im vorliegenden Falle für unanweodbar, weit
dieselbe nicht auch den erst nach geschehenem Austritt er-
folgenden Tod eines Theilhabers vorsehe und treffe.
Dem Wortlaut des Vertrags entspricht diese Auffassung,
nicht dessen unverkennbarem Sinn. Nach dieser Auslegung
hätten 2. B. die Erben des Herrn A. M. oder des Herrn
Th. X. kein Recht auf Einsicht der Gesellschaftsbücher, falls
ihr Erblasser 24 Stunden vor dem fUr seinen freiwilligen Aus-
tritt festgesetzten Zeitpunkt stürbe; sie hätten dagegen das
Recht der Einsicht, sofern der Tod ihres Erblassers 24 Stunden
nach diesem Zeitpunkt erfolgen sollte. Augenscheinlich wäre
das sinntos.
Es müssen drei Fälle unterschieden werden und ist dabei
zu beachten, dass nach dem Willen der Kontrahenten die
Gesellschaft unter den überlebenden Theilhabem fortgesetzt
werden sollte, und zwar noch sehr lange Zeit, denkbarer Weise
sogar weit über den 1. Januar 1884 hinaus.
Vgl. oben den Thatbestand S. 257 f.
1. Der nächstliegende Fall war, dass einer der Theil-
haber aus der im Uebrigen fortbestehenden Societät durch
Tod ausschied. In diesem Falle hätte ja unzweifelhaft dessen
Erben an sich das Recht zugestanden, die Vorlegung der
Gesellschaftsbücher insoweit zu begehren, als zur Feststellung
ihrer Ansprüche gegen die Gesellschaft und umgekehrt, oder
der aus dem Geschäftsbetrieb der Gesellschaft für die Erben
gegen Dritte entstandenen Rechtsverhältnisse erforderlich war.
Vgl. oben § 5 S. 287 ff.
Für diesen nächstliegenden Fall besagt die Vereinbarung,
dass die nicht in der Gesellschaft stehenden Erben sich mit
einer von den Mitgliedern der Gesellschaft anzufertigenden
Bilanz, einschliesslich selbstverständlich einer Mittheilung über
das Kapitalkonto ihres Erblassers, zu begnügen haben, ohne
deren Richtigkeit durch Einsicht der Bücher prüfen zu dUrfen.
Dass ihnen zu irgend welchen weitem Zwecken ein Editions-
recht nicht zukam, verstand sich zwar von selbst, wurde aber
durch das weitergehende, ganz ausnahmslose Verbot:
'Einsicht der Bücher ist den Erben nicht gestattet»,
ausdrücklich festgestellt.
2. Entfernter lag der Fall, dass einer der Theilhaber vor
seinem Tode ausschied, ohne eine endgiltige Regulirung mit
, Cioogic
316 UebcT Ediliotupflicht, tiub«*. betr. gemeiuschafil. UrkundeD etc.
der fortbestehenden Gesellschaft bis zu seinem Tode herbei-
zuführen. Es mag zweifelhaft sein, ob die Paciscenten an
diesen Fall gedacht haben — aber als vorsichtige Geschäfts-
leute hatten sie sicherlich keinen Grund, denselben aus-
zuschliessen tind sie mussten für diesen Fall verständiger Weise
Gleiches feststellen, wie fUr den ersten Fall.
3. Einer der Theilhaber trat vor seinem Tode aus der
Gesellschaft aus ond regulirte endgiltig durch gehörige Ab-
rechnung seine Beziehungen zu der fortbestehenden Ge-
sellschaft.
Es darf zugegeben werden, dass sogar ein äusserst vor-
sichtiger, ja pedantischer Geschäftsmann nicht auf den Ge-
danken gerathen konnte, es wtlrden trotz solcher definitiven
Abmachung einzelne seiner Erben aus irgend welchem Grunde
den Versuch machen, Edition der HandelsbUcher , auf deren
Einsicht sie ja keinerlei Recht besassen, zu erlangen, und es
wäre denkbar, dass diesem Begehren durch den Richter ent-
sprochen würde. Eine auch diesen Fall betreffende Verein-
barung musste somit durchaus überflüssig erscheinen.
Immerhin aber versteht sich, dass das Editionsverbot für
diesen Fall wo möglich noch mehr im Sinne der Paciscenten
liegen musste als für jeden der beiden anderen Falle, und dass
sie auf Befragen erklärt hätten;
Sollte, was uns freilich schwer glaublich erscheint,
es für diesen Fall noch eines ausdrücklichen Editions-
verbotes bedürfen, d. h, sollte Jemand es für denkbar
erachten, dass den Erben eines bei Lebzeiten ausgetretenen
Gesellschafters, welcher selbst sich definitiv mit seinen
Mitgesellschaftem auseinandergesetzt hat und lediglidi
noch Gläubiger eines völlig unstreitigen Geldbetrages
der Gesellschaft gegenüber ist, ein Anspruch auf Vor-
legung der Handelsbücher der fortgesetzten Gesellschaft
unter irgend welchem Titel zustehe,
sei es des Handelsrechts oder des bürgerlichen Rechts
oder der sog. >Gemeinschaftlichkeit der Urkunden',
sei es, um Ansprüche gegen die Gesellschaft oder
gar unter einander auf diese Weise zu beweisen
oder gar zu emiren,
so versteht sich hiermit die ausdrückliche und unbedingte
Untersagung einer derartigen Befugniss.
„Google
Rechtliche Beleuchtung. 317
Mit dieser Auffassung wird in den Societatsvertrag nicht
hineingetragen, was ausserhalb desselben liegt, sondern nur
aus demselben entwickelt, was als der regehnässige geschäfts-
übliche Wille verstandiger Kontrahenten erscheint :
entsprechend dem für die Auslegung der Handels-
geschäfte noch besonders gesetzlich eingeschärften Grund-
satz der Artikel 278, 279, vgl. Art. 90 Abs. 1 des
A. D. Handelsgesetzbuchs, sowie den gleichen Grund-
sätzen des
Code Napolten art. 1135, 1159, 1160
und des römischen Rechts:
1. 31 § 20 D. de aedil. ed. {21, 1): ea qoae sunt
moris et consuetudinis in bonae fidei iudiciis debent
venire.
1. 114 D. de R. J. (50, 17): in obscuris inspici
solere, quod verisimilius est aut quod plerumque Geri
solet, vgl. 1. 34 eod.
Denn, wie in der Praxis, namentlich des Reichs-Ober-
handelsgerichts , stets festgehalten worden ist, muss jeder
Zweifel über den Willen der Betheiligten, welcher sehr wohl
von dem Wortsinn verschieden sein kann, in demjenigen Sinn
gelöst werden, welcher der Atiffassung und Sitte redlicher
Männer, insbesondere solider Kaufleute entspricht;
Goldschmidt, Handbuch des Handelsrechts. Bd. I.
(2. Aufl.) S. 308—310, insbes. Note 13, 14, S. 335
bis 337.
V. Hahn, Kommentar zum D. H.G.B. Bd. II. (3. Aufl.)
S. 78 ff.
Dass aUetn diese Auffassung dem Willen insbesondere
des Erblassers der Kläger entspricht, erhellt schon daraus, dass
derselbe bereits im Societätsvertrage vom 26. Juni 1869 sein
Ausscheiden nicht allein durch Tod, sondern schon vorher
durch Aiistritt vorgesehen, und für diese verschiedenen Fälle,
■welche er hinsichtlich der Rechtsstellung seiner Erben wesent-
lich gleich behandelte, Vorkehrungen getroffen hatte:
vgl. §§ 4, 5, 6 des Gesellschaftsvertrages;
endlich aus dem im Prozess produzirten Schreiben, das
derselbe am 7. Mai 1874, wenige Wochen vor seinem Aus-
tritt, an die (sämmtlicheii ?) übrigen Theilhaber der Gesell-
j ., .„Google
318 Uebet EditioiiEpfiichl, iiisbe». betr. gemeinKhaftl. UTkundcn etc.
Schaft X. & Cie. gerichtet hat, und dessen einschlagiger Passus
mir folgendermaassen mitgetheilt ist:
»Wahrscheinlich werdet Ihr Eode dieses Jahres
Ueberfluss an disponibela Mitteln haben. Dann
mochte ich um diese Zeit aus Gründen mancherlei
Art austreten. In erster Reihe wünsche ich Euch
nicht in die unangenehme Lage zu setzen, dass die
Miterben bei meinem Ableben berechtigt sind, ziu-
Feststellung meines Nachlasses Einsicht in Eure
Bücher zu nehmen. <
Der Konunerzienrath X. ging somit davon aus, dass,
wenn etwa gesetzlich seinen Erben Einsicht in die Bücher der
Gesellschaft X. & Cie, zustehen sollte, — er hat darunter
wahrscheinlich aber, da § 6 des Gesellschaftsvertrages im
Uebrigen klar entgegenstand, nur die dort erwähnte Bilanz
verstanden — jedenfalls mit seinem früheren Ausscheiden und
der an dieses sich selbstverständlich knüpfenden Abrechnung
mit der Gesellschaft jedes derartige Recht ausgeschlossen sein
werde, wie dies denn auch in der That nach dem Gesetz der
Fall war. ^
Schluss.
Die Untersuchung bat den zwar umständlichen, aber doch
sicheren Weg eingeschlagen, zunächst ohne Rücksicht auf die
Vereinbarungen des Gesellschaftsvertrages die Statthaftigkeit
der erhobenen Klage zu prüfen.
Das Ergebniss dieser Prüfung lässt sich dahin zusammen-
fassen :
1. Ein durchaus selbstständiger, von erfolgter Frist-
gewährung in einem schwebenden Hauptprozesse unabhängiger
Editionspro zess gegen Dritte aus dem Grunde der »Gemein-
schaftlichkeit der Urkunden« ist unstatthaft (§ I); wollte man
solchen gestatten, so würde sich die Editionspflicht nicht nach
den Grundsätzen der Deutschen Civilprozessordnung, sondern
nach dem maassgebenden bürgerlichen Recht, hier dem rheini-
schen bestimmen (§ I).
2. Die Editionspflicht hinsichtlich der Handelsbücher ist
überhaupt erbeblichen Einschränkungen unterworfen (§ 2).
3. Eine Pflicht zur Vorlegung der Handelsbücher besteht
„Goo^^lc
Rechtliche Bd«ucIiCuDg. 319
Dach dem Deutschen Handelsgesetzbucb nur dem Prozess-
gegner gegenüber, die davon verschiedene Mittheilungspflicht
ist in einem Falle der vorliegenden Art gesetzlich aus-
geschlossen und darf nicht unter dem Scheine einer nur be-
gehrten Vorlegung erstrebt werden (§ 3).
4. Die Editionspflicht gehört, auch nach den Grund-
sätzen der Deutschen Civilprozessordnung , nicht dem öffent-
lichen Recht an (§ 4).
5. Eine Editionspflicht mach den Vorschriften des bürger-
lichen Rechts« (C.P.O. § 387 Z. l) besteht im vorliegenden
Falle nicht: weder nach den Vorschriften des Handelssocietäts-
rechts, noch nach den maassgebenden Grundsätzen des rheini-
schen bürgerlichen Rechts, noch nach den hier nicht maass-
gebenden Vorschriften des römischen Rechts, den allgemeinen
und den besonderen von den argentarii geltenden, noch endlich
nach der Praxis der deutschen obersten Gerichte (§ 5).
6. Die Handelsbücher der Gesellschaft X. & Cie. sind
nicht »ihrem Inhalte nach« für die Editionskläger und die
beklagte Gesellschaft oder deren Theilhaber »gemeinschaft-
liche Urkunden« (C.P.O. § 387 Z. 2). Die genaue Analyse
dieses Begriffs sowohl nach dem geltenden Recht der Deut-
schen Prozessordnung wie nach dem früheren gemeinen
Recht (§ 6) ergibt vielmehr, dass dessen Voraussetzungen
im vorliegenden Streitfalle durchaus fehlen, indem diejenigen
Rechtsverhältnisse, hinsichtlich welcher eine »Gemeinschaftlich-
keit« denkbar wäre, mindestens unstreitig oder völlig erledigt
sind, durch Aufzeichnungen aber, welche etwaige rapport-
pflichtige Zuwendungen des Kommcrzienraths W, L. X. an
einzelne seiner Erben ergeben könnten, eine »Gemeinschaftlich-
keit« des Inhalts dieser Aufzeichnungen zwischen der Gesell-
schaft X. & Cie. und den Editionsklägem Überall nicht be-
gründet worden ist (§ 7).
7. Die gesetzlichen Einschränkungen hinsichtlich der
Editionspflicht von HandelsbUchem stehen auch den Editions-
klägem entgegen, welche in Wahrheit darüber hinaus sogar
eine »Mittheilung« der Handelsbücher erstreben (§ 7 a. E.).
8. EKirch § 6 des Societätsvertrages vom 26. Juni 1869
ist schlechthin und rechtlich wirksam, nach früherem wie nach
geltendem Recht, jede Einsicht der Editionskläger in die
Bücher der fortbestehenden Handelsgesellschaft X. & Cie. aus-
, CiOOglc
320 Ueber Editionspflicht, intbet. betr. gemditwhaM. Urkuoden etc-
geschlossen (§ 8). Durch diese weder dem guten Glaubea
noch der öffentlichen Ordnung zuwiderlaufende, vielmehr der
Billigkeit und dem Handelsgebrauch entsprechende, den guten
Glauben schützende Vereinbarung erledigt sich jeder in der
rechtlichen Beurtheilung des Streitfalles etwa noch mögliche
Zweifel ;
Code Napoleon art 1134. Les Conventions l^ale-
ment formöes tiennent Ueu de loi ä ceux qui les
ont faites.
oy Google
10.
ALTE UND NEUE FORMEN
DER
HANDELSGESELLSCHAFT.
VORTRAG,
GEHALTEN IN DER
JURISTISCHEN GESELLSCHAFT ZU BERLIN.
(1892.)
jij.iei, Google
iLCD, Google
Erwartea Sie nicht, dass ich in der knapp bemessenen Zeit
eines Vortrags eine ausfuhrliche geschichtliche Dar-
legung des Ursprungs und der alhnäligen Entfaltung der ver-
schiedenen Formen wirthschaftUcher Associationen versuche.
Es scheint mir angemessen, mich auf gewisse leitende, die
Franzosen würden sagen »philosophische < Gesichtspunkte zu
beschränken, zumal ich vor Kurzem die Entstehungsgeschichte
der typischen Urformen eingehend dargelegt habe". Die all-
gemeine geschichtliche Betrachtung soll mir ermöglichen, von
einem weiteren Standpunkt aus die neueste, noch in dem
Stadium der legislativen Behandlung stehende Gesellschafts-
form der kritischen Prüfung nach dem Maasse meiner Ein-
sicht und Erfahrung zu unterziehen, und ich darf für diesen
Versuch wohl aus dem Umstände eine gewisse Berechtigung
entnehmen, dass ich mich seit 40 Jahren ' unablässig mit der
ErgrUndung von Bau und Funktionen des europäischen Gesell-
scbaftsrechts beschäftigt habe.
I.
Wenn wir in dem berühmten Worte des Aristoteles:
tavSffumos ^pvoai noXirixhv töiovt den ewigen Kern aller rich-
tigen Staatslehre, mit dem grossen Denker den Staat als die
DOthwendige Form dauernder Verbindung zusammenlebender
Menschen anerkennen, daher die vielverbreiteten Spekulationen
> UDiveiulgeaciiicliCe des HaadekrechU. i. Liefr. (Handb. des Hudelt-
iwchU. 3. Aufl. I. Erste Abtheilung, 1891), insbes. S. 254— 39S.
> De todetate en comnundjte. ipec. I. Halis 185 1 ; Kritik des Enl-
vurb eines Handelsgesetsbuchs filc die prenssischeD Staaten. Abth. i u. 2.
Heidelberg 1S57/5S. GatachCen Ober den Entwurf eines deutschen H.G.B.'t
nach den Beschlfissea zweiler Lciung. Eilajigeu iSäo lu «. f.
l,j _ .^ , CiOOglc
324 Alte and tt«ue Fonoeit der HandeltgMelltcluift.
von der angeblich staatenlosen Menschheit einer Urzeit, von
■willkürlichen Verträgen, durch welche die Staaten entstehen
und bestehen sollen, als gleichermaassen ungeschichtlich wie
psychologisch unmöglich verwerfen, so verhält sich dies freilich
anders mit denjenigen Verbindungen der Menschen, welche
zu sonstigen, gemeinsam verfolgten Privatzwecken eingegangen
werden. Weder sind sie selbst naturnothwendig, noch lassen
sich wirthschaftliche oder geschichtliche Gesetze für ihre, nur
nach wechselnden wirthschafthchen Bedürfnissen und Zweck-
mässigkeitserwägungen bestimmten Formen ermitteln. Immerhin
reichen auch sie in die Anfänge der beglaubigten Geschichte
hinauf. Bereits in altassyrischer Zeit, gegen 2000 Jahre
vor unserer Zeitrechnung, finden wir Handelsassociationen,
sogar von langer Dauer, mit einer Art von Firma, indem die
Gesellschaft nach ihrem Haupte benannt wird '. Und, wenn-
gleich wir gar nichts wissen von Associationen, so wenig als
von sonstigen Rechtseinrichtungen des grössten Handelsvolkes
der orientalischen Welt, der Phönizier und Karthager,
so wird doch die Existenz von Handelsgesellschaften auch bei
ihnen sich nicht bezweifeln lassen. Dagegen ist wohl bekannt
die Fülle hellenischer Associationen für die verschiedensten,
auch wirthsc haftlichen Zwecke. Nur sind wir leider über deren
Organisation aus den sehr lückenhaften Fragmenten der Ge-
setze, aus den Erörterungen der attischen Redner und den
nicht immer zuverlässigen Konstruktionen ihrer Philosophen
um so unvollkommener unterrichtet , als eine juristische Lite-
ratur völlig fehlt, und die in grosser Fülle vorhandenen Ur-
kunden, die zuverlässigsten Zeugnisse hellenischen Rechts, in
dieser Hinsicht nur spärlichen Aufschluss gewähren.
Endlich ist unsere Kenntniss sogar des römischen
Gesellschaftswesens und Gesellschaftsrechts eine sehr lücken-
hafte. Wie tief und sicher auch dieses grösste Rechtsvolk
aller Zeiten den juristischen Kern und die leitenden Prinzipien
der »societasi erfasst und mustergültig formulirt hat, so ver-
mögen wir doch aus der theils unzureichenden, theils überaus
abstrakten Ueberlieferung kein klares Bild von der unzweifel-
haften Mannigfaltigkeit der Societäten und von der besonderen
' Z. B. Eugene Revillout, IfS obligalions en droit Egypiieo compirf
aux autres droits de t'aniiquilj. Appendice Eur le droit de la Chdld^. P*iis
Alle und n«ue Formen <)«r HandelsgetellschBft. 325
Struktur ihrer einzelnen Arten zu gewinnen. Wir wissen nur,
dass neben der, wohl vorherrschenden Gelegenheitsgesellschaft
auch die Gewerbs-, Handels- und Industrie-Gesellschaft be-
standen haben, dass beide in der Regel nach Art unserer
stillen Gesellschaft betrieben wurden, aber auch unserer offe-
nen und unserer Kommanditgesellschaft ähnlich sein konnten;
dass es für gewisse, Überwiegend verwaltungsrechtliche Zwecke
grosse Associationen von Kapitalisten mit korporativer Ver-
fassung (societates publicanorum sive vectigalium) gegeben
hat, mit anscheinend freier Veräusserlichkeit und mindestens
beschränkter Vererblichkeit der Antheile , insofern unsem
heutigen Aktienvereinen in wichtigen Beziehungen ähnlich,
aber doch schwerlich in den für die juristische Struktur ent-
scheidenden Punkten gleich normirt.
Immerhin ist ein bedeutsames Moment nicht zu ignoriren.
Der dem gesammten Alterthum eigenthUmliche hauswirth-
scbaftliche und zugleich kapitalistische Grossbetrieb, nämlich
durch die abhängigen Familienglieder, insbesondere durch die
selbst einen bedeutsamen Theil des Kapitalvermögens bildenden
Sklaven, hat auch die Gestaltungen der Societät erheblich be-
einflusst. Eine mindestens thatsächliche Association bestand
häufig zwischen dem Hausherrn und seinen Gewaltunter-
worfenen, desgleichen dieser unter einander; eine auch juristi-
sche zwischen Sklaven oder Hauskindem verschiedener Haus-
herren, und mindestens das praetorische Recht gewährte be-
kanntlich aus den Rechtsgeschäften der Gewaltunterg ebenen
verschiedenartige Nebenklagen gegen den Gewalthaber : actiode
peculio, tributoria, quod jussu, exercitoria, instttoria. So konnte
der Gewalthaber mehrerer oder konnten die mehreren Ge-
walthaber des gleichen Sklaven den Geschäftsgläubigem in
sehr verschiedener Weise haften: beschränkt auf Höhe des
Sonderguts, und zwar unter Vorwegabzug der eignen Forde-
rung (a. de peculio) wie ohne solche (a, tributoria) — oder
unbeschränkt auch mit dem sonstigen Vermögen, die mehreren
je nachdem solidarisch oder nur antheilig. So verhält es sich
noch im justinianischen Recht, sogar hinsichtlich der Haus-
kinder, trotz der allmäligen Anerkennung eigenen Kinderguts.
Es waren so durch das Mittel der Sklaven und Hauskinder
die verschiedensten Associationsformen ermöglicht, ja es zog
prinzipiell der Gewerbebetrieb durch die Gewaltunterworfenen
_ .Google
326 Alte and nene Formen der Handel^Milichaft
eine nur beschränkte Haftung des Hausherrn nach Art unserer
Kommanditgesellschaft nach sich. Die Associatioa mehrerer
Gewaltfreien aber trag in der Regel den Charakter onserer
stillen Gesellschaft, da die einzelnen scxrü auf ihren alleinigen
Namen zu kontrahiren pflegten, die Gläubiger derselben also
gegen die übrigen socii nur mit der cedirten actio pro socio
klagen konnten ; war der Antheil der übrigen an dem Gesell-
schaftsverlust vertragsmässig bescht^nkt, so galten durchaus
die Grundsätze des Art. 258 unseres Deutschen Handelsgesetz-
buchs. Die weitverbreitete Auffassung, es sei nach rtlmischem
Recht eine nur beschränkte Haftung der Socien unstatthaft,
ist so eine durchaus unbegründete; ja es findet sich im corpus
iuris nicht einmal dem einzelnen Schuldner verwehrt, von vorn-
herein seine Haftung aus dem betreffenden Rechtsgeschäft auf
einen bestimmten Maximalbetrag zu begrenzen, und es bildete
diese beschränkte Haftung die Regel bei allen mittelst frei wirth-
schaftender Sklaven oder Hauskinder betriebenen Gewerbe. —
Im Mittelalter ist die Sklaverei allmälig erloschen und
hat die alte Hausgewalt Über die Kinder sich immer mehr ge-
lockert. Auch gab es keine oder doch nur wenige grosse
Kapitalisten, deren eigenes Vermögen für den Betrieb wejt-
aussehender oder riskanter Handels- oder Industrie-Unter-
nehmungen ausgereicht hätte. So konnten denn in der Haupt-
sache nur durch Associationen von Freien grössere wirthschaft-
liche Unternehmungen durchgeführt werden: durch gegen-
seitige von Kapital und Arbeit oder durch nur einseitige von
Kapital zu Arbeit.
Als daher, nach Vernichtung des antiken Grosshandels,
zuerst in den Mittelmeerländern der Verkehr wiederum
einen kräftigeren Aufschwung nimmt, begegnen wir alsbald
zwei Formen der Vergesellschaftung. EHe eine, und zwar die
älteste, ist die mittelalterliche commenda, die Gesellschaft
mit beschränkter Haftung des Kapitalisten, ursprünglich für
den überseeischen, später auch für den Binnenverkehr ver-
wendet — sie bildet die Grundlage sowohl der heutigen Kom-
manditgesellschaft wie der heutigen stillen Gesellschaft und
findet sich früh in den verschiedensten Varietäten. Sie lehnt
sich, nach sicheren Spuren, an bereits aus dem Alterthum
überkommene Geschäftsformen — an antikes »V;dgärrechte —
an. Wie der heutige, so hatte auch der mittelalterlich^ z. B.
, Google
Alte und neue Fonnen der Huiddlge«eII«cluft. 327
venetianische oder genuesische Kapitalist sein Kapital meist
in verschiedenen SpekiUationsuntemehmungen stecken und
pflegte an jeder nur mit einem genau begrenzten Betrage be-
theiligt zu sein , während sein durch Gewinnantheil inter-
essirter, häufig kapitalloser Gesellschafter, mitunter auch ein
Kommissionär oder Handelsbediensteter die Geschäfte auf
eigenen Namen und so unter rechtlich unbeschränkter Haftung
führte.
Dagegen in dem engeren Kreise der Familienangehörigen,
insbesondere zwischen Brüdern (societas fratrum) oder sonst
einander nahestehenden Personen, pflegte eine Zusammen-
werfung des ganzen Vermögens oder doch beträchtlicher Theile
desselben zu gemeinschaftlichem Geschäftsbetrieb auf gemein-
schaftlichen Namen (die heutige Gesellschaftsfiima) stattzu-
floden. So vornehmlich im Binnenverkehr, namentlich im
Handwerk, in der Fabrikation, später auch im Bankwesen.
In Folge dauernder Uebung bildete sich allmäUg der Ge-
wohnheitsrechtssatz, dass die einzelnen Mitglieder einer solchen
Gesellschaft einander aktiv und passiv vertreten, im Prinzip
jeder für alle handeln dürfe, aber auch für alle solidarisch
und unbeschränkt haften müsse. Endlich bestand die, wohl mit
der ursprünglichen Familiengemeinschaft zusammenhängende
Rechtsanschauung, dass das gemeinschaftliche Societätsgut ein
durch die Societätszwecke rechtlich gebundenes gemeinschaft-
liches SondervermOgen (iGesellschaftsvermOgeni) bilde, somit
der einseitigen Verfügung der einzelnen socii oder deren
Gläubiger entzogen sei. Mit alle dem und der Gesellschafts-
firma, deren verbindlicher Gebrauch auf dem nun anerkannten
Prinzip der freien Stellvertretung beruhte, war die, über das
römische Recht hinausgehende feste Struktur derjenigen Gesell-
schaftsart begründet, welche wir heute als offene Handels-
gesellschaft (iKollektivgesellschaftc) bezeichnen.
EHe beiden Gesellschaftsarten haben sich wesentlich un-
abhängig von einander entwickelt and stehen selbstständig
neben einander. Die weit verbreitete Annahme, dass die
Kommanditgesellschaft eine modiflzirte, nur unter besonderen
Voraussetzungen statthafte Abart der offenen Handelsgesell-
schaft sei, ist historisch wie dogmatisch gleich irrig. Nur
haben beide Gesellschaftsarten auf einander eingewirkt, schon
das spätere italienische, insbesondere aber das französische
, C-'OOgIc
328 Alle und neue Pannen der Haadet^eselbdiaft.
Recht hat äe in zahlreichen Punkten und nicht immer un-
bedenklich assimilirt; es hat »ch endlich hieran die schärfere
Scheidung zweier Arten der alten commenda, nämlich der
Kommanditgesellschaft einerseits und der stillen Gesellschaft
andererseits geknüpft, welche in dem Deutschen Handels-
gesetzbuch, zur Freude aller Bewunderer juristischer Sub-
tQitäten, ebenso konsequent wie praktisch unglücklich durch-
geführt ist. —
Endhch gehört gleichfalls bereits dem italienischen Mittel-
alter die dritte Hauptform unserer Handelsgesellschaften, näm-
lich die Aktiengesellschaft an, welche auf dem Grund-
gedanken zugleich veräusserlicher und vererblicher wie die
Haftungsgrenze darstellender Antheile beruht. Allein sie
wurzelt nicht, gleich den beiden ersten Formen, in Handel
und Industrie, sondern im öffentlichen Anlehenswesen , findet
sich zuerst als Kolonialgesellschaft und hat stets ein StUck
pnbliztstischen Charakters bewahrt, wenngleich sie sachlich
allmälig, insbesondere seit der völligen Freigebung der Aktien-
vereinsbildung, auf den Boden des reinen Privatrechts ver-
pflanzt worden ist. Zur Demokratisirung wie Mobilisining der
Kapitalien und zu den nur dadurch ermöglichten gewaltigen
wirthschaftlichen Unternehmungen, aber auch zu allen daran
natut^emäss sich knüpfenden Gefahren und Missbrauchen bat
sie mehr als irgend eine andere Gesellschaftsform beigetragen-,
sie bewahrt die ihr naturgemäss anhaftenden Mangel als noth-
wendige Korrelate ihrer grossen wirthschaftlichen Vorzüge.
Was gleichzeitig an ähnlichen, aber weniger scharf aus-
geprägten Gesellschaftsbildungen im Gebiete der rein ger-
manischen Handelsvtslker, etwa in Eteutschland und
Skandinavien begegnet, ist, gleich vielen anderen germa-
nischen Pnvatrechtsbildungen , schliesslich dem reicher und
konsequenter durchbildeten romanischen Recht unterlegen. Am
spätesten ist hier die reine Aktiengesellschaft durchgedrungen.
Dagegen finden sich schon früh und anscheinend originär der-
selben ähnliche gesellschaftliche Verbindungen, welchen ge-
meinsam ist der Charakter eines iMehrheitsverbandesc mit
vererblichen und veräusserlichen Antheilen an einem gewissen
Sachenkomplex. Wenn die Grundlage des ursprünglichen
Aktienvereins ein Kapitalfonds (mons, monte) bildet, welcher
sich juristisch als ein Komplex von Anlehensfordenmgen gegen
Alte und neue Formen der Handeligeiellschsft. 329
den Staat darstellt, so ist hier das mehr sinnliche Substrat
ein Bergwerk, ein Salzwerk, eine Mühle, ein Seeschiff mit
seinem Zubehör. Die Miteigner dieses Sachenkomplexes stehen
in einer eigenthUmlicben , bald mehr societätsmässigen , bald
mehr korporativen Verbindung. So in den Gewerkschaften
und Pfännerschaften, den Mtlhlengenosscnschaften, den Rhede-
reien, den Gehöferschaften.
Während aber der Aktienverein sich immer schärfer zu
einem reineo Kapitalverband entwickelt, mit dem ein fttr alle
Mal festbegrenzten Grundkapital, dessen Antheile, mindestens
im kontinentalen Recht, zugleich die maximale Haftungsgrenze
für jeden einzelnen Theilnehmer darstellen, findet sich in diesen
verwandten Gebilden sehr häufig, schliesslich gesetzlich das
Zubussesystem anerkannt in Verbindung mit einem sehr
merkwürdigen Abandonsystem. Die einzelnen Tbeilhaber sind
so verbunden, unter Umständen auch über ihren arithmetisch
begrenzten Wertbantheil an dem Gemeingut hinaas, zu den
Lasten und Schulden des gemeinsamen Unternehmens bei-
zutragen, sofern sie nicht durch Aufgabe ihres Antheils sich
dieser Zubussepfltcht entziehen.
Sehen wir einstweilen von diesen, in wichtigen Beziehungen
abweichenden Zubussegesellschaften ab, so gewinnen wir in
den bezeichneten drei Grundformen der Gewerbsgesellschaft
nach zwei Richtungen hin die charakteristischen Typen:
einmal hinsichtlich des wirthschaftlich wie juristisch gleich
wichtigen Eintheilungsgrundes nach der Kreditbasis,
zweitens aber hinsichtlich der allgemeinen juristischen
Gestaltung.
In erster Beziehung liegt es auf der Hand: dass die
offene Geseilschaft ihren Kredit, somit das Maass ihrer Fähig-
keit, Geschäfte auf Kredit einzugehen, der solidaren imd zu-
gleich unbeschränkten Haftung aller Theilnehmer für die Ge-
sellschaftsschulden entnimmt; dass gerade umgekehrt der
Kredit der Aktiengesellschaft lediglich auf dem das einzige
Haftungsobjekt der Gesellscbaftsgläubiger bildenden Vereinsgut
beruht, der einzelne Aktionär überhaupt nicht ihafteti, son-
dern nur bis zur MazimalhOhe seines Antheils oder seiner
Antheile für die Gesellschaftsschulden ieinsteht< ; endlich dass
die Kommanditgesellschaft und die stille Gesellschaft zwischen
beiden die Mitte halten, indem zwar ein oder mehrere Gesell-
„Googlc
330 Alte nnd ueae Form«a der Hudel^etdhchofl.
schafter unbeschränkt ftlr die Gesellschahsschulden haften, ein
oder mehrere aber nur bis auf Höhe ihrer Einlage für die-
selben einstehen, wobei dahingestellt bleiben mag, ob anch
nur bei der Kommanditgesellschaft eine idirekte Haftung« der
Kommanditisten anzunehmen ist oder sich empfiehlt. —
Diese verschiedene Gestalt der Kreditbasis tritt somit her-
vor in der verschiedenen Haftung nach aussen, und zwar nur
darin, wahrend im Innern diese verschiedenen Gesellschaften
ganz gleichartig sein können und der Vereinbarung der Be-
theiligten freier Spielraum gelassen ist. So steht nichts im
Wege, dass die offene Gesellschaft oder die Konunanditgesell-
Schaft sich mit einem festen, in gleiche Grundtheile zerlegten
Aktienkapital bildet, oder dass in der offenen Gesellschaft ein
oder mehrere Gesellschafter gegen die übrigen eine nur be-
grenzte Haftung übernehmen. —
In der zweiten Beziehung unterliegt es keinem irgend
gegründeten Zweifel, dass die Aktiengesellsdhaft eine juristi-
sche Person ist, und zwar, nach ihren Überwiegenden Merk-
malen Korporation, wenngleich mit wichtigen Elementen aus
der zweiten Klasse der juristischen Personen, den sogenannten
Anstalten oder Stiftungen, durchsetzt; durch die hier regel-
mässigen Sonder- Vermögensrechte der einzelnen Theilhaber
gegen den Verein unterscheidet sie sich zwar häufig thatsäch-
lich, aber nicht begrifflich von solchen Korporationen, welchen
diese korporativen Sonderrechte fehlen.
Umgekehrt sind weder die offene noch die Kommandit-
Gesellschaft juristische Personen, sondern wahre, wenngleich
in mannigfachen Beziehungen eigenthUmhch gestaltete Socie-
taten. Der Kampf gegen die ganz schablonenhafte, änsser-
liche Auffassung der französischen Doktrin, welche alle Handels-
gesellschaften als juristische Personen behandelt, dürfte doch
für die deutsche Theorie und Praxis im Wesentlichen ent-
schieden sein, wenngleich noch immer nicht alle Konsequenzen
der richtigen Auffassung gezogen werden. Vor mehr als
30 Jahren prophezeite mir in längerer Unterredung der scharf-
sinnige und gelehrte, aber ganz französischrechtlich gebildete
Referent der Nürnberger Handelsgesetzkommission, Geheim-
rath Heimsoeth, ich würde »bei reiferer Einsicht midi der
französischen Auffassung anschliessent ; heute darf ich kon-
statiren, dass weder an mir, noch an der weit Überwiegenden
, CiOO^^Ic
Alle und neue Formen der Htndel^eKllKhafL 331
Mehrheit denkender Facbgenossen diese Propheieiung sich be-
wahrheitet hat'.
Aber noch ein anderes Prinzip ist siegreich durchgekämpft
worden. Gleichfalls im Anschluss an die damals für muster-
giltig erachtete französische Gesetzgebung hatte der preussische
Entwurf des Handelsgesetzbuches den verhänge] ssvollen Satz
an die Spitze gestellt: >Das Gesetz erkennt drei Arten von
Handelsgesellschaften an« (§ 85), nämlich die bereits be-
sprochenen drei Grundformen (§ 86). Damit war der Kreis
der Associationsformen gesetzlich geschlossen, das Handels-
gesetzbuch für die einzige maassgebende Rechtsquelle erklärt.
Auch diese schwerwiegenden Sätze sind gelallen". Man er-
kannte, dass es unstatthaft sei, der durch die Entfaltung des
Untemehmmigsgeistes hervorgerufenen Bildung neuer Gesell-
schaftsformen einen gesetzlichen Riegel vorzuschieben. Ja es
ist sogar neuerdings, nach freilich hartem Kampfe gegen die
doktrinäre Befangenheit einflussreicher Praktiker , gelungen,
die neue Gesellschaftsform der Erwerbs- und Wirthschafts-
genossenschaften mit beschränkter Haftung zur gesetzlichen
Anerkennung zu bringen und so, trotz mancher legislatorischen
Missgriffe, der freien Bethätigung wirthschaftlicher Kräfte in
der Hauptsache ausreichenden Spielraum zu gewähren.
Die Erwerbs- und Wirthschafts- Genossen-
schaften bilden überhaupt eine besondere Gesellschaftsart, je
nach ihrer besonderen Gestaltung den offenen oder den Aktien-
gesellschaften verwandt, aber doch von beiden in dem wirth-
schaftlichen wie dem juristischen Grundprinzip verschieden.
In der Hauptsache bestimmt, Erganzungswirthschaften der in
ihrer Selbstständigkeit verbleibenden Einzelwirthschaften zu
sein, sind sie auf den Wechsel der Mitglieder und ihrer Kapi-
talien berechnet, Gesellschaften mit freiem Ein- und Austritts-
recht und deshalb auch mit wechselndem Kapital (sociät^s ä
capital variable). Durch die in der Hauptsache richtige legis-
lative Gestaltung dieser eigenthümitchen Gesellschaftsart haben
' Vgl. Laband, Bdtrige tar Dogmadk der Handelsgeidlsclufteii,
Zeit*dir. r. du ges. Handelaecht, Bd. 30 S. 469 ff., Bd. 31 S. t ff. Gierke,
I>ie Genonemcluftitheorie and die deutsche Rechttpicchung (Berlin 18S7}
S. 435 ff.; Goldscilinidt, Sptem de* HaadeltrecbU im GrondriH, 3. Aufl.
1891 S. 118 ff. [4. Aufl. S. 129?.].
• S. dagegen meine Kritik d. pieou. Entwarft, I (iSj?) S. 57 fr.
, Google
332 Alte und neue Formen der HMtdeUgcullschaft.
■wir einen wichtigen Vorsprung gegenüber allen ausländischen
Gesetzgebungen gewonnen, welche diese Gesellschattsart theils
überhaupt nicht ausreichend normiren, theils, wie das franzö-
sische Recht und die diesem nachgebildeten Gesetzbücher, unter
die nicht geeigneten drei Hauptformen der Handelsgesell-
schaft , als »modifizirte« offene , Kommandit - Aktien - Gesell-
schaften, pressen '.
Haben wir uns hier und in manchen anderen wichtigen
Rechtstheilen endlich von dem maassgebenden Vorbild des
Auslandes frei gemacht, dürfen wir betonen, dass unser deut-
sches Handelsrecht, dessen Doktrin und Praxis in der Haupt-
sache auf eigenen Ftlssen steht, so wird begreiflich, dass wir
im erfreulichen Gefühle .unserer Kraft es wagen, mit durchaus
originellen Rechtsschöpfungen auch da vorzugeben, wo uns
bisher Jedes Vorbild fremdländischer Gesetzgebung fehlt.
IL
Ein derartiger Versuch wird gegenwärtig gemacht. Der
aus der Initiative hochangesehener Grossindustriellen hervor-
gegangene, vom Reichsjustizamt ausgearbeitete, vom Bundes-
rath genehmigte Entwurf eines Gesetzes überGesell-
schaften mit beschränkter Haftbarkeit liegt dem
Reichstage vor, hat nur vereinzelten Widerspruch erfahren
und ist bereits mit geringen Modifikationen von der Kommission
des Reichstages angenommen worden.
Aber wohlverstanden, es handelt sich um eine durch-
aus neue, noch nirgends in der Welt erprobte Ge-
sellschaftsform. Es verhält sich insbesondere ganz anders
als bei den iGenossenschaften mit beschränkter Haftpflicht!,
welche lange vor ihrer reichsgesetzlichen Regelung in grosser
Zahl bestanden und sich bewährt hatten, zum Theil ohne
gesetzlichen Schutz, zum Theil sogar, wenngleich unvoll-
kommen, gesetzlich geregelt: in Bayern und Sachsen, in
Oesterreich-Ungam , der Schweiz, den meisten europäischen
Staaten. Es ist bekannt, dass die Urheber dieses jetzt greif-
' Goldschmidt, Eiwerbs- und Wirthictufts-GeiiotMnsctuften , Stadien
und Vonchlfige, iSSa (ZeiUchi. f. dii gee. Hindelirecht Bd. 37 ü. i S.). Vgl.
denselbeo: Die Erwerbs- und WirthschBru^etioNCiuchaften nich demRachi-
gewtte vom i. Mai 18S9, ZdtKlir. Bd. 37 S. 33 ff.
::,y Google
Alte und neue Fonnen der Handel^cKlUclwft 333
bare Form gewinnenden legislativen Gedankens, die Reichs-
tagsabgeordneten Dr. Hammacher und Geheimrath Oechel-
häuser , sehr verschiedene Grundprinzipien für die neue
Gesellschaftsform vertreten haben, und es ist klar, dass der
im Reichsjustizamt mit grossem technischen Gesdiick aus-
gearbeitete Gesetzentwurf eine Art von Kompromiss zwischen
diesen verschiedenen Grundgedanken erstrebt. Die leitenden
Prinzipien desselben sind überwiegend den Grundsätzen des
Aktienrechts, wichtige jedoch dem Recht der offenen Handels-
gesellschaft, andere dem Recht der vorhin charakterisirten
Zubussegesellschaftea (Gewerkschaft, Rhederei) entnommen.
Wenn hervorragende Kenner des deutschen Wirthschafts-
lebens, wenn die Mehrzahl der deutschen Handelskammern
darin Übereinstimmen, dass die bisher gesetzlich anerkannten
Gesellschaftsformen für die Erreichung wirthschaftlicher Zwecke
nicht ausreichen, so muss den so gekennzeichneten Interessen
durch das positive Recht ausreichender Schutz verliehen
werden. Insofern stehe ich der Gesetzesvorlage durchaus
sympathisch gegenüber und erachte es für unzulässig, mit
O.Bähr' dem legislativen Versuche mit der Behauptung ent-
gegenzutreten, dass solcher nur dem iSchwindeh zu Gute
kommen werde. Aber immerhin scheint mir grosse Vor-
sicht geboten.
IDen Hinweis darauf, dass in England sich angeblich
gleiche Gesellschaften bereits erprobt hätten, vermag ich nicht
als begründet anzuerkennen. Bekanntlich lässt das englische
Recht — abgesehen von einigen , neuerdings vermehrten
Fällen ' — weder die Kommandit- noch die stille Gesellschaft
2U, vielmehr besteht prinzipiell für Gesellschaften mit be-
schränkter Haftbarkeit lediglich die Form der Aktiengesell-
schaft, aber diese ist gesetzlich auch solchen Gesellschaften
zugänglich gemacht, welche nicht Aktiengesellschaften im
technischen Sinne unseres Rechts sein wollen. Denn indem
das englische Aktiengesetz von 1862 gestattet, dass das im
Prospekt oder Statut normirte und registrirte Grundkapital
ein nur nominelles bleibt, d. h. dass die Aktiengesellschaft als
■ >G«se1lschanea mit b«scbTSnkter Haflaog'. GreDiboten, Februar 1893.
* Ges. T. ;. Juli 1865 u. Ges. t. 14- Augast 1R90 s. 2, 3. (Zeitschr. f.
das gM. Handelsr. X S. m, XXXIX S. 540.)
oogic
334 Alu nnd neue Fonneo der HandebgetellKluft.
Korporation ins Leben bitt, sobald Überhaupt nur die noth-
wendigen sieben Mitglieder je eine Aktie gezeichnet haben,
ergibt sich die rechtliche Möglichkeit, dass unter dem Namen
einer Aktiengesellschaft mit einem gewollten Grundkapital von
10000 JP, getheilt in 100 Aktien, sich sieben Personen zu
einer korporativen Gesellschaft verbinden, deren wirklich ge-
zeichnetes Gesellschaftskapital nur 700 £ beträgt EMese an-
geblich erprobten Gesellschaften des englischen Rechts mit
beschränkter Haftbarkeit sind somit formell fertige, materiell
unfertige — wir wurden sagen; missbräucfaüche — Aktioi-
gesellschaften, und ob sich beispielsweise solche auf 10000 ^
projektirte, aber mit einem Kapital von nur 700 |f ins Leben
getretene Gesellschaften in WirkUchkeit bewährt haben, ist,
trotz mehrfacher Bemühungen, mir zu ergrflnden nicht ge-
lungen. Ohnehin dürfte um so mehr von dem angeblichen
englischen Vorbild abzusehen sein, als bekannthch seit ge-
raumer Zeit in England selbst emstitcb erwogen wird, ob nicht
ein wirklich vollgezeichnetes Grundkapital an Stelle des nur
nominellen Grundkapitals zu setzen sei, womit denn diese
eigenthUmliche Abart einer nur formellen Aktiengesellschaft
selbstverständlich sofort ausgeschlossen wäre. Im Uebrigen
kennt freilich das englische Recht zwei Formen der Aküen-
gesellschaft, welche sich der bei uns projektirten Gesellschafts-
form nähern : die verhältnissmässig seltene Aktiengesellschaft
>limited by guaranteec und diejenige Aktiengesellschaft, deren
Statut bestimmt, dass eine gewisse Rate des Aktiennominal-
werths erst eingefordert werden dOrfe, wenn dies bei der
Liquidation bezw. im Konkurse erforderlich wird (sog. >reserve
liabilityi); beide Arten sind wahre Aktiengesellschaften, aber
materiell mit Zubussepflicht
Ich gehe mithin von der Unterstellung aus, dass das Be-
dUrfniss nach Schaffung einer neuen, und zwar noch nirgends
erprobten Gesellschaftsform vorliegt, und will nicht mit den
Befürwortern derselben und den Motiven des Regienmgs-
entwurfs untersuchen, in welchen Fällen und aus welchen
Gründen die bisher anerkannten Gesellschaftsformen nicht zu-
reichen; denn in dieser Richtung Hesse sich ja sehr streiten.
Nur Zweierlei wäre zu betonen:
Obwohl ich, im Gegensatz zu Bahr, das Prinzip der be-
schränkten Haftung keineswegs perhorrescire und die von
Alte und Dcne Fonnen dei HaDddtgaellschaft. 335
Bahr drastisch angemalte Unsicherheit aller Kreditverhält-
□isse von deren Anerkennung keineswegs befürchte, vielmehr
finde, dass der schmählichste Kreditmissbrauch, nämlich die
gewissenloseste und frivolste Verschleuderung fremder Kapi-
talien auch unter dem System der unbeschränkten Haftung
stattzufinden pflegt, desgleichen dass der Einsicht des Publi-
kums die Prüfung überlassen werden muss, inwieweit es Ge-
sellschaften mit beschränkter Haftbarkeit, welche sieb )a als
solche anzukündigen haben, Kredit schenken will — so besteht
doch unleugbar die Gefahr, dass mit deren Anerkennung auch
wirklich potente Kapitalisten und auch in solchen Fällen, wo
innere GrUnde eine solche Beschränkung nicht rechtfertigen,
das bequemere, weil weniger verantwortungsvolle Sjretem der
beschränkten Haftung wählen werden. Im Prinzip sind un-
zweifelhaft die offene Gesellschaft, ja die Kommandit- und
stille Gesellschaft solider und kreditwürdiger als die Gesell-
schaften mit nur beschränkter Haftbarkeit aller Theilnehmer;
es erscheint daher nicht geratben, die letzteren auf Kosten der
ersteren zu begünstigen. Ein Unternehmen, von wenigen Per-
sonen betrieben, für welches Niemand im äussersten Falle die
unbeschränkte Verantwortlichkeit übernehmen will, dürfte nur
unter ganz besonderen Umständen wirthschaftUch gerecht-
fertigt sein. Es steht zu befürchten, dass die neue Gesell-
schaftsform der offenen Gesellschaft, der Kommandit- und
stillen Gesellschaft, desgleichen der unter Umständen sehr an-
gezeigten Kommanditgesellschaft auf Aktien eine keineswegs
unbedenkliche Konkurrenz^ in dem Sinne machen wird , dass
nunmehr mit Vorliebe die neue Gesellschaftsform gewählt
wird. Ja gerade hierin, in der Gefahr der Verdrängung
dieser prinzipiell solideren Gesellschaftsformen,
nicht, wie von Bahr und Anderen betont wird, in der be-
fürchteten Konkurrenz mit den Aktiengesellschaften, möchte
ich die Hauptbedenken gegen die Gesetzesvorlage finden.
Ich habe früher einmal, in meinen iStudien über Erwerbs-
und Wirthschaftsgenossenschafteai den Satz ausgesprochen,
»es sei wünschenswerth, durch das Bewusstsein unbeschränkter,
wenn auch nur im äussersten Falle eintretender gegenseitiger
Verantwortlichkeit sowohl das sittlich spornende und ver-
edelnde Gefühl innerer Zusammengehörigkeit zu stärken, wie
auf eine möglichst umfassende Mitthätigkeit oder doch Kon-
, Cioogle
336 Alte und nene Formen der Hondel^eselitchAft.
trole jedes einzelnen Mitgliedes hinzuwirkenc ; femer, dass »wo
die Möglichkeit des steten eigenen Eingreifens, der eigenen
Aufsicht und Leitung besteht, kein Grund vorliegt, von der
prinzipiell unbeschränkten Haftung auch für die Handltugen
beauftragter Dritter und Genossen abzugeheat. An diesen
Sätzen halte ich unbedingt fest. Es erscheint mir äusserst
bedenklich, mit der Gesetzesvorlage schlechthin die beschränkte
Haftung aller Mitglieder zum Beispiel in solchen Fällen zu-
zulassen, wo ein wirthschaftliches Unternehmen auf mehrere
Erben gelangt, wo der bisherige AUeinuntemehmer das Ge-
schäft an zwei oder mehr Personen veränssert oder neben
diesen nur noch mit einem gewissen Kapital betheiligt bleiben
will. Sicherlich ist es in allen diesen Fällen bequemer, falls
die beschränkte Haftbarkeit aller Betheiligten zugelassen wird;
aber ohne Hinzutritt besonderer Umstände vermag ich in
dieser Bequemlichkeit keinen ausreichenden Grund fUr die Auf-
gabe des naturgemässen Haftungsprinzips zu finden.
Zweitens ist die Frage nicht zu umgehen, ob denn solche
Unternehmungen, für welche die beschränkte Haftbarkeit aller
Betheiligten angemessen erscheint, nicht, wie bisher, in der
Form der Aktiengesellschaften ihre ausreichende Ge-
staltung finden können.
Zunächst will ich wiederholen, dass ich von der projek-
tirten Gesellschaftsform keineswegs, wie Bahr anninomt, eine
erhebliche Gefährdung des bestehenden Aktiengesellschafts-
rechts besorge. Zwar sollen auch hier die Geschäftsantbeile
vererblich und veräusserlich, allein es soll zu deren Abtretung
schlechthin ein in gerichtlicher oder notarieller
Form geschlossener Vertrag erforderlich sein. Damit scheiden
die Geschäftsantbeile dieser Gesellschaften aus dem Kreise der
•Börsenwerthe* aus. Wo die bßrsenmässige Aktiengesell-
schaft indicirt ist, welche für ihre Papiere einen Markt sucht,
ist die neue Gesellschaftsform unbrauchbar; sie könnte daher
nur den wenig gefährlichen Aktiengesellschaften, deren Aktien
in einem engen Kreise Betheiligter oder deren Rechtsnach-
folger wesentlich stabil bleiben, ernstliche Konkurrenz be-
reiten.
Aber es bleibt, wie bemerkt, die Frage, weshalb nicht für
solche Gesellschaften die durch unser Aktiengesetz keineswegs
ausgeschlossene Form von nur unter erschwerenden Voraus-
, Goo^^lc
Alte und neue ForraeD der HandeltgeEellscbift. 337
Setzungen Übertragbaren Antheilsscheinen gewählt wird, wäh-
rend im Uebrigen es fur sie bei dem bestehenden Recht der
Aktiengesellschaften bewendet. Dem werden zwei Gründe
entgegen gehalten:
Einmal wird behauptet, dass unser Aktienrecht, ins-
besondere das neue Gesetz von 1884 dem Unternehmungsgeist
kaum Uberwindliche Schranken gezogen habe. Man findet
diese insbesondere in den lästigen Gründungsvorscbriften und
in der gesetzlichen Verantwortlichkeit des Aufsichtsraths, fuhrt
auch die allerdings sehr schwerfällige und wenig übersicht-
liche Form des neuen Aktiengesetzes ins Feld. Nun fühle
ich mich nicht berufen, für die letztere eine Lanze einzulegen ;
dagegen kann ich keineswegs in den prinzipiellen Tadel gegen
den materiellen Inhalt dieses Gesetzes einstimmen, finde auch
nicht, dass dasselbe erfahrungsmässig gute oder schlechte
Gründungen verhindert hat. Mindestens aber wäre es sehr
verkehrt, das vor Kurzem nach langen mühseligen Vorarbeiten
erlassene Aktiengesetz dadurch indirekt zu beseitigen, dass
man die Bildung von Gesellschaften mit durchaus gleichen
Zielen ohne die strengen Vorschriften dieses Gesetzes ge-
stattet. Sind wirklich diese Vorschriften eine unerträgliche
Fessel des Unternehmungsgeistes, so möge man an die direkte
Reform des Aktiengesetzes gehen, und man würde in dem
so gerne gepriesenen englischen Recht mindestens ein aus-
reichendes Vorbild für sehr häufige legislatorische Wande-
lungen des Aktiengesellschaftsrechts finden. —
Viel gewichtiger ist ein zweites Bedenken. Es gibt in
der That Unternehmungen, für welche die Vorschriften unseres
Aktiengesetzes undurchführbar oder doch unzweckmässig er-
scheinen, obwohl diese Unternehmungen nur unter beschränkter
Haftbarkeit aller Betheiligten durchgeführt werden können.
Aus diesem Grunde sind bekanntlich durch das Reichsgesetz
vom 19. März 1888 die deutschen Kolonialgesellschaften von
der strikten Innehaltung des Aktiengesetzes eximirt, indem
das Reichsgesetz ihre Geschäfts- und Gerichtsfähigkeit aus-
schliesslich an einen Beschluss des Bundesraths auf Grund
ihres vom Reichskanzler genehmigten Statuts geknüpft hat.
Da es nun aber unmöglich erscheint, auf diesem Wege der
Spezialgesetzgebung allen begründeten Sonderinteressen ge-
recht zu werden, so muss versucht werden, für solche Sonder-
Goldichmidt, VermUcbte Scheißen, n.
, C-'Oogle
338 Alte und neue Formell der HandebgeaellschsfL
Interessen eine altgemeine Norm zu geben. Aber hier darf,
nach meiner Ueberzeugung , die Gesetzgebung nur insoweit
ihren Arm bieten, als ein unzweifelhaft begründetes Interesse
vorliegt, welches in der Form der bestehenden oder zu refor-
mirenden allgemeinen Gesetze seine angemessene Befriedigung
nicht zu finden vermag.
Ich vermag als solches lediglich die erstrebte Zu-
bussepflicht anzuerkennen.
Im Gegensatz zu dem vorhin geschilderten englischen
Aktiengesetz, welches thatsächlich die Möglichkeit einer Kapi-
talserweiterung wie Kapitalsreduktioo nach wechselndem Be-
dürfniss zulässt, beruht bekanntlich unser kontinentales Aktien-
recht auf dem starren Grundprinzip des fixirten, in seiner
statutenmässigen Höhe sogleich, noch vor der Konstituirung
durch Zeichnung zu sichernden Grundkapitals. Freilich ist
es möglich, und z. B. bei den Versicherungsgesellschaften au(
Aktien sogar allgemein üblich, dass die Volleinzahlung des
gezeichneten Grundkapitals Über das gesetzlich nothwendige
Viertel hinaus sich nur allmälig nach Bedürfniss oder gar
nur eventuell vollzieht, aber weder kann der Aktionär die ge-
hörig ausgeschriebene Einzahlung der rückständigen Raten
rechtlich weigern, noch hat umgekehrt der Aktienverein einen
Rechtsanspruch gegen die Aktionäre auf theilweise Zurück-
nahme der geleisteten Einlagen oder auf Zuschüsse. Soll
eine Verminderung des Betriebskapitals unter das Grundkapital
stattfinden, so bleibt nur der umständliche und schwierige
Weg der gesetzmässigen Kapitalsreduktion ; soll eine Erhöhung
des Betriebskapitals über das Grundkapital hinaus eintreten,
so bleibt nur der sehr bedenkliche Weg der Belastung durch
Schuldaufnahme, namentlich durch sogenannte Prioritätsobli-
gationen, oder der Versuch einer beschlussmässigen Erhöhung
des Grundkapitals, welcher nicht nur thatsächlich scheitern
kann , sondern auch rechtlich an dem Widerspruch eines
Viertels des in der Generalversammlung vertretenen Grund-
kapitals scheitert. Desgleichen lässt sich das durch die General-
versammlung erhöhte Grundkapital nur im Wege der gesetz-
mässigen Reduktion wiederum mindern. Kurz : die mangelnde
Elastizität des ursprünglichen oder erhöhten Grundkapitals
verhindert die kontinentale Aktiengesellschaft, sich völlig den
wechselnden Bedürfnissen des kaufmännischen Unternehmens
Alte nud oeae Formen der H>ndel«geKUtchafi. 339
anzapassec. Hier erscheint eine Aushülfe angezeigt, indem
das System der Zubussegesellschaften in geeigneter Weise an-
erkannt wird.
Von diesem Bedürfniss aus hat bekanntlich die ganze auf
die neue Gesellschaftsform gerichtete Bewegung ihren Aus-
gangspunkt genonmien, und nur in der Befriedigung dieses
Bedürfnisses vermag ich für jetzt einen ausreichenden Grund
zu erkennen, neben der Aktiengesellschaft eine neue Form der
Kapitalgesellschaft zu schaffen.
Es ist bereits erwähnt, dass in den Kreisen der Betheiligten
zwei Hauptansichten gegenüberstanden und noch stehen, welche
mit den ScJilagworten der >individualistischen< und der >kollek-
tivistischenc Gesellschaft charakterisirt werden. Nach der
einen soll die neue Gesellschaftsform in der Hauptsache jPer-
sooengesellschaft.^ sein und denjenigen Bedürfnissen dienen,
welche man bisher in der Form der offenen wie der Kom-
mandit- oder stillen Gesellschaft zu befriedigen gewohnt war.
Nach der zweiten soll dieselbe wesentlich >Kapitalgesell-
schaftt sein und in der Hauptsache, obwohl mit dem Zu-
bussesystem , also in Anlehnung an die Gewerkschaft, die
Stelle der Aktiengesellschaft vertreten können. Je nachdem
der eine oder der andere Gesichtspunkt an die Spitze ge-
stellt wird, muss die Gesammtgestaltung der neuen Gesell-
schaftsform eine ganz verschiedene sein.
Der Entwurf vermittelt. Er nimmt in der Hauptsache
das sogenannte kollektivistische System an, ordnet demgemäss
die neue Gesellschaftsfornj nach Art der Aktiengesellschaft,
lässt aber durch seine Vorschriften die Möglichkeit offen, dass
diese Gesellschaft sich auch mehr nach Art der offenen oder
der Kommanditgesellschaft organisirt, ja lediglich denjenigen
Bedürfnissen dient, welche herkömmlich in Form dieser Gesell-
schaften befriedigt zu werden pflegen.
So heisst es z. B. in § 6:
»ist im Gesellschaftsvertrage bestimmt, dass sämmt-
liche Gesellschafter zur Geschäftsführung berechtigt
sein sollem u. s. f.
§ 7. »Sind mehr als drei zu Geschäftsführern nicht
bestellte Gesellschafter vorhanden» u. s. f. —
::,y Google
340 AI'' ""^ »'<" Formen der HaadebgeMlltcluft.
Es ist also an Gesellschaften auch von wenigen, vielleidit nur
zwei oder drei Theilnehmem gedacht.
Insbesondere ^nd in den §§ 46 ff. für die Verhältnisse
unter den Gesellschaftern nur subsidiäre gesetzliche Vor-
schriften aufgestellt, so dass es z. B. einerseits den Gesell-
schaftern unverwehrt ist, das Prinzip der Stimmeceinhelligkeit
fUr alle GesellschaftsbeschlUsse festzusetzen, andererseits die
komplizirte Form eines mit Generalversammlung und Auf-
sichtsrath ausgestatteten Mehrheitsverbandes zu wählen.
In den Beschlüssen der Reichstagskommission ist
das individualistische Element sogar noch verstärkt, insbesondere
durch Zulassung der Personenfirma neben der vom Entwurf
allein gestatteten Sachfirma.
Nun habe ich weder gegen die möglichste Elastizität
dieses neuen Gesellschaftsrechts, noch gegen die Weitherzig-
feeit, mit welcher man gewisse Rechtssätze der offenen und
der Aktiengesellschaft zu kombiniren versucht hat, einen
prinzipiellen Einwand. Aber ich mochte doch darauf hin-
weisen, dass Kombination nicht innerliche Verschmelzung ist.
und dass diametral entgegengesetzte Grundgedanken sich nicht
verschmelzen lassen. Und auch praktisch erachte ich es für
äusserst bedenklich, wie schon oben hervorgehoben, eine wesent-
lich > individualistische! Gesellschaft, welche naturgemäss nach
der civilen Societät oder nach der offenen Handelsgesellschaft
oder Kommanditgesellschaft artet, unter das System der be-
schränkten Haftbarkeit zu stellen, da diese in allen festgeord-
neten Instituten unseres geltenden Rechts nur als Korrelat
der in gewissem Sinne unpersönlichen Betheiligung an dem
Unternehmen, der Nothwendigkeit, dasselbe durch fremde Ver-
walter zu führen, erscheint: bei der Kommandit- und stillen
Gesellschaft, bei der beschränkten Haftung des Rheders und der
Rhederei, bei der Gewerkschaft, der Aktiengesellschaft u. s. f.
Es wird sich sogleich in einer sehr wichtigen Frage zeigen,
dass diese Weitherzigkeit des Entwurfs zu völlig unzulässigen
Konsequenzen führt.
Noch bedenklicher dUnkt mir ein zweiter Punkt. Ist.
wie bemerkt, das treibende und durchaus anerkennenswertbe
Motiv für die Bildung einer neuen Gesellschaftsform in erster
Linie die Ermöglichung der Zubusse- oder Nachschusspflicht
so erscheint es doch schwer begreiflich, dass nach §§ 26 fl.
Alte und neue Fonnea der Handeliges«ll9chifl. 341
diese Nachschusspflicht eine nur fakultative ist, und dass solche,
wenn sie im Gesellschaftsvertrag auf einen bestimmten Betrag
festgesetzt wird, auf einen beliebigen, nur nach Verhältniss
der Gesellschaftsantheile festzusetzenden Betrag bestimmt
werden kann. Mit anderen Worten: Die neue Gesell-
schaft mit beschränkter Haftung ist nur dann Zu-
bussegesellschaft, wenn sie es sein will, und wenn
sie es will, so kann die Zubussepflicht eine illusorische
sein, z. B. giltig auf '/lo des Geschäftsantheils, also etwa auf
50 M. festgesetzt werden. Ich finde nicht, dass ein praktisches
Bedürfniss für Gesellschaften dieser Art erkennbar ist. Wenn
die Motive des Gesetzentwurfs vornehmlich mit der Rüben-
zuckeraktiengesellschaft exemphfiziren , welche sich
nach der neuen Gesellschaftsform bilden könnte, weil diese
neben den Kapitalbeiträgen auch anderweitige Betheiligung
zulasse, so ist dies freilich richtig; aber ich denke doch , dass
man jene sehr wichtigen Gesellschaften und andere ähnliche
Arten, welche Aktiengesellschaften sein wollen, auch als
solche, nämlich als eigenthümliche Aktiengesellschaften auf-
recht erhalten sollte, erforderlichen Falls im Wege der gesetz-
lichen Deklaration. Die , übrigens völlig difforme Recht-
sprechung des Reichsgerichts, welche ihre Existenz bedroht,
vermag ich keineswegs als überzeugend anzuerkennen und
freue mich, dass diese Rechtsprechung neuerdings in der sehr
lesenswerthen Abhandlung von Landgerichtsrath Lippmann'
eine beherzigenswerthe Kritik gefunden hat.
IV.
Gegen den Entwurf hat Bahr einen sehr gewichtigen
Einwurf erhoben, welcher, soviel ich sehe, von der Presse
nicht genügend gewürdigt worden ist. Er sagt, man dürfe
nicht die beliebige Kreirung von juristischen Personen
ohne Staatsgenehmigung gestatten.
Ich stehe nun freilich auf einem durchaus abweichenden
prinzipiellen Standpunkt. Nicht nur erachte ich die Freigebung
der Korporationsbildung unter gesetzlichen Bedingungen fUr
ein unabweisliches Bedürfniss, sondern ich nehme auch an,
dass, soweit nicht die freilich vorherrschende Landesgesetz-
' Zeittchr. f. das get. Handelsrecht Bd. 39 S. 116 fT.
D,j,i,:..:,y Google
342 -^'tE i""^ "'"^ Formell der HiudeUgeiellschari.
gebung entgegensteht, nach dem gehenden gemeinen Recht der
freien Korporationsbildung nur diejenigen Schranken gezogen
sind, welche in der Natur der Sache, nämlich in der Art der
Verbindung selbst gelegen sind. Wird zu erlaubtem dauern-
dem Zweck eine Verbindung derart errichtet, dass sie die
Interessen nicht lediglich zeitiger, sondern auch ktlnftiger Mit-
glieder durchzuführen bestimmt ist, gibt sie sich eine dem
entsprechende Organisation, will sie endlich für die entstehen-
den Verbindlichkeiten lediglich mit ihrem Vermögen einstehen,
oder soll doch die Haftung auch ihrer einzelnen Mitgheder
eine nur subsidiäre sein, so ist diese Verbindung ihrem Wesen
nach eine Korporation'. Die Aufgabe der Gesetzgebung kann
hier meines Erachtens in der Regel nur darin bestehen , die
Voraussetzungen genau zu präzisiren, unter welchen eine der-
artige Verbindung das Recht hat, als juristische Person an-
erkannt zu werden. Auf diesen Standpunkt hat sich auch die
zur Zeit tagende Kommission für die zweite Lesung des Ent-
wurfs eines börgertichen Gesetzbuches gestellt und eine ent-
sprechende, sorgfältig redigirte Vorlage beschlossen. Des-
gleichen ist durch neuere Reichsgesetze und Landesgesetze
solchen Verbindungen, welche den Erfordernissen dieser Ge-
setze entsprechen, dadurch implicite die juristische Persönlich-
keit verliehen, dass sie ihnen alle Attribute derselben bei-
gelegt haben. Die ganz korrekte Formel, welcher sich her-
kömmlich unsere neueren Gesetze zu diesem Behufe bedienen,
ist vorbildlich in Art. 213 des Handelsgesetzbuches dahin
aufgestellt:
»Die Aktiengesellschaft als solche hat selbst-
ständig ihre Rechte und Pflichten — c,
während die hervorgehobenen Worte konsequent bei allen
denjenigen Verbindungen fehlen, welchen die gleiche juristische
Struktur fehlt, wie der offenen Gesellschaft, der Kommandit-
gesellschaft, einschliesslich der Kommanditgesellschaft auf
Aktien, der Rhederei u. dergl.
Mit dieser korrekten Formel ist auch der wunderliche
Missgriff J h e r i n g ' s , welchen jetzt merkwürdiger Weise
.■sogar O. Bahr als eine Errungenschaft der gesunden Wissen-
< Mein Vortrag auf dem 8, deutschea Jaristentag 1869 (Verhandl.
II S. 43 ff,) n. mein S}>ttem des Haudelirechts im GnmdriH, 3. Aufl. (1891)
S. 13011: [4. Aufl. S. 131fr.].
^.y Google
Alte und ueue Formen dei HandebgeKllEchafl. 343
Schaft preist, zurückgewiesen, dass Subjekte des Korporations-
vermögens bezw, Anstaltsvermögens die jeweiligea Mitglieder
oder die Destinatare seien. Das dürfte doch einigermaassen
an die naive Auffassung des Wilden — heute würden wir
vornehmer »des Urmenschen* sagen — erinnern, welcher die
berühmte > Stadtgemeinde Berlin* zu sehen wünscht und sich
dieselbe nur in der Person des Oberbürgermeisters oder etwa
in dem Magistratskollegium oder in der, vielleicht in der
Hasenhaide versammelten Einwohnerschaft vorzustellen vermag.
Diese Identifizirung des freilich zeitig wechselnden sinnlichen
Substrats mit der diesen Wechsel überdauernden idealen Per-
sönlichkeit wäre der ungeheuerlichste Rückschritt, den die
Wissenschaft des Rechts machen könnte.
Nun sagt auch § 13 unseres Entwurfs:
>Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung als
solche hat selbstständig ihre Rechte tmd Pfüch-
tenf u. s. f.
Diese Bestimmung ist auch in der Reichstagskommission
nicht geändert und anscheinend gar nicht einmal monirt
worden. Wenn aber die Motive zu § 13 bemerken:
»Die Frage, ob eine Gesellschaft mit beschränkter
Haftimg als juristische Person zu betrachten ist, soll
damit nicht entschieden werden ; sie ist wesentlich theo-
retischer Natur und muss deshalb der Wissenschaft
überlassen bleiben*,
so stehen diese Motive mit Wortlaut wie Inhalt des Gesetz-
entwurfs in unversöhnlichem Widerspruch. Unter einer Gesell-
schaft , welche »als solche selbstständig ihre Rechte wid
pflichten hat«, versteht die Theorie und muss die Theorie ver-
stehen, will sie anders nicht völlig vernunftwidrig denken,
eine juristische Person. Es ist bemerkenswerth , dass in den
§ 17 des neuen Genossenschaftsgesetzes vom 1. Mai 1889 die
Reichstagskommission die Worte »als solche selbstständig*
It^diglich deshalb eingefügt hat, um dadurch die juristische
Persönlichkeit der eingetragenen Genossenschaft zum zweifel-
losen Ausdruck zu bringen.
Trotz des Protestes der Motive wird es also dabei bleiben,
dass jede den gesetzlichen Erfordernissen entsprechende Gesell-
schaft mit beschränkter Haftung als juristische Person gelten
soll; auch werden die Verfasser des Entwurfs wohl selbst
„Google
344 Alte und neue Fonoen der Htuidelsgesellichaft
schwerlich annehmen, dass zwar in gewissen Fällen das an-
zuerkennen sei, in andern nicht, denn der Rechtssatz des § 13
macht keine Unterscheidungen.
Setzen wir nun den Fall, dass der Fabrikant A, welcher
bisher sein Geschäft allein oder mit einem offenen Gesell-
schafter oder Kommanditisten betrieben hat, das Unternehmen
in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung umwandelt,
und zwar entweder, indem er sich mit seinem bisherigen Gesell-
schafter in diesem Sinne einigt, oder, indem er etwa einen
Sohn oder auch etwa zwei Töchter oder Schwiegersöhne in
das Geschäft aufnimmt. Er selbst behält von dem festgesetzten
Stammkapital von 50000 M. 40000 M., die anderen Gesell-
schafter B und C sind insgesammt mit 10000 M. betheiligt-,
alle drei oder vielleicht auch nur A oder nur B und C sind
Geschäftsführer. Der Geselfschaftsvertrag ist auf die Dauer
eines Jahres geschlossen. Damit soll eine »juristische Persont
geschaffen sein, also ein ideales Wesen, welches sein eigenes,
allein für die Schulden haftendes Vennögen hat! Ist das
wirklich glaublich und, wenn das positive Gesetz es vor-
schreiben sollte, zweckmässig? Hier zeigt sich recht drastisch,
dass die Formel der juristischen Person zwar passt für die
aktienartigen, auf einen umfassenden und normaler Weise
wechselnden Personenbestand berechneten Kapitalgesellschaften,
nicht aber für ganz individualistische Personenverbindungen,
welche man durch die gleichen gesetzlichen Vorschriften
glaubt regeln zu können.
Hält man dies für überhaupt durchführbar, so muss man
mindestens eine Formel streichen, welche nur fUr erstere an-
gemessen erscheint, und sich damit begnügen, den neuen Gesell-
schaften dasjenige Maass von selbstständiger Geschäftsfähig-
keit und Parteifähigkeit zu sichern, welches allen Gewerbs-
Handelsgesellschaften, insbesondere auch der offenen und
Kommanditgesellschaft, gesetzlich (Handelsgesetzbuch Art. 111,
164) zukommt.
V.
Wenn der Entwurf über das praktische BedUrfniss hinaus
auch solche Gesellschaften normirt, welche gar nicht 2u-
bussegesellschaften sein wollen, so greift er in anderen
Alto tmd neue Fonii«ii dei HuideltKe«ellieIuft 345
Beziehungen noch tiefer in unser gesammtes bürgerliches und
Handelsrecht ein.
Nach § 1 können Gesellschaften mit beschränkter Haftung
nach Maassgabe dieses Gesetzes zu jedem gesetzlich zulässigen
Zweck errichtet werden, sind also, so errichtet, juristische
Personen. Also nicht einmal ein Erwerbszweck, geschweige
denn ein Handelszweck, für dessen Befriedigung durch die
neue Gesellschaftsfonn bisher allein ein Bedtirfniss er-
kennbar hervorgetreten ist, soll erforderlich sein. Jede Ver-
bindung zu irgend einem nicht ungesetzlichen politischen,
socialen, religiösen, gemeinnutzigen, geselligen Zweck kann
sich fortan in dieser Form und zwar als Korporation bilden.
Auch dann, wenn diese Verbindung gar nicht die natur-
gemässen Merkmale einer Korporation an sich trägt, sondern
eine vielleicht ganz vorübergehende Vereinigung zur Befriedi-
gung ganz individueller Bedtlrfnisse weniger Personen ist
Freilich ist das bereits gegenwärtig möglich, wenn die Form
der Aktiengesellschaft oder der Kommanditgesellschaft auf
Aktien gewählt wird, und es fehlt nicht an drastischen Er-
scheinungen der Art — aber es ist doch klar, dass diese
wunderliche Bildung von Pseudohandelsgesellschaften durch
das neue Gesetz in hohem Maasse erleichtert wird. Und
während in der Kommission für das bürgerliche Gesetzbuch,
unter lebhaftem Meinungsstreit imd anscheinend gegen den
Widerspruch der prenssischen Regierung versucht wird, die
gesetzlichen Voraussetzungen der freien Korporationsbildung
genau zu fiiiren, statulrt ein anderes Reichsgesetz kurzer Hand:
wenn sich zwei oder mehr Personen als Gesellschaft mit be-
schränkter Haftung mit einem Nominalkapital von mindestens
20000 M. unter gewissen, auf das Leichteste erfüllbaren Be-
dingungen registriren lassen, so bilden sie eine juristische
Person! Das macht doch nahezu den Eindruck, als ob es im
Deutschen Reich zwei verschiedene Welten gäbe, von denen
jede völlig unabhängig von der andern regiert wird.
Weiter soll, nach § 13 unseres Entwurfs, jede Gesell-
schaft mit beschränkter Haftung als Handelsgesellschaft
im Sinne des D.H.G.B.s, somit gemäss Art. 5 des H.G£.s
auch als Kaufmann im Sinne dieses Gesetzes gelten. Also:
sie ist allen kaufmännischen Rechten, Begünstigungen, Pflichten
unterworfen; ihre Geschäfte sind als Geschäfte im Gewerbe
346 ^t^ '""^ »c**« Fonnen d«r HaDdeligeseUtchaft.
schlechthin Handelsgeschäfte (Art. 273), und alle ihre Ge-
schäfte, welche Geschäfte im Gewerbe sein können, gelten
präsumtiv als solche (Art. 274); sie hat als Beklagte vor
der Kanuner des Landgerichts für Handelssachen Recht zu
nehmen u. s. f. Alk diese Gesellschaften sind , a&ch §§ 7, 8
des Entwurfs, in das Handelsregister einzutragen, über-
haupt sind sie, ihre Geschäfte, Prozesse, schlechthin dem
Handelsrecht unterstellt. Nun dürfte ich für meine Person
wohl vor dem Verdacht geschützt sein, dass ich die berech-
tigte Sphäre des Handelsrechts einzuengen bezwecke — aber
einer solchen schrankenlosen, vOtlig unübersehbaren Kom-
merzialisirung etwa einer beliebigen Studentenverbindung oder
eines politischen Klubs oder selbst einer landwirthschaftltcfaen
Gesellschaft möchte ich doch entschieden widersprechen. Es
war keineswegs mibedenklich, dass bereits die Aktiennovelle
vom 11. Juni 1870 alle Aktiengesellschaften und Kommandit-
gesellschaften auf Aktien, dass weiter das Genossenschafts-
gesetz alle eingetragenen Erwerbs- und Wirthschaftsgenossen-
schaften, auch solche, welche jedem Handelsbetrieb im weitesten
Sinne ferne stehen, für Kaufleute im Sinne des H.G.B^ er-
klärt hat. Aber diese gesetzliche Fiktion verschwindet
gegen die ganz unübersehbare Tragweite des gegenwärtigen
Entwurfs.
Es erscheint mir keineswegs rathsam, dass die bürger-
liche Gesellschaft, zumal die nicht auf Erwerb abzielende, sieb
auf alle Wege des Handelsrechts begiebt, noch gar, dass das
Gesetz die heterogensten Verbindungen lediglich ihrer Form
willen schlechthin dem Handelsrecht unterwirfL Wenn, wie
ähnlich schon das schweizerische Obligationenrecht, der Ent-
wurf des bürgerlichen Gesetzbuches erster Lesung es den Er-
werbsgesellschaften, welche nicht Handel^eseUschaften and,
gestattet, sich vertragsmässig den Vorschriften der offenen
Handelsgesellschaft, somit insbesondere der unbeschränkten
und solidaren Haftung aller Mitglieder, zu unterwerfen, so
lässt sich dafür immerhin anfuhren, dass die so gewonnene
verstärkte Kreditbasis der Gesammtheit zu Gute konomt —
allein das GegentheU, nämlich die Exemtion von der un-
beschränkten Haftung fUr alle Bevölkenmgsklassen zu be-
günstigen, dürfte doch durch keinerlei Gründe geboten sein.
Und wenn z. B. der gegenwärtige Art. 10 des D.H.G3^
„Google
Alle and neue Formen der Huidelteetdliduft. 347
die sogenannten MiaderkauQeute, zu denen ja auch alle Gast-
wirthe gehören, von der Association im Wege der offenen
und der K<Hnnianditge5el]schaft ausschliesst, sollte es mit
diesem noch bestehenden Verbote verträglich sein, ihnen die
Gesellschaft mit beschränkter Haftung als selbstverständlich
willkommenen Ausweg zu eröffnen, dieselben somit anf diesen
noch unerprobten und sicherlich nicht tmgefährlichen Weg
geradezu hinzuweisen?
VI.
Gestatten Sie mir zum Schlüsse eine allgemeine Bemerkung,
welche meinen prinzipiellen Standpunkt gegenüber dieser Ge-
setzesTorlage etwas genauer präzisirt
Ich habe mich Zeit meines Lebens entschieden gegen
Gelegenheitsgesetze und soweit möglich gegen Stück-
gesetzgebung erklärt. Als kurze Zeit nach Errichtung
des Deutschen Reichs sehr angesehene Mitglieder des Reichs-
tags, ich nenne nur Lasker, die ursprünglich beschränkte
Kompetenz der Reichsgeset^ebung auf das gesammte
bürgerliche Recht ausgedehnt wissen wollten, aber nicht
zu dem Zwecke, um ein gemeinsames bürgerliches Gesetzbuch
zu schaffen, sondern um die Möglichkeit beliebiger gesetz-
geberischer Eingriffe des Reichs in das bestehende Privatrecht
der Einzelstaaten zu gewinnen, habe ich zwar die erstrebte
Ausdehnung der Reichskompetenz lebhaft befürwortet, aber
nur unter der Voraussetzung und zu dem Zwecke, um die
volle Rechtseinheit durchzuführen*. Und nur im Anschluss
an meine Ausfuhrungen hat die bayerische Regierung ihren
Widerstand gegen die Erweiterung der Reichskompetenz auf-
gegeben % so dass durch Reichsgesetz vom 20. Dezember 1873
diese Kompetenzerweiterung sanktiontrt, sogleich aber die Ein-
leitung zur gemeinsamen Kodifikation des bürgerlichen Rechts
getroffen wurde.
Als Referent der Vorkommission für das bürgerliche
Gesetzbuch habe ich, unter Zustimmung meiner Herren Kollegen,
verlangt, dass alsbald und gleichzeitig mit der Bearbeitung
■ Hein Vortrag >UebeT die Notbw«ndigkeil «in«* d«uUchen Ziril-
geKtibacbK vom il. Hai 1871. (Wocbauchrift : Im Nenen Reich. LeipuE
1873, No. 13.)
> Die AktenitUcke i. B. in Hirtli'i Annalen 1874, S. 330ff.
::,y Google
348 Alte und neue FormcD der Handeli^esellacbaft.
des bflrgerlichea Gesetzbuchs die Revision des Handelsgesetz-
buchs vorbereitet werden solle, und der Bundesrath hat sich
unsem Vorschlagen durchaus angeschlossen'. Wir erwarteten
freilich damals und durften erwarten, dass der erste Entwurf
des bürgerlichen Gesetzbuchs in etwa fünf Jahren hergestellt
und dass alsdann die in der Zwischenzeit vorbereitete Revision
des Handelsgesetzbuchs sogleich in Angriff genommen würde.
Inzwischen sind 18 Jahre verflossen, und immer mehr wächst
die Gefahr, dass stückweise der Boden unseres geltenden Rechts
durchlöchert oder je nachdem ergänzt wird, ohne dass bei dem
Einzelgesetz dessen direkte oder indirekte Rückwirkung auf
das gesammte Rechtssystem in aller Scharbe ins Auge gefasst
wird. Ich spreche damit keinen Tadel gegen die Männer aus,
welche ein solches Gesetz verlangt haben, noch gegen die
ReichsjustizbehSrde, welche den wirthschaftlichen Gedanken eine
in der Hauptsache angemessene juristische Form gegeben hat.
Aber dieses nun einmal unvermeidlich gewordene Spezial-
gesetz darf doch nicht über das als nnabweislich erkamite
Bedürfniss hinausgeben, und es darf nicht denjenigen legis-
lativen Feststellungen vorgreifen, welche mit voller Sicherheit
nur im Zusammenhange der ganzen bürgerlichen und Handels-
gesetzgebuog getroffen werden können.
Ich möchte die hier entwickelten Gesichtspunkte in Kürze
dahin zusammenfassen:
Es ist durchaus anzuerkennen, dass der vorliegende Gesetz-
entwurf, ungehemmt von doktrinären Bedenken, dem wirth-
schaftlichen Unternehmungsgeist, welcher in Deutschland nur
zu sehr damiederliegt, freiere Bahnen eröffnet und eine in der
Hauptsache zweckmässig geordnete neue Gesellschaftsform auf-
stellt, deren einzelne Prinzipien sorgfältig erwogen, geschickt
und in klarer Weise formulirt sind.
Aber er schiesst, meines Erachtens, sehr weit über das
erkennbare Bedürfniss hinaus und ist in seiner gegenwärtigen
Gestalt geeignet, unsere sämmtlichen , altbewährten Formen
der Handelsgesellschaft in sehr bedenklicher Weise zu er-
schüttern, nicht am wenigsten dadurch, dass er der nur unter
Umständen angemessenen Begrenzung der Haftung wirksamen
■ Die Aktenstücke i. B. in der Z^tscbrift fttr du ge». Hudelnecht,
Bd. lo S. 134 fr. in meinem Anfuttze die Kodifikation da deiMschen bV^er-
liehen und HandeUrechti ; rgl. auch Bd. I Nr. 6 dieMT Sfmm''i"gi
, Google
Alte und neu« Formen der Hudel^cKllKhaft. 349
Vorschub leistet. In diesem Sinn, und ohne in die Einzelheiten
einzugehen, will ich mich mit folgenden Vorschlägen begnügen :
1. Der Entwurf bat sich auf Gesellschaften zu Handels-
zwecken, worin ja auch die meisten sogenannten Industrie-
zwecke einbegriffen sind, zu beschränken; sollte es aber un-
umgänglich erscheinen, auch das dem Handel nicht angehörige
Handwerk, die Urproduktion (Landwirthschaft, Fischerei), end-
lich gar das Immobil iarbauge werbe zu umfassen, so durfte er
doch nur das Gewerbe, d. h. das dem Gewinnzweck bestimmte
Unternehmen, treffen.
2. Gesellschaften mit beschränkter Haftung sind nur als
Zubussegesellschaften zuzulassen ; ist die Zubusse im Statut auf
einen bestimmten Maximalbetrag festgesetzt, so darf dieser
nicht unter der Hafte des Geschäftsaatheils betragen.
3. Die konstruktive Frage, ob die so geregelten Gesell-
schaften als juristische Personen zu gelten haben, ist vom
Gesetz lediglich der Wissenschaft und Praxis zu überlassen.
Es muss daher der Satz des § 13 >als solche hat selbstständig
ihre Rechte und Pflichten« wegfallen. Es ist denkbar, dass
je nach der Sachlage die juristische Persönlichkeit anzuerkennen
oder zu verneinen sein wird. —
Naehwort
Der Abschluss des vorstehend besprochenen Gesetzentwurfs
ist in so ungewöhnlicher Weise beeilt worden, dass auch die
bescheidensten Bedenken nicht haben berücksichtigt werden
können. Zwei Tage nach Ausgabe des Kommissionsberichts,
am Tage, da dieser Vortrag gehalten wurde (19. März)|, ist
der Entwurf in zweiter Lesung und bereits in der nächsten
Sitzung {21. März) vom Reichstage in dritter Lesung, beide
Male en bloc, angenommen worden ' . —
r dem 20. Apnl 1S93 im R.G.BI. S. 477 fr. ver-
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„iiiec »Google
DIE
HAFTPFLICHT DER GENOSSEN
UHD DAS
UMLAGEVERFAHREN.
(1888.)
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Vertreter zahlreicher Erwerbs- und Wirthschafts-Genossen-
schaften haben mich um eine eingehend begründete
Meinungsäusserung über zwei wichtige, zur Zeit in den Ge-
nossenschaftskreisen lebhaft erörterte Fragen ersucht
Ich komme diesem Wunsche nach, weil ich es für meine Pflicht
halte, in der gegenwärtig ihrem Abschluss nahen neuen Ge-
nossenschaftsgesetzgebung die richtigen Grundsätze nach bester
ELcsicht zur Geltung zu bringen. Wenn auf dem letzten (29.)
am 31. August 1888 zu Erfurt abgehaltenen Allgemeinen Ver-
einstage der deutschen Erwerbs- und Wirthschafts-Genossen-
schaften, ungeachtet eifriger Befürwortung des Genossenschaits-
anwalts, nur eine sehr knappe Mehrheit (78 gegen 71 Stimmen)
den Einzelangriff adoptirt, andererseits der Verband der schle-
sischen Genossenschaften auf dem zu Warmbrunn am 19./20.
Juni 1888 abgehaltenen Verbandstage nach sehr grUndhcher
Erörterung mit grosser Mehrheit ' den Einzelangriff reprobirt
hat, so dürften die nachfolgenden Ausführungen vielleicht in
■weiteren Kreisen aufklarend wirken, ja sogar zeitige Gegner
des hier vertretenen Standpunktes von dessen Richtigkeit zu
überzeugen geeignet sein.
Ueber die mir vorgelegten Fragen habe ich mich be-
reits wiederholt ausgesprochen. Das erste Mal in memer
1882 erschienenen Schrift »Erwerbs- und Wirtbschafts-Genossen-
schaften. Studien und Vorschlägec (aus der Zeitschrift für
das gesammte Handelsrecht Bd. 27 S. 1 — 118 besonders ab-
gedruckt), und es beruht, wie hier ein für alle Mal bemerkt
-werden soll, auf einem schwer erklärlichen Irrthum, wenn
neuerdings in Öffentlichen Verhandlungen und in der Genossen-
schaftspresse wiederholt von Vertheidigem der im Gesetz-
. s. 41—59.
Digitizecy Google
354 1^ Haftpflicht der GenoMMt and du UmlageverfabKD.
entwurf aufgestellten Grundsätze in Abrede gestellt worden
ist, dass meine Schrift sich völlig unzweideutig gegen diese
Grundsatze erklärt.
Das zweite Mal mündlich und sehr eingehend als Mit-
glied der vom Reichsjustizamt zur Berathung über den Ent-
wurf des Genossenschaftsgesetzes im November 1887 ein-
berufenen Sachverständigenkonferenz. Und zwar habe
ich hier ausdrücklich zu Protokoll erklärt, dass ich, falls
gewisse von mir entschieden bekämpfte Grundsätze beibehalten
würden, nicht in der Lage sei, dem unzweifelhafte und wich-
tige Verbesserungen des zur Zeit geltenden Gesetzes enthalten-
den Entwurf zuzustimmen. Mein so bestimmt formulirter
Widerspruch beschränkte sich auf drei Punkte, unter welchen
sich gerade die beiden hier in Rede stehenden befinden.
Die erste Frage betrifft die Statthaftigkeit des Einzel-
angriffs von Genossenschaftsgläubigem gegen die noch haften-
den Genossen. Die zweite betrifft die Betheiligung aus-
geschiedener, aber den Genossenschaftsgläubigem noch haften-
der Genossen am Umiageverfahren.
Diese beiden Fragen stehen zwar in einem gewissen Zu-
sammenhang, aber derselbe ist nicht ein logisch nothwendiger.
Man kann die eine verneinen und die andere bejahen; ins-
besondere würde für den Gesetzgeber aus der Verneinung der
zweiten Frage nicht, wie behauptet wird, die allgemeine, nidit
unterscheidende Bejahung der ersten Frage folgen.
Für die Entscheidung beider Fragen sind, da es sich um
eine durchgreifend reformirende, zum erheblichen Theil ganz
neues Recht schaffende Gesetzgebung handelt, in erster Linie
Erwägungen der Zweckmässigkeit oder wirthschaft-
liehen Nothwendigkeit maassgebend; die sog, >junstiscbe
Konsequenz^, wenngleich sicherlich zu erstreben, und die An-
forderungen sog. »juristischer Konstruktion» stehen dabei überall
in zweiter Linie. Sogar für das einzelne Gesetz ist aus Zweck-
mässigkeitsgründen eine Abweichung von den leitenden Prin-
zipien dieses Gesetzes unter Umständen geboten. Noch
weniger schwer würde eine Abweichung einzelner, ja vielM"
Bestimmungen dieses Gesetzes von sog. >allgemeinen juristi-
schen Prinzipien« wiegen. Dieser für die Gesetzgebung ja ganz
selbstverständliche Standpunkt wird nur zu häufig vergessen,
und gerade in den hier vorliegenden Fragen wird häufig he-
„Google
Die Haftpflicht der Genossen und das UmlagererfibreD. 355
hauptet, dass der eine Weg priazipgemäss , der entgegen-
stehende »prinzipwidrig • sei. Aber was man »juristische
Prinzipienc nennt, ist nichts von selbst Gegebenes und ftir alle
Zeit Feststehendes, sondern aus dem jeder Zeit geltenden
Recht entnommen, und modifizirt sich mit dessen Aenderung.
Denn alles Recht ist nicht um seiner selbst willen da, sondern
um vernünftigen socialen Zwecken zu dienen, es soll die ver-
nunftige, d. h. dem Wesen, der Natur dieser sozialen
Lebensverhältnisse entsprechende Ordnung sein. Es ist
um so vollkommener, je mehr sein Inhalt dieser obersten Auf-
gabe entspricht, mag dabei auch die abstrakte Logik nicht in
allen FNmkten durchgeführt werden, oder mag die Theorie
Mühe haben, die Bestimmungen des Gesetzes in ihre Kate-
gorien einzuschachteln. Die wirklich rechtsschöpferische Kraft
eines Gesetzgebers würde sich ein Armuthszeugniss ausstellen,
wollte sie hinter angeblich zwingenden, häufig sogar miss-
verstandenen »Rechtsprinzipien« Deckung suchen gegen den
begründeten Vorwurf, dass die gesetzlichen Bestimmungen
zweckwidrig, unangemessen, verkünstelt seien. Derjenige Ge-
setzgeber , welcher sich . der wirklich lebendigen Rechtsideen
seiner Zeit vollkommen bemächtigt, braucht niemals den Vor-
wurf (?) zu scheuen, dass er sich aus Zweckmässigkeitsgründen,
um des öffentlichen Nutzens willen, im Gemeinioteresse Ab-
Tveichungen von der logischen Schablone erlaubt habe. Ja,
nicht selten pulsirt, wie einer der grössten Juristen aller Zeiten,
Rudolf von Jhering, sehr zutreffend gezeigt hat, gerade
in diesen anscheinenden Abweichungen das allein lebendige
Recht. Ein grosser Theil z. B. unseres geltenden und gewiss
nothwendigen Handelsrechts ist in scharfem Gegensatz zu den
iPrinzipien« des bisherigen Rechts zu maassgebender Geltung
gelangt.
Ohnehin dürfte die genauere juristische Analyse
«rgeben, dass nicht die Statthaftigkeit des Einzelangriffs, son-
dern dessen Ausschliessung den richtig verstandenen
Rechtsprinzipien des deutschen Genossenschaftsrechts ent-
spricht; dass somit nicht, wie behauptet wird (z. B. in den
Blättern für Genossenschaftswesen 1888 Nr. 32 S. 257), die
früheren Gegner des Einzelangriffs »bei schärferer Prüfung
der Rechtsfrage« sich bekehren müssten, vielmehr das gerade
Gegentheil hiervon wahr ist.
33«
Digitizecy Google
356 ^'' Haftpflicht der Genoueo und du UmlagCTcrialueD.
In beiden Fragen weiss ich mich, lu meiner Genugthmuig,
einig mit dem Begründer der deutschen Genossenschaften und
des deutschen Genossenschahsrechts, mit Schulze-Delitzsch
und der mindestens bis vor ganz kurzer Zeit in den Kreisen
der deutschen Genossenschaften anscheinend wider-
spruchslos herrschenden Ueberzeugung. Dem Ver-
dacht einer bHnden Vergötterung des trefflichen Mannes,
dem ich in wichtigsten Prinzipienfragen , insbesondere hin-
sichtlich der Zulassung von Genossenschaften mit beschränkter
Haftung, wiederholt sehr scharf entgegengetreten bin, werde
ich schwerlich ausgesetzt sein. Zu meiner grossen Freude
haben wir uns schliesslich in allen wesentlichen Punkten ge-
einigt'. Aber die jetzt in weiten Kreisen und sogar von
leitender Stelle in Verbands- und Vereins- Versammlungen auf-
gestellte Behauptung, dass Schulze-Delitzsch dem Einzel-
angriff in derjenigen, freilich abgeschwächten Gestalt
welche der vorliegende Entwurf sanktioniren will, seine Zu-
stimmung ertheilt haben würde, scheint mir doch darchans
grundlos. Sie steht in unlösbarem Widerspruch zu dem, was
Schulze-Delitzsch jeder Zeit in Schrift und Wort,
auch mir gegenüber in zahlreichen diesen Gegenstand be-
treffenden mündlichen Erörterungen erklärt hat.
Schulze-Delitzsch und ich gingen darin vOlUg einig,
dass durch ein reformirtes, in die Geschäftsabwicklung
der sich auflösenden Genossenschaft an gehöriger Stelle ein-
gefügtes Umlageverfahren der schädliche Einzelangriff
überflüssig gemacht und demzufolge beseitigt werden solle.
Dass, wie bereitwillig anerkannt werden soll, das Umlage-
verfahren als Bestandtheil des Konkursverfahrens in dem jetzt
vorliegenden Entwurf juristisch korrekter gestaltet ist.
als in den Entwürfen Schulzes, ändert in der Sache
nichts. Denn gleichviel, ob man Schulzes aussergericht-
liches, die Konkurseröffnung suspendirendes Umlage verfahren
annimmt, oder, mit dem vorliegenden Entwurf, das provi-
sorische Umlageverfahren zu einem Vorschussverfahren inner-
halb des bereits eröffneten Konkurses gestaltet, demnächst aber.
nach beiden Systemen, ein definitives Umlageverfahren (Nach-
■ Siehe namentlich Schulze-Delitisch , Material lur RevnJoa de» Ge-
nossen sc haftsgeselies (iSBj), insUes. S. 66/67.
„Google
Die Haflpäichl der Genossen und dai UmlB£everfa.hreD. 357
schussverfahren) im Kookurse folgen lässt: sachlich ergibt
sich nach beiden Ordnungen, dass die Aufgabe des gleich-
viel wie gestalteten Umlageverfahrens (Vorschuss- und Nach-
schussverfahrens) die v o 1 1 e Befriedigung der Genossenschafts-
gläubiger bildet und mittelst dieses Verfahrens erreicht
■werden soll. Auf dieser — den Schulzeschen Entwürfen
und dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf gemeinsamen —
materiellen Grundlage beruhen sämmtliche, insbesondere in
den Jahren 1881 und 1883 aufgestellten Vorschläge, und als
Schlussstein dieses, somit dem jetzigen Entwurf wie den
Schulze sehen Entwürfen gemeinsamen Systems hat
Schulze jeder Zeit die völlige Beseitigung des Einzel-
angriffs proklamirt. In diesem Sinne hat Schulze und
hat nach Schulzes Tode der gegenwärtige Genossenschafts-
anwalt die bekaimtlicb einmüthige Zustimmung der
beiden Allgemeinen Vereinstage (Kassel 1881, Plauen
1887) fUr das projektirte verbesserte Umlageverfahren ge-
funden.
Das ganze Material liegt aktenmässig in der von Schulze
selbst unmittelbar vor seinem Tode veröffentlichten Schrift vor:
Material zur Revision des Genossenscbaftsgesetzes,
1883, S. 28 ff., 38 ff. Ais denjenigen Punkt, auf
den Schulze selbst den «höchsten Werthi
legt, bezeichnet er wiederholt, z. B. S. 45, vgl. auch
S. 68, die durch die Umgestaltung des Umlagever-
fahrens ermöglichte »Aufhebung des Einzelangriffsc '.
Obwohl nun Schulzes so häufige Erörterungen dieser
Frage vielleicht nicht immer auf einer völlig eindringenden
theoretischen Rechtskenntniss beruhen, so war er doch
sicherlich, was viel mehr sagen will, ein rechtsschöpfe-
rischer Kopf, der auf dem sicheren Grunde einer selten
trügenden tiefen Rechtsüberzeugung stand. Gleich den Schöffen
des alten deutschen Gerichtswesens entnahm er seine An-
schauung von dem, was recht und billig sei, der eigenen Brust,
mitunter zu wenig bekümmert um die korrekte wissenschaft-
liche Begründung, aber doch in der grossen Schule reichster
■ Siehe auch meine oben S. 35J cjtirte Scbrift S. 6zS., intbet. S. 67
a. Dr. J, K. Heri, Di« Novellen und Anträge zum Genossenscliaft^eieU, be-
sprochen and erliatert, 1883, S. izi C
3,3,l,ze.:,, Google
35S I^'c HaftpfücbC der GeuoMen und du Umlagevei&liren.
Lebenseriahning gegen schwere Irrungen gefeit. Als er sich
von der praktischen Unzulänglichkeit des deutschen Genossen-
schahsgesetzes überzeugt und in rastloser Verbessemngsarbeit
endlich den Weg gefunden hatte, auf dem sich der nach seiner
allmälig zum unerschütterlichen Grundsatz durchgebildeten
Ueberzeugung der ebenso schädliche wie unnöthige Einzel-
angriff beseitigen liess, hat er dieses Credo rastlos vertreten.
Er hätte sicherlich auch dem vorliegenden Entwurf gegenüber
die gleiche Haltung eingenommen und in dieser für ihn
wichtigsten Frage jedes Kompromiss abgelehnt.
Nicht minder fest stand seine Ueberzeugung, dass nur die
Heranziehung der noch haftenden, wenngleich ausgeschiedenen
Genossen zum Umlageverfahren eine völlig befriedigende Ge-
staltung desselben ermögliche und im wohlverstandenen Inter-
esse aller Betheiligten liege.
Wenn ihm eine allseitig, auch den theoretischen
Juristen befriedigende Begründung seines Standpunktes
nicht gelungen ist, so darf ihm daraus kein Vorwurf gemacht
werden. Die spezifisch juristischen Fragen liegen eben nicht
ganz einfach und sie hängen auf das Engste zusammen mit
der tieferen Einsicht in die Verschiedenheit der Haftungs-
prinzipien, deren wissenschaftlichen Aufhau ich erst 1882
in meiner Schrift (S. 35—45) versucht habe. Diesen Auf-
bau will ich in Nachstehendem vervollständigen und hoffe da-
mit das sichere Rechtsfundament der uns gemeinsamen
Ueberzeugungen klarzulegen.
I. Der Einzelangriff der Genossensohaftsgläubiger.
Vor etwa 1750 Jahren wurde es im römischen Weltreich
als eine schwere Unbilhgkeit empfunden, dass die an sich
solidarisch und mit ihrem ganzen Vermögen haftenden mehreren
Bürgen der gleichen Schuld (Mitbürgen, confidejussores) auf
das Ganze (in solidum) verurtheilt wurden, ungeachtet der
Gläubiger durch Solvenz und Belangbarkeit Aller ausreichend
gesichert erschien.
Daher gewährte Kaiser Hadrian in diesem Falle — später
erfolgte die Ausdehnung auf andere, wirklich oder anscheinend
gleichgeartete Fälle von Solidarschulden — die Rechts-
wohlthat der Theilung (beneficium oder auxilium divi-
Der Einielacgriff der GenosscDscluiflBgläDbiger. 359
siOBis) derart , dass zwar das Prinzip der Solidar-
haftung aufrecht erhalten blieb, aber doch der Gläubiger
nur von allen Mitbürgen zusammen Befriedigung ver-
langen konnte; es fand also unter diesen solidarisch haftenden
Mitbürgen eine Theilung oder, was dasselbe sagen will, eine
Umlage der Schuld statt, aber so, dass der Gläubiger nichts
verlor, vielmehr die Antheile (Umlagequoten) der etwa wegen
Insolvenz oder Nichtbelangbarkeit ausfallenden Mitbürgen von
den solventen mitgetragen werden mussten. Ursprünglich und
zweckmässig scheint dabei bereits bei der Prozesseinleitung
(vor dem Praetor in iure) ein »Umlageverfahren* regulirt
worden zu sein '.
Nun gerieth das gehörig geordnete Umlageverfahren in
späterer Zeit meist in Vergessenheit, es wurde die zweck-
mässige imodifizirte Solidarhaftc häufig missverständ-
lich mit der reinen iTheilhaftt , die ja für den Gläubiger
äusserst lästig und gefährdend ist, verwechselt. So erklärt
sich, dass in der modernen Rechtsentwicklung eine Abneigung
gegen diese sog. iRechtswohlthat oder Einrede der Theilungc
entstand. Das preussische Allgemeine Landrecht und einzelne
andere Gesetzgebungen haben sie beseitigt und auch der gegen-
wärtig vorliegende Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches
für das Deutsche Reich §§ 324, 673 [B.G.B. § 769] ver-
wirft sie. Immerhin besteht sie nicht nur in den Gebieten des
gemeinen imd französischen Rechts noch unverändert
fort, soweit nicht die Solidarschuldner auf diese Rechtswohl-
that unzweideutig verzichtet haben oder die gebieterischen
strengen Anforderungen des Handelskredits diese Modi-
fikation der SoUdarhaft ausschliessen ' , sondern es gibt un-
zweifelhaft zahlreiche Fälle, in welchen das regellose Heraus-
greifen eines von mehreren, insbesondere von sehr zahlreichen
Schuldgenossen auch einer sehr strengen Rechtsanschauung
als ungehörig, ja unbillig erscheint Insbesondere gilt dies
von solchen Fällen, wo nach der vernünftigen Regel des Ver-
■ Diem wichtige RechtsinsUtul habe ich in neuester Zeit (1SS7) geDaner
untenucht and d*reettellt: »ergl. meine AbhandlnDg Über Btirgtchaft nnd
Tlleiliahlnng, in den Jahrbtlcbem fUl die Dogmatik da heatigen römischen und
deutlichen PriTUrechu von Jhering u, A., Bd, XXVI S. 354ff-
■ Deutsche Wechielordnung Art. 81. Deutsches HuidcUgesettbnch Art.
„Google
360 I^'B Haftpflicht der Genosten uod das UmligeverfaliTen.
kebrs und in Gemässheit der für solche Zwecke getroffenen
Einrichtungen nur eine verständig geregelte Ge-
sammthaft erwartet werden darf.
Nun beruhte bekanntlich ursprünglich die statutarische, in
Altpreussen auch die gesetzliche Haftung der dem sog. »Solidar-
prinzipi unterstellten Erwerbs- und Wirthschafts- Genossen-
schaften auf den drei leitenden Grundsätzen der direkten, der
solidarischen und der unbeschränkten (persönlichen) Haft Diese
Maximen waren , wie allgemein anerkannt ist ' , durch das
maassgebende preusstsche bürgerliche Recht, durch das im
Wesentlichen benutzte , obwohl nicht zutreffende Vorbild der
offenen Handelsgesellschaft, den wichtigen Vorgang des da-
maligen englischen Rechts, insbesondere aber durch die Noth-
wendigkeit diktirt, der ganz neuen Schöpfung durch Annahme
der strengsten Haftungsgrundsätze den schwer zu erlangenden
Kredit wie das Wohlwollen des Gesetzgebers zu gewinnen.
An diesen Maximen hielt daher wesentlich noch das erste
(preussische) Genossenschaftsgesetz vom 27. März 1867 fest
immerhin schon mit der wichtigen, den Schulze'schen Ent-
würfen entsprechenden Abschwächung , dass die beibehaltene
direkte und unmodifizirte Solidarhaft der Genossen sich auf
den im Liquidations- bezw. Konkursfall erlittenen Ausfall be-
schränkt: Ges. § 11, verb. mit § 50 Abs. 5, somit die prin-
zipale Plaftung fUr die ganze Genossenschaftsschuld zu einer
subsidiären Haftung für die Ausfallschuld umgewandelt
wurde, wobei es denn auch wesentlich in dem geltenden Bundes-
gesetz vom 4. Juli 1868 §§ 12, 51 Abs. 5 verblieben ist
Aber den Intentionen Schulze-Delitzschs entsprach
dieses preussische Gesetz nur sehr unvollkommen. Denn be-
reits in § 36 seines (zweiten) 1863 aufgestellten Gesetzentwurfs
hatte Schulze-Delitzsch — nach dem Vorgange der bei
einzelnen sächsischen Kreditgenossenschaften getroffenen Ein-
richtungen — ein besonderes »Verfahren zur Realisirung der
Solidarhaft« vorgesehen und in der Hauptsache dahin for-
mulirt:
»Nach Prüfung des eingereichten oder vom Konkurs-
gericht festgestellten Vermögensstatus setzt das Ge-
richt den Betrag derjenigen Summe, die zur vollen
■ Verfil. mein« Schtift S. 45 ff. Motive S. 46 ff.
,.: .«,:,yGüogle
Der EiDislangriff der GenouemctimfUelinbiger. 361
Befriedigung der Vereinsgläubiger erforderlich ist,
durch Dekret fest und vertheilt dieselbe auf sämmt-
liche haftbaren, gegenwärtigen und früheren Mitgheder
des Vereins gleichmässig« .
Dieser Vorschlag, welcher so alsbald nach Auflösung
der Genossenschaft ein gerichtlich geordnetes Umlagever-
fahren postulirte, fand, obwohl im Prinzip gebilligt, doch, wegen
prozessualer Schwierigkeiten nicht die Zustimmung der Kom-
mission des preussischen Abgeordnetenhauses (1863) und wurde
von Schulze-Delitzsch einstweilen fallen gelassen, aber
mit besserem Erfolge in seinem Entwurf des Genossenschafts-
gesetzes für den Norddeutschen Bund wieder aufgenommen,
von der Keichstagskommission »als wichtigste Ergänzung des
preussischen Gesetzes und als Forderung des Gemeinwohles*
mit geringen Aenderungen angenommen, endlich von der
Civilprozesskommission in derjenigen Gestalt, in welcher er
die §§ 52 — 62 des geltenden Gesetzes bildet, formulirt.
Bei diesem wichtigen und unzweifelhaft wohlthätigen
Schritte hat aber weder Schulze-Delitzsch selbst, noch
haben die Verfasser des geltenden, in höchster Eile voll-
endeten Gesetzes (denn der vom 16, Juni 1868 datirende Be-
riebt mit Antrag der Civilprozesskommission ist sogleich ohne
jede Aenderung vom Bundesrath und in der letzten Sitzung
des Reichstages am 20. Juni, wenige Stunden vor dem Schlüsse
der Session, en bloc angenommen worden) ein klares Bewusst-
sein von der prinzipiellen Bedeutung des Umlageverfahrens
gehabt, vielleicht auch absichtlich, weil das noch neue Institut
der Genossenschaften nach ihrer Ueberzeugung ohne die volle
direkte Solidarhaft nicht lebenskräftig erschien, es unterlassen,
die nothwendigen Konsequenzen zu ziehen.
Es unterliegt nämlich nach dem Inhalt des Gesetzes und
nach dem Gange der Verhandlungen ' keinem Zweifel , dass
das Umlage verfahren wesentlich nur im Interesse der Genossen,
nämlich in Bezug auf ihre gegenseitigen Rückgriffsrechte und
dem entsprechende Deckungspflicht, behufs Abschneidung ver-
wickelter Regressprozesse geordnet ist, demgemäss zwar den
■ S. BusfUbrlich Parisius. Die GenouenscbafttKCietie im Deutschen
Reiche (lil76) S. 375 — 378: Reinarti, Die eingetragene Genouenscbaft »Is
Korporation, besonderä deren Liquidalions- , Konkura-
(i38a) S. 97-1°^-
::,y Google
362 ^i' HaftpSicht der Genots«ii uod das UmUgeverfabren-
Genossen tioter eiDaoder, nicht aber den Gläubigem der Ge-
nossenschaft Recht und Pflicht gewährt. Zutreffend beisst es
in den Motiven des vorliegenden Gesetzentwurfs S. 58, 59,
vergl. S. 45, von dem Umlageverfahren des geltenden Ge-
setzes:
»Die Beitragspflicht (zum Umlageverfahren) soll
zwar das hauptsachlichste Mittel zur Befriedigung der
Genossenschaftsgläubiger bilden; trotzdem trägt nach
dem (geltenden) Gesetz die Beitragspflicht nicht ihr
Fundament in sich selbst, sondern es wird hierza ein
an und für sich ausserhalb desselben liegendes Moment
nämlich die subsidiäre Garantiebaft der einzelnen Ge-
nossen in der Weise herangezogen, dass die Beitrags-
pflicht nur als ein Ausfluss der in Folge möglicher
Geltendmachung der direkten Haftung zu erwartenden
gegenseitigen Regressrechte der Genossen erscheint.
Die praktische Folge dieser Konstruktion
ist, dass weder die Gläubiger noch die Ge-
nossenschaft als solche in dem (Umlage-) Ver-
fahren eine Stelle finden*.
Daher gehen, ganz unabhängig von dem Um-
lageverfahren, das Konkursverfahren wider die Genossen-
schaft und die Klagerechte der einzelnen Gläubiger
wider die einzelnen Genossen ihre eigenen Wege und
es wird, wie in § 52 des Entwurfs der Reichstagskommissitm :
iUebrigens wird durch das vorstehende Verfahren
an dem Rechte der Genossenschaftsgläubiger, wegen
der im Konkurs an ihren Forderungen erÜttenen Aus-
fälle die Genossenschafter solidarisch in Anspruch zu
nehmen, nichts geändert«,
so im § 62, vgl. § 52 des geltenden Gesetzes, vgl. auch § 197
der Reichs-Konkursordnung, das Recht des Einzelangriffs ohne
jede Rechtswohlthat der Theilung in aller Schärfe aufrecht
erhalten.
Mit anderen Worten : das Umlageverfahren, welches nach
seinem praktischen Gehalt und seiner wirthschaftUchen Ten-
denz nur eine Gestalt des beneficium divisionis ist, somit zwar
thatsächlich die Rückgriffsprozesse unter mehreren Solidar-
schuldnern abschneidet, aber doch rechtlich nur dadurch, dass
es diese Solidarschuldner dem Gläubiger gegenüber nur als
Der EinieUngrifT der Genossenschaflsgliubiger. 363
Gesammtheit haften Usst, hat unversehens die gerade um-
gekehrte Gestalt eines die Solidarschuldner (Genossen) recht-
lich nicht schützenden , dagegen den Regress unter ihnen
rechtlich abschneidenden Verfahrens erhalten. Diese ganze,
auf mangelhafter Einsicht in die wahre Natur des Umlage-
verfahrens beruhende Struktur desselben ist juristisch und
praktisch eine verfehlte. Dieser verhängnissvolle Irr-
thum wirkt noch gegenwärtig fort.
Thatsächlich freilich gestaltete sich auch das so
mangelhaft geregelte Umlageverfahren zu dem praktisch wich-
tigsten Bestandtheil des Genossenschaftsrechts. Jeder Genosse
rechnete darauf, nur im Wege des Umlageverfahrens in An-
spruch genommen zu werden, somit im ungünstigsten Falle
freilich solidar (ungetheilt für die ganze Schuld) einstehen zu
müssen, aber doch nicht anders, als wenn den Genossen wirk-
lich die Rechtswohlthat der Theilung zustände, somit nur für
die durch Insolvenz oder Unbelangbarkeit einzelner Genossen
ausfallende Repartitionsquoten. Nicht rechtlich, aber that-
sächlich war die direkte Haftung der einzelnen Genossen
gegen die einzelnen Gläubiger durch die sog. indirekte Haf-
tung, d. h. durch die blosse Deckungspflicht gegen die Ge-
nossenschaft, die absolute Solidarhaft durch die modifizirte
Solidarhaft, d. h. die Solidarhaft mit Theilungswohlthat ersetzt.
Machten aber einmal ausnahmsweise Gläubiger
von ihrem unzweifelhaften Recht des direkten
Einzelangriffs für die ganze Ausfallsschuld Ge-
brauch, so wurde dies allgemein als eine schwere
Schädigung, ja als eine materielle Ungerechtig-
keit (Unbilligkeit) empfunden. Das formell gel-
tende Gesetz stand mit der Ueberzeugung gerade
der betreffenden Volkskreise von dem was »recht
und billige, ja im allseitigen Interesse allein
zweckmässig sei, in schneidendem Widerspruch.
Das erscheint um so erklärlicher, als inzwischen, in den
letztverflossenen 20 Jahren, die deutschen Erwerbs- und Wirth-
schafts-Genossenschaften sich immer mehr aus wesentlich indi-
vidualistischen Societäten zu kapitalbildenden Korporationen
herausgebildet haben, deren ökonomischer Schwerpunkt und
Kredit nicht mehr in der direkten und absoluten Solidarhaft der
einzelnen Genossen, sondern in dem eigenen Vermögen der
, C-'OOgIc
364 I^' Haftpflicht der GenwMn and du UmlageTcKabreo.
G«aossenschaft mit nur dahinter Steheader Solidargarantie der
einzelnen Genossen liegt. Hieraus ergiebt sich denn nach
dem normalen, von mir vorlängst dargelegten Entwicklungs-
gänge des Rechts' die nothwendige Umbildung der direkten
und absoluten Solidarhaft in eine modifizirte solidare
Deckungspflicht derGenossen gegenüber der Ge-
nossenschaft, sodass nur aus zwingenden Gründen
des Gemeinwohls oder des Kredits neben der durch
die Deckungspflicbt der Genossen realisirteo Gesammthaft der
Genossenschaft der direkte Einzelangriff der Gläubig^ gegen
die einzelnen Genossen gerechtfertigt werden kann.
Erschien nun freilich bei der gegenwärtig allgemein an-
erkannten, auch in den Motiven des vorliegenden Gesetz-
entwurfs klar gezeichneten Mangelhaftigkeit des bisherigen
Umlageverfabrens der direkte Einzelangriff nicht entbehrlich.
50 ergeben sich doch nach dem geltenden Gesetz die schwersten
Missstände.
Den Genossenschaftsgläubigern steht frei, bei der Ge-
nossenschaft im Umlageverfahren Befriedigung zu suchen, aber
sie erhalten diese in der Regel erst nach vieljährigen Weite-
rungen, da das Umlage verfahren erst im letzten Stadium des
Konkurses eröffnet wird. Wollen sie die im Konkurs fest-
gestellte Ausfallsschuld wider die einzelnen Genossen verfolgen,
so müssen sie gegen diese Klage erheben, haben den — nach
bisherigem mangelhaften Recht — nicht selten schwierigen
Ausweis der Mitgliedschaft zu führen und sind häufig an der
Realistrung ihrer Forderungen durch die früheren Zugriffe
von Privatglaubigem, mitunter sogar durch Beiseiteschaffung
oder Vinkulirung der Befriedigungsmittel verhindert. Es ist
bemerkenswerth , dass in einzelnen eklatanten Fällen die
Gläubiger zu besonderen Haftschutzvereinen zusammengetreten
sind und mittelst eines ganz freiwilligen Umlageverfahrens eine
sachgemässe Regulirung ihrer Ansprüche durchzuführen ver-
sucht haben.
Noch ungünstiger ist die Lage der Genossen. Sie
dürfen gleichzeitig von der Genossenschaft auf Zahlung der
im Umlageverfahren festgestellten Deckungsbeiträge exequirt
und von jedem Gläubiger auf Höhe der ganzen Ausfallsschuld
■ Vergl. meine Schrift S. 41fr., 62, 67, 113.
,.: .«:,yGüogle
Der Einzelangriff d«r GcnoiMMchafCsgUutHger. 365
belangt werden! Weder dem einen noch dem andern An-
spruch können sie entgegensetzen, dass sie ihre Verbindlich-
keiten vollkonunen erfüllt haben, sicherlich nicht den Gläu-
bigem. Hat ein einzelner oder haben wenige Genossen den
häufig sehr beträchtlichen Schuldrest der Genossenschaft be-
zahlt, so bleibt denselben nur eine Regressklage wider die
übrigen, mittlerweile selbst häufig zahlungsunfähig gewordenen
Genossen in unzähligen Prozessen (Genosseuschaftsges. § 56,
vergl. § 53).
Diesen unleugbaren Missständen gegenüber habe ich —
in wesentlicher Uebereinstimmung mit Schulze-Delitzsch,
obwohl ich in meiner vorwiegend die Frage der beschränkten
Haftpflicht erörternden Schrift nicht auf die Einzelheiten ein-
gegangen bin — verlangt, dass das Umlage verfahren fUr jeden
Fall der Ueberschuldung einer Genossenschaft »als integriren-
der Bestandtheil in der Geschäftsabwicklung der sich auf-
lösenden Genossenschaft anerkannt« und mit dem Liquidations-
bezw. Konkursverfahren in eine izeitlich wie sachlich richtige
Verbindung* unter Ersetzung des Einzel an griffs
durch die blosse Repartitionshaft (Deckungs-
pflicht) gebracht werde'.
Wenn ich gleichzeitig, im Hinweis darauf, dass der be-
liebige Einzelangriff den Gläubigem selbstverständlich bequemer
ist, es für zweckmässig erachtete, den Genossenschaften, je
nach ihren verschiedenen Kreditbedürfnissen, die Wahl
zwischen dem von Schulze-Delitzsch und mir gleich-
massig vertretenen System und dem strengeren, ja vielleicht
einem noch mehr den ursprünglichen Grundsätzen sich an-
schliessenden Haftungssystem zu überlassen", so hängt dieser
Wunsch mit meiner prinzipiellen Abneigung gegen eine die
Mannigfaltigkeit der Kreditsysteme verkümmernden gesetz-
lichen Uniformirung zusammen und erledigt sich jedenfalls
gegenüber dem vorliegenden Entwurf, welcher nur eine Ge-
stalt der Genossenschaften mit unbeschränkter Haftung an-
erkennt. Die neuerdings in Genossenschaftskreisen aufgestellte
Behauptung, dass ich gegen die voa mir ganz unzweideutig
verlangte Beseitigung des Einzeiangriffs als bedenklich »ge-
' Vgl. meine Schrift S. 62 fr. Zaatimmend Gierte, Kritische Viertel-
jahrischrifl fllT Geseti^bang und RechttwitseDichaft Bd. 34 (1882) 5. 391 IT.
' Vgl. meine Schrift S, 69.
itizecy Google
366 ^>' Haftpflicht der GenoSKD und das Umlagererhhren.
warnte hätte, beruht daher mindestens auf oberflächlichster
LektUre meiner Schrift. —
Der vorliegende Gesetzentwurf hat nun das Umlagever-
fahren in geeigneter Weise geordnet. Es ist jetzt dafür ge-
sorgt, dass die mindestens theilweise Befriedigung der Gläubiger
in einem früheren Stadium des Konkursverfahrens erfolgt
später eintretende Zahlungsunfähigkeit einzelner Genossen so-
mit in der Regel die Befriedigung der Gläubiger nicht ver-
hindern wird, und die zum Einzelangriff noch ver^tattete
Ausfallsforderimg (Entwurf §§ 22, 110, 121) in der Regel
einen nicht allzu erbeblichen Bruchtheit der ursprünglichen
Genossenschahsschuld beträgt; endlich dass soweit (noch in
der Genossenschaft stehende) Genossen dem Einzelangriff unter-
liegen, sie hinsichtlich des Gezahlten den Rückgriff gegen die
Genossenschaft haben (Entw. g 112, Motive S. 200).
Um die praktischen Wirkungen dieses Systems, dessen
sorgfältig ausgearbeitete Einzelheiten (Entw. §§ 95 — 106) als
bekannt vorausgesetzt werden dürfen, zu veranschaulichen, sei
der Fall gesetzt, dass zur Zeit der Konkurseröffnung das
bilanzmässige Aktivvermögen der Genossenschaft 500000 M..
dagegen die bilanzmässige Genossenschaftsschuld 1 Million M.
beträgt imd dass — ein sehr günstiger Fall — die fehlenden
500000 M. oder, wie sich bei berichtigter Bilanz ergibt.
550000 M. im Wege des vorläufigen Umlageverfahrens (sog.
»Vorschussverfahren« §§ 95—101 bezw. 102) bis auf 300 000 M.
beigetrieben sind, endlich dass von diesem Fehlbetrage weitere
100000 M. alsbald oder doch bis zum Ablauf der zweimonat-
lichen Frist (§ 110) in dem definitiven Umlage verfahren (s(^.
»Nachschussverfahrens §g 103, 104) eingezahlt worden sind.
Es bleiben somit 200 000 M., welche mit Ablauf der der
öffentlichen Aufstellung der Nachschussberechnung folgenden
zweimonatlichen Frist die Gläubiger gegen jeden einzelnen
Genossen beliebig in voller Höhe einklagen dürfen. Und zwar
auch gegen diejenigen , gegen welche hinsichtlich ihrer im
Vorschuss- oder Nachschussverfahren festgestellten Repartitions-
quote die Zwangsvollstreckung seitens der Genossenschaft be-
reits schwebt (s. auch Motive S. 197), ja sogar gegen die-
jenigen, welche freiwillig oder zwangsweise den ganzen auf
sie fallenden Antheil an der im Vorschuss- und Nachschuss-
verfahren ausgeschriebenen Umlage gezahlt haben.
::,y Google
D«r EinxeUngrifT der GenoiseiischafugISubiger. 367
Und da selbstverständlich die redlichsten oder doch sol-
ventesten Genossen am ehesten dieser Pflicht genügt haben,
so sind gerade sie dem ruinOsen Einzelaagriff der Gläubiger
— immer noch in Höhe von 200000 M. — am ehesten aus-
gesetzt.
Dazu tritt, was bisher kaum beachtet worden ist:
Die im Konkurs festgestellten , sofern nur nicht im
Prüfungstermin von dem Vorstand bezw. den Liquidatoren
ausdrücklich bestrittenen Forderungen gelten, sogar wenn
sie vom Konkursverwalter bestritten waren, auch gegen den
einzelnen Genossen als schlechthin festgestellt, ungeachtet er
seinerseits zu deren Bestreitung ausser Stande war: Reichs-
Konkursordn, g 197 und Entw. § 1 10 Abs. 3. Ja es ist zwar
nicht die Verurtheilimg eines Genossen, aber doch die Klage-
erhebung gegen solche, somit eine möglicher Weise völlig
frivole Klage statthaft, ungeachtet die Forderung im Konkurs-
verfahren streitig geblieben ist: Entw. § ItO Abs. 5, vergl,
Motive S. 195 ff.
Hierdurch ist freilich für die Gläubiger sehr aus-
ausreichend gesorgt, aber die Annahme, dass nur so der Kredit
der Genossenschaften zu erhalten sei oder, wie die Motive
(S. 63) — desgleichen Dr. Schenck i. d. BI. f. Genossen-
schaftswesen 1888 Nr. 23 — sagen,
die direkte Haftpflicht in ihrer reformirten Gestalt
bilde >ein unentbehrliches Element in dem Kredit-
organismus der Genossenschaften f,
möchte doch eine starke Uebertreibung enthalten. Wenn
nach unserem Beispiel ein Betrag von §twa 20 °!o der Ge-
sammtschuld der Genossenschaft, oder, nach den Motiven
S. 195, in der Regel gar >nur noch ein verhältnissmässig
unbedeutender Restbetragt zur Deckung des Ausfalls der
Gläubiger zu ersetzen sein wird, so kann nach aller prak-
tischen Erfahrung unter etwaiger durch Wegfall des Einzel-
angriffs veranlasster Verzögerung in der Tilgung dieses
Schuldrestes der Kredit der Genossenschaften schwerlich
leiden. Nur um Verzögerung aber handelt es sich, da schliess-
lich ja auch mittelst des Umlageverfahrens die Befriedigung
der Genossenschaftsgläubiger erfolgt, solange noch die Ge-
sammtbeit der Genossen die erforderlichen Mittel auf-
zubringen vermag — im entgegengesetzten, ja überaus seltenen
„Google
36S Die Haftpflicht der G«iioueii imd das Umbgcveiftlireii.
Falle aber auch der Einzelangriff nicht zur Befriedigung führt.
Zudem steht diesem geringen Vortheil der Gläubiger gegen-
über die äusserste Härte gerade wider die gewissenhaftesten
Genossen, indem diesen hinsichtlich des ja relativ noch
immer erheblichen Schuldrestes — in unserem Beispiel vwi
200000 M. — das Umlageverfahren keine Erleichtemng der
Haftung gegenüber den Gläubigem gewährt, wenngleich es
ihren Regress gegen die mithaftenden Genossen erleichtert.
Im Rahmen des bestehenden Gesetzes ist dies juiistisch
korrekt; im Rahmen des Entwurfs, welcher dem Umlage-
verfahren seinen wahren Charakter eines die Härte der ja
unerlässlichen solidaren Garantieobligation aller
Genossen mildernden beneficium divisionis wieder-
gibt, dasselbe zu einem integrirenden, in die Hand der Gläu-
biger bezw. deren Organe gelegten Bestandtheil des die Be-
friedigimg der Gläubiger bezweckenden Konkursverfahrens,
mit Recht und Pflicht auch der Gläubiger zu dessen sach-
gemässer Durchführung macht, prinzip widrig. Mit anderen
Worten: unter diesem System erscheint die Zulassung des
direkten Einzelangriffs auf gleichviel welchen, sogar minimalen
Schuldrest als eine nur aus zwingenden praktischen
Gründen zu rechtfertigende höchste Singularität.
Die juristische Konsequenz steht somit nicht auf der Seile
des Entwurfs, Den Vertretern des Entwurfs liegt es ob, die
praktische Nothwendigkeit des Einzelangriffs über-
zeugend nachzuweisen. Dieser Nachweis ist zwar versucht,
aber meines Erachtens durchaus misslungen. Wenn in den
Motiven (S. 60) gesagt wird: »Der von einzelnen (? !) Seiten
gemachte Vorschlag, dieselbe (die direkte Haftpflicht) zu be-
~ seitigen, durch die blosse Beitragspflicht zu ersetzen, geht Ober
das Ziel hinaus*, so kann augenscheinlich darunter nicht das-
jenige Ziel verstanden werden, welches die Verfasser des Ent-
wurfs im Auge haben mussten und sicherlich gehabt haben,
mittelst des Unilageverfahrens eine geordnete, der Billigkeit
keit entsprechende Befriedigung der Gläubiger herbeizufuhren.
Nun aber ist im Entwurf, entgegen dem geltenden Recht, die
Beitragspfhcht der Genossen zum Umlageverfahren als Ver-
pflichtung der Genossen gegen die Genossenschaft ge-
regelt; es wird zutreffend hervorgehoben (Motive S. 59), dass
die Genossenschaft mit ihren durch das Umlagererfahren be-
,j ., .„Google
Der EinielaDgiilT der GenossenschaflsglKubiger. 369
schafften Mitteln die Befriedigung der Gläubiger bewirke. Ist
50 das allerdings fUr Thatbestände dieser Art allein passende
System der iDeckungspflicht« oder der sog. indirekten Haftung ',
zum leitenden Prinzip erhoffen, so kann das »Zielt doch nur
in richtiger Gestaltung und voller Durchführung der Deckungs-
pflicht, nicht aber in dem Gegentheil der indirekten Haftuag,
nämlich in der direkten Haftung liegen.
Die besonderen praktischen Gründe aber, welche
die Motive (S, 60, 61) für die Beibehaltung des Einzelangriffs
geltend machen, sind folgende:
1, Dass die Möglichkeit des Einzelangriffs im Hinter-
gründe stehe, werde »auf den Gang des Nachschuss- Verfahrens
nachdrücklich einwirken*. »Es liegt dann« — wird gesagt —
»im Interesse jedes Genossen, dass von ihm selbst und von
seinen Mitgenossen die Beiträge möglichst schleunig und voll-
ständig gezahlt werden, während ein gleicher Antrieb beim
Mangel eines subsidiären Einzelangriffs fehlt. Ein solcher
Antrieb ist auch wirthschaftlich nicht zu unterschätzen. Er
wird nicht bloss bei der schliesslichen Befriedigung der Gläu-
biger sich von praktischer Bedeutung erweisen, sondern die
jedem Genossen drohende unmittelbare Haftung wird schon
von vornherein bei bestehender Genossenschaft auf die sitt-
liche und wirthschaftliche Haltung der Mitglieder, auf die
Vorsicht bei der Leitung imd der Beaufsichtigung der genossen-
schaftlichen Angelegenheiten eine günstige Wirkung ausüben.«
Nun versteht sich ja freilich, dass je strenger die Haf-
tungsprinzipien sind, um so mehr der Einzelne zur Vorsicht
gemahnt, um so mehr er in den Gesammtangelegenheiten
seinen individuellen Einfluss geltend zu machen veranlasst ist.
Von diesem Standpunkte würde sich das ursprüngliche, dem
preussischen Genossenschaftsgesetz vorangehende System der
vollen direkten Solidarhaftung für die ursprüngliche Gesammt-
scbnld am meisten empfehlen. Lässt at>er, wie schon das
geltende Recht und noch mehr der Entwurf anerkennt, sich
eine derartige Solidarhaft mit den vernünftigen Zwecken und
Einrichtungen der Genossenschaften nicht vereinigen, so hat
eben die Milderung der Solidarhaftung so weit zu gehen, als
mit diesen Zwecken und Einrichtungen verträglich ist. Augen-
itizecy Google
370 I^is Haftpflicht der GeDOtieii n&d du UmtifeveifshreD.
scheinlich beruht die scheinbare Deduktion der Motive auf der
Voraussetzung, dass nach dem System des Entwurfs die ein-
zelnen Genossen in der Lage seien, rechtzeitig, d. h. bevor es
zum Einzelangriff kommt, die zur Befriedigung der Gläubiger
erforderlichen Mittel herbeizuschaffen, und zwar auf anderem
Wege herbeizuschaffen, als dass sie selbst für die nichtzahlen-
den Genossen eintreten — denn durch solches Eintreten würden
sie ja praktisch nur den gegen sie zu richtenden Einzelangriff
antizipiren. Diese Voraussetzung aber ist eine irrthUmiiche.
Wenn, tun bei unserem früheren Beispiel zu bleiben, die Tilgung
der Genossenschaftsschulden aus den Mitteln des Genossen-
schaftsvermögens und demnächst weiter im Vorscbuss- und
Nachschuss-Verfahren bis auf 200000 M. erfolgt ist, und zwar
derart, dass von 500 Mitgliedern 400 ihrer Vorschuss- und
Nachschuss-Pflicht vollkommen Genüge geleistet haben, da-
gegen noch 100 Mitglieder ganz oder theilweise im Rückstande
sind, so wissen jene 400 in der Regel gar nicht und können
in der Regel gar nicht wissen, ob innerhalb der zweimonat-
lichen Frist die noch im Rückstand befindlichen 100 Genossen
ihrer Pflicht genügt haben. Noch weniger sind sie, bei aller
sonst in Genossenschaftsangelegenheiten bewährten Umsicht
in der Lage, auf die mögliche, lediglich in den Händen des
Konkursverwalters , Gläubigerausschusses , Konkursgerichtes
liegende Beitreibung der noch fehlenden 200000 M. recht-
zeitig einzuwirken. Gleichwohl sind sie, und natürlich gerade
sie vorzugsweise dem Einzelangriff der Gläubiger ausgesetzt
2. Die Möglichkeit sei nicht ausgeschlossen, dass »leistungs-
fähige Genossen es verstehen, sich ihrer Beitragspflicht zn
entziehen oder den Konkursverwalter hinzuhalten. Für solche
Fälle ist es vollkommen gerechtfertigt, den einzelnen Gläubigem
die Wahrung ihrer Rechte selbst in die Hand zu geben«.
Noch drastischer fuhrt der Genossenschaits- Anwalt
Dr. Schenck (Verhandlungen des schlesischen Verbands-
tages S. 48) in dieser Richtung aus, es könne die Genossen-
schaft so verblendet sein, dass sie nach der Konkurseröftnung
ihre schlechten Vorstands- und Aufsichtsrathsmitglieder, welche
den Vermögensverfall der Genossenschaft verschuldet hstten-
wieder wähle, dass diese nun einen mit ihnen unter einer
Decke spielenden Konkursverwalter wählen, das Nacbschus.'v-
verfahren so endlos verzögert werde u. s. f.
::,y Google
Dn EbzeUngriff der Genosiffiichaftsgliubiger. 371
Wäre dieser Grund stichhaltig, so mtlsste in jedem
Konkursverfahren, zumal über eine Societät, unter Um-
ständen jedem Gläubiger das Recht gewährt werden, die
Geltendmachung seiner Forderung selbst in die Hand zu
nehmen! Ohnehin wird, wer die exekutivische Einziehung
der Nachschüsse durch den Konkursverwalter, sei es durch
Scheinverträge oder durch sonstige Mittel hinzuhalten weiss,
vor dem Schreckbild klageweiser Geltendmachung durch
den einzelnen Gläubiger geringe Scheu empfinden.
Wären aber in Wahrheit die befürchteten Uebelstände,
■welche sich dann nur durch eingreifende Aenderung des
Konkursverfahrens selbst beseitigen Hessen, so gewichtig, und
-wäre denselben wirklich durch die Gestaltung des Einzel-
angrifts abzuhelfen, so greift doch das Mittel, welches
der Entwurf empfiehlt, so sehr über das erstrebte
Ziel hinaus, dass es zur höchsten Ungerechtig-
keit führt.
Böswillige, ja nachlässige Genossen mag die ganze Härte
des Gesetzes treffen. Aber es erscheint völlig unstatthaft, für
den böswilligen oder nachlässigen zahlungsfähigen Genossen,
Tvelcher das geordnete Umlage verfahren frustirt, die völUg
schuldlosen Genossen leiden zu lassen. Der vorstehend (unter 1.)
wörtlich angeführte Satz der Motive, welcher mit beredten
Worten die Pflicht des einzelnen Genossen zur Vorsicht und
Selbstthätigkeit in Leitung und Beaufsichtigung hervorhebt,
trifft gar nicht die vorliegende Frage. Vielmehr enthält
schon das Interesse der zahlenden Mitglieder an der gleichen
Zahlung aller übrigen für die ersteren den denkbar stärksten
Antrieb, auf diese Zahlung hinzuwirken, da sie ja im letzten
Ergebniss für den Ausfall aufzukommen haben; aber diesem
Interesse entspricht auf ihrer Seite kein anderes Zwangs-
mittel gegen die Renitenten, als die durch die Gesammtheit
(den Konkursverwalter, Gläubigerausschuss etc.) durchzufüh-
rende Beitreibimg.
Traut man somit der Energie des Konkursverwalters
bezw. Gläubigerausschusses nicht, befürchtet man femer den
ja denkbaren Einfluss von Vetterschaft und dgl, in der Ge-
nossenschaft, so mag das Gesetz bestimmen, dass diejenigen
Genossen, welche innerhalb der zweimonatlichen Frist ihrer
Nachschussverpflichtung nicht nachgekommen sind, auf Höhe
372 Die Haftpflicht der GenonCD und da* UmUgneHibmi.
der ihnen obliegenden Umlage — ja, will man noch
strenger zu Werke gehen, auf Höhe der ganzen Aas-
fallsBchuld — dem direkten Einzelangriff der Gläubiger
ausgesetzt sind; sogar die direkte Exekution seitens der
Gläubiger liesse sich, vorbehaltlich natürlich der persönlichen
Einwendungen und nach gehöriger Feststellung der Genossen-
eigenschaft, durchaus vertheidigen.
Einem derartigen Kompromissvorschlag, welchen
ich selbst in der Sachverständigenkonferenz gestellt und unler
vielseitiger Zustimmung begründet habe, welchen aber die
Verfasser des Entwurfs einfach ablehnen (Motive S. 61, 194i,
wird man sich anschliessen dürfen, ohne dadurch wider das
Prinzip des Umlageverfahrens und wider die ein-
leuchtendsten Anforderungen der Billigkeit zu
Verstössen.
3. In wesentlicher Uebereinstimmung mit den Motiven
(S. 59, 195) hat der Genossenschaftsanwalt Dr. Schenck
(s, namentlich Verhandlungen des schlesischen Verbandstagei
S. 48, auch BI. für Genossenschaftswesen 1888 Nr. 23ffJ, die
Unbedenklichkeit des Einzelangriffs damit zu begründen
versucht, dass »es nach dem verbesserten Umlageverfahren
kaum mUglich sei, dass irgend ein Gläubiger noch nicht voll-
ständig befriedigt sei«. Wäre dem aber so, so versteht es.
sich doch nach den bekanntesten Regeln der Gesetzespolitit.
dass für einen allenfalls denkbaren, aber höchst unwahrschein-
lichen Ausnahmefall nicht gesetzliche Bestimmungen getroffen
werden, welche mit den schwersten praktischen Nachtheilen,
mindestens in der Vorstellung der Betheiligten, verknüpft sind.
Die legislative Kunst besteht ja vornehmlich in der weisen
Beschränkung auf das praktisch Nothwendige ; dass nicht jeder
denkbare Ausnahmefall der gesetzlichen Regelung bedürftig, p
auch nur fähig ist, hat schon die erprobte Weisheit der römischen
Juristen erkannt und gelehrt'. Man wäre sonst versucht, sn
die Argumentation mancher Philosophen und Staatsmänner ffl
denken, welche die Androhung der Todesstrafe mit der Moti-
virung empfehlen, dass von dieser Androhung niemals G^
brauch gemacht werden würde! Immerhin bestände zwischen
dieser Argumentation und der vorliegenden der wichtige
' L. j-6 D. de legibus (j, 3\
Digitizecy Google
Der EinieUngriff der GenossenicbaftsglSubiger. 373
Unterschied, dass die Todesstrafe doch nur gegen den Schul-
digen und nur nach Maassgabe staatlicher Anordnung an-
gedroht wird, dagegen die Strafe des EinzelangrifEs auch den
völlig Schuldlosen nach WillkUr jedes einzelnen Gläubigers
treffen kann.
Dass diese ungeheure Gefahr des einzelnen Genossen
sogar in Genossenschaftskreisen übersehen werden kann, er-
scheint allerdings schwer begreiflich.
4. Diese in den Motiven {S. 60 — 61) doch allzu euphe-
mistisch als >scheinbare Härter bezeichnete Gefahr und Unbill
soll nach diesen Motiven a. a. O. ihre »Beseitigung« finden
durch »das Regressrecht, welches den Genossen gegen die
Genossenschaft unzweifelhaft zukommt. Der direkte Zugriff
der Gläubiger ändere somit für die Genossen selbst an dem
Ergebniss, welches ohne den Zugriff eingetreten wäre, sach-
lich nichts. Das Recht der Gläubiger, sich geeigneten Falls
unter den haftpflichtigen Genossen diejenigen auszusuchen,
welche sie in Anspruch nehmen wollen, bewirke hiemach nur
«ine Aenderung der Parteirolle und nicht der Haftpflicht*.
Dieses »nurt charakterisirt mehr als alles Andere die ganz
formalistische Behandlung der wichtigen Frage. Macht es
denn im praktischen Effekt wirklich keinen Unterschied,
ob ich 200000 oder auch nur 100000 M. sofort zahlen muss,
-wenngleich mit der sogar sicheren Aussicht, später diese
200000 oder 100000 M. wieder zu erlangen, oder ob ich nichts
zu zahlen brauche?! Plus est in re, quam in actione, sagen
schon die praktischen römischen Juristen : was ich zahlen muss,
wenngleich mit dem klagbaren Anspruch auf Wiedererlangung,
ist einstweilen fUr mich verloren. Von den 400 Genossen,
■welche ihrer Vor- und Nachschuss-Pflicht vollkommen genügt
haben, werden 1, 2, 5, 10 auf Zahluug des Gesammtschuld-
restes von 200000 M. durch den Einzelangriff herausgerissen.
Bevor sie ihre lAuslaget ersetzt erhalten, werden sie in zahl-
losen Fällen völlig ruioirt sein. Zumal diejenigen Gesell-
schaftskreise, aus denen bekanntlich weitaus die Hauptmasse
der Erwerbs- und Wirtbschafts-Genossenschaften besteht : die
kleinen Geschäftsleute, Handwerker, Kaufleute können eben
g;ar nicht oder , zumal nach dem Zusammenbruch derjenigen
Oenossenschaft, welche ihren Kreditbedarf vermittelt hat, nur
unter unerschwinglichen Opfern mit einem Male grosse Summen
, Cioogic
374 Die Haftpflicht der GcDonen nad du UmlageverfahrcD.
aufbringen, auch wenn die Aussicht auf deren Wiedererlangung
noch so sicher wäre. Ohnehin tritt dieser Ersatz iiäufig erst
nach Jahre langen Weiterungen ein, und es kann in der
Zwischenzeit sich die thatsächliche Möglichkeit des Regresses
vollständig verschoben, es können die früher solventen Ge-
nossen zahlungsunfähig geworden sein, die Befriedigungsmitte]
bei Seite geschafft haben u, s. f. Befürchten die Verfasser des
Entwurfs Nachlässigkeit des Konkursverwalters, so liegt doch
die Gefahr der Verschleppung besonders nahe, nachdem die
Gläubiger bereits durch einige Genossen völlig befriedigt sind,
kein treibender Gläubigerausschuss mehr dahintersteht und
nun das lediglich zur Au<%gleichung dienende Umlageverfahren
sich mühsam und schläfrig abwickelt Die Vorschläge des
Entwurfs führen dahin, was derselbe vermeiden will : das Um-
lageverfahren gerade in seinem letzten und wichtigsten Stadium
zu einem blossen Ausgleichungsverfahren unter
den Genossen herabzudrücken, statt ihm die allein richtige
Stellung eines die Regressnahme unter denOenossen
verhindernden Ausgleichungsverfahrens gegen-
über den Gläubigern konsequent zu erhalten.
5. Zum Erweise , dass >die direkte Haftpflicht in ihrer
reformirten Gestaltimg nicht bloss ein unbedenkliches,
sondern auch ein unentbehrliches Element in dem Kredit-
organismus der Genossenschaften bildet und durch die blosse
indirekte Haft nicht zu ersetzen isti (Motive S. 63), wird end-
lich ein letzter Grund angeführt: die Rechtsstellung der aus-
geschiedenen, aber noch den Gläubigem haftenden Genossen.
Weil nämlich für diese das Umlageverfahren untbimlich sei.
so müsse nothwendig die direkte Haftpflicht auch der noch in
der Genossenschaft verbliebenen Mitglieder statuirt werden
(Motive S. 61 ff.).
Es leuchtet ein, dass diese Begründung wider alle legis-
lativen Grundsätze verstOsst. Wollte man nämlich auch zu-
geben — was zu erweisen ist und später erörtert werden soll — ,
dass die ausgeschiedenen Genossen nicht zum umlage-
verfahren herangezogen werden können und um deswillen der
direkten Haftung unterliegen müssen, so können doch augen-
scheinlich nicht aus diesem Grunde auch die noch in der
Genossenschaft stehenden Mitglieder dem Umlageverfahren
unterworfen werden. Man sollte umgekehrt den Schluss er-
_ .^ „Google
Dm Einzelangriff der Geno»sen»chaft«gliubiger. 375
warten: Weil für die letzteren das Umlageverfahren besteht,
ist gegen sie der Einzelangriff entbehrlich. Wollte man aber
auch nicht so weit gehen, so ist doch offenbar der gerade
entgegengesetzte Schluss durchaus unstatthaft. Die Deduktion
lautet: Klasse a (gegenwartige Mitglieder) ist dem Umlage-
verfahren unterworfen , Klasse b (ausgeschiedene Mitglieder)
nicht (nämlich nicht nach Feststellung des Entwurfs); weil
Klasse b dem Umlageverfahren nicht unterworfen ist, muss
gegen sie der Einzelangriff bestehen — folglich auch gegen
Klasse a.
Und wenn diese Argumentation ersichtlich allen Denk-
gesetzen zuwiderläuft, wo findet sich denn auch nur der
Schatten eines Zweckmässigkeitsgrundes, weshalb die
Klassen a und b, sofern sie einander hinsichtlich der Betheili-
gung am Umlageverfahren nicht gleichgestellt werden können,
einander hinsichtlich des Einzelangriffs gleichstehen müssen?
Auch wenn die logische Gleichstellung der Klassen a und b
nicht auf einem evident unrichtigen Schlüsse beruhte, wenn
also logisch an sich für die bereits ausgeschiedenen und die
gegenwartigen Mitglieder der Genossenschaft der gleiche
Rechtssatz (Statthaftigkeit des Einzelangriffs) zu gelten hätte,
so wäre damit die praktisch gleiche Behandlung in diesem
Punkte in keiner Weise gerechtfertigt.
Nicht die rein formale logische Konsequenz, sondern die
innerliche Zweckmässigkeit ist oberste Richtschnur der Gesetz-
gebung, Unsere Gesetze sind nicht und sollen nicht sein meta-
physische Denksjrsteme , sondern zweckentsprechende Regeln
für das soziale Leben.
Was ausserhalb der Motive des Gesetzentwurfs in neuester
Zeit für und gegen das System des Einzelangriffs in längeren
und kürzeren Darstellungen geschrieben und gesagt worden
ist ' , dürfte bereits in der vorstehenden ausführlichen Erörte-
rung seine ausreichende Würdigung gefiuiden haben.
Für die volle Beseitigung des Einzelangriffs sprechen
' Vgl. Dr. Schenck, in den Blattern fUr Genossenschaftswesen iS&S
Nr. 13fr., insbes. aj ff. ; Dr. Scholl* eod. Nr. 31—33, Verhtndlungen de»
• chlesischen Verbandslages 1888 S. 4i— 59, 116— 118; Dr. Hert» und
Dr. GUckemeyer in der Zeitschrift «Die DeuUche Genossenschaft. 1888,
insbes. Nr. 3, 5, 7, 8, 15—19; Mathies in den BlSttern fbr Genossenschafts-
wesen 1888 Nr. 33.
.)ogle
376 Di< Hartpflicht der G«ooueD und das UmlageverfaliTen.
nicht allein alle Zweckmässtgkeits- und ErfahrungsgrUnde,
sondern sogar — was )a in zweiter Linie steht — alle Gründe
juristischer Konsequenz. Die auf dem Vereinstage mit grosser
Sicherheit aufgestellte Behauptung, dass die Solidarhaftung'
selbstverständlich oder gar nothwendig den Einzelangriff be-
dinge, beruht auf Rechtsunkenntniss.
Ist, ganz entsprechend dem Wesen und Zweck der geg«i-
wärtigen Erwerbs- imd Wirthschafts-Genossenschaften, in dem
reformirten Umlageverfahren des Entwurfs die Sohdarhaftuog
der Genossen gegen die Gläubiger zu einer modifizirt solidaren
Deckungspflicht der Genossen gegen die Genossenschaft aus-
gestaltet, welcher ihrerseits die Befriedigung der Genossenschafts-
gläubiger obliegt, so lässt sich nicht gleichzeitig die reine und
abstrakte, wenngleich subsidiäre direkte Solidarhaftung der Ge-
nossen statuiren, ohne das System des Gesetzes in sein Gegentheil
zu verkehren. Hinter der prinzipalen Haftung der Genossen-
schaft, welche unzweifelhaft eine juristische Person ist',
steht ' die gesetzliche burgschaftsäfanliche (unbeschränkte oder
beschränkte) und stets solidare Verpflichtung der Ge-
nossen, durch Vor- und Nachschüsse der Genossenschaft für
die volle Befriedigung der Genossenschaftsgläubiger aufzu-
kommen. Besteht so ein Recht der Genossenschaft und nur
dieser wider die Genossen — aber ein Recht, welches, wie
erforderlichen Falls noch ausdrücklich gesagt werden mag.
zugleich im Interesse der Gläubiger unverktlrzbar und unver-
zichtbar ist — , so kann nicht in irgend einem Zeitpunkte
gleichzeitig der Genosse den Genossenschaftsgläubigem oder
gar einem einzelnen Glaubiger zur Zahlung verbunden sein,
und es Hesse sich höchstens strafweise gegen den im Um-
lageverfahren säumigen Genossen der Einzelangriff recht-
fertigen. Was würde man von der gesetzgeberischen Weis-
heit eines Hadrian oder Justinian sagen, wenn diese verfügt
hätten: die mehreren Bürgen sollen freilich nur in ihrer Ge-
sammtheit (modifizirt solidar) haften, und es soll der Richter
■ S, apch Urlheile des Reichsgerichts in Qriluchen Bd. III S. ii.
Bd. VIII S. 5; Gierke, Die Genossenachaftstheorie und die deutsche Recht-
sprechung (18S7) S. 41fr.
' S. meine Schrift S. 56ff,; Gierke, KritiKhe Vierteljahnschiift ßr
Gesetzgebung und Rechtsvissenichaft Bd. 14 S. 393, 403 und Genosseniduifts-
theorie S. 302; Reinatti a. a. O. S. 9z If.
„Google
Der EiDlelangriff der GeaosteiuchaftsgllabigeT. 377
das erforderliche Umiageverfahren strikt durchfuhren; sobald
aber der Richter es imterlässt, die solventen MitbUrgen zur
Erfüllung ihrer Verbindlichkeit anzuhalten, sollen die übrigen
solventen Mitbürgen, welche ihrer Pflicht genügt haben, von
den Gläubigem auf den ganzen Schuldrest belangt werden
dürfen, so als ob keine Theilung (Umlageverfahren) statt-
gehmden hätte?!
Dazu tritt, dass die für so komplizirte Organismen wie
die heutigen Erwerbs- und Wirthschafts-Genossenschaften allein
geeignete sog. indirekte Haftung oder Deckungspflicht nicht
allein bereits von einzelnen, freilich zur Zeit nicht eintrags-
fähigen Genossenschaften adoptirt ist ' , sondern auch in dem
sächsischen Gesetz, die juristischen Personen betreffend, vom
15. Juni 1868 — welches um der Uniformirung des Genossen-
schaftsrechts willen später in seinen die Genossenschaften betreffen-
den Bestimmungen beseitigt worden ist, — Regelung erfahren
hat: § 11 Z. 6 und Abs. 2, §§ 61—69, endlich sowohl für die
verwandten Wald-Genossenschaften wie für >freie« und öffent-
liche Wasser-Genossenschaften durch die preussischen Gesetze
vom 6. Juli 1875 {G.-S. S. 416 ff.) § 43 und vom 1. April
1879 (G.-S. S. 279 ff.) §§ 24 und 52 durchgeführt worden ist.
Insbesondere ist § 24 dieses Gesetzes, welcher die Ver-
hältnisse der freien Wasser-Genossenschaften regelt, hervor-
zuheben :
»Für die Verbindlichkeiten der Genossenschaft haftet
deren Vermögen.
Genügt dasselbe zur Befriedigung der Gläubiger
nicht, so ist die Genossenschaft den Gläubigem ver-
pflichtet, die Erfüllung der Verbindlichkeiten durch
Beiträge zu bewirken, welche von dem Vorstande bezw,
von den Liquidatoren nach dem im Statut festgesetzten
Theilnahmeverhältniss auf die Genossen umzulegen und
erforderlichen Falls durch Klage beizutreiben sind.
Ist zur Beitreibung der Beiträge die Zwangsvoll-
streckung gegen einen Genossen ganz oder theilweise
fruchtlos geblieben, so ist der Ausfall auf die übrigen
Genossen in gleicher Weise zu vertheilen. Dasselbe
' Vgl. Unheil des Reichigerichts v. zo. Dezember t386 (
ArchiT Bd. 41 Nr. 138).
Dg,l,:ö,.,,GüOglc
378 I^>e Haftpflicht der Genouen und du Umlageverbhren.
findet statt, wenn über das Vermögen eines Genossen
das Konkursverfahren eröffnet worden ist, unbeschadet
des Rechts der Genossenschaft, ihre Forderungen auf
die Beiträge im Konkursverfahren zur Geltung zu
bringen, c
Und wenn unbedenklich zugegeben werden darf, dass
Wald- und Wasser-Genossenschaften auf einen viel geschlosse-
neren Interessentenkreis beschränkt zu sein pflegen, auch im
geringeren Maasse auf persönlichen Kredit angewiesen sind,
so hat doch der Gesetzgeber unzweideutig anerkannt, dass die
Interessen ihrer Gläubiger durch das blosse Deckungs-
system ausreichend gesichert erscheinen, und dass der Einzel-
angriff so unnöthig wie nachtheilig sei.
Bereits Schulze-Delitzsch hat wiederholt ' darauf
hingewiesen, dass dieses System — gegen die Regierungs-
vorlage — erst durch Beschluss des preussischen Abgeordneten-
hauses zur Geltung gelangt ist. Für die Erwerbs- und Wirth-
schafts-Genossenschaften stände dem deutschen Reichstage die
gleiche durchaus freie Erwägung zu. —
Wenn aber aus der Geschichte des deutschen Genossen-
schaftswesens, das ja unter dem bestehenden Gesetz zu er-
freulicher Blüthe gediehen ist, der Schluss gezogen wird,
dass der im Gesetzentwurf aufrecht erhaltene, immerhin sehr
erheblich eingeschränkte Einzelangriff dem Gedeihen der Ge-
nossenschaften nicht hinderlich sein könne, so bewegt man
sich, nach meiner Ueberzeugung, in einem sehr verhängniss-
Tollen Irrthiom.
'Als die deutschen Genossenschaften entstanden, musste
man nothgedrungen das strengste System der Haftpflicht
wählen und vermochte nur dessen allmälige Milderung an-
zubahnen. Auch entbehrte man ausreichender Erfahrungen
über dessen wirthschaftliche , ja soziale Gefahren. Als aber
in den 70 er Jahren Krisen hereinbrachen und nunmehr der
Einzeiangriff als besonders bedrohlich empfunden wurde,
fügte man sich zeitweise in die Missstände, weil man
der bewährten Kraft und Energie Schulze-Delitzsch's
vertraute, es werde sich ein System finden lassen, welches
eine rationelle Befriedigung der Gläubiger ohne den ver-
' Vgl. z. B. Malerial Mir Revision des GenoatenKlMRiKeMttM S. 43.
, Cioogle
Der Einzel an griff der Genotsenschifugliubiger. 379
hassten Einzelangriff ermögliche. Sogar in den Motiven des
vorliegenden Gesetzentwurfs (S. 55) wird ausdrücklich an-
erkannt, dass bei den Katastrophen, welche >in einzelnen
Fällen den Charakter wahrer Kalamitäten für die davon be-
troffenen Bezirke angenommen haben« , nicht bloss der Um-
fang der von Einzelnen zu tragenden Verluste, sondern nament-
lich die Unbestimmtheit und Unübersehbarkeit derselben >und
die andauernde Besorgniss, aus der Zahl der Genossen von
den Gläubigem allein herausgegriffen zu werden*, verderblich
gewirkt habe.
Nur jenes Vertrauen hat, wie mit aller Bestimmt-
heit behauptet werden darf, bisher zahlreiche und wohl
namentlich die vermögendsten Mitglieder derGe-
nossenschaften von der Fahnenflucht abgehalten.
Ergäbe sich aber als Frucht so vieljähriger Reformarbeit, dass
gerade dieser in den Genossenschaftskreisen bisher für ent-
scheidend erachtete Reformgedanke an dem Widerstände der
Bundesregierungen scheitert — und dass mit dem jetzt in Frage
stehenden Gesetz auf lange hinaus die Reform des Genossen-
scbaftsrechts abgeschlossen wird, dürfte doch keinem Zweifel
unterliegen — , so sind, nach meiner Ueberzeugung, sehr schwere
Folgen unvermeidlich. Es werden sich einerseits — was ich,
obwohl ja die entsprechenden Bestimmungen des Entwurfs zum
erheblichen Theil auf meinen Vorschlägen beruhen, für
keineswegs wünschenswerth erachte — sehr zahlreiche Vor-
schussvereine in Genossenschaften mit beschränkter Haftpflicht
oder gar in Aktienvereine umwandeln; es werden anderer-
seits gerade die vermögendsten Mitglieder, vornehmlich die-
jenigen, welche bisher aus uneigennützigem Wohlwollen den
Genossenschaften die Stütze ihrer Mitgliedschaft gewährt
haben, sich zurückziehen, nicht gewillt, fernerhin das Damokles-
schwert des Einzelangriffs über ihren Häuptern schweben zu
lassen.
Man sehe nur z. B. die völlig unzweideutigen Erklärungen
sehr angesehener Mitglieder von Genossenschaften auf dem
schlesischen Verbandstage (Verhandlungen S. 56 — 59).
Können die Erwerbs- und Wirthschafts-Genossenschaften
inmitten eines mit steigender Erbitterung geführten Interessen-
kampfes und gegenüber der wachsenden Beherrschung von
Verkehr und Geldmarkt durch die grossen Kapitalmächte sich
380 ^'' Haftpflicbt der GeuotseD and dsa UmlageTctrahien.
nur durch selbstlose Hingabe Vieler an die gemeiiintltugen
Genossenschaftszwecke behaupten, so hat die Reformgesetz-
gebtmg sicher allen Grund, mit äusserster Voreicht jeden
Schritt zu vermeiden, welcher nothwendig diese Hingabe ab-
schwächen oder gar vernichten muss. Die jetzt aufgestellte
Behauptung aber, dass der 'Kredit* der Erwerbs- und Wirth-
schafts-Genossenscbaften die Beibehaltung des Einzelangriffs
erfordere, hat in den von dem früheren und dem gegenwärtigen
Genossenschaftsanwalt beantragten einstimmigen Beschlüssen
zweier allgemeiner Vereinstage und in früheren beredten Aus-
führungen des gegenwärtigen Genossenschaftsanwalts selbst
seine ausreichende Widerlegung erfahren. In dieser Be-
ziehung sind doch augenscheinlich die Genossen-
schaften selbst die besten, ja einzig kompetenten
Sachverständigen, und ich vermag nicht einzusehen, wie
die von vielen Seiten für juristisch zutreffend erachteten
Ausführungen der Gesetzmotive in dieser, ausschliesslich am
Lebenserfahrung und genauer Kenntniss der Verkehrebedüri-
nisse zu entscheidenden Frage eine Meinungsänderung
zu bewirken vermögen. Praktische Männer können ach
vielleicht darüber täuschen, ob der Einzelangriff mit dem Be-
stände and den wahren Interessen der Genossenschaften ver-
träglich sei; nicht aber darüber, ob der Einzelangriff für
ihren Bestand und ihr Gedeihen erforderlich sei. Ich selbsi
war früher der Ansicht, dass man den einzelnen Genossen-
schaften die Wahl eines strengsten oder eines milden
Kreditsystems überlassen solle, d. h. die Wahl zwischen
dem System der direkten und sogar prinzipalen streng
solidaren Haftung der einzelnen Genossen und dem
System der blossen indirekten Haftung (modifizirt solidares
Deckungssystem). Wird dieses Wahlrecht nicht begehrt, ent-
scheidet man sich für das blosse Deckungssystem aus dem
doppelten Grunde, weil der Kredit der Genossenschaften ein
strengeres System nicht erfordere und weil der Einzel-
angriff für den Bestand der Genossenschaften gefährdend sei
so Hesse sich veretehen, dass man sich von der Irrigkeit des
zweiten Grundes überzeugt — aber kaum, dass man auch hin-
sichtlich des ersten Grundes zu der gegentheiligen Ueber-
zeugung bekehrt werde.
oy Google
Die Heranuehung au^escbiedcneT Genouen tum Umlageveriahren. 381
IL Die Heranziehung ausgeschiedener Genossen zum
ümlf^everfWiren.
Die Bilanz der Genossenschaft hat per 31. Dezember 1888
einen wirklichen oder anscheinenden Ueberschuss der Activa
über die Passiva von 50000 M. ergeben. Per 31. Dezember
1888 sind 50 Mitglieder ausgeschieden. Es sind zwei F^lle
möglich :
1. Löst sich die Genossenschaft bis zum 30. Juni 1889
einschliesslich auf (nach geltendem Recht: bis zum 31. März
1889 einschliesslich), so ist zu unterscheiden:
a. Die Ausgeschiedenen haben sich mit der Genossen-
schaft nicht auseinandergesetzt , aber ihr Geschäfts-
guthaben an einen Anderen (delegationsweise) über-
tragen. Verfällt dann die Genossenschaft später in
Konkurs, so sind die ausgeschiedenen Genossen ftlr die-
jenigen Nachschüsse, welche ihnen (unter Berücksichti-
gung ihrer Guthaben) im Falle ihres nicht erfolgten
Ausscheidens obgelegen hätten, zum Umlageverfahren
heranzuziehen, aber erst subsidiär, nämlich erst hinter
den Erwerbern ihrer Geschäftsguthaben. (Die sechs-
monatige Frist kann in diesem Falle übrigens auch
vom Zeitpunkte des Ausscheidens an laufen, da diese
Art des Ausscheidens an einen bestimmten Zeitpunkt
nicht gebunden ist.) Vgl. Entwurf § 70 und Motive
S. 151 ff.
b. Die Ausgeschiedenen haben sich mit der Genossen-
schaft auseinandergesetzt, eine Uebertragung der Ge-
schäftsguthaben an Andere hat nicht stattgefunden.
In diesem Falle werden die Ausgeschiedenen schlecht-
hin so behandelt, als wenn sie noch Mitglieder der
Genossenschaft wären : die sogar vollzogene Aus-
einandersetzung wird rescindirt. Sie haben somit kein
Recht auf Herauszahlung ihres iGuthabensc, müssen
vielmehr das Empfangene zurückzahlen. Sie haben
Pflicht wie Recht der Heranziehung zum Umlage-
verfahren (Vorschuss- und Nachschuss- Verfahren) ganz
so, als ob ihr Ausscheiden nicht erfolgt wäre, werden
also nicht lediglich mit ihrem bilanzmässigeQ Verlust-
antheil zur kompensatorischen oder gar mittelst Zu-
382 ^'" Hiftpfiicht der Gcdomch und du UinlageTetf^lueD.
schussleistung bewirkten Deckung des bilanzmässigen
oder später sich ergebenden Ausfalles herangezogen.
Vgl. Entwurf §§ 68, 69.
2. Die Genossenschaft löst sich am 1, Juli 1889 oder
später auf. In diesem Falle haben die Ausgeschiedenen, weldie
sich — was, von dem Falle der Delegation (1. a) abgesehen,
stets gesetzlich nothwendig ist — mit der Genossenschaft aus-
einandergesetzt haben, die Stellung von einfachen Konkurs-
gläubigern der Genossenschaft hinsichtlich ihres bei der Aus-
einandersetzung festgestellten Guthabens, von gemeinen Schuld-
nern der Genossenschaft hinsichtlich des ihnen nach der
Auseinandersetzung obliegenden Zuschusses. Sie brauchen
das etwa als »Guthaben« Empfangene nicht zu restituiren und
haben weder Recht noch Pflicht der Betheiligung am Umlage-
verfahren. Dass sie gleichwohl, zwar nicht passiv, aber aktiv
später in dasselbe hineingezogen werden können (Entwurf
§ 112), wird sich alsbald ergeben.
Hinsichtlich ihrer Betheiligung am Umlage ver-
fahren unterliegen somit die ausgeschiedenen Genossen einer
durchaus verschiedenen Behandlung:
1) je nachdem die Auflösung der Genossenschaft binnen
oder nach Ablauf einer vom Zeitpunkt des Aus-
scheidens ab berechneten sechsmonatigen Frist er-
folgt ist;
2) im ersten Falle, je nachdem eine delegationsweise Ueber-
tragung des Guthabens oder eine Auseinandersetzung
mit der Genossenschaft stattgefunden hat.
Dagegen hinsichtlich ihrer Haftung gegenüber den
Gläubigern gilt ftlr alle Ausgeschiedenen das gleiche
Recht.
Nämlich sie bleiben für die bis zum Zeitpunkte ihres
Ausscheidens, welcher fUr die verschiedenen Kategorieen nicht
gleichmässig berechnet, möglicher Weise um ein ganzes Jahr
nachdatirt wird (Entwurf §§ 65, 70), eingegangenen Genossen-
schaftsschulden den Genossenschaftsgläubigem und zwar jedem
einzelnen derselben solidarisch ohne Theilungswohlthat und
mit ihrem ganzen Vermögen, obwohl nur subsidiär, für die aus
dem Vermögen der Genossenschaft einerseits, durch Vorschüsse
und NachschUsse der in der Genossenschaft verbliebenen Mit-
oogic
Die Heranziehung ausgeichiedeaer Geuoasen mm Umlagererfahren, 383
glieder bis zu dem gesetzlichen Zeitpunkte andererseits nicht
gedeckte > Ausfallsschuld* verhaftet, und zwar:
1) schlechthin 3 Jahre lang, vom Zeitpunkte ihres Aus-
scheidens ab berechnet. Diese 3 Jahre bilden keine
Verjährungszeit, sondern eine gesetzliche Befristung;
3) wird innerhalb dieser 3 Jahre das Konkursverfahren
über das Genossenschaftsvermögen eröffnet, so besteht
diese Haftung fort bis zum Ablauf von 2 Jahren,
beginnend mit der in § HO festgestellten Frist. Diese
2 Jahre bilden eine, in manchen Beziehungen privi-
legirte Verjährungsfrist'.
Angenommen, dass — um eine mittlere Zahl zu nehmen —
der Konkurs über das GenossenschaftsvermOgen 18 Monate
nach dem Ausscheiden eröffnet wird, dass bis zum Vollzug
der Schlussvertheilung (Entwurf § 103) auch nur ein Jahr
verfliesst, bis zur Vollstreckbarerklärung der Nachschuss-
berechnung weitere 6 Monate (Entwurf §§ 103, 110), und
nunmehr nach Verlauf weiterer 2 Monate (Entwurf § 110)
der Lauf der zweijährigen Verjährungsfrist beginnt, so würde
die Dauer der solidaren und unbeschränkten Haftung der Aus-
geschiedenen gegenüber den Genossenschaftsgläubigem sich auf
den Zeitraum von 5 Jahren 2 Monaten erstrecken — sie kann
aber sehr leicht auf 6, 7 und mehr Jahre sich erstrecken.
Bleiben wir bei der vorstehenden Durchschnittsberechnung,
so dürfen nach Verlauf von 3 Jahren 2 Monaten seit dem
Ausscheiden die Ausgeschiedenen von den Gläubigem belangt
vrerden auf Höhe der ganzen Ausfallsscbuld (Entwurf §§ 71,
110), ganz gleich den in der Genossenschaft verbliebenen
Mitgliedern, ja anscheinend vor diesen dadurch begünstigt,
dass sie zu dem Umlageverfahren nicht herangezogen worden
sind, also bis dabin aus eigenem Vermögen nichts zugeschossen
haben.
Aber gleichzeitig ist auch ihre Lage eine weitaus un-
günstigere als die Situation der gegenwärtigen Genossenschafts-
mitglieder. Die letzteren haben immerhin in dem Vorstand
bezw. den Liquidatoren ihre natürlichen Vertreter , den aus-
geschiedenen fehlen solche durchaus. Gleichwohl gilt auch
gegen sie , dass sie eine von dem Vorstand oder den Liqui-
> Vgl. Entwurf %% 71, III und Motive 5. 154, 155, 19S.
,.: .«.yGüogle
384 I)ie Hafipfiklil der Geac»*en und du L'mkgeverfabreD.
datoren nicht ausdrücklich bestrittene vom Gericht festgestellte
Forderung nicht bestreiten können, dass ein gegen den Vor-
stand bezw. die Liquidatoren hinsichtlich einer bestrittenen
Forderung ergangenes rechtskräftiges Urtheil auch ihnen gegen-
über wirkt (Entwurf § 111 Abs. 2, 3, vgl. § 104 Abs. 2) -
von dem ja zustehenden Interventionsrecht (CivUprozessonJnmig
§§ 63 ff.) dürfte schwerlich je Gebrauch gemacht werden.
Allerdings hat der vielleicht nach Ablauf vieler Jahre
nach seinem Ausscheiden durch den Einzelangriff von Glän-
bigem minirte Genosse, welcher sich mit der Genossenschah
auseinandergesetzt hatte, den Rückgriff gegen die Genossen-
schaft, und zwar auf den vollen Betrag des Gezahlten, allen-
falls gegen die einzelnen, in gleicher Lage befindlichen aus-
geschiedenen Genossen (Entwurf §§ 68, 112 und Motive S. 63,
200) — indess wie geringen Schutz dieses Regressrecht prak-
tisch gewährt, ist bereits im ersten Abschnitt erörtert.
Da ich mich strenge auf die Beantwortung der mir vor-
gelegten Fragen beschränke, so steht hier nicht zu prüfen,
ob die im Entwurf angenommene Haftungsdauer der aus-
geschiedenen Genossen gerechtfertigt erscheint. Wie dem aber
auch sei, so ist sehr zu befürchten, dass in Zukunft kein irgend
vorsichtiger Mann, welcher dem Gesammtinhalt des soeben
in seinen praktischen Konsequenzen klargelegten Gesetzes
genau erwägt, sich einer unter diesem Gesetz stehenden Ge-
nossenschaft anschliessen wird, da er durch sein Ausscheiden
aus derselben in eine fast noch bedenklichere Lage gerathen
würde, als — die Statthaftigkeit des Einzelangriffs überall
vorausgesetzt — durch sein Verbleiben in der Genossen-
schaft.
Auch davon kann abgesehen werden, ob die Nichtheran-
ziehung der ausgeschiedenen Genossen zum Umlageverfahren
dem geltenden Recht entspricht, zumal die bis zur Aende-
rung der Judikatur maassgebende Autorität des Reichsgerichts
dieser Annahme zur Seite steht.
Immerhin ist bekannt, dass der die Grundlage des gelten-
den Gesetzes bildende Gesetzentwurf vonSchulze-Delitzsch
unzweideutig das Gegentheil vorgeschlagen hat, und wie jeder
Anhalt fehlt, dass die Civilprozesskommission durch ihre
Fassungsänderung in diesem wichtigen Punkte eine Aendenug
des Gesetzentwurfes beabsichtigt habe, Bundesrath und Reichs-
Die HeranziehuDg auEgeschiedeDcr Genossen zum UmlageverrahreD. 385
tag aber auf die einzelnen Bestimmungen des Entwurfs über-
haupt nicht eingegangen sind".
Es ist weiter klar, dass die Rechtsgründe, mit welchen
die Ausschliessung der Ausgeschiedenen vom Umlageverfahren
bisher vertreten worden ist, lediglich dem Umlageverfahren
des zur Zeit geltenden Rechts entnommen sind, nicht aber
auch für die völlig veränderte Gestalt desjenigen Um-
lageverfahrens, welches der vorliegende Entwurf aufstellt, zu-
treffen.
Wenn die ausgeschiedenen Genossenschafter durch die
vollzogene Auseinandersetzung nach Recht und
Pflicht aus jedem Rechtsverbande zur Genossenschaft heraus-
getreten sind, und wenn gleichzeitig das Umlagever-
fahren eine lediglich innere Angelegenheit der Genossen-
schaft bildet, welche zwar thatsächlich , aber nicht rechtlich
die Lage der Genossenschaftsgläubiger und der diesen haften-
den (gegenwärtigen und früheren) Genossen berührt, wenn
diese beiden Prämissen zutreffen, so lässt sich freilich, wie
ich dies stets anerkannt habe', die Heranziehung der Aus-
geschiedenen zum Umlageverfabren, wie zweckmässig sie auch
im Uebrigen erscheinen mag, mit den Prinzipien des gelten-
den Rechts schwer in Einklang bringen.
Wird hingegen, wie im Entwurf geschieht und im ersten
Theil dieser Erörterungen eingehend dargelegt ist, das Um-
lageverfahren als integrirender Bestandtheil des
Konkursverfahrens anerkannt, als Recht und Pflicht zu-
gleich der Gläubiger, trägt es und muss es naturgemäss
den Charakter eines auxilium divisionis tragen, so verschiebt
sich augenscheinlich die Sachlage auch juristisch voll-
kommen.
Dies hat denn auch bereits das Reichsgericht selbst
(Urtheil des 1. Civilsenats vom 27. September 1886 i. S. des
Vorschussvereins zu Treptow c. Seh. u. Gen. (Beiträge von
Rassow u. Kuntzel Bd. XXXI S. 90ff. — auch in den
Blättern für Genossenschaftswesen 1887 Nr. 8]) ausdrücklich
anerkannt. »Wärec — heisst es hier wörtlich — (in dem
< Vgl. meine ScIiriEl 5. 19fr.
> Vgl. meine Schrift S. 35; Entscheidunf^n des Reich^ienchi*
. VIU S. 71.
:.y Google
386 ^'^ Haftpflicht der Genossen und djs UmUgeverfahicn.
geltenden Gesetz) »den Genossenschaftsgläubigem das Recht
beigelegt worden, insgesammt durch ein sie vertretendes Organ
gegen die Gesammtheit der persönlich haftenden Genossen-
schafter unter Umlegung der zu deckenden Schuld auf die
einzelnen Genossenschafter (nach Köpfen) vorzugehen, so
würde es sich von selbst verstanden haben, dass
das Umlageverfahren auch gegen ausgeschiedene
Genossenschafter gerichtet werden könnte, so
lange sie gemäss i; 39 Abs. 1 des Genossenschaftsgesetzes
den Gläubigem verhaftet sind.« Aber, heisst es weiter, ein
derartiges Umlageverfahren sei dem geltenden Gesetz (vom
4. Juli 1868) fremd.
Dem gegenüber ist es auffällig, dass die Motive S. 61 ff. -
und entsprechend Dr. Schenck in den Blättern für Genossen-
schaftswesen 1888 Nr. 22 — obwohl sie ja wiederfiolt und
sehr scharf die Verschiedenheit des im Entwurf geplanten
Umlageverfahrens von dem Umlageverfahren des bestehenden
Gesetzes betonen, und S. 58 sogar wörtlich ausführen:
»Um den Gläubigern die ihnen zubilligende Ein-
wirkung auf die Feststellung und Einziehung der von
den Genossen zu leistenden Beiträge zu sichern, darf
das Verfahren nicht wie bisher dem Vorstand, un-
abhängig vom Konkursverwalter, sonden
muss dem letzteren übertragen werden,
unter der Beaufsichtigung des Konkursgerichts und
Mitwirkung der Gläubiger in den durch die
Konkursordnung gegebenen Schranken«,
ihre Gründe gegen die Heranziehung der Ausgeschiedenen
zum Umlageverfahren nicht den Prinzipien des neuen, sondern
den völlig abweichenden Prinzipien des alten Gesetzes ent-
nehmen.
Indessen kommt es ja, wie schon mehrfach hervorgehoben
ist, weniger auf die sog. prinzipielle Korrektheit als auf Zweck-
mässigkeit an. Es soll daher im Folgenden der Nachweis
erbracht werden, dass die Heranziehung der ausgeschiedenen
Genossen zum Umlageverfahren dem wahren Interesse der Ge-
nossenschaft, ihrer Gläubiger, ja der Ausgeschiedenen self)st
entspricht. Nur versteht sich, dass hier Interessenkon-
flikte vorhegen und dass es ohne alle Schädigung auch be-
rechtigter Interessen nicht abgeht. In solchem Falle besteht
Die Herini ieliDiig; ausgeschiedener Genossen zum Umlage verfahren. 387
eben die Aufgabe des umsichtigen Gesetzgebers darin, den-
jenigen Weg zu wählen, welcher bei sorgsamster Er-
wägung im Ganzen und Grossen als der zweck-
mässigste erscheint.
Als solcher erscheint nicht die Ausschliessung der Aus-
geschiedenen vom Umlageverfahren, sondern deren Heran-
ziehung,
1. Die Ausschliessung der Ausgeschiedenen verhindert
augenscheinlich die Aufstellung einer jeden sicheren Berech-
nung der zur Befriedigung der Gläubiger paraten Mittel.
Findet die Auflösung der Genossenschaft bis zum 30. Juni 1889
statt, so hat der Konkursverwalter auch die seit 31. Dezember
1888 ausgeschiedenen 50 Genossen, ungeachtet der vollzogenen
Auseinandersetzung, heranzuziehen; wenn am 1. Juli 1889, so
soll dies unstatthaft sein. Da nun aber diese Ausgeschiedenen
gleichwohl den Gläubigem haften, so kommen doch deren
Leistungen indirekt der Genossenschaft zu Gute, wenn auch
vorbehaltlich des in einem weiteren Nachschussverfahren
(Entwurf § 112) zu nehmenden Regresses. Anders ausgedrückt:
die wirkliche Befriedigungsmasse ist unbekannt, bekannt
ist nur die Passivmasse. Wollte man aber etwa behaupten,
dass ja die Regresssumme der Ausgeschiedenen mit dem im
Umlageverfahren ihnen aus Genossenschaftsmitteln zu ersetzen-
den Befrage identisch sei, eine Umlage auf die Ausgeschiedenen
somit nicht ein Genossenschaftsaktivum darstelle, so wUrde
man übersehen , dass die Regresssumme — nach jedem
System — erst in zweiter Linie steht, d. h. erst nach Be-
friedigung der Genossenschaftsgläubiger zur Perzeption kommt
und dass die in der Zwischenzeit, insbesondere durch die bis-
herigen Zahlungen veränderten Solvenzverhältnisse der regress-
pflichtigen Genossen den Regressnehmem zum Nachtheil ge-
reichen.
2. Das Interesse der Genossenschaft an der Heranziehung
der Ausgeschiedenen liegt klar auf der Hand. Es ist ja be-
kannt, dass nur zu häufig bei ungünstigem Vermögensstande,
ja bei irgend erheblichen Verlusten, zahlreiche Genossen aus-
treten, um sich dem drohenden Umlageverfahren zu entziehen.
Dies wird auch durch den gegenwärtigen Entwurf (Rück-
datirung des Auflösungsbeschlusses um sechs Monate) nur er-
schwert, nicht verhindert. Will der Verein diese viel-
388 Sie Haftpflicht der Genossen nnd das Umlageverfahren.
leicht vermögendsten Genossen zum Umlagever-
fahren heranziehen, so bleibt ihm nur das Mittel
der Selbstvernichtung, d.h. der Auflösung binnen
kurzer Frist. Gerade diese nothwendige Konset^uenz des
vom Entwürfe befolgten Systems hat den scharfen Wider-
spruch Schulze-Delitzschs wie des gegenwärtigen Genossen-
schaftsanwalts , welcher sich jetzt auch in diesem Punkte auf
die Seite des Entwurfs gestellt hat, hervorgerufen.
3. Anscheinend nicht so klar liegt das Interesse der
Gläubiger. Es kann sich fragen, ob nicht, wenn der
Einzelangriff beibehalten wird, einzelne Gläubiger es vor-
ziehen werden, mit direkter Klage auf Zahlung der ganzen
Ausfailsschuld wider die Ausgeschiedenen vorzugehen. Allan
wenn man erwägt, dass dies erst in einem sehr späten Zeit-
punkt geschehen kann, so dürften doch die Gläubiger im
Durchschnitt das geordnete, ohne Bemühung von ihrer Seite
zur Befriedigung führende Umlageverfahren dem immerhin
beschwerlicheren und gehässigen Einzelangriff vorziehen. Ist
der Einzelangriff Überhaupt zum Schutz der Gläubiger nicht
erforderlich, so auch nicht gegen die Ausgeschiedenen; er-
forderlich wird er nur, wenn man ohne Noth die Atisgeschiede-
nen vom Umlageverfahren ausschliesst.
4. Verwickelter liegt die Frage nach dem Interesse der
Ausgeschiedenen, weil eben ein Interessenkonflikt besteht.
Die Ausgeschiedenen, welche sich mit der Genossenschaft
»auseinandergesetzt« haben, hoffen, dass sie für die Ge-
nossenschaftsschulden nicht werden in Anspruch genommen
werden*, jede Heranziehung zur Schuldendeckung ist ihnen
selbstverständlich äusserst unerwünscht, ja wird von ihnen als
ein Unrecht empfunden. Nun liegt aber die Alternative nicht
so, wie von gegnerischer Seite argumentirt wird: Sollen die
Ausgeschiedenen zum Umlage verfahren herangezogen werden
oder von jeder Haftungspflicht frei sein, sondern sie liegt so;
Sollen die Ausgeschiedenen zum Umlageverfahren heran-
gezogen werden oder dem Einzelangriff der Gläubiger, wenn-
gleich erst in einem späteren 2!eitpunkt, ausgesetzt sein?
Angenommen, dass der ohne Heranziehung der Aus-
geschiedenen zum Umlage verfahren in dem kritischen Moment
zu deckende Schuldrest 200000 M. beträgt, für dessen Tilgung
auch die im Laufe der letzten 2, 3, 4 Jahre vor diesem Zeit-
Die HeraMJehung ausgeachiedensr Genossen lum Umlage verfahren. 389
punkte au^eschiedenen 150 Genossen den Gläubigem auf-
zukommen haben, und man legt diesen 150 Personen die
Frage vor:
»Zieht Ihr es vor, im Umlageverfahreu, also etwa
innerhalb eines Jahres nach der Auflösung ein Jeder
pro rata, etwa mit je 1000 M. im Wege der Umlage
herangezogen zu werden, unter demoächstigem , im
weiteren Umlage verfahren zu nehmenden Regress für
die gezahlten 1000 M. an die Genossenschaft — oder
wollt Ihr Heber der Gefahr ausgesetzt sein, dass nach
Ablauf etwa eines weiteren Jahres oder weiterer
18 Monate jeder Einzelne von Euch beliebig auf den
Betrag von 200000 M. (100000, 50000 u. dgl.) be-
langt werde, vorbehaltlich seines Regresses gegen die
Genossenschaft und gegen die in gleicher Haftlage
befindlichen Genossen?«
so dürfte für einigermaassen vorsichtige und verständige
Männer die Antwort kaum zweifelhaft sein. Ja sie dürften
wohl mit gutem Grunde sagen: Der im Wesen der Erwerbs-
und Wirthschafts-Genossenschaft liegende, gesetzlich verbürgte
freie Austritt aus der Genossenschaft ist für uns ein Fall-
strick geworden. Indem wir jeder Einwirkung auf die
Feststellung der Genossenschaftsschuld und auf das Um-
lageverfahren, welches doch die volle Tilgung dieser
Schuld und zwar durch angemessene Vertheilung auf
die sämmtlichen einzelnen haftenden Genossen bezweckt, ent-
behren, sind wir in einer ungünstigeren Lage, als unsere
in der Genossenschaft verbliebenen Genossen.
Die Versagung der Betheiligung am Umlage verfahren
stellt sich vorsichtigen und redlichen Männern als ein in-
direktes Zwangsmittel dar, in der Genossenschaft zu
verbleiben — entgegen dem klaren Willen des Gesetzes,
welches jeden Zwang dieser Art absolut verpönt: Entwurf
§§60, 62, 18.
Mindestens könnten die Ausgeschiedenen begehren,
dass für sie ein besonderes Umlage verfahren eröffnet,
d. h. dass unter sie, soweit sie solvent sind, der Schuldrest
gleichmässig vertheilt werde, damit die Rechtswohlthat der
Xheilung (beneficium divisionis), welche sie vermöge des Um-
lageverfahrens als Mitglieder der Genossenschaft genossen
390 B'^ HafipIlLcht der Genossen und das UmUgeverfahren.
haben ^ ihnen nicht ohne Grund entzogen werde. Erscheint
aber dieses Verlangen unausführbar, weil diesem be-
sonderen Umlageverfahren die nothwendige Grundlage eines
festen Status der Aktiven und Passiven fehlen würde — da
ja unmöglich festgestellt werden kann, welcher Theil des
Schuldrestes noch durch die in der Genossenschaft verbliebenen
Mitglieder gedeckt werden wird und welche Gläubiger sich
gerade an die Ausgeschiedenen halten werden — , so bleibt im
überwiegend vernünftigen Interesse gerade der
Ausgeschiedenen nur übrig, das allgemeine Umlage-
verfahren auch auf sie auszudehnen.
Nun besteht ja die Aufgabe der Gesetzgebung gerade
darin, in solchem, bekanntlich sehr häufigen Interessenkonflikt
denjenigen Weg einzuschlagen, welcher dem vernünftigen
allgemeinen, und nicht denjenigen, welcher dem unvemlinf-
tigen, rein egoistischen Willen einzelner Betheiligten entspricht. —
Was 50 von dem bisher allein geprüften Interessen-
standpunkt sich als unabweisliche Regelung ergiebt, ent-
spricht aber auch durchaus den richtig verstandenen Rechts-
prinzipien des Entwurfs, wenn man nur nicht den Fehler
begeht, nicht die Gesammtheit dieser Rechtsprinzipien in
Betracht zu ziehen, sondern einen einzelnen dieser Grund-
sätze für sich allein ins Auge zu fassen.
1. Ist das Umlage verfahren seinem rechtlichen Wesen
nach eine Rechtswohlthat den Gläubigern gegenüber
(beneficium oder auxilium divisionis), so kann es nicht auf die
in der Genossenschaft zur Zeit der Auflösung verbliebenen
Genossen beschränkt werden. Denn die noch gegenwärtigen
und die bereits ausgeschiedenen, aber den Gläubigem noch
haftenden Genossen sind gleichmässig gesetzliche
Solidarbürgen der Genossenschaftsschuld. Den
Gläubigem gegenüber bilden sie innerhalb der Haftzeit einen
Körper: es ist juristisch durchaus unstatthaft, die einzelnen
Glieder dieses Körpers nach dem für die Gläubiger völlig
unerheblichen Umstand der gegenwärtigen Mitgliedschaft oder
des erfolgten Ausscheidens verschiedener Behandlung zu unter-
werfen.
2. Das Recht der Genossenschaft, die ausgeschie-
denen Genossen zum Umlageverfahren heranzuziehen, wird ans
dem Grunde in Abrede gestellt, weil zu Folge der »Aus-
. '^ ...GooqIc
Die Heraniiehung ausgeschiedener Genoisen zum Umlageverfahren. 391
einandersetzungt dieselben ihren Antheil an den Genossen-
schaftsschulden bereits getilgt hätten. Indessen dieser Grund-
satz des gemeinen bürgerlichen und Handelsverkehrs, dass
mit der Auseinandersetzung Alles »abgemacht* ist, trifft für
die sehr verwickelten Verhältnisse der Genossenschaften nicht
schlechthin zu. Jeder Genosse weiss, dass er trotz seines
Ausscheidens noch lange Jahre für die Genossenschaftsschulden
den Gläubigern haftbar bleibt; er weiss oder muss doch als
verständiger Mann wissen, dass jede Bilanz, also auch die-
jenige, auf deren Grund die : Auseinandersetzung« erfolgt ist,
nur annähernd richtig ist und dass im späteren Konkursfalle
die Werthschätzung zumal der Aktiven durchaus anders aus-
fällt, als vor dem Konkursausbruch.
Er weiss endlich oder muss doch wissen , dass die Aus-
einandersetzung mit den Ausscheidenden gerade nach § 68
des Entwurfs, unter der selbstverständlichen Voraussetzung
der Solvenz wie Belangbarkeit der sämmtlichen
Genossen geschieht, weil ja nur unter dieser Voraussetzung
die Repartition der Genossenschaftsschulden nach Kopf-
theilen und die darauf beruhende Berechnung der Schuld-
antheile der Ausscheidenden möglich ist ', Anders ausgedrückt :
in der bestehenden Genossenschaft werden zu Gunsten
der Ausscheidenden alle Mitglieder als gleich
gut fingirt, während augenscheinlich diese Fik-
tion in dem Augenblicke, da die Genossenschaft
in Konkurs verfällt, nicht aufrecht erhalten wer-
den kann. Die praktische und juristische Remedur
kann aber nur darin bestehen, dass die Ausge-
schiedenen zu dem Umlageverfahren, welches die
Uebertragung der die insolventen (unbelangbaren)
Genossen treffenden Schuldantheile auf die sol-
venten Mitglieder bezweckt und bewirkt, heran-
gezogen werden, unbeschadet natürlich ihres späteren, ja
auch im Entwurf für den Fall des erfolgreichen Einzelangriffs
anerkannten Regresses.
So lässt sich, gerade bei schärferer Juristischer Erwägung,
das im allseitigen Interesse begründete Recht der Ge-
nossenschaft, alle noch den Gläubigem haftenden gegen-
> Vgl. zulreflead Dr. Herti, Die deutsche Genonenichsft iSSS Nr. lä.
oogle
392 ^'^ Haftpflicht dei GcnoEsen und das Umtagevetfaliren.
wärtigen und ehemaligen Genossen zu dem im allseitigen
Intei^sse liegenden Umlageverfahren heranzuziehen, schwerlich
bezweifeln.
Wollte man indessen auch dieses Recht der Genossen-
schaft bezweifeln, so wird man doch deren entsprechende
Pflicht, somit das Recht der Ausgeschiedenen auf
diese Heranziehung, schwerlich in Abrede stellen. Mit
der blossen »Auseinandersetzung«, ja sogar mit der Heraus-
zahlung des etwaigen Aktiv- oder Passiv - Saldos des aus-
geschiedenen Genossen ist nur formell Alles >abgemacht<,
nicht materiell.
Der ausgeschiedene Genosse hat in Folge der Auseinander-
setzung nach allgemeinen Prinzipien das unzweifelhafte
Recht gegen die Genossenschaft, von den Genossen-
schaftsschulden, für welche er gesetzlich haftbar bleibt, libe-
rirt oder doch hinsichtlich derselben von der Genossenschaft
gegen die Gläubiger vertreten zu werden:
L. 27, 28, 38 pr. D. pro socio (17, 2). A.L.R. I
17 g 302: »Soweit der austretende Gesellschafter den
übrigen den zur Tilgung seines Antheils an den ge-
meinschaftlichen Schulden erforderlichen Fonds zurück-
lässt, kann er fordern, dass sie in einer zu bestimmen-
den Zeit die erfolgte Befriedigung dieser Societäts-
gläubiger oder seine von deren Ansprüchen bewirkte
Befreiung nachweisen*. § 303: »Dabei findet alles
statt, was in einem gleichen Falle wegen sich aus-
einandersetzender Miterben verordnet ist» (§g 147
bis 150)'.
Dass dieser selbstverständliche Grundsatz auch für die
Erwerbs- und Wirthschafts - Genossenschaften gilt, hat das
Reichsgericht ausdrücklich anerkannt:
Urtheil vom 6. November 1886 (Entscheidungen
des Reichsgerichts in Civilsachen Bd. 18 S. 89).
Durch den nach erfolgter Tilgung der Genossenschafts-
schulden unzweifelhaft gegen die Genossenschaft statthaften
und, nach § 112 des Entwurfs, im Umlageverfahren zu reali-
sirenden Regress wird dieser Pflicht der Genossenschaft
' Vgl. A.L.R. It 8 §670. S. auch Brinckmann, Lehrbuch de«Haa-
delsrechls S. 177.
izecoy Google
Die HeraniiehaDg autceschiedener Genossen zum UmlageTcrfahren. 393
gegen die ausscheidenden Genossen augenscheinlich nur sehr
nnvollkommen genügt. Lässt sich nun nach bestehendem
Recht und — wie anerkannt -werden muss — nach der Natur
der Dinge der unzweifelhafte Anspruch des ausgeschiedenen
Genossen gegen die Genossenschaft auf Liberation oder Ver-
tretung nicht durchfuhren, ohne die Interessen der Genossen-
schaft zu gefährden, ist vielmehr zuzugeben, dass der Aus-
geschiedene sich an das GenossenschaftsTennögen nur im
Regresswege halten kann, so versteht sich doch nach unzweifel-
haften Rechtsprinzipien von selbst, dass die Genossenschaft
mindestens verpflichtet ist, soweit ohne eigene
Gefährdung möglich, dem ausgeschiedenen Ge-
nossen die Tilgung der Genossenschaftsschulden
entsprechend zu erleichtern, d. h. ihn an dem Um-
lageverfahren zu betheiligen.
Es steht, wohlverstanden, nicht ein blosser Billigkeits-
anspruch der ausgeschiedenen Genossenschafter gegen die Ge-
nossenschaft — obwohl auch dieser bei einer durchgreifend
reformirenden Gesetzgebung volle Berücksichtigung erheischen
würde — , sondern ein klarer Rechtsanspruch in Frage,
dessen Anerkennung sich das Gesetz nicht entziehen darf. —
Die vorstehende Darlegung hat ergeben, dass die Heran-
ziehung der Ausgeschiedenen zum Umlage verfahren noth-
wendig ist, um eine sichere Feststellung der Befriedigungs-
masse zu ermöglichen, dass sie im Interesse der Genossenschaft,
im vernünftigen Interesse der Genossenschaftsgläubiger und
der ausgeschiedenen Genossen selbst liegt, dass dieselben nach
Rechtsprinzipien den Gläubigem gegenüber die nur modifizirt
solidare Haftung im Umlage verfahren beanspruchen dürfen,
dass sie endlich der Genossenschaft gegenüber ein unzweifel-
haftes Recht auf diese Heranziehung haben, ja dass sogar das
Recht der Genossenschaft, die ausgeschiedenen Genossen zum
Umlageverfahren heranzuziehen, nicht füglich bezweifelt werden
kann. Schon einer dieser Gründe würde für die Gesetz-
gebung vollkommen ausreichen, und in einem etwaigen Kon-
flikt der Gründe hatten die gewichtigeren den Ausschlag zu
_geben.
Indem all dies von der gegnerischen Ansicht verkannt
wird, zerreisst sie den wirthschaftlichen und rechtlichen Zu-
sammenhang, welcher zwischen den gegenwärtigen und den
„Google
394 Di^ Haftpflicht der GenoueQ und dis Umlage ver&hren.
bereits ausgeschiedenen aber noch bähenden Genossen besteht
Indem sie die Rechtsverhältnisse beider Klassen nur insofern
gleichmässig regelt, dass sie beide dem für die erste Klasse
sicherlich unthunlichen , für die zweite Klasse überflüssigen
Einzelangriff imterwirft, im üebrigen aber verschieden, indem
sie die ausgeschiedenen Genossen zwar nach dem Erfolge des
Umlageverfahrens haften lässt, aber an diesem nicht betheiligt
dann aber doch wieder behufs ihrer Befriedigung im Regress-
wege ein neues Umlagever fahren (Nachschussverfahren) er-
öffnet, verhindert sie die allein zweckmässige, dem Recht und der
Billigkeit entsprechende Gestaltung des Umlageverfahrens,
Hinsichtlich des Regresses der Ausgeschiedenen be>
gründet es keinen Unterschied, ob man den Vorschlägen des
Entwurfs oder den von mir vertretenen Vorschlägen folgt
Nach b e i d e n Systemen hat der ausgeschiedene Genosse, weil
und sofern er sich mit der Genossenschaft > auseinander-
gesetzt', somit bereits seinen ganzen Antheil an den Genoesen-
schaftsschulden entrichtet hat, für Alles, was er später zu
diesem Zwecke zahlen muss — gleichviel , ob auf direkten
Einzelangriff oder im Umlageverfahren — den Regress gegen
die Genossenschaft.
Nach beiden Systemen versteht sich, dass er diesen
Regress erst secundo loco, erst nach Befriedigung der Gläu-
biger, in deren Stelle er tritt, nehmen kann, dfi der Bürge
seine Regressforderung nicht gleichzeitig mit den noch un-
befriedigten Gläubigem im Konkurse liquidiren kann '.
Immerhin ist durch die Ausschliessung der Ausgeschiede-
nen vom Umlage verfahren nutzlos die mögliche Regresssumme
erhöht, nach dem entgegengesetzten System verringert.
Wenn endlich geltend gemacht wird, dass die Heranziehung
der Ausgeschiedenen, weil diese nur für die bis zu ihrem
Ausscheiden kontrahirten Genossenschaftsschulden haften, die
kalkulatorische Berechnung des Konkursverwalters erschwere.
so fällt , entscheidenden Zweckmässigkeits- und Billigkeits-
grllnden gegenüber , diese Rechnungserschwerung um so
weniger ins Gewicht, als ja, nach dem Entwurf § 60, der
■ HeiDC Abhandlung in der Zeitschrift f. du gesammle Handelsrecht
Bd. XIV S. 414. — Urtheil des Reichigerichts Uat PlenarbeschluM vom
15. Febr. tSS6 (Enttcheidungen io CivUsachen Bd. XIV S. 17z IT.).
.OOgk'
Die HersDiiehaag ausgeschiedener Genossen lum L'mlageverfahren. 395
Austritt nur zum Schlosse des Geschäftsjahres stattfindet und
wirkliche Rechnungsschwierigkeiten dadurch ausgeschlossen
sind. —
Kutanen und müssen so auch die Ausgeschiedenen zum
Umlageverfahren herangezogen werden, so entfällt sogar
für sie jeder Grund, den allgemein unstatthaften, weil ver-
derblichen und unbilligen Einzelangriff der Gläubiger
beizubehalten. Die behauptete »Unschädlichkeit* des Einzel-
angriffs ist nur denkbar, wenn von demselben nie und nirgends
Gebrauch gemacht wird , das Gesetz also ein todter Buch-
stabe bleibt. Die deutschen Genossenschaften aber sind eine
zu bedeutsame Institution unseres wirthschaftlichen Lebens,
als dass der Gesetzgeber versucht sein könnte, dieselben so
gefährlichen Experimenten auszusetzen.
oy Google
iLCD, Google
12.
DAS
RECEPTUM NAUTARUM,
CAUPONUM, STABULARIORUM.
EINE
GESCHICHTLICH-DOGMATISCHE
ABHANDLUNG.
(1860.)
iLCD, Google
iLCD, Google
INHALT.
I. Juristische Natur. Herrschaftsgebiet. Verhältniss zu den civilen
Konlrnkten gl 40a
II. Verhaltniss lu den prätoriichen Strafliligen gegen "»ulae, eau-
[jones. stabularii. Deren Theorie § 2 40S
III. Die einschlägigen Fälle der Klagenkonkurreni § 3 415
IV. Inhilt der actio de recept». Begriff der vis major § 4. Fort-
seliung. Der gewöhnliche Begriff ist unhaltbar und uniureichcnd
§ J. Fortsetzung, Wahrer Begriff der vis major in unserer
Lehre § 6 418
V. Da» saivum fore recipere die Gtuodlage der actio de recepto Sj 7 434
VI. VoD der Ueliernahme der Gefahr und der custodia § 8 .... 440
VII. Resultate § 9 447
VIII. Prozessualisches. Der Beweis § 10 450
IX. Ausschliessung und Beschränkung der Haftung § II 451
X. Heulige Geltnng des Instituts. Beiträge zur Geschichte der Kecep-
tion, insbesondere im Seerecht § 12 460
XI. Ausdehnung auf den Landtrjnsporlvertragf § ij 471
izecoy Google
D, Google
T "\as receptum nautarum, cauponum, stabulariomm ist von
I J grosser theoretischer, wie praktischer Bedeutung. Unter
den Instituten des römischen Verkehrsrechts nimmt es eine
durchaus eigenthUmliche Stellung ein, weil es zu den wenigen
gehört, welche nicht schlechthin der schöpferischen Kraft des
sich selbst Uberlassenen Verkehrs und der freien Wissenschaft,
sondern dem Eingreifen einer rechtskonstituirenden Gewalt ihr
Dasein und einen, wenigstens dem Anscheine nach, durchaus
anomalen, auf blosser utilitas beruhenden, Inhalt verdanken.
Praktisch regelt es noch gegenwärtig die Beziehungen sehr
wichtiger Klassen von Gewerbtreibenden zu ihren Kunden;
fur den Handelsverkehr vorzugsweise bedeutsam ist es, theils
wegen seiner unbestrittenen Geltung für jeden Schiffstransport,
also namentlich fUr den grossen See- und Flussfrachtverkehr,
theils wegen der vielfach angestrebten und realisirten Aas-
dehnung desselben aof den Landtransport, insbesondere die
grossen modernen Transportanstalten, die Post und die Bisen-
bahnen.
Gleichwohl hat es eine durchaus genügende und dem gegen-
wärtigen Standpunkt unserer Wissenschaft entsprechende Be-
arbeitung noch nicht erfahren; selbst die neueste ' Monographie,
die fleissige Schrift von C. F. Müller, Ueber die actio de
recepto und deren analoge Ausdehnung auf die Postanstalten,
Leipzig 1835, zweite sehr Termehrte Aufbge, Leipzig 1857,
' Sehr anbedeutend iit die Inangnral- Dissertation von Apoitolenno,
Aclio de recepto, Berlin 1853. Ganz ungetillgend hinmchtlich der Quellen-
behsndlnilg sowohl der rCmiachen, wie der hambargischen, ist die Tielftch
citlrte Schrift Ton A. C Wolters, Ueber die Actio de recepto in Beiug &nf
Gutwnihe als Redpienten nnd deren heutige Anwendong in Deutschland, be-
sondeit in Hamburg, Hambnrg l804i an getnnder Eiiuicht fehlt es dem Vet-
fasser nicht, und sein praktiichea Raiaonnemenl ist hlalig intrefTend.
Goldichnidt, Vamückte SchrlftoB. II. l6
ogic
402 ^^ receptnm naataruin, caupontun, it&btilarioniiii.
begnügt sich mit der Darlegung des praktischen Details, und
wendet sich, wie viele andere Schriften, vorzüglich der Frage
Über die analoge Anwendung des Instituts auf die Postanstalten
zu — dagegen die leitenden Prinzipien desselben, sein ge-
schichtliches und dogmatisches Verhältniss zu dem regel-
n^ssigen, normalen Verkehrsrecht der Römer bleiben un-
berührt.
Gerade nach dieser Richtung hin dürfte eine Revision der
Lehre geboten sein und sowohl für die Geschichte des romi-
schen Verfcehrsrechts, wie für manche auch im heutigen Civü-
und Handelsrecht bedeutsame Fragen nicht unerhebliche Auf-
schlüsse gewähren.
Dem Zwecke dieses Aufsatzes gemäss sollen dabei vor-
zugsweise die Beziehungen unseres Instituts zur Lehre vom
Frachtvertrag berücksichtigt werden, zumal nicht nur bei den
Römern bereits der Fall des nauta als der Normalfalt voran-
gestellt wird, sondern auch nach dieser Seite hin die Eigen-
thUmlichkeiten desselben am Schärfsten hervortreten.
Darum mag denn auch die vielfach ventilirte, übrigens
nur dem Gewerbspolizeirecht angehörige Frage über die Auf-
nahmepflicht der Gastwirthe hier unberührt bleiben. —
I, Juristische N&tur. Herrsohaft^biet Verhältniss
zu den oivilen Kontrakten.
§ 1.
Für Schiffer", Gast- und Stallwirthe führt die Annahme
von Sachen zur Aufbewahrung die gesetzliche Verpflichtung,
' D. h. SchiRsrheder. 1. i § 3 D. oauUe, caupoDo. stabnlarit (4, 9'^.
Dafür auch die AuidrllcVe navicularios, nauderoi, vaüxltipK. L i § 3 cod. Cod.
JntC. XI I, 3. Cod. Theod. XIII 9. Vgl. abrigens Pardcssus, Coli, des lob
maritimes 1 p. 329, 2jo. Der Spncheebraucli irechaelt. Id der R^d odit
nauta, all einer von den Schiblenten, im Gegensatz lam Rheder, meist audi
tom Kapitin (magiater narii) , mitunter aber umfaait er diesen mit t. B. 1. i
§§ 3, 6, 7. I. 6, 10 pr. g I D. de lege Rbodia de jactu (14, 1). Uebr^cns
würde lieh der immerhin außallende Auidmck nauta fUr Schiffarbedei erkUnn,
wenn wir annehmen dürften, da» unser Edikt Uter ist als da* Edikt Ober die
exercitoria actio (vgl. unteo S. 419). Denn in diesem Falle bexeicfaaete nr-
tprtliiglich der Audnicb nauta im Edikt wirklich den KapitSn: magiMer Davis,
mochte dieser selbst Rheder lein oder nicht. Erst all die Möglichkeit «»iv-w.
Juristische Nttar. Hemeliaftsgebwt Verhfiltiiiss zu d. civil« KoDtnktca. 403
gegen deren Abhandenkommen und Beschädigung zu garan-
tiren, mithin die unbedingte Restitutionspflicht mit sich:
1. 1 pr. D. nautae caupones, stabularii (4, 9).
Ait Praetor: Nautae, caupones, stabularii,
quod cujusque salvum fore receperint, nisi
restituent, in eos Judicium dabo.
Vorausgesetzt, dass diese Annahme als ein Att ihres Gewerbe-
betriebes ■ erscheint :
I. 3 § 2 eod. :
Eodem modo tenentur caupones et stabularii , quo
exercentes negotium suum recipiunt. Ceterum si extra
negotium receperint, non tenentur.
Vgl. I. 1 §§ 2, 5 h. t.
In dieser gesetzlichen ^ oder genauer ausgedruckt: von
Rechts wegen eintretenden — Garantieverpflichtung (salvum
fore recipere) ' innerhalb eines gewissen Gewerbebetriebes,
deren Ursprung und Wesen wir weiter unten erörtern wollen,
liegt allein der eigenthUmliche Charakter des receptum.
aus deu Vertriigen des Schiffers direkt gegen den Kheder zu klagen, koDDle
mit der actio de recepto auch der Rbeder belangt werden, welcher nicht selbst
KapilSn war und die Güter entgegenDahm. Der exercitor ist also anter dea
nautae, d. b. omnes, qui navis navigondae cauta in nave sunt (I. i % 2 cit.
1, un. § t D. furti adv. nauiai 47, 5), an sich nicht inbegriffen: erat die
Juritprudeni (,1. I § : h. 1.) hat ihn unter diesen BegrifT gestellt , dann aber
znglnch diesen Begriff fUr das vorliegende VerhültDiss ausnahmsweise auf exer-
citor und magEster navis beschrankt, also die eigentlichen nautae. das Schiffs-
Tolk. ausgeschlossen. Es konnte dies um so eher geschehen, als das pönale
Edikt wegen furtum und damnum nautarum schon ursprüaglich gegen den
QterdtoT gerichtet gewesen lu sein scheint 1. un. pi. §§ 3, J. D. furti ad*.
nautas (47, 5) 1. 7 pr. §§ a, 4, J. 6. 1- 6 § 4. D- nautae, caupones —
-wShrend des exercitor bei der actio de recepto sonst nie ErwShnung geschieht.
Gans Shnlich wtre dann der Hergang beim caupo und stibularius gewesen,
so duB eist mit EinfUhning der institoria actio der Sati der 1. ■ g 5 h. t. ge-
rechtfertigt war: caupones autem et stabuliuios aeque eos accipiemus, qui
canponam vel stabuEum exercent, instiloresve eomm.
' Vgl, Gluck, ErlSuleniQg der Pandekten VI S. I24ff.: Bulow und
Hagemann, Prakt. Erörteningen Bd. V S. 314— 217; Sintenis, Da* prak-
tische gemeine Cirilrechl II S. 694 Not. i, S. 695 [3. Aufl. S. 696 Not. 1,
S. 697]; ▼. Holsschaher, Theorie und Casuistik des gemeinen Civilrechts,
3. Anfl., III S. 831, 833 [3. AofL S. 903]; Ober-Appellationsgericht ta Dresden,
in Seuftert's Archiv II Nr. 393.
■ 1. I pr. §§ I, 6, 8. L 3 8§ >. a. 3- 1-5 >>. t L nn. g 4. furti
adv. nautas (47, 5). O.A.G. lu Dresden in äetiffert's Archiv VIII S. 71.
, Google
404 I3» receptam ninUmm, cauponnm, ■UbiUuioriim.
Gleicbgiltig dagegen für Art und Umfang dieser Haftung
ist der sonst so wichtige Unterschied zwischen Entgeltlichkeit
und Unentgelttichkeit der Leistung'; bei einem entgeltlichen
Frachtvertrag erstreckt sich die Garantie für das Kaufmanns-
gut der Passagiere auch aof deren Reisegepäck und Mond-
Torrath, obwohl dieselben weder besondere Fracht zahlen, nodi
der unmittelbaren Obhut der Passagiere entzogen werden".
Auch das macht keinen Unterschied, ob ein reiner Sachen-
transport oder zugleich ein Personentransport vorliegt Die
mehrfach > aufgestellte Behauptung, dass die Regeln des recep-
tum nur in dem Falle anzuwenden seien, wenn Reisende
mit ihrem Gut befördert würden, hat weder innere Gründe,
noch den Wortlaut des pi^torischen Edikts, noch dessen Inter-
pretation durch die Jurisprudenz ftlr sich — um so weniger,
als auf die Personen der Reisei>den sich diese Garantie-
verpflichtung keineswegs erstreckt. Wird auch beim Waaren-
traosport in den Quellen sehr häufig — obwohl keineswegs
ausschliesslich — der Passagiere (vectores, mercatores) gedacht,
so hat dies doch nur darin seinen Grund, dass, bei den Hao-
delsverhaltnissen des Altertfaums, wie gleicher Weise des
Mittelalters, auch Kaufmannsgut nicht unbegleitet zu reisen
pflegte «. Im Uebrigen werden blosse Frachtschiffe von den
Passagierschiffen sehr wohl unterschieden, ohne dass hinsicht-
lich der Haftung fUr den Waarentransport sich auch nur die
Andeutung eines Unterschiedes ^de '.
Diese unter bestimmten Voraussetzungen VMi Rechts wegen
eintretende Garantieverpflichtung, in welcher wir — wenn
auch nicht ursprtjnglich, doch mindestens bereits zur Zeit der
■ I. 3 g I. 1. 6 pr. h. t
• 1. I g 6. 1. 4 g 3 b. I. Vgl. 1. 3 g 2 de tcE« Rbodift de jactn (14. >)<
3 Z. B. PuchtB, Pandekten § 314 [12. Aufl. S. 481]; Arndts Pu-
deklen § 189 [auch 13. Aufl.]; Reyacher, D«i jemöne und wBrttembe^ud«
PriTBtrecht II §g 460, 46t; Brioz, Puidekten S. 441 [fehlt in d. 3. AnHi:
vgl. dagegen Müller, lieber die actio de recepto, 3. Aufl., S. to; W. Kocb,
Deuticblaads Eisenbahnea, Tb. II S. 14.
♦ Diese Thalsacbe ist allbekannt, lieber den 1. 7 g a b. t. erwilmiai
rauientßäTiis vgl. Pardeiiui, Collecdon des loii maritimes I p. 40. Gaai
gleiche Ericheinnngea be^gnen im alCnordnchen and noch im sf^tereo niltd-
alterlichen Seeverkehr. Vgl. auch Falke, Die Geschichte de« deutschen Hu-
deb, Th. I (1858) S. 194.
1 Namentlich 1. 1 g 13 de exerc. act. (14, i). L 3 pr. g > de lege
Rbodia (14, 1). I. ij g I locati (19, 3).
„Google
JuriitUche Nator. HemclutCtsgebict VerhiltniMiad.cmleDKoDtrakten. 405
klassischen Juristen (vgl. unten § 7) — das Wesen des recep*
tum zu sehen haben, tritt stets einem vollkommen verbind-
lichen civilen Vertrage hinzu. Der Inhalt des letzteren wird
nach einer gewissen Richtung modifizirt, nämlich hinsichtlich
der Haftpflicht des Uebemehmers für die Integrität des Guts.
Dagegen geht sein juristischer Charakter keineswegs in den
Regeln des receptum auf.
Daraus ergibt sich ein zwiefaches, systematisch und prak-
tisch gleich wichtiges Resultat.
Einmal, dass das receptum nicht als eine eigenthtlmlicbe,
selbststäodige , etwa miethähnliche Vertragsart bezeichnet
werden dari ' — zugleich fallen damit die namentlich von den
Aelteren vielfach ventUirten Fragen, ob die Verpflichttmg ex
recepto eine kontraktliche, kontraktsähnliche oder deliktsartige
sei'. Sodann, dass die Grundsätze des receptum keineswegs
ausreichen, um die von ihm beherrschten Verkehrsverhältnisse
juristisch zu regeln, dass dieselben vielmehr zugleich den
durch ihren civilrechtlichen Charakter gegebenen, und
lediglich hinsichtlich der Haftungspflicht gegen
Entwendung und Beschädigungs modifizirten
Rechtsnormen unterliegen, — denselben, welche für sie aus-
schliessUch zur Geltung kommen, wo die rechtlichen Voraus-
setzungen der verstärkten Haftnngspflicfat fehlen. So wenig
< Z. B. Gluck VI S. 112; Hugo, Civil. Magazin, 3. Auig. I ä. 174:
Thibaut, P«idckten(8. [9.lAnfl.)§S0i; C.F.Kocli, Diu Recht der Fotde-
rnngea III S. 999: v. Savigny, Du Obligalionenrecbt 11 S. lli; MUller,
B.a. O. 5. 14 fr.; Sintenii, Cmirecht 11 5. 693 Not. i [3. Aufl. S. 696 Not. 1].
Gani uubegrUndet nennt K 0 m p e , Der Enttrurf einei deutschen Haudeligesetibuchs
in leinem Veihiltnine lum deutschen Poit- and EiienbahntTauEpoTtrechle Regena-
buTg 1S59. S. 31 Not. ** d«* receptum »gewiisennaatieD eine Tochter der Materie
vom depodlani'. Und gant unTerEtSodlich itt der letzte äatz >ist die actio
de recepto mit der actio ex deposito verbunden, 10 kann iie(?) nicht in eine
andere Art von Kontrakten autarteo'. Richtiger BScking, Pandekten (im
GmodriMc) [4. Aufl.] § 356: 'Grand der Klage iit die allgemeine Recht*-
beatimmung* [fehlt in d. 5. Aufl.].
> Weber, Natürliche Verbindlichkeit % 37; GlUck, a. a.D.; Müller,
a. a. O.; Unteiholzner, Schul dverhUtniiie TT S. 734. Wenn Brini, Pan-
dekten p. 1. Aufl.] S. 443 [fehlt in d. a. Aufl.] eine realkontraktliche Ver-
pflichtung annimmt, so ist daran so viel richtig, dau die gesetzliche Vefpflich-
(ung zur Restitution eine vorangegangene Hingabe (rea) voraunetzt. Am Rlcb-
tigtlen haben wir das receptum als ein pr&toiische> Obligationsverblltnist lu be-
teichneu. Siehe unten S. 439 Not 3.
ä 1. I §§ I, 8. 1. 3 Pr- §§ ". 3-S- 1- 4 pr. l. 5 P'- 8 ' t. t.
, Cioogle
406 ^^ Tcceptirm nauUram, canponnin, itabiiluionini.
daher etwa der Frachtverkehr zur See ausschliesshch von den
Prinzipien des receptum beherrscht wird, so ungeeignet er-
scheint die häufig aufgeworfene Frage ', ob der Landtransport
(Tgl. § 13) den Grundsätzen der locatio conductio oder des
receptum unterliege. Richtig gestellt müsste die Frage lauten:
allein nach den Regeln der locatio conductio, oder zuglach
nach denen des receptum?
Die civilen Verträge, welchen diese gesetzliche Garantie-
pflicbt hinzutreten kann, sind Depositum, Mandat, Locatio
conductio, Innominatcontract. Letzterer, wenn der Entgelt
für die Aufbewahrung oder fUr den Transport nicht too
vornherein fest bestinlmt, oder nicht in Geld, sondern in ander-
weitigen Leistungen verabredet ist, oder wo Ungewissfadt
über die vorliegende Art des Miethverhältnisses (rei oder
operis)' herrscht.
Bleiben wir bei dem vorzüglich wichtigen entgeltlicbeo
> Vgl. auchDonellns, ConimeDUrii de jure civil! XV 43 g 11; Kriti,
Ptndektearechl 1, * S. 308; Cnyrim, de rei ptrsonuve inntporuuidi obli-
gadoDC, quam cum poMa contrahimiis. Dits. inaog. Maiburg 1S54 g i. Sicht
gam richtig lagtArndtB, Pandeicten [aach 13. Anfl.} § 2S9 : •unabhängig
von dem sonst iwi*cheD ihnen und den anfgenommenen Fremden besteheaden
RechUverhSltniiS', denn dieses Rechtsverhiltnin wird nach einer S^te hin iDoditi-
lirl; und Müller, a. a. O. S. 33, 34: >Hat dai receptum zugleich die Naiar ciats
anderen Vertraget*, denn das receptum hat seine eigene und nni sone ^gcne
Nfttnr. Aber neben ihm und durch dasselbe modtfiziTt, bestehen stets aadcf«
Civilvertriige. Dah« auch die Folgesltie Müllers nicht genau sind. Aehn-
lieb Zimmern, Dal System der rümiscHen Noxallclagen S. 24.
> 1. I § I. 1, 33 de piaescr. Terbis (19. 5). Dass tibrigens nuaitgelt-
liehe Transport vertrige nach den Regeln des Depositum lu beurtheüen wiien,
wie mit Aelieren, z.B. S typmann, de jure maritimo IV 15 No. 366 ff., nixi
V. Linde aDnimmt (Zeiuchr. f. Qvilr. n. Ptote«a, N. F. 16 S. 178), lini
sich aus 1. 3 § I nautae schwerhch erweisen. Denn die dort von Ulplan
referirte and keineswegs gebilligte Ansicht des Pomponius ist gar nicht «os-
drUcklich für den Transportvetuag , noch weniger für alle Fille desselben ge-
meint, sondern hat höchstens diejenigen im Auge, wo die GmndaCtie der
loc«tio conductio rei anwendbarerscheinen. Hfitte aber auch Pomponins —
in Widerspruch mit allen Ubrigen QuellenseugnisMD : vg], t. B. Gkjns 111
i6!> 8 13. J. de mandato (3, 36). I. i gg 11—13 deposiü (16, 3). L i
% 18 de exerc. act. (14, i). 1. 3i de pr. verbia (19, 5) — jene Meiaung ge-
hegt, wie er denn allerdings über die Grensen zwischen Mandat nnd Depoä-
tiun erweitlich geschwankt hat, so würde sich die ErwKhnung dei^elbcD bei
Ulpian schon aus dem Grunde erklSrec , um die strenge Haftung ans don
Edikt durch die sehr beschrinkte Haftung des Depositais recht acharf btrriix-
iiiiec »Google
JuTUtische Natur. HemclufncelMet VerhiQlniuiud.civQen Kontrakten. 407
Frachtvertrag stehen, so findet sich unzweifelhaft eine partielle
Konkurrenz ' der civilen Kontraktsklagen mit der prätorischen
actio in factum de recepto. Zwar stand geeigneten Falls dem
Befrachter die Wahl zwischen der milderen actio locati resp.
conducti und der strengeren prätorischen Klage zu ■, allein die
erstere hatte auch ihr ausschliessliches Herrschaftsgebiet, für
welches eine Konkurrenz der Ediktsklage gar nicht in Frage
kam: nämlich überall da, wo nicht Entwendung oder Be-
schädigung, sondern anderweitige Verletzungen vertragsmässiger
Obliegenheiten zur Klage veranlassten.
So wird nur die civile Kontraktsklage, und zwar gerade
für den Seetransport, erwähnt; wegen Ueberlieferung der
Waare an einen Unrechten 1. 11 § 3. L 31. 1. 13 § 6. locati
(19, 2); wegen Umladung auf ein schlechteres Sdiiff, oder
zur ungehörigen Zeit, oder wider Willen des Befrachters 1, 13
§ 1 eod., 1. 10 § 1 de lege Rhodia (14, 2); wegen Einlaufens
ohne Lootsen 1. 13 § 2 locati; behufs Regulirung der Havarie-
rechnimg 1. 2 pr. de lege Rhodia ; wegen rechtswidriger Unter-
lassung oder Verzögerung s des Transports 1. 10 § 1 eod.;
auf Restitution des Frachtvorschusses bei Nichtausführung der
Reise 1. 15 § 6 locati. So ist jedenfalls nur diese, bez. die
actio legis Aquiliae, zulässig wegen körperlicher Verletzung
eines Reisenden*.
■ In dem vod Savigny, Sjitem V § 231 Dot. q. % 333 anfgeitellten
SioDc. Hier ^m'A ancb die, freilich nnprUngtich auf die KonlcurrcDz der «ctio
legii Aquiliae mit der^Slteren actio arborum furtim caesarum beiUglichei 1. 41
pr. de O. et A. (44, 7) ein.
* 1. 3 § I. I. S pr, nautae (4, 9), § S J- Je '»'»to (3, 14). 1. 13
§ 8. 1. 60 8§ a. 9 lof^ti (19, a).
1 So UDlenchetdet auch der Entwurf eine» Deuttcheo Handeligefettbnch«
zweiter Lesung gani richtig; die Haftung des Frachtfahren für BescbSdignng'
nnd Verlust der Waare tod der Haftung fUr ZHgenmg. Die erjEere toll sich
nach den Grundsätien des receptum bcBtimmen, die letitere nach den milderen
PHnxipien der locatio conductio an. 371, 371. Dan dieaer Untenchied schon
im bestehenden Recht für den naula begründet liegt, scheint bei der Berathung
ganz unbeachtet geblieben zu sein, da nur Billigkeitsgründe geltend gemacht
wtirden. Protokolle S. 793— 79S' 798. 801—803, IJ19.
* Die pritoritche Pönalklage wegen damnnm injuria datum leidet dicM
BeschrSnkang *o wenig als die eigentliche aqnüitche Klage (1. 13 pr. I. 7 pr.
D. ad leg. AquiJ. 9, z) , da sie nur eine Nachbildang derselben ist. In 1. 6
§ 3 oaulae ist sie um deswillen ausgcschloncn, weil der Beschädigte hier nicht
all Passagier, resp. Waare , sondern all Mitglied der Hannscbaft in Betracht
kommt 1. 7 g 3 eod, —
.„Google
408 I^ raccptuni nantamin, caupon
Gegen die Annahme eines selbstständigen Vertragsv-erhalt-
nisses spricht endlich auch die Ausdmcksweise der Quellen.
Aus Stellen wie 1. 1 § 3 nautae >de recepto tenebitorc, L 3
§ 3 eod. >ob receptum couveniturt lässt sich nichts entnehmen.
Entscheidend aber ist die unten i^her zu erörternde 1. 3 § 1
nautae. Hier wird das der prätorischen Klage zu Grunde
liegende Rechtsverhältniss als das nämtiche bezeichnet, welches
die civilen Klagen begründet: quia agi civiti actione ex hac
causa potent
Und ganz entsprechend ist nicht etwa ein Gegensatz
zwischen locatio oder depositum einerseits und receptum anderer-
seits hingestellt, sondern es heisst: et quia in locatocon-
ducto culpa, in deposito dolus duntaxat praestatur. At
hoc Edicto omnimodo, qui recepit, tenetur etc., nicht hoc
contractu oder hoc pacto. Und ebenso zu Anfang dieses Frag-
ments: Ex hoc Edicto in factum actio profidscitur. Auch
<ias scheint nicht unbezeichnend, dass in 1. 5 pr. h. t. für nan-
tae, caupones das blosse tenentur dem es locato teneatur fQr
fullo ind sarcinator entgegengestellt wird.
IL Verh<niss zu den prätorischen Strafklagen
gegen nautae, oaupones, stabulaili. Deren Theorie
und heutige Geltung.
§ 2.
Die beiden prätorischen, gleichfalls in factum gefassten
Strafklagen furti und damni injuria dati auf das duplum',
welche in I. 6, 7 nautae (4, 9). 1. un. furti adv. nautas (47, 5)
§ 3 J. de obl. quae quasi ex dei. (4, 5). 1. 5 § 6 de O. et A.
<44, 7). 1. 1 § 2 de exerc. acL (14, 1). 1. 42 pr. de furtis
(47, 2). 1. 19 § 2 de nox. act (9, 4) dargestellt werden, unter-
scheiden sich von unserer actio in factum de recepto nicht
allein nach Zweck und Inhalt, sondern auch bezüglich ihrer
Voraussetzungen und ihres inneren Prinzips.
Weiter sind dieselben in ihren Voraussetzungen
insofern, als eine Entwendung oder Beschädigung nicht allein
■ Am beit«i) Zimaern, NiMUÜklagen S. agi ff.; UuIcTholmei,
SchnldverhiltDiise II S. 736 ff.
oy Google
Verhiltnin in d. prStoritcheD StnflcUgCD gtgei Dsuta«, cauponei, stabularii. 409
an den zur Bewahrung Ubemonunenea Sachen, sondern an
allem, was sich im Räume des Schiffes, Wirthshauses, Stalles
thatsächlich befindet, Personen wie Sachen, znm Doppelersatz
verbindUch macht, also insbesondere Beschädigung der Passa-
giere und derjenigen Sachen, welche dieselben an sich tragen'.
L. 7 pr. nantae: sed non alias praestat, quam si in
ipsa nave datüm sit. Ceterum si extra navem
non praestabit.
L. 7 § 6 eod. — quasi omnia, quae ibi contin-
gunt, in solidum receperint.
So auch 1. un. § 3 furti adv. nautas: Quum eaim in cau-
pona vel in navi res perit — §6 eod. — qui in ea caupona
ejus cauponae esercendae causa ibi sunt. 1. 5 g 6 de O. et
A. (44, 7); — de damno aut furto, quod in navi aut caupona
aut stabulo factum sit, — teneri. — 1. 42 pr. de furtis (47, 2) :
— de eo, quod ibi perit, vulgaris formula in dominum danda
est. — § 3 J. de obl. quae quasi ex del. — de dolo aut furto,
quod in navi, aut caupona, aut stabulo factum erit.
Das salvum fore recipere — vgl. oben S. 403 Note 2 —
ist hier so wenig Voraussetzung der Haftung, dass es dem
für die Strafklagen genügenden blossen räumlichen Befinden
im Schiff, Gasthaus, Stall geradezu entgegengesetzt wird:
L. un. §§ 3, 4 furti adv. nautas: Quum enim in
caupona vel in navi res perit, ex Edicto
Praetoris obligatur exercitor, vel caupo, ita ut in
potestate sit ejus, cui res surrepta sit, utrum mallet
cum exercitore honorario jure, an cum füre jure
civiH experiri. Quodsl receperit salvum fore
caupo vel nauta (Basil. 53, 1, 31: Et ftivtoi t^v
(fwlaxjjv Tor Ttgayfiozog o vavxliijgog avaöi^aio) furti
actionem non dominus rei surreptae, sed ipse habet,
qui recipiendo periculum custodiae subit.
■ Dieie tind nicht Kdpirt. So wdt ^t die S. 404 Not. 2 erwihnte Aua-
dehnung der actio de recepto nicht. Vgl. auch Rhod. CompUation Stück 11
Cap- 14. Slttck III Cap. ij (Pardeisai CoUecdon I p. ajs, 145). Noch Uarer
im Falle dei caupo, da zwar Dicht die actio de recepto, wohl aber die pri-
toiiichen PönalldageD wegea BetchfidiguDg und Entircndung lulinig »ind,
welche gegen eiaen nur tnr Einnahme der Mahlzeit (Frilbittlck, Mitti^teHen,
Abendegaen etc.) einkehrenden Gaat verabt werden.
oy Google
410 I^^ll* receptum Dantarutn, caupoDum, itftbulttriornm.
Daraus erklärt sich auch, dass die praedictio (I. 7 pr. nanue)
nur bezüglich der Strafklagen erwähnt wird. Vgl. unten g 1 1.
Enger aber sind die Voraussetzungen der Pthial-
klagec in doppelter Beziehung:
1. Die entwendeten oder beschädigten Sachen mOssen
bereits im Schilfe u. s. f. sich befunden haben, mögen sie auch
schon vorher recipirt gewesen sein. Anders die actio de
recepto I. 3 pr., Tgl. auch 1. 1 §§ 2, 3, 8 nautae'.
2. Zur Begründung der POnalklagen gehört nothwendig
der Nachweis, dass der Schiffer (Wirth) selbst ', oder eine be-
stimmte , zur Mannschaft ^ bezüglich zur Bedienung oder zn
■ Hier genttgt, Ut aber auch erforderlicli, die ReceptioD, mt^cD bc1> dk
Waaren auch Doch nicht oder bereit* im Schilfe oder Wiithihauie befnndoi haben.
Vgl. 5. 439 Note l und die Urtheile dei ObertribnnalB zn Berlin (Seaffert'i
ArchiT I Nr. 67), dei Obertribunal» in Stultgart (eod. VII Nr. 40), da Ober-
appellationigeiichts zu Lübeck Tom 2iJl2. 1856 (Sammlung toq Erkenni-
tdtMtm etc. in hamburtriichen Rechtslachen llt S- 15) A). Carpiov, Jnriipr.
for. II a6 def. 1 1 ; »paniachcs Handeligeaetibach Ait. 317, 681 ; ponngieüc^ie«
HBndeli2'*'''bo'='' An. 187, 1364; braiilioniichei Art. lOi.
I Viele leugnen die Klage für diesen Fall. Wo ei uch um DanKllni^
de* Qaa*idelikis handelt, iit freilich davon nicht die Rede; i. B. g 3 J. de
1. 5 g 6 de 0. et A. (441 ?)■ Vgl. jedoch I. an. pr. furti adT. nant. (47, 5).
]. 4s pr. de foTtii (47, 3). 1. 19 g 3 de nox. act. (9, 4). HinNcbtlicb des
furtum ist die Frage bedeulnngiloi, weil hier ohnehin die actio forti nee vtam-
fe«ti bdI da« daptnm ging; dagegen war lie bedeatmd in Betreff dei damnnm,
weil die gewöhnliehe aqailische Klage nur in Folge Leugnern den dnfacfaen
ErutE Qbentieg. Fttr dai damnum iit freilich die Znllisigkeic der Klage w^en
dei Delikts de« Frintipats nicht aiudrflclctich bezeagt; indeawn apricht dafh
nicht allein die Analogie de< furluni , aondem auch die Unwahncheinlichkeii,
dsH dM Qnasidelikt höher wire geahndet worden, als dai wirkliche Delikt.
1 Em gini gewöhnlicher Iirthnm, namentlich der Aelteren, ist es, dais
gewi*M Leute der Mannschaft oder Bedienung (medianini etc.) den Schifiet
a. t. f. nicht verpflichten. Aber 1. ■ gg 1, 5 D. naulae bestimmen nur, dass
die Reception durch dergleichen untergeordnete Dienstleute, welche gana
niedere Funktionen haben, nicht wirksam geschehen könne; sofsn die Reception
gtlltig erfolgt itt, hat der Schiffer etc. auch gegen die Delikte dicKT I>iciul-
lenle «ioinitehen. Wo nun, wie bei den Pttnalklagen, gar nicht die Reception
der Grund der Haftung ist, da versteht nch die Vertretimg der Delikte aoch
dieser Personen von selbst Hier wird ihrer darum auch gar nicht besonden
erwlhnt, sondern et heistt ganz allgemein omnium naiitarum tuomm (L 7 ^.
nantae) , a quoquo eorum quosve ibi habebunt (1. nn. pr. furti adv. nanlu),
qui in ea caupona ejas cauponae exercendae causa ibi sunt (I. nn. g 6 cod.).
Man hat unbegreiflicher Weise rerwechselt die Verpflichtung durch den Anf-
nahmeakt , als Grundlage der Haftung ex recepto, — und die VerpBichtni^
Verbilbiin m d. pritOTUch«n Stnflclagen ^gen nant&e, canponGi, »tabnlarii, 41 1
den beständigen Bewohnern des Gasthauses gehörige Person
das Delikt begangen habe. 1. 6 §§ 1 — 4. I. 7 pr. § 2 nautae.
1. un. pr. forti adv. nautas.
Hiermit hängt das innere Prinzip dieser Klagen enge
zusammen. Sie sind nicht, wie die actio in factum de recepto,
auf eine gesetzliche durch die Aufnahme begründete Garantie-
verpflichtung, sondern dnrchaus auf ein Delikt oder Quasi-
delikt zurückzufuhren. Letzteres alsdann , wenn nicht der
Schiffer selbst, sondern seine Leute die Schuldigen sind. Diese
muss er schlechthin vertreten, vermöge wirklicher oder fingirter
culpa in eligendo: er hätte tüchtigere, ehrlichere annehmen
sollen. Darum hier keine Haftung für vectores und viatores,
darum blosse Noxalhaftung für eigene Sklaven, in Betreff
deren die Annahme einer culpa in eligendo denn doch gar zu
missiich erschien: 1. 6 § 3 (vgl. mit 1. 1 § ult. L 2, 3 pr.)
1. 7 pr. § 4 (vgl. mit 1. 3 § 3) nautae. 1. un. §§ 5, 6 furti
adv. naut. 1. 5 § 6 de O. et A. 1. 1 § 2 de exerc. acL (14, 1).
1. 42 pr. de furtis. 1. 19 § 2 de nox. act. § 3 J. cit., — wo
folgende Wendungen begegnen; Quum ipse eos suo periculo
adhibuerit Culpae scilicet suae, qui tales adhibuit ; nam quum
alienos adhibet, explorare enm oportet, cujus fidei, cujus inno-
centiae sint-, in suis venia dignus est, si qualesquales ad in-
struendam navem adhibuerit. — Quod liberum quidem hominem
adhibens statuere debuit de eo, qualis esset, in servo suo
igaoscendum sit et, quasi in domestico malo. Namque via-
torem sibi eUgere caupo vel stabularius non videtur — inhabi-
tatores vero perpetaos ipsosquodammodo elegit, qui non rejecit. —
Et aliquateous culpae reus est, quod Opera malorum hominum
uteretur. — Qui nautas adhibet, culpa et dolo carere eos
curare debet.
In Kürze stellt sich sonach der innere und der praktische
Unterschied der prätorischen Ersatzklage (actio in factum de
recepto) von den beiden prätorischen Strafklagen (actiones in
factum furti und damni injuria dati) dahin:
dnrcli dx in lecipirten oder ihatsichlich im Schiffe eic. bcGndticlieD Objekteo
begangene Delikt, ali Vennluiutif der actio de recepto und der PBnilklagen.
Die*e duicbgehende Verwecluelnng liegt i. B. der ganz rerworrenen Dar-
MeUnng ron Wolteis S. ^ff. ta Grande. Richtig schon Aceariint in der
Gloue EU L I g 1 h. t.
::,y Google
412 I^ Tccepttun aintaiuni, canponum,
1. Elrsatzklage.
Das Edikt verpflichtet den Schiffer u. s. f. die Integrität
der einmal angenommeaea Ladung und Reisebagage schlecht-
hin, soweit dies in Menschenmacht liegt, zu vertreten. Es
soll für ein gewisses Resultat (Integrität der Ladung) auf-
gekommen werden, was allerdings indirekt zugleich eine Haftung
fUr Delikte gewisser Personen involvirt. Daher auch hier von
einem factum praestare die Rede ist (\. l % ult 1. 2, 3 pr. h. t.)
— aber zugleich wird scharf hervorgehoben, dass nicht die
Vertretung dieses factum der Grund der Haftung ist:
1. 3 § 3 h. t. Item si servus exercitoris surripuit vel
damnum dedit, noxalis actio cessabit, quia ob recep-
tom suo nomine dominus convenitur.
Der nähere Umfang dieser Verpflichtimg soll in den
§§ 4 ff. dargelegt werden.
2. Strafklagen.
Das Edikt verpflichtet den Schiffer u. s. f. für alle im
Schiffe u. s. f, erweislich durch ihn selbst, oder durch sone
Leute (im Gasthause auch durch die beständigen Bewohner
des Gasthauses) verübten Entwendungen und Beschädigungen
an Sachen der Reisenden, wie fUr alle Beschädigungen der
Reisenden selbst, auf Hohe des doppelten Werths, bezüglich
Entschädigungsbetrages, aufzukommen.
Es soll nicht für ein Resultat, sondern direkt für Delikte
gewisser Personen eingestanden werden.
L 6 h. L — servi mei nomine — . — ejus nomine — .
— cujus factum Praetor aestimare solet — . — nt
certi hominis factum arguamus. —
I. 7 b. t. — debet omnium nantarum factum prae-
stare — . — factum eonun praestat — . — hujns
factum praestat — . Suo nomine tenetur, culpae
scilicet suae (wie sogleich erklärend hinzugefügt
wird).
1. un. g 6 furti adv. nautas, — praestat factum
eorum — . — quorum factum oportet eum prae-
stare — . — vectorum factum non praestatur.
§ 5. — servi sui nomine — . — liberi hominis
nomine — .
itizecy Google
VerhSltniu lu d. prltoriiclieii StrtifUaeeii gegen DUtte, canpones, »tabnlaiii. 413
Die Deliktsnatur dieser Klagen tritt auch in ihrer Unver-
erblichkeit ' klar genug hervor. Dass sie nicht zugleich der
einjährigen Verjährung der meisten prätorischen Deliktsklagen
unterworfen sind, nOthigt uns keinenfalls, mit Unterholzner,
Verjähningslehre II § 269, zu der ganz verwerflichen An-
nahme, dass sie nur geschärfte actiones depositi gewesen seien,
beruht vielmehr einfach darauf, dass sie lediglich als erweiterte
Anwendungen der actio forti nee manifesti und der actio legis
Aquiliae erscheinen und um deswillen gleich diesen behandelt
werden'. EHes ergibt sich, zu allem Ueberflusse, auch aus
der Stellung der einschlägigen Hauptfragmente. Denn, wie
bereits Noodt (Commentarius in libros XXVII Digest, zu
lib. IV tit 9 g. E.), und vollständiger Zimmern, Noxal-
klagen S. 296 ff. nachgewiesen haben, ist die Quelle der 1. un.
D. furti adv. nautas, welche die Pönalklage wegen furtum
bebandelt, dasselbe 38. Buch des ulpianischen Ediktkommen-
tars, in welchem dieser, nächst dem vorhergehenden lib. 37,
die Theorie des furtum und der eigenthllmlichen Anwendungs-
fälle desselben entwickelt 3. Dagegen die 1. 6, 7 D. nantae
handeln speziell von der actio in furtum wegen damnum in-
juria datnm, also von der nachgebildeten aquilischen Klage;
nur beiläufig (1. 6 §§ 1, 4) auch vom furtum. Diese beiden
Fragmente aber sind ans dem 22. Buch des paulinischen und
dem 16. Buch des ulpianischen Ediktkommentars, in welchen
beide Juristen vorzugsweise die Lex Aquilia und verwandte
Fälle behandelt haben*.
■ 1. 7 g 6 naaUe. 1. ill g l de R. I (50, 17). UebrigcDS findet die
UnTererblichkeit ihre Grenie auch hier sicherlich in der BereichenuiE 1. 35 pr.
de O. et A. (44, 7). 1. un. C ex del. defanct. (4, 17), und nach heutigem
Recht in dem Betrage der Erbschaft, t. Savtgnjr, Syttem V S. A^ß.
* Insofern encheinen auch diese Klagen als wahre, obwohl nicht lelbil-
stXndige AuNuhmen von der Annalitlc der prittorlschen Deliktskh^en. In
anderen FSIlen analoger Anwendung hat man nicht immer den gleichen Weg
eingeKhlagen, i. B. bei der ihnlichen Klage gegen die Pabticani: L 1 pr. D.
de public. (39, 4)1 welche ja auch sonst manche EigenthUmlichkeiten hat, und
theQs strenger, tbeiU müder aU die CivQklagen ist.
1 Die Angaben bei Zimmern sind nicht gans TolUtSndig. Es gehören
hierhin 1. 50, $1 de fortis. I. 8, 36, 3S de noxal. act. 1. I de tigno juncto.
I. 9 ad leg. Com. de sicar. 1. 6, 10, 13 de cond. furti*n. 1. 13 de publican.
1. ii 3 ti fiunili« fnrt. fec. die I. 7 aibor. furtim caes. 1. 193 de V. S.
4 Zu den bei Zimmern ati^eskhlteii Fragmenten noch 1. 3, 4 li
qnadrap. paup. fec Aus dem 18. Buch dei ulpianischen Ediktkommentan ict
„Google
414 I^ reccptnn naatanun, onponum, stabnlariorom.
Es leidet demnach keinen Zweifel, dass aach im edictnm
Perpetuum unsere beiden POnatklagen neben dem fm-tum und
damnum injuria datum standen. Dagegen haben Paulus
und Ulpian die pi^torische Ersatzklage de recepto in un-
mittelbarem Anschluss an die Lehre vom receptum arbitrii
dargestellt (Paulus libro 13 ad Ed. Ulpian lib. 13, 14 ad Ed.).
hinter welcher sie auch in der justinianeischen Kompilaticm
ihren Platz gefunden hat (Vgl. unten S. 420 Note 1 und
§ 7 a. E.)
Ob und inwieweit nun die prätorischen Poenalklagen noch
heut zu Tage anwendbar sind, dartlber herrscht Streit. Gewiss
verwerflich erscheint die Ansicht derer, welche sie für dorcb-
aus anwendbar erklären ' ^ denn sie sind wesentlich Klagen
auf Privatstrafe. Zu weit aber gehen auf der anderen S^te
diejenigen , welche sie , als völlig antiquirt, ganzlich aus-
scheiden '. Denn sie sind keineswegs nur Klagen auf Prival-
strafe, sondern sie umfassen zugleich den Schadenersatz
(actiones mixtae). Dies kannte für die actio furti adv. nantas
bezweifelt werden wegen der reinen Strafnatur der eigent-
lichen actio furti, welcher sie nachgebildet ist. Darauf wäre
nun freilich an sich kein Gewicht zu legen, da.ss neben unserer
Klage einer besonderen condictio furtiva gegen den Thäter.
welche neben der eigentlichen actio furti den Ersatz veimittelt,
niemals Erwähnung geschieht. Bedeutsam aber ist, dass die
aquilische Klage unstreitig den Schadenersatz mit umfosst,
und nicht minder sicherlich unsere nachgebildete Klage, wie
die Mutterklage '. Werden nun offenbar unsere beiden Pönal-
sogar der grCute Tbeil der tit. I, Z Hb. 9 entuomiaeD, in tit i die l6 mn-
fusenditcD Fragmente.
• Z. B, V. Weniag-InseDheim, Civtlrecht, 5. AarUge, § 343:
Schweppe, Du römuche Privatrechc, 4. Aufl., % 6ox; MflhIeDbrncli.
Pandektea § 451; Göschen, Vorletnngen II 2 S. 6S9; Pucbta, Pan-
dekten (iz. Aufl.) § 391.
> Z. B. Gluck VI S. 143 nod die dort Citirten; Tbibant, Pandduen
(S. [9,] Aufl.) % 501; Seuffert, Prakt. Pandektenr. (4. Aufl.) g 405
Note zo; v. Savigny, Obligationen II S. 318, 319, vgL jedoch S. 311;
Arndts, Pandekten [13. Aufl.] % 389 Anm. 1 ()); Brinz, Pandekten S. 511
X. Aufl. II g 338.
} Bewieien wird dies durch I. 6 g 4 nauue, wonach nicht gleklueitig
g^^en den Thtler mit der aquiliachen Klage, und gegen den SdüSer mit der
Qaandeliktsklage vorgegangen werden darf. Nur gehört sie nicht, wie die
dvile Mutterklage, lu den Klagen mit Litiscresceni, sondern geht sieb auf das
„Google
Die einichligigea FSIIe der KlagenkonkntreDz. 415
klagen einander in den Quellen völlig gleichgestellt ', so muss
auch die actio in factum furti adv. nautas, insoweit wenigstens,
als sie auf einem Quasidelikt beruht, als mixta actio angesehen
werden. Daraus folgt, dass beide Klagen, gleich der aqoi-
lischen Mutterklage, nur in ihrem Strafzusatz antiquirt sind,
dagegen auf einfachen Schadensersatz, gleich dieser, auch noch
gegenwärtig zulässig ^'scheinen'. Auch durfte anzunehmen
sein, dass diese Klagen, soweit ihre gegenwärtige Anwendbar-
keit reicht, gleich der actio furti, und nach Analogie der 1. 1
§ 7 nautae, einem jeden Interessenten zustehen, nicht wie die
condictio furtiva auf den Eigenthtlmer, oder wie die aquilischeo
Klagen auf diesen, den b. f. possessor und den dinglich Be-
rechtigten, beschränkt sind'.
Praktisch wichtig ist die soeben erörterte Frage um des-
willen, weil, wie gezeigt, die Strafklagen einen anderen und
in mehrfacher Beziehung weiteren Thatbestaod umfassen, als
die pratorische Ersatzklage, ihre Ausscheidung aus dem Rechts-
system sohin eine wesentliche Lücke lassen würde.
m. Die einsehl^igen Fülle der Kli^nkonkurrenz.
§3.
Der Vollständigkeit halber mag hier noch die Frage nach
dem Verhältniss der an sich möglichen verschiedenen Klagen
zu einander berührt werden, da die bisherigen Darstellungen '
weder erschöpfend, noch durchaus genügend sind.
Es sind folgende Fälle zu sondern, für welche sich nur
wenige ausdrückliche Entscheidungen finden:
I. Die actio in factum de recepto und die civilen Kon-
dDplnm. G«jui IV 173. 1, 7 D. de »lut. {46, 3). Vgl. Rndorff in der
Zeibchr. f. gescb. Rechtawiiaeiuchaft XIV S. 189?., 394 ff., 396 ff.
' L 6 pr. §§ I, 4. L 7 § 6 nmiae. I. 5 § > ««l- 8§ 3. 7 cit. l. S
g 6 de O. et A.
■ Damit Minunen im Restdtat Obeiein Zimmern, Noulklagen S. 30Z;
UnteTholznet, SchnIdverUltniue II S. 733; nomentlicli Sintenis, QvU-
recht [nch 3. Anfl.] II g izo Anm. i a. E., 8 a. E., 14 ood I S. i63, 363
[»73 ff.].
1 Arndt«, Pandekten [13. Aufl.] g 313 a. E.
4 Namenüich Glück VI S. i4off.i Mflller, a. a. O. S. 33ff.i Sin-
tenis II S. joo [3. Anfl. S. 703].
„Google
416 I^ recepRun nantarum, canponom, mbaUrioTam.
traktsklageo, soweit sie denselben Zweck verfolgen, schliessen
einander aus, und zwar so, dass schon die Wahl entschadet '.
IL Die actio in factum de reoepto scbliesst stets die con-
dictio furtiva sowohl gegen den Redpienten, sofern dieser der
Dieb ist, wie gegen den dritten Tbäter aus und umgekdirt'.
Auch für die aquilische Klage würde Gleiches gdten, weQ
deren Strafzusatz gegenwärtig antiquirt ist, wenn nicht ^ese
Klagf gegen die Erben nur auf Höhe der Erbschaft g;iIlge^
Daher nach Durchsetzung der aquilischen Klage gegen die
Erben das Mehr mit der actio in factum de recepto wird nach-
gefordert werden können, sofern man nicht etwa nach L 2
§ 27 ri bon. rapt. (47, 8) in unserem Falle die aquilische Klage
gegen die Erben gänzlich versagt*.
III. Die actio furti gegen den Recipienten, falls dieser
selbst der Dieb war, würde an sich durch die actio de recepto
nicht ausgeschlossen gewesen se\n>. Dagegen spricht auch
nicht 1. 3 g 5 nautae, welche sicherlich im Zusammenhang
mit der unmittelbar folgenden 1. 4 pr. von dem Falle zu ver-
stehen ist, da ein Dritter den Diebstahl begangen hat.
IV. Schwieriger ist die Frage, ob die actio de recepto
ausschliesst :
1. die Quasideliktsklage gegen den Redpienten, sofern
die Voraussetzungen beider Klagen gleichmässig vorhanden
sind.
Aller an sich begründeten Zweifel ungeachtet, muss diese
Frage bejaht werden, nicht allein, weil die Quasideliktsklage
zu den actiones mixtae gehört, sondern auch namentlich darum,
weil sogar die reine Strafklage gegen den dritten Thäter
durch die actio de recepto ausgeschlossen wird. Nur darf
selbstverständlich, nach dem allgemeinen PVinzip der 1. 41 § 1
D. de O. et A. (44, 7), mit der günstigeren Klage das Mehr
nachgefordert werden, also gegenwärtig mit der actio de
recepto das den Betrag der Erbschaft übersteigende Interesse,
■ Vgl. die Stelleo S. 407 Note 1 und den Text dun.
' 1. 43 § I de R. J. (50, 17). 1. 34 8 3 de O. et A. {44. ?)■ 1- »7
pr. D. de dolo (4, 3). 1. t § 10, 1. 4. D. de hto qni effbd. (9, 3).
3 V. SiTign^r, Syttem V S. 46 ff.
* V. Savign;, System V S. 47 Noter.; Fnchta, Pandekten [i3.Aafl.]
g SS Note g.
J V. Savigny. a. a. O. S. 238 ff.
itizecy Google
Die eiiuchUgigen FSUe d«r KIigenkoDhuireat. 417
falls man nicht, wie bemerkt, überhaupt die Quasideliktsklage
gegen die Erben hier versagen will.
2. die Deliktsklage gegen den dritten Tbäter im gleichen
FaUe.
Dieselbe wird dem Beeinträchtigten ausdrücklich und
schlechthin abgesprochen, so dass er scheinbar nicht einmal
die Wahl zwischen ihr und der Ersatzktage de recepto hat,
sondern sich schlechthin an den Recipienten halten muss.
1. un. § 4 furü adv. nautas: Quodsi receperit salvum
fore caupo vel nauta, hirti actionem non dominus
rei surreptae, sed ipse habet, qui recipiendo pericu-
lum custodiae subit
Eine nähere Bestimmung findet dieser Satz durch 1. 4 pr.
nautae , 1. 14 § 17 de furtis (47, 2) ' , wonach der Recipient
die actio furti nicht haben soll, wenn er entweder insolvent
ist oder selbst die Sache vorher gestohlen hat.
Savigny, System V S. 258, will, nach dem Vorgang
der Glosse, diesen Satz mit der singulären Strenge der actio
de recepto erklären. Der wahre, sehr viel allgemeinere Grund
wird jedoch ausdrücklich hervorgehoben: cujus sit periculo —
quia recipiendo periculum custodiae subit, — nämlich der be-
kannte Rechtssatz, dass die Deliktsklagen gegen den Thäter
als ein Aequivalent für das periculum custodiae dem zur
custodia Verpflichteten zustehen. — In dieser Allgemeinheit
wäre jedoch der Satz unbillig. Will nämlich der Bestohlene ■
sich nicht an den Recipienten halten, sondern verzichtet er
auf seine Ansprüche gegen denselben, so liegt kein Grund
vor , ihm die Deliktsklage zu verweigern '. So erklärt sich
die im Gegensatz zu 1. un. § 4 furti cit. scheinbar eine ge-
wöhnliche Klagekonkurrenz statuirende 1. 3 § 5 nautae:
Novissime videndum, an ejusdem rei nomine et de
recepto honoraria actione et furti agendum sit?
Et Pomponius dubitat; sed magis est, nt vel officio
judicis, vel doli exceptione alterutra esse contentus
debeat.
' UeberdiiBtiniiDeDd mit 1. lO— .ii pr. 1. 77 (76) de furtis. Vgl. audi
Mommien, Erörtenu^ren tiu dem Obli^tionenrecht, Heft I, .S. 97.
> MommieD, a. a. O. S. 91 ff. Uebiigeos nehme ich, Dach 1. 5 § 1.
1. 3 gg I, 3 b. t. keineD Anttond, dieselben Gnindi&tM — alUTdiogs gegta
di« R«K«1, vgl. aacb Glone ad b. I. — tVi die aqaiÜKbe Klage aiunQehmeii.
Ooldichmidi.ViiniiiKhte Schriften. H. 37
, C-'OogIc
418 ^*^ Tcceptum twaUmm, cauponom, (tabulaiionuo.
V. Die Klage aus dem Quasidelikt schliesst die Delikts-
klage und sicherlich auch die condictio furtiva, gegen den
dritten Thäter aus, wie umgekehrt, doch darf der belangte
Schiffer die Cessioa der Klagen gegen den Thäter verlangen.
1. 6 § 4 aautae. 1. un. § 3 furti adv. nautas.
Die Nothwendigkeit der Cession hinsichtlich der actio
furti wäre allerdings eine, übrigens auch sonst vorkommende ■
Anomalie, wenn es sich hier gleichfalls um Verpflichtung zur
Custodia und daraus entspringende VerantwortUchkeit handelte.
Dies ist aber, wie oben gezeigt worden ist, hinsichtlich der
Quasideliktsklage keineswegs der Fall.
VI. Endlich könnte die Frage aufgeworfen werden, ob
gegen den Schiffer etc., welcher selbst das Delikt begangen
hat, neben der Deliktsklage noch die Quasideliktsklage an-
gestellt werden dürfe'. Nach römischem Recht wäre diese
Frage dahin zu bejahen, dass mit der umfassenderen Klage
das Mehr nachgefordert werden dürfte ' ; gegenwärtig ist sie
unerheblich, weil die actio furti völlig antiquirt erscheint, und
die einfache wie die nachgebildete aquilische Klage dahin über-
einkommen, dass sie nur auf einfachen Schadensersatz, g^en
die Erben bis auf den Betrag der Erbschaft, zuläs^g sind.
IV. Inhalt der aetio de reoepto. BegrilT der vis miy'or.
Gründe des Verkehrsbedtlrfnisses wie der Gewerbepolizö *,
nicht minder aber auch die römische Verkehrssitte, auf welche wir
unten zurückkommen werden, haben wohl gleichmassig zu der
strengen Hafttmg der Schiffer, Gast- und Stallwirthe gefohn
' '■ 54 (53) § 3 d« furtii (47. *)■ Vgl. Mommien S. 93 ff.
» Vgl. oben S. 410 Note a,
1 I. 34 pr. de O. el A. (44, 7). 1. I D. atbot. farlim caei. (47, 7I
1. t D. vi bon. rapL (47, 8); t. Vangeiow, Puidekleo IQ S. 60 C
[7. Aufl. % sn].
* In der Regel werden die DiflereDtpunktc entweder verliumt oda dod
ttbenchSut, mitunter jedoch unterschltit, i. B. anch von Koch, Eüenbahna
II S. 39 Note 33. Originell iit auch hiei der Standpunkt von Kriti, Pan-
dekteorecht I s S. 31S, welcbem infolge dai Edikt fUi nantae etc. anr das-
jenige Torgesctmeben habe, was fOrebe andere Gattung der locatio condi>cti(>(''
die Praxis eingeführt I
iiiiec »Google
Inhalt der «clio de recepto. BegiifT der vis major. 419
Im Folgenden soll der Umfang dieser Haftung näher ge-
prüft und damit die Grenze gegen die nur civilen Kontrakts-
verhältnisse gewonnen werden, Dass diese Untersuchung durch
den bisherigen Stand der Forschung nicht überflüssig geniacbt
ist, dürften die nachstehenden Erörterungen ergeben. Die-
selben werden sich zunächst auf das römische Recht be-
schränken, da es vor Allem erforderlich ist, eine sichere
Grundlage zu gewinnen. Am Schlüsse soll der Umfang der
Reception untersucht, in einer folgenden Abhandlung die Ge-
staltung des hier namentlich wichtigen Begriffes der sog.
höheren Gewalt für das moderne Recht entwickelt werden.
Ueber das Alter unseres Edikts fehlen direkte Nach-
richten. Als ältester Konmientator in den erhaltenen Frag-
menten wird Labeo genannt (1. 1 § 4. 1. 3 § 1 h. t.). Ist
jedoch unsere oben S. 402 Note 1 ausgesprochene Vermuthntig
begründet, dass dasselbe vor dem Edikt über die exercitoria
actio erlassen sei, so muss es spätestens aus der Zeit des
Servius Sulpicius herstammen, da von diesem sogar eine ana-
loge Ausdehnung des jedenfalls jüngeren Edikts über die insti-
toria actio berichtet wird (1. 5 § 1 de inst, act. 14, 3). Durch-
aus bestätigt wird diese Annahme durch den § 7 darzustellenden
Sprachgebrauch der ciceronianischen Zeit.
Die Worte des Edikts sprechen eine imbedingte Resti-
tutionspflicht aus:
L, 1 pr. h, t. Nautae, caupones, stabularii, quod
cujusque salvum fore receperint, nisi restituent, in
eos Judicium dabo'.
Hierzu bemerkt Ulpian aus Pomponius:
L. 3 § 1 h. t. Miratur igitur, cur honoraria actio sit
introducta, quum sint civiles; nisi forte inquit, ideo,
ut innotesceret Praetor curara agere reprimendae
improbitatis hoc genus hominum, et quia in locato
conducto culpa, in deposito dolus duntaxat prae-
statur. At hoc Edicto o m n i m o d o qui recepit
tenetur, etiamsi sine culpa ejus res periit
' Bwil. 53, 6. 'Oneg av läßaaiv tnl rp rpvläiai ol vaiMltigoi —
st f*g äiroKtt9iin<öotr , tväyoviai. Vgl. Baiil. 53 i, 31. AehaLdi Synopiis
nÜDor c 53; HarmcDopul. II 11 § 4: Rhod. CompU. II 14 (Pardeisut,
CoU«ct. I p. 301 , ao5, 23s),
D,j,i,:..:,y Google
420 )^" receplutn namanim, cauponmn, iU.bu)«rion)m.
Tel damnum datum est, nisi si quid damno
fbtali contingit. lade Labeo scribit: si quid
naufragio, aut per vim piratanim perierit, iioii esse
iniquum exceptionem ei dari. Idem erit
dicendum, et si in stabttlo vel in caupona vis major
contigerit.
Die unbedingte Haftung erstreckt sich also prinzipiell
auch auf den Zufall; nur aus BilligkeitsrUcksichten im Wege
einer exceptio wird dieselbe beschränkt'. In diesem Sinne
einer sehr weit ausgedehnten Haftung sind die Ausdrücke
recipere custodiam (1. 1 § 8 h. t.), cujus sit periculo (1. 4 pr.
h. t.), custodiae nomine tenentur (1. 5 pr. h. t.), recipiendo peri-
culum custodiae subit (1. un. § 4 furti adv. nautas), periculum
ad eos pertinet (l. 14 § ult. de furtis), non soliun a furto, sed
etiam a damno reced«^ {recipere] debet (1. 5 § 1 h. t.) zu
verstehen. Darin liegt die von den römischen Juristen selbst
anerkannte anomale Natur des Edikts; Maxima utilitas'
est hujus edicti. — Ne quisquam putet graviter hoc ad-
versus eos constitutum (I. 1 § 1 h. t.). Vgl., auch die Recht-
fertigung in 1. 3 § I cit.
Indessen erschien der älteren Theorie diese gesetzliche
Haftung auch für den Zulall so exorbitant, dass sie den un-
bequemen Satz bald durch Reduziiimg des periculum casus auf
culpa ievissima ^, bald durch Verwandlung der Verpflichtungs-
■ Keller, Der rfimische GvilprOKss [6. Aufl.] § 34; BtIdi, Pan-
dekten [1. Aufl.] S. 44z [fehlt in d. 3. AuS.}. Ebenso beim Teceptum arbi-
Irium , wo Dur an Sielle der actio and exceptio dss magistratische imperimn
tri«: I. 15. 16. 1. 9 §§ 4, 5- 1- ><•. " pr- §§ 4. 5- I. 13 § 4- 1- l? § '■
1. 32 §§ 4 fr. de receptii (4, 8]. Auch hier lautet das Edikt des PrSiors nn-
bediu^ : ■eotentiam dicere coEam 1. 3 § 3 1. 15 eod. Ebenso eine merkwflrdige
PnraUele in dem Gedankengange Ulpian's: I. 3 §1 eod. und 1. 1 g i nantae.
* Ueber die uülitaa im römischen Seerecht vgl. auch 1. i pr. §§ 5, so
de exercit. act. (14, 1). 1. i § t de ine, niina, naufr. (47, g) . und ThÖl,
Handelsrecht (3. Aufl.) I § 31 b Note 6 [6, Aufl. I § 65 Not. 9].
^ Vgl. die Citatc bei GlUck VI 5. tat Note 51, S. 139 Note 14. Die
Neueren haben diesen Ausweg selbstversliadlich aufgegeben. Doch nnter-
scheidet noch Buddeus ia Weiske's Kechtslexikon IV S. 437 bei Fufai-
leaten einen mittleren und einen höchsten Grad des Fleisses ! Freitich ist diese
Unklarhek nicht der li^le MissgrifT der guu ungenllgenden Abhandhing.
Eine Abschwichung nach dieser Kichtung findet sich Übrigens berdts «ehr
frilh, z. B. Edictom Theodorid cap. 119: Si quid de tabema vel stabnlo
perierit, at> his, qui lods talibus praesunt. vel qui in hit negotjaotnr, repeten-
lohalt der actio de recepto. Be^iff d«r ms major. 421
frage in eine Frage der blossen Beweislast zu umgehen sachte.
Die Eigenthümlichkeit des receptum bestehe darin, dass hier
ausnahmsweise nicht der Gläubiger die Schuld , sondern der
Verpflichtete seine Nichtschuld darzulegen verbunden sei.
Auch diese letzte, noch immer verbreitete' Ansicht, auf
welche grossentheils die ältere Theorie das ganze Institut und
den Grund seiner Einführung stutzte, muss entschieden zurück-
gewiesen werden. Denn nicht traf ist der quellenmässige
Gegensatz ein ganz anderer, sondern auch ex locato trifft die
Beweislast hinsichtlich des Zufalls stets den Schuldner', weil
dum ett, iu at praestent BacnunenU de coDscientia sua luorumqne: et si boc
fecerint, nihil cogantur eisolvere, ant certe quantum petilor joraverit se in eo
loco perdtdisse, reitilnant (Rboii. S. 37).
< Z. B. Carpiov. Jurispnid. forensis p. II c. 26 d. 18, ig; Gltick IV
§3J7 b. VI, §493; Wolters, a. a. O. S. 3 ff., 26, 56 ff.; Müller, a.a.O.
S. 26. 64; Apostolean« , actio de receplo S. 7 Note 2. Mit Limitationen:
Harpprecht, Daa Recht der Fuhrlente, 1718, I 3 §§ 2—7. Hiadg wird
dieter unrichtige Sali zwar ni<;hl auagesprochen , aber doch voraulgesetit und
der Argumenlation ^u Grunde gvlegt , z, B. selbit von Reyscher, Zeitschr.
f. deutsclieB Recht XIX S. 298(?), 30t.
> 1. II, 19 pr. § I de probat. (»2, 3). 1. 9 § 4 locati (19, ?}, 1. 1
§ 13 de mag. con». (17, 8). 1. 23—25 mandati (17, 1). I. 1 § 16 depositi
(16, 3). 1. 5 C. de pign. act. (4, 24). 1. 3 C. de probaL (4, 19). Aui der
gemeinrechtlichen Literatur hervorzuheben: Caiaregis, diicursus legales de
commercio disc. 23 Nr. 6 ff., 25 ff. ; Mfln ter, Du Fnchtfahrerrecht I S. 200 ff.,
II S. 117 ff.; Weber, Ucber die Verbindlichkeit zur BeweisfUhrang Kap. VI
§§ 11—25; Cropp, Jur. Abhandl. 11 S. 630; Puchta, Fandeklea [j. 12. Aufl.]
§ 2Ö7; Sintenis, Civürecbl [3. AdU.] II g 101 Note 67 ; WSchter, Hand-
buch des im Königreich Württemberg geltenden Privtttrechts II S. 793; Gerber,
Beitrige zur Lehre vom Klagegmud und der Beweislasc g§ 17 — 24^ Koch,
Kisenbehneo II S. 2Sff.; Blitter für RechtaaDwcudung In Bayern XI S. iS,
XVIII S. 50, u. A. m. L'eber die deutsche Praxis: Urtbeile des Oberappellations-
geiicbts IU Dresden (Seuffert'a Archiv I Nr. 338, VII Nt. 2*5, XI 237, und
Koch, Eisenbahnen, II. Anhang S. 117); zu Lübeck (ThOl, Aasgew. Ent-
scheidungsgr. Nr. 162, Seuffert'a Archiv I Nr. 168, IV 113, 114, V 306,
VII 310); zu Celle (Seoffert'«Archi»I 168); K*Mel (Seu»ert's Archiv III
363); WiesbuJen (Seuffert's Archiv X 41}; des Obertribunals zn Stattgart
(Senf fert's Archiv IV 180 [?]); verschiedene Appellationsgerichce und Jumteil'
fakultiten (bei Koch, Eisenbahnen, II. Anhang 5. tao, iSi, 1S7, 205, 213,
320); Hamburger Urtbdie (bei Ullrich, Sammlung von seerechtlichen Er-
Icenntnissen des Handelsgeiicbls za Hamborg, i. Heft Nr. ai, 26, 69, 8S)
u. A. m. Uebereitutimmend die neueren Gesetzgebungen, über welche zu ver-
gleicben: Kocl), Lehrbuch des preiusischen Privatrechts II § 470; Zachartt,
Handbuch des (raniäs. CivUrechtt, 5. Au6. von Anschfitz, II §§ 308, 331
422 I^ recepnim nauUrum, cauponnm, sMbaUriornm.
derselbe zur rechtzeitigen und unversehrten Restitution kon-
traktlich verbunden ist.
Steht hiernach die Haftung fur den Zufall ebenso fest als
der Wegfall dieser Verbindlichkeit unter gewissen UmständeD,
muss also die Art des Zufalls entscheiden, so entsteht die
Frage, nach welchen Kriterien die erforderliche Sondemng
der verschiedenen Arten des casus zu bestimmen sei. Die ge-
wöhnliche' Antwort lautet: nur vis major (höhere Gewalt)
befreit, und darunter wird dann meistens, sofern man über-
haupt eine Erläuterung für erforderlich erachtet, ohne weitere
Begründung ein an sich unabwendbares Naturereigniss oder
eine fremde offenbare (imwiderstehliche) Gewaltthat verstanden.
Ein beliebtes Beispiel ist, dass Feuer im Gasthause (Schiffe)
selbst nicht von der Haftung befreie. Wohl dasselbe meinen
Puchta, Pandekten (12. Aufl.] §314, und Holzschuher,
Theorie und Kasuistik II S. 820 [3. Aufl. III S. 911], wenn
sie nur wegen »von aussen kommender' vis majore befreien.
Etwas verschieden, aber anscheinend in demselben Sinne drücken
sich Andere aus, z. B. Mahlenbruch, Pandektm III § 451,
nach welchem nur »der rein zufällige, sowie der durch vis
major verursachte Schade« befreit; Reyscher, Das gemeine
[8. AdA. TOD Crome %% 288, 311] (Code cirU att. 1147. 1148, 130s, 1315,
■ 3^1 [7^; Code de commerce art. 103); Unger, S^item d«s Österreich.
Printrechli [3. Aufl.] II S. 569, 570, 593 Note 4i> (Bflrgerl. Geseutn»^ g 129s};
Entwurf eines dealKheii Htndel^cKtzbuclu Art. 344, 357 alin. 2, 371, 371.
■ Z. B. Donellui, Commentarii lib. 15 cap. 43 § tl ; GIlIck VI
g§ 4S6, 490; Heise, HaDdelirecht S. 370 fF. ,- Scbweppe ni g 601;
T. Wening-lDEenheim II § 393; Seaffert, FaDdektenrecht [4. Aaf.]
§405; Bender, Handelsrecht! §70; PöhlE, Seeieclit II S. 500; Sintenii,
GTilrecht [j. 3. Aufl.] II 5. 69S; Genglcr, Deuttches PriTOtrecht [1. Anfl.]
g 95 [feblt in d. 4. Anfl,]; Bluntichli, DenUches Privatrecht fl §g 116,
130; Müller, a. a. O. S. 3i, 33; MommseD, BeitilgE mm Obligatianec-
recht I S. 353, 374 Note 10, bei diesem Schriftiteller um so aaffallcnder, als
er knn zuTor S. 341 IT. die IdentitKt Ton easui und vis major aoadiSdlich
aDerkemit: Koch, Eisenbahnen II S. 24.
* In 1. 30 g 4 locati kommt der Ausdmck extrariu vis voi , jedoch nnr
im Gegensatz lu einer von den Leuten des colonus venmlasMen FcneitbmnK.
Geffenwiitig pfl^ man anler Süsserem Zufall eiiiea solchen m veistchen.
welcher nicht von innen heraus eintritt, also im Gegensau lum inneren Verderb
der Waaren (vjtio rei). Stypmann, De jnre maritimo p. IV c^, VIT
Nr. 3iSff.; Langenbeck, Anmerkungen über das faamburgische Schib- and
Seerecht (Hambmg 1717) S. 80, und Andere nach Atileitnn|; tömitcher Stellen,
wie I. 13 85. I. 15 § 3 locati (19, 3). 1. 24 18 3, 3 de damno mf. (39, 3).
Inhalt der «ctio de recepto. B^;riff der »äs major. 423
und württembergische Privatrecht II §§ 460, 461, welcher »un-
abwendbaren Zufall oder unwiderstehliche Gewaltc erfordert';
Arndts, Pandekten [13. Aufl.] § 289, welcher .reinen Zufall
und fremde Gewaltthat« ausschliesst. Andere, z. B. Mitter-
maier, Grundsätze des deutschen Privatrechts II § 540, und
Archiv für Wechselrecht I S. 162, definiren höhere Gewalt als
»ein Ereigniss, welches der Schuldner nicht vorhersehen und
vermeiden konnte, in Ansehung dessen ihn auch keine Schuld
trifftc, d. h. doch als Zufall', und geben damit jene von ihnen
selbst als nothwendig erachtete Sonderung innerhalb des Zufalls
gänzlich auf. Am weitesten entfernt sich von der gewöhnlichen
Darstellungsweise Thibaut, Pandekten [j. 9. Aufl.] § 501,
welcher den Ausdruck vis major gänzlich vermeidet und »blossen
Zufall« befreien lässt, »unter welchem Begriff hier jedoch die
freien schädlichen, dem Wlrth selbst unabwendüchen Hand-
lungen Derer, welche er aufnahm, nicht stehen« ^
Ein tieferes Eingehen auf die einschlägigen Fragen ist
uns nirgends begegnet, eher scheint es, dass unter jenen doch
auch bedeutsam wechselnden Ausdrucksweisen sich, wo nicht
völlige Unklarheit, doch grosse Unsicherheit und Schwanken
verbergen '.
■ Derselbe in der Zdtichr. f. dealKhes Recht XIX 5. 300.
■ Vgl. Mch Einert im Archiv fOr Wechielrecht I S. 312 ff. Sollte aber
etwa der Nachdmck auf dem ivorherieheDi liegen und damit eine Grcnie
£^en gewöhnliche ZniUle gemeint win. so wfir« dagegen eintnwenden , dais
dicKs Kritenum nnmlltng ist, w«l es nar in gewissen FSllen tutrifft: anch
Gewitter , Anlücken feindlicher Heere lassen sich hiafig Toihenehen und
werden doch sicherlich als höhere Gewalt beteiehiwt. Ebenso ist die IdentitSt
von cas fortuit und foree majeure im fTaniesischen Recht anerkannt, welche«
hSußg beide Aosdrflcke knmnlativ braucht. Vgl. Pardeisus, Conrs de droit
commerdal Nr. 238, und namentlich Delamatre et Lepoitvin, Trait£
du cOQirat de commistion I. II Nr. 3g; Troplong, Du lonage Nr. 916,
n. A. m.
3 So im Wesentlichen auch schon Struo, welcher den Nachdruck auf
das Wort ejus in etiamsi sine culpa ejus res periit vel darouum datum est
legt. Ueber dessen Kontroverse mit Cocceji vgl. Wehrn, Doctiina juris
expUcatrix princi^orum et cauiarum damni, l.eipiig 1795, § 18.
* So sagt z. B. Pohls, Handelsrecht I S. 146: »Selbct für den casus'
muts er (der Fuhrmann) insofern aufkommen, als die Gesetze ibn verantwoct-
lich machen , auch wenn dne Sache ohne seine Schuld unterging. Nur ein
damnum fatale befreit ihn. Was unter diesem damnum fatale lu verstehen
sei, ISsst sich schwer bestimmen. Nur so viel ist gewiss, dasa eine unabwend-
.00«
424 Dm reMptnm nautanun, caapoDam, (Ubularionun.
Fortsetzung:
Der gewöhnliche Begriff von vis nugor ist unh^tbar
und unzureichend. Beweis aus den römischen Reohts-
quellen.
§5.
Soll der Begriff der »höheren Gewalt« ein praktisch
irgend brauchbarer sein und einen sicheren Anhalt gewähren,.
bare höhere Gewalt ihn befreit.' Auch iwei nenere, guu glnchlautende L>-
theile des ObeiappelUtionsKerJchts zu Lübeck vom 12. Deiember 1856 (Saram-
luDg von ErkenntoiueD etc. io haniburgUchen Rechtxsacfaen JII S. 151 S.),
welche unser Icscitat einer lOrgnilligeD Prttfung anteriieheo , begnOgen sich
mit bloss negalivFD Resultaten. Es bandelt sich um Schadenseisati an bcnäti
übemommeDen, aber noch nicht verladenen Waaren, welche auf der Werft von
Boston verbrannt waren. In dieser Beiiehnng heiist ei in den gedachten Ur-
theileQ: iWa« nun den in Rede stehenden Punkt selbst anlangt, so ist anver-
keanbar dasjenige, was die Wiedetkl&ger als das in den aordametiksuiischen
Staaten und speziell lu Botton gellende Recht bneichnen , in hohem Grade
lingnlSr. Sie behaupten , das; der Schiffer nach diesem Rechte die Folgen
eines jeden Feuerschadens, welcher sich an den su Iransportiiendeii Gegen-
ständen auf andere Weise als in Veranlassung eines Blitistrahlei ereigne, m
tragen habe, ohne Rücksicht darauf, wenn auch etwa die Wirkung des Fencn
als eine den Umständen nach unabwendlicb gewesene anzusehen sein s<^te.
Dies atehl mit den Prinzipien, welche in dieser Materie den Seerechlen sowohl
älterer als neuerer Zeit, wenigstens der weit überwiegenden Mehnahl nach, in
Grunde liegen, im Widenpruche. Und wenn der von den Wiederkligern
hieifUr citirte Kent, Comment. II S. S97 ff., die Meinung aufsldlt, das die
von ihm vertretene umfangreiche und derjenigen eines Versieberen in den
meisten Punkten gleichkommende Verantwortlichkeit des Schiffers ans dem
römischen Rechte — welches allerdings im Wesentlichen die Gnmdlage des
in Betracht gesogenen Theils der geltenden Seerechte bildet — zu recbtfeit^en
sei, so ist die* ein Irrlhum. Denn weder weil der Frachtkontrakt eine locatia
conductio operis ist, haftet der Schiffer für die Gefahr der zu transportirenden
GegenstSnde , noch ftihren die GrunddUe vom receptnm aaf das beieidinete
Resultat hin. Freilich erweitern die letztgedachten GrundsStie die Venuitwnrt-
lichkeit des SchilTers so, dau, wlhrend er nach den Friniipien des Hieth'
vertrajirei schon frei ist, si sine culpa ejus res perÜt vel damnum datum est,
er in Betreff recipirter Gegenitinde für Untergang und BeschSdignng haftet,
niti quid damno fatali contingit. Allein der Begriff des damnum fatale wird
lu eng aufgefasal, wenn man ihn nur auf unmittelbare and absolut unwictef-
stehliche elementare Wirkangen bezieht Schon die in der 1. 3 cit. selbtt anf-
geführten Beispiele, unter welchen auch die via piratamm angegeben wird,
wurden jene Anlegung als bedenklich erscheinen lasten, allein jeder Zweifel
wird dadurch beseitigt, da«* in der gleich der 1, 3 dt. von Ulpian henflliRD-
, Ci 00^^ Ic
Der gewöhnliche BegrifT von via major isl imhaUbat und unzureichend. 425
SO mUssten wir ein Doppeltes anaehmen und durch die Quellen
erweisen können:
1. Nur solche Ereignisse befreien, welche Ihrer Natur
nach unverschuldet zu sein pfleg'en, deren Ab-
wendung und Abwehr menschliche Voraussicht und
Kraft zu übersteigen pflegt.
In diesem Sinne wird der Begriff wohl von den Meisten
gedacht' und namentlich im Handelsrecht häufig gebraucht,
am schärfsten aber von Bluntschli, a. a. O. S. 20, ent-
wickelt. iDiese Unterscheidung innerhalb des Zufalls hat in
der That ein praktisches Interesse. In den Fällen des ge-
wöhnlichen Zufalls nämlich ist es meistens sehr schwer, zu
emem sicheren Urtheile zu gelangen, ob durch Sorgfalt der
Schaden hätte abgewendet werden kOnnen oder nicht ; in den
Fällen der höheren Gewalt dagegen (Naturereignisse, Feindes-
gewalt) ist es klar, dass der Einzebie ihr nicht widerstehen
kann. Jene Unterscheidung schneidet daher in objektiv sicherer
Weise die Streit- und Beweisfragen ab, und eignet sich darum
so vorzüglich für das Handelsrecht.* —
2. Diese Ereignisse müssten überdies im konkreten Falle
unverschuldet, d. h. für den Verpflichteten unvermeid-
lich und unabwendbar gewesen sein, — was sie nament-
den 1. ja § 3 pro tocic (17, i) damna fatslia definirt, und iwai ab die-
jenigen beieichnet werden, denen durch Vorsicht nicht vorgebeugt werden kann,
wobei unter Anderem auch incendium als Beispiel eines solchen damnum er-
wUint wird. Damit obere instimmend haben der Regel nach die Seereehte den
Schiffer dann ßlr nicht verhaftet eiklirt , wenn er durch nicht vorherzusehen
gewesene, unabwendliche äusiere Einwirkungen an der Liefenmg der ru ver-
schifTenden Gegensl3nde U)>erhanpt oder in unbeschsdigtcm Zustande verhindert
wurde, gleichviel, ob die causa noccn» eine unmillelbare eletnentarische war
oder nicht. Hiervon zeugt auch die seerechtliche Praxis, wie sie notorisch
besteht , und kann es hierbei unerörterl bleiben , ob nicht das hambnrgische
Recht in Betreff der Grundsätze des receptum noch weiter zu Gunsten des
Schiffers geht.'
■ Z. B. Wichter, Württembergischei Privatrecbt 11 S. 790. Eine noch
engere, aber durchaas ungewöhnliche Bedeutung legt Pohls Darstellung des
Seeaaiekuranzrechts I S. sjl dem Ausdruck 'höhere Gewalt* bei, indem der-
selbe nur unvorhergesehene Eingriffe und Akte der Staatsgewalt unfiuse, nicht
auch Naturereignisse, Die Aelteren brachten jene he^ebrachte Scheidung von
Zafall und höherer Gewalt mit ihrer Theorie von der dreigradigen culpa in
Verbindung. Dagegen Gluck VI S. 13S, 139; doch kommt teioe eigene
Unlencheidong S. 119, lao auf nichts Anderes hinaus.
„Google
426 I^ rtceptom nanlaniiii, canpoomn, Uabnluii^iiiii.
lieh alsdann nicht ^ären, wenn er sieb ohne Grund
oder gar kontraktswidrig ihnen ausgesetzt hätte. Denn
alsdann darf ihn der Umstand nicht entschuldigen, dass
die wirkende Ursache des Ereignisses nicht auf seinen
Wilkn zurückzuführen ist
Dieses letzte Moment ist offenbar in dem Ausdruck > höhere
Gewalt« (vis major, damnum fatale, force majeure) nicht ent-
halten. Es gibt ikein Ereigniss, welches unter allen Um-
ständen die Möglichkeit der Verschuldung des debitor, auch
einer bloss mittelbar einwirkendea, anszuschUessen vermöchte '<.
Ein sog. casus mixtus ist Überall denkbar und vertretbar'.
Was dagegen das erste, objektive Moment anlangt^ so ist
klar, dass eine Scheidung in der von Bluntschli eotwickeltoi
Art zwar theoretisch vielleicht denkbar, aber doch praktisch
nur überaus schwer, wenn Überhaupt durchführbar wäre^,
überdies aber sowohl eine jeder tieferen Auffassung wider-
strebende Verausserlichung der Scbuldfrage, wie eine materielle
Ungerechtigkeit in sich schlösse, also eine Anomalie, welche
wir nur dann annehmen dürften, wenn sie klar ausgesprochen
wäre, und welche nur dann innerlich gerechtfertigt erschiene,
wenn zwingende Verkehrsbedürfnisse sie hervorriefen. Sokbe
aber fehlen durchaus. Ob eiu Ereigniss in der Regel oder nnr
ausnahmsweise unvermeidlich und unabwendbar ist , kann für
■ Hommten, BeJtrlge tarn Obligationenrecht I S. 136.
' 1_ II §8 I, 4. 1- 9 § 3- L la, 13 S 7 1oc«'i (»9. »)- L ■ § 4 *
O. et A. (44, 7)- !. » § 8 ii qui« caut. (2, 11). I. 7 § «• I- "« pr- L jo
g 3 ftd leg. Aqnil. (9, 3). t. 5 § 4. I. iS pr. commod. (13, 6). ). 11 (32) de
negot. ge«. (3, s)- '- ' qnod m«. c»im (4, 3). 1. 30 de pigo. a«. (13. 7)
g 6. J. de obl. qiue ex del. (4, i) g 3. J. qnib. modis (3, 14). Vgl.
nuneDtlfch Caiaregls, di>c leg. 19 Nr. 33—35, 31—34 ^uc. 1, Nr. S^S.
dbc 33, Nr. 45 fr.; Mommien, a. a. O. I S. 334^., 343 Note 34. Ftir
den Fnubtvertrag : Lauterbacli, diu. academ. diip. 105 Nr. 38; Harpp-
recht, a. a. O. I 3 8 7.
1 In gewiuen extiemen FSIlen wird man einig lein, 1. 6. bei Wolken-
brUchen, Bliu, fiergttnn. Wie aber bd dem Hanaänatan? bei dem Raubet
bei dem Schilf brach P Iit gewaffneter DiebsttU stets hShere GewaltP Doch
wohl nicht KUechthin, nicht 1. B., wenn etwa ein mit einem KnUitel bewa&ettt
MaoD eine aus vier Knechten bestehende Bewachung des Transports aof da
Heerstrasse angreift. Es Itommt also immer wieder auf die Umstinde des ein-
zelnen Falles an: auf die Zahl, die Bewaffnung der Rluber, auf die Lage
der Angegriffenen , den Ort und die Zeit des Angrifi «u s, f . VgL auch
Hommsen I S. 343 Not« 34. Vortrefnich Einert im ArcM* für Wecbsd-
recht I S. 315.
„Google
Der gewShnliche B^riff von vü major i)t unhaltbar und uDnireichend. 427
den Beweis • , nicht dagegen für das materielle Recht einen
Unterschied bewirken.
Soweit aber diese Ansicht sich auf die römischen Quellen
stutzt, erscheint sie durchaus unerweislich. Sie kann ihren
Anhalt nur suchen in den Ausdrücken damnum fatale und vis
major oder in den angeführten Beispielen.
Damnum fatale ist, nach der einzigen Legaldefinition
in I. 52 § 3 pro socio, aus dem 31. Buche desselben ulpia-
nischen Ediktkommentars, ein damnum quod imprudentibus
accidit, d. h. welches Nichtwissende, Nichtvorhereehende • trifft.
Setzen wir nun auch statt >Nichtwissende etc.« den Ausdruck
»Nichtwissen- oder Nichtvorhersehenkönnende«, so ist da-
mit doch nichts Anderes als mit dem Ausdruck iZufallt ge-
sagt: »ein im vorliegenden Fall dem Schuldner nicht zu-
zurechnendes, daher in der Regel von aussen her eintretendes
Ereignisse K Auch in 1. 2 § 1 de P. et C. (18, 6) wird der
Ausdruck als blosser Gegensatz zur culpa gebraucht.
Ebenso dient der Ausdruck vis major oder magna be-
kanntlich schlechthin zur Bezeichnung unverschuldeter Er-
eignisse, mögen diese durch Naturgewalt ♦ oder durch Menschen
veranlasst sein, ganz gleichbedeutend und abwechselnd mit
damnum fatale, casus, casus fortuitus oder major, cui resisti
non potest u. s. f., als blosser Gegensatz zur culpa,
z. R 1. l § 4 de O. et A. {44, 7). 1. 2 § 1 de P. et C.
(18, 6). 1. 7 pr. de edendo (2, 13). 1. 13 § 1. 1. 30 de pign.
act. (13, 7). 1. 28 C. de locato (4, 65) K Ein sehr vollständiger
■ Hommien I 5. 236, 345. Vgl. anch Ha«>e, Die Culpa cap. XII,
Ueber Ptiiumtionen.
> Vgl. auch 1. 5 § 4 cnminodali {13, 6). 1, 11 g 4 de mJDoribus (4, 4):
occaxione damni Don ioconsDlto accidentU, s«d hXo. — Ucber imptuden* in
dietem Sinne vgl. Caesar de B. G. II 38. Cicero pro Roicio Amer. 8 , 31.
I- 18 C19) §3 deneg.gestis (3, 5). 1. 34 g i. I. 29 de A. E.V. (19, i). So
TerMehC auch da» Oberappetlation^ericht zu Lübeck (Seurfert's Archiv IV
Nr. 1 14] den Begiiff damnum falaJe von >Iusseren UmMinden, im Gegentati
der in der Macht dei Schiffen liegenden UmslIndC'.
3 Ueber den Sprachgebrauch auch Mommsen 1 S. 241 ff.
* So InibeioDdeTe auch glcichbedentend mit rit divina: 9-toO ßtu. 1. 35
g 6 locaü (19, 3). L Z4 g 4 de damno inf. (39, 3) ; vi* natnralit I. 59 locati
(19, 1); impedimenlum naturale ). 137 g 4 de V. O. (45, t).
I Siehe auch die WörterbUclier von Briitoniu» and Dirk*en bei den
Worten canis, vis, faialit; Heimbach in Weiike'i Rechblexikon IIS. 573;
Mommsen, a. a. O.
428 ^'^ receptnm naatamm, caaponum, sUbaUrionim.
Katalog von quodcunque damnvun, si modo culpa carent in
1. 30 pr. ad leg. Faicid. (35, 2). Vgl. auch 1. 23 de R. J.
(50j 17) und 1. 18 pr. commodati (13, 6).
Gehört doch auch zu den Legalbeispielen der vis major
neben ruina, naufragium und anderen Ereignissen, welche
regelmässig unverschuldet sein mögen, das incendium', von
welchem an sich klar ist, und wiederholt hervorgehoben " wird,
dass es sehr häufig, wenn nicht gar in der Regel verschuldet
sei. Und auf der anderen Seite ist der Ausdruck vis major
selbst für solche Ereignisse, welche regelmässig oder gar un-
zweifelhaft jeder menschlichen Voraussicht und Kraft spotten,
so wenig technisch, dass ftlr dieselbe ebenso häufig der Aus-
druck casus fortuitus vorkommt, z. B. 1. 24 § 3 de damno
infecto (39, 2): — terrae motu aut vi fluminis, aliove quo
caso fortuito. 1. 6 § 9 de edendo (2, 13): — nanfragio vel
ruina, vel Jncendio, vel alio simili casu. I. 21 (22) de neg. gestis
(3, 5) : — casu quodam — forte incendio, ruina. In 1. 18 pr.
commodati (13, 6) findet sich der Ausdruck casus quibus resisd
non potest für dieselben Fälle, welche in § 2 J. quib. modis
re (3, 14), der daraus entlehnt ist, mit major vis und major
casus bezeichnet werden.
Endlich hat man den gesuchten objektiven Maassstab aus
den beigefugten Beispielen isi quid naufragio aut per vim
piratarum perierit« entnehmen wollen. Denn indem hier als
befreiend nur solche Ereignisse genannt werden, welche sich
als unwiderstehliche Natur- oder Menscheagewalt darzustellen
pflegen, erscheine der Begriff des damnum fatale sachlich be-
grenzt'.
So naturlich indessen sich dieser Ausweg darbietet, stehen
doch drei entscheidende Gründe entgegen. Hinmal fehlt jeder
Anhalt, dass Labeo nur die von ihm genannten und ähn-
liche Ereignisse als befreiend bezeichnen wollte, da an die Er-
örterungen eines kommentirenden Juristen, bei aller zu er-
' Z. B. L i8 pr. 1. 5 § 4 commod. (13, 6). 1. 21 (11) de oeg. gett. (3, 5).
L z3 d« R. J. {50, 17). 1. 6 § 9 de edendo (a, 13). L 17 §4 de pr. »erb,
(19. 5)-
■ I.3§ I deoff.pr»e».vipJ. (1, 15). I. 11 (11) de P. et C. (18, 6). 1. 30
§ 4 locati (19, 2). 1. 51 I 3 pro »cio (17, x).
i So t. U. Maller, a. a. O. 5. 34; Koch, EiieulMlmca II S. 24
Note II.
„Goovilc
Der gewühnlkbe Begriff vod vis major ist unhaltbu und unzureichend. 429
-wartenden Präzision, sich tinme^lich gleich strenge Anforde-
rungen wie an den Gesetzgeber stellen lassen. Sodann soll
mit diesen Beispielen gar nicht eine Begrenzung des danuinin
fatale gegeben -werden, sondern sie werden lediglich als Konse-
quenzen aus der Nichthaftung für damnum fatale hingestellt:
Inde Labeo scribit — . Endlich finden wir ganz ähnliche
Beispiele und in völlig gleicher Weise bei solchen Rechts-
instituten gebraucht, für welche unzweifelhaft keine Haftung
über culpa hinaus begründet ist. Z. B. fUr das Konunodat :
L. 1 § 4 de O. et A. (44, 7): Is vero, qui utendum
accepit, si majore casu, cut humaaa infinnitas
resistere non potest, veluti incendio, ruina,
naufragio rem, quam accepit, anaiserit, securus
est ; alias tarnen exactissinaam diligentiam custodien-
dae rei praestare compellitur.
Für die Societät:
L. 52 § 3 pro socio (17, 2): Damna quae imprudenti-
bus accidunt, hoc est damna fatalia, socii non
cogentur praestare; ideoque si pecus aestimatum
datum sit, et id latrocinio aut incendio perierit,
commune damnum est. —
Es würde endlich, bei dieser Auffassung, nicht allein ein
singulärer Rechtssatz, der ja ausser Frage steht, sondern ein
singulärer Sprachgebrauch der Quellen', und eine Veräusser-
licbung der Schuldfrage anzunehmen sein, für welche es im
Uebrigen an jedem Anhaltspunkte fehlt.
Die späteren Schicksale jenes angeblich technischen Be-
griffes der höheren Gewalt werden wir insbesondere für
unser modernes Handelsrecht am Schiufa dieser Abhandlung
(§§ 12, 13) verfolgen; hier wollen wir, an Stelle jener äusser-
lichen und ungenügenden Auffassung des Quelleninhalts , das
wahre Wesen unseres Instituts zu erforschen suchen. Dabei
mag die Bemerkung nicht überflüssig erscheinen, dass positive
Rechtsnorm aus Zweckmässigkeitsgründen sehr wohl gewisse,
im konkreten Fall unverschuldete, also als Zufall zu er-
achtende Ereignisse in den Kreis der vertretbaren hineinziehen
und so eine Scheidung zwischen den verschiedenen Arten von
< Dies erkennt Mommsen I S. 374 Note 10 Busdrticklich an.
j .«:,yGüogle
430 ^** receptnm nauUnim, ckuponum, suboloKoram.
Zufällen statuiren mag'. Nur wird der Maassstab für diese
Scheidung nicht aus einem allgemeinen technischen Begriff,
wie dem vermeintlichen der vis major, zu entnehmen sein,
sondern eben lediglich durch jene positive Rechtsnorm bestimmt
werden, welche die Grundlage der Sonderang bildet, —
Fortsetzung:
Wahrer BegnS der vis iiMyor in unserer Lehre.
Noch immer befinden wir uns in dem Dilemma einer
gleichzeitigen Haftimg und Nichthaftung für den Zufall (omni-
modo, sine culpa ejus — nicht für damnum fatale, vis major).
Und doch ist die Lösung des Räthsels überaus einfach, sobald
man nur, statt sich an einzelne resultatlose Ausdrücke zu
halten, den Zusammenhang der ganzen Lehre überschaut.
Die im Edikt ausgesprochene unbedingte Haftung auch für
unverschuldeten Verlust und Beschädigung ist von der Juris-
pradenz in folgender Weise näher bestimmt worden:
1. Handlungen der Dienstleute und Passagiere (vectores,
viatores) gelten den eigenen Handlungen des Recipienten gleich.
Er steht also unbedingt ein nicht allein für eigenes Ver-
schulden, sondern auch für jede Beschädigung und jeden Ver-
lust, welche durch Verschulden einer dieser Personen herbei-
geführt sind.
L. 1 § ult. 1. 2. 1. 3 pr, h. t. : Et puto omnium emn
recipere custodiam, quae in navem illatae sunt, et
factum non solum nautaram praestare debere, sed
et vectorum, sicut et caupo viatorum^ et ita de
facto vectorum etiam Pomponius libro trigesimo
quarto scribit.
L. 3 § 3 eod. : — Item si servus exercitoris surripuit,
noxalis actio cessabit, quia ob receptum suo nomine
dominus convenitur.
Doch darf er sich, seine Solvenz vorausgesetzt, mit den
■ So I. B. du englische common Uw, welcbes den FracliEfahrer (mmmon
curier) für unbedingt haftbar erklSrt, i. B. auch fUr Raub, except the acE or
God and tbe kings eanemiet. So neuere Post- und Eisenbahngesetie.
■ ^ „Google
Wahrer Begriff der vi« major in nuaerer Lehre. 431
Deliktsklagen gegen die Thäter regressiren. Vgl. oben § 3.
IV. 2.
Die Anomalie dieser Haftung leuchtet bezüglich der vec-
tores ein. Sie ist aber nicht minder zu behaupten in Betreff
der Dienstleute, da nur in wenigen singulären Fällen das
römische Recht eine unbedingte, über culpa in eligendo hinaus-
gehende Haftung des Dienstherm für seine Leute anerkennt
Die 1. 25 § 7 D. locati (19, 2) beweist nicht für das Gegen-
theil'. -
2. Er garantirt femer für Handlungen Dritter, zu der
ebengedachten Kategorie nicht gehöriger Personen, und zwar
nicht allein gegen furtum, sondern auch gegen damaum der-
selben: Vernichtung und Beschädigung.
L. 5 § t h. t.: Quaecunque de furto diximus, eadem
et de damno mtelligi debent; non enim dubitari
oportet, quin is, qui salvum fore recipit, non solum
a furto, sed etiam a damno recedere (recipere)
videatur.
Vgl. 1. 3 §§ 1, 3 h. t.
Ob diese Garantie eine unbedingte ist, wird sich später
ergeben. Allein auch abgesehen davon ist dieser zweite Satz
nicht minder anomal als der erste. Denn die Verpflichtung,
fUr custodia einzustehen, weiche dem Recipienten obliegt',
schliesst regelmässig nur die Haftung gegen Diebstahl, nicht
auch gegen Beschädigung durch Dritte in sich; sofern näm-
lich nicht der Nachweis geführt wird, dass der Schuldner im
Stande gewesen wäre, dieselbe zu verhindern. Hinsichtlich
des furtum liegt dem Schuldner der Beweis der Unvermeid-
lichkeit, umgekehrt hinsichtlich des damnum dem Gläubiger
der Beweis der Vermeidlichkeit ob^.
3. Er haftet nicht für damnum fatale oder vis major.
L. 3 § 1 h. t.
■ Dort vird flbr[gau nicbt eommve, toDdem eorumqne gelesen. Der
Beweit djetes wichtigen Sattel fBr da* remiiche Recht «oll rin uiderei Mal
geftUiTt werden. Für die entgegengeseCEte Meinung hat lich iniwischen auch
Ubbelohde entschieden, auch eine aoaTUhrliche Darstellung in Aunicht ge-
stellt (Magazin f. haQnorer»:hes Recht IX S. 399 ff.)
' Vgl. den Teit Seite 420 nach Note 1.
3 L. 14 § la. 1. 91 (90) de furtU (47, a). 1. 5. 8 C. de act, pign. (4, 14),
Tgl. mit 1. 19 commod. (13, 6). L 40, 41 locati (ig, a). Haate, Die Culpa
cap. X, XII.
D,j,i,;^..,,Güogli:
432 ^>s receptum nautu^m, ciuponum, stabulariomm.
Fassen wir diese drei Sätze zusammen, so ergäbe sich,
dass die Haftung über culpa hinaus sich so weit erstreckt, als
die beiden ersten Sätze reichen, dass aber jede andere, nicht
vom Recipienten selbst ausgegangene Beschädigung , Ver-
nichtung, Entwendung als nichtvertretbare vis major anzosehen
ist. Oder mit anderen Worten: Als vis major oder casus
gilt in der Theorie des receptum ein jedes vom Recipienten
selbst unverschuldetes Ereigniss, welches nicht unter Satz 1
und 2 fällt.
Zu einer genügenden Abgrenzung bedarf es indessen noch
einer näheren Fesstellung des zweiten Satzes.
Durch diesen ist zunächst nichts weiter ausgesprochen, als
dass die custodia sich hier auch auf das damnum injuria datum
erstreckt. Dabei ist nun ein Doppeltes möglich. Entweder es
bleibt im Uebrigen bei der Regel, dass die Haftung für furtum
keine unbedingte ist, sondern nur vorbehaltlich des Gegen-
beweises besteht, dass der That bei aller Vorsicht nicht hat
vorgebeugt werden können ', — und Gleiches würde alsdann
auch für das damnum gelten. Oder die Haftung für furtum
ist hier ausnahmsweise eine unbedingte, daher auch für dam-
num, d. h. mit andern Worten: Schiffer und Wirth haften
schlechthin fUr jede durch irgend Jemand verübte
Entwendung und Beschädigung.
Diese letzte, von allen denen, welche unter vis major die
»höhere Gewalt« in dem §§ 4, 5 bezeichneten Sinne verstehen,
insbesondere auch von Hasse' vertheidigte Ansicht findet in
den Quellen keine Begründung.
In der mehrbesprochenen 1. 3 § 1 nautae ist keinesw^s
smit dürren Worten gesagt, dass der Unterschied der actio de
recepto von den oft (!) konkurrirenden Kontraktsklagen dam
liege, dass jene sowohl wegen Diebstahls als wegen damnum
injuria datum unbedingt und auch ausser dem Fall der culpa
(schlechthin) angestellt werden könne, indem diese es nicht
können.' Denn unter Umständen wird ja sowohl furtum, wie
■ Hasse, c«p. X; Hepp, Die Zurechnung auf dem Gebiete des GrS-
rechts S. 39, 40; Unterholiner, Schuld verb&Itnisse I g IJ9; Hommsen.
ErörleruDgen I S. 90 Note 14.
'A.a.O. §§73,86, Vgl. Lauterbach, dispul. 105 Nr. 43; Schweppe
UI § 60a; Göschen II 3 I 658; SiDlenis II S. 699 [3. Aufl. S. 70a];
Holler, a. ft. O. S. 32; Koch, Eisenbahnen II S. 34 Note 11, S. 16 Noie 17-
izecoy Google
Walirer Begriff der »tg major in unserer Lehre. 433
insbesondere darnnum zu dem ausdrücklich ausgeschlossenen
damnum fatale gerechnet werden können ', und in den Worten
etiamsi sine culpa ejus res periit vel damnum datum est kann
sehr wohl auf die schlechthin verpflichtenden Delikte der Ge-
hilfen und Passagiere hingewiesen sein, ohne dass im Uebrigen
durch das omnimodo tenetur die Frage nach der Verschuldung
für unbedingt irrelevant erklärt wäre. Solcher Ausdehnung
steht insbesondere der von Hasse nicht beachtete Umstand
entgegen, dass mehrfach und mit Nachdruck die Haftung des
Schiffers und Wirths für die Dienstieute und die Reisenden
als ein ausserordentlicher, ungeachtet der unbedingten Fassung
des Edikts erst durch die Jurisprudenz festgestellter Rechtssatz
hervorgehoben' und ein wesentlicher Unterschied der Ge-
schäftsklage von den Strafklagen darin gesetzt wird, dass bei
den letzteren nicht für vectores und viatores gehaftet wirds.
Diese Ausdrucksweise wäre unerklärlich, wenn auch die Hand-
lungen anderer als der genannten Personen unbedingt ver-
pflichten sollten. Eine Haftung für diese lag am nächsten,
eine unbedingte Garantie gegen die Handlungen Anderer wäre
höchst anomal gewesen, und hätte darum um so mehr der
ausdrücklichen Erwähnung bedurft.
Hiemach scheint unser zweiter Satz nur im Sinne der
erstgedachten Alternative verstanden werden zu können: die
Regeln, welche bei jedem zur custodia Verpflichteten hinsicht-
lich des furtum gelten, aber auch keine schärferen — von den
E)elikten der Dienstleute und Passagiere abgesehen — , finden
beim receptum auch hinsichtlich des damnum Anwendung.
Eine leichte Modifikation dieser Auffassung ergibt sich
indessen aus den folgenden Betrachtungen (§§ 7, 8), welche
für die richtige Auffassung unseres Instituts nicht ohne Be-
deutung und für dessen geschichtliches Verständniss unent-
behrlich sind.
' Nacb dessen Legüdeünition in 1. 52 § 3 pro locio. Man bruucht nicht
einmal darauf Gewicht zu legen, dass, wie in den germanischen Rechtsqudlen
^«röhnLch, so auch in 1. 30 pr. ad leg. Faldd. (35, 2} zd dem quodcunque
d&mnnm, neben mortea serrorum, rapinae, iocendia , ruinae, naufragia, ris
hoMinm, latronum, praedonum auch farta geiihlt «erden.
' L. i § ulL I. 3 pr. b. t.
J L. 6 § 3 h. I. 1. nn. § 6 furü adv. nauUJ (47, ?).
aoldichmidt, VensiKbti) Schrift«!. □. oS
itizecy Google
434 Dm receptun luatarum, ckupODiim, «tibularionun.
V. Das salvum fore reoipere die Grundlage der
actio de reoepto.
§7.
Wir haben im § 1 das receptum als ein prätorisches
Obligationsverhältniss bezeichnet, dessen juristischer Charakter
darin besteht, dass unter bestimmten Voraussetzungen ge-
wissen civilen Vertragsverhältaisseo eine umEasseodere Oarantie-
verpElichtung von Rechts ^egen hinzutritt. Diese Auffassang
schliesst weder die Möglichkeit vertragsmässiger Beseitigung
jener Garantie (§ 1!), noch die Annahme aus, dass der Stand-
punkt des Torklassischen Rechts ein verschiedener gewesen sei.
Für diese Annahme spricht entschieden der Wortlaut des
pratorischen Edikts;
Ulpian: L. l pr. fa. t. Ait Praetor: Nautae, can-
pones, stabularii, quod cujusque salvum fore
receperint, nisi restituent, in eos Judicium dabo.
§ 6. Ait Praetor: quod cujus salviun fore rece-
perint —
§ 8. Recipit autem salvum fore —
Gajus: L. 5 § 1. — non enim dubitari oportet, qim
is, qui salvum fore recipit —
Ulpian: L. un. § 5 furti adv. nautas. Quodsi rece-
perit salvum fore nauta vel caupo —
Paulus: R. S. II 6, § 1. Filius familias si voluntate
patris navem exerceat, patrem in solidum ob ea,
quae salva receperit (al. receperat, recepit), obligat
Dass diese so hSufig mit Nachdruck wiederholten Worte
salvum fore recipere ein wirkliches Versprechen, für die In-
tegrität der Ladung einstehen zu wollen, eine Garantieüber-
nahme, bezeichnen, kann nicht zweifelhaft sein. Von den ver-
schiedenen Bedeutungen des Wortes recipere kommen hier nur
die ganz nahe verwandten »annehmen , aufnehmen , über-
nehmen< und >auf sich nehmen, Über sich nehmen, über-
nehmen, versprechen, garantiren« in Betracht Das salvum
fore recipere kann somit ein Doppeltes bedeuten:
1. laufnehmen, so dass das aufgenommene Gut unversehrt
bleiben sollt, also »aufnehmen mit dem Versprechen, ftlr die
Integrität einzusteheni,
2. »versprechen, für die Integrität einstehen zu wollent.
DiS Ml»um fore redpeie die Grandli^e d<r «eüo de rectpto. 435
Im ersten Falle läge der Nachdruck auf der tbats^ch-
lichen Uebemahme der Waare, und das Versprechen träte als
Modalität der Annahme hinzu, durch die Worte salvum fore
bezeichnet.
Im zweiten Falle läge der Nachdruck auf dem Ver-
sprechen, und die thatsächliche Uebemahme der Waare würde
als selbstverständliche Voraussetzung der Wirksamkeit des
Garantieversprechens subintelligirt
Beide Bedeutungen der Formel geben einen gleich guten
und im Resultate übereinstimmenden Sinn. Wenn für die erste
zu sprechen scheint, dass mit dem nisi restituent" eine that-
sächliche Uebemahme besser harmonirt, so spricht für die zweite
schon die einfachere, ungezwungenere Konstruktion. Auch aus
anderen Gründen möchte ich mich für die letzte Bedeutung
entscheiden. Der Ausdruck recipere im Sinne von versprechen
wird nicht bloss sehr gewöhnlich, sondern geradezu technisch
(also wahrscheinlich recipio lautend, als einseitiger Verpflich-
tungsakt) neben poUiceri, promittere, spondere gebraucht. So
heisst es bei Cicero': spondeo in meque recipio — ; polli-
ceris vel potins recipis — ; promitto, recipio, spondeo — ; quae
tibi promitto et recipio — ; noil solum confirmavit, verum
etiam recepit. — Ebenso finden sich, abgesehen von dem
häufigen custodiam recipere, in den juristischen Quellen folgende
Wendungen: vel repromittente , vel se delegante, vel in se
recipiente deUtum — ; aditurum se hereditatem recepisset et
restituturum — ; si tacite in fidem suam recipiat — ; recepisse
autem arbitrium videtur qui judicis partes suscepit, finemque
se sua sententia controversiis impositurum pollicetur ^. Gerade
' Doch itl bekannt, dan du restitnere und intbesondere die übliche
Kklatet der acCiones aibitrariae »pi^i mcituata knneiwegs eine voraasgeheade
Hingabe roransteut. Reilitaere heisst sehr hXatig nar : •Herausgeben«, oder
gar nur .»einer Verbindlichlieit Dachkommen.. 1. 2ä. 75. 81. D. de V. S.
<50. 16). 1. 173 g I de R. J. (50, 17). 1. 9 § 7 q. n>- =■ C4, 2). 1. 17 § i.
1. w) de R. V. (6, 1). V. Savigny, System V S. ii? ff- ; '■ Keller, Qvil-
proien [audi 6. Aufl.] Note 791; so auch reddere. Vgl. meine Unler-
Eochiingen in I. ixz, g i de V. O. 5. 53 IT.
> Cicero fam. 13, 17. Att 13 1, 3. Phil. 5, 18. Tarn. 5, 8, $. 6, 12.
Vi«!]« »ädere Stellen nichtjuriitiicher Klassiker bd Klotz, Handwörterbuch
II S. 107*.
3 1. 4 § I de manam. (40. l). 1. 47 (46) de hered. inst. (iS, 5). 1. 40 g i
de jure fi*cl (49, 14). 1. 13 g a de receptis (4. 8). Auch Btiiaonius, h.
.oogle
436 ^" receptom naDtarum, onponuni, ttabularionim.
auf dieser Bedeatung des recipere, welche namentlich dem
alteren Sprachgebrauch angehört haben dürfte, beruht der zu-
erst voo Conti US, dispnt. jur. civil. Hb. I c 4 nachgewiesene
Zusammenhang zwischen unserem Digestentitel und dem un-
mittelbar voraufgehenden De receptis, qui arbitrium recepe-
nmt, ut sententiam dicant (4, 8), welcher unzweifelhaft schon
im prätorischen Edikt neben dem unsrigen stand. (Ulpian.
liber XIII, XIV ad Ed. Paulus libro XIII ad Ed.) Der arbiter
verpflichtete sich ursprünglich wahrscheinlich durch die Formd
recipio (sententiam me dictunun u. dgl.). Auf diesem
Sprachgebrauch beruhte auch die actio receptitia gegen den
argentarius '.
Das Versprechen salvum fore, jedoch in Stipnlationsform,
gleichfalls als Garantieverspreeben, begegnet uns in den be-
kannten Stipulationes rem pupilli salvam fore und rempublicam
salvam fore'.
Da das salvum fore recipere offenbar als technischer Aus-
druck angewendet wird, und überdies beide Theile desselben
als technische Formeln bezeugt sind, so mögen diese oder
doch ähnliche Worte, z. B. salvum erit, von Schiffern und
Wirthen regelmässig bei der Aofnahme gebraucht worden
sein, um ihren Garantiewillen erkennbar zu machen. Auch
hätte darin, bei dem Hange des älteren Rechts zum Forma-
lismus und bei der Natürlichkeit solcher Erklärungsweise, weder
etwas Auffallendes, noch bei der verhältnissmässigenBeschränkt-
T. 3, QDd Dirbsen, Mannale b. v. § 6 oehmen ia der Fonoel silTum foie
recipere das recipere im Sinne voa Versprecbea. wihrend der Letitere eod. § 4,
kuf welchen sich SJntenii, CTÜrecht II S. 696 Not. S [3. Aufl. n S. 699
NoL 8], irrthUmlich beruft, nicht ron dem salTum fore redpere, sondeni *on
recipere im Sinne der 1. J pr. h. t. Epricht. Dadarch erledigen Eich auch die
Zweifel von Schilling, Institutionen lU § 339 Nol e, f.
■ 1. 2 C. de comt. pec (4, 18) g S. J. de acl. (4, 6) und daza
Schrader. I>er gekünstelten Konstruktion Girtanner's (Die SttpolatJon
S. 169 tf.), wonach das allerdings wahncheinlich dabei lecluüiche Wort recipio
auf •Geben und sofortigen RUcliempfang , eine BethKtignng der Gdes< hin-
deutete, bedarf es hier so wenig als Überhaupt. Die Formel recijHO als ein'
seitige formelle Erklirung an die dotis dlclio erinnernd.
• I. 1 pr. g 17 de mag. con». (J7, 8). 1. 16 § z de mnner. (50, 4).
1. * § 5. I- 17 § >5 "d muncip. (50, l). 1. 67 pr. de V. O. (45. >) § 4-
J. de diT. stip. (3, )8). D. rem pupilli salvam fore (46, 6). L 8 de cnnl.
für. (17, 10).
izecoy Google
Dm wlvutn fore Tcctpere die Grundlage der actio de recepto. 437
heit des Verkehrs ein Heniamiss für diesen gelegen. Man
darf nur freilich nicht an heutigen Hotel- und Dampfschiff-
verkehr denken. Eine schlagende Analogie gewähren die
üblichen Formulare, ältere wie neuere, unserer Konnossemente,
in welchen der Schiffer erklärt, »welche vorbenannte Waare
ich gelobe, wohl gekonditioniret, wie ich sie empfangen habe,
zu liefern in — an — *; oder: »Die Ladung ist mir — in
vorbemerkter Beschaffenheit richtig übergeben worden, und
verpflichte mich ausdrücklich, dieselbe weder zu verfälschen,
noch verfälschen zu lassen, auch solche unbeschädigt, wie ich
sie empfangen habe, wieder abzuliefern, und bleibe im ent-
gegengesetzten Falle dem rechtlichen Besitzer für allen daraus
entstehenden Nachtheil — verhaftete ; oder kürzer »ich ver-
binde mich, alles, wie ich's empfangen, nach meiner glück-
lichen Ankunft in — abzuliefern* '. In den neuesten Konnosse-
menten wird diese Klausel mitunter als selbstverständlich
weggelassen, oder in anderer Form, nicht als persönliche Er-
klärung des Schiffers aufgenommen '.
Bei einem rein mündlichen Verkehr, wie der ältere römi-
sche Verkehr überhaupt und insbesondere auch der Seefracht-
verkehr war, lauteten diese Erklärungen natürlich kürzer und
beschränkten sich auf die für die Erkennbarkeit des Garantie-
willens erforderlichen Worte.
An diese Verkehrssitte kann das prätorische Edikt in
zweifacher Weise angeknüpft haben. Einmal, indem es die
volle Wirksamkeit einer solchen einseitigen und wohl nicht
schlechthin an eine bestimmte Formel und Form gebundenen
Erklärung ausser Zweifel, vielleicht auch den Umfang der
dadurch übernommenen Verpflichtung festsetzte. Sodann, und
in noch durchgreifenderer Weise, indem es, ausgehend von
dem in der Sitte begründeten ausdrücklichen Garantieversprechen
der Wirthe und Schiffer, die bezweckte Wirkung dieses Ver-
> Du erste Formular ist du iltete dentsche, irie es »der wohl ji
Scbiffer«, Hambnre 1732. S. iiz, mittheilt. Dat zweite, ein gegenwlrtig in
THatäg DDd Polen flblidiei Fonnolu ftlr die Getreidescbiffahrt auf der Weichsel.
Dal dritte, ein jetzt in Bremen gebrauchtet Fominlar fllr SegelichiBe.
* Z. B. ia den englischen, wo es von den anfgezlhlten GtUern heim;
■and are to deU*ered in the like good order and condition at the port of —
(the act of God — ntcepted) nnto — or to — «.
::,y Google
438 ^C'i receplnm Diutamin, caupamun, stabolariorani.
Sprechens an die blosse Aufnahme der Reiseeffekten und
Waaren knüpfte. Wie natürlich auch indessen diese letztere
Auffassung des Edikts in seinem Verbältniss zu den alteren
Satzungen bei dem Entwicklungsgange des römischen Rechts
und angesichts ganz unzweifelhafter ähnlicher Vorgänge' er-
scheint, so stehen doch der erstgedachten überwiegende Gründe
zur Seite. Denn nicht allein knüpft das Edikt geradezu an
die Formel salvum fore recipere an, sondern wir vermt^eo
auch in den dürftigen Resten der interpretirenden Jurisprudenz
den weiteren Entwicklungsgang zu übersehen. Mag die ur-
sprüngliche Verkehrssitte allmälig verschwunden oder lästig
geworden sein, man- gewöhnte sich daran, die Mehrdeutigkeit
des Wortes benutzend, das recipere von dem blossen thatsäch-
liehen, ganz formlosen (1. 1 § 3 h. t. vgl. mit §§ 6, 8) Akt
der Aufnahme durch die dazu legitimirten Personen (1. 3 §§ 2,
3, 5 h. t.) und das Garantieversprechen als stillschweigend
darin begriffen zu verstehen". Es war dies um so natür-
licher, als ja die thatsächliche Aufnahme sich eben auch früher
von selbst verstand. So wird in der Interpretation des Ulpian
zum Edikt:
1. 1 § 6 h. t.: Ait Praetor: quod cujus salvum fore
receperiat, hoc est, quamcuaque rem sive mercem
receperint,
das hoc est nicht als Erläuterung des quod, sondern des
ganzen vorausgehenden Satzes zu verstehen sein, ganz ent-
sprechend :
I. 1 § 8 h. t. : Recipit autem salvum fore, utrunj si in
navem res missae ei assignatae sunt, an, etsi non
sint assignatae, hoc tarnen ipso, quod in navem
missae sunt, receptae videantur,
' Vgl. meine AbhandluDg Ober den Kauf auf Probe, in der Zeitsdirift f.
d. get. HaDdeltrecbt T S, S8, 103. Die Gegenbemerknngeii Fitting'« <Zat-
scbrift II S. 303) lubsätairen, meine« Ertchtea«, mit Unrecht dei bltmen Ver-
kehrsntte dai Gewohnheitirecbt. Dann wire die ganae Entwicklung unverstSnd-
lich. Davon ein aDdermal.
* Wollte man , was oben alt mSglich bezeichnet wnrde , ichon in der
Formel wlvnm fore reciper« dai recipere al« thstiichliches An&iehEaen nr-
(tehen , so bfitte nun die Entwicklung zi*ar auch in der Subbtelligimng äa
lalTum fore, aber nicht zugleich in einer Aenderung der mil dem Wort redpote
verbundenen Bedeutung bestanden.
, CiOOglc
Dm sklvam foie recipere die Gmndlage der actio de recepto. 439
WO offenbar der ganz formlose Akt der Annahme' dem
wahren eigentlichen recipere gleichgestellt wird.
Daher nun schlechthin von res recipere, personam reci-
pere gesprochen 1. 3 pr. I. 1 § 1 h. t., auch das technische
recipere durch suscipere ersetzt wird I. 3 § 7 h. t., wie das
salvum fore recipere durch das allgemeinere custodiam reci-
pere 1. 1 § ult. h. t. So spricht denn auch Paulus R. S. II
6 § 1, falls nicht die westgothischen Kompilatoren die Stelle
vei^ndert haben, nicht mehr von salva fore recipere, sondern
nur ob ea, quae salva receperit (in gutem Zustande empfangen),
obligatur. Und die Rubrik unseres Titels lautet denn auch
nur: Nautae, caupones, stabularii, ut recepta restituant.
Eine Bestätigung der bisherigen Entwicklung dürfte das
receptum arbitrii darbieten, auf dessen höchst merkwürdige
Parallele mit unserem Institut schon oben hingewiesen worden
ist, namentlich S. 420 Note 1. Auch hier war für den arbiter
wahrscheinlich die Formel recipio technisch, bis später }ede
auch formlose dahin gerichtete Uebereinkunft genügte.
Ulpian libro XIII ad Ed.
1. 3 § 2 de receptis, qui arbitrium receperunt, ut sen-
tentiam dicant (4, 8): Ait Praetor: Qui arbitrium
pecunia compromissa receperit.
1. 13 § 2 eod.: Recepisse autem arbitrium vide-
tur, ut Pedius libro nono dicit, qui judicis partis
suscepit, finemque se sua controversüs imposi-
turum pollicetur.
So findet sich auch hier neben dem regelmässigen recipere
(1. 3 § 1. 1. 7 § 1. 1. 9 § 2. 1. 17 § 2. 1. 19 § l. 1. 21
§§ 5, 9 D. h. t.) mitunter der Ausdruck suscipere (1. 3 § 3.
1. 4. 1. 16 pr. 1. 32 § 4 h. t. 1. 6 C. eod. 2, 55). Und der
Kodextitel 2, 55 (56) hat die Ueberschrift de receptis arbitris.
Hat sich in dieser Weise die gesetzliche ' Garantiepflicht
' Denn dui die, wenigsteiu itillachwetgeDde, AnnRlime durch wiiient*
liehet EiDbringeDlaswD erforderlich *ei, ergibt Mch aniweideutig au dea Et-
Crtcrnngen Dliei die Befngnifi der Schiifilenle znr RecepüoD. 1 i §§ 3, 3 h. U
Vgl. obeD 5. 410 Note i.
> Daher kann, wie g i l>«incrkt norden itt, im hentig«n Recht d«»
receptam Dicht zu den Vertritgen geilelll werden, loadem nur lu den gCMti-
lichen (prStoriichen) Obligations*erhiltniuen. Hon wollte dem, mit nel«n
AelUren und Neueren, z. B. Peckius und Vinoiu» in tit. D. et C >d rem
,Goo!;lc
440 ^^ receptum nantarum, caaponum, lUbuIariomm.
der klassischen Zeit aus einem ursprünglich ausdrücklidien
Garantieversprechen herausgebildet, so liegt es nahe, dasselbe
mit einigen anderen, den gleichen Zweck verfolgenden Insti-
tuten zusammenzustellen, ich meine mit der Uebemabme der
Gefahr und der custodia. Diese Betracbtmig wird dazu dienen,
den im § 6 aufgestellten zweiten Satz sicher zn begrenzen.
VI. Von der Uebernahme der GefUir und der custodia.
I. Ausgeschlossen von der folgenden Betrachtung bleiben
die}enigen Fälle, wo der Inhalt der GefahrsUbematune in der
Garantie gegen die Insolvenz eines Dritten, in einer Kredit-
versicherung besteht, wie bei Bürgen, Municipalmagistraten,
Deleganten u. s. f. Ebenso die umfassende Kaution bis rebus
recte praestari (1. 71 § l de V. S. [50, 16]. 1. 21 § 2 de
aedil. ed. [2!, ij).
Für die auf Sachleistung gerichteten Geschäfte wird die
Gefahrsübemabme als allgemein zulässig anerkannt in 1. 23
de R. J. (50, 17) : sed hoc ita , nisi si quid nominatim con-
ventt, vel plus, vel minus, in singuUs contractibus, nam hoc
servabitur, quod initio convenit, und bei einer grossen Zahl
derselben in verschiedenen Abstufungen erwähnt.
So beim Depositum bald als blosse Uebernahme der
culpa, bald der culpa et periculum, omne periculum'. Beim
Kommodat'. Beim Pfandvertrag^ Beim Darleben
durch den Gläubiger im Falle des foenus nauttcum und quasi-
naadcam pertinentes comnieiitarü h. t,; Noodt, Comment. in Dig. h. t.;
Glück VI S. io6. 112, laiff.; Wolter», >. ». O. S. 2, 3. 6ff., die gani
ungegTÜndele Behauptung aufstellen, dais schon der öffentliche Gewerbibetrieb
eine lolche GanmlieÜbernahDie endialle. Daneben tritt denn auch wieder der
richtige Gedanke in Tage, dus die Aufnahme «elbct die GatantieObemahiiK in
lieh schliesse, altein Grund and hiatorischet ZuiaminenhaDg bleibt ungeaJuit
■ § a J. vi bonor. rapt. (4. *). 1. a gg 23, U D. eod. (47. »). 1. 39
mand. {17, i). 1. 1 § 35 depo». (16. 3). 1. 5 § i comiD. (13, 6). 1. 19 pr.
de hered. pet. (5, 3). I- 7 § IS de pact. {1, 14)- 1. 9 § i de duob. rri»
(45. ')■
■ !. 31 g I commod. L 1 C eod. (4, 23).
1 1. 6 C. de pign. act. (4, 24).
:.y Google
Von der Ucbemahme der GeFalir and der custodia. 441
nauticum'. Bei der Dos». Beim Kauf, und zwar beim
bedingten durch den Käufer ^, beim perfekten durch den Ver-
käufer, als Uebemahme der Gefahr für vis ac tempestas, oder
für Verschlechterung*. Auch werden Fälle von Lieferungs-
verträgen erwähnt, in welchen der Staat die See- und Kriegs-
gefahren übemahms. Bei der Conductio, rei wie operis*.
Beim Mandat^
Sehen wir ab von den wenigen Fällen, wo diese Erweite-
rung der Haftung vertragsmässig genau begrenzt oder doch
ersichtlich nur gegen gewisse Zufälle einer Garantie über-
nommen ist, z. B. gegen das Zerbrechen des zu fassenden
Steines in I. 13 § 5 locati, so tritt uns überall das Resultat
entgegen, dass die ausdrtlckliche Uebemahme der Gefahr
schlechthin die Haftung für den Zufall, und zwar für jede Art
desselben nach sich zieht, ohne alle Unterscheidung der ge-
wöhnlichen und der ungewöhnlichen Unglücksfälle".
Eine stillschweigende Uebemahme aller Gefahr liegt regel-
mässig in der aestimatio des zu restituirenden Gegenstandes'
— mit Ausscheidung der beiden Ausnahmefälle, dass die aesti-
matio den einzigen Gegenstand der obligatio bildet, imd dass
die aestimatio nur eine vertragsmässige Feststellung des nach
der Natur des Verhältnisses zu vertretenden verschuldeten
Schadens enthält".
■ Vgl, meine Untersuchungen inr 1. 133 § i de V. O. S. 6 — 9, 21. 12.
Ueb«r foenus quasi nauticum: 1. 5 pr. de tuint. foen. (aa, z), vgl. mit 1. 23
§ 2 q. m. C. (4. 2).
> 1. 6 de poct. dotaJ. (zj, 4).
J 1. 10 pr. de P. et C. (18, 6).
« 1. 78 § 3 de C. E. (18, 1). 1. I pr. de P. et C. (18, 6). Dmu die
Zeitschrift für Handelsr. I 5. 76 fr., S6, 89, loj.
i Vgl. Sueton Ckudiua c 18. LJv. 23, 49. 25, 2. Vgl. Cicero ep. ad
fam. 11, 17. Daiu Pardetsu«, Collect. 1 p. JttT.
* Rei: 1. 9 § 2 locati (19, 2); vgl. 1. 8 C. h. t. (4, 65). beschrinfct 1. 30
§ 4 locati. Operii: 1. 13 8 S eod.
^ 1. 39 mandati (17, i)- '- 3^ C de neg. geitia (a, iS [19]).
' Vgl. Gldck IV § 327; Schümann, Die Lehre Tom Schadensersati
II S. 68; Koch, Das Recht der Forderungen I S. 190, 202, 303 [2. AuH.
S. 200, 212, 213]; V. HoUschuher, Theorie und Kaniinik III S. 256 [3. Aufl.
S. 190]; Uolerholiner, SchaldTerhSItDisK I §138; Mommien, Beitrl^ I
S. 273 (f.
•> Gajus III 146. 1. 10 g 6 de jure dot (23, 3). 1. 5 S 3 coinni.
(13, 6)- I- 54 8 * lo"ti («9. 2)-
» ChambOD, Beitrlfe zum Obligationenrecfat S. 9E
,. ,,.«:,, Google
442 I^u receptum ntutanim, canponum, MabuUHornm.
II. Weniger einstimmig ist die Theorie hinsichtlich der
praktischen Bedeutung einer Ueberaahme der custodia. Viele
sehen darin eine unbedingte Uebemahme jedes casus ', Andere
wenigstens in Betreff des Diebstahls, wie der Sklavenflucht,
und der Beschädigungen *, wieder Andere nehmen dasselbe doch
hinsichtlich des EHebstahls an', wahrend Hasse geneigt ist*,
überhaupt eine juristische Erhöhung der obligatio in Abrede
zu stellen.
Dass die Uebernahme der custodia durch einen ohnehin
zur custodia verpflichteten Schuldner eine Verstärkung der
gesetzlichen Haftung zu begründen vermag, deutet Gaius in
1. 35 § 4 de C. E. (18, 1) an:
Si res vendita per furtum perierit, prius animad-
vertendum erit, quid inter eos de custodia rei con-
venerat; sinihil appareat convenisse, talis
custodia desideranda est a venditore, qualem bonus
paterfamilias suis rebus adhibet; quam si praestiterit,
et tarnen rem perdidit, securus esse debet — ,
Ausdrücklich ausgesprochen ist dieser Satz in einer Reihe
von Pandektenfragmenten und Reskripten, welche sammtlich
von einer wichtigen Art der locatio, der entgeltlichen Auf-
bewahrung in Magazinen (horrea) ', haoddt.
Bei den Missverständnissen, welche sich durchgängig an
einzelne derselben, ausser Zusammenhang mit den übrigen be-
trachteten, geknüpft haben — wie denn sogar Hasse be-
zweifelt , dass sie auf unsere Frage bezüglich seien — , er-
scheint ihre vollständige Mittheilung zweckmässig.
Paulus libro II Sententiarum in 1, 55 D. locatL
■ Sch6mann, Handbuch des ariliechts I S. 290 ff. , 1[ S. S76 S.;
Geniler im Archir f. driL Fnucis I S. 416 ff. , 476fr.; Mahlenbinch,
PandekMn % 365 Note 13; UnterhoUner, Schuldverhilmim« I § 138
Note b all Regel; ThSI, Hindelincht 3. AuO. % 77 Note 5(!> [6. Aufl.
% 268 Not. 6]; dagegen v. Löhr, Beitiige aar Theorie der Colpa S. 199,
200; Mommiea, Bntrige I S. 375.
' Braun, ErBrterungeD zaThibaut S. 153, 153, 17S; t. Vangerov,
Pandekten [7, Aufl.] I g 105.
i Fachta, Pandekten und VorletutiKen [11. Aufl.] g 366; Scbilling,
LutitatioDen III g 334 Note r.
* Kc Culpa § 9S. Klai spricht er sich darüber nicht aus.
I Ueber diese vgl. Brissonia*, Seleciae «ntiqnit. Üb. IV c. g 18;
Muther, SequeilratioD und Airest, Beilage I.
„Google
Von der Vebenuhme der Gtfaht and der custodia. 443
Dominus horreorum effractis et compüatis
horreis non tenetur, nisi custodiam eorum recepit;
servi tarnen ejus cum quo contractum est, propter
aedificiorum notitiam in quaestionem peti possuot.
Labeo, Posteriorum libro V a Javoleno epitomatorum
in 1. 60 § 9 eod.
Rerum custodiam, quam horrearius conduc-
toribus praestare deberet , locatorem totorum
horreorum horreario praestare non debere puto,
nisi in locando aliter convenit.
L. 60 § 6 eod.
Locator horrei propositum habuit, se aurum,
argentum , margaritam non recipere suo periculo ;
deinde, quum sciret, has res inferri, passus est;
proinde eum futurum tibi obligatum dixi, ac si pro-
positum fuit remissum; videtur.
L. 1 C. de locato (4, 65) = Collatio X 9.
Paulus libro Respoasorum
quinto sub titulo ex locato et
conducto :
Imp. Antoninus A. Agrip- § 1. Imp. Antoninus Julio
pino. Dominus horreo- Agrippino. Dominus horreo-
rum periculum vis majoris vel rum periculum vis majoris vel
effracturam latronum conduc- effracturae latronum praestare
tori praestare non cogitur. His non cogitur. His cessantibus,
cessantibus, si quid eztrinsecus si quid ex (de)positis rebus,
ex depositis rebus, illaesis hör- inlaesis extrinsecus horreis,
reis, perierit, f^ammim deposi- periit, damnum depositorum
tarum rerum sarciri debet. sarciri debet Prop. IV Non.
P. P. prid. Non. Jan. Anto- Nov. Antonino A. IV. (et Bai-
nino A. IV et Balbino Conss. bino) Conss.
[213]. Paulus respondit satis pro-
positam coostitutionem decla-
rare, his qui horrea locant,
majorem vim imputari non
posse.
L. 4 C de locato (4, 65).
Imp. Alexander A. Arrio Sabino. Et Divi Antonini
Pii literis certa forma est, ut domini horreorum
effractorum ejusmodi querelas deferentibns custodes
, Google
444 I^ receptam nauurata, c&uponnm, ttabulujaruin.
exhibere necesse habeant, nee ultra periculo ^bjecti
sint. Quod vos quoque adito praeside provinciae
impetrabitis. Qui si majorem anitnadversiooem exi-
gere rem deprehenderit , ad Domitium Ulpianum,
praefectum praetorio efc parentem meam, reos re-
mitiere oirabit. Sed qui domini horreorum
nominatim etiam custodiam repromise-
runt, idem exhibere debent. P. P. Cal. De<Äinb.
Alexandro A. Cons. [222].
Paulus in I. 3 § 2 de off. praef. vigil. (1, 15).
Effracturae fiunt plerumque in insulis in horreis-
que, ubi homines pretiosissimam partem fortunarum
suarum reponunt; quum vel cella effringitur, vel
amarium, vel arca, et custodes plerumque puniun-
tur, ut Divus Antootnus Erycio Claro rescripsit.
Ait enim, posse eum horreis effractis quaesttooem
habere de servis custodibus, licet in illis ipaus Impe-
ratoris portio esset.
Aus diesen Stellen ergibt sich zunächst , gegen die ge-
wöhnliche Annahme, dass unter dominus horrei, locator horrei
und horrearius regelmässig dieselbe Person verstanden wird,
nämlich der Eigenthümer des Magazins, welcher Waaren zur
entgeltlichen Aufbewahrung in demselben übernimmt. Aus-
nahmsweise ist der dominus und locator horrei nicht zugleich
horrearius ■ , indem er das Magazin im Ganzen an Jemanden
vermiethet, der nun den einzelnen Inferenten als horrearins
gegenUbertritt.
Wo nun der dominus horrei zugleich horrearius ist, haftet
er fUr custodia, also gegen einfachen Diebstahl, nicht aber
gegen gewaltsamen Einbruch und Plünderung: quia custodia
adversus vim parum proficit (1. 31 pr. de A. E. V. 19, 1^
nur muss er die Wächter zur peinlichen Frage exhibiren. Hat
er indessen die custodia noch überdies ausdrückUch Über-
nommen, so steht er auch für Einbruch und Plünderung
ein, ohne übrigens — das will 1. 4 cit. C de locato a. E.
sagen — der im Interesse der Strafrechtspflege gebotenen
Exhibition der Wächter überhoben zu sein.
Wenn aber ausnahmsweise der Eigenthümer des Magazins
■ So Tielleicht I. $6 locati. Gewjgs L 3t § i qui potiora (ao, 4).
,:,..c.y Google
Von dei Uebernalun« der Gebhi nnd der custodia. 445
nicht zugleich horrearius ist, so hat er selbstverständlich' eben-
sowenig dem horrearius (dem conductor totius horrei) als
denen, welche mit dem letzteren kontrahirt haben, custodiam
zu leisten, es sei denn das Gegeotheil ausgemacht.
Das Hauptgewicht hat man von jeher auf den berüch-
tigten § 3 J. de emtione et venditione (3, 23) gelegt:
Quum autem emptio et venditio contracta sit —
periculum rei venditae statim ad emptorem pertinet,
tamenetsi adhuc ea res emptori tradita non sit.
Itaque si homo mortuus sit, vel aliqua parte cor-
poris laesus fuerit, aut aedes totae, vel aliqua ei
parte incendio consumptae fuerint — emptoris dam-
num est, cui necesse est, licet rem noo fuerit nactus,
pretiom solvere, quidquid enim sine dolo et culpa
venditoris acciderit, in eo venditor securus est. —
Quodsi fugerit homo , qui veniit, aut surreptus
fuerit, ita ut neque dolus vel culpa venditoris inter-
veniat, animadvertendum erit, an custo-
diam ejus usque ad traditionem venditor
susceperit: sane enim si susceperit, ad
ipsius periculum is casus pertinet; si non
susceperit, securus est. Idem et in cete-
ris animalibus ceterisque rebus intelU-
gimus. Utique tarnen vindicationem rei et con-
dictionem exhibere debebit emtori, quia sane, qui
nondum rem emtori tradidit, adhuc ipse dominus
est. Idem est etiam de furti et de damni injuriae
actione.
So viel geht klar hervor, dass nach der Ansicht Tribo-
nians die besondere Uebemahme der custodia eine Ver-
stärkung der Haftung bewirken soll, und in diesem allgemeinen
Sinne ist auch der Satz idem et in ceteris rebus von uns zu
verstehen. Dass Tribonian mit demselben mehr hat sagen
wollen, und zwar etwas Unrichtiges, nämlich, dass Sklaven
und andere Objekte hinsichtlich der Verpfüchtimg zur custodia
einander gleichständen, kann freilich weder nach dem Wort-
laut, noch nach dem Zeugniss des Theophilus irgend
zweifelhaft sein'.
< Vgl. auch V. SaviEiv, Syilem I S. 3S5 Note d; Mommsen, Bei-
tilg« 1 S. 131 Note 13. Wenn Haise § 98 einwendet, dau kebe «gent-
ogic
44ö ^"^ receptuin ti*nuniiii, cftupocum, st&bnl>rionim.
Eine Verstärkung der Haftverbindlichkeit für den be-
sprochenen Fall fuhrt unsere Stelle an, indem, was sonst
regelmässig casus, d. h. unvertretbar wäre, nämlich fuga und
subreptio servi nun vertreten werden soll wegen der Ueber-
nahme der custodia. Von diesem sonst nicht vertretbaren
Ereigniss, i s casus, spricht T r i b o n i a n , keineswegs von jedem
möglichen Zufall, wie Gensler, a. a. O. S. 477 will, auch
wohl schwerlich von einem damnum injuria datum, welches
Hasse herbeizieht. Denn der Schlusssatz will nur sagen: In
allen FMlen, wo der Verkäufer nicht für furtum haftet, ist er
wenigstens zur Abtretung aller Rechte und Vortheile ver-
bunden, wie er denn insbesondere auch zur Cession der ihm
als EigenthUmer zustehenden actio legis Aquiliae verpflichtet
ist, weil er für Beschädigungen durch Hhitte überhaupt nicht
einzustehen pflegt. Will man indessen dem Schtusssatz in
Verbindung mit dem idem et in ceteris rebus noch eine be-
stimmtere Bedeutung geben, so würde daraus nur folgen, dass
bei Uebemahme der custodia eine verstärkte Haftung sowohl
hinsichtlich des Diebstahls wie der Beschädigung eintritt. —
Hiemach dürften aus den vorliegenden Quellenzeugnissen
sich folgende einfache Sätze gewinnen lassen:
1, Ueber den wahren Inhalt einer vertragsmässigen Ueber-
nahme der custodia entscheidet zimüchst der erkennbare Wille
der Kontrahenten.
2. Ist dieser nicht zo ermitteln, so muss unterBchieden
werden:
a) Es ist gesetzlich keine custodia zu prästiren. Hier hat
die vertragsmässige Uebemahme derselben die gleiche, aber
auch keine höhere Verantwortlichkeit zur Folge, als in anderen
Fällen das Gesetz auferlegt : nämlich Obhut gegen Entwendung
ohne Anwendung von Gewalt.
b) Es ist gesetzlich fUr custodia einzustehen. Die ob^-
drein vertragsmässig erfolgte Uebemahme der custodia hat
hier entweder gar keinen Sinn, ist ein bedeutungsloser Zu-
satz — was nach allgemeinen Auslegungsregeln im Zweifel
nicht angenonunen werden darf; — oder sie führt zu einer
liehe Veraclued«ah«it der Recbtuitte, soadem nur «ine faktische Vetschiedcn-
heit d«r catlodia hinsichtlich der Sklaven und anderer Objekte galt, sa ist
doch nicht m vericenncn, dass sich an diese faktische Venchiedenhät im
Resultat eine Verschiedenheit der rechtlichen Haßung anschlois.
izecoy Google
Retulute. 447
Erhöhung der gesetzlichen Verpflichtung, zu einer Haftung
auch für solche Ereignisse, welche an sich nicht imputabel,
als casus zu betrachten wären, sich dennoch aber durch Auf-
wendung ausserordentlicher Sorgfalt abwenden lassen, EHese
wird hier ausnahmsweise zur Pflicht gemacht. Natürlich lassen
sich keine Regeln für alle Fälle geben, das richterliche Er-
messen hat überall die Totalität des vorliegenden Verhältnisses
ins Auge zu fassen, unter steter Rücksicht darauf, dass zwar
Obhut, aber auch nichts mehr versprochen worden ist. So
wird denn allerdings in solchen Fällen gegen gewaltsamen
Diebstahl, mitunter auch wohl gegen Beschädigungen durch
Dritte, eingestanden werden müssen, weil und sofern durch
besondere Vorsichtsmaassregeln dem vorgebeugt werden kann;
schwerlich aber gegen Plünderung durch ganze Räuberbanden,
feindliche Heerschaaren, keinenfalls gegen in concreto unver-
meidliche Naturereignisse. Die vertragsmässige Verpflichtung
zur Obhut involvirt die Anwendung aller auch aussergewöhn-
lichen Maassregeln, welche unter den vorliegenden Umständen
geeignet und erforderlich erscheinen, um Verletzungen und
Entwendungen des zu behütenden Guts vorzubeugen; mehr in-
dessen kann auch hier nicht verlangt werden. —
VII. Resultete.
In Anwendung auf unser Institut scheint Folgendes ge-
wonnen.
Der ursprüngliche Garantievertrag des Schiffers oder
Wirths, aus welchem später dessen gesetzliche Haftimg her-
vorging, stellt sich durchaus nicht als Uebemahme zufälliger
Gefahr (periculum casus) dar, sondern lediglich als Ueber-
oahme der custodia, und wird in diesem Sinne in den Quellen
selbst aufgefasst: 1. 1 § 8 h. t.: recipere custodiam, 1. 5 pr.
h. t: custodiae nomine tenetur, 1. un. § 4 furti adv. nautas:
recipiendo periculiun custodiae subit Vgl. § 4, insbesondere
auch S. 419 Note 1.
Gehen wir nun von dem regelmässig • vorliegenden civilen
* UebrigeiK kommt et tchwerlich in Betracht, dm unter UmtlXnden nur
depositiuD oder locatio condnctio rei vorLegL Denn et hat im Edikt hinsieht-
448 ^"^ receptum nauunim, cauponain, stabulariorum.
Rechtsverhältniss einer locatio conductio operis ans, so ist hier
die Haftung für custodia schon gesetzUch begründet, daher
die weitere Garantieerklärung jene Verpflichtung zur Obhut
in dem soeben entwickelten Sinne verschärft und manche
sonst als casus betrachtete Ereignisse in den Kreis der Ver-
antwortlichkeit hineinzieht. Ist auch das Edikt älter als jene
dargestellte, durchaus der klassischen Jurisprudenz angehftige
Theorie über das pactum custodiae, und war damals der aus-
drückliche Garantievertrag auch schon antiquirt, so dass etwa
eine direkte Uefiertragung jener Theorie auf unser Institut
ausgeschlossen erscheint, so lässt sich doch mit aller Sicher-
heit annehmen , dass die klassischen Juristen den Recipienten
nicht in geringerem Grade haben haften lassen als den con-
ductor operis bei übernommener custodia, da sie einerseits die
singulare Strenge des Instituts wiederholentlich hervorheben,
andererseits sich bemühen, wie die oben angegebenen Aus-
drücke erweisen, dasselbe möglichst in den Rahmen des Rechts-
systems einzupassen. Und es war das für sie um so eher
möglich, als die Vorschrift des Edikts entweder absolut und
unbedingt zu verstehen war — wogegen sich der juristische
Sinn schon eines Labeo empörte 1. 3 § 1 h, t.' — oder
aber, wenn man einmal die unbedingte Restitutionspflicht
fallen liess, nur die Jurisprudenz eine Grenze der Verpflichtung
ziehen konnte.
Wenn also ein Schiffer in unbekannter Gegend oder an
einem Orte, wo notorisch viel gefährliches Gesindel sich umher-
treibt, ohne Noth anlegt oder doch nicht für besonders starke
Bewachung seines Fahrzeuges sorgt, so sind auch gewaltsame
Diebstähle von ihm zu vertreten. Wenn ein Wirth an der
Landstrasse oder gar im Walde keine Vorkehrungen getroffen
hat , um nöthigen Falls dem Anfalle weniger Räuber wider-
stehen zu können, so werden ihm die dabei sich ereignenden
Beschädigungen und Entwendungen allerdings zugerechnet
werden können. Wenn ein Stall, ein Magazin, in welchem
Pferde oder Reisegepäck untergebracht werden, nur mit Stroh
lieh der Haftong dcE Recipieoteo zwischen diescD verachiedenen RechtsverhUt-
aiweD kein Unleischied gemacht werden lollen, und der Hauptfall, an welchen
sich die Übrigen anschllestea, ist der de« SAUta.
■ Vgl. oben co S. 430 Note 1, namentlich die ganz iihalicben Vorgänge
beim receplum arbitrii.
oy Google
Resultate. 449
gedeckt ist, und um deswillen von einem in der Nachbarschaft
ausbrechenden Feuer ergriffen wird, während die übrigen mit
Ziegeln oder Asphalt gedeckten Gebäude unversehrt bleiben,
so ist auch das zu vertreten. Dagegen kann auch hier ver-
ständiger Weise nicht verlangt werden, dass der Wirth in
einer belebten Strasse, der Schiffer, welcher neben der Hafen-
wache vor Anker liegt, besondere Wachen gegen Einbruch
und Raub aufstelle; dass er gar, was wirklich behauptet worden
ist, den Reisenden gegen Diebstähle und Beschädigungen durch
dessen eigene Leute vertrete! Hier gilt das sibi imputaturus
quod talem elegit '. Ebensowenig begründet ist die unbedingte
Verantwortlichkeit fUr einfachen Diebstahl oder für Feuer im
Gasthause oder Schiffe selbst. Wie z. B., wenn bei einer
Strandung die Berger stehlen ? wenn sich gehörig verpackte
Stoffe entzünden, deren gefährliche Beschaffenheit und Neigung
zur Selbstentzündung bis dahin durchaus unbekannt war, oder
welche unrichtig deklarirt waren, wie z. B. Wolle, Schiess-
pulver, Chemikalien? wenn im Wirthshause die Gasröhren
platzen? wenn der Dritte, welcher einen Gast besucht, in
irgend einem abgelegenen Winkel des Hauses seine noch
glimmende Cigarre abgeworfen oder mit einem schnellzUnden-
den Stoffe absichtlich Feuer angelegt hat?
Der zweite Satz des § 6 bestimmt sich sonach dahin :
Weder findet unbedingte Haftung für damnum
und furtum statt, soweit solche nicht von den
Dienstleuten und Passagieren ausgehen, noch
auch nur die gewöhnliche, sondern eine in beiden
■ Durchaus nicht Itii e[ne solche exorbitante Haftung spricht die mehr-
fach angelogene 1. ä § l h. t. Dort wird allerdings die PSnalkla^ gegen
den Schiffer gestattet, dessen Schiffsmann das Delikt verübt hat, wenngleich
dieser Schiffsmann ein eigener Siel ave des Beschädigten ist. Aber nur aus dem
Grunde, weil die Ponalklage unbedingt füi alle Fälle der Delikte der Mano-
scliaft gegeben ist. Diese logische Konsequenz eracheiot anch nicht unbillig,
weil der Sklave des Befrachters als Schiffsmann der BolmSssigkeit und Auf-
sicht seines Herrn entzogen ist, und ihre etwaige Hirte wird gemildert durch
die ansdrücklich hervorgehobene Möglichkeit des R^resses, welchen der Schiffer
gegen den Herrn entweder mit der NoEslklage oder aus dem etwa voriiegendea
Kontraktsverhältniss nehmen darf. Vgl. auch I. nn. § 5 furti adr. nautas.
Uebrigens kommen sogar Erweitemogen dieses Edikll vor I. 7 § 3 h. t., und
die Deliktsklage wird iwar nicht de pecnho, aber doch quod jossu gegeben.
1. 7 § ult. h. t.
Goldicliniidt, Tenuiidite Sctariftan. n. 39
itizecy Google
450 ^^ receptum nautarum, cauponuni, ilabnUriorum.
Beziehungen verstärkte, deren Umfang, unter
Berücksichtigung des Grundgedankens unseres
Instituts und der bezweckten strengen Haftung,
der Richter im einzelnen Falle nach vernünftigem
Ermessen zu bestimmen hat. Nur was darüber
hinausliegt, ist nicht vertretbarer Zufall: vis
major, damnum fatale im Sinne unserer Lehre.
VIII. Prozessualisches. Der Beweis.
§ 10.
I. Der Schiffer hat die Ladung in unversehrtem Zustande
abzuliefern. Ihn trifft die Beweislast, dass er durch ein, nach
den Regeln unseres Instituts nicht vertretbares Ereigniss dazu
ausser Stand gesetzt sei. Vgl. oben zu S. 421 Note 1.
Aus der Zahl der nicht vertretbaren Ereignisse scheiden
schlechthin aus' sowohl seine eigenen und seiner Leute
Handlungen und Unterlassungen , wie die beschädigenden
Handlungen der Passagiere.
Dagegen erscheinen als nicht vertretbar:
1. Naturereignisse und Handlungen anderer als der ge-
nannten Personen, welche, ungeachtet aller irgend möglichen
und durch die Umstände gebotenen Vorsicht, weder abzu-
wenden, noch abzuwehren, noch in ihren schädlichen Folgen
vermeidlich waren. Vgl. oben S. 426 Note 1, 2. Dabei genügt
nicht die nackte Erweisung der zur Entschuldigung auf-
gestellten Thatsachen, sondern es müssen auch die Umstände
dargelegt werden, unter denen sie sich ereignet haben, um
dem Richter die Möglichkeit einer Ueberzeugung hinsichtlich
der Entschuldbarkeit zu gewähren ». Die Natur des fraghchen
Vorganges ist, wie oben S. 427 Note 1 angedeutet wurde,
hierbei nicht ohne Einfluss. Denn, wenn Ereignisse dieser
Art in der Regel unabwendbar und unvermeidlich sind, so
wird allerdings der Gegner replicando erweisen müssen, dass
im vorliegenden Falle dennoch nur Verabsäumung möglicher
Sorgfalt den Schaden bewirkt hat^
■ Vgl. jetzt auch Koch, Eiienbihnen II S. 410.
' EinvcrtUuideD damit Koch, a. a, 0. S. 420.
1 L. 3 9 I h. [. Vgl. Mommsea, Beiträge I S. 136; Koch, a.a.O.
S. Z76ff., 420; PacdetstLS, Coors de droit commercia] Nr. 543; Alaaiei,
,Goo!;lc
Pruzessualisches. Der Beweis. 451
2. Ereignisse, welche lediglich auf eigene Schuld des
Reisenden oder Befrachters zurückzuführen sind, z. B. auf
schlechte Verpackung der Waare, nach der allgemeinen Regel .
der 1. 203 de R. J. (50, 17): Quod quis ex culpa sua damnum
sentit, non intelligitur damnum sentire'.
3. Innerer, auch bei gehöriger Vorsicht nicht abwend-
barer Verderb oder natürlicher Abgang der Waare'.
Dass übrigens der dem Schiffer obliegende Beweis nur
nach den Grundsätzen der I. 26 C. de naufr. (11, 5) durch
Verklarung erbracht werden könne,, wie Pardessus, Coli. I
CommenUire da Code de commerce Nr. 46S; Entscheidungen dea Ober-
appellalionsgerichls zu Lübeck (bei Thöl, EntscheidungsgrOnde Nr. ait ;
Senffert'B Archiv IV Nr. 100, VII Nr. 31, XI Nr. 84; ZeiUchrift für
Handelirecht I S. 573 ff.); Dresden (Seufferf» Archiv I Nr. 338, 11 Nr. 49,
VII Nr. 12$, VIII Nr. 48); Dekrete de» btemischen Handelsgerichts vom
19. Mai 1855 and 6, April 1854 (Schletter's Jahrbücher II S. 318);
Sammlung einiger nünibergischen Handelsrechtsgenohnheilen, Nürnberg 1846,
S- 34—38 paaüm.
■ L. II § II. 1, 45 § I de A. E. V. (19, i). I. 13 g 8 de aedil. ed.
(ZI, 0- 1- ^9 § '■ !. 55 pr- i. 5Ö §§ i. 3- 1- 66 pr. de evict. (31, 2).
I. 63 (61) §§ 5, 7 de furtis (47, a). Consolato del mare c. 21 (Pardessus, Col-
leclioQ II); Hambui^er Statut von 1603 JI, 14 Art. 34; A.L.R. I, 6 g§ 18 ff.,
II. S §§ 447i 451: holllind. Handelsgesetzbuch Art. 345; vgl. die Entschei-
dungen des Oberappellalionagerichts lu Dresden (Seuffert 's Archiv II Nr. 49,
VII Nr. 325, VIII Nr. 48), Stuttgart (eod. VII Nr. 40, III Nr. 166), Lübeck
(eod. IV Nr, 114). Andere Urtheile bei Kncli, Eisenbahnen, Anlagehefl
b. 331 ff., 154 ff.. 305 ff.; Mittermaier, Deutsches Privalrecht II § 540;
Beseler, Deutsches Friratrecht Ilt 5. 355 [4. Aufl. II 5. iioz]; Pardessas,
Coan de droit commercial Nr. 545; Alauiet, a. a. O.; Vincens, Exposition
raisonnfe t. I p. 623; v. Kaltenborn, Grundsfitte des praktischen europE-
ischen Seerechts I S. 340 ff., 373ff.; Koch, Eisenbahnen 11 S. 33, 133,
28Sff.. 431; Beschorner, Das deutsche Eisenl>ahnrecht S. 344.
» L. 13 § 5. 1. 33. 1. 625 vgl mit l. 15 § I looti (19, a). 1. 14 § I
depowti (16, 3). I. 27 g 39 ad 1^. Aquil. (9, 2). 1. 24 §§ a, 3 de damno
inf. (39, 3). Consolato del mare c. 324; A.L.R. 11, 8 g§ 1734, 1886; Code
de commerce art. 103, 310; holländisches Handelsgesetibuch Art. 343; spa-
niichei Handelsgesetzbuch Art. 3oS; portugisisches Handelsgesetzbuch Art. 178;
brastlianisches Handelsgesetzbuch Art. loz ; Oberappellationsgericht in LUlieck
(.fieuffert's Archiv tV Nr. 114, VII Nr. 310); bremisches Handelsgericht
(Schletter's Jahrb. II S. 318); hambargisches Handelsgericht (Ullrich,
Sammlung von seerechtlichen Erkenntnissen des Handelsgerichts in Hamburg,
I. Heft, S. 68, 143); Oberlnbansl zu Berlin (Striethorsi's Archiv XXXII
S. 344 ff.); Mittermaier, a. a. O.; Beseler, a. o. O. ; v. Kaltenborn,
n. a. O.; Hey«e, Handelsrecht S. 371; Koch, Eisenbahnen JI S. l84ff.,
228 ff., 354 ff.
:: .,= „Google
452 ^^ receptam nautanioi, «iiponum, sMbuIariürum.
S. 87 Note 7 behauptet, ist nicht einmal nach den Grund-
sätzen des heutigen Seerechts begründet, wenngleich die Ver-
klarung regelmässig genügt und von den Interessenten verlangt
werden kann ".
Schliesslich mag noch bemerkt werden , was selbst
V. Savigny bei seiner Aufzählung der actiones arbitrariae
(System V § 223) übersieht, dass die actio in factum de recepto
eine actio arbitraria war. Dies ergibt nicht allein nicht die
Formel des Edikts »nisi restituent«, sondern bestärkt auch die
Analogie der verwandten actiones depositi und locati. Daher
hier die Feststellung des klägerischen Interesses durch Wür-
digungseid schlechthin zulässig ist '.
II. Die heutige Anwendbarkeit der prätorischen Straf-
klagen ist im § 2 erörtert worden. Sie sind gegen die Erben
nur bis auf den Betrag der Erbschaft zulässig und erfordern
den Nachweis des Klägers, dass Dienstleute des Schiffers oder
Wirths oder Inständige Bewohner des Gasthauses die Urheber
des darzulegenden Verlustes oder Schadens sind, und dass
das Delikt an den im Raum des Schiffes, Wirtbshauses, Stalles
befindlichen Personen oder Sachen begangen ist.
DL Aussßhliessung und Beschränkung der Haftung.
§ u.
Es ist neuerdings, namentlich in der Praxis der rheinischen
und französischen Gerichte, den Regeln des receptum und
den aui der Theorie des receptum beruhenden Normen
neuerer Gesetzbücher ein absoluter Charakter beigemessen
worden, dergestalt, dass jede Ausschliessung oder Beschränkung
dieser Haftung unzulässig sein solle'. Von entgegengesetzter
' Vgl. V. Kaltenborn I S. 172 ff., II S. aagff.
» *. Vangerow, Pandekten I g 171 [7. Aufl. ehd.J; Wetiell, System
des Civilproiesses [3. Aufl.] g 38; Mammsen, Beililige II S. zjgEr., auv
drücklich schon im Edict Theodorici cap. 119 (vgl. oben S. 410 Nole 3).
3 Vgl. Gilbeit zu Code civil i;g3 ff. not. 7, 8, 16; in Code de
commerce loj. not. 1, i, 3, 6, Die franiösischcn Schtirtsteller aatenchuden
indessen mitunter zwischen gewöhnlichen Frachtfahrern und den monopoÜBiteo
iOgIc
Ausschliessung and Beachränltung der Haftung. 453
Seite hat man sich, wie auf die allgemeinen Regeln des
Civilrechts, so insbesondere auf 1. 7 pr, nautae berufen. Es
schweben sodann Streitfragen über die Art der Ausschliessung,
ob einseitige Protestation des Rezipienten, und zwar noth-
wendig vor oder auch nach der Rezeption, genüge, oder ob
ausdrückliche Uebereinkunft erforderlich sei ', — Fragen von
grossem, praktischem Gewicht, namentlich für den Land-
transport, welchen man ja häufig den Normen des receptum
unterstellt, und für das Verhältniss des Wirths zu den Gästen,
von geringerem für den Schiffstransport, weil hier eine koa-
stante Praxis vorliegt, und die übliche Zeichnung und An-
nahme des Konnossements Existenz und Inhalt einer vertrags-
mässigen Uebereinkunft regelmässig ausser Zweifel stellt.
TruupoitansUlten , [ndem sie bei ersteren wenigstens einen aasdrUcklichen
Vertrsg gelten lassen. Vgl. Huttcau, Tralti du contrat de lonage de» voi-
turien (Paris l8o6, im AnhaDg zu Pothiei, Trailj du contrat de loaage) p. 407,
408; Pardeasus, CoQrs de droit commercial nr, 543, 553; Alsuiet, Com-
mentaire du Code de commerce ar. 464, 467; Clamageran, Du louage
d'JDdastrie, du mandat et de la commission. Paris 1856 nr. zzo, 223, 324;
Ha>s6 und Vttgi, Le droit civil frangais par K. S. Zach^riae, tradult,
■nnotf etc. t. IV. § 709 not. lo, 11, 16. Unter den deutschen SchriftEtellern
nur Beichorner, Das deutsche Eisenbahnr. S. 240 fT., 261 S., nnd im Arch.
f. dvil. Praxis Bd. 41 5. 393 ff.; Voigt in der Deutschen Vierleljahnschiift
1859 Nr. 85. Dagegen meine Bcmerltungen im Archiv f. dvil. Praxis Bd. 41
5. 406ff. (Urtheile deutscher Gerichte S. 410 Note 6); Bessel und KUbl-
wetter, Das preussische Eisenbahnrecht II S. 211 ff-, und namentlich Koch,
Eisenbahnen II §§ 7, 9, II, 13. 15, und da« Anlage XXVI S. 307 ff. mit-
getheilte Unheil des Obertribnnals zu Berlin v. 6. Juli 1858; BTinckmaan-
EndemanD, Lehrbuch des Handelsrecht! § 114 Note iS, % 117 Note S— to.
Uebei die hSußgen Klauseln der Konnossemente : v. Kaltenborn , GrundsStie
des praktischen europfiisclien Seerechls I S. 34s, 374, 375; Voigt jun. im
Henea Archiv f. Handelsrecht I S. 487 ff. Ueber englisches und amcrikaniiches
Recht: Smith, Compendium of mercantite law. 6. Aufl. S. 287 ff., 307 ff.
[9. Aufl. S. 283?., 303 ff.]; MittermaieT im Archiv f. dvil. Praxis Bd. 41
S. 415 — 417. Ueber die einscfalfigigen Bestimmungen des Entwuifi de* deutschen
Handelsgesetibnchs; Meine BemerliQngBn im Archiv, Kritik des Entwürfe bei
Koch a. a. O. S. 319 ff., und Kompe, Der Entwurf eines allgemeinen
deatscbeo Handeligeaetztuchs. Regensbnrg 1S59 S. 30 ff. Uebei das Ztlrcbe-
rische Geselsbuch vgL unten S. 459 Note 3.
' Vgl. Muller, Ueber die actio de recepto S. 3», 33; Puchta, Vor-
lesuDgen II § 314; Seuffert, Pr«kt. Pandekteor. II g 40S; S. 29a A.L,R.
II 8, §§ 448, 4SO-
izecoy Google
454 I^ reeeptum nautarum, canponnm, stibDlariornm.
I. Für die erste Frage gewährt 1. 7 pr. nautae aller-
dings keine direkte Entscheidung. Die hierhin gehörigen
Worte Ulpian's:
Item si praedixerit , ut unusquisque vectorum res
suas servet , neque damniun se praestiturum , et con-
senserint vectores praedictloni, non convenitur.
beziehen sich auf den vorhergehenden Passus:
Debet exercitor omnium nautanun suorum, sive
liberi sint sive servi, factum praestare. Nee immerito
factum eorum praestat, cum ipse eos suo pericnio
adhibuerit; sed non alias praestat, quam si in ipsa
nave damnum datum sit: ceterum, si extra navem:
licet a nautis, non praestabit.
Sie gehören, wie die ganze 1. 7, nicht der Lehre vom
receptum, sondern dem Institut der prätorischen Strafklageo
an, dessen Theorie in § 2 dargestellt worden ist Die prae-
dictio mit nachfolgendem consensas schliesst hier nicht die
gesetzliche Garantieverpflichtung gegen Entwendung und Be-
schädigung aus ', sondern befreit von der sonst obliegenden
unbedingten Vertretung der Dienstleute, Die praedictio ut
unusquisque vectorum res suas servet« trifft femer nicht direkt
die gleichfalls der Theorie des receptum unterliegenden Fälle',
in welchen ein reiner Waarentransport stattfindet.
Dass diese mögliche Beschränkung der Verbindlichkeit
eben nur hier, und nicht auch bei der actio de recepto er-
wähnt wird , erscheint keineswegs zufällig , vielmehr selbst-
verständlich, sofern anders wir das wahre Wesen des receptum
in einem ursprünglich ausdrücklichen, später subintelligirten
Garantieversprechen zu erblicken haben. Garantieversprecheo
und Ausschliessung der Garantie sind unverträglich — mit
der Ausschliessung der Garantie hört das Verhältniss auf,
unter die Theorie des receptum zu fallen, und unterliegt
lediglich den Normen des civilen Vertragsverhältnisses, unter
welchen es abgesehen von dem saivum fore recipere steht'.
' Deren Eiistenz hier vOUig irrelevant ist: 1. un. § 3 furti adv. i
Vgl. ob«n % 3.
* Vgl. oben S. 404 Note 3.
3 VgL oben S. 405 ta Note 3.
tizecy Google
Ausscblieisung; und BeschtinkuDg der Haftung. 455
Andererseits ist unverkennbar die 1. 7 cit. für unsere
Lehre nicht ohne Bedeutung. Denn wenn schon die Stellung
in demselben Titel für die analogische Anwendung derselben
auf das receptum spricht, so muss weiter berücksichtigt
werden, dass die actio de recepto mit der Ponalklage nicht
allein die äussere Quelle, das prätorische Edikt, sondern auch
das rechtspoHtische Motiv — die Verstärkung des Verkehrs-
schutzes gegenüber gewissen Klassen von Gewerbetreibenden —
gemein hat. Gestattete nun die Praxis sogar den Strafklagen
gegenüber, deren absoluter Charakter am ehesten angenommen
werden durfte, eine vertragsmässige Beschränkung, hat sie
also sogar diesen den absoluten Charakter entzogen, so wäre
die Aufrechterhaltung desselben für die Geschäftsklage eine
reine Anomalie gewesen, um so mehr, da, wie oben gezeigt
worden ' , die Jurisprudenz der scheinbar unbedingten Regel
des Edikts gegenüber eine mildere Interpretation zur Geltung
gebracht hat, — während das Verbot jeder vertragsmässigen
Beschränkung eine nur ihr zur Last fallende Schärfung
gewesen wäre. Ist nämlich die geschichtliche Entwickelung
unseres Instituts von uns richtig dargestellt worden, so hat
nicht schon das Edikt, sondern erst die Jurisprudenz die
Selbstverständlichkeit der Garantieverpflichtung eingeführt ".
Zuvor also bedurfte es gar keiner Ausschliessung, sondern
nur der Nichtübemahme. Soll nun die Jurisprudenz nicht
allein dies Verhältniss umgekehrt, sondern noch weiter sogar
die Möglichkeit der Ausschliessung für alle Zukunft verneint
haben? ! Zur Annahme einer so gewaltsamen Aenderung
des bisherigen Rechts nöthigt uns nichts. Nirgends eine
Andeutung von der absoluten Natur unseres Instituts ', da-
gegen vielmehr die bedeutsame Analogie der POnalklagen.
■ Vgl. ob«n S. 420 Note i und % 9.
' Vgl oben S. 438 Note 1 ff.
i Auch nicht etwa der Satz der 1. i §1 h. t. : ne quitquam put«t
graviter hoc adversus cos constitutum; num est in ipsorum arbitrio, ne quem
recipiant, etc. Denn derselbe will keinejwegi sagen, dass zwar die Eingehung
des Verhältnisses in ihrem Willen liege, der rechtliche Inhalt des einmal ein-
gegangenen Verhältnisses dagegen absolut feststehe— sondern narr Eatschliesseii
^ie sich zur Eingehung des VerfaSItnisses , so mOssen sie auch die rechtlichen
Folgen desselben tragen, — ebenso wie 1. 5 C de O. et A. (44, 7) — also
einseitige willkürliche Entziehung ist ausgeschlossen, keinesw^s aber noch
OOQ
456 I^ai leceptum nauurum, cauponum, siabuloriurum.
Auch die mehrtach angeführte 1, un. g 4 D. furtiadv. nautas:
Quodsi receperit saivum fore caupo vel nauta, furti actioncm
non dominus rei subreptae, sed ipse habet, quia recipieado peri-
culum custodiae subit — will wohl keineswegs nur die gewiss
seltenen Fülle treffen, in denen Güter ganz ohne Wissen und
Willen des Schiffers oder Wirths eingebracht sind, deutet
vielmehr auf das häufige Vorkommen vertragsmässiger Aus-
schliessung der Garantie'.
So bleibt es denn auch hier bei der allgemeinen Regel.
welche derselbe Ulpian in 1, 23 de R. J. (50, 17) ausspricht:
Contractus quidam dotum malum dumtasat reci-
piunt, quidam et dolum et cutpam — sed haec ita, nisi
si quid nominatim convcnit (vel plus, vel minus) in
singulis contractibus : nam hoc servabitur, quod initio
coDvenit (legem enim contractus dedit) — .
und auch sonst mehrfach ausgesprochen und angewendet
wird ' , entsprechend der oben besprochenen vertragmässigen
Erweiterung der gesetzlichen Haftung. \"gl. {; 8. Und es ist
kein Zweifel, dass diese allgemeine Regel auch diejenigen Fülle
umfasst, für welche die Voraussetzungen der 1. 7 pr. nautae
nicht zutreffen, den blossen Sachentransport
II. Die zweite Frage dagegen wird durch unser Fragment
direkt entschieden. Ulpian erfordert praedicere und con-
sensus, und für die Ausschliessung der actio de recepto
offenbar nicht minder, als für die Beseitigung der POnalklagen.
Praedicere bezeichnet eine der Vertragsschliessung
vorausgehende Erklärung, gerichtet entweder an jeden
einzelnen Kontrahiningslustigen, mündlich oder durch Zirkulare,
oder altgemein an alle durch öffentlichen Anschlag in oder
AbSnderung durch Vertrag. Nehmen wir dqd gar das recipere in seiner ur-
iprttnglichen Bedeutanf als Garantkversprechen , eo ist die Unmöglichkeit dci
CDtgegergegeliten Auilegung klar, weit ja nur Aat (freLwillige) Versprechen
über den Inhalt der VerpflichtuDg entscheidet.
■ Ungeachtet also die 1. 7 pr. h. t. nicht direkt unserer Lebte angeböil,
ISut sich deren Benutzung in der hier veriuchten Weise um deswillen achwei-
lieh mit Radorf [ROmischi: Rechtsgeschichte II % loS Note 12) all *dn
Irrlhum der Neueren« beieichnen.
> 1. I §g 6, 10, depositi (16, 3). 1. 60 § 6 locati vgl. aatea S. 457-
1. 55 § 4 1. 71 pr. de C. E. (i8, 1). 1. 7 § S- I- 37 § 3 d< P"t« (=. MJ-
I. 6 de pactis dotal. (2J, 4). 1. 27. § 29 ad ]rg. Aquil. (<}, z).
o;;lc
A ussch Hess Uli g und BeichrSnkung der HafLung. 457
vor dem Vertragslokal, durch Insertion in die öffentlichen
Blätter u. dergl. m.".
Eine praedictio in diesem Sinne wird häufig erwähnt, sei
es um den Umfang der gesetzlichen Verpflichtung zu mindern ',
sei es, um einer gesetzlichen Pflicht, deren Vernachlässigung
zu einer umfassenderen Haftung ' , oder zur Befreiung des
Schuldners < führen würde, Genüge zu thun.
Je nach dem Zwecke der praedictio genügt schlechthin
die unzweifelhaft einseitige Erklärung, oder es ist weiter noch
die wirkliche Zustimmung der etwa Benachtheil igten erforder-
lich. So erfordert consensus auch die lehrreiche 1. 60 § 6
locati :
Locator horrei propositum habuit se aurum argeo-
tum margaritam non recipere suo periculo ; deinde
cum sciret bas res inferri, passus est: proinde eum
futurum tibi obligatum dixi, ac si propositum fuit
remissum videtur.
Labeo geht offenbar davon aus, es sei vielleicht zweifel-
haft, ob der Einbringer der Kostbarkeiten den Anschlag ge-
lesen oder dessen nicht ganz zweifellosen Sinn richtig verstanden
habe, er habe vielleicht auch gedacht, dass der horrearius
sich anders besonnen. Sache des letzteren wäre es gewesen,
' Proponere, proscribere, nicht allein für Geselle, Ediltte und deren In-
halt, wie Klagen, Exceplionen a. s. f., sondern auch fUr FrivaterklSruDgeD.
1. t § lo depDsiti: Sequcmur tarnen, ut Pomponius ixt, aut quid habuenint
proscriptum, Kut quid conveneriL 1. 34 § l de Etatul. (40, 7) : prosciibat-aut
etiam literis ad eum missls palam facUc. 1. II §§ 3 — 4 de instit. act. (14, 3).
1. 60 g 6 locati (19. 2). 1. 4 § 6 de dainno iaf. (39, ■2).
' Gajui IV. 136. 1. 60 g 6 locati.
) Nach den Regeln des ädilitischen Edikts : praedicera oder pronuntiare.
I. I § I. 1. 17 § 19. 1. 31 § I. I. sa de aedil. ed. (ll, 1) vgl. 1. 15 § l
de «Utul. {40, 7)- I. 26 § 7 mandati (17, l). Ferner I. 7 pr. qui »itisdare
cog. (3, 8).
4 Gajua IIT. 123, Pfoiesaualisch von Seiten des PrStors oder dei
Kiägeri behufs einer praescriptio : I. 48 § 7 de aedil. ed. (21, l). 1. 7 § 2
de heced. pet. (5, 3). Profiten. Cod. Gregor, XII, (Hänel p. 37). Im Sinne
von ansagen, rathen, befehlen, warnen, findet eich praedicere z. B. bei Corne-
lius Nepos Them. VII, 15 und bei Vellejus Paterculus II. 82. 2. II. 57, i.
Dagegen mebr juristisch, lum Zweck einer Erhöhung der rechtlichen Haftung,
in dem bekannten Bericht über Mnmmius bei Vellejus Patercul. I. 13, 4:
jnberet praedici conducentibus, M eas perdidissem, novas eos leddituros.
•OOQ
458 Das Tcccptum Daularom, cauponam, EtabDlarionim.
durch eine ausdrückliche unzweideutige Erkiäning jedem
Zweifel über seinen Willen vorzubeugec.
In welcher Weise die Zustimmung erfolgen müsse, ist
nicht weiter bestimmt. Selbstverständlich genügt auch dne
stillschweigende, sofern nur die Umstände eine solche unzwei-
deutig ergeben.
Damit erledigt sich die bekannte Streitfrage, ob ein An-
schlag im Gasthofe oder gar erst im Gastzimmer zur Ab-
lehnung der Verantwortlichkeit genügen könne. Der Wirth
mag beweisen, dass der Reisende jenen Anschlag bereits vor
seiner Aufnahme in den Gasthof gekannt und nicht protestirt
habe'. Ebensowenig würde eine Notiz der Art auf dem
erst nach Abgabe des Reisegepäcks ausgehändigten Gepäck-
scheine genügen, sofern nicht durch die Gesetzsammlung publi-
zirte oder doch vor dem Bureau, namentlich der Kasse höchst
offenkundig angeschlagene Reglements die Beschränkung aus-
sprechen '. —
Ein solcher Vertrag kann übrigens eine engere und eine
weitere Bedeutung haben. Eine engere, dass nur die Haftung
ex recepto ausgeschlossen sein, dagegen die weniger um-
fassende aus dem civilen KontraktsverhSltniss bestehen bleiben
soll'. Eine weitere, dass gar keine Verantwortlichkeit be-
stehen bleibt — dolus natürlich ausgenommen*. Ist die
Haftung allgemein ausgeschlossen, so dürfte Letzteres anzu-
nehmen sein '.
An der Beweislast ändert ein solcher Vertrag nichts*.
■ Allerdioga Itaiin unter Umsltlndeii es als VerschuldunE de» Reisenden
erscheinen . dosa et die vom Wirth durch den ihm bekannt gewordenen An-
schlag dargebotene Gelegenheit zur siclieren Verwahrung seiner EfTekten nicht
benntil hat. Von diesem Standpunkt aus liesse sich das Urlheil in Seufferl's
Archiv X Nr. i6j rechtfertigen.
* Ita Dt de plnno legi possit.
3 Vgl. BlStter fUr Rechtsan Wendung in Bayern B. 17, S. 198.
* Ob auch lata culpa? Gegen die bejahende, innerlich gewiss begrSe-
dete gemeine Meinung v. Wächter, WBrttemberg. Privatrecht II S. 791
Note 19, 20.
s Argum. I. 17 § 19 ad leg. AquU. (9, 2). Nicht entgegen 1. 47 pr. de
peculio (15, 1), weil die Haftung pecoiio tenus unabhfiagig von dem WÜIen
des Gewalthabers einliitt.
*■ Koch, Eisenbahnen II S. £9, 315, 42t, 421.
::,y Google
Anischlieisung und BeschrSaknng der Haftung. 459
Neben dieser völligen Ausschliessung jeder Haftung sind
weniger umfassende möglich und Üblich, z. B. es solle nur für
(erweisliche) Schuld des Rezipienten oder seiner Gehülfen, es
solle nur für gewisse Schäden, z. B. nur für Seegefahr, oder
nicht für gewisse Schäden' eingestanden werden; es solle im
Falle einer Ersatzverbindlichkeit nicht das volle Interesse,
sondern nur ein gewisser Maximalsatz vergütet werden u. dgl, m.
Die Beweislast wird in diesen Fällen nach der Art der Be-
schränkung zu regeln sein. So trifft dieselbe den Befrachter,
wenn nur für gewisse Schäden, oder nur für erweisliche
Schuld der Dienstleute gehaftet werden soll, oder wenn mit
der Klausel ^Inhalt unbekannt* gezeichnet, oder etwa be-
stimmt ist, dass »jeder Feuers- und Wasserschaden als
von unwiderstehlicher Gewalt herrührend erachtet werden
soll.. —
Wie weit die hier entwickelten Grundsätze auch bei den
Dampfschifffahrts- und Eisenbahnuntemehmungen , deren Be-
urtheilung nach der Theorie des receptum vorausgesetzt,
wegen ihres faktischen Transportmonopols Anwendung finden,
soll hier nicht untersucht werden'. Mir scheint gewiss, dass
das faktische Monopol und sonstige Privilegien dieser An-
stalten vom Standpunkt des geltenden Privatrechts
ohne jedes Gewicht sind , und dass Rechtsnormen, welche an
sich der Abänderung durch den Willen der Betheiligten
' Z. B, nicht für Gasseilicb nichterkeiinbare BescbSdtgungen, fUr Genichts-
defekle u. s. f. Dahin gehören auch die öblichen Konoossemeolsklauseln »frei
von Bruch, Leckage, Rost«. »Inhalt, Gewicht, Maass, SiQckzabl unbekaanl«,
•frei TOD Beschüdigung' u. s. f.; BUsch, Darstellung der Handlung It
S- 3S7. 370 (Zui, S8). Näheres in den auf S. 452 Note 3 angeführten Schriften.
Vgl. auch Entwurf ciaea Handelsgesetzbuchs f. d. preussischen Staaten
Art. 485, 497. Deutseber Entwurf erster Lesung Art 524, 545, 546 und
daiflber die eingehenden BeralhoDgen , Protokolle (ofliuelle Folioaasgabe)
S, 2213 — M16, m6o— 3301.
' Vgl. die auf S. 452 Note 3 angeführte Lileiatur, und mein Gut-
achten über den Entwurf eines deutschen Handelsgesetzbuchs nach den Be-
schltlssen zweiter Lesnng: Zeitschrift fitr d. ges. Handelsrecht IH. Beitage-
heft S. 109 — 112, Gesetilicb enttchieüen und iwar in dem hier entwickelten
Sisne ist die Streitfrage nur in dem privatrechtlichen Gesetzbuch für den Kajilon
Zürich, zwar nicht ausdrücklich, allein nach Inhalt der Kommissionsberathongen
zu den §§ 1655, 1668, 997, looo. Vgl. die Ausgabe desselben mit Erllute-
rungen Ton Bluntschli, Bd. HL (Zürich 1855) S. 543, 549.
::,y Google
460 Dm receptuni nantarum, citapununi, alabulariorum.
unterliegen, durch hinzutretende Gesichtspunkte der Art nicht
zu Zwangsvorschriften werden, ihre Ausschliessung nicht als
Verstoss gegen öffentliches Recht oder Grundsatze der Sitt-
lichkeit erachtet werden könne.
X. Heutlg^e Geltung der actio de recepto. Beiträge
zur Geschichte der Rezeption, insbesondere im Seerecht.
§ 12.
Die römische Theorie des receptum ist unzweifelhaft in
di^ Praxis und die Gesetzbücher des abendländischen Europa
übergegangen, und insbesondere ein Bestandtheil unseres ge-
meinen deutschen Rechts geworden. Die Miss Verständnisse,
deren Aufhellung die vorstehenden Erörterungen bezweckten,
vermögen die volle Geltung der richtig verstandenen römischen
Regeln nicht auszuschliessen, zumal sie weniger die praktischen
Resultate, als die dogmatische Konstruktion und systematische
Stellung unseres Instituts betreffen. Anders verhält es sich aller-
dings mit den zu S, 420 Note 3 und S. 421 Note 1 bemerkten Miss-
verständnissen sehr vieler Aelteren, da diese auch zu praktisch
durchaus abweichenden Ergebnissen und zu einer voUkommen
irrigen Grenzbestimmung zwischen der Theorie des receptum
und den bloss civilen Kontraktsverhältnissen führten. Haben
nun auch diese irrigen Ansichten in die Partikularrechte riel-
fach Eingang gefunden, so kann doch von einer gewohnheit-
lichen Fixirung des Inhalts der römischen Quellen zu keiner
Zeit gesprochen werden, um so weniger, als die verbreiteten
IrrthUmer nur als Ausflüsse weitergehender Missverständnisse,
namentlich über die Theorie der culpa erscheinen. Es wird
also genügen, dass man den römischen Quelleninhalt hat
adoptiren wollen , wenn auch erweislich nur die Haftung
für levissima culpa eingeführt worden ist. Dies ist nament-
lich überall da anzunehmen, wo Schiffer, Wirthe und Fuhr-
leute nach durchaus gleichen Grundsätzen behandelt werden'.
■ Siehe unien S. 468 Note i, S. 469 Note 4—6, S. 47» Note i,
S. 4S1 Note 3, a. 483 Note 3, 4. So bemerkt aur.h Hutteaa, Du
coDtrat de looüge des voituriers. (Paris 1806, im Anhang m Pothier, Tnütj
du contrat de louage) p. 37a. -Cetle al^nil£ enire c« trois sorte« de pcisoDoe
I-Ieulige Gellimg der actio de recepta. 461
Gegen dieThatsache der Rezeption ' würden selbst gewichtigere
innere Gründe nicht entscheiden, als mitunter gegen die gemein-
rechtliche Geltung der romischen Theorie aufgestellt sind,
z. B. dass die anomalen (!) Grundsätze des receptum über die
Beweislast unangemessen seien , dass auf unsere Wirthe und
Schiffer die Motive des prätorischen Edikts, nämlich deren
ausgezeichnete Schlechtigkeit, nicht zuträfen, dass bei uns die
Obrigkeit durch die regelmässige Konzessioosertheüung dem
Publikum allen erforderlichen Schutz gewähre, und der-
gleichen mehr.
Ohne hier die Geschichte der Rezeption in ihrem ganzen
wenig erspriesslichen dogmengeschichtlichen Detail zu ver-
folgen, mag es genügen, auf einige, besonders für die Ent-
wickelung des europäischen Seerechts bedeutsame Thatsachen
hinzuweisen.
Unter den zahlreichen Seerechtsquellen des Mittelalters
(naula«, caupones, slabularii) a 6li adoptä dans noa mceurs. La jurisprudence
des parlemenls, Celles des cours actuetles. el ]e Code civil gui-tout, ea oiTrent
U preove.« Unter naulne versteht Hutlcau jeden Frachtfahrer. Vgl. eod.
p. 401, 406, 407, 409—411.
' Die Zahl der Dissentieaten i<:t sehr gering. Schilter, Exerc. ad
Fand. XIII § 25 bezeugt nur die zu seiner Zeit noch schwankende Pnuis.
Die im Text angeführten and noch schwächere Grönde werden gegen die
fortdauernde Geltung des Edikts be\refrs der Gaslwirthe aufgestellt in der
schülerhaften Dlsserlalion von Joh. Willietmus Richler, De actione in
factum tu quasi contractu reccplionis moribus nostris non convenienle. Leipzig
17591 S. lö. 36 — 30, obwohl er selbst lugibt, dass in der Praxis die eut-
gegengesetzte Ansicht Geltung habe. Nicht minder oberflächlich Hellfeld,
Reperlorium III p. 1693 — 1698; Fischer, Lehrbegriff sämmtlicher Kameral-
und Polizeirechte 111 § öii bemerkt nur, dass die zahlreichen deutschen
Partikulargeselle Aber die Gaalwirlhschaft vom röm. Recht abwichen , und
dessen Gebrauch entgegenstunden. Unter den Neueren hemcht Einstimmigkeit.
Belege bei v, Zangen, Kurze Erörteiung der Fiage : Wasfür eine Klage
wider einen Fuhrmann stattfinde, welchem die luin Transport und Ablieferung
bedungenen Sachen weggekommen? Giessen 179S, S, 25 Note*; Glück VI
S. 111: Thibaui, Pandekten, 8. Aufl. Bd. II § 572 S. 110; v. Holz-
schuhe r, Theorie und Kasuistik III S. 825 Note i; v. Vangerow, 7. Aufl.
lU S. 465 Anm. 2; Müller, S. 39. Unbegrtlndete Zweifel und Verwechselung
der actio de recepio mit den Fönalklagen bei v. Kaltenbora, Seerecht I
5. 235 , 2 j6 , 242. In den von ihm liiirten neueren Seerechten ist nur der
modus der Rezeption — vgl. oben S. 410 Note l, S. 438 Note i — geändert.
Dazu noch Entwurf eines Handelsgesetzbuchs f. d. preuss. Staaten Art. 533,
Motive S. 187. und Protokolle S. 1508, 2509, 2519.
itizecy Google
462 1^35 receptam nautamm, cauponain, Ktabulariorum.
lassen sich zwei grosse Gruppen unterscheiden: die eine be-
stehend aus den germanischen, mit Einschluss der holländischen
und nordfranzösischen; die zweite dagegen die romanischen
Küstenländer des Mittelländischen Meeres umfassend. Beide
sind in grossen Sammlungen zusamraengefasst , die erste in
der Wisby'schen Kompilation, die zweite im Consolato del
mare. Aus der wechselseitigen Verbreitung beider und den
aufs Neue hinzutretenden römischen SeerechtsqueUen ist das
neuere europäische Seerecht entstanden, dessen geschichtliche
Entwickelung und wirklichen Inhalt darzustellen eine eben
so würdige, wie noch durchaus ungelöste Aufgabe der Wissen-
schaft ist.
Diese beiden grossen Gruppen zeigen nun auch hinsicht-
lich der Verantwortlichkeit des Schiffers für die Ladung die
bemerkenswertheste Verschiedenheit.
I. Die germanischen Seerechte begnügen sich überall
den Schiffer für eigene Schuld haftbar zu erklären'. Sogar
die Verantwortlichkeit des Schiffers für seine Leute wird in
der Regel nicht direkt ausgesprochen, wenn auch vielleicht
vorausgesetzt, wie in einem Frankfurter Schöffenurtheil von
1401 hinsichtlich der Fuhrleute '. Einer Fuhrmannskompagnie
ist ein Theil der Ladung abhanden gekommen. Sie behauptet,
dass alle mögliche Vorsicht angewendet und ein Knecht zur
' Die folgcDdcD Citate nnd meist Dach Parde*tas, Collection des lots
!s; das Wisby'sche Seerecht tilire ich nach der Tonaglicheo Antgabe
TOD Scblyter (Corpus Juris Visbyensis. Land. 1853). Rooles d'OMroD und
flandrisches Schiffsrecht Art. a (Wisby 16), 10 (Wisby 14), 11 (Wiaby 15),
13 (Wisby 33) , »4 (Wisby 39). Schiffsrecht von NordhoUand Art. 3, 11
(Wisby 43), 17 (Wisby 54). Scbreibea des Hamburger Raths twischen I156
und ia6l (Pardesias JII p. 331 ff.). Hamburger SchiJ&recht v, 1270 Art, J3.
SUdtrecht Ton Riga V. 1270 Art. 163. Zweite Redaktion tit. XI, c 6. Lflbeckö
Schiffsrecht v. 1299 Art. 32, 33, Lübecker Recht bei Hach IV, 21, 23, 96,
Hanseatischer Rcies« von 141« Art. 3, 8; v. 1454; t. 1482 Art. XI. b. ; t. 1530
Art. XVII, XVIII. Statut Ton Bergen r. 1*74 c, 2. Statut raa Wisb»
c. 6. (PardesBUB III p. 27—29.) Daniiger Seerechtsurtheil r. 1433 Nr. 13.
(Holttus, Onde zeeregteo in Dantiig p. 19, 13, 25).
» Thomas, Der Oberhof zu Frankfurt a. M. Nr. 52. Ein Sprach des
magdebuigischen SchälTeDbollegs vom 15. Febr. 1474 (NeumanD, Magde-
bui^r WeislhUmer Nr. 47 S. 127) erklKrt des Fuhrmann, welcher den Transport
bis an den Bestimmungsort Übernommen hatte , schlechthin für seinen Silt>-
stitnten verantwortlich, vorbehaltlich des Regresses an den leliteien.
.„Google
Heulige Geltung der actio de recepto. 463
Obhat der Waaren bestellt worden sei. Der Rath entscheidet,
dass die Fuhrleute dem Befrachter für die Waare ein-
stehen sollen.
ez were dan daz solich War raublich genommen
oder mit gericht uffgehalden were, doch so nimt man
den forluden hie midde irs rechten nit gein den Knecht,
den sie gewonnen hadden, der War zu huden.
Direkt ausgesprochen wird dagegen dieser Satz in einem
ürtheil des Raths zu Danzig v. 1429 '. Der Schiffer hatte
Gut aus Flandern nach Danzig gebracht, das Gut in ein
Leichterschiff (Burding) geladen, und dem Kaufmann ange-
zeigt, dass die Waare vor der Brtlcke (am Loschungsplatz)
sei. Auf dem Bording wurde des Nachts ein Laken aufge-
schnitten und ein Stück Tuch daraus gestohlen. Der Kauf-
mann belangte den Schiffer, dieser scheint dem Bordingsschiffer
litem denuntiirt zu haben, und dieser bekannte, dass der Dieb-
stahl durch Versäumniss seiner Knechte geschehen sei. Der
Rath erkannte:
De Schipper sulde quiet sien darmede dat he det
guth heylbar jn den bordyngk geantwerdet hadde
und dem Kopmann thogesecht hadde. Sunder de
Bordingesman nahdeme he dat gutt in sien schip und
vorwaringe genamen hadde, und ys by vorsumenisse
syner knechte, de jdt vorwaren sulde were gestalen.
Zo sprak de Raedt, zo sulde de Bordingeszman dem
Kopman sien gut andtwerden — adder ihn darvan
vomogen. —
In den Rooles d'Ol^ron art. 10, und ebenso in dem ähn-
lichen Fall des Consolato del mare cap. 153 a. E. wird aller-
dings der Schiffer für die Schuld seiner Leute verantwortlich
gemacht, jedoch nicht wegen wirklicher oder fingirter culpa
in eligendo, sondern nach dem Grundsatz, dass alle diejenigen
' Nr. 7 der RammluDg in dem Zeitschr. f. d. ges. Hxiidelsr. I S. 2gj S,
beschriebenen Dm ziger Codex. Vgl. auch HolCi ui, Onde leeregten in Dantiig
p. 14, 21, 22. In der Zeitschr. n. ». O. ist übrigens der zweimal vorkommende
Druckfehler 15 in 5 lu berichtigen: FardeEsns hat nämlich nur 5 Urthcile
abgediuckt. Derselbe Rechtssatz, wie in dem vorziehenden Urtheil, ist auch aua-
gesprochen in der Daniiger Willkühr von 1597 Art.- XVII. (Pardeno« IIl
p. 475) nnd ic der Neureviditten Willkahr der Stadt Danzig von 1761, IIb. I,
cap. 4 Abachn. 5 Art. 11 , Abschn. 7 Art. 7. —
oy Google
J
464 ^^ receptum tiautaruin, cauponum, slabulaiiorum.
den Schadensersatz leisten müssen, welche Antheil am Gewinn
des Geschäfts haben, also unter dem Gesichtspunkt einer socie-
tas lucri et damni.
Sogar zu einer Zeit, da die römischen Grundsätze schon
lange im Seerecht Eingang gehinden haben, begegnet uns
noch regelmässig der mildere germanische Grundsatz. So in
in dem romanisir enden Hamburger Schiffsrecht (Stadtrecht P.)
von 1497 Art. XXVI:
Wat eyn yderman schepet, dar schal he de vracht
van geuen, al weren de guder buten schulde des
schipheren vordoruen efte vorgaen er se auer
qwemen.
Vgl. Art. VII, IX, XII, Xlir, XXV, XXDC. Ebenso
wenig findet sich in dem Hamburgischen Stadtrecht von 1603
die Spur einer umfassenderen Haftung. Vgl. II, 15 Art, 1;
n, 14 Art. 3, 4, 5, 9, 10, 11, 24, 34, 35, 36. Sogar das
Hanseatische Schiffsrecht von 1614 scheint noch ganz auf
diesem Standpunkte zu stehen: tit. 3, art. 1, 2, 15, 17, 13. 19;
tit. 5. art. 4, 5. Und die niederländischen Gesetze des 16.
Jahrhunderts, wenngleich ausdrücklich hervorgehoben wird.
dass der Schiffer auch für die Schuld seiner Leute verant-
wortlich ist ', gehen doch im Uebrigen nicht Über die Haftung
für Schuld hinaus".
Gleiches gilt von den späteren nordfranzösischen Quellen,
dem Guidon da la mer — vgl. cap. 5 art. 6, 7, 9, 10, 11:
cap. 9 art. I, 4, 5, und sogar der Ordonnance touchant la
marine vom August 1681, — vgl, livre II tit. 1 art. 8, 12,
13; tit. 8 art. 2, 3; livre III tit. 3 art. 10. Allerdings soll
nach dem Zusatzartikel 38 der Rooles d'Olöron^ der Schiffer
dem Befrachter schlechthin haften, wenn das Schiff durch den
Herren des Landes, welchem der Rheder angehört, am Aus-
laufen verhindert wird. Allein dieser singulare Satz erklärt
sich aus den Feudalverhältnissen des nördlichen Frankreich
■ Ordonsnnz t. 19. Juli 1551 Ait. 43. Ordonnanz Philipp': 11. t. 1563
tit. n alt. II.
I Ordonnanz vom ig. Juli 155t Art. lä, 4a, 43, 44, 50. Ordonanni
rhilipp's II. V, 1563 tit. II art, 6 — 9, 11; tit. III «rt. 19; tiL IV. art. I,
8, 9, "■
3 Bbckbookartikel, bei Pardeisas I p. 341, 343,
::,y Google
Heutige Geltung der actio de receplo. 465
und aus dem SelbsthUlfeprinzip des mittelalterlichen Rechts,
vermöge dessen sich der Gläubiger wegen der Schuld des
Ausländers an dessen Landsleute, wegen der Schuld des Herren
an dessen Unterthanen hält".
In dem ganzen Bereiche dieses Quellentreises" ist mir
nur eine Satzung begegnet, welche in ihrer absoluten, an die
Worte des prätorischen Edikts erinnernden Fassung, und viel-
leicht schon unter dem Einfluss des römischen Rechts ent-
standen , an die strengere Haftung denken lässt , nämlich
Art. 11 des Hanseatischen Rezesses von 1418, welcher dem-
nächst in den Rezess von 1447 Art. X (nicht auch in die
späteren grossen Rezesse), in die späteren Redaktionen des
LUbischen Rechts (Hach IV, 29) und in das revidirte Lübische
Recht von 1586 lib. VI tit. 1 art. 9, wie auch in das Land-
recht des Herzogthums Preussen von 1620 lib. IV fit. 19 art. I
g 9 übergegangen ist. Derselbe lautet:
Vortmer, is gheramed welken Schipheren wat in-
gheschepet werd, de schal dat wedder uth antwerden
dem jennen de eme dat ingheschepet hefft edder enem
van syner weghen, de dar vor antwerden wil, uppe
dat id to rechter scheringe kome. Wente werde wat
verloren, dat scholde de Schipper gelden. —
Noch eine preussische Verordnung vom 21. Februar 1748
scheint jedoch den älteren Standpunkt festzuhatten '.
■ Stobb'i, ZuT Geschichte des deutschen Verlnesrechts S. 150 ff-
Biener, Wechselrecbtliche Abfaaadlungen S. 40.
' Erwähnt mag noch Verden, daas dis livre de josdce et de plet (nach
Laterriire, HLstoire du droit fraii(ajs VI S. 290 ff. tn Ende des 13. oder
Anfang des 14. Jahrhunderts in Orleans enstanden) im livre III eue voU-
stfindigc Uebenetzung des Pandekten titels nautae, caaponei, wie andere!
römiachei Seerecbtititet enth£lt (Pardeatua VI p. 537 ff.).
3 Reglement und Ordnung, wie es mit der ElbschiSfahrt derer Waaien
Ton Berlin nach Hambui^ und von da bis Berlin bri der CSiarmfiTlcischen
auf Z4 cinlSndische Schiffer gesetzten Schiffei-Gilde Tom l. Martii 1748 an
gehalten werden solle, de dato Berlin vam 21. Febfuarii 1748, Nr. 9. 'Allen
denen eingeladenen Waaren mnthwiliiger Weise oder durch grobe Verwahr-
losung zugefdglen Schaden sind die Schiffer lu eraetzen schuldig, und haftet
dsfUr nebst den SchifTsgefflxscn nicht nor die Fracht , sondern aach der Lohn
der Schiflyenle, welche insgesammt dafUr eirnnstehen Terbimden nncL> [Mjlius
Corpus Conslit. Marchicar. Conlinnatio IV p. 27.)
Goldichmidt, VermUchte Scfatiftes. n. 30
itizecy Google
466 ^^ receplam nautamm, caaponum, lUbnlariorum.
II, Anders steht es mit den romanischen Seerechts-
quellen. In den blühenden Handelsstaaten des südlichen
Europa findet sich früh eine sehr entwickelte Schiffahrtspolizei,
welche, im öffentlichen Interesse, eine grosse Zahl eigenthüm-
licher Einrichtungen hervorrief, z. B. das Institut des Schiffs-
schreibers mit notariellem Glauben. Im Sinne dieser staatlichen
Fürsorge für Handel und Schiffahrt lag die aus gleichen
Rücksichten hervorgegangene strengere römischrechtliche
Haftung des Schiffers fUr die anvertrauten, insbesondere für
die vom Schiffsschreiber verzeichneten Güter.
So stellen die Gewohnheiten von Valencia ia Spanien,
{Pardessus V p. 333) deren Redaktion dem Jahre 1250
angehört, und welche wahrscheinlich eine Hauptquelle des
Consolato gebildet haben, das Seerecht ganz nach römischen
Quellen dar, meist in wörtlicher Uebersetzung. Insbesondere
ist lib. II rub. XVI § 1 fast wörtlich aus 1. 1 § 8, 1. 3 pr.
§ 1 nautae entlehnt. Denselben Satz enthält noch einmal
lib. IX rub. XVII § 6.
Das Statut von Marseille aus den Jahren 1253 — 1255
(Pardessus IV p. 256 ff.) macht zwar den Schiffer nur
für culpa verantwortlich lib. IV c. 7, 8, 9, 15, 20, 21, aber
in dem merkwürdigen c. 26 ' bestimmt es ganz allgemein und
absolut, dass alle vom Schiffsschreiber verzeichneten Güter,
welche verloren oder gestohlen sind, von den Rbedem in Natur
oder nach ihrem Werth erstattet werden müssen:
— et postquam dicta avera reperientur taliter
scripta in dictis cartulariis ut supra dictum est, si
postmodum dicta avera amissa vel subrepta fuerint in
dicta nave dominus seu domini dicte navis seu ille
vel illi qui habebunt curam dicte navis restituere per
officium compellantur predicta avera, vel eorum eiti-
macionem sine mora illi vel illis quorum fuerint illa
predicta avera, in eo loco ubi predicta navis portum
fecerit causa discargandi.
Desgleichen enthalten die Statuta navium et navigantinin
von Venedig von 1255 (Pardessus V p. 21 ff.) in dea
■ Wo anch der KBBfnuumueichGn ErwKlmuiig geschielit. Ebeiwo ü
dem venedanixchen Statat T. I3S5. LH, UIL
3,3,l,ze.:,,GüOgk'
Ileuiige Geltung der actio de recepto. 467
Artikeln U, III, LI, LH, LIII, LLX, LX die regelmässigen
Vorschriften über die Verschuldungsfälle, bis auf:
art. LXII. Quod patroni habeant in custodia merces
mercatorum vel marinariorum per scriptum,
Dicimus, quod postquam merces in nave fuerint
posite secnndum tenorem et ordinem statuti — in
patronorum custodia debeant permanere; et sicut in
patroni custodia per scriptum merces receperit, ita
eas per scriptimi mercatori cum integritate resti-
tuere teneatur, excepto per forcium, per ignem, per
fortunam temporis, aut quod extra projecte fuissent.
cap. LVIV. De vastatione mercimoniarum.
Wenn über den Ersatz beschädigter Güter zwischen
Schiffer und Betrachter keine Einigung erfolgt, so soll obrig-
keitliche Abschätzung und Zwang zum Ersätze eintreten,
jedoch:
Salvo si patronus posset probare, quod illud dampnum
fuisset occaxione ignem ezstinguendi , vel fortunam
temporis habuisset, propter quam patronus penam ali-
quam non incurat; que probatio fieri et cognosci
debeat et determinari per consules vel vectores predic-
tos. Si vero merces aliter vastarentur, et videbitur
supradictis quod occaxione patronorum evenisset, iUi
cujus merces fuerant, fiant satisfieri secundum stima-
tionem dampni.
Das Breve curiae maris von Pisa vom Jahre 1298 (Par-
dessus IV p. 585 ff.) ^richt unbedingte Ersatzpflicht aus in
den cap. 13, 62. In den Statuten von Ancona vom Jahre
1397 (Pardessus V p. 116 ff.) begegnen nur Vorschriften
wegen Verschuldung des Schiffers rub. I, IV, XV, XIX,
XLV, XLIX, LIIL Dagegen enthält das Statutum officü
Gazariae von Genua vom Jahre 1441 (Pardessus IV
p. 463 ff.) neben solchen (cap. 8, 9, 81) auch einige strengere
und unbedingte: cap. 96, 97, 103.
Sehr merkwürdig ist die Verbindung beider Systeme in
dem Consolato del mare. In unzähligen Stellen wird
jede Verantwortlichkeit des Schiffers von einem Verschulden
desselben abhängig gemacht, und regelmässig sogar der Beweis
der Schuld dem Befrachter auferlegt. So (nach der Ausgabe
, Google
468 ^^ leceptum aantamtn, cauponam, lUbulanoram.
bei Pardessus II) cap. 16, 18—21, 23—27, 44—46, 141,
147, 149, 154, 160, 177, 182, 189, 190, 192, 204, 214, 215,
221, 226, 243, 247, 250. Dagegen begegnen in einigen
Kapiteln' folgende Wendungen:
cap. 13. S'il se perd quelque chose ä bord, soit
balle, ballot, marchandise, soit quelque autre objet,
que l'&rivain aurait inscrit, ou au chargement du-
quel il aurait pr^sid^, il doit le payer.
cap. 22. Si quelque objet charg^ sur le navire et
inscrit sur le registre se perd, le patron est obligd
d'indemniser les propri^taires.
cap. 224. Mais si le patron ayant fait mesnrer le
grain et 1 'ayant re9u en compte, les marchands y
trouvent quelque deficit, il est oblig^ de les en
indemniser. —
In den deutschen Landrechten und Gesetz-
gebungen des 17, und 18. Jahrhunderts herrscht die
römische Theorie — meist freilich in der missverständlichen
Auffassung der älteren Doktrin — unbestritten. So: Land-
recht des Herzogthums Preussen von 1620 üb. IV
tit 18 art. 3 § 2, tit. 19 art. I § 9. Landrecht des
Königreichs Preussen von 1721 pars II hb. IV tit. 18
art. 3 § 2. Der scheinbar abweichenden Verordnung vom
21. Februar 1748 ist oben zu Note 3 auf Seite 465 gedacht
■Württembergisches Landrecht von 1610 Th. II tit 3
§ 15. Codex Maximil. Bavaricus lib. IV cap. 13 § 10'.
Wie es auch im hamburgischen Recht mit der Ersatz-
pflicht des Wirthes sich verhalten mag', so herrscht doch
■ Nach der Pardessos 'sehen UebereetianK- Eine direkte Enttebnnng
aus römiKhen Qaellen, wie Pardessus 11 p. 67 not, 2 will, Ut nach der
obigen Dantellung nicht nahrscheinlich.
' Die Verantwortlichkeit ist auf Haßung füi leviuima culpa mid cslp*
suoruni abgeschvScht. Die UnterscheiduDg iwischen reinem, d. h. ia der Regä
miTenchuIdetem , und gewöhnlichem Zufall wird ausdrOcklich yenrortea (vgl.
Anmerkungen mm Codicem MaximQ. Bavar. München 1765, Th, IV S. 656.
657). £ben«o im WOrttemb. Ldr. >Eum höchsten Fleiu — dais (ie nichts dum
allein ohnversehens xugeslanden OhngltlcksHUl entschuldigen mSgen<.
3 Vgl. Wolters a. a. O. S. 61 ff., und d^t^ea B>nmei(ter, Das
Piivalrecht der freien und Hansestadt Hamburg I S. 36a.
„Google
Heulige Geltung der actio de recepto. 4^9
hinsichtlich des Schiffstransports unzweifelhaft das römische
Recht, und liegt der neuerdings eingeschärften Verordnung
vom 5. Dezember 1766, revidirt am 26. März 1786, Art. 1
bis 6, 11, 12, 15 zu Grunde'. Desgleichen steht die früher
schwankende sächsische' Praxis nunmehr im römischen
Sinne fest'.
Endlich die neuesten Gesetzbücher stehen unzwei-
deutig auf diesem Standpunkt: Das preussische', das öster-
reichische', die französischen Gesetzbücher*
' Hambarger Handelsarchiv S, 143 ff. Bekanntmach ung vom 13. Sep-
tember 1855, ebenda S. 146; Pöhl's Seerecht 11 S. 56g. Vgl. anch die
Uilheile des Oliera.ppelladonsgerichts in Lübeck oben Noie 4 auf S. 413 , in
Zeitschr. f. d. ge». Handelsr. I S. 573 ff., und in Scufferti Archiv X[ S. Ill ;
BOsch, Darstellang der Handlung (3. Ausg. t. Normann) II S. 357 stellt
es noch als nngewiss hin, ob der Schiffe fUr Diebstahl hafte. Ueber die neueste
hambnrgische Praxii, vgl. die Urthefle bei Ullrich, Heft i Nr, ai, a6, 69,
49, 80.
» Carpiov, Jurisprud. for. II, a6 def. 10; Schtlter, Exerc ad. Fand.
XII gS li. H-
' H a u fa o 1 d , Lehrbuch des KSnigl. SSchs, Privalrechts. 3, Aufl. 1
§ zSS b. Note p. Revidirter Entwurf eioes bUrgerlichen Gesetihuchs fltr das
Königreich Sachsen §§ laSo — 1290.
* A.L.R. II S §§ 444-453. »734—1736. 1599, iß34. '657. 1665, i6«6.
1676 E. 1691 C, 1698 fr., 1707 ff., 1712, 3452—2456: Haftung ftlr ebenes
und der Leute geringstes Verschulden, nicht aber fUr Süssere Gewalt und Zu-
fXUe — nicht tVx inneren Verderb oder lusseren nnabwendlichen Zufall. Dass
die rötnische Theorie hat adoptirt werden sollen, bezeugt auch Koch, R. d.
Ford. III S. 8l8 — S30. Modifikation hinsichtlich der FassagierefTekten A.LJt.
II 8 §g 1760, 1761.
i Oesler. Btti^erl. Gesetibuch §§ 970, 961, 964, 131a: Haftung fllr eigenes
und der Dienstleute Verachnlden, nicht aber Haftung für ZnblL Ungar.
Gesetiartikel XX v. 1840. §§ 4, 5; Haftung fttT bOse Absicht nnd Un-
acbtianikeit.
' Code civil ait. 1952 — 1954, 1782—1786. Code de commerce art 103,
107, 230, Z16, 321—319: Haftung fUr eigenes, der Leute und der GSate
Verschulden ; Nichthaftung fflr Zufall oder habere Gewalt — nicht fhr inneren
Verderb oder höhere Gewall. Die Versduedcnheit der Aosdrticke in den ver-
schiedenen GesetibOchem und Theilen desselben Gesetzbuchs ist, ebenso wie
in dem preussischen Gesetibuch, nur einer unachtsamen Redaktion lu zuschreiben,
und deatct küneswegs auf eine Verschiedenheit der Haftung. Die franiQsischen
Getetibücher stehen auf der Slleren in Frankreich herrschenden Doktrin des
römischen Rechts. Vgl. oben Note i auf S. 460 und über diese Doktrin:
Domat, Les loix civiles dans leur ordre naturel (Lnxembourg 170a. t. I
p. 66, 141—144} livre I tit 4 sect. 8 nr. 5, lit 16 *ect. i, 3.
.„Google
470 I)>* receptum ni.ntamm, cauponnm, stabnltrioruni.
und sämmtliche Handelsgesetzbücher', wie das
Zürcherische Gesetzbuch'. Vgl. oben Note l auf
S. 460 und § 13 die Noten auf S. 480—484.
Das englische Recht ging ursprunglich sogar noch
weiter als das römische. Nach common law erscheint der
SchiHer als gewöhnlicher Frachtfahrer (common carrier) and
hahet unbedingt für das anvertraute Gut, unless it were by
the act of God (Sturmwetter, überhaupt Seegefahr), or that
of the king's ennemies — also auch für ganz unverschuldeten
Diebstahl, Raub, Feuer, mit Ausnahme des durch Blitz ver-
ursachten. Erst neuere Statuten haben diese Haftung beschränkt
Allgemein St. 11, Geo. 4 & 1, W. 4 c. 68 für gewisse werth-
volle Gegenstände, welche besonders versichert werden müssen.
Insbesondere für den Schiffstransport St. 26, Geo. 3 c 86
s. 2, 3, welches die Verantwortlichkeit für Feuer, auch im
Schiffe ausgebrochenes, beseitigte; imd die Haftung für edle
Metalle, Edelsteine u. dgl. von der Deklaration derselben ab-
hangig machte. St. 6, Geo. 4 c. 125 s. 53, welches die Ver-
antwortlichkeit für Lootsen, und für diejenigen Fälle, da
solche nicht herbeizuschaffen sind, aufhob. Endlich The
merchant shipping act vom 10. August 1854 (St. 17 & 18,
Vict. c. 104) p. IX s. 388, 503, 504; welche diese Nonnen
wesentlich wiederholt'. —
> Span. Handel^Fselib. Art. aoj, xoS, 209, 212, 21J, 317, 220, 215
bis 327, 676, 67S — 6S3. Hollind. Handeligei. Art. 91, 96—98, 345. 546.
348. 349, 35'- Portug. Handelsgesetibuch Art. 178, 179, 182, 183, 187, I90,
195 — 197, 1364, 1365, 136S, 1376, 1390, 1391. BrasiliaD. Handelsgesebb.
Art. 99, I02 — 106, 110 — 113, 115, 118. Mit dem Code de commerce itimmen,
nach St. Josep h, Concordance, die HandelsgeselzbUcber von Rom, Neapel mid
Sirdinifa völlig Uberein.
> Prival rechtliches Gesetzbuch für den Kanton Zürich § 1653 [vgl
% l^^)> §§ 1^54' l^S^i l^^S ' Unbedingte Haßun^, mit Aasnahme ron Fallen
heherer Gevrall, auch für Diensdeute und ZwischenfrachtfUbrer, selbst im Falle der
Verzägerung. Aus den EilSuterungen Blnntschlis (deuen Ausgabe mi
Erläuterungen Th. III ZUrich 1855, 5. 536^538) lu § 1Ö46 ergibt sich, dus
der Ausdruck »höheie Gewaltr , nogeachtet sehr triftiger Einwendungen, von
der Mehrheit der Kammission aus den von Bluntscbli in seinem Deutschen
Frivatrechl II S. 20 eutwickellen Gründen (vgl. oben S. 415) beibehalcoi
3 Molloy, De jure maritimo et navati, or a trealite of aflairj mi-
ritine, 8 ed. 1744, ist sich des UnteitcUedes vom röm. Recht rlillig bemu«.
Vgl. book II eh. 3 Ni. 2, 8; eh. 3 Nr. 13—18. Uebei das englisdi-ameri-
Ausdehnmig auf den Landtrantportvertrag? 471
Die im neueren gemeinen Seerecht begründete wichtige
Modifikation des römischen Rechts, dass für alle Forderungen,
welche auf einem Verschulden des Schiffers beruhen, die
Rheder nicht über die fortune de mer hinaus haften, sich also
durch abandon des Schiffers sammt Zubehör und Fracht be-
freien können ', berührt die hier entwickelten Prinzipien selbst-
verständlich in keiner Weise. —
XI. Ausdehnung auf den Landtransportvertrsg?
§ 13-.
Die Römer haben den Landtransportvertrag durchaus
nur nach den Grundsätzen der locatio conductio^, nicht zu-
gleich' nach denen des receptum beurtheilt. Ueberall ge-
schieht nur der actiones locati conducti, nirgends der actio
de recepto Erwähnung, auch da* nicht, wo das eigentliche
Herrschaftsgebiet der letzteren * ist. Nirgends findet sich eine
kanUche FrochtfOhreirecht Oberhaupt: Smith, Compendiam of mercantile law.
6, Ausg. S. 187— 29S [9. Aufl. S. 175—188]; Redfield, Practica! trealiie
upOD tb« law of railwaT» S. 332 ff. [5. AuH. II S. i CT.].
■ Im Wesentlichen befriedigend Ciopp, Juristische Abhandlungen I
S. 467 fl". EbensDwenif; gehört hieiher die parlikularrechtliche ModifikacioQ
des A.L.R.'s II 8 § 1528, dass die Rbeder täi Verschuldung der SchilTer
and Schiflsleute nur subsidiär, Dümlich onr insoweit einstehen, als der Be-
schSdigte selbst luni Ersatz auvetmögend ist. Vgl. O.A.G. zu Lübeck in
Seufferfs Archiv XI Nr. 85.
' GiUcde fUi und gegen die analoge Ausdehnung sind zusammengestellt,
und die ecsleren bekimpft insbesondere bei Brenner (prae«. Harpprecht),
Actio utilis de recepto T707 Nr. loS — 150; (Harpprecht, Diis. «cad. t I
disp. XVI); Werner (praes. Harpprecht), Actio utilis de recepto utmm
contra rhedarum meiitoriarum exerdtore* , poltarum magistros et quoscunque
anrigai locum obtineat 1707 (eod. t. I diep. XVII); Müller, a. a. O.
S. 39—08; Cnyrim, s. a. O. § l (S. 4—14); Koinpe, Zeitschr. f. d.
Recht Bd. XVIII S. 31z— 3161 W. Koch, Eisenbahnen II g§ 6, 23.
3 Opois. Auch rei? Vgl. Cropp, Juristische Abhaodtnngen II S. 6jo
bis £38, und die mehrfoch berichtigende Darstellung von Ullrich, Neue*
ArcbiT f. Handebrecht II S. 317 ff.
• VgL oben § 1 Note 3 auf S. 415.
i Vgl, oben S. 407.
* 1. 13 pr. I, 25 § 7 locati C19, 2). VgL auch 1. II § 3 eod. 1. 5
pr. ad eibib. (to, 4).
izecoy Google
472 I^BS recepCum nautarum, caupoonm, stabularionim.
Spur analoger Ausdehnung derselben. Denn die Anwendung
unseres Instituts auf Kahn- imd Flossführer, welche schon
Labeo machte:
1. l § 4 h, t. : De esercitoribus ratium, item Ijntrariis
nihil cavetur: sed idem constitui oportere, Labeo
scribit, et hoc jure utimur.
ist nicht als Ausdehnung, sondern als blosse Interpretation des
vom Edikt gewählten Ausdrucks nauta ' zu erachten, welcher
nicht minder den Kahnschiffer und Flösser in sich schliesst.
als der Ausdruck navis oder navigium die Kähne und Flösse '.
Hätte aber auch die römische Jurisprudenz bei ihrer über-
aus freien Stellung sich eine analoge Ausdehnung des Instituts
gestattet, so würde dies einen gleichen Vorgang für die
moderne Wissenschaft und Praxis noch keineswegs recht-
fertigen. Für uns gilt durchaus der Bestand des justinianeischen
Rechts, soweit derselbe rezipirt und nicht erweislich durch
neuere Gesetze oder Gewohnheitsrecht modifizirt ist. Haben
nun die Römer den Landfrachtverkehr durchaus nur nach den
Prinzipien der locatio conductio, nicht auch nach den Grund-
sätzen des receptum beurtheilt, so lässt sich doch schwerlich
behaupten, dass hier eine Lücke vorliege, deren Ausfüllung
eine Aufgabe der heutigen Wissenschaft und Praxis sei. Es
stehen sich vielmehr zwei Rechtsinstitute gegenüber: das eine
normale mit einem sehr weiten Anwendungsgebiete, alle Fälle
entgeltlicher Werkverrichtung, Sachen- und Raumgewährung
• Vgl. V. V«Dgeroiir, Pandeklen III S. 466; Müller, a. a. O. § 22.
In gleichem Sinne wird dann such wohl der Ausdniclc caupo aaf Wein- und
Bieiwirlhe, Garkoche, KaHeliers u. dgl. beiogen : Brenner (praei. Harpp-
rech[)i Actio utilii de recepto Nr. 44 — 65. Dabei wird eine tehr nonittze
UntenuchuDg geführt , ob die actio de recepto in liotrariot aod ratiarioi eine
ntilis oder direcU sei: Nr. 25— 43- Dagegen Glüclt VI § 485 Note 10.
* Diese werden durchnns den naves gleichgeachtel und gldchbehandelt:
1. 1 § 6 de e«rc. act. (14. i), !, 44 de evicL Cz', a> wo iwar jcapia da
hktis entgegengestellt, aher doch selbst als parva navicola bezeichnet wird.
I. I § 14 de fliimiii (43, 12), 1. I pr., 1. 3 § I. )• 5 de incendio, ruina, nao-
fngio, rate, nave expugnata (47, 9), 1. I pr. ut in Sum. pubL (43, 14);
Paulus R. S. U 31 § 18; Gellius N, A. X. 25. Vg!. auch Brissgnins,
De TCTb. signif. s. v. inavist. In gleicher Weise versteht z. B. du preonüdie
Gesetz v. 14. April 1824 (G. S. S. 7, 9) unter •Schiffer- auch ausdrUcldich
den .Kahnilthref. Untersuchungen darüber in der Note • erwähnte» DisMT-
tation von Werner (Harpprechl) Nr. 195—199-
::,y Google
Ausdehnung luf den Landtransport vertrag) 473
umfassend — das andere anormale auf das eng begrenzte
Feld gewisser Gewerbe beschränkt. Was nicht dem letzteren
angehört, fällt naturgemäss und nothwendig dem ersteren zu.
Das gleiche Resultat ergibt sich aus einer eingehenden
Erwägung der eigenthümlichen Natur unseres Instituts. Das-
selbe ist nach der obigen Darstellung:
1. den Römern selbst als innerlich durchaus anormal er-
schienen ', und um deswillen einer jeden analogen Ausdehnung
unfähig " ;
2. äusserlich beschränkt auf gewisse Klassen von Ge-
werbtreibenden für Akte ihres Gewerbebetriebes' — also nicht
auf andere anwendbar, mag deren Beschäftigung auch eine
nah verwandte sein.
3. Als Motive für die Einführung der actio de recepto
werden in den Quellen selbst angegeben:
a) ein gewerbspoiizeiliches, nämlich der schlechte Ruf der
Schiffer und Wirthe, den dieselben nicht minder um ihres all-
gemein unsittlichen Verhaltens willen * wie wegen ihrer
häufigen Betrügereien genossen
Ulpian in 1. 1 § l h. t:
— et nisi hoc esset statutum, materia daretur cum
furibus adversus eos, quos recipiunt, coäundi, cum
ne nunc quidem abstineant huiusmodi fraudibus.
' Vgl. oben S. 4!0 Note a.
' 1. 14 de leg. (i, 3); 1. 141 pr.; 1. i6a de R. J. (S«. '7)-
3 Vgl. oben S. 402—404. Uebrieens ist das hiufig angeführte Argument,
dass die Kfimer gar kein Frachtfuhrwesen im heutigen Sinne gehabt hatten
(i. B, Mackeldey, Dis». de aclion« de recepto contra anrigas generatira ad-
mittenda 1S06 g 2J — 30), oder doch, dass der römUcbe Landfrachtverlcebr ein
sehr geringfügiger genesen sei, in sich hinfUlig, da, die Thatsache ebenso un-
glaublich wie unerwiesen ist. Auch begegnen uns, neben den Tielbch et-
wShnten collegia der naulae und navicularii, nicht selten coUegia aurigariornm,
jumcntarionini ■ mulionum et asinaiiorum , eine schola camcarnm. Vgl.
Orelli, Inscript Nt. 2413, 4093, «596, 7106, 4131 und Heineccius , De
colleg. et corpor, opif. cap. I § XII (Opp. Genf 1766 t. II p. 384).
* Vgl. Müller, a. a. O. S. 7; Becker, Gallus, 2. Au^. v. Rein lU
S. 12, 24. Daiu noch die bisher nicht benutzten 1. 4 § 2 de his qui not.
infamia (3, z), t. 43 pr. § 9 de ritn napt. (23, 3), 1, 39 C ad leg. Jal. de
adolt. (9, 9); Patilos, R. ä. II 26 § 11. Gleiche Zustande in Griechenland:
Becker, Charikles, 2. Ausg. ron HerrmaDn II S. I34t und Herrmann,
Griechische PrivatalterthUmer S. 255.
„Google
474 I^Bs receptum nautarum, cauponum, atabnlarionuD.
1. 3 § 1 h. t.:
— Miratur igitur, (Pomponius) cur honoraria actio
sit inducta, quum sint civiles; nisi forte, inquit, ideo,
ut innotesceret praetor curam agere reprimendae
improbitatis hoc genus hommum. —
b) ein dem VerkehrsbedUrfniss entlehntes Motiv, nämlich
die Nothwendigkeit grösserer Sicherheit um des grossen Ver-
trauens willen, welches diesen Gewerbetreibenden nothwendig
geschenkt werden muss:
Ulpian 1. 1 § 1 h. t.:
Maxima utilitas est huius edicti, quia necesse est
plenimque eorum fidem sequi et res custodiae
eorum com mitter e.
Als ein drittes Motiv endlich haben wir, nach den obigen
geschichtlichen Erörterungen (§ 7), den üblichen ausdrücklichen
Garantievertrag des Schiffers und des Wirths zu erachten,
dessen Klagbarkeit, Interpretation und spfltere Subintelliginmg
eben auf Rechnung der beiden ersten Motive zu setzen ist.
Von diesen drei Motiven, welche zusammengenommen die
rechtspolitische Grundlage unseres Instituts bilden, trifft nun
keines überhaupt oder doch vollständig auf den Landfracht-
verkehr zu.
a) Die römischen Fuhrleute haben offenbar eines besseren
Rufes genossen als die Schiffer. Das gilt auch noch heute.
Unterschlagungen, insbesondere von Seiten der Stromschiffer,
namentlich an Cerealien und Rohprodukten, sind auch noch
gegenwärtig sehr häufig ' ; gegen sie, seltener gegen Fuhrleute,
sind besonders strenge Vorschriften erlassen worden =.
' Diese Erfuhrun^tliatsach« beieugl auch Bosch, Darstellung der
Handlimg I S. S3S, 539: «Dabei kann ich die Anmerkung nich.1 nnterdrUcken,
dais die Beispiele von Dieberei nnd Veruntreaang bei Landfcaditen viel seltener
all bei Schiffen sind, ungeachtet ein FuhnDann, der viele Meilen ohne Zeugen
aber Land fährt, sie viel leichter ünden muss , als Seeleute in einem vollge-
pBCklen SchiRe, aus welchem sie nar im Hafen das Gestohlene auf die Seile
bringen können. Auf Flnssfahrlen sind die Beispiele viel häufiger. Die Ur-
sache scheint mir theils in der Lebensart eines FohrmaaDes, theils in diesem
Unutande zu liegen: der Fuhrmann, welcher Vfaäten veruntreut, kann die
Schuld auf Niemanden anders, höchstens auf seinen Knecht, werfen. Aber er
kennt seine Knechte besser, und wechselt nicht oft mit ihnen; weiss ancb, dasi
er keine Fracht da wieder findet, wo er oder seine Knechte sich verdichtig
..oslc
Aiudehnung auf den Landtraniportvciirsg? 475
b) Das BedUrfniss der Sicherheit gegen Entwendung und
Beschädigung scheint das gleiche für den Land- und Wasser-
transport zu sein. Allein dieses Bedürfniss reicht für sich
gemacht haben. Der SchifTer hingegen, welcher fast zu jeder Reiie andere«
Volk dinget, ichiebt e» auf dieses uod wird immer vorgebea, er habe nur
sicbcre Leute ausgesucht.*
' Freilich begegnen schon früh Straf Vorschriften mgleich gegen Fuhrleute
und Schiffer, sowohl in Rcichsgesetzen (Kaiser Maximilian's Ordnung der Wein
halber § 3 im Abschied des 1498 lu Freiburg im Breisgau abgehaltenen Reichs-
tages [Gerstlacher, Haodb. der deutschen Reichsgesetze Tb. IX S. 1343];
Reichspolizeiordnung von 1548 tiL 161 von 1577 tit. 16; Reichsgutacbten vom
^ — ^^1686 [bei Gerstlacher IX S. 1351]), wie in Partiltulargesetren
und Sladtrechten (i. B. Braunschweig-Ltlneb. Edikt v. 21. Dez. 1639 [Mar-
perger, Neueröffnete» Handelsgericht S. ajsj). Rev. Lüb, Recht 1. IV
tit I itrt. 7, wie dessen frühere Redaktionen (Cod. Brokes II Z33, III 134;
Hacb IV 52), vgl. KSsClin, KritJscbe Ueberschau III S. zio, 33g; und die
neueren StrafgesetzbUcber bedcoben meist die Unterschlagungen , sowohl der
Fuhrleute wie der Schiffer, und zwar als qualiRzirte Unterschlagung, sofern
sie tlberbaupl die Frachtfahrer besonders rrwäbnen. So Bayer. Strafgesetzb.
An. 331 ; Oldenburg. Art. 236 (jetzt aufgeboben durch Verordnung vom
7. November 1836); WBrttemb. An, 347; Braunschweig. An. 221; Hanno-
versches Art. 307; Grossherz. Hessisches Art. 3S3 ; Njssauisches Art 376.
(Die übrigen Strafgesetzbücher heben diese Ffille nicht besonders hervor.)
Ihre gemeinsame Quelle ist der Code penol Art. 386, 387. Indessen ist fOr
die neueren Slrafgeselibacber die prinzipielle Auffassung und die Abstraktion
Ton der grösseren oder geringeren HKufigkeit der Verbrechen selbstverstindlich —
nni «n oaiverer Standpunkt des Gesetigeben vermag fflr die hier behandelte
mehr sUtiuische Frage eb Zeagniss lu genihren. Ais ein Zeugniss dieser Art
könnte die hambui^. Verordnung vom 5. Dei. 1766, rev. 23. M£r2 1786, and
eingeschfirft durch Bekaontmachimg; des Ralhs vom 13. Sept. 1S55 (Ham-
burgisches Handelsarchiv S. 143 — 147) angelogen werden, welche die SchiA-
diebstSble mit besonders stiengea Strafen bedroht; vor Allem aber die preussiiche
Gesetzgebung. Das allgemeine Landrecht (H 8 % 1510) hebt nur die Unter-
tchlagungen der Schiffer hervor, und bedroht diese mit doppeltem Scbadens-
ersatz und der Strafe des Betrugs. Erst das Gesetz vom 14. April 1834 (G.S.
S, 79) ahndet die Unterschlagangen sowohl der Fuhrleute wie der Schiffer
mit der Strafe des gemeinen Diebstahls unter erschwerenden Umstanden.
Sehr roerkwUtdig ist insbesondere die noch geltende Verordnung vom J. Mai
1809 (Rabe X S. 101), ^1. mit A.L.R. 11 8 g 1403; I 15 § 19, ■?. Sie
•teilt die hinsichllich der Vindikation sehr vrichtige Prlsnmtion auf, dass Alles,
was der Schiffer von seiner Ladoi^ and überhaupt von solchen Waoren,
welche gewöhnlich den Inhalt von Schiffsladungen bilden, verkauft, als ge-
stohlenes Gut gelten solle. Die Motivinmg im Eingange dieser Verordnung
erinnert an die Ererterungen Ulpian's zum prfitorischen Edikt. iDa die SchiSiS'
oogic
476 ^3s receptum nautaruni, caoponuin, stabalarionini.
nicht aus, um das Maass der Haftung zu bestimmeo. ENe
Verhältnisse liegen beim Landfrachtfahrer anders als beim
Schiffer und Wirth. Das Gut ist nicht so leicht Beschädigungen
und Entwendungen durch Passagiere ausgesetzt, um so mehr
aber durch Dritte, namenthch bei den häufigen Umladungen;
die Gefahren des Transports sind an sich geringer, hingegen
die Kontrolle durch den Frachtfahrer ist schwerer als durch
den Schiffer und Wirth. Diese Kontrolle dem gewöhnlichen
Frachtfahrer zuzumuthen, erscheint unbillig. Für Post- und
Eisenbahoanstalten fällt freilich dieses Bedenken fort.
c) Endlich findet sich von einer ähnlichen Verkehrsatte,
■wie sie oben § 7 für den Schiffs- und Wirthshausverkehr dar-
gestellt ist, im Landfrachtverkehr keine Spur. Und wer das
auffällig erachten sollte, der mag daran erinnert werden, dass
auch gegenwärtig die Schiffer Verpflichtungsdokumente (Kon-
nossemente) ausstellen, dagegen den Landfrachtfahrem nur
vom Absender unterzeichnete Begleitschreiben (Frachtbriefe)
mitgegeben werden. Die Gefahren des Wassertransports sind
grösser, die Dauer desselben in der Regel eine längere, man
muss dem Schiffer ein grösseres Vertrauen gewähren (1. 1
§ 1 h. t.), und sucht darum nach gewichtigeren Garantien
als die Regeln des Jus commune darbieten. Nicht der Um-
stand , dass überhaupt Vertrauen geschenkt werden müsse,
welcher bei sehr vielen Rechtsgeschäften in gleichem Maasse
zutrifft, sondern das durch die Verhältnisse gebotene Maass
des Vertrauens ist entscheidend.
In einem geordneten Rechtszustande sind grösseres Ver-
trauen des Gläubigers und strengere Rechtshülfe für denselben
Korrelate. Das tritt auch geschichtlich klar genug hervor.
Man denke an die Exekutivkraft des nexum, an die strenge
actio certae pecuniae creditae mit ihrer Sukkumbenzstiafe;
an die materielle und formelle Strenge unserer Wechselklagen;
an die Infamie, welche den verurtheilten Schuldner in judido
fiduciae, tutelae, mandati, pro socio, depositi traf u. dgl. dl
nnd Schiffskncclite öfters die ihnen anvertraute Ladung veruntreuen, auch wohl
durch deren Anfeuchtung ihre Scbw«re zu vergrössem suchen eto Hier ut
die Entstehung aus dem unmittelbaren praktischen BedUrfniss offenbar, und
bezeichnend genug, dass gegen die Fuhrleute niemals eine Sholiche Vonehrift
erlassen worden ist.
„Google
Ausdehnung auf d«D Lsadlransportvertrag? 477
Stehen nun diese Gründe einer jeden wissenschaftlichen
Ausdehnung unseres Instituts auf den Landfrachtverkehr
entgegen, so könnte nur noch die Frage aufgeworfen werden,
ob etwa demungeachtet durch gemeines Gesetz oder gemeine
Gewohnheit eine solche Ausdehnung herbeigeführt worden
sei. Allein ein Reichsgesetz der Art existirt nicht, und eine
gemeine Gewohnheit ist . durchaus imerweislich. Dagegen
spricht schon der im vorhergehenden Paragraph geführte
Nachweis, dass sogar im Seerecht die Rezeption des römischen
Rechts auf grosse Schwierigkeiten gestossen ist. Unter den
Schriftstellern und in der FVaxis war die Frage von jeher
kontrovers, so zwar, dass die überwiegende Mehrzahl sich
jederzeit gegen die Ausdehnung aussprach', und selbst unter
den Vertheidigem der analogen Ausdehnung haben nur sehr
Wenige die Ausdehnung auf alle Fälle des Landtransports
vertheidigt ' : häufiger auf den Verkehr der Posten und Land-
kutscher 3.
■ Vgl. die Nachweise bei Maller a. a, O; Cnyrim a. ». O. § i;
W. Koch, EUenbahnen II § 6, 23; Kompe, Zeitschr. f. Recht XVIII §4.
■ Unlei den Neueren namendich viele Germanisten: Bender, GnindsEtze
dei Handlongsrecbts I .S. 15S— l6o(P)', Pohls, Handelsrecht I § 6S; KtiCz,
Pandektenr. I 2 S. 308, 317; Mit termaier, Deutsches Privatf. 11 g S40,
543, 550. Srhr merkwürdig Maurenbrecher, Lehrbuch des ges. heutigen
gemeinen deutschen Rechts II § 634; Morstadt, Kommentar tv Martens
S. 4Ö; Feust, Blittcr für Rechtsanwendung in Bayern VII S. 387; Hille-
braod, Deatschei Privatrecht § 114 Note 18; Keyscher, Württemberg.
Privatrecht II g 460, 461; Bes«ler, D, Privatrecht III S. 355. 352.
Bluntschli, D. Privatrecht II § 130. Uebrigens ist eine sichere Klassihkstion
am deswillen unmöglich, weil über die piaktischco und innerlicheD Unterschiede
zwischen der civilen Verantwortlichkeit und der Haftung ex recepto so grosse
Unklarheit xu herrachen pflegt. Doch darf man wohl annehmeo, dass, wo die
Landfrachtfahrer den Schiffern gleichgestellt, oder nur dorch vis major, höhere
Gewalt Q. dg), befreit werden sollen, die Haftung ex TEcepte gemeint Ist. Vgl.
die Note 1 auf S. 453.
1 Dafbr pflegt mao sich weniger auf innere GrUnde, als anf eine behauptete
Praxis au berufen, i, B. v. Zangen, Kurie Erörterung etc. S. 28 — 30, 33 — 36,
la, 13; Gltick VI g 193; Mohlenbruch, Pandekten g 451 1 Koch, R. der
Ford. III S. Sag ; PuchCa, Pandekten [iz. Aufl.] g 3[4 beemrkC: «Die Anwen-
dung auf Landfnhrwerk ist lulälsig, soweit es als Gewerbe lur BeßSrderang
von Personen betrieben wird; auf Staatsanstalten dieses Zwecks kann es nicht
belogen werden.« Vorsichtiger in seinen Vorlesungen ad b. 1. «Bestritten ist
es, ob das Edikt auch auf Landfnhrwerke Anwendung finde. Auf keine Weiss
findet es statt bei dem Transport von Sachen allein. Ausserdem ist es an-
478 Db> receptiun nautonim, ouponDm, itabuluiorum.
Auffallend genug erwähnt der ausführlichste Schriftsteller
über den Laadf rachtvertrag , MUnter, der Kontroverse gar
nicht, sondern behandelt die Fuhrleute durchaus nur nach
den Grundsätzen der locatio conductio, obwohl er die Theorie
auch der actio de recepto bei Gelegenheit des Verhältnisses
zwischen den Fuhrleuten und den Fuhrmannswirthen in ihrem
ganzen Detail bespricht. Auch Veillodter in seinem »Ent-
wurf eines allgemeinen Handelsrechts« Frankfurt a. M. 1799
deutet in der sehr ausführlichen Aufzählung aller Pflichten
des Fuhrmanns (S. 221 ff. namentlich § 8—11, 17—24) mit
keinem Worte darauf hin, dass der Fuhrmann über sein und
seiner Leute Verschulden hinaus haften solle. Und unter den
älteren Schriftstellern sind gerade diejenigen, welche ex pro-
fesso das Recht der Fuhrleute behandeln, die entschiedecsten
Gegner einer jeden Ausdehnung unseres Instituts, z. B, L a u t e r-
bach, Diss. de nautis, caupon. stabular. 1676 (diss. academ.
disp. CV) Nr. 33—35; Mieth, Disp. de eo quod justum est
circa aurigas. Jene 1699, cap. 4 § 10, vgl. cap. 3 § 2, 4 ff.,
cap. 2 § 10; Harpprecht, Das Recht der Fuhrleute, Th, I
Cap. 2 § 16, Cap. 3 § 2; Werner {praes. Harpprecht),
Actio utitis de recepto 1707, wo, wie bei Lauterbach, auch
reiche Belege aus der älteren Literatur und Praxis gegen die
Ausdehnung angeführt werden, namentlich Nr. 86—119 (vgl.
mit der Aufzählung der Gegengründe und Gegner Nr. 120
bis 154), 200—204 ; darunter Urtheile der Rota Romana, der
Leipziger Schöffen, des Frankfurter Raths, der Tübinger
Juristenfakultät. Der Verfasser des Codex Maximil. Bavari-
cus lehnt Jede Ausdehnung des im Üebrigen adoptirten In-
stituts auf den Landverkehr ab. (Anmerkungen zum Codex
Maximil. Bavar. [Münch. 1765] Th. IV S. 657.) In gleicher
Weise hat sich die preussische Gesetzkommission in der Ent-
scheidung vom 25. Februar 1783 gegen die Ausdehnung desselben
auf Fuhrleute erklärt (Klein, Annalen der Gesetzgebung und
Rechtsgelehrsamkeit in den Preuss. Staaten Bd. I S. 76—81);
IKiiig, e* wird aber doch auf die Praxis des Landet ankommen,
denn eine innere Noth wendigkeit der Aatdetmnng; liegt nicht
Tor, und in der Tbat sind di« Ffille nicht ganz gleich.« Gegen
jede Unterscheidung und (Oi allgemebe Ausdehnung: Mackeldey, Di^
dt. S 36.
itizecy Google
AusdehDung auf den LandtramportTertraj;? 479
übrigens beruht die Anfrage, und vermuthlich auch die
Entscheidung, auf unrichtigen Ansichten über die Beweislast.
Die neuesten Schriftsteller verneinen jede analoge Aus-
dehnung '.
Was insbesondere den Post- und Eisenbahnverkehr an-
langt, so gelten fUr diesen freilich in manchen Beziehungen
strengere Normen als für den gewöhnlichen Landfrachtvertrag,
allein nicht etwa wegen dessen Beurtheilung nach den Grund-
sätzen des receptum, sondern nur in Folge eines für diese
grossen Institute theils gewohnheitlich , theils durch auto-
□omische Satzungen ausgebildeten Sonderrechts. Es genügt,
in dieser Beziehung auf die neuesten mehrfach erwähnten
gründlichen Darstellungen dieses Sonderrechts von W. Koch
und Kompe zu verweisen, —
Nur ein Punkt scheint allerdings durch deutsches Ge-
wohnheitsrecht, dem Bedürfniss des heutigen Verkehrs und
dem älteren einheimischen Recht gemäss, gegen das römische
Recht allgemein festgestellt zu sein: nämlich die unbedingte
Haftung jedes Frachtführers für sein Dienstpersonal. Dass
dieser Satz irriger Weise, wie mir scheint, auf römische Texte,
namentlich auf 1. 25 § 7 D. locati gegründet wird, würde
an seiner Geltung als Gewohnheitsrechtssatz nichts ändern.
Er wird überall als unzweifelhafter Rechtssatz gelehrt, ange-
wendet, und in den Gesetzbüchern ausgesprochen',
' So Müller, Cnyrim, Koch, Kompe a, a. 0.; v. Linde, Zeit-
>cbr, f. Qvilr. und Proieu, N. F. Bd. l6 S. 187 ff. >Ist jetzt wohl nicht
mehr streitig.: Brinckm«no - Eodemann , Lehrbuch de» Handelsrecht»
§ 114 Note 13, Zn den Verzeichniiten bei Mfliler, Koch etc. wiren noch
als GegDer jeder Ansdehnuog nachiatiagen: Heiue'a HandeUrecht S. 79,
Das hsmhnt^sche Hnndelsgericht in einem Urtheil t. J. 1818, und dazu die
Nachschrift des Dr. Kleinwort (Archiv f. das Handelsr. Bd. II S. 35, 33).
Blitler fUr Rcchtsanwendving in Bauern XI S. 18 and die Redaktion derwlben
Vm S. 388 Note 2; Reinhardt, Ei^Sniungen xu GlOck II 5. 281, 282;
Walter, Syilem des gemeinen deutschen Privatrechts §g 279, 278 ()), Eine
Aninahme macht nur Beachotner, Das deutsche Eisenbahurecbt S. z6j
und Archiv fllr civil. Praxis Bd. 41 S. 401 , doch ist denelbe aber die wirk-
lichen Diflereozen zwischen blosser locutio conductio uad receptum im Un-
klaren. Vgl. z. B, dessen Etseabahnrecht S. 235, 236.
* Bei Adteren finden sich wohl abweichende Ansichten, z. B. Werner
(praes. Harpprecht), 1. c. Nr. 206 fr.), die Neueren dagegen sprechen rieh
aberall ftlr die unbedingte Haftung aus, i. B. Munter, Fracbtfihrerrecht 1
S, 48 ff.; Maller a, a. O. §§ 21, 32; Cnjrim, IMn. g 9; Koch, Eiien-
480 Das receptDm naatamin, caapODam, tUbulariorum.
Was sodann die deutschen Gesetzgebungen und
Partikularrechte anlangt, so finden sich in diesen nur folgende
analoge Ausdehnungen unseres Instituts.
Das A. L. R. II 8 §§ 2452-2464 unterwirft die Fracht-
fuhrleute durchaus den Grundsätzen des Dienstvertrages
(Vertrag über Handlungen A. L. R. I 11 § 869 ff.); nur be-
stimmt es ausdrücklich g 2459, dass dieselben schlechthin für
eigene geringe Versehen und für die geringen Versehen auch
ihrer Leute haften müssen — ■ gegen die allgemeinen Regeln I 6
§§ 58—69, I 5 § 278, I 11 § 899. Ausnahmsweise sind jedoch
die »Inhaber öffentlicher Landkutschen, welche der Staat bestellt
oder besonders privilegirt hat, um Reisende oder Sachen fortzu-
schaffen!, desgleichen »die Inhaber solcher Fähren, welche zum
Uebersetzen der Reisenden bestimmt sind«, den Rhedem, und die
Fuhrer dieser Kutschen oder Fähren den Schiffern gleichgestellt
§§ 2452—2457'. Die fortdauernde Geltung dieser Vorschrift
ist für die neben den Staatsposten noch bestehenden Fuhr-
institute der Art durch Urtheil des Obertribuoals zu Berlin
vom 26. Juni 1855 (Striethorst 's Arch. f. Rechtsf. XVÜ
S. 307 ff.) — gegen mehrfache Anfechtungen — aufrecht-
erhalten worden. Die C.O. vom 14. Juli 1841 stellt die Strom-
schiffer auch bezüglich des Verhältnisses zu den Befrachtern
den Seeschiffern gleich. Noch darüber hinaus geht und den
römischen Grundsätzen Über das receptum näher steht die
Vorschrift des preussischen Eisenbahngesetzes vom 3. Novem-
ber 1838 § 25.
Die Gesellschaft ist zum Ersatz verpflichtet für
allen Schaden, welcher bei der Beförderung auf der
Bahn an den auf derselben beförderten Personen und
Gütern , oder auch an andern Personen und deren
bahnen II S. 2J, 133, 134; Kompe, Zeitscbr. f, D. R. XYIII S. 3*8;
— selbElverständlicb diejeaigen, welche Qberbaupt den conductor operis und
Geachäflsherm fUr seine Gehfllfen boften lassen, oder welche die Grundüue
de< receptum auch auf den LandfracbCfahrer anwendcD. Ueber die nenercn
Gesetibtlcher siehe den Teit im Folgeoden, und oben S. 469 Note 4—6,
470 Note 1—3.
' Kritik dieser Voischriften bei Gelpke, Zdtschr. & Hudelarecht III
S. 56 — 64. NShere AusfUbning in Fischer, Freussens kanfmtnniichei
Recht S. 339 tf.
izecoy Google
AaidebniiDg auf den Land transporl vertrag ! 481
Sachen entsteht, und sie kann sich von dieser Ver-
pflichtung nur durch den Beweis befreien, dass der
Schaden entweder durch eigene Schuld des Beschädigten
oder durch einen unabwendbaren äusseren Zufall be-
wirkt worden ist. Die gefährliche Natur der Unter-
nehmung selbst ist als ein solcher von dem Schadens-
ersatz befreiender Zufall nicht zu betrachten'.
Dass diese Vorschrift durchaus auf dem Vorbild der ge-
meinrechtlichen, preussischen und französischen Regeln über
das receptum beruht, ist wiederfaolentlich von den preussischen
Gerichten anerkannt worden'. —
Das österreichische bürgerl. Gesetzb. §§ 970, 1316
behandelt Schiffer, Fuhrleute und Wirthe nach gleichen
Grundsätzen.
Im sächsischen Recht ist die Ausdehnung unseres
Instituts in gleichem Maasse bestritten wie im gemeinen; für
den Postverkehr steht seine Unanwendbarkeit sogar fest'.
Allerdings sind in neuester Zeit mehrere Entscheidungen
sächsischer Gerichte , auch des Oberappellationsgerichts zu
Dresden, ergangen, welche für den Landfrachtverkehr, und
' Kritik des § 35 bei HaDteroann, Kritik des prensiiichen Ei*ett-
bahngesetzes vom y Nov. tSjy. Aachen 1841 S. 6S — 71. Ueber die Auilegung
und AoweaduDg dieser Vorsclirifi siad folgende Urtlieile des pretmitcben Ober-
tribomU« lu vergleichen: vom 22. April 1855 (Striethartt' ■ Archiv XXI
S. 114—116), vom 13. November 1857 (eod. XXVII S. iiS— 136 and
Enttcbeidungen XXXVll S. 31—41), vom 14. Dezember 1S57 (eod. XXVI
S. 359—371 und Enticb. XXXVll S. 42—51), vom 34. April 1854 (Entsch.
XXVIII S. 370^-276) und vom 19. Oktober 1S58 (Zeitachr. f. d. g. H. Bd. III
S. 3ig, 230).
> Vgl. oben S. 460 Note 1, 469 Note 4, 471 Kote 1 und die bri W.
Koch abgedruckten Urtheile des rheiniicben Appdlbofea vom 3. Dezember
1849 (Eisenbahnen Bd. II S. 60), des OberlribuniLls lu Berlin v. 16. HKrz
iSja (eod. S. 62), des rheinischen Appellhofes v. 21. Januar 1853 (eod.
S. 65), des Obertribunals lU Berlin v. 8. MIrz 1S53 (eod. S. 66) ; insbesondere
das Urtbeil des Obertribunals v. 6. Juli 1858 (eod. Anlagenheft Anl. XXVI
S. 310, 3H> Vgl. auch Koch 11 S. 69—71.
} Vgl. Haubold, Lehrbuch des sficha. PrivaCrechCs. 3. Aosg. § 3S8 b.
Zos. 2 und § 359 Note d e. Die hier nnd sonst zitirte Schrift von Funk-
binel (Ueber die Anwendbarkeit der prfitoiischen actio de recepto auf die
Enativerbindlichkeit der henCigen PostanstaJien, Fnhrleate etc. GtauclUD 1S3Ö}
liabe ich nicbt erlaogen können.
Galdichmidl, VemiiicliM SchriftsD. H. 3I
D,3,l,:a,.,,GüOglc
432 ^'i receptum nautaTum, cauponum, stsboliirionun.
insbesondere für den Eisenbahntransport , aasdrücklich die
Grundsätze des receptum adoptiren'. Sieht man indessen
näher zu, so handelt es sich in allen diesen Urtheüen nur um
die Frage von der Beweislast, und nur dämm werden jene
Grundsätze herangezogen, um den Satz zu rechtfertigen, dass
nicht der Befrachter die Schuld, sondern der Frachtfahrer
den Zufall zu erweisen habe. Bedarf es aber, wie oben § 4
Note 2 auf S. 421 gezeigt worden ist, zu diesem Behuf e
durchaus keiner analogen Ausdehnung der Theorie des recep-
tum, sondern fuhren die Grundsätze der locatio conductio
durchaus zu dem nämlichen Resultate, so kann durch jene
Urtheile unsere Kontroverse offenbar nicht für die neuere
Praxis als entschieden erachtet werden. Und dies nm so
weniger, als sogar eine gleich grosse Anzahl Urtheile aus
derselben Zeit auf einem durchaus verschiedenen Stand-
punkte steht".
Man hat tlberbaupt, in Ermangelung klarer Einsicht in
den wahren Inhalt unseres Instituts und dessen Unterschied
von der locatio conductio, mit der Behauptung, dass auf das
erstere nicht die Grundsätze der letzteren anwendbar seien,
so argen Missbrauch getrieben, dass sogar da, wo etwa
die Ausdehnung der actio de recepto auf den Laudfracht-
verkehr als ausdrückliche Usance bezeugt ist, wie z. B. in
■ Uctbeil dcf A.G. lu Leipzig t. 9. Duember 1S48, besiäügt durch du
O.A.G. »n Dreden v. ai. Juoi 1849 (bei Koch , AnUgenbefl S. 90. 91); ia
Appellalionigerichte »u Leipiig v, aj. April 1856 (eod. S. 97). des Spruch-
koUegiunu ni Leipzig v. 25. September 1855 (eod, S. 101—104). Auf diesen
Urtheile» und auf demselben Imbom fuuen die Note l S. 479 enrlhuten
AnißthruDgeo Beschorner' s.
' So erkennt du O.A.G. lü Dreaden in dem L'rlheil v. 31. Januu 1S56
ausdcUcklich and unumwunden die atigemeine Geltung der von uns Note 1
S. 421 verlheidigten Grmjdi8tie hinsichtlich der BeweislMl an (Koch, Ad-
lagebeft S. 108, 109 und Seufferl's Archiv XI Nr. «37). Ein anderes
Urlheil des O.A.G. vom i. OkL 1856 besifitigt ein Unheil des Appeliations-
gerichts zu Leipzig, in welchem ausgefUhrt wird, dass e« hinsichtlich der
Beweiilast keinen Unterschied mache , ob man den Frachtfllhrec nach den
Gtundsfitten des receptum oder der locolio conductio benrtheile (eod. S. llj,
120, 131). Dagegen halle in derselben Sache das vom Appellationsgericbl
ceformirte Urtbeil des Handellgerichts zu Leipzig v. ApHt 1855 allgemein.
ohne auf unsece Frage weiter einzugehen, dem Absender resp. Destinatir den
Beweis des Verschulden» des Eisenbahnpersonals auferlegt (eod. S, 125).
oo<
Igle
AusdehDUDg auf den LtadtrampOTl vertrag? 483
Nürnberg ' , ein sehr entschiedenes Misstrauen gerechtfertigt
sein dürfte.
Anders verhält es sich allerdings mit dem auswärtigen
Recht, Hier wird durchweg der Landfrachtverkehr in diesem
Punkte dem Schiffstransport gleichbehandelt — theils nach
eigenthUmlichen Prinzipien, wie im engliechen Common Law ',
theils auf Grundlage der römischen Theorie, wie in den
französischen Gesetzbtlchem und den sämmtlichen neueren
Handelsgesetzbüchern, welche denselben gefolgt sind^. So
auch in dem Civilgesetzbuch für Stadt und Republik Bern
Th. II (publizirt den 18. März 1830), Satzung 737*, und in
' Andere partiliulSre Uskncen der Art und mir nicht beVuint geworden.
Für NflmberK liegen Gutachten (oder gerichtliche Entscheidungen] vor vom
25. Janaar l8l6, 31. Mai 1835, V], November 1837 [Nürnberger Samm-
lung einiger nUraber^erischen Handeln-ecfatsgewolinheiten Nürnberg 1S46
S> 33> 33> 37i 3^)1 allein die konkreten Eotscheidungen scheinen durchweg
zugleich den GmndiStien der locatio conductio operil za eotiprechen. Du
Gutacbten v. 26. Januar 1S16 bedient sich zwar nicht der AuEdrüclw receptum,
vis major u. dgl., erklSrC aber den Fuhrmann ftlr jede Beichldigung des Guts
auch durch Drille verantwortlich — unter Berufung auf MUnter, in dessen
Frachtfabrerrecbt das Ciut nicht lu finden ist, und der nirgend* an die Am-
dehnnng der actio de recepto auf den Landtransport denkt.
> Uebec die Modifikationen durch das Statute law vgl. oben g 12 g. E.
3 Vgl. oben auf S. 460 Note \, 469 Note 6, 470 Note i. Ueber das
französische Recht vgl. noch Pard eiaus, Coonde droit comm.Nr.54a, 516, 545;
Alaciel, Commentaire da code de commerce Nr. 467, 4ÖS, 487; Trop-
long, LouKge Nr. 916, 936, 937; Zacbarlli, Handbuch II §373: Masif
und Vergf, Le droit civil par Zachariae, traduit, annotj et r^tabli etc. L IV
(1858) g 709, Ueber die Praxi» Gilbert lu Code civil art. 1783 ff. Code
de commerce art. 103.
* 'Handwerker, die fremde iSachen lar Verarb^lane übernommen, und
Wirthc, Schiffer und Fuhrleute haften für den Schaden, welcher aus der Ent<
Wendung, dem Verluste oder der B«tchidigaiig von Sachen entsteht, die ihnen
oder ihren Dienstleulen von Haodwerksknnden , aufgenommenen Reisenden
oder als Frachtgut augestellt worden; es sei denn, sie könnten erzeigen, daa*
dieter Schade in einem Zufalle «einen Grund habe, der nicht durch ihr Ver-
Echnlden herbeigeRIhrt worden , oder gegen welchen sie sich durch die Vor-
sichttmaassregeln nicht bitten schätzen können, die ein ordentlicher Hatiswirlh
gegen solche ZuflUe gebraucht,! Dr. Schnell in seinen Anmerkungen Mein
(Th. II Bern 1830 S. 83, 83) bemerkt, es sei gegen die Klage zu sxcipiren,
das* der Schaden in einem reinen Zufall seinen Grund habe , d. h. in einem
solchen Zufall, der nicht durch ihr Verschulden herbeigeführt worden, und
den man durch die Vorsieb Isnuassiegeln, darch die man sich vor dergleichen
31*
, Google
484 ^^ receptnm nantkrum, cauponnm, sUbnlArionun.
dem privatrechtlichen Gesetzbach für den Kanton Zürich
§1 1653 — 1656, 1668, dessen hier einschlägiges viertes Buch
mit dem 1. Heumonat 1855 ia Kraft getreten ist.
Zum Schlüsse mag noch der neuesten legislativen Arbeiten
gedacht werden, insbesondere der Entwürfe zu einem Deut-
schen Handelsgesetzbuch. —
ZufSUen zu verwahien pflegt , nicht hatte abwenden kGnnen , z. B. an nicht
Torheizasehendci Katurereignisg, ein feindlicher Ueberloll n. dgL Uan eiseht
aus dieser Bemeikung des Rcdalctois, dais man wirklieb die rCinischc Theorie
hat aanehmcD wollen, wtihrend nach dem Wortlaut eine mildere Häftling ge-
meint enchieue.
D, Google
Anhang.
Resultate für die l^slative Gestaltung und die
neueren Gesetzentwürfe.
Die bisherige Theorie über das receptum leidet, abgesehen
von ihrer mangelhaften geschichtlichen und dogmatischen Be-
grUndtmg, an zwei auch praktisch erheblichen Fehlem. Ein-
mal, dass sie — und dieser Vorwurf gilt insbesondere der
älteren Behandlung — in den Grundsätzen über die Beweis-
last sowohl den Hauptunterschied des receptum von der
locatio conductio operis, wie das wesentlichste legislative Motiv
der Einführung des ersteren erblickt. Sodann, dass sie den
Umfang der Haftung des Rezipienten durch den juristisch
unsicheren Begriff einer vom einfachen iZufalU verschiedenen
»höheren Gewalt« bestimmen zu können glaubte. Die wirklich
praktischen Unterschiede, welche die vorstehende Darstellung
ergeben hat, sind nur folgende'.
1. Ex locato haftet der conductor nicht schlechthin für
die Schuld seiner Leute, sondern nur dann, wenn er seine
diligentia in eligendo nicht zu erweisen vermag, — ■ ex re-
cepto dagegen unbedingt Dieser wichtigste Unterschied,
welcher nach weit verbreiteter Meinung' sogar für das
römische Recht nicht mehr besteht, ist jedenfalls durch ge-
meines Gewohnheitsrecht insoweit beseitigt, dass auch der
Landfrachtfahrer unbedingt für seine Leute einsteht
> Dies irird du Urtheil rechtfertigen, welches 5, 41S Note 4 über die
Üblichen AufTuningcn HOJSgesprochen ist.
* Die in Note I aufS. 4JI erwähnte »usführiiche Dlrstellung Ton übbe-
lohde ist erschienen im Archiv f. prakt. Rechtswissenschaft Bd. VII S, 33g
bi» 176. '
Digil.ze.:,, Google
486 ^*^ receptum nsntanini, csuponum, stabnlarionui].
2. Ex locato haftet der Frachtfahrer nicht für die Passa-
giere, sofern er nicht erweislich schuldbarer Weise gefährliche
Leute aufgenommen und die Aufsicht über dieselben unter-
lassen hat — ex recepto dagegen unbedingt. Dieser Unter-
schied ist von keiner grossen praktischen Tragweite und bei
dem reinen Gütertransport ohne Gegenstand.
3. Ex locato haftet der Frachtfahrer nur für diligentia
in custodiendo nach dem Maassstab des diligens paterfamilias,
— dagegen ex recepto ist er, vermöge der noch besonders
übernommenen custodia, zur Anwendung auch ausserordent-
licher, durch die Umstände irgend indizirter Vorsichtsmaass-
regeln verpflichtet und haftet schlechthin, sofern nur deren
Unterlassung die Beschädigung oder Entwendung ermöglicht
hat. Im entgegengesetzten Falle ist auch er frei. 5. 448,
449 sind einige Beispiele angeführt, aus denen sich die Grenze
zwischen der beschränkten und der umfassenderen Haftung
ersehen lässt. Einen anderen hierher gehörigen Fall hat das
O.A.G. zu Lübeck in dem Urtbeil vom 30. März 1858 ent-
schieden (Zeitschr. f. d. g. H. I S. 574 ff.). Allein bei unbefangener
Betrachtung darf nicht verkannt werden, dass diese Grenz-
linie eine überaus schwankende ist, und dass dem praktischen
Bedürfniss mit der Haftung für dihgentia sicherlich genügt
wäre. So ist z. B. bei Berathung des Entwurfs eines deutschen
Seerechts in der Hamburger Subkommission ohne Widerspruch
folgender SaU aufgestellt (Prot S. 2286, 2287). .Der Schiffer
liefert unverletzte Theekisten mit stinkendem, also beschädigtem
Thee ab. Es wird ihm bewiesen, dass der Thee bei der Ab-
ladung unbeschädigt war, und dass er durch die Nachbarschaft
einer anderen Kiste infizirt wurde, in welcher sich innerlich
schlecht verpackte Apothekerwaaren befanden, welche fälsch-
lich als Kaufmannsgüter erklärt worden waren. Dabei steht
fest, dass weder den Schiffer noch seine Mannschaft irgend
ein Verschulden trifft. Der Kaufmann hat in solchem Falle
unbezweifelt ein Recht gegen den Schiffer aus dem receptum;
dagegen haftet ihm weder der Assekuradeur , noch hilft ihm
seine Klage gegen den Ablader der Apothekerwaaren, wenn
dieser persönlich seine Unschuld an der falschen Deklaration
beweist, oder wenn er insolvent ist. Dies ist einer von den vielen
Fällen, inwelchendasGut wirklich ohne Schuld desSchiffersdurch
einen von ihm ex recepto zu vertretenden Zufall beschädigt wiitLc
Anhang. 487
Ich möchte bezweifeln, dass sich viele solche Fälle auf-
führen lassen, sie wären aber jedenfalls, nach den in dieser
Abhandlung entwickelten Grundsätzen, im entgegengesetzten
Sinne zu entscheiden'. Alle Billigkeit spricht dagegen, hier
den Schiffer haften zu lassen, oder doch weiter als auf Cession
seiner Klage gegen den Ablader der Apothekerwaaren. Ist
dieser insolvent , so trifft . der Schaden als Zufall den Eigen-
thümer resp. Käufer der Theekiste. Ist der Ablader an der
falschen Deklaration unschuldig, so tritt dasselbe ein, bis auf
die etwa mögliche Cession der Klage gegen den Schuldigen.
Auch die aquilische Klage direkt gegen den Schuldigen würde
dem Beschädigten hier zustehen. Ein praktisches BedUrfniss,
noch weiter zu gehen, ist schwerlich anzuerkennen.
Prüfen wir nun die neuesten legislativen Arbeiten, so er-
gibt sich klar, wie wenig man bei der Ausdehnung der
Theorie des receptum auf den Landtransport die praktische
Tragweite dieser Neuerung übersah.
I. Der Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für
das Königreich Württemberg (1839) bestimmt:
Art. Hl. Der Fuhrmann haftet für jeden Schaden
an dem ihm anvertrauten Gute, wenn derselbe nicht
durch höhere Gewalt, durch die eigenen Mängel des
Guts oder durch die Schuld des Versenders erweislich
entstanden ist und — was die beiden ersten Fälle an-
langt — bei gehöriger Vorsicht nicht abgewendet
werden konnte.
Art. 120. Ist die Ablieferung des Guts wegen
höherer Gewalt nicht innerhalb der bedungenen Zeit
geschehen, so ist der Fuhrmann für den Verzug keine
Entschädigung schuldig. —
Art, 122. Ist der einzuschlagende Weg vorge-
schrieben, so trägt der Fuhrmann alle Gefahr, wenn
er, ohne durch höhere Gewalt gezwungen zu sein,
davon abweicht —
< Vgl. auch aber diesen Fall Pardessus, Cours de droit com. Nr. 545.
Wuntemb, Entw, MotiT« S. 117. Erster (minlslerieller) Entw. eines österr.
Handelsrechts § iSo, Revidirter österr. Entw. § iSl; Flacher, Preusteni
kauf mann isches Recht S. 257.
oy Google
488 ^'^ receptum nautuiun, Maponuni, sbtbulariorum.
Art. 127. Alle im gegenwärtigen Kapitel ent-
haltenen Verfligungea gelten auch den Schiffern. Sie
gelten femer den Landboten, Landkutschern und öffent-
lichen Posten , soweit nicht die Gesetze bei dieses
letzteren etwas Anderes bestimmen. Sie können im
Wege des Vertrags auch auf solche Fuhrleute An-
wendung finden, welche andere als Kaufmannsgüter
zur Fuhre übernehmen, ohne gewerbsmässige Fracht-
fahrer zu sein.
In den Motiven (Stuttgart 1840) S. 116, 117 wird aus-
geführt, dass man dem holländischen Handelsgesetzbuch
Art 91 gefolgt sei; dass man nicht den Ausdruck »unver-
meidlichen Zufall* gewählt habe, »weil eine solche zweideutige
Bestimmung nur zu Zweifeln bei der Anwendung und zu
einem verwickelten Beweisverfahren führe — und weil wieder
Ausnahmen hätten gemacht werden müssen, z. B. wenn die
Entwendung von den Leuten des Fuhrmanns oder seinen
Reisegefährten oder von Leuten herrührt, welche mit ihm in
einem Gasthof zusammen waren etc. Zudem kommt in
Betracht, dass die Fracht eine doppelte Eigenschaft hat (?).
einmal als Entschädigung für Fuhrlohn und dann als Asse-
kuranzprämie . lUnter .höherer Gewalt' wird verstanden
jede durch natürliche, thierische oder menschliche Kräfte
hervorgebrachte unwiderstehliche Gewalt. Es muss demnach
ein von Aussen kommendes, überwältigendes Ereigniss sein,
nicht ein inneres, in der Person des Fuhrmanns sich er-
gebendes, z. B. plötzliches Erkranken oder Tod.« >War der
Schaden mehr oder weniger bei gehöriger Vorsicht vermeid-
lich, so kann sich der Fuhrmann nicht mit der höheren Gewalt
oder den eigenen Mängeln entschuldigen.«
II. Uebereinstimmend mit Code de commerce art. 103
lautet der nassauische Entwurf Art. 30 (nach St. Joseph,
Concordance p. 318).
III. Der Entwurf eines allgemeinen Handels-
gesetzbuchs für Deutschland (1849) (sog. Reichshandels-
gesetzbuch) tit. V enthält folgende einschlägige Vorschriften:
Art. 42. Für Verlust und Schaden, welche das
Gut von der Empfangnahme bis zur Ablieferung am
Bestimmungsorte treffen, ist der Frachtführer verant-
AnbftDg. 4S9
wortlich, wenn er nicht beweist, dass er sie durch An-
wendung der Sorgfalt eines ordentlichen Frachtführers
nicht würde haben abwenden können,
Art 43. Für die verspätete Ablieferung des Gutes
ist der Frachtführer verantwortlich, wenn er nicht
beweist, dass er die Verzögerung durch Anwendung
der Sorgfalt eines ordentlichen Frachtführers nicht
würde haben vermeiden können.
Art 44. Der Frachtführer haftet für seine Leute
und fUr den Zwischenfrachtf Uhrer , welcher ihm nicht
vorgeschrieben war.
Art. 49. Die Bestimmungen dieses Abschnitts
finden Anwendung auf Unternehmer von Beförderungs-
mitteln jeder Art, welche dem Publikum öffentlich zur
Benutzung dargeboten werden, imbeschadet der Vor-
schriften, welche in den besonderen Reglements ent-
hatten sind.
Nach Art. 50 auch auf den nicht gewerbsmässigen ent-
geltlichen Transport von Kaufmannsgütem , nach Art. 52
jedoch nicht auf den Seetransport.
Der Ausdruck »höhere Gewalt« kommt nicht vor. Die
Motive S. 216 brauchen diesen Ausdruck als durchaus identisch
mit Zufall. >In Betreff der Verantwortlichkeit des Fracht-
führers für Verlust und Schaden an dem übernommenen Gute
und für verspätete Ablieferung desselben sagen die meisten
Gesetzbücher, dass er sich nur durch den Beweis des Zufalls
oder der höheren Gewalt von der Verantwortlichkeit befrelea
könne. Zufall oder höhere Gewalt ist jedes Ereigniss, welches
durch Anwendung der erforderlichen Sorgfalt nicht abge-
wendet werden konnte.* Die Verfasser des Entwurfs glauben
offenbar in völligem Einklag mit den in den Motiven zitirten
französischen und übrigen modernen Handelsgesetzbüchern zu
stehen. Die Motive zu Art. 27, 28, 29 von der Spedition,
auf welche hier verwiesen wird (S. 209), sagen : »Als Schuldner
einer species trifft ihn die Beweislast, und er kann die Ver-
antwortlichkeit nur dadurch von sich abwenden, dass er dar-
thut, dass die Verzögerung oder der Schaden durch An-
wendung der gehörigen Sorgfalt nicht abzuwenden gewesen.
Dieste ist es, was die Gesetze ausdrücken wollen, wenn sie
sagen, dass der Spediteur für die Verzögerung und für
„Google
490 ^^ receplnm nABUrum, dupoDnm, itabulaHonun.
Verlust und Schaden hafte, wenn er nicht beweise, dass sie
durch höhere Gewalt entstanden oder dass sie die Folge eines
Zufalls seien.(
Wahrend so der württembergische Entwurf mit dem
Ausdruck »höhere Gewaltc einen höheren Grad des Zufalls
zu bezeichnen glaubt und bezweckt, will der Reichsbandeis-
gesetzentwurf , abgesehen von Art. 44, für keine Art des
Zufalls, niemals über culpa hinaus, haften lassen. EKe Regehi
des Reichshandelsgesetzentwurfs sind also die des gemeinen
Rechts nach den Prinzipien der locatio conductio operis,
aber mit der gewohnheitlichen Verschärfung hinsichtlich der
Dienstleute und der nicht hierhergehörigen legislativen Ver-
schärfung betreffs der sog. Zwischenfrachtführer. Und doch
scheint es, dass die Redaktoren des Reichshandelsgesetzent-
wurfs nur die Theorie des receptum anzuwenden glaubten!
IV. Sehr klar ist diese Differenz über die Auffassung
unseres Instituts in den Vorarbeiten zu dem noch in Berathnng
befindlichen deutschen Handelsgesetzbuch hervorgetreten.
Es gehören hierher der erste (ministerielle) und der zweite
(revidirte) Entwurf eines österreichischen Handelsrechts ; femer
der (erste) Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für die preussischen
Staaten (1856), der revidirte (zweite) Entwurf eines Handels-
gesetzbuchs für die preussischen Staaten (1857) und die auf
Grundlage des letzteren entstandenen Entwtlrle eines allge-
meinen deutschen Handelsgesetzbuchs erster (1857) und zweiter
(1858) Lesung, sowie die veröffentlichten Berathungsprotokolle
und Motive. Von den seerechtlichen Normen liegen zur Zeit
nur die zwei preussischen Entwürfe und der erste Entwurf
der hamburgischen Subkonunission vor.
Die Vorschriften der beiden Osterreichischen Ent-
würfe lauten dahin:
Erster öaterr. Entwurf. Zweiter österr. Entwurf.
g 174. Der Frachter ist so- g 176. Inwieferne derFräch-
wohl für sein und seiner Dienst- ter sowohl für sein und seiner
leute .Verschulden (§§970, 1316 Dienstleute Verschulden alsanch
a. b. G.B.) als auch für jenes für jenes weiterer Frachter,
weiterer Frachter, welche ihm welche ihm nicht namentlich vor-
nicht namentlich vorgeschrieben geschrieben sind, oder für den
sind, aber nicht für den Zufall Zufall verantwortlich sei, bestim-
verantwortlich. — men die §§ 970, 1316 und 1311
des allg. bürg. G.B.
oogle
§ 180. Der Frachter haftet
für eine dem angegebenea Inhalt
angemessene Sorgfalt ; für Scha-
den aus der inneren Beschaffen-
heit der Waare oder aus solchen
Mängeln der Verpackung, welche
er bei der Uebemahme nicht
wahrzunehmen im Stande war,
ist er nicht verantwortlich; eben-
sowenig für Beschädigung durch
fremde Frachtstücke, deren
wahrer Inhalt ihm nicht bekannt
sein konnte.
ug. 491
§ 181. Der Frachter hattet
für die Anwendung der dem an-
gegebenen Inhalt der Fracht-
stücke angemessenen Sorgfalt;
für einen aus der inneren Be-
schaffenheit der Waare oder aus
solchen Mängeln der Ver[)a.ckung,
welche er bei der Uebernahme
nicht wahrnehmen konnte, ent-
standenen Schaden ist er nicht
verantwortlich ; ebensowenig
u. s. f. (wie nebenstehend).
§ 181. Frachtstücke, welche
er auf solche Art verwahrt über-
nommen hat, dass er deren In-
halt nicht einsehen konnte, bat
er nur in äusscrlich unbeschädig-
tem Zustande zu übergeben.
Im Falle des gänzlichen Verlu-
stes oder einer wahrgenomme-
nen Eröffnung, welche nicht als
zufällig erwiesen werden kann,
haftet er nur für den Inhalt
und Werth, der ihm bezeichnet
g 182. Bei Frachtstücken,
welche er auf solche Art ver-
wahrt üt>emonunen hat, dass er
deren Inhalt nicht einsehen
konnte, haftet er nur dafür, dass
er sie in äusserlich unbeschädig-
tem Zustand Übergebe. Sind die
Frachtstücke gänzlich in Verlust
geratben, oder hat eine Eröff-
nung der Verlockung stattge-
funden, so haftet der Frachter
für den Verlust oder Abgang,
dessen zufällige Entstehung er
nicht erweist; fällt ihm eine vor-
sätzliche Beschädigung oder ein
grobes Verschulden zur Last, so
hat er den vollen abgängigen,
ausserdem aber niir den ihm an-
gegebenen Werth zu ersetzen. —
§ 192 (193) behalten die bestehenden besonderen Vor-
schriften hinsichtlich der Versendungen über Meer, durch
Posten und Staatseisenbahnen vor. Der Transport zu Wasser
fallt im Uebrigen unter die vorstehenden Bestimmungen, nach
§ 166 (168).
Die beiden preussischen Entwürfe und der Nürnberger
Entwurf erster und zweiter Lesung enthahen folgende Be-
stimmungen :
izecoy Google
Das Tcceptum nuitanin, onponum, stabDlarionim.
Erster preuss.
Entwarf.
§ 327. Der
Frachtführer
haftet für die
verspätete Ab-
] ief erung, sowie
für Verlust und
Schaden, wel-
che das Gut toh
der Empfang-
nahme bis zur
Ablieferung
mungsorte tref-
fen, wenn er
nicht beweist,
dass er die Ver-
zögerung oder
den Verlust
oder die Be-
schädigung
durch Anwen-
dung der Sorg-
falt eines
ordentlichen
Frachtführers
nicht würde
haben al>wen-
den können.
Revid. preuss.
Entwurf.
8 310. Der
Frachtführer
haftet für Ver-
lust und Be-
schädigung des
Guts seit der
Empfang-
nahme bis zur
Ablieferung,
beweist, dass er
den \'erlust
oder die Be-
schädigtmg
durch Anwen-
dung der Sorg-
falt eines
ordentlichen
Frachtführers
nicht würde
haben abwen-
den können.
Erster deut-
scher Entwurf.
§ 335. Der
Frachtführer
haftet für den
Schaden, wel-
cher durch Ver-
lost oder Be-
schädigung des
Guts seit der
Empfang-
nahme bis zur
Ablieferung
entstanden ist,
sofern er nicht
beweist, dass
der Verlust
oder die Be-
schädigung
durch unab-
wendbare hö-
here Gewalt
oder durch
inneren Ver-
derb oder äus-
serlich nicht er-
kennbare Män-
gel der Verpa-
ckung ent-
standen ist.
Zweiter deut-
scher Entwurf,
§ 371. Der
Frachtführer
haftet für den
Schaden , wel-
cher durch Ver-
lust oder Be-
schädigung des
Frachtguts seit
der Empfang-
nahme bis inr
Ablieferung
entstanden ist,
sofern er nicht
beweist, dass
der Verlust
oder die Be-
schädigung
durch höhere
Gewalt (vis
major) oder etc.
(wie § 335 er-
ster Lesung).
g 336. Der
Frachtführer
haftet für den
Schaden , wel-
cherdurch Ver-
säumung der
bedungenen
oder üblichen
Lieferungszeit
entstanden ist,
sofern er nicht
beweist, dass er
die Verspätung
durch Anwen-
dung der Sorg-
falt eines
§372 =§336
erster Lesung.
Dg,l,:..:,, Google
g 330. alin.
1. Der Fracht-
führer haftet
für seine Leute
und für den
Zwischen-
frachtführer,
welcher ihm
□icht vorge-
schrieben war.
§ 313. alin.
1. Der Fracht-
führer haftet
für seine Leute
and für den
Zwischen-
frachtführer,
welcher nicht
vorgeschrieben
ordentlichen
Frachtführers
nicht habe
abwenden
können.
g 338. Cter
Frachtführer
haftet für die
Ausführung
des von ihm
ü ber nommenen
Transports,
gleichviel, ob er
ihn selbst oder
ob er ihn durch
seine Leute
oder durch
andere Per-
sonen ausfuhrt.
§ 374. Der
Frachtführer
haftet für seine
Leute, für die
Zwischen -
frachtführer
und für andere
Personen,deren
er sich bei Ans-
fUhrung des
von ihm Über-
Transports be-
dient.
g§ 319, 336 - gg 306, 326 = g§ 331, 357 - g§ 367, 394
bestimmen, dass die vorstehenden Regeln auch für den Trans-
port auf Flüssen , Binnengewässern , durch Eisenbahn- und
andere öffentliche Transportanstalten gelten sollen. Art. 394
des zweiten deutschen Entwurfs behält jedoch die besonderen
abweichenden Gesetze und Verordnungen der Postanstalten
vor. § 326 des revidirten preussischen Entwurfs wollte diese
Satze auch auf den Transport durch Leichterfahrzeuge und
Ktlstenschiffe ausdehnen.
EHe einschlägigen seerechtUchen Vorschriften der beiden
preussischen Entwürfe imd des ersten hamburgischen Entwurfs
lauten den vorangeführten über den Binnentransport wesent-
lich gleich:
Erster prenss. Ent-
wurf.
§ 471. Der Schif-
fer haftet nicht nur
dem Rheder, sondern
auch dem Ablader
und Ladungsem-
pfänger für ieden
durch seine Unred-
lichkeit oder durch
Revidirter preuss,
Entwurf.
g 433. Der Schif-
fer haftet — für Jeden
durch sein Verschul-
den beim Einladen,
bei der Führung des
Schiffs oder beim
LSschen entstan-
denen Schaden.
Deutscher Entwurf
erster Lesung.
g 457. Der Schif-
fer ist verirflichtet,
bei allen Dienstver-
richtungen den Fleiss
und die Sorgfalt eines
ordentlichen Schif-
fers anzuwenden. Er
haftet für jeden durch
„Goo^^lc
494 13** receplui
sein Verschulden
beim Hinladen oder
bei der Fuhrung des
Schiffs entstandenen
Schaden. —
g 532. Wenn dem
Schiffer Güter Über-
geben werden, deren
Beschädigung,
schlechte Beschaffen-
heit oder schlechte
Verpackung sichtbar
sind, so kann er diese
Mängel in dem Kon-
nossement bemerken.
Werden dem
Schiffer Güter in der
Verpackung oder in
geschlossenen Ge-
fässen übergeben
oder nicht zugezählt,
ztigewogen, zuge-
messen, so kann er
in dem Konnossement
bemerken, dass ihm
der Inhalt, die Zahl
oder das Maass nnd
Gewicht nicht be-
kannt sei.
§485 — §532 d
ersten Entwurfs,
ttabulanoiuiD.
sein Verschulden ent-
standenen Schaden,
insbesondere f tlr den
Schaden, welcher aus
der Verletzung der
in den Art. 434-441,
443-445, 455 ihm
auferlegten Pflichten
entsteht — Die Haf-
tung des Schiffers
besteht nicht nur
gegenüber dem Rhe-
der, sondern anch
gegen Qtfer dem Be-'
frachter, Ablader nnd
Ladungsempfänger,
dem Bodmereigläu-
biger, dem Schiffs-
mann und Passa-
gier. —
s § 524. Wenn dem
Schiffer Güter über-
geben werden, deren
Beschädigung,
schlechte Beschaffen-
heit oder schlechte
Verpackung sichtbar
sind, so ist er ver-
pflichtet, diese Män-
gel in dem Konnosse-
ment zu bemerken.
Werden ihm Güter
in der Verpackung
oder in geschlossenen
Gefässen übergeben,
so kann er in dem
Konnossement be-
merken, dass ihm der
Inhalt nicht bekannt
sei. Desgleichen kann
er in dem Konnosse-
ment bemerken, dass
itmi Zahl, Maass oder
Gewicht nicht be-
kannt sei, es sei denn,
dass die im Konnosse-
ment nach Zahl,
„Goo^^lc
§544. Die Ablie-
ferung der Fracht-
güter an den La-
dungsempfanger
rouss nach dem In-
halte des Konnosse-
ments erfolgen. Der
Schiffer ist verpflich-
tet, für jeden Verlust
nnd jede Beschädi-
gung aufzukommen,
sofern er nicht nach-
weist, dass sie durch
einen äusseren Zu-
fall oder durch inne-
renVerderb ohne sein
und der Schiffsmann-
schaft Verschulden
entstanden sind.
§ 545. Wenn der
Schiffer das Kon-
nossement mit dem
Vermerk «Inhalt un-
bekannt« gezeichnet
bat und die Ver-
packung oder die Ge-
fässe, in welchen ihm
die Guter Übergeben
wurden, änsserlich
unverletzt sind , so
mussder Empfänger,
um denselben wegen
Beschädigung der
Gtlter in Anspruch
zu nehmen, sein oder
der Schiffsleute Ver-
schulden darthun.
§ 496 = g 544 des
ersten Entwurfs.
§ 497 = § 545 des
ersten Entwurfs.
495
Maass oder Gewicht
bezeichneten Güter
ihm zugezählt, zuge-
messen oder zuge-
wogen sind.
§ 544. Die Ab-
lieferung der Guter
an den Empfänger
muss nach dem Inhalt
des Konnossements
erfolgen. Der Ver-
frachter haftet für
den Schaden, welcher
durch ^ Verlust oder
Beschädigung der
Guter seit der Em-
pfangnahme bis zur
Ablieferung ent-
standen ist, sofern er
nicht beweist, dass
der Verlust oder die
Beschädigung durch
höhere Gewalt (vis
major) oder durch in-
neren Verderb oder
durcbäusserlich nicht
erkennbare Mängel
der Verpackung ent-
standen ist.
I 545. Wenn das
Konnossement den
Zusatz -Zahl, Maass
oder Gewicht unbe-
kannt* oder einen
gleichbedeutenden
Zusatz enthält, so hat
der Verfrachter die
Richtigkeit der An-
gaben des Konnosse-
ments Über Zahl,
Maass oder Gewicht
der übernommenen
Güter nicht zu ver-
treten. —
§ 546. Die Auf-
nähme des Zusatzes
•Inhalt unbekannt*
0(.
-glc
496 Qu rec«pt<u
Ebenso haftet der
Schiffer bis zum Be-
weise seines oder der
Schiffsleute Ver-
schuldens nicht für
Zahl, Maass oder Ge-
wicht oder für Bruch
oder Leckage, wenn
er das KonDossemcnt
mit dem Vermerk
*Zah], Maass oder
Gewicht unbekannt*
oder -frei von Bruch«
oder «frei von Lecka-
ge« gezeichnet hat.
ouponom, stabnlariorum.
oder eines gleichbe-
deutenden Zusatzes
hat ausserdem die
Wirkung, dass, wenn
die Verpackung oder
die Gefässe, in wel-
chen die Guter dem
Schiffer übergeben
wurden, bei der Ab-
lieferung äusserlich
tinverletst sind, von
dem Empfänger der
Beweis geführt wer-
den moss, nicht allein
dass der Schiffer den
im Konnossement an-
gegebenen Inhalt em-
pfangen habe, sondern
auch, im Fall der
Verfrachter wegen
Beschädigung der
Güter in Anspruch
genommen wird, dass
die Beschädigung in
einem Verschulden
des Schiffers oder
einer Person sich
gründe , für welche
der Verfrachter ver-
antwortlich ist.
Ist das Konnosse-
ment von dem Schif-
fer mit dem Znsatze
■frei von Bruch' oder
•-frei von Leckage*
oder 'frei von Be-
schädigung* oder mit
einem gleichbedeu-
tenden Zusatz ver-
sehen, so haftet der
Verfrachter bis zum
Beweis des Ver-
schuldens des Schif-
fers oder einer Per-
son, für welche der
Verfrachter verant-
wortlich ist, nicht für
497
Bruch oder Leckage
oder Beschädigung.
§ 547. Für Kost-
barkeiten, Gelder und
geldwerthe Papiere
haftet der Verfrachter
nur in dem Fall, wenn
diese Beschaffenheit
oder der Werth der
Guter dem Schiffer
bei der Abladung an-
gegeben ist.
g 581. Der Schif-
fer haftet fUr jeden
Verlust und jede Be-
schädigung an den
ihm oder den Schiffs-
leu teo Ubergebenen
Reiseeffekten, wenn
er nicht nachweist,
dass solche ohne sein
und seiner Leute
Verschulden ent-
standen ist.
§ 533. Der Schif-
fer haftet für jeden
Verlust und jede
Beschädigung an den
von ihm oder den
Schiffsleuten zur
Aufbewahrung über-
nommenen Reise-
effekten, nenn n. s. f.
(wie § 581 erster
Lesung).
§ 585. Auf die
an Bord gebrachten
Reiseeffekten finden
die Vorschriften der
Art. 495, 532, 533
Anwendung. Sind
dieselben von dem
Schiffer oder einem
dazu bestellten
Dritten übernommen,
so gelten für den Fall
ihres Verlustes oder
ihrer Beschädigung
die Vorschriften der
Art. 544 Abs. 2, 547,
548, 549.
Alle diese Entwtlrfe stimmen darin überein, dass den
Frachtfahrer (zu Lande, auf Binnengewässern oder zur See)
unter allen Umständen die Beweislast trifft ; dass er schlechthin
für seine Leute (und für die ZwischenfrachtfUhrer) einsteht.
Auch die Motive des preussischen Entwurfs und die Be-
rathungsprotokolle der Nürnberger Kommission enthalten über
diese wohl für selbstverständlich erachteten Punkte nichts.
Dagegen sind folgende Verschiedenheiten bemerkenswerth ;
1, Der erste preussische Entwurf § 327 stellt den Ver-
zug des Frachtführers mit dem Verlust tmd der Beschädigung
der Ladung auf eine Linie ; der revidirte preussische Entwurf
schweigt über diesen Punkt ganz. Der deutsche Entwurf
erster und zweiter Lesung dagegen behandelt den Verzug
milder als Verlust und Beschädigung der Ladung — aus
Goldichmidl. VmiiKhle SchrUlsB. U. 33
„Google
498 Dm receptnm nantumm, canponsm, ttabaluioinnL
Biltigkeitsgrllnden ', »weil es gemeinhin leichter sein werde,
gegen Beschädigung und Untergang der Waare vorzusehen
als gegen eine Verzögerung der Reise*, auch fUr die F^e,
wo eine Konventionalstrafe bedungen ist.
2. Noch bemerkenswerther ist die Differenz hinsichtlich
derjenigen Umstände, deren Erweis bei Verlust oder Be-
schädigung der Waare den Frachtfahrer befreien solle. Der
preussische Entwurf erachtet beim Binnentransport »Anwendung
der Sorgfalt eines ordentlichen Frachtführers« für genügend;
dagegen erfordert er beim Seetransport, abgesehen von be-
freienden oder die Haftung beschränkenden Klauseln, »äusseren
Zufall oder inneren Verderb ohne sein und der Schiffsmann-
schaft Verschuldenc. Beim Passagierkontrakt soll wiedenim
Abwesenheit jeder Verschuldung genügen, und auch nur für
Verschulden macht der allgemeine § 471 (433) verantwwilich.
Der deutsche Entwurf verlangt für den Binnentransport den
Nachweis »(unabwendbarer) höherer Gewalt (vis major) oder
inneren Verderbs oder äusserlich nicht erkennbarer Mängel
der Verpackung«, und Gleiches ist von der hamburger Sub-
kommission für den Seetransport beschlossen wraden (Protok.
S. 2255, 2256, Entw. erster Lesung §§ 544, 585).
Diese Differenz beruht nun aber keineswegs, wie es den
Anschein hat, auf einer verschiedenartigen Anschauimg Über
die Anwendbarkeit der actio de recepto anf den Landtransport,
sondern, wie schon oben angedeutet wurde und die Ab-
weichung in den betreffenden seerechtlichen Bestimmungen
des preussischen Entwurfs darthut, auf Unklarheit über den
wahren Inhalt unseres Instituts.
Die betreffenden Sätze des ersten preussischen Entwurfs
wurden in der berathenden berliner Sachverständigenkommission
ohne alle Diskussion angenommen; nur zu Art. 581 findet sich
in den Protokollen die Bemerkung, dass die Regel nicht auf
alle von den Passagieren eingebrachten, sondern nur auf die
wirklich dem Schiffer oder den Schiffsleuten übergebenen
Sachen anwendbar sei, und dass die Uebemahme seitens der
Schiffsleute nur auf Geheiss des Schiffers geschehen dürfe'.
■ Prot S. 79S, 801—803, 1229, 1230. Vgl. oben S. 407 Note 3.
' Protokolle Ober die Betathungea m[t kanfmKnniicliea SachTersUndigcn
und praktischen Joiislen-, betr. den Entwarf dnes Hnideligeaetibiicba (. d.
Anhang. 499
In den Motiven zum revidirten preussischen Entwürfe za
§ 310 (S. 171) heisst es nach einer kurzen Darstellung der
einschlägigen Vorschriften des bestehenden preussischen Rechts:
»Es unterliegt wohl keinem Bedenken, dass die Bestimmungen
und Unterscheidungen des allg. Landrechts ebenso unzweck-
mässig als unzulässig sind, und dass die strengere, mit den
Grundsätzen der gemeinrechtlichen actio de recepto überein-
stimmende Haftpflicht des Schiffers dem bei sämmtlicheo
Frachtführern eintretenden praktischen Bedürfnisse allein ent-
spricht. Die neueren Handelsrechte machen auch überein-
stimmend den Frachtführer für alle Verluste und Beschädigungen
des Guts verantwortlich, nur mit Ausnahme derjenigen, welche
Ton höherer (unabwendbarer) Gewalt oder von eigenen Mängeln
der Sache herrühren (vgl. französ. H.G.B. Art. 103 etc.).
Der vorliegende Artikel hat sich in der Fassung dem Ent-
würfe eines allgemeinen Handelsgesetzbuchs für Deutschland
(Tit. V. Art 42) angeschlossen, welcher denselben Satz
mit einer grösseren Präzision ausdrückt und zugleich
den nicht unzweideutigen Ausdruck ,höhere Gewalt' (dam-
num fatale; vgl. Pohls Handelsrecht I. S. 146) vermeideLc
In den Motiven zum Seerecht § 433 wird sodann bemerkt,
dass der Schiffer für geringes Versehen einstehen müsse .
(S. 240). Zu § 485: »Auch wenn über den Zustand der
Waare nichts im Konnossement bemerkt ist, gilt die Ver-
muthung, dass sie bei der Abladung unversehrt und gesund
war, und wenn der Schiffer sie beschädigt abliefert, muss er
beweisen, dass die Beschädigung durch äusseren Zufall oder
inneren Verderb entstanden isti (S. 265). Zu §§ 496, 497:
»Ueber die Verhaftung des Schiffers für die ihm anvertrauten
Frachtgüter hat schon das römische Recht in der Lehre vom
receptum eigenthümliche Grundsätze ausgebildet (Arndt,
Pandekten § 289). Abweichend von allgemeinen Regeln
musste der Schiffer unbedingt für die Handlungen seiner Leute
aufkommen. Er musste, wenn er die ihm anvertrauten Sachen
nicht restituiren konnte, unter allen Umständen selbst den
Nachweis führen, dass fremde Gewaltthat oder reiner Zufall
den Verlust verursacht hatten. Diese Grundsätze sind aus
prenn. Staatrn. Berlin 1856. (Ali Manuskript gedraekt) S. 91, 93, 135,
137. 139, 145.
itizecy Google
500 Du receptnm ntuiUrum, caaponum, stabultmornm.
dem BedUrfniss des Verkehrs entstanden und desshalb auch
in die neueren Gesetzgebungen (A.L.R. II 8 §§ 1734, 1735)
übergegangen. Der Entwurf schliesst sich ihnen an. Die Norm
für die Ansprüche des LadungsempfSugers gibt das Konnosse-
ment. Was der Schiffer im Konnossement empfangen zu
haben bekennt, muss er wieder abliefern, und bei jedem Ver-
lust und jeder Beschädigung den Nachweis führen, dass sie
ohne sein Verschulden, also durch einen äusseren Zufall oder
durch inneren Verderb entstanden sind* (S. 272). Zu § 533:
»Schon das röm. Recht verpflichtete den Schiffer zu einer be-
sonders strengen Haftung für die Güter der Reisenden (vgl.
zum Art. 496). Er musste für jeden Verlust und Schaden
aufkommen, wenn er nicht nachweisen konnte, dass solche
durch eigene Schuld des Reisenden oder durch fremde Gewalt-
that oder durch reinen Zufall entstanden war. Diese Regel
ist auch heute noch anwendbar. Der Entwurf nimmt sie dess-
halb in Uebereinstimmung mit dem A.L.R. II 8 §§ 1760, 1761,
jedoch mit der Modifikation auf, dass die Güter, für welche
der Schiffer in solcher Weise aufkommen soll, nicht bloss in
das Schiff eingebracht, sondern auch dem Schiffer zur Aufbe-
wahrung übergeben sein müssen etc.« (S. 287).
Diese Zusammenstellung ergibt, dass die Redaktoren des
preussischen Entwurfs für alle Fälle des Transportsvertrags
durchaus die gleichen Grundsätze, und zwar die strengen
Regeln des receptum angewendet wissen wollten; dass die sehr
verechiedene Fassung der §§ 310, 433, 496, 497, 533 nur auf
einer Unachtsamkeit der Redaktion beruht, und dass die Haf-
tung ex recepto dabin verstanden ward, dass der Schiffer für
jede eigene und seiner Leute Schuld unter Beweislast der
Nichtschuld aufzukommen habe: dass also die Ausdrücke
»äusserer Zufall oder innerer Verderb* , »fremde Gewaltthat
oder reiner ZufalN nur den Gegensatz zur Schuld des Schiffers
und der Mannschaft bilden sollen. Es wären also in der That
nicht die Grundsätze des receptum, sondern allgemein die nach
unsern obigen Erörterungen im heutigen gemeinen Recht auch
für den Landfrachtverkehr geltenden Regeln adoptirt worden,
und sicherlich höchst zweckmässig, da fUr die praktisch nur
unerheblich strengere Haftung ex recepto kein Verkehrs-
bedürfniss nachweisbar sein dürfte. Die Haftung für Delikte
der Passagiere wäre dadurch freilich ganz ausgeschlossen;
„Google
Anhuig. 501
allein diese Restriktion wäre wenigstens dann ohne wesentliche
Bedeutung, wenn ohnehin nur für zur Aufbewahrung über-
gebeae Reiseeffekten eingestanden werden soll (Pr, Entwurf
§ 533), da die Entwendung oder Beschädigung solcher be-
sonders übernommenen Güter nicht leicht ohne Verletzung der
dem Schiffer obliegenden custodia möglich ist, derselbe also
im Falle der Verletzung ohnehin einstehen würde.
Bei den Konferenzberathungen zu Nürnberg und Hamburg
ging man von anderen Gesichtspunkten aus. Man erkannte
alsbald, dass die Regeln des preussischen Entwurfs nicht der
wahren Theorie des receptum entsprechen; man glaubte diese
als die strengere adoptiren zu müssen und nahm daher die
üblichen Ausdrücke »unabwendbare, höhere Gewalt t , »vis
major« auf. Die Diskussion drehte sich, nach den Protokollen,
nur darum, ob die Land- und sonstigen Binnenfrachtfahrer den
(See-)Schiffem gleich zu behandeln seien, wofür sich insbe-
sondere die kaufmännischen Mitglieder erklärten. Auf den
Begriff der höheren Gewalt wurde dabei gar nicht einge-
gangen; man erachtete es für selbstverständlich, dass ex
recepto auch für den »Zufall, Fälle der höheren Gewalt aus-
genonunen< eingestanden werde (Prot. S. 793—795, vgl, auch
S. 801 — 803).. Auch in zweiter Lesung wurde auf diese Frage
nicht weiter eingegangen, sondern nur die Streichung des
Wortes »unabwendbare* beschlossen, iweil die jetzige Fassung
zu Härten führe und missdeutet werden könne, auch zu Streitig-
keiten über die Beweislast führes, dagegen die Einschaltung
der Worte »vis major» in Parenthese beliebt (Prot. S. 1229).
Eine tiefere Begründung ist überall zu vermissen. — Bei der
Berathung des Seerechts ward zunächst der Art. 433 des
pr. Entwurfs in einer etwas modifizirten Fassung, doch unter
Beibehaltung des Prinzips, angenommen (Prot, S. 1928— 1930);
an Stelle des Art. 496 alin. 2 des ersten Entwurfs wurde die
einfache Wiederholung des in der Nürnberger Konferenz fest-
gestellten Art. 371 zweiter Lesung, »welcher die Prinzipien
des römischen Rechts über das receptum sanktionire, die längst
als geltendes Seerecht anerkannt und in den meisten neueren
Seerechten wiederholt zur Geltung gekommen seienc, beschlossen
(Prot. S. 2255, 2256); endlich das Prinzip des Art. 533 des
pr. Entwurfs in einem wenig abweichend redigirten Para-
graphen anerkannt (Prot. S. 2508—2511). Aus diesen Be-
.oogle
502 I}<» rec«ptutn OftUtanun, caaponain, ttabolaiioniiD.
Schlüssen sind die oben mitgetheilten §§ 457, 524, 544 — 547,
585 des deutschen Seerechts-Entwurfe erster Lesung hervor-
gegangen.
Dem praktischen Bedürfniss würde die von mir in dem
Gutachten über den deutschen Entwurfs. 113 vorgeschlagene
Fassung der Art. 371, 544 entsprechen:
>Der Frachtführer (Verfrachter) haftet für den
Schaden, welcher durch Verlust oder Beschädigung des
Frachtguts seit der Empfangnahme bis zur Ablieferung
entstanden ist, sofern er nicht beweist, dass der Verlast
oder die Beschädigung durch Zufall, insbesondere
durch inneren Verderb, oder durch äusserlich nicht er-
kennbare Mängel der Verpackung oder durch
sonstiges Verschulden des Absenders ent-
standen istf —
selbstverständlich unter Beibehaltung des im Seerecht fiesonders
zu allegirenden Art. 374 zweiter Lesung. Die allgemeine
Fassung dieser Vorschrift in Verbindung mit den oben mit-
getheilten Art. 457 alin. 2 des Entwurfs erster Lesung würde
auch die prätorischen Strafklagen lunfassen, soweit solche noch
anwendbar erscheinen, und durch das Verkehrsbedürfniss
gerechtfertigt sind, nämlich auf einfachen Schadensersatz wegen
Beschädigung der Passagiere und der Effekten, welche dieselben
an sich tragen, durch Schiffer oder Schiffsleute. Vgl. oben
S. 408-415, 452.
izecoy Google
18.
ZUR
GESCHICHTE
DER
SEEVERSICHERUNG.
(1886.)
iLCD, Google
iLCD, Google
Die erste Verordnung des Magistrats von Barcelona Über
die Seeversicherung, erlassen am 21. November 1435
(Pardessus, Coli. V p. 493), will Betrügereien, Benach-
theiligungen, Streitfragen abschneiden. Diesen sehr allgemeinen
Zielen entspricht, obwohl von einer vollständigen Regelung
des in zahlreichen Punkten nach wie vor der Uebereinknnft
und dem Handelsgebrauch überlassenen Geschäfts weit ent-
fernt, ihr mannigfaltiger Inhalt. So stellt sie zahlreiche, be-
reits 1436 (Pardessus V p. 502) modifizirte Beschränkungen
der Versicherungsfreiheit im Interesse der einheimischen Rhe-
derei auf; limitirt — was bereits 1436 aufgehoben, !458 wieder-
hergestellt vrurde (Pard. V p. 502, 507) — die Versicherung
von Schiffen und Waaren auf Dreiviertel ihres Werthes; ordnet
die mehrfache Versicherung, die Versicherung fUr fremde
Rechnung; enthält Bestimmungen über die Form der Ver-
sicherungsverträge, die Fristen für Zahlimg der Versiche-
rungssumme, die Pflichten und die Courtage der Versiche-
rungsmäkler nebst manchem Anderen.
Sie setzt so voraus ein bereits hoch entwickeltes Asse-
kuranzgeschäft, dessen erste Anfänge geraume Zeit zurtick-
liegen müssen. Die scharfsinnige Hypothese von Reatz", es
sei »die Idee der Seeversicherung c frühestens in der Zeit von
1367 bis 1383 und zuerst in Portugal aufgekommen und ver-
wirklicht, es habe sich dort oder in Barcelona aus der vom
Könige Fernando errichteten Zwangsgenossenschaft portugiesi-
scher Schiffsrheder auf Gegenseitigkeit das demnächst von
den übrigen Mittebneerstaaten , insbesondere den italienischen
Handelsplätzen recipirte Institut der Prämienversicherung her-
> Geschieht« dei enropKischen SeevenichetangsrecliU, Th. I 1870, S. 13,
14, 40 ff., 56 £, i6gff.
::,y Google
506 2"' Getcbickte der SecTenicherang.
ausgebildet, hat, wie kein äusseres Zeugniss, so geringe innere
Wahrscheinlichkeit für sich. Die Schicksale des portugiesischen
Zwangsversichenings-Instituts , über welches einzig die um
1434 verfasste Chronik des Fernfio Lopez' berichtet, and
völlig imbekannt, und es war mindestens im sechzehnten Jahr-
hundert der angeblich portugiesisch-spanische Ursprung der
Seeversicherung so durchaus in Vergessenheit gerathen, dass
der erste Schriftsteller, welcher eine zusammenhängende Dar-
stellung der Lehre gegeben hat , der Portugise Pedro
de Santarem (Petrus Santema) in seinem 1552 zuerst ge-
druckten', wohl geraume Zeit vorher' geschriebenen Trac-
tatus de assecurationibus et sponsionibus mercatorum die Ver-
sicherung eine >materia peregrina< nennt (p. I No. 3) und
unter den Assekuranzplätzen, freilich seiner Zeit, Barcelona
nicht einmal hervorhebt. Die abgestufte Gefahrsprämie aber,
welche, nach Reatz, angeblich nur einer in Portugal zuerst
in grösserem Maassstabe versuchten Unfallsstatistik entnommen
sein kann, findet sich als Bestandtheil des Seedarlehnszinses
von Alters her, wenn auch für die Zinshöhe vorwiegend die
Dauer der Kapitalsnutzung in Betracht kommt. Die Zinshöhe
schwankt z. B. nach den genuesischen Seedarlehnsurkunden
der Jahre 1155— 1164^ zwischen 25— 33'/3°/o, während das
gleichzeitige constitutum usus von Pisa (1161) ruh. XXV, vgl
XXIV, für das gesellschaftlich modifizirte pisanische See-
darlehen sogar einen nach der durchschnittlichen Reisedauer
■ Pardeiiui, Coli, de loii marit VI p. 30a ff. ; Reali I S. 4>ff.
> 'Nunc primum in lonm data». Venetiti ipnd Biltanarem CotSUtt-
Imnm. Eiemplare der ed. princepi befindea dch im Bentt da Hr. Comelisi
Walford JD London, dcMcn Gtlte ich die Einsicht verduike, niid in der Wiena
Hofbiblialliek. Von einer in Portugal enchienenen enten Anigabe (10 E. CanTCl,
Traitt des anarancei mirilimeB I, Pari* 1879, p. XXV — ohne Angabe det
Datnm*) fiadet sich mr Zeit keiae Spar.
i Nach BarboiB, Bibliotheca Liuitana t. III (Uiboa I75aff,) p. £17,
hat Santerna gegen Ende der Regierung KBnig» Manoel (1495 — '5^0 gdebt;
die TOD Barboia citirten Schriften enthalten Iceioe nlheren Angaben. In
Tractatni nennt Santema den Jason Haynoi (f 1519) iqnidun modannii, otict
aber doch achon die «yln nuptialis des, nach Pancirolns, 1540 Teistorbenen
Joannes de Neviianis.
* Notnlar. des Giovanni Scriba in Monum. hiMor. patr. Chart. II, col.301 S.
AntiOge daran* bei ScbrOder, Handbuch des deutschen Haadeb-, See- uad
Wechselrecht«, herausg. von Endemann, Bd. IV Abtil. I S. 34O ff.
„Google
Zar GcKilicht« der S«ever«icheniDg. 507
bemessenen subsidiären gesetzlichen Tarif von 8 den. bis 7 sol.
per libram, d. h. von S'/s— 35 "lo für die Reise aufstellt'.
Das von Reatz völlig übergangene Seedarlehen linstar
cuius assecuratio inventa est« (Straccha, Tr. de assecurationi-
bus [Venet. 1569] gl 15, No. 2) bildete, neben der commenda
bezw. societas maris, das wichtigste Spekulationsgeschäft der
Mittelmeerländer and enthält ein Assekuranzelement als in-
tegrirenden Bestandtheil. Da der Darlehensgeber dem Speku-
lanten die Seegefahr des Unternehmens abnimmt, so lässt sich
die Seedarlehenssumme als anticipirte Versicherungssumme —
je naclidem fUr die Ladung oder fUr das Schiff — bezeichnen.
Da jedoch der Darlehensgeber bei Eintritt des Seeunfalls nicht
allein das Kapital, sondern auch die zugesicherten Zinsen ein-
schliesslich der in diesen liegenden Gefahrsprämie einbüsst,
somit gegen blosse Gewinnhoffnung die Gefahr auf sich nimmt,
so fehlt noch das charakteristische Moment der Assekuranz:
das definitive Opfer des Spekulanten als Entgelt für die Ab-
wälzung des befürchteten Schadens auf ein anderes Ver-
Soll ans dem Seedarlehen als solchem die Prämienversiche-
rung hervorgehen, so muss einerseits die Versicherungssomme
nicht vorschussweise, sondern erst nach Eintritt des Unfalls
gezahlt, andererseits die von den Gebrauchszinsen losgelöste
Gefahrsprämie schlechthin von dem Spekulanten geschuldet oder
gar im Voraus entrichtet werden.
Nach der letzten Seite scheint die Entwickitmg sich nur
sehr allmälig vollzogen zu haben, derart, dass der ursprung-
liche Versicherungsvertrag formell oder doch materiell die
Gestalt zweier bedingter Sponsionen trug: A. verspricht dem
B. bei Eintritt des Seeunfalts Schadensersatz, B. dem A. unter
der entgegengesetzten Bedingung einen Entgelt für die Ge-
fehrsUbemahme '. Indem die Gesetzgebung Vorausbezahlung
der Prämie bei Abschluss des Vertrags vorschrieb (Verord-
nung von Barcelona 1435 c. XI), hat sie die wahre Asse-
• Bon»ini, StaL ined. dl PIm II p. 905. S. mach R. Wagner, Hand-
buch des Seerechti I (1S84) S. 35 Not. 61 Dnd ■llgemeiner : Molengraaff ,
De overeenkomst van verwkering: RechUgeleerd M*gMi)it d. I (Hurten 1883},
Bl. 432 Hot. 3.
* UntcD S. 510.
izecoy Google
508 Zur GeKhichte der SeeTerachenmg.
kuranz auch äusserlich sichtbar — und zwar nicht allein gegen
die doch nur mögliche Wettassekuranz' — abgegrenzt.
Nach der ersten Seite ist die Entwicklung sicherlich ge-
fördert worden durch die berühmte Dekretale Papst Gregor IX.,
c. Naviganti (c. 19 X. de usuris), somit zwischen 1227 — 1234
erlassen, welche den Seedarlehenszins und damit das ganze
Seedarlehensgeschäft als wucherisch untersagt: Naviganti vel
eunti ad nundinas certam mutuans pecunlae quantitatem, pro
eo quod suscipit in se periculum, recepturus aliquid ultra
sortem, usurariusest censendus''. Dass hieran mit Ille quoque
ein Fall nichtwucherischen Handelns (non debet ex hoc usu-
rarius reputari) schliesst, mag auf einer ungeschickten Re-
daktion, möglicher Weise einer Verkürzung des ursprünglichen
Textes, beruhen — vielleicht betrifft das quoque die in diesem
zweiten wie in dem ersten Falle ursprünglich aufgeworfenen
Zweifel, etwa De illo quoque dubitatur etc. — fällt aber,
gegenüber der allein beglaubigten Lesart um so weniger in's
Gewicht, als die letztere durch das maassgebende Zeugniss
des Redaktors der Dekretalen bethätigt wird. Die zwischen
1234 und 1243, vielleicht schon 1235 ^ geschriebene Summa
des Raymundus de Peüafort erörtert üb. II tit, VIT de usuris
et pignoribus S. V die Frage, ob das Seedarlehensgeschäft er-
laubt sei, und berichtet, dass von den beiden bisher vertretenen
Meinungen die strengere, nämlich diejenige, welche die Er-
laubtheit des Zinses verneint, welche er selbst billigt, jetzt aus-
drücklich durch c. Naviganti sanktionirt sei* — vgl. den
Wortlaut selbst in S. II eod. , wo der zweite, auch zweifel-
hafte, aber entgegengesetzt entschiedene Fall erwähnt wird.
Wiewohl nun dem päpstlichen Verbot zuwider, welchem
die Civilisten, theilweise sogar die Kanonisten durch subtile
■ So Vi*>nte im Archivio giuridico XXXIl (1SS4) p. 91.
* Usarariua dod est ceoicndas will mit AeUeren leaen: NeDEnann, Ge-
schiclite d«i Wachen in Deutschland S. 17 ff. Not t; Hatthiais, Das foenni
cauticum und die geschichtliche Eatvickluog der Bodmerei, iSEi, S. $6 be-
trachtet ei »nach dem heotigen Stande der Forschung« als inicht mehr zweiM-
lukft, dass dai kanoniache Recht das faenus nauticam Ton dem allgemeinep
ZinseoTerbot« eximirte*. Desgl. Brini. Pandekten II g 298 Not. 37. So
jelst aacb Salvioli, L'aisicurazione e il cambio marittimo, Bologna 1884.
p. 359; dessen Berufung auf Endemann ist Terfehll.
1 V. Schulte, Quellen and Literatur des kanonischen Recht* 11 S. 411.
4 Sancli Rdjnnnndi de Pennafoit — summa, ed. Veronae 1774 p. >I0.
ZnT Geichichte der Seererachemng. 509
Distioktionen die Spitze abzubrechen suchten', sich das See-
darlehen, unter wachsender Konkurrenz des wirthschaftlich
verwandten Bodmereivertrages', in der Praxis erhielt, so lag
es doch nahe, die entgeltliche GefahrsUbemahme von dem Vor-
schussgeschäft zu sondern, sei es, dass letzteres, weil im ge-
gebenen Falle entbehrlich, ganz hinwegfiel, sei es, dass ein
anscheinend unverzinsliches Darlehen gegeben wurde, sei es,
dass die Rollen von Darlehensgeber und GefahrsUbemehmer
sich schieden.
War dazu einmal der Anstoss gegeben, so musste auf
die Entwicklung der Prämienversicherung fördernd einwirken,
dass der Assekuranzgedanke in mannigfacher, wenn auch noch
unfertiger Gestalt , in zahlreichen Institutionen des damaligen
Verkehrsrechts der Mittelmeerländer hervortritt. Nicht allein
im Seedarlehen, auch in anderen allgemein verbreiteten Ver-
trägen: Commenda-, Transport-, Kaufverträgen, war es üblich,
über die Gefahr zu paktiren 3 ; eine Art beschränkter Gegen-
seitigkeitsversicherung zwischen Schiffs- und Ladungs-Inter-
essenten begründete die schon dem pseudorhodischen Seerecht
angehörige und mindestens im Gebiet des Adriatischen Meeres
recipirte Ausdehnung der Kontributionspflicht auf zufällige
Schäden*, sowie das doch auch anfänglich kaum auf Spanien
beschränkte germinamento ' , über die einzelne Schiffsgemein-
schaft hinaus die conserva*.
Die Entwicklung vollzieht sich, soweit zu ersehen, zu-
nächst in Italien. Aus der noch nicht abgeschlossenen Unter-
suchung, für welche fortgesetzte archivalische Forschungen
' Lebrmcb ist der Widerstreit iwUchen Suileroa und Straccha a. a. O.
Ueber die Streitfrageo : EodemaiiD, Studien in der romaniach-kanoniiCiichen
Wirtbscliaft». und Rechitlehre 11 S. 316 ff.; Tgl. Neumann, a. ». O.; Sal-
vioH, a. a. O. S. 341 ff.
> Matthiasi, a. a. O. S. 61 fT. ; Schröder, a. a. O. S. 343 ff.
1 Unten S. 463 ff. Dergleichen Verlrige kennt iwar ichon das rOmische
Recht: meine Abhandlung, Zeitschr. f. Handelsrecht III S. 104 ff., ati«t es
fehlt an sicheren Zeugnissen für den Bestand der Sichvenicheiung.
♦ Nicht erat im Statut *on Ancon« (1397). wie Cau»et und Salvioli
meinen. S. schon Pardessas, Coli. I p. 141; II p. 30, 21; V p. 5. 6,
106, 108; Wagner, a. a. O. I S. 16, 17.
) Es bedarf hier noch genauerer Untersuchung.
*• Die Quellen sind dlirt bei La band, Zeitschr. L Handelttvcht VII
S. 324 Note 38; Wagner, a. a. O. I S. 31 Note 50.
„Google
510 Zur Gesdiichte der Seercnichenuig.
weiteres ' Beweismaterial erbringen werden, sollen im Folgen-
den einige erheblichere Punkte zur Erörterung gelangen. Es
steht schon gegenwärtig lest, dass die vonReatz vermissten
positiven Zeugnisse für einen früheren Bestand der IVämien-
versicherung vorliegen.
I.
Eine in Grosseto von dem Sieneser Notar Minus condam
ser Nerii 22. April 1329 aufgenommene Urkunde» besagt,
dass Octobonus olim domini Pagani de Marinis bekennt,
empfangen zu haben von Bonacursns olim Janmis (?), Mitglied
der bekannten Florentiner Gesellschaft der Acciaioli, zahlend
für sich und für Rechnung dieser Gesellschaft:
1. 1450 florenos (auri) infra pagamentum de naulo corio-
rum lane et anguellinarum dicti Bonacursi et Acdaio-
lorum predictorum sotiorum suorum. Quam mer-
cantiam dixit quod tulit de Tunisi dictus dominus
Octobonus in tribus suis galeis.
2. 2450 florenos auri infra pagamentum de illa quantitate
quam dictus dominus Octobonus recipere debebat pro
securitate et risico sibi facto super dictam
mercantiam.
Quod naulizamentum et securitatem factum fuit per
Nicholaum Guizzardini, sotium dicte sotietatis de Ac-
ciaiolis in civitate Janue predicte hoc anno presenti de
mense Martü proxime preterito, ut dixerunt patere manu
Dominici, ootarii de dicta civitate Janue,
Weiter bekennt Octobonus, tanquam procurator domini
Gaspalis, militis de Grimaldis de dicta civitate Janue procn-
ratorio nomine pro eo empfangen zu haben von Bonacursns
für Rechnung der genannten Gesellschaft (der Acciaioli)
' EinifCf, aber unter lOlligsr Ignorirung des italisDuchen SutDUnediti,
bei SalTioli, ■. ■. O. S. 3$K.i ioabooodere: Enrico Ben», Studi di
diritto commerciale , Genova 1883, p. 4$ ff. : Cetare Vivante, ArchiTio
giuridico XXXII p. 80 — 109: L'a.iiicuraziaiie delle cose; EToloiione Btorica;
such besonders enchienen Pisa 1S84.
* Abschrift denelben aus dem Ktinigl. Staataarchiv lu Flmena Terdanke
ich Herrn Prorestor C Faolt daaelbst , den HinweU auf der«n Existmi Hon
Professor Lästig.
,i.a »Google
Zur Geachichte der Seerenicherani;. 511
272 florenos auri et dimidium infra pagameotum de risico
et securitate facta per dictum dominum Gaspalem supra-
dicto Nicoiao Guicciardini pro supradictis mercantiis.
IDiese beiden Verträge können nur wahre VetBicherungs-
verträge sein, insbesondere ist an ein Seedarlehen bei der Ver-
bindung von securitas (Sicberstellung) und risico nicht zu
denken. Die von den Ladungsinteressenten (den Acciaioli) zu
entrichtenden Summen sind somit Assekuranzpramien , deren
auffallende Höhe ' eine sehr werthvolle Ladung oder besondere
unbekannte Umstände (Feindes-Piraten-Gefahr ?) voraussetzt.
Versicherer in dem zweiten Vertrage ist der Genuese
Gaspalis de Grimaldis, in dem ersten Vertrage anscheinend
der Rbeder Octobonus de Marinis. Denn die naheliegende
Annahme, dass O. bei einem ungenannten Dritten fUr Rech-
nung der A. Versicherung genommen habe, lässt sich mit der
Thatsache nicht in Einklang bringen, dass ein Theilhaber der
versicherten Gesellschaft A. als Kontrahent des Versicherungs-
vertrages bezeichnet wird. Auf diese Verbindung von Rhederei
und Waaren Versicherung, welche sich vielleicht aus der Gegen-
seitigkeitsversicherung des germinamento losgelöst hat, deuten
einige später zu erwähnende Beläge '.
Die Prämie wird augenscheinlich erst nach glücklicher
Ankunft des Schiffes entrichtet. Ob sie auch nur fUr diesen
Fall versprochen war? Franco Sacchetti sagt in seinen
um 1370 ' geschriebenen sennoni evangelici serm. IV von der
Seeversicherung : E poi, se la nave va a salvamento, tu ricevi
il prezzo*. So fassen die Assekuranz auf noch spätere Kano-
nisten und CivUisten, z. B. Joa. ab Anania (f 1457) praeL
in Decretal. lib. Vs zu cap. Naviganti q. 13 No. 42 ff., unter
unzutreffender Berufung auf Paulus de Castro; Alexander
de Imola (Tartagnus f 1477) super Dig. novo* in 1. a. Titio
■ Um 1440 b«trlgt die Nornialprfimie LondoD-Pisa , Pim-BrügKe iz bU
I5°/b= GioT. Adeodio di UziaDO, pnticm delle mercstnra (Dells dedma IV
p. 119, 138).
' UdUd 5. 463, 463.
I O.Gigli, I lennoiii «vtngelid , le lettere ed iltri «critti ioediti o raii
di Franco Stcchetti, Firenz« 1857, p. XXXIV, LXVIII.
* A. a. O. p. 11. Aaf eine andere Stelle in danelben Predigt hat be-
reit! Sslvioli, a. a. O. p. 35 hingewiesen.
} Lngduni 1546.
* Lngduni 1535.
oy Google
512 Zur Geschichte der Seereniclierung.
(108) de V. O. : frequentant (sc, mercatores) etiam Florentini
aliam similem conditionem : ut promitto tibi X si navis mea
mercaotüs onerata ad tatem locum applicuerit salva^ sin autem,
tu promittis mihi reddere valorem mee mercantie. Sogar noch
Molin aens, Tr. de usuris Nr. 93 und Andere,
IL
Weitere sichere Zeugnisse aus der ersten Hälfte des vier-
zehnten Jahrhunderts fehlen zur Zeit. Das inaulegiare u sigu-
rare« im Cap. 47 des pisanischen breve Portus KaUaritajii von
1318' kann, im Zusammenhalt mit c. 21, 34 daselbst, nicht
leicht auf Assekuranz bezogen werden ^ indessen dürfte das
sigurare doch von der mit üblicher Sicherstellung verbundenen
Thätigkeit des lUieders zu verstehen sein ' , somit einschliess-
lich der etwa darin begriffenen Assekuranz der Ladung. Für
das >compra et sigura< des Wechselkäufers in dem Pisaner
Maklertarif vom 3. Dezember 13233 bleibt nur die Bedeutung:
Sicherheitsleistung für kreditirte Valuta *.
Das statuto de' mercatanti di Calimala von Florenz er-
wähnt in der bisher allein publizirten Vulgarredaktion von
1332= tib. 1 c. 46 und lib. II c. 4 Verträge Über Gefahrs-
übemahme. Allein die erste Stelle »patti ed ordini d'alcuno
avere che portassanot betrifft augenscheinlich Commenda-
verträge; die zweite »concordare con qualunque persona vorrä
di vettura, nolo e rischio di panni, quali avesse comprati overo
fatti comperare« kann eben sowohl von einer blossen accesso-
rischen Gefahrsübemahme durch den Frachtführer, als von
einem selbstständigen Assekuranzvertrage, sei es mit dem
Frachtführer, sei es mit einem Dritten verstanden werden.
Nur die erste scheint gemeint in einem Vertrage von 1335':
8 balle di merci sulla galea di Bartolomeo da Genova
da portare sane et salve in Nizza com' h di costume.
' Bonainl, Stal. iued. di Pisa II p. 10S3 ff.
' Uebet die verschiedeDea Ansichten: Pardeisus , Coli. V p. 381 Note i,
p. 307 Note t; Reati I S. 3t FT.; Cauvel I p. XXVI ff.; Skrioli p. 19?.
3 Bonaini III p. 590.
t Reali I S. 3S.
i Bei E. Giaidici, Storia dei comuni Italiaoi III p. 171 E
* Bei Bioi, I Lncchesi a Venezia p. la}.
::,y Google
Zur Gescbichte der SeerersicbeniDg. 513
Indessen ist hier doch der wichtigen Geschäftsklauselo
a rischio, assalvi und ähnlicher zu gedenken.
Die vor 1343, wahrscheinlich bald nach 1335 geschriebene
Kaufmannspraktik des Florentiners Balducci Pegolotti
enthält c. 45 ' , im Anschluss an die Florentiner Usoliste den
Florentiner Mäklertarif für Vermittelung der verschiedenartig-
sten Geldübermachungsgeschäfte (Firenze per senseraggio di
cambiora) und daselbst:
Di marcbi per Inghilterra assalvi in terra da cia-
scuna parte soldi 10 per cento.
Di marchi a rischio di mare e di gente da ciascuna
parte soldi 20 di piccioli per cento marchi.
Als wichtiges Zeugniss für die Prämienversicherung wird
die Stelle insbesondere von Pardessus', neuerdings wieder,
trotz ihrer in der Hauptsache richtigen Deutung durch Reatz ',
von Salvioli'" angerufen.
Eine zweite, bisher nicht berücksichtigte Stelle Pego-
lottis c. VIII* enthält den Mäklertarif für Konstantinopel
bezw. Pera und darin:
Di cambiora o contanti per lettera a salvi (assalvi)
in terra o a rischio — dall' uno come dall' altro ka. 2
per cento di perperi.
Es werden unterschieden Geldübermachungsgeschäfte mit
der Klausel assalvi in terra und solche mit der Klausel a rischio
sc. di mare e di gente.
Beide Klauseln begegnen sehr früh. Die erste dient dazu,
die unbedingte Haftung, insbesondere des gewöhnlichen Dar-
lehensschuldners zur Rückzahlung an dem dafür bestimmten
Ort zu bezeichnen — im Gegensatz zu der nur bedingten
Rückzahlung spf licht des Seedarlehensempfängers (salva, sana
eunte-redeunte navi), wie regelmässig des Commendaempfängers:
dort trägt der Schuldner, hier der Gläubiger die Seegefahr
mit Einscbluss von Piraten- und Feindes-Gefahr. Dem forma-
' Dell«, decima III p. aoo.
- CoU. IV p. 567, V p. 331.
3 S. 2S — 30. Mit «inigeo, nicht lUtreSenden Modifikationen anch Canvet
I p. xxxni ff.
♦ p. 34—19. S. anch Schupfet bei Sacerdoti, II contratto d'aMi-
(Padova 1874) vol. I p. 116; Benia, Studi p. 49.
5 Della dedma III p. 38.
GoldicbBildt, VenuKhte Schrift«. O. 33
Dg,l,:..:,y Google
514 Zur GcKhichte der SeeTenkhenuiK.
listischea Urkundenstyl entsprach, zumal bei der Häufigkeit
wie Wichtigkeit von Seedarlehens- und Commendageschäft, bei
jedem auch nur als möglich unterstellten Geldtransport, die
ausdrückliche Bestimmung, auf wessen Gefahr das Geld reise.
Heben doch schon die römischen Quellen hervor, dass es eine
pecunia trajectida, d. h. pecunia, quae trans mare vehitur
(1. 1 D. de naut. foen. 22, 2) sine periculo creditoris accepta
gibt (1. 1 pr. eod. - vgl. l. 2 [1], 5 [4], 3 [2] C. eod. 4, 33),
und darauf deutet auch das sonst schwierige c. 17 p. II des
Pseudorhodischen Seerechts : ta iv tf^ &aXäaati dedavuafxiva —
axlvövva, z6 — dovei^öfieva axtvdvva.
Eine Darlehnsurkunde aus Amalfi, 10. Jahrb.', lautet:
— et prefati tari 12 salvi in terra vobis reddere debeamus —
sicut salvi in terra a nos recipiati — ; ut omnia prefata capi-
tula habeatis a me salvos in terram. Venetianische Urkunde
1148 {Arch. Veneto Vll p. 97): Versprechen, in Konstanti-
nopel empfangene perperos zurückzuzahlen in terra salvos-,
1168 (eod. p. 149): salvos in terra; 1179 (eod. IX p. 110):
salvos in terra u. a. m.
Geht das Commendagut prinzipiell auf Gefahr des Com-
mendator ' , so kann sich doch die Haftung des Empfängers
bis zur unbedingten Ruckzahlungspflicht steigern, für salvum
in terra:
Urk. aus Amalfi 1256, 1257, 1259»; Genueser Statut
13. Jahrh. für Pera c. 214«; iudicabo ipsam societatem vel
accomendationem salvam in terra, vgl, c. 207, 210, 209:
absque ullo detrimento slt salva in terra — tunc sit illa pecunia
salva in terra.
Entsprechend tabula Amalfa c. 43: Item all'' improoto
quale si iä alli marinari de Rivera esce sempre salvo in tra
(terra), d. h. die den Schiffsleuten der Küste (von Amalfi)
vorausbezahlte Heuer (mutuum: cap. 12, 17, vgl. 26, 21, 47)
steht, wenn zu restituiren (c 2, 3, 26, 41, vgl. c. 16, 52, 53).
auf Gefahr des Schiffsmanns. Noch jetzt wird die Klausel in
■ Camera, Memorie diplomatico-storiche di Amalli I p. 171.
> Silbenchmidt. Die commenda (18S4) S. 85, 111 u. CiL; Lattes,
II dirilto commerciale ncIU ]«2isIazioDe itatutaria delle citli Italiene p. töS
Not. 132; EDdemaan, Stadieo 1 S. 363 ff.
3 Camera, a. a. O. I p. 435, II add. p. XLI, XL.
< Promis, miscell. XI p. 744.
::,y Google
Zor Geschichte der Seeversichernog. 515
dieser Bedeutung (mon soggetta a rischio marittimo«) in
AmaI6 gebraucht'.
Ihren Gegensatz bilden folgende Klauseln : in tuo periculo
de man et gente (Venet. Urk. 1161 : Arch. Veneto VII p. 365);
sub Dei, maris et gentium periculo : Stat. v. Gaeta IV c. 103
(Alianelli p. 166); ad risicum, periculum et venturam maris
et gentium: Urk. v. Amalfi 1386 (Camera II p. 498); ad ,
risicum Dei maris et gentium'; a risch de mar e de males
gents (Consulato c. 210) u. a. m.; auch kurzer: ad tuum resi-
cum, ad Dei et tuum resicum, ad tuam fortunam, ad resicum
et fortunam eius (Genues, Urk. 1155 ff.: Histor. patr. monum.
Ch. II Nr. 337, 883, 956, 1029, 1031, 1054 u. a. m.).
Die Assises de Jerusalem baisse court, Ende des 12. Jahr-
hunderts, c. 48 (Kaussler') stellen entgegen: a gaaing en
aventure de mer et de gens und a porter sauf en terre.
Das seedarlehnsartige Liefermigsgeschäft der Stat. von
Marseille 1255, lib. II c. 16'<: venditio vini quod portatur ad
fortunam Dei et usum maris entspricht der bereits im Consti-
tutum usus von Pisa rub. XXVII ausführlich geregelten com-
pera mobilium rerum facta ut in alia terra solutio earum vel
pretii fiat {Bon. II p. 909), und es heisst hier : Quod si in ven-
ditione de aliquo mobili nominatum non fuerit, quod sit salvum
in mari vel salvum in na vi, in terra salvum intelligatur , in
qua de solutione venditionis mentio facta fuent.
Die Klauset a rischio u. dgl. ist insofern zweideutig, als
nur der Zusammenhang ergibt, wen die Gefahr trifft. Wird
sie der Klausel assalvi in terra entgegengesetzt, so kann sie
nur sagen, dass den Gläubiger die Gefahr trifft. Ob durch
die Klausel assalvi in terra der Geldschuldner eine ihm recht-
lich nicht obliegende höhere Haftung Ubemimmt oder ob um-
gekehrt durch die Klausel a rischio (sc. des Gläubigers) die
rechtliche Haftung des Geldschuldners gemindert wird, hängt
von der Natur des in Betracht kommenden Vertrages (Geld-
transportvertrag — Darlehnsvertrag) ab.
■ Alianelli, delle antiche comuetadini e leggi martttime delle proviocie
Napolitane p. i2Z Note 3.
■ Am Urkanden dea 13. Jahrhandcrts bai Beoia, itudi p. 47.
3 Auch Trarera Twiis, moiiam. inridica appandix IV p. $13, 513,
t Pardeiiat, colL IV p. 264; M(ty et Gnindon, hktoiie de la
commone de Maneüle III p. LXXVIII.
Dijiii.e „Google
516 Zur Getcbichte der Secvcrflcherniig.
Wahrend somit die Klausel assalvi in terra je nach Um-
ständen sich von selbst versteht oder einen assekuranzartigoi
Nebenvertrag für den Gläubiger enthalten kann ', wird durch
die ihr entgegengestellte Klausel a rischio dieser Effekt nie
für den Gläubiger, möglicher Weise fUr den Schuldner herbei-
geführt.
Denkt man nun an den im Wechselgeschäft, als Geldüber-
weisungsgeschäft nach auswärtigen Plätzen, wirklich oder fiktiv
steckenden Geldtransport, dessen Erspanmg für den Wechsel-
nehmer den ursprünglichen Häuptzweck des Wechselgeschäfts
bildet % so konnte die Frage aufgeworfen werden, auf wessen
Gefahr das Geld reist, und wir ersehen eben aus Pegolotti,
dass noch zu seiner Zeit für den Wechselverkehr zwischen
Florenz und England, }a im Wechselgeschäft von Konstanti-
nopel (Pera) verschiedene Abmachungen vorkommen, wie
denn noch 1382 eine Urkunde von >uno cambio salvo in terra
nobis missoc spricht^.
Entweder also, sagt Pegolotti, schliesst der Wechsel-
nehmer mit der Klausel aohne alle Gefahr« (für mich) oder
mit der Klausel »auf See- und Menschengefahr« (für mich).
Im ersten Falle wird er selbstverständlich mehr für den
Wechsel zu zahlen haben — eine Banquiersprovisioo , welche
sich als Assekuranzprämie denken lässt; aber von dieser, wie
neuerdings Salvioli in schwer verständlicher Darstellung, an-
scheinend sogar unter Kumulation der beiden Verträge, aus-
zuführen sucht, spricht Pegolotti nicht, vielmehr lediglich
von der sehr geringfügigen Mäklerkourtage , welche von
b e i d e n Theilen entrichtet wird. Es handelt sich nicht um 10
oder 20 Prozent, sondern um 10 oder 20 soldi auf 100 englische
' Der gleiche Zweifel begegnet schon in der yielbesproehenen Sielic Cieero
■d famil. II 17, 4; Laodiceae me preedes accepCurum ubitror omDis pecaniae
publicae, ut et mihi et populo CAatnni lit sine vectnrae periculo, d. h. isnlri
in terrs (Rom?).
' WechwIgeschSftE der püpillichen Kollekluren Ja Unguu I3l7ff.: timent
nums periculum feci cambium caoi sodii Bardomn (Vetera monnai. SUv.
mertd. histor. illustr. ed. Theiner I p. 1479'.); 1388 ff.: per litteni cunbii Tel
«liam tutum modnm (eod. I p. 34a, 351, 356, 367). S. auch Gnidoo de
U mer, chap. I arl. V; Rafael d« Tarci, tr. de cambüi, disp. I qu. 3
No. t. Bereits Baldus, consUia 34S No. 6 rechtfertigt die Erlanbthdt de*
Wechselgeich&ftE ipropter pericula qnae inbeunt in iransminiaiie pecnmanui*.
3 Am Qirloluio di CafTa: Arch. itor. Ital. 1866 p. 109,
„Google
Zur Geicliklite der Sesrerudicnmg. 517
Marfc, und zwar, wenn, wie anzunehmen, Pegolotti sich
genau ausgedrückt hat, im Falle der Klausel assalvi in terra
tun 10 Rechnungssoldi (grossi), von welchen 20 auf die üra,
im Falle der Klausel a rischio um 20 kleine soldi, von welchen
jener Zeit 45 auf die lira gehen'. Es wären also je nachdem
22'/;. oder 20 kleine soldi per 100 englische Mark= zu zahlen
gewesen. Worin die kleine Differenz ihren Grund hatte, lässt
sich um so weniger ausmachen, als die Maklertaxe für Kon-
stantinopel für Geschäfte assalvi und a rischio zum gleiches
Betrage angesetzt ist,
in.
Gehen wir vom Beginne des 15. Jahrhunderts rückwärts,
so begegnen zahlreiche Zeugnisse für den Bestand des italie-
nischen Assekuranzgeschafts : in juristischer Literatur, Praxis,
Gesetzgebung.
1. Der 1403 geschriebene^ tractatns de usuris des L a u r.
de Rodulfis p. III cap. consul. S. 10 q. 3 Nr. 8ff.<, dessen
Autorität für die Späteren * maassgebend war, vertritt energisch
die kanonische Erlaubtheit des Assekuranzvertrages: non enim
propter mutuimi, cum nullum interveniat, sed propter id quod
assecurat mercatorem de mercibus suis, quas periculo marino
vel terrestri reponit, illud redpit.
Aber noch um 1370 hatte Franco Sacchetti, ser-
mone IV* sich sehr bestimmt gegen die moralische Statthaftig-
keit der Versicherung ausgesprochen: perö che altro che Dio
non puö sicurare niuna cosa in questa vita. Dabei setzt er
voraus den Bestand sowohl der Schiffs- wie der Waarenver-
sicherung: >E l'uno mercante assicura ü navilio dell' altro per
' Vgl, pegolotti, c,44(p. 195), aoch Peraiii, stori« del comnierdo
e dei banchieri di Firenie p. iii.
■ Ve^leichDDgstabelle bei Pegolotti, c, 46 (p, 3o6fr,).
i Schulte, QueUen u, Literatur des kaooniMben Recht* II S. 393.
* Tract nniv, iuris, Ven. 1584 VII p, 14 ff.
i Endemann, Zeitschr. f. Handelsr. IX S. 310 tf. ist aaf die SItere
Doktrin nicht eingegangen — auf diese Darateliung verweilt er in de» Stadien
II 5. 3S5. Die Moialtbeologie und kanonistiiche Literatur des 14. Jahrhunderts
wird Doch Ausbeute gewlhren.
^ Vgl. oben S. 46t und über eine italienische Bearbeitung der sanmu
Pisana von Giovanni delle Celle (13S8); s. Salvioli, a. tt. O. p. 35,
, Google
518 Zur Geschichte der SeeTawchenmg.
danaric und >se uno mercatante pigliando prezzo da un altro
pu6 sicurare mercatanzia su una oave?«
Den allgemeineD Gebrauch bezeugt das 1395 erlassene
Schreiben der Signoria von Florenz an Jacobus de Appiano,
signore von Pisa'. Ein Schiff des Simon de Mari von Genua
aus Sevilla oder einem sonstigen spanischen Hafen nach einem
pisanischen Hafen befrachtet, ist bei Saona genommen und
sequestrirt. Da nun an der Schiffsladung die Florentiner Kauf-
leute Johannozius de Billiottis und Leonardus de Altovitis et
socii interessirt sind, indem sie Ambrosio Grisolfi de Janua pro
Qorenis 300 sicut est consuetudo mercantium, sicuranint, so
ergeht die Bitte, dass die genannten Florentiner propter securi-
tatem antefatam incommodum non sentiant neque damnum.
2. Das italienische Statutarrecht bewegt sich in
folgenden Richtungen: es stellt die Statthaftigkeit der Asse-
kuranz gegenüber theologischen bezw. kanonistischen Bedenken
fest; es ordnet bezw, inhibirt Assekuranzen auf fremde Schiffe
und Waaren; es regelt die Prozedur in Streitfällen; es unter-
wirft die Versicherungsverträge einer Registrirungs- (Stempel-)
gebühr. Dazu treten vereinzelte Bestimmungen, welche aber,
so weit bisher zu ersehen, sich nicht auf Privatrechtssätze er-
strecken.
Unter den drei jener Zeit nach Pisa's Niedergang (1284)
hervorragendsten italienischen Handelsstädten: Venedig, Genua,
Florenz scheint Venedig am spätesten sich mit der gesetz-
lichen Ordnung der Assekuranz befasst zu haben. Indessen
doch nicht erst, wie allgemein angenommen wird, durch das
nur die Gerichtszuständigkeit und das Verfahren betreffende
Gesetz vom 2. Juli 1468', Vielmehr enthält das Capitolare
dei consoli dei mercanti' als c, 275 ein Gesetz vom 15. Mai
1411* mit der Rubrik: Securitates super navigiis forensibus
non fiant neque de ipsis fiat aliquod ins.
Es ist gerichtet gegen eine den venetianischen Btlrgem
sehr schädliche Gewohnheit (Cum introducta sit consuetudo),
und verbietet fortan bei Klaglosigkeit und Verlust des vierten
' Bonaini III p. 357 Not.
• P^TdüEsns, coli. V p. 65.
) Eine von Thomas besorgle Abschrift desselben befindet nch auf der
Königl. Bibliothek lu Berlin.
* Ex libro 53 Rogaiomm ad cart. 135.
:,3,t,zec.y Google
Zur Geadüchte der SeeTeTsichernDg. 519
Theiles der Versicherungssumme Jedermami im venetianischen
Gebiet, direkt oder indirekt auf fremde Schiffe oder darin ver-
ladene Waaren {super dictis navigüs forensium et de mer-
cationibus in eis caricatis) Assekuranz zu leisten.
Ebenda findet sich c. 300 ein Gesetz vom 8. Juli 1424'
mit der ähnlichen Ueberschrift : Securitates non fiant super
navigüs forensium. Dein Texte nach verbietet es schlechthin
Jedermaim im venetianischen Gebiet, Assekuranz zu Gunsten
irgend eines Fremden, somit anscheinend auch von fremden
Waaren in venetianischen Schiffen: quod de cetero nullus —
andeat vel praesumat per se vel alium assecurare vel assi-
curari facere aliquem forensem — '. —
Für Florenz liegt vor in den Statuti di mercanzia,
Redaktion von 1393 eine schon von Paulus de Castro
Consil. 251 ^ erörterte und ausdehnend interpretirte Bestim-
mung: lib. III ruh. X. Quod non possint fieri securationes
per florentinos super classibus nisi florentinis *.
Dieselbe verbietet im ersten Theile den Einwohnern des
florentinischen Gebiets: facere per se vel per alium directe vel
indirecte aliquam securationem cautionem aut promissiooem de
aut super aliquibus mercantiis vel rebus oneratis vel onerandis
super aliquo vel aliquibus classibus lignis vel navigüs, nisi
solummodo et dumtaxat civibus florentinis et seu de civitate
comitatu vel districto Qorentino et pro mercantiis et rebus
ipsorum Qorentinorum, bei Strafe, Klaglosigkeit und Nichtig-
keit des zuwiderlaufenden Geschäfts.
Dagegen, mit der Marginalrubrik : Quod per dictum
offitium possit cognosci de securitatibus florentinorum , wird
im zweiten Theile bestimmt: De hüs autem cautionibus et
securationibus que fierent inter cives seu districtuales floren-
tinos et pro mercantiis et rebus eorum possit et debeat per
dictum offitium (sc. mercantiae) cognosci procedi ins fieri et
terminari prout sibi uidebitur expedire. Et tales securationes
promissiones et obligationes ualeant et teneant et possint et
< Ex libro SS Rogstomm ad cait. 30.
* Ein Rathichlugs von 1463 (Archivio Veaelo I p. 131) entscheidet e
einselnen AtMknnnifaD.
} Ed. Fruncof. 1581 vol. i.
* Abicbrift verduike ich Herrn Frofetior C. Paoli in Floren*.
::,y Google
520 Zur GdcUchte der ScerenicberDDg.
debeant observari et eiecutioni mandari simpliciter et seciio-
dum bonam fidem et consuetudinem mercatomm.
Die späteren Modifikationen ■ des im ersten Theile er-
lassenen Verbots interessiren hier nicht. —
Weitaus reichhaltiger ist das Statatarrecht von Genua.
Ein Verzeichniss der 1404 zusammengestellten Regule
officii mercantiae, welche sich in Genua nicht mehr vor£nden
und anscheinend nach Paris verschleppt sind, enthält folgende
Rubriken ' :
De non assecurando pro navigiis in darsina <x)l]0'
catis.
De assecuramentis non faciendis (et nota quod foit
refonnatum in cartis 424).
Cassatio capitoli de assecuramentis non fadendis in
libris oEficii mercantie.
Item quod Omnibus Januensibus possint assecurari
et se assecurari facere etc. et de assecuramentis tarn
per patronos quam per participes vasorum et alia
omnia circa assecuramenta et naufragia quae seqneren-
tur in no. 424.
Einzelne dieser Gesetze und andere hier nicht aufgeführte,
welche zum Theil in das vierzehnte Jahrhundert zurückreichen',
sind erhalten*.
Ges. 22. October 1369 *:
Contra alegantes quod cambia et assecuramenta
facta quomodocumque cum scriptura vel sine sint illi-
cita vel usuraria.
Es betrifft die Erlaubtheit von Handelsgeschäften über-
haupt, unter besonderer Hervorhebung von cambia und asse-
curamenta. Unter Aufhebung eines G^etzes vom 8. Mai 1366,
welches nicht auf uns gelangt, dessen Beziehung auf >assecura-
' PfihlmanD, Die Wiitluchafltpolitik der Florentmer Renaunuice, 1S7S.
S. ia7ff.
' S. schon S. ValleboDft, delle uocnraiioDi e dei nnistri cd «Tarie di
mare a. ed., Genova 1873, p. 3 Not. a; Beoii, itudi p. 50 Not. i. Ich
folge der Ton Bcdsb mir freundlichst mitgelheiltea Abschrift. Bei Vallebona
findec sich einige Abweichnogen , anch die Rabrik: Cootra allegantes camlua
et anecuiameata esse usoraiia.
1 Bensa, atudi p. 50 Not. i.
* Atiscbriftcn der nachstehend besprochenen verdanke ich. Herrn E. Bensi.
i Arch. di stato. Cod. diven. X 933, 1404 — 1405.
::,y Google
Zur Geschiclita da SeeTerscbenuig. 521
inenta< somit zweifelhaft ist, wird, um den häufigen chikanösen
Weiterungen der Schuldner zu begegnen, welche einwenden :
>quod contractus sive mutuum, de quo ageretur et pro quo
molestarentur esset illicitum et foeneratitium et quod secun-
dum scripturas canonice non possit ipsis talis contractus requiri
vel peti et super hoc habent recursum et habuerunt temporibus
retrohactis ad curias et magistratus ecclesiasticosf bestimmt:
>quod si aliqua persona cuiuscumque conditionis existat que
per instrumentum se obligaverit seu obligaret cum scriptura
vel sine ' super quibuscumque mercantiis et in quocumque con-
tractu mercantie et maxime per viam cambii seu assecuramenti
versus aliquam personam et alegaret, quod contractus ille esset
usurarius vel iUicitust — so soll, in Erwägung : >quod si per
huiusmodi impedimenta instrumenta cambii et alii contractus
mercantiarum facti cum scriptura vel sine non possint exe-
cutioni mandari vcrteretur in magnum dampnum et incomodum
civium et mercatorum Januensium, qui comuniter similes con-
tractus faciunt nee aliter possent merdmonia exerceri nee
navigia navigantia expediri«, ein solcher Schuldner von Rechts
wegen in eine Strafe von 10 soUdi für jede libra des geleug-
neten Schuldbetrages verfallen.
Dass, wie bekanntermaasseo gegen Wechselgeschäfte, so
auch gegen die Seeversicherung theologische Bedenken be-
standen, ist bereits früher' hervorgehoben und lässt sich so
and nach dem Zusammenhange nicht bezweifeln, dass imter
den lassecuramentai wahre Versicherungsverträge verstanden
sind. Originell ist die indirekte Abschneidung 3 der Wucher-
einrede durch Strabatzung. —
Wie in Florenz und Venedig, so bestand auch in Genua
ein gesetzliches Verbot der Versicherung fremder Schiffe und
der darauf verladenen Waaren von zur Zeit unbekanntem
Datum. Von diesem Verbote wurde im wohlverstandenen In-
teresse des einheimischen Handels wie der städtischen Finanzen
je für das laufende Jahr während der Zeit der Versteigerung
' Gedacht iit augcnscbemlich an mtlDiUiche oder schriftliche Vertrige mit
.■chtrfiglicher (?) notarieller FeststelluDK.
■ Oben S. 517.
1 S. über Floreiu: Lastig, Zcitschr. t Handelsrecht XXIII S. I43ff'.
, Pöhlmaon, a. a. O. S. 79fr.; allgemein Lattes, a. a. O. S. 151, 15s.
■ooqI
522 Zur Geachichte der Seereiücherang.
der RegistriningsgebUhr dispensirt: Ges. v. 23. Januar 1408':
— quod quibuscumque censariis et seu prosonetis civitatis Janue
liceat et licitum sit tractare contrahere componere et finnare
ac etiam notariis scribere et inde instrumenta conficere in,
super et de quibuscumque assecurationibus in navigiis seu super
navigiis eztraneorum seu non Januensium contrabendis et super
oneribus, mercantiis et raubis dictis extraneomm navigiis con-
ductis seu vehendis. —
Endlich die Registrinmgsgebühr, welche im Betragfe von
'/i °/o seit 1400' von den Assekuranzverträgen erhoben wurde,
soll, nach einem Dekret der consules calegantm v, 2. Februar
14013, stets von den Versicherten entrichtet werden : — quod
omnes et singule persona que se fecerint assecurare super ali-
quibus rebus et mercibus per instrumentum appodlsiam vel alio
quovis modo — non ille persone que versus eos assecuraverint
de rebus et mercibus antedictis. Auch soll Jedermann, Notar,
Mäkler oder Kaufmann jeder Zeit auf Verlangen dem Steuer-
erheber von allen geschlossenen Versicherungen Mittbeiltmg
machen und demselben Einsicht in die Assekuranzurkunden
(de instrumentis que fecerint de dictis securitatibus seu etiam
appodisiis — censarii de cartolariis eorum, in quibus scribont
mercata facta per eos de dictis securitatibus) gestatten. —
Hiermit ist nur der äussere Entwicklungsgang skizzirt.
Die leitenden Rechtsprinzipien und die einzelnen Rechtssatze,
welche das italienische Assekuranzgeschäft im vierzehnten und
im Beginne des ftlnfzehnten Jahrhimderts normirt haben,
werden sich erst nach Beschaffung eines umfassenderen Ur-
kimdenmaterials feststellen lassen. —
Ein solches erbringen, wie nachträglich hinzuzufügen ist,
die mir soeben durch die Gtlte des Herrn Enrico Bensa
zugebenden Aushängebogen einer ungemein lehrreichen, anf
archivalischen Forschungen beruhenden Schrift desselben über
die Geschichte der Versicherung: 11 contratto di assicurazione
nel medio evo. Studi e ricerche. Genova 1884. Florentiner
Geschäftsbücher ergeben den Bestand derselben in Florenz
bereits 1319. Die äusserst zahlreichen, in den genuesischen
■ Arch. di itato. Cod. dir. X S. 936.
' Benia, ttndi p. 53 Not. 1.
1 Cod. TCgul. consul. etleg. foL 66 b.
itizecy Google
Zur Gcccliiclite der Scerersidiertuig. 523
Archiven zerstreuten Urkunden über Versicherungsgeschäfte
reichen bis auf das Jahr 1347 herab; es sind vollständige
Assekuraozpolizen aus den Jahren 1385 und 1397 erhalten.
Auch die bisher dürftige Kenntniss des italienischen, vornehm-
lich des genuesischen Statutarrechts ist erweitert und in den
bisher unbenutzten, zwischen 1390 — 1435 geschriebenen Con-
silia des genuesischen Juristen Bartolomeo Bosco eine neue
Quelle für die älteste juristische Doktrin erschlossen. Wie
weit den scharfsinnigen Ausführungen des Verfassers über das
so streitige geschichtliche Verhältniss der Prämienversicherung
zur Wette und über die Einkleidung des Versicherungsvertrages
in die Form des Kaufvertrages beigepflichtet werden darf,
muss der Prüfung an anderer Stelle nach der in Kürze bevor-
stehenden Vollendung des gediegenen, die Kunde des mittel-
alterlichen Handelsrechts in den verschiedensten Richtungen
fordernden Werkes vorbehalten bleiben.
izecoy Google
SACHREGISTER.
Eililsa twdeateB dis Saitaa, dis rSuiicIi« dj
At^ng mit einem ■petiell beieichneten
Schiffe T 504 ff,
AbgangsMaasel : IMput d£ceiiibre,
techll. Bedeatung 1 487 fr.
Ablideklmiel , r«chl1iche Bedeatung
I 499-
Accept de« Wecludi and die Krea-
tlonttheone II 94. limitirlei li 104.
actio damni injana dati , VerhiltntM
zur actio de recepto II 40S tf,
— rntti, VerhBlInin eut Bctio de re-
cepto II 4oS ff.
actio de recepto , Konkurreni der —
mit civiten Klagen 11 415 ff. In-
halt der — II 418 IT. Da» salvuia
fore recipere all Gmndlage der —
II 434 ff. Hentige Geltung der —
II 460 ff.; 1. anch receptum nan-
AenderoDg dei Sitiei einer Aktien-
gewllicnaft, recbtUche Bedenlong I
444 ff.
Anfechinng des Schi«duprucb» I jfi? ff.
animui, Koordination von corpus und
a, in der Besitilehre I 91 ff. poa-
seuio animo retinetar I 344 ff. Be-
nttTCrluit animo I 363, 395, 313 ff.,
343-
Anicheiuurkunden, die amocginiEchen
II iSo.
Anialdis II 9.
AoweiiuDg, Beiitaerwerb dnrcb I 3i6ff.
■rbitratio nnd arbitrium, At^renznng
gegen einander I 543 ff.
Archiv fUr das Handelsrecht, Iieraas-
gegeben von einigen homb. Recbls-
gelehrten II 4.
— (Br das prensiische Handels- und
Wechielrecbt, heiKu^geb. v. Griff
115.
Aiher's Hambnrg. MonatsiEitschrifl ftlr
Politilc, Hände! u. IInndFlirecltt II 5.
Anxateller, Hafiung dn — b«is
Wechsel II 114.
Beaniter, Ersalzpflicht des I 419?.
Bekker, Besititheorie : Begriff des Be-
silies I 45 , Behaaplnng und Vtr-
lust des Besitiei I 335 ff.
Bender, Grundiltze des engeren Han-
delsrechts II 15.
Benecke, Systein der Aueknmu ond
des Bodmcreiwcsens II 16.
Besits. GrQndlagenderBesitiiehreIz3C
Begriff des BedUei. Heutige Doktrin
I 40ff., 78 ff., Baron I 44, 79, Bekker
I 45, Brint I 44, Brnns I 47, Cosack
I gl, DerDbnrg 1 Si, Euer 1 44,
T, Jhering I 41, 79, 81, Kiemlff
I 47, Kindel I 44, 80, Leu I 79,
T. Liebe I 79, Meischeider I 44, So,
Pernice I 4J, Fnchta I 41, Randa
I 41, 80, V. Savigny I 35, 39, 40,
Windscheid I So, 8r; Anffassaog
der Qacllen I 40 ff. i der ntsprtlng-
liche Besitzbegiiff I 57fr.; der Be-
ut* ein socialer Verkchrtbegriff I
68ff., zio, 121, 328, 344. Elemente
deajnniüschen Besitzes, Koordioatioa
von coipns und animus I 91 ff. Na-
turalis possessio I 57 ff., 65 ff. Besiti
des Erben I 379 ff. — Befaanptnng
nnd Verlust des Besitzes, Uteorien
I 331 E, T, Savigny I 331 ff.,
V. Jhering I 333 ff. , Willensiheorie
I 334, T. Liebe I 335, Bekker I
335. Die Quellen I 241 ff. Die
Paulinische Regel I 33^ ff. Possessio
abscntil I 344 ff. Animo poasesso
retinettu- I 344 ff. BeaitErerinsI an
,e.i
GnmdslQckCD wGhrend Abwesenheit
I 248 ff. 1 an beweglichen Sachen
durch furlum oiKDifestum I 364;
durch Vemachlissigung I 365 ff., an
GruDdilUcken 1 367 ff., an beweg-
lichen Sachen neglecia atque omitüa
CDStodin I 274?. BniCiveilust nnimo
I loa, 395, 313 C, 343. Foueasio
praesentis I 277ff. Unmiltelbai be-
sessene Sachen I 377 ff; Bcsitiver-
Inst corpore T 377 ff., durch Er-
löschen der ttutsSchlichen und recht-
lichen MQglichkeit jeder Gewalt
I 278 ff.; Tod des Besilieis I 379,
Kriegsgefangenschaft I 380; durch
freiwilliges Aufgeben der Gewalt
I 381 ; durch Naturereignisse I 381 ;
durch Entseliung, Verlieren I sSzff.,
BDsge sc blossen durch Fortdauer der
custodia I 283 fF.; an Thieren 1387?.,
an wilden Thieren , nicht in den
Hauslhieren gehörigen Vögeln,
Fischen I 28S ff., an Heerdenvieh
I 390 f., an Hausthieren I 291, an
Tauben, Bienen I 291 ff.; Besiliver-
Inst an mittelbar besessenen Sachen
I 29s ff. . corpore et aBimo I 295,
»nimo I 39s, corpore 1 296 ff., durch
furlum der MitteUperson I 397, durch
Tod der Mittelsperson I 399, durch
Besitzaufgabe, Entfernung, Dejektion
der Milletsperson I 300 ff. BesiU-
verlust an Sklaven I 303 ff. , am
servus fugitivus I 307 ff. — Erwerb
des Besities I 141 ff. Die Doktrin
141 ff., Theorie t. Jherings I 149 ff.,
V. Savignys I 145 ff. Die Doppel-
weise der Besitierwerbiakte , sym-
bolischer Besiizerwerb 1 142 ff.
Okkupatorischer und iraditionsweiset
Besitzerwerb 1 184 ff. Handhafler
Eiwerb und Surrogate 1 163 ff.;
handhafter Erwerb I 163 ff., an
Grundstücken , Theorie v. Jhering's
I 165 ff. Surrogate des handhaften
Erwerbs I 167 ff. ; Erwerb durch
NXhel i7off.,anCrundst(lckenI 170,
l8Bff.,anbeweglichen Sachen 1 171 f.;
Erwerb durch Erlangung der custodia
I I3S, 172 ff., in OkkupaiionsfHIlen
I 176 ff., 187 f., an Honigwaben
I 178, am Schatte I 178 ff. Erwerb
durch Schi tlssel Übergabe I 193 ff.
Erwerb doTcb Zeichnen I 197 ff.
Erwerb durch Uebergabe von Ur-
kunden I 199 If. Erwerb durch
Miltelspenonen I 310 ff., durch An-
weisung I 3i6 ff., durch brevi manu
traditio I 3iS, darch conititum
potKSSorinm X 318. Erwerb durch
[älter. 525
richterliche Besitzeinweisung T 133 ff, ;
Vicuae posiessionii traditio I 326 ff. ;
Erwerb durch den aervus fugitivus
I 309.
flewei» bei der actio de recepto II 450 IT.
Bcweiilast bei der RevalirungsUage
des Trassaten I 462 ff.
brevi manu traditio I 218.
Brinkmann , Lehrbuch des Handels-
rechts II 19.
Bürgerliches Gesetibnch, Entwurf
eines — und die Krealionitheon«
n 135 ff. Plan und Methode für
die Aufstetlung des Entwurfs änes —
I 510 ff., lu Grunde lu legende
Rechtsquellen I 51$ f, Umfang des
Entwurfs I Jlö ff. System I 537.
Art und Weise der Redaktion I
521 ff. VoT^hlige I 539 ff.
BUscb II 13 ff.
c.
Casaregia II 9.
Cession im griechischen Recht II iSj ff,
Champagne, Bedentjng der Messen
der — fitr das HandeUrecht II 40 f.
GeschRftsoperationen auf den Messen
der II 326 ff.
Claim, Begriff I 538.
constitutum possessorinm I 210 ff.
corpus, Koordination von corpus nnd
onimns in der Besitilchr« I 91 ff. 1
s. a. Besitz.
Cropp, Juristische Abhandlungen II 17.
custodia, Ueberoahme der H 443 ff.
— in der Bedtzlebre. Doktrin I 133.
Begriff I24 ff,, 135. Besitzerwerb
durch c. 125, 173 ff., in Okkupations-
ftllen I76ff.,i87f. Besilibehauptung
durch c. 135, 383 ff. Besitzverlust
neglecta atque Omissa custodia 374 ff.
D.
DcleotioQ, alt Rechtsb^ff I 97 ff.
B.
Eccius, Ansicht Über das Rechts -
Studium etc. I 577 ff.
Editionspflicbt Ton Urkunden, nament-
lich gemeinschaftlicher Urkunden
und von HandelsbOchetn II 356 ff.
Bestimmungen der C.P.O. II 368 ff.
Allgem, bsichtipunkte II 375 ff.
nacb den Gruadsllien des H.G.B.
II 380 (f., der CP.O. II 384ff., des
rheinischen bflr^er]. Rechtes II 387ff.,
insbesondere gemeinichafUicher Ur-
kunden II 39S ff.
Elgenlhnm , Beziehung tum Beulte,
Theorie t. Jheriag'i I 149 ff.
■oogi
526 Sichn
Eigen thnmitheorie bei Inbibopa^eren
II 77 ff. , Thöl II 78, Bniniier 11
79, Stobbe II 79, Detnborg II 81.
Einen, Dm Wechselreclit II 19.
EiuelaDgriff der GenoEwnucbafts-
gUnbiger II 358 ff.
EisenbihnaktieDgesellschaftcD , Za-
litesigkeit der Verlegung des Sitzes
der -
I 433 ff
Entwurf eines B.G.B. und die Kreations-
theorie II 135 ff. Plan und Methode
fflr die Aurstellnng dex — eine*
B.G.B. I 510 f.; s. auch B.G.B.
Enitmng des Erbeo I 279. E. durch
den aerrus fugltirus I 309.
Erwerb de« Beaities, s. Besitz.
Exekntivklantel II t6i B., 171, I73*
ExelcDtoriscbe Urkunden im klusiich.
Alterthum II IJ] ff.; s. auch Ur-
kunden.
Frimtry , ätudes de droit commercial
II 10.
Furtum der MittelipeisoD, Besiiiverlnst
durch I 397. Besitzverlutt dntch
fuitmn manifestum 1 264.
G.
Gefahr, Uebemahme der II 440.
Gelpke, Zeitschrift flli dai Handeli-
rechl II 5, 17.
Gemeinschaftliche Urkunden II 19S.
Begriff und Bldiliongpflicht II 156 ff.
GCDotscn, Haftpflicht der — und dai
Umilgeverfahren II 353 ff, Heran-
ziehung ausgeschiedener G. zum
UmlageTerfahren II 3S1 ff.
Genossenschaften, Erwerbs- u. Vi'iTth-
schiTti II 331 ff.
GenoaMtuchaftigÜnbigcT, EitueUngrifT
der II 358 ff.
Gewllschaften mit beachrKnkter Haf-
tung II 333 ff.
Gewahrsam, Begriff in der Besitzlchre
I laS ff.
Gewalt, Begriff in der Besitzlehre,
I 77 f-. 83 ff., 91 ff. Psychisches
Element in der Gewalt I 107 ff., in
der Gewalterlaugung I 115 ff.
Grttff, Archiv fllr das preusi. Handels-
nnd Wechieltecht II J.
Grundstücke in der Besitzlehre, s.
Besitz.
Haftpflicht der Genoawn II 351 ff.,
des AnistelleTS eine« Wechsels II,
114, des Krealon Dach der Kreations-
theorie II 114 ff., des Beamten I
419 ff., des Staates I 421 ff.
Handel, Begriff II 29 ff.
HxndelsbtlchcT . EditionspSicht roa
II 256 ff., 302 ff.
Handelsgesellschaft, alte aod Kcae
Formen der — II 3Zlff., bei den
Orientalen II 324, bei den Römern
II 325, im Mittelalter II 326, com-
menda II 326. Uraprllnge dei
offenen — II 327. Aktiengcsell-
ichaft n 318. Errerbs- and Wiith-
schaflsgenossenschsften H 331. Ge-
sellschaften mit beschränkter HaftnDg
II 33"-
HandelsgcMlibuch, Benutzung und Be<
deutnng der Protokolle fUr die Inter-
pretation des deutschen — II 53 ff.
Handelsrecht, Überdie wissenscbaftlicfae
Behandlung des deutschen — II i ff.
ZeitBchrifteo fOi — II 4ff. Zweck
der Zeitschrift fflr das gesammte ^
II I ff. Geschichtliche Entwickinng
des — II 39 ff., der alten Welt
II 31 ff., bei den Orientalen II 33,
in den hellenischen Staaten II 32,
bei den Römern II 33 ff., im Hittd-
aller II 35 ff. , im brzantinischen
Reich II 3S, EinBtttse der Araber
auf II 35 , bei den gennaniscboi
Stämmen IE 36 ff. , im kanonischen
Recht II 37 ff., in den romanischen
StBdten II 38 ff. Rezeption de*
romanischen — im östlicheu nnd
nördlichen Europa II 42, der nenereo
Zeit II 44 ff. Kodifikation des —
II 47 ff. , in den deutschen Terri-
torien II 47 f., im Gebiet des eng-
lischen — II 4S, des fnusösischen —
II4S, des spanisch-portugiesischen —
II 49, des französisch-deutschen —
U 49 , des modifiriit deutschen —
II 49, des skandinarischen — II 50,
des mssischen — II 50, des japani-
schen — II 50.
Handelsrechtswissenschaft , Entwick-
lung der — II 6 ff., bei den RSmern
II 6 f., In Italien II 8 f., in Deutsch-
land II 9 ff., in Franktcich II 15.
Handhafter Besitzerwerb 1 163 ff.
Hoheitsrechte des Staates aber die
Privateisenbahnen 1 3SS ff.
Hdhere Gewalt, s. vis maior.
Jakobsen II 16.
ignorftnti non tollitut possessio I 353.
'. Jberiog, Betititheorie: Begriff des
Besitzes I 41, 79, 81 ; Erwerb des
Besitzes I 149 ff., an Grandstflcken
I 165 f., BehsuptuDg und Verlast
(leg Besitzes I 333 ff.
Indossament, fidniiarisches — II 93 ff.
Inhaberlcli.usel in alten Uiknnden
II l7off. , allemalive beiw. kon-
junktive II 170, reine II lyof.
Inhaberurkunden im klassischen Aller-
thnm II 160; s. aach Urkunden.
Interprelation , Benntiung and Be-
deutung der Protokolle Rlr die —
des deutschen H.G.B. II 53 ff^ —
der 1. II D de novat et deleg. 46, z
n 199 ff.
Jamiiscber Besitn, Elemente des —
Igiff-
K.
Kategorien der Weithpapiere II Sa ff.
Klausel, Abgangs- — , d£part dfcembte
I 437 ff., Ablade 1 499 . Eie-
kutiv- — 11 169 ff., Inhaber- —
II i;o ff., Order- — II 168 ff-,
eive ad quem ea res pertinelHt
n 197.
Konnossement II I30ff.
Kreationstheorie und das Wecbsel-
accept 11 94 ff. Grawein II, 95, 100.
103 f., Demburg II 108 f., uöC
— and der Entwurf eines B.G.B.
II 136 ff., Billnner II 140, Laden-
batg II 140, Carlin II 140, Eode-
mann II 141, Kuntte II 14t. Judi-
katur II 14z f., geschichtliche Be-
deutung 11 145 , die einielnen
Stimmungen des Entvorft II 146 ff.
Kriegsgefangenschaft des Besitiers
I zSo.
Ladeschein II 120 ff.
Lagerschein II 110 ff.
LandtraDsportvertrag, Ausdehnung des
receptuTu Dantarum auf — II 471 ff. ;
E. auch receplum tuutaram.
Langermann, De iure in curia merca-
torum usitato II 9.
Liebe II 19.
Lieferungstermin, ■. Rücktritt.
Lobetban, Giundsfitie des Hatidlongs-
rechts II I3.
de Luca II g.
M.
Mäkler, Beieichnang für — II 314 ff.,
insbesondere Sensal II 316.
MlklcrTecbt.Ursprtlngedes — Hauff.,
Ansicht Laband'i II 311.
singulan II 9.
Martens, Gmndriss des Handelsrechts
n 13.
Messen , Bedentung füT das Handels-
recht II 40 f. Geschüßsoperationen
auf den — der Champagne 11 336 ff.
Mittelspetsonen in der Besiialehre, (.
Besitt, Erwerb und Verluit.
Millermeier II 19. Zum Andenken
1 653 ff. Bildungsgang I 654. In-
auguraldissertation 1 655. Theorie
des Beweises im peinlichen Prozets
1 656. Akademische Lehrth£tigkeit
I 656; schrif^slellerische ThHtigkeit
I 657 ff. Theilnahme am öffent-
lichenrLebenlöäzff. Letzte Lebens-
jahre
i8f.
Monatsieitschrift, Hamburg. , fBr Politik,
Handel und Handelsrecht, heraus-
gegeben V. Asher II 5.
Musius, Anfangsgründe des Hand-
lung!- und Wechselrechts II 13.
N.
naturalis possessio I 57 ff., 6$ ff.
Nibe der Sache, BeälEerwerb durch —
I 170 ff.
Nicareta, die Schuld verschreibong der
— II 176.
o.
Oberappellationsgcrichtshof in Lübeck,
Bedeutung des — (tlr die Handels-
wiucnschaft II 17.
Okkupation von Grundstücken Ab-
wesender I 349 ff.
Okkupatorischer Besiuerwerb I 176 ff.,
18s f.
Orchomenos. Inschrift von — . betreffend
die Darlehnigeschlfte der Nicareta
II 176 ff.
Orderanweisnng im klassischen Recht
11 I93ff. Interprelation von 1. II
D. de novat. et deleg. 46, 3 II
199 ff.
Orderklansel, Zusammen Stellung von —
in alten Urkunden II 16S ff.
Orderurkunden im klais. Alterthum
II 165 ff., s. Urkunden.
Pardessus, Cours de droit commn^ial
11 IS.
Pttnlus, Kegel des I 335 ff.
, Cioogle
Penitentlhcorie II 77 ff.; ». auch
Eigen tbrnDstheoTle.
Person aUtilut der Akliengoellschaft
144.1.
Psychisches Element in der Gewslt
1 107?., in der Gewalterlangung
I MS ff.
posseiisio absentii T 243. 344ff., an
Grundstücken I 249 ff. Besitzverlust
durch Vernichlllssigung bei p. a.
I lösff., p. B. am Sklaven I 310,
s. a. Besitz, poucisio firma, minus
firma 1 1J2.
polestas , Begriff in der Besitilehre
I B3ff.
Pohl, Dantellac^ des gemeiaen deut-
schen und hamburgi sehen Han<iels-
recht! II 17 f.
Prise nlalionspapier II 83 ff. Brunner't
DefinitioD li ÜaB.; polenzirler Art
II 91. Kriterien des — nach
Brnnncr II SS IT.
PrifscDtaiionstheorie 11 77 ff. ; s, auch
ETgerthnmSthcorie.
Prttseni der Sache, Erwerb d« Be-
sities durch — I 170 ff.
PrivaCei-enbahuen , Kechts Verhältnisse
der unter St ants Verwaltung stehen-
den — [ 354 ff. Hoheilsrecble de*
Staates über — I 355 ff. Prival-
rechtliche Beiiehungen des Staates
in — I 359 ff. Uebersicht der unter
Staatsverwaltung stehenden 1 367 ff.
UeberUssung von — an den Staat
I 371 ff, Natur und Umfang der
staatl. VerwaltungsbefugnisEC 1 .171 ff.
Stellung der staallichen Verwattungs-
beherden im Organismus der Staats-
verwaltung 1 3SS ff. Die staat-
lichen Verwaltungsbehörden und
das Recht der Aktiengesellschaften
I 397 ff. VeTBDtwortlicbkeit der
stsatt, VerwaltuDgibeamlen, Staats-
behörden und des Staates 1 406 ff.
Die rechtliche Natur der staatliclien
Verwaltung 1 406 ff. Die Ersati-
pflicht des Beamten I 419 ff. Ersatz-
pflichc dei Staates I 431 ff.
Protokolle, Bennliong der — fUr die
laterpretaliondesDentscbenH.G.B.'s
II 56 ff. , ihre Bedeutung II 57 S:
V. Hahns Ansicht II 57. Schle-
singers Ansicht II 63 ff. Ansfah-
ningen ▼. Hahn* 11 68 ff.
PiUfangsordnuDg and Rechtsstadtum
1 577.
Receptum argentarii II 107.
Receplum naulamm , cauponum, sta-
bulariorum 11 401 ff. Litteratur
II 401 f. Herrschaftsgebiet II 403.
Verhüllniss zu den civilen KoO'
Irakten II 405 ff. VerhÜltDiss la de»
piitniischen Sirafktagen, deren
Theorie und heutige Geltung II
4oSff., die eiiuchlSglgea Fülle der
Klagenkonkurrenz II 415 ff. Inhalt
der actio äe receplo II 4iSff. Be-
griff der vis maior II 432, gewAhn-
licher Begriff II 424 ff., wahrer Be-
griff in der Lehce vom receptum
II 430. Von der Ueberuabmc der
Gefahr und der cnslodia II 440.
Prozessualisches. Beweis II 450 f{.
Ausschliessung und Beschiinkung
der Haftung II 452, Heutige Gel*
tung II ^So ff. Reieption des —
II 461 , in den germanischen See-
rechten II 463 ff, , in den romn-
nischen Seercchlen II 466, in den
modernen Gesetzbüchern II 469 f.
Ausdehnung auf den Landtransport-
Vertrag II 471 ff., im rSmischen
Recht II 471 ff., im A.LJI.II4S0, im
österreichischen Recht II 481 , im
sOchuschen Recht 11 4S1 f. in aus-
IKudischen Rechten II 483 f., in den
neaeren Gesetzentwürfen 11 405 ff. ;
s. auch actio de recepto, vis maicr.
Rechlsstudium und Prüfungsordnung
mit Rücksicht auf den Vorbereitungs-
dienst I 577, Ansicht T. Ecdns'
IS77f.
Rechtsstreit, Begriff des — im Völker-
recht 1 539 ff.
Revalirungsklage des Trassaten 1 462 K.
Ricblerliche Einweisung, Besitierwerb
durch — I 222 ff.
Bohr, VoIlstEndiges Hausbaltongs-
recht II 10.
Rflcktritl bei nicht prlzisem Lieferung^
termine I 4S3 ff., 496 ff.
Savaiy II 13.
Savigny, Friedrich Carl von — I öioff.,
seiD Stammbaum I 623 Bildungs-
gang I 624!. Recht des Besitzet
1 635. Akademische LehnhStigkeit
I 625 ff. Vom Beruf unserer Zeit
für Gesetzgebung und Recbtswissen-
Echaft 1 627 ff. Rcchtsxusland in
Deutschland um 1814 I 617 ff.
Verdienste um die Rechtlwi*sen-
■cbaft I 635 ff. Hiatoruche Schule
I 637 f- Srstem det heutigeii
rOroiichen Rechts I 640 (. AI«
JuiiitminUtCT I Ö41. ChankicT I
644 ff. Lctile Lebensjahre I 647. —
Seine Besilztheorie; Begriff de« Be-
sitze» I 35, 39, 40, Erwertj da
Besities I 145 ff. , Verlust des Be-
sitzes I 135 ff-
Scaccia 11 9,
Schau, Bexitienrerb am — I 178?.,
Erhallnn^ des Besities I 284.
Schiedsgerichte, Reglement fllr inter-
nationale — I 533 ff. BildDDg der
— I 552 ff. Verfahren vor
I SS7 ß-
Schiedsspnicb I 565 f. Aufecbtang
und Aufhebung I 567 ff.
Schiedsvertrag , Schliessung des
I S+aff.
Schllttaelllbcrgabe, Besitcerwerb durch
— I 19» ff.
Seedarlehniurkuude io der Rede des
Deroosthenes c Lacritnm II 172.
Seegerichte II 40.
Seerecht, pieudoibodische» — II 36,
aus Seegerichten hervorgegangene —
II 40. Kodiliiirende Darstellungen
des — im Mittelalter II 44; das
receptmn nautarum im germanischen
— II 462 ff. , im romnnischen —
II 466 ff.
SeeretsicheniOB, lur Geschichte der -
H 505 ff. Hrpolhetc von Reati
II 506 f.
Sensale 11 315 ff.
»ervos fugitivua, Verlust des Besiues
am — I 307 IT., Erwerli des
sities durch den — l 309, Ersitiung
durch den — I 309.
Sicht, Nacbsicbipapiere II 93 ff.
Siti, Verlegung des — der rumünischen
Eisenbahnakli engesei! Schaft I 434 ff.,
rechtliche Bedeutung des — 1 441 ff.,
rechtliche Bedeutung der AendemDg
des — I 444 ff.
Sklave, Verlust des Besities am
I 303 ff., s. a. servu..
Skontraiion im klaiiischen Recht
II 107 ff.
Staat, Hoheitsrechle des — Über Prival-
eitenbahnen I 355 ff., privalrechtliche
BeoebuQgen des — • m den Prival-
eisenbahnen I 359 ff., Ersatipflicht
I 4Zlf., direkte Betheilignng des
— an Privat eisen bah Den I 360, in-
direkte Betbeilignng I 361 ff. , die
einielneD Rechte des — an Privat-
bahnen I 363 ff.
Staatliche Verwaltung , Rechtsverhllt-
nlsM der unter — stehenden Ptivat-
Gcildiebmidt, VsrmiicMs Sehriftea D
titter. 529
bahnen I 354 ff., Ueberticht der
nntet — stehenden Privitbalmen
1 367 ff., Natur und Umlang der
— Verwallungsbefugnisse bei Ueber-
lassung von Eisenbahnen an den
Staat I 371 ff. , rechtliche Natur
I 406 ff. ; B. auch Privat Eisenbahnen.
Stobbe, Nachruf an I 675 ff.
Surrogate des handhaften Besitierwerbs
1 167 ff.
Symbolischer Besitienrcrb I 142 ff.
lesserae II 166.
Thibaut, Heber die Noth wendigkeit
eines allgem. bttrgerl. Rechts fUr
Deutschland I 633 f.
Thöl II 18.
Tradidonipapiere II 124.
Trassat , Revalirungsklage des —
I 46z ff.
Trassirung des Wechsels enthilt einen
Zahlungsauftrag I 469 ff.
Treitschke II 19.
Turris II 9,
Ueberlasiung von Privateisen bahnen an
den Staat I 377 ff. ; s. Privateisen-
UebernahmederGcfahrund der custodi a
II 440.
Üeberweiiungsketle im klassischen
Recht II 307.
Umlageverfahren II 351 ff.
Urkunden, Inhaber-, Order- nnd exe-
kntorische — im Uatsischen Alter-
thum It 165, bei den orientalischen
Völkern 11 167 f. Zusammenstellung
von — U l6Sff. Die Seedarlehns-
urkunde (.Tnyygaip^) in der Rede
desDemoslhenesc. LicritnmIIl72ff.
Die Schuld verschreibungen der Nica-
relB II 176. Die amorginischen An-
leheni Urkunden 11 iSo ff^ Aegyp-
tische Papyrus Urkunden II tl)4 f.
SpKthellenische ExekutiTurkunden
II 1S5 ff. Cession im altgriech.
Recht II i8£ff.; solche Urkunden
bei Plautus II 191 ff. und Lysias
II 196. SiebenbUrg, Darlehnsurkunde
II 196. Orderanweisung 1. ii D. de
HOT. U 198 ff. EdiLionspflicht II
356 ff., gern ein schaftl. — II 398 ff.
Mittelalterliche Urkunden, betr. die
Seeversicherung It 510 ff. Besiti-
erwerb durch Uebergabe von Ur-
kunden I 199 ff.
34
V.
▼acnti ponettio abteDtium I 267;
Tacnae possessionii tisditio I 226 ff.
Verlust des Besittei, s. Besitz.
vis maioT, frühere BegrifTabeitiTH-
muDf^n II 43z fr. Unhaltbukeit
dcrtelbea II 414 ff. Wahrer Begriff
in der Lcbre Tom 'recepttim nau-
taiuro II 430 ff-.
VorbereituD^dieDst, PrarnngiotdnunE
und Rechtsstodium I 577 f.
WureDpapicre II laoff.
Wechseliccepl II 94 ff. , limitirtes
n 104.
Wechselordnung, Art. Zl und die
KrealioDstheorie II 94 ff.
Wertbpapiere , Misiellen zur Theorie
der — II 73 ff. Pendeiu- n. Eigen-
thumstheorie II 77 ff. Prlientatioiu-
papiere II Si ff, Sicht- and Nach-
sichtpapiere II 93 ff. Tradiiions-
papierc II 130 ff. Waarenpspiere
laof., insbesondere Ladeschein
II I
der Bestizlehie
Zeichnen, Bedtzerwerb durch I 197 ff.
ZeiUchriften , handelsrechtliche —
II 4 ff. Aufgaben der Zeitschrift
fUr das gesammle Handelsiecht II
iLCD, Google
QUELLENREGISTER
in der Abhandlung
GRUNDLAGEN DER BESITZLEHRE
(Band I Nr. l).
A. Institutionen.
1. 46 S. 318.
1. 77 S. 170, aeg.
II, 1 de R. D.
VI, 3 de pnbl.
I. S. 151.
1. 15 S. 309.
n S. tsr. 288.
VII, I de naufr.
13 S. 166.
1. 13 S 3 S. 308, 309-
14 S. 178, 394.
VII, 4 qoibu» m. Moft.
1. 13 S. 18S.
IS S. 293.
45 S. 195-
L 39 S. 397.
46 S. 188.
VIII, 3 de S. P. U.
47 S. 317-
L 30 pr. S. 336.
II, 7 de luncftp.
VIII, 5 li ten.
f J s! %\ 169.
1. 3 1 3 S. 74. IS»-
IX, 3 «d leg. Aqoil.
pr. § 4 S. 157.
L 37 fi 13 S. 193.
1. 39 S. 387.
9 3 S. ai3.
IX, 4 de BOi. act
ly^ iS de inlerd,
1 4 S. 15J, IS3-
8 5 S. 350, 160, 300.
L 7 pr. S. 5*. 86.
L 13 S. 86.
L 13 S. 86.
l. 31 pr. S. 85.
1. 31 |8 a, 3 S. 85
1. 23 § 4 S. 85.
6. Dlgreeten.
1. a de 0. J.
X, 3 f«m. erc
L a § 14 S. 311.
L 8 S I S. 393.
X, 4 »d «ihib.
IV, 3 de dolo.
I. 31 S. 301.
1. 3 § 15 S. 67.
IV, 6 ei quib. c. mtior.
1. 4 S. 67.
L 19 S. 73, 158, aSo.
1.5 r. S. 67.
L »3 8 a S. ato.
1. 5 5 S. 183.
1. 30 pr. S. aSo.
LS 6 S. 88.
IV, 7 «le »li«. ind. mut
I. 7 1 S. 67, i«4.
1. 4 § I S. 334.
1. 9 IS. 387.
V, 4 li pa» bered.
1. 15 S. 179, 189. 387.
L 10 S. 105.
1. 16 S. 105.
VI, I de R. V.
Xn, 1 de R. C.
1. 9 S. 88.
1. 4 g 3 S. 3S7.
34-
532
XIII, 6 commod.
1. iS pr. S, 303.
Xnt, 7 de pigD. act.
I. 40 § 3 S. 66.
XV, I d« pecul.
]. 8 S. 63.
XVIll, 1 de C E.
1. 74 S. 196.
1. 78 S. 64.
T. 78 g I S. 63.
XVIII, 6 de P. et C
1. 1 pr. S. 19«.
I. 1 9 « S. 197.
I. 15 g I S. 197-
XIX, 1 de A. E. V.
1. j 8 , S.
1. 3 §1 S.
1 § 13 S. 186.
XIX, a locui.
1. 60 § ■ S. 399-
XIX. S de pr. »erb.
1. 16 § 1 S. tSS.
XXI, I de Md. cd.
1- 17 pr. §§ 1—16 S. 307.
1. 17 g IS S. .36.
XXI, 3 de exe. rei vend.
1. I S. 339.
XXII, 1 de U9uri9.
1. 35 8 1 s. 188.
XXIII, 3 de iure dot
I. 9 8 3 S. 63. 118, i»6, 175.
XXIV, I de doDM. inter vinim et i
I. 3 § II S. 316.
). a6 pr. S, 67. 313.
I. 46 S. 159.
XXVIII, 5 de bered. bu.
1. 60 pr. S. 158.
XXIX. » de «cqn. vel om. bered.
1. 43 S. ZIS.
XXXIII, 7 de inslr. vel iniUniii. leg.
1. 12 § 45 S. 106.
XXXVI. 4 ul in pou. leg.
I. 5 §8 2 ff- S. 105.
XXXIX, 3 de damno inf.
I. 9 8 I, 3 S. 387.
I. IS g 18 S. loj.
I. 15 § 21 S. 17=. 3>7-
XXX IX, S-
I. 6 S. 63,
XL,
■ 3'
170,
de lib. •
bis 7 S. 1
1. 7 I S S. 1^8, 311
1. I
■ bu
311.
5- "S8. 3
.»I4S
L 24 pr. S. 311,
1. 15 § 2 S. 308. 309, 310 ff.
I. 39 pr, S. 313.
XU, I de A. R. D.
1. I § I S. 15., 189.
I. »3 S. 157, 310.
I. 23 8§ I ff. S. 309.
I- 37 f- S- 309-
I. 39 S. 309.
„ 44 S. 83, 2S9.
, 53 S. los-
. 53 S. 74-
- 54 S. 157. 310.
I. 54 S 4 S- 308. 309.
I. 55 S. 83, 163, 166,
ago. 34+
,1, 3 d« A. V. A. P.
I. I pr. S. 58. 60, 112.
I 6 S. 157.
81 9. '° S. in.
I 14 S. 308, 309.
l .5 S. 66. 215.
"- 16. 17 S. 315.
o S. 173. 3«9.
167, 17'.
>S7.
S 1 S. 93, 94. 167, 189.
\ 3 S. 62, 66, 74, 93, 9S, 96,
10, 179, tSo.
- 3 S i S. 53, 59, 64, 153, 315,
1. 3"! 6 S. 93.
I. 3 S 7 S. 157
33'-
L3 88
300, 301.
I. 3 g 9 S. 381, 381.
L 3 I 10 S. 157, 277, 310, 311,
. 3 8 13 S. 211, 313.
Ogk
Gnindkgen der Bctittldire.
533
3 g 13 S. 60, 61. las, ia6, 175,
a74, a84,aM,3S8, agi, 895,303.
3 I 14 S. 176, 178, 390.
3 B 15 S. 119. 290, »91, »94.
3 § 16 S. 394.
3 I 17 S. 381.
3 8 18 S. 189, 397.
3 I ao S. 105.
5 S. 185.
6 pr. S. 187, »51.
661$. 34S, 353, g6o, aSa.
7 S. 353, 357, 335.
8 S. 93, 339 C
9 S. sSi.
1. 10 1, 3 S. 105.
1. 13 1 S. ISO.
L 48 S. 166, 170.
1. 49 V- S. 74. 314.
1. 13 r. S. 386, 308.
1. 49 i « S. 74. lOS-
1. SO 1 1 S. 307. 309
1. 51 S. 61, 9S, 167,
1. "3 3 S. 309, 3IO.
1. IS . »83, 307.
1. 15 M aa. 34> 35 S. a?»-
1. 16 . 333.
1. Sa pr. S. 150.
L Sa 8 3 S. 232.
1. 17 1 S. 338, 331.
1. SSS- "8.
1. 18 I s. 319-
XLI, 3 de Murp.
L 18 3 S. 118. 136, 167
170,
1,4 8S. 1.9.
17 . 186.
1. 4 II S. taö.
1. 18 3 S. 187, 354, 360,
361.
1. 4 la S. 89.
1. 18 4 S. 187, 154.
1. 4 13 S. 74.
1. 19 I S. 105, 314.
1. 4 33 S. 186.
I. ao . 380, 397, 398.
1. 4 37 S. 186.
L 31 I S. 318
1. 33 . 361, 383.
1. 5 S. 28a.
1. 15 pr. S. 158, 380.
1. 33 pr. S. 74-
1. IS 1 I S. 309, 310
1. 33 1 H. 158 380.
L 16 S. 315.
1. 33 § 2 S. 67, 83, IS7.
I. 34 S. 67, 74, los, 313.
L 30 S. 279.
1. 31 . 281.
1. 34 1 1 s. 397.
L 35 § I S. 105, 331, 381
1. 30 « S. 164.
397.
1. 31 1 S. 310.
300.
1. 3" 3 S. 297.
I. 35 S 3 S. 63. 350, 358
a6o.
1-31 SS. »79-
283, 335.
I. 3» pr. S. ai8.
I. 37 S. a6a, 337.
1. 33 > S. 105.
1. 38 S. 105.
1- 33 4 S. 303.
1. 39 S. 74i 363, 337.
1. 33 5 S. 38t.
1. 30 pr. S. 164.
1. 33 6 S. lOS, 307
L 30 I S. 156, 157.
1. 37 > S. 1S6, 366
L 30 3 S. 335 A.»
1. 38 . 367.
1. 30 3 S. a8i.
I. 40 S. 280.
L 30 4 S. 337-
I. 44 F- S. 158.
1. 30 5 S. 74, 93.
1. 44 8 3 S. a8o
L 30 6 S. 105, 114, 38t,
397-
1. 44 8 7 S. los, 380
I. 31 . 300, 301.
XLI, 4 pro empt.
I. 33 1 S. 197.
1. 6 g 3 S. 383.
1. 33 2 S. 113.
1. 7 pr. S. 3C»-
l. 33 ■ '8s.
1. 7 8 8 S. 157.
1. 34 pr. S. 95. 16s. 330-
XLI, S pro heiede.
L 34 a S. 309, 310.
1. 3 § I S. 67, ,04.
I. 35 5. 153.
XLI, 6 pro donuo.
I, 38 I S. 3».
L 38 3 S. a.s.
1. I pr. 8 3 S. 333.
L 5 S. 333.
1. 39 ■ 137.
XLI, 7 pro derd.
1. 40 pr. S. 307.
1. 40 g I S. 313, 271, 381, 3S2,
300 ff.
1. 41 S. 105.
L 44 pr. S. 179, 180, 343, 37a,
384.
L 44 § 1 S. 9S, 311, aia,
L 44 S 2 S. 356, 301, 331.
1- 44 8 7 S. 331.
1. 44 I 8 S. 331.
1. 45 S. »48, 356.
L 46 S. 356, 303, 335, 338, 340,
1. 47 S. 359, 374, 385, »88, 394 £
303-
;.,y Google
1. I s. 317, 340.
1. 3 8 » S. 364.
1. 3 pr. S. 317.
1. 14 B 'S s. 119.
1. 3 f 1 S. 317. 333-
1. 31 Ü. 1S9.
L 3 S. 318.
1. 36 pr. S. 178.
L 5 S > S. 188.
1. 36 1 I S. 188.
XU, 8 pio IcgMo.
!• 43 IS s. "^ " S. 317.
L 8 S. .8s.
1. S* II "3. 19 S. 189.
XUII, I da interdictu.
L s8 S. 189.
1. I pr., 1. 3 §8 1, I S. 156.
1. 68 pr. S. 397, 398.
XUll, 8 ne quid in loco pnblieo.
XLVII, 4 U qni tettun.
l 3 § 38 S. 52.
L I S «5 S. 74, 93. »79-
XLIII, 16 d. ri.
XLVII, 19 eipU. hered.
L 1
pr. 8 6 S. Sl.
I. «81 S.74.
L I
9S. 67.
XUX. 15 de cpt.
1. 1
10 S. 67, 3*3.
1. 13 8 3 S. 66, 73. a8o.
L 23 1 3 S. 380.
I. 1
33 S. 313. 381, 301.
L I
34 S. 186, 187, 3S7, 360, 382.
L, 16 de V.S.
1. t
»5 S. 333.
1. IIS S. 53, ISO, 153.
I. 1
38 S. iSä, 187, 261, 282.
1. 21S, S. 84.
Li
39 S. 186.
L. 17 de R.J.
L ■
38 S. 167, 187.
1. I S. 335-
1. I
45 S. 381, 396.
1. 33 S. 303.
1. I
47 S. 187, 383.
U 31 S. 687
1.3
g 6, 7 S. 186.
L 93 S. 67.
ti
"a s. 383.
l. 119 S. 324.
'.3
9 S. 260, 2S3.
L 153 S. 93, 339 «■
1-3
14 S. 258, 3äO. 383, 336.
L n S. 283.
L 13 S. 383, 398.
C. Codex.
1. 17 S. 360, 361, 383.
1. 18 S. 186, 383, 29S.
III. 19 nbi iD rem «ct.
L 2 S. 89.
I. 18 pr. S. 331.
IV, 19 de prob.
L 30 S. 301.
1. 12 S. 186.
XUII, 17 Uli po«dd.
1. 30 S. 207.
I. I pr. S. 50,
IV, 49 de A.KV.
I. I 18 a. 3 S. 15a.
1. 8. S. 186.
L I f 4 S. .53-
VI, 1 de fagiti™.
1. 2 g. IS3.
I. I s. 307. 308.
XUn, 36 de precuio.
1. 4ff. S. 308.
L 3 pr. S. Sl.
1. 6 1 3 S. 105.
VI, 3 de fnrtifc
1. 9. 10, 13 pr. S. 89.
1. 15 8 ♦ S. 3IS. 3M, 340.
1. 13 S. 308.
L 19 PT. S. 51-
1. 31 S. 105.
1. 21 S. 86.
VII, 6 de Ut. lib. toU.
XUn, 31 tttrnbi.
1. nn. 8 il> S. 307.
1. I pr. S, so.
1. 1 1 I S. 153.
VII, 3a de «cqu. et ret. poaa.
L 3. S. iSi.
XUV. 3 de excep. rei indic
L 3 S. 66, 112.
1. 1+ § 3 S. 153.
1. 4 S. 94. 269. 3"8.
XLV, 1 de V.O.
1. s S. lOS-
1. 38 8 6 S. 159.
I. 10 S. 7St 94-
1. 38 88 7. 8 S, 67. 105.
1. 13 S. 263, 300, 301, 303, 307
1. 38 1 9 S. S».
Vin, 4 Diide vi.
XLV, 3 de itip. «erv.
i. 11 s. 263, 269, 37'.
1. 36 s. 317.
Vra, 5 »i per Tim.
XLVI, 3 de »lut
L I S. 301.
1. 79 S. 61, 119, 171.
VIU, 6 uti pooid.
XLVII, 2 de fiirL
l. OD. S. 153.
1. I § 3 S, 189, 297, 398.
Vin, 37 de diitr. pign.
1. 1
3 S. 189.
1. 13 S. 186.
„Google
GrimdlageD der BcMUldue.
Vni, 53 de don.
1. I S. 199 fr.
1. a6 S. 166.
XI, 59 de omni tigr. deiert,
1. Iff. S. 318.
1. 8 S. >70, 31S.
J>. OaUlnetlt.
I, 32 S. 207.
I, 52, S. 67,
II, 4S ff. S. 156.
II, 51 S. 267.
II, 60 S. 105.
U, 66 S. 151, 189.
II, 67 S. 288.
II, 68 S. 293.
II, 6g S. 151, 189.
II, 86 S. 157.
II, 89 S. 213.
III, 56 S. 207.
IV, si S. 56.
IV, 14S S. 152.
IV, 150 S. 50.
IV, IS3 S. 94. ■
IV,
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e:. Paulus sentent.
31 g 27 S. 3>7. 31S.
3' § 37 S. 86.
a 6 I S. 93. "I.
6 g s S. 282.
' ' ~ 187, 281.
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