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Full text of "Vermischte Schriften"

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T^ 


^       VERMISCHTE 

SCHRIFTEN 


L.  eOLDSCHMIDT, 


OITSBUllT  SDUI. 


ZWEITER  BAND. 


BERLIN  1901. 

J.  GUTTENTAG,  VERLAGSBUCHHANDLUNG, 


6 


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INHALT 

DES  ZWETTEN  BANDES'. 


''  I.  Vebei  die  winenichalUklt«  Bebandlong  dei  denachen  HandeltMchti 
and  den  Zweck  ia  Zeitachiift  für  du  gaammte  Huidelirecht 
U858)  (9J I 

"  3.   lUndeltKchl  (geschichtliche  Entwicklung)  (i&gi)  [39S] 37 

3.  Ucber  die  Benntiang  nnd  Bedentiiag  der  Beiathu^^iMokolU  für  die 

Interpretation  dei  dcntschen  HmdeliKCMtibncfai  ^1866)  [96]     .   .       53 

4.  UUcellen  tu  Theoiie  der  Weithpapiere  (1S81)  [135] 73 

5.  Tue  Kiealionslheorie  nnd  d«i  Enlwnrf  einee  Bflrgerlichei)  Getetttracfai 

für  <Ui  Dentiche  Reich  (1889)  [381] 137 

6.  lahiber-,   Order-  und  eiekatorische  Utkanden   im  Itlasntcben  Alter- 

thnm  {1889)  [373] t6l 

7.  Unpritnge  d«i  MKUenechti.    Inibeuindere :   Senul  (iSSz)  (236].    .     309 

8.  Die   GeschiftiopeTationen    oaf   den    Messen  der   Champagne.     (La 

diiüioDS  des  foires  de  Champagne.)  (1893)  [300] 3>5 

9.  Ueber  Edilionspflicbt ,   insbesondere   betreffend  gemeimcbafUiche  Ur- 

kunden nnd  Handelibflcher.    (Ein  Rechtsgnlachten.)    (1884)  [344]     155 

10.  Alte   nnd   neue  Fonoen   der  Handelageaellichafl.     Voitng,  gehalten 

in  der  juristischen  Gesellscban  xa  Berlin  (1S92)  [399] 331 

11.  Die  Haftpflicht  der  Genossen  und  dos  Umlageverbhren  (1888)  [367]    351 
t-a.   Das  receplmn  Dantarum,  canpoDum,    itabalarioram.     Eiae  geschicht- 
lich-dogmaliBche  Abhandlung  (1860)  [38] 397 

13.    Znr  Geschichte  der  Seeversicherung  (18S5)  [347] 503 

Sachr^ister 534 

Qoellenregiiler  lu  der  Abhaodlnng :  Grundlagen  der  Besitilehre  (Bd.  i  Nr.  l)     531 

')  Die  in  eckiger  Klammer  l>cfindliche  Ziffer  bezeichnet  bei  den  schon 
frilher  Teröffentlichten  Schriften  die  Nammet  der  Schrift  in  dem  Bd.  IS.  1  ff. 
endulienen  VeneichDisi. 


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ÜBER   DIE 

WISSENSCHAFTLICHE  BEHANDLUNG 

DES 

DEUTSCHEN  HANDELSRECHTS 

UND  DEN 

ZWECK  DER  ZEITSCHRIFT 

pOr  das 

GESAMMTE  HANDELSRECHT. 

(18S&) 


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Die  Wissenschaft  des  Handelsrecbts  ist  gegenwärtig  in 
einem  erfreulichen  Aufschwung  begriffen.  Es  ist  be- 
deutsam und  leicht  erklärlich,  dass  derselbe  mit  einer  grossen, 
langersehnten  nationalen  That  zusammentrifft :  einem  umfassen- 
den Gesetzgebungswerk,  welches  der  beklagenswerthen  und 
auf  diesem  Gebiete  vorzugsweise  empfindlichen  Verschieden- 
heit deutschen  Rechts  ein  Ende  zu  machen  bestimmt  ist.  IDer 
Zusammenhang  dieser  Erscheinungen  ist  kein  äusserlicher.  Wie 
die  Wucht  der  wirthschaftlichen  Interessen  den  centrifugalen 
Hang  der  deutschen  Stämme  und  Regierungen,  welcher  alle 
unsere  Einheitsbestrebungen  kläglich  scheitern  Hess,  in  die 
entgegengesetzte  Bahn  zwingt,  so  vermag  sie  auch  den  wider- 
strebenden Sinn  des  deutschen  Juristenstandes  zur  eingehenden 
Prüfung  der  Rechtsprinzipien  zu  bestimmen,  nach  welchen 
unser  heutiges  Verkehrsleben  sich  regelt.  Es  lässt  sich  nicht 
vornehm  ignoriren,  was  auf  Schritt  und  Tritt  begegnet  und 
jeden  IDenkenden  zum  Nachdenken  anregt. 

Mochten  noch  vor  einem  Measchenalter  die  Meister  unserer 
Wissenschaft  es  unter  ihrer  Würde  halten,  den  Erscheinungen  der 
Gegenwart  ihre  fruchtlningende  Aufmerksamkeit  zuzuwenden, 
oder  mochten  sie,  was  wir  lieber  annehmen  wollen,  es  für  ihre 
nächste  Aufgabe  erachten,  die  Grundpfeiler  des  Privatrechts 
durch  kritisch-historische  Forschung  zu  sicherem  Weiterbau 
blosszulegen :  in  beiden  Beziehungen  lässt  sich  ein  Umschwung 
der  Ueberzeugungen  nicht  verkennen,  welcher  dem  Handels- 
recht in  besonderem  Maasse  zu  Gute  kommt. 

Es  ist  Zeit,  Grosse  Abschnitte  sind  noch  immer  völlig 
unbearbeitet,  andere  kaum  in  ihren  GrundzUgen  entwickelt, 
für  andere  kaum  erst  das  Material  mehr  oder  weniger  kritisch 
gesammelt.  Genügende  monographische  Darstellungen  — 
durch  welche  ja  der  wahre  Fortschritt  der  Wissenschaft  vor- 


iOgIc 


4       Ucbei  die  winenichaftliclie  Behindlmig  dei  deaticlieii  Huidelirechts 

zugsweise  ermöglicht  wird  —  vieler  wichtiger  Institute  fehlen 
noch  gänzlich,  selbst  von  solchen,  welche  schon  seit  vielen 
Jahrhunderten  in  anerkannter  Wirksamkeit  bestehen,  wie  vom 
Kauf,  der  Handelssocietät,  dem  Konunissioos-  und  Speditions- 
geschäft, dem  Frachtvertrag.  Die  Pflege  des  Handelsrechts 
auf  den  Pflanzstätten  der  Wissenschaft,  den  deutschen  Uni- 
versitäten, steht  noch  gegenwärtig  ausser  allem  Verhältniss 
zu  der  Wichtigkeit  dieses  Rechtszweiges.  Einen  eigenen  Lehr- 
stuhl hat  derselbe,  meines  Wissens,  nirgends;  Specialvorträge 
darüber  sind  verhältnissmässig  selten ;  ob  und  in  welchem  Um- 
fange er  als  Theil  des  »Deutschen  Privatrechtsc,  dem  man  ihn 
zugewiesen  hat,  Berücksichtigung  findet,  hängt  von  der  Indi- 
vidualität und  der  Richtung  der  Lehrenden  ab.  Auf  die  ge- 
rade hier  so  wichtigen  und  schwierigen  Streitfragen  ein- 
zugehen, verbietet  meist  schon  die  Kürze  der  ihm  gewid- 
meten Zeit. 

Sobald  ein  Wissenschaftszweig,  sich  in  die  Breite  und  die 
Tiefe  ausdehnend,  zur  selbstständigen  Entwicklung  gelangt  ist, 
erheischt  er  nothwendig  ein  eigenthümliches  Organ,  welches 
den  Ueberblick  im  Ganzen  wie  in  jedem  einzelnen  Theile  er- 
mSgÜcht,  den  jedesmaligen  Stand  der  Forschung  tmd  die  Er- 
gebnisse der  Praxis  klar  abspiegelt  und  die  Veröffentlichung 
auch  kleinerer  Abhandlungen  gestattet,  welche  sonst  gar  leicht, 
wo  nicht  ungeschrieben,  doch  unverbreitet  geblieben  wären. 
Auch  wird  hier  nicht  zum  ersten  Male  versucht,  diesem  Be- 
dUrfniss  entgegenzukommen,  wohl  aber  von  einem  weiteren, 
und,  wie  ich  hoffe,  fruchtbareren  Gesichtspunkt  aus,  als  bisher. 

Die  erste  deutsche  handelsrechtliche  Zeitschrift,  das  »Ar- 
chiv fUr  das  Handeisrecht,  herausgegeben  von 
einigen  hamburgischen  Rechtsgelehrtenc  (1818  bis 
1820,  2  Bde.)  ist  nach  nur  dreijährigem  Bestände  eingegangen. 
So  verdienstlich  dieses  Unternehmen  an  sich  war,  dessen  Be- 
deutung für  das  deutsche  Handelsrecht  wir  noch  welter  unten 
würdigen  werden,  so  war  es  doch  durchaus  ungeeignet,  dem- 
selben als  Organ  zu  dienen.  Es  beschränkte  sich  aaf  die  Dar- 
stellung und  Beleuchtung  der  wichtigsten  >vor  dem  Hamburger 
Handelsgericht  verhandelten  Rechtsfälle*,  trug  also  nicht  altein 
einen  durchaus  partikulären  Charakter,  sondern  verzichtete 
auch  auf  die  selbstständige  und  allseitig  wissenschaftliche  Er- 
örterung handelsrechtlicher  Gegenstände.  Denn  in  den  Rechts- 

oo;?lc 


nnd  den  Zweck  det  ZäOchtilt  fitr  du  goMmmte  Handelvecht.  5 

tauen  erscheint  >die  rechtliche  PrUfong  vorzagsweiae  nur  ein- 
zdnen  Seiten  der  vorliegenden  Sache  zugewendet,  und  so 
loandier,  bei  einer  allgemeinen  Betrachtung  einer  handels- 
rechtlichen Frage  als  nicht  unerheblich,  sogar  als  zweifelhaft 
hervortretende  Punkt  bleibt  dunkel  und  imerOrtert'. 

Ebenso  berücksichtigte  die  iHamburgische  Monats- 
schrift ftlr  Politik,  Handel  und  Handelsrecht,  her- 
ausgegeben TOD  C.  W.  Asher<  (1.  Jahrg.,  Bd.  1,  2; 
2.  Jahrg.,  Heft  1—4;  3.  Jahrg.,  Heft  1,  1834—1836)  das 
Handelsrecht  im  Wesentlichen  nor  durch  Mittheilmig  Ham- 
burgischer RechtsfälJe,  an  welche  sich  theoretische  Erörte- 
rungen von  sehr  verschiedenem  Umfang  reihten. 

Die  nächstfolgende  Zeitschrift,  das  »Archiv  für  das 
Preussische  Handels-  and  Wechselrecht,  heraus- 
gegeben von  Gräff«  (Bd.  1,  1844—1845;  Bd.  2,  Heft  1, 
1848)  theilt  vorzugsweise  preussische  Gesetze  und  Rechts- 
sprüche mit  und  kommentirt  dieselben;  unter  den  wenigen 
selbstständigen  Abhandlungen,  welche  nur  das  einheimische 
Recht  berücksichtigen,  ist  keine  von  bleibendem  wissenschaft- 
lichem Werth. 

In  weit  höherem  Grade  als  die  vorhergebenden  entsprach 
Gelpke's  «Zeitschrift  für  Handelsrecht«  (Heft  1—3,  1852, 
1853)  den  Anforderungen  eines  wissenschaftlichen  Organs,  und 
es  muss  tief  beklagt  werden,  dass  der  Tod  des  geistvollen 
Herausgebers  das  kaum  begonnene  Werk  so  frühzeitig  unter- 
brach. Reiche  Erfohrung  und  lebendige  Anschauung  des 
Handelslebens  verleihen  seinen  Erörterungen  und  legislativen 
Vcwschlägen  einen  grossen  Reiz  selbst  da,  wo  die  besonnen 
prüfende  Forschung  des  bestehenden  Rechts  wie  die  Bedürf- 
nisse des  Handelsverkehrs  die  gewonnenen  Resultate  als  un- 
haltbar bezeichnen  müssen  und  den  Mangel  scharfer  jwistischer 
Aufbssung  wie  eine  unbefangene  Würdigung  des  gemeinen 
deutschen  Handelsrechts  mit  Bedauern  vermisst.  Dennoch,  und 
zwar  abgesehen  von  der  vorzugsweisen  Berücksichtigung  der 
preussischen  Praxis  und  Gesetzgebung,  deren  Förderung  Haupt- 
zweck der  Zeitschrift  war,  hat  dieselbe  auf  diese  Bezeichnung 
um  deswillen  keinen  Anspruch,  weil  ihr  das  wesentliche  Ele- 
ment einer  Zeitschrift    abging:    das  Zusammenwirken    ver- 


>  Gelpka,  Zuticbrift  fm  HHddndit,  i.  Heft,  S.  IV. 

j  .«.yGüogle 


6       UebcT  die  wiueiuchaAliclie  BehindlnDg  dct  deutichen  HandelirecliU 

schiedener  Kräfte,  deren  Beiträge  nicht  allein  die  verschiedenen 
Individualitäten,  sondern  auch  die  mehrfachen  Richtungen  der 
Wissenschaft  repräsentiren.  Gelpke  aber  hat  alle  seine  Auf- 
sätze selbst  ge^hrieben,  er  hat  nicht  eine  Zeitschrift,  sondern, 
unter  diesem  Namen,  eine  Reihe  von  Abhandlungen  in  zwang- 
losen Heften  herausgegeben. 

Indem  so  zum  ersten  Male  ■  der  Versuch  gewagt  wird,  den 
vielen  bestehenden  Organen  deutscher  Rechtswissenschaft  eine 
besondere  Zeitschrift  für  das  Handelsrecht  anzureihen  und 
dadurch  auch  einer  immer  lästiger  empfundenen  äusserlichea 
Zeisphtterang  der  einschlägigen  wissenschaftlichen  Leistimgen 
in  unzählige  gemeinrechtliche  und  partikuläre  Zeitschriften  ein 
Ziel  zu  setzen,  erscheint  es  als  die  Pflicht  des  Herausgebers,  die 
Gesichtspunkte  darzulegen,  weiche  er  behufs  Erreichung  seiner 
Aufgabe  zu  verfolgen  gedenkt.  Ein  Rückblick  auf  die  Entwick- 
lungsphasen der  Handelsrechtswissenschaft  dürfte  die  Erkennt- 
niss  dieser  Aufgabe  erleichtern.  Vielleicht,  dass  derselbe  den 
weiteren  Zweck  erfüllt,  die  noch  immer  gänzlich  fehlende  litterar- 
geschichtliche  Behandlung  dieses  Rechtszweiges  anzubahnen.  — 

Man  hat  die  auf  den  Handelsverkehr  bezüglichen  Be- 
stimmungen der  römischen  Rechtsquellen  dürftig  gescholten, 
und  einen  Grund  dafür  in  dem  alten  Vorurtheil '  gesucht,  dass 
der  römische  Handel,  selbst  nach  dem  Maassstabe  des  Alter- 


'  Seitdem  diese«  (^drackt  worden,  hat  man  auch  von  anderer  Seite  ver- 
tnchl ,  dem  dargelegtcD  Bedflrfnin  entgegemiikomiiien.  Du  seit  Ittjo  m 
Leiptig  encheinende  lArchiv  fttr  deatiches  Wechielrecliti,  faeranigfegebeti  ton 
Siebanbaar  und  Tanchniti,  hat  mit  dem  enlen  Hefte  de»  Mchtten  Bandei 
(ich  beirit  etkllit,  auch  Anftlti«  am  anderen  Thcilen  dei  Handelarechti  anf- 
lunehmen,  und  mit  dem  aocben  ansgeeebenen  dritten  Hefte  detselben  Bandet 
den  Titd  lArchiT  fUi  Deudclies  Wechselrecht  und  Handeluecht«  angenommen. 
Von  einer  za  Hamburg  eiKheiaeaden  Zeitichrift,  >Neaes  Arcbir  fOz  Handels* 
recht',  hentnsg^eben  Ton  Voigt  nnd  Heinieben,  welche  nach  dem  Pro- 
spekt sich  an  das  oben  besprochene  iltere  Hamburger  Archiv  anschlietst ,  ist 
das  eilte  Heft  anigegeboi.  Endlich  hat  Dr.  G.  M.  Kletke  eine  iZeitschrift 
rOr  Handeligeaetxgebung  nnd  fbr  Entscheidungen  der  obersten  deutschen  Ge- 
richtshöfe in  Handelsrechtlichen t  angektlndigt. 

■  Es  genügt  tur  WiderlegnDg,  anfMommten's  meisterhafte  Darstellung 
der  rttmitchen Verkehrarcihlltnisse  lu  verweisen:  Römische  Geschichte,  s.  Aufl., 
Bd.I,  Buchl,  Cap.it,  13 ;  Buch ni.Cap.  13;  Bd.II,BscbJV,Cap.lI,in;BnchV, 
Cap.  II  [8.Anfl.  Bd.  I,  Bnch  I,  Cap.  13;  Buch  H,  Cap.  8;  Buch  HI,  Cap.  11.— 
Bd.  n,  Bnch  tV,  Cap.  11,  Buch  V,  Cap.  7]:  nnd  auf  Ihering's  Geist  de« 
rtim.  Rechun,.  S.  99,  loo,  249  bb  355  [vfl.  3.  Anfl.  IS.  333;  US.  loi,  151]. 

ui.r..,  ...GooqIc 


und  den  Zwedi  der  Zeitscbrifl  ßlr  du  gmiDinte  Hutdelxreclit.  7 

tbums,  TOD  geringfügigen  Dimensionen,  der  römische  Geist 
grundsätzlich  dem  Handel  abgeneigt,  das  römische  Recht  auf 
die  kleinlichen  Dimensionen  eines  Ackerbaustaates  berechnet 
gewesen  wäre.  Die  Behauptmig  selbst  ist  insofern  richtig,  als 
das  römische  Recht  gar  wenige,  dem  Handelsverkehr  eigen- 
thümliche  Rechtsinstitute  enthält,  allein  nicht  darum,  weil  es 
für  diesen  keine  Norm  gehabt  hätte  ■ ,  sondern  weil  das  ge- 
sammte  römische  Vermögensrecht ,  insbesondere  das  Obli- 
gationenrecht,  mit  vorzngsweiser  Berücksichtigung  des  um- 
fassendsten internationalen  Handelsverkehrs  und  nach  dessen 
Bedürfnissen  ausgebildet  worden  ist.  Zur  Befestigung  dieses 
Irrthums  haben  allerdings  zwei  bemerkenswerthe  Thatsachen 
beigetragen. 

Wir  kennen  das  römische  Recht  wesentlich  nur  in  der 
Gestalt,  in  welche  es  die  späteste  Kaiserzeit  gebracht  hat,  zur 
Zeit  des  tiefsten  wirthschaftlichen  wie  politischen  Verfalls,  da 
manche  ehemals  hochwichtige  Institute  gar  nicht  oder  kaum 
noch  dem  Namen  nach  bekannt  waren.  Es  mag  hier  beispiels- 
weise an  das  für  den  Geldverkebr  so  einflnssreiche  Hausbuch- 
wesen, an  die  grossen  Societäten  mit  Korporationsrechten  er- 
innert werden,  deren  Organismus  eine  so  Überraschende  Aehn- 
lichkeit  mit  den  heutigen  Aktiengesellschaften  zeigt  Aus 
dieser  Epoche  des  Verfalls  schreibt  sich  auch  die  volle  Aus- 
bildung des  unbegrei0ich  zweckwidrigen  Hypotheken-  imd 
Konknrsrechts  her,  welches  der  Begrtlndung  eines  gesunden 
Personal-  wie  Realkreditsystems  gleichmässig  entgegensteht. 

Noch  einflussreicher  erscheint  in  dieser  Beziehung  die  viel- 
bewunderte Methode  der  römischen  Juristen,  in  deren  auch 
kasuistischen  Darstellungen  nur  diejenigen  thatsächlichen  Mo- 
mente mitgetheilt  werden,  welche  zum  unmittelbaren  Ver- 
ständniss  des  maassgebenden  oder  zu  entwickelnden  Rechts- 
satzes erforderlich  scheinen.  Indem  so  von  einem  jeden  That- 
foestand  nur  die  juristisch  relevanten  Umstände  hervorgehoben 
werden,  übersieht  man  leicht,  dass  die  aufgestellten  Rechts- 
sätze auch  auf  einen  scheinbar  sehr  viel  reicheren  und  kom- 
plicirtereo  Thatbestand  berechnet  sind.  So  erklärt  sich  die 
häufige  Erscheinung,  dass  vermeintlich  durchaus  eigenthdm- 

■  Wie  I.  B.  Bdicli,  DuiteUung  der  Handlang,  Bnch  V,  Cap.  9,  g  3, 
behauptet. 


„Google 


8      Veber  die  wiJKiucluftliche  Behuidlimg  det  deutsctien  Hudelicechti 

liehe  moderne  Verkehrsverhältnisse,  auf  ihren  juristischen  Kern 
zurückgeführt,  bereits  in  den  römischen  Quellen  die  geeignete 
Norm  finden. 

Die  Aufnahme  dieses  im  Verlauf  seiner  Entwicklung 
touier  mehr  denationalisirten  Rechts  in  das  europäische  Kultur- 
leben fiel  in  die  Zeit  der  städtischen  BlUthe  und  der  Anfänge 
eines  umfassenden  auswärtigen  Verkehrs.  Was  bis  dahin  von 
eigenthUmlicheo  Handelsrechtsnormen  sich  in  Europa  entwickelt 
hatte,  erscheint  verhältnissmässig  überaus  dürftig,  ausgenommen 
allein  die  grosse  Zahl  seerechtlicher  Gewohnheiten,  welche 
theils  in  die  Stadtrechte  Aufnahme  fanden,  tbeüs  unter  dem 
Namen  von  Schiffs-  oder  Seerechten  privatim  oder  officiell 
gesammelt  und  redigirt  wurden.  Die  schon  früh  vorkommen- 
den See-  und  Handelsgerichte,  die  unter  Mitwirkung  kauf- 
n^nnischer  Schöffen  insbesondere  in  internationalen  Streitig- 
keiten und  mit  Vermeidung  der  rohen  Formen  des  damaligen 
bUrgerUchen  Processes  entschieden,  haben  sicherlich  die  recht- 
liche Anerkennung  manches  internationalen  Handelsbrauchs 
wesentlich  gefördert.  Indessen  auch  sie  berufen  sich  nur  allzu- 
häufig auf  die  römischen  als  die  natürlichen  und  gemeinen' 
Recbtssätze.  Waren  es  doch  gerade  die  grossen  Städte,  welche 
im  Gegensatz  zum  Bauern-  und  Adelsstande  die  Verbreitung 
des  »kaiserlichen  Rechtsc  am  eifrigsten  förderten,  weil  es  der 
Freiheit  des  bürgerlichen  Verkehrs  und  der  unbeschränkten 
VermOgenscirkulation  ebenso  gUnstig  war,  wie  es  durch  seine 
innere  Vollendung  und  seine  Reichhaltigkeit  nicht  allein  die 
leitenden  fVinzipien  fUr  die  Praxis,  sondern  auch  ein  zur  un- 
mittelbaren Anwendung  geeignetes  Material  darbot.  In  diesem 
Sinne  zeichneten  sich  die  norddeutschen  Handelsplätze,  nament- 
lich Lübeck,  durch  ihre  Sorge  ftlr  die  Eirichtung  von  Lehr- 
stühlen des  römischen  Rechts  auf  den  neugegründeten  Uni- 
versitäten aus. 

Die  erste  wissenschaftliche  Pflege  ward  den  handelsrecht- 
lichen Instituten  in  den  Schriften  der  italienischen  Juristen  zu 
Theil.  Deren  Darstellung  ti^gt  durchweg  ein  romanistisches 
Gepräge,  selbst  dann  noch,  da  die  Ausscheidung  des  Handels- 
rechts als  eines  besonderen  Rechtszweiges  bereits  vollendet 
war,    wie  in  den  Schriften  des  Straccha,   Raphael   de 


1  Archir  f.  cml.  Praxü,  36,  : 


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und  den  Zweck  der  ZeiUchrift  fUr  diu  {cnminte  Huidebrecht.  9 

Turris,  Scaccia,  de  Laca,  Ansaldis  und  selbst  des 
scharfsinnigen  und  erfahrenen  Casaregis,  welcher  Überdies, 
in  noch  höherem  Grade  als  seine  Vorgänger,  in  den  scholasti- 
schen Formen  der  BartoUnischen  Schule  befangen  ist  Weit 
entfernt,  die  Unanwendbarkeit  des  römischen  Rechts  fUr  die 
Verhältnisse  des  neueren  Handelsverkehrs  zn  behaupten,  suchten 
diese  Tielgefeierten  Praktiker  selbst  solche  Institute,  welche 
ihren  Ursprung  oder  ihre  besondere  Gestaltung  unzweifelhaft 
dem  modernen  Rechtsbewnsstsein  verdankten,  so  gut  oder  so 
schlecht  es  anging,  unter  die  Regeln  des  Corpus  juris  zu 
pressen  oder  doch  nach  deren  Analogie  juristisch  zn  kon- 
struiren.  FUr  die  allgemeinen  Lehren  des  Haodelaechts  in- 
dessen gebührt  ihnen  das  grosse  Verdienst,  diese  Regeln  durch 
geschickte  Benutzung  fruchtbar  gemacht  zu  haben. 

Deutschland  hat  nicht  allein  viele  seiner  Handelsinstitnte, 
wie  den  Wechsel,  die  Banken,  die  Buchführung,  sondern  auch 
deren  rechtliche  Gestaltung  grossentheils  von  den  Italienern 
entlehnt  Die  deutsche  Reichsgesetzgebung  hat  für  das  Han- 
delsrecht nichts  gethao,  die  zahlreichen  Fartikulargesetze  haben 
mehr  die  polizeilichen  Verhältnisse  und  einzelne  Specialzweige, 
namentlich  das  Wechsel-  und  Assekuranzrecht  und  den  Process, 
als  das  allgemeine  Handelsrecht  geregelt  Die  deutschen  Juristen 
stehen  hier  in  noch  höherem  Grade  als  sonst  auf  den  Schultern 
der  italienischen.  So  namentlich  der  lubische  Senator  Johann 
Marquardt,  dessen  Tractatus  politico-juridicus  de  jure  merca- 
torum  et  ccunmerdorum  singulari  (1662)  indessen  das  eigen- 
thümliche  Verdienst  gebührt,  durch  umfassende  Berücksichti- 
gung der  deutschen  Partikularrecbte  und  der  handelsrechtlichen 
Satzungen  fast  des  gesammten  Europa  dem  modernen  Handels- 
gewohnfaeitsrecht  eine  breitere  und  universalere  Grundlage  ge- 
schaffen zu  haben. 

Die  fast  gleichzeitige  Inauguraldissertation  von  Lucas 
Langermann,  De  jure  in  curia  mercatorum  usitato  (1655), 
welche  unter  Lauterbach 's  Namen  citirt  zu  werden  pflegt, 
ist  ihrer  Anlage  nach  nur  eine  kurze  Uebersicht  der  wesent- 
lichsten vom  Civilrecht  abweichenden  Normen  des  Handels- 
rechts und  der  hierllber  bestehenden  Kontroversen,  theilt  jedoch 
mit  Marquardt  den  universalen  Standpunkt. 

Dieser  ersten  Periode  der  deutschen  Handelsrechtswissen- 
schaft gehört    auch    Marperger's  Neueröffnetes  Handels- 


,  Cioogic 


10    Ceber  die  wUseoschaftlicIw  ßebandlaiig  d«  deuBchen  HandeUrechW 

gericht  (Hamburg  1709)  an,  in  welchem  freilich  die  umfassend 
gestellte  Aufgabe  wenig  genügend  gelöst  wird.  Auch  er  be- 
rücksichtigt noch  das  römische  Recht  durchweg  und  erklärt 
bei  Aufzählung  der  Quellen  des  geltenden  Handelsrechts 
(S.  171): 

sAus  welchen  jetzt  erzählten  Titulis  und  deren  allegirten 
Stellen  genug  erhellet,  wie  die  Römische  Republik  die  Auf- 
nahme der  Commerciorum,  und  dass  eine  richtige  Ordnung  in 
denselbigen  möchte  gehalten  werden,  ach  habe  angelegen  sein 
lassen;  in  massen  dann  der  meiste  Theil  solcher  Römischen 
Commerciengesetze  (und  als  solche  führt  er  fast  sämmtliche 
dem  Obligationenrecht  und  viele  dem  Sachenrecht  angehörigen 
Titel  der  Pandekten  und  des  Codex  auf)  noch  heutigs  Tags 
in  unseren  Judiciis  in  Observantz  gehalten  wird.t 

Gleiches  gilt  von  dem  letzten  Werk  dieser  Periode,  der  ziem- 
lich umfassenden  Darstellung  des  Handelsrechtes  in  v.  R  o  h  r '  s 
Vollständigem  Haushaltungsrecht  (2.  Aufl.,  1738),  Buch  XI 
»von  Commerciensachent ,  dessen  erstes  und  umfassendstes 
Kapitel  namentlich  durchweg  römisches  Recht  bringt  — 

Tritt  schon  in  den  bisher  besprochenen  Schriften  der  Ge- 
sichtspunkt hervor,  dem  Handelsrecht,  als  dem  Recht  eines 
besonderen  Standes,  eine  Ausnahmestellung  gegenüber  dem 
römischen  Recht,  als  dem  gemeinen  Civilrecht,  anzuweisen,  so 
finden  wir  diese  Auffassung  seit  dem  Beginne  des  vorigen 
Jahrhunderts  mit  besonderer  Energie  vertreten  und  für  das 
weitere  Schicksal  unserer  Wissenschaft  verhängnissvoll, 

Als  die  so  folgenreiche  wissenschaftliche  Sonderung  der 
einheimischen  Bestandtheile  unseres  Privatrechts  von  den  ur- 
sprünglich fremden  römischen  und  kanonischen  Elementen  ein- 
trat, fielen  auch  die  den  Handelsverkehr  beherrschenden  Rechts- 
normen nach  ihrem  Ursprung  in  zwei  Hälften  auseinander:  die 
wirklich  oder  vermeintlich  moderne  wurde  dem  »Deutschen 
Privatrecht«  zugewiesen,  die  römisch  rechtliche  verblieb  den 
>Pandektenc  und  bildete  in  diesen  einen  ungesonderten  Be- 
standtheil  des  Vermögens-,  namentlich  des  Obligationenrechts. 
Freilich  übersah  man  bei  dieser  Theilung,  dass  selbst  die  mo- 
dernen Bestandtheile  des  Handelsrechts  in  wesentlichen  Be- 
ziehungen sich  von  den  übrigen  Instituten  des  deutschen 
Privatrechts  unterscheiden:  einmal  darin,  dass  sie  nicht  spe- 
cifisch  germanischen,  sondern  wesentlich  europäischen  Ursprungs 


und  den  Zweck  der  Z«Uchrift  für  d«*  gesammte  Handelirecht.       1 1 

sind  and  schon  durch  die  Verschiedenartigkeit  ihrer  Quellen 
der  Verbindung  mit  den  eigentlich  einheimischen  Recbtslehren 
erhebliche  Schwierigkeiten  entgegenstellen.  Ist  doch  erst  in 
neuerer  Zeit  der  Versuch  gemacht  worden,  diese  Verbindung 
auch  wissenschaftlich  zu  begründen'.  Sodann,  dass  die  ein- 
zelnen handelsrechtlichen  Institute  durch  eine  gemeinsame 
wirthschaftliche  Bestimmung  zusammengehalten  und  nur  in 
ihrem  innem  Zusammenhang  richtig  gcYrtlrdigt  werden  können, 
ein  Auseinanderreissen  des  innerlich  Zusammengehörigen  nach 
zufälligen  historischen  Gesichtspunkten  somit  gerade  hier  be- 
sonders bedenklich  sein  musste,  zumal  das  geltende  Recht  von 
dem  römischen  nicht  selten  nur  in  einzelnen,  juristisch  wenig 
erheblichen  Punkten  abweicht.  Um  so  schlimmer,  als  man 
sich  daran  gewöhnte,  in  dem  an  das  deutsche  Privatrecht  ab- 
gegebenen Theil  das  ganze  Handelsrecht  zu  sehen. 

Zugleich  ging  durch  diese  Behandlung  der  weite  Gesichts- 
kreis verloren,  von  welchem  aus  die  italienischen  und  selbst 
die  älteren  deutschen  Juristen  das  Handelsrecht  bearbeitet 
hatten.  War  es  bis  dahin  vorzugsweise  als  das  Recht  der 
Handelsgeschäfte,  nicht  des  Kaufmannsstandes  gepflegt  worden, 
so  schrumpfte  es  nun  zu  einem  Standesrecht  der  Kaufleute, 
zu  einem  der  vielen  »besonderen  deutschen  Privatrechtec  zu- 
sammen', meist  mit  überaus  dürftigem  Inhalt.  Manche  be- 
schi^nkten  dabei  das  »Handelsrecht«  auf  eine  Darstellung  der 
grossentheils  dem  öffentlichen  Recht  und  dem  Process  an- 
gehörigen  Veriassimg  und  Privilegien  der  Handeltreibenden, 
oder  zogen  wohl  auch  gar  die  städtischen  Privilegien,  das 
Stapel-,  Krahn-  nnd  Einlagerrecht  dahin,  während  sie  die  Han- 
delsgeschäfte mehr  oder  weniger  vollständig,  meist  jedoch  mit 

■  Die  moderneD  Verkehnintlirate  bildelra  «nen  twäten,  noEhwendiKen 
Bestacdtfaeil  des  denucfaen  PiiTtttrecbta,  i.  B.  Blnntictili,  Dentsche«  Print- 
lecbt,  1  S.  4,  14  [BlnDtichli-DkhQ  S.  7]. 

'  Bejei,  ^ecinieii  jaris  Gernunici  (1718),  lib.  i,  cip.  14,  18.  Fiicher, 
Ldubegiiff  linuatliclKT  Cameral-  Bnd  Poliieireclite  (17S5),  Bd.  I,  Einl.  S.  8; 
Bd.  III  S.  133 — 251.  Auch  Neuere,  obwohl  mitnoter  voUititidiger,  i.  B. 
Dick,  GnmdhM  da  deubchen  PrivRtrechti  (1836)  §§430—511.  Philipp*, 
GnuidtlU«  dei  g«ineiiie&  denUchen  PrivatrecbU,  a.  Aufl.  (1S39)  [3.  Aufl.  1846], 
Bd.  II,  g§  376 — 318  und  viel  onuichtiEer,  wie  Millermaier,  Grendsitze  de* 
geneinen  dentccben  Privatrechti,  7.  Anll.  (1847),  Bd.  II,  %%  530—576;  Kraut, 
.GrundiiM,  §g  331— 399  (6- AnA.,  S8>^S — 3^7).  Beseler,  SyMem  de*  gemeioen 
deutschen  Privatrecbt«,   Bd.  III  (1855)  g§  113—355  [4.  Aafl,,  g§  333—267]. 


12    Uebei  die  wisMiucIuftlicb«  Behandlung  det  deubchen  Huidetsrechti 

willkürlicher  Auswahl  des  Wechselvertrags,  der  Assekuraaz 
und  eiii2elDer  Theile  des  Seerechts,  io  das  System  des  all- 
gemeioen  Vertragsrechts  einreihten  ■ ,  wie  selbst  Runde, 
obwohl  dieser  ganz  richtig  das  Handelsrecht  nicht  zu  den 
persönlichen,  sondern  zu  den  sachlichen  Specialrechten  zählt 
(Grund^tze  §  8).  Diese  Scheidung  ist  fttr  eine  systematische 
Darstellung  des  deutschen  Privatrechts  vollkommen  begründet, 
allein  für  das  Handelsrecht  verhindert  sie  jede  Einsicht  in  den 
wahren  Zusammenhang  seiner  einzelnen  Theile.  Jedenfalls 
aber  muss  alsdann  für  die  Darstellung  der  kaufmännischen 
Sonderrechte  der  ganz  unpassende  Name  eines  >Haodelsred)tst 
aufgegeben  werden,  wie  dies  ganz  konsequent  von  Neueren, 
z.  B.  von  Gengier  und  Walter,  geschehen  ist,  falls  man 
nicht  mit  Gerber  und  Bluntschli  so  weit  gehen  will,  die- 
selben ganz  aus  dem  Sjrstem  zn  verbannen. 

Noch  bedenklicher  und  willkürlicher  freilich  war  es,  wenn 
Eichhorn  zwar  das  Versicheningsrecht ,  das  Wechselrecht 
und  die  Bodmerei  im  Recht  der  Forderungen  behandelt,  da- 
gegen im  »Recht  des  Handels  und  der  Schiffahrt«,  welchen 
er  zusammen  sieben  Paragraphen  widmet,  neben  den  Staodes- 
rechten  auch  einige  Handelsgeschäfte  darstellt.  Hier  ist  jeder 
leitende  Gesichtspunkt  verloren.  — 

Unter  diesen  Missständen  hatte  vorzugsweise  das  All- 
gemeine Handelsrecht  und  zum  Theil  das  Seerecht  zu  leiden, 
während  Wechsel-  und  Versicherungsrecht  als  einheitliche  und 
überdies  durchweg  moderne  Institute  vor  denselben  mehr  ge- 
schützt blieben,  und  mehrfach  monographisch  bearbeitet  wurden: 
von  Heineccius,  Siegel,  PUttmann,  Sieveking,  Sur- 
land, Wedderkop,  Magens  und  Anderen. 

Erst  zu  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  beginnt,  nach  fast 
SOjähriger  Unterbrechung,  eine  wenigstens  äusserlich  selbst- 
ständige Behandlung  des  gesammten  Handelsrechts  —  allein 


'  Z.  B.  Heinecciai,  EUmenta  jari*  Germuiici  (ed.  3,  1746).  §S  "6 
bU  ISO,  336,  330—333,  335 — 340.  Engaa,  ElemenU  jnrü Gennuiici cürilü 
(rf.  3,  IJ48).  lü>-  I  tit.  8  §§  199-K'S.  lib.  III  tit.  3  g§  a»— 30,  13S— 130, 
143—151,  1S6— 313,  Mt — 333,  335—336.  Selchow,  iDsdtutionei  joria- 
prudentiae Gennu.  (i7SS)i  §S  "3— 'IS.  356.  358,  359,  368—383;  Elementa 
juri»  Germanid  priTati  (5.  Aufl.,  1775),  g§  334— 33<>.  S9S.  598,  599,  60B  bit 
£33.  Eiienhait,  InitituC.  jarii  Gennan.  privati  (ed.  3,  1755),  Üb.  1  tit  5, 
^  9-~ii,  lib.  m  tit.  10  gg  3,  7,  tiL  II  §8  9-31,  tit.  17. 


„Google 


mtd  dcD  Zweck  der  ZeilKlwirt  ftat  da*  gettmmte  Hudelirecbl.         13 

sie  zeigt  in  jeder  Beziehung  wesentliche  Rückschritte.  Es  ist 
eine  beachtenswerthe  Thatsache,  dass  in  den  langen  Zeitraum 
von  1709  Ks  1824  nur  drei  Darstellungen  dieser  Art  fallen, 
darunter  zwei  ganz  ungenügende,  jetzt  mit  Recht  verschollene 
kurze  Versuche ,  Kompilationen  elendester  Art ,  weder  be- 
fruchtet von  der  Erfahrung  eines  grossartigen  Verkehrslebens, 
noch  durchdrungen  von  der  geistigen  Scharfe  theoretischer 
Forschung,  unter  denen  Musaeus  (Anfangsgründe  des  Hand- 
iongs-  und  Wechselrechts,  2.  Auflage,  Hamburg  1799;  in  erster 
Auflage  waren  das  Handlungs-  und  das  Wechselrecht  getrennt 
erschienen  1785,  1774,  1777)  dem  Versicherungsrecht  nur  zwei 
Paragraphen  widmet;  Lobetfaan  (Grundsätze  des  Handlungs- 
rechts, 1795)  eigentlich  nur  das  Allgemeine  Handelsrecht  dar- 
stellt. Vollständiger  und  in  jeder  Beziehung  bedeutender  ist 
freilich  der  iGrundriss  des  Handelsrechts,  insbesondere  des 
Wechsel-  und  Seerechts«  von  G.  F.  vonMartens  (Göttingen 
1797,  1805,  1820),  doch  sind  von  den  238  Paragraphen  des- 
selben nur  die  ersten  45,  oder  ebenfalls  53  Paragraphen  dem 
Allgemeinen  Handelsrecht  gewidmet,  und  der  berühmte  Rechts- 
lehrer selbst  will  diesen  Abschnitt  nur  als  kurze  Einleitung 
betrachtet  wissen,  indem  er  von  dem  entschieden  irrigen  Ge- 
sichtspunkt ausgeht,  dass  Wechsel-  und  Seerecht  >die  beiden 
Haupttheile  dieser  Wissenschaftt  seien. 

Bezüglich  der  Methode  hatte  die  Anlehnung  selbst  der 
modernen  Rechtserscheinungen  an  die  römischen  Quellen  neben 
vielen  Nachtheilen  auch  den  einen  Nutzea  gestiftet,  die  Be- 
arbeiter dieses  Rechtszweiges  zu  dem  Versuch  einer  juristi- 
schen Begründung  zu  nOthigen  —  an  deren  Stelle  begnügte 
man  sich  nun  mit  einer  weder  juristisch  noch  auch  nur  wirth- 
schaftlich  genügenden  Beschreibung  der  darzustellenden 
Institute.  Die  durch  Savary's  und  Busch 's  Verdienst  auf- 
strebende Handelswissenschaft  hätte  der  Ausbildung  und 
Vertiefung  des  Handelsrechts  reiche  Frucht  bringen  mUssen 
durch  vermehrte  Einsicht  in  die  ökonomischen  Zwecke  der 
einzelnen  Rechtslehren.  Aber  sie  bahnte  anfänglich  höchstens 
eine  wenig  befriedigende,  durchaus  einseitige  Kritik  derselben 
an.  Das  Handelsrecht  sank  zu  ihrer  Dienerin  herab,  man 
begann  die  geltenden  Prinzipien  desselben  in  den  Schriften 
von  Savary  und  Bohn,  von  Ludovici  und  Busch  zu  suchen. 
Mit  einer  vollständigen  Verkennung   der  Natur  aller  Rechts- 


■oogle 


14    U«ber  die  wissenschaftliche  BehaDdlniig  des  deabdien  Handelwedits 

tüldung  und  der  gewohnheitlichen  insbesondere  ging  eine 
durchaus  anklare  Übertriebene  Vergötterung  des  kaufmänni- 
schen Gewohnheitsrechts,  der  Usance,  Hand  in  Hand  —  und, 
was  vor  Allem  nachtheilig  wirkte,  ohne  alle  Scheidung  ihrer 
faktischen  und  ihrer  rechtlichen  Gestaltung,  ohne  auch  nur 
den  Versuch,  Gewordenes  vom  Werdenden  zu  sondern.  (B  U  s  c  h , 
Ueber  Handlungsusancen  in  Büsch's  und  Ebeling's  Hand- 
lungsbibliothek I,  S.  241—271,  660-681).  An  die  Stelle  ab- 
strakter und  vielfach  unlebendiger  romanistischer  Konstruktion 
tritt  nun  ein  seichtes  ökonomisches  Raisonnement  ohne  jeden 
juristischen  Halt.  Nicht  in  der  Praxis,  wohl  aber  in  der 
Wissenschaft,  geräth  die  Existenz  eines  positiven  gemeinen 
Handelsrechts,  insbesondere  seiner  römischen  Elemente,  in  Ver- 
gessenheit, und  eine  unvollkommene  vergleichende  Jurisprudenz 
versucht  dessen  Stelle  einzunehmen.  Denn  das  wirklich  im 
Bewusstsein  des  Handelsstandes  lebende  Recht  zu  ermitteln, 
dazu  war  jene  Zeit  völlig  ausser  Stande,  und  in  thOrichtem 
Eifern  gegen  das  römische  Recht  vergass  sie  nur  allzusehr, 
dass  ein  grosser  Theil  desselben  gerade  hier  viele  Jahrhunderte 
lang  ohne  jede  Anfechtung  gegolten  und  im  Bewusstsein  der 
Nation  feste  Wurzeln  geschlagen  hatte. 

Während  Fischer,  Musaeus,  Lobethan  unter  den  Quellen 
des  Handelsrechts  »einige  brauchbare  Stellen  des  römischen 
Rechtsc,  >etwas  weniges  aus  den  römischen  Gesetzenc,  >einige 
römische  Reditstexte<  nennen,  stellt  Runde,  ganz  auf  Busch's 
Standpunkt  eingehend,  den  unwahren  Satz  auf,  dass  idie 
eigentlichen  Handlungsrechte  sich  mehr  auf  den  Handlungs- 
gebrauch und  die  richtigen  Begriffe  von  der  wahren  Natur 
der  Handelsgeschäfte,  als  auf  allgemeine  gesetzliche  (d.  h.  nach 
damaligen  Begriffen  positivrechtliche,  sowohl  dispositive  als 
absolute)  Bestimmungen  stützen«. 

Martens  wäre  wohl  im  Stande  gewesen,  die  richtige 
Methode,  welche  er  klar  genug  erkannte,  durchzufuhren  ^  allein 
er  wandte  sich  nur  allzubald  vom  Handelsrecht  ab,  imd  die 
späteren  Auflagen  seines  Grundrisses  (1805,  1820)  braditen  zu 
dessen  dürftigem  Inhalt  nichts  als  einzelne  Berichtigungen  und 
Literatumotizen  hinzu.  lEine  vollständigere  Entwicklung 
des  Handelsrechts!,  erkärte  er  in  der  Vorrede  zur  dritten  Aus- 
gabe, landeren  Händen  Überlassen  zu  müssen.f 

Die  Neubelebung  der  Rechtswissenschaft  durch  die  erfolg- 


ogk- 


und  den  Zweck  d«f  ZeiUchrift  Air  du  geonunte  Huiddsrecht.         15 

reichen  Bemühungen  der  historischen  Schule  brachte  zunächst 
dem  Handelsrecht  keine  Frucht  Nicht  einmal  die  geschicht- 
liche Forschung,  welche  Martens  im  Gebiet  des  Wechselrechts 
angebahnt  hatte  (1797),  wurde  aufgenommen.  Die  national- 
ökonomische  Richtung  blieb  zunächst  eine  Phrase.  Die  Stellung 
des  gemeinen  Handelsrechts  wurde  zweifelhafter  als  je,  nach- 
dem Preussen  durch  das  Allgemeine  Landrecht  ein  umfassendes 
und  für  seine  Zeit  bedeutendes  Handelsrecht  erbalten,  das 
ganze  überrheinische  Deutschtand  und  Baden  die  französische 
Gesetzgebung  angenommen  hatte,  fur  Oesterreich  in  dem  All- 
gemeinen Bürgerlichen  Gesetzbuch  eine  neue  Basis  für  sein 
nur  dürftig  entwickeltes  partikulares  Recht  gewonnen  war. 

Inzwischen  hatte  in  Frankreich  die  nie  unterbrochene 
handelsrechtliche  Literatur  auf  der  Gnmdlage  des  Code  de 
commerce  neue  Blüthen  getrieben.  Das  klassische,  durch 
systematische  Vollständigkeit  und  Eleganz  der  Darstellung 
gleich  ausgezeichnete  Werk  von  Pardessus  (Cours  de  droit 
commercial,  zuerst  1814,  6.  Aufl.  1856),  die  tief  eingehenden 
kritischen  Erörterungen  des  erfahrenen  Vincens  (Exposition 
raisonn^  de  la  l^gtslation  commerciale,  1821)  fanden  schnell 
in  Deutschland  Eingang,  und  bei  dem  elenden  Zustand  der 
einheimischen  Handelsrechtswissenschaft  ebenso  eifrige  Be- 
wunderung als  Benutzung'.  Diesen  Zustand  reprasentirt  ge- 
treu genug  das  erste  grössere  Werk,  welches  nach  120]ährigem 
Zwischenraum  über  das  allgemeine  Handelsrecht  Deutschlands 
erschien :  B  e  n  d  e  r '  s  Grundsätze  des  engeren  Handlungsrechts 
(Darmstadt  1824),  welche  in  seltsamster  Art  zwischen  handels- 
wissenschaftlicher, handelsgeschichtlicher  und  handelsrechtlicher 
Darstellung,  zwischen  der  Berücksichtigung  gemeiner  Quellen 
und  blinder  Abhängigkeit  von  deutschen  Partikularrechten 
und  der  französischen  Gesetzgebung  und  Literatur  schwanken. 
Zu  einer  wissenschaftlichen  Konstruktion  der  Handelsrechts- 
^tze   wird   in  dieser  Erstlingsarbeit  des  fleissigen  Verfassers 

'  Du  plt,  obwohl  in  miDderem  Grade,  auch  von  der  spSteren  ,  sehr 
trieben ,  doch  in  Werth  lehr  angleichen  handelsrechtlichen  Litentor  Frank- 
reichs. Sie  liigt  einen  Tonngtireise  fOi  die  Praxis  bestimniten  Charakter,  und 
Matt  lieferer  jnriMisclier  Begründnng  tindeo  wir  hi«r  in  der  Regel  ein  lorg- 
nitige*  Eingehen  in  das  räche  Detail  und  eine  wohlthKtige  Kritik  der  gericht- 
Ücboi  Entscheidni^en ,  wie  des  Kassationshofes ,  so  der  Gerichte  iweiter  und 
sogar  eraier  Instani. 


„Google 


16    Veber  die  witseusctiafüiche  Behutdlang  de«  dcnucbea  Huidcitrechti 

kaum  der  Anfang  gemacht.  Um  so  auäallender,  da  der 
wesentliche  Inhalt  dieses  Werks  den  haadelsrechtlichen  Vor- 
trägen des  berühmten  Pandektisten  und  späteren  Präsidenten 
des  Lübecker  Oberappellationsgerichts,  Georg  Arnold  Heise, 
entlehnt  sein  soll ',  welcher  an  der  tieferen  und  quellenmässigen 
Behandlung  des  romischen  Rechts  einen  so  wesentlichen  An- 
theil  hatte.  — 

Die  Wiedergeburt  des  deutschen  Handelsrechts,  njit  welcher 
die  steigende  Blüthe  des  deutschen  Verkehrs  zeitlich  zusammen- 
fällt, und  die  dritte  Epoche  unserer  Wissenschaft  beginnt,  ging 
von  den  freien  Städten  aus,  deren  ausgebreitete  Handels- 
beziehungen die  Vernachlässigung  eines  praktisch  so  wichtigen 
Rechtszweiges  schmerzlich  vermissen  Hessen. 

In  dem  mit  Hamburg  engverbundenen  Altona  hatte  be- 
reits zu  Anfang  des  Jahrhunderts  der  erfahrene  Jakobsen 
auf  die  bedeutsame  französische  und  namentlich  englische 
Praxis  hingewiesen,  und  in  seinem  >5eerecht  des  Friedens  und 
des  Krieges«  (1815),  wie  in  der  »Neuen  Sammlung  handels- 
rechtlicher Abhandlungen«  (1823)  tleissig  benutzt.  2u  einem 
kritischen  Neubau  des  gesammten  Seerechts  fehlte  ihm  freilich, 
wie  seinen  Nachfolgern,  das  unumgängliche  historische  Rüst- 
zeug durchaus. 

Auch  hatte  schon  1805  der  Hamburger  Benecke  sein 
noch  immer  unentbehrliches  iSystem  des  Assekuranz  und 
Bodmereiwesensc  herausgegeben,  in  welchem,  unter  sorg- 
fältiger Berücksichtigung  der  Gesetze  wie  der  Praxis  aller 
handeltreibenden  Völker  und  fast  nur  zu  genauer  Benutzung 
seiner  Vorgänger,  ein  tüchtiger  Anfang  gemacht  wurde,  aus 
der  »Natur  der  Sache«  neue  Entscheidungsnormen  zu  ge- 
wimien  und  die  Prinzipien  des  geltenden  Rechts  zur  klaren. 
Erkenntniss  zu  bringen. 

Die  Einsetzung  des  Hamburger  Handelsgerichts  (Februar 
1816)  förderte  die  Handelsrechtswissenschaft  zui^chst  durch 
das  gesteigerte  Interesse,  welches  sie  auch  aiisserhalb  Ham- 
burgs für  die  handelsgerichtliche  Praxis  erweckte.  Aus  dem 
trefflichen  »Archiv  für  das  Handelsrechte ,  welches  in  seinem 
Gefolge  entstand,  und,  leider  nur  zu  kurze  Zeit,  unter  eifriger 

'  Vgl,  Georg  Arnold  Htäte,  Mittheilangen  aus  desten  Leben,  genmmelt 
von  Dr.  W.  v.  Bippen,   Halle  1S53,  S.  271,  371. 


und  den  Zweck  der  ZeiUchriCt  ftlr  du  eea,  Handelsrecht.  ^7 

Mitwirkung  der  tüchtigsten  hamburgischen  Juristen  eine  Reihe 
belehrender  Rechtsfälle  mit  gründlichen  theoretischen  Erörte- 
rungen brachte  (1818 — 1820),  weht  der -frische  Hauch  eines 
bewegten  Handelstreibens  und  unmittelbar  gewonnener  reicher 
Erfahrungen.  In  den  allgemeinen  Materien  tritt  das  Romische 
Recht  wieder  in  die  ihm  gebührende  Stellung. 

Ein  besonders  folgenreiches  Ereigniss  war  die  Eröffnung 
eines  gemeinschaftlichen  Oberappellationsgerichts  für  die  vier 
freien  Städte  Deutschlands  zu  Lübeck  (13.  November  1820). 
Hier  war  ein  Mittelpunkt  für  die  Praxis  jener  bedeutenden, 
sämmtlich  dem  gemeinen  Recht  angehörigen  Handelsstädte  ge- 
wonnen, mid  die  Besetzung  der  Richterstellen  mit  ausgezeich- 
neten Gelehrten  sicherte  die  zwar  stets  zu  erstrebende,  im 
Handelsrecht  jedoch  geradezu  unentbehrliche  Verbindung  von 
Theorie  und  Praxis.  Neben  der  grossen  Reihe  vortrefflicher 
Urtheile,  welche  nun  erst  alloiälig  in  verschiedenen  Sanmi- 
lungen  zu  Tage  treten  und  häufig  der  theoretischen  Forschung 
ganz  neue  wichtige  Gesichtspunkte  eröffnen,  verdankt  die 
Wissenschaft  diesem  höchsten  Gerichtshof  auch  die  klassischen 
handelsrechtlichen  Abhandlungen  Cropp's  (Juristische  Ab- 
handlungen I,  II,  1827,  1830),  wie  später  dem  Preussischen 
Obertribunal,  ausser  dessen  nicht  minder  bedeutsamen  Erkennt- 
nissen, die  oben  erwähnte  Zeitschrift  Gelpke's.  Diese  Auf- 
sätze sind  mehr  noch  durch  ihre  Methode,  als  durch  ihren 
vielfach  bahnbrechenden  Inhalt  Muster  für  die  ganze  Folge- 
zeit geblieben.  Hier  finden  wir  zum  ersten  Male  gründliche 
Kenntniss  des  Römischen  Rechts  und  der  modernen  Handels- 
rechtsquellen in  echt  historischem  Sinne  verbunden,  und  der 
lichtvollen  Darstellung  gereicht  es  nicht  zum  geringsten  Ver- 
dienst, dass  sie  durchweg  die  genaueste  Anschauung  der  Han- 
delsverhaltnisse  wie  das  wohlbegrUndete  Streben  verräth,  das 
geltende  Recht  den  Bedürfnissen  derselben  gemäfs  anzuwenden 
und  weiter  zu  entwickeln. 

Einen  wesentlichen  Fortschritt  in  allen  diesen  Richtungen 
zeigt  auch  das  fast  gleichzeitige,  zum  ersten  Male  und  bisher 
allein  sämmtliche  Handelsrechtszweige  umfassende  Werk  des 
fleissigen  Pohls  (Darstellung  des  gemeinen  Deutschen  und 
des  Hamburgischen  Handelsrechts;  allgemeiner  Theil  1828; 
Wecbselrecht  1829;  Seerecht  1830—1833;  Seeassekoranzrecht 
1832, 1834;  das  Recht  der  Aktiengesellschaft  1842).  Insbesondere 

Goldicbmidt,  VermluhH  Schrirun.    U.  » 

,  Google 


18    Ueber  die  wiueiucliftftticbe  Behandlung  dei  deaUcIien  HaDdeUretits 

gebührt  ihm  das  Verdienst,  eine  schärfere  Sooderung  des  ge- 
meinen Rechts  von  den  Partikularrechten  angebahnt  und  (Ur 
das  Seerecht  zum  enten  Male  das  gesammte  Material  neuerer 
Rechtsbildung  benutzt  zu  haben. 

In  ganz  origineller  und  vielversprechender  Weise  begann 
Thöl  seine  erfolgreiche  Thätigkeit.  Zeichnete  »der  Verkehr 
mit  Staatspapieren«  (1835)  durch  die  sorgsamste  Prüfung  der 
>Natur  der  Sache*  sich  in  hervorstechender  Weise  vor  allen 
früheren  Darstellungen  dieses  Gegeastaades  aus,  so  ist  in 
seinem  .Handelsrecht«  (Band  I,  1841,  1847,  1854;  Band  II, 
1847  >)  dieser  wirthschaftliche  Geachtspunkt  fast  durchweg  zur 
Grundlage  —  tritt  diese  auch  nicht  Überall  gleich  deutlich 
hervor  —  einer  tlberaus  scharfsinnigen ,  echt  juristischen 
Deduktion  gewählt,  welche  zwar  sorgsamer  als  irgend  ein  Vor- 
gänger das  gesammte  europäische  Rechtsmaterial  berücksich- 
tigt, überall  jedoch  den  Standpunkt  des  positiven  gemeinen 
deutschen  Rechts  mit  Festigkeit  behauptet.  Darum  ent- 
nimmt er  seine  Waffen  so  viel  als  möglich  den  römischen 
Rechtsquellen,  deren  ganzen  Reichthum  für  das  Handelsrecht 
er  zuerst  unter  den  Neueren  aufdeckt.  An  Klarheit,  Besonnen- 
heit und  Tiefe  der  Forschung,  an  Prägnanz  der  Gedanken  und 
des  Ausdrucks  steht  er  keinem  unter  den  Meistern  unserer 
deutschen  Rechtswissenschaft  nach,  an  juristischem  Gestaltungs- 
vermögen Vielen  voran,  Dass  auch  er  nicht  den  ganzen  Kreis 
nicht  einmal  des  allgemeinen  Handelsrechts  erschöpft,  dass  er 
vielfach  bloss  abwehrend  behauptete  Modifikationen  römischer 
Rechtsprinzipien  negirt,  statt  auf  geschichtlichem  und  dogmen- 
geschichtlichem Wege  deren  heutige  Geltung  zu  untersuchen, 
diese  und  andere  geringe  Mängel  treten  neben  so  bedeutenden 
Verdiensten  billig  in  den  Hintergrund.  Durch  ihn  ist  der 
streng  juristische  Boden  und  die  richtige  Methode  für  das 
Handelsrecht  dauernd  gewonnen  worden  —  das  Mehr  oder 
Weniger  allein  nach  der  römischen  oder  der  modernen,  der 
dogmatischen  oder  der  historischen  Richtung  kann  in  Frage 
stehen,  und  wird,  je  nach  der  Individualität  eines  jeden  Schrift- 
stellers, muss,  je  nach  der  Gestalt  des  zu  behandelnden  Gegen- 
standes, verschieden  beantwortet  werden. 

Während  so  im  engeren  Kreise  des  hanseatischen  Nordens, 


'  [Bd.  I,  6.  Aufl.  tS79,  Bd.  II,  4.  Aafl.  1878,  Bd.  lU  1880.] 

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und  den  Zweck  der  Zdocbfih  fttr  du  gtMiniiite  Huidebrecht.  19 

welchem  auch  der  mit  dem  Handelsleben  vertraute  und  fleisstge 
Briackmanii(Lehrbuch  des  Handelsrechts  1853,  1S54')  seiner 
Geburt  und  seiner  früheren  Berufsstellung  nach  angehiirte, 
eine  neue  Blüthezeit  der  HandelsrechtswissenschaH  begann, 
welche  vor  der  älteren  italiesiscbeo  insbesondere  die  geläuterte 
Auffassung  des  Rechts  und  die  tiefere  Behandlung  seiner 
Quellen  voraus  hat,  waren  auch  Süd-  und  Mittel-Deutschland 
nicht  uothätig  geblieben. 

Mittermaier  hatte  die  Rechtsentwicklung  der  deut- 
schen Partikniarrechte  wie  des  gesammten  Auslandes  in  der 
alteren  wie  in  der  neueren  Literatur  mit  unermüdlicher  Aus- 
dauer verfolgt  und  von  diesem  universalen  Standpunkte  aus 
dem  Handelsrecht  in  den  Lehrbüchern  des  deutschen  Privat- 
rechts endlich  den  gebührenden  Platz  gesichert,  Nebenius 
für  einen  wichtigen  Zweig  die  ökonomische  Grundlage  gelegt 
(Der  öffentliche  Kredit,  zweite  Auflage,  1829).  In  Sachsen 
hatte  Treitschke,  abgesehen  von  seiner  gründlichen  >Ency- 
klopädie  der  Wechselrechte«  (1831),  für  die  Sodetät  (1825, 
1844),  den  Kauf  (1838')  und  das  Kommissionsgeschäft  (1839) 
monographische  Vorarbeiten  geliefert,  welche  durch  ihre  tüch- 
tige civilistische  Basis  noch  heute  Beachtung  verdienen,  E  i  o  e  rt , 
(Das  Wechselrecht,  1839)  »mit  bewunderungswürdigem  Takt 
die  Rechtsanschauungen,  vrelche  die  gesammte  kaufmännische 
Welt  der  Gegenwart  durchdringen,  aus  ihrem  geheinmissvoUen 
Dunkel  ans  Licht  gebrachte  ^ 

Aus  der  grossen  Zahl  trefflicher  Vorarbeiten,  denen  end- 
lich die  allgemeine  Deutsche  Wechselordnung  entsprungen  ist, 
ging  Liebe's  epochemachende,  und  wenngleich  nicht  von 
ihm  zuerst  angedeutete,  so  doch  von  ihm  ausschliesslich  in 
den  Gmodzügen  wie  im  Einzelnen  geistvoll  durchgeführte 
Theorie  hervor,  durch  welche  nicht  allein  für  den  Wechsel, 
sondern  für  eine  ganze  Reihe  modemer  Institute  ein  neuer 
überaus  fruchtbarer  Gesichtspunkt  gewonnen,  die  Einsicht  tn 
die  Struktur  des  Obligationenrechts  unermesslich  gefördert 
wurde  (Entwurf  einer  Wechselordnung  für  Braunschweig, 
1843.   Die  allgemeine  deutsche  Wechselordnung  mit  Einleitung 


■  [For^esetit  von  Endemann  iSte.] 
*  [i.  Aufl.  1865.] 

1  TicffendB  Worte  Ftck't  in  dei  Heidelbe^er  kritüclieii  ZdUcluift  I, 
S.  479- 


oogle 


20    Ueber  di«  vitKiucharüiche  Behandlung  des  deutschen  Handelsiechts 

und  Erläuterungen,  1848).  Den  glanzenden,  wenngleich  nicht 
selten  einseitigen  historischen  Untersuchungen  Frdm^ry's 
(Etudes  de  droit  commercial,  1833)  reihten  sich  die  gründ- 
lichen Forschungen  B  i  e  n  e  r '  s  über  die  Geschichte  des 
Wechsels  an  (Abhandlungen  aus  dem  Gebiet  der  Rechts- 
geschichte, 1846  [1859]). 

Der  Deutschen  Wechselordniuig  selbst  ist  eine  reiche  und 
gediegene  Literatur  gefolgt,  welche  den  jetzigen  Standpunkt 
"  der  deutschen  Rechtswissenschaft  nach  allen  Richtungen  hin 
würdig  repräsentirt.  An  ihr  Gelingen  knüpft  sich  zugleich 
die  Hoffnung,  den  berechtigten  Wunsch  nationaler  Gesetz- 
gebung wenigstens  im  Gebiet  des  gesammten  Handelsrechts 
verwirklicht  zu  sehen. 

Was  in  den  letzten  zehn  Jahren  für  dasselbe  geleistet  ist, 
lehnt  sich  durchaus  an  die  bisher  charakterisirten  Richtungen 
an.  Hier  zuerst  hat  die  deutsche  Rechtswissenschaft  die  Ver- 
söhnung römischer  und  modemer  Elemente  und  die  Ver- 
schmelzung beider  zu  einem  neuen  Ganzen,  die  Einfügung  neuer 
Rechtsgedanken  in  das  überkommene,  aber  in  der  Gegenwart 
vertiefte  System  der  römischen  Begriffe,  wie  deren  dogmatische 
Konstruktion,  vielfach  nicht  ohne  Glück,  versucht.  Hier  hat 
auch  jenes  bald  hoch  gepriesene,  bald  tief  geschmähte  »Natur- 
studiumt  reiche  Frucht  getragen,  das,  richtig  verstanden,  nichts 
Anderes  ist  als  die  klare  Erfassung  der  wirthschaftlichen  Ge- 
setze, nach  denen  der  Wille  der  Verkehrtreibenden  sich  be- 
stimmt und  denen  gemäfs  er  die  Regeln  aufstellt,  welche  all- 
mälig  in  Form  der  Gewohnheit  oder  des  Gesetzes  sich  zum 
positiven  Recht  verdichten.  Selbst  die  ehemals  so  schroffe 
Scheidung  der  Theorie  von  der  Praxis  hat  auf  diesem  Gebiet 
einem  erfreulichen  Zusammenklang  Raum  gegeben,  und  zahl- 
reiche Sammlungen  von  Entscheidungen  deutscher  Gerichts- 
höfe, wie  deren  sorgsame  Berücksichtigung  in  der  neueren 
wissenschaftlichen  Literatur,  z,  B.  in  Beseler's  System  des 
gemeinen  deutschen  Privatrechts,  Bd.  III,  1855  [4.  Aufl.  1885], 
und  in  Renaud's  Lehrbuch  des  Wechselrechts,  2.  Aufl., 
1857  [3.  Aufl.  1868],  geben  davon  ein  beachtenswerthes  Zeugniss. 

Was  uns  Noth  thut,  ist  also  nicht  ein  neuer  Stand- 
punkt, sondern  die  gleichmässige  Pflege  aller 
der  verschiedenen  und  sämmtlich  fruchtbaren 
Riebtungen,    welche    nach    einander    in   der   Ge- 

,.:  .«:,yGüOgle 


und  den  Zweck  der  ZeiUchrin  fOt  da»  getammte  Handelmcbt.         21 

schichte  unserer  Wissenschaft  hervorgetreten 
sind:  der  wirthschaftlichen  (iNatur  der  Sache<),  wie  der  ge- 
schichtlichen und  dogmatischen;  die  genaue  Beachtung  wie 
unserer  einheimischen  Praxis,  so  der  Gesetzgebung,  Recht- 
sprechung und  Literatur  aller  auf  gleicher  Kulturstufe  stehen- 
den handeltreibenden  Nationen;  endlich  auch  die  liebevolle 
E^ege  und  immer  sichere  Ergründung  der  ursprünglich  fremden, 
aber  mit  uns  verwachsenen  Elemente  unseres  heutigen  Rechts, 
deren  wir  uns  weder  entäussem  wollen,  noch  zu  entbehren 
im  Stande  sind.  Allerdings  braucht  man  nicht  nothwendig 
röniisch  zu  denken,  um  streng  juristisch  zu  denken ;  allein  wer 
Überall  und  prinzipiell  anders  denken  will  als  die  Römer,  selbst 
da,  wo  deren  Auffassung  unseren  heutigen  Verkehrsbedürf- 
oissen  vollkommen  entspricht,  wird  nicht  selten  das  juristische 
Denken  ganz  verlernen.  Dem  wirklich  reifen  Gedanken  setzt 
die  römische  Theorie,  richtig  verstanden,  keine  Schranke.  Von 
wirklichen  Fesseln  des  Romanismus  befreien  können  wir  uns 
nur  durch  unbefangenste  ErgrUndung  unseres  gegenwärtigen 
Rechtszustandes,  seiner  ökonomischen  und  geschichtlichen  Grund- 
lagen. 

Gegen  jede  einseitige  Uebertreibung  der  einen  wie  der 
andern  Richtung  tragen  Wissenschaft  und  Leben  in  sich  ihre 
Korrektive. 

Hiermit  glaube  ich,  wie  meinen  eigenen  Standpunkt  in 
unserer  parteienretchen  Zeit  —  für  den  ich  übrigens  den  Vor- 
wurf des  Eklekticismus  keineswegs  scheue  —  so  auch  die  all- 
gemeine Aufgabe  dieser  Zeitschrift  bezeichnet  zu  haben,  deren 
Methode  und  Inhalt  durch  den  vor  einiger  Zeit  erschienenen 
Prospekt  in  folgender  Art  angegeben  ist: 

>Dte  Zeitschrift  für  das  gesammte  Handelsrecht  stellt 
es  sich  zur  Aufgabe,  dem  deutschen  Juristen-  und  Handels- 
stande ein  Centralorgan  für  diesen  wichtigen  Rechtszweig 
zu  werden. 

Der  Herausgeber  gedenkt  dieses  Ziel  zu  erreichen  so- 
wohl durch  gleichmässige  Vertretung  sämmtlicher  Theile 
des  Handelsrechts  in  selbständigen  Abhandlungen,  wie  durch 
SOTgfältige  Berücksichtigung  aller  irgend  erheblichen  Er- 
scheinungen auf  dem  Gebiete  der  Gesetzgebimg,  der  Rechts- 
Ubung  und  der  Literatur  in  allen  Theilen  Deutschlands. 
Das  Rechtsleben  einzelner  deutscher  Städte  wird  nur  insofern 


,  Cioogle 


22    Uebet  die  wiweDicIiBrtlicIie  BeliandluDg  des  deuticlien  Handelirecbti 

vorzugsweise  Berücksichtigung  erfahren,  als  die  Wichtigkeit 
der  dort  geltenden  Rechtsnormen  oder  zur  richterlichen  Ent- 
scheidung gelangten  Rechtsfragen  solche  erheischt. 

Bis  zur  ersehnten  Vollendung  eines  Deutschen  Handels- 
gesetzbuchs fallt  der  Zeitschrift  die  weitere  Aufgabe  zu,  die 
Grundlagen  wie  die  Bausteine  zu  prüfen,  auf  und  mit  denen 
das  grolse  Werk  errichtet  werden  soll;  ist  der  Bau  beendigt, 
so  soll  sie  den  Uebergang  aus  dem  alten  in  das  neue  Recht 
vermitteln,  die  mühsam  errungene  Einheit  wahren  und  der 
drohenden  Zersplitterung  der  deutschen  Praxis  nach  Mög- 
lichkeit vorbeugen. 

Den  Anforderungen  der  Wissenschaft  wie  des  Lebens 
kann  jedoch  das  zu  begründende  Organ  nur  alsdann  gerecht 
werden,  wenn  es  zugleich  durch  treue  Erforschung  der  Ver- 
gangenheit die  geschichtlichen  Grundlagen  unseres  geltenden 
Rechts  aufzudecken  und  so  dem  gegenwärtigen  Rechls- 
zustand  eine  sichere  Basis  zu  gewahren  bestrebt  ist  Auf 
diesem  Felde  vorzüglich  ist  noch  Vieles  zu  tbun,  und  wird 
durch  die  Kodifikation  nicht  entbehrlich  werden. 

Soll  nun  auch  das  Deutsche  Handelsrecht,  das  gemeine, 
wie  das  besondere  der  Einzelstaaten,  vorwiegend  dargestellt 
werden,  so  erscheint  es  doch  durchaus  geboten,  auch  die 
Rechtsentwicklung  des  Auslandes  nicht  zu  ignoriren.  Die 
immer  wachsenden  Dimensionen  des  auswärtigen  Waaren- 
handels,  der  enge  Zusammenhang  der  Geldverhältnisse  in 
allen  Theilen  der  Erde,  die  steigende  Bedeutung  der  überall- 
hin verbreiteten  Kreditpapiere,  die  Entstehung  ungeheuerer 
Associationen,  welche  ihre  Operationen  über  alle  civilisirten 
Länder  ausdehnen,  machen  die  Kenntniss  des  Rechts  wenig- 
stens der  wichtigsten  Handelsvolker  dem  Juristen  wie  dem 
Kaufmann  unentbehrlich.  Gleich  erheblich  sind  die  aus  der 
Natur  des  Handelsrechts  hergenommenen  Gründe.  Dasselbe 
ist  in  vielen  Punkten  allgemeines  Recht  aller  handeltreibeo- 
-  den  Staaten;  es  ist  für  sie  theils  aus  gemeinschaftlichen 
Quellen  hervorgegangen,  theils  haben  die  gleichen  Bedürf- 
nisse überall  ähnliche  Normen  erzeugt;  selbst  unmittelbare 
Entlehnungen  fremden  Rechts  sind  nirgends  häufiger  als  auf 
diesem  Gebiet.  So  bietet  das  fremde  Recht  ein  wichtiges 
Hülfsmittel  für  die  richtige  Erkenntniss  imseres  eigenen,  die 
fremde  Gesetzgebung  und   Rechtsbildung    nicht   allein   Be- 


MD^  dm  Zweck  dn  Zeitschrift  tat  du  get*mtate  Haadeltncht.        23 

lehning,  sondern  auch  ein  häufig  bedeutsames,  und  nament- 
lich in  dem  gegenwärtigen  Stadium  der  deutschen  Rechts- 
bildung höchst  beachtenswerthes  Vorbild.  Die  Literatur  des 
auswärtigen  Handelsrechts  ist  überdies  so  reichhaltig  und 
werthvoll,  dass  deren  Vernachlässigung  der  deutschen  Wissen- 
schaft nur  bleibenden  Nachtheil  bringen  könnte. 

Das  umfassende  Gebiet  der  Volkswirthschaftslehre  ist 
zwar  selbstverständlich  ausgeschlossen,  allein  die  bedeuten- 
deren literarischen  Erscheinungen  auf  demselben  sollen 
insoweit  berücksichtigt  werden,  als  deren  Inhalt  für  die 
tiefere  Einsicht  in  das  Wesen  des  geltenden  Handelsrechts 
tind  dessen  zweckmässige  Gestaltung  förderlich  erscheint. 

Die  Zeitschrift  wird  demgemäß  enthalten: 

1.  Abhandlungen  dogmatischen,  exegetischen  und  histo- 
rischen Inhalts. 

2.  Uebersichten  über  ältere  und  neuere  Quellen  des 
Handelsrechts,  namentlich  über  geltende  Usancen  und  über 
deutsche  und  fremdländische  Gesetzgebung. 

3.  Die  wichtigeren  einschlägigen  PräJudicien  der  deut- 
schen und,  soweit  möglich  und  zweckmäs^g,  der  auswärtigen 
Gerichtshöfe. 

4.  Uebersichten  der  inländischen  und  ausländischen 
handelsrechtlichen  und  nationalökonomischen,  namentlich 
handelswissenscbaftlichen  Literatur  in  Recensionea,  Aus- 
zügen und  Anzeigen. 

5.  Miscellen,  insbesondere  statistische  Nachrichten  aus 
dem  Gebiete  der  Handelsrechtspflege.  < 

Im  Einzelnen  mag  hier  noch  Folgendes  bemerkt  werden: 
Die  Zeitschrift  beschränkt  sich  auf  das  Gebiet  des  Handels- 
rechts, begreift  darunter  indessen,  nach  dem  Vorgang  neuerer 
Gesetzbücher  und  der  Entwürfe  für  ein  Deutsches  Handels- 
gesetzbuch, namentlich  auch  diejenigen  allgemeinen  Lehren 
des  Obligationenrechts,  welche  für  die  Regelung  des  Handels- 
verkehrs von  besonderer  unmittelbar  praktischer  Wichtigkeit 
sind '. 

In  der  möglichst  vollständigen  und  gleichmässigen  Ver- 
tretung der  faandelsgericbtlichen  Praxis  aller  deutschen  Staaten 

'    VgL    meine   Krilitc    des    Entwurfs    eines   HaDdelsgesetibocbi    für    die 
pientsiscben  Stuten,  Heft  i,  S.  i,  i. 


izecoy  Google 


24    Ueber  die  winenschafUiche  Behandlung  des  deutschen  H*ad«1srechU 

muss  ein  besonders  wichtiges  Mittel  für  die  Förderung  wie  die 
Erhaltung  nationaler  Einheit  auf  diesem  Gebiete  gesehen 
werden.  Die  alsbaldige  Mittheilung  noch  ungednickter  Ent- 
scheidungen erscheint  darum  besonders  wünschenswerth.  Doch 
soll,  um  eine  feste  Zeitgrenze  innezuhalten,  nur  ausnahmsweise 
über  das  verflossene  Jahr  hinausgegangen  werden. 

Aeltere,  bisher  ungedruckte,  oder  unvollständig  oder  fehler- 
haft oder  in  sehr  seltenen  Werken  edirte,  desgleichen  wichtige 
neuere  partikularrechtliche  und  auswärtige  Quellen,  falls  er- 
forderlich mit  f>eigefügter  Uebersetzung,  werden  als  wichtige 
Forderungsmittel  für  die  geschichtliche  Erkenntniss  unseres 
geltenden  Handelsrechts  mit  besonderem  Dank  aufgenommen 
werden. 

In  den  LiteraturQbersichten  sollen  die  bedeutendsten  Er- 
scheinungen, insbesondere  auch  die  durch  reiche  Kasuistik  und 
durch  sorgfältige  Beobachtung  des  Handelslebens  ausgezeich- 
neten französischen  und  englischen  Werke,  in  eingehenden 
Recensionen  besprochen,  minder  wichtige  durch  Auszüge  oder 
Anzeigen  zur  Kenntniss  gebracht  werden. 

Ft)r  die  Rubrik  >Miscellen<  sind  statistische  Nachrichten 
über  die  Praxis  der  Handelsgerichte,  über  die  wichtigsten  In- 
stitute des  Handelsrechts,  z.  B.  Über  das  numerische  Ver- 
haltniss  der  verschiedenen  Arten  von  Handelssocietäten  nach 
Anzahl  und  Kapitalhöhe,  femer  einschlägige  Mittheilungen  aus 
Werken,  welche  einem  anderen  Gebiet  angehören,  endlich 
kürzere  Bemerkungen  erwünscht,  welche  nur  den  Zweck  haben, 
zu  weiteren  Untersuchungen  anzuregen. 

Es  ist  im  Laufe  dieser  Erörterungen  mehrfach  die  ge- 
schichtliche Seite  der  Forschung  mit  besonderem  Nachdruck 
hervorgehoben  worden.  Hätte  B eseler  Recht,  dass  dieselbe 
»so  fruchtbar  für  andere  Rechtstheüe,  für  das  Handelsrecht  in 
praktischer  Hinsicht  nur  selten  einen  lohnenden  Ertragt  ge- 
währe, so  dürften  wir  darin  eine  Erklärung  der  jedenfalls 
unleugbaren  Thatsache  finden,  dass  dieselbe  gerade  auf  unserem 
Gebiete  in  unbegreiflicher  Weise  vernachlässigt  ist,  und  dass 
wir  in  den  meisten  Fällen  genöthigt  sind,  auf  die  nicht  immer 
sorgfältig  und  unbefangen  und  selten  mit  annähernder  Voll- 
ständigkeit angestellten  Untersuchungen  der  auch  hier  sehr 
viel  thätigeren  französischen  Juristen  zurückzugehen.  Richtiger 
haben  wir  indess  die  Ursache  dieser  Erscheinung  in  den  be- 


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und  den  Zweck  der  Zeitschrift  fHr  du  getanunte  HmdelttechL         25 

sonderen  Schwierigkeiten  historischer  Forschungen  auf  diesem 
Felde  zu  sehen,  zu  denen  das  erforderliche  Rüstzeug  wie  die 
nothwendige  Ausdauer  nur  Wenigen  zu  Gebote  zu  stehen 
pflegt'.  Ueber  den  praktischen  Werth  derselben  aber  auch 
für  das  Handelsrecht  durfte  das  Unheil  des  vorzugsweise 
praktischen  und  vielerfahrenen  Gelpke  entscheiden,  welcher 
die  geschichtliche  Methode  als  die  einzige  bezeichnet,  die  »zu 
einem  richtigen  Verständnisse  und  zu  einer  angemessenen  Aus- 
legung und  Anwendung  der  positiven  gesetzlichen  Bestim- 
mungen<  auf  diesem  Gebiet  in  den  Stand  setzt.  — 

Inwieweit  diese  Zeitschrift  die  umfassend  gestellte  Auf- 
gabe zu  lösen  vermag,  wird  von  der  Unterstützung  abhängen, 
welche  ihr  von  den  Männern  der  Wissenschaft  und  des  Lebens 
zu  Theil  wird,  deren  Gewährung  indess  nach  vielseitigen, 
ebenso  erfreulichen  wie  mich  ehrenden  Zusagen  in  sicherer 
Aussicht  steht. 

I  Dui  diei  nicht  von  B«ielei  gilt,  venteht  lich  von  «elbst  !□  einem 
Lehrboch  des  beutigen  dentKben  FrivMrecbts  würde  olineliiii  die  hiitoriicfae 
Ecörtemug  nor  einen  geringen  Ranm  in  Anspruch  nehmen  kSnnen.  Dem 
Handelsrecht  könnte  nur  damit  gedient  sön ,  wenn  et  UbeikU  eine  so  um- 
Bchtige  und  voUstSndige  Dantellung  erführe ,  wie  in  dem  Werke  dieses  au^ 
geieiclineten  Gelehrten.  Einen  Uberau*  eifrealichcD  Fortschritt  teigt  auch 
hierin  die  neueste  handelsrechtliche  Monographie:  Kuntie's  Lehre  voa  den 
Inhaberpapicren,  Leipzig  1S57. 


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2. 
HANDELSRECHT. 

(GESCHICHTLICHE  ENTWICKLUNG.) 
(1892.) 


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v 


1.   Einleitung, 

ersteht  man  unter  >Handel<  den  Güterumsatz  schlechthin, 
so  fällt  die  Geschichte  des  »Handelsrechts*  mit  der  Ge-  i 


schichte  des  Verkehrsrechts  zusammen,  umschliesst  somit  auch 
den  grössten  Theil  des  gemeinen  Obligationenrechts  und  einen 
grossen  Theit  des  Sachenrechts.  Nimmt  man  dagegen  den 
Begriff  »Handel*  in  dem  engeren,  allein  technischen  Sinne 
einer  den  Güterumsatz  vermittelnden  Erwerbsthätigkeit,  so  um- 
fasst  das  »Handelsrecht*  nur  die  diesem  besonderen  Zweige 
wirthschaftlicher  Thätigkeit  eigenthümlichen  Rechtsnormen  und 
hat  die  Geschichte  des  Handelsrechts  nur  die  Entwicklung 
dieses  besonderen  Rechtszweiges  darzulegen. 

Ein  derartiges  Sonderrecht  hat  sich  seit  alter  Zeit  aus 
inneren  wie  aus  geschichtlichen  Ursachen  gebildet.  Seine 
charakteristischen  Eigeoschaften  sind  im  Gegensatz  zum  ge- 
meinen bürgerlichen  Recht  die  grBssere  Freiheit,  Beweglich- 
keit, endlich  das  höhere  Maass  upiversaler  (kosmopolitischer) 
Geltung.  Es  ist  um  so  dürftiger,  je  weniger  entwickelt  einer- 
seits die  besondere  Thätigkeit  des  Handels  ist,  je  mehr  anderer- 
seits das  gemeine  bürgerliche  Recht  den  besonderen  Bedürf- 
nissen des  Handels  entspricht;  letzteres  ist  auch  bei  reicher 
Entfaltung  der  Handelsthätigkeit  möglich.  Ueberall  aber 
nimmt  es  dem  gemeinen  bürgerlichen  Recht  gegenüber  eine 
bahnbrechende  Reformstellung  ein.  Wie  dem  Handel  die  Rolle 
des  Organisators  und  damit  auch  des  Herrschers  in  der  ge- 
sammten  Volkswirthschaft  zufällt  (Sc  hm  oll  er),  so  ist  auch 
das  Handelsrecht  unter  dem  vorherrschenden  Einflnss  wie  Ober- 
wiegend nach  den  Interessen  der  wirthschaftlich  am  höchsten 
geschulten  und  weitsichtigsten  Bevölkerungsklassen  ausgebildet. 
Indem   seine  Tendenzen  das  gesammte  bürgerliche  Recht   za 


30  Hudelarecht    (Geschichtliche  EDtwieklimg.) 

durchdringen  pflegen,  verengt  es,  in  diesem 
erheblichem  Theile  aufgehend,  auf  der  einen  Seite  seinen 
Sonderkreis,  während  gleichzeitig  auf  der  anderen  Seite  durch 
neu  hinzutretende  Rechtssätze,  welche  mindestens  zunächst 
oder  gar  schlechthin  nur  den  besonderen  Bedürfnissen  des 
Handels  entsprechen,  sein  Umfang  in  stetem  Wachsen  be- 
griffen ist.  Sein  jedesmaliges  Verhältniss  zum  gemeinen  bürger- 
lichen Recht  ist  so  stets  ein  relatives:  ein  beträchtlicher 
ITheil  des  beutigen  gemeinen  bürgerlichen  Rechts  ist  ursprüng- 
lich blosses  Sonderrecht  des  Handels  gewesen,  ein  erheblicher 
Theil  des  heutigen  Handelsrechts  strebt  danach,  zum  gemeinen 
bürgerlichen  Recht  zu  werden. 

Findet  in  dem  Handel  und  durch  denselben  wie  der  wirth- 

S  schaftliche  Zusammenschluss,  so  die  kapit^istische  Organisation 
der  Gesellschaft  ihre  volle  Ausbildung,  so  mag  man  das  Han- 
delsrecht als  das  Recht  der  zur  Interessengemein- 
seßhaft  verbundenen  kapitalistisch  o fgTüTs i r t e n 
Gesellschaft  bezeichnen.  Es  bedarf  niu*  des  Hinweises  auf 
die  grossen  social-ethischen  Strömungen  und  Gegenströmungen 
in  den  verschiedenen  Epochen  der  Geschichte,  um  die  wechselnde 
Bedeutung  zu  ermessen,  welche  dem  Handelsrecht  im  Wechsel 
der  Zeiten  zugekommen  ist  und  zukommt.  Weiter  hängt  dies 
damit  zusammen,  dass,  um  neuere  Schlagworte  zu  gebrauchen, 
der  Handel  und  dessen  Recht  im  Wesentlichen  »individualistische 
angelegt  sind  und  damit  in  scharfen  Gegensatzzu  der  »socialen  c 
oder  »kollektivistiscbenc  Strömung  treten,  welche  das  Wirth- 
scbaftsleben  in  verschiedenen  Epochen  beherrscht.  Immerhin 
sind  schon  in  den  Uranfängen  der  Geschichte  der  Handel  und 
sein  Recht  zugleich  social  einigend. 

Denn  von  Urzeit  her  ist  der  Güterumtausch  vornehm- 
lich diu^  die  vermittelnde  Thätigkeit  des  Händlers,  ins- 
besondere des  stammfremden,  bewirkt  worden.  Den  Mittel- 
punkt des  Handels  bildet  von  jeher  der  Markt,  ursprünglich 
ein  »befriedeter«  Platz  unter  religiösem  Sc£ütz;  an  den  fried- 
lichen Markttausch  knüpfen  sich  die  Anfänge  internationaler 
Rechtssitte  und  universalen  Handelsrechts,  und  noch  lange 
nach  der  Gründung  der  einen  ständigen  Markt  bildenden  Städte 
erhalten  sich  die  vorübergehenden  Markte  und  Messen  als 
wichtige  Stätten  des  Austausches  uod  Geldverkehrs  für  engere 
und  weitere  Kreise, 


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t.   EmleitoDs.  31 

Mit  der  Ausbildung  der  ^^chiffahrt,  hinter  welcher  der 
Binneotransport   bis    in   unser   Jahrhundert    weit    zurücktritt, 
wird  der  Handel  der  Mittelmeerstaaten,  später  auch  des  nörd- 1 
liehen  Europa,  überwiegend  Seehandel,   daher  die  Rechtssätze  I 
des  Grosshandels  vorwiegend   im   Seeverkehr  entstanden  und, 
wenn   überhaupt,    nur   aUmäUg   auf  den   Binnenhandel   Über- 
tragen  worden  sind.     So   ist    das   griechisch-römische   foenus    h 
nauticnm  fpecnnia  trajectitia.  Seedarlehn)  die  Grundlage  me    ' 
der  hV^mifmv(^ichening.  so  des  Wechsels  geworden,  bildet  die 
Seeversicherung  den  Au^ang  der  Assekuranz  Überhaupt,  ^nd 
die  überseeische  commenda  tind  der  Kolonialaktienverein  die 
Urtypen  der  modernen  Handelsgesdlschsft^S.jnit  beschränkter   b 
Haftung. 

Aller  Handel  ist  ursprünglich  Tauschhandel ,  Handel  im 
Umherziehen,  Kleinhandel,  Eigenhandel;  nur  allmälig  haben 
sich  die  höheren  Formen  des  Kauf-(Geld-)Handels,  des  stehen- 
den Handels,  des  Grosshandels,  am  spätesten""der  "Kommissions- 
handel entwickelt,  üie  i  hatbestände  des  Handels  gehören 
zum  erheblichen  Theil  bereits  der  altorieotalischen  (egyptischen, 
insbesondere  babylonischen,  auch  wohl  phönizischen),  dann  der 
hellenischen  und  römischen  Kulturwelt  an;  in  minderem  Um- 
fange lassen  sich  dieselben  auch  in  dem  mittelalterlichen  nörd- 
lichen (germanischen,  slavischen)  Huropa  nachweisen;  überall 
hat  auch  mehr  oder  minder  festentwickelter  Handelsgebrauch 
bestanden.  Aber  die  typische  Rechtsform  haben  diese  i 
Thatbestände  vorwiegend  erst  von  den  Sötnem  im  Alterthum,  l 
von  den  italienischen  und  anderen  romanischen  Mittelmeerstaaten  I 
im  Mittelalter  empfangen.  Die  Rechtsbildung  ist  im  Alterthum 
bis  auf  die  justinianische  Kodifikation,  desgleichen  im  Mittel- 
alter vorwiegend  eine  gewohnheitsrechtliche  gewesen,  obwohl  im 
Mittelalter  das  Statutarrecht  der  Städte  wie  der  gewerblichen 
Innungen  wachsende  Bedeutung  gewinnt.  Auf  der  Mischung  l 
antiker,  mittelalterlicher  und  modemer  Elemente  beruht  unser  ': 
heutiges  Handelsrecht;  än~  der  Fortbildung  des  von  allen 
europäischen  Nationen  recipirten  romanischen  Handelsrechts 
haben  seit  Ausgang  des  Mittelalters  alle  Kulturvölker  An- 
theil  gencHnmeo;  dorcb  geschickte  Kodifikation  hat  nament- 
lich im  19.  Jahriiuodert  Frankreich  hier,  wie  auf  allen  Rechts- 
gebieten, vorwiegenden  Einfluss  gewonnen. 

Die  Hauptphasen  der  Entwicklung  soll  die  folgende  Ueber- 

,  CiOOglc 


32  Handelsrecht.     (Geschiclitliche  EntwicIduDfi.) 

sieht  ergeben,  welche  im  Wesentlichen  der  bisher  einzigen 
Darstellung  der  Geschichte  des  Handelsrechts  (Goldschmidt, 
Universalgeschichte  des  Handelsrechts  [auch  Handbuch  des 
Handelsrechts,  3.  Aufl.,  I]  1.  Lieferung,  1891,  dazu  einstweilen 
noch  auch  Goldschmidt,  Handbuch  des  Handelsrechts  I, 
2.  Auß.,  1875)  entnommen  ist. 

2.    Das  Handelsrecht  der  alten  Welt 

I  Das  Wirthschaftsleben  der  alten  Welt   wird  wesentlich 

\  durch  den  allgememen _Be5tand  der  Sklaverei  bedingt,  sein 
Grundzug  ist  der  hauswirthschaftliche  Typus,  obwohl  solcher 
den  Handel  weniger  als  andere  Wirthschaftszweige  beherrscht- 
Der  Grossbetrieb  ist  vorwiegend  kapitalistischer  Waaren-  und 
Geldhandel;  das  Transportgewerbe  und  die  mannigfachen,  all- 
mäiig  vervielfältigten  Hilfsgewerbe  haben  sich  selten  zu  selbst- 
ständigen Unternehmungen  ausgebildet.  Zwischen  dem  Herrn 
und  dessen  als  Geschäftsführer  oder  auch  auf  eigenen  Namen 
Handel  treibenden  Sklaven  (HaussOhnen)  bestehen  in  der  Haupt- 
sache nicht  Rechts-,  sondern  blosse  Rechnungsverbältnisse. 

1.  Eigenthtlmliches  Handelsrecht  der  grossen  orien- 
talischen Reiche  ist  nicht  bekannt,  obwohl  namentlich  bei 
dem  grossen  Handelsvolke  der  Babylonier  im  neubabylonischen 
Reiche  ein  beträchtlicher  Theil  der  heutigen  Handelsgeschäfte 
begegnet  und  der  Kreditverkehr  entwickelt  ist.  Gänzlich  ver- 
scbollen  ist  das  Recht  der  Phönizier  und  Karthager;  die  aben- 
teuerliche Hypothese  Revillouts  (Les  obligations  en  droit 
Egyptien,  compar^  aux  autres  droits  de  i'antiquit^,  Paris  1886), 
dass  von  den  Phöniziern,  indirekt  durch  deren  Vermittelung 
von  den  Egyptem  und  Babyloniem,  der  eigentlich  brauchbare 
Theil  des  römischen  Rechts  stamme,  entbehrt  jeden  Anhalts. 
Nicht  Handelsvolk  war  in  seiner  Heimath  das  jüdische  Volk. 

2.  Was  von  besonderem  Handelsrechte  der  hellenischen 
Staaten,  auch  der  Handelsstaaten,  einschliesslich  der  hellenisti- 
schen Weltemporien,  wie  Alexandria,  Seleucia  u.  a.,  bekannt 
ist,  geht  nicht  Über  vereinzelte  Notizen  hinaus.  Die  ge- 
schriebenen Gesetze  sind  uns  nur  zum  geringen  Theil  erhalten, 

I  das  Verk^ursrecht  witerlag  überwiegend  der  flüssigen  Handels- 

'  Sitte  und  der  freien  Uebereinkunft.     Voll  entwickelt  ist   das 

wichtige  Seedarlehmgeschäft,  die  grosse  Haverei  jeden^ls  in 


,  CiOO^^Ic 


3.   Du  Handettrechl  dei  alten  Well.  33 

Rhodos  (lex  Rhodia  de  iactp)  geregelt,  das  Bankwesen  aus- 
gebildet, zumal  in  Attika,  wo  gesetzliche  Zinsfreiheit  herrschte. 
Zu  Assekoranzen  und  Wechseln  begegnen  Ansätze,  Inhaber- 
und  Orderpapiere  finden  sich  in  hellenistischer  Zeit.  Bei  Über- 
wiegender  Unproduktivität  des  herrschenden  BUrgerstandes 
pflegten  nur  Grosshandel  und  Rhederei  höhere  Achtung  zu 
gemessen,  \rährend  sogar  die  gegen  den  Materialismus  re- 
agirende  spätere  philosophische  Spekulation  (Plato,  Aristoteles) 
jede  Arbeit  um  Gelderwerb,  insbesondere  den  Handel  und  die 
Zinsleihe,  brandmarkte. 

3.  Der  griechischen  Philosophie  schÜesst  sich  die  entlehnte 
Philosophie  der  Römer,  insbesondere  Cicero's  an,  wie  deoa 
auch  die  Sitte  dem  ersten  (Senatoren-)  Stand  den  Handel  auf 
eigenen  Namen  untersagte  und  das  Gesetz  (Lex  Claudia  216 
a.  Chr.)  denselben  von  der  Grossrhederei  ausschloss.  Der 
höhere  römische  Kapitaliste nstand^^  die  eguites  der  späteren 
Republik,  betrieb  dagegen  in  erheblichem  Umfange  die  handels- 
mässige  Grossspekulation.  Immerhin  ist  seit  den  letzten  Jahr- 
hunderten des  Freistaates  der  äusserst  umfassende  Handel  des 
römischen  Weltreiches  in  römischen  Händen,  die  Hauptstadt 
Rom  ein  Verkehrs-  und  Bankplatz  ersten  Ranges,  auch  Mittel- 
punkt der  abendländischen  Industrie ,  insbesondere  des  Kunst- 
handwerks. In  der  blühencistenWirthschaftse  poche  der  alten 
Welt,  der  römischen  Kaiserzeit,  bildete  das  Weltreich  ein  un- 
geheures Wirthschafts-,  ja  Freihandelsgebiet,  in  welchem  Ge- 
werbef reiheit .  wie  Freizügigkeit  bestand  und  zu  Lande  wie  zur 
See  ein  verhältnissmässig  wenig  gestörter  Frieden  (pax  Romana) 
herrschte.  Erbe  der  Gesanuntkultur  der  alten  Weit  hat  dieses- 
Weltreich  auch  kommerziell  und  nautisch  die  auf  allen  Lebens- 
gebieten bewährte  selbstständig  ordnende  und  assimilirende 
Kraft  entwickelt. 

Sein  ursprüngliches  Stadtrecht  (ius  civile),  welches  bei 
aller  Schneidigkeit  und  Schärfe  dem  grossen  Verkehr  äusserst 
förderlich  war,  hat  durch  Aufnahme  aller  brauchbaren  Ele- 
mente aus  dem  Recht  der  verbündeten  und  unterworfenen 
Völker  sich  zum  Weltrecbt  (ius  gentium)  ausgebildet  und  da- 
mit auch  für  den  dar^'^'C"  TVplthanHfl  eine  universale  Rechts-  • 
Ordnung  von  unvergleichlichem  Werthe  geschaffen.  Weniger  j 
duTcK  besondere  Satzungen  für  den  Handel,  obwohl  es  auch 
an  solchen  und  sehr  wichtigen  keineswegs  fehlt  (Sonderrecht 

GoldichmEilt.  V«rnii.rbte  SchiiTien.    11.  3 

,  C-'Oogle 


34  HuddiTMlit    (Geschichtliche  Entwicklung.) 

der  Bankiers,  der  Skkvenhändler,  der  publicani .  actio  tribu- 
toria,  exercitoria,  Seedarlehn  und  grosse  Haverei),  vielmehr 
dadurch,  dass  das  gemeine  bürgerliche  Recht  in  einer  auch 
den  Anforderungen  des  grossen  Handelsverkehrs  entsprechen- 
den Weise  aus-  und  durchgebildet  wurde,  dazu  der  wechseln- 
den Verkehrssitte  und  dem  erkennbar  erklärten  Willen  der 
Interessenten  freiester  Spielraum  gelassen  wurde,  Treue  und 
Glauben  (bona  fides)  in  der  Rechtsprechung  die  sorgsamste 
BerUcksicBtigung"Tanden. 

Freilich  begegnen  bereits  in  klassischer  Zeit  Vergröbe- 
rungen und  werden  bedenkliche  Abwege  (z.  B.  Ausartung  der 
Hypothek,  Erweiterung  der  Konkursprivilegien)  eingeschlagen ; 
aber  doch  erst  in  der  späteren  Kaiser  zeit  und  unter  dem  Ein- 
fluss  christlicher  Weltanschauung  findet  sich  ein  gegen  die 
Auswüchse  d^  Kapitalismus  (Ausbeutung^  Wucher j_  Härte) 
gerichteter,  systematischer  Schutz,  welcher  vielfach  auch  den 
redUchen  Handel  unangemessen  einengte,  und  begegnen  mancher- 
lei Irrungen,  insbesondere  mechanische  Abgrenzungen  des  Er- 
laubten und  Unerlaubten,  welche  dem  stetig  sinkenden  Niveau 
des  Verkehrs  wie  der  juristischen  Kraft  entsprechen.  Lebens- 
fähige Genossenschaften  hat  das  alternde  Reich  nicht  mehr 
erzeugt,  wohl  aber  pnvUegirte,  aber  auch  besonders  besteuerte 
Zwangskorporatiooea  ^insbesondere  der  navicnlarii)  mit  aus- 
gedehnter Specialjurisdiktion  und  damit  ein  eigenthümliches, 
in  der  Hauptsache  freilich  fiskalisches,  kaufmännisches  bezw. 
gewerbliches  Handelsrecht.  Daher  auch  die  charakteristischen 
Versuche  einer  gesetzlichen  Tarifirung  der  Waarenpreise  und 
der  Arbeitslohne  (Diocletian)  oder  die  Herabsetzung  der  gesetz- 
Hchen  Zinstaxe,  während  der  thatsächliche  Zinsfuss  in  stetem 
Steigen  begriffen  war  (Justinian), 

Als  das  römische  Weltreich  zerfiel,  stand  der  Handel  der 
ganzen  damaligen  Kulturwelt,  von  dem  fernen  Osten  abgesehen, 
unter  dem  vorhin  charakterisirten  römischen  Weltrecht.  Aber 
ein  nicht  unbeträchtlicher  Theil  dieses  Rechts  ist  in  die  Justi- 
nianische Kodifikation  nicht  übergegangen,  ein  anderer  durch 
abstrakte  Behandlung  verdeckt  und  schwer  erkennbar  (z.  B. 
hinsichtlich  der  commenda,  des  Wechsels,  der  Orderklausel  etc.). 
Für  dieses  versteckte,  insbesondere  aber  für  das  in  der  Ört- 
lichen und    provinziellen  Praxis  fortlebende   römische  bezw. 


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3-   Du  HondclirMfat  im  Mittelalter.  35 

hellenische  Recht  mag  man  den  Namen  >  Vulgarrecht«  braachen. 
(Vgl.  meme  Universalgesch. ,  S.  90—94  und  das  soeben  er- 
schienene bedeotende  Werk  von  L.  Mitteis,  Reichsrecht  und 
Volksrecht  in  den  östlichen  Provinzen  des  römischen  Kaiser- 
reichs, Leipzig  1891.) 

3.   Das  Handelsreoht  im  Hittelalter. 

Mit  dem  Untergang  des  weströmischen  Kaiserreichs,  der 
immer  schärferen  Scheidung  von  Abend-  und  Morgenland 
(Islam,  arabische  Herrschaft),  der  neuen  germanischen  Staaten- 
bildong,  der  germanischen  Kolonisation  des  Ostens  verliert  der 
Welthandel  seinen  einheitlichen  Charakter.  Wenngleich  in  ge- 
wissen Richtungen  sich  sein  Gebiet  erweitert  (insbesondere 
nach  Nordosten),  so  verengt  sich  doch  sein  Umfang,  gehen 
die  Leistungen  von  Handel  und  Schiffahrt  zurück,  vergröbert 
sich  das  Verkehrsrecht  und  zersplittert  sich  in  enge,  zum  Theil 
sehr  beschrankte  Herrschaftsgebiete.  Nur  allmälig  gelangt 
es  mittelst  gesteigerter  Wiederaufnahme  antiker  Elemente  und 
durch  Ausbildung  universalen  Handelsgebrauchs  zur  grösseren 
Einheit,  im  WiderstreJL JBJl .kiichlicher..  W£lUD^hil^u^.g  zn 
freier  Vollentfaltung. 

I.  Bis  in  das  12.  Jahrhundert  bleibt  das  byzantinische 
Reich  Träger  des  orientalisch-europäischen  Welthandels,  jedoch 
uiter  wachsender,  siegreicher  Konkurrenz  der  Araber,  welche 
eine  neue,  auf  Eroberung,  Glauben  und  Handel  gebaute  Welt- 
herrschaft über  nahezu  den  ganzen  Orient  aufrichten,  ja  Jahr- 
hunderte hindurch  einen  erheblichen  Theil  der  westlichen 
Mittelmeerländer  unterwerfen.  Ihre  Münze  ist  zeitweise  Welt- 
mÜDze,  zahlreiche  arabische  Bezeichnungen  von  Handelsinsti- 
tuten und  Waaren  (Arsenal,  Magazin,  Karawane,  Sensal,  zecca 
—  Safran,  Kaffee,  Juwel,  Kattun,  Atlas  etc.)  sind  in  die  euro- 
päischen Sprachen  übergegangen.  Eine  Weltemmgenschaft 
bildet  das  indisch-arabische  Zahlensystem,  welches  zu  Anfang 
des  13.  Jahrhunderts  (Lionardo  Fibonacci)  im  Abendlande  be- 
kannt wird.  Auch  das  reich  ausgebildete  Verkehrsrecht  des 
Islam  mag  die  abendländische  Rechtsbildung  beeinflusst  haben ; 
doch  liegt  die  Annahme  näher,  dass  die  Araber  die  im  Ver- r 
kehr  noch  fortlebenden  Rechtsinstitute  des  römischen  Welt-/ 
rdchs  recipirt,  vielleicht  auch  weiter  verbreitet  haben. 

3" 


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36  HindeltKcht.    (Geschichiliclie  Entwicldung.) 

Das  byzantinische  Reich  ist,  nach  vorübergehenden  Ver- 
suchen selbstständiger  Fortentwicklung  des  Rechts,  in  der  Haupt- 
sache bei  dem  justinianischen  Recht  (Basiliken  886—911)  ver- 
blieben. Der  sog.  vö^ios'Po^ituv  vattiviög,  das  pseudorhodische 
Seerecht  (Pardessus,  CoUection  de  lois  maritimes  I,  p.  231  bis 
251,  Basilika  lib.  60  (ed.  Heimbach]  t.  V,  p.  119—127)  ist  aus 
justinianischen  Quellen  und  lokalen  oder  provinziellen  Satzungen 
bezw.  Gebräuchen  des  östlichen  Mittelmeeres  zusammengestellt, 
nach  Annahme  Zachariae's  im  8.  Jahrhundert  als  Kaisergesetz 
erlassen,  nach  Form  und  Inhalt  ein  mittelalterliches  Seerecht, 
welches  dem  gesimkeaen  Stande  von  Seeschiffahrt  und  Rechts- 
kunst entspricht. 

2.  Die  germanischen  Stämme  treiben  dürftigen  Binnen- 
handel, noch  überwiegend  Tauschhandel;  nur  von  einzelnen 
Seevölkem,  insbesondere  den  Nordgermanen  (Skandinaviern) 
und  den  Friesen,  ist  Antheil  an  dem  Welthandel  bezeugt.  Nur 
in  hartem  Kampfe  mittelst  straffen  genossenschaftlichen  Zu- 
sammenschliessens  gelangen,  neben  den  gemeinfireien  und  ritter- 
lichen Grundbesitzern,  Handel  und  Handwerk  in  den  neu  auf- 
blühenden Städten  zur  selbststflndigen  Stellung.  In  wachsendem 
Maasse  erringen  Grosshändler  und  Grossindustrielle,  vornehm- 
lich in  monopolistischen  Kaufgilden  oder  Hansen,  dann  auch 
die  kleineren  Handelsleute  und  Handwerker  in  ihren  Zünften 
und  Innungen  die  Verkehrspolizei,  Gerichtsbarkeit,  Selbstver- 
waltung! Wenn  in  älterer  Zeit  überwiegend  römische  Pro- 
vinzialen,  Syrer,  eingewanderte  und  umherziehende  Italiener 
(»Lombarden«),  Stifter,  Klöster,  kirchliche  Orden  und  Weh- 
geistliche, endlich  die  trotz  ihrer  gesteigerten  Schutz-  und 
Rechtlosigkeit  in  wachsendem  Maasse  sich  ausbreitenden  Juden 
die  Träger  von  Handel  und  Industrie  sind,   so  bildet  sich  all- 

Imälig  ein  selbststäodiger,  aus  Freien,  bestehender  germanischer 
Handelsstand  und  seit  dem  12.  Jahrhundert  eine  neue  geld- 
wirtßscTiäftliche  Organisation  der  freien  gewerblichen  Arbeit. 
So  in  der  städtischen  Marktgenossenschaft,  deren  iKaufmanns- 
recht*  auch  auf  Nichtgewerbetreibende  erstreckt  wird;  in  den 
Innimgen  und  Zünften  der  Handwerker;  in  den  Gilden  oder 
Hansen ,  welche  namentlich  im  überseeischen  Auslande  als 
wagende  Handelsgenossenschaften  auftreten,  ein  wachsendes 
Kolonial-  oder  doch  Faktorei-System  begründen  und  mit  Erfolg 
den  zahllosen  Hinderungen  und  Bedrückungen  des   Handels, 


3-   Du  Hudeltrecbt  im  Mittdilter.  37 

namentlich  der  Fremden,  entgegentreten.  War  der  fest  ge- 
ordnete Grosshandet  der  Romerzeit  zerfallen,  der  Kredit-,  ja 
nahezu  der  geldwirthschaftltche  Verkehr  rerktlmmert,  waren 
die  sicheren  Handelswege  der  alten  Zeit  zu  erheblichem  Theile 
abgeschnitten,  Wirthschaft  und  Recht  territorial  und  lokal  zer- 
splittert, so  bilden  sich  doch  die  schöpferischen  Keime  einer 
grossen,  in  Wirthschaft  und  Recht  das  Alterthum  schliesslich 
uberflOgelnden  Zukunft.  Der  rohere,  aber  kräftig  vorstrebende 
Kleinbetrieb  in  Handel  und  Handwerk,  die  Arbeit  der  in 
liiannigtafügen  genossenschaftlichen  Bildungen  gegliederten 
Freien  und  der  durch  freien  Dienstvertrag  wie  durch  die 
Korporationsverfassung  ihnen  verbundenen  Hilfspersonen  ist 
an  die  Stelle  des  kapitalistischen  Grossbetriebs  der  alten  Welt 
getreten;  es  bilden  "sich  zäElreicBe  Hilfegeschäfte  des  EÜndels 
zu  selbstständigen  Verkehrs-  und  Rechtsinstituten  aus;  der 
früher  verdeckte  Gegensatz  des  Platz-  und  Distanzfaandels, 
des  Eigen-  und  Kommissionshandels  gewinnt  an  Bedeutung. 

Das  Recht  dieses  neuen  Verkehrs  ist  überwiegend  Ge- 
wohnheitsrecht, die  verkehrspolizeiliche  Gesetzgebung  der  karo- 
lingischen  Könige  (Capitulana)  verkümmert  bald.  Trägt  schon 
das  neue  städtische  Recht  der  »Bürgere,  das  ius  fori  =  ius 
mercatorum,  Kauffleutrecht,  welches  von  Stadt  zu  Stadt  über- 
tragen wird,  die  merkantile  Signatur,  so  erzeugen  gleiche  Be- 
dUrinisse,  das  wachsende  Netz  der  »gefreiten  und  befriedeten« 
Märkte  und  Messen,  der  Handelsverträge  und  Handelsnieder- 
lassungen ein  nahezu  gemeinsames  Recht ,  zuvörderst  der  \ 
Mittelmeerlander.  Der  juristisch  geschultere  romanische  Geist,  ' 
das  frtlfa  au^ehildete  Institut  der  Notariatsurkunden  mit  ihren 
typischen,  formukrmässigen  Festsetzungen,  die  ausgedehnte 
Jurisdiktion  der  Innungsgerichte  fuhren  hier  zu  genauer  und 
vielfach  gleichmassiger,  fast  gesetzlicher  Fixiruny.  Allein 
auch  hier,  vornehmlich  in  Frankreich,  erhalten  sich  germanische 
Rechtsanschauungen  lebendig  und  gelangen  in  den  unter 
römischer  Zucht  ausgebildeten  Rechtsinstituten  zur  Entfaltung. 
(Die  Nachweise  in  meiner  Universalgeschichte  S.  131  —  137.) 

3.  Gegen  den  aufblühenden  Handel  und  Kreditverkehr 
verhält  sich  das  Recht  der  Römischen  Kirche  wesentlich 
negativ.  Das  leitende  Prinzip  der  kirchlichen,  immer  schärfer 
zugespitzten  »Wuchertheoriet  besteht  wesentlich  darin,  dass 
das  Geldkapital  unproduktiv  ist  und  sein  soll,  daher  das  Zinsen- 


38  Handelsrecht.     (Geachichtüche  EntwicklaDE) 

nehmen  in  Darlehen  und  sonstigen  Kreditgeschäften  prinzipiell 
unstatthait  ^  aller  Gelderwerb  >ohne  rechte  Arbeit«  sündhaft 
oder  doch  mindestens  verdächtig,  »Preisgerechtigkeit«  überall 
zu  erzielen. 

IWeit  über  sein  berechtigtes  Ziel  hinausschiessend ,  schei-. 
terte  dieses  kühne  und  konsequente  System  kirchlicher  Ver- 
kehrsbevormundung an  dem  Schwergewicht  der  wirklichen 
wirthschaftlichen  Interessen.  Die  praktische  Folge  des  Zins- 
verbotes  bestand  nur  darin,  dass  der  ohnehin  naturgemäss 
hohe  Zinsfass  sich  erheblich  steigerte  und  eine  in  periodischer 
Plünderung  der  »Wucherer*  (insbesondere  der  iLombardeo« 
und  der  Juden)  gipfelnde  Verwirrung  aller  wirthschaftlichen 
und  Rechtsbegriffe  sich  über  das  Mittelalter  hinaus  behauptet 

(hat.  Auf  die  Ausbildung  des  Handelsrechts  hat  die  kirchliche 
Doktrin  und  Praxis  keinen  wesentlichen  Einiluss  geübt.  Die 
gegentheilige,  insbesondere  von  Endemann  verfochtene  An- 
sicht wird  dadurch  widerlegt,  dass  sich  im  Gesammtgebiet 
des  neueren  Handelsrechts  kein  praktischer  Rechtssatz  nach- 
weisen iässt,  welcher  jener  Kirchenlehre  seine  Entstehung  ver- 
dankt oder  auch  nur  in  seiner  Entwickelung  durch  die  Kirche 
beeinflusst  wäre.     Und    wenngleich    einzelne  Rechtsinstitute 

1  unter  der  Ungunst  der  Kirchenlehre  verkünstelte  Gestaltungen 
annahmen,  wie  das  Handelsdarlehn  und  das  verzinsliche  Depo- 
sit, so  ist  doch  sogar  hier  die  endliche,  wenngleich  nur  wider- 
willige Anerkennung  nicht  ausgeblieben.  Nur  darf  nicht 
übersehen  werden,  dass  auch  das  weltliche  Verkehrsrecht 
des  Mittelalters  J-uf^Zwang^  und  Kontrole  beruht,  freilich  nicht 
nach  kirchlichen  Gesichtspunkten  kirchlicher  Oberen,  sondern 
nach  Auffassung  der  Berufs-  und  Standesgenossen.  Ans 
i'  eigensten  Bedürfnissen  und  Anschauungen  heraus  hat  der 
i  mittelalterliche  Kaufmannsstand  sein  Recht  gebildet, 

4.  Das  zunächst  lokale  Handelsgewohnheitsrecbt  der 
romanischen  S_tädte_wurde  durch  die  in  typischer  Form 
von  Notaren  geschlossenen  Rechtsgeschäfte  (Notariatsurkunden) 
entwickelt  imd  befestigt;  durch  Statuten  der  Stadtgemeindeo 
—  unter  denen  das  constitutum  usus  von  Pisa,  um  1161  redi- 
girt,  den  vornehmsten  Platz  behauptet  —  und  der  gewerblichen 
Innungen  zum  erheblichen  Theil  kodificirt ;  durch  zünftige 
und  staatliche  Rechtspflege,  im  internationalen  Verkehr  durch 
Handels-  und  Schiffahrtsvertra|;e_fortgebildet.    Nur  dies  sind 


„Google 


3-  XH*  Handeltrecht  im  MitteklUr.  39 

die  sicheren  und  unmittelbaren  Erkenntnissquellen  des  neueo 
Gewohnheitsrechts-,  die  meist  jüngere  Literatm- ,  insbesondere 
die  theologisch-kanonistische ,  gibt  nur  ein  eigenthUmlich  ge- 
färbtes Spiegelbild. 

Unter  den  gewerblichen  Innungen  pQegt  die  Kaufmanns- 
innung  die  erste  Steile  einzmiehmen;  mitunter,  z.  B.  in  Pisa, 
bilden  die  Grossfaändler  zur  See  und  die  Rheder  einen  be- 
sonderen Verband,  desgleichen  Qnden  sich  häufig  besondere 
Innungen  der  Bankiers  (bancherii,  campsores),  der  Tuchhändler 
und  Tuchfabrikanten  (ars  lanae)  u.  A.  m.  In  einzelnen  Städten 
begegnen  Gesammtverbände  vieler  Innungen  (in  Pisa,  spater 
in  Florenz  die  universitas  mercatorum  oder  mercanzia  u.  s.  f.). 
Die  Statuten  der  Kaufmannsinnung  oder  Innungen  (statuta 
mercatorum),  welche  überwiegend  erst  seit  dem  Ende  des 
13.  Jahrhunderts  redigirt  sind,  enthalten  ursprünglich  in  dar" 
Hauptsache  ge werbepolizeil  i  che  und  prozessuale  Satzungen, 
haben  aber  allmälig  in  wachsendem  Umfange  auch  Privat- 
rechtssatze  aufgenommen  und  werden  so  nahezu  Kodifikationen 
des  partikulären  Handels-  und  GewerberechtSj  z.  ii.  in  Florenz, 
Bologna,  Siena  (meine  Universalgeschichte  S.  166 — 169). 

Polizei  und  Rechtspflege  pflegt  bei  den  Innungsvorstehem 
(consules  und  drä-gl.)  zu  stehen  i  unter  Ausschluss  öder  unter 
elektiver  Konkurrenz  mit  dem  ordentlichen  (städtischen)  Ge- 
richt. Bei  überwiegender  disciplinärer  und  gewerbepolizeilicher 
Gerichtsbarkeit  werden  doch  auch  die  privatrechtlichen  Streitig- 
keiten mindestens  unter  den  Innongsgenossen,  vielfach  darüber 
hinaus,  der  Kognition  des  Innungsgerichts  unterstellt  (Innungs- 
sache, Handelssache,  causa  mercantilis) -,  die  Jurisdiktionsgrenzen  ] 
schwanken,  sogar  innerhalb  der  einzelnen  Stadtgemeinden,  nach  | 
politischen  und  anderweitigen  Wandelungen  (mein  Handbuch 
I',  S.  42  und  43).  Das  Verfahren  dieser  keineswegs  als 
> Handelsgerichte c  eingesetzten,  wenngleich  auch  als  solche 
fungirenden  Innungsgerichte  ist  summarisch  und  zeigt  zahl- 
reiche, einerseits  auf  Schleunigkeit  der  Entscheidung,  anderer- 
seits auf  freie  Wahrheitsermittelung  berechnete  Eigenthümlich- 
keiten. 

Zur  Entscheidung  von  Rechtsstreitigkeiten  auf  der  Fahrt 
der  in  Convoy  segelnden  Handelsschiffe  und  während  des  vor- 
übergehenden Aufenthaltes  in  der  Fremde  dienen  die  »Reise- 
konsuln« ;  für  auswärtige  Faktoreien  die  von  den  Mitgliedern 

.OOgk' 


40  Handelsrecht.     (Geidiichlliche  Eotwieklung.) 

der  Faktorei  gewählten  oder  von  der  Obrigkeit  der  Heimat 
bestellten  ständigen  Konsuln,  mitunter  besteht  auch  ein  General- 
konsulat (z.  B.  das  Venetianer  und  das  Pisaner  in  Syrien). 

Besondere  Seegerichte  (consulatus  maris)  begegnen  theils 
als  AdministratlTbehOrde  und  Gericht  einer  Seehandelsgilde 
(so  in  Pisa,  Valencia,  ursprünglich  wohl  auch  in  Genua  und 
Barcelona),  theils  als  Staatsbehörde  (z.  B.   1347  in  Barcelona). 

Theilweise  aus  der  Rechtsprechung  der  Seegerichte  sind 
besondere  Seerechte  hervorgegangen:  Venedig  1255.  Amalfi 
(tabula  Amalfitana  —  vermuthtich  dem  13.  und  14.  Jahrhundert 
angehörig),  Trani  (1363?,  es  wird  behauptet  1063,  1183,  1453), 
Barcelona  (costums  de  la  mar,  13,  Jahrhundert,  später  genannt 
Ubro  de  consolat  de!  mar,  in  letzter  Redaktion  um  1370), 
Ancona  (spätestens  1397),  Ol^ron  jjei  La  Rochelle  (vielleicht 
cchon  aus  dem  12.  Jahrhundert).  Anderswo  bildet  das  See- 
recht einen  Theil  des  Statuts  der  Seehandelsgilde  (Pisa:  breve 
curiae  maris  1305,  breve  dell'  ordine  di  mare  1332)  oder  des 
Stadtrechts  (z.  B.  in  Genua  13.  und  14.  Jahrhundert,  Mar- 
seiUe  1255). 

In  den  Kolonialstaaten  gilt  durchgehends  das  besonders 
kodificirte  Recht  der  Mutterstadt,  z.  B.  genuesisches  Recht  in 
Pera  (Galata):  magnum  volumen  Peyre  1316,  und  in  der  Krim 
(Gazaria):  imposicio  ofäcii  Gazariae  1313 — 1441;  pisanisches 
Recht  in  Sardinien:  breve  portus  Kallaretani  1318. 

Daneben  finden  sich  endlich  zahlreiche  Ein^lgesetze,  wie 
Mäklerordnungen  (z.  B.  Barcelona  1271),  Handelsprozessgesetze 
(z.  B.  Valencia  zwischen  1336/43),  Versicherungsgesetze  (z.  B. 
Barcelona  1435—1484)  u.  A.  m. 

5.  Eine  Rechtsganeinschaft  der  italienischen  oder  sonstigen 
romanischen  Kaufleute  verschiedener  Handelsplätze  im  Aus- 
lande findet  sich  nur  ausnahmsweise.  VornehmlicE"  in  Frank- 
reich  auf  den  Messen  der  Champagne  besteht  seit  dem  Aus- 
gange des  13.  und  im  Laufe  des  14.  Jahrhunderts  eine  Ver- 
bindung  der  provengalischen  Handelsstädte  und  eine  noch 
bedeutsamere  univcrsit^is  mercatorum  Lombardonim  et  Tusca- 
norum  unter  einem  Generalkapitän,  welcher  den  Specialkonsuln 
der  einzelnen  zum  Verbände  gehörigen  Städte  und  Innungen 
übergeordnet  ist  (meine  Universalgesch.  S.  193—200).  Die 
Champagnemessen  aber  sind  seit  dem  12.  Jahrhundert  die 
Mittelpunkte  des  Waaren-  und  Geldverkehrs  für  das  ganze 


üigilizecoy  Google 


3-   Du  Hutdelvecht  in  Hitldtlter.  41 

westliche  Europa;  auf  sie  werden  GeldverpQicfatungen  aller 
Art  abgestellt,  die  Champagner  Messplatze  sind  europäische 
Wechseldomizile.  t^iH  da  die  sechs  JahresineSS<:tu  (](!r  vier 
Messplätze  (L^gny  sur  Marne  [1],  Bar  surAube  [1],  Provins[2], 
Troyes  [2]),  eine  jede  über  sechs  Wochen  während  und  in 
etwa  zweimonatlichen  Zwischenräumen  aufeinanderfolgend, 
nahezu  das  ganze  Jahr  ausfüllten,  so  war  die  Champagne  ein 
gleichsam  ständiger  Mess-  und  Zahlungsplatz.  Die  hier  kon- 
trabirten  Schulden  unterlagen  der  ausschliesslichen  Jurisdiktioo 
des  MessgCTchts,  genossen  stillschweigende  Hypothek  und  un- 
bedingten Vorzug  vor  sonstigen  Schulden,  wurden  im  schleu- 
nigen Verfahren  abgeurtheilt  und  mit  äusserster  Strenge  durch 
Personalhaft  exequirt.  Polizei  und  Gerichtsbarkeit  der  Messen 
wurden  von  der  landesherrlich  bestellten  Messbehörde  gehand- 
habt, den  maltres  oder  gardes  des  foires  (custodes  nundinarum) ; 
Berufung  geschah  an  das  Obergericht  der  Champagne~oder 
an  das  Pariser  Parlament.  Gegen  Schuldner,  welche  sich  dem 
Gerichtszwang  entzogen,  erging  Ezekutionsmandat  der  Mess- 
behOrde  mittelst  Befehls  bezw.  Requisition  an  das  Heimaths- 
gericht,  unter  Androhung  des  Messbannes,  dessen  Vollstreckung 
für  alle  Angehörigen  der  betreffenden  Stadt  oder  des  betreffen- 
den Staates  den  Ausschluss  von  der  Messe  nach  sich  zog.  Die 
MessbehOrde  bildete  so  eine  Centralbehörde,  von  welcher  Kauf- 
leute  aller  Nationen  Schutz  gegen  Vertragsbruch  und  sonstige 
Rechtsverletzungen  erlangten. 

Mit  dem  Verfall  der  Champagnemessen  seit  der  Mitte 
des  14.  Jahrhunderts  wurde  das  sb^rage  Messrecht  auf  neu 
errichtete  Messen  übertragen,  insbesondere  auf  ^  zuerst  1419 
«richteten,  1494  definitiv"  geordneten  Messen  von  Lyon,  deren 
BlUthe  dem  16.  und  17.  Jafariiundert  angehört.  Nunmehr  ist 
Lyon  der  Hauptbank-  und  Zahtplatz  des  ■westlichen  Europa, 
doch  wird  das  lu^prUngUche  Messgericht  später  zum  all- 
gemeinen, hochprivilegirten  Handelsgericht  (itribunal  de  conser- 
vationt).  (Meine  Universalgeschichte  S.  224—237  und 
meine  Abhandlung,  Zeitschr.  f.  Handelsr.,  Bd.  40,  S.  1  ff.) 

6.  Das  so  entwickelte  romanische  Handelsrecht  lehnt) 
sich  zum  erheblichen  Theil  an  römische  Satzungen  unJ  föriiisch-  ■ 
griechisches  »Vulgarrecht»  an;  insbesondere  findet,  mit  3er  i 
allmäligen  Wiederannäherung  des  mittelalterlichen  Handels- 
betriebes an  den  kapitalistischen  Grossbetrieb  der  römischen 

^  „Google 


42  Huidelnedit     (Gaduchtliche  EntwicUnng.) 

Kaiserzeit,  das  klassische  römische  Recht  umfassende  An- 
wendung, aber  ergänzt  und  modificirt  durch  neue  fruchtbare 
Rechtsbildungen,  während  die  dem  Grosshandel  ungeeigneten 
Satzungen  der  späteren  römischen  Kaiserzeit  zum  erheblichen 
Theile  au^estossen  werden.  Die  neuen  RechtsschSpfungen 
der  romanischen,  insbesondere  der  italienischen  Kaufmannswelt 
zeugen  von  hoher  wirtfaschaftlicfaer  Einsicht,  genialer  Rechts- 
begabuug  und  sicherer  praktischer  Schulung,  sie  stehen  eben- 
bürtig neben  den  ewigen  Schöpfungen  der  klassischen  römi- 
schen Jurisprudenz.  Es  genügt  der  Hinweis  auf  die  diffe- 
rentiirten  Gesellschaftsformen :  der  commenda,  aus  welcher  wie 
die  heutige  Kommandit-  und  stille  Gesellschaft,  so  wesentlich 
das  heutige  Kommissionsgeschäft  hervorgegangen  ist  —  der 
offenen  Handelsgesellschaft  —  des  Aktienvereins  ^  auf  die  sich 
mehr  dem  hellenischen  Recht  anschliessende,  unter  der  Ein- 
wirkung formalen  germanischen  Urkundenrechts  entwickelte 
Ausbildung  der  Werthpapiere  ^  insbesondere  der  Order-  und 
Inhaberpapiere;  auf  das  Kredit-  und  Zahlungsgeschaft  ins- 
besondere des  Bankverkehrs,  welches  nahezu  in  seiner  heutigen 
Gestalt  vollentwickelt  ist  Für  den  Seeverkehr  ist,  neben  dem 
allmälig  durchdringenden  reifen  römischen  Recht  auch  mancher 
wichtige  neue  Rechtssatz,  z.  B.  hinsichtlich  der  Haftung  des 
Rheders,  hinsichtlich  der  Rhederei,  des  Frachtgeschäfts,  vor- 
nehmlich durch  die  Ausbildung  des  Konnossements,  zur  Geltung 
gelangt.  Aus  dem  antiken  Seedarlehn  hat  sich  auf  der  einen 
Seite  die  Prämienassekuranz,  auf  der  andern  Seite  die  schrift- 
liche Geldrimesse  herausgebildet,  welche  zunächst  in  Form 
des  domizilirten  Eigenwechsels,  seit  dem  Ausgange  des  14.  Jahr- 
hunderts insbesondere  in  Form  der  Tratte  (namentlich  Mess- 
tratte) zum  wichtigsten  Werkzeug  des  interlokalen  wie  inter- 
nationalen geldwirthschaftlichen  Kreditverkehrs  wird  und  bereits 
in  den  Kaufmannsstatuten  von  Bologna  1509  eine  umfassende 
statutarische  Regelung  findet.  (Ueber  all  dies  im  Einzelnen 
meine  Universalgeschichte  S.  237— 465,  wo  auch  die  Special- 
literatur angeführt  ist.) 

7.  Das  romanische  Handelsrecht  wird  in  der  Hauptsache 
auch  im  östlichen  und  nördlichen  Europa  recipirt.  Diese 
Reception  hat  allmälig  seit  Ausgang  des  "Mittelalters  statt- 
gefunden, theils  direkt  jm  internationalen  Handelsgebrauch, 
tbeils  unter  dem  Einfluss  der  überall  verbreiteten  italienischen 


i;lc 


3.  Dh  HudelvMbt  im  MitieUIler.  43 

Kanfleute  und  der  romanischen  Literatur.  Aus  den  Ent- 
scheidungen  der  italienischenGerichte ,  insbesondere  der  rota 
Genuae,  aus  den  italienischen  Schriftstellera  des  16.,  17.,  18. 
Jahrhunderts:  Stracca,  Scaccia,  Rafael  de  Turri,  Cardinalis  de 
Laca,  Roccus,  Ansaldus,  Casaregis  schöpfte  überall  die  ge- 
lehrte Doktrin  und  Praxis.  Man  sehe  z.  B.  den  tractatus^  de 
iure  commerciorum  des  Lübecker  Bürgermeisters  Joh.  Marquaid 
1662.  Denn  der  neue  geldwirthschaftliche  Kreditverkehr  findet 
in  diesem  romanischen  Rechte  seine  entsprechendste  Regelung, 
und  das  dürftigere,  wie  überall  päftikülär~zersplitterte  ein- 
heimische,  insbesondere  das  deutsche  Recht  unterliegt,  wie  dem 
reicheren  und  universalen  rOmischen  Civilrecht,  so  auch  dem 
durch  die  gleichen  Eigenschaften  ausgezeichneten  Handelsrecht 
der  Mittehneerstaaten.  Namentlich  lässt  sich  in  Flandern  und 
Brabantj  wo  Brügge,  später  Antwerpen  Mittelpunkte  eines  um- 
fässenden  europäischen  Verkehrs  bilden,  bereits  im  15.  Jahr- 
hundert das  wa(±scnde  Eindringen  des  Italienischen  KecTits 
verfolgen,  wie  auf  der  anderen  Seite  insbesondere  die  seit  dem 
iSTJalirhundert  festgeordnete,  vorwiegend  oberdeutsche  Faktorei 
in  Venedig,  das  Kauf-  und  Lagerhaus  der  Deutschen  (fondaco 
dei  Tedeschi),  die  Kenntniss  des  italienischen  Handelsgebrauchs 
vermittelt.  (Thomas,  Das  Kapitular  des  Deutschen  Hauses 
in  Venedig,  1874.  Simonsfeld,  Der  fondaco  dei  Tedeschi 
in  Venedig,  2  Bde.,  1887.)  Das  überreiche  Material  des 
niederländisch-belgischen,  deutschenj  englischen,  skandinavischen 
Statütar-,  Gesetzes-  und  Urkundenrechts,  die  Masse  der  Zunft- 
röllen  un3"Gfldestatuten  zeigt  zwar  bedeutsame  Ansätze  zu 
selbstständiger  Ausbildung  des  Handelsrechts,  doch  findet  sich 
nur  Weniges  darin,  was  die  Reception  des  romanischen  Handels- ji 
rechts  überdauert  und  so  zur  universalen  Geltung  geTaiigf  ist.|| 
Ueberall  war  die  Innungsgerichtsbarfeeit  dürftiger  entwickelt 
als  in  Italien,  der  Umfang  autonomer  Rechtsbildung  ein  weit- 
aus geringerer.  (Man  vgl.  z.  B.  Pauli,  Lubeckische  Zustände 
im  Mittelalter,  I.— ffl.,  1846,78.  Th.  Hirsch,  Danzig's  Han- 
dels- und  Gewerbsgeschichte,  1858.  Neamann,  Beilageheft 
zur  Zeitschr.  f.  das  ges.  Handelsrecht,  Bd.  VTI.  Gengier, 
Deutsche  Stadtrechtsalterthümer,  1882.  Neu  mann,  Geschichte 
des  Wuchers  in  Deutschland,  1865.  Femer  die  Specialwerke, 
z.  B.  über  Basel  [Geering],  Strassburg  [Schmoller]  u.  v.  A. 
J.  Falke,  Geschichte  des  deutschen  Handels  I,  11,    1859/60.) 


lOglc 


44  Hindelscecht.     (Geschichüiche  Entiricldung.) 

Sogar  der  mächtige  Bund  der  deutseben  Hanse,  wie  hoch  auch 
seine  politische  und  wirthschaftliche  Bedeutung  vomehmlich 
fUr  das  nth-dliche  Europa  Jahrhunderte  hindurch  gewesen  ist, 
hat  doch  in  seinen  Rechtssatzungen,  insbesondere  den  Recessen 
der  Hansetage,  den  Statuten  der  hansischen  Kontore  u.  A,  m. 
nur  wenige  dauernde  Schöpfungen  hervorgebracht.  (Vgl, 
Sartorius-Lappenberg,  Urkundliche  Geschichte  des  Ur- 
sprungs der  deutschen  Hanse,  1830,  2  Bde.,  insbesondere  die 
Publikationen  seit  1872:  Hanserecesse,  in  3  Abtheitimgen 
[1256—1430;  1431—1476;  1477—1530],  bisher  16  Bde.  Höhl- 
baum, Hansisches  Urkundenbuch ,  bisher  3  Bde.,  1876/86. 
Hansische  Geschichtsblätter  seit  1872.  D.  Schäfer, 
Die  Hansestädte  und  König  Walderoar  von  Dänemark,  1879 
u.  V.  A.)  Nur  das  Seerecht  zeigt  wichtige  Eigenthümlichkeiten, 
welche  sich  über  das  Mittelalter  hinaus  behauptet  haben :  eine 
kodificirende  Zusammenfassung  enthält  der  Recess  von  1591. 
revidirt  als:  Der  Ehrsamen  Hansestädte  Schiffsordnung  und 
Seerecht  1614.  Das  »"Waterrecht  c,  d.  h.  die  den  Namen  des 
Wisby'schen  Seerechts  tragende,  zuerst  1505  in  dem  gegen- 
wärtigen TTmlange  publicirte  Kompilation  (am  besten  Schlyter, 
Corpus  iuris  Sueo-Gotorum  antiqui  vol.  VIII:  Wisby  stadslag 
och  sjsrätt,  Lund  1853)  ist  in  ihrem  ersten  Haupttheile  dem 
Seerecht  von  Olöron  entlehnt,  in  ihrem  zweiten  Haupttheile 
auf  der  Grundlage  des  eisten,  wahrscheinlich  1407  zu  Amsterdam 
für  das  hansische  Kontor  zu  Brügge  festgestellt,  endlich  durch 
mancherlei  Zusätze,  insbesondere  aus  dem  lübisch-hamburgi- 
schen  Rechte  erweitert. 

4.    Das  Handelsrecht  der  neueren  Zelt. 

1.  In  Folge  der  Entdeckung  des  Seeweges  nach  Indien 
und  der  neuen  Welttheile,  des  Vordringens  der  osmanischen 
(türkischen)  Macht,  der  spanischen  Herrschaft  über  einen  Theil 
Italiens  und  der  südlichen  Niederlande,  der  politischen  und 
wirth  schaftlichen  Centralisation  der  mittel-  und  nordeuropäischen 
Staaten  mit  Ausnahme  Deutschlands  geht  die  Seeherrschaft 
von  Italien  und  Deutschland  zeitweise  auf  die  Staaten  am 
Altlantischen  Ocean  über.  Die  neuen  WeMlheile,  später  Indien 
und  beträchtliche  Gebiete  Nord-  und  Ostasiens  werden  euro- 
päische Kolonialstaaten,   an   denen  Italien  und  Deutschland, 


4,   Du  Handelirecltt  der  neaeren  ZeiL  45 

trotz  anßinglicheti  Mitbewerbs  im  indischen  Handel,  keinen 
Antbeil  haben.  Die  Besitzer  der  neu  entdeckten  oder  zugäng- 
licher gewordenen  Kontinente,  Portugal  und  Spanien,  dem- 
nächst die  nach  glorreichem  Befreiungskampfe  zu  hoher  wirth- 
schaftlicher  und  KulturUuthe  aufsteigenden  nördlichen  Nieder- 
lande monopolisiren  den  Kolonialbandel ;  insbesondere  wird 
Amsterdam  der  Hauptmarkt  wie  der  ostindischen  so  der 
nordischen  Waaren,  im  17.  Jahrhundert  der  europäische 
Geldmarkt;  seine  Börse  nimmt,  wie  heute  die  Londoner, 
eine  weltbeherrschende  Stellung  ein.  Mit  Cromwell,  dauernd 
seit  dem  18.  Jahrhundert,  beginnt  die  industrielle  und  mari- 
time Vorherrschaft  Englands ,  welchem  im  19.  Jahrhundert 
rivalisirend  der  grosse  nordamerikanische  Freistaat  zur  Seite 
tritt.  Frankreich  gelangt  seit  Heinrich  IV.  durch  glückliche 
Eroberungskriege  und  geschickte,  vielfach  vorbildliche  Ver- 
waltung (Sully,  Richelieu,  Colbert)  zu  wirthschaftücher  Blüthe, 
während  seine  Kolonialpolitik  ohne  dauernde  Erfolge  bleibt. 
Deutschland  strebt  nach  dem  tiefen  wirthscfaaftlichen  Nieder- 
gang, welcher  sich  vornehmlich  an  den  furchtbaren  Dreissig- 
jährigen  Krieg  knUpfte,  zunächst  in  seinen  Einzelstaaten,  vor 
allen  in  Brandenburg-Preussen,  wieder  empor;  aber  erst  in  dem 
Zollverein  (1833)  ward  es  zum  grösseren  Theile  wirthschaft- 
lich,  in  dem  Deutschen  Reiche  (1870/71)  wirthschaftlich  wie 
politisch  voll  geeinigt.  Endlich  hat  auch  Italien  die  im  Mittel- 
alter stets  vergeblich  angestrebte  staatliche  Einheit  in  dem 
letzten  Menschenalter  erreicht. 

2.  Wenn  die  Entdeckung  und  leichtere  Zugänglichkeit 
der  entfernteren  Welttheile  eine  unermessliche  Zunahme  der 
Waarenmenge  (Kolonial waaren,  wie  Kaffee,  Thee,  Zucker,  Baum- 
wolle o.  dgl.),  die  gesteigerte  industrielle  Thätigkeit  das  gewaltige 
Anwachsen  der  Industrieerzeugnisse  hervorruft,  so  entspricht 
die  gleichfalls  erheblich  gewachsene  Gold-  und  Silberproduktion 
doch  nicht  annähernd  dem  Bedlirfniss  an  Zahlungsmitteln.  So 
gelangt  der  Metallgeld  sparende  Kreditverkehr  zu  seiner 
vollen  Ausbildung ;  seine  Werkzeuge  sind  der  sich  insbesondere 
durch  das  Giro  vervollkommnende  Wechsel  nebst  den  ander- 
weitigen Geldpapieren  (Banknoten,  Checks,  Anlehenspapieren) 
und  der  sinnreiche  Mechanismus  der  Abrechnungsoperationen. 
Bank-,  Assekuranzgeschäft,  Kolonialhandel,  in  wäc'hsenäenrtJm- 
fang  betrieben,  erfordern  die  volle  Durchbildung  des  Systems 


46  Haodeltrecbt.    (Geschichtliche  Entwicklung.) 

der  bescbränbten  Haftung,  wie  es  in  den  Aktienvereinen,  den 
tCommandit-  und  Aktienkonunanditgesellschaften  zu  Tage  tritt. 
Das  immer  mehr  verknöchernde  und  zur  Lösimg  wirthschaft- 
licber  Aufgaben  unfähige  Zunftwesen  wird  zuerst  in  England 
gebrochen ,  später  in  Frankreich  imd  dem  übrigen  Europa, 
aber  die  den  Selbstständigkeitstrieb  erstickende,  wenngleich 
energisch  reformirende  Staatspolizei  (Schmoller,  Jahrb.  für 
Volkswirthschaft,  VIII)  ;vermag  auf  die  Dauer  die  Wieder- 
belebung genossenschafthcher  Organisation  (insbesondere  eng- 
lisch-deutsche Erwerbs-  und  Wirthschaftsgenossenschaften)  nicht 
zu  hindern. 

Wachsende  finanzielle  Bedürfnisse  der  Staaten,  Gemeinden, 
Aktienvereine  führen  zur  Vervollkommnung  der  Anlehens- 
S3^teme;  Aktienbriefe  und  Anlehenspapiere  werden  Objekt  der 
Kapitalanlage  wie  des  handelsmässigen  Umsatzes,  und  es  bildet 
sich  der  neue  Geschäftszweig  des  sog.  Papier-  oder  Effekten- 
handels mit  originellen,  später  auch  auf  den  Waarenhandel  Über- 
tragenen Geschäftsformen,  schon  früh  zur  Agiotage  (Börsen- 
spiel) ausartend.  Der  Gegensatz  des  Platz-  und  des  Distanz- 
geschäfts in  Abschluss  und  Erfüllung  bildet  sich  zufolge  der 
gesteigerten  Kommunikationsmittel  schärfer  herai^.  Neben 
und  zum  Theil  an  Stelle  der  vorübergehenden  Märkte  und 
Messen  treten  die  Börsen  als  ständige  Mittelpunkte  des  Gross- 
bandels  und  Regulatoren  der  möghchst  nivellirten  Marktpreise. 
Endlich  tritt  neben  die  sich  vervollkommnende  Schiffahrt 
(Dampfschiff,  Eisenbau  etc.)  ebenbürtig  der  Grossbetrieb  des 
Landtransports  (Eisenbahnverkehr)  und  des  Nachrichten  Verkehrs 
(Post,  Telegrapbie,  Telephonie), 

3.  Mit  den  Fortschritten  des  Wirthschaftslebens  hält  die 
Entwicklung  des  Handelsrechts  nicht  immer  gleichen  Schritt 
Denn  die  gewohnheitliche  Rechtsbildung  war  vielfach  ein- 
geengt durch  verkehrte  Anschauimgen  über  das  Gewohnheits- 
recht,  durch  die  Tlnkpnntriiss  der  gejplirfpn  (Iprirhfp^  welche 
man  in  steigendem  Maasse  mit  der  Rechtsprechung  auch  in 
Handelssachen  betraut  sind,  durch  reglementirende  und  immer 
mehr  sich  territorial  abschliessende  Gesetzgebung,  welche  zur 
Abschwächung  der  universalen  Recbtsbildung  führt.  Immer- 
bin haben  selbst  die  Kodifikationen,  welche  das  bisherige  ge- 
meine Recht  und  Gewohnheitsrecht  völlig  ausschlössen,  auf 
die  Dauer  die  naturgemäss  kosmopolitische  Entwicklung   des 

.  -  ...GooqIc 


4-    Du  Handelnecht  der  neaeren  Zeit.  47 

Handelsrechts  nicht  verhindert,  indeci  das  fremde  Gesetz  vielfach 
vorbildlich  benutzt  oder  gar  kopirt  und  so  mittelst  gegenseitiger 
Entlehnvmg  pJn  Stampf  yfmpiiisamen  Rechts  geschaffen  wurde. 

Am  wenigsten  hat  England  nebst  seinen  Kolonialstaaten,  i 
insbesondere  auch  den  Vereinigten  Staaten  von  Amerika,  die  I 
handelsrechthche  Kodifikation  begünstigt ;  den  Grundstock  des  | 
Handelsrechts  bildet  hier  noch  immer  das  als  Theil  des  common 
law  geltende,  in  der  Praxis  der  Obergerichte  anerkannte  Han- 
delsgewohnheitsrecht  ~^aw   mercbant;   lex  mercatoria),   wenn- 
gleich  die  2^hl  wie  der  Üinfang  der  Handelsgesetze  (Statutes) 
in  stetem  Wachsen  begriffen   ist,   und   in  den  amerikanischen 
Einzelstaaten  vielfach  eine  hOchst  umfassende  Handelsgesetz- 
gebang  besteht. 

Wenn  aber  bereits  die  revidirten  Kaufmannsstatuten  der 
it^ieniscben  und  spanischen  Handelsstädte  eine  näEezu  er- 
schOpfende  Fixirung  des  Handelsrechts  anstreben ,  so  wurde 
das  gleiche  Ziel  für  ein  grosses  Staatsgebiet  insbesondere  in 
Frankreich  seit  dem  17.  Jahrhundert  verfolgt.  Mit  den  beiden 
berühmten  Handelsgesetzen,  der  Ordonnance  du  commerce  1673 
tmd  der  Ordonnance  de  la  marine  1681  tntt  dasselbe  an  die 
Spitze,  zwar  nicht  der  Entwictfung  des  Handels,  aber  doch 
des  Handelsrechts;  wesentlich  auf  ihnen  beruht  der  noch  jetzt 
geltende  code  de  commerce  von  1807,  welcher  für  einen  grossen 
Theil  der  civilisirten  Welt  direkt  oder  indirekt  zur  Herrschaft 
gelang  ist  An  die  beiden  ersterwähnten  Gesetze  schliesst 
sich  auch  die  revidirte  Handelsordnung  von  Bilbao  von  1737, 
die  Grundlage  des  späteren  spanischen  Handelsrechts. 

In  den  deutschen  Territorien  bestanden  die  zahlreichsten 
Stadt-  und  Laadrecbte  wie  Einzelgesetze  verschiedenster  Be- 
nennung  und  Inhalts:  Markt-,  Mess-,  Börsen-,  Merkantil-,  Pro- 
kuren- ,  Firmen- ,  Wechselordnungen ,  Seegesetze  etc.  Der 
preussische  Staat  erhielt  gemeinsames  Recht  in  der  Wechsel- 
ordnung von  1751,  der  Assekuranz-  und  Havereiordnung  1766; 
ein  erstes,  unter  überwiegendem  Einfluss  hamburgischer  Kauf- 
leute tmd  Juristen  verfasstes,  vollständiges  kodificirtes  Handels- 
recht als  Theil  des  Allgemeinen  Landrechts  von  1794:  II.  8 
§§  475 — 2464,  welchem  dann  als  erstes  selbstständiges  Handels- 
gesetzbuch der  französische  Code  de  commerce  folgte  und  als- 
bald auch  in  zahlreichen  Theilen  Deutschlands  gesetzliche  Auf- 
nahme fand. 


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48  Huidelsrecht    (Getchichtlkhe  EntwicUmig.) 

4.  Der  unleidlichen,  immer  tiefer  empfundenen  Rechts- 
zersplitterung haben  für  Deutschland  abgeholfen :  die  vortreff- 
Uche  Allgemeine  Deutsche  Wechselordnung  ^  verfasst  1847, 
nebst  den  ergänzenden  und  modifiorenden  sog.  Nürnberger 
Novellen,  verfasst  1861;  das  Allgemeine  Deutsche  Handels- 
gesetzbuch ,  verfasst  1857—1861;  die  Bundes-  bezw.  Relchs- 
gesetze,  welche  diese  ursprünglich  partikulär  eingeführten 
Gesetzbücher  zum  Bundes-  bezw.  Reichsrecht  erhoben  und 
dessen  einheitliche  Anwendung  garantirt  haben  (Gesetz  vom 
5.  Juni  und  12.  Juni  1869);  endlich  zahlreiche  ergänzende, 
theilweise  abändernde  Reichsgesetze  (zusammengestellt  mit  den 
beiden  Gesetzbüchern  z.  B.  in  der  Ausgabe  von  Schröder, 
7.  Aufl.  1891;  Friedberg  1890  [3.  Aufl.  1894]). 

5.  Neben  diesem  so  kodificirten  Deutschen  Handels- 
recht, welches,  mit  Ausschluss  des  Seerechts,  wenig  modificirt 
auch  in  den  dsleithanischen  Theilen  der  Osterreichischen 
Monarchie  gilt,  bestehen  zur  Zeit  folgende  Rechtsgebiete: 

Das  Gebiet  des  englischen  (bezw.  nordamerikanischen) 
Rechts  —  von  welchem  das  schottische  Recht  wesentlich  ab- 
weicht ;  Gesetzbücher  bestehen  in  einzelnen  Kolonien,  z.  B.  in 
Malta  (1857)  und  Niederkanada  (1866). 

Das  Gebiet  des  französischen  Handelsrechts ,  zu 
welchem,  nach  französischer  Auffassung,  auch  das  Konkurs^ 
recht  gehört.  Der  jetzt  in  der  Hauptsache  veraltete  code  de 
commerce  ist  durch  zahlreiche  neue  Gesetze  sehr  erheblich  er- 

Igänzt  und  modificirt  —  eine  Revision  des  ganzen  Societäts- 
rechts  ist  im  Gange.  Er  gilt  noch  gegenwärtig  im  Königreich 
Polen  und  in  Luxemburg;  ist  wenig  verändert  übergegangen 
in  die  Handelsgesetzbücher  von  Griechenland,  der  ionischen 
Inseln,  des  Fürstenthums  Monaco,  der  Türkei  und  Egyptens, 
San  Domingos  und  Haitis,  früher  auch  Rumäniens  (1841  bezw. 
1863);  er  bildet  endlich  die  Hauptgrundlage  des  Holländi- 
schen Handelsgesetzbuches  (1838),  obwohl  dasselbe  im  See- 
und  Versicherungsrecht  mehr  dem  älteren  einheimischen  Recht 
folgt  (für  Handelspapiere,  insbesondere  Wechsel,  ist  ein  Gesetz- 
entwurf auf  deutscher  Grundlage  ausgearbeitet,  1886),  sowie 
der  zahlreichen  älteren  Handelsgesetzbücher  der  italienischen 
Einzelstaaten  und  noch  des  gemeinsamen  italienischen  Handels- 
gesetzbuchs von  1865. 

Das  Gebiet  des  spanisch-portugiesischen  Handel 

oogic 


4-   Dm  HudebMcbt  der  nenetca  Zeil.  49 

rechts.  Mutterrechte  sind  das  spanische  Gesetzbuch  von  1829 
und  das  sehr  originelle  portugiesische  von  1833,  beide  stark 
beeinflusst  vom  älteren  einheimischen  wie  französischen  Recht; 
Tochteirechte  sind  die  Gesetzbücher  der  spanischen  und  portu- 
giesischen Kolonialstaates  Amerikas,  nSmlich  von  Brasilien 
(1850),  La  Plata-Staaten  und  Argentinien  (1869,  1862,  jetzt 
neu  1889),  Peru  (1853),  Chile  (1865)  u.a.m.,  zuletzt  Mexiko 
(1857,  jetzt  neu  1889).  In  allen  diesen  Staaten  ist  die  frühere 
Geltung  der  Ordenanzas  von  Bilbao  beseitigt;  einzelne  haben 
wieder  von  einander  ihr  Gesetzbuch  entlehnt,  z.  B.  Uruguay 
(Montevideo)  und  Paraguay  von  Argentinien,  Honduras  von 
Chile. 

Das  Gebiet  des  französisch-deutschen  Handelsrechts, 
d.  h.  Gesetzbücher  auf  wesentlich  französischer  Grundlage,  aber 
mehr  und  minder  stark  beeinflusst  von  dem  neuen  deutschen 
Recht.  So  das  Gesetzbuch  von  Serbien  (1860),  das  in  den 
Jahren  1867 ff.  allmälig  revidirte  belgische  Handelsgesetz- 
buch und  das  neue  italienische  Handelsgesetdmch  (1882). 
Das  letztere  wiederum  ist  stark  benutzt  in  dem  neuen  span  i- 
schen  Handelsgesetzbuch  (1885)  und  ist  in  der  Hauptsache 
übergegangen  in  das  neue  rumänische  Handelsgesetzbuch 
(1887)  wie  das  neue  portugiesische  Handelsgesetzbuch 
(1888). 

Das  Gebiet  des  modificirten  deutschen  Handels- 
rechts, d.  h.  selbstständige  Gesetzbücher,  aber  wesentlich  auf  der 
Grundlage  des  deutschen  Handelsgesetzbuchs  und  der  deutschen 
Wechselordnung,  Dahin  gehören  das  Handelsgesetz  für  das  ] 
Königreich  Ungarn  (1875),  desgleichen  Wechselgesetz  (1876):  ( 
eine  nicht  immer  glückliche  Modifikation  der  deutschen  Gesetz- 
bücher-, das  schweizerische  Bundesgesetz  über  das  Obli- 
gationenrecht (1881),  welches  auch  Handelsrecht  und  Wechsel- 
recht in  origineller,  aber  nicht  immer  klarer  Verbindung  mit 
dem  gemeinen  Civilrecht  enthält;  für  das  Wechsebecht  auch 
die  drei  skandinavischen  Reiche  (1880)  und  Finnland  (1859); 
für  das  Seerecht  einstweilen  Schweden  (1864,  insbesondere  1891), 
Finnland  (1873)  —  Norwegen  und  Dänemark  werden  sich 
anschliessen ,  indem  ein,  in  Schweden  bereits  publicirter  ge- 
meinsamer skandinavischer  Entwurf  vorhegt.  Wesentlich  das 
ungarische  Handelsgesetz  ist  adoptirt  in  dem  Handelsgesetz- 
buch für  Bosnien  und  die  Herzegowina  (1883). 

Galdichmldi,  TenniKhM  Schriften,    n.  4 


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50  Handeltredt.    (GMchichtliehe  EntvicUiiiig.) 

Das  Gebiet  des  skandinavischen  Rechts  —  sehr  ver- 
schieden für  Schweden  einerseits,  für  Dänemark  und  Norwegen 
andererseits,  in  der  Hauptsache  nicht  kodificirt.  Der  Einfluss 
des  deutschen  Handelsrechts  ist  im  Steigen,  in  den  Materien 
des  Wechselrechts  und  Seerechts  bereits  durchgedrungen. 

Das  Gebiet  des  russischen  Rechts.  Das  russische 
Handelsgesetzbuch  bildet  einen  Theil  des  eine  systematische 
Zusammenstellung  älterer  Gesetze  (Inkorporation,  nicht  Kodi- 
fikation) darstellenden  russischen  Gesetzkodex  (Swod  sakönow), 
welcher  in  revidirten  Ausgaben  publicirt  wird  (zuletzt  1887). 
(Eine  deutsche  Uebersetzung  des  grössten  Theils  von  V.  v. 
Zwingmann,  Riga  1889.)  Für  das  Wechselrecht  liegt  ein  1882 
veröffentlichter,  1883  revidirter  Entwurf  auf  deutscher  Grund- 
lage vor.  Finnland  hat,  ausser  den  bereits  erwähnten  neuen 
Gesetzen,  zum  Theil  schwedisches  Recht ;  in  den  Ostseeprovinzen 
gilt  in  erster  Linie  das  kodificirte  Provinzialrecht  (Liv-,  esth- 
und  kurlandisches  Privatrecht  1864):  überwiegend  deutsches 
Handelsrecht. 

Endlich  hat  auch  Japan  ein  wesentlich  auf  deutscher 
Grundlage  verfasstes  und  publicirtes,  aber  noch  nicht  in  Kraft 
getretenes  Handelsgesetzbuch  erhalten  (1890) '.  — 

Die  vorstehende  Uebersicht  zeigt ,  dass  das  g^etzUch 
fixirte  oder  gar  kodificirte  Handelaecht  gegenüber  dem  Han- 
delsgewohnheitsrecht  überall  lin^Vordringen  ist  Der  Umfeng 
des  gesetzlichen  Handelsrechts  ist  freilich  Verschieden.  So  sind 
das  Verlagsrecht,  das  Binnenschiffahrtsrecht,  das  Binnenver- 
sicherungsrecht, zahlreiche  Bankgeschäfte  noch  im  deutschen 
Handelsgesetzbuch  und  dessen  reichsgesetzlicben  Ergänzungen 
nicht  geregelt,  während  sie  in  einzelnen  neueren  Gesetzbüchern 
eine  mehr  oder  minder  umfassende  Normirung  gefunden  haben 
und  bei  der  bevorstehenden  Revision  des  deutschen  Handels- 
gesetzbuchs gesetzlich  fixirt  werden  sollen.  Während  femer 
in  den  Gesetzbüchern  auf  französischer  Grundlage  das  Konkurs- 
recht, zum  Theil  auch  das  Handelsprozessrecht  ausführlich  ge- 
regelt sind,  gehört  das  erstere  nach  deutscher  Anschauung 
gar  nicht  dem  Handelsrecht  an  und  ist  das  letztere  in  der 
deutschen  Gerichtsverfassung  und  der  deutschen  Prozessordnimg 
enthalten,  während  in  einzelnen  Staaten  (z.  B.  Holland,  neuer- 


■  [Inzwischen  am  i.Jannar  1891  in  Kraft  getreten,  vgI.Zet(schr.XLV[Ii36.] 


4-    !>■■  Huide1ic«cht  der  neneKn  Zdt.  51 

dings  in  Italien  und  Spanien)  die  besondere  Handelsgerichts- 
barkeit völlig  beseitigt  ist.  — 

Nicht  mehr  vollständig  ist  die  Zusammenstellung  der 
Handelsgesetze,  welche  in  nicht  immer  zuverlässigen  üeber- 
setzungea  geben: 

S.  Borchardt,  Vollständige  Sammlung  der  deutschen 
Wechselgesetze  und  der  ausländischen  Wechselgesetze  in  deut- 
scher Uebersetzung,  2  Bde.,  1871.  O.  Borchardt,  Samm- 
lung der  seit  1871  publicirten  Wechselgesetze  mit  Uebersetzung 
und  Anmerkungen,  1883,  und  Nachtrag  (das  italienische  Wechsel- 
gesetz), 1883.  O.  Borchardt,  Die  geltenden  Handelsgesetze 
des  Erdballs,  gesammelt  und  in's  Deutsche  übertragen.  Erste 
Abtheilung:  Die  kodificirten  Handelsgesetze,  Bd.  I,  2.  Auft. 
1884,  Bd.  II— V  and  Register,  1884,'87'.  Fortlaufende  Mit- 
theilungen enthalten  die  Zeitschrift  fur  das  gesammte 
Handelsrecht  von  Goldschmidt,  Laband  u,  A.  (seit  1858) 
und  das  Annuaire  de  I^gislation  ätrang^re,  Paris 
(seit  1872),  dazu  Annuaire  de  legislation  fran^ise,  Paris  (seit 
1882),  endlich  die  Annales  de  droit  commercial  fran^ais, 
tftranger  et  international,  public  par  E.  Thaller  Paris  (seit  1886). 

Mit  seiner  Gesetzgebung,  seiner  hervorragenden  Doktrin 
und  Praxis  (0.  A.  G.  Lübeck,  Reichsoberhandelsgericht,  Reichs- 
gericht) ist  Deutschland  seit  dem  letzten  Menschenalter  an  die  \ 
Spitze  der  europäischen  Handelsrechtsentwickelung  getreten 
und  hat  den  bis  dahin  vorherrschenden  Einfluss  des  französi- 
schen Rechts  erheblich  zurückgedrängt.  Aber  ein  einträchtiges 
Zusammenarbeiten  der  grossen  Kultumationen  ist  insbesondere 
auf  diesem  Gebiete  nothwendig  und  trägt  reiche  Früchte. 
Sogar  eine  auf  vertragsmässiger  Regelung  beruhende  Aus- 
gleichung der  noch  zahlreichen  Rechtsverschiedenheiten  wird 
nicht  ohne  Erfolg  erstrebt,  auf  diesem  Gebiete  der  alte  Traum 
der  Recbtsuniversalität  (non  erit  alia  lex  Romae,  alia  Athenis) 
annähemd  zu  verwffElichen  gesucht.  Dahin  gehören  die  inter- 
nationalen Post-  und  Telegraphenverträge  (zuletzt  vereinbart 
1891/92);  die  internationale  Meterkonvention  (1875),  das  (noch 
nicht  allseitig  ratificirte)  internationale  Uebereinkommen  über 
den  Eisenbahnfrachtverkehr  (1891);  die  von  der  association 
for  the  codification  of  the  law  of  nations  und  dem  institut  de 


■  [Sowi«  4  HachCrige  1893— 1S99.] 

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52  Handdvecbt  —  4.  Dh  Handelirecht  der  Deneren  Zeit. 

droit  international,  sowie  zahlreichen  anderen  Vereinigungen 
aufgestellten  Entwürfe  eines  gemeinsamen  europäischen  Wechsel- 
rechts, Havereirechts,  Seefrachtrechts,  welche  in  den  von  der 
belgischen  Regierung  berufenen  internationalen  Handelsrechts- 
kongressen  zu  Antwerpen  und  BrUssel  (1885,  1888)  weitere 
Förderung  erfahren  haben  (Uebersicht:  mein  Handbuch  I», 
§38,  Georg  Cohn,  t>rei  rechtswissenschaftlicbe  Vortrage 
[1888],  III.    Meili,  Die  internationalen  Unionen  [1889]). 

Weniger  als  je  erscheint  endlich  die  von  einigen  Juristen 
(in  DeutscJiland  namentlich  von  Endemann  [früher]  und  von 
Demburg,  in  Italien  von  Vivante  und  Bolaffio,  in  Holland  von 
Molengraaff)  verfochtene  Ansicht  sachentsprechend,  es  müsse 
die  schmerzlich  vermisste  Einheit  des  gesammten  bürgerlichen 
Rechts  dadurch  hergestellt  werden,  dass  das  Handelsrecht  als 
besonderer  Rechtszweig  in  dem  allgemeinen  bürgerlichen  Recht 
aufgehe.  Eine  solche  Unifikation  entspricht  weder  der  ge- 
schichtlich begründeten  relativen  Selbstständigkeit  des  Handels- 
rechts, noch  dem  besonderen  Bedürfniss  des  grossen,  zumal 
internationalen  Verkehrs,  welcher  gebieterisch  ein  seinen  eigen- 
thUmüchen  Zwecken  geeignetes  Recht  erheischt.  Auch  die 
I  immerhin  nur  in  zweiter  Linie  wichtige  Sonderung  des  Han- 
'  delsrechts  in  einem  eigenen  Gesetzbuch  empfiehlt  sich  aus 
>  praktischen  Gründen  und  ist  von  den  legislativen  Faktoren 
E>eutschlands  einmüthig  als  unumgänglich  anerkannt  (s.  den 
Bericht  der  Vorkommission  für  das  bürgerliche  Gesetzbuch  und 
den  Beschluss  des  Bundesrathes  1874  in  der  Zeitschrift  für 
Handelsrecht  XX,  S.  134  ff.  und  meine  Universalgeschichte 
S.  10 ff.).  Nur  versteht  sich,  dass  mit  der  Kodifikation  des 
bürgerlichen  Rechts  manche,  nur  wegen  des  Mangels  eines 
gemeinsamen  bürgerlichen  Rechts  in  das  Handelsgesetzbuch 
aufgenommenen  Rechtssätze,  als  nunmehr  entbehrlich,  aus  diesem 
ausgemerzt  werden  müssen  (s.  auch  Riesser,  Zur  Revision 
des  Handelsgesetzbuchs  Abt.  1,  2,  1887/89,  insbesondere  Abt  2, 
S.  387  ff.).  Im  Uebrigen  ist  es  nicht  Aufgabe  der  Gesetz- 
gebung, auf  Kosten  des  obersten  Rechtszweckes,  welcher  dne 
angemessene  Ordnung  der  Lebensverhältnisse  erheischt, 
eine  nur  formale  Rechtsgleichheit  zu  schaffen,  welche 
sich  als  völlig  unzureichend  erweist,  die  vielfach  auseinander- 
gehenden oder  gar  widerstreitenden  Interessen  der  mensch* 
liehen  Gesellschaft  gleichmassig  zu  befriedigen. 

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Ober  die 
BENÜTZUNG  UND  DIE  BEDEUTimO 

DER 

BERATHUNGS PROTOKOLLE 

fOr  die 

INTERPRETATION 

DES 

DEUTSCHEN  HANDELSGESETZBUCHS. 

(1866.) 


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IQ  seinem  gediegenen  Kommentar  zum  Deutschen  Handels- 
gesetzbuch' entwickelt  Fr.  v.  Hahn  seine  Ansichten  über 
die  Bedeutung  und  Benutzung  der  Berathungsprotokolle  der 
Nürnberger  und  Hamburger  Konferenzen  für  die  Interpre- 
tation des  Deutschen  Handelsgesetzbuchs ;  Einleitung  S.  XLIV 
bis  XLVin  [4.  Aufl.  S.  42—56].  Die  gleichen  Fragen  sind 
gleichzeitig  von  mir  in  meinem  Handbuche  des  Handelsrechts 
Bd.  I  S.  222  f.  [2.  Aufl.  S.  312  ff.]  und  Vorrede  S.  XI  [2.  Aufl. 
S.  IX],  denmächst  ausführlich  von  Schlesinger  (Göttingi- 
sche  Gelehrte  Anzeigen  1864  Stück  50  S.  1968-1979) 
und  wiederum  von  v.  Hahn  (Blätter  für  Rechtspflege  in 
Thüringen  und  Anhalt  Bd.  XII  S.  175—178)  in  Recenaonen 
des  letzterwähnten  Werkes  erörtert  worden.  —  Und  zwar 
stehen  ach,  was  1.  die  Frage  von  der  Bedeutung  der  Proto- 
kolle anlangt,  am  schroffsten  Schlesinger 's  und  meine 
Ansicht  gegenüber,  während  v.  Hahn  in  seinem  Kommentar 
die  von  mir  entwickelte,  ihm  zur  Zeit  aber  noch  nicht  be- 
kannte Ansicht  mit  Gründen  bekämpft,  welche  Schlesinger 
für  nicht  zureichend  erklärt,  dagegen  in  seiner  Recension 
meines  Handbuchs  sich  den  weiter  gehenden  Gründen 
Schlesinger's  anschliesst.  Ich  werde  demgemäss  unter- 
scheiden : 

A.  Die  erste  Erörterung  v.  Hahn's  (Kommentar). 

B.  Die  Erörtenmgen  Schlesinger's  und  die  zweite 
Darstellung  v.  Hahn's  (Bl.  f.  Rechtspfl.  in  Thüringen). 

C.  Ueber  einige  Ausführungen  v.  Hahn's. 


■  Ueber  Bd.  I  Abth.  i  t.  Znttchr.  VI  S.  330.  Dan  >ach  die  Fort- 
■elmig  des  Werkes  durch  gründlicbc  Sacbkeiuitnisa,  lelbitstlndige  Fonchuog, 
getandes  Urtheil  and  kisre  Entwicklung  einen  hervorragenden  Rang  in  der 
huideUrecbtlichen  Liceralur  einnimmt,  mag  hier  nur  beiläufig  bemerkt  nerden. 
[a.  Aufl.  Bd.  I,  1871,  Bd.  11,  1875;  3.  Aufl.  Bd.  I,  1877;  4.  Aufl.  Bd.  I 
Lfg.  I  u.  a,   1894.     In  der  4.  AoH.  S.  5z  hat  Habn  seine  Andcbt  modifiiirt.] 


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56      Ueber  die  Benutzung  und  Bedeutung  der  BerathungsprolokoUe  etc. 

Was  dagegen  die  Methode  der  Benutzung  der  Proto- 
kolle wie  sonstiger  Vorarbeiten  bei  wissenschaftlichen  Erörte- 
rungen anlangt,  so  sind  v.  Hahn  und  ich  darüber  wesentlich 
einverstanden ,  während  Schlesinger  uns  beiden  gleich- 
massig  entgegentritt. 

Diese  letzte,  einfachere  Frage  mag  zunächst  besprochen 
werden. 


L   Die  Benutzung  der  Protokolle. 

Wie  gross  oder  gering  die  Bedeutung  der  Protokolle  für 
die  Interpretation  des  Gesetzbuchs  sein  mag,  ihre  Benutzung 
kami  und  darf  für  diesen  Zweck  nicht  unterbleiben.  Damit 
ist  auch  Schlesinger  einverstanden  a.  a.  O.  S.  1977.  1978. 
Nur  verlangt  er  eine  rechte  Benutzung.  Als  solche  erscheint 
ihm  nicht  die  Mittheilung  von  Stellen  aus  den  Vorarbeiten 
oder  des  Ganges  der  Verhandlungen;  die  nackte  Mittheilung 
aus  der  Entstehungsgeschichte  eines  Gesetzes  sei  eitel  Papier- 
verschwendung und  habe  mit  der  Jurisprudenz,  als  der  Wissen- 
schaft des  positiven  Rechts,  gar  nichts  zu  schaffeiL  Allerdings 
müsse  der  Jurist  die  Protokolle  u.  dergl.  studiren,  aber  das,  was 
er  dadurch  etwa  wissenschaftlich  gelernt  hat,  in  seinem  Geiste 
festhaltend,  im  Uebrigen  so  zu  Werke  gehen,  als  ob  jene 
Aktenstucke  gar  nicht  existirten.  Hierauf  hat  schon  v.  Hahn 
treffend  erwidert.  Das  blosse  Ausschreiben  der  Protokolle, 
einzelner  oder  selbst  aller  Stellen,  ist  freilich  wenig  werth, 
schadet  sogar  nicht  selten  (mein  Handbuch,  Vorrede  S.  XI, 
S.  223  [2.  Aufl.  Vorrede  S.  D£,  S.  314],  Zeitschr.  f.  Handelsr. 
VII  S.  179);  allein  die  gewissenhafte  Ordnung  des  häufig 
für  einen  einzigen  Satz  sehr  reichhaltigen  und  zerstreuten 
Materials  erspart  nicht  allein  jedem  Einzelnen,  welcher 
nun  einmal  den  Inhalt  der  Vorarbeiten  kennen  lernen  will, 
eine  grosse  Mühe,  dem  nicht  vollkommen  Erfahrenen  zahl- 
reiche Missverständnisse,  sondern  sie  erleichtert  auch,  was 
nicht  hoch  genug  angeschlagen  werden  darf,  dem  Leser  das 
Gewinnen  einer  selhstständigen  Ueberzeugung.  Wenn  ein 
denkender  Schriftsteller  sich  für  diese  immerhin  mühevolle, 
und  wenig  anregende  Arbeit  nicht  zu  vornehm  erachtet,  so 
sollte  man,  scheint  mir,  ihm  dafür  eher  Dank  wissen.  Wie 
derselbe  sein  eigenes  Denken  durch    die  Ermittlung  dessen 


oy  Google 


IL   Di«  B«d«ntnaK  dsr  Protokolle.  57 

kontrolirt,  was  vorher  von  Anderen,  und  nun  gar  den  Ver- 
fassern eines  Gesetzes,  Über  denselben  Gegenstand  gedacht 
ist,  so  soll  er  auch  seinen  subjektiven  DUnkel  und  seine  Eitel- 
keit beherrschen,  indem  er,  was  Andere  gedacht  haben,  als 
deren  und  nicht  als  seine  eigenen  Gedanken  kundgibt.  Be- 
natzen und  nicht  cttiren  ist  hier  so  wenig  als  sonst  empfeblens- 
werth.  Handelt  es  sich  aber  gar,  wie  die  Erörterung  der 
zweiten  Frage  zeigen  wird,  nicht  um  blosse  Gedanken  und 
Meinungen  von  Schriftsteilem,  sondern  um  den  Willen  des 
Gesetzgebers,  so  erscheint  es  um  so  mehr  in  der  Ordnung, 
dass  die  zu  dessen  Ermittelung  geeigneten  Aeusserungen  als 
solche  angezeigt  und  nicht  in  Form  individueller  schriftstelle- 
rischer Ansichten  eingekleidet  werden.  —  Dass  mit  solcher, 
selbst  gewissenhafter  Arbeit  freilich  nur  ein  sehr  kleiner 
Theil  der  wissenschaftlichen  Aufgabe  gethan  erscheint,  ist 
eben  so  klar,  als  ich  es  jemals  verkannt  habe  und  einen 
Vorwurf  gerade  nach  dieser  Seite  hin  am  wenigsten  zu  be- 
fürchten glaube.  ■ — 


IL  Die  Bedeutung  der  Protokolle. 
A.    Erste  Erörterung  v.  Hahn's. 

(VeriMser  und  Getetigeber.) 

V.  Hahn  erkennt  an,  dass  ohne  Benutzung  der  Proto- 
kolle kein  gründliches  Studitun  des  Gesetzbuchs  mOgUch  sei, 
dass  dieselben  unter  allen  Interpretationsmitteln  fort  und  fort 
die  erste  Stelle  einnehmen  werden.  »Weiter  aberc  —  heisst 
es  sodann  —  >geht  ihre  Bedeutung  nicht;  eine  äussere  Autorität 
kommt  ihnen  nicht  zu.  Mögen  einer  in  ihnen  enthaltenen  An- 
sicht alle  Mitglieder  der  Kommission  beigetreten  sein,  mag 
beschlossen  sein ,  über  dieselbe  eine  ausdrückliche ,  proto- 
kollarische Erklärung  aufzunehmen  —  wenn  die  Ansicht  sich 
als  innerlich  unbegründet  herausstellt,  so  hat  sie  ebensowenig 
Gewicht  als  die  irrthUmliche  Ansicht  eines  beliebigen  Schrift- 
stellers.* Und  in  der  Vorrede  zur  ersten  Abtheilung  des 
zweiten  Bandes  Seite  VI  bemerkt  er,  >bei  der  Interpretation 
des  ersten  Abschnitts  (von  H.G.B.  Buch  IV)  bin  ich  mit  Gold- 
schmidt vielfach  zu  den  gleichen  Resultaten  gelangt.  Von 
den  EHfferenzpunkten  haben  die  meisten  ihren  Grund  in  der 


oogic 


58      Ueber  die  Benutzung  und  Bedeutung  der  BeratliiiiigtprotolcoUe  etc. 

Verschiedenheit  unserer  Ansicht  über  die  Bedeutung  der  Kon- 
ferenzprotokolle für  die  Interpretation  des  Gesetzes«. 

Nun  habe  ich  in  meinem  Handbuch  Folgendes  ausgeführt : 
Jedes  Gesetz  empfängt  seinen  wahren  Inhalt  nur  durch  den 
mit  den  gebrauchten  Worten  verbundenen  Sinn,  die  Worte 
eines  Gesetzes  sind  nur  der  mehr  oder  weniger  vollkommene 
Ausdruck  des  vom  Gesetzgeber  mit  denselben  verbundenen 
Sinnes.  Jedes  Gesetz  gilt  so,  wie  der  Gesetzgeber  es  erweis- 
lich gewollt  hat,  sofern  dieser  Wille  irgend  einen  Ausdruck, 
wenn  auch  einen  unvollständigen,  unklaren,  zweideutigen  ge- 
funden hat.  Gesetzgeber  in  Bezug  auf  das  D.  H.G.B.  siod 
an  sich  zwar  die  Regierungen  und  Kammern  bezw.  Land- 
stände  der  Einzelstaaten;  da  sie  indessen  das  D.  H.G.B.  nicht 
selber  abgefasst,  vielmehr  durch  die  Nürnberger  und  Hamburger 
Kommission  haben  abfassen  lassen,  und  da  sie  das  Gesetzbuch 
durchaus  unverändert  als  ein  allgemeines  deutsches  haben  ein- 
führen wollen,  so  kann  im  Zweifelsfalle  vernünftigerweise  ihr 
Wille  nur  dahin  gegangen  sein,  dass  der  von  diesen  Kcnn- 
missionen  mit  den  Worten  des  Gesetzes  verbundene  Sinn,  also 
der  Wille  dieser  Kommissionen,  wie  der  Wille  des  wirklichen 
Gesetzgebers  angesehen  werden,  somit  für  die  Auslegung  des 
Gesetzes  maassgebend  sein  solle. 

Mit  Unrecht  beruft  man  sich  hiergegen  auf  die  Autorität 
T  höl's,  welcher  Handelsr.  I  §  11  not.  q.  [6.  Aufl.  I,  S.  83]  bemerkt: 

iDie  Benutzung  derselben  (der  Motive)  zur  Auslegung 
des  Gesetzes  geschieht  fast  durchweg  auf  verkehrte  Weise, 
die  im  Wesentlichen  darauf  hinauslauft,  dass  man  die  gesetz- 
gebende Gewalt,  deren  Wille  in  dem  Wort  des 
Gesetzes  public! rt  ist,  mit  den  einzelnen  Ver- 
fassern des  Gesetzes,  welchen  die  Motive  an- 
gehören, identif icirt.  Man  übersieht,  dass  das  Gesetz 
durch  die  PubUkation  sich  vom  Gesetzgeber  losreisst  und  nun- 
mehr durch  den  systematischen  Zusammenhang,  in  welchem  seine 
einzelnen  Rechtssätze  zu  einander  und  zu  dem  bereits  gelten- 
den Recht  aufzufassen  sind,  so  selbstständig  als  der  public 
cirte  Wille  der  gesetzgebenden  Gewalt  heraustritt, 
dass  der  Wille  und  die  Einsicht  der  eigentlichen 
Verfasser  des  Gesetzes  gleichgültig  wird.  Auf 
dieser  Selbstständigkeit  beruht  es,  dass  das  Gesetz  ein- 
sichtiger sein  kann  als  der  oder  die  Gesetzgeber.« 


ogic 


n.    Die  Bedentoog  der  PiotokoUe.  59 

Alles  das  ist  vollkommen  richtig',  berührt  aber  unsere 
Frage  nicht  im  Geringsten.  Der  Wille  des  Gesetzgebers 
ist  in  dem  Wort  des  Gesetzes  publicirt,  und  dieser  Wille  ist 
nicht  nothwendig  identisch  mit  dem  Willen  der  Verfasser 
des  Gesetzes.  Der  Wille  der  Verfasser  des  Gesetzes  ist 
an  sich  gleichgültig-,  der  Wille  des  Gesetzgebers  ist  nicht 
gleichgtiltig,  wohl  aber  dessen  Einsicht:  insbesondere  kann 
das  Gesetz  eine  weit  grössere  Tragweite  haben,  als  der  Gesetz- 
geber sich  dachte,  oder  es  kann  einem  Gedanken,  der  dem 
Gesetzgeber  nur  unklar  vorschwebte,  einen  klaren  Ausdruck 
verleihen  —  aber  es  kann  als  Inhalt  des  Gesetzes  niemals  das 
Gegentheil  von  dem  gelten,  was  der  Gesetzgeber  mit  dem- 
selben hat  sagen  wollen.  Denn  publicirt  ist  zwar  nur  das 
Wort,  aber  das  Wort  als  Willensausdruck,  also,  wie  Thöl  mit 
Recht  sagt,  der  Wille  in  dem  Wort.  Maassgebend 
ist,  was  der  Gesetzgeber  wollend  gesagt  hatj  ver- 
kehrt wäre  der  Satz:  maassgebend  ist,  was  der  Gesetzgeber 
gesagt  hat,  gleichviel,  was  er  damit  gewollt  hat. 

Auch  hiermit  dürfte  v.  Hahn  in  seiner  ersten  Erörterung, 
Kommentar!  S.XLIV.  XLV  [4.  Aufl.  S.  47, 48],  noch  vollkommen 
Übereinstimmen,  da  er  der  in  den  Motiven  geäusserten  Ansicht 
des  wirklichen  Gesetzgebers,  bezw.  der  tibereinstimmenden  An- 
seht der  mehreren  Gesetzgebungsfaktoren,  auch  wenn  sie  inner- 
lich nicht  begründet  ist,  entscheidende  Bedeutung  für  die  Er- 
gänzung, Präcisirung,  Berichtigung  unvollständiger,  mehr- 
deutiger oder  unrichtiger  Gesetzesausdrücke  zuspricht.  Dagegen 
fuhrt  er  den  von  Tb  öl  nur  hypothetisch  angedeuteten  Gegen- 
satz zwischen  dem  Willen  des  oder  der  Gesetzgeber  und  dem 
Willen  der  Verfasser  eines  Gesetzentwurfs,  speciell  der  Ver- 
fasser des  Deutschen  Handelsgesetzbuchs,  näher  aus  und  ge- 
langt hier  zu  meines  Erachtens  unzulässigen  Ergebnissen ". 

Es  ist  richtig,  dass  formell  die  verschiedenen  Entwürfe 
nebst  ihren  Motiven  nur  eine  »Privatarbeit«  sind.  In  dem 
Augenblicke  jedoch,  wo  der  letzte  Entwurf  von  einer  Regie- 
rung zur  Gesetzesvorlage  erhoben  wurde,  ging  der  Wille  dieser 
Regierung  dahin,  dass  der  I  nhalt  des  Entwurfs  Gesetz  werden 

1  Durch  die  neuerdings  angekllndigte  [demntchil  |E66  erschienene]  Aus- 
gabe der  PiotokoUe  lar  Deut»chen  WechicIordnuDg  gibt  Thel  idber  hin- 
IKoglich  die  Bedentaog  lu  erkenneii,  welche  er  denwlben  beimMt. 

■  [In  der  4.  Aufl.  (S.  53)  hat  Hahn  >eine  Anucht  niodi£iirt.] 


,  Google 


60     Ueber  die  Benumug  und  B«deatnng  der  Bercthongqirotokolle  etc. 

solle,  gleich  als  ob  er  von  ihr  selber  verfasst 
worden  wäre.  Im  Augenblicke  der  Gesetzesvorlage  identi- 
ficirte  sich  die  Regierung  mit  dem  Verfasser,  nicht  anders 
wie  durch  Vorlage  eines  im  Auftrage  nur  dieser  Regierung 
von  ihren  Beamten  oder  von  einem  Privatmann  ausgearbeiteten, 
oder  ohne  solchen  Auftrag  von  einem  EVivatmann  ausgearbeiteten, 
aber  von  dieser  Regierung  adoptirten  Gesetzentwurfs.  Denn 
wie  ein  von  Kommissarien  sämmtlicber  deutschen  Regierungen  — 
und  das  waren  ja  die  Abgeordneten  der  Nürnberger  wie  der 
Leipziger  Konferenz  — ,  welche  überdies  noch  durch  das  Ge- 
sammtorgan der  deutschen  Regierungen,  die  Bundesversanun- 
hing,  einberufen  waren,  verfasster  Entwurf  in  höherem  Grade 
eine  Privatarbeit  sein  soll  als  der  in  dem  Ministerium  des 
einzelnen  Staates  ausgearbeitete  Entwurf,  ist  schwerlich  ein- 
zusehen. Nun  versteht  es  sich  freilich  von  selbst,  dass  weder 
die  Regierung  noch  die  Übrigen  Gesetzgebungsfaktoren  der 
Einzelstaaten  mit  den  Verfassern  des  Entwurfs  tlber  den  Sinn 
der  darin  enthaltenen  Rechtssätze  gleicher  Ansicht  zu  sein 
brauchten;  es  ist  mOglich,  dass  sie  die  Worte  adoptirten, 
dass  ihr  Wille  aber  von  dem  des  Entwurfeverfassers  ver- 
schieden war,  und  wenn  das  klar  erhellt,  so  wird  der  Wille 
des  Verfassers  als  völlig  gleichgültig  erscheinen.  Sofern  aber 
eine  solche  Differenz  nicht  hervortritt,  im  Gegentheil  durch- 
gehends  die  Erhebung  des  letzten  Nürnberger  Entwurfs  zum 
Gesetze  en  bloc,  ohne  alle  Erörterung  der  einzelnen  Fragen, 
erfolgt  ist,  so  bleibt  eben  nichts  Anderes  als  die  Annahme 
tlbrig,  dass  dasjenige  zum  Gesetz  erhoben  sei,  was 
die  Nürnberger  Konferenz  wollend  gesagt  hat. 
Nicht  etwa  darum ,  weil  die  einzelnen  Regierungen  und 
Kammern  die  in  den  Protokollen  und  sonstigen  Motiven  ent- 
haltenen Erörterungen  zu  den  ihrigen  gemacht  hätten,  sondern 
aus  dem  ganz  verschiedenen  Grunde,  weil  ein  Gesetz  nicht 
pnblicirte  Worte,  sondern  einen  in  Worten  publicirten  Willen 
enthält.  Wenn  also  die  gesetzgebenden  Faktoren  der  Einzel- 
staaten nicht  willenlos  die  Worte  des  Nürnberger  Entwurfs 
haben  zum  Gesetz  erheben  können,  so  muss,  da  sie  überall 
einen  eigenen  Willen  nicht  geäussert  haben,  nothwendig  vor- 
ausgesetzt werden,  dass  sie  den  Willen  der  Nürnberger  Kon- 
ferenz als  ihren  eigenen  Willen  haben  angesehen  wissen  wollen. 
Und  dieses  stimmt  auch  allein  zu  der  Verkündung  des  Nürnberger 

,  CiOOglc 


n.    Die  BedcBtimg  der  ProtokoUe.  61 

Entwurfs  als  eines  allgemeinen  deutschen  Gesetzes,  denn  nur 
dann  wurde  das  Gesetz  ein  wirklich  gemeinsames,  d.  b.  ein  Gesetz 
von  überall  gleichem  Inhalt,  wenn  nicht  der  Gesetzgebnngswille 
jedes  einzelnen  Staates,  sondern  ein  von  allen  Staaten  gleich- 
massig  anerkannter  Wille  seinen  Inhalt  bestimmt  hatte. 

So  sind  und  bleiben  die  Motive  und  Protokolle  freilich 
eine  »Privatarbeit*;  allein,  soweit  aus  ihnen  der  Wille  der 
Verfasser  und  der  im  vorliegenden  Falle  damit  übereinstimmende 
Wille  der  Gesetzgebiangsfaktoren  aller  Einzelstaaten  über  den 
Inhalt  der  gesetzlichen  Bestimmungen  sich  ergiebt,  sind  sie 
das  wichtigste  Hülfsmittel  zur  Feststellung  des  g  e  s  e  t  z  - 
geberischen  Willens,  und  eben  darum,  zwar  nicht  for- 
mell, aber  materiell  von  grösserer  Wichtigkeit  als  die  Kammer- 
verhandlungen eines  einzelnen  Staates,  in  denen  nur  ein 
Faktor  der  gesetzgebenden  Gewalt  sich  ausspricht.  Welche 
»Ansichten*  die  Nürnberger  Konferenz  über  den  Sinn  eines 
einzelnen  Artikels  gehegt  haben  mag,  ist  somit  freilich  gleich- 
gültig, aber  nicht,  was  sie  mit  den  Worten  eines  Artikels 
positiv  oder  negativ  hat  sagen  wollen;  ihre  unzwei* 
deutigen  Erklärungen  hierüber  sind  also  nicht  »Inter- 
pretationen eines  beliebigen  Dritten*  und  nur  sofern  erheblich, 
als  sie  nach  der  subjektiven  Ansicht  des  oder  jenes  Schrift- 
stellers »innerlich  begründete  erscheinen,  sondern  es  and  für 
die  Interpretation  maassgebende  Willenserklärungen. 
Meine  Ansicht,  weit  entfernt,  den  Richter  auf  eine  mechanische 
Befolgung  der  in  den  Protokollen  und  sonstigen  Gesetzes- 
motiven ausgesprochenen  Meinungen  zu  beschränken,  lässt 
ihm,  soweit  nicht  eine  klare  Aeusserung  des  gesetzgeberischen 
Willens  vorliegt,  vollkommen  freie  Hand,  während  die  gegen- 
theilige  Annahme  zur  blossen  Wortinterpretation  oder  zur 
subjektiven  Willkür  führt.  Wenn  z.  B.  aus  den  Protokollen 
klar  erhellte,  dass  durch  Art.  1  den  Handelsgebräuchen  dero- 
gatorische  Kraft  hat  versagt,  dass  in  Art.  234  mit  den  Worten 
»sonstigen  Bevollmächtigten  oder  Beamten*  die  Prokuristen 
haben  ausgeschlossen  werden  sollen;  dass  unter  »Vermögens- 
einlagenc  in  Art.  150  nur  Geldeinlagen  verstanden  wurden; 
dass  unter  »Anschaffung*  in  Art.  271  Z.  1  die  Miethe  und 
der  Erwerb  durch  Selbstproduktion  nicht  hat  begriffen  werden 
sollen,  so  würde  dieses  Ergebniss  für  den  Interpreten  maass- 
gehend  sein,  and  er  wäre  nicht  befugt,  dem  gesetzgeberischen 


,  C-'OOgIc 


62      Ueber  die  Benutiiuig  nnd  Bedentong  der  Bertthnngsprotokolle  etc. 

Willen  als  einem  »innerlich  unbegründeten«  einen  anderen  Ge- 
danken zu  substituiren. 


B.    Schlesinger  und  die  zweite  ErSrteruog  v.  Hahn's. 

(Geietzeswoite  und  Wille  des  Gesetzgebers.) 

Wie  V.  Hahn  in  seiner  ersten  Erörterung  —  in  schein- 
barem  Anschluss  an  Thöl  —  die  in  sich  berechtigte  Unter- 
scheidung zwischen  den  Verfassern  eines  Gesetzentwurfe  und 
dem  Gesetzgeber  näher  durchzuführen  versucht  und  so  zu  dem 
unhaltbaren  Ergebniss  gelangt,  dass  die  unzweideutige  Er- 
klärung der  Gesetzesverfasser  über  den  Inhalt  der  von  ihnen 
aufgestellten  Bestimmungen  vOUig  gleichgültig  sei,  so  knüpft 
Schlesinger  gleichfalls  scheinbar  an  Thöl  an,  indem  zwar 
auch  er  den  wirklichen  Willen  des  Gesetzgebers  für  maassgebend 
erklärt,  aber  verneint,  dass  der  Sinn,  welchen  der  Gesetzgeber 
im  Augenblick  der  Publikation  den  Gesetzesworten  beilegte, 
mit  diesem  Willen  identisch  sei,  ja  nur  zur  Feststellung  des- 
selben dienen  dürfe.  »Für  die  Auslegung  des  Gesetzes  kommt 
es  auf  den  von  der  gesetzgebenden  Gewalt  den  Worten  zu- 
geschriebenen Sinn  als  solchen  gar  nicht  an.(  Welches  ist 
nun  aber  der  für  die  Auslegung  maassgebende  Wille  der  gesetz- 
gebenden Gewalt?  Nach  Schlesinger  kann  die  gesetzgebende 
Gewalt  vernünftigerweise  nur  wollen,  dass  das  Gesetz  in  dem 
Sinne  gelten  solle,  wie  es  im  Augenblicke  seiner  Publikation 
vom  Volke  vernünftigerweise  verstanden  werden  müsse.  Dieser 
Sinn,  nicht  der  vom  Gesetzgeber  den  Worten  beigelegte  Sinn, 
sei  die  objektiv  richtige  Auslegung. 

In  einem  ähnlichen  Gedankengange  bewegt  sich  v.  Hahn, 
wenn  er  Bl.  f.  Rechtspfl.  in  Thüringen  XII  S.  176.  177 
ausfuhrt,  dass  der  Wille  des  Gesetzgebers  nur  aus  dem  Ge- 
setze selber  entnommen  werden  dürfe.  »Zwar  ist  es  voll- 
kommen richtig,  dass,  um  zu  erforschen,  was  der  Gesetzgeber 
als  seinen  Willen  hat  erklären  wollen,  alle  Interpretations- 
mittel, durch  welche  der  wahre  Sinn  der  Erklärung  hergestellt 
werden  kann,  zulässig  sind,  und  dass,  wenn  Zweifel  über  die 
Bedeutung  eines  Ausdrucks  entstehen,  auch  auf  Aeusseningen 
des  Gesetzgebers,  eines  gesetzgebenden  Faktors  oder  selbst 
eines  Organs  eines  solchen  rekurrirt  werden  kann.  Immer 
aber  ist  festzuhalten,   dass  es  sich  nur  um  eine  Interpretation 


II,    Die  Bedeutimg  der  Protokolle,  63 

der  solennen  Willenserklärung  des  Gesetzgebers 
darch  das  Gesetz  handeln  kann,  dass  aber  die  direkte  Er- 
forschung des  Willens  des  Gesetzgebers,  abgesehen  von  der 
Erklärung  desselben  im  Gesetz,  ohne  Bedeutung  ist.  Gesetz 
ist  nicht,  was  der  Gesetzgeber  will,  sondern  was  er  in 
solenner  Weise  alsGewoUtes  erklärt  IDaraus  folgt 
nicht  nur,  dass,  wenn  der  durch  Interpretation  des  Gesetzes 
dargethane  Wille  des  Gesetzgebers  mit  demjenigen ,  was  sich 
anderweitig  als  der  Wille  des  Gesetzgebers  (richtiger:  der  mit 
der  Gesetzgebung  betrauten  Personen)  ergibt ,  in  Wider- 
sprach tritt,  lediglich  der  erstere  in  Betracht  kommt,  sondern 
auch,  dass  die  selbstständige  Berücksichtigung  irgend  einer 
nicht  solennen  Aeusserung  des  Gesetzgebers  oder  eines  Orgaas 
desselben  über  den  Inhalt  eines  im  Gesetz  enthaltenen  oder 
hinsichtlich  der  Nichtaufnahme  eines  Rechtssatzes  in  dasselbe, 
d.  h.  die  Berücksichtigung  desselben  neben  dem  in  dem  Ge- 
setz erklärten  gesetzgeberischen  Willen  ausgeschlossen  ist.* 

Indem  v.  H  a  h  n  so  unter  allen  Interpretationsmttteln  den 
in  den  Vorarbeiten  des  Gesetzes  enthaltenen  Aeusserungen 
des  Gesetzgebers  über  den  mit  den  Gesetzesworten  verbundenen 
Sinn,  also  über  seinen  eigenen  gesetzgeberischen  Willen, 
die  letzte  Stelle  einräumt,  ja  denselben  im  Widerspruch  mit 
dem  Ergebniss  anderweitiger  Interpretattonsmittel  jede  Wirkung 
versagt,  erscheint  sein  nunmehriger  Standpunkt  mit  dem  vor- 
hin bezeichneten  Schlesinger's  wesentlich  identisch. 

Um  das  zu  erkennen,  mUssen  nur  zwei  Punkte  scharf  von 
einander  gesondert  werden.  Die  eine  Behauptung  v.  Hahn's, 
mit  welcher  ich,  wie  schon  früher  bemerkt,  voUkonmien  Über- 
einstimme, geht  dahin,  dass  der  wahre  Wille  des  Gesetzgebers 
nur  eben  in  den  publicirten  Worten  des  Gesetzes  zu  finden 
sei.  Ein  gesetzgeberischer  Wille,  welcher  gar  keinen  positiven 
oder  negativen  Ausdruck  gefunden  hat,  besteht  überall  als 
verbindlich  nicht.  Weiter  geht  die  zweite  Behauptung,  dass 
ZOT  Interpretation  der  vom  Gesetzgeber  gebrauchten  Worte 
dessen  eigene  in  den  Vorarbeiten  enthaltene  Aeusserungen 
über  deren  Sinn  gar  nicht  (Schlesinger),  oder  doch  nur  in 
letzter  Linie  (v.  Hahn)  verwendet  werden  dürien.  Hier  wird 
vorausgesetzt,  dass  der  Gesetzgeber  einen  Willen  erklärt 
hat;  soll  nun  aber  angenommen  werden,  dass  er  als  maass- 
gebend  gewollt  habe,  nicht  was  er  bei  Gelegenheit  der  Ent- 


„GüOglc 


64      Ueber  die  Benntinng  imd  Bedeutnng  der  BerathnDgaprotololIe  ete. 

stehung  des  Ciesetzes  als  seinen  Willen  geäussert  hat,  sondern 
was  durch  anderweitige  Interpretationsmittel  als  sein  Wille 
festgestellt  werden  kann,  so  ist,  mit  Schlesinger,  anzuerkennen, 
dass  sein  wirklicher  Wille  nicht  der  von  ihm  bei  Gelegenheit 
der  Entstehung  des  Gesetzes  geäusserte,  sondern  der  von  dem 
Volke  mittelst  anderweitiger  Interpretationsmittel  zu  erkennende 
gewesen  sei. 

Um  hier  zur  Verständigmig  zu  gelangen,  durfte  es  zweck- 
mässig sein,  nur  die  einfachsten  Fälle  in  Betracht  zu  ziehen. 
Und  zwar  mögen  zwei  Hauptfälle  unterschieden  werden. 

1.  Der  Gesetzgeber  hat  sich  eines  durchaus  unzwei- 
deutigen Ausdrucks  bedient. 

2.  Der  Gesetzgeber  hat  sich  eines  mehrdeutigen  Aas- 
drucks  bedient. 

Im  ersten  Falle  wird  zwar,  nach  allgemeinen  Auslegungs- 
grundsätzen, der  dem  gebrauchten  Ausdruck  nach  Sprach- 
regeln entsprechende  Sinn  als  der  gewollte  zu  erachten  sein. 
Wenn  indessen  die  Verfasser  des  Gesetzes  bezw.  die  gesetz- 
gebenden Faktoren  in  allen  oder  doch  den  die  schliessliche 
Fassung  bestimmenden  Vorarbeiten  mit  diesem  Ausdruck  er- 
weislich einen  anderen  Sinn  verbunden  haben,  darf  alsdann 
der  Interpret  bei  dem  grammatischen  Wortsinne  stehen  bleiben  ? 
Liesse  sich  z.  B.  weder  aus  dem  Zusammenhange  des  Gesetzes, 
noch  aus  allgemeinen  geschichtlichen  Momenten,  wohl  aber 
aus  unzweideutigen  und  übereinstimmenden  Aeusserungen  der 
Gesetzesverfasser  in  den  Vorarbeiten  nachweisen,  dass  mit 
dem  Worte  »kaufent  jedes  entgeltliche  Aneignungsgeschäft 
gemeint  war,  so  wtlrde  schwerlich  die  Auslegung  es  sich 
nehmen  lassen  dürfen,  über  den  technischen  Wortsinn  hinaus- 
zugehen. Und  wenn  sich  in  gleicher  Weise  darthun  liesse, 
dass  mit  dem  Ausdruck  >Vermögenseinlagenc  in  H.G.B. 
Art.  150  die  blossen  Arbeitseinlagen  ausgeschlossen  werden 
sollten,  würde  gleichwohl  das  Gegentheil  angenommen  werden 
dürfen,  weil  auch  die  Arbeitskraft  und  deren  Ergebniss  ein 
Gut  und  Vermögensbestandtheil  ist? 

Viel  bedenklicher  noch  erscheint  die  gegnerische  Ansicht 
im  zweiten  Falle.  Bei  mehrdeutigen  Ausdrücken  fehlt  der 
objektive,  aus  den  Sprachregeln  sich  ergebende  Anhalt  voll- 
kommen; die  Erforschung  des  wirklichen  Willens  des  Gesetz- 
gebers ist  hier  häufig  eine  überaus  schwierige  Aufgabe.    Und 


,  CiOOglc 


II.    Die  BedeutODg  der  Protokolle.  63 

unter  den  zahlreichen  für  diese  Erforschung  benutzbaren  Inter- 
pretationsmitteln  soll  die  klare  unzweideutige  Erklärung  der  Ge- 
setzesverfasser  bezw.  Gesetzgebungsfaktoren  über  den  Sinn  des 
Gesetzes  ein  unerhebliches  oder  doch  wenig  erhebliches  bilden?! 

Schlesinger  geht  von  einer  zweifachen  unzulässigen  Vor- 
aussetzung aus.  Das  Gesetz  müsse  den  Sinn  haben,  in  welchem 
es  vom  Volke  vernünftiger  Weise  verstanden  werden  müsse, 
weil  Dur  dies  der  Gesetzgeber  vernünftigerweise  wollen  kOnne. 
Allein  wie  muss  vernünftigerweise  ein  Gesetz  verstanden 
werden?  Und  was  muss  vernünftigerweise  ein  Gesetzgeber 
wollen?  Wären  alle  Ausdrücke  klar ,  unzweideutig ,  be- 
stimmt, wäre  jeder  Gesetzgeber  der  Sprache  überall  voll- 
kommen mächtig,  herrschte  über  den  Inhalt  eines  zu  erlassen- 
den Gesetzes  stets  eine  vollkommene  Uebereinstimmung  aller 
Volksgenossen,  so  Hesse  sich  das  hören.  Da  indessen  solch 
vollkommener  Zustand  nun  einmal  nicht  besteht  und  schwerlich 
jemals  zu  erreichen  steht,  so  sind  eben  Zweifel  unvermeidlich. 
Schlesinger  glaubt  diesen  durch  BNotoriet.lt*  zu  entgehen, 
»Die  praktischen  Ziele,  welche  sich  die  Staatsgewalt  notorisch 
vorgestellt  hatte,  indem  sie  das  Werk  der  Gesetzgebung  unter- 
nahm; die  juristischen  Anschauungen  und  Sprachge brauche, 
die  zur  Zeit  der  Abfassung  der  Gesetzgebung  in  der  Wissen- 
schaft lebten;  die  fremden  Legislationen,  welche  als  Vorbilder 
vorlagen  und  vieles  Andere.  Nur  nicht  gerade  die  blossen 
Ansichten,  welche  die  Staatsgewalt  in  ihrem  Innern  über  die 
Bedeutung  der  von  ihr  publicirten  Worte  gehegt  hat.  Diese 
sind  im  Augenblicke  der  Publikation  nichts  weniger  als 
notorisch;  von  ihnen  kann  daher  das  Volk  nichts  wissen; 
sind  sie  daher  auch  Beweggründe  für  die  Wahl  dieser  be- 
stimmten Wortfassung  gewesen,  so  kann  die  Staatsgewalt  sie 
doch  nicht  schlechthin  unmittelbar  als  Inhalt  des  Gesetzes  ge- 
wollt haben«. 

Diese  Ausführung  dürfte  schwerlich  überzeugen.  Was 
ist  notorisch?  Und  wer  wird  über  die  «praktischen  Zielet, 
die  derzeitigen  juristischen  Anschauungen  und  Sprachgebräuche, 
die  benutzten  fremden  Legislationen  u.  dergl,  bessere  Aus- 
kunft geben  können,  als  der  Gesetzgeber  in  seinen  Vorarbeiten? 
Auch  sollte  man  denken,  dass  die  eigenen  subjektiven  juristi- 
schen Anschauungen  imd  Sprachgebräuche  des  Gesetzgebers 
nicht   geringere   Beachtung  verdienen   und   dass,    wo   immer 

Gsldichmidt,  Venoiicbte  Sctaiiflea.    H.  5 

,j  _.  „Google 


66      Ueber  die  Benutznng  n&d  Bedevtnng  der  Berathungsprotokolle  etc. 

durch  den  Gesetzgeber  selber  oder  durch  Andere  die  Mi^lich- 
keit  der  Einsicht  in  den  Gang  der  Gesetzgebungsarbeit  ge- 
währt wird,  das  bloss  Innerliche  zu  einem  Aeusseren  erhoben, 
d.  h.  Allen  zugänglich  gemacht  ist. 

Schlesinger  illustrirt  seine  Theorie  mit  folgendem  Beispiel : 
Dass  die  Grundsätze  der  Partikularrechte  über  die  Usance 
durch  das  H.G.B.  beseitigt  seien,  dürfe  nicht  darum  angenommen 
werden,  weÜ  aus  den  Vorarbeiten  sich  diese  Absicht  der  Ge- 
setzesverfasser entnehmen  liesse,  sondern  weil  es  bekannt  sei, 
dass  man  schon  lange  in  jenen  Beschränkungen  einen  Uebel- 
stand  für  den  Handelsverkehr  erbhckte  und  durch  eine  neue 
Gesetzgebung  vor  allen  (?)  Dingen  diesen  zu  beseitigen  wünschte 
und  weil  die  Wahl  des  an  ^ch  weniger  korrekten  Ausdruckes 
iHandelsgebräuchec  statt  »Handelsgewohnheitc  erkennen  (?) 
lasse ,  dass  der  Gesetzgeber  diesem  allgemeinen  Wunsche  (?) 
□achgeben  wollte. 

Hier  ist  Alles  schwankend,  nichts  weniger  als  notorisch. 
Wer  wünschte  jene  Abänderung  ?  Schwerlich  bestand  darüber 
eine  durchaus  sichere  AllgemeinUberzeugung.  Und  wem  wäre 
die  Allgemeinheit  dieser  Ueberzeugung  bekannt?  Der  aller- 
dings weitere  Ausdruck  iHandelsgebi^ucbec  will  doch  in 
Art,  1  des  H.G.B.'s  nichts  Anderes  bezeichnen  als  gewohn- 
heitliche Rechtssätze;  es  lässt  sich  also  aus  ihm  allein  für 
die  Theorie  des  Handelsgewohnheitsrechts  garnichts  folgern. 
Und  wenn  trotz  der  Protokolle,  welche  meines  Erachtens  über 
den  wahren  Willen  des  Gesetzgebers  keinen  Zweifel  lassen, 
der  auch  von  Schlesinger  anerkannte  Satz  keineswegs  un- 
bestritten ist,  so  darf  man  wohl  annehmen,  dass  ohne  die 
Protokolle  es  an  jedem  sicheren  Anhalt  fehlen  würde.  — 

Zur  tieferen  Begründung  seiner  Auffassung  zieht  Schle- 
singer die  Analogie  des  Vertrages  an.  Der  Gesetzgeber  kOnne 
vernünftigerweise  nicht  wollen,  dass  die  Bestimmungen  des 
Gesetzes  in  dem  Sinne  gelten  sollen,  der  ihnen  nach  seiner 
Ueberzeugung  beiwohnt,  er  könne  nur  wollen,  dass  das  Gesetz 
in  dem  Sinne  gelten  solle,  wie  es  im  Augenblicke  der  Ver- 
kündigung vom  Volke  vernünftigerweise  verstanden  werden 
muss  —  denn  auch  als  Inhalt  eines  Vertrages  gelte  nicht, 
was  wirklich  von  beiden  Theilen  gewollt  sei,  sondern 
was  jeder  Theil  vernünftigerweise  als  den  Willen  des  anderen 
Theiles  annehmen  durfte, 


itizecy  Google 


II.    Die  Bedeutuag  der  Protokolle.  67 

Diese  Argumentation  ist  theils  unzutreffend,  theils  unrichtig. 

Unzutreffend,  weil  das  Gesetz  ja  eine  einseitige  Willens- 
erkiärung  der  Staatsgewalt  ist,  welche  die  Unterthanen  als 
Norm  für  ihre  Lebensverhältnisse  anerkennen  mtlssen.  Hier 
würde  also  nur  die  Analogie  anderer  einseitiger  Willens- 
erkläningen,  namentlich  der  Testamente,  zntreäen.  Und  für 
diese  ist  ]&  unzweifelhaft  nur  der  erweisliche  Wille  des  Er- 
klärenden maassgebend,  wie  anvollkommen  auch  der  Ausdruck 
dieses  Willens  sein  mag. 

Unrichtig,  weil  auch  der  Inhalt  der  Verträge  ^ch  nur 
nach  dem  wirklichen  Willen  der  Kontrahenten  bestimmt.  I.  3 
D.  de  reb.  dub.  (34,  5):  qui  aliud  dicit,  quam  vult,  neqne  id 
dielt,  quod  voz  significat,  quia  non  vult  — .  1.  83  §  1  D.  de 
V.  O.  (45,  1):  si  Stichum  stipulatus  de  alio  sentiam,  tu  de 
alio,  nihil  actum  erit  ~.  1.  1  §  2  D.  de  pactis  (2,  14):  et 
est  pactio  duorum  pluriomve  in  idem  placitum  consensus. 
Allerdings  wird  der  blosse  Nachweis,  dass  vor  Abschluss  des 
Vertrages  der  eine  Kontrahent  einen  gewissen  Ausdruck  in 
einem  eigenthümlichen ,  aussergewQhnlichen  Sinne  verstanden 
habe,  nicht  genügen,  wegen  mangelnden  Konsenses  den  Ver- 
trag für  wirkungslos  zu  erklären,  denn  es  ist  ja  nicht  sicher, 
dass  jener  Kontrahent  auch  noch  in  dem  maassgebenden  Mo- 
ment des  Vertragsschlusses  an  dieser  aussergewQhnlichen  Be- 
deutung des  gebrancfaten  Ausdrucks  festgehalten  habe.  Stände 
dagegen  das  letztere  fest,  so  wäre  allerdings  kein  Vertrag  zu 
Stande  gekommen,  wenn  auch  möglicherweise  zu  Gunsten  des 
schuldlos  irrenden  anderen  Theiles  ein  Schadensersatzanspruch 
begründet.  Hätte  z.  B,  ein  Engländer  über  die  Lieferung 
von  100  Ceatner  »Korne  kontrahirt  und  ergäbe  es  sich,  dass 
der  Engländer ,  welcher  des  Deutschen  nicht  vollkommen 
mächtig  ist,  unter  dem  Ausdruck  »Komi  stets  Weizen  ver- 
standen hat,  während  am  Etablissementsorte  des  Verkäufers 
unter  iKornt  nur  Roggen  verstanden  wird,  so  wäre  wegen 
mangelnden  Konsenses  kein  Kaufvertrag  zu  Stande  gekommen, 
wie  begründet  auch  die  Annahme  des  Verkäufers  erscheinen 
mag,  dass  über  Roggen  kontrahirt  worden  sei.  — 

Aber  anch  sonst  dürfen  Gesetz  und  Vertrag,  ja  über- 
haupt private  Willenserklärung,  nicht  auf  eine  Linie  gestellt 
wenJen.  Zum  Vertrage  ist  Einverständniss  der  Kontrahenten 
erforderlich:   das  Gesetz  gilt  nach  dem  Willen  des  Gesetz- 

5' 

,  C-'OogIc 


68     U«ber  die  BenntEiuig  und  Bedeotang  der  BemthuDgsprotokoU«  etc. 

gebers,  mögen  die  Unterthanen  mit  dem  Inhalt  des  Gesetzes 
einverstanden  sein  oder  nicht,  mögen  sie  in  der  Lage  sein,  es 
nach  dem  Willen  des  Gesetzgebers  zu  verstehen  oder  nicht: 
sie  sollen  es  nach  diesem  Willen  verstehen.  Ein  umsichtiger 
und  der  Verantwortlichkeit  seines  Berufs  bewusster  Gesetz- 
geber wird  auf  eine  Fassung  bedacht  sein,  welche  möglichst 
Zweifel  und  Missverständnisse  ausschliesst ,  und  er  wird  auch 
durch  Veröffentlichung  der  Vorarbeiten  das  Verständniss  seines 
Willens  zu  erleichtern  suchen.  Solche  in  den  Vorarbeiten  ent- 
haltene deutliche  Erklärung  der  Gesetzesverfasser  bezw.  Gesetz- 
gebungsfaktoren ist  freilich  keine  authentische  Interpretation, 
weil  sie  nicht  selber  in  Gesetzesform  auftritt.  Auch  werden 
nicht  selten  Zweifel  entstehen,  ob  die  Erklärung  eine  zuver- 
lässige, vielleicht  gar,  ob  der  Gesetzgeber  sich  über  seinen 
wirklichen  Willen  klar  geworden  ist.  Alles  das  aber  hindert 
nicht,  wo  sie  als  durchaus  zuverlässig  erscheint,  ihr  ein  ftlr 
die  Interpretation  des  Gesetzes  entscheidendes  Gewicht  bei- 
zulegen. Und  wenn  unzweifelhaft  die  Gesetzes  entwürfe 
nach  Auffassung  ihrer  Verfasser  zu  verstehen  sind  und  für 
die  Auslegung  dieser  Entwürfe  das  in  den  Vorarbeiten  ent- 
haltene Material  maassgebend  erscheint,  darf  da  angenommen 
werden,  dass  im  Augenblicke  der  Publikation  der  Worte  des 
Entwurfs  der  Gesetzgeber  diesen  Worten  einen  anderen,  als 
den  von  den  Verfassern  gewollten  Sinn  substituirt  habe  und 
die  Benutzung  der  Vorarbeiten  für  die  Ermittelung  seines 
Willens  abschneiden  wolle?!  Oder,  um  die  Frage  zu  ver- 
einfachen, wenn  ein  absoluter  Regent  persönlich  ohne  jeden 
Beistand  ein  Gesetz  abgefasst  und  publicirt  hätte,  und  in  den 
gleichzeitig,  indessen  nicht  in  Gesetzesform  veröffentlichten 
Motiven  klar  ausgesprochen  hätte,  welche  Bedeutung  er  jedem 
einzelnen  Ausdruck  beilegt,  so  will  er  doch  offenbar,  dass  das 
Gesetz  in  dem  Sinne  verstanden  werde,  welchen  er  selber  nach 
Inhalt  der  Motive  ihm  beilegt,  und  er  hat  bei  Publikation  des 
Gesetzes  keinen  davon  verschiedenen  Willen  gehegt.  — 

C.    Ueber  einige  Ausftlbrungen  v.  Hahn's. 
V.  Hahn  beruft  sich  an  verschiedenen  Stellen  seines  Kom- 
mentars auf  seine   vorstehend   unter  A.  und  B.   besprochenen 
Grundsätze,    und    glaubt   mittelst   derselben   zu  anderen  und 
richtigeren  Ergebnissen  als  die  übrigen  Ausleger  zu  gelangen. 


II.    Die  BedenttiDf  der  Protokolle,  69 

Von  der  Richtigkeit  dieser  Ergebnisse  mag  hier  ab- 
gesehen werden,  allein  es  ist  nicht  anznerkennen,  dass  gerade 
für  die  von  v.  Haha  berührten  Fragen  eine  abweichende 
Ansicht  Über  die  Bedeutung  der  Protokolle  zu  entgegen- 
gesetztem Resultat  führen  würde. 

So  geben  z.  B.  hinsichtlich  der  Frage,  ob  auch  dem 
wissenden  Dritten  gegenüber  die  beschränkte  Vertretungs- 
befugniss  eines  Gesellschaftera  ohne  rechtliche  Wirkung  sei 
(v.  Hahn  I  S.  291  [4.  Aufl.  S.  495]),  die  Protokolle  kein 
sicheres  Ergebniss,  weil  zwar  Art  114  S.  2  des  Pr.  Entwurfs 
gestrichen  wurde,  aber  aus  verschiedenen  Gründen. 

Ebenso  ist  zu  H.G.B.  Art.  150  {v.  Hahn  I  S.  361  [4.  Aufl. 
S.  620])  nicht  ersichtlich,  ob  die  Majorität  blosse  Arbeitseinlagen 
ausschliessen  wollte,  da  zahlreiche  Mitglieder  unter  »Vennögens- 
einlagenc  auch  blosse  Arbeitseinlagen  verstehen  mochten. 

Aehnlich  verhält  es  sich  mit  der  bestrittenen  Befugniss  der 
Aktienvereine  zur  Bestellung  von  Prokuristen  (v.  Hahn  I 
S.  464  [3.  Aufl.  S.  731]).  Die  Aufnahme  einer  bejahenden 
Bestimmung  ist  aus  zwei  Gründen  abgelehnt  worden: 

1.  weil  eriahrungsmässig  Aktienvereine  niemals  Proku- 
risten haben, 

2.  weil  die  Prokura  zu  der  ganzen  Struktur  des  Aktien- 
vereins nicht  passe. 

Mit  dem  ersten  Grunde  ist  die  Statthaftigkeit  der  Be- 
stellung von  Prokuristen  nicht  negirt,  nur  der  Vorschlag  als 
liberflüssig  zurückgewiesen^  dagegen  richtet  sich  der  zweite 
Grund  direkt  gegen  die  Zulässigkeit.  Da  nun  nicht  erhellt, 
ob  beide  Gründe  von  der  Majorität  getheilt  wurden  oder  ob 
Einzelne  aus  dem  ersten,  Andere  aus  dem  zweiten  Grunde 
gegen  den  Vorschlag  stimmten,  so  liegt  auch  hier  ein  klarer 
Wille  der  Konferenz  nicht  vor. 

Bd.U  S.  7ff.  15  [2.  Aufl.  S.  llff.]  tritt  v.Hahn  meiner 
Ansicht  entgegen,  dass  das  Anschaffungsgescbäft  des  Lieferanten 
ein  objektives  Handelsgeschäft  sei,  und  auch  hier  wird  darauf 
verwiesen,  dass  der  Wille  der  Gesammtheit  oder  doch  der 
Majorität  der  Nürnberger  Kommission  für  die  Auslegung  ohne 
erhebliche  Bedeutung  sei.  Freilich  wird  auch  hier  nachzu- 
weisen versucht,  dass  aus  den  Vorarbeiten  sich  solcher  Wille 
nicht  ergebe,  und  es  würde  somit  auch  dieser  Fall  ausscheiden. 
Indessen  möchte  ich  doch  gegen  die  hier  versuchte  Methode 

,  Google 


70      t'eb«t  die  Bennteiiiig  und  Bedeutung  der  Benthnngiprolokolle  etc. 

der  Interpretation  Einspruch  erheben.  Die  Annahme,  dass 
mit  dem  Gesetz  nur  die  Worte  publicirt  seien,  dass  der 
Wille  des  Gesetzgebers,  der  nicht  in  den  Worten  fUr  sich 
einen  unzweideutigen  Ausdruck  gefunden  hat  —  Ubrigeos, 
welcher  Ausdruck  ist  unzweideutig?  man  denke  an  neueste 
Interpretationsversuche  von  Ver&ssungsgesetzen  — ,  schlechthin 
nicht  in  Betracht  komme,  lässt  sich  wenigstens  mit  schein- 
baren Gründen  vertheidigen.  Davon  ist  oben  die  Rede  gewesen. 
Allein  solche  Argumentation  ist  doch  geradezu  undenkbar  für 
einen  blossen  Entwurf,  wie  v.  Hahn  selber  sagt,  eine 
Privatarbeit.  Die  Verfasser  des  Reichshandetsgesetzbuchs  and 
des  prenssischen  Entwurfs  sagen  aber,  ungeachtet  die  Fassung 
der  Entwürfe  selbst  Zweifel  erregen  könnte,  in  den  Motiven 
zu  denselben  mit  dürren  Worten,  dass  auch  das  Anschaffungs- 
geschäft des  Lieferanten  als  objektives  Handelsgeschäft  gelten 
solle  (mein  Handbuch  I  S.  439  (2.  Aufl.  S.  577]  Not.  12). 
Wenn  nun  v.  Hahn  in  Bezug  auf  diese  Entwürfe  bemerkt: 
»diesen  klaren  Worten  gegenüber  kann  die  entgegenstehende 
Interpretation  der  Motive  nicht  berücksichtigt  werden*,  so  ist 
das  mir  geradezu  unverständlich.  Die  Verfasser  einer  Schrift 
sagen  uns  in  dem  Augenblicke,  wo  sie  diese  Schrift  ver- 
öffentlichen: mit  diesen  Worten  will  ich  das  und  nichts  Anderes 
gesagt  haben  —  und  der  Interpret  will  auf  diese  Erklärung 
keine  Rücksicht  nehmen,  weil  e  r  in  den  Worten  etwas  Anderes 
gesagt  findet!  Wenn  nun  aber  dies  der  Wille  der  Verfasser 
des  prenssischen  Entwurfs  war  und  in  dem  Handelsgesetz- 
buche selber  eine  Fassung  gewählt  ist,  welche  mit  diesem 
Willen  noch  weit  verträglicher  ist  als  die  ältere  Fassung,  und 
nirgends  eine  Andeutung  sich  findet,  dass  ein  Anderes  gewollt 
sei,  so  scheint  doch  Über  den  wirklichen  Sinn  des  Gesetzes 
kein  Zweifel  bestehen  zu  können.  Allerdings  führt  v.  Hahn 
hiergegen  drei  Gründe  an: 

1.  Den  Wortlaut.  Das  Wort  »veräussem*  könne  nur 
bedeuten:  einen  Verkauf  oder  dergl.  abschliessen.  Dieses 
Argument  ist  an  sich  misslich,  denn  der  Wortlaut  des  preus^- 
schen  Entwurfs  »um  weiter  zu  verkaufen«  scheint  doch 
ganz  klar  das  Anschaffungsgeschäft  des  Lieferanten  aus- 
zuschliessen  und  sollte  dennoch  nach  dem  erweislichen  Willen 
der  Verfasser  auch  dieses  umfassen!  Es  ist  aber  auch  in  sich 
hinfällig.     V.  Hahn  sagt,    >die  Absicht,  eine  zn  kaufende 


U.    Die  Bedntmig  der  FrolokoUe.  71 

Sache  einem  Anderen  zu  tradiren,  kann  an  sich  nie  das 
Motiv  zur  Ein^^ehung  eines  Spekulationskaufes  sein*.  Wanun 
nicht?  Der  Ausdruck  iSpekulationskauf«  ist  zweideutig;  es 
Ifisst  sich  darunter  verstehen  der  Kauf,  welcher  das  erste 
Glied  einer  Handelsoperation  ist  —  im  Gegensatz  zum  Reali- 
sationsgeschäft ;  aber  auch  allgemein  ein  Kauf,  welcher  in  der 
Absicht  zu  gewinnen,  geschlossen  wird.  Bei  einem  Speku- 
lationskauf im  ersten  Sinne  freilich  kann  niemals  die  blosse 
Absicht,  zu  tradiren,  das  Motiv  zur  Eingehung  sein,  wohl  aber 
bei  einem  Spekulationskauf  im  zweiten  Sinne.  Ein  Realisations- 
geschäft, welches  in  der  Absicht  zu  gewinnen  geschlossen 
irird  —  es  soll  wohlfeiler  eingekauft  werden,  als  verkauft  ist  — , 
ist  ein  Spekulationskauf  im  zweiten  Sinne,  und  das  Motiv  für 
die  Eingehung  eines  solchen  ist  allerdings  die  Absicht,  zu 
tradiren ,  nämlich  durch  die  Erfüllung  einen  Gewinn  zu 
machen,  da  erst  durch  die  Erfüllung  die  Beziehung  der  beiden 
Glieder  der  Handelsoperation  hergestellt  wird.  Es  liegt  somit 
auch  kein  Grund  vor,  mir  eine  Inkonsequenz  vorzuhalten.  Dass 
aber  Art.  271  Z.  1  eben  nur  von  dem  Spekulationskauf, 
welcher  das  erste  Glied  einer  Handelsoperation  ist,  und  nicht 
von  dem  Spekulationskauf  allgemein,  also  nicht  auch  von  einem 
solchen,  welcher  das  zweite  Glied  einer  Handelsoperation  ist, 
spreche,  ist  petitio  principii  und  wird,  wie  bemerkt,  durch  die 
Entstehungsgeschichte  widerlegt. 

2.  Den  inneren  Grund,  dass  die  Anschaffung  darum  dem 
Veräusserungsgeschäft  vorangehen  müsse,  weil  die  Absicht  zu 
veräussem  bei  der  Anschaffung  vorhanden  sein  müsse.  Allein 
diese  Absicht  ist  in  der  That  in  beiden  Fällen  vorhanden: 
bei  der  Spekulationsanscbaffung  die  Absicht  ein  Veräusse- 
rungsgeschäft abzuschliessen ,  bei  der  Realisationsanscbaffung 
die  Absicht  zu  veräussem,  d.  h.  ein  geschlossenes  Veräusse- 
rongsgeschäft  zu  erfüllen. 

3.  Die  Inkongruenz  zwischen  Speculation  ä  la  hausse  und 
a  la  baisse.  Ich  habe  —  ohne  diese  Inkongruenz  zu  ver- 
theidigen  —  die  Gründe,  welche  eine  solche,  und  nicht  allein 
für  Werthpapiere,  bis  zu  einem  gewissen  Grade  rechtfertigen, 
angegeben.  Und  ich  meine  auch  jetzt  noch,  was  v.  H  a  h  n  nicht 
einsehen  zu  können  erklärt,  dass  ganz  abgesehen  von  Werth- 
papieren,  eine  Spekulation  ä  la  baisse  z.  B.  in  Zucker,  Ge- 
treide, Baumwolle,  Spiritus,  Eisen,  bei  Nichtkauflenten  ein  ganz 


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72      Ueber  die  Benutzung  und  Bedeutung  der  BeialhungsprotokoUe  etc. 

seltener  Ausnahmefall  sein  wird,  dass  daher  solches  Geschäft 
in  der  That  einen  so  specifisch  handelsoiässigen  und  darum 
handelsreclitlichen  Charakter  trägt,  dass  es  schlechthin  nach 
Handelsrecht  beurtheilt  werden  will,  somit  für  ein  objektives 
Handelsgeschäft  erachtet  werden  muss,  während  der  Reali- 
sationsverkauf ,  weil  er  dieses  specifisch  faandelsmässigen 
Charakters  entbehrt,  nicht  mit  gleicher  Nothwendigkeit  als 
objektives  Handelsgeschäft  anzuerkennen  war.  — 


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4 

MISCELLEN 
THEORIE  DER  WERTHPAPIERE. 

(1882.) 


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INHALT. 


I.  PendcnsttieoTle  und  Elgvnthumsfheorle 77 

IL   Das  PrfisentatlODSpapler  and  di«  Katogortaen  dar  W«rth- 

paplare       83 

III.  Das  Dduolarlsoha  IndoaaaiiieDt 91 

IV.  'Wechsalaooapt  und  „Kreatlonetheorle" 94 

I.    Art.  31  der  denliclieD  WecbteloTdnang 94 

lDib«K>Dder«  das  HmitiTte  Accept: 

DenUdie  Wectudordnniig  Ait.  13 106 

II.   Die   Jodikktnr   da   Rdcht-OberluuidebgericIiU  nnd    d«t 

Rdchagerichti 108 

III.    Die  Haftnng  dm   Aawtellen   «w  dem  ohne  oder  «ider 
Willen    det   AoiUellen    aa»   detsm    Rand    gekommeiiea 

P'pi" "4 

Die  richtiKe  Konstmlctioii  nnd  du  geltende  Kecbt      ....  1 1$ 

V.  Dar  Ladaschaln lao 


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De  nachstehenden  Erörterungen  schliessen  sich  zum  Theil 
an  frühere  Untersuchungen  ergänzend  oder  modificirend 
an.  Einzelnes  ist  von  mir  zuerst  in  den  Eotscheidungen  des 
Reichs-Oberhandelsgerichts  {bis  zum  30.  Juni  1875)  ausgeführt 
worden. 

I.   Pendenztheorie  und  Eigenthumstheorie. 

Der  Herr  Verfasser  der  in  der  Zeitschrift  XXVIII S.  56  -62 
mitgetheilten  Skizze  [Riesser]  tritt,  in  der  Hauptsache,  der  von 
mir,  unter  Anschluss  an  Ihering,  Zeitschrift  III  S.  275,  276 
(1860),  als  möglich  angedeuteten  iPendenz-c  oder  »Präsentations- 
Theorie«  bei '.  Da  ich  auch  sonst  noch  gegenwärtig  als  Vertreter 
dieser  Theorie  genannt  werde ",  so  glaube  ich  darauf  hinweisen 
zu  müssen,  dass  ich  mich  seit  geraumer  Zeit  von  der  Unstatt- 
haftigkeit  dieses  Konstruktionsversuches  überzeugt  habe,  und 
dass  mit  demselben  die  von  mir  Zeitschr.  VIII S.  330,  IX  S.  62  ff. 
(1865—1866)  entwickelte  »sachenrechtliche*  oder  »Eigen- 
thums-Theorie«  unvereinbar  erscheint.  Zwar  behauptet  Thöl 
(Handelsr.  I,  6.  Aufl.,  §  223)  s,  dass  die  »Eigenthums-Theorie«, 


■  Diesdbe  hat  emen  nambaften  Vertreter  gefunden  in  Förster,  Theorie 
nnd  Praxis  des  prensBischen  PriTatrechts  I  g  64  —  nicht  mehr  bei  dessen  Her- 
ausgeber Eccins  (4-  Aufl.  1881,  I  S.  424  Note  30  [7.  Aufl.  S.  375  Note  is]). 
S.  auchO.  T.  Berlin  1866  (Strielhorsl's  Archiv  Bd.  Ö5  S.  77).  Verwandt 
ist  der  Gedanke  t.  Gerbe  r's  (Deutsches  Privatrecht  [11.  Aufl.]  g  i6i  Note  3 
[vgl.  jetil  aber  Cosack  bei  Gerber,  17.  Aufl.  §  237]),  dass  in  den  nrischen 
den  Fälligkeitstenninen  liegenden  Zeiten  das  obligatorische  Verh£ltniss  ge- 
wixsermaassen  (?)  ruhe.  Dagegen  i.  6.  bereits  Kuntze,  Inhaberpapiere  S.  t4S ; 
Jotly,  Ktit.  Vierteljabnschr.  IIl  S.  559. 

'  Z.  B.  Stobbe,  D.  Privalr.  III  §  180  Note  4  [3.  Aufl.,  bearbeitet  von 
Lehmann,  g  »55  Note  7]. 

1  In  dessen  >Literatariibenicht<  vor  diesem  Paragraphen  die  eben  ge- 
nannten Ausftlhrungen  so  wenig  erwähnt  sind,  als  meine  Erörtemngeti  itt 
Bd.  VI  S.  341  der  Zeitschrift,  sondern  nur  die  Uteren. 


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78  Mitcdlen  inr  Theorie  der  Werthpi^ieK. 

welche  er  verwirft,  nothwendig  auf  die  von  ihm  gleich- 
falls abgelehnte  »PräseDtations-Theoriet  führe.  Die  Behaup- 
tung trifft  nicht  zu.  An  das  Papiereigentum  kann  eine  Kette 
sämmtlich  und  ausschliesslich  skriptunnässiger  Forderungen 
(nicht  blosser  Expektanzen)  geknüpft  sein  und  ist  an  dasselbe 
bei  den  wirklichen  Order-  und  Inhaberpapieren  derart  ge- 
knüpft, dass  bei  jedem  neuen  Papiereigentfaümer  die  skriptur- 
mässige  Forderung  neu ',  unabhängig  von  den  Mängeln,  welche 
ihr  hei  dem  >Vonnanne«  anhafteten  (D.  W.O.  Art.  82; 
H.G.B.  Art.  303  Abs.  2 ;  sächs.  bürgeri.  G.B.  §  1046 ;  schweizer. 
Bundesgesetz  über  das  Obligationenrecht  [1881]  Art.  811,  838, 
839,  842,  847)  entsteht.  Der  Erwerb  der  Forderung  gründet 
sich  so  wenig  auf  eine  (obligatorische)  Succession  (Renaud), 
als  der  Eigenthumserwerb  des  Papiers  auf  eine  wahre  (sachen- 
rechtliche) Succession  (v.  S  a  v  i  g  n  y) :  H.G.B.  Art  307 ;  D.  W.O. 
Art.  74  —  womit  zugleich  gesagt  ist,  in  welchem  Haupt- 
punkte, von  anderen  gleichfalls  sehr  wichtigen  hier  zu  schweigen, 
sich  die  von  mir  formulirte  Theorie  gegen  andere  schon  früher 
aufgestellte  >Eigentbums-Theorieenf  abhebt.  Sie  unterscheidet 
nicht  mit  Thöl  von  dem  >Rechtc  die  »Legitimationsnach- 
weisuDgc,  sondern  das  Recht  und  die  blosse  »Legitimation  t 
(D.  W.O.  Art.  36)  —  d.  h.  hier,  richtig  verstanden  (denn  der 
Ausdruck  ist  vieldeutig),  nicht  Berechtigung,  sondern  gesetz- 
lichen Ausweis  der  Berechtigung  —  zur  Geltendmachirag  der 
Forderung;  sie  bejaht,  was  dieser  noch  jetzt  —  sogar  an- 
gesichts der  reichsgesetzlichen  Besttaunungen  —  verneint 
■  (Handelsrecht  [I,  6.  Aufl.]  §§  223,  226  H.,  231;  Wechseh^ht 
[II,  4.  Aufl.]  §  176),  dass  die  Frage  von  der  Zulässigkeit  der 
>  sogenannten  Vindikation  c  dem  Sachenrecht  angehöre.  Es 
kann  ThöI  zugegeben  werden,  dass  die  Forderung  nicht  um 
der  Sache  (des  Papierstuckes)  willen  vorhanden  sei ,  dagegen 
nicht,  dass  die  Sache  der  Forderung,  statt  umgekehrt,  folge. 
Man  darf  allenfalls  diejenige  Formulirung  gelten  lassen,  welche 
nicht  mit  Thöl  übereinstimmt,  sondern  dessen  Formel  einen 
andern  Sinn  unterlegt  (Brunner  in  Endemann  's  Handbuch 

'  Will  Windicheid,  Ftndeklea  [auch  7.  Aufl.]  II  g  391  Note  3.  3  ia 
feiner  nur  ta  kurien  Andeutung  ein  Änderet  ugenP  Du  Gegentheil  sagt 
Brunner  in  dem  Handbnch  des  deutachen  Handelt-,  See'  und  Wechsel  rechts, 
herausgegeben  von  Endemann,  Bd.  II  S.  164,  170.  S.  nnten  S.  85  Note  1 
und  S.   118  Not«  t. 


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I.   Pcndenitheorie  und  Eigenthnnutheorie,  79 

des  Handelsrechts  II  S.  163),  dass  die  >Rechtssätze  über  den 
&werb  der  Forderung  in  sacfaenrechtlichem  Gewände  er- 
schemen<,  —  vgl.  auch  meine  Ausführungen:  Zeitschrift  VIII 
S.  336,  338  —  falls  nämlich  damit,  wie  anzunehmen  (vergl. 
Brunner  a.  a.  O.  S.  164,  207,  211),  gesagt  sein  soll,  dass 
sie  wahre  Rechtssätze  des  »Sachenrechtst  sind,  nur  Objekten 
dieser  Art  eigenthümltche. 

Wenn  femer  Stobbe  (Deutsches  Privatrecht  III  §  180 
[v^.  aber  3.  Aufl.,  bearbeitet  von  Lehmann  III  §  255]) 
zwar  anerkennt,  dass  die  Obligation  aus  dem  Inhaberpapier 
>auch  von  sachenrechtlichen  Grundsätzen  erfasst  wird«  und 
dAss  nach  den  Bestimmungen  des  Deutschen  Handelsgesetz- 
buchs »der  gutgläubige  Erwerber  dem  EigenthUmer  des  In- 
haberpapiers völlig  gleichsteht«  (richtiger:  Eigenthümer  ist), 
aber  gleichwohl  ausfuhrt,  dass  nicht  der  »EigenthUmer«,  son- 
dern der  ilnhaber«  Gläubiger  sei,  so  räumt  er  doch  zugleich 
ein,  dass  diesem  »Giäubigcr«  die  Forderung  von  dem  >Eigeo- 
thUmert  durch  Vindikation  oder  Kontraktsklage  wieder  ab- 
gestritten werden  könne  (». .  .  Reproduktion  der  verlorenen 
Forderung ...«),  und  dass  »nur  Derjenige  die  Forderung  in 
sicherer,  unnehmbarer  Weise  erwirbt,  welcher  das  Papier  auf 
Grund  eines  auf  EigenthumsUbertragung  gerichteten  Geschäfts 
erhalten  hat« ;  nur  freilich  sei  der  vindicireade  Kläger  nicht 
Gläubiger,  er  bestreite  auch  nicht,  dass  der  Beklagte  Gläubiger 
sei,  sondern  dessen  Recht,  das  Papier  zu  besitzen  und  dem* 
gemäss  Gläubiger  zu  sein  (richtiger:  zu  bleiben).  Nach  dieser 
Theorie  wäre  die  >Vindikation<  ein  Rechtsmittel  nicht  zur' 
Geltendmachung  einer  bestehenden,  sondern  zur  Wieder- 
erlangung einer  verlorenen  Forderung,  gerichtet  auf  Rescission 
des  für  den  Papierinhaber  eingetretenen  Forderungserwerbs. 
Dabei  erkennt  Stobbe  an,  dass  die  mit  der  Eigenthums-  und 
anschliessenden  Legitimations-Theorie  vereinbare,  wenn  auch 
mitunter  positiv-rechtlich  ausgeschlossene  (säcbs.  bürgeri.  G.B. 
§  1045,  modificirt :  Schweiz.  Obligationenrecht  Art.  846  Abs.  2), 
dagegen  mit  seiner  Auffassung  durchaus  unverträgliche  Ge- 
stattung eines  Beweises  gegen  das  »Rechte  des  Inhabers  unter 
Umständen  von  der  laequitas  und  von  den  Bedürfnissen  des 
Verkehrs«  dringend  erheischt  wird,  dass  somit  im  praktischen 
Ergebniss  die  beiden  Theorieen  einander  sehr  nahe  kommen. 
Ich  sage  iTfaeorieenc     Denn  dass  Stobbe  das  nur  zu  harte 


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so  Miscellen  tnr  Tbeoiie  der  Werthptipiere. 

wirklich  >geUende«  Recht  darstelle,  aber  dessen  Korrektur 
durch  ein  künftiges  milderes  Recht  erstrebe,  wird  eben  von 
mir  geleugnet  —  es  ist  mindestens  sehr  unwahrscheinlich, 
dass  das  Gewohnheitsrecht,  welches  ja  gemeinrechtlich 
allein  in  Frage  steht,  gegen  das  VerkehrsbedUrfniss  und  die 
Anforderungen  der  Billigkeit  Verstösse  — ;  ob  das  künftige 
Reichsgesetz  ein  anderes  normiren  wird,  bleibt  abzuwarten. 
Schon  aus  diesem  Grunde  mochte  die  Theorie  von  dem 
»Forderangsrecht  des  Inhabers«  als  solchen  in  Verbindung 
mit  dem  iRescissionsrecht  des  Eigenthümers  als  vormaligen 
Gläubigers*  ein  sehr  bedenklicher  theoretischer  Umweg  sein 
und  schwerlich  vereinbar  mit  dem  Rechtsbewusstsein  des  Ver- 
kehrs, welches  keineswegs  an  den  Verlust  des  Gewahrsams 
den  Forderungsverlust  knüpft.  Wäre  der  ilnhaben,  sogar 
wenn  und  solange  er  nur  alieno  nomine  detioirt,  der  wahre 
Gläubiger,  so  wäre  schon  mit  der  blossen  Deponinmg  von 
Inhaberpapieren  nicht  nur  die  faktische  und  in  gewissem  Sinne 
rechtliche  Möglichkeit  des  Forderungsverlustes,  sondern  dieser 
selbst  unausbleiblich  verbunden! 

Aber  das  Versprechen,  an  den  Inhaber,  Vorzeiger,  In- 
dossatar zu  zahlen,  ist  juristisch  ein  Versprechen,  an  den  Be- 
rechtigten zu  zahlen  —  nur  soll  der  Rechtsausweis  dem  Aus- 
steller gegenüber  durch  Innehabung  etc.  erbracht  sein.  Der 
Wille  des  Ausstellers  und  der  allgemeine  Wille  des  Verkehrs 
gehen  nicht  dahin,  dass  ein  Unberechtigter  Gläubiger  sein 
solle.  Der  Eigenthümer,  welcher  dem  Unberechtigten  das 
Papier  mit  der  Eigenthums- ,  Kontrakts- ,  Deliktsklage  ab- 
fordert, erwirbt  nicht  die  verlorene  Forderung  zurück,  sondern 
macht  sein  bestehendes  Forderungsrechf  geltend.  Auch  dem 
Schuldner  gegenüber  sind  Recht  und  Legitimation  nicht  gleich- 
bedeutend ;  der  Schuldner  darf  stets  an  den  Legitimirten 
zahlen  —  er  muss  an  ihn  zahlen,  sofern  er  nicht  in  der  Lage 
ist,  den  schwierigen,  meist  unmöglichen  Nachweis  des  Nicht- 
rechts  zu  führen;  die  Pflicht,  solchen  Nachweis  zu  versuchen, 
hat  er  an  sich  nicht. 

Die  vorstehend  bekämpfte  Ansicht  scheint  (?)  in  einem 
schon  früher  nach  anderen  Richtungen  besprochenen  (Zeit- 
schrift XXIII  S.  307}  Unheil  des  II.  Senats  des  Reichsober- 
handelsgerichts (Entsch.  XVII  S.  159)  angenommen  zu  sein. 
Jedenfalls  gewinnt  in  der  neueren  Literatur,  wenngleich  nicht 


,  CiOO^^Ic 


I.   Pendenitheori«  und  E^entfaDouiheoTie.  81 

ohne  Abweicbimgea  im  EinzeloeD,  die  lEigenthamstbeoriec 
immer  breiteren  Boden:  Hauser,  Stellvertretung  im  Besitz 
S.  83  fi.;  G.  Binding  (Zeitschr.  X  S.  412  ff.,  418  ff.; 
De  Fontenay  (Zeitschr.  XVHI  S.  65ff.);  Randa,  Besitz 
(3.  Aufl.  S.  335  [4.  Aufl.  S.  436]  Note  48);  Brunner  in 
Endemann's  Handbuch  II  S.  163,  164,  190,  191,  207, 
211;  Carlin,  Niemand  kann  auf  einen  Anders  mehr  Recht 
Obertragen,  als  er  selbst  hat  (1882)  S.  9,  73,  77'.  Damit 
stimmt  im  Endergebniss  auch  wohl  Dernburg  Uberein 
(Preuss.  Privatr.  11  [3.  Aufl.]  S.  211  [5.  Aufl.  S.  217J);  wenn, 
ungeachtet  einzelner  allgemeiner  lautenden  Aeusserungen, 
>Recht  ans  dem  Inhaberpapier  nur  der  gutgläubige  Erwerber 
des  Papiers«  hat,  dieser  letztere  aber  nicht  bloss  >gegen  die 
Vindikation  geschützt«,  sondern  reichsgesetzUch  wahrer  Eigen- 
thtlmer  des  Papiers  ist,  so  lässt  sich  doch  nicht  bezweifeln, 
dass  der  Eigenthfimer  und  nur  dieser  Gläubiger  ist.  Im  prak- 
tischen Ergebniss  kommt  darauf  für  das  geltende  Recht  ja 
auch  Thöl  (Handelsrecht  I  §  223  vgl.  231)  hinaus  —  ob  zur 
Begründung  der  »Vindikationt  ein  anderes  und  mehr  verlangt 
wird  als  der  Nachweis  eines  Eigenthumserwerbsgrundes,  und 
als  solcher  reicht  selbstverständlich  ein  nach  Art.  307  H.G.B.'s 
genügender  aus,  darf  hier  unerörtert  bleiben.  Aber  es  ist  be- 
stimmt hervorauheben ,  dass  ein  sicherer  Aufbau  der  Theorie 
der  wahren  Inhaber-  wie  Orderpapiere  erst  durch  die  der 
Natur  dieser  Papiere  imd  dem  Rechtsbewusstsein  der  Gegen- 
wart durchaus  entsprechenden '  reichsgesetzlichen  Bestimmungen 
(D.W.O.  Art.  74,  Schweiz.  Obligationenrecht  Art.  268,  790, 
ital.  H.G.B.  [Text  31.  Okt.  1882]  Art  37,  332,  H.G.B.  Art. 
307)  nicht  über  die  Beschränkung  oder  den  Ausschluss  der 
Vindikation,  sondern  über  den  Eigenthumserwerb  an  dergleichen 
Papieren  ermöglicht  worden  ist  und  dass  die  konstruirende 


<  S.  >nch  die  Kieb«n  enchcinende  a.  Aufl.  von  Mandry,  Der  dTÜ- 
iccfatlicbe  Inhalt  det  Kcidugeteue  (tSSa)  S.  193  [4.  And.  (Geib)  S.  207]. 

'  Das  GegcDtheil  behauptet  v.  Gerber.  Denticbei  Privatr.  §  161  [anders 
Cosack,  17.  Anig.  S.  406].  Er  Qbenielit  n.  A. ,  dass  der  richterlicbeD  An- 
vitBduag  der  cmlen  ViadilcatioiisgnindBltic  alsbald  denm  gtsetlticha  Besdti- 
gUttg  gefolgt  ist,  nm  deo  flagranten  Widertprach  iwUchen  positiTam  Reckt  und 
RechtabenulMiu  der  G^enmut  ca  beseitigen,  i.  B.  in  Haonovar  nnd  Baael- 
Stadt  (Zeitschi.  U  S.  545,  IX  S.  137).  S.  jetit  Brini,  Pandekteo  IL  s 
(1.  AnO.  1883)  S.  581  fL 

Goldacbmidt,  TwBiiclit«  Sebrirtes.    n. 


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82  Mbcellen  au  Theorie  der  Werthp«piere. 

Theorie  diese  Grundlage  zu  acceptiren  hat.  Diese  Aufgabe 
hatte  ich  mir  in  der  vorhin  erwähnten,  übrigens  der  Revision 
bedürfenden  Abhandlung  gestellt.  Gründliche  Ausfuhrungen 
in  diesem  Sinne  enthalt  die  sorgfältige  Berliner  Inaugural- 
dissertation von  M.  Pappenheim,  Begriff  und  Arten  der 
Papiere  auf  Inhaber  im  Sinne  des  Art.  307  des  Deutschen 
H.G.B.'s  (1881).  Nur  wird,  da  Art  307  H.G.B.'s  lediglich 
die  »verSusserten  und  Ubergebenen«  Inhaberpapiere  trifft,  weiter 
zu  untersuchen  sein,  ob  auch,  Über  Art.  307  hinaus,  ein  ander- 
weitiger Eigenthumserwerbsgnmd  des  Papiers,  wie  Ersitzung 
etwa  pro  berede  oder  auf  Grund  eines  Putativtitels,  Occnpation 
u.  A.  m.,  zugleich  den  Forderungserwerb  nach  sich  zieht. 

Für  die  »Pendenz-  oder  Präsentations-Theorie* ,  welche 
ich  nicht  mehr  vertrete,  darf  ich  daher  die  mehrfach  abweichen- 
den Ausführungen  von  Riesser  unberührt  lassen. 

n.    Das  Präsentationspapier  und  die  Kategorieen  der 
Werthpapiere. 

Nicht  auf  der  »Präsentations-Theoriee  beruht,  wie  dem 
Wortlaut  nach  scheinen  könnte,  das  Wesen  des  zuerst  von 
Brunner  so  bezeichneten  und  in  die  Doktrin  eingeführten 
»Präsentationspapiers«'.  Er  versteht  darunter  nicht 
eine  Urkunde,  deren  rechtliches  Wesen  in  der  Präsentation 
aufgeht,  für  welche  somit  die  Präsentation  (Vorlegung)  ein 
die  Entstehung  oder  doch  mindestens  jede  Ausübung  des  beur- 
kundeten (Forderungs-)  Rechts  schlechthin  bedingendes  Moment 
bildet.  Sondern,  obwohl  die  Schuld  und  sogar  deren  Fällig- 
keit ohne  Präsentation  bestehen,  so  sei  doch  die  >Leistungs- 
pfhcht  des  Schuldnersc  an  die  Präsentation  in  der  Art  ge- 
bunden: dass  der  Schuldner  nur  gegen  Vorlegung  tmd  Aus- 
händigung des  Papiers  (bezw.  eines  das  Papier  vertretenden 

■  Zuerst  in  t,  Holtzendorffs  Encjltlopidie  (3.  Aufl.  I  S.  aio).  Ge- 
Ecliichtliche  Untennchnngea :  Zeituhrift  XXII  S.  tff.,  59fr.,  505  ff.,  XXIII 
S.  3^5  and;  Du  frunHsiscfae  Inluberpapier  des  Mittelalten  —  FestKbrift  1879; 
gedringte  Zuttunmenfumng  der  geschichtlichen  Unten uchungen  jelit  in 
V.  HoltiendorffiEncfldopSdiel,  4.  Aufl.,  S.  353— 354  [5.  Anfl.  S.  378  ff.]. 
Ueberwiegend  doematlKh :  DieWerthpapiere,  imHsndbuchdeiD.  Htuidelirechls, 
b^ausgeg.  von  Endem&nn,  II  S.  i4off.  nnd  in  v.  Holticndorff  *  Eni^- 
kloptdie,  RechtilexikoQ,  s.  v.  «Inhaber-,  PiKsentation*-,  Werlh-Fapierei. 

Gooülc 


IL   Du  PrIseDt>tianq>ipieT  und  die  Kategorie«!)  der  WeiÜiptpiere.     83 

AmortisatioDserkeimtnisses)  zu  zahlen  brauche  —  die  voll- 
stäodige  Erfüllung  der  Forderung  somit  hier  begrifflich  als 
»Einlösung  des  Papiersc  erscheine ;  dass  die  Schuld  den  Charakter 
nicht  einer  Bring-,  sondern  einer  Hol-Schuld  habe;  endlich, 
dass  der  Verzug  des  Schuldners  mit  seinen  rechtlichen  Folgen 

—  wohin  anscheinend  auch  der  Ausschluss  der  Zinsverbind- 
lichkeit aus  Art.  289  H.G.B„'s  gezählt  wird  —  nicht  durch 
den  Verfallstag  an  sich  —  also  unter  Ausschluss  der  Regel 
dies  interpellat  pro  homine  — ,  sondern  nur  durch  eine  solenne 
Mahnung,  nämlich  durch  die  Präsentation  zur  Verfallzeit,  be- 
dingt werde.  Dies  ist  der  Kern  der  an  verschiedenen  Orten 
nur  iinweseatlich  varürten,  bald  kürzeren  bald  längeren  For- 
mtüirung.  Mao  darf  hiernach,  wie  das  theilweise  auch  von 
Branner  selbst  geschieht,  zur  Charakterisirung  der  drei 
Momente  die  Stichworte :  >EinlOsungsschuId< ,  >HoIschuldc , 
>Mahnschuldc  (sc.  solenne)  wählen. 

Es  sollen  so  mit  dem  Ausdruck  »Präsentationspapieri  ge- 
wisse bisher  mehr  oder  weniger  scharf  von  der  Gesetzgebung 
(z.  B.  einerseits:   D.W.O.  Art.  39,   H.G.B.  Art.  303   Abs.  3 

—  andererseits:  D.  W.O.  Art.  40,  41,  91  ff.,  H.G.B.  Art.  325)' 
und  Doktrin  (insbesondere  Thal,  v.  Salpius,  v.  Hahn) 
fonnulirte,  für  gewisse  Arten  von  Urkunden  geltende  Rechts- 
satze in  dem  Sinne  zusammengefasst  werden,  dass  deren  an- 
erkannte Geltung  die  selbstständige  Kategorie  »PrSsen- 
tationspapien  begründet. 

Wenn  dabei  Brunner  ursprünglich  (Zeitschr.  XXII  S.  60) 
>  für  das  heutige  Recht  die  Kategorieen  des  Präsentations- 
papiers,  des  Inhaberpapiers  und  des  Dispositionspapiersi  auf- 
stellte, so  war  dies  wohl  nicht  als  erschöpfende,  überhaupt 
kaum  als  wahre  Gliederung  der  modernen  »Papiere«  ge- 
meint —  wie  denn  auch  später  eine  abweichende  Klassifikation 
gewählt  ist  (z.  B.  in  Endemann's  Handbuch  II  S.  151, 
152;  s.  aber  auch  S.  146,  147),  Denn  von  dem  ilnhaber- 
papier»  ist  es  ja  zweifellos,  dass  es  nothwendig  zugleich 
>Di5positiTpapier<  ist:  die  Inhaberforderuog  kann  nur  durch 
das  Papier  begründet  werden,  und  auch  das  «Präsentations- 
papier«    muss   insofern  zugleich    »Dispositivpapier«    sein,    als 


>  Adb  den  Protokollen  der  NOroberger  Konfereni  (S.  584,  588,  589, 
I3T2|  1373)  ^g}^t  lieh,  wie  »ehr  nllmihlich  der  wichtige  und  doch  noch  lu 
beachrinkte  RechtMaU  imit  AuBnahiae  der  indottabelo  oder  aaf  Inhaber  lanteD- 
den  Papiere*   all  klar  ericanntes  RechUprin^ip  zum  Durchbruch  gelangt  ht. 


oogle 


34  MHcdlen  zur  Theorie  der  Wenhpapiere. 

der  ihm  eigenthümliche  Forderungsinhalt  (nur  gegen  das 
Papier)  nicht  anders  als  durch  das  Papier  begründet  wird  — 
es  wären  also  wohl  Inhaber-  und  Präsentationspapiere  den 
Dispositivurkunden  einzuordnen.  Weiter  aber  würde  augen- 
scheinlich das  ilnhaberpapier«  neben  allen  —  oder  doch  den 
weitaus  meisten,  nämlich  allen  nicht  die  megative  PrSsen- 
tationsklauselc  (Zeitschr.  XXII  S.  63  und  sonst  häufig)  tragen- 
den Orderpapieren ',  endlich  neben  vielen  Namenpapieren  eine 
blosse  Unterart  der  umfassenderen  Kategorie  >Präsentatioiis- 
papier«  bilden  —  oder  hat  Brunner  hier  mehr  historisch 
(so  wohl  Zeitschr.  XXII  S.  98)  imter  >Inhaberpapierc  jedes 
»Papier»  verstanden,  dessen  >Haben>  für  das  Gläubigerrecht 
von  wesenthcher  Bedeutung  ist  ?  EndUch  bedarf  es  einer  Zu< 
sammenfassung  der  Forderungspapiere  auf  Inhaber  mit  vielen 
Orderpapieren  und  gewissen  Namenpapieren  (Rettapapieren) 
in  die  wichtige  Kategorie  der  iSkriptur-Obligationent  • ,  für 
welche  Brunner  die  neue  Bezeichnung  »Papiere  öffcntUchen 
Glaubensc  (in  Endemann's  Handbuch  II  S.  152,  168ff.  und 
sonst)  empfiehlt.  Man  sollte  aber  doch  an  der  alten  festhalten. 
Dean  wollte  man  auch  ohne  entsprechende  »Öffentliche  Ein- 
richtungen» »öffentlichen  Glauben«  statuiren,  so  steht  es  ja, 
iedenblls  auch  nach  Brunner's  Ansicht,  fest,  dass  ein  un- 
echtes oder  von  einem  Verpflichtnngsunfähigen  ausgestelltes 
oder  von  dem  Aussteller  gar  nicht  begebenes  Papier  der  Art 
eine  Obligirung  des  wirklichen  oder  angeblichen  Ausstellers 
nicht  begründet,  während  der  »öffentliche  Glauben«,  z.  B.  des 
Grundbuchs,  nothwendig  diese  Folge  nach  sich  ziehen  würde  3. 
Die  oder  mindestens  gewisse  aus  dem  »öffentlichen  Glauben« 
hergeleiteten  Satze  folgen  eben  aus  dem,  vras  der  Name 
»Skriptur-Obligation«  —  noch  pr^ciser:  »Urkunde  über  eine 
Skriptur-Obligation«  <  —  mit  sich  bringt :  nämlich ,  dass  die 

<  «Ohne  TOt^ingige  PrisenUtioiK :  EnUcheidungen  des  Reich« -Obcr- 
bandel^ericbtt  VIU  S.  164,  vgl.  V  S.  103,  XIV  S,  415;  Verbaadlungen  des 
XV.  jDriilentagB  I  S.  58  (Sclinlie-Delittieh),  III  (Hoise). 

*  Nicht  identtich  mit  »bitt«kten<  (Zeitschr.  XXII  S.  64  Note  1,  S.  89)  — 
*.  aber  ancb  in  EndemaDn's  Handbuch  II  S,  151,  Tgl.  mit  meinen  Hand- 
bach I,  3  S.  $85. 

)  Daher  ancb  Dernburg,  welchec  tcbon  früher  (3.  Aufl.)  >nf  eine  der- 
utige  Analogie  hingewiesen  hatte,  nmunehr  deren  juristische  VenrartbbMiteit 
beiwäfelt  (Preiui.  Frintrecht,  3.  [avch  5.]  AnS.,  11  %  353). 

*  WelchedemiTeiteianKTeiseder>Skriptiii^odeTLitenl-Rechte<  angehört. 

L., ..  „Gooslc 


n.    Du  PritenUCionspapier  und  die  Kategorieen  der  Werthpapiere.     g5 

Forderung  schlechthin  und  lediglich  nach  Maassgabe  der  echten 
Schrift  (des  Urkundenwortlauts)  besteht,  dass  also  der  nort- 
gemässe  und  echte  (abstrakte  oder  diskrete)  Inhalt  der  Schrift 
für  wahr  und  gewollt  gilt,  unter  Ausschluss  des  Gegenbeweises 
und  unter  Zulassung  der  Anfechtung  nur  gegenüber  dem  mit 
der  Unwahrheit  bekannten  Papiererwerber,  sofern  dieser  nicht 
ein  Rechtsnachfolger  des  der  Anfechtung  ausgesetzten  Vor- 
mannes  ist'.  — 

Um  aber  auf  das  iPrasentationspapiert  zurückzukommen, 
so  darf,  auf  Grund  namentlich  der  eindringenden  Unter- 
suchungen Brunner's'  und  Franken's^,  als  sehr  wahr- 
scheinlich erachtet  werden,  dass  die  aus  der  spätrömischen, 
vielleicht  im  Provinzialrecht  eigentbümlicb  weiter  entwickelten 
Dispositivurkunde  entstammende  Forderungsurkunde  des  Ger- 
manischen Mittelalters  —  nicht  nur  die  handelsrechtliche  — 
ursprünglich  in  der  Regel  als  Dispositivurkunde  und  sogar 
ohne  Präsentationsklausel  —  anders  anfänglich  Brunner  — 
als  ipräsentationspapieri  in  dem  Sinne  gegolten  hat,  dass  der 
Schuldner  nur  gegen  das  Papier  bezw.  gegen  dessen  Amorti- 
sation (Todeserklärung  in  verschiedenen  Formen)  zu  leisten 
verbunden  war,  die  Zahlung  sich  somit  als  »Einlösung  des 
Papiers*  darstellte, 

Hiermit  ist  die  geschichtliche  Grundlage  erkannt,  auf 
welcher  allein  eine  sehr  grossartige  und  mannigfaltige  Rechts- 
entwicklung ermöglicht  war.  Das  Ergebniss  ist  aber  auch 
fUr  das  geltende  Recht  sehr  erheblich:  einmal,  indem  in  den 
Skriptur-Obligationen  das  eigenthUmliche  Element  des  Präsen- 
tationspapiers erkannt  ist,  welches  seine  besondere  Analyse 
erfordert;  weiter  indem  es  auch  noch  gegenwärtig  Forderungs- 


'  M«in  Handbach  des  HaDdelirecbu  I,  a  g  72  Note  Stf.,  vgl.  Note  4  ff. 
nnd  I.  (3.  Aufl.)  §  34  Note  15.  Das  erkennt,  bis  auf  den  letiten  Sati,  auch 
Brnnner  an  (EndemaDn's  Huidbuch  II  S.  191)  —  aber  das:>  die  »publica 
fidai  schlechthin  den  weiteren  Nehmer  icbätieii  würde,  lieaae  sich  nicht  er- 
klären, mnn  dieser,  wie  S.  164  und  sonst  poatulirt  wird,  die  Forderung  durch 
Rechtioachfolge  enrttrbe.  S.  oben  S.  7S  Note  t  nnd  nnteo  S.  II8  Note  t. 
Vgl,   Dernburg,  Preuss.  PriTBtr.,  3.  [auch  5.]  Aufl.,  II  §  8j  Note  l. 

'  S.  namentlich  Zeitcchr.  XXII  S.  83,  87;  Das  franiäsiscbe  Inhaber- 
papier  S.  90.  93  [s.  aoch  in  den  >FoTuhang;en  inr  Geschichte  des  deutschen 
and  foutztisiscben  Rechtii  (1894),  S.  534,  S44].  Daiu:  Brauner,  Zur  Rechts - 
gesciüchte  der  römischen  ticd  germani*chen  Urkunde  Bd.  I  (18S0}. 

1  Dm  fruizCsische  FAmdiecbt  im  Mittelalter,  Bd,  I  S.  348 — 154. 


,  Cioogle 


86  Miscdlen  »ur  Theorie  der  Werthpsiäere. 

papiere  gibt,  welche  lediglich  »Präsentationspapiere*  in  dem 
Sinne  der  ursprunglichen  germanischen  Fordenrngsurkunde 
sind ' ;  endlich  weil  unverkennbar  die  noch  zu  wenig  gewürdigte 
Verkehrssitte  dahin  neigt,  den  Forderungsurkuadea  mindestens 
diese  rechtliche  Bedeutung  —  entgegen  dem  specifisch  römi- 
schen Recht  der  blossen  Beweisurkunde  —  beizulegen.  Der- 
gleichen gewissermaassen  unvollkommene  Residuar-  und  doch 
gleichzeitig  Keim-Gestaltungen  finden  sich  ja  auch  sonst,  zumal 
auf  diesem  Gebiet.  Lässt  z.  B.  das  ältere  Recht,  welchem  das 
Indossament  noch  fehlt,  an  sich  eine  Legitimation  des  späteren 
Brieferwerbers  durch  jedes  Beweismittel  (Willebrief  u.  a.)  zu ', 
so  ist  dies  auch  noch  beute  insofern  ^  mOgtich ,  als  nicht  die 
besonderen  Wirkungen  des  Indossaments,  d.  h.  eben  der  Order- 
klausel im  modernen  Sinne,  in  Frage  stehen*. 

Immerhin  ist  die  Rolle,  welche  das  iblossec  Präsentations- 
pdpier  —  nicht  als  Element  der  »Skriptur-Obhgationenc  —  im 
Heutigen  Verkehrsleben  spielt,  eine  sehr  bescheidene,  und  für 
die  geschichtliche  Entwicklung  der  »Skriptur-Obligationent 
bildet  es,  wie  bemerkt,  lediglich  einen  ersten  Ausgangspunkt. 
Denn  in  dem*Begriffe  des  iPräsentationspapiers«  liegt  keines- 
wegs, dass  schlechthin  an  den  »Präsentanten*  gezahlt 
werden  muss  —  das  hat  auch  im  germanischen  RecJit  nur 
für  Order-  und  Inhaberpapiere  und  auch  hier  nur  unter  er- 
hebhchen  Schwankungen  gegolten;  es  ist  erst  —  wie  man 
schon  mehrfach  (z.  B.  G.  L.  Maurer,  Platner,  Biener, 
V.  Poschinger)  behauptet,  aber  erst  Brunner  genauer 
nachgewiesen  hat  —  durch  Ueberwindung  der  ursprünglichen 
germanischea  Grundsätze  von  der  Un2ulässigkeit  der  gericht- 
lichen Stellvertretung  und  Cession  ermöglicht,  womit  dann 

'  Du  (cheinl  anch  B  ranner  anianehmen,  da  er  tod  gewissen  •schlichten 
Namenpapiereni  iprichl,  welche  nicbt  oothwendig  >Skripturobligalionei)>  nnd 
lEndemann's  Haodbach  II  5.  159,  171).  Dagegen  (cheint  dieselbeo  n> 
identitieiren;  Stobbe,  Deutsches  Privatr.  UI  g  173  (S.  I36ff.).  [Stobbe- 
Lehmann  III  g  317,  S.  159.] 

■  Zeitschr.  XXIIl  S.  34S  ff.  und  Cit 

1  Auch  darnber  hinaoi?  So  Brnniier  in  Endemanii'i  Handbach  11 
S.  189  Note  15, 

*  Ygl.  I.  B.  C.P.O.  gg  733,  732  [neue  FMSong  gg  S32,  831]:  Enuchei- 
dungen  de*  Reichs-Oberhandelsgericba  Bd.  XI  S.  350,  362.  Sollte  anch  noch 
geseawtrtig  ein  •schlichte»  OrdeqMpier,  welches  niclil  sogleich  •PritentationE- 
pepier'  ist  (ttranner,  Das  franaösische  InbAberpapier  S.  JZB-),  Totkommen? 


II-    Dm  PtStenUtioiupapieT  und  die  Katcgorieen  der  Werlbpapierc     87 

einerseits  das  Niveau  der  römischen  Beweisurkunde  erreicht, 
andererseits  aber  gleichzeitig,  da  die  Ueberwindung  durch  An- 
nahme ursprünglicher  Gläubigerrechte  der  späteren  Brief - 
erwerber  erfolgte,  ein  viel  weiter  gehendes,  nämlich  den 
Cessionsstandpunkt  überflügelndes  Ergebniss  erzielt  wurde. 
Ebensowenig  ist  mit  dem  »Präsentationspapierc  ohne  Weiteres 
der  allerdings  im  Geiste  der  germanischen  Rechtsanschauung 
liegende  Rechtssatz  gegeben,  dass  nur  an  den  Präsentanten 
mit  iiberirender  Wirkmig  gezahlt  werden  kann  —  ein  solcher 
Rechtssatz  ist  im  germanischen  Recht  wohl  kaum  für  das 
reine  Inhaberpapier,  sicher  nicht  für  das  viel  häufigere  Papier 
mit  der  alternativen  Inhaberklausel  oder  für  das  Orderpapier 
zum  vollen  Durchbruch  gelangt".  Höchstens  im  Keime  aber 
können  auf  das  > Präsentationspapier <  als  solches  die  den  Kern 
des  heutigen  Rechts  von  den  Order-  und  Inhaberpapiereo 
bildenden  Rechtssätze  über  den  selbstständigen  Rechtserwerb 
des  weiteren  Nehmers  und  die  Ausschliessung  der  Einreden 
in  dritter  Hand,  den  Forderungserwerb  durch  blossen  redlichen 
Papiererwerb  u.  A.  m.  zurückgeführt  werden,  wie  sie  denn 
auch  Brunner  auf  ganz  verschiedenartige  Prinzipien  stützt 
(Endemann's  Handbuch  II  S.  163,  164,  168 ff.,  189 ff.,  213). 
Indessen  dürfte  hier  doch  ein  engerer  geschichtlicher  wie 
dogmatischer  Zusammenhang  rorliegeo.  Zwischen  der 
Formel  »gegen  das  Papier*  (Präsentationspapier)  und 
der  Formel  >geinfias  dem  Papier«  (Skripturrecht)  be- 
steht eine  unverkennbare  Verwandtschaft  und 
die  Zurtickfuhrung  beider  auf  einen  obersten  for- 
malen, ursprünglich  sehr  rohen,  naturalistischen, 
dann  aber,  entgegen  dem  feineren  spiritualisti- 
schen  Prinzip  .des  römischen  Rechts,  mit  glück- 
lichem Takt  im  Interesse  des  Verkehrs,  nament- 
lich des  Handelsverkehrs  festgehaltenen' Grund- 
gedanken erscheint  unabweislich.    Nur  bedürfen,  um 

'  Vgl.  I.  B.  Braaner:  Zeitechr.  XXII  S.  7S  ff.,  55,  56. 

*  Ueber  die  itreng  formoliitUdie  Beliaiidlnng  gerade  im  IntereBta 
dei  Verkebtt,  die  nequitu  mercstoTia  in  dieiem  Sinne  Tgl.  mein  Hand- 
buch  T  (a.  Aufl.)  S.  31a  Ea  handelt  lich  um  die  Konseivirnng  und 
Weiterführung  germanitcbea  Forma Irechts.  Kaum  ändert  iteht  ei 
JB  mit  dem  Grandniti  (Hand  moss  Hand  wahren'.  Vgl.  meine  AbhoDdlnng 
in  der  Zeitscbr.  VIII  S.  346 ff.,  359  und  Franken,  Da»  fruuSdtcbe  Pfand- 
recht I  S.  2679.,  aSgff.,  300  ff. 


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gg  Misc«llen  va  Hieorie  der  Werthpapiei«. 

ZU  einem  abschliessendeo  Urtheil  zu  gelangen,  die  bisherigen 
bereits  so  ergiebigen  geschichtlichen  Untersuchungen  in  den 
bezeichneten  Richtungen  der  Vervollständigung.  — 

Dass  nun  dem  iPräsentationspapier« ,  auch  sofern  es  für 
sich  als  »blosses  Präsentationspapier«  auftritt',  die  drei  von 
Brunner  bezeichneten  Kriterien  regelmässig  zukommen, 
tässt  sich  nicht  bestreiten.  Dagegen  fragt  sich,  ob  sie  ihm 
wesentlich,  also  für  die  Begriffsbestimmung  maassgebend  sind. 

Selbstverständlich  geräth,  auch  wo  prinzipiell  der  Eintritt 
des  Verfalltages  der  Mahnung  gleichsteht  (dies  interpellat  pro 
homine),  der  Schuldner  nicht  ohne  Weiteres  in  Verzug,  so- 
fern nicht  er  zu  bringen,  sondern  der  Gläubiger  zu  holen  hat 
(«Holschuld«).  Dieses  Kriterium  ist  somit  nicht  ein  selbst- 
ständiges,  sondern  eine  nothwendige  Konsequenz  der  so- 
genannten »Abholungspflicht«. 

Von  der  letzteren  aber  bemerkt  Brunner  (in  Ende- 
mann's  Handbuch  11  S.  156),  sie  sei  Konsequenz  der  >Prä- 
sentationspflicht* ,  nicht  umgekehrt.  Das  Letztere  trifft  un- 
zweifelhaft zu,  auch  wenn  man  die  Deduktion  aus  Art.  91 
der  deutschen  W.O.  dahingestellt  lässt;  denn  das  >Holen«  ist 
nicht  begrifflich  mit  einer  Präsentation  der  etwa  über  die 
Forderung  vorhandenen  Urkunde  verbunden.  Das  Erstere  ist 
zu  bezweifeln.  Es  kann  trotz  der  iPräsentationspflicht«  des 
Gläubigers  der  Schuldner  zum  »Bringen«  verbunden  sein  — 
nämlich  sich  mit  der  Leistung  an  einem  bestimmten  Ort,  ins- 
besondere auch  bei  dem  (wirklichen  oder  möglichen)  Gläubiger 
einzufinden  und  dort  igegen  das  Papier«  zu  leisten:  sei  es 
zufolge  »Domicilirung«  oder  auch  nur  anderweitiger  »Zahlbar- 
machung«  des  Papiers  bei  dem  Gläubiger,  z.  B,  falls  der 
eigene  Wechsel  beim  Remittenten,  der  gezogene  Wechsel  beim 
Aussteller  »zahlbar«   ist '.    Ob  solchenfalls  schon  das  blosse 

'  Z.  B.  die  civil«  Anweisang  oder  der  dvfle  Schuldschein  auf  Namen: 
•Gegen  diese  Anweisung  zahlen  Sie  an  Heim  X  die  Summe  von  . .  .<,  «Gegen 
diesen  Schein  (Schuldfchein,  Urief  etc.]  lahle .  ich  ao  Herrn  X  die  Samme 
von  .  .  ,t  (auch  etwa  individualisirt :  von  .  .  .  Kaufgeld,  Darlehosvaluta  etc.), 

'  So  schon  Protokolle  der  Nürnberger  Kunferenr  S.  588  a.  E.  Vgl, 
Mosse,  Verhandl.  des  XV.  Juristeutafs  I  S.  izt.  Die  gleichwohl  bestehende 
'  Prisen tationspflichli  hebt  ausdrücklich  hervor  das  Urtheil  des  Reicbsoba- 
haudelsgerichti  vom  4.  September  1876  (Entsch.  Bd.  XXI  S.  26).  Eine  >Vei- 
wandlungi  ursprünglicher  Holschuld  in  eine  Bringichuld  (Brunner  in  Ende- 
mana's  Handbuch  II  S.  157)  liegt  nicht  immer  vor. 


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IL  Du  PiisenttttioQipai^  und  die  KittgoHeen  der  Werthpapiere.     89 

Nichtbringen,  oder,  wie  das  Reichs-Oberhandelsgericht  an- 
nimmt, nur  dann,  wenn  zugleich  die  »Präsentatioospflichtt  er- 
lassen ist,  den  Verzug  des  Schuldners  begründet  %  darf  hier 
dahingestellt  bleiben  —  man  sollte  aber  denken,  dass  die  durch 
das  Nichtbriagea  verhinderte  Präsentation  in  ihren  Rechts- 
wirkungen der  erfolgten  Präsentation  gleichstehen  mtlsse. 
Immerhin  ist  Präsentationspflicht  bei  Mangel  der  Abholungs- 
pflicht möglich,  die  Schuld  aus  dem  Präsentations- 
papier ist  somit  nicht  begrif fsnothwendig  eine 
Holschuld. 

Auch  die  >Einl»sungspflicht<  dürfte  dem  Prä- 
sentationspapier  nicht  wesentlich  sein.  Besteht  die 
lEinlOsungspQichti  auch  bei  Papieren,  welche  nicht  Präsen- 
tationspapiere sind:  z.  B.  dem  Orderpapier  mit  der  Klausel 
•ohne  Präsentation  zu  zahleni  (Bruoner  a.  a.  O.  II  S.  159), 
so  lässt  sich  umgekehrt  sehr  wohl  ein  »Prasentationspapier« 
denken,  welches  nicht  zugleich  »EinlOsungspapiert  ist:  nur 
durch  eine  im  Wege  der  Präsentation  erfolgende  Mahnung  soll 
der  Schuldner  in  Verzug  gerathen,  ohne  doch  dessen  Leistungs- 
pflicht von  der  vorgängigen  oder  gleichzeitigen  Aushändigung 
(Einlösung)  der  Schuldurkunde  abhängig  zu  machen. 

Man  würde  so  zur  Unterscheidung  wesentlicher  und  nur 
naturaler  Elemente  im  Begriff  des  >Präsentationspapiers<  ge- 
langen. Als  einziges  wesentliches  Kriterium  für  ein  unter 
diesem  Namen  sicher  abzugrenzendes  Rechtsinstitut  bliebe  die 
*Prä5entationspflicht<  des  Gläubigers,  und  zwar  mit  der  ein- 
zigen wesentlichen  Rechtsfolge,  dass  nur  durch  Präsentation 
der  Schutdnerverzug  und  anschliessend  die  Leistirngspfllcht 
aus  nur  sekundären  Zahlungsverbindlichkeiten  (Regressver- 
pflichtung) begründet  wird.  E>ementspräche,  was  auch  Brunner 
(a.  a.  O.  II  S.  158)  anerkennt,  dass  die  Behauptung  erfolgter 
Pi^sentation  überhaupt,  wie  im  Urkunden-  bezw.  Wechsel- 
prozess  insbesondere,  nur  insoweit  zur  Klagebegründung  ge- 
hört, als  die  Wirkungen  des  Verzuges  oder  die  von  primärer 


'  Vgl.  EnBch.  XXI  S.  I6  mit  VIII  S.  164  und  V  S.  375,  VI  S.  157. 
Die  Deduktion ,  dais  in  der  n^ativen  Pclientationskknsel  »tUbcliweigend  die 
Untenrerfong  nnter  die  getetdicbeo  Venagifolgen  entbatten  lei,  also  eine 
Fiktion  der  Pifientation  (Vni  5.  164),  encheint  aettt  bedenklich. 


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90  MisceUen  lui  Theorie  der  Werthpapiere. 

Nichtzahlung   abhängigen   Regressverbindlichkeiten    in   Frage 
kommen'. 

Indessen  wäre  auch  dies  noch  nicht  vOlUg  genau.  Unter 
>Präsentationspflicht*  will  Brunner  augenscheinlich  nur  eine 
iBedingUDgt  a.  a.  O.  II  S.  155,  vgl,  158)  verstehen  —  noch 
genauer  wäre:  eine  nothwendige  rechtHche  Voraussetzung  — 
für  den  Eintritt  gewisser  Rechtsfolgen.  Er  fUgt  aber  hinzu 
(S.  155):  »Der  Schuldner  hat  seinerseits  kein  Recht,  gegen 
das  Anerbieten  der  Leistung  die  Aushändigung  des  Papiers 
zu  verlangen  und  ist  demgemäss,  wenn  nicht  eine  besondere 
Verabredung  vorliegt,  zu  einem  Anerbieten  nicht  verpflichtet.« 
Der  letzte  Satz  ist  unzweifelhaft  richtig,  der  erste  nur  inso- 
fern, als  ein  Klagerecht  auf  Annahme  gegen  den  Gläubiger 
nicht  besteht'.  Dagegen  darf  unzweifelhaft  der  Schuldner 
dem  ihm  bekannten  Gläubiger  Zahlung  der  fälligen  Schald 
gegen  Vorlegung  und  Aushändigung  des  Papiers  unter  dem 
Präjudiz  des  Annahmeverzuges  anbieten  (W.O.  Art  48,  Art.  98 
Ziff.  6);  er  darf  weiter,  falls  zur  Verfallzeit  die  Vorlegung 
unterbleibt,  sich  durch  gehörige  Deposition  befreien  und  die 
deponirte  Summe  wird  an  den  Gläubiger  nur  gegen  Aus- 
händigung des  Papiers  gezahlt  (W.O.  Art.  40,  98  Ziff.  5,  6). 
Ob  dieses  Recht  zur  Deposition  Folge  des  mit  der  unterlassenen 
Präsentation  eintretenden  Annahmeverzuges  oder  der  blossen 
Ungewissheit  über  die  Person  des  Gläubigers  ist  3,  mag  zweifel- 
haft erscheinen,  v.  Hahn  leugnet,  dass  schon  an  die  unter- 
lassene Präsentation  sich  der  Annahmeverzug  kntlpfe,  weil  der 
Verpflichtete  nur  selten  die  nach  allgememen  Rechtsgrund- 
sätzen oder  specieller  Vorschrift  (W.O.  Art.  40)  erforderlichen 
Schritte,  diesen  Verzug  herbeizuführen,  machen  werde  *.    Dass 

■  VerhaDdluDgen  de«  XV.JuristcDtag«  I  S.  51,   iii,   II  S.  140.     Die  eot- 

gegenMehende  Anaiclit  kann  nur  >(U  dner  anderen  als  der  herrschenden  Gmnd- 
auffassung  des  KUgerechts  and  leiDer  Eatttehung  begrdnd«!  werden. 

>  Dies  bildet  die  Regel,   aber   nicht  die  antnahmilose :   F.  Mommien, 
Bcitrige  2um  Obligationeniecht  III  S.  134?.;  Windscheid,  Pandekten  [anch  ' 
7.  Aufl.]  II  §  347  Note  I.    Zu  weit:  Kohlet  in  Ihering' s  Jihrböchcm  XVII 
5.  zfi5ff.     Eine  Annahmepflicht   im   weiteren  Sinne   ist  flberali  aniuerlcennen. 
S.  auch  DernbuTg,  Ptenss.  Privatr,  [auch  5,  Anfi,}  II  §  73. 

}  Kühne  in  Ihering'i  Jahrb.  VII  S.  i  S. 

*  Kommentat  lu  H.G.B.  Art.  aSg  g§  i,  3  (2.  Aufl.}-  ^»^  i°  FiUen 
dieser  Art  die  Bereitschaft  des  Schuldners  sur  gehörigen  Leistung  bis  auf  den 
Nachweil  des  GegenlbeiU  anzunehmen  sei,  erkennt  er  an  (II  S.  103). 


ogic 


II.    Du  PrSuiitBdoiupi.pier  nnd  die  Kategorieen  der  Wetthpapiere.     91 

die  iDeposition«  (W.O.  Art.  40)  nicht  ein  solcher  Schritt  ist, 
versteht  sich;  sie  ist,  wenn  überhaupt  in  diesem  Zusammen- 
hange aufzufassen,  nicht  Voraussetzung,  sondern  Folge  des 
Verzugs,  v.  Hahn  kann  also  nur  an  das  Anerbieten  der 
Leistung  denken.  Es  fragt  sich  daher,  ob  bei  Präsentations- 
papieren'  die  unterlassene  Präsentation  fUr  sich,  auch  ohne 
lOblation«  des  Schuldners,  den  Annahmererzug  des  Gläubigers 
bewirkt.  Mir  scheint  die  Frage  zu  bejahen.  Wer  nur  >gegen 
das  Papiere  Zahlung  fordern  kann,  verhindert  durch  Nicht- 
vorlegung  des  Papiers  die  Leistung». 

Nimmt  man  dies  an,  so  liegt  die  wesentliche  rechtliche 
Bedeutung  des  Präsentationspapiers  als  solchen  in  beiden 
Richtungen  der  Verzugsbegründung:  positiv  darin,  dass  nur 
durch  Präsentati(»i  der  Schuldner  in  Zahlungsverzug,  negativ 
darin,  dass  durch  Nichtpräsentation  zur  Verfallzeit  der  Gläubiger 
in  Annahmeverzug  geräth. 

Dass  die  Verzinslichkeit  der  fälligen  Geldschulden  unter 
Kaufleuten  aus  beiderseitigen  Handelsgeschäften  (H.G.B. 
Art.  289)  bei  unterlassener  Vorlegung  des  Präsentationspapiers 
cessirt,  ist  unzweifelhaft  —  mag  man,  weil  sie  »Verzugs- 
zinsen! sind,  den  zu  ihrer  Begründung  erforderlichen  Schuldner- 
verzug vermissen  *  oder,  obwohl  sie  nicht  Verzugszinsen  sind ', 
ihren  Eintritt  wegen  Gläubigerverzugs  ausschliessen  s ,    oder 

'  Bei  jeder  .HoUchuid.I  F.  Mommien  a.  a.  O,  III  S.  I73— 17S- 
Köhler  in  IheriDg's  Jihib.  XVII  S.  401  ff.  Protokolle  der  NOmberger 
Konfereni  S.  1316,  Dafregen  Windaclieid  [auch  7.  Aufl.]  %  345  Note  11. 
Ist  die  Schuld  au(  dem  PrbentatioiupBpier  eine  Biingtchutd,  so  liegt  iu  dem 
Bringen  des  Schnldnen  die  erforderliche  >ObIatioQ>. 

*  So  ancb  Urtheil  des  Oberlribonftls  Berlin  Tom  18.  Uai  1854 
(StrfethoTSt's  Archir  XUI  S.  112)  'selbst  im  Verenge  veiwft*.  Vgl.Dern- 
bnrg,  Prenss.  Priralr.  II  §  73  Note  10  (3.  Anfl,  S.  171  [5.  Aufl.  S,  175J). 

3  T.  Hahn  ft.  a.  O.  Entscheidongen  des  Rächs-Oberhuideltgeriehts 
Bd.  XXII  S.  305.  So  wohl  auch  Brnnner  (in  Endemano's  Handbach  II 
5.  156),  obwohl  er  die  hier  in  Betracht  kommenden  Zinsen  neben  den  Ver- 


4  So  nnzweifelbaft  nach  der  Quelle  des  HJS3.'s  Art.  189  (vgl.  Motive 
des  prenaischen  Entwurfs  S.  iio);  A.L.R.  II,  8  g  696.  Vgl.  auch  Dem- 
bürg,  PreuB.  Frivatr.  II  g  37  Note  11  [5.  Aufl.  ebendort]. 

5  Für  du  prenstische  Recht  nimmt  das  GeKcnCheil  an:  Obertribnnal 
Berlin  1S41  (FrSjudii  1029.  Sammlung  I  5.86].  So  auch  Förster,  Theorie 
nnd  Praxis  Ig  105  Note  81  [7.  Aufl.  ebendort  Note  71]  ondDernburg  a.  a,0. 
g  37  a.  E.     Die  Berufung  auf  A.L.R,  I  II  §  111  ist  nicht  ü 


,  C-'Oogle 


92  MiKdlen  znr  Tbeorie  der  Werlbpapiere. 

endlich  aus  dem  rechtlichen  Gründe  der  gesetzUchen  Zins- 
pflicht, nämlich  der  jederzeitigen  Möghchkeit  h'uchtbringender 
Verwendung  der  Kapitalien,  fUr  den  Fragefall,  wo  der  Schuldner 
die  geschuldete  Summe  zur  Verfügung  des  Gläubigers  halten 
moss,  den  Wegfall  der  Verzinsungspfücht  entnehmen.  — 

Es  gibt  endlich,  was  bisher  in  diesem  Zusammenhange, 
meines  Wissens,  noch  nicht  berücksichtigt  ist,  Präsentations- 
papiere  potenzirter  Art:  das  sind  die  Sicht- bezw.  Nach- 
(befristeten)  Sicht-Papiere.  Die  Präsentation  bestimmt 
hier  zugleich,  allein  oder  verbunden  mit  einem  weiteren  Um- 
stände —  bei  den  Nach-Sicht-Papieren  —  die  Verfallzeit,  so- 
mit insoweit  auch  den  Inhalt  der  Schuld'.  Derselbe  Akt,  an 
welchen  sich  die  Fälligkeit  der  Forderung  knüpft,  begründet 
bei  dem  einfachen  Sichtpapier,  nicht  bei  dem  befristeten,  den 
Schuldnerrerzug.  Ein  Annahmeverzug  ohne  Pl^sentation  ist 
bei  dem  einfachen  Sichtpapier  undenkbar,  wenngleich  eine 
gesetzliche  Begrenzung  derartiger  Verbindlichkeiten  mögUch, 
z.  B.  D.W.O.  Art  31,  32,  vgl.  Art.  19,  20.  Die  Klage  aus 
dem  Sichtwecbsel  ohne  vorgängige  Präsentation  ist  Klage  aus 
nichtfälliger  Schuld  —  die  für  prozessualische  Zwecke  vor  Ge- 
richt erfolgende  Vorlegung  auch  des  Originalwechsels  ist  nicht 
die  nach  Zweck  and  Ort  (W.O.  Art.  91)  zur  Herbeiführung 
der  Fälligkeit  erforderliche  Handlung'. 

IIL   Das  flduoiarisohe  Indossament 

Der  Inhaber  des  Inhaberpapiers  ist  als  Gläubiger  legiti- 
mirt,  aber  ist  nicht  schlechthin  Gläubiger.  Demi  es  besteht 
kein  Rechtssatz,  dass  die  blosse  Detention  oder  auch  nur  der 
blosse,  nicht  zum  Eigenthumserwerb  führende  juristische  Besitz 
eines  Inhaberpapiets  das  Gläubigerrecht  gewahrt  (vgl.  S.  79  ff.). 
Würde  ein  solcher  Rechtssatz  eingeführt,  so  bedürfte  er  zur 

'  Vgl.  dun  m  ein«  AutRlhniageD  in  dem  U.  des  BaDdesoberhkadelsgerichts 
Bd.  n  S.  362  tr.  und  gegen  Thfll,  in  der  Zeitichr.  f.  Huidelsr,  XIXS.  33tfr. 

>  Anden,  iniberccdere  tos  dem  nicht  enUcbeidenden  Gnmde,  dui  eine 
ent  im  Laufe  des  ProiesMS  eintretende  FlUigkeit  der  Schuld  der  Venutheiluag 
nicht  entgegenstehe:  Entscfaeidangen  da  Reichi-Obethuidelsgcrichts  Bd.  III 
S.  300  (der  berilhmte  F»I1  der  >F&ttü. Wechsel*  —  d»  Unheil  erging  iwm 
auf  meinen  Vortrag ,  in  dem  betreffenden  PunVte  aber  entgegen  meinem  An- 
trag), V  a  314.  VI  S.  422  —  1.  aber  auch  II  S,  363,  V  S.  a?  ff. 


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III.    Du  fidncUriiche  Indotaainent,  93 

Ergänzung  einer  Reihe  seine  wesentlichen  Wirkungen  paraly- 
sirender  Rechtssätze. 

Dagegen  Tver  im  Ordemecfasel  —  beziehungsweise  in 
einem  sonstigen  wahren  Orderpapier  —  als  Remittent  oder 
durch  eia  gehöriges  Eigenthiunsindossaraent  (auch  in  blaoco) 
als  Indossatar  bezeichnet  ist,  hat  eben  durch  diese  Bezeich- 
nung, welche  ein  lediglich  durch  ihre  Form ,  ohne  Rücksicht 
auf  den  Grund  der  Begebung,  ja  ohne  Rücksicht  auf  den 
nächsten  Vertragszweck  (EigenthumsUbertragung  —  Pfand- 
bestellung —  Berollmächtigung  etc.)  der  Paciscenten  wirkender 
Rechtsakt  ist,  das  Eigenthnm  an  dem  Papier  imd  mit  diesem 
die  Forderung  aus  dem  Papier  erworben.  Daraus  ergibt 
sich,  dass  meine  frühere,  sich  der  herrschenden  Theorie  an- 
schliessende Bemerkung,  es  kOnne  ungeachtet  eines  Eigen- 
thumsiadossameots  das  Eigeotbum  des  Wechsels  und  die 
Wecbselfordenmg  bei  dem  Ueberlragenden  zurückbleiben', 
dem  Wesen  des  Indossaments  nicht  gerecht  wird  imd  dass  >ein 
Dualismus  formeller  und  materieller  Gläubigerschaft«  in  diesem ' 
Sinne  für  das  Orderpapier  nicht  anzuerkennen  ist.  Der  Rechts- 
akt, durch  welchen  Jemand  als  Nehmer  (Indossatar)  eines 
Orderpapters  ohne  einen  die  Wirkung  des  Eigenthums-  be- 
räehungsweise  Forderungserwerbs  unzweideutig  ausschliessen- 
den  Zusatz  (>in  Vollmachte,  »in  Prokura»,  »zur  Einkassirung« 
u.  dgl.)  bezeichnet  wird,  mag  unter  Umständen  ein  nur  fi- 
duciarischer  sein,  kann  aber  niemals  weniger  sein,  und 
äussert  auch  als  nur  fiduciarischer  Akt  alle  Rechtswirkungen, 
welche  ihm  seiner  Natur  nach  zukommen,  vorbehaltlich  der 
unter  den  Paciscenten  gebotenen  Ausgleichung '.     Dass  beim 

I  Zeiticlir.  VIU  S.  336. 

*  Brnnncr  in  EndeniKnn't  Handbuch  11  S.  163  rgl.  S.  195.  Aohn- 
iKb,  gegen  du  S.  91  Note  1  genumte  Urtfaeil  des  Reicbt-ObeikinddtgeTiehU, 
Dernbutg,  Pnon.  PrivUr.  II  §  117  Aan.  7  [5.  Aufl.  abendort,  Anm.  S}. 

I  Anf  dieun  GmndlUxen  bemhen  dis  bekjumtan  Mhlrckben  Enttchei- 
dungen  de«  Raichi-Oberbandeltgerfcht»  aber  die  RechtHteUimg  dei  ilt 
VolliudoMatu  beteicbncten  Mandktan,  iubesondere  dM  «if  meinen  Vortraf 
ergangene,  die  FiiniipieDfragen  nBtamicliende  Urtbeil  dei  L  Senat*  rom 
9.  April  1871  i.  S.  Wieribicki  c.  Fink  (Entich.  Bd.  VI  S.  53,  54.  v^ 
Bd.  XXII  S.  IT3  nnd  CState).  Dan  daa  allgsraetn  wichtige  Uttheil  dei 
Reicbtgerichti  L  Ciriltenat  tdid  9.  Oktober  1S80  (äittchddangwi  in 
Cirilsacbmi  n  S.  166).  Regeliberger,  Archiv  C.  driL  Pmi>  Bd.  «3 
S.   170,  181  ff.;  Kobler,  in  Iheiing'«  Jahrb.  XVI  S.  149?.,  H6S. 


,  C-'Oogle 


94  MäceDen  znr  Theorie  der  Werthpapiere. 

ifiduciarischem  Geschäft  der  Indossatar  (Remittent)  Eigen- 
thümer  werde  gegenüber  Dritten,  nicht  aber  gegenüber  dem 
Indossanten,  verstösst  wider  die  Fundamentalsätze  unseres 
Rechts. 

Auf  diesen  Erwägungen  beruhte  mein  in  der  Konkurs- 
kommission des  Deutschen  Reichstags  wiederholt  gestellter  An- 
trag, dem  bisherigen  Recht  entsprechend,  ausdrücklich  die 
hiemach  singulare  Aussonderung  der  nur  zu  Inkassozwecken 
indossirten  Wechsel  vorzuschreiben  (Protokolle  S.  28 — 32, 
127—131,  163-170,  172).  Es  wird  wohl  kaum  mehr  be- 
zweifelt, dass  die  durch  den  Widerspruch  der  Vertreter  des 
Bundesraths  bewirkte  Ablehnung  dieses  Antrages  zu  einem 
—  der  feierlichen  protokollarischen  Erklärungen  der  Konkurs- 
kommission und  ihres  Referenten  unerachtet  —  sehr  unbehag- 
lichen Rechtszustande  geführt  hat".  Zu  hoffen  steht  freilich, 
dass  der  souveräne  ob^ste  Gerichtshof  die  Lücke  des  Gesetzes 
in  entsprechender  Weise  ausfüllen  wird. 

IV.  Weohselaooept  und  Kreationstheorie'. 

I.  Die  einzige  3  wenigstens  anscheinende  positive  Stütze 
der  »Kreationstheoriec  bildet  der  Art.  21  der  deutschen  Wechsel- 
ordnung.   Es  wird  gegenwärtig,  nach  den  sorgfältigen  Aus- 

'  Vgl.  i~  B.  V.  Sarwsy,  Die  Konlcareordnung  fSr  das  Deutsche  Reich 
a.  Aufl.,  S.  345  [3-  A"1-  bearbeitet  von  Boaiert  S.  3»];  v.  Wilraowski, 
Deutsche  RelcEu-Koakuitordnung,  2.  Aufl.,  5.  3o6,  307  [5.  Aufl.  S.  175,  176]. 
RegeUberger  a.  a.  O.  S.  187;  Kohler  a.  a.  O.  S.  351  ff.;  Mandry, 
Der  ciTilrechtlicbe  lahtdt  der  Reichsgeietie,  3.  AuQ.,  S.  314  Note  7  [4-  Aufl. 
S.  334  Note  8]. 

*  Auf  das  mir  erst  bei  der  Rerision  zukomniende  Gutachten  Kuntze's 
in  den  VerhandTungen  das  XVI,  Juriiteotagi  Bd.  I  5.  131  ff.  kann  ich  mcfat 
mehr  eingeben.  Ich  finde  nicht,  dass  die  S.  136,  137  aufgeführten  >Rechts- 
sitiei  die  >Kieationstheorie<  sttttien. 

i  In  DieiDen  wiederholten  Ausführungen  gegen  diese  Theorie  (Zeitschrift 
III  S.  341,  VIII  S.  330,  IX  S.  63,  XIII  S.  34S,  XXIII  S.  306)  findet  sich 
Zeiltcbr.  VI  S.  341  dritte  Zeile  von' unten  der  Druckfehler  »diei  itolt  >der*; 
es  must,  wie  auch  aus  der  ganien  ErCiterung  klar  hervorgeht,  heissen:  >Db« 
Richtige  der  Kreationstheorie  liegt  nicht  darin ,  dasa  durch  einseitigen  Schrift- 
akt  der  Aussteller  seinen  Willeo  gebunden  hat,  sondern  das«  er  den  Inhalt 
seines  Willeu  und  damit  »der*  Verpflichlung  g^enUber  jedem  Nehmer  des 
Papiers  fizirt  hat  —  freilich  auch  cur  vorliufig,  da  eine  Abindenmg  auch  des 
Inhalts  ihm  jederzeit  bis  zur  Begebung  freisteht.  —  Der  Ansstdler  lagt:  falls 
ich  wollen  «erde,  so  will  ich  dies  —  ich  werde  gewollt  haben,  .sobald  ich  du 


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IV.   WechseluMpt  und  Kreatioiutlieoric.  95 

führongen  G  r  a  w  e  i  n '  s  • ,  sogar  von  einem  entscbiedeoen 
Gegner  der  iKreationstheoriec  hier  ein,  freilich  singulärer 
Ansnahmesatz  anerkannt'. 

Obwohl  ich  indessen  stets  die  Ansicht  vertreten  habe, 
dass  nach  der  Deutschen  Wechselordnung  bereits  mit  der 
Niederschrift  auf  den  Wechselbrief  auch  ohne  Aushändigung 
desselben  die  un-widemiftiche  Bindung  des  Acceptanteo,  und 
zwar  dessen  Obligirong  aus  dem  Wechsel,  nicht  lediglich  dessen 
Bindung  an  das  Wort  (Thöl,  Siegel)  erfolgt',  so  hatte  ich 
doch,  nach  'me  vor,  den  Schluss,  es  bilde  diese  Niederschrift 
einen  einseitig  obligirenden  Verpflichtungsakt,  nicht  den  blossen 
Bestandtheil  eines  Vertragsaktes,  für  ungegrUndet 

Die  unwiderrufliche  Annahmeerklärung  oder,  was  das- 
selbe sagen  will,  das  unwiderrufliche  EinlOsungsrersprechen 
des  Bezogenen  erfolgte  ursprünglich  mündlich  auf  mündliche, 
von  der  Wecbselpräsentation  begleitete  oder  nicht  begleitete 
Anfrage,  welche  von  dem  Remittenten  oder  Präsentanten  oder 
für  denselben  (durch  öffentlichen  Aufruf  auf  der  Wechselmesse) 
geschah  und  wurde  demnächst  im  Messwechselkonto  (scarta- 
bccio,  tnlan)  vermerkt,  auch  wohl  demnächst  oder  gleichzeitig 
durch  den  Bezogenen  auf  dem  Wechsel;  bei  den  nicht  regu- 
lären (Aussermess-)Wechseln  schon  früh  durch  blossen  schrift- 
Uchen  Vermerk  auf  dem  präsentirten  oder  zugesendeten  Wechsel- " 
brief.  Später  wurde  die  nur  mündliche  oder  aus  Wort  und 
Schrift  kombinirte  Annahme  allgemein  durch  die  nur  schrift- 
Uche  Annahme  auf  dem  Wechsel  und  zwar  mit  der  gleich«) 

Papier  begeben  bab&i  Vgl  auch  Zeitacbrifc  XXIII  S.  306.  Auf  diesem 
DmckfeUer  dOrfle  beruhen,  du«  Grftwein,  Die  Perfektion  de«  Accepts 
S.  13,  13  mir  die  Theorie  michreibt,  »welche  die  WecbselobligKdan  durch 
äa  eimätiges  Rechtsgeschift  entstehen  liw  nnd  dts  lEonititnirende  (?)  Moment 
dieses  letzteren  in  der  AushSndigtuig  der  Wechietiltriptar  erbliclitt. 

■  Die  Perfektioii  des  Accepts,  Gru  1S76.  Ueber  diese  gediegene ,  min- 
destens T  h  0 1 '  s  Accepttheorie  an  der  Warael  angreifende  Monogtaphie  findet 
sich  bei  Thöl,  Wechselrecht,  4.  Aufl.,  g  79  Note  5  nar  folgende  Bemerknngt 
•Das  Wesentliche  ist  widerlegltch' ;  schliesslich  S.  176 -wird  empfohlen  die  ent- 
setsUche  gesetzliche  Beitimmimg:  »Der  Bezogene  bleibt  ani  einem  ausgetilgten 
Accept  wechselmfissig  verpflichtet  •. 

>  Gareis,  Zeitacht.  XXIV  S.  313. 

1  Zötschr.  t  5.  550.  Eine  fOr  die  Konstruktion  unerhebUche  nnd 
daher  hier  nicht  zu  nutemichcnde  Fr^e  ist,  ob  aas  dem  durchstrichenen 
Accept  die  Wechaelklage  bleibt  oder  nur  dvile  Klage  auf  Wiederlierslellnng  des 
gelitten  Accepts  stattfindet. 


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96  MilceUen  tm  Theorie  der  WerthpipieTe. 

Rechtsfolge  der  Unwidemiflichkeit  ersetzt'.  Es  unterliegt 
so  keinem  Zweifel,  dass  die  Uswiderruflichkeit  des  einmal 
niedergeschriebenen  Accepts  iirsprüngüch  auf  der  Korrespon- 
denz von  Anforderung  (Anfrage)  und  Zusage  beruhte  —  das 
ist  auf  einem  Vertrage  ~  es  wäre  zu  erweisen  *),  dass  gegen- 
wärtig die  schriftliche  Annahme  einen  Vertrag  nicht  darstellt. 
Der  Beweis  durfte  um  so  schwieriger  sein,  als  der  entscheidende 
Art.  21  Abs.  4  der  deutschen  W.O.  fast  wörtlich  dem  Prenssi- 
schen  Allgemeinen  Landrecht ^  entnommen  ist:  A.L.R.  II,  8 
§§  997,  998,  und  wohl  noch  kaum  behauptet  ist,  dass  das  alt- 
preussische  Wechselrecht  auf  der  Kreationstheorie  beruhe,  auch 
von  Anderem  zu  schweigen,  das  Gegentfaeil  aus  11,  8  §  715: 
»Wer  überhaupt  unfähig  ist,  Verträge  zu  schliessen, 
kann  sich  nicht  wechselmässig  verbinden  (Th,  I  Tit  5  §§  9 
bis  31)c  und  hinsichtlich  des  Accepts  aus  dem  Grundsatz  er- 
hellt, dass  der  schriftlichen  Acceptation  die  stillschweigeade 
durch  Behalten  des  vorgezeigten  und  eingehändigten  Wechsels 
über  Nacht  durchaus  gleichsteht  (II,  8  §  993). 

Es  ist  von  dem  Normalfall  des  zur  Annahme  präsen- 
tirten  oder   eingesendeten   und   wie  trassirt   (pure)   schriftlich 


•  GTftwiin  >.  a.  O.  S.  84  ff.,  «xL  mit  Biener,  WeduelrechtUche  Ab- 
-hkiidluDgen  S.  46,  49,  87,  lOSfT.,  131  ff.;  EBdemann,  Studien  in  der 
romftnistilch-kaaoniitiscben  Wiithscluifts-  and  Rectitslelu«  I  S.  175  ff. ,  305  ff., 
318  ff. ;  Zeitschrift  VI  S.  338  (G«ld*climidt],  XXTI  S.  31  CBranner), 
XXIII  S.  174,   »75  (L«iti8). 

>  In  dem  Satxe  Grawein'i  (S.  S8);  «Zur  Entdeckung  de*  Unterachiedi, 
dau  früher  zur  Zdl  der  Vornahme  des  Schiiftrennerkl  die  Voraaisetrungen 
zu  einem  perfditen  Vertrag«  vorhanden  waren,  wthrend  nun  eine  zwar  gc- 
schiiebene  aber  nicht  abgegebene  Willenterkllnuig  vorlag,  bitte  bei  dem  da- 
maligen Stande  der  Rechtnriuenichaft  ein  romaniiticch  gebildetes  Ange  gehSrt 
(desieo,  wie  weiter  bemerkt  wird,  »ich  nur  Wenige  erfrenten}> ,  l«t  der  Vorder- 
MtE  bis  ■waren*  aniweifelhait  richtig,  der  Nadnati  rwfhrend  —  vorlag*  petitio 
prindpii,  det  in  Parenthete  getettte  Sati  schwerlich  zntreSoid. 

I  D«**  die  Motive  lu  §  11  des  pienssischsn  Entwarft  «ich  «gleich  anf 
ArL  131  de«  Code  de  commerce  benien,  welcher  nicht  die  VerlnndlidUceit  dei 
geKhriebenen,  (ondem  des  reditigtitig  etthdlten,  d.  h.  nach  fnuitSntcher  Anf- 
bssung  erst  de«  begebraen  Accepti  Tettstellt  (ch)  aocetta  pag«),  lelgt  nur,  das» 
die  Verfasier  des  Entwarft  die  Frage  von  dem  Moment  nnd  von  der  Wirkung 
der  PcffektioD  nicht  aoseinander  gehalten  haben;  auch  die  beflSafige  Aense- 
mng  des  Eutwnibverfuaers  als  Referenten  der  Leipttger  Wechtelkonfereni  Ober 
den  Moment  der  Perfektion  itt  ftlr  die  Auslegung  von  geringen  GeiridiL  Vgh 
Grawein  S.  »3ff.,  38. 


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IV.    Wecluelaccepl  nnd  Krektioiistheoria.  97 

angenommenen  Wechsels  auszugehen.  Nicht  allein,  weil  an- 
zunehmen ist,  dass  die  Rechtsregel  mit  Hinblick  auf  diesen 
regelmässigen  Fall  aufgestellt  ist,  daher  so  erklärt  werden 
darf  und  muss,  wie  sie  für  diesen  Nonnalfall  sich  am  un- 
gezwungensten eiUärt',  sondern  auch  aus  dem  kaum  minder 
wichtigen  Grunde,  dass  der  gleiche  Rechtssatz  für  ausser- 
gewöhnliche  Fälle,  sofern  er  überall  für  diese  gelten  will, 
sehr  wohl  aus  eigenthümlichen  Grtlnden  gegen  das  Prinzip 
gelten  kann.  Dies  mag  doch  hervorgehoben  werden  gegen- 
über einer  gerade  neuerdings  sehr  verbreiteten  Neigung,  aus 
anssergewOhnlichen  oder  gar  anomalen,  mindestens  aber  nur 
sekundären  Erscheinungsformen  die  rechtliche  Natur  eines 
Instituts  zn  erschliessen,  z.  B.  aus  der  Tratte  an  eigene  Order " 
oder  aus  dem  trassirteigenen  Wechsel  zu  entnebmoi,  dass  in 
der  Formel  auch  der  Normaltratte :  «Zahlen  Sie  gegen  diesen 
Wechself  ein  Auftrag  im  Rechtssinne  nicht  enthalten  sei.  Wer 
die  Typen  nicht  festhält,  läuft  Gefahr,  durch  maasslose  Ab- 
straktion inhaltslose  Begriffsschemen  zu  konstnairen  oder  doch 
die  einer  besonderen  Art  des  Gattungsinstitnts  (z.  B.  derjenigen 
wirklichen  Art  der  »Versicherunge,  weiche  wir  Lebensversiche- 
rung nennen)  eigenthümlichen  Rechtssätze  zu  generahsiren, 
wenn  nicht  gar  aus  einer  nur  vermeintlichen  Art  unrichtige 
Schlüsse  auf  die  Natur  des  Gattungsinstituts  (z.  B.  vom  so- 
genannten iliterarischen  Eigenthumi  auf  die  Natur  des  Eigen- 
thums)  zu  ziehen'. 

Wäre  anzunehmen,  dass  der  Rechtssatz,  idas  einmal 
niedergeschriebene,  wenngleich  nicht  ausgehändigte  oder  vor 
der  Aushändigung  durchstrichene  Wechselaccept  obligirt  aus 
dem  Wechself«,  lediglich  auf  Zweckmässigkeitsgründen  be- 

■  L.  3 — 6  D.  de  leg.  (i,  3).  Insbesondere:  E^  hii,  quM  fofte  ono 
tliquo  cun  accidere  poiniDt,  innt  Don  coniCitiiiintiir,  N>m  ad  ea  debet 
potin»  tptiri  ins,  qa«e  et  freqnenter  «t  ftdle  qnun  qua«  pemro  Mddntit. 
Der  Sau  ^t  nicht  allein  fttr  die  GMetigebang,  tondern  auch  fDi  die  Aui- 
legung  (FettxteUtnig)  d««  Gesellten. 

*  So  I.  B.  V.  Salpiu*,  NoTation  und  Delegation  S.  464,  welcher  die 
Tratte  an  eigene  Order  sogar  ftlr  die  heutige  >GTnndrormi  des  Wechsels  eikUrt. 

I  So  t.  B.  A.  WagDST,  Allgemeine  Volknrirthschaftslehre  (1876)  I 
I  181  IT. 

*  Dast  iwat  die  grossen  Grappen  des  englitchen  (i.  jetit  da*  neue  engL 
Wechielgeieti,  18S1  [det  Zeltschrift  BeUageh.  in  Bd.  XXVIII  5.  31])  und  &«n- 
iSaischeD  nad  de*  unveränderten  spanischen  Rechu  entgegenstehen,  aber  doch 

Gotdicliiiiidl,  Vcimiichte  Schriftsa.    11.  7 

oogic 


98  Miscellen  lur  Theorie  der  Werthpapiere. 

ruhte,  insbesondere  behufs  Abschneidong  der  allerdings  ge- 
fährlichen Kollusionen  zwischen  dem  Acceptanten  und  dem 
dermaligen  Wechselinhaber,  so  fände  die  Kreatioostheorie  in 
demselben  keine  prinzipielle  Stütze,  da  sich  die  Möglich- 
keit ausnahmsweise  gesetzlich  oder  gewobnheitsrechtlich  als 
rechtswirksam  anerkannter  blosser  Kreationsakte  ja  nicht  be- 
streiten lässt.  Man  darf  aber  anerkennen,  dass  der  betreffende 
Rechtssatz  noch  innerhalb  des  regelmässigen  Rechts  steht  und 
gleichwohl  leugnen,  dass  derselbe  auf  die  Kreationstheorie  führe. 
Wer  eine  Tratte  zur  Annahme  vorlegt  (eiDseodet),  be- 
gehrt deren  Annahme  —  gleichviel  ob  er  dies  in  eigenem 
Interesse  oder  im  Interesse  eines  Dritten  thnt  (W.O.  Art.  18: 
>Der  blosse  Besitz  des  Wechsels  ermächtigt  zur  Präsentation 
des  Wechselsc).  Das  Begehren  geht  auf  schriftliche  Annahme 
(W.O.  Art.  21  Abs.  1:  »Die  Annahme  des  Wechsels  muss  auf 
dem  Wechsel  schriftlich  geschehene).  Wer  auf  den  zur  An- 
nahme vorgelegten  (eingesendeten)  Wechsel  sein  Accept  setzt, 
thut,  was  von  ihm  begehrt  wird,  entspricht  thatsächlich  (re, 
hier  scriptura)  dem  an  ihn  gestellten  Begehren  (dem  Antrag, 
zu  acceptiren).  Dem  feierlichen  oder  formlosen  spondesne? 
entspricht  das  schriftliche  spondeo.  Das  blosse  schriftliche 
spondeo  (Accept  —  auch  durch  blosse  Namens-  oder  Firmen- 
niederschrift) auf  dem  Wechsel  ist  die  begehrte  Annahme 
(W.O.  Art.  21  Abs.  2,  3).  Durch  diese  Annahme  wird  ein 
»Wechsel vertrage  geschlossen,  nicht  ein  » Wechselvorvertrag* ' : 
durch  diese  Niederschrift  wird  nicht  dem  Präsentanten  oder 
dessen  Machtgeber  versprochen,  einen  acceptirten  Wechsel  aus- 
händigen zu  wollen,  sondern  es  wird  zu  Gunsten  des  gegen- 

■choti  frilli  in  lahlreichen  Gcietien,  intbetondere  auch  im  hall.  H.G.B.  An.  119 
der  gleiche  Satz  aneikamiC  ist,  1.  Grawein  S.  75  ff.  Unter  den  neuesten  Ge- 
setzen und  Entwtlrfea  schlienen'  dai  schweizerische  Obligationenrecht  (188t) 
Art  740,  die  skandinaTische  Wechtelordnang  (18S0)  Art  31  nnd  der  Entwurf  einer 
Wechsel ordnai^  ftlr  das  russische  Reich  (iSSl)  g  34  Abs.  a  sich  dem  richtig 
Tentandenen  deutschen  Recht,  unter  ausdrilcldichei  Entscheidung  der  Streitfrage 
an ;  ebenso  die  Regel  Nr.  14  des  intematiaiialeii  Wechselrechtsprojekts.  Dagegen 
das  italienische  Handel^esetibuch  (i88z)  Art.  165.  (neucMe  Fassung)  ISist  bis 
inr  B^ebung  Durchstreichung  zu,  wihrend  das  belgische  Wechselgesell  (1S73) 
Art  ti  Abi.  3  in  eigenthUmlicher  Weiie  vermittelt,  aber  doch  m^  auf  dem 
Boden  det  fraotttsischen  Rechts  steht 

■  So  nach   der  deutschen   W.O.,   Thöl,    Weduelcecht  (4.  Aufl.)   §   79 
Note  3.    Dagegen  richtig  Grawein  S.  lt3fC 


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IV.  WechteUtceept  nnd  ICreatioiutheorie.  99 

Wältigen  Wechselgläubigers  wie  dessen  etwaiger  Vonnanner, 
selbstrerstandlich  auch  der  etwaigen  Nachmänner,  ein  Accept 
gegeben.  Ein  Vertrag:  denn  es  ist  ein  zwar  noch  ver- 
einzelt bestrittener,  aber  nichtsdestoweniger  unzweifelhaft  fest- 
stehender Grundsatz,  dass  diejenige  Annahme  eines  Antrags, 
durch  welche  der  Vertrag  zn  Stande  kommt,  nicht  nothwendig 
darcb  eine  dem  Antragsteller  gegenüber  abgegebene  Erklärung 
(in  Worten,  durch  Schriftaushändigung  u.  dgl.)  zu  erfolgen 
braucht,  sofern  eine  anderweitige  Art  der  Annahme,  ins- 
besondere eine  Annahme  durch  (nicht  einmal  nothwendig  so- 
fortige) Ausführung  in  dem  erklärten  oder  erkennbaren, 
insbesondere  nach  der  Natur  des  Verhältnisses  verständiger- 
weise  zu  unterstellenden  Willen  des  Antragenden  liegt '. 

Dass  dies  sich  beim  Accept  so  verhält,  hat  bereits  Liebe" 
treffend  berrorgehoben ,  wenngleich  seine  Formulirung  nicht 
ganz  einwandsfrei  ist  Das  Entscheidende  aber  ist  doch: 
»Andere  schriftliche  Versprechen,  selbst  Wechsel,  werden 
freilich  noch  nicht  durch  das  blosse  Schreiben  bindend,  sondern 
nur  dadurch,  dass  der  Versprechende  seine  Schrift  dem  Andern 
ausliefert     Bei  der  Acceptation  hat  aber  der  Acceptant  keine 


'  EntKlieidnnsendesReichsoberh&ndeisfericlitsBd.  XVUI  S.  34a, 
vgL  XIV  S.  301  und  ßam«ntlich  de»  Reichsgetichls  ic  CivÜMcben  Bd.  II 
S.  43.  Richtig  (chon ,  wenngleich  nicht  immer  in  zutreffeader  Begrltadimg, 
z,  B.  T.  Schenrl,  Beitrige  lur  Beubeitnng  des  rSmiKhen  Rechti  II  S.  311; 
T.  H&hD,  Kommenlar  lU  H.G.B.  Art.  319  §  13  (2.  Aufl.  II  S.  H)6ff0;  So  hm, 
in  derZälKhr.  f.  HandeUr.  XVII  S.  gi  ff. ,  105  B.  und  Citate;  Schott,  Der 
obligatoiische  Vertrag  unter  AbwcKuden  S.  123  C  (mit  eigen  thtlmlichen  Be- 
KhjSnkungen  und  nicht  fUr  unseren  Fall);  Schweiz.  Obligationen!.  Art  j  S.  3, 
Art.  8  S.  3;  itaL  H.G.B.  Art.  36.  Noch  weiter,  fUr  jede  durch  stülschweigende 
WiUeDMTkISnuig  erfolgende  Annahme:  Windscheid,  Pandekten  II  g  306 
a.  E.  [7.  Aufl.  ebendoTt];  Kuppen,  Der  obligatorische  Vertrag  anter  Abweten- 
dcD  S.  Z33,  135,  u.  A.  m.  Dagegen  freilich  Thöl,  Handelsrecht  {)  339 
Note  6;  aDein  weder  ist  richtig,  dass  der  Antragsteller  immer  eine  »Antwort* 
erwartet  oder  erwarten  darf,  noch  dais  die  >Anseige>  von  der  erfolgten  Per- 
iektioD  (Auiftlhrung),  welche  er  hiafig  erwartet  oder  auch  erwarten  darf,  die- 
jenige ■Antwort»  ist,  durch  welche  der  Vertrag  lur  Perfektion  geUngt:  die 
Ge&hi  der  rechtzätigen  Ankunft  jener  Anieige  liitn  an  sich  nicht  den  An- 
nehroenden,  sondern  den  Antragsteller. 

*  Allg.  D.  W.O.  mit  Erläuterungen  (1848)  S.  95,  96.  Aehnlich  und  noch 
tchSrfer  deutet  Holtias,  Voorleiingen  ovei  handeis- en  zeeregt  I  bL  3zz  djuauf 
lün,  dan  die  Zdchnnng  des  Accept*  die  Annahme  des  der  römischen  stipulatio 
anlq>rechenden,  in  der  PrStentMion  liegenden  VertngsaQtr«ge«  sei. 

7* 

ooqI 


100  MUcellen  rni  Theorie  der  Weithp«piere, 

eigene  Urkunde  auszustellen  und  auszuliefern,  sondern  sich 
über  ein  bestimmtes,  ihm  im  Wechsel  vorgelegtes  Verhältniss 
zu  erklaren  und  zwar  schriftlich  zu  erklären.  Gibt  er  diese 
Erklärung,  so  ist  seine  Verbindlichkeit  perfekt  und  unwider- 
ruflich.<  Auch  die  Gegner  kCnnen  sich  der  Anerkennung  der 
Grundverschiedenheit  von  Accept  und  sonstigen  Wechselrechts- 
akten nicht  entziehen.  Wenn  freilich  dieselben  die  Erklärung 
darin  suchen,  dass  das  Accept  eine  Ergänzung  des  einem  Dritten 
gehörigen  Papiers  sei,  in  dem  Ausstreichen  des  Accepts 
somit  ein  unstatthafter  Eingriff  in  das  fremde  Papier  hege 
(Kuntze,  Wechsebecht  S.  303  Note  5;  ähnüch  Grawein 
S.  46,  47,  166),  so  ist  die  Heranziehung  des  Eigenthums  an  dem 
Stück  Papier  verfehlt,  der  juristische,  nur  nicht  erfasste  Kern 
der  Deduktion  aber  der  obige,  dass  das  zu  restituirende  >Papier< 
eben  eine  schriftliche  Annahmeerklärung  aufiaehmen  soll  und 
aufnimmt.  Dernburg,  Preuss.  Privatr.,  II  §  257  (3.  Aufl. 
S.  749  [5.  Aufl.  S.  792])  meint,  dass  die  einseitige  Willens- 
erklärung, im  Unterschiede  von  anderen  gleichfalls  als  Kreations- 
akte anzusehenden  Wechselrechtsakten  (eod.  §  267,  3.  Aufl. 
S.  771  [5.  Aufl.  S.  818]),  hier  darum  schon  mit  der  blossen  Nieder- 
schrift die  perfekte  Obligation  hervorrufe,  weil  der  Gläubiger 
bereits  durch  das  Papier  legitimirt  sei.  Wird  aber  dadurch, 
dass  X  als  Gläubiger  von  A,  B,  C  (Trassant,  Indossanten) 
legitimirt  ist,  X  auch  zum  Gläubiger  des  D  (Accep- 
tanten)?  Das  wäre  eben  zu  erweisen.  Der  Satz:  »Die 
Gläubiger  ezistiren  hier  bereits  bei  der  Niederschrift  des 
Accepts  und  erhalten  durch  dieselben  (soll  heissen :  dieselbe) 
konsequentermaassen  Rechte  auch  ohne  Wissen  und  Willen« 
enthält  die  petitio  principii;  er  dürfte  richtiger  so  lauten;  JC 
(welcher  bereits  Gläubiger  von  A,  B,  C  ist)  will,  wie  der 
Wechsel  ergibt,  durch  blosse  Niederschrift  der  Annahme- 
erklärung Gläubiger  des  Trassaten  (demnächstigen  Acceptanten) 
D  werden  —  diesem  Willen  gemäss  wird  er  es  durch  die 
Ausführung  seines  Vertragsantrags.  — 

Wenn  Grawein  S.  U8ft  hiergegen,  zum  Thril  im  An- 
schluss  an  Jolly  und  Kuntze,  einwendet,  dass  dies  allen- 
falls der  »strengen  Aensserungs»-  oder  der  »Ausfuhrungsc- 
Theorie,  nicht  aber  den  übrigen  für  den  Vertragsschluss 
unter  Abwesenden  aufgestellten  Theorieen  entspreche,  so  über- 
sieht er  ein  Doppeltes:  Einmal,  dass  in  unserem  Nonnalfall 

i..O(>;;lc 


IV.    WecIueUecept  aod  Kreatbnstlieorie,  101 

regelmässig  nicht  einmal  ein  Vertrag  unter  Abwesenden,  son- 
dern anter  Gegenwärtigen  m  Frage  steht:  falls  nämlich,  wie 
gev{>hnlich,  das  Acxept  anmittelbar  aaf  die  fVäsentation  ge- 
schieht. Sodann,  dass  weder  fllr  die  >Aeusserungs-<,  noch 
für  die  »Empfangs-f ,  noch  fUr  die  iVemehmongs-Theoriec 
da  ein  Raum  ist,  wo  nicht  Aimahmeerklärung  gegenüber  dem 
Antragsteller,  sondern  Annahme  des  Vertragsantrages  durch 
Ausfahrung  gewollt  ist;  es  bedarf  daher  keiner  Unter- 
suchung, ob  die  verbindende  Kraft  des  nur  oJedergeschriebeDen 
Wechselaccepts  mit  einer  dieser  Theorieen  verträglich  ist :  die 
Annahme  durch  Ausfühning  gebCrt  nicht  unter  die  Annahme- 
erklärungen,  sondern  stellt  in  ihrem  Bereiche  koordinirt 
neben  denselben.  — 

Ausserhalb  des  NormalfaUes  steht  das  Accept  eines  nicht 
zur  Annahme  vorgelegten  (bezw.  eingesendeten)  Wechsels  and 
das  Accept  eines  zur  Annahme  vorgelegten  blossen  Wechsel- 
blanketts. 

Ob  in  dem  letzten  Falle  Art  21  Abs.  4  der  W.O.  Platz 
greift,  ob  somit  der  Wechselnehmer  ein  derartiges  zwar  accep- 
tirtes,  aber  mit  durchstrichenem  Accept  ihm  wieder  aus- 
gehändigtes Blankett  mit  der  Wirkung  ausfüllen,  d.  h.  zu 
einem  formgerechten  Wechsel  macheo  kann,  dass  er  selbst 
oder  ein  anderweitiger  Wechselnehmer  den  lAcceptanten« 
aus  dem  Accept,  bezw.  auf  Wiederherstellung  des  Accepts 
belangen  darf,  ist  mindestens  höchst  zweifelhaft';  der  Be- 
jahnng  kennte  allenfalls  die  Annahme  zu  Grande  liegen,  dass 
—  vorbehaltlich  der  exceptio  doli  wegen  vertragswidriger 
Aasfüllung  —  das  später  formgerecht  ausgefüllte  Blankett 
in  allen  Beziehungen  dem  schon  bei  der  Ao^ptirung  form- 
gerechten  Wechselbrief  gleichstände. 

Anlangend  den  eisten  Fall,  so  bliebe  zunächst  zu  erweisen, 
dass  in  der  älteren  oder  neueren  Praxis  der  Rechtssatz  des 
Art,  21  Abs.  4  der  W.O.  jemals  auch  auf  das  Accept  eines 
nicht  zur  Annahme  vorgelegten  (eingesendeten)  Wechsels  aus- 
gedehnt worden  sei.     Indessen    konnte   immerhin  zugegeben 

>  FUr  witkongslot  hilt  du  dnrchitrichene  Blsakooccept  i.  B.  H>rt- 
rnano.  Du  deatKhe  WechMlreeht  S.  323  bl  E.  Vgl,  ancli  meiae  Abhand- 
limg  in  der  ZäUchr.  f.  Huidelir.  VIII  S.  331.  Dahin  dttrft«  uch  die  Ent> 
•Ladung;  de«  Reicb«g«richti  Bd.  II  S.  89  rahrea,  ^1.  Detabnrg, 
Pien«.  PriT«tr.  II  §  267  Note  9  [5.  Aufl.   ebendort]. 


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102  MUcellen  lut  Theorie  der  Werthpapiere. 

werden,  dass  das  Accept  auch  unter  dieser  Voraussetzung  im 
Sinne  des  Art.  21  Abs.  4  der  W.O.  wirkt,  oder,  um  mit 
Grawein  zu  sprechen,  dass  es  nicht  »eines  gestiun  zwischen 
dem  Bezogenen  und  einem  einzelnen  Interessenten,  dessen  Vor- 
handensein aus  dem  Wechsel  in  keiner  Weise  erhellt,»  bedürfe; 
es  würde  sich  nur  fragen,  aus  welchen  Gründen. 

Von  den  zur  Illustration  konstruirten  Fällen '  mag  der 
letzte,  bei  welchem,  nach  Grawein,  »selbst  die  kühnste 
Phanta^e  einen  Vertrag  nicht  zu  konstruiren  vermöge*,  vor- 
aufgenommen werden. 

1.  Eter  Bezogene  acceptirt  die  auf  dem  Wege  des  In- 
dossaments erworbene  Tratte.  Seine  unwiderrufliche  Bindung 
durch  blosse  Niederschrift  würde  sich  sehr  einfach  aus  den  in 
Trassirung  und  beziehungsweise  Indossirung  unzweifelhaft 
liegenden  Aufträgen  resp.  Anträgen  zur  Acceptation  der 
Tratte  erklären,  welche  keineswegs  dadurch  erloschen  sind, 
dass  die  Tratte  an  den  Bezogenen  indossirt  ist;  alle  früheren 
Wechselverbundenen  bleiben  trotzdem  in  der  Kette,  nicht  allein 
als  Wechselschuldner,  sondern  auch  als  mögliche  Wechsel- 
gläubiger', imd  es  liegt  ja  unzweifelhaft  das  Wechselacxept  im 
Interesse  sowohl  der  Wechselschuldner  (Regresspflichtigen)  wie 
auch  der  (möglichen)  Wechselgläubiger. 

2.  B  besucht  den  A  und  findet  in  dessen  Abwesenheit 
auf  dessen  Schreibtische  eine  bei  diesem  eingelaufene ,  auf  B 
gezogene,  dem  A  von  einem  Geschäftsfreund  zur  Präsentation 
bei  B  eingesendete  Tratte  liegen;  um  Zu-  und  Rücksendung 
des  Wechsels  zu  ersparen,  setzt  B  ohne  Weiteres  sein  Accept 
auf  denselben.  Angenommen  nun,  dass  B  in  der  That  aus 
diesem  Accept  auch  dann  obligirt  wäre,  falls  er  dasselbe,  noch 
bevor  A  von  der  erfolgten  Acceptirung  irgend  welche  Kennt- 
niss  erlangt,  durchstrichen  hätte,  so  Hesse  ^ch  entweder  vom 
Standpunkt  der  Vertragstheorie  aus  sagen,  dass  B  den  zu 
seiner  Kenntnissnabme  bestimmten  Vertragsantrag  als  nego- 
tiorum gestor  des  A   zu  seiner  Kenntniss  gebracht  und  dem- 


■  Grawein  S.  113  fr. 

■  Ihr  Wiedereintrilt  iit  nur  an  eine  rechtliche  Vonmoetziinf;  gcknnpfti 
S.  DHmentlich  Plenarbeachliisi  des  Reichi-OberhaDdeUgertchl*  vom 
31.  Juni  1878  (EnUcb.  XX[V  S.  i  ff.).  Di«  erkeDDt  «nch  Dernbutg  an 
a.  «.  0.  [auch  5.  Aufl.]  g  371. 


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IV.   Wecluelaccept  und  Kreadonstheotic  103 

nächst  denselben  durch  sein  Accept  angenommen  hat ' ;  oder 
man  dürfte  sagen,  es  sei  nnbedenklich,  das  Gesetz,  obwohl  es 
nur  die  vertragsmässige  Acceptation  trifft,  analog  in  einem 
Falle  zur  Anwendung  zu  bringen,  wo  der  Bezogene  sich 
augenscheinlich  in  gleicher  Weise  habe  binden  wollen,  als  ob 
ihm  der  Wechsel  zum  Accept  vorgelegt  worden  wäre. 

3.  Die  auf  X  gezogene  Tratte  wird  von  dem  Indossatar 
A  an  B  indossirt  und  im  Auftrage  des  B  an  dessen  Bankier  X 
übergeben;  A'acceptirt  die  in  seinen  Händen  befindliche  Tratte. 

Grawein  vermisst  den  »Vertrage  aus  zwei  Gründen: 
Einmal,  weil  der  in  der  Tratte  liegende  Zahlungsauftrag  nicht 
zugleich  den  Antrag  zum  Acceptiren  in  sich  schliesse  —  das 
Gegentheil  ist  richtig,  wie  vorlangst  Unger'  nachgewiesen 
bat  und  schon  aus  dem  Dualismus  von  Pt^sentation  und 
Regress  zur  Annahme  bezw.  wegen  Nichtannahme  und  von 
Präsentation  und  Regress  zur  Zahlung  bezw.  wegen  Nicht- 
zahlung folgt.  Sodann,  weil  X  auch  dann  obligirt  würde, 
wenn  die  Tratte  gefälscht  wäre.  E>as  ist  richtig,  weil  es 
genUgt,  dass  auch  nur  ein  Zahlungsauftrag  (bezw.  Antrag 
zum  Acceptiren)  vorliegt  —  ein  solcher  kann  in  dem  echten 
Indossament  liegen,  ungeachtet  die  Tratte  falsch  oder  gefälscht 
ist.  Wären  freilich  alle  Tratten  (die  Tratte  und  alle  In- 
dossamente) falsch,  so  entstünde  zunächst  aus  dem  Accept 
keine  Verpflichtung ;  würde  aber  der  acceptirte  Wechsel  weiter 
begeben,  so  würde  nun  X  den  weiteren  Nehmem  aus  seinem 
Accept  haften,  aber  nicht  kraft  seines,  wenn  auch  nur  ein- 
seitig erklärten  Willens,  sondern  kraft  singulärer 
Gesetzesvorschrift  im  Interesse  des  Verkehrs:  D.W.O. 
Art.  75'. 


'  Diae  VerbindnDg;  zweier  FonktioneD  in  einer  Perion,  xumil  im  Inter- 
esK  Icdiglicl)  d«i  GUnbigeis,  unterliegt  inriitiich  keinerlei  Bedenken. 

*  Die  recbdiche  Natur  der  Inhabeipapiere  S.  73  ff. 

i  Die  Geieueifonchrift  benihl  kdneiwegs  allein,  wie  hlulig  angenommen 
wird,  auf  dem  allerdingt  wichtigen  Princip  der  >Sclbitindi£kri(<  eioei  jeden 
Wechielakti.  Denn  ein  solcher  Acceptant  ist  gar  nicht  iTrauat*  -~  die 
RllgeineiD  Abgelehnte  Konteqneoi  würde  ja  andemlalls  mit  sich  bringen ,  dan 
jeder  Nichttranat  wirknun  acceptiren ,  d.  h.  aoi  «einem  Accept  rerpflicbUt 
wttrde.  Da*  potitive  Recht  von  den  Wirkungen  der  V/echselltlscliaiig  beruht 
Oberwi^end  auf  den  die  Recbtilogik  durchbrechenden  Verkehninteressen  und 
erklSrt  nch  daiaos  auch  die  DiT£rgeni  der  Gesetxgeboiigen  (vgl.  z.  B.  mein« 
AbbandlnDgioderZeitKhr.  r.  Handelir.  VIII  S.  3i7ff.  imd  Grawein  a.  a.  0. 


104  MUce11«ii  rar  Theorie  der  Werthpftpiere. 

Höchst  Singular  sind  endlich  die  Grundsätze  über  das 
timitirte  Accepl,  in  welchen  die  gegnerische  Ansicht  von 
jeher  eine  Hauptstutze  gefunden  zu  haben  glaubt'.  Zugegeben 
wird  von  den  Gegnern,  dass  die  Haftung  des  Bezogenen  aus 
dem  Theilaccept  mit  der  Vertragstheorie  vereinbar  sei;  ge- 
leugnet, dass  dessen  Haftung  aus  dem  anderweitig  be- 
schränkten und  demnächst  noch  vor  der  Aushändigung 
durchstrichenen  Accept  sich  mit  dieser  vereinigen  lasse. 

Nun  mag  freilich  richtig  sein,  dass  wer  1000  will,  auch 
das  Minus  von  500  wolle ;  dass  dagegen  wer  1000  zum 
1.  Februar  in  London  will,  nicht  auch  schlechthin  1000  zum 
1.  März  oder  in  Petersburg  oder  nur  unter  Abrechnung  einer 
Gegenforderung  (Acceptklausel :  >an  mich  selbst  zu  zahlen*) 
oder  gar  unter  einer  wahren  Bedingung'  wolle.     Gleichwohl 

S.  93).  Anders  *«rUeIte  et  lieh,  wenn  der  (ZthluDgKaoftng*  in  der  Tratte 
blona  •Motiv  zur  Ucbernahme  der  WechselTerbindlichkeit  Seitens  de*  Be- 
zogenem wir«  ü°l'y.  Archiv  fOr  Wechselrecht  I!  S,  i8o)  —  d«nn  wUrde 
sich  lyrai  aichl  ■□  der  vollen  Einseitigkeit  des  Acceptationsaktel  iweifela  lassen, 
m&ute  aber  auch  der  Nichttrauat  wirksam  »acceptirenc ;  es  kann  also  anch 
nicht,  wie  Giawein  meint,  der  Art.  75  lediglich  als  iussente  Konseqaaii 
ans  der  lAbitrakthät  der  Wechselobligation <  encheinen.  FOr  die  VerpSich- 
tang  dem  Remittenten  eegenüber  vettrilt  anch  ThSl  (Wecbieh^ht  g§  170, 
173)  da*  Gegentheil  des  Art.  75  der  deutschen  W.O.  —  den  Mangel  jedes 
'Zahlungsauftrags'  unterstellt  er  vohl  nicht. 

'  Jollf,  Kriüsche  VierteljahrsichriR  III  S.  551;  Kantie,  Wediselrecht 
S.  299  nnd  sonst;  Siegel,  Das  Vertprechen  alt  VerpfliehtUDgigrand  S.  136 IT. 
Grawein  S.  121;  Dernhurg,  Preuss.  Privatr.  II  §  257  (3.  Auf).  S.  74S 
[5.  Aufl.  S.  791]);  Stobbe,  Deutsches  Privatr.  III  §  171  Note  »4  [Stobbe- 
Lehmann  III  §  319  Note  38]. 

>  Ist  das  wirklich  bedingte  Accept,  z.  B.  »falls  ich  bis  inm  1,  Februar 
Deckung  erhalten  habe*,  'falls  meine  Tochter  heirathet«,  überhaupt  giltig? 
Die  Frage  wird  bejaht  vom  Obeitribanal  lu  Stuttgart  (Seuffert'a  Archiv  XV 
^''-  55)1  verneint  u.  a.  vom  Obersten  Oesterreichischen  Gerichtshof  (Borchardt, 
Deutsche  W.O.  S.  Aufl.  Zus.  105  c  d.  334).  Nach  dem  Wortlaut  des  Art,  31 
Abs.  3  >»»  unter  gewissen  Einschränkungen  t  und  Art.  Zl  Abs,  3  »andere 
Einschrfinknngent  könnte  man  die  Frage  bejahen,  und  es  ist  auch  zuzugeben, 
dass  sowohl  in  den  Motiven  des  preussischen  Entwurfs  wie  in  den  Verhaad- 
tungen  der  Leipziger  Konferenz  nicht  unterschieden,  ja  sogar  auf  andere  •Be- 
dinguDgen*  als  die  Modiükatioa  von  Zahlungszeit  oder  Zahlungsort  hingewiesen 
worden  ist,  wenngleich  immerhin  betont  wurde,  dass  es  dch  in  der  Hauptiache 
nur  um  dergleichen  Limitationen  handle.  Aber  entgegen  steht  doch  der  Zn- 
sammenhang des  ganzen  Gesetzes.  Denn  jede  wahre  Bedingung  macht  die 
Vetfallieit  des  Wechsels  zu  einer  nngewinen ,  gegen  deo  schlechthin  durch- 
greifenden Grundsatz,    dass   solche   L'ngewissheit   aasschliesslich   in  Form  der 


IV.    WechsebccBpt  und  KioatioiuthMirie.  105 

steckt  schon  in  dem  ersten  Satze  insofern  eine  Singutarität, 
als  der  Wechselinhaber  —  gegen  die  Regel  des  bürgerlichen 
Rechts  —  Theilaccept,  wie  Theilzahlung,  nicht  zurückweisen 
darf,  im  Interesse  der  so  theilweise  befreiten  Regresspflich- 
tigen: W.O.  Art.  22  Abs.  1,  Art  25,  29  —  Art.  38,  39 
Abs.  2,  Art.  50  Ziff.  1. 

Noch  augenscheinlicher  ist  die  Singularität  des  zweiten 
Satzes*.  Der  Wechseliohaber  wird  durch  das  beschränkte 
Accept,  welches  nicht  blosses  Theilaccept  ist,  selbstverständlich 
an  dem  vollen  Regress  mangels  Annahme  nicht  verbindert: 
W.O.  Art.  22  Abs.  1,  Art.  25;  er  darf  also  das  limitirte 
Accept  so  behandeln,  als  ob  kein  Accept  erfolgt  wsurt  und 
gleichwohl  aus  diesem  limitirten  Accept  den  Acceptanten  nach 
Maassgabe  seines  Accepts  in  Anspruch  nehmen.  Ein  derartiges 
limitirtes  Accept  gilt  hiemach,  auch  wenn  es  undorchstrichen 
an  den  Präsentanten  abgegeben  ist,  nur  insofern  als  wahres 
Accept,  als  aus  demselben  der  Acceptant  haftet,  nicht  aber, 
insofern  es  den  doch  nur  für  den  Fall  der  Nichtannahme 
statthaften  Regress  beschränkt.  Mit  anderen  Worten:  das 
Gesetz  gewährt  dem  Wechselinhaber  ein  auch  durch  un- 
zweifelhaften Vertrag  gar  nicht  zu  gewährendes  Recht:  ein 
Recht  aus  dem  Accept,  welches  gegenüber  anderen  Wechsel- 
interessenten als  Nichtaccept  behandelt  wird.  Der  Zweck  des 
Gesetzes  ist  klar:  um  die  Macht  des  Wechselgläubigers  zu 
verstärken  and  insoweit,  als  diesem  Zwecke  dient,  wird  das 
Nichtaccept  als  Accept  behandelt,  somit  —  wie  sonst  —  auch 
das  durchstrichene  Nichtaccept  als  undurchstrichenes  Accept. 
Ja  vom  Standpunkte  dieses  Gesetzes  aus  lässt  sich  sogar 
das  Vorhandensein  eines  Acceptations  vertrag  es  gar  nicht 


Siclitkla.n«el  (der  dobchen  oda  betrutelen)  »tatthart  ist.  Du  Wec)i*elacc«pt 
aber  kann  nicht  gUlig  enthalten ,  was  der  primlre  Wechielbrief  (die  Tratte) 
nicht  enthalten  darf.  Andeien&lU  wtirda  äa  Accept  auch  gjltig  dahin  lauten; 
I^ht  looo  Hark  (wie  bttseirt),  sondem  x  Hektoliter  Wdien,  i  Araberhengit 
n.  dgl.  An  dergleichen  «Beschrlnkungena  iit  eben  nicht  gedacht  worden. 
Vgl.  die  S.  107  Anm.   i  ff,  citirtea  Protokolle. 

>  Anden  Thfil,  Wechielrccht  §  85  I  a.  E.  (4.  Aufl.  S.  197).  Mit  der 
AntfUmmg  im  Text  ichelnt  wohl  anch  Kuntie  m  stimmen,  wenn  denelbe 
Wecluelrechl  S.  90  das  limitirte  Accept  als  ein  (thnlweiM)  gewUirtet  Accept 
hiniichtHch  des  Acceptanten  selbst ,  als  (theilweise)  Terweigerte*  Accept  hin- 
lichtlich  des  Regresspflichtigen  bezuchnet. 


Digil.ze.:,,  Google 


10g  MUcellen  lar  Theori«  der  Weitlipapiei«. 

bezweifeln :  der  Präsentant  will,  wenn  nicht  illimitirtes 
Accept  zu  erlangen  sein  sollte,  lieber  ein  limitirtes  Accept  als 
gar  keines,  also  eventualiter  das  erste,  da  dasselbe  ihm  nie- 
mals schaden,  sondern  niu-  nützen  kann;  es  ist  somit  eventua- 
liter ein  solches  begehrt,  und  dieser  Antrag  wird  —  wie 
sonst  —  durch  Ausfuhrung  angenommen. 

Dies  wird  bestätigt  auch  durch  die  gerade  hier  so  auf- 
fallende Divergenz  der  Gesetzgebungen  und  durch  die  Ent- 
stehungsgeschichte des  Art.  22. 

Während  zahlreiche,  darunter  gerade  die  einflussreicbsten 
älteren  deutschen  Wechselordnungen ' ,  eine  anders  als  durch 
Theilaccept  bewirkte  Limitation  als  gar  nicht  geschrieben  be- 
handeln, somit  das  Accept  als  illimitirt  ansehen  —  erklären 
andere  Wechselgesetze,  darunter  der  Code  de  commerce  Art.  124 
(vgl.  schon  Ordonnance  du  commerce  von  1673:  »Les  accep- 
tations  sous  condition  passeront  pour  refusc),  ein  derartiges 
limitirtes  Accept  für  ungiltig'  —  stellt  endlich,  mit  anderen 
alteren  Wechselordnungen,  das  A.L.R.  II,  8  §§  1014—1017 
sich  konsequent  auf  den  Boden  der  Vertragstheorie;  der 
Wechselinhaber  braucht  das  so  limitirte  Accept  nicht  anzu- 
nehmen; lässt  er  es  sich  aber  gefallen,  so  verliert  er  den 
Wechselregress  gegen  die  Vormänner.  Die  geltende  Deutsche 
Wechselordnung  adoptirt  ein  viertes  System,  welchem  unter 
den  neuesten  Gesetzen  und  Entwürfen  nur  wenige,  wie  das 
schweizerische  Obügationenrecht  Art.  741  und  das  italienische 
Handelsgesetzbuch  (1882)  Art.  266  (a.  E.),  sich  angeschlossen 
haben  —  während  andere,  welche  sonst  wesentlich  auf  der 
Grundlage  der  Deutschen  Wechselordnung  stehen,  dem  franzö- 
sischen System  gefolgt  sind:  belgisches  Wechselgesetz  (1872) 
Art.  15,  und  vcllig  unzweideutig:  skandinavische  Wechsel- 
ordnung (1880)  Art.  22,   Entwurf  einer  Wechselordnung  für 


■  Duo,  komplicirt,  N.  engl.  W.G.  iSSi  S.  19.  44. 

>  S.  Tteitschke,  Encrltlopidie  I  S.  105—107,  anch  Grawein,  S.  154, 
155;  neuere  Wechie1ee«etie  bei  WScbler,  EnerklopSdie  I  S.  58  ff.  Der 
Wolltaal  ÖDMlneT  Geietze  gibt  kernen  unzweifelhaften  Sinn,  doch  «ild  t,  B. 
du  HoUindiiche  H.G3.  Art.  I>o  *Oe  aceeptatie  mag  niet  onder  eene  vooi- 
«arde  gedtian  worden*  im  Sinne  de*  Code  de  commerce  Art  124  ventaudes 
—  s.  aber  auch  die  EinKbrankungen  bei  Holtins,  Voorleiingeu  I  bl.  Slßff.; 
dagegen  Kist,  Beginielen  van  handelsregt  II  (2.  Auflage)  b1.  151. 


ügic 


IV.   Wechselaccept  md  Kreationstheorie.  107 

das  Russische  Reich  (1882)  Art.  33  vgl.  37,  45.  Die  Be- 
stimmung des  Preussischen  Laiidrechts  ist  Übrigens  um  so  be- 
merkenswerther ,  als  dasselbe  gleichzeitig  das  durchstrichene 
Accept  für  wirksam  erklärt.  —  In  der  Leipziger  Wechsel- 
konferenz wurde  nun  ursprünglich  der  §  24  des  preussischen 
Entwurfs,  welcher  Theilaccept  und  anderweitig  limitirtes 
Accept  gleichmässig  fUr  verbindend  erhört,  dem  Inhaber  aber 
in  beiden  Fällen  den  vollen  Regress  gegen  die  Vormäuier 
gewährt  (fünftes  System),  abgelehnt  und  mit  erheblicher 
Mehrheit  beschlossen,  nur  das  Theilaccept  solle  verbindlich, 
somit  auch  für  den  acceptirten  Betrag  der  Regress  aus- 
geschlossen sein,  jede  andere  Limitirang  des  Accepts  a!s  nicht 
geschrieben  gelten'.  In  einer  sinteren  Sitzung  wurde  an- 
erkannt, dass  die  Benennimg  eines  anderweitigen  Zahlers 
(sogen.  >Domiciliaten<)  am  Zahlungsorte  durch  den  accep- 
tirenden  Bezogenen  eine  statthafte  Limitirung  des  Accepts 
enthalte '.  Eine  nochmalige  eingehende  Berathung '  stellte 
dann  wieder  die  stärksten  Meinungsverschiedenheiten  heraus. 
Es  wurde,  wie  schon  in  der  ersten  Lesung,  obwohl  mit  Modi- 
fikationen, beantragt,  jede  Limitirung  des  Accepts,  welche 
nicht  ausweislich  gehörigen  Protestes«  vorgängig  gestattet  oder 
nachti^glich  koncedirt  sei,  für  nicht  geschrieben  zu  erklären 
(Behn-AItona);  von  anderer  Seite:  dem  Theilaccept  eine 
Limitirung  hinsichtUch  der  Zahlongszeit  gleichzustellen  (Camp- 
hausen —  aber  unter  Widerspruch  mehrerer  kaufmännischer 
Mitglieder);  von  dritter  Seite:  das  limiürte  Accept  mit  Aus- 
nahme des  Theilaccepts  fUr  ungtUtig  zu  erklären  (Heisler- 
Wien);  von  vierter  Seite:  das  Theilaccept  für  wirksam,  alle 
anderwdtigen  Limitirungen  fUr  nicht  geschrieben  zu  erklären 
(Einert)-,  von  fünfter  Seite :  Aufrechterbaltung  der  ursprüng- 
lich gefassten  Beschlüsse.     Das  Ergebniss  der  schliesslichen 


>  ProIo^oHe  der  X.  and  XI.  Sitmng  (Leipiiger  Angabe  S.  46—51. 
Thöl'»  Anigabe  S.  50— SS)- 

*  Protokone  der  XVI.  Siunng  (Leipziger  Ansgttbe  S.  S7.  Theri  Aiu- 
gibe  S.  93). 

3  FrotoküUe  der  XXIX.  Sitiim£  (Lcipuger  Antgabe  S.  196 — 3oo.  Thöl'i 
Aufgabe  S.  209 — 313). 

*  Die  Wichtigkeit  derartiger  Komtatirnng  im  Verhotmig  Ton  Kolloiionen 
dnrcb  nacbtrigüclie  AcceptUmitinrng  liegt  auf  der  Hand.  S.  auch  Gcawein 
>.  a.  O.  S.  isoffi,  167. 


izecoy  Google 


10g  Miscdlen  zur  Theorie  der  Werthpapiere. 

Abstdminung  war  die  Wiederherstellung  des  preossischen  Ent- 
wurfs; ob  nur  um  deswillen,  weil  kein  anderes  System  Aus- 
sicht auf  Annahme  hatte,  oder  aus  maassgebenden  Gründen, 
erhellt  nicht.  Im  Protokoll  ist  nur  bemerkt,  dass  die  preussi- 
schen  Al^eordneten  *die  Annahme  des  im  §  24  des  Entwürfe 
aufgestellten  Gnmdsat2e&  im  Allgemeinen,  eventuell  wenigstens 
in  Anwendung  auf  Bedingungen,  welche  die  Verfallzeit  be- 
treffenc,  befürworteten. 

Diese  merkwürdigen  Schwankungen  und  eine  grosse  An- 
zahl denkbare  Lösungen  vertretender  Anträge  zeigen  deutlich, 
wie  wenig  man  sich  auf  dem  Boden  prinzipieller  oder  auch 
nur  schlechthin  durchgreifender  praktischer  Erwägungen  be- 
wegt hat;  die  schliessliche  Entscheidung  erklärt  sich  am  ehesten 
vom  kaufmännischen  Standpunkte  aus,  insofern  der  Wechsel- 
inhaber so  den  geringsten  Nachtheil  hat,  dem  limitirt  Accep- 
tirenden  aber  durch  Festhalten  an  seiner  Erklärung  kein  Un- 
recht geschiebt. 

Dies  dürfte  genügen,  um  jeden  Schluss  aus  der  Wirksam- 
keit des  limitirten  (gleichviel  ob  undurchstrichenen  oder  durch- 
strichenen)  Accepts  auf  die  Einseitigkeit  des  Acceptationsaktes 
(Verpflichtung  durch  Kreation)  zu  beseitigen.  — 

II.  Einen  sehr  entschiedenen  Vertreter  hat  die  »Kreations- 
theorie c  in  Dernburg  gefunden.  Er  leitet  aus  derselben  ins- 
besondere her,  dass  >die  in  dem  Papier  beurkundete  Obligation 
auch  zur  Geltung  kommt,  wenn  die  Papiere  dem  Aussteller 
gestohlen  wurden  und  in  die  Hand  des  bona  fide  Erwerbers 
kommen«,  und  er  meint,  dass  idie  Praxis  hieran  nicht  zweifeln 
wirdc '.  Dies,  behauptet  er,  sei  anerkannt  vom  Reichs-Ober- 
handelsgericht  Bd.  XVII  S.  150  ff.  der  Entscheidungen  und 
er  leugnet,  dass  entgegenstehe  die  Entscheidung  Bd.  XIK 
S.  33.     Beides,  wie  mir  scheint',  ohne  Grund. 

Zunächst  waren  in  dem  ersten  Falle  die  betreffenden 
Inhaberpapiere  (Hypothek-Obligationen)  dem  Aussteller  nicht 
gestohlen,  sondern  von  dessen  mit  der  Emission  beauf- 
tragten   SachfUhrer    widerrechtlich ,    nämlich    nach   erfolgtem 


■  Lehrbuch  dei  prenaischen  Privatrechu  Bd.  II  §  13  (1.  AaS.  Note  14; 
3.  AuB.  Not«  15  [S.  Aal!.  Note  16]). 

•  Dies  i»  bernn  von  mir  herro^hoben  Zeitschr.  XXIII  S.  307. 


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IV,   Wecluelaceept  nnd  Kmtioiiitheorie.  109 

Widerruf  des  Emissionsanftrages,  begeben,  um  deren  ErlOs  im 
eigenen  Nutzen  zu  verwenden,  also  veruntreut.  Ob  nicht 
in  einem  derartigen  Falle,  in  wenigstens  analoger  Anwendong 
des  Grundsatzes  »Hand  muss  Hand  wahrenc  auch  auf  der- 
artige »Sachenc,  der  redliche  Erwerber  geschützt  werden  mtlsse, 
mag  hier  dahingestellt  bleiben".  Jedenfalls  stutzt  der  oberste 
Gerichtshof  seine  entsprechende  Entscheidung  nicht  darauf, 
dass  der  Aassteller  bereits  durch  die  >Kreation(  obligirt 
gewesen  sei;  er  verwirft  weiter  ausdrücklich  die  Haftung 
ex  culpa,  deducirt  vielmehr,  dass  der  Natur  der  Sache  nach 
nothwendig  den  Aussteller  von  Inhaberpapieren  die  Gefahr 
treffe,  um  welche  es  sich  hier  handle,  und  dass  er  schon  durch 
den  Akt  der  Ausstellung  diese  Gefahr  nicht  nur  hervor- 
rufe, sondern  auch  zugleich  übernehme.  Er  tinteistellt 
somit  entweder  eine  an  die  Aosstelltmg  sich  knüpfende  ge- 
setzliche oder  (vielleicht  beides?)  eine  mit  derselben  stilt- 
schweigend  übernommene  Garantiepflicht,  vielleicht  noch  ge- 
nauer: SchadensausgleichungspfUcht.  E>ie  einzige*  positive 
Stütze  des  behaupteten  Rechtssatzes  bildet  ein  schon  vielfach  an- 
gezogenes württembergisches  Gesetz  vom  16.  September  1852 
(jetzt  Gesetz  vom  18.  August  1879  Art.  17,  vgl.  Art.  16), 
nach  welchem  die  Staatsschuldenkasse,  welcher  ein  Schtdd- 
schein  verloren  geht,  der  Klage  des  Inhabers  nur  den  Ein- 
wand entgegenstellen  kann,  dass  er  den  Schuldschein  in  biteem 
Glauben  erworben  hat;  aber  es  ist  zu  konstatiren,  dass  auch 
dieses  Gesetz  die  vor  jeder  Begebung  »verlorenen  Schuld- 
scheine* nicht,  mindestens  nicht  ausdrücklich  erwähnt,  also  in 
soweit  nichts  Anderes  feststellt  als  die  Art.  307  D.H.G.B.'s 
imd  Art  74  0.W.O. 

In  dem  zweiten  Falle  (Entsch.  XXX  S.  31  ff.)  handelte 
es  sich  eigentlich  um  einen  angeblich  gefälschten  (d.  i.  die 
echte  Unterschrift  des  angeblichen  Wechselausstellers  nicht 
tragenden)  Wechsel;    aus  prozessualischen   Gründen  kam  es 

'  In  diesem  ^ne  itt  wobl  m  venteheo  die  Bemerkung  Brnnner'i  in 
Endem&an'i  Htuidbncb  II  S.  167  Note  17:  'Bfne  erentndl  Tcrpfliehlende 
Begebimg  liegt  vor,  weim  der  Anuleller  die  Pmpien  einem  Dritten  mit  dem 
Auftrage  Übergab,  ile  (Hr  seine  Rechiiniig  miteraubnngeD.i 

'  Du«  fDr  >in  bluico  indonirte  Wechsel«  ein  denrliger  Rechtasati  nicht 
beitefae,  habe  ich  tdion  io  der  Zeit«cbr.  XXIII  S.  367  bemerltl ;  da»  ihn  du 
Slchincbe  Bürger].  Geutibach  nicht  »n&telll,  i.  Brunner  a.  a.  O. 


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110  MUcellen  iut  Theorie  der  Wenhpapieie. 

jedocb  zu  wirksamer  Kootestation  der  Echtheit  nicht,  so  dass 
nimiaehr  die  Frage  entstand,  ob  der  (angebliche)  Aussteller 
aus  diesem  Wechsel  dem  darin  benannten  Remittenten  (bezw. 
dessen  Konkursmasse)  hafte.  Das  Reichs-Oberhandelsgericht 
legte  dem  Nachkläger  (angeblichen  Aussteller)  den  alternativen 
Beweis  auf,  idass  er  dem  Helle  (Remittenten)  den  Wechsel 
nicht  ausgehändigt,  Helle  vielmehr  ohne  Wissen  und 
Willen  des  Nachklägers  den  Besitz  der  Wechselurkunde 
erlangt  habe,  oder:  dass  weder  auf  Seiten  des  Nachklägers 
noch  auf  Seiten  des  Helle  die  Absicht  obgewaltet  habe,  dass 
Helle  auf  Grund  der  Wechselurkunde  einen  Wechselanspmcb 
gegen  den  Nachkläger  erheben  solle.«  Motivirt  wird  diese 
Entscheidung  folgendermaassen :  >Eine  Wechselobligation 
kommt  nämlich  durch  die  Unterschrift  des  Wechsels  allein 
noch  nicht  zu  Stande.  Wenn  der  Nachkläger  den  Wechsel 
zwar,  wie  derselbe  vorUegt,  ausstellte  und  unterschrieb,  dann 
aber  in  sein  Pult  legte,  dem  Helle  weder  selbst  aushändigte 
noch  durch  einen  Andern  aushändigen  liess,  so  blieb  die 
Wechselurkunde  ein  Stück  Papier  ohne  Werth  und  rechtliche 
Bedeutung.  Wenn  Helle  ohne  oder  gegen  den  Willen  des 
Nachklägers  den  Gewahrsam  der  Wechselurknnde,  sei  es  durch 
eine  unerlaubte  Handlung  oder  durch  einen  Zufall  eriangte, 
so  erwarb  er  dadurch  keinen  Wechselanspruch  an  den  Nach- 
kläger. Ob  im  Falle  weiterer  Indossining  des  Wechsels  ein 
dritter  Inhaber  des  Wechsels  einen  solchen  Anspruch  gegen 
den  Nachkläger  hätte  erlangen  können,  kann  unerörtert  bleiben, 
da  eine  solche  Indossirung  nicht  erfolgt  ist.  —  Helle  resp. 
dessen  Konkursmasse  wtlrde  bei  solcher  Sachlage  einen  An- 
spruch nicht  erheben  können,  ohne  dass  sie  der  begründete 
Vorwurf  des  dolus  träfe.«  —  Weiter  wird  ausgeftlhrt,  die  Be- 
hauptung des  Nachklägers  sei  erheblich,  also  zum  Beweise  zu 
stellen,  weil  sie  dahin  gehe,  »dass  die  Urkunde  überhaupt 
nicht  dem  Helle  von  dem  Nachkläger  oder  mit  dessen  Wissen 
thatsächlich  ausgehändigt  sei  and  dass  bei  einer  solchen 
etwaigen  Aushändigung  bei  keinem  der  beiden  Betheiligten 
die  Absicht  der  Begründung  eines  Wechselanspnichs  ob- 
gewaltet habe.«  —  Die  Entscheidung  stellt  somit  Alles  auf 
den  Gegensatz  von  mit  und  ohne  Willen  und  verneint,  dass 
der  erste  Nehmer  aus  einem  ohne  Willen  des  Ausstellers 
erlangten   Wechsel    emen    Wechselanspruch   wider   denselbea 

-oslc 


IV.   Wecluducept  nnd  KicatioiittliEorie.  Itl 

habe  —  sie  Temeint  damit  die  »Kreationstbeoriec '.  Dass 
sie  aasserdem  noch  den  Gesichtspunkt  des  dolus  anzieht 
—  vielleicht  überflüssigerweise  —  ist  gleichgültig.  Die 
Frage  Über  das  Recht  späterer  ^gutgläubiger)  Nehmer  wird 
weder  bejaht,  noch  verneint,  sondern  ganz  korrekt  unerOrtert 
gelassen.  — 

Dem  entspricht  die  bisherige  Judikatur  des  Reichs- 
gerichts. 

Das  jüngste  veröffentlichte  Urtheil  (III.  Civilsenat,  27.  Sep- 
tember 1881 :  Entsch.  V  S.  82  ff.)  schliesst ,  unter  ausdrück- 
licher Berufung  auf  das  vorstehend  analysirte  Urtheil  des 
Reichs-Oberhandelsgerichts,  sich  sogar  hinsichtlich  des  Indossa- 
ments der  Theorie  von  dem  >im  Geben  und  Nehmen  des 
Wechsels  beruhenden  Wechselvertragcf  an.  Von  einem  »Be- 
gebungsvertrage in  Form  des  Blanko-Giroc  spricht  ein  Urtheil 
des  V.  Civilsenats  vom  2.  März  1881  (Entsch.  IV  S.  255).  In 
dem  Urtheil  des  I.  Hilfesenats  vom  1.  Oktober  1880  (Ent- 
scheidungen n  5.  90)  heisst  es:  >Der  Wechselanspnich  selbst 
wird  erst  durch  die  Wechselobligation  erzeugt,  und  diese  ent- 
steht ,  wenn  ein  Wechsel  (hier  im  Gegensatz  zum  Wechsel- 
hlankett)  gegeben  und  genommen  wird,c  es  wird  betont:  »das 
Geben  und  Nehmen  des  Wechsels«.  Ein  Urtheil  des  I.  Civil- 
senats vom  16.  Oktober  1880  (Entsch.  II  S.  97)  fasst  die  kon- 
stituirenden  Elemente  der  Wechselverpflichtung  dahin  zu- 
sammen: leines  in  Umlauf  gesetzten  sich  äusserlich  als 
unverdächtig  darstellenden,  die  echte  Unterschrift  des  urkund- 
lich verpflichtet  Erscheinenden  tragenden,  an  sich  durch  seine 
Form  verbindenden  Geldsummen  Versprechens.« 

■  Denn  ftlr  die««  gut,  wu  Dernburg  lelbM  II  g  157  (3.  Aufl.  [eben- 
doTt  5.  AulLJ)  koniequent  iiufulirt,  dEss  Dicht  lUem  der  ladosMtBr  (wie 
man  nacb  §  iz  Note  15  [j.  Aufl.  Note  16]  icbUessen  «Urde,  wo  geragt 
wird,  das  Reichs- OberhaDdelsgericfat  Tcrneiae  >mit  Recht«  die  Frage,  ob 
der  Wechsel  *eTpflichte,  wenn  der  in  demselben  genannte  Remittent  ihn 
ohne  den  Willen  des  Ausstellers  durch  eine  unerlsubte  Handlung  oder  durch 
Zufall  erhielt),  sondern  auch  der  Remittent  >Wechselg1iabEger<  wird, 
>wenn  er  ohne  den  Willen  des  Ausstellen  in  den  Besitt  des  Wechsels  ge- 
luig;le,  der  ihn  Sosserlich  legitimiit,  t.  B.  der  Aussteller  wollte  den  Wechsel 
mir  nach  Empfang  der  Valuta  begeben ,  ein  Unberufener  hindigt  ihn  aus 
Versehen  Torher  ausi.  E^  ist  somit  klar,  dass  das  Reichs-Oberhandelsgericht 
die  >KreatioDstheorie*  in  der  tod  Dernbarg  selbst  au^estellten  Formu- 
linmg  rerwirfL 


„Google 


112  MUcdlen  rar  Theorie  der  Werthptpiere. 

Eine  eigenthUmliche  Frage  lag  in  dem  vom  V.  Civil- 
senat,  Urtheil  vom  19.  Juni  1880  (Eotsch.  II  S.  6  ff.)  ent- 
schiedenen Falle  vor.  Soll  ein  schenkungsweise  ausgestellter 
und  ausgehändigter  eigener  Wechsel  als  »Ubergebene  Sache« 
im  Sinne  von  A.L.R.  I,  11  §  1065  gelten,  so  dass  es  zur 
Verbindlichkeit  der  Schenkung  des  gerichtlichen  Abschlusses 
nicht  bedarf?  Diese  Frage  wurde  bejaht,  in  der  Anshändi- 
gang  eines  solchen  Wechsels  somit  nicht  die  blofee  schenkungs- 
weise BegrUndimg  einer  Forderung  gegen  den  donator 
(Wechselaussteller) ,  nicht  ein  bloCses  SchenkungsversprecbeD, 
sondern  die  ErfUlltmg  eines  soldieo  gefunden.  Die  Bejahung 
erscheint  auch  für  den  allerdings  zweifelhaften  Fall  des  eigenen, 
vom  donator  selbst  ausgestellten  Wechsels  zutreffend,  weil  die 
so  begründete  abstrakte  Wecbselfordenmg  nicht  eine  Forde- 
nmg  aus  einem  blossen  Schenkungsversprechen  ist,  vielmehr 
das  letztere  eben  durch  Aushändigung  des  die  Wechselforderung 
begründenden  Wechselbriefs  bereits  erfüllt  ist :  es  wird  nicht 
aus  dem  Schenknsgsversprechen ,  sondern  aus  dem  Wecl^el 
geklagt.  DazQ  tritt,  anter  der  regelmässigen  Voraussetzung, 
dass  der  Wechsel  indossabel  ist,  also  eine  entgegenstehende 
Klauset  (Rektaklausel :  micht  an  Ordere  u.  dgl.)  nicht  enthält, 
dass  in  der  Hand  des  dritten  Nehmers  die  Berufung  auf  die 
causa  donationis  schlechthin  wegfällt,  der  Beschenkte  somit 
stets  in  der  Lage  ist,  durch  Veräusserung  des  Wechsels  den 
Werth  der  Forderung  ohne  eine  ErfUlIungsktage  wider  den 
donator  zu  realisiren.  Das  somit  in  der  Sache  vollkommen 
zutreffende  Urtheil  ist  auf  folgenden  Grund  gestützt:  >Dass 
ein  so  qualifizirtes,  selbstständiges,  von  dem  Begebungsgrande 
losgelöstes,  daher  nicht  den  letzteren  beurkundendes,  seine 
Wirksamkeit  —  insbesondere  bei  Blanko-Signaturen  —  in  den 
Besitz  verlegendes  und  daher  gleichsam  schon  einen  gewissen 
ökonomischen  Werth  in  sich  tragendes  Wechselpapier,  als  eine 
bewegliche  kCrperliche  Sache,  animo  donandi  dem  Nehmer 
übergeben  and  somit  als  Erfüllung  eines  Schenkungsver- 
sprechens  —  des  Vorvertrages  —  dienen  bann,  unterliegt  am 
so  weniger  einem  berechtigten  Zweifel,  als  sonst  ein  Wechsel 
durch  Ausstellung  niemals  zu  Zwecken  der  Liberalität  ver- 
wendet werden  kOnnte,  hierzu  vielmehr  nur  eine  Begebung  in 
Form  eines  Indossaments  —    nach  Schaffung  der  Wechsel- 

ation  —  geeignet    wäre.     Und    doch    dient    die  Aus- 

oogic 


IV.   Wechielaccept  und  Kreationstheorie.  113 

Stellung  des  Wechsels  im  Verkehre  auch  freigebigen  Geld- 
operationen.« 

Diesen,  mit  der  obigeo  Betrachtung  wesentlich  Uber- 
einstinmiendea  Grtlnden  geht  nun  motivirend,  nämlich  zu 
näherer  Charakteristik  eines  derartigen  Wechsels,  folgender 
Satz  voraus: 

»Ein  Wechsel,  in  der  Regel  auf  Grund  eines  Vorver- 
trages —  pactum  de  cambiando  —  von  dem  Geber  ausgestellt, 
begründet  in  der  Hand  des  Ausstellers,  also  vor  seiner  Aus- 
händigung an  den  Nehmer,  zwar  noch  keine  Wechsel- 
obligation, noch  kein  wechselmässiges  Forderungs- 
recht; allein  er  stellt  in  seiner  objektiven  realen  Aeusserlich- 
keit  mit  dem  Akte  der  Kreation  —  und  somit  noch  vor 
der  Aushändigung  an  den  Nehmer  —  eine  »bewegliche  körper- 
liche Sachet  dar,  welche  an  sich  und  nach  dem  Willen  der 
Wechselinteressenten  (welcher?  —  es  gibt  ja  zur  Zeit  nur 
einen  Kreator)  geeignet  ist,  Gegenstand  eines  Rechtsverhält- 
nisses zu  sein,  und  welche  durch  die  Thatsache  der  Aus- 
händigung —  und  selbst  durch  die  Cirkulation  ohne 
den  Transportwillen  des  Ausstellers  —  auf  Grund 
ihrer  formalen  und  abstrakten  Rechtsnatur  wechselmässige  An- 
sprüche zu  begründen  geeignet  ist.« 

Es  scheint  so  unterstellt  zu  werden,  dass,  was  regelmässig 
unmöghch  ist,  nämlich  die  Entstehung  einer  Wechselobli- 
gation ohne  Aushändigung  des  Wechselbriefs,  doch 
unter  Umständen  mOglich  sei,  und  zwar  auf  Grund  der  eigen- 
thümlichen  »Rechtsnaturc  dieser  Urkunde,  welche  schon  durch 
die  »Kreationc  zur  Sache  werde.  Wie  das  zu  denken  und 
unter  welchen  Umständen  »die  Cirkulation  ohne  den  Transport- 
willen  des  Ausstellers*  diese  Wirkungen  herbeiführe,  bleibt 
unerörtert.  Mindestens  wird  in  derartiger  beiläufiger,  die  Ent- 
scheidung gar  nicht  tragender,  sicher  nicht  bedingender  Moti- 
virung  schwerlich'  eine  Anerkennung  der  »Kreationstheorie* 
auch   nur   in    einem  Urtheil   des  obersten  Gerichtshofs   ge- 

>  Knntze,  in  seinem  GntachCcD,  VerhKndInngen  des  XVI.  Jnrixtentages 
Bd.  I  S.  131  fuhrt,  ohne  BerttckiichtiKimg  der  voistehecd  initgethdlteD  Ent- 
icheidimgen  and  des  inneren  Znsunmenhui^es  anch  des  zuletzt  analynrten 
Uitheib,  tmter  Berufung  auf  dieses  das  Reichsgericht  als  AnhJCnger  der  von 
üun  als  •Redlichkciutheorie*  bezeichneten,  praktisch  mit  der  >KreationsÜieorie< 
CTuammenfallenden  Anticbt  anf. 

Goldichmjdl,  Vantiubt«  Scluiften.    II,  8 

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1 14  Miicellen  tnr  Theorie  d«r  WertlipipieTe. 

hioden  werden  dürfen,  zumal   deren  Gegner  sich   mit  gleich 
gutem  Grunde  auf  dasselbe  berufen  könnten.  — 

in.  Die  nothwendige  und  äusserste  Konsequenz  der 
»Kreationstheoriec  ist  die  Haftung  des  iKreatorc  (des  Aus- 
stellers) auch  aas  dem  ohne  oder  wider  seinen  Willen  aus 
seiner  Hand  gekommenen,  somit  insbesondere  aus  dem  ge- 
stohlenen, geraubten,  verlorenen,  durch  den  Wind  verwehten 
u.  dgl.  äusserlich  fertig  hergestellten  Papier.  Wer  diesen  Satz 
nicht  will  —  genauer,  da  es  sich  nicht  um  zukünftiges,  son- 
dern um  geltendes  Recht  handelt,  wer  die  Existenz  eines  der- 
artigen Rechtssatzes  in  unserem  bestehenden  Recht  in  Abrede 
stellt,  muss  die  »Kreationstheorie«  verwerfen.  Wer  den  Satz 
will  oder  doch  als  bestehend  anerkennt,  kann  ihn  auf  andere ' 
Gründe  stutzen  als  auf  die  Verbindlichkeit  der  iKreatione, 
d.  h.  des  blossen,  wenn  auch  vielleicht  in  der  Absicht 
späterer  Begebung  erfolgenden  Niederschreibens:  eines  an 
sich  rein  thatsächlichen "  Aktes.  Etwa;  auf  (wirkliches  oder 
fingirtes)  Verschulden^  des  Ausstellers;  auf  die  »bona  fides 
des  Verkehrs*  • ;  auf  eine  (stillschweigende)  Gefahrsübemahme  > 
oder  Garantieübemahme  des  Ausstellers*;  auf  einen,  gleich- 
viel ob  und  wie  innerlich  zu  begründenden  positiven'  Rechts- 

<  Nur  anf  di«  KTCAtionstheorie  iratzt  ihn  Kantze  in  leinem  Gutachten 
(VerhandL  des  XVI.  Jnr!»t«ntag«  Bd.  I  S.   131  ff.). 

*  S.  auch  S.  Schnitze,  Kritische  Viertdjahntchrift  XVIII  S.  246; 
BruDQer  in  der  ZdUchr.  XXII  S.  Sioff.  und  in  Endemann's  Handbach 
II  S.  149,   i64ff. 

>  Dagegien :  du  Reicbs-Oberhandeligericht  5.  oben  S.  ioS;  meine  Au«- 
ftthnrng  in  dei  Zeitzchr.  f.  Handeltr.  XXIII  S.  306;  F.  Mommzen,  Erörte- 
mogen  >us  dem  Obligatianenrecht  Heft  3  S.  Ilz;  Leonhard  in  der  Zälschr. 
f.  HandeUr.  XXVI  S.  296;  Brunner  in  Endemann's  Handbuch  II  S.  167. 

*  DagcE^  meine  Ansftahrung  in  der  Zeitscht.  f.  HandEltr.  XXIII  S.  3061 
Brunner  a,  a.  O.  S.  167. 

5  S.  auch  Windscheid,  Arch.  f.  civU.  Pnudt  LXIII  S.  8a. 

^  So  G.  Binding,  Zeitichr.  X  S.  419  und  anzcheinend  dai  Reichs- 
Oberbandeligericht,  Entsch.  XVII  S.  149  (oben  S.  108),  Dag^eo 
Th«I,  Handelsrecht  I  g  224  Note  8;  Stobbe,  Deuttches  Privatr.  in  S.  109 
Note  12  a.  E.     [Stobbe-Lehmann  §  219  IV]. 

'  So  ThOl,  Handelsrecht  l  %  214  Note  8  für  da«  Inhaberpa{ner.  Er 
findet  ro  dem  Urtheil  des  Reichi-Oberhandelsgeiichts  die  Anerkennung  eines 
aUg^neinen  Geirohnheitsrechts.  Das  hat  noch  Niemand  la  behaupten  gewagt. 
Jedenfalls   würde  dieses   >  Gewohnheitsrecht  r   zieh  nicht   über    den   allein   ent- 


IV.    Wecb$«bccept  und  Kreaäonstheorie.  115 

satz  von  wiederum  denkbarerweise  verschiedenem  Inhalt:  es 
solle  aus  dem  Papier  gehaftet  werden  —  oder  es  solle  der 
durch  das  Nehmen  eines  den  Aussteller  nicht  obligirenden 
Papiers  entstehende  Schaden  ersetzt  werden  u.  s.  f.  Aber 
man  muss  wissen ,  auf  welchen  Rechtsgrund  die  Haftung  ge- 
stützt werden  soll,  weil,  je  nachdem,  ganz  verschiedene  Rechts- 
folgen eintreten  und  ganz  verschiedene  Rechtsfolgenmgen  zu 
ziehen  sind.  Die  Art  ist  rein  zu  halten.  Wer  die  Verbind- 
lichkeit auf  >Kreation<  stützt,  braucht  nicht  anzuerkennen,  dass 
auch  aus  dem  unerkennbar  gefälschten  Papier  der  angebliche 
Aussteller  obligirt  wird,  denn  ein  solches  hat  derselbe  nicht 
»geschriebene  —  darauf  legt  vielleicht  der  Kaufmann  Gewicht, 
welcher  seine  »Handschrift«  nicht  anzweifeln  lassen  mag,  wenn- 
gleich in  einigermaassen  heiklen  Fällen  er  sich  schwerlich  nach 
den  Anforderungen  der  »Kreationstheorie  <  gebunden  halten 
dürfte.  (Man  denke:  Die  Verwaltung  einer  Aktiengesellschaft 
hat  Werthpapiere  zur  Ausgabe  fertig  gestellt  ein  richter- 
liches Urtheil,  etwa  auf  Einspruch  von  Aktionären  erlassen, 
inhibirt  die  Ausgabe  —  nun  werden  einzelne  Stücke  gestohlen. 
Der  rechtlich  verbindenden  künstlich  hergestellten  »ünter- 
schnft<,  z.  B.  gedruckten,  hthographirten,  gestempelten,  legt 
der  >Kaufmann<  nicht  gleiches  Gewicht  bei  wie  der  eigenen 
iHandschrifti.)  Wer  dagegen  die  Haftung  auf  angebliches 
Verschulden,  noch  mehr,  wer  solche  auf  eine  Gefahrs-  oder 
Garantie-Uebemahme  stützt,  wird  mindestens  dann,  wenn  die 
Unterschrift  echt  und  nur  der  Inhalt  verfälscht  ist,  desgleichen, 
wenn  das  Papier  amortisirt  ist,  die  Haftung  des  Ausstellers 
dem  redlichen  Nehmer  gegenüber  nicht  ablehnen  können ;  wer 
gar  lediglich  die  »bona  fides  des  Verkehrst  ins  Feld  führt, 
muss  konsequent  sogar  dem  redlichen  und  vorsichtigen  Neluner 
des  falschen  Papiers  Rechtsschutz  gewähren,  wie  das  denn 
auch  tfaatsächlich  im  Verkehr,  insbesondere  seitens  der  Banken, 
der  Staatsschuldenverwaltungen  u.  dgl.,  um  den  nur  auf  dem 
Vertrauen  des  Publikums  beruhenden  Umlauf  ihrer  Papiere 
nicht  zu  gefährden,  mitunter  geschieht.    Dass  ich  also,  bei 


tchiedenen  Fall  hinaus  eratreckeni  eines  beha&  »pSterer  Beeebuog  einem 
DiiKea  onvertnuten  und  van  dieiem  wideirechllich  emittirteD  P>pien.  S,  auch 
oben  S.  loS.  Oder  in  rMan«  bei  Th.  nicht  Thöl  selbit?  —  S.  Zeitschr.  f. 
Handelir.  XXVm  S.  446  unten. 


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Wß  Miscellen  int  Theorie  da  Weithpapiere. 

Unterstellung,  dass  nicht  ex  scriptura,  sondern  aus  Verschulden 
oder  dgl.  gehaftet  werde,  in  der  Gleichstellung  von  gestohle- 
nen und  von  gefälschten  Papieren  »den  springenden  Punkt, 
worauf  es  hier  ankommt,  nicht  erkanntf  haben  soll ',  ist  doch 
schwerlich  gegründet.  Nach  Dernburg  soll  die  ibona  fides 
des  Verkehrs«  mit  sich  bringen,  dass  der}enige,  welcher  durch 
sein  Verhalten  die  Schuld  daran  ti^gt,  dass  ein  Dritter  in 
mangelhafter  Weise  erwirbt,  den  Erwerb  nicht  anfechten 
könne,  und  dies  sei  sicher  der  Fall,  wenn  Jemand  Inhaber- 
papiere ausstellte  und  sie  nicht  begab,  aber  auch  nicht  ge- 
eignete Vorkehrungen  traf,  dass  sie  ohne  seinen  Willen  nicht 
in  Verkehr  gebracht  werden  konnten;  dagegen  sei  es  isonnen- 
klar< ,  dass  Niemand  durch  gefälschte  Papiere  verpflichtet 
werde,  die  ihm  die  Eigenschaft  als  Schuldner  aufbürden;  hier 
sei  eher  dem  bona  fide  Erwerber,  als  demjenigen,  dessen  Unter- 
schrift gefälscht  sei,  ein  Vorwurf  zu  machen.  Mir  scheint, 
dass  auf  so  höchst  verschiedenartig  nüancirte,  rein  tfaatsäch- 
liche  Verhältnisse  sich  nicht  Rechtsprinzipien  gründen  lassen: 
die  Vorkehrungen  gegen  Entwendung,  Raub  u.  dgl.  können 
sehr  geeignete  und  gleichwohl  durch  »höhere  Gewaltc  das 
Papier  in  Umlauf  gekommen  sein  —  umgekehrt  können  die 
möglichen,  ja  üblichen  Vorkehrungen  gegen  Fälschung  oder 
Verfälschung  unterlassen  sein.  Liegt  die  Gefahr  der  Ver- 
fälschung nicht,  wie  die  tägliche  Erfahrung  zeigt,  sogar  naher 
als  die  Gefahr  der  Entwendung  des  noch  unbegebenen  Papiers 
aus  dem  eisernen  Geldschrank  oder  dem  Gewölbe? 

Aus  der  wirklichen,   angeblich  im  Rechtsbewusstsein  der 
Gegenwart    wurzelnden,    jedenfalls   nicht  aus  dem    igerma-  ' 

nischen  Recht«  stammenden  »einseitigen  Kreationc  folgert 
Dernburg: 

1)  Die  Haftung  aus  dem  vor  der  Ausgabe  gestohlenen  , 
Papier.    Dies  ist  soeben  erörtert.                                                            I 

2)  »Ein  von  A  ausgefertigtes  Inhaberpapier  ist  gültig, 
auch  wenn  es  erst  von  seinem  Erben  B  ausgegebai  ist  und 

dies  der  Nehmer  weiss.«  i 

Die  Konsequenz  ist  anleugbar,  und  es  werden  so  nicht  | 

allein  der  Emittent  B,  sondern  auch  dessen  unbetheiligte  Mit- 

'  So  Dernburg,   Preuss.  Privatr.  II  §  la  (a.  Aufl.  Note  14,    3.  Anfl.  | 

Nole  15  [5.  Aufl.  Noie  16]).  1 


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IV.    Wechidtccept  and  Krealionitheorie.  X17 

erben  C,  D,  E,  desgleichen,  wenn  über  den  Nachlass  des  A 
der  Konkurs  ausgebrochen  ist,  die  übrigen  Glaubiger  diesen 
Passivzuwacbs  des  Nachlasses  bei  dem  todten  A  zu  beklagen 
haben,  weil  dieser  durch  die  Skriptur,  welche  unter  gewissen 
nie  eingetretenen  Voraussetzungen  ausgegeben  werden  sollte, 
sich  bereits  —  vielleicht  10  Jahre  vor  seinem  Tode  (denn 
es  ist,  nach  Dernburg,  das  Datum  der  Niederschrift  schlecht- 
hin entscheidend)  —  ibindend  obligirt  hat*.  Das  soll  sogar 
dem  wissenden  Nehmer  gegenüber  gelten.  Werden  denn 
im  Verkehr  Unterschriften  von  Todten  als  gleicbgeltend  mit 
Unterschriften  Lebender  genommen? 

3)  »Das  Recht  des  späteren  Erwerbers  besteht  auch  dann, 
wenn  der  erste  Nehmer  erwerbsunfähig,  z.  B.  ein  Kind  war.* 

Der  Satz  ist  zuzugeben.  Er  spräche  sicher  dann  nicht 
gegen  die  Vertragstheorie,  wenn  —  was  freilich  weder 
Dernburg  noch  ich  annehmen  —  jeder  ilnhaberi  der 
Gläubiger  aus  dem  Libaberpapier  wäre;  denn  ein  blosser 
detentor  kann  auch  ein  Kind  sein.  Er  steht  aber,  auch  bei 
der  richtigeren  entgegengesetzten  Annahme,  der  Vertrags- 
theorie nicht  entgegen,  weil,  wie  ich  schon  früher  bemerkt 
habe ',  der  spätere  Erwerber  sein  Recht  nicht  von  dem  ersten 
Nehmer  herleitet.  Ich  habe  dabei  den  freilich  nicht  ganz 
präcisen  Ausdruck  gebraucht:  »Der  Wille  zu  kontrahiren 
ist  ja  Jedem  gegenüber  erklärt,  welcher  Eigenthümer  (gemäss 
H.G.B.  Art.  307)  des  Papiers  wird«  —  statt  »zu  kontrahiren« 
sollte  und  wollte  gesagt  sein,  »sich  zu  obligiren* '.  Der  Ver- 
trag, welchen  allerdings  der  Ausgeber  des  Papiers  mit  dem 
ersten  Nehmer  abschliesst,  enthält  ein  gleichzeitig  zu  Gunsten 
aller  späteren  successiven  Papiereigenthümer  abgegebenes  ein- 
seitiges, der  Acceptation  gar  nicht  bedürftiges  und  gleichwohl 
nach  Gewohnheitsrecht  schlechthin  bindendes  Versprechen  des 


'  Zdtschr.  f.  Handelsr.  XXIII  S.  307. 

■  So  erklirt  sich  wohl  die  AimaluDeDerDbaTg's  a.&.0.  (2.  Aufl.  Note  tj, 
3.  Ana.  Note  l6  [;.  Aufl.  Note  iS]),  dasi  ich  eincD  >Vertnig*  da  Ausstellen  mit 
jedem  spiteren  Nehmer,  also  Ata  berachtigten  und  allerdings  undenklurRD  Ver- 
tisg  cum  iucerta  persona  unterstelle.  (Zu  den  AnllSngem  einer  «Variationc  des 
tnebdiiaflen  contraclus  cum  incecta  persona*  lihlt  mich  ohne  Grund  Kuntie 
in  dem  Gutachten:  VerhandL  des  XVL  Juristentags  Bd.  I  S.  13a.)  An«  der 
Darstellung  im  Text  ergibt  sich  zugleich,  worin  sich  mcioe  AolTassung  Ton  der 
•Konstruktion  der  Vertrige  mit  unbestimmten  Glfiubigemt  bei  Dernburg  11 
%  IS'  vgL  Obrigeus  §§  18,   19  [5.  Aufl.  ebendort],  unterschrideL 


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118  Miicellen  lur  Theorie  der  Wetthpapiere. 

Ausstellers':  er  ist  ein  Vertrag  nicht  mit  unbe- 
stimmten Dritten,  sondera  mit  einer  bestlniinten 
Person  zu  Ounsten  dieser  Pereon  und  eines  weiteren 
noch  unbestimmten  Personenkrelses,  der  Art,  dass 
jede  diesem  Kreise  angehörtge  Person  ein  selbst- 
ständiges, nicht  von  einem  der  früheren  Nehmer 
abgeleitetes  Recht  gegen  den  Aussteller  des 
Papiers  erlangt.  Es  handelt  sich  so  um  Begründung 
successiver  Rechte. 

Hier  darf  nun  allerdings  die  Frage  aufgeworfen  werden, 
ob  die  Gültigkeit  des  Vertrages  zugleich  die  Gültigkeit  des 
zu  Gunsten  der  späteren  Nehmer  vermittelst  eben  dieses  Ver- 
trages abgegebenen  einseitig  bindenden  Versprechens 
bedingt. 

Es  ist  zu  unterscheiden: 

Liegt  die  Ungültigkeit  des  Vertrages  in  der  Verpflich- 
tungsunfähigkeit des  Ausstellers  oder  in  einem  sonstigen  jeden 
Verpflichtungs  willen  desselben  ausschliessenden  Umstände, 
so  kann  auch  ein  künftiger,  wenngleich  redlicher  Nehmer  des 
Papiers  keinerlei  Rechte  erwerben  —  der  Unterschied  von  der 
»Kreationstheorie«  tritt  hier  in  aller  Schärfe  hervor:  denn 
nach  dieser  ist  aus  dem  in  verpflichtongsfähigem  Zustande 
niedergeschriebenen  Papier  der  (redliche)  Erwerber  auch 

'  Diesen  Gesichtspunkt  habe  ich  bereits ,  unter  auidrUckUcher  Bezug- 
nahme auf  daslIüEtitut  der  Inhaber-  und  der  Orderpapiere,  und  iwat  als  sogar 
mit  den  Priniipien  des  rfimischen  Rechts  vertriglich,  geltend  gemacht  in  dem 
Unheil  des  Reichi-OberhandelsgerichtE  vom  3t.  April  1874,  den 
bekannten  'Leipsiger  TheaterproieKs«  betreffend  (Entscheidungen  Bd.  XU  S.  359 
bis  361).  Beigetieten  ist  das  ohne  meine  Betheiligung  ergangene,  die  gleichen 
Geüchtspunktenoch  weiter  begründende  Urt heil  des  Reichi-Oberhindals- 
gerichts  Tom  S.  Februar  1S73  (Entscb.  Bd.  XXIII  S.  365—367).  Vgl.  anch 
Gareia,  Z.  XXI  S.  357fr.,  37»  ff.;  Sohm,  Z.  XVII.  So  auch  Stobbe, 
Dentsches  Frivatr.  Ill  S.  109  [vgl.  S  tobbe-Lehmann  III  S.  483],  obwohl  er 
im  Uebrigen  (S.  to6S.)  nicht  Vertrag  verlangt,  sondern  'Auafertigimg  und 
Emi*don<  genügen  liUat  —  übrigen«  bt  Slobbe's  anichemende  •Dereliktion* 
nicht  wahre  DerelikdoD,  sondern  traditio  in  incerlam  pertonam,  eine  praktische 
Differenz  von  der  •Vertrsgstheorie'  also  schwerlich  vorhanden.  Verwandt,  aber 
doch  in  dem  be«onder«  nicbtigei)  Punkte  der  >Sdbctsll(ndigkeiti  des  Fordemngs- 
rechts  abweichend  —  es  soll  aar  den  spiteren  Erwerber  idie  dem  froheren 
GlSnbiger  zustehende  Forderung  Übergehen':  Btunner  in  der  Zeitschrift  f. 
Handelsr.  XXII  S.  «off.  und  in  Endemann't  Handbuch  11  S.  iCoff.,  vgl. 
S.  164,  i63fr.     S.  auch  oben  Seite   78  Note  i,  S.  S5  Note  I. 


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IV.    Wech*elaccept  und  Kreationitheorie.  119 

dann  berechtigt,  wenn  der  wahnsinnig  gewordene  Aussteller 
oder  dessen  unmündiges  Kind  es  auf  die  Strasse  geworfen, 
oder  wenn  ein  Erbe  des  verstorbenen  Ausstellers  es  nach 
dessen  Tode  weggegeben  hat  (s.  oben). 

Liegt  dagegen  die  Ungültigkeit  des  Vertrages  lediglich 
ia  mangelnder  Erwerbsfähigkeit  des  Vertragsgegners  (Kind, 
Wahnsinniger  etc.),  so  realisirt  sich  zwar  der  Verpflichtungs- 
wille des  Ausstellers  nicht  zu  Gunsten  des  Vertragsgegners, 
aber  zu  Gunsten  aller  späteren  redlichen  Papiererwerber.  Der 
Vertrag  mit  dem  ersten  Nehmer  ist  nicht  das  konstitutive  Ele- 
ment der  durch  die  erste  Begebung  des  Papiers  ein  für  allemal 
als  rechthch  möglich  und  eventuell  gewollt  begründeten 
successiven  Obliginmgen,  sondern  ein  juristisches  Mittel  zur 
Herbeiführung  dieses  Erfolges;  der  erste  Nehmer  ist  hinsicht- 
lich des  Erwerbes  der  späteren  eine  blosse  Mittelsperson,  ein 
Werkzeug:  ministerium  tantiunmodo  hoc  casu  praestare  vide- 
tur:  1.  15  D.  de  const.  pec.  (13,  5),  dessen  juristische  Quali- 
fikation, insbesondere  eigene  Erwerbsfähigkeit,  in  dieser  Hin- 
sicht somit  völlig  unerheblich.  So  gut  der  »Bote*,  welcher 
ja  auch  keineswegs  nur  ifaktiscbe*  Dienste  leistet',  ein  Kind 
oder  Geisteskranker  sein  kann ',  so  kann  auch  hier  durch  Ver- 
mittlung des  seinerseits  erwerbsunfähigen  ersten  Nehmers  ein 
Erwerb  der  weiteren  Nehmer  begründet  werden.  Die  Ver- 
mittlung selbst  aber  wird  dadurch  keineswegs  entbehrlich. 
Würde  man  sogar  den  ersten  Nehmer  für  noch  weniger  als 
einen  Boten  —  als  einen  blossen  »Briefträgerc  s  —  ansehen, 
so  würde  doch  sicher  ein  nicht  einmal  dem  »Briefträger«  ge- 
gebener, sondern  dem  Schreiber  gestohlener  oder  verlorener» 
ja  auch  nur  von  dem  Dienstboten  wider  den  Willen  des  Brief- 
stellers in  den  Briefkasten  geworfener  Brief  nicht  geeignet 
sein,  den  Briefsteller  gegen  den  Adressaten  in  Gemässheit  der 
in  dem  Briefe  enthaltenen  Zusage  zu  verpflichten  —  ob  etwa 

'  Zimmermsnii ,  Die  stellTertreteDde  negotiomiii  gestio  S.  3i. 

*  Ihering  üt  denen  Jahrbnchem  I  S.  3S9;  ZimmermanD  a.  a.  O. 
S.  18 ;  Thei ,  Hudelirecht  I  §  75  Note  3.  Daher  ncMig  TbOl ,  §  an  >.  E., 
ungeachtet  er  sogar  eine  Kette  von  VertrSgen  cwischen  dem  AnuteÜer  und 
den  IndoautatCD  annimmt,  den  Zwiachenitidosanten  fHi  diese  mit  den  sidteren 
IndoBataren  geschlouenen  >VerIrIge<  dei  Ausstellers  als  >blotse«  Instnunent, 
Bote,  Briefi  eiklln. 

)  Zimmermann  a.  a.  O.  S.  10. 


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120  Miscellen  iut  Theorie  der  Werlfapapiere. 

aus  anderen  Gründen  und  in  welchem  Umfange,  darf  hier  un- 
erörtert  bleiben.  — 

Die  »Praktikabilität«  der  »Kreationstheoriei,  auf  welche 
Kuntze  und  dessen  Anhänger  entscheidendes  Gewicht  legen, 
habe  ich  nie  in  Abrede  gestellt.  Es  lassen  sich  mit  derselben 
leichter,  d.  h.  ohne  schwierige  Konstruktionen,  gewisse  un- 
zweifelhaft feststehende  Rechtssätze  gewinnen  bezw.  erklären. 
Aber  die  blosse  Leichtigkeit  der  Konstruktion  entscheidet  nicht 
über  deren  Richtigkeit,  und  sie  ist  abzulehnen,  sofern  sie  zu 
unzweifelhaft  unrichtigen  oder  doch  unserem  bestehenden  Recht 
fremden  Rechtssätzen  führt. 

Es  ist  mir  nicht  bekannt,  dass  unter  den  zahlreichen 
neueren  Wechsel-  und  Handelsgesetzen  ein  einziges  die  Krea- 
tionstheorie oder  deren  Konsequenzen  adoptirt  hätte.  Da- 
gegen erkennt  die  neueste  legislative  Arbeit,  der  Entwurf 
einer  Wechselordnung  für  das  Russische  Reich  (1882),  welche 
unter  sorgfältiger  Berücksichtigung  der  neuesten  Gesetze  ver- 
fasst  ist,  mit  ausdrücklichen  Worten  für  den  Wechsel  die  Ver- 
tragstheorie an:  §  1  =  deutsche  W.O.  Art.  1;  §  15:  >Der 
Wechsel  erlangt  Wechselkraft,  sobald  der  Aussteller  denselben 
an  den  Remittenten  begeben  hat« ;  §  16:  »Kraft  der  Begebung 
ist  der  Aussteller  eines  eigenen  Wechsels  verpflichtet,  die 
Zahlung  zur  Verfallzeit  zu  leisten,  und  haftet  der  Aussteller 
eines  trassirten  Wechsels  für  dessen  Annahme  und  Zahlung.c 
Dem  ungeachtet  und  ganz  korrekt  (s.  oben  S.  97  Note  4) 
heisst  es  §  34:  iDie  Annahme  gilt  als  erfolgt,  sobald  das 
Accept  auf  den  Wechsel  gezeichnet  ist.  Das  einmal  gezeich- 
nete Accept  kann  von  dem  Bezogenen  nicht  eigenmächtig 
durchstrichen  oder  auf  eine  andere  Weise  widerrufen  oder  ver- 
ändert werden,  auch  wenn  der  Wechsel  sich  noch  in  den 
Händen  des  Bezogenen  befindet.«  Das  neue  engl.  W.G.  hält, 
wie  schon  das  ältere,  strenge  an  der  Vertragstheorie  fest  (accep- 
tum  und  indossament) :  s.  o.  5.  97  Note  4. 

V.   Der  Ladesohein. 

I.  Diejenigen  »Waarenpapieres ',  an  deren  Umlauf  sich 
dingliche  Wirkungen  hinsichtlich  der  in  denselben  bezeich- 

'  Mein  Handbuch  des  Handelsreclits  §  69. 

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V.   Der  LKdcKhein.  121 

netea  Waaren  knüpfen  können,  und  mit  deren  genauerer 
Analyse  ich  mich  früher  befasst  habe ' ,  werden  in  neneren 
Gesetzen  als  eine  eigenthümliche  Gruppe  zusammengefasst. 
Aber  die  mehr  beschreibende  als  definirende  Bezeichnung  weist 
deutlich  darauf  hin,  dass  die  Gesetzgeber  sich  entweder  über 
den  Kreis  dieser  Papiere  nicht  völlig  klar  waren,  oder  —  viel- 
leicht trifft  auch  Beides  zu  —  dass  äe  es  für  bedenklich  er- 
achteten, die  noch  im  Russe  befindliche  Entwickltmg  des  Ver- 
kehrsrechts durch  eine  dogmatische  Formel  einzudämmen. 

Immerhin  lässt  sich  nicht  verkennen,  dass  die  energische 
Arbeit  der  jüngeren  Rechtstheorie  auf  die  gesetzlichen  Formu- 
lirungen einen  förderlichen  Einfluss  geübt  hat. 

Das  deutsche  Handelsgesetzbuch  nennt  einfach  neben 
einander : 

>Konnossemente,  Ladescheine  oder  Lagerscbeinec 
und   zwar  in  bestimmter  rechtlicher  Beziehung,   nämlich   als 
VerfUgungsmittel  über  Sachen,  welche  Jemand  nicht  in  seinem 
iGewahrsam«  hat: 

H.G.B.  Art.  313,  374,  vgl.  Art.  382. 
Eben  diese  Waarenpapiere  nennt  H.G.B.  Art.  302  als 
eine  besondere  Klasse  der  indossabeln  Papiere,  jedoch  neben 
den  hinsichtlich  der  Amortisation  (H.G.B.  Art.  305  S.  3)  gleich- 
behandelten an  Order  lautenden  Bödmereibriefen  und  See- 
assekuranzpolicen. 

Dingliche  Wirkungen  werden  allgemein  ausdrücklich  nur 
für  Orderkonnossemente  statuirt: 

H.G.B.  Art.  649, 
nur  für  diese  und  die  nachgebildeten  Ladescheine  wird  die 
eigenthümliche  rechtliche  Natur  der  an  das  Waarenpapier  ge- 
bundenen Obligation  näher  bestimmt: 
H.G.B.  Art.  652  ff.,  415—418. 
Dagegen  stellen    die    neuesten  Gesetze  eine   allgemeine 
Kategorie  der  oben  bezeichneten  Waarenpapiere  auf: 

Reichsgesetz,   betr.   die  Einführung  der  Konkursord- 
nung vom  10.  Februar  1877,  §  14  Abs.  2: 
>Das  Absonderungsrecht  besteht  ohne  Uebergabe  der 
Sache,  sofern: 
1.  nach  den  Reichsgesetzen  oder  den  Landesgesetzen  die 

'  Mein  Handbuch  §§  70 ff. 

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1 22  Miscellen  tnr  Hieorfe  d«r  Werthpkpiere. 

Uebergabe     von     Konnossementen     und     ähn- 
lichen   Papieren    über  Waaren    oder    andere    be- 
wegliche Sachen  der  Uebergabe  derselben   —  gleich- 
steht.» 
Preassisches  Ausführungsgesetz   zur  Konkursordnung 
vom  6.  März  1879  §  5: 
»Im   Geltungsbereich   des    gemeinen'   Rechts   steht  bei 
Verpfändung    von    aufgespeicherten     oder    niedergelegten 
Waaren,   Fabrikaten,   Boden-  oder  Bergwerkserzeugnissen, 
sowie  auf  dem  Transport  befindlichen  Gütern  die  Ueber- 
gabe  des    auf  den   Gläubiger    Übertragenen   Konnosse- 
ments,   Ladescheins,    Lagerscheins    oder    ähn- 
lichen Papiers  der  Uebergabe  der  Sache  gleich,  sofern 
der  Gläubiger   mittelst   des  Papiers   in   der  Lage   ist ,   über 
den  Gegenstand  der  Verpfändung  zu  verfügen,* 
Uebereinstimmend  lauten  die  Gesetze  bezw.  Verordnungen 
zur  Ausführung  der  deutschen  Konkursordnung  von:  Mecklen- 
burg-Schwerin, Verordn.  vom  26.  Mai  1879  §  4.  —  Mecklen- 
burg-Strelitz ,  Verordn.  vom  26.   Mai  1879  §  4.  —  Anhalt, 
Gesetz  vom  10.  Mai  1879  §  5.  —  Sachsen-Altenburg,  Gesetz 
vom  26.  März  1879  §  2.  —  Sachsen-Koburg-Gotha ,  Gesetz 
vom  7.  April  1879  §  2.   —  Sachsen-Meiningen,  Gesetz  vom 
20.  Juni  1879  §  2.  —  Reuss  a.  L.,  Gesetz  vom  5.  Mai  187» 
§  17.  —  Reuss  j.  L.,  Gesetz  vom  22.  Februar  1879  §  4.  — 
Schwarzburg-Rudolstadt,   Gesetz  vom   1.   Mai    1879  §  20.   — 
Schwarzburg-Sondershausen,  Gesetz  vom  20.  Mai  1879  §  2.  — 
Lippe,  Gesetz  vom  26.  Juni  1879  §  5.  —  Schaumburg-Lippe^ 
Gesetz  vom  30.  Juni  1879  §  93. 

Das  hamburgische  Gesetz  vom  25.  Juli  1879,  betr.  Aus- 
fahrung  der  Konkursordnung  enthält  §  3  die  noch  weiter- 
gehende Vorschrift: 

»Durch  Verpfändung    von    Forderungen  und  anderen 
Vermögensrechten  wird  ein  Faustpfandrecht  im  Sinne  des 
§  40  der  Konkursordnung  begründet : 
2.  in  dem  Falle,  dass  über  die  Forderung  oder  das  Ver- 
mögensrecht eine  Urkunde  ausgestellt  ist,  welche  auf 

■  Für  du  Gebiet  det  preussische»  Rechti  erUhrift  solche  Vorschrift  nach 
A.L.R.  I  3o  §§  329  fr.  verb,  mit  den  eigenlhflinlichen  GrundsXtien  über  die 
Waarenuiwritnne;  A.L.R.  1  7  §§  66  ff.,  Preass.  Einr.Ge«.  lum  H.G.B.  An.  37. 
S.  mein  Handbuch  g§  7Ö,  84. 


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V.  Der  LkdMcludii.  123 

lohaber    lautet    oder    durcb    Indossament    übertragen 
werden  kann,  wenn  ein  Pfandgläubiger  oder  ein  Dritter 
für  ihn  den  Gewahrsam  der  Urkunde,  bezw.  (bei  Ur- 
kunden, welche  nicht  auf  Inhaber  lauten)  der  indossirten 
Urkunde  erlangt  und  behalten  hat« ; 
und    schliesst   im    §    5   das   Verfoigungsrecht   des    §   36   der 
Konkursordnong  aus,  in  Gemässheit  des  Art.  306  H.G.B.'s 
und  des  §  52    des  hamburgischen  Einführungsgesetzes  zum 
H.G£.,  falls  der  Gemeinschuldner  die  Waare 

»unter  Uebertragung  des  an  Order  lautenden  Konnosse- 
ments oder  Ladescheins  verpfändet  oder  veräussert  c 
hat 

Die  Motive  zu  §  40  der  Konkursordnung  fuhren  aus,  dass 
unter  gewissen  Voraussetzungen  die  Wirksamkeit  einer  »so- 
genannten (gleichviel  ob  richtig  oder  unrichtig  als  solche  be- 
zeichneten) symbolischen  Verpfändung!  anzuerkennen  sei,  und 
zu  §  14  des  Einführungsgesetzes  ad  v.  »Konnossementen  und 
ähnlichen  Papierene : 

»Eine  nähere  Bezeichnung  der  letzteren  ist  zu  ver- 
meiden. Der  Ausdruck  bezeichnet,  dass  nicht  blosse  Beweis- 
urkunden genügen,  dass  vielmehr  eine  dem  rechtlichen"^ 
Wesen  eines  Konnossements  entsprechende  Verpflichtungs- 
urkunde vorausgesetzt  wird,  welche  den  Gläubiger  mit  Aus- 
schluss des  Schuldners  in  den  Stand  setzt,  über  die  Sache 
zu  verfügen  und  ihren  Besitz  zu  erlangen.  Der  Ausdruck 
schliesst  also  namentlich  Ladescheine  und  Lagerscheine 
nicht  aus.  Man  kann  aber  weder  positiv  diese  benennen, 
denn  ein  einheitliches  Recht  Über  Wirkung  derselben  besteht 
nicht ' ,  noch  mit  ihnen  den  Kreis  abschliessen ,  denn  es 
kann  nach  Landesrecht  noch  anderen  Verpflichtungsscheinen 
eine  den  Konnossementen  ähnliche  Wirkung  beigelegt  sein. 
Das  Handelsgesetzbuch  verfährt  in  derselben  Weise  (vgl. 
Art.  313  Abs.  1,  Art.  374  Abs.  1,  Art.  382  Abs.  1  u.  s.  w.).« 
Endlich  enthalt  das  schweizerische  Bundesgesetz  über  das 
Obligationenrecht  vom  14.  Juni  1881  folgende  entsprechende 
Bestimmungen : 


■  Die«   wird ,    in   lelir  enger  Autlastang,   in   den   Motivea  in  %   36   der 
Konk.O.  antgefUirt. 


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124  Miscellen  xur  Theorie  der  Werthpapiere. 

Art,  209.  Werden  Waaren  durch  Lagerscheine, 
Ladescheine  oder  ähnliche  Papiere  vertreten,  so 
gilt  der  gutgläubige  Erwerber  des  Scheines  als  EigenthUmer 
der  Waare. 

Art.  212.  Waaren,  welche  durch  indossable  Lager- 
scheine, Ladescheine  oder  ähnliche  Papiere  ver- 
treten sind,  können  durch  blosse  Uebergabe  des  indossirten 
Scheines  an  den  Faustpfandgläubiger  verpfändet  werden.  — 

Für  diese  Gruppe  von  Waarenpapieren  ist  eine  gemein- 
same Bezeichnung  wünschenswerth.  Es  empfiehlt  sich  die  von 
Brunner'  vorgeschlagene:  Traditions-Papiere. 

Für  die  juristische  Behandlung  aber  ist  entscheidend,  ob 
man  ein  mehr  zufälliges  Nebeneinander  einzelner,  vielleicht 
gar  sämmtlich  singulärer'  Rechtssätze  annimmt,  oder  aber, 
ob  alle  einzelnen  unzweifelhaften  Rechtssätze  als  blosse  Kon- 
sequenzen eines  Rechtsprinzips  sich  darstellen,  welches  dann 
selbstverständlich  auch  zu  weiteren  durch  Gesetz  und  Gewohn- 
heitsrecht noch  nicht  positiv  ausgeprägten  Folgesätzen  führen 
kann  oder  muss.  Indem  ich  diesen  zweiten  Standpunkt  ver- 
_^jTete  und  den  Nachweis  erbracht  zu  haben  glaube,  dass  das 
aufgestellte  Rechtsprinzip  selbst  sich  innerhalb  des  normalen 
Rechts  bewegt,    insbesondere  der  richtig  verstandenen   civil- 

■  ZeitEchr.  XXII  5.  535,  526  uad  in  Bndemann's  Huidbucli  des 
Handclirecfati  II  S.  i  jo.  Nicht  bo  gut  —  denn  ei  gibt  >uch  nnr  obUgatoruche 
■Dispoiitians-Papiere'  —  ueiml  lie  •Diapoudoni-Pftpiere« ;  Endemann,  da- 
Mlbit  II  S.  35  fT.  Die  AeuEsening  E.'s  II  S.  36  Note  4  kommt  doch  wohl 
darauf  hinaus,  dui  ich  die  auch  nach  Endemann't  Ansichl  mausgebenden 
innereii  Ursachen  der  Entwicklung  atureicheDd  dargelegt  habe.  Als  'Kredit- 
papierec  aber  lassen  sich  die  Tradition s-Fapieie  nui  sehr  uueigentlich  be- 
zeichoen;  wer  gegen  Konnossement  u.  dgl.  den  Kau^reit  baar  oder  durch 
Wechselaccept  erlegt,  will  nicht  •kreditir«i>.  Uebrigens  hat  Endemann  im 
Handbuch  seine  Mhere  Darstellung  (Handelsrecht  g  78  [4.  Aufl.  §  97])  unter 
Anschluss  an  meine  AosfUhrungcn  erheblich  modilidrt 

*  Dahin  gelangt  man  nothwendig  von  dem  Standpunkt  Exner's, 
welcher  nicht  sowohl  einen  eigenen  RechUsati  konstniirt,  als  die  Ensteu 
eines  (vieler))  rein  positiven  Rechtssatzes  (Eigen thumserwerb  ohne  Besitz)  be> 
hauptet:  Die  Lehre  vom  Rechtserwerb  durch  Tradition  (Wien  1867}  S.  i86ff. 
und  Kritische  Vierteljahrsschrift  XIII  S.  313  C,  im  Zusammenhang  mit  semer 
gewiss  unialreffenden  Auffassung  der  sogen,  ^symbolischen  Tradition' ;  selbst- 
vemlndlich  vom  Standpunlcie  T  h  9 1 '  s ,  welcher  in  dem  stets  ene^isch  be- 
kfimpfien  Art.  649  H.G.B.'t  einen  durchaus  aingulSren  Rechtssati  findet  (H.R. 

i§»7i.  vgl.  §  J70,  m  §42[?D. 


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V.   Der  Lidewliein.  125 

rechtlichen  Besitztheorie  gemäss  ist,  gelange  ich  zu  dem  prak- 
tisch imgemein  wichtigen  Ergebniss,  von  den  etwa  nur  für 
eine  Art  des  »Traditions-Papiers*  positiv  aufgesteUten  Rechts- 
sätzen  entsprechende  Anwendung  auf  andere  >Traditions- 
Papiere»  machen  zu  dürfen.  Dass  dies  aber  ebenso  richtig 
wie  nothwendig  ist,  hat  neuerdings,  unter  Billigung  zugleich 
meiner  Konstruktion,  nicht  nur  eine  wachsende  Zahl  gerade 
solcher  hervorragender  Juristen,  welche  das  Bedürfniss  \md 
die  Uebung  des  grossen  Handelsverkehrs  sehr  genau  kennen ', 
sondern  auch  der  oberste  deutsche  Gerichtshof  wiederholt 
anerkannt: 

U.  des  Reichs-Oberhandelsgericbts  II.  S.  vom  15.  Sep- 
tember 1879  (Entsch.  XXV  S.  351  ff.),  betreffend 
den  Lagerschein; 
U.  des  Reichsgerichts  I.  CS.  vom  1.  Oktober  1881 
(Entsch.  V  S.  79ff.),  betreffend  den  Ladeschein, 
nachdem   bereits  früher  der  ohnehin  kaum  zu  bezweifelnde 
Rechtssatz  ausgesprochen  war,   dass   das  Handelsgesetzbuch 
nicht  ausschliesse,  auch  Konnossemente,  welche  nicht 
an  Order  lauten,  als  Traditions-Papiere  anzuerkennen: 

U,  des  Reichs-Oberhandelsgerichts  II.  S.  vom  19.  No- 
vember 1873  (Entsch.  XI  S.  413  ff.). 
Vgl.  auch  Lewis,  Das  deutsche  Seerecht  I  S,  299 ff. 
[2.  Aufl.  I  S.  384],  Endemaan,  im  Handbuch  des 
Handelsrechts  II  §  170,  und  Lew  is,  daselbst  IV  §  37. 

II,  Dass  die  Obligation  aus  Konnossement  und  Lade- 
schein weder  eine  sogen,  »formellec,  richtiger  abstrakte, 
d.  i.  von  einem  in  der  Urkunde  angegebenen  Verpflichtongs- 
grunde  unabhängige  ist",  noch  aus  dem  Frachtverträge^ 

■  So  u.  A.  der  TieljSIiTige  Prfisc«  des  hambai^[ücben  HandeltgerichU, 
tpfiter  de*  doitigen  Landgericliü ,  Dr.  Albrecht  (Verhandl.  dei  XIV.  dent- 
Khen  JnrisEentagslIS.  55)  und  Rddugericlitirath  Dr.  Wienet  (Verhandl.  des 
XV.  D«DUch.  Jnristenlagi  II  S.  88). 

Bei  der  Korrektur  geht  mir  ta  v.  Hlhn'i  Kommentar  II  lÄeS.  4i 
3.  Aufl.,  5.  6S2,  wo  die  Mhere  abweichende  Anticlit  det  Verfusen  (i.  Anfl. 
S.  501)  anfg^eben  Ut, 

1  SonochEndemano,  Handeltrecht  g  7g  [4.  Aufl.  §97]-  Konnoisement 
nnd  Ladeacheia  nnd  aber  nicht  einfeche  «Verpflichtangsichdne',  ue  geben  noth- 
wendig all  Verpflichtongsgmnd  die  Aufgabe  (Empfang)  zum  Traniport,  an. 
S.  m  e  io  Handtmcfa  g  7z  Note  S  ff.  nnd  da*  sogleich  folgende  U.  des  Reichsf^chti. 

J  So,   mit  Aelteten,   jeUt  wieder  Thöl,  Handelvecht  I  %  370,    intbei. 


.oügle 


126  Miseellen  lur  Theorie  der  WerOtpapiere. 

entspringt,  sollte  nicht  mehr  bezweifelt  werden.  Dagegen 
bleibt  noch  za  untersuchen,  inwiefern  die  Obligationen  aus 
Konnossement  und  Ladeschein  schlechthin  gleichartig  sind,  oder 
welche  rechtliche  Verschiedenheiten  zwischen  denselben  be- 
stehen. 

Diese  Frage  hat  bisher  auch  in  den  Entscheidungen  der 
obersten  Gerichtshäfe  keine  ausreichende  Lösung  gefunden.  In 
dem  Urtheil  des  Reichsgerichts  I.  CS.  vom  I.  Oktober  1881 
(Entsch.  V  S.  80-82)  heisst  es  in  dieser  Beziehung: 

»Der  Erwerber  auf  dem  Transport  befindlicher  Waare 
hat  nicht  nur  ein  Interesse  daran,  durch  den  Ladeschein 
in  den  Stand  gesetzt  zu  werden,  sich  nach  Ankunft  des 
Frachtführers  am  Bestimmungsorte-  in  sicherer  Weise  in 
den  thatsächlichen  Besitz  des  Gutes  zu  setzen,  sondern  auch 
daran,  vom  Frachtführer  eine  Erklärung  tlber  die  Be- 
schaffenheit des  Gutes  zu  erhalten.  Der  Frachtführer 
weiss  dies,  ist  sich  also  bewusst,  durch  seine  Angabe  über 
die  Beschaffenheit  des  Gutes  eine  für  den  Inhaber  des  Lade- 
scheins bedeutsame  Handlung  vorzunehmen.  Er  dokumen- 
tirt  femer  durch  die  Form,  in  welcher  er  diese  Angabe 
vornimmt,  dass  er  damit  dem  Inhaber  des  Ladescheins 
gegenüber  eine  Rechtshandlung  vornimmt.  Er  ibekenntc, 
das  Gut  in  der  und  der  Beschaffenheit  empfangen  zu  haben. 
Er  »verspricht«  oder  »verpflichtet*  sich,  das  Gut  in  der 
gleichen  Beschaffenheit  abzuliefern.  Er  hat  also  damit  eine 
Erklärung  gegenüber  dem  Inhaber  des  Ladescheins  ab- 
gegeben und  in  der  Absicht  abgegeben,  dass  dieser  dieselbe 
beim  Erwerb  des  Ladescheins  berücksichtige.  Es  ist  daher 
evident,  dass  er  mit  dieser  Erklärung  eine  Haftung  über- 
nommen hat.  Allein  welchen  Inhalt,  welchen  Umfang, 
welche  Voraussetzung  hat  diese  Haftung?  Verliert  der 
Ladeschein  durch  die  Beifügung  derselben  seine  Bedeutung 

Note  3  und  in  gg  43 — 45  ,  iowie  iHandelsrechtlichs  Erürtemn^n.  Eiun- 
bahorecht  und  aDderet  FrvcbtrechN  (i88a)  S.  15 — 37.  Dam:  meine  Aueig« 
in  ZeiBchr.  XXVI  S.  608  and  Replik;  XXVIIl  S.  44S  and  mein  Handbuch 
g  71  Note  3a  ff.,  %  73  Note  l  ff.,   gif. 

Ueber  die  Praxis  i.  EnttcheidnngcD  des  Reichs-OberhandelsgeHchti 
I  S.  301,  III  S.  34ff.,  VI  S.  346,  XV  S.  377  ff.,  XVU  S.  JOS.  Vgl.  auch 
Lewis,  Da»  deutsche  Searecht  I  S.  307 ff.  [2.  Aufl.  S.  390fr.]  und  im  Iland- 
buch  des  HandelsrechU  IV  g  36.    v.  Hahn  11  (1.  Aufl.)  S.  681   >»b  wenn  — >. 


V.  Der  L»de«häii.  127 

als  eine  Urknode  Ober  die  Verpflichtung ,  das  über- 
nommene Gut  auszuliefern?  Wird  er  zumVeq)flich- 
tnngsscheinüber  Lieferung  der  bezeichneten  Waare?  Aus 
der  Erklärung  Über  den  Empfang  des  Gutes  ist  dies  nicht 
zu  entnehmen,  ebenso  wenig  aber  auch  aus  der  Erklärung 
tlber  die  Ablieferung,  denn  diese  geht  immer  darauf,  das 
»empfangene  t  Gut  abzuliefern,  und  es  ist  ausserdem 
immer  vorausgesetzt  (wenn  nicht  gar,  wie  dies  in  den 
Konnossementen  üblich,  ausdrücklich  ausgesprochen),  dass 
der  Aussteller  Verluste  und  Beschädigungen,  für  welche  er 
nach  den  gesetzlichen  Bestimmungen  nicht  aufzukommen 
Inzucht,  nicht  zu  vertreten  hat.  Der  Inhalt  der  durch  die 
im  angegebenen  Sinne  abgegebene  Erklärung  übernommenen 
Verpflichtung  kann  daher  nur  der  sein,  für  denjenigen 
Schaden  zu  haften,  welchen  der  Inhaber  des  Ladescheins 
infolge  eines  bei  der  Abgabe  der  Erklärung  über  die  Be- 
schaffenheit des  Gutes  vorgekommenen  Verschuldens 
erlitten  hat.  Etwas  Weiteres  folgt  aus  allgemeinen 
Grundsätzen  nicht,  insbesondere  nicht  dies,  dass  der  Fracht- 
führer dem  Inhaber  des  Ladescheins  für  die  Richtigkeit 
der  fraglichen  Bezeichnungen  der  Beschaffenheit  des  Gutes 
tmbedingt,  also  auch,  wenn  kein  Verschulden  auf  seiner 
Seite  vorliegt,  haftet  Ein  solcher  Satz  ist  in  Art.  654 
Satz  1  H.G.B.'s  für  den  See-Frachtvertrag  über  die  Haftung 
aus  der  im  Konnossement  enthaltenen  Bezeichnung  der 
abgeladenen  Güter  aufgestellt.  Derselbe  ist  aber,  ebenso 
wie  die  in  Satz  2  des  Artikels  beigefügte  Beschränkung 
des  Umfangs  der  Haftung,  positiver  Natur,  ergibt  sich 
keineswegs  aus  allgemeinen  Sätzen  und  kann  darum  auf 
den  Ladeschein  nicht  ausgedehnt  werden. 

Hieraus  folgt,  dass,  wenn  der  Frachtführer  sich  selbst 
darauf  beruft,  dass  seine  Angabe  über  die  Beschaffenheit 
des  Gutes  im  Ladeschein  nicht  mit  der  Wirklichkeit  über- 
einstimmt, der  Inhaber  des  Ladescheins  ihn  mit  diesem 
Vorbringen  nicht  alsbald  unter  Bezugnahme  darauf,  dass  er 
fUr  seine  eigene  Erklärung  einzustehen  habe,  zurückzuweisen 
befugt  ist  Dieses  negative  Resultat  genügt  aber  für  die 
Beurtheilung  des  vorliegenden  Falles,  und  es  bedarf  der 
weiteren  Untersuchung  der  Wirkungen  der  irrigen  Bezeich- 
nung des  Gutes  im  Ladeschein  nicht.« 


izecoy  Google 


128  MUcellen  tat  Theorie  der  Werthpapiere. 

Damit  darf  ich  mich  im  Resultat  einverstanden  erklären, 
nicht  ganz  in  der  Begründung.  Enthält  wirklich  der  Art.  654 
Satz  l  H.G.B.'s  nur  eine  durchaus  positive  Bestimmung  über 
den  Inhalt  der  Konnossementsobligation,  nach  deren  Detrak- 
tion  eine  fUr  Konnossement  und  Ladeschein  identische  Grund- 
obligation  zurückbleibt '  ?  Oder  liegt  die  Sache  vielleicht  so, 
dass  die  Konnossementsforderung  die  normale,  nämlich  voll- 
kommen ausgebildete  >Skripturobligation<  ist,  die  Ladescheins- 
fordenmg  weniger  vollkommen,  »hinkend«,  aus  besonderen 
Gründen  abgeschwächt  oder,  wohl  richtiger,  im  Verkehr  und 
Recht  nicht  in  gleicher  Konsequenz  entwickelt? 

In  diesem  Sinne  hatte  ich  vor  Jahren  als  Referent  eines 
dem  ersten  Senat  des  Reichs-Oberhandelsgerichts  vorliegenden 
Streitfalles'  die  Frage  behandelt;  sie  kam  damals  aus  be- 
sonderen Gründen  nicht  zum  Aastrag.  Und  es  mag  so  die 
Veröffentlichung  meines  damals  erstatteten  Votums  auch  jetzt 
nicht  verspätet  erscheinen. 

Der  an  Order  gestellte  und  in  der  Hand  des  Remittenten 
befindliche  Ladeschein  enthielt  das  Anerkenntniss  des  beklagten 
Schiffers ,  » 1400  Zentner  guten,  gesunden  und  trockenen 
Winterrübsen  wohlkonditionirt  empfangen  zu  haben« ,  sowie 
die  Verpflichtungserklärung  des  Schiffers,  >dieselbe  Quantität 
in  eben  der  Beschaffenheit  an  die  Order  der  Klägerin  wieder- 
abzuliefernc,  mit  dem  Zusatz;  »Aus  der  Ladung  sind  vier  — 
Proben  entnommen,  wonach  ich  zu  liefern  habe.« 

Es  entstand  'die  Frage,  ob,  abgesehen  von  der  letzten 
Klausel,  dem  Beklagten  wider  die  Richtigkeit  seines  Anerkennt- 
nisses der  Gegenbeweis  zu  versagen  sei.  In  einem  früheren, 
gleichfalls  von  mir  referirten  Falle  hatte  der  I.  Senat  des 
Reichs-Oberhandelsgerichts  sich  der  Bejahung  zugeneigt,  jedoch 
die  Frage  unentschieden  gelassen  (vgl,  Entsch.  des  R.O,H,G.'s 
VIII  S.  411  ff.,   wo  in  der  Note   die  Citate  aus  der   Ham- 


*  I(A  babe  Irfllier  i.iisgeftlhrt,  dus  Siii  i  des  Art.  654  nur  ein  Folge- 
(bU,  nicht  der  einiige,  «di  der  juiistiicheii  Natur  der  KonnosieimeDtsfordemiig, 
einer  lediglich  i.at  der  Schrift  beruhenden  nnd  der  Schrift  ^mlsien  Forde- 
mog  (•Skripturobligationi)  bl :  Mein  Handbuch  §  73  Note  8  ff.,  iDibei. 
Note  14-  Vgl,  die  S.  136  Note  3  dtiiten  Enticheiduiigen  de*  R.O.H.G.'s  und 
U.  des  ReichtgerichU  I.  CS.  16.  Apnl  18S1  (Entich.  IV  S.  g?}. 

"  In  Sachen  A.  Reimoer  Söhne  c.  C  Mejet.  Rep.  1157/74-  —  A»f 
dieies  Votum  verweist  jeut  auch  t.  Hahn  II  (2.  Aufl.)  5.  6S3  Note  5. 


V.    Der  L«deuh«iD.  129 

bur^er  Praxis  irrtbümlich  in  Satz  1  statt  in  Satz  2  gatellt  sind, 
und  VI  S.  107).  Im  vorliegenden  Falle  hatte  der  Appellations- 
richter {Kammetgericht  Berlin)  den  Gegenbeweis  zugelassen,, 
anter  Berufung  auf  seine  konstante  Praxis  (Tgl.  jedoch  das 
ältere  Urtbeil  von  1866  im  Centralorgan  N.  F.  IH  S.  368  H.). 

Mein  Votum  ging  auf  Bestätigung  des  angefochtenen, 
Urtheils. 

)Zunächst  ergibt  sidi,  dass  die  Praxis  des  Kammef- 
gerichts  entspricht  der  Praxis  des  (ehemaligen)  preussischen 
Obertribunals  (1865:  Busch's  Archiv  IX  S.  270ff.,  1867: 
Striethorst's  ArcMv  LXVni  S.  174ff.  und  Zeitschf.  XIX 
S.  583),  sowie  der  hamburgischen  und  bremischen  Gerichte, 
mindestens  insofern,  als  sie  dem  Schiffer  deü  Nadhweis  ent- 
schnldbaren  Irrthums  freiläs&t  (Hamburger  Handelsgerichts- 
zeitung 1868  Nr.  238,  1870  Nr.  261,  Centralorgan  N.  F.  IX 
S.  9ff,).  Verwandt  ist  die  Ansidit  v.  Hahn's,  Kommentar 
11  S.  501,  502  (jetzt  2.  Aufl.  S.  682,  683),  vgl.  An  schütz 
und  v.  Völderndorff,  Kommentar  III  S.  461  —  s.  jedoch 
S.  126  ff.  — ,  dass  der  Aussteller  des  Ladescheins  nof  für  die 
von  ihm  verschuldete  Unrichtigkeit  der  Waarenbezeichnung 
auf  Ersatz  des  hierdurch  dem  Inhaber  des  Ladescheins  er- 
wachsenen Schadens  hafte. 

Andererseits  hat  in  einem  bereits  vor  Emanation  des- 
Handelsgesetzbuchs ergangenen  Urtheil  vom  9.  Dezember 
1861  das  Ober-Appellationsgericht  zu  München  (Seuffert's 
Archiv  XV  Nr.  49)  auf  die  Ladescheine  der  Binnenschiffer 
schlechthin  die  Grundsätze  des  Seekonnossements  angewandt, 
and  es  findet  diese  Auffassung  auch  in  der  Doktrin  zahlreiche 
Vertreter:  Gad,  Handelsrecht  S.  299f.;  Endemaiin,  §  178' 
[ebendort  4.  Aufl.]  (und  jetzt  im  Handbuch  II  S.  39); 
Bluntschli-Dahn,  Deutsches  Privatrecht  S.  489;  Puchelt, 
Kommentar  S.  854,  855  (in  der  2.  Aufl.  II  S.  407,  408  ist 
mit  Recht  die  Berufung  auf  die  >zweifellose  Ansicht  des 
Reichs-Oberhaudelsgerichts«  in  Wegfall  gekommen  [vgl.  4.  Aufl. 
U  S.  1266]). 

In  meinem  Handbuch  habe  ich  bemerkt  (§75  Note  94): 
Inwieweit  eine  Haftung  für  Qualitäts-  und  Quanti- 
täts-Angaben im  Ladeschein  anzunehmen,  ist  nach 
dem  zu  ermittelnden  Willen  der  Betheiligten  und  den 
Umständen  bezw.  nach  Handelsgebrauch  festzustellen, 

Goldicliniiilt,  Vermiichle  Scbrifien.    H.  g 

,  Google 


130  MUceUen  zur  Theorie  der  Werthpapiere. 

im  Zweifel  jedoch  greift  die  Analogie  der  Konnosse- 
mentsgrundsätze  Platz. 
Auch  nur  eine  derartige  Präsumtion  halte  ich  in  der  an- 
gegebenen Richtung   nicht  mehr  für  begründet,   nachdem  ich 
mich   genauer   über  das  im   Binnenschiffahrtsverkehr   übliche 
Verbalten  der  Betheiligten  informirt  habe*), 

So  unbedenklich  nämlich  davon  auszugehen  ist,  dass  der 
geschichtlich  dem  Konnossement  des  Seeschiffers  nachgebildete 
Ladeschein,  gleich  dem  ersteren,  eine  einseitige,  nur  auf  der 
Schrift  beruhende  Verbindlichkeit  zur  Auslieferung  des  in 
demselben  bezeichneten  Frachtgutes  begründet,  und  dass  zur 
Ausfüllung  gesetzlicher  Lücken  die  Grundsätze  vom  Konnosse- 
ment verwendet  werden  dürfen, 

Protokolle  S.  4768,  4769,  4770,  vgl.  auch  hamburger 
Handelsgericbtszeitung  1874  Nr.  26, 
so  bedarf  doch  eine  derartige  Verwendung  jedes  einzelnen 
Rechtssatzes  der  sorgsamen  Prüfung,  and  es  lässt  sich  nicht 
allgemein,  insbesondere  nicht  für  den  hier  in  Frage  stehenden 
Ladeschein  eines  gewöhnlichen  Flussschiffers,  an- 
nehmen, dass  eine  gesetzliche  oder  doch  auf  dem  Willen  der 
Betheiligten  beruhende  Verantwortlichkeit  des  Schiffers  für 
die  in  dem  Konnossement  enthaltene  Qualitätsbezeichnung 
bestehe. 

Die  Art.  653  und  654  des  H.G.B.'s  bestünmen: 

Das  Konnossement  ist  entscheidend  für  die  Rechts- 
verhältnisse zwischen  dem  Verfrachter  und  dem  Em- 
pfänger der  Guter;  insbesondere  muss  die  Ab- 
lieferung der  Güter  an  den  Empfänger  nach 
Inhalt  des  Konnossements  erfolgen. 

Der  Verfrachter  ist  für  die  Richtigkeit  der 
im  Konnossement  enthaltenen  Bezeichnung 


•)  Von  besonderem  'Gewicht  war  mir  die  Aiuknnft  meine»  iniwischen 
(lS8l)  verstorbenen  Brüden,  des  Geh.  Kommeraiennths  Goldschmidt  in 
Danilg,  welcher  als  vieljEhriger  Vorsteher  der  Aeltesten  der  dortigen  Kaof- 
mannschof t ,  als  Richter  am  Kommeri-Kotleg  und  Inhaber  eines  srotsen  Ge- 
trdde-KommiMionsgesehSfts  die  Uebongen  namentlich  der  Weichielschiltiihrt  g«ian 
kannte.  Er  erkUrte  mrine  nunmehrige  Anffimnog  >I»  die  in  der  KanT- 
mannswelt  allgemein  and  ausnahmslos  geltende.  Man  lege  auf  das  Bekenotniss 
im  L*deschein  kein  erhebliches  Gewicht,  viel  gtSsseres  auf  die  •  Probe«  ;  die 
Klatnel  ^Inhalt  nnbekannt*  komme  in  Ladescheinen  polnischer  Stro  mschifTer 
nicht  vor  und  wflide  verdichtig  erscheinen. 


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V.    Der  Ladeschein.  131 

der  abgeladenen  Güter  dem  Empfänger  ver- 
antwortlich.   

Diese  Gnmdsätze  stehen  in  genauer  Verbindung  mit  deo  Be- 
stimmungen der  folgenden  Artikel  655,  656,  657,  660,  welche 
die  Verantwortlichkeit  fUr  die  richtige  Bezeichnung  verpackter 
oder  in  geschlossenen  Gefässen  übergebener  Guter  modificiren, 
Statthaftigkeit  und  Wirkung  der  üblichen,  die  Verantwort- 
lichkeit abschwächendes  oder  beseitigenden  Klatiseln  >In- 
balt  unbekannt!,  *Zahl,  Maass,  Gewicht  unbekannte,  regeln. 
Und  wenn  mit  gutem  Grunde  behauptet  werden  darf,  dass 
die  hervorgehobenen  Prinzipien  der  Art,  653,  654  H.G.B.'s 
sich  als  die  natürlichen  Konsequenzen  aus  dem  Wesen  der 
durch  das  Konnossement  begrtlndeten  Skripturobligation  er- 
geben, so  bildete  doch  eben  die  gesetzliche  Anerkennung  dieser 
Konsequenzen  Gegenstand  des  lebhaftesten  Streites,  and  sie 
■  sind  nur  in  Verbindung  mit  den  erheblich  abschwächenden 
Bestimmungen  der  folgenden  Artikel  zur  Geltung  gelangt. 
Weder  die  deutsche  Praxis  und  Theorie  erkannte  die  Kon- 
nossemeotsangaben  über  Beschaffenheit  und  Menge  der  Waaren 
als  schlechtbin  verbindende,  vielmehr  regelmässig  als  nur 
enunciative  an,  noch  ist  das  strenge  Prinzip  in  Gesetz 
und  Praxis  der  wichtigsten  Handelsvölker  bisher  zum  vollen 
Durchbnich  gelangt: 

Goldschmidt,    Handbuch    S.    687—690,     insbes. 
Note  10,  13,  16. 
Der  für  Ladescheine  maassgebende  Art.  415  H.G.B.'s  ent- 
hält die  hervorgehobenen  Bestimmungen  der  Art  653,  654 
nicht     Er  begnügt  sich  mit  dem  Satze: 

Der  Ladeschein  entscheidet    für  die   Rechtsverhält- 
nisse zwischen  dem  Frachtführer  und   dem  Empfänger 
des  Gutes. 
Nimmt  man  hierzu  freilich  Art.  413  Abs.  2: 

Der  Ladeschein  ist  eine  Urkunde,  durch  welche  der 
Frachtführer  sich  zur   Aushändigung    des    Gutes   ver- 
pflichtet, 
und  Art.  414  Abs.  1: 

Der  Ladeschein  enthält : 

1)  die  Bezeichnung  der  geladenen  Guter  nach 
Beschaffenheit,  Menge  und  Merk- 
zeichen, 


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132  Miscdlen  im  Theorie  der  Werthpipier«. 

SO  ist  der  Schluss  statthaft,  dass  gegealiber  dem  Empfänger 
des  Gutes  schlechthin  die  im  Ladeschein  enthaltene  Bezeich- 
nung von  Beschaffenheit  und  Menge  maas^ebend  sei  and  ver- 
treten werden  müsse.  Der  Schluss  liegt  um  so  näher,  als  in 
den  meisten  anderen  maas^ebenden  Beziehungen  der  Lade- 
schein ausdrucklich  nach  den  Regeln  der  Konnossemente 
normirt  ist,  auch  Art.  303  den  Grundsatz  der  modernen 
Skripturobligationen,  dass  der  Verpflichtete  sich  nur  solcher 
»Einreden«  bedienen  könne,  welche  ihm  nach  Maassgabe  der 
Urkunde  selbst  oder  unmittelbar  gegen  den  jedesmaligen  Kläger 
zustehen,  auf  den  Ladeschein  zur  Anwendung  bringt  —  wo- 
bei freilich  zu  bemerken  ist,  dass  es  sich  in  einem  Falle  dieser 
Art  um  keine  Einreden  handelt,  daher  auch  ein  Unter- 
schied zwischen  indossirten  und  nicht-indossirten  Ladescheinen 
nicht  anzuerkennen  ist,  endlich,  weil  augenscheinlich  die  vom 
Gesetzgeber  ja  bezweckte  Schaffung  eines  sicheren  und  nego- 
ciablen  Umlaufspapiers  eine  derartige  Normirung  zu  erfordern 
scheint. 

Dagegen  darf  jedoch  nicht  anerwogen  bleiben,  dass  gerade 
die  hier  in  Frage  stehende  Konsequenz  aus  dem  Wesen  der 
Skriptur  Obligation  für  das  seit  vielen  Jahrhunderten  in  all- 
gemeiner Uebung  der  civilisirten  Nationen  befindliche  Kon- 
nossement sich  bisher  keineswegs  überall  und  auch  im  deut- 
schen Handelsgesetzbuch  nur  unter  mannigfachen  Kauteleu 
Geltung  verschafft  hat;  dass  der  Gesetzgeber  dergleichen 
Kautelen  für  den  Ladeschein  nicht  aufgestellt  hat,  und  dass 
dieselben  auch  im  Binnenschiffahrtsverkehr  keineswegs  in 
Uebung  sind,  dass  namentlich  die  wichtige  und  weittragende 
Klausel  >lnhalt  unbekannte  hier  nur  selten  oder  gar  nicht 
(z,  B,  nicht  im  polnischen  Getreidehandel)  vorkommt;  endlich 
dass  die  wirthschaftlichen  Unterlagen  des  Binnenschiffahrts- 
verkehrs erfahrungsmassig  von  denen  des  Seefrachtverkehrs 
erheblich  abzuweichen  pflegen.  Der  letztere  wird  regelmässig 
nur  in  grosseren  mthi  oder  minder  kostspieligen  Fahrzeugen 
durch  Einzelne  oder  durch  Gesellschaften  (Rhedereien,  Aktien- 
gesellschaften u,  s.  f.)  nach  kau&nännischen  Grundsätzen  be- 
trieben. Der  Verfrachter  pflegt  nach  Vermögenslage,  Erfahrung 
und  Schulung  mit  dem  Umfange  der  durch  Gesetz,  Usance 
oder  ausdrückliche  Uebereinkunft  auferlegten  Verpflichtung 
ausreichend  vertraut  zu  sein.  Die  Hilfepersonen,  deren  er  sich 


„Google 


V.  Der  LadetchetD.  133 

im  Frachtgeschäft  bedient,  pflegen  erfahrene  und  nicht  bloss 
seemännisch  gebildete  Männer  xa  sein,  welchen  an  den  Ab- 
lade- und  LOscbungsplätzen  noch  dazu  sehr  häufig  Agenten 
oder  GescfaähsCremide  der  Rhederei  zur  Seite  stehen.  Altes 
dies  verhält  sich  in  dem  gewöhnlichen  Binnenschiffahrtsver- 
kehr  anders.  Die  Verfrachter  sind  hier  meist  Einzelunter- 
nehmer, von  geringer  geschäftlicher  Erfahrung  und  kleinem 
Vermögen,  für  ihren  Beruf  mehr  oder  minder  nothdürftig  ge- 
schalt, persönlich  mit  einigen  Knechten  an  der  Ausführung 
des  Transports  betheiligt,  nach  ihrem  Bildungsgange  mit  ge- 
schäftlichem Brauche  nicht  vertraut  und  zum  Verständniss 
komplicirter  Geschäftsverhältnisse  nidit  geeignet.  Es  ist  daher 
billig  und  gerecht,  dass  das  Gesetz  diesen  Unterschieden  Rech- 
nung trägt. 

Dies  ist  in  zahlreichen  Beziehungen  geschehen.  Während 
die  Uebemahme  der  Beförderung  von  Gütern  oder  Reisenden 
zur  See  ein  absolutes  Handelsgeschäft,  H.G.B.  Art.  271  Ziff.  4, 
ist  das  Geschäft  des  auch  den  Schiffer  einschliessenden  Binnen- 
FracbtfUhrers  ein  nur  relatives  Handelsgeschäft ,  H.GJB. 
Art.  272  Ziff.  3,  und  gelten  gewöhnliclie,  mit  dem  blossen 
Personentransport  befasste  Transportunternehmer  Überhaupt 
nicht  als  Kaufleute,  H.G.B.  Art.  272  Ziff.  3  verb.  mit  Art.  4. 
Während  der  Rheder  schlechthin  Vollkaufmann  ist,  sind  die 
gewöhnlichen  Schiffer  nur  Kaufleute  minderen  Rechts  und 
minderer  Pflicht,  H.G.B.  Art,  10.  Demgemäss  waren  von  der 
ursprünglich  statuirten  Zwangspflicht  zur  Ausstellung  von 
Ladescheinen  {bezw.  entsprechenden  Frachtbriefsduplikaten)  die 
gewöhnlichen  Fuhrleute  und  Schiffer  ezimirt,  wie  denn  über- 
haupt das  ganze  Institut  der  Ladescheine  nur  mit  Rücksicht 
auf  die  grösseren  Transport-Unternehmungen  vertheidigt  wurde 
(Protok.  S.  1240—1247),  bis  mit  dieser  Zwangspflicht  auch 
die  Ausnahme  wegfiel: 

Goldschmidt,  Handbuch  §75  Note  80,  91  (S.  760, 
763). 

Endlich  wurde,  nachdem  erst  in  der  Berathung  des  See- 
rechts die  entsprechenden  Bestiomiungen  der  Konnossements- 
lebre  ihre  gegenwärtige  definitive  Gestalt  erhalten  hatten, 
zwar  in  der  dritten  Lesung  der  vier  ersten  Bücher  bean- 
tragt, deilt  gegenwärtigen  Art.  415  (II.  Nürnberger  Entwurf 
Art.  387)  eine  dem  gegenwärtigen  Art.  653  des  Gesetzbuchs 

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134  MiicelleD  ixa  Theorie  der  Werthpapiere. 

entsprechende  Fassung  zu  geben,  dieser  Antrag  jedoch  mit 
12  gegen  1  Stimme  abgelehnt.  Es  wurde  darauf  hingewiesen, 
dass  die  Verhältnisse  bei  Konnossementen  und  Ladescheinen 
nicht  vollkommen  gleich  seien  ^  dass  es  für  den  Ladeschein  an 
allen  Vorschriften  tiber  die  Anwendung  und  Auslegung  der 
Klausel  alnhalt  unbekannt«  fehle-,  dass  der  Antrag  zwischen 
den  verschiedenen  Fällen,  wo  die  Güter  verpackt  und  wo  sie 
lose  tibergeben  seien,  nicht  gehörig  unterscheide;  dass  die 
entsprechenden  und  keineswegs  selbstverständlichen  Vorschriften 
des  Seerechts  mit  dessen  Bestimmungen  über  die  üblichen 
Klauseln  ein  zusammengehöriges  Ganzes  bildeten  und  es  da- 
her angemessen  sei,  die  Frage,  wie  weit  der  Frachtführer 
den  Ladeschein  in  den  angegebenen  Beziebtmgen  zu  ver- 
treten habe,  der  Beurtheilung  nach  den  Umständen 
der  einzelnen  Fälle  anheimzugeben: 
Protok.  S.  4771—4774. 

Schon  bei  der  früheren  Berathung  aber  war  darauf  hin- 
gewiesen worden,  wie  das  ganze  Institut  sich  nur  für  gröfsere 
Schiffahrtsuntemehmungen  eigne,  imd  dass,  wenn  man  auch 
bisher  schon  im  Flussverkehr  sich  häufig  der  Konnossemente 
bedient  habe,  ihnen  doch  in  der  gerichtlichen  Praxis  die  Kraft 
von  solchen  nicht  beigelegt  worden  sei,  weil  der  kleinere 
Frachtführer  selten  im  Voraus  die  Bedeutung  eines  derartigen 
Papiers  zu  würdigen  vermöge: 
Protok.  S.  1240-1243. 

Auch  der  neueste,  durch  eine  Kommission  des  Deutschen 
Handelstages  festgestellte  Entwurf  eines  Gesetzes  zur  Rege- 
lung der  Verhältnisse  der  Fluss-  und  Binnenschiffahrt,  Berlin 
1869,  will  zwar  §  58  den  Kahnschiffer  für  die  Richtigkeit  der 
im  Ladeschein  enthaltenen  Bezeichnung  der  abgeladenen  Güter 
dem  Empfänger  verantwortlich  machen,  aber  doch  nur,  indem 
er  gleichzeitig  Bestimmungen  über  die  entsprechenden  Klauseln 
trifft,  und  die  Motive  S.  51  heben  ausdrücklich  hervor,  dass 
diese  Grundsätze  bisher  für  die  Binnenschiffahrt  nicht  ge- 
golten haben.  — 

Enthält  so  das  bestehende  Gesetz  eine  Regel  für  Fälle 
der  vorliegenden  Art  nicht,  und  kann,  zumal  unter  der  Herr- 
schaft entgegenstehender  Praxis  des  höchsten  preussischen 
Landesgerichtshofs,  sich  schwerlich  eine  Ueberzeugong  der  Be- 
theiligten gebildet  haben,  dass  durch  die  blosse  Unterzeichnung 


V.    D«  Ladeschein.  135 

eines  Ladescheins,  weicher  f ormularmässig  eine  gewisse 
Qualität  der  eingeladenen  Guter  angibt,  eine  Garantie  für 
diese  angegebene  Beschaffenheit  dem  Empfänger  gegenüber 
tlbemommen  werde ,  so  entbehrt  der  erhobene  Angriff  der 
rechtlichen  Begründung.  Ob  es  bei  schuldbarer  Unter- 
zeichnnng  eines  unrichtigen  Ladescheins  sich  anders  veriialten 
würde,  bedarf  [keiner  Erörterung,  denn  Klägerin  behauptet 
selbst  nicht,  dass  der  Verklagte  im  Stande  war,  die  mangel- 
hafte, von  ihr  bestimmt  verneinte  Beschaffenheit  des  Rübsens 
zur  Zeit  der  Unterzeichnung  des  Ladescheins  zu  erkennen.« 


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DIE 

KREATIONSTHEORIE 

UND    DER 

ENTWURF 

EINES 

BÜRGERLICHEN  GESETZBUCHS 

fOr  das 
DEUTSCHE  REICH. 


iLCD,  Google 


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I. 

Es  ist  eine  peinliche  Wahmehmung ,  denn  sie  erweckt 
Zweifel  an  der  Gesundheit  unseres  nationalen  Rechts- 
bewusstseins ,  dass  über  die  so  wichtige  Frage,  ob  die  Ver- 
pflichtung aus  Inhaber-  und  Order-Papieren  bereits  durch 
Fertigstellung  der  Urkunde  oder  erst  durch  deren  Weggabe 
(Begebung?)  begründet  werde,  seit  einem  Menschenalter  ein, 
man  darf  sagen,  mit  steigender  Lebhaftigkeit  geführter  Kampf 
entbrannt  ist.  Denn  auch,  nachdem  diese  Frage,  welche  ur- 
sprünglich nur  im  Gewände  konstruktiver  Spekulation  erschien, 
auf  das  noch  bedeutsamere  Gebiet  der  praktischen  Rechts- 
folgen hinübergeleitet  ist,  stehen  sich  die  Ansichten  vielleicht 
gleich  erfahrener  und  wissenschaftlich  eindringender  Juristen 
auch  über  das,  was  Treu  und  Glauben,  was  die  Interessen  und 
die  Sicherheit  des  Verkehrs  erheischen,  somit  über  diejenigen 
Anforderungen ,  welche  nach  dem  Rechtsbewusstsein 
der  Gegenwart  an  eine  gerechte  und  zweckmässige  Rechts- 
ordnung in  Gegenwart  und  Zukunft  zu  stellen  seien,  schnur- 
stracks entgegen.  Wenn  Kuntze,  Endemann,  Wind- 
scheid, Dernburg  u.  A.  es  nur  zweckmässig  und  gerecht 
finden,  dass  ein  von  mir  fertig  hergestelltes  Papier,  welches 
eine  Verpflichtung  zu  Gunsten  noch  unbestimmter  Nehmer 
ausdrückt,  auch  dann  meine  Verpflichtung  gegen  jeden  (nach 
Einzelnen :  mindestens  gegen  jeden  gutgläubigen)  Nehmer  be- 
gründe, wenn  dieses  Papier  von  mir  an  Niemand  begeben 
oder  auch  nur  weggegeben  ist,  vielmehr  ohne,  ja  wider  meinen 
Willen  meinem  Gewahrsam  entzogen  worden  ist,  wird  eine  zu 
dieser  Konsequenz  fuhrende  juristische  Konstruktion  von  einer 
sehr  grossen,  ja  wohl  noch  von  der  weit  überwiegenden  Zahl 
der  Juristen,  unter  denen  sich  gteichmässig  gewiegte  Kenner 
des  römischen,  wie  des  deutschen  und  des  Handelsrechts,  her- 
vorragende Rechtslehrer  wie  Praktiker  befinden,  als  schlecht- 


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140    I^c  Krotioiistheorie  und  der  Entwurf  eioea  bUrgerlklteu  Getetibiiclia 

hin  zweckwidrig,  ja  ungerecht  verworfen.  So  hat,  um  von 
den  bekannten  wissenschaftlichen  Erörterungen  dieser  Streit- 
frage zu  schweigen,  der  sechzehnte  deutsche  Juristen- 
tag 1882  (Referent  Brunner)  sich  gerade  de  lege  ferenda 
sehr  entschieden  gegen  die  sog.  Kreationstheorie  erklärt,  wenn- 
gleich fUr  massenhaft  emlttirte  Inhaberpapiere  nach  Öffentlich 
angekündigter  Emission  oder  nach  thatsächlich  erfolgtem 
Emissionsbeginn  eine  Konzession  an  das  unterstellte  Verkehrs- 
bedUrf niss  für  wUnschenswerth  erachtet  wurde  (Verhandlungen 
II  S.  227—238,  338—340).  Dieser  Meinungsäusserung  wohnt 
naturgemäss,  wenn  amcb  nicht  gerade  für  streng  wissenschaft- 
lidie,  wohl  aber  für  solche  Fragen,  weldie  nur  aus  dem 
Rechtsbewusstsetn  der  Nation  und  aus  lebendiger  Gesammt- 
anschauung  der  VerkehrsbedUrfnisse  gelöst  werden  können, 
ein  sehr  erhebliches  Gewicht  bei.  Ein  so  erfahrener,  seit  mehr 
als  einem  Menschenalter  im  grossen  Bankverkehr  stehender 
Jurist  wie  Ladenburg  hat  schon  1865  (Archiv  für  Wechselr. 
XIV  S.  290)  gegen  Kuntze  ausgerufen:  »Der  Finder,  der 
Dieb,  der  Räuber  erlangen  durch  die  Besitzergreifung  des 
Papiers  dieselben  Rechte  wie  derjenige,  welcher  es  von  dem 
Aussteller  erhalten  hat.  Diese  Lehre,  sollte  man  glauben, 
kann  nicht  von  einem  Rechtslehrer  herrühren,  denn  sie  lehrt 
Unredit;  sie  ist  wider  die  Grundlage  des  Rechts,  der  Moral 
und  der  Sitte  gerichtet ;  sie  bedroht  den  Verkehr  und  empört 
das  Rechtsgefühl.  Die  Rechtswissenschaft  wäre  ihres  Namens 
unwürdig,  wenn  sie  dieselbe  annahme.f  Und  der  schweize- 
rische Jurist  Carlin  sagt  jetzt  (Zeitschr.  XXXVl  S.  16): 
»An  diesem  Einwurfe  scheint  uns  die  Kreationstheorie  in  Er- 
mangelung einer  positiv-rechtlichen  Bestimmung,  wie  sie  z.  B. 
der  Entwurf  eines  deutschen  bürgerlichen  Gesetzbuchs  §  687 
vorschreibt,  unbedingt  zu  scheitern.« 

Es  darf  den  Vertretern  der  Kreations^eorie  der  Vorwurf 
nicht  erspart  bleiben,  dass  sie  es  mit  der  Untersuchung,  ob 
die  Recfatssätze,  welche  sie  —  mehr  oder  minder  folgerichtig  — 
als  Konsequenz  ihres  Theorems  anerkennen  oder  wider 
Willen  anerkennen  müssen,  auch  wirklich  in  unserem  gelten- 
den Recht  begründet  sind,  ja  nur  dem  Rechtsbewusstsein  der 
Gegenwart  (nicht  dem  einer  möglichen  Zukunft)  entsprechen, 
sehr  leicht  nehmen.  Denn  ihr  noch  so  scharfsinnig  aus- 
gedachtes »Prinzip*   ist  doch  nur  dann  richtig,    falls  die 


für  du  Deauche  Rekli.  141 

diesem  Prinzip  eatsprecheodeD  Recbtssätze  besteheo, 
nicht,  wenn  sie  sich  logischer  Weise  aus  einem  uoterstellteo 
Prinzip  aUeiten  lassen.  Ex  jure  quod  est,  regula  suma- 
tur.  Charakteristisch  in  dieser  Hinsicht  sind  die  Aeasserungen 
Endemann's,  Das  deutsche  Handelsrecht: 

In  der  3.  Auflage  (1876)  hatte  dieser  Schriftsteller  sich 
ziemlich  unbestimmt  darüber  geäussert,  ob  schlechthin  auch 
aus  dem  wider  Willen  in  den  Verkehr  gekommenen  Papier 
der  Aussteller  obligirt  werde  (S.  395  veib.  mit  Note  17 
S,  407),  auch  keinen  Versuch  positiv-rechtlicher  Begründung 
gemacht.  In  der  4.  Auflage  (1887)  sagt  er  S.  380:  »Von 
dem  Wesen  des  Werthpapiers  aus  liegt  die  Antwort  (ob  die 
V'erpflichtung  schon  aus  der  Ausstellung  oder  erst  aus  der 
Begebung  entspringt)  am  nächsten,  dass  der  Aussteller  durch 
die  Ausstellung,  bei  der  er  sich  der  Verantwortung  bewosst 
sein  muss,  die  eigene  Verbindlichkeit  oder  die  Erfüllung  des 
Dritten  Übernimmt.  Dafür  spricht  auch,  dass  das  Recht  auch 
aus  solchen  Order-  und  Inhaberpapieren  geltend  gemacht  werden 
kann,  die  ohne  oder  gegen  den  Willen  des  Ausstellers  des 
Papiers  selbst  oder  der  Uebertragungserklärung  in  Umlauf  ge- 
kommen sind.«  (Dazu  Note  20:  >Die  Praxis  scheint  sich 
dieser  Auffassung  anzuschliessen :  R.G.  II  S.  7,  vgl.  R.OJI.G. 
XIX  S.  31«  —  von  diesen  beiden  allein  citirten  Urtheilen 
steht  das  letztere  der  Kreationstheorie  entgegen  —  s.  Zeit- 
schrift für  Handelsr.  XXVIII  S.  103  [oben  S.  109]  -  und 
enthält  das  erste  nur  eine  die  Entscheidung  nicht  tragende 
Motivirung  —  s.  Zeitschr.  für  Handelsr.  XXVIII  S.  106 
(oben  S.  112]).  >Indessen  ist  die  Theorie  nur  theilweise 
geneigt ,  eine  solche  Bedeutung  des  Kreationsaktes  anzu- 
erkennen« u.  s.  f.  Dann  heisst  es  S.  386:  »Das  Inhaberpapier 
ist  Kreditpapier,  das  der  Realisirung  bedarf.  Der  Aussteiler 
steht  kraft  der  Ausstellung  für  die  darin  versprochene  Leistung 
ein.*  Und  dazu  Note  12:  >Kuntze' §  79  ff.:  Die  Kreations- 
theorie ist  hier  ganz  unentbehrlich.  Die  Kreation  liegt  in  der 
Unterzeichnung,   die  auch  eine  faksimilirte  sein  kann.c 

Somit  folgert  Endemann  die  »Kreationstheorie«  theils 
aus  dem  »Wesen«  des  Werthpapiers,  theils,  bei  Inhaberpapieren 
wenigstens,  aus  ihrer  Unentbehrlichkeit,  und  seine  einzige  posi- 
tive Stütze  für  den  behaupteten  Rechtssatz  ist,  dass  die  Praxis 
sich  dieser  Auffassung  anzuschliessen  »scheint«. 


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142    Die  Kreationstheorie  and  der  Entwurf  einet  bürgerlichen  Gesettbuchs 

Ich  finde  nicht,  dass  irgend  ein  Vertreter  dieser  Theorie 
einen  besseren  Beweis  erbracht  hätte.  Denn,  wäre  es  auch 
wahr,  dass  in  einigen  oberstrichterlichen  Entscheidungen  die 
vielleicht  oder  sicherlich  sachlich  zutreffende 
Entscheidung  unnötigerweise  auf  die  Kreationstheorie 
gestutzt  wäre,  mit  anderen  Worten,  dass  der  oberste  Gerichts- 
hof, wie  das  ja  auch  sonst  nicht  selten  begegnet,  eine  sachlich 
zutreffende  oder,  obwohl  mit  dem  positiven  Recht  schwer  ver- 
einbare, immerhin  dem  Rechtsbewusstsein  der  Gegenwart  ent- 
sprechende Entscheidung  in  ein  juristisch  nicht  zutreffendes 
Gewand  gekleidet  hätte,  so  würde  doch  dieser  juristischen 
Deduktion  nicht  der  Charakter  eines  Rechtssatzes  zukommen, 
auch  nur  eines  vom  obersten  Gerichtshof  anerkannten  und  be- 
folgten Rechtssatzes.  Man  mllsste  denn  mit  Thöl  (Handels- 
recht, 6.  Aufl.,  I  §  225  Note  8)  in  solchem  gelegentlichen 
Ausspruch  des  obersten  Gerichtshofs  die  Statuirung  eines 
»Gewohnheitsrechts«  finden  —  was  ebenso  gefährlich  wäre, 
wie  es  unserem  bestehenden  Recht  widerstritte. 

Da  ich  die  von  den  Vertretern  der  Kreationstheorie 
(Kuntze  will  in  diesen  Urtheilen  nicht  sowohl  die  Kreations- 
theorie als  iRedlichkeitstheoriet  anerkannt  finden)  immer 
wieder  allegirten  Urtheile  bereits  einmal  genau  analysirt  und 
auf  ihren  wahren  Werth  zurückgeführt  habe  (Zeitschrift 
XXVIII  S.  180  ff.,  oben  S.  108  ff.),  so  erübrigt  der  Nachweis, 
dass  niu-  eine  sehr  flüchtige  Lektüre  zu  der  Annahme 
führen  kann,  der  oberste  Gerichtshof  habe  die  Kreationstheorie 
adoptirt.  Das  erste  und  wichtigste  dieser  Urtheile  (Entschei- 
dungen des  R.O.H.G.'s  Bd.  XVII  S.  105«.,  II.  Senat,  27.  Fe- 
bruar 1875)  entscheidet  den  Fall,  dass  der  mit  der  Emission 
fertig  hergestellter  Inhaberpapiere  beauftragte  Sachfuhrer  die- 
selben nach  Widerruf  des  Emissionsauftrages  begibt,  um  deren 
Erlös  im  eigenen  Nutzen  zu  verwenden.  Die  Haftung  des 
Papierausstellers  stützt  der  oberste  Gerichtshof  in  diesem  Falle 
nicht  darauf,  dass  der  Aussteller  bereits  durch  die  Ausferti- 
gung des  Papiers  obligirt  gewesen  sei,  sondern  darauf,  dass 
derselbe  durch  den  Akt  der  Ausstellung  eine  Garantiepflicht 
—  Schadensausgleichungspflicht?  —  bei  missbräuchlicher  Be- 
nutzung übernahm.  Gelangt  man  aber  nicht  zu  dem  gleichen 
praktischen  Ergebniss,  falls  man  den  die  Haftung  des  Aus- 
stellers gegen  gutgläubige  Nehmer  rechtlich  bewirkenden  Um- 


lUr  du  Deutsche  Reich.  143 

stand  nicht  in  die  Ausstellung  des  Papiers,  sondern  in  dessen 
Anvertrauung  an  den  ungetreuen  SachfUhrer  (Mandatar, 
Depositar)  findet?  Unzweifelhaft  lässt  sich  ja  mit  guten 
Gründen  (s,  auch,  obwohl  in  der  Motivirung  vielleicht  nicht 
ganz  zutreffend.  Brunner  in  Endemann's  Handbuch  II 
S.  167  Note  17)  die  Annahme  vertreten,  dass  ein  nicht  ge- 
stohlenes oder  verlorenes,  sondern  veruntreutes  (unter- 
schlagenes) und  dadurch  (von  dem  ungetreuen  Verwalter, 
Depositar  etc.)  in  Verkehr  gesetztes  Inhaber-  oder  Orderpapier 
in  dritter  re<Üicher  Hand  Recht  wider  den  Aussteller  gibt. 
Man  darf  innerhalb  eines  Rechtssystems,  welches  wie  das 
deutsche  Handelsgesetzbuch  und  das  in  casu  —  einem  bremi- 
schen Fall  —  maassgebende  bremische  Recht  den  Grundsatz 
>Hand  wahre  Hand*  in  aller  Schärfe  durchführt,  die  Anwen- 
dung dieses  I^inzips  auf  einen  derartigen  Fall,  sei  es  direkt 
(die  Begründung,  welche  hier  etwas  zu  umständlich  ausfallen 
würde,  könnte  auf  einer  eingehenden  Prüfung  des  Geltungs- 
umfanges  von  H.G.B.  Art.  306  im  Verhältniss  zu  den  be- 
sonderen Vorschriften  des  Art  307  fussen),  sei  es  mindestens 
analog,  ohne  Rechtsirrthum,  sicher  ohne  Verstoss  wider  das 
nationale  Rechtsbewusstsein  für  statthaft,  ja  fur  geboten  er- 
aditen;  es  könnte  anch  vielleicht  die  Gesetzgebung  veranlasst 
sein,  zur  Absclmeidung  von  Zweifeln  einen  derartigen  Rechts- 
satz aufzustellen.  Allein  es  bedari  keiner  Ausfuhrung  —  und 
dies  hat  leider  die  imnOthiger  Weise  weit  über  das  praktische 
Ziel  der  Entscheidung  hinausgreifende  Rechtsdeduktion 
des  Reichs-Oberhandelsgerichts  Übersehen  —  dass  der  Fall, 
da  der  Aussteller  des  Inhaberpapiers  dasselbe  einem  EJritten 
zur  Aufbewahrung  und  sogar  zur  eventuellen  Begebung  Über- 
gibt und  damit  dessen  Treue  vertraut,  und  der  Fall,  dass  das 
im  Besitz  des  Ausstellers  gebliebene  Papier  demselben  wider 
Willen  entzogen  wird ,  sehr  weit  auseinanderliegen ' ;  es  ist 
durchaus  petitio   principii,    dass   diejenige   ratio,    welche    das 


pret 

dam  die  in  dem  P&pier  benrkuDdete  Obligation  anch  lur  Geltnng  konunC,  weaii 
die  FBpiere  dem  AanUUer  >ge«lo1ilen*  vorden  und  in  die  Hand  da»  bona- 
fide-Erwerben  kommen,  lo  hat  er  jetit  (4.  And.  S.  37  [5.  Aufl.  ebendort])  an 
die  Stelle  des  Wortes  igettohlena  du  Wort  'Teruntteut>  gesetzt,  und  die 
AntoritiU  de*  Rdcbi-Oberhandel^ericht*,  welche  et  Mbtt  tOi  die  Wirkiaiiikdt 
der  igestohlenen*  Papiere  angerufen  hatte,   jettl   mit   betserem  Grond  nor  für 


oügle 


144    Ilie  Kieatioustheorie  and  d«i  Entwurf  etna  bUrgerliclien  Gcsetcbnchs 

Gesetz  bei  dem  vom  Aussteller  bereits  begebenen  Inhaber- 
papier  Über  den  Grandsatz  »Hand  wahre  Handc  hinausgehen 
lässt  (Art.  307  im  Verhältniss  zu  Art.  306  H.G.B.'s),  für  das 
noch  nicht  begebene,  ja  nicht  einmal  ans  der  Hand  des  Aus- 
stellers mit  dessen  Willen  herausgekommene  Papier  zutreffe. 

Die  zweite  Entscheidnng,  einen  Wechsel  betreffend  (Ent- 
scheidungen desR.O.H,G.'s  XIX  S.  31  ff.)  Teineint  die  Kreations- 
theorie nnd  lässt  die  Frage  über  das  Recht  ^terer  (gut- 
gläubiger) Nebmer  ganz  korrekt  unerOrtert  (s.  Zeitsdir.  XXVHI 
S.  102  ff.  [oben  S.  109  ff.]).  Ein  drittes  Urtheü  (5.  Cml- 
senat  des  Reichsgeridits,  19.  Juni  1880:  R.G.  II  S.  66)  moti- 
virt  eine  unzweifelhaft  richtige  Entscheidong,  nänüich  dass 
ein  schenkongsweise  ausgestellter  und  ao^ehändigter  eigener 
Wechsel  als  ȟbergebcne  Sache,  im  Sinne  des  preuss,  Rechts 
(A.L.R.  I,  U  §  1065)  gilt,  mit  dem  beiläufigen,  die  Entschei- 
iang  gar  nicht  tragenden  und  recht  unklar  gefassten  Satze, 
dass  der  Wechsel  bereits  vor  der  Aushändigung  eine  beweg- 
liche Sache  sei,  welche  sogar  durch  die  Cirkulation  ohne  den 
Transportwillen  des  Ausstellers  wechselmässige  Ansprüche  zq 
begründen  geeignet  sei. 

Diesen  Urtheilen,  von  denen  jedes  ohne  die  an  die  Krea- 
tionstheorie direkt  oder  indirekt  anklingenden  Entscbeidungs- 
grUnde  zu  durchaus  gleichem  Ergebniss  gelangen  musste,  steht 
gegenüber  eine  sehr  beträchtliche  Zahl  von  Urtheilen  des 
obersten  Gerichtshofs,  welche  direkt  sich  gegen  die  Kreations- 
theorie erklären.  So  die  bereits  in  der  Zeitschr.  XXVIII  a  103, 
104  [oben  S,  111  ff.]  analysirten  Urtheile  vom  1.  Oktober, 
16.  Oktober  1880,  2.  März  und  27.  September  1881  (Bitsch. 
II  S.  90,  97,  IV  S.  255,  V  S.  82),  welche  sich  sämmtlich  auf 
Orderpapiere  (Wechsel)  beziehen.  Vgl.  aiich  Entsch.  des 
R.O.H.G.'s  XVn  S.  336  und  406'.    Ein  weiteres  Urtheil  des 

die  >veruDtrenteii<  in  Ansprach  genommen.  Wenn  aber  Detubnrg  noch  jetzt 
in  der  Note  i6  Tonnthrt^  •Gegen  diese  Ansicht  hat  seh  erklan  Gold- 
schmidt, Rezension  in  seiner  Zeitschr.  Bd.  33  S.  307',  so  dbecsieht  Dern- 
burg;  audiülender  Weise,  d&ss  ich  mich  ui  der  dtirten  Stelle  nicht  gegea 
das  praktische  Ergebniss  der  Entscheiducg ,  sondern  gegen  deren  Deduktion 
ausgesprochen  und  dasi  ich  Zütschr.  XXVIII  5.  100  sehr  scharf  iirischen  ge- 
stohlenen und  venintreuten  Inhaberpapieren  untecKhieden  habe. 

■  S.  anch  Lehmann,  l.ehrbuch  des  dentschen  Wechseliechts  S.  zot — 304, 
Auch  De  rn  bürg  gibt  jetzt  lu  (4.  Aufl.  S.  37  Note  16  [ebendoit  J.  Aufl.]):  >Die 
Theorieen  der  Reich^erichte  sind  übrigens  keinesw^s  miteii»adei  konform.' 

L,_,   ,Goo!;lc 


fBr  du  DentKhe  Reicfa.  145 

m.  Civilsenats  vom  12.  Juni  1885  (Entsch.  XIV  S.  22  ff.) 
führt  ans:  »Der  Vorinstanz  ist  zuzugeben,  dass  die  Ent- 
stehung einer  jeden  Wechselverbindlichkeit  durch 
den  Abschluss  eines  Wechselvertrages  bedingt  ist 
und  dass  demnach  die  Einrede  eines  Wechsel- 
beklagten, er  habe  einen  dem  eingeklagten 
Wechselanspruch  entsprechenden  Wechsel  vertrag 
nicht  abgeschlossen,  aus  dem  Wechselrecht  selbst 
hervorgeht,  und  somit  gemäss  Art.  82  W.O.  an 
sich  gegen  jeden  Wechselkläger  vorgeschützt 
werden  kann.<  Demnächst  heisst  es,  im  Anschluss  an  die 
konstante  Praxis,  dass  dieser  Vertrag  auch  durch  Geben  und 
Nehmen  eines  Blancoaccepts  mit  der  Wirkimg  geschlossen 
werden  könne,  dass  der  Blancoacceptant  auch  für  den  vom 
Nehmer  etwa  vertragswidrig  ausgefüllten  Wechsel  gutgläubigen 
Dritten  haftet.  In  einem  weiteren  Falle,  Urtheil  des  I.  Civil- 
senats vom  24.  Juni  1884  (Entsch.  XIV  S.  94 ff.),  handelte 
es  sich  imi  Inhaber-  oder  Orderpapiere,  welche  einem  Dritten 
von  der  Ausstellerin  mit  der  Ermächtigung  übergeben  waren, 
sie  in  Umlauf  zu  bringen. 

Dies  dürfte  genügen,  um  die  Berufung  der  Vertreter  der 
Kreationstheorie  auf  die  deutsche  Praxis  klarzustellen. 

Die  Kreationstheorie  beruht  aber  auf  unrichtigen  ge- 
schichtlichen wie  dogmatischen  Prämissen.  Dies 
soll  noch  in  Kürze  berührt  werden. 

Geschichtlich  ist  der  von  Kuntze  und  Sieget  mit 
grossem  Aufwand  von  Scharfsinn  versuchte  Nachweis,  dass 
die  Kreationstheorie,  welche  ja  unstreitig  im  römischen  Recht 
nicht  ihre  Wurzel  hat,  auf  Prinzipien  des  deutschen  Rechts 
beruhe,  nicht  nur  völlig  misslungen,  sondern  es  ist  auch  von 
den  gründlichsten  Kennern  der  Quellen  des  deutschen  Rechts, 
insbesondere  von  Brnnner,  das  volle  Gegeatheil  dargethan. 
Und  wenn  Dernburg  (Preuss.  Privatrecht,  4.  [auch  5.]  Aufl.,  II 
S.  25  ff.)  in  freilich  sehr  abgeschwächter  und  unbestimmter 
Fassung  gleichwohl  auf  die  angeblich  >deutsche  Rechts- 
anschauungc  zurückkommt,  indem  zwar  >in  älterer  Zeitc  ein 
Begebungsvertrag  erfordert  sein  mag,  aber  später  doch  die 
sehr  lax  behandelte  Acceptation  »ihre  materielle  Bedeutung 
verloren  habe  und  schliesslich  in  gewissen  Fällen  absterben 

GaldicIiiDidt,  VumiicfaUi  Schein«!.    U.  lO 

,.:  .«:,yGüogle 


146    !)■<  KrMtioutlieorie  and  der  Eotwntf  eb««  Uli|;eTUd)«i  Gegettbuchi 

musstei,  so  ist  er  sogar  für  diese  Thatsache,  so  viel  ich  sehe, 
jeden  Beweis  schuldig  geblieben. 
Dogmatisch  lässt  sich: 

1.  meines  Wissens  in  unserem  gesammten  Recht  nirgends 
der  Grundsatz  nachweisen,  dass  ein  blosses  intemum,  das  Nieder- 
schreiben einer  Urkunde,  wenngleich  zu  rechtsgeschäftlichen 
Zwecken,  eine  rechtliche  Verpflichtung  des  Ausstellers  dieser 
Urkunde  zu  erzeugen  vermöge  —  denn  dass  es  mit  dem  Wechsel- 
accept,  welches  thatsächliche  Annahme  eines  voraufgegangene» 
Vertragsantrages  ist,  sich  anders  verhalt, 'durfte  ausreichend  dar- 
gethansein  (vgl.  meine  Ausführungen  Zeitschr.  XXVIII S.  84 ff. 
[oben  S.  94  ff.]  und  Pappenheim  ebenda  XXXIII  S.  449) 
—  noch  dass  in  Ermangelung  positiver  Rechtsvorschrift  eine  Ver- 
pflichtung ohne  bethatigten  Verpflichtungswillen  entstehe; 

2.  die  Gesammtheit  der  unzweifelhaft  für  Order-  und 
Inhaberpapiere  geltenden  Rechtssatze  ohne  die  Kreations- 
theorie juristisch  konstmiren  —  ich  komme  zum  Schlosse 
darauf  zurück  — \  dagegen  lassen  sich  allerdings  die- 
jenigen Rechtssätze,  deren  Bestand  eben  nur  be- 
hauptet wird,  ohne  dass  für  deren  Existenz  auch  nur  der 
Anschein  eines  Beweises  erbracht  wäre,  nur  mittelst  der 
Kreationstheorie  konstmiren.  Diese  Theorie  ist  so- 
mit nur  ein  vielleicht  bequemerer  Konstruktionsapparat  für 
geltende  Rechtssätze,  dagegen  gleichzeitig,  und  darin  liegt 
ihre  Gefährlichkeit  und  UnStatthaftigkeit,  ein  Konstruktions- 
apparat für  eine  unabsehbare  Fülle  nor  erdachter,  weder 
geltender  noch  auch  nur  zweckmässiger  Rechtssätze. 

IT. 

War  es  auch  bekannt,  dass  unter  den  Mitgliedern  der 
Civilgesetzkommission  sich  Anhänger  der  Kreationstheorie  be- 
fanden, dass  insbesondere  der  Redaktor  des  Obligationenrechts, 
der  scharfsinnige  württembergische  Obertribunals- Vizepräsident 
V.  K  Ü  b  e  1  sich  bereits  in  der  Vorlage  des  ersten  Theilentwurfs 
ganz  den  Siegel 'sehen  Deduktionen  angeschlossen  hatte, 
wie  denn  auch  in  Württemberg  —  und  nur  hier  —  ein  Gesetz 
vom  16.  September  1852,  jetzt  vom  18.  Oktober  1879  Art  17, 
vgl.  16,  die  Staatsschuldenkasse  anscheinend  schlechthin  (?) 
zur  Einlösung  »verlorener»  Staatsschuldscheine  gegen  den  gut- 
gläubigen Erwerber  verpflichtet,  so  überraschte  es  doch,  dass 


flir  du  Deabche  Reich.  147 

der  nunmehr  vorliegende  Entwurf  des  bürgerlichen 
Gesetzbuchs  die  Kreationstheorie  gleichsam  mit  Haut  und 
Haaren  adoptirt,  ja  sämmtlicbe  von  ein^lnen  Schriftstellern 
deducirten  Konsequenzen  zu  positiven  Rechtssätzen, 
wenngleich  nur  für  die  Inhaberpapiere  (alle?),  gestaltet.  Diese 
Auffassung,  heisst  es  in  den  —  hier  ungewöhnlich  dürftigen  — 
Motiven  n  S.  695,  welche  »entgegen  der  Vertragstheorie  die 
rechtliche  Verpflichtung  des  Ausstellers  zu  der  in  der  Schuld- 
verschreibung bezeichneten  Leistung  in  der  verbindlichen  Kraft 
des  in  der  Urkunde  erklärten  einseitigen  Verpflichtungswillens 
findet,  hat  in  der  Doktrin,  wie  in  der  Praxis  der  Gerichte, 
stetig  fortschreitende  (! !)  Anerkennung  gefunden  <.  In  der  That 
finden  auch  die  wichtigsten  Rechtssatze  Über  das  aus  der  Aus- 
stellung von  Schuldverschreibungen  auf  Inhaber  entstehende 
obligatorische  Verhältniss,  welche  an  sich  heutzutage  kaum 
noch  einer  Anfechtung  ausgesetzt  sind,  nur  in  jener  Auffassung 
ihre  natürliche,  der  Absicht  des  Ausstellers  derartiger  Ur- 
kunden entsprechende  Erklärung^.  Die  Auffassung  des  Ent- 
wurfs ist  also  augenscheinlich  nur  als  Konstruktivsatz  für  ge- 
wisse unbezweifelte  Rechtssatze  gemeint  —  es  ist  nicht  gesagt, 
welche  Rechtssätze  zu  den  unzweifelhaften  gerechnet  werden; 
indessen  aus  der  Ausführung  der  Motive  S.  697,  auf  welche 
ich  zurückkomme,  scheint  hervorzugehen,  dass  gewisse  vom 
Entwurf  aufgestellte  Rechtssätze  aus  andern  als  konstruktiven 
Gründen,  nämlich  aus  Zweckmässigkeitsgründen  adoptirt  sind. 
In  ihrem  Zusammenhang  lauten  die  hier  einschlagenden 
Rechtssätze  des  Entwurfs  wie  folgt: 

1. 

§  342.  Das  einseitige,  nicht  angenommene  Ver- 
sprechen ist  unverbindlich,  sofern  nicht  das  Gesetz  ein 
Anderes  bestimmt. 

§  343.  Wird  ein  einseitiges  Versprechen  von  dem 
Gesetze  als  verbindlich  anerkannt,  so  finden  auf  das 
daraus  entstehende  Schuldverhältniss  die  für  Schuld- 
verhältnisse aus  Vertragen  geltenden  Grundsätze  ent- 

■  Die  Note  hieraa  citirt  Windscheid,  HaienöbrI  (vgl.  Über  dessen 
AnifllhniiigeDKiasnopoliki  In  der  Zdttcbr.  Hr  Hudelr.  XXXIV  S.  583^.), 
Eccint  und  die  beiden  wiedarbolt  beiprocbeDea  EDtscheidimgen:  R.OJLG. 
XVn  S.   150  E  —  Senffert'«  Arch.  XXXI  Nr.  »77  und  R.G.  IV  S.  177. 


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148   I^is  Krektionttheorie  und  der  Entwurf  dnes  bttTgerlkhen  Goedbuclu 

sprechende  Anwendmig,  soweit  nicht  das  Gesetz  ein 
Anderes  bestimmt. 

Die  obligirende  Kraft  des  einseitigen  Versprechens  bildet 
so,  nach  dem  Entwurf,  einen  nur  in  den  gesetzlich  bestimmten 
Fällen  zugelassenen  Ausnahmefall.  Ausnahmsweise  zugelassen 
werden  im  Gesetz  (Entwurf)  nur  drei  Fälle:  »Schuldverschrei- 
bung auf  Inhaber  (§§  685—703),  die  Auslobung  (§§  581  bis 
589)  und  die  Stiftung«  {§  58)  —  wie  auch  in  den  Motiven  II 
S.  175  ausdrücklich  hervorgehoben  wird,  doch  soll  die  An- 
wendung auf  »rechtsähnliche  Verhäitnissei  (Entw.  §  1)  nicht 
ausgeschlossen  sein. 

Mir  scheint  §  342  Überflüssig  zu  sein,  insofern  ja  der  Ent- 
wurf selbst  zu  erkennen  gibt,  welche  nicht  vertragsmässigen 
Verpflichtungen  er  anerkennt;  schädlich,  weil  der  ja  möglichen 
richterlichen  Anerkennung  anderweitiger  einseitiger  Zusagen 
(z.  B.  der  einseitigen  Erklärung  des  Uebemehmers  eines 
Handelsgeschäfts,  er  wolle  die  Geschäftsschulden  zahlen)  trotz 
der  Verwahrung  der  Motive,  ein  Riegel  vorgeschoben  und 
damit,  zumal  in  Verbindung  mit  der  so  prinzipwidrigen  Aus- 
schliessung des  Gewohnheitsrechts  (§  2)  der  gesunden  Rechts- 
entwickelnng  eine  unerträgliche  Fessel  angelegt  wird. 


§  879  bestimmt,  dass  ein  Inhaberpapier  (nicht  bloss  »eine 
Schuldverschreibung  auf  Inhaber')  tmgeachtet  mangelnden 
Eigenthtuns  des  Veräusserers  auch  dann,  wenn  es  ohne  den 
Willen  des  EigenthUmers  oder  des  Inhabers  aus  deren  In- 
habung  gekommen  ist,  in  das  von  dinglichen  Lasten  und  der- 
gleichen freie  Eigenthum  des  redlichen  Erwerbers  übergeht, 
welcher  dasselbe  durch  einen,  mit  körperlicher  Tradition  ver- 
bundenen, auf  Eigenthumsverschaffung  gerichteten  Veräusse- 
rungsvertrag  erworben  hat.  Dieser  Rechtssatz  entspricht,  wie 
auch  die  Motive  III  S.  349  bemerken,  dem  zur  Zeit  nach 
Art.  307  H.G.B.  geltenden  Recht.  Die  Streitfrage,  ob  unter 
»Inbaberpapierc  auch  ein  unvollkommenes  (sogenanntes  blosses 
Legitimationspapier)  und  ein  vom  Aussteller  noch  gar  nicht 
begebenes  Papier  zu  verstehen  sei,  wird  weder  im  Entwurf 
selbst,  noch  in  den  Motiven  berührt.  Doch  wird  die  zweite 
Frage  im  Sinne  des  Entwurfs,  wenigstens  für  obligatorische 
Inhaberpapiere  sicherlich  zu   bejahen,   die  erste   im  Sinne  des 


D,j,i,.e,.,,Güoglc 


Ar  das  Dentsche  Rdch.  149 

Entwurfs  (vgl.  §  685  in  Verbindung  mit  §§  702 ,  703)  an- 
scheinend zu  verneinen  sein. 


Im  Uebrigen  spricht  der  Entwurf  nur  von  »Schuldver- 
schreibungen auf  Inhaber« ,  und  stellt  für  diese  —  ich  will 
dafür  den  kürzeren,  obwohl  ja  an  sich  umfassenderen  Aus- 
druck »Inhaberpapierc  brauchen  —  folgende  Rechtssätze  auf: 
a)  Gläubiger  aus  dem  Inhaberpapier  wird  der  jewei- 
lige Inhaber  der  Schuldverschreibung:  §  685,  d.  h.  nach 
§  797  ein  Jeder,  der  auch  nur  momentan  die  thatsäcbliche  Ge- 
walt über  das  Papier  hat.  Es  ist  somit  Gläubiger  nicht  allein 
der  EigenthUmer,  der  redliche  juristische  Besitzer,  der  juristi- 
sche Besitzer,  sondern  schlankweg  jeder  Detentor.  Es  ist  ver- 
worfen die  von  Savigny  und  mir  entwickelte,  in  neuerer  Zeit 
immer  allgemeiner  anerkannte  (vgl.  z.  B.  Zeitschr.  f.  Handelsr. 
XXVIII  S.  66,  XXXIII  S.  447)  Eigenthumstheorie,  mit  ihrer 
scharfen  Scheidung  von  Recht  und  von  blossem  Rechtsausweis 
(Legitimation),  nicht  minder  jede  Zwischentheorie;  vielmehr 
macht  die  blosse  Inhabung  nicht  allein  formellen  Rechtausweis, 
sondern  materielles  Recht.  Dass  insbesondere  auch  der  un- 
redliche Inhaber,  auch  der  Dieb,  Gläubiger  wird,  sagt  zudem 
ausdrücklich  §  687: 

»Der  Aussteller  der  Schuldverschreibung 
darf    dem    Inhaber    derselben    die    Leistung 
nicht  deshalb  verweigern,   weil    dieser  die 
Schuldverschreibung   in   unredlicher   Weise 
erworben  hat,    unbeschadet   der  Vorschrift 
des  §  689.. 
Das  »unbeschadet  u.  s.  f.c  heisst,  dass  der  Aussteller  sich 
gegen    den    Inhaber    solcher    Einwendungen    bedienen    darf, 
welche  lin  dem  zwischen  dem  Aussteller  und  dem  Inhaber 
bestehenden  persönlichen  Rechtsverhältnisse  sich  gründen*. 
Danach  hat  freilich  der  Aussteller  —  ganz  Kuntze's 
Deduktion  entsprechend  —  exceptio  doli  gegen  den  Inhaber, 
sofern   dieser   Mandatar,    Depositar    u.   dgl.    des  Ausstellers, 
Dieb  vom  Aussteller  ist  u.  s.  f.  —  nicht  dagegen,  wenn  der 
Inhaber  das  Papier  einem  Anderen,  etwa  dem  Depoätar,  Man- 
datar des  Ausstellers  u.  s.  f.  veruntreut,  ja  gestohlen,  geraubt 
hat.    Juridisch  ausgedruckt:  was  bisher  nur  hinsichtlich  des 


LiOOgIc 


150    Q>s  KieBiianEtheorie  nnd  der  Entwurf  eine*  bflrgerlichen  Goetebnclit 

Besitzschutzes  galt,  dass  die  auch  wideirecbtltch  erworbene 
Gewalt  nur  demjenigen  weicht,  gegen  welchen  sie  fehlerhaft 
erlangt  ist  (exe.  vitiosae  |>o5sessionis  ab  adversario  —  so  auch 
b.  Entw.  §  819,  820),  wird  zum  Prinzip  des  schlechthin  sogar 
an  die  Inhabung  geknüpften  Forderungsrechts.  Ein  schon  für 
den  Besitzschutz  trotz  dessen  nur  interimistischer,  dem  Recht 
nicht  präjudizirender  Tragweite,  nicht  unbedenkliches  Princip 
wird  zum  leitenden  Grundsatz  für  Forderungsrechte  erhoben! 

Nach  dem  Entwurf  sind  Gläubiger  zahlreiche  Personen, 
welche  dies  nach  der  Verkehrsanschaunng  weder  sind  noch 
sein  wollen:  die  Dienstmagd,  welche  die  Biwknote,  den  Kupon 
u.  s.  f.  zum  Auswechseln  oder  zur  Bezahlung  des  Kaufmanns 
in  Händen  hat,  jeder  Kassenbote,  Depositar  u.  dgl.  m.,  und 
zahlreiche  Personen,  welche  nach  bestehendem  Recht  wie  nach 
unserem  Rechtsbewusstsein  dies  nicht  sein  köimen :  der  Finder, 
Dieb,  Räuber  n.  s.  f.  Weiter:  in  dem  Augenblick,  da  das 
Papier  aus  der  Hand  des  Berechtigten,  gleichviel  wie,  in 
fremde  Hände  geräth,  erlischt  das  Gläubigeirecfat  des  er^teren, 
und  bleibt  gleichwohl,  gemäss  §  879  (H.G.B.  Art.  307)  dessen 
Eigenthum  am  Papier  bestehen;  es  ist  das  Eigenthnm  nicht, 
was  es  verständiger  Weise  nur  sein  kaim,  Voraussetzung  des 
Gläubigerrecfats,  sondern  ein  blosser  Rechtsbehelf  zur  Wieder- 
erlangung verlorenen  Gläubigerrechts. 

Diese,  wie  mir  und  vielen  Anderen  scheint,  höchst  ver- 
zwickte Auffassung,  welche  gleichmässig  dem  Wesen  des 
Eigenthums  wie  des  Forderungsrechts  widerstreitet,  wird  in 
den  Motiven  lediglich  mit  der  apodiktischen,  eben  erst  zu  er- 
weisenden Behauptung  begründet,  dass  der  Inhaber  als  solcher 
der  Gläubiger  sei  (S.  694,  697),  und  dass  der  Aussteller  — 
von  Fällen  gerichtlichen  Zahlungsverbots  (§  693)  abgesehen  — 
weder  Recht,  noch  mach  der  Natur  der  auf  den  Inhaber 
lautenden  Urkunden  ein  berechtigtes  Interesse  daran  habe,  an 
wen  er  zu  leisten  hatc  (S.  697).  Ob  derselbe  ein  thatsäch- 
liches  Interesse  daran  hat,  ist  freilich  thatsächliche  Frage; 
sein  rechtliches  Interesse  aber  lässt  sich  in  abstracto  gar  nicht 
bezweifeln,  somit  auch  nicht,  dass  er  berechtigt  (wenngleich 
nur  in  den  seltensten  Ausnahmefällen  verpflichtet)  ist,  gegen 
den  Inhaber  den  Beweis  des  Nichtrechts  zu  führen.  So  sehr 
gehen  dem  Entwurf  Sacheigenthum  an  der  Urkunde  und 
Gläubigerrecht  aus  derselben  auseinander,    dass  die  Motive 

,GooqIc 


fUr  dai  Deabche  Rekh.  151 

sich  mit  der  Bemerkung  begnügen  (S.  694,  695):  die  Nor- 
mirung  der  an  die  Inliaberpapiere  sich  knüpfenden  sachen- 
rechtlichen Fragen  findet  sich  im  dritten  Buch. 

b)  Dieser  ganze  Komplex  von  Rechtssätzen  soll 
gelten    auch    von  dem   vor  jeder  Begebung    durch 
den  Aussteller    in  fremde  Gewalt  gelangten   In- 
haberpapier. 
§  686  lautet: 

Der  Aussteller  einer  Schuldverschreibung   auf  In- 
haber wird  durch  dieselbe  auch  dann  verpflichtet,  wenn 
die  Schuldverschreibung  dem  Aussteller  gestohlen  oder 
von  diesem  verloren  oder  in  anderer  Weise  ohne  dessen 
Willen  in  den  Verkehr  gelangt  ist.    Die  Verpflichtung 
wird  dadurch  nicht  ausgeschlossen,  dass  die  Schuldver- 
schreibung erst,  nachdem  der  Aussteller  gestorben  oder 
geschäftsunfähig  geworden  ist,  in  den  Verkehr  gelangt. 
Man  kann  nicht  umhin,   die  Kühnheit   der  Verfasser   zu 
bewundem,  welche  ihrem  Gedanken  einen  so  völlig  unzwei- 
deutigen Ausdruck  geben.     Ja,   in   den  Motiven  S,  697  wird 
gesagt,  es  kOmie  dahingestellt  bleiben,  ob  das  Prinzip  (Kreations- 
theorie)  sich  vom  theoretischen  Standpunkt  rechtfertigen  lasse, 
aach  ob  Wissenschaft  und  Praxis  alle  gezogenen  Konsequenzen 
billige,  aber  die  Sicherheit  des  Verkehrs,  das  Verkehrsbedürf- 
niss,  erfordere  nothwendig  diese  Sätze ;  denn  es  könne  vom  Er- 
werber nicht  verlangt  werden,  dass  er  die  Schuldverschreibung 
daraufhin  prüfe,  ob  sie  von  dem  Aussteller  ausgegeben  oder 
ohne  dessen  Willen  in  den  Verkehr  gelangt  sei. 

Nun  lässt  sich  freilich  diese  Prüfung  dem  Erwerber  nicht 
ohne  Beschwer  zumutben,  und  es  ist  sogar  weiter  zuzugeben, 
dass  auch  die  sorgfältigste  Prüfung  häufig  ergebnisslos  bleiben 
wird.  Aber  begründet  diese  Schwierigkeit  als  Rechtsfolge 
die  Verpflichtung  des  Ausstellers?  Schon  früher  habe  ich 
darauf  hingewiesen  (Zeitschr.  f.  Handelsr.  XXIII  S.  307),  dass 
hier  ein  Fall  der  Interessenkollision  vorliegt  und  dass  in  der- 
artigen KonftiktsfäUen  nicht  absolut  hinsichtlich  der  Gefahr&- 
tragung  —  denn  auf  diese  kommt  es  ja  hinaus  —  die  An- 
forderung der  Verkehrssicherheit  oder  der  gute  Glaube  den 
Ausschlag  geben.  Denn  nicht  nur,  dass  in  solchem  Falte 
der  —  wie  zunächst  fttr  die  Entscheidung  der  Prinzipienfrage 
vorauszusetzen  ist  —  völlig  schuldlose  Aussteller  weit  mehr 


„Google 


152    Die  Kieatioiiltheorie  und  der  Entwurf  eines  bUrgerlichen  Geseubncbt 

beoachtheiligt  wird  als  der  vorsichtige  Erwerber,  welcher 
meist  an  seinen  Autor  sich  zu  halten  in  der  Lage  ist,  so  ver- 
stände sich  ja  —  obwohl  Deroburg  noch  jetzt  an  der  gegen- 
theiligen  Behauptung  festhält  —  nach  dem  gleichen  Prinzip 
von  selbst,  dass  jeder  Aussteller  eines  Scheines  mit  uner- 
kennbar verfälschtem  Inhalt  dem  redlichen  Erwerber  in 
Gemässheit  des  verfälschten  Inhalts  zu  haften  hätte  ^  weiter, 
dass,  wer  bona  fide  und  nach  sorgfältiger  Prüfung  auf  eine 
verfälschte  Anweisnng  (Check,  Tratte)  gezahlt  hat,  gegen  den 
Mandanten  (Trassanten)  in  Gemässheit  des  verfälschten  Scheines 
Revalirung  beanspruchen  dürfte,  wohin  ja  das  in  der  Zeitschr. 
fUr  Handelsr.  Bd.  XXXII  S.  200  ff.  mitgetheüte,  freilich  refor- 
mirte  Urtheil  des  Luzemer  Bezirksgerichts  augenscheinlich 
neigt.  Ohnehin  lässt  sich  Fälschung  oder  Verfälschung  in  der 
Regel  durch  Vorkehrungen  leichter  verhüten  als  Abhanden- 
kommen wider  Willen. 

In  dem  Augenblick,  da  ich  das  Papier  unterzeichne,  unter- 
stemple, wird  es  mir  vom  Räuber  entrissen ;  durch  einen  Wind- 
stoss  auf  die  Strasse  getrieben;  entsteht  ein  Brand,  in  Folge 
dessen  das  Papier  mit  anderen  Gegenständen  unter  die  Menge 
geräth ;  trifft  mich  ein  Herzschlag  und  es  nimmt  irgend  Jemand 
das  Papier  an  sich  —  während  ich  dieses  Papier  überhaupt 
nur  bedingungsweise,  nur  gegen  Entgelt,  nur  an  eine  be- 
stimmte Person  begeben,  bis  zur  Begebung  im  eisernen  Geld- 
schrank aufbewahren  woUte  u.  s.  f.  In  allen  diesen  Fällen 
haftet  der  Aussteller  (dessen  Nachlass,  Konkursmasse  u.  s.  f.)  — 
ganz  abgesehen  von  jedem  Verschulden  —  aus  dem  Papier, 
weil  bereits  mit  der  vollendeten  Ausstellung  die 
Verpflichtung   begründet  sei. 

Diese  Verpflichtung  gründet  sich  augenscheinlich  nicht 
auf  den  Willen  des  Ausstellers,  kann  daher  nicht,  wie  der 
Entwurf  thut,  unter  der  Rubrik  von  >einseitigen,  nicht 
angenommenen  Versp rechen c  imtergebracht  werden. 
Denn  richtig  ist  nur,  dass  ein  »Versprechenc  nicht  ange- 
nommen, unrichtig,  dals  ein  Versprechen  ertheilt  ist.  Der  Wille, 
zu  versprechen,  war  einstweilen  weder  vorhanden,  noch  er- 
klärt, der  Wille  des  Ausstellers  war  der  gerade  entgegen- 
stehende ;  er  wollte  nicht  schon  jetzt,  sondern,  wenn  überhaupt, 
erst  durch  die  Begebung  verpflichtet  werden.  Darüber  ist  gar 
kein  Zweifel  möglich;   nur   die  Willkür  juristischer  Phantasie 


ogic 


flir  i»M  Dentacbe  Rdch.  153 

vennag  hier  einen  Verpflicbtangswfllen  zu  Engireo.  Diese 
Obligation  gründet  sich  viehnehr  ausschliesslich  auf  den  Willen 
des  Gesetzes,  sie  entsteht  nicht  voluntate,  sondern  lege. 

Nun  kann  das  Gesetz  freilich  Alles,  der  Gesetzgeber  ist 
omnipotent:  >tbe  parliament  (the  king  in  parliament)  can  do 
everything  but  make  a  woman  a  man  and  a  man  a  womanc 
(Delolme)  —  aber  es  bleibt  doch  zu  prüfen,  ob  das  Gesetz 
das  UnveniUnftige  bestimmen  soll. 

Weiter:  ist  nach  dem  Willen  des  Gesetzes,  mit  der  Aus- 
stellung des  Scheines  die  Verpflichtung  begründet  und 
sucht  nunmehr  nur  noch  der  Schein,  damit  doch  der 
Wille  des  Gesetzes  durchgeführt  werde,  einen  Träger,  wird 
dieser  Träger  nach  dem  weiteren  Willen  des  Gesetzes  durch 
Delikt  oder  Zufall  (Raub,  Luftzug  u.  s.  f.)  bestimmt,  so 
ist  nidit  abzusehen,  weshalb  das  Gesetz  eine  durchaus  natür- 
liche, man  darf  sagen,  nothwendige  Konsequenz  nicht  zieht- 
So  gut  der  Schein  seinen  unbestimmten  Rechtsträger  sucht  und 
in  dem  Dieb,  dem  Räuber,  in  Jedem,  der  sich  des  Papiers  be- 
mächtigt, findet,  muss  ja  auch  der  noch  unbestimmte 
Träger  das  Papier,  d.  h.  das  laut  Papier  bereits 
fUr  ihn  bestehende  Recht  suchen  können.  Denn  da 
im  Uebrigen  nach  den  Prinzipien  unseres  Rechtssystems  Delikt 
oder  Zufall  nicht  Gründe  von  Rechtserwerb  sind,  so  verführe 
das  Gesetz,  welches  für  die  Inhaberpapiere  das  Gegen- 
theil  festsetzt,  völlig  konsequent,  wenn  es  Jedermann 
eine  Popularklage  auf  Aushändigung  des  Papiers 
gegen  den  Aussteller  gewährte.  Diese  Klage  wUrde 
man  actio  ex  creatione,  oder,  allenfalls  nach  bekanntem 
Master:  1.  19  D.  ad  exbib.  (10,4),  actio  ad  exhibendum 
nennen.  Mindestens  würde  aber  doch,  sofern  der  juristische 
Verstand  gegen  solche  Klage  des  quivis  ex  populo  Bedenken 
trüge,  bei  dem  alternativen  Inhaberpapier  (Herrn  A  oder  [und] 
Inhaber,  to  Mr.  Smith  or  [and]  bearer),  und  dem  Orderpapier 
(Herrn  A  oder  dessen  Order)  schwerlich  dem  benannten  Desti- 
natar (Herrn  A,  Mr.  Smith),  kaum  dessen  erweislicher  Order, 
diese  Klage  verweigert  werden  dürfen. 


Augenscheinlich  indessen  erachten  die  Verfasser  des  Ent- 
wurfs, ungeachtet  der  angeblich  zwingenden  Gründe  der  Ver- 


„GüOgle 


154    Die  Krefttioiutfaecirie  nnd  der  Entwurf  önet  bUrgeTlichtD  GcMtibucht 

kehrssicherheit ,   die  von  ihnen  beliebte  Regelang  nicht  unbe- 
denklich.   Sie  schaffen  daher  ein  SicherheitsTentil. 
Nach  §  685  Abs.  3  kann : 

>die    Gültigkeit    der   Vollziehung   durch   einen 
auf  der  Urkunde  anzut»ingenden  Vermerk  von  der  Bei- 
fügung eines  bestimmten  Zeichens  oder  Vermerks  ab- 
hängig gemacht  werden  c, 
und  es  sollen,  nach  §  701  Abs.  4,    »über  die  Form  der  Voll- 
ziehungf  der  von  einem  Bundesstaate  angestellten  Schuldver- 
schreibungen die  Gesetze  dieses  Bundesstaats   Bestimmungen 
treffen  können.  Soweit  es  sich  nicht  um  Staatspapiere  handelt, 
wird  wohl  konsequenter  Weise  den  einzelnen  Ausstellern  (Pri- 
vaten, Gesellschaften,  Korporationen  n.  s.  f.)  freigestellt  sein, 
die  Form  wirksamer  Vollziehung  festzustellen. 

Der  Sinn  dieser  merkwürdigen  Vorschrift  ergibt  sich  aus 
Bd.  II  S.  696  der  Motive.  Es  wird  hier  unterschieden  zwischen 
der  iHerstellung  der  Effektenformidaret,  welche  übrigens 
bereits  unterzeichnet  (bezw.  mit  äquivalenten  faksimilirten 
Unterschriften  versehen)  sind  und  der  »Ausfertigung 
dieser  Formulare«;  erst  »mit  der  Ausfertigung  werde  die  Er- 
klärung des  Verpflichtungswillens  vollständig«.  »Zur  Ver- 
meidung der  Gefahr,  dass  der  Aussteller  auf  Grund  eines  nur 
erst  hergestellten,  noch  nicht  ausgefertigten  Effektenformulars 
in  Anspruch  genommen  werden  könnte,  ist  hiemach  die  weitere 
Bestimmung  nöthig,  dass  die  Gültigkeit  der  Vollziehung  durch 
einen  auf  der  Urkunde  anzubringenden  Vermerk  von  der  Bei* 
fügung  eines  bestimmten  Zeichens  oder  Vermerks  abhangig 
gemacht  werden  kann.« 

Zunächst  ist  die  Richtigkeit  dieser  subtilen  Unterscheidung 
zwischen  »Herstellung«  und  »Ausfertigung«  zu  beanstanden, 
und  das  für  diese  Unterscheidung  citirte  Urtheil  des  Reichs- 
gerichts, Entsch.  in  Civilsachen  XIV  S.  96  ff.,  steht  derselben 
nicht  zur  Seite.  Die  allerdings  mitunter  hergebrachte  Kontrol- 
zeichnnng  eines  Dritten  gehört  so  gut  zur  iHerstellung«  wie 
zur  »Ausfertigung! ;  wo  diese  Kontrolzeicbnung  üblich-  ist, 
wird  vor  der  Beifügung  des  Kontroizeichens  bezw.  der  Kontrol- 
unterschrift  das  Papier  als  noch  unfertig  betrachtet.  Der  un- 
natürliche Gedanke  aber,  dass  durch  dieses  Kontroizeichen 
(vielleicht  eines  Buchstabens)  der  »Verpflichtungswille 
erklärt    werde«,    so  dass  nunmehr  eine    fertige   Obli- 


„Google 


Rb  im  Deanche  Reich.  155 

gation  im  Rechtssinoe  vorliege,  d.  h.  nicht  eine  fertige 
Urkunde,  sondern  eine  durch  ihre  blosse  Existenz  den  Aus- 
steller verpflichtende  Urkunde,  liegt  sicherlich  den  be- 
treffenden Institnten  (Staatsscbuldenverwaltung,  Aktienvereinen 
u.  dgl.)  völlig  fem. 

Vergegenwärtigt  man  sich  weiter  die  praktische  Trag- 
weite dieses  Satzes,  welcher  eine  Verpflichtimg  aus  dem  Papier 
dann,  aber  nur  dann  nicht  entstehen  lässt,  wenn  man  dem 
ausgestellten  Papier  seine  >Unfertigkeit<  ansehen  kann,  so  darf 
man  wohl  sagen,  solche  mit  dem  betreffenden  Unferdgkeits- 
vermerk  versehene  Papiere  sind  gewissermaassen  im  Voraus 
ausser  Kurs  gesetzt,  ihre  »Wiederinkurssetzungc  erfolgt 
erst  durch  Beifügung  des  in  dem  Vermerk  geordneten  Kontrol- 
zeichens  u.  dgl. 

Nun  wird  es  sich  häufig  ereignen,  dass  beide  Vermerke, 
der  sospendirende  und  der  die  Sospendinmg  beseitigende,  sehr 
schwer  wahrnehmbar  sind;  der  eine  wie  der  andere  können 
gefälscht,  von  einem  Unberechtigten  aufgesetzt  sein ;  es  kann 
der  erst«  Vermerk,  welchem  ein  zweiter  aufhebender  nicht  ge- 
folgt ist,  unerkennbar  getilgt  sein  u.  s.  f.  Es  hegt  so  die 
höchste  Gefahr  vor,  dass  gerade  durch  diese  EinschiHnkong 
ein  für  den  redlichen  Verkehr,  welchem  die  übrigen  exorbi- 
tanten Satze  des  Entwurfs  dienen  sollen,  unleidlicher  Zustand 
geschaffen  wird,  noch  unerträglicher  als  die  gegenwärtige 
Verworrenheit  hinsichtlich  der  Ausserkurssetzung  and  Wieder- 
inkurssetzung.  Unter  dem  bestehenden  Recht,  nach  welchem 
auch  die  vollendete  »Aosfertigungt  für  sich  allein  noch  keine 
Verpflichtung  begründet,  ist  die  übliche  Kontroivorschrift 
durchaus  zweckmässig  —  imter  dem  System  des  Entwurfs 
könnte  sie,  ja  die  blosse  Thatsache,  dass  ein  derartiger  Rechts- 
satz besteht,  zur  Diskreditirung  aller  aaf  Inhaber  gestellten 
Papiere  führen. 


ni. 

Liegt  mm  —  um  von  allem  Anderen  zu  schweigen  — 
ein  praktisches  BedUrfniss  vor,  die  Kreationstheorie  legis- 
lativ zu  Sanktioniren?  Sind  bisher  in  der  deutschen 
Praxis  irgend  welche  F^Ile  an  den  Tag  getreten,  für  welche 
vom  Standpunkt  einer  anderen  als  der  Kreationstheorie  be- 


oogle 


156   Kc  Ktotioiutlieorie  und  der  Entwiirf  «inei  bOrgeTlichen  GeteUbncfas 

rechtigten  loteressen  des  redlichen  Verkehrs  der  gebührende 
Schutz  versagt  hätte?!  Ich  finde  in  den  Annalen  unserer 
deutschen  Gerichte  keinen  Fall,  zu  dessen  sachgemSsser 
Entscheidung  es  der  Kreationstheorie  bedurft  hätte,  und  es 
ist  schon  wiederholt  bemerkt,  dass  alle  unzweifelhaft 
feststehenden  und  not h wendigen  Rechtssätze  auch 
ohne  die  Kreationstheorie  zu  gewinnen  sind.  Wie  wUnschens- 
werth  es  femer  ist,  dass  der  Gesetzgeber  sich  der  Rechts- 
prinzipien, auf  welchen  seine  Festsetzungen  beruhen,  klar  be- 
wusst  sei,  so  beruht  der  praktische  Werth  dieser  Festsetzung 
doch  lediglich  darauf,  dass  sie  den  wirklichen  Lebensbedürf- 
nissen und  dem  Rechtsbewusstsein  der  Nation  entspricht;  die 
juristische  Konstruktion  mag  das  Gesetz  der  Theorie  über- 
lassen. Erst  neuerdings  durfte  ich  den  Nachweis  führen,  wie 
gefahrlich  der  Versuch  ausfällt,  aus  juristischen  Deduktionen 
heraus  legislative  Feststellungen  zu  treffen,  die  Statthaftigkeit 
oder  UnStatthaftigkeit  von  legislativen  Anordnungen  danach 
bemessen  zu  wollen,  ob  dieselben  der,  häufig  missverstandenen, 
Theorie  entsprechen  oder  nicht  entsprechen '.  Sind  die  in  den 
§§  685,  686,  687  aufgestellten  Rechtssätze  nothwendig, 
d.h.  zum  Schutze  des  redlichen  Verkehrs  so  unerlasslicb, 
dass  alle  kollidirenden  Interessen  dahinter  zurückstehen  müssen, 
so  mag  der  Gesetzgeber  dieselben  aufstellen,  unbekümmert, 
ob  dieselben  sich  aus  irgend  einer  iTheorie«,  >Konstruktionc 
u.  dgl.  herleiten  lassen  oder  nicht  Wer  —  und  das  dürfte 
doch  wohl  die  Mehrheit  der  deutschen  Juristen  sein  —  diese 
Nothwendigkeit  leugnet,  wird  diese  ^tze  auch  dann  verwerfen 
müssen,  wenn  sie  sich  aas  einem  für  richtig  erachteten  Prinzip 
herleiten  Hessen. 

Die  theoretische  Erörterung  über  die  Kreationstheorie 
dürfte  wohl  geschlossen  sein.  Wenigstens  wüsste  ich  dem, 
was  von  mir  und  Anderen  gesagt  worden  ist,  nichts  hinzu- 
zufügen. Nur  auf  eine  neuerdings  gemachte  Bemerkung 
meines  Freundes  Dernburg  muss  ich  noch  eingehen. 

Dem  bürg  behauptet  jetzt  (Preuss.  Privatrecht,  4.  [auch  5.] 
Aufl.,  11  S.  28  Note  18),  ich  sei  durch  meine  gegen  ihn  gerich- 
teten Ausführungen  in  der  Zeitschr.  für  Handelsr.  Bd.  XXVIII 


■  Meine  Schrift:  I^  Haftpflicht  derGenoxen   und  das  Unilage*erfi>iiren. 

D,3,l,:a,.,,GüOgle 


ffli  du  DentMh«  Reicli.  157 

S.  UOff.  [oben  S.  U4ff.]  unbewusst  und  »wie  sehr  ich  mich 
auch  sträube  <  in  die  Gefolgschaft  der  Kreationstheorie  eingetreten. 
Dernburg  hat  den  spitzen  Fall  ausgesonnen,  dass  der  erste 
Nehmer  des  Papiers  erwerbsunfähig  ist  (ein  Kind,  ein  Wahn- 
sinniger) und  demnächst  das  Papier  in  die  Hand  eines  redlichen 
erwerbsfähigen  Nehmers  gelangt.  Die  Möglichkeit  eines  der- 
artigen Sachverhalts  ist  ja  zuzugeben ,  und  es  lässt  sich  auch 
die  Ansicht  vertreten,  dass  in  diesem  Falle  der  spätere  red- 
liche Nehmer  das  Eigenthum  am  Papier  (H.G.B.  Art  307) 
und  mit  ihm  das  Fordeningsrecht  erwirbt,  obwohl  augenschein- 
lich ein  praktisches  Bedürfniss  zu  einer  derartigen  Annahme 
nicht  vorliegt  und  die  grossen  Schwierigkeiten,  welche  bei- 
spielsweise durch  den  verwandten  Fall  der  Zulassung  von 
Putativtiteln  (si  a  furioso,  quem  sanae  mentis  putem, 
emero  u.  dgl.)  in  der  Ersitzungslehre  entstanden  sind  und  noch 
bestehen,  zu  gewichtigen  Bedenken  führen.  Allein  den  be- 
haupteten Satz  zugegeben,  so  wird  selbstverständlich  die  kon- 
struktive Subsumtion  eines  so  anomalen  Falles  imter  die  nor- 
malen Recht^;rundsätze  auf  Schwierigkeiten  stossen  —  sogar 
die  klassischen  römischen  Juristen  haben  sich  an  viel  ein- 
facheren Problemen  Jahrhunderte  hindurch  abgemüht. 

Ich  habe  nun  a.  a.  O.  eine  Konstruktion  versucht,  welche 
vielleicht  ungelöste  Bedenken  lässt  und  mit  einem  zu  komplizirten 
Apparat  arbeitet.  Aber  auch  dieser  Konstruktion  liegt  doch 
das  Prinzip  zu  Grunde,  dass  nur  aus  demjenigen 
Papier,  welches  der  Aussteller  mit  dem  Willen, 
sich  einem  successiven,  noch  unbestimmten  Per- 
sonenkreis zu  verpflichten,  aus  der  Hand  gegeben 
hat,  eine  Obligirung  des  Ausstellers  entstehen 
kann,  wenn  nicht  gegen  den  ersten,  weil  erwerbsunfähigen, 
so  doch  gegen  spätere,  erwerbsfähige  Nehmer.  Wie  diese 
Annahme  nun,  selbst  wenn  die  konstruktive  Begründung  un- 
richtig wäre,  auf  die  iKreationstheoriei  hinauskommen 
soll,  d.  h.  auf  die  Verpflichtung  des  Ausstellers  durch  die 
blosse  Niederschrift  bezw.  Unterschrift  des  ihm  auch  wider 
Willen  entzogenen  Papiers,  bleibt  mir  unverständlich. 
Weiter  aber  lassen  sich  für  diese  Annahme  auch  sonstige 
Konstruktionsmöglichkeiten  denken,  welche  sämmtlich  zur 
iKreationstheoriei  in  Widerspruch  treten,  insbesondere  die 
von  Sohm  allgemein,  später  vouGierke  und  Pappenheim 

,  Cioogic 


158   Di*  KreatioDtÜieorie  und  der  Entwurf  ein«*  bdrgerlicbeii  Goetilnicbi 

(Zeitschr.  für  Handelsr.  XVII  S.  92  ff.,  XXDC  S.  258,  XXXIII 
S.  447  f  (.)  versuchte  Begründung ,  dass  die  Weggabe  des  an 
einen  unbestimmten  Personenkreis  gerichteten  Papiers  nur  den 
ersten  Akt  des  Vertrages,  nämlich  ein  (hier  skripturmassiges) 
Vertragsangebot  (Offerte)  darstellt,  welches  in  der  annehmen- 
den erwerbsfähigen  Person,  und  natürlich  nur  in  dieser,  zum 
Vertrage  und  damit  zur  Verpflichtung  des  Ausstellers  führt. 
Kann  der  Aussteller  das  Papier,  bevor  es  in  die  Hand  einer 
solchen  (redlichen  erwerbsfähigen)  Person  gelangt,  wieder  an 
sich  ziehen,  so  ist  er  niemals  obligirt  gewesen;  sein  skriptur- 
massiges Vertragsangebot  aber  kann  selbstverständlich  ohne 
das  Papier  nicht  widerrufen  werden. 

Dass  diese  sich  durchaus  in  den  Grenzen  der  Vertrags- 
theorie haltende  Konstruktion  doch  mindestens  gleich  accep- 
tabel  ist  wie  die  Kreationstheorie,  liegt  auf  der  Hand,  und  es 
wäre  erwünscht  gewesen,  dass  Dernburg  sich  Ober  dieselbe 
ausgesprochen  hätte.  — 

Wenn  der  Uriieber  und  bisher  noch  immer  eifrigste  und 
scharfsinnigste  Verfechter  der  Kreationstheorie,  Kuntze,  die- 
selbe damit  empfiehlt,  dass  sie  die  (einfachste,  konsequenteste, 
einheitlichste,  korrekteste,  praktikabelste,  vernünftigste  und 
billigste  sei«,  welche  nur  von  der  »alten  Schulec,  die  »vom 
Vertragstypus  nicht  loskommen  kann«,  verworfen  werde  (für 
den  Wechsel  in  Endemann's  Handbuch  IV,  2  S.  74,  75, 
für  das  Inhaberpapier  in  seinem  Gutachten  für  den  XVI.  deut- 
schen Juristentag,  Verhandlungen  I  S.  135  ff.)  und  hinzufügt : 
»Was  will  man  mehr?«,  so  hat  bereits  Pappen  he  im  (Zeitschr. 
für  Handelsr.  XXXII  S.  336)  zutreffend  bemerkt:  mehr  will 
man  gewiss  nicht,  man  würde  sich  sogar  mit  viel  weniger  be- 
gnügen, und  falls  man  sich  gegen  sie  sträubt,  muss  das  wohl 
darin  seinen  Grund  haben,  dass  man  eben  den  Nachweis  jener 
Vorzüge  nicht  für  erbracht  hält.  In  der  That  würde  z.  B. 
mir  genügen,  wenn  diese  Theorie  richtig  wäre,  d.  h.  falls 
aus  ihr  diejenigen  Rechtssätze  äch  ergeben,  welche  bestehen, 
und  nicht  solche  Rechtssatze  sich  ergeben,  welche  weder  be- 
stehen noch  bestehen  sollen. 

Dass  mittelst  der  Kreationstheorie  sich  genösse  schwierige 
Fragen  des  Rechts  der  Werthpapiere  einfacher  lösen  lassen 
als  mittelst  der  Vertragstheorie,  ist  ja  selbstverständlich,  und  diese 
bestechende  Einfachheit  hat  wohl  vor  Allem  dem  Kuntze 'sehen 

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fliT  iat  D«uticbe  Reicb.  159 

Theorem  jetzt  sogar  zur  Anerkennung  in  dem  Entwurf  des 
bürgerlichen  Gesetzbuchs  verholfen.  Aber  ich  habe  wieder- 
holt bemerkt,  dass  die  ^nfachheit  eines  Prinzips  so  wenig  für 
dessen  Richtigkeit  als  für  dessen  Zweckmässigkeit  entscheidet 
Nichts  wäre  einfacher  als  die  Feststellung,  dass  Jedermann 
denjenigen  Schaden  ersetzt,  welchen  er  auch  nur  äusserlich 
verursacht  hat ;  dass  jeder  Dieb  gehängt  wird ;  dass  jede 
Handel^esellschaft  eine  juristische  Person  sei;  dass  das  Zins- 
maass  in  keinem  Falle  fUnf  Procent  übersteigen  dürfe;  dass 
»mter  befreiender  höherer  Gewalt  ganz  bestimmt  und  absolut 
bezeichnete  Unßllle  zu  verstehen  seien  u.  v.  a.  Aber  solche 
»Einfachheit«  ist  nur  allzuhäufig  ein  Kennzeichen  des  noch 
unentwickelten  Rechts,  während  das  hochentwickelte  Recht 
der  Gegenwart  sich  mit  so  dürftigen  absoluten  Rechtssätzen 
nicht  begnügen  kann.  Die  schwierigen  Interessenkollisionen 
lassen  sich  nicht  mit  einer  einfachen  abstrakten  Formel  durch- 
hauen. 

.Wirklichen  Verkehrsbedürfnissen,  welche  etwa  eine  Haf- 
tung des  Ausstellers  auch  des  imbegebenen  Papiers  erfordern 
—  ob  solche  unter  Umständen  vorliegen,  soll  an  dieser  Stelle 
nicht  erörtert  werden  —  lässt  sich  durch  Special gesetze,  durch 
Schadensersatzpflicht  aus  erweislicher  Nachlässigkeit  abhelfen, 
geeigneten  Falles  wird  das  Interesse  an  der  Aufrechthaltung 
des  eigenen  Kredits  die  Schädigung  redlicher  Nehmer  ver- 
hüten. 

Weiter  zu  gehen,  muss  entschieden  widerrathen  werden. 
Keinesfalls  dürfte  die  entsprechende  Regelung  isolirt  für 
die  Inhaberpapiere  erfolgen;  es  bedtlrfte  der  genauen 
Untersuchung,  wie  weit  entsprechende  Rechtssätze  auch  für 
die  Orderpapiere,  vielleicht  für  gewisse  Rektapapiere 
statthaft  erscheinen.  Den  inneren  Zusammenhang  des 
Rechts  der  »Werthpapiere«  ignortrt  der  Entwurf 
vollständig.  Man  wird  sich  entschliessen  müssen,  entweder 
das  Recht  der  Inhaberpapiere  aus  dem  bürgerlichen  Gesetz- 
buch zu  entfernen  und  gemeinschaftlich  mit  den  Orderpapieren 
u.  dgl.  dem  zu  revidirenden  Handelsgesetzbuch  zuzuweisen 
oder^doch  mit  der  Neu-Redaktion  des  Handelsgesetzbuchs  ge- 
meinschaftlich zu  berathen,  will  man  zu  harmonirenden  Rechts- 
sätzen gelangen.  Es  wäre  geradezu  unerträglich,  falls  für 
den  Wechsel  ein  anderes  Grundprinzip  aufgestellt  würde  als 


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160    I)ie  Kreationitheorie  and  der  Entwurf  eine«  bar|>erIicheD  G«»etibnclu  etc. 

für  das  Inhaberpapier.  Bereits  in  dem  von  mir  redigirten  Be- 
richte der  Vorkommission  (Zeitschr.  f.  Handelsr.  XX  S.  140) 
heisst  es:  »Das  Recht  der  Inhaberpapiere  ist  im  Zusammen- 
hange des  bürgerlichen  Gesetzbuchs  festzustellen,  vorbehaltlich 
der  etwaigen  späteren  Zuweisung  an  das  Handelsgesetzbucbf 
und  ist  damit,  wie  auch  sonst  am  Schlüsse  des  Berichts  (eod. 
S.  149),  die  Noth wendigkeit,  zwischen  dem  Handelsgesetzbuch 
und  dem  bürgerlichen  Gesetzbuch  Uebereinstinunuiig  herzu- 
stellen, entschieden  betont  worden.  — 


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6. 
INHABER-,  ORDER- 

UND 

EXECUTORISCHE  URKUNDEN 

KLASSISCHEN  ALTERTHUM. 
(1889.) 


Goldichmidt,  VeimbcbtsSelirift«.  Q.  II 

Digitizecy  Google 


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Einleitons 165 

I.    Recbt  der  oricDtalischen  Völker 167 

I,    Order-,  Inhaber-,  Execntiv-Klanieln  d«i  mittelalterlichen  Rechts  i63 

3.  Die   syngrapha    in    der  Rede  des  Demoithenet   c.   LacriEom. 
Eieculivklansel 173 

4.  Die  Iiuchrift  tod  Orchomenoi,  betrefTend  die  DarlehetugeschUte 

der  NikareU 17Ö 

5.  Die  amoi^iniuhea  Anlehentarknnden 180 

6.  Späterer  helleninitcher  Qnelienkrei» 184 

7.  Ceuion  im  griechischen  Recht? 185 

8.  Fhiatat    Ouculio;    ai/ißokov   in    Plaatus'    Bacchides   und   bei 
l.jäaa 192 

9.  Klauiel    eive   ad    quem    ea   les    pertinebit,      Verpflichtung   zu 
GnnsteD  nnbestinimter  Gliubiger 196 

■O.    Die  Orderanweiiung :   I.   II  D.  de  novit 198 

II.    Ueberweisungikelte.     Scontratton,     Schlutt 304 


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Inhaber-  und  Order-Papiere  sowie  ezecatorische  Urkunden 
gelten  als  dem  klassischen  Alterthum  unbekannt,  hinsicht- 
lich der  Wechsel  mmmt  dies  mindestens  die  herrschende 
Meinung  ein. 

Lässt  sich  nun,  wie  mir  scheint,  der  sichere  Nachweis 
erbringen,  dass  diese  Annahme  in  allen  TheUen  ungegrUndet 
ist,  so  bedarf  es  doch  zuvor  einer  Verständigung  über  den 
Umfang  des  für  die  entgegenstehende  Behauptung  zu  er- 
bringenden Beweises. 

So  ist  z.  B.  der  heutige  Wechselbrief  wirthschaftlich  wie 
rechtlich  ein  von  dem  mittelalterlichen  Wechselbrief  sehr  ver- 
schiedenes Institut.  Der  letztere,  und  zwar  gleichmäs^g  in 
den  beiden  Gnmdformen  des  (domicilirten)  Eigenwechsels  wie 
der  Tratte,  ist  lediglich  urkundliche,  wenngleich  durch  strenges 
Urkundenrecht  gesicherte  Zuweisung  einer  (empfangenen  oder 
allenfalls  als  empfangen  fingirten)  Geldsumme  nach  auswärts ; 
er  ist  dagegen  weder  Urkunde  Über  eine  abstrakte  Geld- 
forderung, noch  ist  er  im  Sinne  des  heutigen  Rechts  in- 
dossabel. 

Hat  aus  dem  heutigen  vollkommenen  Inhaberpapier  der 
Berechtigte  ein  durchaus  selbstständiges,  durch  Einreden  ans 
der  Person  des  ersten  Nehmers  wie  sonstiger  Vormänner  an 
sich  nicht  zerstörbares  Recht,  so  hat  es  doch  viele  Jahrhun- 
derte gewährt,  ehe  diese  Selbstständigkeit  des  > Inhaberrechtsc, 
mag  sie  auch  vielleicht  schon  ursprünglich  im  Keime  vor- 
handen gewesen  sein,  zur  vollen  rechtlichen  Anerkennung  ge- 
langt ist 

Die  Vollentwicklung  der  »Scripturrechtspapiere«  (nach 
Brunners  Bezeichnung  »Papiere  öffentlichen  Glaubens*)  voll- 
zieht sich  So  in  sehr  langen  Zeiti^umen.  Die  Geschichte  dieser 
Entwicklung    ist    noch    zu    schreiben   und   erfordert    genaue 


ogic 


166   Inbabei-,  Otdci-  und  ezecutorisclie  Uilmnden  im  klucUcben  Alurtliuiii. 

Kenntniss  des  sich  allmäUg  entfaltenden  Gewohnheitsrechts 
wie  des  theils  hemmenden,  theils  fördernden  römisch-kanonischen 
Privat-  und  Prozess-Rechts  in  seiner  mittelalterlichen  Aus- 
bildung, nicht  minder  aber  des  germanischen  Urkimden-,  Forde- 
rungs-  und  Prozess-Rechts.  Jeder  Sachkundige  weiss,  dass  in 
allen  diesen  Richtungen  noch  sehr  viel  zu  thun  ist. 

Dagegen  wird  für  die  Frage,  ob  bereits  das  Alterthum 
die  vorhin  genannten  Institute  gekannt  hat,  der  Nachweis  ge- 
nügen, dass  vor  der  germanischen  Epoche  gleiche  Rechts- 
erscheinimgen  vorhanden  sind ,  wie  sie  die  primitiven  Ge- 
staltungen des  mittelalterlichen  Rechts  enthalten.  Ja  man 
darf  glauben,  schon  damit  die  geschichthche  Forschung  zu 
fördern,  wenn  man  nur  im  klassischen  Alterthum  gleiche 
Thatbestände  von  unzweifelhaftem  Rechtsgehalt  aufweist, 
sollte  es,  einstweilen  mindestens,  noch  nicht  gelingen,  die  ein- 
zelnen Rechtsältze  mit  Sicherheit  festzustellen,  welche  sich 
an  diese  Thatbestände  geknüpft  haben.  Die  hier  allein  zum 
Ziele  fuhrende  streng  induktive  Methode  kann  nicht  vorsichtig 
genug  gehandhabt  werden. 

Von  den  Wechseln,  welche  eine  besondere  Untersuchung 
erfordern,  soll  an  dieser  Stelle  abgesehen  werden. 

Auszuscheiden  ist  femer  das  vielbehandelte  Feld  der 
tesserae  (Marken)  der  klassischen  Zeit  Denn  wie  unzweifel* 
haft  auch  der  blosse  Inhaber  (Vorzeiger)  der  Marken  zur  Ent- 
gegennahme der  durch  dieselben  bezeichneten  Leistung  legi- 
timirt  war',  so  gehören  doch  alle  einschlägigen  Einrichtungen 
dem  Gebiet  nicht  des  Privatrechts,  sondern  des  Verwaltungs- 
rechts an  *.  Es  ist  weder  ersichtlich,  dass  —  mindestens  nach 
römischem  Recht  —  dem  Inhaber  solcher  Marken  eine  actio 
zustand,  noch  umgekehrt,  dass  die  an  den  blossen,  vielleicht 
unberechtigten  Vorzeiger  erfolgte  Leistung  mit  einem  Privat- 
rechtsmittel hatte  angefochten  werden  können. 


■  Dw  DBiMtten  Untettachangen  aber  die  attiichen  a&fiflolm  ßtr  Tlieo- 
rikm,  Ekkleduten-  nod  HeliMten-Sold  (Benndorf  n.  >.}  ».  bei  Frlnkel 
ni  Boeckh,  Die  StutahmoilidlunK  der  Athener,  3.  Antg.  n  Note  411,  430, 
43I1  439  (S*  C4*fr.);  über  rSmiicha  U«ene  (aüfiflola)  frnmenteriae  etc.: 
Marqukrdt,  ROmiKbe  Stutrrannltung  II  S.  133  Note  3,  S.  134  Note  8, 
S.   135  Note  5,  S.   latf;  m  S.  476  Note  3,  3,  S.  $15  (538?). 

*  Fernice  in  d«  ZeltMhr.  f.  RechttKeMh.  N.  F.  VS.99f.,  103  ff.,  iio. 


Rccbt  der  orlcnUdhchcii  Völker. 


1. 


Aus  dem  Recht  der  orientalischen  Völker  ist  gar 
nichts  hinsichtlich  der  Phönicier  und  Karthager  bekannt.  Denn 
das  vielbesprochene  karthagische  »Ledergeld*  (»etwas«  in  ein 
Stück  Leder  von  der  Grösse  eines  Stater  eingewickeltes) '  war 
nur  MUnzzeichen,  es  lief  als  Geld  an  Stelle  des  Metallgeldes 
um  —  dass  sich  an  dessen  Innehabung  irgend  welche  Privat- 
rechtsansprilche  knüpften,  ist  unglaublich,  nicht  einmal  ein 
Einlösungsrecht  irgend  welcher  Art  ist  bezeugt. 

Neuerdings  ist  behauptet  worden,  das  unzweifelhaft  grosse 
Handelsvolk  der  Babylonier  habe,  sicher  im  7.  oder  doch  6.  Jahr- 
hundert vor  unserer  Zeitrechnung,  die  Ordenu'kande  gekannt, 
aber  ich  vermisse  fUr  diese  Annahme  jeden  Nachweis.  Denn 
wenn  Revillout,  les  obligations  en  droit  Egyptien,  appea- 
dice:  sur  le  droit  de  la  Chaldfe  (1886)  p.  467  behauptet,  der 
ihudut  (?)  des  Bankiers  sei  eine  Art  auf  Sicht  lautendes  ibillet 
k  ordre«,  so  erhellt  dies  mindestens  nicht  aus  den  beigebrachten 
Urkunden.  Ebensowenig  ist  ersichtlich,  mit  welchem  Grunde 
die  zum  Theil  unleserlichen  Urkunden  aus  den  Jahren  536 
and  524,  auch  wenn  sie  richtig  gelesen  und  übersetzt  sind, 
von  Oppert  et  Mßnant,  documents  Juridiques  de  l'Assyrie 
et  de  la  Chaldfe  (1877)  p.  266,  268  als  »biUets  ä  ordre«  be- 
zeichnet werden  —  oder  soll,  wie  das  bei  französischen  Juristen 
mitunter  begegnet,  dieser  Ausdruck  nicht  technisch,  sondern 
für  ein  freibegebbares  Papier  überhaupt  verstanden  sein? 
Weim  endlich  Lenormant,  histoire  ancienne  de  l'Orient 
9.  ed.  (1887)  V.  p.  117  in  dem  komplicirten  Kreditgeschäft  vom 
Jahre  553,  welches  vielleicht  einen  Wechsel  (sipartu  (?)  =  Sende- 
brief) enthält,  daraus,  dass  neben  dem  benannten  Gläubiger 
ein  Präsentant  nicht  benaimt  ist,  folgert,  dass  jeder  Inhaber 
des  Thontäfelchens  legitimirt  sein  solle,  so  ist  dieser  Schluss 
augenscheinlich  ungerechtfertigt.  Immerhin  erscheint  ja  die 
Möglichkeit  eines  derartigen  Sachverhalts  und  der  durch  das  so 
umfangreiche,  noch  unedirte  Urfeundenmaterial  zu  erbringende 
Nachweis  wirklicher  Order-  und  Inhaber-Urkunden  in  baby- 
lonischer Zeit  keineswegs  ausgeschlossen''. 

■  Aecbina  Eiyxiu  17  p.  399E  bis  400A  (Steph.)  Ariitid.  iff6t  nkä- 
raim  öxig  rnrnpan-  XLVI  (11  p.  195  Dind.). 

>  Die   von   Volt    g^en  HypolbeMn  Rawliiisoiia    «utgaMeUteii  aH- 


,  Cioogle 


168  luh&ber-,  Order-  und  ezecntoriich«  Udcnnden  im  klKtiiidien  Alteräinm. 

Wenn  ferner  Kuotze,  Inhaberpapiere  S.  47  ff.  die  Ver- 
muthung  aufstellt,  es  könnten  die  hellenischen  syngraphae 
unter  dem  Einfluss  des  späteren  (im  babylonischen  Talmud 
4.  Jahrh.  □,  Chr.  fizirtes)  jüdischen  Rechts  allmälig  den  Cha- 
rakter (modemer)  Scripturobligationen  angenommen  haben,  so 
wird  nunmehr,  wenn  sich  die  iScripturobltgationc  schon  im 
vortalmudischen  Recht  der  Hellenen  erweisen  lässt,  wohl  die 
umgekehrte  Annahme  gerechtfertigt  erscheinen.  Die  einzige 
Erwähnung  nämlich  von  Urkunden,  welche  rechtlich  als  In- 
haberpapiere behandelt  wurden  (Tractat  baba  batra  172  a.  b), 
knüpft  an  die  Namen  zweier  erst  im  3.  und  4.  Jahrhundert 
n.  Chr.  lebenden  Rechtslehrer  (R.  Hana  und  Rabbah)  an'. 
Uebrigens  enthält  der  Talmud  (Tractat  Gittin  IS*»)  sicher  auch 
die  Orderklausel":  »Ich  verpflichte  mich  Dir  und  jedem,  der 
durch  Dich  fordert.«  Die  Weiterentwicklung  des  talmudiscben 
Rechts  interessirt  hier  nicht. 


Behufs  Gewinnung  eines  sicheren  Vergleichspunktes  soll 
paradigmatisch  von  den  ältesten  bisher  bekannten  Order-  und 
Inhaber-  sowie  Executiv-Urkunden  bezw.  Formeln  ausgegangen 
werden. 

1.   Orderklausel. 

—  Quod  si  non  fecero  —  pro  duplum  —  me  aut  heredis 
meos  aut  heredes  vestri  »aut  cui  hanc  cautionem  dederitis  exi- 
gendam<  teneatis  obnoxium (Marculfi  form.  II  [Zeumer  p.  92]). 

—  rem  vestra  redete  debiam  et  caucionem  meam  recipere 
facias  aut  tibi  »aut  cui  caucione  ista  dederis  ad  exagendum«^ 
(Form.  Andecav.  22  [Zeumer  p.  11]). 

—  aut  vobis  »aut  cui  caucione  ista  dederis  ad  exagenda< 
(eod.  38  [Zeumer  p.  17]). 

—  aut  vobis  *aat  cui  caucionem  istas  dederis  ad  exageada« 
(eod.  60  [Zeumer  p.  25]). 

g«nieiiieD  BedeDken  —  t.  Knntie,  Die  Lelue  tod  d«D  Inluberpapiereii 
S.  36  —  and  k«iietw«gt  Bbeneogeud. 

■  S.  die  Stelle  «ntfltlirlich  bei  L.  Auerbach,  Du  jadbcbe  ObligMioneQ- 
recht  Bd.  1  (1S70)  S.  246fr.,  370«: 

>  Von  Aaetbacli  S.  282 ff.  nicht  Tentanden. 


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Order-,   Inhaber-,  ExecutiTkUnsdn  det  mitteUlterlichen  Rechts.       169 

Zugleich  mit  Executivklausel: 

—  Qui  (I.  Quod)  si  minime  fecero  et  diem  huius  meae 
caocionis  excessero,  iuratus  dico  per  hoc  et  illud,  quia  >Iiceat 
tibi  cautionem  meam  cui  tu  ipse  volueris  tradere  et  adibito 
(adhibito?  a  debito?  ad  libito?)  mihi  excutere  (executare?) 
supradicta  pecunia  una  cum  beneficio  suo  dupplicata  cogar 
exolvere*  (Form.  Visigoth.  38  [Zeamer  p,  591]). 
Urkunden  :< 

760.  —  a  quis  de  heredibus  vel  coosortes  meos  contra 
suprascripta  Sindruda  vel  contra  illo  homine  »cui  ipsa  hanc 
pagina  ad  exigendo  dederett  —  causare  —  presupserit  — 
(Memorie  dl  Lucca  V  2  Nr.  65). 

882.  —  ubi  ego  bei  meos  heredes  bobis  >bel  cui  tu  isto 
cautn  in  manum  emiseritisc  reddederimus  sol.  4  —  (Cod.  Cav.  I 
Nr.  91)  u.  V.  a. 

In  der  später  üblichen  Orderform: 
Bedingter  Eigenwechsel: 

1160.  —  Nos  bonus  iohannes  tinea  et  adalasia  jugales 
accepimus  a  te  wilielmo  borone  libras  10  den.  ianuens.,  quas 
»tibi  vel  tuo  missoc  per  nos  vel  nostrum  missum  dabimus  per 
totam  istam  estatem.  si  non,  in  scicilia  dabimus  >nuncio  tuo 
iooathe  cerriolo  ant  ei  quem  mihi  ordinaverisi  uncias  auri  6 
(Monum.  hist.  patr.  Chart.  II  Nr.  882  col.  650). 

Die  üblichen  Klauseln  fasst  präzise  zusammen  z.  B.  die 
Urkunde  vom  16.  August  1156  (eod.  Nr.  335  col.  343):  — 
de  quibus  promitto  reddere  tibi  >vel  tuo  certo  missof  —  libr.  40 
usque  proximas  kalendas  augusti.  quod  si  non  fecero,  penam 
dupli  tibi  stipulanti  promitto.  pro  sorte  et  pena  bona  pignori 
tibi  subücio,  »intres  et  extimare  facias  tua  auctoritate  et  sine 
consulum  iussu  et  facias  quicquid  voluerisc '. 


<  Hoch  anifllhilichct  lautet  die  EiecutlTklaosel,  in  der  auch  die  Klamel 
•tibi  Tel  tao  ceito  tnisio*  entbaltendeii  Urkunde  Tom  S.  Juni  1156  (eod. 
Nr.  316  col.  333):  imde  pro  lorte  et  pena  bona  quae  habemni  et  habitmi 
»nmin  tibi  pignori  lubjidmiu  tali  pacta,  qood  ti  at  »upenn*  continetor,  non 
uUttumi  liiiiin,  exinde  lic«at  tibi  intrare  in  bonis  noitiü  qae  volneri«  in  solttttim 
pro  Sorte  et  pena  tua  inctoritate  et  tine  conmlam  ioisu  et  fadaa  inde  quicqnid 
volneria  sine  omni  nosCra  noatrorumqae  heredacn  contradictione  et  omniom 
penonaniin  pro  nobii. 


170  Inb&bet-,  Ordn*  und  executorische  Uikuoden  im  kkstischeD  Alterthnm. 

2.    Inhaberklausel, 
a)   alternative   bezw.   konjunktive: 
Mit  Stellvertretungsvermerk  (wohl  richtiger  als  Orderklausel 
zu  bezeichnen): 

z.  B.  Urkunde  821  —  obligavit  se  nobis  »vel  cui  istum 
brebe  in  manu  paruerit  in  vice  nostrac  —  (Cod.  Cav.  I  Nr.  11). 

964  —  componere  obligabimus  —  tibi  nominati  lohanni 
»vel  cui  anc  cartulam  vice  vestra  in  manu  parueritc  —  (Cod. 
Cav.  11  Nr.  225). 

Ohne  Stellvertretungsvermerk : 

850  —  in  tua  qui  supra  Periteo  presb.  >vel  de  illum 
homine,  qui  bunc  meum  iudicatum  pre  manibus  abuerit  ad 
exi[ge]ndum  et  dispensandumc  —  (Memorie  di  Lucca  IV.  2. 
App.  Nr.  46). 

928,  —  componere  ipsorum  Grimperti  et  loccardi  et  ad 
eonim  eredes  »seu  cui  hunc  scriptum  in  manum  parueritt 
50  aureos  sol.  (Cod.  Cav.  I  Nr.  148). 

974.  —  componere  obligaverunt  se  suisque  heredibus,  mihi 
ivel  cui  hunc  brebem  in  manu  paruerit«  30  auri  sol.  In  der 
gleichen  Urkunde  findet  sich  alternative  Kombination  der  Order- 
klausel und  der  Inhaberklausel:  ille  homo  >cui  per  me  disposi- 
tum  fuerit  vel  cui  huac  brebem  im  manu  paruerit*  —  (Cod. 
Cav.  II  Nr.  276).    Desgleichen : 

993.  —  obligabenmt  se  et  suis  eredibus  mihi  »et  cui  vel 
ubi  per  me  dati  parueritc  et  ad  nostris  eredibus  >et  cui  carta 
ipsa  in  manum  parueritc   100  auri  sol.  (Cod.  Cav.  III  Nr.  463). 

Hier  mag  noch  der  merkwürdige  genuesische  Eigenwechsel 
mit  Kursberechnung  vom  18.  September  1162  (Chart  11  Nr. 
1183  col.  809)  genannt  werden,  wo  es  heisst: 

solvemus  infra  mensem  postquam  sciciliam  pervenerimus, 
uncias  auri  31  '/j  muncio  tuo  vel  nomine  mathei  vel  man- 
fredi  de  portinco  vel  tuo  certo  nuncio,  ei  scilicet  quod  cartu- 
lam sarracenicam  quam  tibi  relinquimus,  nobis  aut  uni  nostrum 
exhibuerit«. 

b)  Reine  Inhaberklausel. 
Urk.   968.    —    siant  obligatos   —   componere  homini  illi 
>cui  scriptum   in  manu   parueritc    50  sol.    —    (Cod.   Cav.  11 
^-.  257). 


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Order-.  Inhaber-,  Ex«cntivklftiu«ln  de«  mitteldterlichen  Rechts.       171 

997.  Verbindung  der  Order-  und  Inhaberklausel :  —  obli- 
gaverad  se  et  suis  heredibus  ut  —  darent  ipsi  filÜ  mei  >ad 
ille  omo  cui  per  me  dispositum  fuerit  —  9  auri  tari  — ;  et 
ü  ipsi  filii  mei  —  taliter  >ad  iUe  omo  cui  per  me  dispositum 
fuerit  et  cui  scriptum  iste  in  manum  parueritt  pro  mea  parte 
DOn  adimpleven[n]t,  componere  obligaverunt  se  et  suis  eredi- 
bus  lad  ille  omo  cui  scriptum  iste  in  manum  paruerit«  tO  auri 
sol.  {Cod.  Cav.  III  Nr.  514). 

Hinsichtlich  der  Executivklausel  mag  noch,  statt  aller, 
auf  das  Formular  bei  Rolandiaus,  aurora'  gewiesen  werden: 

—  possint  ex  pacto  ipsos  debitores  et  quemlibet  eorum  in 
solidum  ad  solutionem  dicti  debiti  faciendam  in  dicto  termino 
et  ad  omnia  et  singula  in  hoc  contractu  contenta  efficaciter 
obsenranda  realiter  et  personaliter  convenire.  Femer:  ita,  quod 
a  termino  in  antea,  si  tunc  solutio  facta  non  fuent,  liceat  ex 
pacto  ipsiscreditoribuset  cuiamque  ipsorumpropria  auctori- 
tate  sine  curiae  proclamatione  aut  aliqua  denunciatione 
vel  aliquo  praeiudicio  dictonim  bonorum  —  ingredi  possessio- 
nem  etc.     Desgleichen  Durantis,  speculum'.  —  — 

An  diese  primitiven  Formeln  soll  gehalten  werden,  was 
aus  dem  klassischen  Alterthum  auf  uns  gelangt  ist.  Jedoch 
bedarf  es  noch  einer  ergänzenden  Vorbemerkung. 

Neben  den  vollkommenen  Inhaberpapieren  des  heutigen 
Rechts  giebt  es  unvollkommene,  nSmlich  solche,  welche  zum 
Empfange  der  Leistung  nicht  in  dem  Sinne  legitimiren,  dass 
der  Rechtsausweis  (die  Legitimation)  gegenüber  dem  Aus- 
steller (Schuldner)  erübrigt,  sondern  nur  in  dem  Sinne,  dass 
der  Aussteller  (Schuldner)  sich  durch  Zahlung  an  den  In- 
haber befreit;  sie  sind  an  den  Inhaber  gültig  zahlbar,  aber 
nicht  von  dem  Inhaber  als  solchem  exigibel,  sofern  der  Aus- 
steller (weiteren)  Recbtsausweis  verlangt.  Sie  kommen  vor 
als  Papiere  mit  der  reinen  oder  mit  der  alternativen  Inhaber- 
klausel (von  Brunner  genannt  »hinkende  Inhaberpapierei) 
und  als  schlichte  Namenpapiere,  welche  gleichwohl  an  den 

<  Briegleb,  Ueber  esecatoriiche  Urkunden  11  S.  6i  ff. 

*  Briegleb,  eod.  II  S.  77  ff.  Der  Znnmineiihang  der  EiecatiTkluu«! 
mit  dem  UngobudischeD  VolkiTBcht  —  *.  W&ch,  Der  itolienliche  Arred' 
piote«  I  S.  l6ff.,  54?.  nnd  dort  aacb  die  Urknndcii  von  796,  819,  vergl. 
Schrftder,  Deaticbe  Recbttgefchiehte  S.  366  [3.  Aufl.  S.  366,  367]  —  iit 
hier  nicht  za  Terfolgeit. 


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172   Inluber-,  Order-  und  executoriKhe  Urkunden  im  kluasclten  Alterthnm. 

blossen  Inhaber  gezahlt  werden  dürfen  (von  Brunner 
ihinkende  Namenpapiere«  genannt).  Beide  Klassen  der  un- 
vollkommenen Inhaberpapiere  sind  artenreicher,  als  angenommen 
zu  werden  pflegt.  —  Der  gleiche  Gegensatz  begegnet  bei  den 
Orderpapieren. 

Finden  sich  nun  im  klassischen  Alterthum  Urkonden, 
welche  nach  ihrer  Form  als  Inhaber-  oder  als  Order-Papiere 
erscheinen,  so  ist  damit  allein  noch  nicht  entschieden,  ob  sie 
der  Klasse  der  vollkommenen  oder  der  unvollkommenen  (»hinken- 
dem) angehören,  und  es  wird  häufig,  in  Ermangelung  ander- 
weitigen Anhalts,  sich  diese  wichtige  Frage  gar  nicht  oder 
nur  mit  annähernder  Gewissheit  entscheiden  lassen.  FUr  den 
hellenistischen  Quellenkreis  scheint  mir  das  vollkonmiene  Order- 
und  Inhaber-Papier  sicher  zu  sein;  fUr  den  römischen  wird 
sich  zwar  das  vollkommene  Orderpapier,  wenn  auch  nur  in 
Gestalt  der  Orderanweisung,  nicht  bezweifeln  lassen,  dagegen 
begegnet  von  den  Inhaberpapieren,  soviel  ich  sehe,  nur  das 
unvollkommene,  und  auch  dessen  römische  Herkimft  bezw. 
Verwendung  ist  keineswegs  sicher. 


Die  vielbesprochene  Seedarlehensurkunde  (avyyQaipij)  in 
der  etwa  341  verfassten  angeblich  Demosthenischen  Rede  c. 
Lacritum  (XXXV)  10—13  von  zweifelhafter  Echtheit"  ent- 
hält die  Hypothecirung  der  zu  tadenden  3000  Amphoren  Wein 
mit  der  Klausel,  dass  diese  Ladung  von  jeder  anderen  Schuld 
frei  sei  und  nicht  für  ein  anderes  Darlehen  verpfändet  werden 
dürfe.  Demnächst  heisst  es:  Nach  glücklicher  Rückkehr  (in 
den  Piraeus)  soll  das  Pfand  unberührt  zur  Verfügung  der 
Gläubiger  bis  zu  deren  voller  Befriedigung  bleiben.  Weiter: 
iäy  di  ft^  änodiöaiv  h>  T^  üVfMtfiivffi  XQOVt/},  to 
vtroxsifisva  rdlg  davsiaaaiv  i^iaita  vrco^eivat  xat  ano- 


•  S.  aber  die  alte  Stteilüaee  jeUt  einendtt  C.  Wschinintli,  Rhein. 
Museum  f.  PhiloL  N.  F.  40  5.  301  ff.,  andereneiti  Christ,  Abb.  dei  Bayr. 
Akad.  Pbil.  Kl.  XVI  Abth.  UI  (18S3)  S.  361  ff.  und  Thalheia,  Heimes 
XXIII  S.  333  ff,  und  Liptint  tu  Meier  nnd  Schömum,  Der  attUche  Proies* 
S.  679  Note  543,  Ueber  die  kritischen  und  tprachlichea  Gründe  gegen  die 
Echtheit  erlaube  ich  mir  kein  Urtheil  (ist  das  Fehleo  der  Urkunden  in  der 
Attikusausgabe  ein  sicherer  Beweis  tpKterer  Erdichtung!),  «achliche  Bedenken 
beslshon  m.  E.  gegen  die  Echtheit  nicht. 


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Die  sjngrapha  in  der  Rede  d«s  Demotthene«  c.  Lacritam.  Execulivlclaasel.  173 

äöa&ai  x^g  vnaqxovaijg  rifiijg.   xat  löm  ti  ikXein:t]  %ov 
äqyvqiov    o    del    yevia&ai    xoTg    davEtaaai    Tunä   t^v 
avYyetffpyy,  itenä  ^i/tiftavog  xai  j^noXKodi&qov  eOTia 
■q  tc^ä^ig  xoig  davBiaaat  xal  ex  TWVTOvtwv  anctynav, 
xat    iyyvtav    xai   yavrixtäv,    navraxov   orfov    av    niai, 
xa^djttf)   Slxtjv  (a^Xijx^tav  xat  vrte^ftiQtoy  oy- 
x(i)v,    xai    ivt   hunig^)    TtSy    6aveiaävto>v   xal    afnpo- 
zegoig. 
Wenn  nach  Verfall  der  Seedarlehensschuld,  d.  h.  innerhalb 
20  Tagen  nach  der  Rückkehr,  die  Schuldner  nicht  zahlen,  so 
dürfen  die   Gläubiger   sich   in  den   Besitz  der  Pfandobjekte 
setzen   und   dieselben   zum  Preise,   welchen   sie  erziel^i,   ver- 
kaufen.    Bleibt   danach  noch   ein   Schuldrest,   so   dürfen  die 
Darlehensgläubiger  gegen  die  Schuldner  (Artemon  und  Appol- 
lodor)  Esecution  vollstrecken  auf  all  deren  Gut,  Landgut  und 
Seegut,  aller  Orten,  wo  sich  solches  befindet,  gleich  als  wäre 
gegen   sie  ein   verurtheilendes  Erkenntniss  ergangen   und  sie 
befänden  sich  in   Zahlungsverzug,   und   es   soll  dieses  Recht 
sowohl   jedem  einzelnen   der   Gläubiger   wie   beiden   zustehen 
(aktive  Solidarität).     Den  Schluss  bildet  die  Klausel : 

xvqidtegov  de   neqi  zointav   aXktav  fiijdi*  eivai  z^g 
av^fnatp^g  — 
was  §  39  noch  ausführlicher  dahin  wiedergegeben  wird ; 

^  ftiv  yafj  avyygaify^  ovdev  xv^ibiTepov  i^  elvai  twv 
iyyeygafifihtm' ,  ov3^  ttgoaifiigeiv   oyre  vöfiov  ovve  i/)ij- 
(ptafia  oiJr'  äXX'  ow5'  bvtovv  regög  zijv  avyy^aqiijv. 
Mag  nun  auch  die  vorliegende  Urkunde  von  den  späteren 
Grammatikern   nach  anderen  Mustern  fabrizirt  sein,   so  unter- 
liegt es  doch,   nach   dem  sonstigen  Inhalt   der  Rede,   keinem 
Zweifel,   dass  die  in  der  Urkunde  erwähnten  Vereinbarungen 
wirklich  getroffen  worden  sind;  s.  z.  B.  21,  24,  37,  38,   39. 
Nicht  erwähnt   wird   in   der  Rede   freilich  die   ausbedungene 
„nTpö^ig",   aber  zu   dieser   ist  es  im  konkreten  Falle,   da   die 
Schuldner  theils  die   zugesagten  Pfandobjekte   gar   nicht   ge- 
laden,  theils  den  Gläubigern  zu  entziehen  verstanden  hatten, 
gar  nicht  gekommen. 

Dass  in  Demosthenischer  Zeit  im  Seedarlehensgeschäft, 
dem  wichtigsten  Spekulationsgeschäft  des  AUerthums,  die  be- 
treffenden Vereinbarungen  und  Vertragsklauseln  üblich  waren, 
erweisen : 

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174  Inhaber-,  Order-  und  executorisch«  Urknnden  tm  klastUdien  Alterthnm. 

Demosthenes  c.  Apaturios  (XXXIII)  6: 

ol   xß'?"^"^'   Kcet^fietyov  atTÖv  anaitovrreg  xai  «-b- 
ßtkevov  eig  t^v  vavv,  eU.t]tp6teg  iji  vnEQijftBelg, 
insbesondere  aber  Demosth.  in  Dionysodor.  (LVI): 

38:    Ha/  de  /i^  ^aQdaxo>ai  tä  {uroxel/jeva  ifttfav^  xai  avi- 
ftatpa,   ^  TtoiT^ataat  zi  na^  zijv  avyygaipijv,   anodidö- 
zioadv  ömXäata  tä  xeW'^"  (po^"^  dupli), 
vgl.  39 ff.: 

45:    ^    3i   avyy^qirj   xe^tiei,    iav    fi^   naQix<oaiv  liiipainj 

t^v  vavv,  anOTiveiv  avzois  Sinhiuia  tu  xe^f^f*^^]  '^V* 

de  ngS^tv  tlvai  xai  i^  ivog  xai  i^afttpoir  (passive 

Solidarität). 

Allerdings  dafür  findet  sich  m.  W.  aus  älterer  Zeit  kein 

Beleg,    dass   die    figä^ig,    wie    laut   aty/yqafpr,   der    Rede    in 

Lacritum,   nach  ausdrücklicher  Vereinbarung  über  das  Pfand 

hinaus  auf  alle  Güter  des  Schuldners  erstreckt  wird ;  immerhin 

and  derartige,  wenn  auch  sehr  beschwerende  Vereinbarungen 

für  sintere  Zeit  unzweifelhaft   bezeugt,   und   kttnnen  auch  in 

Demosthenischer  Zeit  vorgekommen  sein. 

Zur  Erläuterung  der  bisher  anscheinend  nirgends  eingehend 
erörterten  Lehre  von  der  nreä^ig^  mag  bemerkt  werden: 

Bekanntlich  steht  nach  attischem  Recht  ans  verurtheilen- 
den  Erkenntnissen  die  Execution  dem  obsiegenden  Kläger 
selbst,  ohne  staatliche  Intervention  zu,  sofern  nicht  öffentliche 


'  Es  i»t  beieicbnend,  dafi  sogar  du  technische  Wort  in  den  Sachregistern 
von  Hermann,  Thalheim,  Meier  und  SchSmann  (Lipsius)  gar  nicht 
crwihDt  wird  [vgl.  jetit  aber  Thalheim,  4.  Aufl.,  1S95,  S.  103  und  18t]. 
Boeckh,  ätutshauihalt ,  hat  nqüiriiv,  elajigäTTut'  nur  in  der  all- 
gemcinen  Bedeutung  von  eimiehen,  einlLassiren  (111  S.  70,  73).  Gneist, 
Die  formellen  Verttige  de«  neueren  r(jnii*cben  Obligationenrechts,  erwihnt  die 
Klausel  in  seiner  ausführliche u  Beschreibung  der  griechischen  Urkunden  nicbt 
und  lässt  sie  sogar  bei  wfirtlicher  Wiedergabe  eioietoer  Urkunden,  in  welchen 
»ie  steht  (S.  477,  460),  weg.  Böchsenschüti,  Benili  und  Erwerb  im 
gnechischen  AlCerthum  spricht  S.  489  nur  ganz  allgemein  von  'in  Antpmch 
uehmen«.  Zuerst  hat  wohl  Perrol,  1874,  nach  dem  Citat  bei  Dareste,  anf 
die  techobche  Bedeutung  von  nfäiit  hingewiesen,  demnSchst  Dareste,  let 
plaidojers  civiU  de  Demosth^,  Paris  1S75,  I  p.  333  Note  13  (»»fcatbn 
par^,  que  nous  tronvons  en  droit  romaiu  sous  la  forme  de  U  manus  in- 
jectio.f),  vgl.  Daresle,  hulletin  de  corr.  heUen.  VlII  (1884)  p.  362ff.  und 
Reviltout,  les  ohiigations  en  droit  Egyptien  (1886)  p.  73,  304,  2W  — 
sämmtlich  ohne  nihere  Ausführung. 


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DioiTi>Knpb>  indeTRcdedetDemoMhenMG.Lacrilain.  ExecntivkIauKl.   175 

Interessen  betheiligt  sind.  Sie  vollzieht  sich  durch  Pfänduog 
des  vne^i^fie^os  (der  »Uebertägige«),  soweit  nicht  ein  Anderes 
unter  den  Parteien  vereinbart  wurde.  Widersetzte  sich  der 
Verurtheilte  der  Execution,  so  riskirte  er  die  Jt'xi;  ^|ol'JIijs 
(BesitzstOrungsklage),  welche  im  Falle  der  Verurtheilung  ausser 
Judikatssumme  und  Schadensersatz  eine  der  Judikatssumme 
gleichkommende  Busse  an  den  Staat  nach  sich  zog  '. 

Diese  Privatexecution,  ein  selbstthätiges  Einziehen*,  wird 
bereits  von  Demosthenes  als  eloTi^ärtttv,  eiafifa^ig  u.  dergl. 
bezeichnet '. 

An  die  Hypothekbestellung  kntlpfte  nun  das  Gesetz 
die  Befugniss  des  Gläubigers,  sich  im  Verzugsfalle  in  gleicher 
Weise  in  den  Besitz  des  Pfandobjekts  zu  setzen,  als  ob  gegen 
den  Verpfänder  ein  verurtheilendes  Erkenntniss  ergangen  wäre  *. 

Selbstverständlich  konnte,  was  das  Gesetz  (vielleicht  in 
Folge  üblicher  Vereinbarung)  festsetzte,  auch  durch  Verein- 
barung für  den  Fall  der  Hypothekenbestellung  bestimmt  werden, 
und  es  wäre  nur  ein  weiterer  Schritt  gewesen,  dass  solche  Ver- 
einbarung auch  über  den  Fall  der  H3T)othecirung  hinaus  für 
wirksam  erachtet  wurde.  Diese  Vereinbarung  scheint  nun  in 
späterer  Zeit  sehr  allgemein  gewesen  zu  sein;  die  Executiv- 
kiausel  begegnet  so  häufig,  dass  der  Anschein  entsteht,  sie 
habe  die  Regel  des  hellenistischen  Schuldrechts  gebildet. 


•  HeicT  und  SchömaDD,  Der  attiK^e  Proios.  Neu  bearbeitet  von 
Lipiini  S.  963if.,  665  ff.;  Th&lheim,  Griech.  Recbtsalterthamer  S.  114  fr. 
[4.  Anfl.  S.   130]. 

I  S.  I.  B.  Demosthenes  pro  Pbormione  (XXXVl)  6. 
)  S.  1.  B.  Demo*lh.  contra  Energos  und  Mnesibuloi  (XLVII)  19,  31,  35, 
30,  33,  40,  41  und  öfters.    Lex  Seg.  31t:  tlan^TtuiF  6ntfi]fiieovs- 

*  Demoith.  c  Apalurios  (XXXIII)  6:  ot  ;|^i7rsi  Kai'^jitij'oy  abiör 
üntuTovvtts  im\  tvfpitevov  tlf  Ti7f  raiy  tlltiipötie  r^  i7iCQJifi4fl<t. 
Demosth,  c.  Spoudias  (XLI)  71  löv  rofiov,  os  ovx  t^  int^^^Srjv,  öaa  tii 
ätmlfniacr  tlvai  SCxat,  out'  airoTt  aCtt  roie  tlii^orö/iott,  vgl.  to;  Bekker, 
Anekdot.  249,  iS:  Ifißarttet  ri  xb>  iaveunifv  l/tßartvaai  »al  elaei&tiv  tlc 
TU  xt^fiUTa  roD  vnoxqiou.  Ueber  die  iCxii  tfovXtts  in  diesem  Falle  s. 
Meier  und  SchSmann  (Upsiui)  S.  66;,  Thalbeim  S.  90  Note  t  [4.  Aufl. 
S.  103  Note  3}  Du  epbesiscbe  Geseti  (etwa  83  v.  Chr.)  bei  Ditten- 
bcrger,  »jll.  inKr.  Graec.  344,  auch  Thalbein  a.  a.  O.  S,  134  ff.  [4-  Anfl. 
S.  153].  Ziff.  7  fi".  bat^  tfißavtss  tlf  xirniaja  xara  ngä^ut  fjfotxni'  tÖ  «rq- 
fitsta  xal  »ifiovrai,  that  [aüror];  xv^ar  tat  Ifißnaus,  tl  /iq  ri  alXa 
txorrtt  Tipbf  airoiii  toftoluy^xamv.  Thalheim  S.  147  [4.  Antl.  S.  165] 
Qberretzt  du  xaiä  nQÜ^eit  mit  'auf  Grund  von  Vertrigen'  —  loUten  nicht 
die  Execntivakte  daiunter  verstanden  lein! 


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176  Inhaber-,  Order-  und  eiecDtomche  Viknnden  im  klutüctieD  Altenhom. 

Auf  dieses  hat  insbesondere  eine  erst  in  neuester  Zeit 
aufgefundene  Doppelreihe  von  Urkunden  ein  ungeahntes  Licht 
geworfen. 

4. 

Eine  wahrscheinlich  aus  der  Zeit  zwischen  223 — 192  v.  Chr. 
stammende,  1879  in  Orchomenos  gefundene,  7  zusammen- 
gehörige Urkunden  enthaltende  Inschrift '  stellt  die  sehr  merk- 
wtlrdigen  Schuldverhältnisse  zwischen  der  Stadt  Orchomenos 
in  Böotien  und  der  GUubigerin  Nikareta  aus  Thespiae  dar. 

Nikareta  hatte  auf  die  jener  Zeit  stark  verschuldete  Stadt 
Orchomenos  4  (oder  5)  durch  Schuldverschreibungen  —  im 
böotischen  Dialekt  aovyy^atpov  genannt  —  verbriefte  Forde- 
rungen, deren  Gesanamtbetrag,  anscheinend  mit  inzwischen  ver- 
fallenen Zinsen,  sich  auf  18,883  Drachmen  belief.  Diese  fälhgen 
Forderungen,  über  welche  Verzugsurkunden  0me^\rj\fttQiai) 
behufs  Liquidstellung  und  Exequirbarkeit  aufgenommen  waren, 
Hess  Nikareta  vor  den  Thetmophylakes '  von  Thespiae  regi- 
striren,  einigte  sich  aber  mit  der  Stadt  Orchomenos  dahin, 
dass  der  Schuldbetrag  ohne  weitere  Zinsen,  innerhalb  etwa 
4  Monaten,  und  zwar  3  Tage  vor  dem  Feste  der  Pamboiotia, 
zurückgezahlt  werden  solle,  bei  Vermeidung  der  Üblichen  Kon- 
ventionalstrafe des  duplmn,  wogegen  andererseits  auf  Annahme- 
verzug der  Nikareta  sehr  schwere  Nachtheile  gesetzt  wurden. 
Das  Original  dieses  vor  7  Zeugen  aufgenommenen,  in  die  Form 
eines  Darlehensschuldscheins  eingekleideten  novirenden  Vertrags 

■  Zuerst  verOffentlicbt,  Übersetzt  and  eiliul«n  von  Foucarl,  buUetm  de 
corretpoadance  helWniqae  111(1879)  P>4S9ff.i  IV  (1880)  p.  i  ff„  S35  C  VgL 
dniu  inibes.  Latitchcw,  Mittbeilungen  de*  deutschen  archfioiogischen  Institult 
in  Atben  Bd.  VII  (1S83)  S.  30  ff.;  weitere  LittersCur  und  berichtigten  Text 
bei  Caner,  delectus  inscriptionum  Nr,  29$.  Au«  den  Erörterungen  dam  sind 
zu  nennen:  Diresle,  bnllctin  de  coir.  hell.  VIII  (1S84)  p.  371?.!  Sianta, 
Wiener  Stadien  (Zeitschr.  f.  klast.  Pbitol.)  Bd.  VIl  (1885)  S.  23z ff.,  Vin 
(1S86')  S.  ifT.;  C.  Wachsmulh,  Rhein.  Mas.  f.  FMl.  N.  F.  Bd.  40  (1S87) 
S.  183  ff. 

>  Beamte,  welche  ein  Verteichniu  der  niclit  bezahlten  ßUigen  Schulden 
hielten,  Sie  kommen  anscheinend  nar  in  BSotien  vor:  Gilbert,  Handb.  der 
griech.  Staatsalterthtlmer  II  S.  53  ff.,  sind  aber  augenscheinlich  verwandt  dem 
IgTptiscben  avy^oaipotpilai  bexw.  avv9i\xo<f\i).a(ätxVlii\asAtrmU  Gneist, 
Die  formellen  Vertrilge  S.  454  ff.  Lumbroso,  tconomie  poUUque  de r£g7ple 
p.  363.  Ueber  jf^u^u^axiov  s.  Bocckh,  Staatshaushalt  13  S.  596  und  Her- 
raann-BUmner,  Gr.  Piiratalterlhamer  S.  461  Note  i  a.  E. 


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Die  Inichrift  von  OrchomeiiM,  betr.  die  Darleben^GscIiifte  der  Nikareta.   1 77 

(aovyygaq)ov),  in  welchem  als  Scliuldner  eine  Anzahl  henror- 
ragender  (Polemarchen  u.  s,  f.)  Orchomenier,  als  Bürgen  10  an- 
gesehene Männer  der  gleichen  Stadt  erscheinen,  wird  bei  einem 
der  Zeugen  deponirt. 

Die  Rückzahlung  wird,  anscheinend  auf  Andrängen  der 
Nikareta,  schon  vor  der  Verfallzeit  kraft  Beschlusses  der  Stadt 
Orchomenos  bewerkstelligt  und  zwar  in  Thespiae  durch  eine 
Bankoperation,  indem  der  Kämmerer  (Ta/iia^)  von  Orcho- 
menos, Namens  Polioukritos,  mit  einem  der  drei  Polemarchen 
(obersten  Magistrate)  von  Orchomenos  bei  dem  Bankier  Pistokles 
in  Thespiae  die  Summe  auf  Nikareta  übertragen  liess.  Ob 
nicht  allein  Nikareta,  sondern  auch  die  Stadt  Orchomenos  bei 
Pistokles  ein  Konto  hatte,  ob  also  die  Zahlung  durch  blosse 
Ab-  und  Zuschreibung  geschah,  oder  ob  der  Kämmerer  von 
Orchomenos  den  Betrag  bei  Pistokles  für  diesen  Zweck  baar 
eingezahlt  hat,  erhellt  nicht.  Der  hierüber  lautende,  gleich- 
falls auf  Stein  gegrabene,  wohl  einzige  aus  dem  Alterthum 
erhaltene  Vermerk'  lautet: 

jJiayqatpa  Nixa^ittf  ßta  r^attiSdag  läg  Utoro- 
xXeioi  iv  Qeajii^g.  —  ifti  rag  J7i(nox^iog  iQaniddag 

fteviov  TOftlao  ovmeqaftetQätav  —  a^yv^iov  dqa%(i'^  18, 
833': 

Umschreibung  für  Nikareta  mittelst  der  Bank  des 
Pistokles  in  Thespiae.  Am  . . .  hat  bei  der  Bank  des 
Pistokles  der  Kämmerer  von  Orchomenos,  Polioukritos, 
der  Nikareta  zuschreiben  lassen  die  für  die  verfallene 
und  liquide  Schuld  (ovnB^afteiffiai)  vereinbarte  Summe 
von  18,833  I>rachmen  Silber. 


■  Ueber  die  ADweinngen  (iw  Anuahlimg  im  BuikTerkehr  ■.  Demoslli. 
C  Kalippum  (LH)  3—7,  18,  19;  c  Timothenm  (XLIX)  5,  30,  59,  65.  Po- 
Ijbiu  XXXn  13.  Vgl  aacb  Bflchsenichati,  Erwerb  und  BenU  S.  504 
Note  5;  Dar«(te,  les  plaidoyer«  dvili  de  Demoithfaie  I  p.  XXXVIU.  Im 
Sprachgebraach  der  Ftolemier  ist  iiaygatp^  eine  fiOentliche  Urknnde  über 
Eigenthamserwetb    (PejrroD,    papyri   gieci.     Täurini    1S36/37.     I    p.    I44ff. 

n  p.  31  ff.). 

*  In  dem  BeicfalBii  der  Stadtgemeinde  O.  heint  e>,  dats  er  auf  Stein  ge- 
graben werden  solle,  aucb :  läv  diaypatpav  rar  x^^^ötmv  wv  \naii\tyfa^av 

GsldictiKldt,  Vanncbte  Sdniflai.    H.  13 


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\78  Inhaber-,  Otder>  und  eicecatorisctie  Urkunden  im  klastischen  Alterthuni. 

Demnächst  wird  im  Register  der  Thetmophylakes  zu  Thes- 
piae  die  Schuld  gelöscht'  und  dieser  Löschungsvermerk  von 
den  Polemarchen  der  Stadt  O.  als  Beleg  für  die  Tilgung  der 
Schuld  der  Stadtgemeinde  O.  vorgelegt.  Diese  beschliesst, 
indem  sie  ihren  Beamten  Decharge  ertheilt,  die  einzelnen  ein- 
schlägigen Aktenstacke  in  Stein  hauen  zu  lassen. 

Die  einzelnen  älteren  Schuldurkunden  von  O.  gegen  N. 
sind  nur  ihrem  wesentlichen  Inhalt  nach,  vermuthlich  so,  wie 
sie  bei  dem  Thetmophylakes  registrirt  waren,  in  der  Inschrift 
enthalten;  jede  einzelne  ist  als  owäHay/ta  bezeichnet.  Auf- 
fallend ist,  ausser  gewissen  Dunkelheiten'  der  böotische  Aus- 
druck nräfiada,  wahrscheinlich  xt^fiaza,  d.  h.  Kapital  (Cauer). 
Weshalb  Foucart  den  Ausdruck  awälhxyfta  mit  »billet  ä 
ordrei  übersetzt,  ist  nicht  ersichtlich,  in  den  Einzel  Urkunden 
findet  sich  keine  Spur  der  Orderklausel. 

Praktisch  handelte  es  sich  nur  noch  um  die  novirende  * 
G  e  s  a  m  m  t  schuldurkunde.  In  dem  Volksbeschluss  von  O., 
kraft  dessen  die  Gesammtschuldurkunde  aufgenommen  ist, 
heisst  es: 

2ovyygaq>oy  de  yfa^äa&t]  t^  agyv(fi(it  iwg  —  noXe- 
/««ezws  'EgxofBviojv  x^  iyyovatg  oig  xo  dovufiäddtj  Ni- 
xa^ira,  xai  &ia9i]  fteaiyyvov  rräf  fDigvädav  Ttfio- 
xXeiog  &ea7ttsia: 

eine  syngraphe  soll   geschrieben  werden  über  das 
Geld  durch  die  Polemarchen  von  O.  und  die  Bürgen, 
welche  N,  genehmigen  wird  und  dieselbe  soll  deponirt 
werden  bei  F.  in  Thespiae. 
Der  spätere  Beschluss  geht  dahin,   dass  die  Zahlung  nur 
gegen  Vernichtung  der  Schuldurkunde  geschehen  solle: 
xai  läv  avyytiaffäv  ar  i'xi  —  äveXia^t]. 
Diese   sjrngraphe   in  Form  eines  neuen   Darlehensschuld- 
scheines —  es  wird  die  Hingabe  des  vereinharten  (fälligen) 
Schuldbetrages  als  Darlehen  fingirt  — ,  deren  wesentlicher  In- 


'  Der  Vermerk  lautet:  .  .  .  To  aou[r]äUtt[j']fiit  tfaygiiliii  tat  oiiif- 
[aft]tQlas  tot  yacagfrae  fr  BtOTttiit  tat  "at  tSs  nölios  — .  Täv  tt9/io- 
tpviaxav  y^afifiBids  £a  ,  ,  , 

*  So  das  „Sowj-Öfia".  Heisst  el  solidarisch  (Foncan)  oder  ist  es  ein 
Name  (Cauer)? 

i  S.  anch  Sianto  a.  a.  O.  Vit  S.  241  ;  VIH  S.  7,  30  ff. 


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EHelDichnfiTonOrchomenos,  betr.  dU  Dwlehen^^cKblft«  der  Nilureu.    179 

halt  bereits  mitgetheilt  ist,  enthält  nun  vier  hier  in  Betracht 
kommende K.  lausein: 

1.  die  Klausel  der  Solidarverbindlichkeit  gegen  die  nomi- 
nellen (4)  Darlehensempfänger  und  gegen  die  (10) 
Bürgen; 

2.  die  Executivklausel  gegen  alle  diese  Personen-, 

3.  die  Klausel  der  unbedingten  Verbindlichkeit  (Uniun- 
stösslichkeit) ■  der  Urkunde; 

4.  die  Order-  oder  die  alternative  Inhaber-Klausel. 
Der  einschlägige  Passus  lautet: 

—  atiodäraaay   di  tö  Öävaiov  oi  davaiaäfisvot  ^  oi 

iäy  di  ftfj  dtio3wa[t]  ir^ax^^oovTat  xarä  lov 
v6(iOv.  [^]  de  ftQÖiig  itnm  ex  le  aiitäv  rcj»  Savaaa' 
(iiv<av  mai  i$  ivos  xai  ^x  nXeiövotv  xai  ix 
nävttay  xal  ix  tä/v  vnagxoytioy  avioig',  sigaTtovaj] 
of  av  TQÖftov  ßovi.J}Tai.  'H  3i  avyyfa<p^ 
xvQta  i'oTdi  xav  aXXog  irtKpigt}  vnifi  Nixa- 
^etag. 
Darauf  folgen  die  Namen  der  sieben  Zeugen,  darunter  Fiphia- 
des,  bei  welchem  &  aovyygaifog  deponirt  werden  soll. 

Unter  diesen  vier  Klauseln  sind  uns  die  drei  ersten  bereits 
aus  den  früheren  Erörterungen  über  das  Recht  der  Demosthe- 
nischen  Zeit  bekannt.     Neu  ist  die  vierte  Klausel. 

iniqiigeiy  ist  vorlegen,  vorzeigen  (exhibere)':  die  Urkunde 
soll  unumstOsshch  (verbindend)  sein,  auch  wenn  ein  anderer 
als  Nikareta  selbst  die  Urkunde  vorlegt,  d.  h.  natürlich,  im 
Zusammenhange,  aus  derselben  die  Execution  {neä^ig)  voll- 
streckt. Dagegen  sind  die  Worte  vjri^  Nixaghag  mehrdeutig. 
Sie  können  bezeichnen:  für,  d.  h.  zum  Vortheil  der  N. ;  an 
Stelle  der  N. ;  um  der  N.  willen  u.  s.  f.  Es  ist  so  nicht  dent- 
hch  erkennbar,  ob  der  Vorleger  der  syngraphe  durch  diese 
allein  legitimirt  sein  soll,  oder  ob  er  Vollmacht  (Cession?)  der 
N.  beizubringen  hat,  und  ob  er  überhaupt  kraft  eigenen  Rechts 

■  D.  h.  gegen  ihre  Penon  und  ihr  Vermögen. 

■  Tnriner  Papynis  I  (Peyron  18*6/37),  p.  4  I.  16 :  toij  tnuptQOfiirtut  — 
OvyyQm^if,  p.  6  1.  z:  itayatpri»  (Steuerregiiter  de«  kBaigl.  Bankiers)  ^t- 
ipfgorrot-  S.  auch  Papynu  du  LaaT»  (Puu  iSäj)  15  Z.  59,  60:  tt  »ul  tk 
9tlj  finStfitav  tnupfqtiv  tiiroiit  ovyyfaip^r  — . 


,  C-'Oogle 


180   Inhaber-,  Oider-  und  «xecutoriscb«  Urkunden  im  klauiscliea  Alterthum. 

oder  nur  als  Vertreter  (Cessionar?)  der  N.  exequiren  dürfe. 
Sicher  ist  nur,  dass  die  Eintreibung  der  Schuld  durch  diese 
»Inhaberklausel*  hat  erleichtert  werden  sollen. 


Die  voa  Kumanudis  zuerst  publicirten '  Anlehensurkunden 
der  Stadt  Arkesine  auf  der  Insel  Amorgos,  welche  dem 
2.  Jahrhundert  v.  Chr.  angehören,  enthalten  überaus  harte, 
zum  Theil  exorbitante  Anlehensbedingungen.  Die  beiden  wich- 
tigsten dieser  Urkunden  hat  C,  Wachsmuth  neu  edtrt  und 
mit  vortrefflichem  Kommentar  versehen. 

a.  Inschrift  I  bei  W.  (Bull.  VIII  p.  23)  betrifft  folgen- 
den Fall: 

Prazikles  aus  Naxos  hat  der  Gemeinde  Arkesine  3  Talente 
attischen  Silbers  geliehen  zu  10  "ja  Zinsen,  und  zwar  ohne 
jedes  Risiko  (des  Gläubigers)  heimzahlbar:  aulrdvvoft  fca[vt]6g 
Kivdvvov".  Zur  Sicherheit  dient  eine  Hypothek  an  allem  Gut 
der  Arkesineer,  zu  Lande  und  zu  Wasser,  sowohl  dem  Staats- 
gut wie  dem  Vermögen  der  Bürger  und  sogar  der  Metöken. 
Das  Kapital  ist  beliebig,  jedoch  mit  sechsmonatlicher  Frist 
kündbar^  erfolgt  die  Rückzahlung  des  gekündigten  Kapitals 
nicht  rechtzeitig,  so  tritt  poena  dupli  ein. 

Die  wichtigsten  uns  interessirenden  Klauseln  sind: 
I.    Solidarverbindlichkeit   sowohl    der   Gemeinde   wie    aller 
Einwohner  und  Metöken  von  Arkesine: 

xat   i^  hog   [h]xämov  Snav  td  afyvfitoi'   [i]al  i^ 
anävitini,  ZQonai  tut  Sy  ijtlatrjtai  — ■ 


'  Athenaioii  Bd.  X  (1S83)  p,  537  ff.  und  bulleün  de  coir.  heU.  VIII 
(1881]  p.  13  ff.  S.  auch  über  dies«  Urkunden  die  S.  176  Note  l  genannten 
Ertcteruugen  von  Wacbtmuth,  Daceste,  Szanto. 

*  NSmlich  im  GegemaU  tarn  Seedulehen.  Die  Kloniel  „ixlritivoi^ 
u.  dfL  enttpricht  der  im  Miltelalter  ablieben  Klautel  >ulvos  (xalTum)  in  tena* 
(asKtlvi  in  terra).  Ei  iil  dai  reine,  gemeine  Darlehen:  der  an*  selbttrentSod- 
lich  cischeineDde  Zusatz  erVlibt  nch  aui  der  Hia&gkeit  des  Seedorlehena  nnd 
verwandter  Geuhiße.  S.  Pteudorliod.  Seetecht  p.  II  c.  17  {Pardeasna  colL 
de  loU  marit.  I  p.  236):  fyyva  xa\  äxlvSwa;  1.  i  pr.  D.  de  aant  foen. 
(aa.  3);  1.  2,  S,  3  (i,  4,  a)  C.  eod.  (4,  33).  Gcero  ad  fam.  II,  ij.  4:  nne 
vectnrae  pericolo.  Meine  Abhandlung:  Zur  Geachichte  der  SeeverticbBrniig 
(Juriit.  Abhandlungen.  Fettgabe  fflr  G.  Beieler.  1S85)  S.  211  ff.  Dm  Material 
der  mittelalterlichen  Urkunden  ist  iniwiichen  erheblich  gcwachaen. 


,  Google . 


Die  amorpnischeii  Anleheninrkniiden,  131 

2,  Die  Exekutivklausel  gegen  alle  diese  Personen: 

—  idy  di  (iij  ärtQdÜiaifx  (y?),  nämlich  falls  die 
Zinsen  von  den  Kämmerern  der  Stadt  Arkesine  nicht 
rechtzeitig  gezahlt  werden,  ngaxtol  ^atia/*  Ilga- 
^ixXel  Ol  [t^  anodövrtq  T/fiiöltov  tö  afyvqiov  hl  fcüv 
Iditoy  7tfa§Ei  näotji  xa^änsQ  iy  dt'xijs  vikog 
ixo^orjg  xcnä  t6  avfißoXov  tö  Na^lloty  x]ai  l4ffM- 
atviiov'  — 

Eav  Se  fti}  mrodwaiv  tb  cc^yvQioy  xarä  td  yeyQafi- 
ftiva,  —  d.h.  das  Kapital  —  i^iatut  tidä^aaS-ai 
H^^ixlsl   tavia   jä  zpiy^ac[a]    tigä^ai   Ttiiatji    i[x] 
«  Tcüv  -Aoivür  %[bi]y  L^(ix[»]aive<o»  nävtav  xai  ix  z£y 
[t]diiin>  —  zf/otiifi  (ui  av  ittlanjtai,  xa^änt^  Ölxijy 
ti)ti>i.t}x6tuiy  iy  t^  ixxX^Tiai  xazd  z6  avußoXov 
10  Na^[iit>\v  xai  IdQxeaivitoy  liXog  ^orijfft  ä^ij- 
filioi  oni  fiäoijg  ttjfiiag  — . 
Die  urkundliche  Feststellung  des  Eiecutivrechts  soll  so- 
mit gleiche  Kraft  haben,  wie  ein  auf  Klage  vor  dem  Schieds- 
gericht", welches  laut  Staatsvertrag  {avfißoXov)  zwischen  Arke- 
sine und  Naxos  besteht,  ergangenes  Urtheil. 

Widerstand  gegen  die  fiQaiig  wird  mit  Strafe  von  1  Talent 
und  Ersatz  aller  Kosten  und  Schaden,  ohne  Minderung  der 
Schuld,  geahndet;  auch  für  diese  Strafe  ist  die  gleiche  ngä^tg 
statthaft.  Das  so  executorisch  Beigetriebene  mindert  nicht 
den  Betrag  der  Schuld. 

3.  Verschiedene  Order-  oder  alternative  Inhaber-Klauseln, 
in  Verbindung  mit  der  Klausel  der  unbedingten  Verbind- 
lichkeit (Unumstösslichkeit)  der  Urkunde : 

a)  Z.  17,  18.  Die  Kündigung  des  Kapitals  darf  auch 
durch  einen  Boten  (nuntius,  missus)  des  Gläubigers 
geschehen : 

To  de  aQxäiov  dgyvQtov  ajioddaovaiy  iv  ^|  (iriaiv, 
d<p'  ov  ay  änafnjar^[i]  IIßa[^t]x}.f/[g]  i^  ov  av  ttimprji 
Ilga^ixX^g  aTtaiTi^aoyTa, 

b)  Z.  18—20.  Die  Rückzahlung  von  Kapital  bezw. 
die  Zinszahlung  soll  in  Naxos  geschehen  an  den 
Gläubiger  oder  an  jemand  anders  auf  dessen  Geheiss : 

'  Ueber  nöiltc  üwZiito;  cf.  Hesycb,  s,  v.  haciiiToi  und  Aechines  c 
Timtrch,  13,  3g;    Hefft«T,  Atbenfiitche  GeticlilSTerfaiiung  S.  91  Tcrb.  S.  493. 


,  Google 


182   Inhaber-,  Order-  und  exccutoriscbe  Urkunden  im  klMsitchen  Altenhuro. 

"Orav   di   aitodidüaiv    [t\6v   löxov   i^    x6    iq%atov, 
aTzoddaovatv  iv  Nä^wi  Uga^ixlei  ^  tut  ay  [K]eXev[r]t] 
JTßa|ixi^S,   in   geeigneter   Münzsorte    [o]n-w[g]   ay 
neXeitji. 
Diese  Klausel  macht  wesentlich  die  Urkunde  zu  einem 
domicilirten    Eigenwechsel    an    Order    des    Gläu- 
bigers. 

c)  Z,  32,  33.  Die  Execution  kann  geschehen  durch 
den  Gläubiger  oder  durch  andere  Personen  auf  dessen 
Geheiss : 

vuti  iäv  Tiveg  ahhoi  jt^dtTtoatv  xa  xqi^fiaxa 
xeKevovrog  JlQa^ixliovg. 

d)  Z.  41 — 46.  Die  Urkunde  gilt  unumstösslich  und 
zwar  zu  Gunsten  eines  jeden,  der  sie  vorlegt, 
mag  dies  der  Darlehensgläubiger  sein  oder  wer  immer 
für  ihn  den  Betrag  einzieht  (esequirt): 

T^g  di  avyygatpijg  r^ade  [ü)]foXöyr,aav  l4(f- 
ii[saiv]eig  litjdev  aivai  xv^näteffoi',  ftr^Te  vö^tov 
fii^e   rp[^tf)]tafia   ^tfie   d[6yf4]a   [fj^]te  OTQozTiyov   fujte 

fiiva    fttjie    alXo    nrjdev    fiiQve    t^X"'!''    M"}«    }ta[ge]v- 
giaai  [ttjdefiitf,  dlV   elvat   t^v  avyygatp^v   xv- 
Qiav    ov     [a]y    efti(pegr}i,     6    Savelaag    ^    ol 
n^äa\aovz\tg   VTcig    aiivot. 
b.    Die  Inschrift  II   bei  W.   (Athen.  X    p.  536  Nr.  9) 
betrifft  ein  Darlehen  von  unbekanntem  Umfang,  welches  ein 
gewisser  Alexandres  (wahrscheinlich  aus  Arkesine)  der  Ge- 
meinde Arkesine  gegeben  hat.   Sie  ist  nur  theilweise  erhalten. 
Auch  sie  enthält: 

1,  die  Klausel  der  Solidarverbindlichkeit  in  gleichem  Um- 
fange wie  Urkunde  a; 

2.  die  Executivklausel :  i^saja)  rtQÖiaa&ai,  in  wesent- 
lich gleichem  Umfange  wie  Urkunde  a:  xa&dfcee 
dixtjv  tatpXji'KOTtov  iv  t^i  ixxX-^Tiai  xai  orttav 
vTitgr^ftigotv.  Besonders  hervorgehoben  ist  hier  noch,  dass 
jeder  Widerstand  gegen  den  Exequenten,  auch  seitens 
eines  Beamten  {agx<»*')i  ^  behandelt  werden  solle,  als 
wäre  über  die  Jikij  i^ovlt}g  rechtskräftig  entschieden': 

■  S.  oben  S.  174. 

DigitizecoyGOOgle 


Di«  anorginiichen  AnIehnuuikiuideD.  Ig3 

. .  .  og  xai  si^axiog  lant  rovro  rd  agyvQioy  tug  wqoAij- 

UV  vited-^fie^og. 
3.   Verschiedene  Order-  oder  alternative  Inhaber-Klauseln. 

a)  Z.  9,  10,  wörtlich  gleich  Urkunde  a  Z.  32,  33: 

xai  iäv  riveg  ai,Xoi.  [7iigäTz]tüai  lä  ^^ij/tata 
xeXavovjog  l^Xe^ävdeov. 

b)  Z.  19—25,  wörtlich  gleich  Urkunde  a  Z.  41—46, 
auch  hier  die  Klausel:  elvai  t^c  avyyQaqi^v  xv^lav 
oh  a*  hntffidTii  6  Savtlaag  ^  o'i  Jigixaffoyzeg 
vjiiq  avtov. 

c.  Inschrift  III  (Athenaion  X  p.  537  Nr.  10)  ist  sehr  ver- 
stUounelt.     Aber  es  findet  sich  doch  sicher: 

1.  die  Executivklausel : 

Z.  2,  3:  xai  n^axtig  tazot  ro[ot]ro  %6  aqyiqiov 
tag  UKfXrptCig  6ixTpi .... 

Z.  5,  6:  xai  iä*  vi  ßXäßog  ^  aväXtafta  yivr^zai  sig 
T^v  Eian^^ti'  iröfv  xqrjfi^ta»  .  .  . 

2.  Z.  7  wörtlich  wie  Urkunde  a  Z.  41  ff.  und  Z.  11,  12: 

aXX'  elyat  i^v  avyyQaq>^v  xvQio[>]  ov  ov  ini- 
tpif/Tii  0  iaveiaag  y  ot  Jtgiiaaoyteg  vTieq 
aiTov  — . 

d.  Inschrift  IV  (Bull,  de  corr.  hell.  VIII  p.  26,  27).  Sehr 
verstümmelt.  Verschiedene  Personen  aus  Astypalaiai  haben 
an  die  Gemeinde  Arkesine  5  alexandrinische  Talente  .  .  . 
Drachmen  zu  monatlichem  Zins  von  4  Obolen  2  Chalkous  bis 
zu  einem  bestimmten  Termine  geliehen.  Strafe  bei  Verzug. 
Hinsichtlich  der  Zinszahlung  findet  sich  die  Executivklausel ' 
mit  Orderklausel: 

■  Auch  du  in  dem  Testament  der  Epicteta  vod  der  Intel  Thera, 
ans  dem  3.  oder  2.  Jahrbundert  t.  Chr.,  geordnete  merkwittdige  Statnt  eioer 
FuoDiengienoHenschaft  (Boeckh,  c.  iiucr.  gr.  II  Nr.  1448;  Caaer,  d«I. 
iOKr.  p.  77  —  s.  auch  Darette,  nouT.  reme  hiiEor.  VI  [18S2]  p.  a^ott., 
Keil,  Hermei  XXIII  [1SS8]  p.  339«*.  — )  enthält  an  uhheichen  Stellen  die 
Executivklausel  wegen  Nichtleistung  von  Busien  u.  dgl.;  auch  gegen  den 
Genonenichaftivoisteher :  IV  (III)  1.  37  :  n^catc9iu  ;  V  30;  ir^foro  oülöv; 
31;  ä  n^S'S  t<niy\  VII  4S.:  npoxröf  tinai  — :  xzFT.:  ngaxrot  farat  — ; 
VIII  14:  TigaicTif  farta  —  meist  mit  dem  Znaati  xirn  rot  (,odtx  roiit) 
röftos  —  also  augentcheinlich  Gesell  oder  Gewohnheitsrecht. 


::,y  Google 


184  Inhaber-,  Order-  und  ezecutorische  Urkunden  im  klamüchcn  Alterthum. 

Z.   9,    10:    ÖTtodtöaovai   <Si    l/ioxeoiteis  töv  zöxoy 

7un'   htavtov  roig   davei(nmQ   axiydvvov   (s.   oben 

S.    180   Not.   2)    iy  UaxvnaXaiat   v6fiiafta   UU- 

^ivSneov  etc. 

und   dürfen,  Z,    12,   die   Gläubiger  selbst  oder  deren   Boten 

exequiren : 

i]   avvoi   ^  aXXov  iciftxpai  ei[g\nQä\ao]6i.v, 
vgl.  auch  Z.  14:  n^iei,  Z.  20:  elanqäaoovxi. 

Z.   26;    fijjdiv    xv^K^egov   fi^e   voftov   fi^e   i//);'- 

(piafta , 

wahrscheinlich  stand  also  auch  hier,   wie  in  den  drei  anderen 
Urkunden,  die  Klausel:  ov  av  inupiiirti  oder  dergl. 


Weiter  gehören  dem  hellenistischen  Quellenkreise  an: 
ägyptische  Papyrusurkunden  der  Ptolemäer-  und  der  römi- 
schen Zeit.  In  den  von  mir  eingesehenen  findet  sich  Order- 
oder Inhaber-Klausel  nicht  und,  was  wichtiger  ist,  Herr  Pro- 
fessor Dr.  Winkler  erklärt,  bisher  diese  Klausel  nicht  be- 
merkt zu  haben. 

Anders  verhält  es  sich  mit  der  Executivklausel. 

Der  vielbesprochene  Papyrus  O.  Leyden '  aus  dem  Jahre 
89  V.  Chr.  betrifft  ein  unverzinsliches  Darlehen  des  Conuphis 
an  den  Perser  Petimuthes  in  Höhe  von  12  Drachmen;  bei 
nicht  rechtzeitiger  Rückzahlung  soll  die  Schuldsumme  auf 
18  Drachmen  und  30  °;o  Jahreszinsen  wachsen.  Am  Schlüsse 
steht  die  Executivklausel: 

r}   nqa^is    totta  Kovovipei  nai  toig   ^UQ     atrcov 
TiaSäfts^   itt   dixtjg. 

Ob  unter  den  ol  Ttaq  atiov  verstanden  werden  Bevoll- 
mächtigte, Cessionare,  Erben  oder  vielleicht  nur  die  »Leute« 
(Untergebenen),  oder  ob  darin  eine  Orderklausel  Hegt,  ist  nicht 
festzustellen. 

Der  Papyrus  7  du  Louvre ' ,  von  unsicherem  Datum 
(166  V.  Chr.?)  beurkundet  em  Getreidedarlehen  unverzinslich; 
bei  nicht  rechtzeitiger  Rückgabe  Strafe  des  iifuö'kioy.   Weiter : 

■  Papyri  graeci  Mu»ei  Lugduiu'-BftUivi  ed.  Leemuii  (1843)  p.  77. 

■  Notices  et  extraits  des  muiascriu  t.  XVIII  (Puit  1865)  p.  171  ff. 


,  Google 


Ceiuott  im  griechucben  Recht?  185 

^  ii  TCßSiig  liwai  l4^ir,au  (Gläubiger)  ht  tühi  'AuKXxntä- 
io^  (Schuldnerin)  xai  hi  räiy  vnaiixöyi^^  avt^  närtfav  nfjäa- 
aovtt  -AO^iinetj  iy  dixtjg. 

Der  Papyrus  62  du  Louvre'  (181  v.  Chr.?)  betrifft  die 
Einziehung  von  Abgaben.     Es  heisst  dort: 

col.  6  1.  14:  'Eäv  de  ttvtg  ftgog  tag  iyXtjXlmg  6<pei- 
kioatv  ij   ngä^tg  tara   i^  evog  nai  hi  nda^iov  (soli- 
darisch). 
Dass  noch   in    der  ROmerzeit   Jt^^ig  die  Esecution  be- 
zeichnet, erweist  u.  a.  das  Edikt  des  Tiberius  Julius  Alexander 
a.  68  n.  Chr.: 

4,    Xva   at   npcf^Gig  z€h>   dofeioiy  ix  TÜr  tTrapjfoWwi'  t^t 
xal  (iij  ix  TMv  aiufjänov,  daher  TtQtxKiö^or  =  Schuld- 
gefängniss  (Bruns-Mommsen,  fontes^  p.  219). 
In   der  von  Josephus  (antiq.  lud.  XVI  9,   1)   erwähnten 
ooyy^qiij  des  Herodes  stand: 

i^eivai  Tijg  jtQo&tttfuag  (Zahlungstermin)  na^tX- 
&ovaijg  ^MSia  Xafißävuv  i§  andaijg  t^  X'^P'^i 
d.  h.,  wie  bereits  Wachsmuth  a.  a.  O.  S.  300  bemerkt  hat, 
unbedingtes  Exequirungsrecht  an  dem  gesammten  (verpfändeten) 
öffentlichen  und  privaten  Eigenthum  des  Königs,  hier  dem 
ganzen  Land. 


Ueberblickt  man  den  durch  die  S.  172—185  umschriebenen 
späthellenischen  Rechtszustand,  so  wird  sich  nicht  bezweifeln 
lassen,  dass  in  Gemässheit  solcher  Urkunden  der  blosse  In- 
haber bezw.  der  durch  Order  als  Gläubiger  legitimirte  Inhaber 
der  Urkunde  ein,  gemäss  der  absoluten  Verbindlichkeit  der 
Urkunde  unanfechtbares,  sogar  durch  unmittelbare  Vollstreck- 
barkeit ausgezeichnetes  Forderungsrecht  hatte.  Wie  sich  hier- 
mit die  noch  immer  herrschende  Annahme,  dass  die  syngrapha 
des  griechischen  Rechts,  auch  des  späteren,  eine  schlichte  Be- 
weisurkunde gewesen  sei,  in  Einklang  bringen  lässt',  kann 
hier  nicht  untersucht  werden. 


'  Eod.  p.  353  S.  S.  auch  Papjrui  III  von  Turin  (PeyTon,  papyri  greci 
r.  T.  M.  A^.  Turin  1826/77)  1.  44  {nptx^ijvai)-  P'Prr-  V  eod.  1.  14«".: 
ngSleu',  n(faxt^atni,  ngäoatir:  Pap.  VIII  I,  86:  n^/^viit  nürör  rii  im- 

'  Zweifel  gegen  diese  Annahme  s.  jetit  bei  Schnpfer,  tingrafe  e  chiro- 

,j .,  .„Google 


186  Inhaber-,  Ord«r>  und  execotOTitche  Urkand«)  im  klaittich«tt  Alterlhuni. 

Dagegen  lösst  sich  die  Frage  nicht  abweisen,  in  welchem 
Verhaltniss  die  Inhaber-  bezw,  Order-Klausel  zu  den  allgemeinen 
Gnind^tzen  des  griechischen  Obligationenrechts  steht.  Denn 
die  Bedeutung  dieser  Klausel  ist  ja  eine  sehr  verschiedene,  je 
nachdem  bereits  freie  (gerichtliche)  Stellvertretung  und  freie 
Uebertragbarkeit  (Cessibilität)  der  Forderungen  besteht  oder 
nicht  besteht.  Im  ersten  Falle  bedarf  es  ihrer  zur  Geltend- 
machung von  Forderungen  durch  Andere  bezw.  zu  deren  Ueber- 
tragung  auf  Andere  nicht,  wogegen  sie  sonstige,  vielleicht  weiter- 
gehende Zwecke  als  die  Cession  {so  in  der  Gegenwart)  ver- 
folgt. Im  zweiten  Falle  ist  sie  Ersatzmittel  der  noch  fehlen- 
den (gerichtlichen)  Stellvertretung  und  Cession,  kann  aber  von 
vorneherein  mit  weiteren  Wirkungen  als  diese  ausgestattet 
sein  und  so  sich  später  auch  neben  der  anerkannten  Ces^on 
behaupten'. 

Nun  ist,  soviel  ich  sehe,  die  Frage  nach  der  allgemeinen 
Statthaftigkeit  der  Cession  im  griechischen  oder  auch  nur  im 
attischen  Recht  noch  gar  nicht  der  genaueren  Untersuchung 
unterzogen  worden.  WennCruchon,  les  banques  dans  I'anti- 
quitö  (Paris  1879)  p.  25  behauptet:  »la  cession  des  cröances 
^tait  permise  ä  Äthanes  par  la  loi  de  Solon*  so  ist  er  selbst- 
verständlich dafür  jeden  Beweis  schuldig  geblieben  und  es  steht 
ihm  keineswegs  die  Autorität  Caillemers  zur  Seite,  der 
vielmehr  bemerkt,  dass  sich  von  Cession  oder  Indossament 
des  »Wechsels«  im  attischen  Recht  keine  Spur  findet'.  Da- 
reste spricht  in  seinen  schätzenswerthen  Erörterungen  zu 
den  Demosthenischen  Reden  (plaidoyers  civils  de  Demosth^ne, 
Paris  1875)  gar  nicht  von  der  Cession;  I  p,  XL  behauptet  er, 
dass  die  Athener  die  effets  ä  ordre  nicht  gekannt  hatten. 
Später  (bulletin  de  corr.  hellen.  VIII  p.  375  ff.)  zieht  er  aus 
der  syngrapha  in  Lacritum  und  den  vorstehenden,  neu  auf- 
gefundenen Urkunden  folgende  Schlüsse : 

Unter  syngrapha  hätten  die  Griechen  eine  Urkunde  ver- 
grau (Ri«itta  lUliantt  per  !e  sdenie  giuridiche  VII,  3  [1S89],  Tg),  schon 
Branner,  Zur  Reclitigeschichte  der  Tömitchen  und  germaaUchen  Urkimde 
(18S0)  S.  49  Note  3. 

■  S.  meine  Ausftthrungeii  io  der  Zeitacbrift  für  du  geummte  Huiddv 
recht  Bd.  XXVIII  S.  74. 

)  Elude»  sur  le*  antiqujt^  jun'diquet  d'Athtne«.  Leitra  d«  chaoge  (Pkrit 
1865)  p.  14  ff. 


Dijiii.«,  .-Google 


CenioQ  im  griBcIuicheD  Rechi?  {g7 

standen,  welche  einen  Öffentlichen  Charakter  trug,  mindestens 
auch  die  Gegenwart  zahlreicher  Zeugen  und  bereite  Execution 
ohne  richterliches  Urtheil  nach  sich  zog.  Die  Urkunde  stellte 
regelmässig  fest,  dass  das  Vollstreckungsrecht  Jedem  zustehen 
solle,  welcher  sich  Namens  des  ursprünglichen  Gläubigers  vor- 
stellte. Diese  Klausel,  welche  man  da,  wo  sie  nicht  aus- 
gesprochen war,  als  stillschweigend  verstanden  ansehen  darf, 
macht  aus  der  Urkunde  »un  titre,  un  valeur  cessible  et  n^go- 
ciable  et  m^me  en  r^alitö  un  titre  au  porteur,  toute  fois  avec 
l'obligation  pour  le  porteur  de  prouver  sa  qualit^  de  manda- 
taire,  en  cas  de  contestation*.  An  einer  anderen  Stelle  (p,  374) 
nennt  er  die  Klausel  der  Urkunde  des  Praxikles  (oben  S.  182) 
das  älteste  Beispiel  >de  la  clause  ä  ordre<. 

Dass  in  dieser  Darstellung  Richtiges  und  Unrichtiges 
durcheinandergehen,  liegt  auf  der  Hand.  Einerseits  ist  es 
sicherlich  unbegründet,  dass  die  (jede)  syngrapha  die  Exe- 
cutivklausel  und  gar  die  Inhaberklausel  tacite  in  sich  ge- 
schlossen habe  {etwa  wie  der  deutsche  —  nicht  der  französi- 
sche —  Wechselbrief  die  Orderklausel),  wie  üblich  auch  die 
erste  war  und  wie  häufig  in  späterer  Zeit  die  zweite  oder  eine 
verwandte  Orderklausel  vielleicht  vorgekommen  ist.  Anderer- 
seits ist  nach  dem  Zusammenhang  unserer  Urkunden,  nament- 
lich bei  den  schweren  Bussen,  welche  in  den  amorginischen 
Urkunden  auf  Widerstand  gegen  die  Execution  gesetzt  sind, 
keineswegs  wahrscheinlich,  dass  der  Urkundeninbaber  ver- 
bunden gewesen  wäre,  sich  über  seine  Befugniss  zur  Execution 
anders  als  durch  die  Urkunde  auszuweisen.  Endlich  v^re, 
wenn  die  syngrapha  schlechthin  ein  valeur  »cessiblet  war,  der 
Nachweis  des  Urkundeninhabers  ja  keineswegs  auf  seine  »qua- 
lit^  de  mandatairei  beschränkt  gewesen  —  es  hätte  ihm,  was 
wohl  auch  Dareste  nicht  in  Abrede  stellen  will,  freigestanden, 
sich  als  Cessionar  auszuweisen. 

Lipsius(Meier  und  Schömann,  Der  attische  Prozess) 
spricht  von  der  Uebertragung  der  Forderung  (?)  nur  S.  694 : 
»In  diesem  Falle  (bei  der  in  Form  des  Verkaufs  auf  Wieder- 
kauf, Trgäoig  irti  X^aet,  erfolgenden  Hypothekbestellung)  wird 
die  Uebertragung  des  verpfändeten  Guts  auf  einen  andern 
Scheinkäufer  nicht  selten  vorgekommen  sein.  Dass  aber  bei 
jedem  Darlehensvertrag  das  in  der  avyydaip^  dem  Gläubiger 
zugestandene  Recht  ohne  weiteres  auf  jeden  Dritten  Uber- 


,,  Google 


183   lolisber-,  Order-  und  ezecutorisch«  Urkunden  im  Uassischeo  Alterthum. 

tragbar  war,  erscheint  nicht  glaublich.«  Dazu  Note  591  >Die 
Bestimmung  {auf  die  Besonderheit  unserer  Klauseln  wird  gar 
nicht  eingegangen)  kommt  auf  Darlehensverträgen  von  Orcho- 
menos  und  Arkesine  vor,  darf  aber  darum  nicht  mit  Dareste 
als  stillschweigend  auch  da  vorausgesetzt  gelten,  wo  sie  in 
der  avyygatfi^  nicht  enthalten  ist.« 

Näher,  und  zwar  unter  Verneinung  allgemeiner  Cessibilität, 
spricht  sich  Wachsmut h  a.  a.  O.  S.  295,  296  aus.  Er  findet 
in  den  amorginischen  Urkunden  die  Besonderheit,  dass  die  exe- 
cutorischen  Maassregeln  nicht  nothwendig  von  der  Person  des 
Gläubigers  auszuftlhren  sind,  dass  die  Kündigung  der  Kapi- 
talien nicht  durchaus  von  der  Person  des  Gläubigers  auszu- 
gehen und  dass  die  Rückzahlung  der  Schuld  nicht  durchaas 
an  sie  zu  erfolgen  hat,  sondern  dass  für  alle  diese  Geschäfte 
von  den  Gläubigern  Beauftragte  eintreten  können  und  dass 
schliesslich  ganz  allgemein  absolute  Uebertragbarkeit  jeder 
aus  der  Scbuldurkunde  erwachsenen  Forderung  auf  andere 
ausdrücklich  ausgemacht  wird.  Daraus  sei  zu  entnehmen,  dass 
nach  hellenischem  Recht  gewöhnlich  die  Pfändung  von  dem 
Gläubiger  persönlich  vorgenommen  werden  musste  —  wofür 
auch  ein,  freilich  nicht  sicherer  Beweis  in  der  Pseudo-Demo- 
sthenischen  Rede  gegen  Euergos  und  Mnesibulos  (XX,VII 
§§  63,  65)  gehmden  wird  ~,  diese  Beschränkung  werde  hier 
aufgehoben  und  etwas  Aehnliches  sei  vermuthlich  bei  solchen 
Darlehens  vertragen  öfters  vorgekommen.  »Doch  ist  der  ein- 
zige m.  W.  bisher  anderweit  nachweisbare  Fall  (der  orcho- 
menische  der  Nikareta)  um  deswillen  nicht  voll  beweiskräftig, 
weil  es  sich  hier  um  eine  Frau  handelt.  Ganz  neu  ist  die 
Uebertragung  einer  ausstehenden  Forderung  an  Dritte,  und 
man  könnte  sich  versucht  fühlen,  hierin  ein  erstes  Auftreten 
des  Gedankens  zu  sehen,  der  zu  dem  modernen  kaufmännischen 
Wechsel  führte;  aber  der  Weg  ist  doch  noch  sehr  weit,  und 
dass  man  auf  ihm  im  Handelsverkehr  innerhalb  der  helle- 
nischen oder  hellenistischen  Welt  die  weiteren  entscheidenden 
Schritte  gethan  habe,  dafür  fehlt  es  bekanntlich  an  jedem 
Beweis.« 

Ich  darf  einige  Bedenken  gegen  diese  unzweifelhaft  för- 
dernde Darstellung  nicht  verschweigen.  Zunächst  finde  ich 
hinsichtlich  der  lUebertragung  ausstehender  Forderungen« 
keinen  Unterschied  zwischen  der  Orchomenischen  Urkunde  der 

..oslc 


Cetsioa  im  griechischeD  Rechte  1S9 

Nikareta  und  den  amorginiscben  Urkunden;  in  allen  gleich- 
massig  findet  sich  die  alternative  Inhaber-  oder  doch  Order- 
Klausel: 

Kay  ai.iog  ifiigtief}  ivcig  Nixagitag  und  ov  Sv  im- 
(pifltfi,  0  daveiaag  ^  oi  nfifioaoyteg  vfttQ  avzov, 
nur  dass  in  den  amorginischen  Urkunden  noch  ausdrücklich 
besonders  hervorgehoben  wird,  dass  auch  die  tiQa^tg  durch 
andere  (xelsvovzog  nga^iy,3Jovg  —  xeXsvovrog  j^te^avdffov  — 
^  avToi  ij  akXov  nifi\pai  iiun^jäaaBtv)  geschehen  dUrfe.  Dass 
Nikareta  ein  Weib  ist,  würde  doch  wohl  nur  insofern  in  Betracht 
kommen,  als  sie  diese  Verfügung  Über  die  ihr  zustehende 
Forderung  nicht  ohne  ihren  (hier  assistirenden)  y.vQtog  vor- 
nehmen durfte. 

Sodann  ist,  wie  W.  wohl  selber  anerkennt,  aus  der  That- 
sache  allein,  dass  in  Demosthenes  c.  Euergos  und  Mnesibulos 
die  Möglichkeit,  der  exequirende  Nichtgläubiger  Euergos, 
(der  Bruder  des  Gläubigers  Theophemos,  63 :  ^i  ovtB  dixijv  w<f>- 
hqMty ,  ovie  avftßöXaiov  ijv  not  nqög  alidv  ovöiv.  65:  Jtqbg 
ovdiv  ftoi  ngayfia  tjv  —  cfr.  auch  53)  könne  den  wirklichen  — 
bereits  in  Annahmeverzug  gesetzten  —  Gläubiger  vertreten 
haben,  nicht  berücksichtigt  wird,  kein  Schluss  auf  die  recht- 
liche UnStatthaftigkeit  einer  derartigen  Vertretung  kraft  er- 
weislicher Vollmacht  oder  Cession  des  wirklichen  Gläubigers 
zu  entnehmen;  um  so  weniger,  als  nach  der  Darstellung  des 
Redners,  der  Gläubiger  Theophemos  bis  dahin  und  noch  später 
in  Person  mit  seinem  Schuldner  verkehrt,  auch  die  ersten 
E*fändungsmaassregeln  selbst  (52),  später  in  Gemeinschaft  mit 
Euergos  (58  ff.)  vornimmt. 

Nicht  in  der  Lage,  das  gesammte  Quellenmaterial  zu  über- 
sehen, will  ich  mich  auf  einige,  insbesondere  aus  den  echten 
und  pseudo-Demosthenischeh  Reden  entnommene  Bemerkungen 
beschränken. 

Wider  die  allgemeine  Statthaftigkeit  der  Cession 
durfte  der  Umstand  ins  Gewicht  fallen,  dass  anscheinend 
überall  der  Gläubiger  selbst  seine  Sache  vor  Gericht  vertritt 
(nul  plaid  par  procureur),  auch  die  Gerichtsrede  des  Logo- 
graphen nur  zur  Unterstützung  der  Prozesspartei  dient,  mag 
derselbe  auch,  wie  Demosthenes  für  Phormio,  allein  sprechen ' ; 


'  S.  *uch  £.  Platner,  Der  Proiess  nnd  di«  Klagen  bei  den  Attikem  I 


oogle 


190  Inhaber-,  Order-  und  execntorUche  Urknnden  im  kluMscIieD  Alterthum. 

von  einem  cognitor  oder  procurator  in  rem  suam  des  römischen 
Rechts  finde  ich  bei  den  Attikem  keine  Spur.  Nicht  unerheb- 
lich erscheint  auch,  dass  Quintilian,  freilich  kein  zuver- 
lässiger Zeuge  für  älteres  attisches  Recht,  sagt  (instit.  orat. 
II,  15,  30):  Nam  et  Socrates  inhonestam  sibi  credidit  orationem, 
quam  ei  Lysias  reo  composuerat;  et  tum  maxime  scribere  liti- 
gatoribus,  quae  illi  pro  se  ipsi  dicerent,  erat  moris,  atque 
ita  iuri,  quo  non  licebat  pro  altero  agere,  fraus 
adhibebatur. 

Die  häufig  vorkommenden  Zahlungsmandate,  insbesondere 
Anweisungen  auf  die  Bankiers,  bestimmt  bezeichneten  Per- 
sonen Auszahlungen  zu  machen ' ,  erweisen  selbstverständlich 
nicht  die  Cession,  zumal  häufig  die  Zahlung  auf  Kredit  ge- 
schieht. 

Dass  es  nicht  Üblich  war,  auf  blosse  briefliche  Anweisung, 
sogar  an  darin  benannte  Personen  zu  zahlen,  zeigt  Demosth. 
c.  Nausimachos  und  Xenophitos  (XXXVIIl)  1 1,  12,  wo,  aller- 
dings unter  den  besonderen  Umstanden  des  Falles,  eine  so 
behauptete  Zahlung  als  unglaubwürdig  bezeichnet  wird :  %avia 
tip  piij  xv^ltjt  Ttefttpavii  ygäftftattx  exav  ditodovvai,  und  14: 
et  Tiva  errsfiipev  6  ^i}ttdgeieg. 

Wenn  in  den  Bankbüchern  sogar  von  vornherein  notirt 
wird,  wer  an  Stelle  des  Zahlungsdestinatärs  die  Zahlung  in 
Empfang  nehmen  soll  (gleich  der  vierten  Person  des  >Prtlsen- 
tantent  in  der  mittelalterlichen  Tratte) :  Demosth.  c.  Kalipptun 
(LH)  4,  vgl.  7,  so  fällt  dies  gegen  die  Statthaftigkeit,  min- 
destens gegen  die  Ueblichkeit  der  Cession,  noch  mehr  selbst- 
verständlich gegen  die  Ueblichkeit  einer  Order-  oder  Inhaber- 
Klausel  (eines  etwa  vom  Bankier  ausgestellten  Empfang- 
scheines) '  ins  Gewicht. 

Andererseits  findet  sich  in  Demosth.  c.  Apaturios  (XXXIII) 
7,  8.  die  Uebertragung  einer  Forderung  von  3  Minen,  des 
Pannenon  gegen  Apaturios  auf  den  Kläger,  erwähnt :  xai  rag 

(1S14}  S.  94,  obwohl  er  einige  aatchänend  abweichende  VoTkommnUse  auf- 
zShlt. 

■  So  insbet.  Demostli.  c  Timotheum  (XLIX),  wo  FuJon  im  Auftrage 
de*  Timolheiu  venchiedene  Zahlungen  leistet:  6,  16,  17,  22,  23,  >S — 30,  65 
(ioBvtti  txiktvatv  'ttvTi/iäxv  etc.). 

■  SoderSiebenbOigiicheDepotitabchein  a.  iä7p.Qv.  (Bruns-Mommsen, 
routess  p.  z68). 


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Cession  im  g;riechiacheo  Recht?  191 

%ifeig  ag  ti^ouXijtfiei  oviog  näg  ixeivov  ay&oXoyr^aa^isyog  TiQog: 
tovToy.  Die  Uebertragung  kann  im  Wege  der  Novation "  oder 
der  Cession  erfolgt  sein. 

Wichtiger  ist  Demosth.  pro  Phonnione  (XXXVI)  5,  6. 
Pasioa  hatte  die  bei  ihm  von  Geschäftskunden  deponirten 
Gelder  (11  Talente)  im  eigenen  Namen  verzinslich  ausgeliehen. 
Als  nun  der  bisherige  Geschäftsführer  Phormion  von  Pasion 
das  Bankgeschäft  pachtweise  übernahm',  somit  auch  die  De- 
positen —  so  dass  er  selfist  Schuldner  der  Depositengelder 
wurde  (?)  —  sah  er ,  dass  er  ausser  Stande  sein  würde ,  die 
von  Pasion  gegen  hypothekarische  Sicherheit  ausgeliehenen 
Gelder  einzutreiben  (eianQcrTTei») ,  weil  er  noch  nicht  athe- 
nischer Bürger  war:  (j^ttio  t^  noX$xeiag  cdt^  nag'  vfüv 
ovtnjg.  Deshalb  übernahm  Pasion  gegen  ihn  (bezw.  gegen 
das  »Bankgeschäft«)  die  Schuld  von  U  Talenten,  an  Stelle 
derjenigen  Personen,  welchen  diese  Summen  von  Pasion  aus- 
geliehen waren. 

Der  Schluss  ist  unabweislich ,  dass  wenn  dem  Phormion 
nicht  der  Mangel  des  athenischen  Bürgerrechts  entgegen- 
gestanden hatte  (wahrscheinlich,  weil  der  blosse  Metöke  auch 
des  Pfandbesitzes  an  Immobilien  unfähig  war),  Phormion  un- 
bedenklich die  ausstehenden  Bankforderungen  an  Stelle  des 
Pasion  von  den  Schuldnern  hätte  eintreiben  dürfen.  Es  muss 
also,  in  Demosthenischer  Zeit,  die  Cession  oder  gerichtliche 
Stellvertretung  statthaft  gewesen  sein  —  mindestens  in  Ver- 
bindung mit  Ueberlassung  von  Bank-  und  ähnlichen  Hand- 
lungen, zu  deren  Activa  diese  Forderungen  gehörten  —  aber 
—  sofern  es  sich  um  hypothekarisch  gesicherte  Forderungen 
handelte  —  oder  allgemein  (?)  —  nur  zu  Gunsten  von  Bürgern, 
nicht  von  Metöken  oder  von  Fremden '. 


'  So  Dirette,  plaidajen  dvili  de  Demoith^c  p.  103,  214  Note  3. 

>  Die  ^fiiaSaati"  siebt  Jo  der  Rede  des  Demoith.  (lichtiger  ApoIIodot) 
c.  Siepluno*  I  (XLV)  31.  Wie  die  Klausel:  „öiftlUt  3i  Ilaatio*  taX  rqv 
Tganiiav  irrStxa  xälarta  tls  tis  itttquB^Xtts"  voo  ApoUodor  dahin  am- 
gedeutet  wird,  dut  die  1 1  Talente  in  der  Hatte  gefehlt  bitten  nnd  von  Phiir- 
tnion  untenchljgen  worden  leien ,  ist  ein  Meisterstück  der  Rabulisterei  in 
diesem  auch  sodsI  scbmaehrollen  Recbtshaadel. 

'  Im  mittelalterlichen  Italien  sind  statutarische  Verbote  derart  hlnfig, 
z.  B.  in  Pisa,  Padua,  Modemi  und  sonst:  Pertile,  storia  del  diritto  Itsliono 
IV  p.  SI7. 


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192   Inhaber-,  Order'  und  execntoriiclie  Urkunden  im  ItlauUchen  Alterthiun. 


Dem  hellenischen  Quellenkreise  nahe  stehen  selbst- 
verständlich die  Plautinischen  KomCtdien,  insbesondere  die 
nachweislich  einem  griechischen  Original  nachgebildeten. 
Immerhin  darf  man  als  Regel  annehmen,  dass  Plautus  nicht 
leicht  Rechtsverhältnisse  dargestellt  hat,  welche  ganz  ausser 
dem  Gesichtskreise  seines  römischen  Publikums  standen,  so  dass 
sich  aus  solchen  Erörterungen  ein  h-eilich  nicht  sicherer  Be- 
weis für  deren  Vorkommen  auch  im  romischen  Rechtsleben 
entnehmen  lässt.  Gleichzeitig  dürfte  feststehen,  dass  zur  Zeit 
des  Plautus  die  Cesslon  dem  römischen  Recht  noch  durchaus 
unbekannt  war'. 

Der  Curculio'  spielt  bekanntlich  in  Karien  und  in 
Epidaurus,  also  auf  hellenischem  Boden.  Der  miles  hat  von 
dem  Cappadox  leno  ein  Mädchen  für  30  Minen  gekauft,  dazu 
noch  Kleid  und  Schmuck  für  10  Minen.  Den  Preis  hat  er 
noch  nicht  bezahlt,  sondern  (mindestens  die  30  Minen)  bei  dem 
ttar3>essita<  Luco  in  Epidauris  deponirt :  apud  tarpessitam 
situmst  (2,  3,  64 ff.  [v.  341  ff.],  vgl.  IV  3,  4  (v.  536]),  aber 
mit  folgender  Anweisung: 
V.  345 ff.:   Atque  ei  mandaui,  qui  anulo 

Meo  tabellas  opsignatas  attulisset,  ut 

daret 
Operam  ut  mulierem  a  lenone  cum  auro  et  veste 
abduceret. 
Demnächst  stellt  sich  Curculio  dem  Luco  vor,  als  Abgesandter 
des  miles  Therapongitonus  Platagidorus :  3,  38 ff.  (v.  402  ff.): 
Luco:   Novi  edepol  nomen :  nam  mihi  istoc  nomine 
Dum  scribo,  explevi  totas  ceras  quattuor. 
Sed  quid  Luconem  quaeris? 
Cure:  Mandatumst  mihi 

Ut  has  tabellas  ad  eum  ferrem. 
Luco:  Quis  tu  homo's? 

Cure:   Libertus  illius,  quem  omnes  Summanum  vocant. 

'  lieber  die  Terwttltungtrechtliche  sttributio  det  let  liordearium  in  Aiüul. 
u.  Foenul.  i.  Brnni,  Zar  Geichiclite  der  Cebion  (Kleine  Schriften  II  S.  il, 
vgl.  S.  38). 

'  Benntzt  itt  die  Aiugabe  von  Fleckeiien  (Teubner  1887). 


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PloDlai  Cmcnlkr;  aififiolw  in  Flantiu'  BMchUea  nnd  bei  Lysias.     193 

Nachdem  sich  Luco  zu  erkennen  gegeben  hat  (v.  418  ff.),  geht 
das  Gespräch  weiter  (v.  420  ff.) : 
Cure:  Multam  me  tibi 

Salutem  iussit  Therapontigonus  dicere 
Et   bas   tabellas   dare   me   iussit 
Luco:  Mihine? 

Cure:  Ita. 

Cape-,  Signum  nosce.    nostin? 
Luco;  Quid  si  noverim? 

Clupeatus  elephantum  ubi  machera  dissicit'. 
Cure:   Quod  istic  scriptum  esset,  id  te  orare  iusserat 

Profecto  ut  faceres,  suam  si  velles  gratiam, 
Luco:    Coocede:  inspiciam  quid  sit  scriptum. 
Cure:  Maxume 

Tuo  arbitrato,  dum  auferam  aps  te  id  quod  peto. 
Demnächst  liest  Luco  folgenden  Brief  (III  59 ff.  [v.  429  ff.]): 
iMiles  Luconi  in  Epidauro  [hospes]  hospiti 
Suo  Therapontigonus  Platagidorus  plurumam 
Salutem  dicitc : 

iTecum  oro  et  quaeso,    qui  has  tabellas 

adferet 
Tibi,  ut  ei  detur  quam  istic  emi  virginem, 
Quod  te  praesente  isti  egi  teque  interprete 
Et  aurum  et  restem.  iam  scis  ut  convenerit 
Argentum    des    lenoni    [et]    huic    des  vir- 
ginem.* 
Nun  fragt  Luco  (v.  437):   Ubi  ipsust?   quor  non  venit?  und 
berichtet  Curculio    über   die   Schicksale  des   mlles  Th.   PI. 
Nachdem  sich  durch  diese  Mittheilung  Luco  davon  überzeugt 
hat,  dass  Curculio  wirklich  von  dem  miles  Th.  PI.  abgesendet 
ist,  bemerkt  er  (v.  452): 

Credo  hercle  te  esse  ab  illo 
und  erklärt:  sich  bereit,  der  Anweisung  zu  folgen  (v.  453/4): 
Nil  moror. 
Sequere  hac:  te  apsolvam  qua  advenisti  gratia. 
Der  leno  Cappadox  tritt  auf.     Luco  sagt  ihm  (v.  458): 
Argentum  accipjas,  cum  illo  mittas  virginem. 


'  Di«  alio  at  das  Siegel. 
Goldichmidl,  Vermiichu  Schri 


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194  Inhaber-,  Order-  und  eiecntoriscbe  Urkunden  im  klutüchen  Alterthnm. 

In  Act  IV.  2  wird  von  Luco  das  Geld  ausgezahlt,  Luco  er- 
sucht den  Curculio,  an  dessen  patronus  (den  mües)  beste 
Empfehlung  auszurichten  (v.  524). 

In  Act.  V  erscheint  der  miles  (Th.  PL)  bei  Luco  und  be- 
gehrt Rückzahlung  der  30  minae  >quas  ego  apud  te  deposui< 
(V.  3,  4  [v.  535,  536]).     Luco  beruft  sich  darauf,  dass  er  die- 
selbe  bereits   an    den   Freigelassenen    des    miles,    Sununaous, 
zurückgezahlt    habe.     Dies  bestreitet    der    miles,    bemerkt 
aber,  er  hätte  allerdings  niemals  auf  Rückzahlung  (von  dem 
spitzbübischen  Bankier)  gerechnet  (v.  541,  542): 
Idem  ego  istuc  quom  credebam '  credidi 
Te  nihil  esse  redditurum. 
Luco  entgegnet  (v.  549,  550),  er  habe  nur  den  Auftrag  des 
miles  respektirt: 

quod   mandasti,   feci   honoris   gratia: 
Tuum  qui  Signum  ad  me  attulisset  nuntiumne 
spernerem. 
Der  miles  wirft  ihm  seine  Leichtgläubigkeit  vor  (v.  551): 

Stultior  stulto  fuisti,  qui  bis  tabellis  crederes. 
iLuco  entgegnet  (v.  552,  553): 

Quis  respublica  et  privata  geritur,  non 
is  crederem?  —  tibi  res  solutast  recte. 
Es  erhellt  nun,  dass  der  miles  allerdings  um  sein  Geld 
bezw.  um  das  Mädchen  geprellt  ist,  indem  Curculio,  der  an- 
gebliche Freigelassene  des  miles,  den  Brief  gefälscht  und  mit 
dem  entwendeten  Siegelring  des  miles  verschlossen  hatte 
(II.  3,  81  ff.  [v.  360  ff.]).  Da  aber  doch  zwischen  dem  miles 
und  Luco  wirklich  verabredet  war,  das  Geld  solle  an  den 
Ueberbringer  eines  mit  dem  Siegel  des  Luco  verschlossenen 
Briefes  ausgezahlt  werden,  so  behauptet  Luco,  richtig  an  Cur- 
culio und  damit  an  den  miles  (tibi  res  solutast  recte)  gezahlt 
zu  haben  und  der  geprellte  miles  erbebt  schliesslich  keinen 
weiteren  Widerspruch. 

Zu  beachten  ist,  dass  Luco  dem  Curculio  trotz  Vorlegung 
des  Briefes  nicht  ohne  Weiteres  zahlt,   sondern  erst  nachdem 


■  Also  das  hier  vorli^ende  depoiitmn  (irtegulire)  wird  als   icrederer  be- 
leichnet.    Du  Folgende  nt  «in  Wortiriti  aus  der  Doppelb«d«Dtaiig  von  credere 
d  ^  •glauben*. 


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Plsnlus  Curcalio;  trifißoXov  in  Plaatiu'  BftccMdet  nnd  bei  Lysias.     195 

Curculio  plausible  Gründe  dafür  vorgebracht  hatte,  weshalb 
des  miles  nicht  selbst  komme  und  dass  er  Bote  desselben  sei. 
Andererseits  ist,  nach  Plautus'  Darstellung,  an  Curculio  gültig 
gezahlt,  und  es  würde  das  auch  vom  miles  nie  bezweifelt 
worden  sein,  falls  Curculio  wirklich  rechtmässiger  Briefinhaber 
gewesen  wäre.  Ob  nun  wirklich  in  einem  derartigen  Fall, 
trotz  der  voraufgehenden  Vereinbarung,  die  Zahlung  an  den 
Producenten  einer  gefälschten  Inhaberanweisung  Liberation 
nach  römischem  (griechischem)  Recht  bewirkt  hätte,  mag 
zweifelhaft  sein,  interessirt  uns  aber  hier  nicht.  So  viel  er- 
hellt mit  Sicherheit:  Die  (echte)  auf  Inhaber  lautende 
Zahlungsanweisung  legitimirt  den  blossen  Brief- 
inhaber zur  Empfangnahme  der  Zahlung,  minde- 
stens in  dem  Sinne,  dass  die  bona  fide  geleistete  Zahlung  des 
Assignaten  gegenüber  dem  Assignanten  als  giltige  Zahlung 
gilt.  Da  aber  im  vorliegenden  Falle  der  Assignat  (Luco)  sich 
bei  dem  blossen  Inhaberbrief  nicht  beruhigt,  sondern  weitere 
Legitimation  des  Präsentanten  (Curculio)  begehrt  und  erlangt, 
so  ist  wahrscheinlich  diese  Inhaberanweisung  nur  ein  un- 
vollkommenes Inhaberpapier  in  dem  oben  (S.  171)  ent- 
wickelten Sinne:  Luco  durfte  ohne  weitere  Prüfung  gültig  an 
den  Inhaber  zahlen,  aber  auch  weiteren  Rechtsausweis  be- 
gehren. Entscheidend  ist  endlich  nicht  die  in  den  Wachs- 
täfelchen ohnehin  schwer  erkennbare  Handschrift,  sondern  das 
Siegel  des  miles.  — 

Naturlich  konnte  das  gleiche  Ergebniss  auch  durch  ver- 
einbarte Vorzeigung  nur  eines  Siegelringes  erzielt 
werden,  indem  mtindlich  oder  schriftlich  ausgemacht  wird,  es 
solle  an  den  Vorzeiger  eines  gewissen  Siegelringes  gezahlt 
werden.  Von  diesem  Falle,  wo  also  der  blosse  Siegelring 
als  Inhaberanweisung  fungirt,  spricht  Plautus  in  den 
einer  Komtidie  des  Menander  nachgebildeten  Bacchides. 
Auch  hier  und  noch  klarer  als  im  Curculio  handelt  es  sich 
also  um  hellenische  Sitte. 

Nach  der  Erzählung  des  Chrusalus  ist  von  dem  Sohne 
des  Nicobulus,  Namens  Mnesilochus,  Geld  des  Nicobulus  in 
Ephesus  bei  Theotimus,  Priester  der  Ephesischen  Diana  depo- 
nirt,  und  zwar,  nach  bekannter  griechischer  Sitte,  im  Tempel : 
ibidem  puplicitus  seruant  (II.  3,  72  ff.  [v.  306  ff.]);  ist  weiter 
mit  Theotimus  verafjredet,  er  solle  das  Geld  demjenigen  zurück- 

13' 


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196  Inhaber-,  Order-  and  execntoruche  Crkanden  im  klauisclieD  Altetiham. 

geben,  welcher  ihm  den  Ring  des  Mnesilochns  vorzeigt  (11.  3, 
95  ff.  [t.  329,  330]): 

Quia  iä  signumst  cum  Theotimo,  qui  eum  (sc.  aaulum) 

illi  adferet, 
Ei  aurum  ut  reddat. 
An  einer  andern  Stelle  II.  3,  29  ff.  (v.  263  ff.)  ist  von 
einem  isumbulumt  ohne  nähere  Bezeichnung  die  Rede,  mit- 
telst dessen  sich  der  Sohn  des  Nicobulus  bei  dessen  Schuldner 
Archidemides  in  Ephesus  legitimiren  solle;  der  letztere  leug- 
nete aber  die  Echtheit  des  isumbulumc 

Ni.   Quid  ubi  ci  ostendit  sumbulum? 
Ch.  Infit  dicere 

Adulterinum,  non  verum  esse  sumbulmn.  — . — 
Wie  der  Siegelring,  konnte  auch  ein  anderes  Erkennungs- 
zeichen laut  Vereinbarung  zur  Erhebung  deponirter  oder  kre- 
ditirter  Gelder  legitimiren. 

Ein  solches  avußohnr  ist  vielleicht  (?)  die  goldene  Schale 
des  GrosskOnigs  bei  Lysias  vtiSQ  l^gimo<pavovg  xQ^^fimiav 
19,  25  (p.  154)".  Auf  diese  Schale  will  nämlich  deren  Em- 
pfänger Demos  von  Aristophanes  Geld  leihen,  weil  der  Nehmer 
der  Schale  auf  diese,  neben  sonstigen  Vortbeilen,  auch  Geld 
genug  auf  dem  ganzen  Festland  erhalten  werde  * ,  doch  lässt 
sich  A.  auf  das  Geschäft  nicht  ein. 


9. 
Unter  den  siebenbUrgischen  Darlehensurkunden  befindet 
sich  ein  offenbar  nach  hellenischer  Sitte  fonnulirtes  chiro- 
graphum >  vom  Jahre  162  n.  Chr.  (Bruns-Mommsen, 
fontesi  p.  267),  Inhalts  dessen  Alexander  Cari(cci)  bekennt, 
von  Julius  Alexander  60  E>enare  empfangen  zu  haben  und 
deren  Rückzahlung  nach  Kündigung  verspricht.     Desgleichen 

■  S.  Ubd  die  vielerCrtarte  Stelle  Heinia 
alteithUiiieT  S,  454  NoL  a.  Dui  hier  nicht  ti 
■ein  kann,  lenchM  ein. 

*  ort  lUtß*  avfißolov  Jtafä  ßaatUus  roS  fityälov  ipiälifv  X9'"'V'  — 
noi-iMV  yaf  äyii9^  xal  alXam  xal  j[ftifiäi<oi>  ivnoQ^oiiii  tut  rö  eififlolov 

3  S.   anch   Huichke,    Die  Lebre  i»  rSmiKlieii  Rechts  vom  Darlehn 
(igSa)  S.  97. 


izecoy  Google 


Klintel  tei  ad  quem  ea  i«i  psttinebit«.  197 

verspricht  er  stipulationsweise  vom  Tage  der  Aasstellung  ab 
monatlich  1  "/o  Zinsen: 

dari  Inlio  Alezandro  e.  a.  q.  e.  r.  p. 
d.  h.  eive  ad  quem  ea  res  pertinebit*. 

Die  Unbestimmtheit  dieser  Klausel  lässt  die  Möglichkeit 
zu,  an  eine  Order-  oder  gar  eine  Inhaber-Klausel  zu  denken. 
Die  Klausel  >is  ad  quem  ea  res  pertinett  begegnet  vielfach 
und  in  sehr  verschiedener  Bedeutung.  Die  Legalerklänmg  in 
1.  70  D.  de  V.  S.  (50,  16): 

Verba   haec    >is  ad   quem   ea   res  pertinetc   sie  intelli- 
guntur,  ut  qui  in  universiun  dominium  vel  iure  civil! 
vel  iure  praetorio  succedit,  contineatur " 
trifft  nicht  immer  zu.     Der  Satz  des  Paulus  in  1.  126  §  2  D. 
de  V.  O.  (45,  1): 

plerumque  enim  in  stipulationibus  verba,  ex  quibus  obli* 
gatio  oritur,  inspicienda  sunt:  raro  inesse  tempus  vel 
condicionem  ex  eo,  quod  agi  apparebit,  intellegendum 
est:  nunquam  personam,  nisi  expressa  sit 
gilt  so  allgemein  nur  fUr  die  römische  Konventionalstipulation. 
Schon  die  cautio  de  rato  mit  der  Klausei  » —  heredemve  eius 
eumve  ad  quem  ea  res  pertinebit«,  bezw.  mit  der  weiteren 
Klausel  >si  ille  in  integrum  restitutus  fuerit  heresue  eius  aut 
is  ad  quem  ea  res,  qua  de  agitur,  pertinebit*  ^  wird  freier  be- 
handelt :  1.  3  pr.  1.  22  §  7  D.  rat  rem.  hab.  (46,  8),  vgl.  auch 
1.  33  §  3  mit  1.  39  §§  I,  2  D.  de  proc.  (3,  3).  Desgleichen 
die  Ediktklausel  >ei  ad  quem  ea  res  pertineti  in  1.  9  pr.  g  3 
D.  de  bon.  auct.  iud.  (42,  5) ;  die  Satisdationsklausel  des  arro- 
gator  >ad  quos  ea  res  pertinet«  in  1.  19  D.  de  adopt.  (t,  7); 
die  Ediktklausel  für  das  ins  iurandum  meque  in  ipsum  neque 
in  eum  ad  quem  ea  res  pertinet*  in  1.  7,  8  D.  de  inreiur.  (12,  2); 
die  (interpolirte  ?) '  Klausel  eius  ad  quem  ea  res  pertinet  im 
iaterdictum  quod  iegatorum:  1.  1  §§  11,  14,  15,  vgl.  1.  1  §§  3, 

<  IHe  Klsnid  fehlt  in  4et  toaU  Umlichen  Urkande  L  135  pr.  §  1  D. 
de  V.  O.  (4S,  0.  findet  sich  dagegen  in  1.  46  D.  (leeta)  D.  d.  R.  C.  (la,  l) 
TOD  Panlui:  Pnblio  Maerio  eire  ad  quem  ea  res  pertiDebil. 

'  Vjl.  L  53  §  I  D.  de  O.  et  A.  (44,  ?)■  1-1  8  "•  1-  "9  8  5-  1-  3' 
%  at  D.  de  aed.  ed.  (21,  i),  auch  (?)  1.  3  §  nlt.  D.  de  contr.  tut.  (17.  4)- 

3  Lenel,  edictum  S.  433- 

*  Lenel,  «dictum  S.  361;  Lenel,  Palingeneüa  II  col.  801,  8m. 


,  Cioogle 


198   Inhaber-,  Order-  und  «lecntoriiche  Urkunden  Im  klainicheD  Alteithum. 

10  jceteros  successores«  §  13:  »sive  per  universitatem  sive 
in  rem  sit  successum*  D.  quod  leg.  (43,  3). 

Immerhin  lasst  sich  aus  dieser  Klausel  kein  sicheres  Er- 
gebniss  gewinnen  und  die  allgemeinen  Prinzipien  des  römi- 
schen Obligationenrechts  stehen  der  Erstreckung  der  Verbind- 
lichkeit gegen  nichtgenamite  Dritte  entgegen.  Aber  wie  durch 
diese  Prinzipien  sicher  nicht  die  Statthaftigkeit  der  unvoll- 
kommenen Order-  und  Inhaber-Klausel  ausgeschlossen  wird, 
so  zeigt  das  in  den  Rechtsquellen  freilich  nicht  behandelte, 
aber  im  Verkehrsieben  häufige  Institut  der  Auslobung,  dass 
nicht  schlechthin  an  der  Unbestimmtheit  des  Gläubigers  Anstoss 
genommen  wurde.  Denn  tiberall  wird  die  Belohnung  dem  (un- 
bestimmten) Finder  u.  dgl.  zugesagt :  >si  quis  eum  reddere  aut 
commostrare  voluerit,  accipiet  n.  M.«,  idixit  daturum  se  denar. 
M  ei  qui  ad  se  servum  perduxisset<  bis  herab  bis  zu  dem  be- 
rühmten Hundehalsband  »cum  revocaveris  me  domino  meo 
Zonino,  accipis  solidumt '. 

Ist  so  das  Schweigen  der  Rechtsquellen,  bei  deren  arger 
Lückenhaftigkeit  und  Verstümmelung,  kein  entscheidender  Be- 
weis gegen  das  Vorkommen  der  für  den  hellenistischen  Quellen- 
kreis sicheren  Zusagen  an  Order  oder  an  Inhaber,  so  ist  doch 
andererseits  möglich,  dass,  wie  aus  leicht  begreiflichen  Gründen 
die  Executivklausel  in  Wegfall  kam,  so  auch  die  hellenisti- 
schen Ansätze  zu  Schuldur  künden  auf  Inhaber  und  an  Order 
mit  der  vollen  Ausbildung  der  Cession  und  Delegation,  welche 
das  praktische  Bedürfniss  sicher  befriedigt  haben,  verkümmert 
sind.  Um  so  eher,  als  Cession  wie  Einkassirungsvollmacht 
in  dem  überwiegend  urkundlichen  Rechtsverkehr  der  späteren 
Zeit  sich  durch  formlose  Hingabe  der  Schuldurkunde "  voll- 
ziehen konnten,  die  Delegation  aber,  wie  sich  sogleich  zeigen 
wird,  indirekte  Zuweisungen  in  umfassendem  Maasse  ermöglichte. 

10. 
Unbedenklich  nämlich  in  Gebrauch  ist  die  Cr  der  an  Wei- 
sung.   Denn  das  Mandat  (iussos,  delegatio'),  mittelst  dessen 

■  Tzscbirner,  de  indole  promiss.  popul.  (Berol.  1S69)  p.  35  ff.,  sucb 
BrunB-Mominscn,  fontei'  p.  373.  374. 

>  1.  44  g  5  D.  de  leg.  I  (30).  1.  59  D.  de  leg.  III  (31)  u.  a.  m.  Meine 
Schrift:  Studien  zddi  BesiUrecht  (Festgabe  ftlr  R.  T.  Gneitt.     läSS.     5.  70). 

i  Ueber  inisoi  und  mondalum  i.  insbe».  Biim,  Pandekten  II>  S.  375 
NoL  31  S.  3Z3. 


Die  OrderaDTeisnng:   I.  ii   D.  de  doviL  199 

sowohl  die  Kreditanweisung  wie  die  Zahlungsanweisung  bewirkt 
wurde,  ist  eine  überaus  freie,  ganz  den  Interessen  des  grossen 
Verkehrs  gemäss  ausgebildete  Rechtsform. 

Der  sichere  Beweis  dafUr  liegt  in  einer  sehr  wichtigen, 
zwar  viel  besprochenen,  aber,  soviel  ich  sehe,  nur  von  Gide 
richtig  interpretirten ,  in  ihrem  Zusammenhang  mit  der  hier 
interessirenden  Lehre  nirgends  gewürdigten  Pandektenstelle, 
der  1.  11  D.  de  novat.  et  deleg.  (46,  2),  Es  ist  sehr  auf- 
fallend, dass  sogar  Thöl,  der  bei  seiner  durchaus  roma- 
nistischen Auffassung  der  Orderklausel  ausreichenden  Anlass 
gehabt  hätte,  unsere  Stelle  der  näheren  Prüfung  zu  unterziehen, 
auf  dieselbe  zwar  eingeht  (Handelsrecht  I  *  §  333  Note  4  und 
dazu  den  Text),  aber  den  entscheidenden  Punkt  ignorirt. 
Ulpianus  libro  27  ad  Hd. 

Delegare  est  vice  sua  alium  reum  dare  creditori  vel 
cui  iusserit.  Fit  autem  delegatio  vel  per  stipula- 
tionem  vel  per  Litiscontestationem. 

Basil.  XXVI  4,  11 :  '0  xe*'"ö*'Jfi  «'S  f^ftov  at-rov  öidioaiv 
vnev^tfvov  Tip  davei(n§  ^  ^tivt  intz^i\pBi,  ij  dtä  iite^ta- 
XT^aetas  ij  dia  Tt^oKozäQ^eoig. 

Dass  in  dieser  Legaldefinition  für  die  klassische  Zeit  das 
wichtige  >vel  per  expensilationemc  fehlt',  desgleichen,  dass 
dieselbe  insofern  zu  enge  ist,  als  die  Delegation  keineswegs 
nothwendig  ein  Schuldverhältniss  zwischen  Delegant  und  Dele- 
gatar voraussetzt',  hat  man  schon  wiederholt  mit  Recht  her- 
vorgehoben. 

Desgleichen  ist  ungenau  der  Satz  >fit  autem  delegatio 
u.  s.  f.*,  da  durch  stipulatio  oder  litiscontestatio  nicht  die  An- 
weisung jgeschieht«  (fit),  sondern  vollzogen  wird.  Es  wird, 
was  allerdings  auch  sonst  begegnet,  der  Ausdruck  delegatio 
auf  das  ganze,  aus  Anweisung  und  Vollziehung  der  Anweisung 
(durch  promittere)  zusammengesetzte  Rechtsgeschäft  be 
zogen ', 

>E)elegare  aliquemt  heisst,   jemand  zu  einer  Leistung  an- 

'  T.Salpin»,   Novation  und  Delegation  S.  78  ff. i  Gradenwiti,  i 
Zeibchr.  f.  Hkndelsr.,   N.  F.  VII  S.  297,  398. 

*  Thöl,  Handelsrecht  I*  §  333  NoL  4;  Btinz,  Pandecten  II>  5.  379 
Not  43- 

3  Richtiger  Seneca  de  benef.  VI  5  g  2:  delegatione  et  verbis  petfidtur 
solntio.     S.  auch  Brinz  a.  a.  O.  S.  375. 


,  Cioogic 


200  Inhaber-,  Order-  und  executorische  Uricaiiden  im  kla«Udien  Aliecthum. 

weisen,  synonym  mit  mandare,  iubere,  nur  spezialisirt  durch 
die  nothwendige  Beziehung  auf  den  Leistungsdestinatär  (alicoi, 
d.  h.  creditori  sive  alio  cuilibet)'. 

Die  Anweisung  kann  mündlich  oder  schriftlich  erfolgen. 
1.  17  D.  h.  t.  (46,  2):  delegare  scriptura  —  debttorem  suum 
quis  potest'. 

Hat  nun  —  um  bei  den  Voraussetzungen  der  1.  II  stehen 
zu  bleiben  —  Maevius  von  Titius  1000  zu  fordern,  so  ge- 
schieht die  Kreditan Weisung  (iussus  oder  mandatum  promit- 
tendi)  und  analog  die  Zahlungsanweisung  (iussus  oder  man- 
datum  solveodi)  dadurch,  dass  Titius  den  Sempronius  münd- 
lich oder  schriftlich  ersucht  (anweist),  er  möge  die  1000  dem 
»Maevius  vel  cui  iusserit«  zu  zahlen  versprechen  (zahlen)  — 
oder  so,  dass  Titius  den  Maevius  ersucht  (anweist),  er  möge 
»sich  vel  cui  iusseritc  die  1000  von  Sempronius  versprechen 
(zahlen)  lassen.  Die  schriftliche  Anweisung  in  der  üblichen 
Briefform  (epistola)»  enthalt  also  die  Orderklausel: 

Maevio  vel  cui  iusserit  (sc.  Maevius)  promitti  (dari), 
etwa  in  der  Form: 

Titius  Sempronio  salutem. 
Peto  et    mando   tibi   (quaeso  etc.),    ut  M   (quae 
Maevio   debeo)  Maevio   vel  cui   iusserit  (Maevius)   dari 
pi^jmittas  (des), 
ganz  wie  in  der  araorginischen  Schuldurkunde  a  (oben  S.  182) 
die  Gemeinde   Arkesine    zu    zahlen   verspricht :   IlQaiixlel    § 
wi   av   xeXevjji   ÜQaifKX^g. 

Selbstverständlich  ist  durch  die  blosse  Anweisung  die  Zu- 
wendung der  1000  an  Maevius  noch  nicht  vollzogen,  daher 
Titius  (Delegant,  Assignant)  von  seiner  (etwaigen)  Schuld 
gegen  Maevius  (Delegatar,  Assignatar)  noch  nicht  liberirt. 
Diese  Rechtswirkung    tritt   aber   ein,    sobald  Maevius  oder 

'  S.  auch  Gradeuwiti  i,  a.  O.  und  Wölfflin  cod.  IX  S.  SR 
>  S.   auch    Mflhieubrach,    Ce(sion3    %  4   Not.   641    KcMct,    Litis- 
coutestation  und  Urlheil  S.  90  Not.  5,  6. 

3  Belüge  bei  Gneis t,  Formelle  Vertrlje  S.  336—338;  die  Definition, 
du«  epiitola  rin  «Schuldscheine  in  der  Form  eines  Briefe«  sei,  iat  freilich  Tiel 
lu  enge.  So  enthalten  i.  B.,  wie  Gncist  selbst  hervorhebt,  L  S9  8  S  ™^ 
L  £a  §  I  D.  mand.  (17,  i)  ein  Kiediimandat,  i.  60  §  4  eod.  eine  Vollmacht 
in  BiiefTonn.  S.  auch  Bruns,  Unlcrachriften  S.  titff.  (Kleinere Schriften  II, 
S.  97  ff.). 


izecoy  Google 


Die  Oidermwelniiic :  L  ii  D.  de  ooraL  20t 

dessen  Order  (Delegatar,  weiterer  Assignatar,  Indossatar, 
etwa  Seius): 

a)  von  Sempronius  (Delegaten,  Assignaten)  periculo  suo ' 
die  1000  stipulirt,  oder 

b)  mit  Sempronius  deswegen  litem  contestirt,  oder 

c)  von  Sempronius  die  1000  (direkt  oder  indirekt)  gezahlt 
empfängt. 

Wenn  Seius   die  Order  des   Maevius  stipulirt,   so  wtirde 
dies  in  der  Form  geschehen: 
Seius:  M    quae   Titius   Maevio    debet,    dare    mihi 

spondes?  (mihi  dabis  etc.) 
Sempronius:  Spondeo  (dabo  etc.). 
Im  Falle  c  ist  die  beabsichtigte  Zuwendung  definitiv  rea- 
lisirt.  In  den  Fällen  a  und  b  ist  Sempronius  dem  Maevius 
(oder  dessen  Order  Seius)  unmittelbar  obligirt,  wie  ein 
Wechselacceptant,  und  kann  daher  prinzipiell  gegen  Mae- 
vius (Seius)  nicht  aus  den  Valuta-  oder  Deckungsver- 
hältnissen excipiren: 

quia   in   privatis  contractibus  et  pactionibus  non  facile 
scire  petitor  (Maevius  bezw.  Seius)  potest,  quid  inter 
eum   qui   delegatus  est  (Sempronius)  et  debitorem  (Ti- 
tium)  actum  est,  aut  etiamsi  sciat,  dissimulare  debet, 
ne  curiosus  videatur:  et  ideo  merito  denegandum  est 
adversus  eum  exceptionem  ex  persona  debitoris'. 
Durch  Realisirung  der  Anweisung  wird  eine  doppelte  Ver- 
mögenszuwendung bewirkt,  des  Deleganten  an  den  Delegatar 
und  des  Delegaten  an  den  Eteleganten:  1.  180  D.  de  R.  J. 
(50,  17).    1.  56,  64  D.  de  solut.  (46,  3).    1.  13  §  12  D.  de  don. 
int.  vir.  et  ui.  (24,  1).     l.  2  §  2  D.  de  donat  (39,  5)  u.  a.  m.^. 
Durch  Hinzufügung  der  Orderklausel  erhöht  sich  die  Zahl 
der  Vermögenszuwendungen,  indem  nun  der  Delegatar  (Mae- 
vius)   seiner   Order    (dem    weiteren   Delegatar,    Seius)    eine 

■  5.  unten  S.  ]o6. 

■L  19  D.  de  aovKL  (46,  1);  ThOl,  Handelnecht  I*-  S.  33a;  Schle- 
tinger,  Die  Unanfechtbarkeit  der  Delegationsati pnlation  S.  SfT.;  t.  S>1pia9 
a.  n.  O.  S.  itglT.;  Brini  II'  S.  380  E;  Windscheid,  Pandekten  [auch 
8.  Anfl.]  11''  §  35S  Not.  6  ff. 

ä  V.  Salpin«  ».  a.  O.  S.  43  ff, ;  Lotmar,  Cansa  S.  99  K,  IlSif.; 
A\'ind»cheid  [anch  8.  AuH.J  II,  §  353  NoL  9,  §  412. 


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202  Inhaber-,  Order-  anA  execuloritche  UTkunden  ii 

Leistung   zuwendet;    es   ist   möglich,   dass  die  Order  (Seius) 
einen  weiteren  Leistungsempfänger  bezeichnet  u.  s.  i. 

Das  Quellenmaterial  ist  zwar  nicht  tiberall  vollkommen 
deutlich,  aber  doch  ausreichend : 

1.  9  D.  de  cond.  c.  d.  (12,  4):  Jemand  will  einer  Frau 
schenken  und  verspricht  auf  deren  Weisung  (iussu  eius)  an 
deren  Bräutigam. 

1.  36  D.  de  iure  dot.  (23,  3) :  Der  Schuldner  einer  Ehe- 
frau verspricht  iussu  eius  dem  Ehemann  derselben. 

1.  5  §  3  D.  de  donat.  int.  vir.  et  ux.  (24,  1):  si  debitor 
viri  iussu  mariti  uxori  promiserit.  Vgl.  1.  2  §§  1 — 4  D.  de 
donat.  (39,  5).  1.  7  pr.  §  1  D.  de  doli  m.  exe.  (44,  4).  1.  33 
D.  de  novat.  (46,  2).     1.  64,  66,  108  D.  de  solut.  (46,  3). 

Näher  Gaius  1.  31  §  3  D.  de  m.  c.  donat  (39,  6): 

Si  iusseris  —  mortis  causa  (mihi  daturus?)  debitorem 
tuum  mihi  aut  creditori  meo  expromittere  decem — .  Wie 
nun ,  wenn  der  debitor  zahlungsunfähig  ist  ?  Habe  ich  stipu- 
lirt,  so  bin  ich  bezahlt,  soweit  der  Schuldner  zahlungsfähig 
war;  hat  mein  Gläubiger  (meine  Order)  stipulirt,  so:  tantam 
videri  pecuniam  mc  accepisse,  in  quantum  a  creditore  meo 
liberatus  sum. 

lulian.  1.  18  §  1  D.  eod.: 

Si  donatunis  mihi  mortis  causa  debitorem  tuum 
creditori  meo  delegaveris,  omnino  capere  videbor  tan- 
tam pecuniam ,  quanta  a  creditore  meo  liberatus  fuero. 
quod  si  ab  eodem  ego  stipulatus  fuero,  eatenus  capere 
existimandus  ero,  quatenus  debitor  soluendo  fuerit  — . 

Marcian  I.  49  D.  de  solut.  (46,  3); 

—  sed  si  iussu  eius  (creditoris)  alü  solvatur  vel 
creditori  eius  vel  futuro  debitori  vel  etiam 
ei  cui   donaturus  erat   — 

Papinian  1,  96  pr.  D.  eod.: 

Pupilli  debitor  tutore  delegante  pecuniam  credi- 
tori tütorls  solvit:  liberatio  contingit,  si  non  malo 
consilio  cum  tutore  habito  hoc  factum  esse  probetur. 

Julian  (Ulpian)  1.  9  §  8  D.  de  R.  C.  (12,  1): 

—  cum  quotidie  credituri  pecuniam  mutuam  ab  alio 
(z.  B.  dem  Bankier)  poscamus,  ut  nostro  nomine  cre- 
ditor  numeret  futuro  debitori  nostro  — 


,  Google 


Die  OrderanweitaDg:  1.   ii  D.  de  novit  203 

Tgl.  1.  15,  30  eod.  1.  34  D.  maodat.  (17,  1).  1.  19  §  5  D.  ad 
S.  C.  Vellej.  (16,  1). 

Zwei  gleichzeitige  Deleganten  (pater  et  filius) ;  ei  promit- 
tendum  fuit,  cui  uterque  iusserit.  1.  2  §  1  D.  sol.  matr. 
(24,  3),  - 

In  der  Regel  wird  von  den  Interpreten  auf  die  Klausel 
»vel  cui  iusserit«  in  1.  11  D,  de  novat.  nicht  näher  eingegangen, 
oder  dieselbe  wird  gründlich  missverstanden.  Thöl  I'  §  333 
übersetzt  die  Klausel  »vel  cui  iusserit*  dahin,  dass  der  Dele- 
gant demjenigen,  der  sein  Gläubiger  ist,  »oder  werden  soll«, 
statt  seiner  einen  neuen  Schuldner  stellt  Ob  mit  den  hervor- 
gehobenen Worten  die  Order  (der  weitere  Delegatar)  be- 
zeichnet werden  soll,  ist  nicht  ersichtlich. 

V.  Salpius  S.  87  vertheidigt  die  in  unserer  Stelle  ge- 
gebene Definition  der  delegatio  und  bemerkt  sodann:  Die 
Worte:  »vel  cui  iusserit«  werden  gewöhnlich  (?)  bezogen  auf 
den  komplizirten  Fall  einer  gleichzeitig  ausgeführten 
doppelten  Delegation,  von  dem  Deleganten  an  den  creditor, 
von  diesem  an  einen  Dritten,  so  dass  ergänzt  wird,  cui  »cre- 
ditor« iusserit,  nämlich  reum  dari.  Eine  viel  näher  liegende 
Beziehung  gewinnen  die  Worte  aber,  wenn  man  ergänzt  cui 
(non  creditori)  delegans  iusserit  promitti.  Der  Fall  wird 
so  gedacht,  dass  der  Delegatar  nicht  Gläubiger  des  Dele- 
ganten ist,  der  Delegant  also  fremden  Kredit  statt  seines 
eigenen  giebt.  —  Diese  Auslegung  findet  sich  auch  bei  Aelteren, 
insbesondere  Duaren.  Sie  ist  aber  unmöglich.  Denn  in 
unserer  Stelle  ist  der  Delegant  stets  Schuldner  des  Dele- 
gatars, nur  darf  der  Delegatar  sich  einen  anderen  (weiteren) 
Delegatar  substituiren.  Natürlich  erfolgt  nicht  gleichzeitige 
Doppeldelegation,  noch  weniger  Ausführung  zweier  Dele- 
gationen. Vielmehr  hat  der  Delegant  (Titius)  es  in  das  Be- 
lieben des  Delegatars  (Maevius)  gestellt,  ob  derselbe  vom 
Delegaten  (Sempronius)  die  Zahlung  der  1000  sich  (Maevio) 
oder  einem  andern  statt  seiner  (einem  beliebigen ,  etwa  dem 
Seius  oder  dem  Fublius  oder  wem  er  sonst  will)  versprechen 
lassen  will;  vollzogen  (ausgeführt)  wird  die  Delegation 
(das  angenommene  mandatum  promittendi)  dadurch,  dass  Sem- 
pronius Zahlung  verspricht,  dem  Maevius  oder,  falls  dieser  es 
verlangt,  einem  andern  (dem  Seius  oder  Publius  oder  — ). 

Salkowski,  Novation  S.  121,  Not.  44,  ergänzt  richtig 


204   Inliaber-,  Order*  und  ex«catoritche  Urltondeii  im  kUioicheii  Alterthnm. 

creditor,  meint  aber,  A  (Titius)  weise  den  B  (Sempronius)  an, 
dem  C  (Maevius)  zu  promittiren,  was  D  (Seius),  Gläubtgo' 
des  A,  dem  C  schuldet.  Eine  solche  Anweisung  ist  zwar 
möglich,  aber  in  unserer  Stelle  nicht  enthalten.  Es  ist  nicht 
nothwendig,  dass  dem  C  promittirt  wird,  sondern  es  kann  auf 
Verlangen  des  C  direkt  dem  D  promittirt  werden,  und  es  ist 
nicht  nothwendig,  dass  D  Schuldner  des  C,  noch  dass  D 
Gläubiger  des  A  ist.  Von  alledem  enthält  unsere  Stelle  nichts. 

Ganz  wunderlich  übersetzt  unsere  Stelle  C.  Danz,  Die 
ForderungsUberweisung  —  mit  anscheinender  Zustimmung 
Dernburg's,  Pandekten  [auch  5.  Aufl.]  II  §  59  Note  7: 
lEine  Delegation  liegt  vor,  wenn  ein  Schuldner  an  seiner 
Stelle  seinen  Gläubigem  einen  andern  Schuldner  gibt  oder 
wenn  ein  Gläubiger  an  seiner  Statt  seinem 
Schuldner  einen  anderen  Gläubiger  gibt.«  Das  vel 
cui  iusserit  heisse  so  viel  wie  >vel  debitoric  und  es  sei  zn 
lesen:  vel  (reum  dare  ei  debitori)  quem  (delegans)  iusserit. 
Mir  scheint  hier  Missverständniss  auf  Missverständniss  gehäuft 
und  durch  willkürliche  Hineintragung  des  zweiten  Falles  der 
Delegation  (Delegation  seitens  des  Gläubigers)  der  Sinn  der 
Stelle  völlig  verdunkelt. 

Das  Richtige  meint  vielleicht  Gradenwitz  a.  a.  O. 
S.  298:  >Man  kann  nicht  bloss  dem  Gläubiger  einen  Mann 
stellen,  sondern  ebenso  einen  Vierten,  an  den  der  Gläubiger 
den  Mann  weist«  —  aber  es  scheint  doch  das  Missverständniss 
unterzulaufen,  dass  von  vornherein  die  Person  des  »Vierten« 
bestimmt  sein  müsse,  womit  die  so  werthvoUe  Orderklause! 
nahezu  allen  praktischen  Werth  für  den  Delegatar  einbUssen 
würde. 

Auf  Gide,  6tudes  sur  la  novation  (Paris  1879)  komme 
ich  sogleich  zurück. 

11. 

Die  vorstehenden  Ausführungen  dürften  ergeben  haben, 
dass  das  hellenische  Recht,  sicher  das  spätere,  die  Schuld- 
verschreibung an  Order  oder  an  Inhaber,  wenigstens  mit  alter- 
nativer Order-  oder  Inhaber-Klausel  kannte. 

Aus  Plautus  erhellt,  dass  im  zweiten  Jahrhundert  vor 
unserer  Zeitrechnung,  anscheinend  auch  im  römischen  Ge- 
schäftsleben,  die   briefliche  Anweisung   mit  der  einfachen  In- 


Ueberweisnngdcelte.    Scontratlon.     Schluu.  205 

haberklausel  vorkam,  aber  anscheinend  nur  als  unvollkommenes 
Inhaberpapier. 

Für  die  Schuldverschreibung  mit  Inhaber-  oder  Order- 
Klausel  findet  sich  in  römischen  Quellen  kein  sicherer  Anhalt ; 
ganz  sicher  dagegen  ist  die  (mtlndliche  oder  schriftliche)  An- 
weisung mit  der  Orderklausel. 

Es  ist  femer  nicht  abzusehen,  warum  nicht  die  »Order< 
(Seius)  weitere  »Order«  ertheilen  könnte,  sowohl  zum  Z^ahlen 
wie  zum  Promittiren,  es  ist  also  eine  Kette  von  Ueber- 
weisungea  denkbar,  wie  mittelst  des  heutigen  (indossirten) 
Orderwechsels  und  im  heutigen  wie  mittelalterlichen  Scontro- 
verband.  Dies  bemerkt  auch  zutreffend  G  i d e  a.  a.  O.p.  439ff., 
indem  er  1.  11  de  novat.  richtig  von  der  successiven  Delegation 
versteht  und  die  Bedeutung  der  Delegation  für  den  römischen 
Kreditverkehr  richtig  würdigt.  Um  so  auffallender  ist  dann 
freilich,  dass  Gide,  nach  Schilderung  der  heutigen  Orderklausel 
p.  437,  438  bemerkt:  »une  clause  bien  simple  en  apparence, 
mais  que  tout  le  g^nie  des  jurisconsultes  romains 
n'avait   pas   su   inventer*! 

Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  die  komplizirten  Kredit- 
operationen, im  Alterthum  vielleicht  noch  mehr  als  in  der 
Gegenwart,  sich  vorzugsweise  mittelst  des  hoch  ausgebildeten 
Bankwesens  vollzogen.  Der  Ueberweisungsverkehr  wird  sich 
vorzugsweise  gegenüber  oder  gar  zwischen  Bankiers  bewegt 
haben.  Jeder  anständige,  nicht  völlig  unbemittelte  Grieche  und 
Römer  hatte  so  gut  seinen  Bankier  wie  der  heutige  Engländer; 
durch  ihn  zahlte  er  und  kassirte  er  ein,  ihm  überwies  er  seine 
atisstehenden  Forderungen  und  Schulden  u.  s.  f.".  In  den 
Händen  bezw.  Büchern  der  Bankiers  koncentrirte  sich  so  die 
Masse  der  ausstehenden  Geschäftsforderungen,  und  da  sie  selbst- 
verständlich untereinander  in  fortlaufenden  Geschäftsbeziehungen 
standen,  so  müssen  sie  auch  ihre  Konten  durch  regelmässige 
Abrechnungen  angeglichen  haben. 

Ist  so  der  Delegatar  (Maevius)  Bankier,  so  lässt  er  selbst- 
verständlich das  Zahlimgsversprechen  bezw.  die  Zahlung  durch 
den   Delegaten  (Sempronius)  an   denjenigen  leisten,   welchem 


>  Wu  M.Voigt,  Ueber  die  Bankien,  die  Buch  fUunns  und  di«  Litteral- 
obliguioD  der  Rfimer  (1887)  S.  13 — 15  du  lOrdergetcIiIft*  nennt,  okne  die 


„Google 


206  Inhaber',  Order-  und  «cecntoriiche  Urkunden  im  IcUaitcheD  Altotham. 

er  eine  Zahlung  zuweisen  will:  an  einen  Kunden,  welchem  er 
zahlen,  kreditiren  will,  an  den  Bankier  dieses  Kunden  u.  s.  f. 
Das  Zahlungsversprechea  bezw.  die  Zahlimg  wird  natürlich 
nur  einmal  geleistet ;  dass  etwa  der  Delegat  (Sempronius)  »an 
Order«  promittirt,  ist  nach  Obigem  wenig  wahrscheinlich. 

Setzen  wir  an  Stelle  der  promissio  (Stipulation  bezw.  Sti- 
pulationsurkunde :  cautio)  nach  klassischem  Recht  die  expensi- 
latio,  so  wird  der  Delegatar  (Maevius),  welcher  mit  dem  Dele- 
gaten (Sempronius)  in  Geschäftsverbindtmg  steht,  die  1000 
entweder  sich  oder  seiner  Order  (Seius  —  vielleicht  der  wei- 
teren Order  des  Seius)  transscribiren  lassen :  a  persona  in  per- 
sonam,  und  es  können  auf  weitere  Order  des  nunmehrigen 
Buchgläubigers  (Seius  etc.)  weitere  Uebertragungen  in  den 
Bankbüchem  erfolgen:  Gaius  III,  130. 

Durch  die  promissio  an  oder  die  transscriptio  auf  (Maevius 
bezw.)  Seius  wird  Sempronius  diesem  obligirt:  verbis  oder 
literis.  Wird  der  Delegant  (Titius)  dadurch  gegenüber  dem 
Delagatar  Maevius  (falls  er  dessen  Schuldner  ist),  bezw.  wird  der 
Delegatar  (Maevius)  dadurch  gegen  seine  Order  Seius  (falls 
er  dessen  Schuldner  ist)  liberirt  ?  Entscheidend  ist,  ob  Maevius 
bezw.  Seius  suo  periculo'  die  Zusage  (promissio ,  trans- 
scriptio) des  Sempronius  entgegennimmt,  oder  ob  dies  nicht 
der  Fall  ist 

Paulus.     I.  26  §  2  D.  mand.  (17,  1): 
quia  bonum  nomen  facit  creditor,  qui  admittit  debi- 
torem  delegatum. 
Vgl.  Paulus.    1.  22  §  2  eod.: 

cum  debitor  mens   periculo  suo  debitorem  suum  mihi 
delegat. 

Vollzieht  sich  die  promissio  bezw.  transscriptio  auf  Gefahr 
des  Delegatars,  so  besteht  die  Möglichkeit  der  Scontration, 
welche  bekanntlich  seit  den  mittelalterlichen  Wechselmessen  in 
immer  steigendem  Maasse  zur  Ausgleichung  der  Schulden  des 
grossen  Geschäftsverkehrs  dient.     Denn  ihr  einfacher  Grund- 

<  Ob  dt»  >tno  periculo*  im  Zwdf«l  tablnteingirt  wurde,  insofern  also 
die  promissio  des  Delegaten  als  Baarleistiiag  des  Deleganten 
galt,  ist  freilich  iweifelhaft,  mid  es  dtlrfle  diese  reine  Aasl^itngsfrage  tod 
den  klassischea  Juristen  sellxt  verschieden  beantwortet  worden  sein  —  im  Bank- 
verkehr  wahrscheialich  bejahend.  Ueber  die  Streitfrage  s.  Wiodscheid,  Pan- 
dekten 11^  [auch  7.  beiw.  S.  Aufl.]  §  412  Not.  17,  §  500  Not  9  nnd  Gt, 


oogle 


UebenreLiuDgikette.     Scostration.     Schlais.  207 

gedanke  ist,  dass  unter  den  Mitgliedern  des  Scontroverbandes  — 
und  in  einem  solchen  können  sehr  wohl  römische  wie  griechi- 
sche Bankiers  gestanden  haben,  man  denke  nur  an  deren 
Organisation  in  Konstantinopel  noch  zur  Zeit  Justiniaos : 
Nov.  136.  Ed.  Justin.  VII.  IX.  —  jedes  gleich  gut  ist,  sich 
daher  die  Ueberweisung  jedes  anderen  Mitgliedes  dieses  Ver- 
bandes als  Schuldner  gefallen  lassen  muss'.  — 

Endlich  ist  zu  erwägen,  dass  zwar  ein  formlos  statthaftes 
constitutum  zur  Vollziehung  der  Delegation  nicht  genügte', 
dass  aber  im  späteren  römischen  Recht  die  promissio  (das 
Stipulationsversprechen)  überwiegend  urkundlich  mit  beigefügter 
Stipulationsklausel  geschah  und  dass  sogar  der  Gegenbeweis 
unterlassener  Stipulation  gegen  die  Stipulationsurkunde  (cautio) 
beschränkt,  schliesslich  nahezu  angeschlossen  wurde '.  In  dem 
so  überwiegend  schriftlichen  Geschäftsverkehr  schon  der  klassi- 
schen Zeit  musste  die  Orderklausel  der  Anweisung  eine  wich- 
tige Rolle  spielen.  ' 

Ob  all  dies  sich  im  Bankverkehr  nicht  noch  einfacher 
vermittelst  des  receptum  argentarü  gestaltet  hat,  lässt 
sich  bei  der  Lückenhaftigkeit  unserer  Ueberlieferung  nicht  fest- 
stellen. Dass  dieses  schneidige  Institut  nicht  mehr  zu  dem 
leitenden  Gedanken  des  byzantinischen  Wirthschaftslebens 
passte,  ist  freilich  zuzugeben,  und  Justinian  motivirt  denn  auch 
dessen  Abschaffung,  1.  2  C.  de  const.  pec.  (5,  31),  in  ähnlicher 
Weise,  wie  das  heutige  Wechselinstitut  von  manchen  wenig 
verständigeren  Gegnern  bekämpft  wird. 

Höchst  fragmentarisch  ist  unser  Wissen  von  dem  grossen 
Geschäftsverkehr  der  klassischen  Zeit  und  nur  mühsam  ver- 
mögen wir  aus  zufälligen  Ueberlief erungen ,  sowie  aus  den 
durch  die  KompUatoren  arg  verstümmelten  Juristenschriften, 
welche  ohnehin  durch  ihre  abstrakte  Fassung  die  thatsSchliche 
Unterlage  der  Geschäftsverhältnisse  nur  zu  häufig  verdecken, 
ein  sicheres  Bild  von  dem  Verkehrsrecht  dieser  Blüthezeit  zu 
gewinnen.     Nicht   einmal  so  viel  ist  zu  ersehen,   ob  das  spät- 

■  Mein  Sjstem  da  Handelmchli  in  GniDdrui>  (1SE9)  S.  17S  [4.  Aufl. 
{1892)  S.  319]. 

'  S.  anch  Lenel,  PolmgenesU   inrii  ciTÜii  II  col.  579  Not.  5. 

S  I,  14  C  de  contr.  stip.  {8,  37);  Gneiit  a.  a,  O.  S.  243  ff.  Vgl. 
BruDDer,  Zar  Rechtsgcachichte  der  Urlmade  S.  54,  6off.  nnd  Kftriowa, 
Rdm.  RechUgeichichCe  I  5.  779  ff.,  SoolT.,  995  ff.,  iioi. 


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208  Inhaber-,  Ordei>  und  execnloisclw  Urkunden  im  klasiBcheD  Alterthnm. 

griechische  Recht  mit  seinen  die  Inhaber-  bezw.  Orderklausel 
enthaltenden  Scbuldurkunden,  etwa  auch  mit  der  Executiv- 
klausel',  mindestens  im  hellenistiscben  Osten  noch  in  späterer 
Zeit  als  Bestandtheil  eines  vorwiegend  auf  altem  Handels- 
gebrauch beruhenden  »Vulgarrechts»  Geltung  bewahrt,  viel- 
leicht gar  weitere  Verbreitung  gefunden  hat.  — 

Dem  antiken  Wechselbrief,  dessen  Spuren  noch  mehr 
verdunkelt  sind,  muss,  wie  schon  im  Eingange  bemerkt  ist, 
eine  besondere  Untersuchung  zu  Theil  werden. 

*  Dui  lolche  Toiluun,  leifrC  das  pactum  de  ingredienda  ponesaioael  1.  3 
C.  de  pign.  (8,  14)  von  Severut  und  Antoninus.  S.  über  die  Stelle  Dern- 
bnig,  Ffandrecht  11  S.  337  mid  Wach,  ArreitproceM  I  S.  57  ff. 


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7. 

URSPRÜNGE  DES  MÄKLERRECHTS. 

INSBESONDERE: 

SENSAL. 

(1882.) 


Goldacbmidt,  Tenn.  Schiißen  U. 


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I. 

Bekanntlich  hat  vor  geraumer  Zeit  Labaod  den  Nachweis 
versucht,  dass  die  Handelsmäkler  in  den  romanischen 
Ländern  wie  in  Deutschland  ursprünglich  nur  Urkundspersonen, 
nämlich  mit  öffentlichem  Glauben  versehene  Schreiber  und 
Solennitätszeugen  gewesen  seien,  welche  dami  auch,  anfangs 
wohl  per  abusum,  sich  mit  der  Vorbereitung  tmd  der  Ver- 
mittelung  von  Handelsgeschäften  befasst,  endlich  dafür  ein 
Monopol  erlangt  haben ' , 

Die  auf  einen  bisher  nur  wenig  benutzten  Apparat  vor- 
wiegend deutscher  Rechtsquellen  gestützte,  mit  Feinheit  durch- 
geführte Hypothese  hält  indessen,  meines  Erachtens,  der  ge- 
schichtlichen Untersuchung  nicht  Stand.  Insbesondere  ergeben 
die  freilich  erst  während  des  letzten  Measchenalters  in  aus- 
reichender Zahl  aufgedeckten  romanischen  Quellen,  aus  welchen 
das  moderne,  auch  in  Deutschtand  unter  Ueberwindung  des 
vielleicht  originären  dürftigeren  einheimischen  Verkehrsinstituts 
siegreich  durchgedrungene,  nun  wieder  im  Absterben  begriffene 
Mäklerrecht  erwachsen  ist,  dass  in  den  Mittelmeerländem  die 
Handelsmäkler  von  vorneherein'  als  vereidigte  Beamte  der 
Kaufmannschaft,  Städte,  vielleicht  schon  früher  der  orien- 
talischen Fürsten   in  einer  rechtlich  fest  geordneten  und  aus- 


■  Zeitschrin  für  Deutschei  Recht  vonBeseler,  Rejrscher  und  Stob  be 
Bd.  XX  S.   I  ff.  C1860). 

'  Die  Neapolittmische  Urkunde  tod  965  (Regii  Neapol.  archivi  monnm. 
1S47,  n.  109  p.  137),  welche  PertUe,  Stori«  del  diritto  Ital.  IV  p.  647 
Note  49,  als  Utestes  Ztagtäf  fBr  die  Geschiclite  des  italienischen  Miklerrechts 
dtirt,  b«tieht  lich  nicht  sowohl  auf  Getchäftavermittler,  ils  auf  gute  Freunde, 
durch  deren  Znreden  die  Streittheile  lu  einem  Vergleich  über  Grundsttlcks- 
rechtirerhiltnitse  gelangt  und ;  per  colloqnia  >TonoruiD  homiuum<  remmu«  in 


,  Cioogic 


212  UnprUuge  de«  Miklerrechti.     Inibetondere;  Sennd. 

schliessenden  VermittlersteUtmg  auftraten.  Ob  sie  von  vorne- 
berein  auch  die  Vertragsurkunden  abgefasst  haben  und  ob  sie 
alsbald  mit  Öffentlicher  Glaubwürdigkeit  versehen  waren,  lässt 
sich  nicht  nachweisen  —  eher  dürfte  das  Gegeatheil  wahr- 
scheinlich sein. 

Die  rechtliche  Ordnung  des  Mäklerwesens  ist  sehr  alt; 
ihre  Anfänge  reichen  sicherlich  in  den  Beginn  der  KreuzzUge 
zurück. 

Von  früheren  Erwähnungen  der  Mäkelei  und  Mäkler- 
taxen für  einzelne  Gegenstände  (z.  B.  für  Pferdehandel,  für 
Heirathsvermittelungeo  u.  a.  m.)  soll  hier  abgesehen  werden. 
Aber: 

Genua  hat  bereits  1154  »censariic,  welche  festbestellt 
sind  und  zur  Waarenschätzung  verwendet  werden  (lib.  iur. 
reipubl.  Genuensis  I  Nr.  205). 

Eine  von  den  emendatores  brevis  revidirte  Mäklertaxe 
von  Genua,  bei  schon  früherem  Bestände  von  Statut  und 
Korporationsverfassung,  datirt  von  1204  (lib.  iur.  reipubl. 
Gen.  I  N.  475). 

In  Venedig  bestehen  Mäklerordnung  und  Taxe  1217 
(Romanin,  storia  documentata  di  Venezia  II  p.  38t)';  aus- 
führliche Bestimmungen  enthält  u.  A.  das  Capitular  des  Deut- 
schen Hauses  daselbst  1268  ff.  (s.  unten). 

Barcelona  hat  eine  Maklertaxe  1251  und  eine  ausführ- 
liche Mäklerordnung  1271  (Capmany,  memorias  historicas 
t.  II ,  appendice  de  algunas  notas  p.  72  ff. ,  vgl.  t.  I  parte  2 
p.  215). 

Ein  bereits  revidirtes  Statut  für  die  Mäklerinnung  wird 
1275  in  Lucca  erlassen  (Bini,  I  Lucchesi  a  Venezia  I 
p.  345  ff.). 

Für  die  Mäkler  der  Tucher-  und  Weber-Innung  in  Siena 
enthält  das  Statute  de'  lanajuoli  von  1298  dist.  VI  (Statuti 
Senesi  scritti  in  volgare  —  per  cura  di  F.  L.  Polidori)  aus- 
führliche Bestimmungen. 

In  Piacenza  ist  schon  vor  1275  ihr  Rechtsverhältniss 
geordnet  (Stat.  antiqua  mercatorum  placentiae ,  rev.  1321 : 
Nr.  265  ff.,  324,  363,  599,  628,  691,  692). 


■  Vgl.  auch  Ubec  die  Venet.  Miklcricnang :  Sagredo,  mlle 
delle  arti  edificalive  in  Veneiia  p.  59 ;  Veouia  e  te  sue  lagoae  vol.  I  p. 


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Unprtlage  des  MUderrecliU.    IntbeioadeKt  Sanaal.  213 

In  Florenz  enthält  Bestimmun^n  das  Statut  der 
Wechslerzunft  von  1299  (Pagnini,  della  decima  II  p.  135), 
ausführliche,  das  mindestens  bis  1302  zurückreichende,  wieder- 
holt revidirte,  1332  vulgarisirte  hochwichtige  Statut  der  arte 
de'  mercatanti  di  Calimala,  insbesondere  lib.  II  c.  1  (bei 
P.  Emiliani-Giudici,  storia  dei  comuni  Italiani  vol.  III 
p.  171  ff.). 

Verona  hat  seine  Mäklerordnung  (auch  hier  Innung 
und  Innungsstatut)  im  Stat  domus  mercatorum  von  1319 
lib.  III  c.  63  ff. 

Besonders  reich  ist,  wie  in  allen  handelsrechtlichen  Ma- 
terien, das  Statutarrecht  von  Pisa.  Neben  zahlreichen  Vor- 
schriften im  breve  communis  von  1286,  insbesondere  lib.  I 
c.  163,  164,  aus  denen  wir  u.  A.  ersehen,  dass  100  Mäkler 
bestellt  werden  —  wenig  abweichend  das  revidirte  breve  com- 
munis von  1313  ff.,  insbesondere  lib.  I  c.  215  (Bonaini, 
Statut!  ined.  di  Pisa  I  p.  295,  III  p.  231)  —  enthalten  die 
Statuten  der  grossen  Kaufmanns-  und  Gewerbs-Gilden  (curia 
mercatorum,  curia  raaris,  ars  lanae,  welche  seit  1305  revi- 
dirt  sind),  sowie  die  Speziaistatuten  der  einzelnen  Innungen 
theils  sehr  ausführliche  Vorschriften,  theils  eigentliche  be- 
sondere Mäklerordnungen,  z.  B.  breve  sensalium  zum  breve 
consulum  mercatorum  bezw.  dem  breve  dei  consoli  di  mer- 
canti,  zum  breve  curiae  maris  bezw.  dem  breve  dell'  ordine 
dei  mare  u.  a.  m.  (z.  B.  Bonaini,  statuti  ined.  di  I^sa  vol.  I 
p,  97,  115,  585,  606).  Daran  schliessen  sich  Bestimmungen 
in  den  Genuesischen  und  Pisaner  Faktoreistatuten  für  Pera, 
kodificirt  spätestens  1316  (Promis  in  Miscellanea  di  storia 
Italiana  t.  XI  p.  513 ff.,  vgl.  Lastig,  Entwicklungswege  und 
Quellen  des  Handelsrechts  S.  173ff.);  Cagliari,  von  1318 
(zuletzt  edirt  von  Bonaini  a.  a.  O.  III  p.  1083 ff.:  cap.  39ff.: 
Capitulo  de'  Sensali)  u.  A.  m.,  sowie  mehr  oder  weniger 
eingehende  Bestimmungen  in  den  zwischen  den  italienischen 
Städten  und  den  Sarazenenfürsten  geschlossenen  Handels- 
verträgen (Amari,  i  diplomi  Arabi  dei  R.  Archivio  fioren- 
tino.  M.  de  Mas  Latrie,  traitfö  de  paix  et  de  com- 
merce et  documents  divers  concemant  les  relations  des  Chrötiens 
avec  les  Arabes  de  l'Afrique  septentrionale  au  moyen  Ige). 
Die  Quellen  bereits  bis  zur  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  fliessen 
ungemein  reichlich,   dagegen  die  längst  bekannten  und  viel 


l^iOOglc 


214  UrtprUng«  det  Mlklerrecbu.    Insbesonder«:  ScdmI. 

fach   erwähnten    italienischen  Mäklerordnungen  gehören   fast 
alle  der  späteren  Zeit  an.  — 

Die  Bezeichnungen  der  Geschäftsvermittler  in  den  ver- 
schiedenen Ländern  sind  Überaus  mannigfaltig,  und  merk- 
würdiger Weise  ist  für  die  meisten  und  wichtigsten  darunter 
die  sprachliche  Herleitung  äusserst  dunkel '.  Das  deutet 
darauf  hin ,  dass  es  sich  um  vielfach  Übertragene  und  damit 


'  Id  den  germADischen  Linden)  begegnen  intbeiondere  die  Beteicli- 
nungen; 

s Dd(t)er)(anffel,  nndeTconfer  n.  dgl.  '~  lubmetcator ,  Zwücben- 
hKndter.  So  schon  in  Köln  1360  (Ennen  und  Eckerti,  Urknodenbuch  II 
Nr.  416},  SUdtbnch  Ton  Augsburg  1276  (Meyer)  Art.  XXVI,  SUdIrecht  Ton 
München  (Auer)  Art.  316,  495,  503,  in  StraBborg,  aber  ancli  Prag,  Brilnn, 
Wien,  Ofen  n.  1.  f.  Vgl.  «ach  J.  Grimm,  WeiithUmer  I  343,  761,  38; 
U  15t.  Eintelnet  bei  Laband  a.  a.  O.  S.  soff,  nnd  namentlich  SchmoMer, 
Die  Straaburget  Tücher-  nad  Webenonft  S.  366,  41g,  439S. 

MSlcler,  makelar  n.  d^,,  das  dem  hochdeutschen  imecheler*  ent* 
■precbende  niederdcnlMfae  nnd  niederllnditdie  Wort,  von  maken  ^  machen, 
alio  dec  Zutandebringer,  Vermittler,  Unterhfindler.  S.  Heyne  im  Dentfchen 
Wötteibacli  vonj.  nnd  W.  Grimm  b.  *.  Vgl.  Pauli,  LQbeckische  ZostSnde  * 
im  Mittelalt«  I  S.  139,-  III  S.  73  il.  (in  Lübeck  bereits  im  Jahre  1300  nnter 
diesem  Namen);  Hirsch,  Handels-  und  Gewerb^eschicbte  Daniigs  S.  330; 
Holtte,  Du  Berlitier  Handelsrecht  S.  47  (rgl.  dain  Zeitschrift  Ar  Handetsr. 
XXVIS.623)iWarnk6Dig,FlandriicheRecht%eKJiichte II  Anhangs.  74,  146. 

Broker ,  die  von  Alten  her  in  England  ttbUche  Bezeichnung  —  in  den 
Utereo  lateinischen  QueUen  heissen  sie  abroctatores,  abrocalores,  brocatorea 
(a.  B.  Charta  Edw.  U  für  London  Hr.  167,  Edw.  III  Nr.  163,  Ricardi  II 
Nr.  339  u.  a.  m.:  Über  Albas  I  p.  143,  153,  15S  u.  s.  f.),  broccarii  (i.  B, 
(^destatnt  Ton  Berwick  c.  37  bei  Toulmin  Smith,  English  güds  p.  343). 
So  auch  in  Dieppe  1x45  (1353^  (Ducange  t.  v.  abrocator).  Vgl.  die  Au- 
diOcke  abbrocamentnm  nnd  abrocamentnm  (achat  en  gros  et  vente  en  detail); 
aber  auch  abbocator  (abböcamento)  bei  Dncange.  Auf  den  lebrteren,  ala 
>Vermitiler,  Zwischenhindler*  schon  im  II.  Jahrhundert  Torkommend,  will 
den  abrocalor  lurtlckRIhreni  De  FrJville  (Memoire  snr  te  commerce  mari- 
time de  Ronen  I  p.  163).  ZusammenhSngeD<h  biocanter,  brocanteur;  Littrtf, 
dictionnaire  erkllrt  den  Ursprung  fUr  unbekannt,  fhhrt  aber  broc  (s.  B.  de  btoo 
en  bonche)  an,  ron  den  spltlateioischen  brocns,  t>roca.  Das  letstere  hat  anch 
Dncange  für  ager  incnltus,  also  •Bmchland«.  So  anch  La  Curne  de  St, 
Falaye,  Dict.  histor.  de  I'anden  langage  francats  h.  t.  Mir  scheint  alle- 
dem die  germanische  Wurzel  >brech<  (brocke,  brocken,  goth.  brikan,  brCkun, 
brukans,  althochdeutsch  u.  a.  prochau,  angesSchsisch  t>recan ,  brSc,  englisch 
break  —  'gl- J-  und  W.  G  rimm  h.  t.)  nnterinliegen :  der  Vertheiler,  welcher 
die  Waare  de«  Grosshindlers  an  die  Detailhlndler  vertheilt,  wie  untweideatig 
in  abbrocamentnm  u.  dgl. ;  jedenfalli  niher  als  etwa  die  Wunel  «brauch*. 


.oügle 


Unpittnge  de«  MUcIenechts.    InfbetmideM;  SchmI.  215 

mehr  oder  weniger  umgebildete  Ausdrücke  der  kosmopolitischeD 
Geschaftssprache  handelt,  deren  variirende  Formen  daher  auch 
schwerlich  sich  aus  den  regelmässigen  Formen  der  Sprach- 
bildung erklären  lassen.  Vielleicht  dass  unsere  Sprachforscher 
diesen  Gesichtspunkt  doch  zu  wenig  in's  Auge  fassen. 

Bereits  der  vielgereiste  Balducci  Pegolotti  führt  in 
dem  seiner  berühmten,  bald  nach  1335  geschriebenen  Pratica 
della  mercatura  voraufgehenden  kurzen  Vokabularium  der  im 
Handelsverkehr  gebräuchlichsten  Worte,  wesentlich  erschöpfend 
für  Handelsmakler  folgende  Benennungen  auf  (Della  dedma  III 
p.  XXn):  isensale,  curattiere,  mezzanoc,  sämmtlich  >in  piü 
linguaggic,  endlich  imessetto  in  Vinizianescoi. 

In  den  romanischen  Ländern  begegnen,  neben  dem 
aus  den  römischen  Quellen  entlehnten:  prozeneta  u.  dgl. 
(proseneta,  prosoneta,  proxoneta,  z.  B.  in  Verona,  GaSta, 
Savfma),  die  ganz  allgemeinen  Benennungen:  mediator, 
mezanus  und  namentlich  die  in  Venedig  und  einzelnen 
Nachbarstädten,  wie  Verona,  Mantoa,  Modena,  Brescia  und 
Cremona  vorzugsweise  übliche  Bezeichnung  misseta(us), 
auch  messeta(us),  missita,  mezetus  u.  dgl.'  augenscheinlich 
dem  byzantinischen  fieahTjg  entlehnt.  Sodann  die  drei  schwie- 
riger-en  eigenthUnüichen  Ausdrücke: 

maloserius  oder  tnarosserius,  marossarius 
u.  dgl.:  in  Oberitalien',  wie  Mailand,  Parma,  Piacenza. 

Mit  weiterem  Sprachgebiet:  corratarius,  cor{r)e- 
tarins,  curritor,  cursitor,  cursator,  Cursor^  u.dgl. 


<  Damit  hingt  luMmineii  die  veoetUiuKbe  Stutnt^abe  von  den  durch 
HlUer  TermitteltcD ,  f^er  tdd  allen  Vertrlgen ,  die  miuetaria ,  mevettaria 
u.  dgl.  So  t.  B.  Capitoliie  dei  nsdomini  dd  fontego  dei  Todetchi  in  Veneiia 
(ed.  Thomai)  tatp.  133  ff.  und  Thomai,  R^iMer  p.  396;  Romanin, 
itoria  docniD.  III  p.  87,  356;  IV  p.  Ö3;  VI  p.  44;  VIII  p.  363.  Ferro, 
diiionaiio  dd  diritto  comune  e  Vmeto  t.  VII  p.   175  ff.     S.  unten  S.   laS. 

>  iMalosomt  ichon  1165  in  Vercelli  (Monnin.  biitor.  patr.  Chart.  U 
Nr.  iJiS  ooL  996).  Ducange  hat  nur  imarosieTiDt*.  In  MtiUnder  Statuten 
(über  conioel.  Medial,  anni  1216  ed.  Berlan  p.  337,  247)  andi:  marosiarii, 
nwloMerü.  Maröt,  mttouie  (nemoni;  maroMenr)  bexeichnat  ala  noch  jetit  in 
Oberitalien  (Iblich  md  will  Ton  dem  Spaniichen  maroEiJro  (?)  abldten ; 
Chernbini,  Tocabolorio  Hi1anese>It«Iiana  (1841)  voL  HI  h.  v.  Vielleicht 
arabiaclMn  Urtpningi? 

i  >CBiMtot««'  »choa  1194  im  Prinleg  ftli  Cbarost  (Contnmier  gtintnl  de 
U  France  III,  3  p.  tooj). 


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216  Unprtliige  de«  MMdcrrsditi.    Inibewodece:  ScdmI. 

in  Marseille  (1253),  Nizza  (1274),  Piacenza  (vor  1275),  Barce- 
lona (1283)'  —  so  das  spanische  corredor  (Barcelona  1271), 
das  portugisische  corretor,  das  französische  courtier  u.  dgl. 

Endlich:  sensalis,  das  italienische  Sensale. 

In  der  letzten,  ja  sehr  allgemein  gewordenen  Bezeichnung 
findet  Laband  einen  deutlichen  Beweis  für  den  von  ihm  an- 
genommenen Ursprung  des  Maklerinstituts. 

Ueber  die  Abstammung  und  ursprüngliche  Bedeutung  des 
Wortes,  welches  der  lateinischen  Sprache  des  Alterthums  un- 
zweifelhaft fremd  ist,  herrscht  seit  langer  Zeit  Streit,  Du- 
cange,  dessen  auch  neueste  Ausgabe  von  Henschel  für 
die  dem  Handelsrecht  angehOrigen  Ausdrücke  der  mittelalter- 
lichen Latinität  die  bedauerlichsten  Lücken  aufweist,  meinte, 
dass  in  einer  noch  zu  erwähnenden  Stelle  des  Synodicon 
Nicosiense  statt  sensales  >cursales(  zu  lesen  sei;  später  ist 
zwar  die  Richtigkeit  des  Wortes  und  dessen  Bedeutung  »Ver- 
mittler« anerkannt,  aber  ohne  etymologische  Erklärung.  Bei 
»sensariusc  hatDucange,  ursprünglich  *qui  ad  censum,  seu 


>  In  den  Paiüer  lanungutataten  des  13.  JahrhundertB  (r^lements  des 
irti  et  meliers  de  Paris)  begegnen  überall  die  Ansdittcke  corratier,  coorretier, 
couna(e)tage  a.  dgl.  Die  Wemhandelsstatuten  Ton  GraTelingen  1363  haben 
correclien  und  correüers  (Wsinkfinig,  Flindr.  RecbCsgeschichte  II,  3  An- 
hang  S.  139);  das  flandritche  Privileg  dei  deutschen  Kxnflente  in  Ardenbn^ 
1386  h&t  rub.  VIII — XI:  couretBge,  couretier  (cod.  Anh.  5.  47);  sogar  hi 
Labeck  schon  1290:  conetagium  (LUbeckei  Urkundenbuch  I  Ni.  JäS).  Vgl. 
über  die  Beieicbnungen :  Ducange  ed.  Henachel  h.  v.  Füi  Franlueich 
werden  aus  dem  13.  und  14.  Jahrhnndect  erwShntt  C0Dr(r)atier ,  coui(r}etier, 
coT(t)etMr,  cor(r)atier,  cur(r)Btiet,  cuitier,  coulatier,  coultier,  z.  B.  La  Carne 
de  St.  Palaje,  djct,  historique  de  l'ancieD  langage  frasgalse  l.  IV  h.  v., 
LittrJ,  dictionn.  h.  v.  Dass  die  Herleitung  von  >curia>  unrichtig  ist,  ver- 
steht sich;  iweifelhaft  könnte  nur  sein,  ob  von  currere  oder  tob  curare.  FUt 
die  erste  spricht,  ausser  anderen  Gründen,  bsbesondere  auch,  dass  die  eigent- 
lichen MSkler  in  Pisa  genannt  irerden:  > umhergehende  M&kler«:  sensali  andare 
oder  che  deno  andare,  im  G^ensati  zu  den  stehenden,  nümlich  den  im  Kauf- 
haus (fundacBs)  stSndJg  befindlichen,  gleichfalls  vennttlelndeD  Kaufbausbeamten 
(fondacarii) ;  den  ersteren  wird  das  Umbergehen,  das  ist  das  Aufsuchen  der 
KSufer  und  Verkfinfer,  sogar  zur  Pflicht  gemacht,  z.  B.  breve  dell'  arte  ddia 
lana  (1305)  c.  63,  wie  noch  im  Preoss.  A.  LJL  II,  8  g  1335 !  Dass  das  Wort 
in  Italien  entstanden  ist,  leidet  wohl  keinen  Zweifel ;  die  Herleitni^  von  cnta  — 
curato  mag  sprachlich  unbedenklicher  erscheinen ,  aber  auch  sie  ist,  wie  mein 
Herr  Kollege  Tobler  anerkennt,  nicht  ganz  befriedigend.  Littrj  vertritt 
tn.  A.  diese  Herleitnng,  La  Cnrne  de  St.  Palaye  mit  Mfnage,  Rej- 
nouard  u.  a.  die  Hetleitong  von  cuneie  (coorre,  coutIt). 


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UnprOnge  dei  MikloTKchts.     InsbeioDdeKi  Senul.  217 

SHb  aliqua  praestatiooe  elocat<  —  jetzt  richtig  =  sensalis. 
Früher  UbHche,  mitunter  noch  jetzt'  vertretene  Herleitungen 
sind  von  xenialis,  welcher  Bürger  und  Gäste  vereinigt,  also 
entsprechend  dem  richtig  verstandene»  proxeneta;  oder  von 
der  venetianischen  »sensai ,  d.  h.  »ascensac ,  der  grossen 
Waarenmesse  am  Himmelfabrtstage ,  welche  ursprünglich  8, 
später  14  Tage  lang  stattfand '.  Die  Herleitung  von  icensualisc 
vertreten  u.  A.  Adelung,  Diez  (s.  v.  sensal,  censal,  prov. 
>cessal()  und  Laband.  Der  Letztere  weist,  was  allerdings 
von  den  Sprachforschem  übersehen  wird,  darauf  hin,  dass 
censnalis  nicht  allein  den  Schatz-  und  Steuerbeamten  be- 
zeichnet —  aus  welcher  Bedeutung  sich  doch  schwerlich  die 
Bedeutung  »Mäkler«  entwickelt  haben  kann  — ,  sondern  in 
der  späteren  römischen  Rechtssprache  auch  Schreiber,  Ur- 
kundenverfasser und  Urkundenbewahrer  (instrumentarü)  3 ;  über 
die  ursprüngliche  Bedeutung  des  Wortes  Sensal  könne  sonach 
kein  Zweifel  sein  (S.  18,  19). 

Indessen  erhellt  nicht,  dass  auch  in  dem  Neulatein  des 
späteren  Mittelalters  jemals  censnalis  in  der  Bedeutung  von 
»Schreiber« ,  noch  weniger ,  dass  es  in  der  Bedeutung  von 
iMäklerc  vorkommt.  In  c.  29  des  Synodicon  Nicosiense  von 
1257  (s.  unten)  werden  vielmehr  die  motarii  et  alii  scriptores« 
scharf  von  den  »mediatores,  quos  sensales  appellant«  ge- 
schieden, und  eine  Identificirung  beider  ist  mir  in  dem  ganzen 
italienischen  Quellenkreise  nicht  begegnet. 

Eine  ganz  andere  Herleitung,  nämlich  von  dem  arabischen 
simsär,  findet  sich,  unter  scharfer  Zurückweisung  anderer 
Etymologieen,  bereits  bei  Muratori,  antiquit.  Ital.  med.  aevi 
t.  VI  (ed.  Aret.  1775),  diss.  de  origine  et  etymologia  italicarum 
vocum,  Catalogus  s.  v.  Sensal  (p.  985),  und  bei  einzelnen 
Neueren,  wie  Amari,  diplomi  Arabi  p.  XXV,  vgl.  p.  411  — 
5.  auch  den  Hinweis  bei  Thomas  (Urkunden  zur  älteren 
Handels-  und  Staatsgeschichte  von  Venedig  II  p,  488  Note  1). 

'  Z.  B.  Bini,  i  Luccheii  a  Voneiia  p.  91  ff. 

>  Romantn,  Roiia  11  p.  ili;  IV  p.  493. 

i  Dass  flbrigens  die  den  offida  angehSrigeD  •scribae«  überhaupt  lu  den 
Kassen-  und  Schatibeamten  und  insbesondere  denCensoren  in  engeren 
BeiiehnngeD  standen,  a.Mommsen.  Römisches  Staatsrecht  I  (2,  Anfl.)  S.  334, 
3361  337  [3'  Auft-  S.  349,  350,  3S".  3S4]-  Dihei  mag  sich  der  ipStere 
Sprachgebrauch  erklSren. 


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218  UrsprllDge  des  Milclerrechl*,    Insbetoadere:  SeoMl. 

Die  Etymologie  ist  ohne  Zweifel  richtig,  aber  es  fehlt 
doch  bisher  an  jedem  Versuch  queUenmässiger  Begründung. 
Diese  soll  im  Folgenden  gegeben  werden. 

Was  zunächst  das  arabische  Stammwort  betrifft,  so  ver- 
danke ich  der  Güte  meines  Kollegen,  Herrn  Professor 
Dr,  Sachau,  folgende  Mittheilung,  welche  die  weitere  inter- 
essante Thatsache  ergibt,  dass  auch  simsär  nur  ein  persisches 
Lehnwort  ist. 

iDas  Wort  SimsSr  findet  sich  schon  bei  alt- 
arabischen  Dichtem  und  wird  von  den  arabischen  Lexiko- 
graphen für  ein  Fremdwort  erklärt  (Gawailkls  Mac&rrab 
ed.  Sachau,  Leipzig  1867,  S.  90,  83). 

Es  wird  identificirt  mit  dem  Wort  sifstr,  das  in 
etwas  verschiedener  Bedeutung  bei  einem  altarabischen 
Dichter  ans  der  Zeit  vor  Mnhammed  vorkonmit  (z.  B. 
von  Elasmiit,  einem  der  berühmtesten  arabischen  Philo- 
logen, bei  H.  D^renbourg,  Dtwän  de  Näbtgha  Dhob- 
jänl  S.  252). 

Dasselbe  Wort  kommt  vor  im  babylonischen  Talmud 
in  der  Form  ~i;c5  safsär  =^  proxeneta;  davon  ab- 
geleitet ein  Abstraktum  safsdrüth  =  licitatio.  Eine  andere 
Form  desselben  Wortes  ist  wahrscheinlich  sarsfir  im 
rabbinischen  Sprachgebrauch.  S.  Buxtorf,  lexicon  tal- 
mudicum  etc.  1529,  1555. 

Auch  das  Syrische  muss  einmal  das  Wort  safstr 
gehabt  haben,  denn  es  hat  ein  davon  abgeleitetes 
Verbum  safsar  in  der  Bedeutung:  handeln,  viel 
reden  (Bar  BahlOl);  femer  das  Abstraktum  sufse- 
rQtha  =  licitatio. 

Simsär  geht  zurtlck  auf  Sifsär  und  auf  das  persi- 
sche sipsär,  das  im  Neupersiscben  in  derselben  Be- 
deutung (Mäkler)  gebraucht  wird.  Die  semitischen 
Unterthanen  der  sasanidischen  Grosskönige  durften  das 
Wort  im  Verkehr  mit  den  Persera  sich  angeeignet  haben, 
und  von  diesen  —  oder  auch  direkt  von  den  Persera  — 
erhielten  es  die  Araber. 

Eine  plausible  Etymologie  von  sipsär  ist  mir 
nicht  bekannt;  wahrscheinlich  ist  es  ein  nomen  com- 
positum.* 

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UnprfiDge  des  Miklenechu.     Intbesonder«:   SenuJ.  219 

Ob  nun  das  der  Vulgärsprache  angehori^  Sensale,  latini- 
sirt  sensaHs,  direkt,  also  unter  Vertauschung  namentlich  des  r 
mit  dem  1,  aus  dem  isimsär*  hergeleitet  sein  kann,  werden 
die  Philologen  besser  beurtheilen.  Wahrscheinlich  ist  mir, 
dass  ursprunglich  in  der  italienischen  Vulgärsprache  sich  ein 
dem  >5imsär<  oäberstehendes  Wort  einbürgerte,  welches  dann 
in  den  lateinisch  abgefassten  Notariatsurkunden  und  Statuten 
latinisirt  wurde. 

Es  braucht  nur  beispielsweise  auf  die  Ausdrücke  fnndacus, 
fondicus,  fontegus,  fonticns  u.  dgi.  (Lagerhaus,  Kaufhaus)  hin- 
gewiesen xa  werden,  welche  aus  dem  Vulgärwort  fondaco, 
foatego  u.  dgl.  umgebildet  sind,  wie  dieses  dem  arabischen 
fondnk  entstammt,  welches  seinerseits  wieder  aus  dem  griechi- 
schen ttavämtog,  jiapdoxüov  entlehnt  ist'.  Charakteristisch 
für  den  Ursprung  unseres  Wortes  aus  der  Vulgärsprache  ist 
z.  B.,  dass  in  den  Statuten  von  Ga€ta  (nach  1391 :  Alianelli, 
Delle  antiche  consuetudioi  e  legge  marittime  delle  provincie 
Napolitane)  das  cap.  192  die  Ueberschrift  trägt:  Ete  proxe- 
netis  et  sansariis,  imd  mit  den  Worten  beginnt:  Proxenetae 
seu  sansarii,  demnächst  aber  nur  von  den  »sansarii*  spricht, 
somit  von  den  unter  dieser  (latinisirten)  im  Geschäftsverkehr 
üblichen  Bezeichnung  vorkommenden  Personen,  für  welche 
proxenetae  oder  mediatores  die  dem  solennen  Statutarstyl,  weil 
den  römischen  Quellen  entsprechende  Benennung  bilden.  Aehn- 
lieh  Synod.  Nicos,  c.  29:  >mediatores,  quos  sensales  appellant«. 

In  den  latelnlsell  geschriebenen  Statuten  und  Urkunden 
begegnen,  spätestens  seit  dem  13.  Jahrhnndert,  die  Ausdrücke 
sensalis,   sensalia,   sensalaticum. 

Das  Synodicon  Nicosiense,  Beschlüsse  der  Synode  von 
Nicosia  auf  Cypern,  entMIt  rub.  XIX  contra  usurarios  vom 
Jahre  1257  (Mansi,  s.  c.  c.  t.  XXVI  p.  320):  .Similiter  et 
mediatoribus ,  quos  sensales  appellant,  ne  tractarent  aut  pro- 
moverent  conventiones  contractuum  praedictorum  — <  (sc. 
vetuismus). 

So  durchgängig  in  Pisa:  z.  B.  breve  com.  Pis.  1286 
lib.  I  c.  60,    152,   163,   164  u.  A.  m.;  breve  cons.  mercator. 

■  S.  die  Nicbwräe  i.  B.  bü  Heyd,  Geschichte  de*  Levtmtebsndeli  II 
5.  430  Note  6. 


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220  UnprDnge  d«*  Htlclerrechtt.    IiubesoDdere :   SeoMt. 

civit.  Pis.  von  1305  c.  30  ff.:  >Sen5aIes,  qui  sint  trametza- 
tores*  —  also  wohl  zur  Verdeutlichung  des  entlehnten  Wortes. 
Sassari,  Stat.  von  1316  lib.  I  c.  30  (Cod.  diplom.  Sardin.  I 
p.  522  ff.).  Lncca,  Stat.  der  ars  sensalium  1275,  servitium 
Sensalie  1284  (Bini,  i  Lucchesi  a  Venezia  p.  345  ff.,  91  ff.). 

Statt  sensalis  wird,  meist  später,  auch  geschrieben:  sen- 
zalis:  Stat.  del  com.  di  Lucca  1308  lib.  III  c.  107,  121; 
censalis:  Privileg,  von  Nizza,  15.  Jahrh.  (Monum.  bist  patr. 
leg.  muncip.  fol.  227),  Stat.  von  Savona  nach  1522  (Par- 
dessus,  collect,  de  lois  mant.  VI  p.  595). 

Aber  neben  >sen5alis<  kommen  auch  in  denselben  Quellen 
vor:  sensarii,  und  senseria  oder  sensaria  fUr  Mäkler-Amt 
und  Geld:  Venet  Statut  für  Pagam  1341  (Monum.  spect. 
ad  histor.  Slavor\im  meridion.  II  Nr.  180),  Stat.  von  Florenz 
1415  lib.  IV  tract.  cons.  art.  et  mercat.  rub.  45,  51. 

Weiter  begegnet  censarius',  und  zwar  in  Genua  von 
Alters  her  bis  auf  die  späteste  Zeit: 

1154  (Üb.  iur.  reip.  Gen.  I  Nr.  205),  1204  (eod.  I  Nr.  475); 
1288 ,  1290  (Privilegien  des  Königs  Leo  von  Armenien  und 
des  Sultans  Melech  Almansor  von  Aegypten:  eod.  II  Nr.  64, 
96);  1316  (?)  Stat.  für  Pera  c.  101;  1326  (?)  (Breve  bei 
Canale,  nuova  istoria  di  Genova  II  p.  252);  Urkunden  von 
1410,  1415  (lib.  iur.  II  Nr.  380,  390);  1433:  Vertrag  zwischen 
Genua  und  Tunis  c.  34  (de  Mas  Latrie  doc.  p.  139);  ISS''? 
Stat.  Genuae  lib.  VI  c.  17;  1610  Gesetz  (Genuensis  reipubl. 
leges  anni  1576  nebst  Addit.  app.  p.  9);  Statut  von  Savona 
nach  1522  u.  a. m. 

Dem  entsprechend :  censaria  ^=  Mäklerlohn  (z.  B.  lib.  iur. 
II  Nr.  64);  später  =  Geschäftsstempelsteuer;  gabella  censarie 
(z,  B.  noch  Genues.  Verordn.  v.  1661  u.  A.  in  leges  compe- 
ranmi  S.  Giorgii  p.  133).  Vgl.  auch  Arch.  stör.  Ital.  1866 
p.  112,  113. 

Nur  sensarius  und  sensaria  begegnet  inConsuet.  Agri- 
genti  1319  ruh.  XVII  (v.  Brünneck,  Siciliens  Stadtrechte 
p.  228). 

San  seriös:  Venet.  Rathsschluss  1446  (Lattes,  la 
libertä  delle  banche  a  Venezia  p.  63)  —  sanseria:   Venet.  In- 


Dnonge   hat   die   guiE   nnrichtige  AiuIeEung;    qni   >d  cenium  sen 
e  iliqaa  elocat;   Henichel  s^,  ohDc  weitere  ErklSrnng:  teuMlii. 


ogic 


UnprUnge  dei  MtklecrecliU.     Iii«be*oiidere:   Senul.  221 

struktion  von  1322  (Romauin,  storia  doc.  di  Venezia  III 
doc.  2  p.  377). 

Saosarius  und  sansaria:  Venetianischer  Vertrag 
mit  Aeg3fpten  1254:  precipere  debent  sansariis  (Tafel  und 
Thomas  a.  a.  O.  11  Nr.  1325);  Cabella  super  pignoribus  etc. 
um  1317  von  Messina  (Miscellanea  di  storia  Ital.  X  p.  144  ff.); 
StaL  von  Gaeta  nach  1391  c.  192  (Alianelli  1.  c). 

Hiemach  kann  es  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  in  der 
Geschaftssprache  der  Mäkler  als  Sensale,  censar,  sensar,  sanser, 
sansar,  d.  i.  eben  als  simsär  bezeichnet  wurde.  — 

Dies  ergibt  sich  aber  auch  aus  den  tn  der  VulÄftKippache 
auf  uns  gelangten  ältesten  Quellen. 

Die  Ausdrücke  sensali,  sensalia,  senseria,  sensaria  finden 
sich  z.  B.  in  den  Florentiner  Ordinamenti  agli  sponsali, 
etwa  Ende  des  13.  Jahrhunderts  (Emil.  Giudici  a.  a.  O.  III 
p.  149);  im  Stat.  dell'  arte  di  Calimala  üb.  I  rub.  27,  71; 
Üb.  II  c.  1  (eod.);  im  Statut  von  Sassari  von  1316  üb.  I 
c.  30  (Cod.  diplom.  Sardin.  I  p.  522  ff.) ;  in  einem  sehr  wich- 
tigen Erlass  des  podestä  von  Lucca  1346  (Bandi  Lucchesi 
del  sec.  XIV  Nr.  181  p.  113),  in  Luccheser  Geschäftsbüchern 
1375  (Bini  a.  a.  O.  p.  381);  in  zahlreichen  Verträgen  italie- 
nischer Staaten  mit  den  SarazenenfUrsten :  1397  c.  22,  1445 
c  25,  1488  Zusatzartikel  3,  1489  c.  6,  1496  c.  25  (Amari, 
dipl.  Arabi  p.  319,  177,  369,  382,  197);  in  der  italienischen 
Version  der  Stat.  mercat.  von  Brescia  und  Crema  142939; 
isensali  e  cozoni«;  in  den  statuti  dell'  universitä  de'  merca- 
tanti  di  Bologna  von  1509  und  später,  insbesondere  rub.  31, 
32  u.  V.  a. 

Noch  gewichtiger  ist  folgendes: 

Bereits  1207  begegnet  der  isensalec  in  einem  von  dem 
turcimanno  di  Bugia  Achmed-Ibn-Tamin  an  einen  Pisaner 
Kaufmann  gerichteten  italienischen  Schreiben  (Amari  a.  a.  O. 
Nr.  25  S.  75  ff.).  Der  Rotentiner  Balducci  Pegolotti 
(bald  nach  1335)  bezeichnet  überall  den  Mäkler  als  Sensale, 
die  Courtage,  wovon  er  zahlreiche  Tarife  der  verschiedensten 
europäischen  Handelsplätze  mittheilt,  als  senseria  bder  sense- 
raggio  (Della  decima  III  p.  28,  74,  117,  130,  164,  200,  209, 
229,  247,  276);  der  ein  Jahrhundert  jüngere  G.  Antonio  de 
Uzzano  nennt  dieselbe  isenseriac  (eod.  IV  p.  147). 

In  dem  Vertrag  zwischen  Venedig  und  Aegypten  1442 

oügle 


222  Ursprung  de*  MEklerrecfats.     Insbesondere:  Sen«al. 

c.  5  und  Zusatz  heisst  es  sanseri,  sansaria  (Amari  a.  a.  O. 
p.  350  ff.),  eine  ägyptische  Mäklersteuer  heisst  1309 :  »sciam- 
sera«  (eod.  p.  483  Note  8). 

Am  bedeutsamsten  endlich  für  die  Herleitung  ist  der 
Sprachgebrauch  von  Siena  und  Venedig: 

Die  alten,  für  die  italienische  Vulgärsprache  so  wichtigen 
Imiungsstatuten  von  Siena  (Statuti  senesi  scritti  in  volgare 
ne'  secoli  Xlll  e  XIV  —  ed.  F.  L.  Polidori  vol.  1}  brauchen 
promiscue  die  Ausdrücke:  Sensale,  sansale,  sensaro",  sen- 
saio  (sienischer  Dialekt)  —  für  Mäkleramt  sensaria  (vgl.  stat. 
de'  lanaiuoli  dist.  V  c.  6,  dist.  VI,  VIII  c  71,  nebst  Zu- 
sätzen von  1301,  1308,  1286  u.  a.:  a.  a.  O.  I  p.  324,  363, 
364,  468,  383). 

Die  venetianische  Amtssprache  kennt,  wie  oben  be- 
merkt, ursprunglich  nur  den  Ausdruck  messeta  (misseta  u.  dgL), 
aber  derselbe  wird  allmählich  von  dem  augenscheinlich  ge- 
schäftsUblichen  senser,  sanser,  sanzer,  sansar,  sao- 
sero,  sansaro  vollständig  verdrängt.  So  steht  ursprünglich 
im  Kapitular  des  Deutschen  Kaufhauses  (Capitolare  dei  Vis. 
domini  del  fontego  dei  Todeschi  ed.  Thomas)  senser  oder 
sanser,  wenn  tlberhaupt,  nur  in  der  Ueberschrift  der  Kapitel, 
während  der  Text  noch  den  misseta  u.  dgl.  beibehält,  z.  B. 
Parte  I  cap.  156  von  1366;  cap.  214  von  1408  (De  sanserüs 
[missetis]) ;  cap,  228  von  1415/16  im  Text:  per  via  di  sanzaria 
over  de  mezanaria;  cap,  251  von  1431  (dei  misseti  [sanseri]  — 
im  Text  isanser  over  mezanc);  später  begegnen  nur  unsere 
Ausdrtlcke,  z.  B.  cap.  266  und  durchgehends  in  Parte  II  bis 
Ende  des  15.  Jahrhunderts  (Thomas  p.  219,  225,  230,  231, 
232,  237,  238,  243  ff.).  »Sanseri«  heissen  die  Mäkler  durch- 
gehends ia  jüngeren  Capitolare  dell'  officio  del  fontego,  dessen 
Register  Thomas  in '  den  Abhandlungen  der  Königlich  baye- 
rischen Akademie  der  Wissenschaften  I.  Kl.  XIV.  Bd.  I.  Abth. 
mitgetheilt  hat  (die  Daten  gehen  von  1400  bis  1641);  vgl.  auch 
z.  B.  venetianisches  Gesetz  1466  (?)  (bei  Mone,  Zeitschrift 
für  die  Geschichte  des  Oberrheins  Bd.  V  S.  32);  1572  >sen- 
sari*,  1586  »sansari*  (Stat.  Veneta  ed.  Griffo  1691  p.  304, 
311);  isansert  oder  »sanzen  im  venetianischen  Bankregulativ 


'  Ali  noch  jelit  in  Siena  Üblich  beceichnet  in  Cherubini,  Vocibolario 
Milanese-ItEdiano  (1S41)  vol.  IV  p.  190  s.  v.   'sensalet. 


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Ursprünge  des  Miklertecbts.     Insbexondeie;  ScdmI,  223 

von  1523  und  1526  (Lattes  a.  a.  O.  Nr.  XXX  S.  83,  XXXII 
S.  90)  u.  A.  m. 

Im  Provencalischen  begegnen  die  Formen:  Sensal, 
ceosal,  censan,  ceinsäou  —  censaragi  (Mäklerlohn),  censaria, 
censaroti  (Honnorat,  diction.  de  proven^l-fran^is  1846); 
eine  alte  sUdfranzösische  Form  »sansal*  und  >sensaU  nennt 
auch  Littr6  (diction.  h.  v.). 

Auf  die  Frage ,  wie  Sensal  aus  sensar  u.  dgl.  entstanden 
sein  könne,  hat  mein  Kollege,  Herr  Professor  Tobler,  mir 
freundlichst  erwidert;  >Die  Formen  mit  r  als  Grundlage  fUr 
die  mit  1  anzusehen,  hindert  nichts;  das  Suffix  — aris,  das  den 
Romanen  hier  vorzuliegen  scheinen  musste,  ist  auch  sonst 
bisweilen  mit  — atis  vertauscht,  z.  B.  cingbiale  aus  singularis, 
aatel  aus  altare«. 

Lässt  sich  so  der  orientalische  Ursprung  des  Ausdrucks 
»Sensal«  nicht  bezweifeln,  so  ergibt  die  weitere  Untersuchung 
den  Zusammenhang  des  Namens  mit  dem  italienisch-orieo- 
talischen  Verkehr'.  Dies  führt,  wovon  ein  andermal",  auf  den 
übrigens,  wie  mir  scheint,  auch  fUr  das  Alterthum  wie  für 
das  germanische  Recht  nachweisbaren  Ursprung  aus  dem 
Gasthandel  (Fremdenverkehr)  und  dem  damit  verbundenen 
Dolmetscherthum ;  eine  nur  potenzirte  und  für  die  Ausbildung 
des  Mäklerwesens  besonders  wichtige  Gestaltung  des  Gast- 
handels findet  sich  in  den  mit  dem  ZoUwesen  zusammen- 
hängenden Kauf-  und  Lagerhaus  -Einrichtungen 
(Grosslagergeschäft),  deren  genauere  Erforschung  für  Orient 
wie  Occident  schon  lange  als  dringend  nothwendig  bezeich- 
net ist'. 

'  Darauf  hingiedeDCet  habe  ich  in  der  Zeitschr.  für  du  gesAmmle  Handels- 
recht xxin  s.  313.  »gl.  XX  s.  654,  XXVI  s.  633. 

»  [Vgl.  Universalgeschichte  des  HandeUrecht»  S.  »53  f.] 

3  Mein     Handbuch    des   HaDdelsrechts    I,    1    (1S6S)    §    76    Note   37 

[Universalgeschichte  des  Handelsrechts  S.  asoC,   333 f-]-     Schmoller,   Die 

Strassbnrger  Tacber-  und  Webertonft  S.  430  Note  a. 


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8. 

DIE 

GESCHÄFTSOPERATIONEN 

AUF  DBS 

MESSEN    DER    CHAMPAGNE. 

(LES  DEVISIONS  DES  FOIRES  DE  CHAMPAGNE.) 
(1892.) 


Goldictamidt,  VetmiKlite  Scbriften.    IL 


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IQ  meiner  Unirersalgeschichte  des  Handelsrechts 
(Handbuch  des  Handelsrechts,  3.  Aufl.,  Bd.  I  Abth.  I, 
1891)  habe  ich  S.  224  ff.  die  wirthschaftliche  Bedeutung  der 
seit  dem  12.  Jahrhimdert  urkundlich  nachweisbaren,  seit  dem 
Ausgang  des  14.  Jahrhunderts  verkümmerten  Messen  der 
Champagne  dargelegt. 

Sie  waren  periodische  Zusammenkünfte  für  den  Abschluss, 
tbeilweise  auch  für  die  Erfüllung  der  damaligen  Handels-  und 
sonstigen  Verkehrsgeschäfte ,  insbesondere  für  Waarenkäufe 
■und  für  direkte  oder  indirekte  Geldzahlungen.  Daher  schon 
im  12.  Jahrhundert  die  Champagner  Messplatze  (Lagny  sur 
Marne ,  Bar  sur  Aube ,  Provins ,  Troyes)  als  europäische 
"Wechseldomictle  erscheinen,  auf  welchen  der  Eigenwechsel, 
später  auch  die  Tratte  als  >Messwechselc  die  weiteste  Verwen- 
dnng  fand  (ebenda  S.  226,  227,  411  ff.,  417  ff.,  437  ff.),  wenn- 
gleich das  schriftliche  Wechseigeschaft  (d.  h.  die  Geldrimesse 
nach  auswärts)  nicht  auf  ihnen  zuerst  vorkommt,  noch  gar 
das  >Wechselrecht(  auf  ihnen  seinen  Ursprung  genommen 
hat  (ebenda  S.  411  ff.,  419  ff.). 

Für  die  verschiedenen  auf  diesen  Messen  üblichen  Ge- 
schäftsoperationen bestanden  feste,  auf  altem  Herkommen  be- 
ruhende Zeiträume,  über  welche  insbesondere  eine  zwar  wieder- 
holt, aber  theils  fehlerhaft  mitgetheilte ,  theils  nicht  völlig 
verstandene,  in  mehrfachen  Varianten  vorkommende  Aufzeich- 
nung nähere  Kunde  gibt 

Diese  Aufzeichnung  ist  m.  W.  zuerst  in  den  M^moires 
historiques  et  critiques  pour  l'histoire  de  Troyes  (von  Grosley) 
t.  I,  Paris  1774,  p.  497,  und  danach  von  G.  F.  v.  Martens, 
Versuch  einer  historischen  Entwicklung  des  wahren  Ursprungs 
des  Wechselrechts  (Gflttingen  1797)  S.  16  Note  f,  abgedruckt 
(das  sogleich  zu  erwähnende  Manuskript  b ,  bei  Grosley  be- 
zeichnet als  Extrait  d'un  Manuscrit  des  premiferes  annöes  de 

'5* 

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228  ^'"  GeKhSftsoperationen  auf  den  Mmicd  der  Chanpagne. 

quatorzifeme  sitele  tir^  de  la  bibliothtque  de  M.  de  Saint-Palaye). 
Demnächst,  nach  zwei  Manuskripten  der  Pariser  biblioth^ue 
royale  (jetzt  nationale)  —  jetzt  Nr.  12,581  and  25,545  (die 
sogleich  zu  erwähnenden  Manuskripte  a  und  b)  —  von  Fr^- 
m^ry,  ^tudes  de  droit  commercial  (Paris  1833)  p.  14,  15. 
Beide  Schriftsteller  haben  den  Abdruck  mit  kurzen,  zum  Theil 
ungenauen  Erörtenmgen  (Martens  S.  15—18,  Fr^mfiry 
a,  a.  O.)  verbunden,  welche  den  Angaben  von  F.  A.  B  i  e  n  e  r , 
Wecbseb-echtliche  Abhandlungen  (Leipzig  1859),  S.  36,  37, 
zu  Grunde  liegen ,  während  die  jüngeren  Bearbeiter  des 
Wechselrechts  auf  die  Sache  nicht  näher  eingegangen  and; 
nur  begegnen  vereinzelte  irrige  Angaben  (s.  unten  S.  241  ff.). 

Weiter  findet  sich  der  Abdruck  eines  der  einschlägigen 
Manuskripte  (b)  beiGheldolf,  histoire  de  la  Flandre  —  par 
L.  A.  Wamkönig,  traduite  de  l'Allemand,  t.  II  (Bruxelles 
1836)  p.  500 — 503,  und  eines  anderen  (des  Manuskripts  d  oder 
eines  sehr  ähnlichen,  —  Paulin  Paris  scheint  nämlich  nicht 
den  vollen  Wortlaut  mitzutheilen)  bei  Paulin  Paris,  Les 
manuscrits  fran?ais  de  la  bibliothfeque  du  Roi,  L  IV  (Paris 
1841)  p.  16. 

Genauere  Angaben  über  die  Manuskripte  der  erwähnten 
Aufzeichnung  (es  werden  genannt  7 ,  davon  5  in  Paris,  1  in 
Provins,  1  in  Venedig)  gibt  zuerst  Bourquelot  in  seinem 
sehr  verdienstlichen  und  zuverlässigen  Werke :  £tudes  sur  les 
foires  de  Champagne  (I,  II,  Paris  1865:  Mömoires,  prfeent& 
.  .  .  ä  l'acad^mie  des  inscriptions  ....  ser.  11,  t  V)  I,  p,  83  ff., 
wo  zugleich  die  wichtigsten  Bestimmungen  abgedruckt  und 
erläutert  sind.  Endlich  hat  Konstantin  Hohlbaum,  Han- 
sisches Urkundenbuch  Bd.  III  (Halle  1882—1886),  in  den 
Noten  zur  Ordonnance  Philipp's  IV.  vom  Juli  1344,  Nr.  658, 
auf  S.  452  Note  1  eines  dieser  Manuskripte  (d),  welches  er 
für  das  älteste  zu  halten  scheint,  mitgetheilt. 

Immerhin  fehlt  es  noch  jetzt  an  einer  völlig  zuverläsagen 
Textfeststellung,  da  auch  Bourquelot  keinen  Text  voll- 
ständig mittheitt,  und  insbesondere  an  der  genügenden  Erläute- 
rung; auch  die  von  Bourquelot  gegebene,  I  p.  85— 92,  bedarf 
mehrfacher  Berichtigung.  Meine  in  wichtigen  Punkten  von  der 
herrschenden  (?)  Meinung  abweichende  Auffassimg,  welche  ich 
in  meiner  Universalgeschichte  S.  227,  228  kurz  zusammeo- 
gefasst  habe,  soll  an  dieser  Stelle  näher  begründet  werden. 


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Die  GescbUUopenUionea  aof  d«b  MesMn  der  Cbampign«.  229 

Endlich  hat  der  erfahrene  und  zuverlässige  Florentiner 
Kaufmann  F.  Balducci  Pegolotti  das  c.  55  seiner  zwischen 
1335  und  1343  geschriebene  Pratica  della  mercatura  (in 
[Pagnini]  E>eUa  decima.  Lisbona  e  Lucca  1765 — 66.  t.  III) 
den  iFiere  di  Campagna  del  Reame  di  Franciai  gewidmet 
und  hier  eine  Anzahl  schätzbarer  Nachrichten  mitgetheilt,  welche 
nicht  Töllig  mit  dem  Inhalt  der  vorbezeichneten  Manuskripte 
übereinstimmen.  Auch  auf  diese  bisher  etwas  zu  leicht  be- 
handelten Widersprüche  ist  einzugehen. 


Von  den  fünf  Pariser  Manuskripten  hat,  durch  freundliche 
Vermittelung  des  Herrn  Professor  G.  Blondel  in  Paris,  Herr 
Ph.  Souchon  daselbst  die  Güte  gehabt,  mir  genaue  Kopieen 
zu  senden :  Mss.  der  bibtioth^ue  nationale,  mss,  fonds  franfais 
12,581  fol.  312  [offenbar  das  bei  Bourquelot  mit  Nr.  1281 
fol.  312  bezeichnete],  25,545  fol.  17—18,  2625  in  fine,  412 
fol.  2,  16537  fol,  45,  —  sie  sollen  im  Folgenden  mit  a,  b, 
c,  d,  e  bezeichnet  werden.  Eine  Kopie  des  in  Venedig  (Biblio- 
thek von  S.  Marco,  im  Katalog  von  Zanetti,  histoires  diverses 
en  frantois  XIV  sifecle  II  append.  nr.  2)  befindlichen  Manu- 
skripts hat,  auf  mein  Ersuchen,  Herr  Professor  C,  Vivante 
in  Bologna  nehmen  lassen;  das  Manuskript  oder  die  Kopie 
ist  sehr  fehlerhaft,  stimmt  zwar  in  der  Hauptsache  mit  dem 
Pariser  Manuskript  a,  doch  fehlen  wichtige  Sätze.  Das  Manu- 
skript von  Provins  benutze  ich  nach  den  Angaben  Bour- 
quelots. 

Unter  den  fünf  Pariser  Manuskripten  enthalten  a,  b,  c,  d 
—  nicht  aber  e,  noch  das  venetianische  Manuskript  —  ausser 
der  genauen  Angabe  der  Geschäftsoperationen,  welche  im  Fol- 
genden mitgetheilt  wird,  auch  ein  Verzeichniss  der  EUenmaasse 
der  auf  den  Champagner  Messen  gehandelten  Tuche  (moison 
de  dras,  i.  e.  draps),  unter  Benennung  der  einzelnen  am 
dortigen  Tuchhandel  betheiligten  franJösischen  und  t\iederlän- 
dischen  Städte.  Dieses  bereits  mehrfach  abgedruckte  Ver- 
zeichniss, welches  nur  für  die  Handelsgeschichte,  nicht  für 
das  Handelsrecht  Bedeutung  hat,  wird  im  Folgenden  weg- 
gelassen. 


iOgIc 


230  I^'c  GeschiEttopetatioDeii  «.nf  den  Mcmcq  der  Chunpagne. 

Manuskript  a  (Nr.  12581)  —  das  erste  beiFr^m^ry  — 
lautet: 

ci  commance  la  devisions  des  foires  de  Champaigne. 
La  foire*  de  laigoi*  est  livrte  landemain^  de  lanre- 
nuef*.  La  foire*  de  bar'  est  livrfe  le'  mardi^  devant' 
la"*  mikaresme".  La  foire"  de  Provins  en  mai's  est 
livröe  le'*  mardi"  devant  lascension '*.  La  foire"  de  la 
Saint  jehan  a  troies  est  livrfe  le  mardi  en  XI  jors  apr&s 
la  feste  saint  jehan  et  se  la  feste  saint  jehan  est  au  mardi 
si  Sera  la  foire  as  III  semainnes'".  La  foire '»  saint  aioul 
a  provins  est  livröe  le  jor  de  la  sainte  croiz  en  septembre  ". 


■  i:  fmm;  e:  fo«re. 

*  b,  c;  laigny;  d:  liingiii;  e:  Ligni;  b  hat  d«n  Zooti:  mir  mame. 
}  d:  leademeiii. 

*  b:  lanrenenfi  c,  e:  Un  noef.     Dabinler  ttebt  c:  «t  n«  doit  point  dea- 
ti6t  (cf.  S.  33t  Note  9). 

^  b,  c:  bar  lur  anbe. 


<°  c,  i:  fehlt;  e:  le. 

"  c;  mjkaresme;  d:  migareme;  e;  mi  quaroime. 

■3  b:  pronTtni  en  maf;  c:  de  may  a  prorins;  d:  de  mal  de  proTins; 
e:  de  Pronviiu. 

*5  c:  mardy, 

■^  b:  lucentioa;  c  1>  Keodon;  d:   lasuatioo. 

■*  Der  Pamu  laatet:  b;  La  foii«  de  troie*  la  chaade  eit  Unit  le  mardi 
apris  laqainiaiiie  dela  laint  jehaa  et  k  la  Mint  jehan  eit  en  mardi  ti  a 
III  aemainnes;  c:  La  foire  »aint  jehan  de  troiet  est  livr^  le  mard;  apria  la 
XV«  de  la  Saint  Jehan  et  ae  la  Saint  Jehan  est  en  mard;  il  y  a  troit  tept- 
mainnei;  d:  La  foire  de  la  aeint  jehan  de  troies  est  livrie  dou  premier  mardi 
en  XV  jori  aprit  la  feste  seiut  jehan  baptiste  et  >e  la  feste  seint  jehan  vient 
an  mardi  ai  anra  trolt  semalnes;  e:  La  foere  de  Troies  a  la  Saeint  Jehan  est 
Ufiie  Ion  mardi  apris  la  feite  Saint  JeluD  et  est  an  mardi  lia  trois  semainnes. 

>°  Der  Passus  lautet:  b:  La  toiie  saint  ayoul  de  ptorins  est  livr^lejour 
de  fette  S.  crois  en  septembre;  c,  d:  ebenso,  nur  mit  kleiner  Abweichung  der 
Schreibart;  e:  La  foere  de  prouvins  a  la  Saint  aioul  est  livrfe  loa  jonr  de  la 
Sainte  f  6°  septembre. 


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Die  GetchiftiopentioiKa  auf  den  Menen  da  Champagne.  231 

La  foire '  de  la  saint  remi  a  troies  est  livr^  landematn  de 
la  tozsains'.  En  chascuoe  de  ces  VI  f oires  a  VIII  jors 
dantr^e^  et  dantr^  faillie  juqua  bare  de  dras  a  X  jors* 
et  XI  jors  aprfes  hare  de  dras  vent  on  cordoan'  et  XV 
jors  apr6s  hare  de  dras  faut  droiz  paiemenz  et  faut  avoir 
de  pois^  et  I  mois  aprte  hare  de  dras  abatent  li  changeor' 
et  IUI  jors  aprfes  cfaanges  abatuz  prant  on  lestres  de  foire  • 
mais  la  foire  (de  la  foire)  de  laigni  ne  doit  poiot  dantrße '. 
Hierauf  folgt  das  S.  229  erwähnte  Verzeichuiss  der  Ellen- 
maasse  der  Tuche. 

Am  Schlüsse  des  Ganzen  steht: 

Explicit  des  foires.  — 
Manuskript  b  (Nr.  25545  Fol.  17—18).    Es  ist  das  von 
Grosley  (Martens)  mitgetheilte,  das  zweite  bei  Frem^ry. 
Die  Ueberschrift  lautet: 

Si  commencent  les  foires  de  champainne  et  de  brie. 


■  Der  PiMu»  lautet:  b;  U  foire  froide  d«  troiet  eit  lirrfe  Uademam  de 
la  tonnaint;  c:  La  foire  Saint  Rem;  de  tioiei  eit  Utt^  landomain  de  la 
tonwaiiu;  d:  La  fotie  de  la  teiot  remi  k  troie«  eM  ünie  lendemeiD  de  la  feste 
de  toux  loiii ;  e :  La  foere  de  Troieea  a  la  Saint  Remi  eit  lirrie  laodemain 
de  feite  toonainz. 

3  Ebemo  b,  d;  c;  Et  en  chaicane  dei  VI  foirei  a  VIII  joun  dentr^; 
e;  En  chacnne  de  cez  VI  fotm  •  Vin  Jon  dantrfe. 

*  Ebenso  e:  b  (nur  jniqnei  a);  c  (nu-  dentr^  und  vor  haia  «ine  LOcke); 
dagegen  d:  etX  Jon  de  foire.  Nach  einer  Kopie  da  16.  Jahrbunderta  findet 
dch  der  Zniati  •eicepti  en  la  foire  Saiut-Aionl,  oü  il  n'en  a  qne  IX<  (Bonr- 
qnelot  p.  84> 

1  Eben«)  b  (nnr  cordnan] ;  c  (nnr  drapi) ;  fehlt  ganz  d  nnd  e. 

^  Der  Pami  fehlt  im  venet.  Manntkript;  er  lantet  b:  Et  landematn  de 
hare  de  cordnan  fant  aroir  de  poii;  c:  et  XV  ]oBn  aprt*  hare  de  cordoan 
faat  avoir  de  poii  et  eit  droii  paiemeni;  d:  et  XV  Jon  de  droit  paiement; 
e:  et  XV  jorz  de  droit  paiement.  Dal  Uannakript  Ton  Provini  (bei  Bour- 
qnelot  p.  S;  Note  i)  lantet,  bii  auf  venchiedene  Schreibart,  gleich  c. 

'  Fehlt  in  d,  e  und  im  Venet.  Mannakiipt.  In  b:  et  I  moit  apre»  hare 
de  dni  abatent  changeort;  c:  et  im  moii  aprit  hare  de  dnps  abatent 
changenr. 

■  Fehlt  in  d,  e  nnd  im  Venet  Manoikript.  In  b:  Et  IUI  Jon  aprii 
chaagenn  abatu*  pnnt  od  lettre*  de  foire;  c:  et  un  joun  apris  changea  abatna 
pnnt  on  lettrei  de  fbirei. 

*  Ebenio  b,  nnr  mit  Weglastong  dea  auf  einem  Schreibfehler  bemhenden 
doppelten  il«  ibire  de<;  d;  maii  la  foire  de  laigni  ne  d<Mt  point  dentr^;  fcUt 
in  e;  in  c  iteht  der  Satz  zn  Anfang  ().  oben  S.  130  Note  4}, 


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232  Ilie  GcKhEiUopentioDeii  auf  den  Ueneo  der  Champagiie. 

In  der  Mitte,  hinter  der  Angabe  der  Daten  der  ver- 
schiedenen Messen  und  vor  Angabe  der  Zeiträume  der  ein- 
zelnen Messoperationen  (hinter  tozsains  und  vor  Ea  chacune) 
steht  als  Ueberschrift : 

C'est  U  devisioas  des  foires  et  les  coustumes. 

Am  Schlüsse  des  Ganzen  steht: 

Explicit  k  mani^re  et  la  divisions  des  foires  de 
champaingne  et  de  Brie.  — 

Manuskript  o  (Nr.  2625)  hat  zur  Ueberschrift: 
Quant  les  foires  sont  livrfes. 

Schlussformel  fehlt.  — 

Manuskript  d  (Nr.  412)  fehlt  Ueberschrift  und  Schlussformel. 

Manuskript  e  (Nr.  16537)  fehlt  Ueberschrift  und  Schluss- 
fonnel. 

In  d  und  e  fehlen  (s.  S.  231  Note  6  ff.)  die  Sätze  hinter 
>droiz  paiemenzt,  doch  hat  d  den  letzten  Satz  (S.  231  Note  9). 

Die  sonstigen  sehr  zaMreichen  Abweichungen  der  Manu- 
skripte b— e  von  dem  abgedruckten  Manuskript  a  sind  in  den 
Noten  zu  diesem  angegeben. 

Die  Abweichungen,  soweit  sachlich,  mOgen  sich  zum  Theil 
aus  Aenderungen  der  Einrichtungen  erklären,  da  die  ver- 
schiedenen Aufzeichnungen,  obwohl  anscheinend  einem  Gnmd- 
text  entsprungen,  doch  aus  verschiedenen  Zeiten  herrühren 
können.  Der  Grundstock  gehört,  nach  der  Sprache,  dem  13., 
vielleicht  schon  dem  12.  Jahrhundert  an;  e  ist  wohl  etwas 
jünger,  in  einem  etwas  abweichenden  Dialekt  verfasst.  Von 
den  fünf  Manuskripten  ist  a  sicher  1284,  d  spätestens  1285 
geschrieben,  ein  drittes  (welches?  bei  Bourquelot  Nr.  1802) 
soll  gleichfalls  dem  13.  Jahrhundert  angehören;  im  Uebrigen 
findet  sich  bei  Bourquelot  p.  83 — 85  nur  die  allgemeine 
Angabe,  dass  die  Manuskripte  aus  dem  13. — 16.  Jahrhundert 
stammen.  Für  b  bemerkt  G  r  o  s  1  e  y ' ,  dass  es  den  ersten  Jahren 
des  14.  Jahrhimderts  angehöre.  Dass  ich  das  Manuskript  a 
zu  Grunde  gelegt  habe,  obwohl  es  anscheinend  einen  argen 
Schreibfehler  (XI  statt  XV  jors)  enthält,  dürfte  sich  aus  dessen 
Inhalt  rechtfertigen;  das  Manuskript  b  scheint  mir  einen 
jüngeren  Text  zu  enthalten;  insbesondere  fällt  auf,  dass,  statt 
der  allgemeinen  Ueberschrift  in  a,  hier  der  Beginn  der  Messen 
and  deren  Zeiteintheilung  durch  eine  besondere  Ueberschriit 
getrennt  sind. 

'  I  P-  497.  _,    „Google 


Die  GeKhiftEopeiBtioncD  >Df  den  Meuen  der  Champi^e.  233 

n. 

Zur  Erläuterung  mögen  folgende  Bemerkungen  dienen; 

1.  Es  gab  sechs  privilegirte  Messen  der  ursprünglichen 
Grafschaften  Champagne  und  Brie,  auf  welche  diese  Aufzeich- 
nung sich  bezieht.  Jede  dieser  Messen,  welche  in  etwa  zwei- 
monatlichen Zwischenräumen  auf  einander  folgten,  währte 
über  sechs  Wochen,  so  dass  deren  Gesammtheit  nahezu  das 
ganze  Jahr  ausfüllte,  die  Grafschaften  Champagne  und  Brie 
somit  einen  nahezu  ständigen  Messbezirk  bildeten. 

Die  Messe  von  Lagny  zur  Marne  beginnt  am  2.  Januar'. 

Die  Messe  von  Bar  sur  Aube  beginnt  am  Dienstag  vor 
Mittfasten,  somit  Ende  Februar  oder  im  März'. 

Provins  hat  zwei  Messen:  eine  Frühjahrsmesse  (foire  de 
mai),  welche  am  Dienstag  vor  Himmelfahrt  beginnt  und 
46  Tage  dauert ;  eine  Herbstmesse  (foire  de  S.  Aioul),  welche 
am  14.  September  (Kreuzerhöhung)  beginnt  und  bis  Aller- 
heiligentag, d.  h,  1.  November,  dauert '. 

Troyes  hat  zwei  Messen :  eine  Sommermesse  (foire  chaude 
oder  foire  de  S.  Jean),  beginnend  am  Dienstag  nach  Ablauf 
von  zwei  Wochen '  seit  Johannis  (24.  Juni),  also  drei  Wochen 
nach  Johannis,  falls  dieser  auf  einen  Dienstag  fällt,  jedenfalls 
in  der  ersten  Hälfte  des  Juli,  endend  am  14.  September;  eine 
Wintermesse  (foire  froide  oder  foire  de  S.  Remi),  beginnend 
am  Tage  nach  Allerheiligen  (2.  November),  endend  am 
2.  Januar'. 

Der  Ausdruck  >la  foire  est  livrßei  in  unserer  Auf  Zeich- 
nung gibt  somit  den  Eröffnungstag  an. 

2.  Die  Messzeit  zerfällt  in  folgende  Abschnitte: 

a)  huit  jours  d'entr^e,  nur  Laigny  me  doit  point 
d'entr^«.     Die  jours  d'entrde  gehören  bereits  zur  Messzeit 

■  Im  13.  Jahrhundert,  Dich  Boarquelot  p.  So  Note  ;,  am  l.  Januar; 
deigleicheD  im  14.  Jahrhundert  nach  Pegolotti. 

'  Ueber  du  iz.  Jahrbnadert  s.  Boarquelot  p.  Si  Note  1. 

3  S.  auch  Bourquelot  p.  tSa;  vielleicht  begann  die  HetbitmesK  ur- 
iprtlnglich  am  3 ,  September. 

*  XI  JOTS  im  Manuttcript  a  ist  augenscheinlich  ein  Schreibrehler  flir  XV, 
wie  alle  Bbiigen  Manuskripte ,  auch  du  venetianische,  and  aonitlg«  Nach- 
richten beweisen. 

5  Di«  Endieiten   dieMr  Mesten  haben   gewechwlt:   Bourquelot  p.  Sa 


oogic 


234         ^>'  Geichiftioperatianen  ftnf  den  Meiien  der  Qmnpagne, 

iDSofem,  als  die  Messprivilegien,  wie  freies  Geleit,  insbesondere 
Arrestfreiheit,  Gerichtsbarkeit  der  Messbehörden  sich  auch  auf 
diese  Vorbereitungszeit,  in  welcher  das  Aufschlagen  der  Mess- 
budeo,  das  Auspacken  und  Auslegen  der  Waaren  u.  dgl.  statt- 
findet, erstrecken.  Das  findet  selbstverständlich  auch  auf  der 
Messe  von  Lagny  statt,  —  der  Gegensatz  betrifft  die  Ent- 
richtung des  EingangszolK  Es  wurde  nämlich  für  Eingang 
(entr^e)  und  für  Ausgang  (sortie)  eine  Abgabe,  >le  portage«, 
auch  idroit  des  portesc,  erhoben'.  Diese  Abgabe  brauchte 
nun  auf  den  Messen  von  Bar,  Provins  und  Troyes  erst  nach 
Ablauf  der  acht  Freitage  gezahlt  zu  werden,  so  dass,  wer  die 
eingebrachte  Waare  unverkauft  innerhalb  dieser  Frist  zurück- 
zog, abgabefrei  blieb,  —  ein  grosser  Vortheil  für  die  Impor- 
teure, falls  sich  alsbald  Unverkäuflichkeit  oder  Schwerverkäuf- 
licbkeit  der  Waare  herausstellte'.  Für  Lagny  aber  bestand 
dieses  Privileg  für  die  ganze  Messzeit. 

Dies  wird  denn  auch  durch  Pegolotti  bestätigt,  welcher 
sagt:  Jede  der  genannten  Messen  hat  zu  Beginn  »8  giomi 
francai,  so  dass  während  dieser  acht  Tage  keine  Waare, 
welche  auf  die  Messe  kommt,  irgend  etwas  zahlt;  Lagny 
aber  ist  ganz   frei,   so  dass  gar  nicht  »entratat  gezahlt  wird. 

b)  Erst  nach  Ablauf  der  »entr^et  finden,  wenigstens 
offiziell,  die  Verkäufe  der  Messwaareo  statt.  Und  zwar 
werden,  nach  den  Hauptgattungen  der  Messwaaren,  drei  Zeit- 
räume unterschieden:  für  Tuche  und  Wollenstoff e  (draps) ;  für 
Leder  (cordoan)  mit  Einschluss  der  Pelzwaaren;  für  sog.  Ge- 
wichtswaaren  (avoir  du  pois,  d.  h.  du  poids),  z.  B.  Spezereien, 
Droguen,  Seidenstoffe  und  vielerlei  anderes  Gut^. 

Es  ergibt  sich  nun  aber  keineswegs  mit  Sicherheit,  ob 
diese  Zeiträume,  welche  unzweifelhaft  in  ihren  Endpunkten  aus- 

■  S.  die  Belege  bei  Boutquelot  II  p.  189,  insbesondere  die  Ausxflge 
aus  den  Extenta  teire  comitatos  Ctunpanie  et  Brie  eod.  II  p.  197  B. 

'  Vgl,  auch  die  Urknnde:  Le  couis  des  foites  de  Troyes  bei  Bont- 
quelot  I  p,  83  Note  i.  Richtig  bereits  Martens  S.  17  Note  f,  Bonr* 
qnelot  (nach  Panlin  Paris  H.  a.  O.)  I  p.  91.  Gleiches  findet  üch  wf 
andeien  mittelalterlichen  Messen. 

1  Ueber  diese  Waarengattnngen  s.  Bonrquelot  I  p.  209  ST.,  258  ff., 
zfi^ff.,  37off.,  zSoff.,  394ff.,  Tgl.  I  p.  85.  lieber  den  Tuchhandel  s.  anch 
Scbmoller,  Die  Strnttbui^er  Tücher-  nnd  Webennnft  (1879)  S.  368,  370. 
Eine  Ve^Ieichung  der  Maaise  nnd  Gewichte  der  Champagnennessen  nut  denen 
anderer  Handelsplatze  gibt  Pegolotti  p.  54,  63,  89  und  sonst. 


Die  GachSfttopeiBtiaiien  auf  den  Menen  der  Champagne.  235 

einanderfallen ,  auch  in  ihrem  ganzen  Verlaufe  auf  einander 
folgen,  so  dass  erst  nach  Schiuss  der  Tuchmesse  die  Leder- 
messe  beginnt  und  so  fort.  Von  der  Tuchmesse  heisst  es,  dass 
sie  am  zehnten  Tage  nach  Ablauf  der  entrte  mit  dem  >hare 
de  dras<  endigt,  —  währt  sie  aber  volle  zehn  Tage,  wie  nach 
den  Manuskripten  sich  kaum  bezweifeln  lässt?  '  Dagegen 
spricht,  dass  mehrfach  in  Quellen  insbesondere  des  14.  Jahr- 
hunderts von  nur  trois  jours  de  draps  die  Rede  ist".  Nur 
drei  Tage  gibt  auch  Pegol Ott i  an,  welcher  den  Tuchverkauf 
erst  am  17.  Tage  nach  Anfang  der  Messe  beginnen  lässt;  für 
die  Maimesse  von  Provins  werden  sogar  nur  zwei  Tage  Tuch- 
messe angeführt '.  Der  Widerspruch  ist,  wie  anscheinend  auch 
Bourquelot  p.  85  ff .  annimmt,  vielleicht  aus  einer  gegen 
Ende  des  13.  oder  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  erfolgten  Ab- 
änderung der  Verkaufszeiten  zu  erklären;  aber  man  sieht  nicht 
ein,  welchen  Zweck  dann  die  sieben,  nach  Pegolotti  sogar 
acht  Messtage  nach  Ablauf  der  entr^  bis  zum  Beginn  der 
Tuchmesse  gehabt  haben  sollen.. 

Von  der  Leder-  und  Pelzmesse  haben  wir  nur  in  einigen 
Manuskripten  die  Angabe,  dass  sie  am  elften  Tage  nach  dem 
bare  de  dras  stattfindet.  Endigt  sie  an  diesem  Tage  oder  be- 
ginnt sie  alsdann?  Ein  >hare  de  cordoani  erwähnen  nur  die 
Manuskripte  b,  c  und  das  Manuskript  von  Provins.  Ist 
dieses  >hare  de  cordoan«  der  Endpunkt  der  Ledermesse,  wie 
Bourquelot  p.  85,  89  annimmt?  Denkbar  wäre  auch  der 
An^g  derselben  (s.  unten). 

Widersprechend  sind  endlich  die  Manuskripte  hinsichtlich 
der  Gewichtswaareomesse.  Nach  a  findet  dieselbe  15  Tage 
nach  bare  de  dras  statt,  also  beginnt  anscheinend  erst  vier 
Tage  nach  Endigung  der  Ledermesse;  nach  b  findet  sie  statt 
am  Tage  nach  Schiuss  der  Ledermesse,  nach  c  und  dem 
Manuskript  von  Provins  15  Tage  nach  »hare  de  cordoan<. 
Die  Manuskripte  d  und  e  und  das  venetianische  Manuskript 

'  Die  Oidonn.  von  IB95  (Ordonn.  t.  XI  p.  377)  spricht  von  4  Tagen 
Tnchverkauf  der  SUdte  der  vUmüehen  Huue;  Ordomiuizen  und  Urkunden 
de*  14.  Jihrhnnderti  iprechen  von  >}  jonn  de  drap».  S,  die  Bel^e  bei 
Bourquelot  I  p.  86,  87. 

*  So  Tenteht  auch  Bourquelot  p.  88  die  SteUen  (DeUa  decima  ni 
p.  238,  339) ,  obwohl  wenigitens  fUr  die  MctK  von  Bar  eine  andere  Inter- 
pretation mOglich  wite. 


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236  ^''  Getchaftioperationen  >nf  den  Messen  der  Champagne. 

schweigen  ganz.  Bourquelot  p.  85  nimmt  an,  dass  mit 
den  angegebenen  Tagen  die  Endzeitpunkte  der  Gewichts- 
waarenmesse  bezeichnet  seien. 

Pegolotti  schweigt  völlig  von  Leder-  und  Gewichts- 
waarenmesse. 

Man  sieht,  es  sind  hier  zahlreiche  ungelöste  und  nach  dem 
Stande  unserer  Quellen  nicht  zu  losende  Räthsel. 

c)  Wahrend  der  vorfaezeichneten  Zeit  wird  auf  den  Messen 
das  Wechsel-  und  anderweitige  Bankgeschäft  durch  die  Wechsler 
{changeurs,  campsores)  in  ihren  Buden  und  Ständen  (Bänken, 
Tischen)  betrieben.  Dass  dieselben  ihre  Tfaätigkeit  erst  zu 
Ende  der  Messzeit,  insbesondere  erst  nach  hare  de  dras  be- 
ginnen "),  wird  in  den  Manuskripten  nicht  gesagt. 

Einen  Monat  nach  dem  Schluss  der  Tuchmesse  schlagen 
die  Wechsler  ihre  Buden  oder  Stände  ^b:  abatent  (s.  unten 
S.  246).  Das  Wechslergeschäft  hat  somit,  wenn  man  die  huit 
jours  d'entr^  nicht  mitzählt,  40  Tage  gewährt.  In  diesen 
Zeitraum  von  40  Tagen,  und  zwar  15  Tage  nach  hare  de 
dras,  fällt  die  Zahlzeit:  droiz  paiemens.  So  nach  a;  fehlt  b^ 
nach  c  und  Manuskript  von  Provins:  XV  jours  aprfes  hare 
de  cordoan;  nach  den  Manuskripten  d  und  e  gibt  es,  wohl 
missverständlich,  XV  jorz  de  droit  paiement. 

Einen  ausfuhrlichen  Bericht  über  diesen  Punkt  gibt  Pego- 
lotti. Zu  seiner  Zeit  beginnen  die  Geschäfte  der  Wechsler 
(seggono  i  banchi)  erst  am  zweiten  Tage  nach  hare  de  dras, 
dauern  dann  vier  Wochen  (e  stanno  4  settimane),  und  der 
15.  Tag  nach  Ablauf  dieser  vier  Wochen  (e  poi  che  le  4 
settimane  sono  compiute  15  dl  appresso)  ist  der  Zahltag  (ter- 
mino  dello  pagamento  della  detta  fiera).  Dies  wird  für  alle 
sechs  Messen,  mit  geringen  Abweichungen,  wiederholt  und 
am  Schlüsse  immer  hinzugefügt,  dass,  wenn  die  Zahlung  der 
Messschulden  durch  Wechsel  auf  Genua  oder  Florenz  ge- 
schehen soll,  für  die  Vcrfallzeit  solcher  Wechsel  bestimmte 
übliche  Fristen  gelten,  sofern  nicht  ein  Anderes  vereinbart  ist. 

■  So  Biener,  Wecluelrechtliche  Abhuidlnngen  S.  37:  »Deutlich  ist, 
dass  am  Ende  der  Meise  die  bancht  (also  die  Wechsler)  iht  Geschift  anfaDgeD 
und  mit  dem  Zahltage  (termme  del  piLgamento)  schliesien,  wobei  die  Zahlungen 
durch  Wechsel  von  der  Messe  auf  Florenz  oder  Genua  unter  Beobachtung  ge- 
wisser Usofristen  bewirkt  werden.«  Der  tetite  Sali  in  ein  Mistreratlndniii 
Pegolotti's,  vgl.  unten  S.  337. 


Die  GescbSftKipetatioiieii  aof  den  Messen  der  Champagne.  237 

Unzweifelhaft  liegt  zwischen  dem  Bericht  des  Manu- 
skripts a  und  Pegolotti's  Bericht  eine  erhebliche  Abände- 
rung der  für  die  Messen  geltenden  Grundsätze,  Während 
ferner  nach  den  Manuskripten  die  Messen  44  Tage  und  unter 
Hinzurechnung  der  entrße  52  Tage  dauern,  erstrecken  sich 
dieselben  bei  Pegolotti  auf  62  (Maimesse  von  Provins  61) 
oder  gar  64  (63)  Tage. 

Vier  Tage  nach  Ablauf  des  vorgedachten  Zeitraums  von 
40  Tagen,  nach  c  bereits  einen  Tag  nachher,  werden  lettres 
de  foire  genommen.  Das  wäre  also  am  44.  oder  45.  (nach 
c  am  41.  Tage,  nach  Beginn  der  eigentlichen  Messzeit.  Pego- 
lotti schweigt  davon,  macht  aber  eine  später  zu  würdigende 
Angabe  über  die  Nichtinnehaltung  der  Zablungszeit.  — 

Im  Folgenden  sollen  nun  einige,  für  die  Geschichte  des 
Handelsrechts  erhebliche  Fragen,  soweit  nach  dem  Stande 
imserer  Quellen  möglich,  beantwortet  werden. 


in. 

Das  >hare  de  dras<  spielt  eine  wichtige  Rolle,  weil  von 
ihm  ab  sich  andere  Fristen  berechnen.  Die  Manuskripte  b 
und  c  und  das  Manuskript  von  Provins  nennen,  wie  bemerkt, 
auch  ein  ihare  de  cordoant  als  Endpunkt  (vielleicht  Anfangs- 
punkt) der  Ledermesse,  Vielleicht  gab  es  auf  den  Messen 
noch  andere  »haret ,  allein  die  Quellen  schweigen  davon, 
und  es  erscheint  daher  gewagt,  wenn  Bourquelot  I  p.  89 
meint,  dass  das  Ende  eines  jeden  Messabschnitts,  z.  B.  auch 
des  Gewichtswaarenverkaufs,  durch  den  Ausruf  >harec,  aber 
tmter  Benennung  der  betreffenden  Waarengattung,  verkündigt 
wurde.  Diese  Hypothese  ist  sogar  in  das  dictionnaire  de  I'an- 
cienne  langue  fran^ise  du  IX"  au  XV"  sihcle  von  Godefroi 
t.  IV  (Paris  1885)  s.  v.  hare,  are,  ale  S.  421  Übergegangen, 
selbstverständlich  ohne  Beleg. 

Auch  auf  den  flandrischen  Messen  wurde,  wie  Pego- 
lotti c.  57  (Della  decima  III  p.  241)  bezeugt,  das  Ende  der 
Tuchmesse  durch  den  Ruf  ara  bezeichnet  (la  sera  al  tardi 
grida  »arai  e  non  mostra  piü  drapperia),  aber  es  findet  sich 
bei  Pegolotti  kein  Hinweis,  dass  der  gleiche  Ruf  auch  das 
Ende  des  Verkaufs  anderer  Waaren,  sei  es  auf  den  Champagner 
Messen,  sei  es  auf  den  flandrischen  Messen,  bezeichnet  habe. 


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238  I^ie  GetchIftw)i>eiBtioiiei]  auf  des  HcMcn  der  Champagne. 

Da  femer  in  deo  Urkunden  und  sonst  überall  das  iharec 
ohne  den  Zusatz  de  dras  als  ein  fester  Zeitpunkt  bezeichnet 
wird,  so  kann  darunter  nur  das  bare  de  dras  als  das  einzige 
oder  docb  vornehmste  >harec  gemeint  sein. 

Auf  einzelne  dieser  Urkunden  haben  bereits  Bourquelot 
und  Ducange  hingewiesen.  Bei  Bourquelot  I  p.  88,  89 
finden  sich  citirt  Urkunden  von  1204:  eine  Messabgabe  in 
Troyes  ist  zu  zahlen:  infra  octabas  del  hare ;  1218:  eine  Geld- 
summe von  400  livres  de  Provins  ist  zu  zahlen  auf  der  nächsten 
St.  Johannismesse  von  Provins  »vier  Tage  bevor  man  daselbst 
ruft  hare !  hare ! ;  1230 :  eine  Summe  von  7,500  livres  de  Provins 
ist  zu  zahlen  auf  der  nächsten  Maimesse  von  Provins  >acht 
Tage  nachdem  man  daselbst  hare !  hare !  gerufen  haben  wird* ; 
1249 " :  eine  Geldsumme  ist  auf  der  nächsten  Maimesse  von 
Provins  zu  zahlen  »tribus  diebus  antequam  clametur:  hare!( 
Ducange,  gloss.  mediae  et  infimae  latin.  1885  ed.  Heoschel, 
IV  p.  167,  hat  folgende  Urkunden: 

1219:  30  marcas  sterlingorum  zu  zahlen  in  proximis 
nundinis  S.  Johannis  Trecensibus  apud  Trecas  (Troyes)  quatuor 
diebus  antequam  clametur  Hare,  Hare. 

1230:  de  fidejussione  1725  libramm  pruviniensium  solven- 
darum  in  proximo  futuris  nundinis  Maii  de  Pruvino  apud  Pru- 
vinum  (Provin'i)  octo  diebus  postquam  clamabitur  Hare  Hare  — 
(Martens  S.  15  citirt  diese  Urkunde  aus  Carpentier  mit  dem 
Datum  1213). 

1294:  Au  quatri£^me  jour  de  Hare  de  dras  de  la  foire 
S.  Jehan  ä  Troyes.  • 

Dieses  Verzeichniss  lässt  sich  erheblich  vermehren. 

Urkunden  über  mehrere  gegen  römische  Kaufleute  kontra- 
hirte  Schulden  des  Kölner  Erzbischofs  Dietrich  (Theodorich) 
aus  den  Jahren  1213  und  1218  (Ennen  und  Eckertz,  Ur- 
kundenbuch  der  Stadt  Köln  11  Nr.  40,  57)  lauten  auf  Zahlung 
in  nundinis  Sancti  Agulfi  apud  Pruvinum  4  diebus  antequam 
clametur  hare  bare,  desgleichen  auf  die  nächste  Messe  von 
Bar  und  auf  die  nächste  Messe  von  Troyes  (4  diebus  oder 
quarto  die)  antequam  clametur  hare,  hare.  Ebenso  sind 
Schuldvet^hreibungen  des  Kölner  Erzbischofs  zu  Gunsten  der 
römischen  Gläubiger    1221    (eod.   Nr.   70)    und   zu   Gunsten 

■  Bourquelot  p.  tJ9  Note  3. 

Digitizecy  Google 


Die  G«tchiAiopentioften  anf  den  Metten  der  Champigne.  239 

Bologneser  Gläubiger  (eod.  Nr.  73),  die  eine  auf  die  Messe 
von  Bar,  die  zweite  auf  die  Messe  von  Provins,  gestellt :  4  die- 
bus  antequam  clametur  bare,  bare;  vgl.  auch  1228  eod. 
Nr.  107)  ■. 

Canale,  nuova  storia  della  repubblica  di  Genova  vol.  II 
(Firenze  1860)  verzeichnet: 

a.  1227  (p.  527):  Wechsel  auf  die  St.  Johannis- 
messe  von  Troyes  zahlbar  >fra  Otto  giomi  dopochö 
sarä  gridato  nella  stessa  fiera:  Ära,  Arac 

a.    1241    (p.   554):    zwei   Wechsel   auf  die  nächste 
Messe   von   Bar   mit  der   gleichen   Zahlungszeit.     (In 
dem  Verzeichniss   eod.   S,  629   finden  sich  statt  Ära 
die  Druckfehler  Kara,  Kara  und  Aira). 
Nach   dem    Zeugniss   von   Bini,    i    Lucchesi   a  Venezia 
(Lucca  1853,  1856)  p.  U6ff.,  sind  die  Luccheser  Wechsel  des 
13.  Jahrhunderts  auf  die  Champagner  Messen  —  welche  Bini 
nicht  ausreichend  kennt  und  daher  z.  B.  Bar  mit  Bari  in 
Apulien  verwechselt,  den  Ausdruck  ange,  agne  =  degli  angeli 
für  die  Septembermesse   von  Provins   nicht   versteht'   —  ge- 
stellt, meist  >acht  Tage  nach  ara,  ara  ad  pagandum  tabulei. 
Findet  sich  dieser  letzte  Satz  wirklich,  so  wäre  dadurch  die 
Zahlung  an  oder  durch   einen  Messbankier,   vielleicht  einen 
Luccheser,  vorgeschrieben  ^ 

Das  bekannte  Formular  des  Bologneser  Studentenwechsels 
bei  Rolandinus,  um  1250  (meine  Universalgeschichte 
S.  427),  lautet  auf  Zahlung: 

in    nundinis   Pruvim   proxime  (!)    apud   Pruvinum 
octavo  die  postquam  in  ipsis  nundinis  cridatum  fuerit 
»hec  arra<  (soll  heissen  hare  [a],  hare  [a]), 
—  danach  Durantis,   speculum  (1272)   lib.  IV  part.  III   de 
obUg.  (ed.  Basil,  1563  II  p.  333,  Francof.  1612  II  p.  345). 

Unter  den  zahlreichen  auf  die  Champagner  Messen  zahl- 
bar gestellten  MarseiUer  Eigenwechseln  findet  sich,  a.  1248, 

'  Milgelheilt  bereiB  vonNeumann,  Geschichte  des  Wuchers  in  Deutsch- 
land Ci86s)  S.  374  Note  i. 

*  BerichliguDgen  bei  Salvatore  Bongi,  della  mercatura  dei  Laccbeü 
od  secoli  XIII  e  XIV.     Lucca  1858  p.  62. 

3  Bini  Tenteht  deoAnidruck  aU  identisch  mit  >ad  pagamentum  tabolaei 
nnd  meint,  nat  nicht  zutrifft,  da»  tavola  Schein  oder  Rechnungsbuch  der 
Kaufleute  genesen  sei.  Vielmehr  ist  tabula  (tavola)  der  Zahltisch  de*  Baokiei* 
(Weclulen),  glnch  mema,  t^ÖTttCa. 


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240  I^i*  GMchifUopentiooeii  auf  den  Hcaen  der  Chunpagne. 

Blaacard,  doc.  inädits  sur  le  commerce  de  Marseille  t.  11 
(Marseille  1885)  nr.  707  (p.  158),  folgender: 

80    liras    paris.,    in    nundinis   Provinis    de    madio 

proxime  venturis,  per  III  dies  ante  nundinas  pannonim, 

vel  in  termino  dictarum  nundinarum  si  forte  dicte  nun- 

dine  vacarent. 

Eine    Vorladung    der   custodes   nundinamm   (gardes    des 

foires),  ergangen  nach  Florenz,  lautet: 

1279  (Berti,   Giom.  storico  degli  archivi  Toscani 
1857  nr.  3,  4  —  p.  251  nr.  15)  auf: 

in  predictis  nundinis  Sancti  Remigii  Treces  (d.  h. 

auf  die  St.  Remigiusmesse  von  Troyes)  ad  crastinum  höre 

(statt  hare)  pannorum. 

Eine  andere  Vorladung,  ergangen  nach  Florenz,  enthalten 

in  einem  Protokoll  des  Messgerichts  1303  (eod.  p.  273  nr.  25), 

lautet : 

au  disi^me  jour  aprfes  hare  de  dras  de  la  foire  de 
Laigny  sur  Marne  prochainement  venant. 
Es  wird  somit  am  Schlüsse  der  Tuchmesse  hare,  hare  ge- 
rufen, augenscheinlich  von  den  Messdienem  (sergents)',  doch 
begegnet  in  dem  alten  Statut  der  arte  di  calimala  von  Florenz 
(1301)  Üb.  IV  ruh.  28  unter  den  duo  cursores  (Eilboten)  ftlr 
den  französischen  Verkehr  ein  cursor  de  aara«,  neben  dem 
Cursor  »de  pagamentOf  nundinarum  Campame ;  vielleicht  dass 
der  Erstgenannte  speziell  für  die  Rorentiner  (Tuchhändler  und 
Tuchfabrikanten  der  arte  di  calimala)  das  Ende  der  Tuchmesse 
auszurufen  hatte. 

»Harec,  im  normannischen  »harot,  wird  von  Diez,  Ety- 
mologisches Wörterbuch  der  romanischen  Sprachen  (5.  Au^. 
1887)  II  S.  612,  als  »Zetergeschrei,  bezw.  Nothgeschrei  er- 
klärt =:  hieher,  herbei,  althochd.  hera  und  hara,  herot, 
auch  harou,  harou  =  latein.  huc  S.  611  wird  das  nor- 
mannische harer  (harier),  altengl.  hare  (harie)  =  treiben, 
drängen,  plagen,  hergeleitet  von  har,  haro  ;=  Hilferuf,  alt- 
hochd. harSn  =  schreien,  rufen. 

Dieser  Etymologie  hat  sich  Littr^,  dictionnaire  h.  v., 
desgl.  A.  Bos,  glossaire  de  la  langue  d'oil,  Paris  1891,  b.  v. 
angeschlossen.    Ganz  entsprechend  heisst  es  bei  M.  Heyne 


■  Ueber  diese  t.  Bourqaelot  II  p.  347. 

,.:  .«:,yGüOgle 


Die  GdchSflsopemtianei)  auf  den  Metten  der  Champagne.  241 

im  Deutschen  Wörterbuch  von  J.  und  W.  Grimm  tV,  2  (1877) 
s.  V.  her,  Sp.  999  ff. :  althochd.  hera  oder  hara,  später  har  (so 
in  alemannischen  Quellen  und  sonst),  auch  wohl  ohne  An- 
laut (h),  oder  in  erweiterter  Form  hero,  als  Zuruf,  z.  B,  an 
die  Pferde,  an  die  Kriegsleute;  überhaupt  kurz  statt  >komm 
herc,  »gib  hert  —  s.  auch  »herauf  Sp.  1017  unten. 

Das  »haroc  spielt  insbesondere  in  dem  normäimischen 
Recht  eine  wichtige  Rolle  als  »Gertlft«,  behufs  Herbeinifung 
der  Nachbarn  u.  dgl.,  und  wird  hier  als  Formalakt  fUr  die 
Einleitung  von  Kriminalklagen,  Besitzklagen  u.  s.  f.  bebandelt ', 
begegnet  aber  auch  als  Jagdruf,  Kriegsnif  und  in  manchen 
ähnlichen  Fällen. 

Ebenso  unhaltbar  wie  die  thOrichte  Ableitung  von  iHal 
Rou!t  (Rollo,  Herzog  der  Normandie)',  ist  die  Herleitung 
von  haraho  =  placitum ,  mallus  ^ ,  womit  sich  die  Deutung 
verbindet,  dass  das  hare  auf  den  Messen  ankllndigen  sollte, 
es  werde  die  Gerichtsbarkeit  über  die  auf  der  That  ergriffenen 
Verbrecher  geübt  werden ' ;  oder  die  Deutung  »in  Ordnung 
bringencS;  oder  die  Deutung  auf  »Grenze,  Schranke,  Ende<, 
welche  in  dem  Worte  »harett  liegen  soll*. 

Man  sollte  doch  an  der  sprachlich  sichern  und  zur  Er- 
klärung voll  ausreichenden  Ableitung  von  dem  altdeutschen 
hara,  har  sich  genügen  lassen.  Dass  die  Romanen  den  An- 
laut opfern,  ist  natürlich.  So  begegnet  auch  das  ara  in  Ver- 
bindung mit  ojats  =  hieher!  hört!  in  der  Verordnung  des 
Magistrats  zu  Barcelona  1394  (Capmany,  memorias  11  p.  282) 
als  Publikationsformel  des  praeco.  So  heisst  »arat :  Aufgebot, 
auch  Angebot  (nämUch  Ausruf)  in  den  Statuta  Brixiae  (Bresda) 
1313  lib.  111  c  26,  28,  37,  276  und  sonst. 

Somit  ist  anzunehmen,  dass  die  Messdiener  u.  dgl.  durch 
den  Ruf   »(kommt)   hieher<   den  Messbesuchem ,   und  wen  es 

■  S.  aniftllirticb  GltistoD,  rerue  hiltoiique  de  droit  fhuifaii  et  jtruiger 
L  VI  (iSaa)  p.  397—446,  517—550,  S.  auch  Viollet,  «Ubiimementi  de 
S.  Lonii  I  p.  188  ff. 

>  5.  bei  DnoDge  >.  v.  haro  tll  p.  17a. 

I  So  GlastoD  p.  saoff. 

*  So  Depping  und  Glaison  p.  517.  Ali  ob  wiche  AnkOndigong  am 
Schlu«  der  Tuchmette  geeignet  gewesen  würel 

i  So  d'Arboii  de  Jubainville,  hlstobe  des  comtes  de  Champagne 
t  III  p.  234,  dtitt  bei  Bourquelot  I  p.  90  Note  4. 

!•  So  BoDrqaelot  I  p,  90. 
Goldtetamidt,  Vannüchtc  SchilfMD,    n. 


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242  IKe  Geschlftiaperation«]!  auf  den  Menen  d«T  OuinpApie. 

anging,  den  Schluss  der  (Tuch-)  Messe  verkündigten,  vielleicht 
auch  noch  andere,  diesen  Akt  näher  bezeichnende  Worte  hinzu- 
fügten. Der  öffentliche  Ausruf  (crierie)  war  im  ganzen  fran- 
zösischen Rechtsgebiet ,  namentlich  in  Paris ,  während  des 
13.  Jahrhunderts  so  allgemein  üblich,  dass  es  sogar  besonders 
dazu  bestellte  Beamte  (crieurs)  gab  (Depping,  introd.  zu 
Boileau,  rfeglements  sur  les  arts  et  mötiers  de  Paris  p.  LX  ff.)- 
Martens,  S.  16  Note  e,  kommt  also  der  Wahrheit  nahe,  wenn 
er  vermuthet:  »Dies  bare  scheint  ein  öffentlicher  Ausruf  ge- 
wesen zu  sein,  dass  nun  der  Termin  zu  einem  gewissen  Ge- 
schäft der  Messe  erschienen  (bei  der  Tuchmesse  iedenialls  nicht 
erschienen,  sondern  abgelaufen,  —  wie  auch  S.  18  Note  b  an- 
erkannt wird)  sei ,  oder  vielleicht  nur  das  Holla  (?)  oder  An- 
fangswort dieses  Ausrufes.«  Wenn  Martens  gleichwohl  Be- 
denken trägt,  die  Identität  des  Mess-hare  mit  dem  normanni- 
schen haro  anzunehmen,  so  übersieht  er,  dass  auch  das  letztere 
nur  »GerUft«  war,  an  welches  sich  aber  gewohnheitsrechtlich 
eigenthümliche  Rechtsfolgen  knüpften.  Dagegen  ist  ganz  un- 
richtig, wenn  Grosley  unter  ihare«  den  Verfalltennin  der 
Messscheine  —  s.  unten  S.  248 ff.  —  versteht. 

Unklar  und  anscheinend  verkehrt  ist  die  Bemerkung 
Fr^mörys  p.  15  Noteg:  »hare«  signifie  ihalle«.  Biener, 
Abhandlungen  aus  dem  Gebiet  der  Rechtsgeschichte  S.  94 
Note  12,  sagt,  ohne  weitere  Erläuterung,  hare  des  draps  sei 
entweder  Anfang  oder  Ende  der  Tuchmesse,  welches  durch 
einen  Aufruf  verkündigt  wurde;  in  den  Wechselrechtlichen 
Abhandlungen  S.  37  aber:  Das  hare  oder  hara  bezeiclmet 
den  Ausruf,  durch  welchen  die  verschiedenen  E'erioden  der 
Messgeschäfte  eingeleitet  oder  geschlossen  wurden.  Durch- 
aus abwegig  ist  die  Deutung  Endemann's,  Studien  in 
der  romanisch  -  kanonistischen  Wirthschafts-  und  Rechtslehre 
I  S.  176.  Er  spricht  von  der  im  17.  Jahrhundert  auf  der 
Lyoner  und  anderen  Messen  üblichen  Skontration,  bei  der  ein 
Jeder  mit  lauter  Stimme  die  Wechsel  ausruft,  welche  er  als 
Gläubiger  oder  für  den  Gläubiger  inne  hat,  und  fügt  unter 
grundloser  Berufung  auf  Biener  hinzu:  »Das  ist  der  Auf- 
ruf, der  unter  dem  Namen  des  hare  schon  auf  den  Cham- 
pagner Messen  für  Messverbindlichkeiten  Üblich  gewesen  war;« 
ja,  S.  85  wird  zur  Erläuterung  des  Wechselformulars  bei  Ro- 
landinus  gesagt;    »Ob  die  Aussteller  (des  Wechsels)  selbst 


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Die  GeachSftfopentioDen  auf  den  MetMn  der  Cbampi^e.  243 

oder,  wie  leicht  zu  vermuthen,  durch  einen  Geschäftsmann, 
der  für  sie  den  Aufruf  (hara)  beantworten  sollte,  die  Zahlung 
zu  bewirken  gedachten ,  ist  von  untergeordnetem  Belange ', 
Die  ergötzlichste  Form  nimmt  diese  grundlose  Hypothese  bei 
Jäger  (Der  Tractat  des  Lucas  Paccioli  Über  den  Wechsel 
von  1494,  1878  S.  23)  an:  die  sog.  hara  sei  ein  Aufruf  des 
(Wechsel-)  Schuldners  durch  den  Gläubiger  vor  dem  betreffen- 
den Konsul  am  ersten  Tage  der  Messe;  er  fügt  hinzu:  »Es 
liegt  nahe,  dieses  Wort  mit  hora  =  die  Stunde  in  Verbindung 
zu  bringen,  allein  es  ist  überall  mit  a  geschriebene 


IV. 
15  Tage  nach  hare  de  dras  fällt  nach  Manuskript  a 
droiz  paiemens,  —  auf  die  abweichenden  Angaben  anderer 
Manuskripte  und  auf  die  Deutung  Pegolotti's  (termino 
dello  pagamento  della  detta  fiera^  ist  schon  oben  hingewiesen 
(S.  236). 

In  den  lateinischen  Quellen  steht  dafUr  der  Ausdruck 
rectum  pagamentum,  d.  h.  usancemässige  oder  gesetzliche 
Zahlzeit  der  Messe.  Auf  diese  feste  Zahlzeit  einer  bestimmten 
Messe  werden  die  Schuldscheine  und  Wechsel  häufig  gestellt, 
auch  wohl  vorsorglich  bestimmt,  wie  es  gehalten  werden  solle, 
falls  etwa  die  bezeichnete  Messe  ausfällt'. 

So  heisst  es  in  den  bei  Bourquelot  I  p.  91  Note  1  mit- 
^theilten  Urkunden  z.  B.: 

1187:  in  pagatione  nundinarum  S.  Aygulphi. 
1221 :  io  proximis  nnndinis  Bari  8  diebus  ante  paga- 
mentum. 

1240 :  in  nundinis  S.  Aygulphi  3  diebus  ante  rectum 
pagamentum. 

1273:    infra  rectum  pagamentum  nundinarum  de 
Harro. 

1314:  ad  pagamentum  dictarum  nundinarum. 
Bourquelot   II  p,  103  gibt   weiter  als   übliche  Aus- 
drücke der  Urkunden  an: 

'  Danach  G.  Cohn  in  Endcmann'»  Handbuch  dn  Handelsrechts  III 
S.   1059  Note  15. 

>  S.  aoch  meine  Universalgeschichte  S.  33J  Note  137a,  S.  415,  4S8 
Note  158. 

.6- 

■ooqI 


244  I^ic  GMchä(tsop«TatioQ«n  >af  den  Metten  der  Champa^e. 

infra  oder  ante  pagamentum,  dans  droit  payement, 
avant  payement  u.  dgl.  m. 

Gleiche  Formeln  begegnen  in  den  Marseiller  Urkunden  des 
13.  Jahrhunderts  für  die  auf  die  Messe  von  Bar,  die  Messen 
von  Troyes  und  namentlich  die  Maimesse  wie  die  Herbstmesse 
von  Provins  gestellten  Wechsel : 

Bibliothfeque  de  l'to)le  des  chartes  XXXIX'  ann^  1878. 
Pikees  justificatives  Nr.  6,  10,  14  (1247);  femer  (1248)  in  Docu- 
ments  in^dits  I  Nr.  92,  100,  101,  104,  105,  150,  151,  156, 
340,  351;  II  Nr.  825,  929,  995;  II  375,  377,  424,  498,  550, 
557,  564,  615,  625,  667,  685,  691,  717,  730,  770,  772,  782, 
793,  800,  802,  806,  817,  819,  822,  828;  II  Nr.  1028,  1029. 

Die  übliche  Formel  ist : 

In  nundinis  de  Bari  (Trecis,  Pruvini  de  Madio  oder 
S.  Aygidphi  u.  dgl.),  proxime  venturis  infra  rectum 
pagamentum,  vel  in  termino  dictarum  nundinarum,  si 
forte  dicte  nundine  vacarent. 

Sehr  merkwürdig  ist  folgender  Fall  aus  dem  Jahre  1251. 
Jacopo  del  Caretto,  marchese  di  Savona,  Schwiegersohn  Kaiser 
Friedrich's  II.,  empfängt  ein  Darlehen  von  2000  lire  di  Genova 
von  den  Bankiers  Guido  Spinola  e  comp,  und  stellt  dafür, 
miter  Verpfändung  des  mit  Edelsteinen  besetzten  Thrones  des 
Kaisers,  einen  Wechsel  aus  über  1600  libr.  perven.,  zahlbar  in 
proximis  nundinis  barii  venturis  ad  rectam  solutionem  vel  eo 
tempore  quo  dicte  nundine  esse  debent,  si  deficient  (Bel- 
grano,  arch.  stör.  Ital.  ser.  III  t.  III  part.  I  [1866]  p.  117 ff.). 
Die  Gesellschaft  Mangiavacca  aus  Florenz  löst  1253  diesen 
Thron  ein  und  bezahlt  an  Spinola  e  comp,  einen  Wechsel, 
zahlbar  in  primis  nundinis  S.  Aygulfi  >ad  rectum  pagameDtum« 
(Mas  Latrie,  in  Bibliothfeque  de  I'ö:ole  des  chartes,  5"  s^rie, 
t.  III  [1862]  p.  251).  Auf  die  weitere  Geschichte  dieses  kom- 
plizirten  Rechtsgeschaftes  ist  an  dieser  Stellt  nicht  einzugehen. 

Die  feste  Zahlzeit  lässt  sich  nun  in  einem  zwiefachen 
'  Sinne  verstehen :  als  Zahlzeit  der  auf  der  Messe  zahlbaren, 
gleichviel,  ob  daselbst  oder  anderweitig  kontrahirten  Privat- 
geldschulden oder  als  Zahlzeit  der  auf  der  Messe  zu  ent- 
richtenden Abgaben  (Zölle,  Standgelder  u.  dgl.  m.).  In  dieser 
zweiten  Bedeutung  wird  der  Ausdruck  idroiz  paiemensc  von 
Paulin  Paris,  unter  Zustimmung  von  Bourquelot  p.  92, 
verstanden. 


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Die  GetchSftMperaCioiien  »ut  den  MeMcn  der  Champagne.  245 

Mir  scheint  diese  Deutung  unwahrscheinlich,  und  sie  wird 
nicht  durch  die  von  Bourquelot  a.  a.  O.  citirte  Urkunde 
aus  dem  Jahre  1241  unterstützt,  welche  besagt,  dass,  wenn 
>post  fioitum  pagamentiunc  Zoll  (theloneum) '  gezahlt  oder 
eine  Waare  verkauft  wird,  nur  der  halbe  Zoll  entrichtet  werde. 
Denn  wäre  in  der  That  unter  >pagamentum<  der  gesetzliche 
oder  übliche  Tag  der  Zollentrichtung  zu  verstehen,  so  ist 
nicht  begreiflich,  weshalb  die  Unterlassung  rechtzeitiger  Zoll- 
entncbtung  zur  Befreiung  vom  halben  Zoll  fuhren  sollte.  Viel 
wahrscheinlicher  ist,  dass  man  die  nach  Ablauf  der  für  die 
Zahlung  der  Messschulden  festgesetzten  oder  üblichen  Zeit, 
also  die  am  Schlüsse  der  Messe  stattfindenden  Verkäufe  durch 
Erhebung  nur  des  halben  Zolles  begünstigte,  damit  möglichst 
■wenige  Waare  unverkauft  von  der  Messe  ging. 

Dass  aber  eine  gesetzliche  bezw.  übliche  Zahlzeit  nicht 
allein  für  die  auf  der  Messe  verkauften  Waaren,  sofern  der 
Kaufpreis  nicht  kreditirt  war,  sondern  auch  für  die  überhaupt 
auf  die  bestimmte  Messe  gestellten  Zahlungsverpflichtungen 
bestand,  ist  einleuchtend,  und  es  ist  wenig  wahrscheinlich,  dass 
die  Schuldurkunden,  welche  auf  »die  rechte  Zahlzeitc  lauten, 
die  für  die  Zahlung  der  privaten  Messschulden  ganz  unerheb- 
liche Abgabenzahlung  im  Auge  haben  sollten.  Nur  mit  dieser 
Deutung  erscheint  vereinbar  der  Bericht  P  e  g  o  1  o  1 1  i '  s  (a.  a.  O. 
p.  239):  Wer  am  Zahlungstage  (al  giomo  del  pagamento) 
nicht  zahlt  oder  sonst  seine  Verbindlichkeiten  nicht  erfüllt, 
gilt  als  fallit  (fallato  in  fiere),  hat  keinen  Kredit  mehr  und 
darf  nicht  wagen,  auf  der  Messe  zu  erscheinen,  —  natoriich 
wegen  der  iTitn  drohenden  Fersonalhaft  und  VermOgens- 
exekution".  Daranf  deutet  auch  die  etwas  dunkle  Stelle  in 
den  spateren  »coustumes,  stille  et  usaiges  de  la  court  et  chan- 
cellerye  des  foires  de  Champaigne  et  Brye«  (Bourquelot 
H  p.  342),  wo  unterschieden  werden  les  3  jours  de  draps  und 
>les  joum^es  qui  sont  assign^es  au  payement  de  chascune 
desdites  trois  foires«. 

Biener,  S.  36,  begntlgt  sich  mit  der  ergötzlichen  Be- 
merkung, dass  sich,  aber  nur  in  Fr^möry's  Text  (a),  eine 
undeutliche  Angabe  über  >trois  payementsc  finde! 

■  Aogmuclieiiilicli  handelt  et  »eh  nn  die  VerluiD&abgibe:  tonlieu. 
S.  Bonrqvelot  U  p.  185  ff. 

*  Heine  Univenalge«chicbte  S.  3:9,  330. 


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246  13'^  GeschSftGoperationen  auf  den  Meisen  der  Champagne. 

Neumann  endlich  (s.  S.  239  Note  1)  meint,  das  hare 
scheine  die  Messe  in  2  Theile  getheilt  zu  haben ,  und  nur  in 
dem  ersten  Theile  sei  Zahlung  angenommen,  aber  nur  in  be- 
stimmten Fristen  (etwa  4  Tage  zuvor,  wie  in  der  Kölner  Ur- 
kunde). Aber  an  derselben  Stelle  will  er  aus  der  Kölner  Ur- 
kunde von  1213  herauslesen,  dass  das  hare  die  Messe  beendet 
habe  und  dass  4  Tage  vorher  die  Baarzahlungen  gegen  die 
auf  die  Messe  ausgestellten  Wechsel  an  die  Reihe  kamen. 
Alle  diese  Hypothesen  entbehren  jeder  Grundlage. 

V. 

Einen  Monat  nach  hare  de  dras  >abatent  li  chan- 
geors*.  Dieser  Satz  ist  schon  oben,  in  Uebereinstimmung 
mit  Bourquelot  p.  85  (iferment  leurs  boutiques«),  dahin 
verstanden  worden,  dass  die  Wechsler  ihre  Buden  berw.  Stände 
und  Bänke  ^abschlagen«.  Von  den  )tabulae*  der  Wechsler 
ist  in  zahlreichen  Urkunden  die  Rede'.  Der  gleich  darauf 
begegnende  Ausdruck  ichanges  abatuzc  bezeichnet  somit  das 
Abschlagen  der  Wechselstände  und  damit  das  Aufhören  der 
Wechsel-  und  sonstigen  Bankgeschäfte.  Des  gleichen  Aus- 
drucks, laprds  changes  abatusc  oder  labatuzi,  bedienen  sich 
die  aus  dem  13,  Jahrhundert  stammenden  >privil&ges  et  coustumes 
des  foiresc  (Bourquelot  II  p.  321  ff.)  art.  18,  19,  auf  welche 
ich  im  Folgenden  zurUckkonmie.  Desgleichen  die  Ordonnance 
Juli  1344  art.  8:  »des  les  trois  jours  de  draps  jusques  a  changes 
abatuzc '. 

Auf  dieses  Ende  der  Wechseigeschafte  deuten  die  Ur- 
kunden mit  dem  Ausdruck  »dimissio  camblorumi  oder 
genauer:  idimissio  campsorumi.  Es  finden  sich  nämlich 
interessante,  von  Bourquelot  noch  nicht  berücksichtigte  Er- 
lasse der  custodes  nundinarum  (gardes  des  foires)  an  aus- 
wärtige Schuldner,  enthaltend  Vorladung  derselben  vor  das 
Messgericht  der  Champagne '  auf  einen  bestimmten  Tag : 

1297:  apud  Pruvinum  ad  ottabas  dimissionis  campsonim 
nundinarum  instantium  Sancti  Aygulfi  de  Pruvino  (Berti 
a.  a.  O.  Nr.  21  p.  261  ff.). 

■  Bunrquelot  II  p.   izjft. 

'  Am  boten  im  HansUchen  Utknodenbuch  HI  S.  454  ff.  gedruckt. 

3  Meine  UniTenalgeKhichtc  S.  231!  IT. 


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Die  GetcUfiMpeniionen  *uf  d«u  MeiMii  der  duunpagne.         247 

1298:  Desgl.  ad  crastinum  dimissionis  cambiorum  (eod. 
Nr.  22  p.  264  H.). 

1298:  apud  Barram  —  apud  Trecas  —  ad  quartum  diem 
dimissionis  cambiorum  (eod.  Nr.  23  S.  267  ff.). 

1300:  apud  Pruvinum  die  tertia  dimissionis  cambiorum 
Sancti  Augulphi  proxime  venturi  (Mas  Latrie,  M^langes 
historiques.    Cboix  de  docum.    III.    [Paris  1880.]    p.  20  ff.). 

Es  ist  sprachlich  völlig  unmöglich,  mit  Martens,  S.  17 
und  Fr^möry,  p.  105,  480,  welcher  fälscblicb  von  >abattre 
les  changes*  spricht,  unter  den  technisch  gebrauchten  Worten 
eine  Abrechnung  der  Geldwechsler  unter  einander  und  mit 
den  Kaufleuten  zu  verstehen ;  noch  gar  lässt ,  wie  B  i  e  n  e  r , 
Wechselrechtlicfae  Abhandlungen  S.  37,  meint,  >die  Notiz  Über 
die  Wechsler  erkennen,  dass  zu  Ende  der  Messe  vier  Tage 
zum  Skontriren  bestimmt  waren,  worauf  die  Zahlungen  folgten, 
die  durch  Ritomowechsel  —  abgemacht  wurden« ;  noch  lässt 
sich,  wie  derselbe  meint',  erkennen,  »dass  die  Wechsler  ihr 
Geschäft  mit  dem  Zahltag  schliesseni.  Für  all  dies  fehlt  jeder 
Anhalt  in  den  Quellen. 


VI. 

»IV  jors  apr&s  changes  abatuz  prant  on  lestres 
de  foire<  (a).  AehnUch  b:  IV  jors  aprSs  chaogeurs  abatus 
praot  on  lettres  de  foire.  Dagegen  c:  un  jour  aprte  changes 
abatus  etc.  Fehlt,  wie  S.  231  Note  8  bemerkt,  in  d,  e  und 
im  Manuskript  von  Venedig,  anscheinend  auch  im  Manuskript 
von  Provins. 

Bereits  Grosley  bezieht  die  Messbriefe  (lettres  de  foire) 
auf  die  Kaufbriefe  (papier)  Über  die  auf  der  Messe  ausgestellten 
Waaren  und  fügt  hinzu:  >Ce  papier  se  negocioit,  ainsi  que 
les  obligations  qui  se  passoient  sous  le  scel  des  Foires.  Le 
hare  ötait  le  terrae  de  l'&heance  des  billets.< 

Das  Letztere  ist  undenkbar,  wenn  droiz  paiemens  die  Ver- 
fallzeit der  Messschulden  bezeichnet,  denn  droiz  paiemens  tritt 
erst  15  Tage  nach  hare  de  dras  ein.  Die  sehr  unbestimmte 
Aeusserung  Grosleys  scheint  Übrigens  die  gemeinen  (form- 
losen) und  die  unter  Messsiegel  ausgestellten  Urkunden  Über 

■  ».  a.  O.  p.  37. 

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24d  I^  Geachiftioperatioiieii  mnf  den  Meisen  der  Ctuunpi£ne. 

den  Kaufpreis  unter  dem  Namen  papier  und  billets  zu  identi- 
fiziren. 

Martens,  S.  17,  bringt  die  lettres  de  foire  in  Verbindung 
mit  der  von  ihm  in  >abattent  les  changeurs«  gehmdenen  Ab- 
rechnung und  sagt :  >Ueber  das,  was  nun  nicht  durch  Zahlung 
oder  Abrechnung  getilgt  war,  nahm  imd  gab  man  lettres  de 
foire.c  In  diesem  Sinne  mag  auch  FrSmöry,  obwohl  er 
sich  nicht  ausdrücklich  darüber  erklärt,  den  Satz  verstanden 
haben,  da  auch  er  (S.  104,  105,  408),  wie  bemerkt,  in  dem 
»abattre  les  changes«  die  Abrechnung  sieht.  Biener, 
Wechselrechtliche  Abhandlungen  S.  37,  findet,  wie  schon  er- 
wähnt, dass  zu  Ende  der  Messe  vier  Tage  zum  Skontriren 
bestimmt  waren,  worauf  die  Zahlungen  folgten,  die  durch 
Ritomowechsel ,  d.  h.  durch  Wechsel  von  der  Messe  auf  die 
verschiedenen  Plätze,  abgemacht  wurden  —  oder,  wie  es  spater 
heisst,  durch  Wechsel  von  der  Messe  auf  Florenz  oder  Genua. 
Diese  Ritomowechsel  wären  somit  die  »lettres  de  foire«  ge- 
wesen. Ich  habe  bereits  oben  S.  236  Note  1  bemerkt,  dass 
dem  ein  Missverständniss  Pegolotti's  zu  Grunde  liegt, 
welcher  nicht  sagt,  dass  die  Zahlungen  durch  Ritomowechsel 
geschahen,  sondern  dass,  wenn  die  Zahlung  auf  diese  Weise 
geschab,  der  Uso  dieser  Wechsel  in  einer  gewissen  Weise  be- 
stimmt war. 

Endlich  Bourquelot,  p.  85,  bemerkt  erläuternd:  >Au 
bout  de  cinquante-deux  jours  ä  partir  de  la  mfime  ^poque 
(nämlich  dem  Tage  der  Eröffnung)  on  prenait  des  lettres  de 
foire,  c'est  ä  dire  on  faisait  röiiger  et  sceller  suivant  les 
formes  vouloes  les  actes  qui  devaient  assurer  aux  contractants 
la  jouissance  des  privil&ges  des  foires  de  CljampagDe.i 

Es  sind  somit  alle  Schriftsteller  darüber  einig,  dass  lettres 
de  foire  die  —  gleichviel,  ob  in  Wechselform  oder  sonst,  ob 
formlos  oder  unter  obrigkeitlicher  Autorität  (unter  Messsiegel) 
errichteten  —  Messkontrakte  bezeichnen.  Nun  ist  allerdings 
diese  Deutung  an  sich  möglich,  da  in  der  That  auch  die  Mess- 
kontrakte mit  diesem  Namen  bezeichnet  werden.  Gleichwohl 
sprechen  dagegen  sprachliche  wie  sachliche  Gründe. 

Der  Ausdruck  iprendre  lettres*  deutet  nicht  auf  die  Er- 
richtung von  Messkontrakten,  welche  natürlich  nur  gemeinsam 
durch  Gläubiger  und  Schuldner  geschehen  konnte,  sondern 
auf  einseitige  Thätigkeit  des  Gläubigers. 


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Die  GetcUftiopeTationMi  anf  den  Mmmd  der  Chtinpigaa,  249 

Sodann  ist  unerfindlich,  aus  welchem  Grunde  erat  am 
Schlnss  der  Messe  die  Aufnahme  von  Messkontrakten  ge- 
schehen sein  sollte.  Das  wäre  nur  erklärlich,  wenn  iettres  de 
foire  lediglich  über  den  Saldo  aus  der  Messabrechnung  aus- 
gestellt worden  wären,  wieMartens  undBiener  annehmen, 
—  aber  es  hat  sich  bereits  gezeigt,  dass  diese  Hypothese  jedes 
quellenmässigen  Anhalts  entbehrt.  Im  Uebrigen  hat  sicher- 
lich während  der  ganzen  Messzeit  die  Aufnahme  und  Be- 
glaubigung wie  Besiegelung  von  Messkontrakten  durch  die 
auf  der  Messe  ständig  anwesenden  Notare  und  gräflichen 
bezw.  königlichen  Beamten  stattgefunden'.  Veranlassung  zu 
Messkontrakteo  gab  die  ganze  Messzeit,  indem  Waaren-  und 
Geldschulden  zu  verbriefen  waren. 

Nun  aber  gibt  es  noch  eine  zweite  Klasse  von  Mess- 
urkunden, welche  gleichfalls  Messbriefe  genannt  wurden,  näm- 
lich die  von  den  richterlichen  Messbeamten  (gardes  des  foires) 
ausgestellten  Exekutivbefehle  wegen  nicht  bezahlter  Mess- 
schulden; sie  hiessen  lateinisch  mandamenta  de  nundinis,  nun- 
dinalia  u.  dgl.  Solche  Briefe  worden  natürlich  nicht  vom 
Gläubiger  und  Schuldner  gemeinschaftlich  errichtet,  sondern 
vom  Gläubiger  einseitig  beim  Messgericfat  auf  Grund  der 
schriftlichen  Messkontrakte  oder  auf  andere  Beweise  hin  ge- 
nommen, d.h.  bei  der  MessbehOrde  erbeten '.  Dies  geschah 
natürlich  nur,  wenn  die  auf  der  Messe  geschuldete  Zahlung 
nicht  erfolgt  war,  also  erst  nach  Ablauf  der  Zahlungszeit,  so- 
mit in  der  Regel  erst  zu  Ende  der  Messe,  sofern  nicht  ein 
früherer  Zahlungstermin  vereinbart  war. 

Diese  Bedeutung  des  prendre  Iettres  de  foire  wird  aber 
auch  unwiderleglich  erwiesen  durch  die  wichtigen  Nachrichten, 
welche  uns  anderweitig  über  die  Rechtsgewohnheiten  der 
Messen  erhalten  sind: 

In  den  mit  unseren  Manuskripten  etwa  gleichzeitigen 
Privileges  et  coustomes  (Bourquelot  II  p.  321  ff.)  heisst  es: 

18.  Item  apr^  clianges  abatus,  doit  la  justice  bailler 
Iettres  contre  ceuls  qui  defaudront  de  foire  (d.  h.  flüchtig 
sind,  fuitifs,  daher  nicht  exequirt  werden  können)  en  la  forme 
qu'i!  sera  ordonn^,  que  les  sergents  porteront  — . 

■  UeiDC  Univemlgeschiclite  S.  >3oK,  134  C 
*  Meine  Uniretsalgstclilchte  S.  331. 


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250  I^  GetchUbopentioiicn  anf  dm  Messen  der  ChMipagne. 

Dagegen  heisst  es  sab  19:  Item  aprte  cbanges  abatnz, 
la  justice  ne  recevra  ntd  octroi  d'obligation,  —  ich  mOcbte 
diesen  dunkeln  Ausdruck  von  der  durch  die  ßesiegeloog  er- 
folgenden gerichtlichen  lAutorisationc  der  Messkontrakte  ver- 
stehen; jedenfalls  sind  die  sub  18  erwähnten  *lettres<,  welche 
erst  nach  changes  abatus  ausgefertigt  werden,  nicht  die  unter 
Messsiegel  vor  changes  abatus  angefertigten  >Obligationen<. 
Von  diesen  letzteren  ist  sodann  unter  20  die  Rede:  instru- 
ment  scellä  du  scel  des  dites  foires.  IDagegen  kehrt  21 
zurück  zu  den  sub  18  erwähnten  lettres:  Item,  sur  les  fuitifs 
de  la  foire,  seront  prinses  (d.  h.  prises)  lettres  premiferes, 
secondes  et  tierces,  mit  Exekutivkraft  vor  allen  Gerichten. 

Ganz  Übereinstinuneod  heisst  es  in  den  jüngeren  coustumes, 
stille  et  nsaige,  an  verschiedenen  Orten,  insbesondere  Bour- 
quelot  II  p.  337:  es  gebe  zwei  Arten  von  obligations 
(ä  toujours):  li  un  est  faiz  ceur  ä  ceur  en  foire  (d.  h.  en 
couTS  de  foire  oder  de  cors  de  foire  =  sur  le  cors  de  foire, 
d.  h.  anf  der  Messe  selbst  im  örtlichen  Messbezirk  kontra- 
hirt'  —  die  Kaufschulden  werdai  in  das  Messregister  ein- 
getragen; die  zweiten,  sichereren  erfolgen  en  vertu  des  mande- 
mens  des  foires  (d.  h,  richterlicher  Befehle)  empArä  ä  requeste 
d'un  cr^ancier  des  foires  adressans  au  debteur,  pour  luy  con- 
traindre  de  la  somme  qu'il  doit  h  son  cr^ancier  et  ex^cut^ 
par  la  justice  etc. :  also  richterliche  Exekutionsmandate ,  auf 
einseitiges  Verlangen  des  Gläubigers  erlassen.  Diese  lettres, 
wie  sie  anderweitig  genannt  werden,  auch  imandemens  des 
foiresc  (eod.  p.  354),  sind  nicht  die  lettres  obligatoires  im  ge- 
wöhnlichen Sinn  —  vgl,  auch  die  Ordonnance  1326  art.  2,  8, 
10  (Ordonn.  I  p.  794 ff.),  1327  art.  11  (Ord.  I  p.  800ff.)  — , 
sondern  die  exticutoires,  und  es  wird  auch  anderweitig  (z.  B. 
Houwald  II  p.  354)  gesagt,  dass  die  Gläubiger  solche  lettres 
>prenaientc.  Auf  die  zum  Theil  komplizirien  Einzelheiten  des 
Verfahrens  einzugehen,  ist  hier  nicht  der  Ort;  für  die  an- 
genommene Bedeutung  des  prant  on  lettres  de  foire  dürfte 
die  vorstehende  Ausführung  ausreichen. 


■  Meine  Univenalgetchidite  S.  339  Note  154,  —  cf.  auch  courtnme« 
bei  Bonrquelot  II  p.  348:  >et  en  Mt  l'en  let  meUleuret  lectrei  obligatoires 


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Die  GeKhiftfopentÜODsii  auf  don  Meven  der  Chtunpegne.  251 

VII. 

Es  bat  sich  bisher  das  negative  Resultat  herausgestellt, 
dass  unsere  Manuskripte  keinerlei  Anhalt  fQr  eine  Abrechnung 
unter  den  Besuchern  der  Champagner  Messen,  desgleichen 
für  Wechselbriefe,  insbesondere  Ritomowechsel ,  welche  über 
den  nach  Abrechnung  verbleibenden  Saldo  ertheilt  werden 
müssen  oder  ertheilt  werden,  gewähren.  Demungeachtet  steht 
nicht  allein  fest,  dass,  wie  herkömmlich  Wechsel  zahlbar  auf 
die  Champagner  Messen  gestellt  sind,  so  auch  von  den  Messen 
Wechsel  auf  andere  Messen  (»cr&mces  de  foire  en  foire«)  oder 
auf  andere  Plätze  abgegeben  worden  sind  (Ordonn.  1311  und 
1315  [I  p.  484  bezw.  494]).  Bei  Pegolotti  werden  die 
usuellen  Verfallzeiten  der  letzterwähnten  Wechsel  genan  an- 
gegeben. Es  ist  femer  selbstverständlich  möglich,  ja  wahr- 
scheinlich, dass  diese  Wechsel  über  den  durch  Abrechnung 
bezw.  sogar  Skontratton  ermittelten  Schuldrest  gelautet  haben ; 
nur  sprechen  weder  unsere  Manuskripte  noch  auch  Pegolotti 
von  solcher  Abrechnung  oder  gar  Skontradon. 

Dass  aber  ein  Skoatrationsverfahren  auf  den  Champagner 
Messen  bestanden  hat,  ergibt  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit 
ein  merkwürdiger  Weise  in  dem  vor  1210  geschriebenen 
Poenttentiale  des  Robertus  Flamesburiensis  enthaltener  Bericht. 
Dieser  Kanonist,  wahrscheinlich  Engländer  von  Geburt,  Kanoni- 
kus in  dem  Chorherrenstift  St.  Victor  in  Paris,  Pönitentiar  und 
Lehrer  daselbst,  spricht  in  dem  tractatus  de  usuris"  von  dem 
Messwechsel : 

§  2.  In  nundinis  mercatorum  consuetudo  est,  ut  sibi 
ad  invicem  credant  debita  sua  usque  ad  generalem 
solntionem,  quae  est  in  fine  nundinarum,  et 
gallice  dicitur  pagiament  (d.  h.  payement).  Pro  XX 
libris  parisiensium  non  potui  habere  de  manu  ad  manum  ni^ 
XXIV  libras  andegavensium ;  accepi  ergo  XXVI  ad  gene- 
ralem solutionem.  S.  Ut  mihi  videtur,  non  est  usura,  quia 
non  emitur  expectatio  temporis.    Si  enim  creditor  tuus  acces- 


'  Schulte,  Roberti  Flametbur.  SuminR  de  matrimonio  et  de  usuris  — . 
GieM«n  i868;  anch  Schulte,  Die  Ge«cfaichte  der  Quellen  und  Literatur  dei 
kanoabchcB  Recbti  I  ([875}  S.  109  und  aio.  (Auungiweise  mltgetbeilt  vod 
Aniohtlli,  ZeitKhrift  XVII  S.  lOg.)  Ich  habe  die  Stelle  berats  in  meiDet 
UniTcttalgeMhicIite  S.  328  Note  100,  aber  nicht  ToUitliidig,  abgedrack^ 


,  Google 


252         ^e  GdchiflsoperatioDen  «nf  den  McMen  der  Ctuunptgne. 

sisset,  statim  ei  satisfecisset  debitor  tuus,  sed  emitiir  con- 
tractus  cum  aliis  personis,  ac  si  diceret  debitor  tuus: 
Don  potes  habere  pro  XX  libris  parisiensium  de  manu  ad 
manum  nisi  XXIV  libras  andegavensium,  dabo  tibi  XXVI,  si 
permiseris  me  satisfacere  pro  te  aliis  creditori- 
bus  tuis.  Ecce  hie  non  expectatur  aliquis  certus  dies,  sed 
quandocünque  aliquis  creditor  tuus  repetit  ali- 
quid a  te,  satisfaciet  ei  ille,  qui  argentum  tuum 
emit,  et  ideo  noa  est  hie  expectatto,  nee  usura,  alioquin  esset 
ibi  eipeetatio  et  usura.  Der  Gläubiger  (A)  weist  somit  seinen 
Schuldner  (B)  an,  die  an  A  geschuldete  Summe  zur  Mess- 
zahlzeit an  einen  Gläubiger  (C)  des  A  zu  zahlen,  xtaä  B  zahlt 
für  diese  ihm  gewährte  Erlaubniss  einen  Auj^hlog  (26  statt 
geschuldeter  24  libr.  andeg.).  Es  wird  angenommen,  dass 
hier  nicht,  entgegen  dem  kirchlichen  Wucherverbot,  ein  Zins- 
aufschlag für  eine  gewährte  Kreditfrist  versprochen  wird,  son- 
dern dass  B  seine  Schuld  (24  libr.)  dem  A  abkauft  gegen 
die  Verpflichtung ,  jeder  Zeit ,  natürlich  zur  Messzahlzeit,  an 
C  etwas  mehr  (26  libr.)  zu  zahlen.  Es  wird  somit,  wie  häufig 
sonst,  das  kirehUch  verdächtige  Geschäft  unter  der  bequemen 
Rubrik  des  >Kaufsc  aufrecht  erhalten.  Sicher  ist  hiemach, 
dass  bei  der  igeneralis  solutio«  and  zum  Zwecke  derselben 
Delegationen  im  Gebrauch  waren,  und  es  sind  damit  die  Ele- 
mente der  Skontration  gegeben,  indem  selbstverständlieh  die 
Delegation  insbesondere  auch  zu  dem  Zwecke  geschah,  um 
Kompensationen  indirekt  zu  ermöglichen ', 

Weitere  Spuren  eines  solchen  Verfahrens  ergibt  z.  B.  die 
Ordonnance  von  1315  (Ord,  I  p.  584 ff.),  welche  sagt,  dass 
die  cr^anees  de  foire  en  foire  in  Form  der  »vente,  d'aehat  ou 
de  changec  vorkamen.  Auf  Delegation  und  Abrechnung 
dürften  endlich  die  zwar  erst  dem  15.  Jahrhundert  angehOrigen, 
aber  vielfach  älteres  Recht  enthaltenden  coustumes,  stille  et 
usaige  hindeuten,  wo  (Bourquelot  n  p.  355)  gesagt  wird: 
II  advient  souvent  que  aucuns  doit  dehors  de  foire  ä  ung 
autre  et  vient  en  foire,  et  cils  qui  doit  pour  celluy  ä 


*  Dan  die»  schon  toi  den  antiken  GeldTsrlcelii  wahncheinllch  üt,  lube 
ich  bei  Betpfochung  der  antikea  Orderklantd  im  Delet^tionirerlcalir  bemerkt: 
Zmitchrift  der  Sangnj-Stifhing  fDr  RechtiKeacliichte  X  (18S9) ,  Rom,  Abtib. 
:;.  395  [abgednckt  oben  S.  ao6,  20}]. 


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Die  GeichifuaperatioDen  auf  den  Meuen  der  Cham;>agiie.  253 

qui  il  doit  dehors  foire,  (fait?)  du  consentemeat  de 
celluy  ä  qui  il  doit,  creance  en  foire  ä  ung  autre, 
aucune  fois  od  fait  lectres,  aucune  fois  non,  et  telz  cr^ant 
valent,  combien  que  paravant  ne  fussent  debtes  de  foire; 
aucune  fois  n'est  pas  präsent  cilz  pour  qui  li  cröant  sy  faict. 
Es  wird  so  eine  ursprüngliche  Nichtmessschuld ,  welche 
daher  nicht  die  Privilegien  der  auf  der  Messe  kontrahirten 
Schulden  genoss ' ,  dadurch  statthafter  Weise  in  eine  Mess- 
tichuld  verwandelt,  dass  sie  auf  der  Messe  mit  Genehmigung 
des  vielleicht  auf  der  Messe  nicht  einmal  gegenwärtigen 
Gläubigers  einem  andern  Gläubiger  (wahrscheinlich  einem 
Gläubiger  des  ersten  Gläubigers)  mündlich  oder  schriftlich 
delegirt  wird. 

'  Meine  UniveisalgeKhichie  S.  iiS,  319  Note  154. 


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9. 

UEBER 

EDITIONSPFLICHT, 

INSBESONDERE  BETREFFEND 

GEMEINSCHAFTLICHE  URKUNDEN 
UND  HANDELSBÜCHER. 

(Em  RECHTSGUTACHTEN.) 

(1882.) 


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Von  dem  Bankhause  X.  &  Cie.  in  Köln  a.  Rh.  bin  ich 
um  ein  rechtliches  Gutachten  über  einen  zwischen  diesem 
Bankhause  und  dessen  Theilhabern  als  beklagter  Partei  einer- 
seits, der  Frau  A.  B.  geborenen  X.  und  Genossen  als  kläge- 
rischer Partei  andererseits  schwebenden  Rechtsstreit,  betreffend 
die  Edition  gewisser  Handelsbücher  des  beklagten  Bankhauses, 
eventuell  Rechnungslegung  desselben,  angegangen. 

Behufs  meiner  Information  über  den  Thatbestand  ist  mir 
von  Herrn  Th.  X,,  Theilhaber  des  beklagten  Bankhauses,  eine 
Anzahl  von  Prozessschriftstücken  und  bisher  ergangenen  ge- 
richtlichen Urtheilen,  ausserdem  eine  Anzahl  anderweitiger,  in 
einem  Konvolut  von  230  Seiten  Folio  (dazu  ein  »Akten- 
verzeichnisst  von  101  Nummern)  enthaltener  Schriftstücke 
mitgetheilt  worden.  Aus  diesen  Materialien  entnehme  ich  den 
nachfolgenden  Thatbestand. 

I.  Thatbestand. 

1.  Der  Kommerzienrath  W.  L.  X.  in  Köbi  a.  Rh.  hat 
seit  dem  1.  Januar  1858  mit  dem  Bankier  A.  M.  daselbst  in 
einer  offenen  Handelsgesellschaft  unter  der  Firma  X  &  Cie. 
gestanden.  In  diese  Gesellschaft  sind  successive  die  Söhne  des 
Ersteren,  welche  noch  gegenwärtig  mit  Herrn  A.  M.  das 
Bankgeschäft  fuhren,  die  Herren  Th.  X-,  O.  X.  und  W.  X., 
als  offene  Gesellschafter  eingetreten.  Durch  einen  1868 
zwischen  dem  Kommerzienrath  X. ,  dessen  Ehefrau ,  deren 
Söhnen,  Töchtern  und  Schwiegersöhnen  geschlossenen,  dem- 
nächst in  dem  Testament  des  Ersteren  1869  als  Bestandtheil 
dieses  Testaments  bestätigten  »Familienvertragi  wurde  »im 
Interesse  der  Familie«  festgestellt,  dass  das  am  1.  Januar  1864 
in   der   Handlung   befindliche    >Guthaben<    des    Herrn  Kom- 

Galdichmldt,  VrriDÜctateScbnrtdii.    U.  I7 


,  Cioogle 


258      Ueber  Editionip flicht,  instxs.  betr.  gemdnschiAl.  Urkanden  etc. 

merzienrath  X.  »auf  die  Dauer  der]  Societät,  resp.  solange 
Söhne  oder  Schwiegersöhne  desselben  die  Firma  X.  &  Cie. 
führen,  jedoch  längstens  bis  zum  1.  Januar  1884,  gegen  eine 
Verzinsung  von  4  Prozent  —  welche  unter  Umständen  für 
einige  der  betheiligten  Geschwister  X.  auf  5  Prozent  erhöht 
werden  sollte  —  in  dem  Geschäft  belassen  bleibt.* 

Diesem  Familienvertrage  entsprechend  wurde  durch  einen 
neuen  Gesellschaftsvertrag  vom  26.  Juni  1869  das  Verhältniss 
zwischen  den  Theilhabem  des  Bankhauses  X,  &  Cie.  dahin 
geändert,  dass  der  Kommerzienrath  X.  jedem  der  drei  ge- 
nannten Söhne  auf  dessen  elterliche  Erbschaft Thaler 

gegen  Verzinsimg  von  4  Prozent  als  Einschuss  in  die  Hand- 
lung Überschreiben  Hess,  sich  weiter  verpflichtete,  ein  Kapital 
von Thalem  gegen  gleiche  Verzinsung ,  solange  min- 
destens einer  seiner  Söhne  oder  Schwiegersöhne  in  der  Hand- 
lung bleibt,  spätestens  aber  bis  zum  1.  Januar  1884  in  der 
Handlung  zu  belassen,  endlich  bis  zu  seinem  bereits  vor- 
gesehenen Austritte  selbst  mit  nur  4  Prozent  an  dem  Gewinn 
und  Verlust  des  Geschäfts  betheiligt  blieb. 

Am  30.  Juni  1874  ist  der  Kommerzienrath  X.  gänzlich 
aus  der  Gesellschaft  ausgeschieden.  Die  durch  Vertrag  vom 
26.  Juni  1869  bis  zum  l.  Januar  1875  prolongirte  Gesellschaft 
besteht  noch  gegenwärtig  unter  den  oben  genannten  \-ier 
Theilhabem;  die  Herren  Th.,  O.  und  W.  X.  sind  vertrags- 
mässig  verpflichtet,  nicht  vor  dem  1.  Januar  1884  aus  der 
Gesellschaft  auszutreten. 

Am  23.  November  1876  ist  der  Kommerzienrath  X.  ge- 
storben. 

Als  Betrag  der  demselben  bei  seinem  Tode  gegen  die 
Handlung  X.  und  Cie.,  sowie  gegen  seine  in  der  Gesellschaft 
befindlichen  Söhne  zustehenden  Ansprüche  ist  die  Summe  von 

Thlr -I-  Thlr +  Thlr ermittelt;  die 

darüber  von  Herrn  Th.  X.  vorgelegte  RechnungsUbersicht 
vom  12.  Dezember  1876  ist,  unter  Verzicht  auf  jede  weitere 
Inventur,  von  sämmtlichen  Miterben  als  richtig  anerkannt: 
Verhandlung  vom  12.  Dezember  1876. 

Endlich  wurde  der  hiemach  einem  jeden  der  hier  in  Be- 
tracht kommenden  Erben  zustehende  Antheil  am  väterlichen 
Nachlass  als  Guthaben  bei  der  Firma  X.  &  Cie.  gutgeschrieben 
und   erklärten   sich   die   betreffenden  Erben  durch   diese  Gat- 


ThatbesUnd.  259 

Schrift  für  ihre  Nachlassansprüche,  soweit  solche  wider  die 
Handlung  X.  &  Cie.  oder  deren  Theilhaber  bezw.  Herrn 
A.  X.  in  London  gingen,  befriedigt, 

Die  von  den  sämmtlichen  Miterben  bestätigten  Gutschriften 
der  Handlung  X.  &  Cie.  lauten  Übereinstimmend: 

Köln,  den  30.  Januar  1878. 
Unter  Bezugnahme  auf  umstehenden  Brief  unseres 
Herrn  Th.  X.  theilen  wir  Ihnen  hierdurch  mit,  dass 
wir  Ihnen  zu  Lasten  des  Guthabens  des  verstorbenen 
Herni  W.  L.  X. 

,  J!^*? l  Valuta  31.  Dezember  1876 

imd  Mark ) 

auf  Geheimbuchkonto  gutgeschrieben  haben ,  indem 
wir     Ihnen     bezüglich    des    letzteren    Betrages    von 

Mark   bestätigen,   dass  wir   Ihnen   denselben 

laut  den  getroffenen  Vereinbarungen  in  drei  gleichen 
jährlichen  mit  dem  1.  Januar  1884  beginnenden  Raten 
auszuzahlen  und  bis  dahin  mit  4  Prozent  Zinsen  jähr- 
lich zu  verzinsen  haben  u.  s.  w. 

X.  &  Cie. 
2.  Alsbald  nach  dem  Tode  des  gemeinsamen  Erblassers 
hat  Herr  T.  T.,  welcher  erst  nach  dem  Familienvertrage  vom 
30.  Juli  1868  durch  Verehelichung  mit  Fräulein  E.  X.  in  die 
Familie  eingetreten  war,  von  Herrn  Th.  X.  wiederholt  die 
volle  und  persönliche  Einsicht  in  die  Handelsbücher  der  Hand- 
lung X.  &  Cie.  begehrt,  um  auf  diese  Weise  festzustellen,  ob 
nicht  eine  von  ihm  vermuthete  rapportpflichtige  Begünstigung 
einzelner  Miterben ,  nämlich  der  Söhne  gegenüber  den  Töch- 
tern, durch  den  gemeinsamen  Erblasser  vorliege.  Er  hat 
dieses  Begehren  —  nachdem  er  zunächst,  unter  Beitritt  zum 
Erbrezess,  davon  Abstand  genommen  hatte  —  später  und  dies- 
mal in  Verbindung  mit  anderen  Miterben  wiederholt,  seit  ein 
letzter  Brief  des  Kommerzienraths  X.  an  dessen  Ehefrau  vom 
6.  Mai  1874  zur  Kenntniss  der  Erben  gelangt  war,  aus 
welchem  einige  derselben  zu  entnehmen  glaubten,  dass  rapport- 
pflichtige Begünstigungen  der  Söhne  gegen  die  Töchter  er- 
folgt wären.  Das  alsbald  zu  erwähnende  Urtheil  des  Königl. 
Landgerichts  zu  Köln  vom  17.  November  1880  spricht  übrigens 
dem  gedachten  Briefe  jede  Beweiskraft  in  dieser  Richtung  ab. 
Dem  Verlangen  auf  Einsicht  in  die  Handelsbücher  wurde 


,  Google 


260      Uebet  Editiontpflicht,  insbet.  belr.  gemeüuchaftl,  Urkunden  etc. 

in  dem  begehrten  Umfange  nicht  entsprochen,  indem  Herr 
Th.  X.  zwar  am  10.  April  1880  die  in  seinen  Händen  befind- 
lichen auf  den  Nachlass  des  Kommerzienraths  X.  bezüglichen 
Papiere  den  Anwälten  des  Herrn  T.  und  der  sich  demselben 
anschliessenden  Miterben  zur  Einsteht  vorlegte,  dagegen  in 
üebereinstiromung  mit  seinem  Associö,  Herrn  A.  M.,  die  Vor- 
legung der  im  Besitze  der  Gesellschaft  befindlichen  Handels- 
bücher der  Gesellschaft  ablehnte:  der  Erstere  wegen  des  be- 
leidigenden und  ehrverletzenden  Charakters  dieser  Fordenmg, 
Beide,  weil  den  Miterben  ein  derartiges  Recht  gegen  die  Ge- 
sellschaft nicht  zustehe. 

Auf  einen  von  Herrn  Th.  X.  gemachten  Vergleichs- 
vorschlag, desgleichen  auf  dessen  Vorschlag,  über  die  Streit- 
frage bindende  Gutachten  allseitig  acceptirter  Anwälte  ein- 
zuholen, wurde  von  den  Gegnern  nicht  eingegangen. 

3.  Demnächst  ist  vor  der  ersten  Civilkammer  des  Königl. 
Landgerichts  zu  Köln  Klage  erhoben  worden  auf  nachträg- 
liche Theilung  des  väterlichen  Nachlasses  von  den  Eheleuten 
T.  T.  und  E.  geb.  X.  gegen  die  sämmtlichen  Miterben  des 
Kommerzienraths  W.  L.  X.,  nämlich  1)  den  Bankier  A.  X. 
zu  London,  2)  den  Bankier  Th.  X.,  3)  den  Bankier  O.  X., 
4)  den  Bankier  W.  X-,  5)  die  Eheleute  Kommerzienrath  B.  C. 
und  A.  geb.  X. ,  6)  die  Eheleute  Kaufmann  V.  W.  und  B. 
geb.  X.,  7)  die  Eheleute  Kommerzienrath  C,  B.  und  A.  geb.  X., 
2 — 7  zu  Köln,  8)  die  Eheleute  Kommerzienrath  M.  und  L. 
geb.  X,  zu  T.  —  unter  denen  jedoch  die  Eheleute  W.,  M. 
und  B.  sich  der  Klage  angeschlossen  haben. 

Die  Kläger  und  die  denselben  beitretenden  Beklagten  be- 
haupten, es  seien  von  den  übrigen  Beklagten  zur  väterlichen 
Nachlassmasse  verschiedene  Zuwendungen  zu  rapportiren. 

Als  solche  werden,  soweit  für  die  Zwecke  dieses  Gut- 
achtens in  Betracht  kommt,  in  dem  Thatbestand  des  Urtheüs 
dfes  Königl.  Landgerichts  vom  17.  November  1880  aufgeführt: 

2.  Nur  den  drei  Theilhabem  der  Gesellschaft  X.  &  Cie. 
sei  zu  Gute  gekommen  die  vertragsmässige  Bestim- 
mung, Inhalts  welcher  das  ganze  Vermögen  des  Erb- 
lassers bis  zum  1.  Januar  1884  gegen  eine  Vergütung 
von  4  Prozent  bei  dem  Geschäfte  festgelegt  sei. 

3.  Die  Gewinnbetheiligungen,  welche  der  Erblasser  den 


Thatbeitand.  261 

gedachten  drei  Söhnen  laut  Vertrag  vom  24.  De- 
cember  1863  und  26.  Juni  1869  habe  zufliessen  lassen, 
charakterisiren  ftlr  sich  und  in  Verbindung  mit  dem 
unter  2.  angeführten  Momente  die  gedachten  Verträge 
als  fraudulose  Geschäfte  zum  Nachtheile  der  Übrigen 
Familienglieder. 

4.  Es  seien  sehr  erhebliche  Beträge  des  Geschäftsgewinnes 
während  der  Mitgliedschaft  des  Erblassers  in  der 
Firma  X-  &  Cie.  ursprünglich  nicht  vertheilt  worden, 
hätten  vielmehr,  unter  einem  besonderen  Konto  gut- 
geschrieben bezw.  verwaltet,  in  dem  Geschäfte  weiter 
gearbeitet,  seien  aber  demnächst  an  die  gedachten  drei 
Theilbaber  vertheilt  worden  und  in  deren  Privat- 
vermögen übergegangen ;  insbesondere  seien  im  Jahre 
1869  an  den  Beklagten  O.  X.  und  an  den  Beklagten 

Th.  X.  je Mark  vertheilt  worden;  gleichwohl 

habe  dieser  Fonds  bei  Austritt  des  Erblassers  aus  der 

Firma  noch Mark  betragen  und  der  Erblasser 

nur  4  Prozent  erhalten. 

5.  Dahin  gehörten  endlich  die  Kapitatsbetheiligungen 
von  je Mark ,  welche  der  Erblasser  laut  Ge- 
sellschaftsvertrag vom  26.  Juni  1869  jedem  der  drei 
genannten  Söhne  in  den  Büchern  habe  überschreiben 
lassen,  so  dass  jeder  derselben  für  je  diesen  Betrag 
Gläubiger  auf  Kapitalkonto  der  Firma  X.  &  Cie. 
und  für  denselben  Betrag  Schuldner  des  Erblassers 
wurde.   ~ 

Von  diesen  Klagebehauptungen  ist  durch  Urtheil  des 
Königl.  Landgerichts  vom  17.  November  1880  nur  die  ad  4 
und  nur  insofern  sie  dahin  geht,  dass  an  die  Beklagten  O.  und 

Th.  X.  je Mark  aus  dem  Reservefonds  vertheilt  seien, 

zum  Beweise  gestellt,  im  Uebrigen  die  Klage  schlechthin  ab- 
gewiesen, und  zwar  weil  die  ad  2.,  3.,  5.  behaupteten  That- 
sacben  eine  Rapportpflicht  überhaupt  nicht  begründen ,  die 
Behauptungen  ad  4.  aber,  mit  einziger  Ausnahme  der  als 
kollationspflichtige  Schenkung  zu  erachtenden  angeblichen  Zu- 
wendung von Mark,  weitaus  zu  vage  seien,  um  daraus 

auf  eine  Rapportpflicht  der  Beklagten  in  bestimmter  Höhe 
schliessen  zu  können. 


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263      Ueber  Editianspflicht,  imbei.  betr.  gemäuscliiftl.  Urkunden  elc 

4.  Der  Thatbestand  des  weiteren  am  30.  März  1881 
unter  denselben  Parteien  und  den  Intervenienten  X.  &  Cie. 
und  A.  M.  ergangenen  Zwischenurtheils  der  ersten  Civil- 
kammer  des  KOnigl.  Landgerichts  zu  Käln  und  des  Königl. 
Oberlandesgerichts  daselbst  vom  2.  Mai  1881  ergibt  femer; 

Es  erging  Beschluss,  über  die  in  dem  Urtheil  vom  17,  No- 
vember 1880  für  erbeblich  erachtete  Klagebebauptung  Zeugen- 
beweis zu  erheben.  Nach  abgehaltenem  Zeugenverhör  be- 
antragten die  Kläger  ursprünglich  Edition,  demnächst  die 
Bewilligung  einer  Frist  behufs  Herbeischaffung  gewisser  im 
Besitz  der  Handlung  X.  &  Cie.  befindlichen  Urkunden.  Die 
Beklagten  Th.,  O.  und  W.  X.  verkündeten  ihrem  Associ^, 
A.  M.,  den  Streit,  weil  sie  durch  Vorlage  der  begehrten  Ur- 
kunden gegen  den  Gesellschaftsvertrag  Verstössen  würden. 
Nachdem  ursprunglich  Herr  A.  M.  intervenirt,  aber  die  Inter- 
vention zurückgezogen  hatte,  intervenirtea  das  Bankhaus 
X.  &  Cie.  und  dessen  Theilhaber,  Herr  A.  M.,  mit  dem  An- 
trag, die  Intervention  anzunehmen  und  das  Gesuch  um  Frist- 
bewilligung zu  verwerfen.  Durch  Zwischenurtheil  des  Königl. 
Landgerichts  vom  9.  März  1881  wurde  die  Zulässigkeit  der 
Nebenintervention  anerkannt,  auf  sofortige  Beschwerde  der 
Kläger  hingegen  durch  Zwischenurtheil  des  Königl.  Ober- 
landesgerichts vom  2.  Mai  1881  deren  Unzulässigkeit  aus- 
gesprochen, weil  den  Intervenienten  ein  zur  Anstellung  der 
Nebenintervention  nach  der  Civilprozessordnung  ausreichendes 
Interesse  fehle. 

Der  Antrag  der  Kläger  war  dabin  gerichtet,  dass  eine 
Frist  zur  Herbeischaffung  folgender  Urkunden  bestimmt  werde : 
der  Jahresabschlüsse  der  Gesellschaft  X.  &  Cie. 
per  31.  December  1867,  1868,  1869; 

der  Rechnungsauszüge  über  den  Geschäftsverkehr 
des  Erblassers  mit  seiner  Firma  X,  &  Cie. 

Der  so  formulirte  Antrag  wurde  durch  Urtheil  des 
Königl.  Landgerichts  als  unstatthaft  abgewiesen.  In  den  Ent- 
scheidungsgrUnden  heisst  es,  dass,  abgesehen  davon,  ob  die 
»Rechnungsauszüge!  hinlänglich  genau  bezeichnet  seien,  ob 
femer  die  bezeichneten  Schriftstücke  als  »Urkunden*  zu  er- 
achten seien,  und  ob  sie  in  der  gegenwartigen  Streitsache  be- 
weisen könnten,  jedenfalls  eine  Editionspflicht  der  Firma 
X.  &  Cie.  gegenüber  den  Erben  des  Kommerzienraths  X.  nicht 


ThatbeMaDd.  263 

glaubhaft  gemacht  sei,  vielmehr  §  6  des  Societätsvertrages 
vom  26.  Juni  1869  ia  rechtlich  statthafter  und  durchaus  un- 
zweideutiger Weise  die  Editionspflicht  des  Bankhauses  X.  &  Cie. 
hinsichtlich  der  Bücher  desselben  den  Erben  eines  Mitgesell- 
schafters gegenüber  ausschliesse. 

5.  Demnächst  stellte  die  Klagepartei  des  Hauptprozesses, 
nämlich  Frau  A.  verw.  B.  —  welche  jedoch  in  der  münd- 
lichen Verhandlung  von  der  Klage  zurückgetreten  ist  — ,  die 
Eheleute  W.,  M.  und  T.  gegen  das  Bankhaus  X.  &  Cie,  be- 
ziehentlich gegen  dessen  Theilhaber:  die  Bankiers  A.  M-, 
Th.  X.,  O.  X.,  W.  X.,  bei  der  ersten  Kammer  für  Handels- 
sachen des  Königl.  Landgerichts  zu  Köln  Klage  dahin  an: 

iKSnigl.  Landgericht  wolle  die  Beklagten  für  ver- 
pflichtet erklären  und  verurtheilen,  folgende  Urkunden 
im  Original  oder  beglaubigter  Abschrift  oder  in  einer 
sonst  von  den  Gerichten  zu  bestimmenden  geeigneten 
Weise  vorzulegen  bez.  zur  Einsicht  der  Kläger  zu 
stellen,  nämlich: 

1)  die  über  den  Geschäftsverkehr  des  Bankhauses 
X.  &  Cie.  mit  dem  verstorbenen  Kommerzien- 
rath  X.  aus  Köln  geführten  Konti,  insbesondere 
die  laufenden  Rechnungen; 

2)  die  Jahresabschlüsse  der  Firma  X.  &  Cie.  bis 
zum  30.  Juni  1874,  insbesondere  diesen  letzten 
und  die  vom  Jahre  1867  an; 

3)  das  in  demselben  Bankhause  geführte  Reserve- 
Konto. 

Eventuell  soweit  die  beklagte  Firma  Kontokorrent- 
und  Bilanz-Anerkenntnisse  nicht  besitzen  sollte,   wolle 
Königl.  Landgericht  die  Beklagten  verurtheilen,  über 
diese   Zeit  des  Geschäftsverkehrs  und   des  Geschäfts- 
verhältnisses Rechnung  zu  legen.« 
Durch  Urtheil  vom  1.  December  1881  ist  dem  prinzipalen 
Antrag  gemäss,  jedoch  mit  Beschränkung  der  Editionspflicht 
auf  die  bis  zum  30.  Juni  1874  geführten  Konti  und  gemachten 
Geschäftsabschlüsse,  erkannt,  der  eventuelle  Antrag  dagegen 
abgewiesen. 

Aus  der  Klageschrift  und  dem  Thatbestande  des  vor- 
erwähnten Urtheils  ergibt  sich  nicht  mit   ausreichender  Be- 


„Googlc 


264      Ueber  EditionspAicht,  insbes.  bett.  gtmcinschafU.  Urkunden  etc. 

stimmtheit,  ob  die  Editionsklage  lediglich  bezweckt,  Einsicht 
in  die  zur  Ausmittelung  angeblicher  Conferenda  dienlichen 
Urkunden  zu  erlangen.  In  der  Klageschrift  wird  in  dieser 
Beziehung  nur  gesagt: 

»Das  Reserve-Konto  und  die  Abschlüsse  und  Konto- 
korrente  nach  1867   sind   den  Klägern   von    ganz  be- 
sonderer Wichtigkeit,  weil  der  dem  Erblasser  an  dem 
Reserve-Konto  zustehende  Antheil  baar  an  die  Söhne 
mit  Uebergehung   der  Töchter  unentgeltlich  vertheilt 
worden  ist.    Diese  Vertheilungen  haben  stattgefunden 
im   Betrage    von    mindestens    600,000  (?)   nach   dem 
Jahre  1867.    Letztere  Beträge  sind  selbstredend  dem 
Rückbringen  unterworfen,   welche  Ausgleichung   der 
Erblasser    auch    ausdrücklich    in    einem    Briefe    vom 
6.  Mai  1874  vorgeschrieben   hat.     Um   die  Höhe   der 
Beilage    und    namentlich    der    baaren    Vertheilungen 
festzustellen ,   sind  das  Reserve-Konto  und  die  Konto- 
korrente unumgänglich  nothwendig.« 
Aus  dem  Thatbestande  ergibt  sich  weiter,  dass  die  Kläger 
ihre    Editionsanträge    auf    alle    im   Erbtheilungsprozess    auf- 
gestellten Behauptungen,   somit  auch   auf  diejenigen  stützen, 
welche  das  Urtheil  der  Civilkammer  des  Königl.  Landgerichts 
vom  17.  November  1880  betreffs  der  erhobenen  Erbtheilungs- 
klage   als  unerheblich  oder  rechtlich  unschlüssig  erklärt  hat; 
femer  die  klägerische  Behauptung:  zur  Feststellung  der  Nach- 
lassmasse  sei   die   Edition    der  geforderten   Urkunden  noth- 
wendig,   um  so  mehr,  da  ihnen  aus  dem  Nachlasse  ihres  Erb- 
lassers keinerlei  Urkunden  zugegangen  seien,  welche  über  die 
in  den  zu  edirenden  Urkunden   niedergelegten  Rechnungsver- 
hältnisse Aufschluss  gewährten. 

Im  Uebrigen  imd  anscheinend  über  den  Zweck  einer 
blossen  Feststellung  der  angeblichen  Conferenda  hinaus  heisst 
es  in  der  Klageschrift:  der  klägerische  Erblasser  habe  als 
Theilhaber  mit  der  Handlung  X.  &  Cie.  in  einem  Gesell- 
schaftsverhältniss  und  als  Kunde  in  Geschäftsverbindung  ge- 
standen: es  sei  anzunehmen,  dass  der  Erblasser  nie  eine  Ab- 
schrift der  betreffenden  Skripturen  erhalten  habe. 

Endlich  findet  sich  in  dem  Thatbestand  die  weitere  Be- 
hauptung, es  sei  den  Klägern  noch  niemals  vollständig  Rech- 

-oslc 


ThUbestind.  265 

nung  gelegt  worden,   und  die  erfolgte  Theilung  sei  nur  eine 
partielle  gewesen. 

Die  Editions p f  ii c h t  der  beklagten  Partei  wird  gestützt : 

1)  auf  die  Stellung,  welche  ihr  Erblasser  der  Gesell- 
schaft gegenüber  als  Theilhaber  und  als  Kunde  eingenommen 
habe; 

2)  darauf,  dass  die  begehrten  Urkunden,  insbesondere 
der  Bilanzabschluss  und  das  Reserve-Konto  gemeinschaftliche 
Urkunden  aller  Gesellschafter  seien:  CP.O.  §  387; 

3)  subsidiär  auf  die  Grundsätze  des  gemeinen  Rechts 
über  die  Urkunden-Edition,  bez.  des  D.H.G.B.'s  Art.  105  ff. 
bez.  145. 

Die  Pflicht  zur  eventaellen  Rechnungsstellung  wird  als 
selbstverständlich  bezeichnet  fUr  diejenige  Zeit,  fUr  welche 
Bilanz  nicht  oder  nicht  fertig  gemacht  sein  sollte  oder  für 
welche  eine  der  beklagten  Firma  ertheilte  Anerkennung  des 
Kontokorrents  nicht  vorliegt. 

Das  Urtbeil  der  Kammer  für  Handelssachen  des  Königl. 
Landgerichts  vom  1.  December  1881  steht  in  dem  entscheiden- 
den Punkte  mit  dem  Zwischenurtheil  der  Civilkammer  des 
Königl.  Landgerichts  vom  30.  März  1881  in  direktem  Wider- 
spruch. 

Es  wird  ausgeführt: 

1)  Die  Statthaftigkeit  der  Editionsklage  gegen  den  Dritten 
bestimme  sich  niemals  danach,  ob  dem  Gesuch  auf  Frist- 
gewährung im  Hauptprozess  entsprochen  sei, 

2)  Das  Verfahren  im  Editionsprozesse  bestimme  sich  ledig- 
lich nach  allgemeinen  Frozessgrundsätzen ,  insbesondere  nicht 
nach  CP.O.  §  395. 

3)  Eine  Verpflichtung  zur  Edition  nach  den  Vorschriften 
des  bürgerlichen  Rechts  sei  nicht  begründet,  dagegen  treffe 
zu  der  Editionsgrund  der  Gemeinschaftlichkeit  der  Urkunden. 

Als  gemeinschaftlich  seien  anzusehen: 

1)  die  Rechnungen  Über  alle  Geschäftsverhältnisse,  welche 
W.  L.  X.  als  Theilhaber  oder  als  Kunde  mit  der  Firma  ge- 
habt habe  —  das  ergebe  sich  aus  den  Grund^tzen  des  ge- 
meinen Rechts  über  die  Editionspflicht  der  argentarii  hinsicht- 
lich der  für  ihre  Kunden  geführten  Rechnungen  — , 

2)  die  Jahresabschlüsse  der  Firma  X.  &  Cie.  zwischen 
allen  Theilhabem, 


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266      Ueber  EdJtionspflicht,  iiubes.  bett.  gemeiiucluftl.  Urkunden  etc. 

3)  das  Reservekooto ,  weil  zur  Vervollständigung  der 
Bilanz  gehcrig. 

Die  Edition  aller  dieser  Urkunden  hätte  der  Erblasser 
von  der  Firma  begehren  können;  folglich  sei  auch  jeder  seiner 
Erben  zu  einem  solchen  Begebren  befugt. 

Betreffs  der  Editionspflicht  aller  dieser  als  Handelsbücber 
anzusehenden  Urkunden  sei  ein  Widerspruch  zwischen  den 
Vorschriften  der  C.P.O.  und  den  allerdings  in  erster  Linie 
maassgebenden  Bestimmungen  des  H.G.B.'s  Art.  37  Abs.  1, 
Art.  38,  40  nicht  vorhanden. 

Endlich  stehe  Art.  6  des  Gesellschaftsvertrages  vom 
26.  Juni  1869  dem  Anspruch  der  Kläger  nicht  entgegen,  da 
derselbe  nur  für  den  Fall  disponire,  dass  einer  der  Gesell- 
schafter während  bestehender  Gesellschaft  sterbe,  nicht  aber 
für  den  Fall,  dass  das  Gesellschaftsverhältniss  schon  vor  dem 
Tode  des  betreffenden  Gesellschafters  durch  dessen  Austritt 
gelöst  sei.  Die  in  Societätsverträgen  so  häufige  Klausel  be- 
zwecke, die  MitgeseUschafter  gegen  das  unliebsame  Eindringen 
Fremder  in  die  Angelegenheiten  der  Gesellschaft  zu  schützen; 
—  trete  aber  ein  Gesellschafter  freiwillig  aus,  so  bedürfe  es  eines 
solchen  Schutzes  nicht,  da  beim  Austritte  entsprechende  Bestim- 
mungen getroffen  werden  könnten.  Daher  komme  auch  die 
in  dem  Brief  vom  7.  Mai  1874  ausgesprochene  rechtlich  un- 
verbindliche Meinungsäusserung  des  W.  L.  X.  nicht  in  Be- 
tracht. Es  brauche  daher  auch  nicht  untersucht  zu  werden, 
ob  die  etwaige  hier  nicht  vorliegende  vertragsmässige  Aus- 
schliessung der  Edition  überhaupt  statthaft  gewesen  wäre. 

Das  zur  klageweisen  Geltendmachung  ihres  Editionsrechts 
erforderliche  rechtliche  Interesse  der  Kläger  liege  in  deren 
im  schwebenden  Erbtheilungsverfahren  erhobenen  KoUations- 
ansprtichen,  welche  sich  aus  den  gesellschaftlichen  Verhält- 
nissen des  Erblassers  in  der  beklagten  Gesellschaft  und  aus 
den  innerhalb  der  Gesellschaftsangelegenheiten  erfolgten  Ver- 
buchungen  ergeben  sollen.  Es  sei  gleichgiltig ,  ob  die  Rech- 
nungen zwischen  W.  L.  X-  und  X.  &  Cie.  seitens  des  Ersteren 
anerkannt  seien,  da  es  sich  gar  nicht  um  Erhebung  von  An- 
sprüchen gegen  die  Firma  oder  um  Angriffe  gegen  die  Giltig- 
keit  der  von  W.  L.  X.  innerhalb  der  Gesellschaft  verabredeten 
Buchungen  handle ;  die  Kläger  unterstellten  eben  diese  Ver- 
buchungen   und   Berechnungen   als   giltig   erfolgt   und    zögen 


Rechtliche  Beleuchtung.  267 

daraus  ihre  Schlüsse  rücksichtlich  der  Rapportpflicht  einzelner 
Betheiligten.  Daher  sei  auch  die  etwa  durch  die  vorgelegte 
Privatbilanz  von  W.  L.  X.  dokumentirte  Anerkennung  der 
Rechnungen  der  Firma  nicht  erheblich.  Endlich  sei  gleich- 
giltig,  dass  die  klagenden  Erben  die  Erbtheilung  vollzogen 
haben,  da  die  Ansprüche  der  Kläger  sich  gerade  gegen  die 
Giltigkeit  einer  von  ihnen  erfolgten  Anerkennung  richten. 
Das  Material  zur  Losung  dieser  Streitfrage  solle  der  Editions- 
prozess  schaffen. 

Dagegen  ist  der  Antrag  auf  Rechnungslegung  abgewiesen 
worden,  weil,  insoweit  W.  L.  X.  Kunde  von  X.  &  Cie.  war, 
die  Beklagte  vermöge  der  ihr  auferlegten  Editionspflicht  ge- 
halten sei,  die  Rechnung,  welche  die  Firma  für  ihren  Kunden 
W.  L.  X-  führte,  vorzulegen;  soweit  aber  das  Verhältniss  des 
Theilhabers  W.  L.  X.  gegenüber  der  Firma  in  Frage  stehe, 
die  Beklagten  die  entsprechenden  Rechnungen  und  Jahres- 
abschlüsse vorzulegen  haben,  während  im  Uebrigen  die  Gesell- 
schaft oder  die  übrigen  Theilhaber  einem  geschäftsfUhrenden 
Theilhaber  Rechnung  zu  legen  nicht  verbunden  seien. 

Gegen  das  vorstehende  Urtheil  ist  Berufung  eingelegt', 
der  Hauptprozess  betreffend  die  Erbtbeilimg  einstweilen  sistirt. 

II.   Reohtliehe  Beleuehtung. 
A.    Die  prozessualische  Lage. 

§  1- 
Das  Zwischenurtheil  des  Königl.  Oberlandesgerichts  zu 
Köln  vom  2.  Mai  1881  hat  die  in  dem  Hauptprozesse  ver- 
suchte Intervention  der  gegenwärtig  beklagten  Partei  aus  dem 
Grande  als  unstatthaft  zurückgewiesen,  weil  derselben  ein  zur 
Intervention  nach  der  Prozessordnong  ausreichendes  Interesse 
fehle.  Denn  die  Intervenienten  würden  in  einem  durch  besondere 
Klage  gegen  sie  erhobenen  Editionsprozess  »nicht  schlechter 
gestellt  sein<,  als  in  dem  Falle,  dass  in  Folge  ihrer  Intervention 
die  Frage  der  Editionspflicht  als  eigentlicher  Incidentstreit 
unmittelbar  in  den  Hauptprozess  hineingezogen  werde. 

■  [Du  in  dieKT  Sache  ergan^ne  Uitheil  dea  Reicb^erichts  [EntBch.  XII 
S.  413  ff.)  behandelt,  Eoweit  veiflfTeDtlicht ,  Dur  die  auf  g§  3S7  Z.  z,  394 
gettatzte  BegTÜDdang  der  KUge  and  tritt  intoweit  im  WcHntlichen  dem  Gold- 
Khmidt' sehen  Gutachten  bet.J 


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268      Ueber  EdittonapflicM,  inibes.  betr.  gemeiiiicliaftl.  Urkunden  etc. 

Diese  Entscheidung  ist  unzweifelhaft  richtig,  allein  die 
Kammer  für  Handelssachen  des  Königl.  Landgerichts  hat  aus 
derselben  einen  unrichtigen  Schluss  gezogen.  Das  Königl. 
Oberlandesgericht  hat  keineswegs  entschieden,  dass  die  Edi- 
tionsklage trotz  Verwerfung  des  Antrags  auf  Fristgewährung 
unter  allen  Umständen  erhoben  werden  dürfe;  —  eine  Ver- 
anlassung zur  Sonderung  der  verschiedenen  möglichen  Editions- 
grUnde  aber  lag  für  den  Oberrichter  um  so  weniger  vor,  als 
in  der  That  durch  die  Verwerfung  des  Antrags  auf  Frist- 
gewährung die  Lage  der  gegenwärtigen  Editionsbeklagten 
nicht  nur  nicht  verschlechtert,  sondern  im  Gegentheil  min- 
destens prozessualisch  verbessert  worden  ist. 

Die  §§  386 ff.  der  Civilprozessordnung  regeln  aus- 
schliesslich das  Editionsverfahren  im  schwebenden  Rechts- 
streit. Das  Gesetz  unterscheidet,  ob  nach  der  Behauptimg  des 
Beweisführers  die  Urkunde  sich  in  den  Händen  des  Prozess- 
gegners befindet  (§§  386 — 392)  oder  in  den  Händen  eines 
Dritten  (§§  393-399). 

Im  ersten  Falle  erfolgt  die  Beweisantretung  durch  den 
Antrag,  dem  Gegner  die  Vorlegung  der  Urkunde  aufzugeben, 
(§  386)  und  ordnet  alsdann,  unter  den  gesetzlichen  Voraus- 
setzungen, das  Gericht  die  Vorlegung  der  Urkunde  bezw.  die 
Leistung  des  Editionseides  bei  Vermeidung  der  gesetzlichen 
Versäumnissfolgen  an  {§§  389-392). 

Im  zweiten  Falle  erfolgt  die  Beweisantretung  durch  den 
in  bestimmter  Weise  zu  begründenden  Antrag,  zur  Herbei- 
schaffung der  Urkunde  eine  Frist  zu  bestimmen  (g§  393,  395), 
und  hat  alsdann  das  Gericht,  sofern  nicht  zur  Zurückweisung 
des  Antrags  gesetzliche  Gründe  vorliegen  (§  398) ,  eine 
peremptorische  Vorlegungsfrist  zu  bestimmen  (§  396).  Um 
diese  Vorlegung  zu  bewirken,  hat  der  BeweisfUhrer  gegen 
den  angeblich  editionspflichtigen  Dritten  in  dessen  Gerichts- 
stand Klaee  zu  erheben  {§  394). 

Die  C.P.O.  enthält  so  keine  Vorschriften  für  die  Editions- 
klage ausserhalb  eines  schwebenden  Rechtsstreites,  noch  für 
den  Fall,  dass  im  schwellenden  Rechtsstreit  dem  Beweisführer 
die  nachgesuchte  Frist  zur  Vorlegung  der  Urkunde  vom  Pro- 
zessgericht verweigert  oder  die  Beweisantretung  aus  besonderen 
Gründen  zurückgewiesen  ist  (§ij  395—398),  noch  endlich  für 
den  Fall,   dass   das  Hauptverfahren   nach  fruchtlosem  Ablauf 

GooqIc 


Rechtliche  Beleuchtung.  269 

der  Vorlegungsfrist  oder,  unter  Umständen,  schon  vorher  ohne 
Erledigung  des  schwebenden  Editionsstreites  (§  396  Abs.  2) 
fortgesetzt  wird. 

Das  Schweigen  des  Gesetzes  kann  einen  doppelten  Gnmd 
haben. 

Einmal,  dass  der  Gesetzgeber  den  Editionsprozess  gegen 
den  Dritten  als  ein  durchaus  selbständiges  Verfahren  be- 
trachtet, welches  prozessualisch  besonders  zu  regeln  er  keine 
Veranlassting  gefunden  und  fUr  welches  er  allenfalls  lediglich 
die  materielle  Voraussetzung,  nämlich  die  Editionspflicht,  näher 
normirt  hat  {§  394).  Dieses  Verfahren  würde  somit  seine  be- 
sonderen Wege  gehen;  es  würde  auch  nach  völliger  Erledi- 
gung des  Hauptprozesses  fortgesetzt  werden  dürfen  und,  so- 
bald es  einmal  zur  mündlichen  Verhandlung  im  Editions- 
prozesse gekommen  ist,  auf  Antrag  jeder  Partei  fortgeführt 
werden  müssen  (C.P.O.  §  243  Abs.  1). 

Oder,  dass  der  Gesetzgeber  das  Editionsverfahren  Über- 
haupt, gleichviel  ob  gegen  den  Prozessgegner  oder  gegen 
Dritte,  nur  als  Zwischenstreit  zulassen  will. 

Bietet  die  erste  Annahme  die  unter  Umständen  unzweifel- 
haft wünschenswerthe  Möglichkeit,  sich  durch  rein  präpara- 
toriscbe  Editionsklagen  das  Materia)  für  einen  künftigen 
Rechtsstreit  zu  beschaffen,  so  knüpfen  sich  andererseits  an  die 
zweite  Annahme  sehr  erhebliche,  vom  Gesetzgeber  zu  berück- 
sichtigende Vortheile. 

Nicht  allein  werden  bei  dieser  Annahme  unnütze  Prozesse 
und  Prozcssvervielfaltigungen  vermieden,  sondern  es  wird 
augenscheinlich  auch  der  dritte  Editionspflichtige  gegen  frivole 
Editionsklagen  und  deren  Fortführung  in  weit  höherem  Grade 
geschützt:  theils  durch  die  zeitliche  Begrenzung  des  Editions- 
prozesses (§  396)  und  durch  die  unter  Umständen  statthafte 
Zurückweisung  einer  derartigen  Beweisantretung  (§  398); 
theils  durch  die  Nothwendigkeit,  im  Hauptprozesse  den  Inhalt 
der  betreffenden  Urkunden,  sowie  die  Thatsachen,  welche  durch 
dieselben  bewiesen  werden  sollen,  so  genau  zu  bezeichnen,  dass 
daraus  ein  schutzwürdiges  Interesse  des  Editionsklägers  an 
Vorlegimg  der  Urkunde  deutlich  erhellt  (§  395  verbunden 
mit  §  389),  Man  dürfte  auch  dafür  anführen  das  allgemeine, 
noch  weiter  unten  zu  erOilemde  Prinzip  des  Gesetzes,  welches 
die  Editionspflicht  des  Dritten  nicht  als  allgemeine  Burger- 


,  Cioogic 


270      Ueber  EditiontpflEcliC,  iDsbes.  betr.  gemniuchaftl.  Urkunden  etc. 

pflicht ,  sondern  nur  innerhalb  gewisser  genau  gezogener 
Grenzen  anerkennt;  femer,  dass  eine  präparatorische  >Siche- 
rung  des  Beweisesc  hinsichtUch  der  Urkunden  nur  innerhalb 
bestimmter  gesetzlicher  Grenzen  (C.P.O.  §  231  vergl.  mit 
§§  447  ff.)  anerkannt  ist.  Man  darf  nicht  dagegen  anführen, 
dass  das  Editionsgesuch  gegen  Dritte  im  Wege  der  Klage 
erhoben  werden  muss.  Denn  es  wird  damit,  wie  in  den 
Motiven  des  Gesetzes  wiederholt  hervorgehoben  wird,  lediglich 
bezweckt,  die  Unterstellung  des  Dritten  unter  einen  anderen 
als  seinen  ordentlichen  Richter  zu  verhindern,  und  wird  überall 
der  Editionsantrag  als  lAntrag  auf  Sistirung  des  Haupt- 
prozesses bis  zur  Erledigung  der  gegen  den  Dritten  zu  er- 
hebenden Editionsklage  I,  das  Editionsverfahren  nur  als  Theil 
des  »Beweisverfahrensc  charakterisirt. 

Vgl.  z.  B.  die  Motive  zu  §§  366  ff.  des  Entwurfs  von  1871, 

zu  §§  380  ff.  des  letzten  Entwurfs  (1874)  S.  270. 
Struckmann  u.  Koch,  Die  Civilprozess-Ordnung  für 
das  Deutsche  Reich    zu    §   393   (7.  Aufl.   zu   §   428 
S.  525). 
Die  Uebelstände  eines  neben  dem  Hauptprozess  durchaus 
selbstständig  hergehenden  Editionsprozesses  werden  durch  die 
Sachlage  unseres  Falles  drastisch  genug  illustrirt.    Das  mit 
der    Hauptklage    befasste    Prozessgericht     verweigert     Frist- 
gewährung, weil  es  an  den  prozessualischen  und  den  materiellen 
Voraussetzungen  dafür,  insbesondere  an  der  Editionspflicht  der 
Handlung  X.  &  Cie.  fehle;   es  verneint   die   prozessualische 
oder     materielle    Zulässigkeit     gewisser     KollationsansprUche, 
während   zum  Zwecke  der  Beweisung  eben  dieser  Ansprüche 
die  Editionsklage  erhoben  wird.   Es  ist  so  schon  gegenwärtig 
—  wenn  auch  zufolge  Sistirung  des  Hauptprozesses  noch  nicht 
rechtskräftig  —  festgestellt,  dass  den  Editionsklägem  mindestens 
hinsichtlich  gewisser   erhobener  Ansprüche  ein  rechtliches  In- 
teresse an  der  Einsicht  derjenigen  Urkimden  fehlt,  deren  Vor- 
legung  sie   begehren,   entgegen  dem  unzweifelhaft  geltenden 
Recht : 

Vgl.   z.  B.   Entscheidung   des   Obertribunals   Stuttgart 

(Seufferfs  Archiv  XVIll  Nr.  271  S.  428/429)  und 

die  spätere  Erörterung  (§  5).  — 

Gleichwohl   ist   nicht  anzunehmen,   dass  die  Civilprozess- 

ordnung  die  selbstständige  Editionsklage  gegen  Dritte  schlecht- 


„Google 


Rechtliche  Beleuchlang.  271 

hin  ausschliessen  wolle.     Es  ist  vielmehr  eiae  zwiefache  Aus- 
legung derselben  möglich: 

1.  Die  gesammten  Vorschriften  der  Civiiprozessordnung 
Über  die  Editionsklage  gegen  Dritte  beziehen  sich  lediglich 
auf  den  Fall,  dass  der  Editionsstreit  in  einem  bereits  an- 
hängigen Hauptprozess  erhoben  wird;  für  einen  anderen  Fall 
—  den  der  durchaus  selbststäüdigen  Editionsklage  —  enthält 
sie  keinerlei  Vorschriften,  weder  prozessualische  noch  auch 
nur  materielle,  über  die  Editioaspflicht.  Der  Satz  des  §  394 
CJ'.O.: 

»Der  Dritte   ist  aus   denselben   Gründen   wie   der 
Gegner  des   Beweisführers  zur   Vorlegung   einer  Ur- 
kunde verpflichtet« 
gälte  somit  nur  für  den  ersten  Fall,  und  wäre  so  zu  lesen: 

Wenn   in  einem   anhängigen  (Haupt-)  Prozesse  die 
Vorlegung  der  in  den  Händen  eines  Dritten  befind- 
lichen Urkunde  begehrt  und  diesem  Begehren  von  dem 
Prozessgericht   durch  Fristsetzung    entsprochen   wird, 
so  ist  der  Dritte  aus  denselben  Gründen  u.  s.  f. 
Für  alle  übrigen  Fälle  verbliebe  es  sonach  hinsichtlich 
der  Editionspflicht  des  Dritten  durchaus  bei  den  Vorschriften 
des  betreffenden  bürgerlichen  Rechts,  somit  hier  des  rheini- 
schen, welches  keineswegs  eine  so  weitgehende  Editionspflicht, 
als  die  §§  387,  394  der  C.P.O.  bestimmen,  anerkennt. 
Vergl.  unten  §  5. 
Es  leuchtet  ein,  dass  diese  der  beklagten  Partei  günstigere 
und  von  derselben  vertretene  Auslegung  nicht  allein  mit  dem 
Wortlaut   des  Gesetzes  vollkommen   verträglich   ist ,   sondern 
anscheinend   auch   mit   dem  Zwecke  des  Gesetzes,   welches  ja 
das  Editionsverfahren   gegen  Dritte   nur   als  Bestandtheil   des 
> Beweisverfahrens t ,  somit  in  einem  anhängigen  Hauptprozess 
behandeln  will  und  darüber  hinaus  über  die  Editionspflicht 
Bestimmungen  zu  treffen,  keinen  entscheidenden  Anlass  hatte. 

2.  Die  Vorschriften  der  Civiiprozessordnung  über  die 
Editionsklage  gegen  Dritte  beziehen  sich,  insoweit  sie  die 
Editionspflicht  regeln,  auf  beide  Fälle,  auch  auf  den  der 
durchaus  selbstständigen  Editionsklage;  aber  die  Hditionspflicht 
ist  für  diese  beiden  Fälle  verschiedenartig  geregelt.  Bildet 
der  Editionsprozess  einen  blossen,  wenn  auch  durch  besondere 
Klage  verfolgten  Theil  des  Hauptprozesses,   so   ist  der  Dritte 


oogic 


272      Ueber  Editioiitpflicht,  iotbM.  betr.  gemeinichafd.  Urknndeii  «tc. 

editionspflichtig  sowohl  nach  Ziffer  2  wie  nach  Ziffer  1  des 
§  387  C.P.O.  Steht  der  Editionsprozess  ganz  ausserhalb  des 
Hauptprozesses,  so  ist  der  Dritte  editionspflichtig  nur  nach 
Ziffer  1  des  §  387  C.P.O.  Dieser  Gegensatz  scheint  nun  in  der 
That  in  den  §§  394,  387  C.P.O.  enthalten  zu  sein. 

§  394.  Der  Eh-itte  ist  aus  denselben  Gründen  wie  der 
Gegner  des  Beweisführers  zur  Vorlegung  einer  Urkunde  ver- 
pflichtet. 

§  387.  Der  Gegner  ist  zur  Vorlegung  der  Urkunde  ver- 
pflichtet: 

1)  wenn  der  Beweisftlhrer  nach  den  Vorschriften  des 
bürgerlichen  Rechts  die  Herausgabe  der  Urkunde 
oder  deren  Vorlegung  auch  ausserhalb  des  Pro- 
zesses verlangen  kann; 

2)  wenn  die  Urkunde  ihrem  Inhalte  nach  eine  für  den 
Beweisführer  und  den  Gegner  gemeinschaftliche  ist. 

Damit  ist  gesagt,  dass  lausserhalb  des  Prozessesc  — 
und  dieser  sProzess*  ist  selbstverständlich  für  den  Dritten 
der  zwischen  dem  Beweisführer  und  dessen  Prozessgegner 
schwebende  Hauptprozess  —  der  Dritte  nicht  editionspflichtig 
ist  hinsichtlich  solcher  Urkunden,  für  welche  eben  eine  Pflicht 
zur  Herausgabe  oder  Vorlegung  »ausserhalb  des  Prozesses» 
nach  den  Grundsätzen  des  bürgerlichen  Rechts  nicht  be- 
steht, und  dies  sind  eben,  nach  der  Bestimmung  der  Prozess- 
ordnung, die  nur  ihrem  Inhalte  nach  für  den  Beweis- 
führer und  den  Gegner  (hier  Dritten)  gemeinschaftlichen 
Urkunden. 

Vgl.  unten  §  6. 

Diese  zweite  Auslegung  dürfte  der  ersten  vorzuziehen 
sein.  Denn  sie  führt  dahin,  dass  für  den  Geltungsbereich  der 
Deutschen  Civilprozessordnung ,  also  im  ganzen  Gebiet  des 
Deutschen  Reichs,  sowohl  für  den  von  der  Civilprozessordnung 
geregelten  Fall  eines  schwebenden  Hauptprozesses,  dessen  pro- 
zessualisch geordneten  Bestandtheil  der  Editionsprozess  gegen 
den  Dritten  bildet ,  als  für  den  von  der  Civilprozessordnung 
nicht  geregelten,  aber  auch  nicht  ausgeschlossenen  Fall  eines 
selbstständigen  Editionsprozesses  die  Editionspflicht  des  Dritten 
für  das  ganze  Reichsgebiet  gleichmässig  geregelt  ist:  für  den 
ersten  Fall  dahin,  dass  die  beiden  Gruppen  der  Editionsgründe 


lUchtliche  BelevchtniiE.  27S 

Anwendung  finden;  für  den  zweiten  Fall  dahin,  dass  nur  die 
erste  Gruppe  Platz  greift. 

Dieses  Ergebniss  ist  aber  aach  ein  dorchaos  verständiges. 
Denn  es  wird  dadurch  die  ToUkommen  selbstständige  präpara* 
torische  Editionsklage  gegen  den  Dritten  in  allen  Fällen  zu- 
gelassen, in  welchen  das  bürgerliche  Recht,  welchem  er 
unterworfen  ist,  ihn  schlechthin  zur  Herausgabe  oder  auch 
nur  zur  Vorlegung  der  betreffenden  Urkunde  verpflichtet; 
falls  hingegen  der  viel  unbestimmtere,  erst  durch  die  Civil- 
prozessordnung  allgemein  geregdte  Editionsgrund  der  blossen 
iGemeinschaftlichkeit  des  Inhalts«  einer  Urknnde  vorliegt,  soll 
die  Editionspflicht  nur  alsdann  gelten,  wenn  bereits  ein  Hanpt- 
prozess  schwebt  und  der  Richter  des  Hauptprozesses  dem  An- 
trag auf  Fristbestimmung  behufs  Herbeischaffang  der  be- 
treffenden Urkunde  willfahrt,  weil  nur  alsdann  diejenigen 
Garantieen  gegen  völlig  nutzlose  oder  gar  vexatorische  Edi- 
tionsklagen gegeben  sind,  welche  das  Gesetz  unmöglich  ausser 
Acht  lassen  darf. 

Das  Ergebniss  entspricht  endlich  wesentlich  dem  bis- 
herigen, mindesteas  in  einem  sehr  grossen  Theile  Deutsch- 
lands geltenden  Recht.  Denn,  wenngleich  hin  und  wieder 
ganz  allgemein  die  Behauptung  aufgestellt  wird,  dass  die 
Editionspflicht  auch  des  Dritten  hinsichtlich  der  sogenannten 
•docnmenta  communiac  unbeschränkt  bestehe  bezw.  bestanden 
habe,  so  findet  ^ich  doch  weder  ein  Beweis  dafflr,  insbesondere, 
dass  eine  derartige  Editionspflicht  auch  ausserhalb  eines 
schwebenden  Hauptprozesses  von  den  Gerichten  anerkannt 
worden  sei,  noch  pflegt  man  sich  über  die  Verschiedenheit 
der  EditionsgrUnde  des  »bürgerlichen  Rechtsc  und  des  Editions- 
grundes der  iGemeinschaftlichkeit«  ausreichende  Rechenschaft 
zu  geben  (vgl.  unten  §§  5,  6),  noch  endlich  ist  der  Gegensatz 
des  nur  präparatorischen  selbstständigen  Editionsstreites  und 
der  durch  einen  schwebenden  Hauptprozess  veranlassten 
Editionsklage  bisher  jemals  ausreichend  untersucht,  geschweige 
denn  gewürdigt  worden. 

Dagegen  liegt  genau  die  hier  durchgeführte  Unterscheidung 
dem  früheren  preussischen  Prozessrecht  zu  Grunde,  obwohl 
dieses  sogar,  viel  weiter  gehend  als  die  Deutsche  Civilprozess- 
ordnung,  die  Editionspflicht  wesentlich  nach  den  Grundsätzen 
der  Zeugnisspflicht  behandelt.    Im  schwebenden  Rechtsstreit 

a  Sduifteii.    U.  iS        -^  . 

I,.:       L-oogle 


'274      Ucber  Ediltoiupflicht,  insbet,  betr.  geineiiuchaftl.  Urkunden  etc. 

ist  auch  die  dritte  in  den  Prozess  gar  nicht  verwickelte  Person 
<Jem  Editionsgesuch  schlechthin  Folge  zu  leisten  verpflichtet: 
Allg.  Gerichtsordnung  für  die  Preussischen  Staaten 
Th.  I  Tit.  10,  §  91, 
soweit  nicht  die  blosse  iPrivatkorrespondeuzi  zwischen  einer 
Partei  und  diesem  Dritten  in  Frage  steht: 

eod.  §  92a; 
dagegen,  wenn  es  sich  nicht  um  die  >Ausmittelung  einer  in 
einem  Prozesse  streitigen  Thatsachec  handelt,  so  kann  die 
Edition  nur  begehrt  werden ,  falls  dem  Editionssucher  aus 
einem  bestimmten  >  rechtlichen  Grunde  ein  besonderer  An- 
sprach* darauf  zusteht: 

eod.  §  93. 
'  Es  wird  also,  um  in  der  Sprache  der  Deutschen  Civil- 
prozessordnung  zu  reden,  im  letzten  Falle  verlangt,  dass  >der 
Beweisführer  nach  den  Vorschriften  des  bürgerlichen  Rechts 
die  Herausgabe  der  Urkunde  oder  deren  Voriegung  auch 
ausserhalb  des  Prozesses  verlangen  kann«,  und  es  hat  dem- 
gemäss  das  Obertribunal  durch  Urtheil  vom  1.  Februar  1856 
durdiaus  richtig  entschieden: 

>Dass  aber  Jemand  ohne  einen  bestimmten  An- 
spruch klagend  geltend  zu  machen,  ohne  sich  also  der 
richterlichen  Prüfung  dieser  Klage  zu  unterwerfen, 
und  ohne  Fixirung  des  Anspruches  sowohl  als  der  zur 
Begründung  desselben  dienenden  Thatsachen,  bloss 
dessbalb,  auch  ausserhalb  der  prozessualischen  Ver- 
folgung eines  dadurch  zu  begründenden  Ansprachs, 
die  Edition  einer  Urkande  verlangen  könne,  um  ach 
erst  zu  informiren :  ob  ihm  nicht  vielleicht  ein  klagbar 
zu  machender  Anspruch  gegen  den,  der  ediren  soll, 
oder  möglicher  Weise  auch  gegen  einen  Dritten  zu- 
stehe und  solcher  dadurch  zu  begründen  sein  möchte? 
—  eine  solche  Vorschrift  ist  unserer  Gesetzgebung 
völlig  fremd.« 
Entscheidungen  des  KOnigl.  Obertribonals  Bd.  32 
No.  27  S.  225,  auch  Striethorst's  Archiv  Bd.  20 
S.  105  ff. 
Vgl.  auch  Heidenfeld,  in  der  Zeitschrift  für  Gesetz- 
gebung und  Rechtspflege  in  Preussen,.  herausg.  von 
Behroid,  Bd.  III  S.  325  ft 


itizecy  Google 


Rechüicbe  Belmcbtnng.  275 

Gegenüber  dieser  AusfUhruog  kann  eine  gelegentliche, 
die  Entscheidung  nicht  tragende  Bemerkung  über  den  Begriff 
der  documenta  communia  und  das  auch  für  diese  bestehende 
»selbetständigei  Editionsrecht  (Entscheidungen  des  Königl.  Ober- 
tribunals  Bd.  66  S.  287)  mindestens  für  das  gegenwärtig 
geltende  Recht  auf  sich  beruhen.  — 

Für  den  vorliegenden  Fall  ist  es  unerheblich,  ob  der 
ersten  oder  der  zweiten  Auslegung  der  CP.O.  beigetreten 
wird.  Nach  der  ersten  würde  die  Editionsklage,  wie  weiter 
nachzuweisen  ist,  aus  Gründen  des  materiellen  Rechts  ver- 
sagen, weil  im  Gebiete  des  rheinischen  Rechts  die  blosse  >Ge- 
meinschafüichkeit  des  Inhalts^  einer  Urkunde  keinen  Editions- 
grund  bildet.  Nach  der  zweiten  versagt  die  Editionsklage, 
weil  die  Gemeinschafthchkeit  des  Inhalts  einer  Urkunde  keinen 
Editionsgrund  ausserhalb  einer  in  einem  Hauptprozess  gehiJrig 
zugelassenen  Editionsklage  bildet. 

B.    Die  Editionspflicht. 
1.    Allgemeine  Gesichtspunkte. 

§2- 

1.  In  dem  Erbtheilungsprozess  ist  die  offene  Handels- 
gesellschaft X.  &  Cie.  selbstverständlich  nicht  Partei,  auch  sind 
es  nicht  alle  Mitglieder  derselben  "und  nicht  lediglich  solche. 
Wären  aber  auch  die  Beklagten  des  Erbtheilungsprozesses 
und  die  Theilhaber  der  Handelsgesellschaft  X.  &  Cie.  völlig 
identisch,  so  würden  die  letzteren  doch  in  jenem  Prozess  nicht 
in  ihrer  Eigenschaft  als  Theilhaber  der  Handelsgesellschaft 
X.  &  Cie.  belangt  werden,  da  von  ihnen  weder  Leistungen 
aus  dem  den  Gesellschaftsgläubigem  primär  verhafteten  Ge- 
sellschaftsvermOgen  beansprucht  werden ,  noch  die  Kläger 
Gläubiger  der  beklagten  Theilhaber  in  ihrer  Eigenschaft  als 
Gesellscbaftsgläubiger  sein  würden.  Die  von  den  Beklagten 
im  Erbtheilungsprozesse  begehrten  Leistungen  berühren  somit 
die  Interessen  der  Gesellschaft  X.  &  Cie.,  auch  wenn  man 
dieselbe  nicht  als  eine  selbstständige  (juristische)  Person,  son- 
dern —  dem  geltenden  Recht  entsprechend  —  lediglich  als 
eine  Personenverbindung  mit  eigenthümlich  abgegrenztem  Inter- 
essen- und  Vermögenskreis  betrachtet,  nicht  einmal  mittelbar. 

Umgekehrt  ist,  was  ira  Editionsprozesse  von  der  Gesell- 


,  Google 


276     Ueber  Bditionspflicht,  incb««,  betr.  gemeuuchiAl.  UriEnnden  elc. 

Schaft  X.  &  Cie.  begehrt  wird,  eine  Leistung,  welche  nur  von 
der  Gesellschaft,  d.  i.  von  der  Gesammtheit  der  Theilhaber 
als  solcher,  nicht  und  bei  ihrer  Untheilbarkeit  auch  nicht  zum 
kleinsten  Theil  von  irgend  einem  oder  mehreren  ihrer  Theil- 
haber bewirkt  zu  werden  vermag.  Die  Handelsbücher,  deren 
Vorlegung  beansprucht  wird,  gehören  lediglich  der  Gesaomit- 
heit  in  deren  Interesse; 

H.G.B.  Art  28,  33,  verbunden  mit  Art  5,   III,  145; 
über   dieselben    kann    kein    einzelner   Theilhaber    wider    den 
Willen    eines   anderen  Tbeilhabers  auch  nur  zum  kleinsten 
Theile  verfügen,  da  sie  nicht  zugleich  Bücher  irgend  eines 
einzelnen  Gesellschafters  sind: 

H.G.B.  Art.  111,  119-122,  131,  143,  verb.  mit  Art  99, 
102,  103. 

Seuffert's  Archiv  XXXV  Nr.  49  S.  79;   Zeitschrift 
f.  Handelsrecht  XX  S.  285; 
auf  deren  Einsicht  hat  kein  Gläubiger  irgend  eines  einzelnen 
Gesellschafters  ein  Recht. 

Vgl.  unten  §  5. 
Bei  Auflosung  der  Gesellschaft  fallen  dieselben  nicht  zu 
entsprechenden  Theilen  an  die  einzelnen  Mitglieder,  sondern 
sie  bilden  bis  zu  ihrer  Vernichtung  einen  untheilbaren  Ver- 
mOgensgegenstand  unter  gemeinsamer  oder  sonst  entsprechend 
geordneter  Verwaltung: 

H.G.B.  Art.  145. 

Entscheidungen  des  Reichs-Oberhandelsgerichts  Bd.  VII 
S.  69  ff. 
Die  etwaige  Editionspflicht  einzelner  Theilhaber  der  Ge- 
sellschaft X.  &  Cie.  erstreckt  sich  somit  nicht  auf  die  Handels- 
bUcher  der  Gesellschaft  und  involvirt  nicht  eine  Editionspflicht 
der  letzteren.  Die  etwaige  Editionspflicht  der  Gesellschaft 
gegen  ihre  zeitigen  oder  gewesenen  Theilhaber  begründet  nicht 
eine  Editionspflicht  der  Gesellschaft  gegen  iDrittec 

Urtheil  des  hamburgischen  Handelsgerichts  vom  28.  Sep- 
tember 1868  (Hamburger  Handel^erichtszeitung  1868 
Nr.  207). 
Bei  gegentheiliger  Annahme  wäre  das  Geschäftsgeheimniss 
und  damit   häufig   das  wirthschaftliche  Geschick  einer  Gesell- 
schaft   der    Willkür   oder    den    unberechenbaren   Vermägens- 
wandlungen  und  VermOgensverwicklungen  des  einzelnen  Theil- 


,  Google 


Rechtliche  Beleuchtung.  277 

habers  preisgegeben.     Darüber    hat   auch    niemals    in  kauf- 
männischer Sitte  oder  FVaxis  ein  Zweifel  bestanden. 

2.  Darüber  hinaus  haben  die  gewichtigsten  Bedenken 
schon  seit  Jahrhunderten  zu  erheblichen  Einschränkungen  hin- 
sichtlich der  Editionspflicht  von  Handelsbüchem  Überhaupt  — 
in  Gegensatz  zu  anderen  Urkunden  —  geführt.  Denn  einmal 
ist  hier,  anders  als  bei  sonstigen  Urkunden,  meist  nur  aus 
einer  Mehrheit,  häufig  einer  Vielheit  in  sich  zusammen- 
hängender Aufzeichnungen  Aufschluss  über  einen  ein^lnen 
Streitpunkt  zu  gewinnen.  Sodann  enthalten,  wie  die  Motive 
zu  Art.  37  des  Entwurfs  eines  Handelsgesetzbuchs  für  die 
preussischen  Staaten  hervorheben,  die  HandelsbUcher  Ein- 
tragongen  der  verschiedensten  Art  und  geben  über  den  ge- 
sammten  Geschäftsverkehr  und  VermOgensstand  des  Kauf- 
manns Aufschluss,  daher  dem  letzteren  die  Offenbarung  in 
vielen  Fällen  nachtheilig  sein  kann.  Es  steht  darin  Vieles, 
was  der  redliche  und  gewissenhafte  Geschäftsmann  eben  nur 
für  sich  aufgezeichnet  hat  und  dessen  Bekanntgebung  an  Dritte 
seinem  Willen,  seinem  und  vielleicht  seiner  Erben  Interesse 
durchaus  widerstreiten  würde.  Es  ist,  wie  der  mit  den  Be- 
dürfnissen des  Handelsverkehrs  wohlvertraute  C.  H.  L.  Brinck* 
mann  (Archiv  f.  civilistische  Praxis  Bd.  33  S.  94,  95)  aus- 
fuhrt, nicht  allein  für  den  Kaufmann  von  htlchstem  Interesse, 
den  Stand  seines  Geschäfts,  seine  Geschäftsverbindungen  und 
den  Umfang  seiner  Verpflichtungen  nicht  bekannt  werden  zu 
lassen,  sondern  auch  für  seine  Geschäftsfreunde,  dass  man 
nicht  den  Umfang  ihrer  Geschäftsvertiindungen  mit  dem  Pro- 
duzenten der  Bücher  erfahre  u.  s.  f.  Dass  sogar  für  die 
römischen  Bankiers  (argentarii),  welche  eine  sehr  eigenthüm- 
lich  privilegirte ,  zugleich  aber  unter  steter  obrigkeitlicher 
Kontrole  stehende  Klasse  von  Gewerbtreibenden  gebildet 
haben,  eine  anbeschränkte  Editionspflicht  ihrer  Rechnungs- 
bUcher  nicht,  gegen  >Dritte<  aber  überhaupt  nicht  bestanden 
hat,  wird  sich  unten  ergeben;  ohnehin  sind  die  von  ihnen 
geltenden  eigenthümlichen  Rechtssätze  niemals  in  Deutsch- 
land recipirt  worden  und  gegenwärtig  jedenfalls  vOUig  anti- 
quirt.  Die  gegentheilige  Annahme  einzelner  Schriftsteller, 
auf  welcher  das  Urtheil  der  Kammer  für  Handelssachen  fusst, 
verkennt  das  geltende  Handelsprozessrecht  und  dessen  Ent- 
wicklung. 


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278      Ueber  EdiüoQtpflJchl,  intbe*.  betr.  gemeiiuchaftl.  UtfcuDden  etc. 

So  war  denn  auch  in  der  älteren  deutschen  gemeinrecht- 
lichen Praxis  und  Literatur  allgemein  anerkannt,  dass  der 
der  Kaufmann  dritten  Personen  seine  Btlcher  zur  Durchsicht 
vorzulegen  nicht  verbunden  sei: 

Vgl.  z.  B.  (Hansel)  über  den  Beweis  durch  Handels- 
bücher im  Civilprozess,  Leipzig  1830,  S.  147,  151  ff., 
insbes.  166  ff. 
Bereits    die    französische  Ordonnance  du  commerce  von 
1673,  tit.  in  art.  9,  aus  welcher  art  14  des  code  de  commerce 
hervorgegangen  ist,  hat  zur  Abschneidung  der  bedenklichsten 
Missbräuche  — 

Vgl.  Savary,  le  parfait  negociant,  livre  IV.  eh.  IV. 
(Ausgabe  von  1713  I  p.  275)  — 
die  früher  sehr  weit  ausgedehnte  Editionspflicht,  insbesondere 
aber  Mittheilungspflicht  erheblich  eingeschränkt  (vgl.  §  3). 
Ueber  die  Nothwendigkeit  solcher  Einschränkung  ist  auch  die 
gegenwärtige  französische  E>oktnn  einig: 

Vgl.  z.  B.  Bödarride,  droit  commercial  I   2,    Des 
livres  de   commerce  (2*  id.)  zu    code  de  commerce 
art.  40  Nr.  271  ff.    Ch.  Lyon  Ca6n  et  L.  Re- 
nault, pr^is  de  droit  commercial  I  Nr.  217  ff. 
Dem  entsprechend   stellte  Art.  37   des   preussischen  Ent- 
wurfs des  H.G.B.'s  die  Pflicht  zur  Edition  der  Handelsbücher 
auch   dem   Prozessgegner    gegenüber  in   das  richterliche   Er- 
messen, und  bestimmte,  dass  von  dem  Inhalt  der  BUcher,   »so- 
weit er  den  Streitpunkt  betrifft«,  Einsicht  genommen  werden 
kt^ne,  der  übrige  Inhalt  der   Bücher  dagegen  nur  insoweit 
offen    zu    legen    sei ,    als    die    Prüfung    ihrer    regelmässigen 
Führung  erfordere.    Aber  auch  die  so  begrenzte,  in  §  38  des 
Entwurfs   erster  Lesung   aufgenommene  Editionspflicht  wurde 
in  der  Detailberathung  der  zweiten  Lesung  ursprünglich  von 
der  Nürnberger  Konferenz  verworfen  (Protokolle  S.  942),    Bei 
nochmaliger  Berathung  vertrat  zwar  der  Referent  den  Stand- 
punkt des  Entwurfs,  aber  scharf  betonend,  dass  die  Inter- 
essen des  Kaufmannsstandes  nothwendig  eine  Beschränkung  in 
Betreff   des  Umfanges  der  Edition   mit  sich   brächten   (Prot. 
S.  944  ff.,  vgl.  S.  56).     Man  entschied  sich  endlich,  und  auch 
dies  nur  gegen  lebhaften  Widerspruch,  die  Editionspflicfat  ein- 
mal nur  auf  Antrag,  sodann  nur  nach  richterlichem  Ermessen^ 
H.G.B.  Art.  37  Abs.  1, 


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RedUliche  Belenchtune-  279 

ecdlich  nur  mit  der  Beschränkung  zuzulassen,  dass  nicht  die 
gegnerische  Partei,  sondern  nur  der  Richter  luuter  Zuziehung 
der  Parteient  von  dem  Inhalt  der  vorgelegten  Handelsbücher, 
»soweit  er  den  Streitpunkt  betrifft*,  Einsicht  zu  nehmen  habe, 
und  dass  der  übrige  Inhalt  der  Bücher  nur  dem  Richter  und 
nur  insoweit,  als  dies  zur  Prüfung  ihrer  ordnuogsmässigen 
Führung  nothwendig  ist,  offen  zu  legen  sei, 

H.G.B.  Art.  38  — 
also  nicht  dem  Gegner,   weil  dies  »zu  weit  gehe  und  den  In- 
teressen des  Handelsstandes  widerspreche  c  (Protok.  S.  945). 

S.  auch  V.  Hahn,  Kommentar  zum  A.D.H.G.B.  Art.  38 
(in.  Aufl.  I  S.  160  (IV.  Aufl.  S.  229 f.]);  Anschütz 
und  V.  Völderndorff,  Kommentar  h.  1.  (Bd.  I 
S.  288);  Puchelt,  Kommentar  h.  1.  (3.  Aufl.,  Bd.  I 
S.  78  [4.  Aufl.  S.  97]). 
Dies  gilt  noch  gegenwärtig. 

§  10  des  Entwurfs  eines  Gesetzes,  betreffend  die  Ein- 
führung der  D.C.P.O.,  wollte,  ausser  den  Art.  34—36  und  39, 
auch  den  Art.  38  des  D.H.G.B.'s  aufheben,  weil  derselbe,  wie 
es  in  den  Motiven  [S.  485]  heisst,  nicht  den  Grundsätzen  der 
C.P.O.  über  den  Umfang,  in  welchem  eine  Urkunde  dem 
Gegner  offen  zu  legen  ist,  entspreche.  Dem  entgegen  —  also 
in  klarer  Abweichung  von  den  sonst  für  Urkunden  geltenden 
Grundsätzen,  C.P.O.  §§  122,  385  —  beschloss  die  Justiz- 
kommission des  deutschen  Reichstags  (Prot,  der  121.  Sitzung 
S.  640)  die  Aufrechthaltung  des  Art.  38,  weil  derselbe  »im 
Interesse  der  Wahrung  der  Geschäftsgeheimnisse  nothwendig 
sei« ,  während  andererseits  und  durchaus  den  Prinzipien  der 
Civilprozessordnung  entsprechend,  Art.  37  Abs.  2  des  D.  H.G.B.'s 
nach  dem  Beschluss  der  Justizkommission  (Prot,  S.  640)  auf- 
gehoben wurde  und  es,  trotz  sehr  gewichtiger  Bedenken 
(Prot  S.  640,  641),  bei  der  Aufhebung  des  Art.  39  H.G.B.'s 
verblieb : 

Einführungsgesetz  zur  D.C.P.O.  Art.  13  Abs.  2 
Ziffer  2. 
Die   Feststellung   dieses  aligemeinen  Gesichtspunktes  ist 
von  sehr  erheblicher  Bedeutung,  weit  hinaus  über  die  Spezial- 
frage  hinsichtlich  des  Umfanges  der  dem  Prozessgegner  gegen- 
über obliegenden  Editionspflicht  (unten  g  7  a.  E.). 


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280      Uebei  Editionipfliclit,  iniba.  betr.  gemeiiMcluAl.  Uikiutden  etc. 

2.     Die   Editionspflicht    und  Mittheilungspflicht 
nach    den   Grundsätzen   des    Deutschen    Handels- 
gesetzbuchs. 

§3. 
1.  Die  noch  geltenden  Art.  37  Abs.  1,  Art.  38  des 
D.H.G.B.'s  statuiren  eine  dem  richterlichen  Ermessen  unter- 
liegende, in  der  soeben  bezeichneten  Weise  beschränkte  Pflicht 
des  Kaufmanns,  seine  HandelsbUcher  dem  Prozessgegoer 
offen  zu  legen,  und  nur  soweit  der  Inhalt  der  Handelsbücher 
den  aStreitpunkt  betrifftc  Eine  lallgemeinef  Ehirch- 
musterung  der  BUcher,  zumal  um  Rechtsverhältnisse  zu  er- 
mittehi,  welche  den  Editionsbeklagten  gar  nicht  angehen,  ist 
völlig  unstatthaft: 

Vgl.  U.  des  Handels-Appellationsgerichts  Nurnberg 
1866  (Busch's  Archiv  XI,  S.  300),  des  obersten 
österreichischen  Gerichtshofs  1869,  1871, 
1872  (eod.  XXI  S.  27,  XXIII  S.  24,  XXVIII 
S.  446). 

Anschütz  u.  V.  Völderndorff  a.    a.  O.   I 
S.  288  ff.;    Puchelt  a.  a.  O.  (3.  Aufl.)  I  S.  79 
[4.  Aufl.  S.  97]. 
So  schon  sogar  hinsichtlich  der  argentarii: 

1.  10  §  2  D.  de  edendo  (2,  13):   scilicet  ut  non 
totum  cuique   codicem  rationum  totasque  membranas 
inspiciendi   describendique    potestas   fiat,    sed    ut   ea 
sotum   pars  rationum,  quae  ad  instruendum  aliquem 
pertineat,  inspiciatur  et  describatur, 
und  allgemein  c.  5  X  de  fide  Instrument.  (2,  22),  vgl. 
1.  4  C.  de  edendo  (2,  1). 
Die    so    begrenzte    Editionspflicht    besteht    nach    dem 
D.H.G.B.  einmal: 

a)  nur  in  Handelssachen.  Denn  nur  auf  diese  erstrecken 
sich  überhaupt  die  Bestimmungen  des  D.H.G.B.'s  —  H.G£. 
Art.  1  .—  soweit  nicht  etwa  das  H.G.B.  selbst  eine  »Nicht- 
handelssachec  durch  deren  gesetzliche  Regelung  zur  >Handels- 
sachec  noacht: 

Goldschmidt,  Handbuch  des  Handelsrechts,  2.  Aufl., 
I  S.  476  Note  20  — 
und  es  versteht  sich,  dass  durch  die  nunmehrige  Aufhebung 


RttJUlicb«  BclenchlUDg.  261 

der  Art.  34 — 36  H.G3.'s,  welche  dies  ausdrücklich  vorsahen 
(>bei  Streitigkeiten  Über  Handelssachenc)  nicht  auch  der  Sinn 
der  stehen  gebliebenen  Artikel  des  D.H.G.B.'s  geändert  ist: 
Behrend,  Lehrb.  des  Handelsr.  I  §  42  Note  57  u.  Cit.; 
O.    A.   G.   Oldenburg,    1877   {Juristische   Wochen- 
schrift, herausg.  von  Hänle  und  LUntzel,  Jahrg. 
VI  S.  197), 
Übereinstimmend  mit  der  franzöascben  Doktrin  und  Praxis: 
Alauzet,  commentaire  du  code  de  commerce  I  Nr.  114 

(2-  Ä). 
Dntruc,  dictionnaire  du  contentieuz  commercial,  6*  äl. 
n  p.  153  Nr.  57, 
sodann: 

b)  nicht  gegenüber  Dritten.     In  dieser  Beziehung  ist  es 
bei  dem  Landesrecht  verblieben : 

IVotokoUe  der  Nürnberger  Konferenz  S.  947. 
Behrend,  a.  a.  O.  I  §  42  Note  57;  Endemann, 
Deutsches    Handelsrecht   §  22    Note   33;   Puchelt 
a.  a.  O.  I  S.  77  [4.  Aufl.  S.  98], 
somit  gegenwärtig  das  Recht  der  deutschen  Civilprozessord- 
nung    maassgebend,    während  z.  B.   das  französische  Recht 
Dritten  gegenüber  eine  Editionspflicht  der  HandelsbUcher  über- 
haupt verneint: 

Alauzet  a.  a.  O.  I  Nr.  112. 

Delamarre  et  Lepoitvin,  traitä  du  droit  com- 
mercial I  Nr.  178  (2"  id.). 
2.  Durchaus  verschieden  von  der  Hditionspflicht  ist  die 
Mittheilungspflicht,  welche  auch  ausserhalb  eines  Rechts- 
streites behufs  Kenntnissnahme  des  ganzen  Inhalts  von 
Handelsbtlcheni,  nach  richterlicher,  von  jedem  Parteiantrage 
unabhängiger,  ausschliessend  in  richterlichem  Ermessen  stehen- 
der Anordnung,  in  vier  durch  das  Gesetz  genau  begrenzten 
Fällen  besteht: 

D.H.G.B.  Art.  40. 
In  diesen  Fällen  handelt  es  sich  nicht  um  Aufklärung 
einzelner  Punkte,  sondern  um  die  Ermittelung  des  Gesammt- 
omfanges  des  HandelsvermOgens  und  des  Geschäftsbetriebs, 
für  welche  eben  die  Einsicht  nur  einzelner  Einträge  nicht  aus- 
reichen würde.     In  diesen  Fällen: 


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282      Ueber  Editioiupflicht,  insbes.  b«lr.  gerne! nicbafU.  Urkiuideii  etc. 

Erbschafts-Angelegenheiten, 
Gütergemeinschafts  Angelegenheiten, 
Gesellschaftstheilungssachen, 

Konkursverfahren  über  den  Buchführer  (vgl.  R-KontO. 
§§  112—114), 
ist  die  augenscheinlich  nothwendige  Offenlegung  des  ge- 
sammten  Inhalts  sänuntücher  HandelsbUcher  auch  rechtlich 
selbstverständlich,  wie  im  Falle  des  Konkurses,  oder  doch  gar 
nicht  oder  nur  in  geringem  Maasse  bedenklich.  Denn  einmal 
hat  in  Fällen  dieser  Art  der  Handelsbetrieb  des  Buchfuhrers  — 
mindestens  regelmässig  —  sein  Ende  erreicht;  sodann  sind 
die  Interessen  der  im  Besitz  der  Bücher  befindlichen  und  der 
die  Mittheilung  der  Bücher  begehrenden  Bfrsonen  im  Rechts- 
sinne durchgehends  äqual,  so  dass  namentlich  die  Gefahr  eines 
unstatthaften  Eindringens  >E)ritter<  in  noch  laufende  Ge- 
schäftsbeziehungen, wenn  nicht  viJllig  ausgeschlossen,  so  doch 
eine  äusserst  entfernte  ist. 

Daher  besteht  die  Mittheilungspflicht  eben  auch  lediglich 
in  den  vier  gesetzlichen  Fällen.  Ueber  diese  nothwendige  Be- 
grenzung herrscht  auch  hinsichtlich  der  Quelle  unseres  Ge- 
setzes, des  Art.  14  des  Code  de  commerce,  in  der  französischen 
Doktrin  und  Praxis  kein  Streit: 

Locrö,  esprit  du  code  de  commerce  I  p.  93. 

Alauzet  a.  a.  O.  I  Nr.  118. 

Bravard- Veyridres    et    Demangeat,    traitä  de 

droit  commercial  I  p.  135  ff. 
Bödarride,    droit   commercial.     Des   livres   de  com- 
merce {2'  ۊ.)  Nr.  271  ff.,  279 ff.  und  das  Resume 
Nr.  297. 
Rivifere,    r^p^titions   fcrites  sur    le   code   de   comm. 

(7'  €d.)  p.  61. 
Lyon  Ca&n  et  Renault,  pr^is  du  droit  commercial 

I  Nr.  217  u.  Cit. 
vgl.  Dutruc,  a.  a.  O.  11  p.  153. 
Und  ganz  entsprechend  sagt  das  belgische  Handelsgesetz- 
buch I  3  (v.  15.  Dezbr.  1872)  Art.  21 : 

La  communication  des  livres  et  inventaires  ne  peut 
€tre  ordonn^e  en  justice  que  dans  les  affaires  de 
succession,  communaut^,  partage  de  sociätä  et  en  cas 
de  faillite. 

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Rechtliclit  BelenchlUDg.  283 

Vgl.  dazu  Namur,  le  code  de  commerce  Beige  revis6 
I  p.  138  ff. 
In  den  Vorarbeiten  des  D.H.G£.'s  wird  nicht  mind«*  die 
Ausschliesslichkeit  der   vier  bezeichneten  Mittheilungsgründe 
scharf  hervorgehoben; 

Entwurf    eines    Handelsgesetzbuchs    fUr    WUrttembei^ 

Art.  42  und  dessen  Motive  S.  57. 
Motive  des  preussischen  Entwurfs  S.  26. 
Nömberger  Protokolle  S.  948. 
Nur   die  Motive   des  Reichsministerialentwurfs  von   1849 
(des  sog.  Reichshandelsgesetzbuchs)  S.  60  sprechen  von  blossen 
iHauptfällen*,  wobei  wahrscheinlich  an  den  ja  unzweifelhaften 
Fall   des  Miteigenthums   der  Streittheile   an   den   betreffenden 
HandelsbUchem  gedacht  ist. 

Ueber  den  Inhalt  des  geltenden  Rechts  kann  so  ein 
Zweifel  nicht  bestehen. 

Wenn  daher  in  einem  Urthejl  des  Nürnberger  Handels- 
appellationsgerichts 1865  (Zeitschr.  f.  Handelsrecht  XI  S.  135) 
auch  dem  Einzelgläubiger,  welcher  die  Exekution  in  das  Ver- 
mögen seines  Schuldners  vergeblich  gesucht  hat,  ein  derartiges 
Recht  auf  vollständige  Mittheilung  der  Handelsbücher  zu- 
gesprochen wird,  so  ist  das  entschieden  zurückzuweisen; 

Vgl.  auch  Behrend,   Lehrbuch  des  Handelsrechts  I 
S.  304  Note  70  ff. 
Das  bestehende  Gesetz  gewährt  solchen  Falls  dem  Gläu- 
biger nur  das  Recht,  von  dem  Schuldner  die  Vorlegung  eines 
Vermögensverzeichnisses  und  die  Leistung  des  Offenbarungs- 
eides zu  begehren: 

C.P.O.  §  711. 
Das  Urtheil  des  Reichs-Oberhandelsgerichts  vom  10.  Sep- 
tember 1872  (Entscheidungen  VII  S.  69  ff.)  betrifft  ein  unter 
den  weiteren  Begriff  der  iGesellschaftstheilungssachenc  fallen- 
des Verhältniss  unter  gewesenen  Gesellschaftern  vor  beendigter 
Liquidation.  Der  völlig  zweifellose  Umfang  der  Editions- 
pflicht ist  hier,  ausser  auf  die  schon  für  sich  entscheidenden 
Art.  105,  145  H.G.B.,  auch,  und  zwar  unnöthiger  Weise,  auf 
die  >tm  vorliegenden  Falle«  allerdings  unbedenkliche  lanatoge 
Anwendung!  des  Art.  40  gestützt.  Eine  erweiternde  Aus- 
legung des  Art.  40  hat  damit  keineswegs  anerkannt  werden 

..oslc 


284      Ueber  Editiontpfliclit,  ioibet.  betr.  gemefauchaftl.  Urknod«D  «tc. 

sollen,  wie  die  nicht  vom  Gerichtshofe  herrührenden  Citate  in 
der  Note  vielleicht  annehmen  lassen.  — 

Indessen  sogar  die  analoge  Anwendung  des  Art.  40 
H.G.B.  in  »gleichen  oder  ähnlichen*  Fällen  als  statthaft  vor- 
ausgesetzt, so  fehlt  es  auch  dafür  in  dem  vorUegenden  Falle 
nach  Wort  und  Geist  des  Gesetzes  an  jeder  Handhabe.  Es 
handelt  sich  um  keinerlei  Auseinandersetzung  oder  Theilung 
zwischen  den  Erben  eines  Einzelkaufmanns  oder  zwischen  ge- 
wesenen Gesellschaftern,  sondern  es  wird  zwischen  den  Erben 
eines  sogar  vor  seinem  Tode  aus  der  fortbestehenden  Gesell- 
schaft ausgeschiedenen  Gesellschafters  über  die  Kollationspflicht 
gestritten  und  zu  diesem  Behufe  prätendirt,  die  BUcber  der 
diesem  Streit  völlig  fremden,  an  der  Wahrung  ihrer  Geschäfts- 
geheimnisse hochlichst  interessirten  fortbestehenden  Gesellschaft 
einzusehen. 

In  der  gesammten  Praxis  imd  Literatur,  insbesondere 
auch  des  französischen  Rechts,  findet  sich  keine  Andeutung, 
dass  für  einen  derartigen  Fall  Mittheilungspflicht  bestehe: 

VgL  namentlich  die  eingehende  Kasuistik  bei  B^dar- 
ride  I  Nr.  278 ff. 

Dass  die  von  den  Klägern  bezweckte  >Mittheilung<  der 
HandelsbUcher  sich  unter  dem  Namen  einer  blossen  »Vor- 
legung«: versteckt,  macht  selbstverständlich  keinen  Unter- 
schied. Die  HandetsbUcher  der  fortbestehenden  Gesellschaft 
sind  nicht  Nachlass-  oder  Erbschafts-Papiere,  und  wie  sie  den 
Erben  als  solchen  auch  nicht  zum  Thei!  gehören,  so  fehlt  ihnen 
auch  jedes  Recht  auf  deren  Mittheilung  oder  auch  nur  auf 
deren  Einsicht  in  Gemässheit  der  nur  Erbschaftsangelegen- 
heiten  oder  Gesellschaftstheilungen  betreffenden  Vorschrift  des 
Art.  40  H,G.B.'s  und  in  Gemässheit  der  nur  die  Editions- 
pflicht des  Prozessgegners  und  nur  in  Handelssachen,  nicht  in 
Erfastreitigkeiten,  betreffenden  Vorschriften  der  Art  37  Abs.  1, 
Art.  38  H.G.B.'s.  — 


3.    Die  Editionspflicht  nach  den  Grundsätzen  der 
Deutschen  Civilprozessordnung. 

§<■ 

Auf  die  HandelsbUcher ,  weil   »Urkunden!   im  Sinne  der 
C.P.O.,  finden  unzweifelhaft  die  allgemeinen  Rechtssätze  über 


,  Google 


Rechtliche  B«leuchtuDK.  285 

die  Pflicht  zur  »Vorlegimg«  von  Urkunden  insoweit  An- 
wendung, als  nicht  das  besondere  Recht  des  Deutschen  Han- 
delsgesetzbuchs erweiternd  oder  beschränkend  Platz  greift. 

Abgesehen  von  dem  lediglich  prozessualischen  Editions- 
gnind  des  §  388  C.P.O.,  besteht  für  den  Dritten  wie  für  den 
Prozessgegner  die  gleiche  und  zwar  gesetzlich  fixirte  Editions- 
pflicht,  und  zwar  aus  einem  doppelten  Editionsgrunde: 

C.P.O.  §  387  Z.  1,  2,  vgl.  §  394. 
Beide    Editionsgründe    gehören    dem    materiellen    oder 
Privatrecht  an,  nur  dass  der  zweite  lediglich  in  einem  be- 
reits schwebenden  Prozesse,  der  erste  auch  ausserhalb  eines 
solchen  die  Editionspflicht  begründet. 

Vgl.  oben  §  l. 
Sie  beruhen  nicht  auf  einem  Grundsatz  des  öffentlichen 
Rechts,  insbesondere  nicht  auf  der  Analogie  der  Zeugniss- 
pflicht, wie  auf  Grund  der  unglossirten  lex  (restituta)  22  C. 
de  fide  Instrument.  (4,  21)  hin  und  wieder  angenommen  und 
in  einzelnen  Prozessordnungen,  insbesondere  der  preussischen 
Allgemeinen  Gerichtsordnung  und  der  hannoverschen  Prozess- 
Ordnung,  sanktionirt  war.  DafUr  bieten  weder  die  allein  zur 
praktischen  Geltung  gelangten  römischen  QueUen  einen  Anhalt, 
in  welchen  vielmehr  eine  derartige  allgemeine  Editionspflicht 
klar  negirt  wird, 

z.  B.  1.  9  §  1  D.  de  edendo  (2,  13).  1.  4  C.  eod.  (2,  1), 
noch  beruht  die  Erweiterung  der  römischen  Editionspflicht  in 
Betreff  der  sogenannten  adocumenta  communiac,  bei  aUer  Un- 
bestimmtheit dieses  Begriffs ,  auf  einer  prozessrechtlichen 
Maxime,  vielmehr  ausschliesslich  auf  einer  Ausdehnimg  der 
römischen,  mittelst  Pnvatklage,  einer  actio  ad  exhibendum  oder 
actio  in  factum  zu  realisirenden  aequitas  exhibitionis.  Darüber 
ist  denn  auch  wesentUch  die  neuere  gemeinrechthche  Doktrin 
und  Praxis  durchaus  einig: 

Vgl.  z.  B.  J.  Voet,  commentaritis  ad  Pandectas  II, 
13  §  20. 

Gluck,  Pandektenkommentar  XXII  S.  112ff. 

M.  Mittermaier,  Ueber  die  Gründe  der  Verpflich- 
tung zur  Edition  von  Urkunden  (1835)  S.  43  ff. 

V.  Vangerow,  Pandekten  HI  §  708  (7.  Aufl.)  S.  644. 

V.  Bayer,  Vortrage  über  den  deutschen  CivUprozess 
(9.  Aufl.),  S.  955. 


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286      U«ber  EdilioDSpflicht,  intbe».  betr.  gemcmscbftftl.  Urkonden  etc. 

Wetzell,  Civilprozess  (3.  Aufl.)  §  24  Note  102. 
Renaud,  Civilprozess  (2.  Aufl.)  §  125  Note  1. 
Dem  entspricht,  dass  sowohl  die  Ssreteme  des  heutigen 
Civilrechts  (Lehrbücher  der  Pandekten  und  dgl.)  wie  die 
neueren  Civilgesetzbücher  und  Entwürfe ,  z.  B.  Sächsisches 
bürgerliches  Gesetzbuch  §  1566,  Privatrechtliches  Gesetzbuch 
für  den  Kanton  Zürich  §§  1823—1826,  Entwurf  eines  allgemeinen 
deutschen  Gesetzes  über  Schuldyerhältnisse  (sog.  Dresdner  Ent- 
wurf) Art.  1042 — 1045,  die  Editionspflicht  als  eine  durchaus 
dem  Privatrecht  aogehörige  Verpflichtung  behandeln. 

Vgl.  auch  Heidenfeld,   in   Behrends   Zeitschrift   für 
preussisches  Recht  III  S.  329. 
Dass  dies  auch  für  das  französische  Recht,    von  den  be- 
sonderen handelsrechtlichen  Vorschriften  abgesehen,  gilt,  unter- 
liegt keinem  Zweifel. 
Vgl.  unten  §  5. 
Diese  Auffassung  liegt  endlich  auch  der  Deutschen  Civil- 
prozessordnung   zu  Grunde,    wie    nicht   allein  Wortlaut   und 
Inhalt  der  gesetzlichen  Bestimmungen,  sondern  eben  so  sicher 
deren  Entstehungsgeschichte  ergibt.    Wiederholt  und  in  allen 
Stadien  der  Gesetzgebung  ist  der  Gesichtspunkt  einer  der  all- 
gemeinen  Zeugnisspflicht  entsprechenden,   somit    dem  öffent- 
lichen Recht  angehorigen  Editionspflicbt  entschieden  zurück- 
gewiesen, das  Prinzip  der  preussischen  Allgemeinen  Gerichts- 
ordnung,   der    hannoverschen    Prozessordnung    und    einiger 
anderer  als   ungeeignet  verworfen  worden.     Das  Gesetz  will, 
wie  wiederholt  erklärt  wurde,   lediglich  die   in  der  neueren 
gemeinrechtlichen  Doktrin  zur  Geltimg  gelangten  Grundsätze 
über  die  Editionspflicht  anerkennen  und  durch  feste  Begrenzung 
sicher  stellen. 

Vgl.  z.  B.  Motive  zum  Entwurf  einer  Prozessordnung 
für  die  preussischen  Staaten  (1864)  S.  101.  Proto- 
kolle der  norddeutschen  (hannoverschen)  Prozess- 
kommission  S.  2486  ff.,  5763  ff.  Motive  zum  Entvrarf 
einer  Deutschen  Civilprozessordnung  von  1871  S,  342 
und  von  1874  S.  267,  Protokolle  der  Justizkommission 
des  deutschen  Reichstages  S.  156,  553. 

Uebereinstimmend  die  Kommentare  zur  CJ*.0. 
§  387,  z.  B.  vonStruckmann  und  Koch,  v.  Wil- 
mowski  und  Levy,  Endemann  u.  A.  m. 


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Rechtliehe  Belenchtong.  287 

Dies  vorausgeschickt,  sind  die  EditionsgrUnde  nach  Ziffer  1 
und  nach  Ziffer  2  des  §  387  CP.O.  für  sich  zu  betrachten. 

a,    >Nach  den  Vorschriften  des  bürgerlichen 
Rechts.« 


SelbstverständHch  nicht  eines  beliebigen,  etwa  des  preussi- 
schen  oder  sog.  igemeinen«  Rechts,  sondern  desjenigen, 
welches  in  dem  maassgebenden  Rechtsgebiete  gilt,  also  hier 
unzweifelhaft  des  rheinischen  (französischen)  bürgerlichen 
Rechts. 

Denn  in  diesem  Gel»et  ist  die  Handelsgesellschaft  X.  &  Cie. 
errichtet  und  hat  dort  ihren  Sitz,  hat  der  Erblasser  der 
Kläger  seinen  Wohnsitz  gehabt  und  seine  Verfügungen  ge- 
troffen, wird  endlich,  falls  es  darauf  ankommen  sollte,  der 
Prozess  gefuhrt. 

C.  J.  A.  Mittermaier,  Archiv  für  civil.  Praxis  XIII 

S.  310,  311. 
V.    Bar,    Das    internationale    Privat-    und    Strafrecht 
S.  458,  459. 

Unter  >bürgerlichem(  Recht  ist  hier  selbstverständlich 
sowohl  das  Handelsrecht  begriffen  (z.  B.  H.G.B.  Art.  79 
Abs.  1,  Art.  225),  als  das  sonstige  Civilrecht, 

1,  Dass  die  allgemeinen  Vorschriften  des  D.H.G.B.'s 
über  die  Vorlegung  und  Mittheilung  von  Handelsbüchem  dem 
klägerischen  Anspruch  nicht  zur  Seite  stehen,  vielmehr,  soweit 
offen  oder  versteckt  eine  iMittheilung<  der  Handelsbücher 
bezweckt  wird,  entgegenstehen,  ist  bereits  früher  dargelegt. 
Vgl.  §  3. 

Desgleichen  stehen  die  besonderen  Grundsätze  des  Socie- 
tätsrechts  dem  erhobenen  Anspruch  nicht  zur  Seite,  sondern 
entgegen. 

Der  Erblasser  der  Kläger,  der  Kommerzienrath  W.  L.  X. 
hatte  als  Theilhaber  der  Gesellschaft  X.  &  Cie.  das  Recht  der 
jederzeitigen  Einseht  in  alle  Bücher  und  Papiere  der  Gesell- 
schaft, durfte  somit,  soweit  zu  diesem  Behufe  erforderlich  war, 
auch  deren  Vorlegung  im  G«schäftslokal  der  Gesellschaft  be- 
gehren: 


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288      Ueber  EditionspAichl,  faitbe«.  betr.  gemciiucluftl.  Urkunden  etc. 

H.G.B.  Art.  105,  entsprechend  dem  älteren  gemeinen 
wie  dem  französischen  Recht. 
Aber  diese  Befugniss  war  strenge  an  seine  Person  ge- 
bunden, weder  der  Uebertragung  noch  der  Ausübung  durch 
gewillkürte  Vertreter: 

H.G.B.  Art  98  Abs.  2,  vgl.  Allg.  L.R.  II,  8  §  638, 
verb.  I,  17  §218;  Motive  des  Württemberg.  Ent- 
wurfs zu  Art  212  (S.  191);  Entscheidungen  des 
Reichs-OberhandelsgerichtsVnS. 75,  XXIII 
S.  120  ff.;  Urtheile  des  Appellationsgerichts- 
hofes zu  Köln  vom  27.  Mai  1863  (Centralorgan 
IIS.  132);  Brinckma  an,  Handelsrecht  §45  Note  3; 
T  h  ö  1 ,  Handelsrecht  I  (6.  Aufl.)  §  95  S.  325 ;  Kommen- 
tare von  Anschutz  und  v,  VOlderndorff  II 
S.  213  ff.;  Puchelt  und  Keyssner  zu  H.G.a 
Art.  105;  Lastig,  in  Endemann's  Handbuch  des 
Handelsrechts  I  S.  371;  Renaud,  Das  Recht  der 
Kommanditgesellschaften  S,  327,  204, 
noch  durch  dessen  Gläubiger: 

Urtheile     des     obersten    österreichischen    Ge- 
richtshofes und  des  O.  G.'s  Wolfenbüttel:  Zeitschr. 
f.    Handelsr.    XXII    S.    285,    286,   302;    Renaud, 
a.  a.  O.  S.  204,  433, 
fähig. 

Löste  sich,   gleichviel  aus  welchem  Grunde,  die  Handels- 
gesellschaft auf,  so  behielt  jeder  der  gewesenen  Gesellschafter 
das   gleiche   Recht  der  Einsicht   in   die   im  Miteigenthum  der 
ehemaligen  Gesellschafter  verbleibenden  Gesellschaft^iapiere : 
H.G.B.   Art    144,   145,   vgl.  1.  5,   8   pr.   D.  fem. 

herdsc.  (10,  2). 
Entscheidungen  des  Reichs-Oberhandelsgerichts 
V  S.  394,  VI  S.  296,  insbesondere  VH  S.  69  ff. 
Ob  dieses  Recht,  wie  die  Motive  zu  Art.  138  des  preussi- 
schen    Entwurfs    annehmen    (S.   73),    auch    den    Singular- 
successoren  des  gewesenen  Gesellschafters  zusteht,  ist  keines- 
wegs zweifellos: 

s.  dagegen  z,  B.  Brinckmann,  Handelsrecht  g  52 
zu  Note  17,  18;  ThOl,  Handelsrecht  (6.  Aufl.) 
§  100  a.  E.  S.  340;  Lastig,  a.  a.  O.  S.  425; 
Renaud,  a.  a.  O.  S.  589,  590; 


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Recbtliche  Beleaclitiuig.  289 

sicherlich  darf  es  nicht  durch  Vertreter  ausgeübt  werden: 

Urtheü  des  Appeilationsgerichtshofes  zu  Köln 
vom    12.   Dezember    1874    (Zeitschr.    für  Handelsr. 
XXII  S.  312). 
Scheidet    dagegen    bei  Fortbestand   der  Gesellschaft  ein 
Gesellschafter  aus,  so  verliert  derselbe  das  societätsmässige 
Recht   zur   Einsicht    der   Bücher  und   dergl.      Er   ist    blosser 
Gläubiger  der  fortbestehenden  Gesellschaft  geworden  und  hat 
fortan  nur  noch  ein  Recht  auf  Rechnungsablage  Über  die  nach 
seinem  Austritt  erledigten  Geschäfte  und  auf  Jahresnachweise 
über  den  Stand  der  laufenden  Geschäfte: 
H.G.B.  Art.  130. 

Entscheidungen  des  Reichs-Oberhandelsgerichts 
XXrV   S.  346.     Vgl.  Brinckmann,   Handelsrecht 
S.  181—183;  Thöl,  Handelsrecht,  6.  Aufl.,   §  100 
a.  E.,    S.   340;     Anschütz   und   Völderndorf  f , 
Kommentar  II   S.  291;    Puchelt,    Kommentar  zu 
Art.  130  H.G.B.  Anm.  9  [4.  Aufl.  S.  291];  Lastig, 
a.  a.  O.  I  S.  425. 
Es  versteht  sich  dies  um  so  mehr,  als  ja  auch  dem  an  den 
Geschäften  der  Handlung  noch  dauernd  interessirten  Komman- 
ditisten und   stillen  Gesellschafter  Buchereinsicht   versagt  ist: 
H.G.B.  Art.  160,  253. 

Entscheidungen  des  Reichs-Oberhandelsgerichts 
XVII  S.  274  f.,  I  S.  195. 
Bei    Streitigkeiten    über    die    Auseinandersetzung    kann 
Art.  40  H.G.B.'s  Platz  greifen. 

Ist  nichts  (mehr)  streitig,  vielmehr  abgerechnet,  so  ist 
jedes  denkbare,  societätsmässige  Recht  auf  Rechnungslage  und 
auf  etwaige  Jahresnachweise  selbstverständlich  erledigt. 
Vgl.  unten  §  7. 
Ob  das  Ausscheiden  ans  der  Gesellschaft  bei  Lebzeiten 
erfolgt  oder  durch  den  Tod,  macht  selbstverständlich  keinen 
Unterschied.  Die  nicht  in  die  Gesellschaft  eintretenden  Erben 
haben  nicht  umfassendere  jRechte,  als  ihr  Erblasser  gehabt 
haben  würde  —  also  keine,  falls  diese  ihrem  Erblasser  vOUig 
fehlten. 

Somit  ist  ein  sodetätsmässiges  Recht  der  Kläger  auf 
volle  oder  auch  nur  beschränkte  Einsicht  irgend  welcher  Ge- 
sellschaftsbücher oder  GeseUschaftspapiere  —  auch  vöUig  ab- 

Gcldichmidt,  VnmiichteScbnfteD.    U.  I9 

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290     Ueber  Editiontpflicht,  laibei.  betr.  gemeüitchafü.  Urkunden  etc. 

gesehen  tod  dem  vertragsmässigen  Ausschluss  einer  derartigen 
Befugniss, 

vgl.  §  8  - 
niemals  vorhanden  gewesen. 

2.  Nicht  minder  fehlt  es  an  jedem  anderweitigen  Editions- 
grund  des  ibUrgerlichen  Recbtsc  im  Sinne  des  Art.  387 
Ziff.  1  der  CP.O. 

Für  ein  dingliches  oder  Besitz-  oder  Tertragsnlässiges 
oder  gar  Delikts-Recht,  auf  welches  Kläger  ihren  Anspruch 
gründen  konnten, 

vgl.  z.  B.  1.  9  pr.  D.  de  edendo  (2,  13), 
findet  sich  keinerlei  Anhalt. 

Anlangend  endlich  die  mittelst  der  actio  ad  exbibendum 
oder  der  noch  erweiternden  actio  in  factum  der  römischen 
Rechtsquellen  zu  realisirende  Editionspflicht,  so  fehlt  es  an 
deren  Voraussetzungen  im  vorliegenden  Falle  sogar  nach 
römischem  Recht,  noch  mehr  —  was  ja.  allein  entscheidet  — 
nach  dem  maassgebenden  rheinischen  bürgerlichen 
Recht. 

Diesem  letzteren  nämlich  ist  unzweifelhaft  die  all- 
gemeine actio  ad  exbibendum  fremd.  Art.  842  des  Code 
Napoleon,  vgl.  Art.  1476,  1872,  gründet  die  Editionspflicht 
auf  Miteigentbum,  bezw.  Miterbschaft.  Art.  1337  daselbst  be- 
stimmt, dass  die  Vorlegung  einer  Rekognitionsurkunde ,  in 
welche  nicht  der  ganze  Inhalt  der  Primordialurkunde  ein- 
gerückt ist,  die  Pflicht  zur  Vorlegung  der  letzteren  —  soweit 
solche  Pflicht  besteht  —  nicht  aufhebt.  Art.  2004  daselbst 
statuirt  die  Pflicht  des  Bevollmächtigten  zur  Restitution  der 
Vollmachtsurkunde  bei  Widerruf  der  Vollmacht.  Art.  839  ff. 
des  Code  de  procöiure  setzen  nur  voraus  bezw.  ordnen  die 
Pflicht  des  Notare  oder  eines  sonstigen  Depositars  der  Ur- 
kunde zu  deren  Herausgabe  bezw.  Vorlegung  an  die  Inter- 
essenten. Im  Uebrigen  handelt  es  sich  um  die  Vorlegung  der 
im  Prozess  in  Bezug  genommenen  Urkunden  an  den  Prozess- 
gegner, z.  B,  Code  de  procAlure  Art.  188. 

Wollte  man  nun  auch,  wie  dies  mitunter  geschieht,  für 
das  französische  Recht  über  diese  Fälle  hinaus  eine  Pflicht 
zur  Edition  sog.  >  gemeinschaftlicher  Urkunden«  annehmen,  so 
ist  doch  mindestens  so  viel  sicher,  dass  dies  keineswegs  in 
einem  weiteren,   vielmehr,   wenn  überall,   in  einem  nicht  so 

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Rechtliche  Beleuchtung.  291 

weitreichenden  Umfange  statthaft  erscheint,  als  gegenwärtig 
durch  die  maassgebende  Deutsche  Civilprozessordnung 

Tgl.  unten  §  6, 
festgestellt  ist,  so  dass  eine  Untersuchung  dieses  äusserst  un- 
bestimmten Begriffs  erübrigt. 

Vgl.  Merlin,  repertoire  s.  v.  compulsoire  §  2  [3.  Ed. 

Bd.  II  S.  686  ff.]. 
Berriat  de  Saint  Prix,  cours  de  proc^dure  civile 

n,  1  §  m  (ed.  BruxeUes  1837  pag.  165). 
S  c  h  1  i  n  k ,    Kommentar    tlber    die    französische    Civil- 

ProzessOrdnung  (2.  Autl.)  II  S.  342  ff. 
Insbes.  Larombifere,   Theorie  et  pratique  des  obli- 
gations  t.  IV  (Paris  1857)  S.  498  ff.  (zu  Code  civil 
art.  1331  n.  12 ff.),  wo  entschieden  die  auf  blosses 
Interesse   an   der  Einsicht   einer  Urkunde  oder  auch 
auf  einen  blossen  Billigkeitsgrund  gestutzte  Editions- 
klage als  unstatthaft  zurückgewiesen  wird.  — 
Für  das  romische  Recht   ist  freilich  nicht  selten  der 
ganz  vage  Billigkeit^rundsatz  behauptet  worden,  dass  Jeder- 
mann, welcher  ein  Interesse,  mindestens  ein  Vermögensinteresse 
an  der  Einsicht  fremder,  ihm  weder  ganz  noch  theilweise  zu- 
gehöriger Urkunden  habe,  deren  Vorlegung  und  Einsicht  — 
mindestens  nach  richterlichem  Ermessen  —  begehren  könne. 
Z.  B.   noch    M.   Mittermaier,    a.    a.   O.   S.   17  ff.; 
Bayer,  Vorträge  über  den  deutscheu  gemeinen  Civil- 
prozess,   10.  Aufl.,   S.  957  ff.   und  hinsichtlich  der 
argentarii   und   der  heutigen  Kaufleute  betreffs  ihrer 
HandelsbUcher,  obwohl  nicht  allgemein,  sogar  Wetzell 
(3.  Aufl.],  a.  a.  O.  §  24  Note  S.  224. 
Allein,   wie  schon  die  römischen  Juristen  sich  gegen  der- 
gleichen   anscheinende    BilligkeitsansprUche   —    in   Wahrheit 
ganz  unstatthafte  Prätensionen  —  ironisch  ablehnend  verhalten, 
ja  diese  Annahme  als  eine  völlige  Verdrehung  der  Gedanken 
des   Gesetzgebers  (hier  des    »Edikts*)  in   den  stärksten   Aus- 
drucken zurückweisen,  welche  Überhaupt  im  Corpus  juris  civilis 
für  chikanöse  Interpretationsversuche  vorkommen: 
1.  19  D.  ad  exhibendum  (10,  4): 

»Ad  exhibendum  possunt  agere  omnes  »quorum 
interest.c  Sed  quidam  consuluit,  an  possit  efficere 
haec  actio,    ut   rationes  adversarii   sibi   ex- 

19* 


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292     Uebcr  Editioiupflicltt,  iiube«.  betr.  gemeituduAt.  ürknndcn  etc. 

hiberentur,    quas  exhiberi   magni  eins  in- 
teresset,     respondit  (Paulus)  non  oportere  ius 
civile  calumniari  neque  verba  captari,  sed 
qua   mente  quid  diceretur,   aoimadTertere  cooTenire. 
nam   illa   ratione   etiam  studiosum  alicuius   doctrinae 
posse  dicere  >sua  interessei  illos  aut  illos  itbros  sibi 
exhiberi,   quia,   si  essent  exhibiti,   cum  eos  legisset, 
doctior  et  melior  futurus  esset.  < 
vgl.  l.  3  §  10  D.  eod.: 
—  ged  hoc  non  suffictt  — 
so    ist   auch  die   besonnene   und  wirklich  eindringende   ober- 
richterliche  deutsche   Praxis    in   dieser   Zurückweisung   einig. 
Es  gentlgt,  folgende  Urthei'Ie  anzuführen: 

Oberappellationsgericht  Lübeck.  Urtheil  vom 
30.  Etezember  1857.  (Sanunlung  der  Entscheidungen 
des  Oberappellationsgerichts  der  vier  freien  Städte  zu 
Lübeck  in  Frankfurter  Rechtssachen  [Sauerländer'sche 
Sammlung]  Bd.  III  S.  398): 

iDass  der  Kläger  ein  erhebliches  Interesse  hat,  den 
Inhalt  der  von  ihm  verlangten  Urkunde  kennen  zu 
lernen,  ist  nach  Lage  der  Sache  keinem  Zweifel  unter- 
worfen. Allein  das  Vorhandensein  eines  solchen  Inter- 
esses kann  für  sich  allein,  wie  das  Oberappellations- 
gericht schon  wiederholt  erkannt  hat,  keine  Editions- 
pflicht des  Gegners  begründen.    Es  bedarf  vielmehr 
eines  speziellen  Rechtsgrundes  hierfür  — t. 
In  einem  andern  Urtheil  desselben  höchsten,   durch  seine 
grtlndliche   Kenntniss  des  gemeinen  Rechts  ausgezeichneten 
Gerichtshofes  vom  31.  März  1859  (ebenda  Bd.  IV  S.  332) 
heisst  es,  und  zwar  in  einem  dem  unsrigen  sehr  verwandten  Falle; 
»Der  Kläger  hat,  ausser  der  Gemeinschaftlichkeit, 
auch   noch   das  rechtliche  Interesse,   welches  er  an 
der   Vorlegung   der   Handelsbücher   der   Beklagten 
habe,  als  Klaggrund  geltend  gemacht.     Es  ist  eine 
sehr   bestrittene  Frage,   ob  Jemand  die  Vorlegung 
einer  Urkunde,   an  welcher  er  kein  spezielles  ding- 
liches oder  persönhches  Recht  hat,  wegen  seines 
rechtlichen   Interesses   zur   Einsicht    derselben   ver- 
langen kann.c    >Auch  wenn  man  indessen  die  Frage 
bejaht«  (es  wird  sich  zeigen,  dass  sie  zu  verneinen 


„Goo^^lc 


Rechtliche  Beleuchtung.  293 

ist),  >so  kann  doch  der  Richter,  auf  dessen  Ennessen 
es  hierbei  ankommen  würde,  1.  3  §§  11,  14  D.  ad. 
exhib.  (10,   4),    nur  aus   einem   ganz  dringenden 
Grunde  der  aequitas  auf  die  Edition  erkennen.    Der 
vorliegende  Fall   war   dazu  jedoch   nicht   geeignet. 
Der  einzige  Grund,  welcher  zu  Gunsten  des  Klägers 
sprechen  wüt^e,  konnte  nur  in  der  Behauptung  ge- 
funden  werden,    dass   der  Nachlass  seines   Vaters 
keine  Papiere  enthalten  habe,  welche  Über  das  frag- 
liche   Forderungsverhältniss    Aufschluss     gegeben 
hätten.    Allein  es  würde  zu  weit  fuhren,  wenn  der 
Mangel  von  Papieren,   auch  wenn  er  nicht  durch 
eigene  Sorglosigkeit,   sondern   durch  die   des   Erb- 
lassers entstanden  ist,  schon  genügen  sollte,  um  von 
jedem  Dritten  Edition  der  Dokumente  zu  verlangen, 
bei  deren  Einsicht  man  rechtlich  interessirt  ist.* 
Uebereinstimmend    wird    in    einem    Urtheil    des    O  b  e  r  - 
appellationsgerichts  zu  Rostock  vom  21.  März  1870 
(Seuffert's  Archiv  XXIV  Nr.  99)  ausgeführt,   wie  die  Be- 
sitzerin einer  die  Privatrechtsverhältnisse  derselben  betreffenden 
Urkunde  einen  wohlbegrUndeten  Anspruch  darauf  hat,  dass  deren 
Inhalt  nicht  zur  Kenntoissnahme  eines  jeden  Dritten  gebracht 
werde.     »Selbst  das  Interesse,  welches  ein  Dritter  an  einer  Ein- 
sicht derselben  damit  zu  begründen  vermag,  dass  er  durch  die  be- 
treffenden Verhandlungen  die  ihm  in  einem  anhängigen  Rechts- 
streite auferlegten  Beweise  erbringen  könne,  verpflichtet  sie  nicht, 
sich  dieselbe  gefallen  zu  lassen,   und  auch  die  c.  2  de  edendo 
(2,  1)  gibt  dem  Richter  eine  so  weit  gehende  Befugniss  nicht.« 
Vgl.  auch  u.  A.  die  Urtheile  des  Obertribunals  zu 
Stuttgart  1845  (Seuffert's  Archiv  XXII Nr.  148) 
und  des  Oberappellationsgerichts  zu  Darm- 
stadt 1869  (Seuffert's  Archiv  XXIII  Nr.  180): 
beide  oberste  Gerichtshöfe  erfordern  ein  besonderes 
dingliches   oder   persönliches  Recht   an   der  Urkunde 
oder  auf  deren  Vorlegung. 
Eben  dies  hat  dann  auch  die  neuere  quellenmässige  Unter- 
suchung, 

s.  insbesondere  G.  Demelius',  Die  Exhibitionspflicht 


■  Dam    tritl    jetzt   auch  Brinz,    Ptndekteo,    l.   Aufl.,    Bd.   II   (1883) 
S.  6yg  ff.,  iutbes.  Note  7,  54. 

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294      Uebcr  Edilionspflicbt,  inibei.  betr.  gemÜDKh&fll.  Urkunden  etc. 

in  ihrer  Bedeutung  ftlr  das  klas^sche  und  heutige 
Recht  (1872)  S.  127  ff.,  250  ff.,  269  ff., 
als  den  wahren  Inhalt  der  römischen  Recbtsquellen  ergeben. 
Abgesehen  nämlich  einstweilen  von  dem  Sonderrecht  hin- 
sichtlich der  argentarii  und  den  Testamentsurkunden,  so  dar^ 
wer  kraft  Eigenthums  oder  sonstigen  dinglichen  Rechts,  oder 
juristischen  Besitzes  Anspruch  auf  Herausgabe  einer  Sache  — 
gleichviel  ob  Urkunde, 

z.  B.  1.  3  §  4  D.  de  tabul.  exhib.  (43,  5), 
1.  3  D.  testam.  quemadm.  aper.  (29,  3), 
oder  NichtUrkunde  —  hat,  deren  Vorlegung  bezw.  Einsicht 
behufs    der  Vorbereitung    der  dinglichen  oder  Besitz-Klage, 
oder  geeigneten  Falls  statt  dieser  von  demjenigen,  aber  auch. 
nur  von  demjenigen  begehren,  gegen  welchen  jene  dingliche 
oder  Besitz-Klage  zusteht.    Darauf  geht  die  actio  ad  exhibeu' 
dum,  bei  welcher  überdies  noch  dem  Richter  freie  Würdigung 
zusteht,    ob   ein    vernünftiges   rechtliches  Vermögensinteresse 
gerade  diesen  Anspruch  ausreichend  rechtfertigt: 
1.  3  §§  9,  12  D.  ad  exhib.  (10,  4). 
Darüber  hinaus  findet  sich  nirgends  die  actio  ad  eshiben- 
dum  gestattet.    Die  1.  18  D.  ad  exhib.  und  die  1.  4,  6  C.  de 
edendo  (2,  1)  sprechen  nur  von  der  actio  ad  exhibendum  des 
Eigenthümers  der  Urkunde,  die  1.  9  C.  eod.  gewährt  dem 
Schuldner  nach  bezahlter  Schuld  eine  condictio  (sine  caiisa) 
auf  Rückgabe  des  Schuldscheins. 

Ist  jedoch  im  Auftrage  oder  sonst  im  ausschliesslichen 
Interesse  Jemandes  eine  diesen  angehende  Urkunde  angefertigt 
worden,  ohne  in  dessen  Eigenthum  zu  gelangen,  —  insbesondere, 
weil  das  Material  (Pergament,  Papier),  auf  welches  sie  geschrieben 
wurde,  einem  Anderen,  etwa  dem  Urkunden  Verfasser,  oder 
einem  Dritten  (z.  B.  der  Ehefrau,  deren  Sklave  im  Auftrage 
des  Ehemannes  dessen  Rechnungen  geführt  hatte)  gehört 

—  gemäss  dem  bekannten  Grundsatz  des  römischen 
Rechts,  dass  die  auf  fremdem  Stoff  geschriebene  Ur- 
kunde dem  EigenthUmer  des  Stoffes  gehört:  I.  9 
§  4  D.  de  A.  R.  D.  (41,  1),  vgl.  §  33  J.  de  rer. 
divis.  (2,  1)  — , 
so  wird  diesem  aus  Billigkeitsgründen  eine  actio  in  factum 
auf  Vorlegung  (Einsicht)  der  nach  strengem  Recht  ihm  nicht 


RMhtlkhe  Beleuchtung.  295 

gehörigen  Urkunde  gewährt,    da  in  solchem  Falle   gesagt 
werden  darf: 

quod   mea  causa  confectum  est   quodammodo  ad   me 
pertinet: 

1.  4  §  1  D.  de  edendo  (2,  13). 
Auf  diesen  Fall  bezieht  ach  die  1.  3  §  14  D.  ad  exhibeo- 
dum  (10,  4): 

Interdum  aequitas  exhibitionis  efficit,  ut,  quam- 
vis  ad  exhibendum  agi  non  possit,  in  factum  tarnen 
actio  detur,  ut  Julianus  tractat.  servus,  inquit, 
uxoris  meae  rationes  meas  conscripsit:  hae  rationes 
a  te  possidentur:  desidero  eas  exhiberi;  ait  Julianus, 
si  quidem  mea  Charta  scriptae  sunt,  locum  esse  buic 
actioni,  quia  et  vindicare  eas  possum:  nam  cum 
Charta  mea  sit,  et  quod  scriptum  est  meum  est :  sed 
si  Charta  mea  non  fuit,  quia  vindicare  non  possum, 
nee  ad  exhibendum,  experiri :  in  factum  igitur  actio- 
nem  mihi  competere. 

Vgl.  Urtheil  des  Oberappellationsgerichts 
Oldenburg  1870  {Seuffert's  Archiv  XXVI 
Nr.  84). 
Dies  gilt,   jedenfalls  im  Gebiete  des  gemeinen  Rechts, 
auch  noch  gegenwärtig,  wie  auch  in  der  Justizkommission  des 
Reichstages  von  dem  Vertreter  der  Bundesregierungen  her- 
vorgehoben wurde: 

Protokolle  der  Justizkommission  des  Reichstages  S.  126, 
vgl.  Struckmann  und  Koch,  Civilprozessordnung 
zu  P.O.  §  336  (3.  Aufl.  S.  315). 
Im  Uebrigen    bestimmt    das   römische    Recht   nur,    was 
selbstverständlich,  dass  der  Erbe,  welcher  den  Legataren  die 
Quart  abziehen  will ,  den  Bestand  der  Erbschaft  durch  Vor- 
legung sämmtlicher  Erbschaftspapiere  ausweisen  müsse: 

1.  95  §  2  D.  ad  leg.  Falcid.  (35,  2), 
und  es  gibt,   was  gegenwärtig  antiquirt  ist,  im  Prozess  dem 
Beklagten  ein  weitergehendes  Editionsrecht  wider  den  Kläger 
als  umgekehrt: 

1.  8  vgl.  1.  1,  5  C.  de  edendo  {2,  1), 
während  zugleich  ein  Edition»%cht   hinsichtlich   instrumenta 
»alienai  entschieden  verneint  wird: 
l.  4  C.  eod. 


izecoy  Google 


296      Ucbec  EditioDspflicht,  ioibcs.  betr.  g;«meinic}iafU.  Urkund»  etc. 

Die  documenta  >commuiiiac  der  1.  7  C.  eod.,  1.  26  C. 
de  pactis  (2,  3),  vgl.  c.  12  X.  de  fide  instrum.  (2,  22)  sind 
im  Miteigenthmn  der  Ligitanten  stehende  Urkunden  —  die 
Frage  ist  übrigens  unerheblich,  nachdem  der  jeden^ls  weitere 
gemeinrechtliche  Begriff  der  agemeinschaftlichenc  Urkonden 
durch  die  CP.O.  fixirt  ist : 
Tgl.  unten  §  6. 

Darüber  hinaus  enthält  das  römische  Recht  nur  zwei 
eigenthümliche ,  auf  besonderer  gesetzlicher  (Edikts-)Vor- 
schrift  beruhende  Rechtssätze: 

Einmal  das  mit  dem  interdictum  de  tabulis  exhibendis  zu 
verfolgende  Recht  des  Erben  oder  sonst  letztwillig  Bedachten 
auf  Vorweisung  der  betreffenden  letztwilligen  Urkunde: 
!.  1  §  2,  1.  3  §  10  D.  de  tabul.  exhib.  (43,  5). 

Sodann  die  Pflicht  der  Bankiers  (argentarii)  und  Wechsler 
(ntunmularii  —  Bankiers  zweiter  Ordnung),  allen  denjenigen 
Personen,  mit  welchen  sie  in  Geschäftsverbindung 
stehen,  diejenigen  Rechnungsbücher  (rationes) ,  welche 
und  insoweit  sie  Über  die  diese  Personen  betreffenden 
Rechtsverhältnisse  Auskunft  geben,  auch  dann  vorzulegen, 
wenn  ihr  Geschäftsfreund  nicht  mit  ihnen  selbst,  sondern  mit 
einem  Dritten  einen  Rechtsstreit  führt  und  für  solchen 
Rechtsstreit  jene  Buchvermerke  von  Erheblichkeit  sind : 
1.  10  pr.  D.  de  edendo  (2,  13). 

Der  Grund  dieser  von  den  römischen  Juristen  selbst  als 
durchaus  singulär  betrachteten  und  auf  die  eigenthümliche, 
gewissermaassen  öffentliche  Rechtsstellung  der  vielfach  privile- 
girten  Bankiers  (vgl.  oben  S.  277)  zurückgeführten  Rechts- 
bestimmung : 

1.  10  §  1  vgl.  1.  4  §  1  D.  de  edendo  (2,  13), 
liegt  auf  der  Hand.  Die  römischen  Bankiers  und  Wechsler 
waren,  ähnlich  den  holländischen  Kassirem,  in  geringerem 
Maasse  auch  den  heutigen  Depositen-  und  Giro-Banken,  allen- 
falls gewissen  Privatbankiers  und  Notaren,  die  Vermögens- 
verwalter ihrer  Geschäftsfreunde,  welche  wenig  baare  Kasse 
zu  fuhren  pflegten.  Sie  nahmen  von  ihnen  Depositen  an  und 
für  sie  Zahlungen  entgegen,  leisteten  Zahlungen  von  einem 
Konto  auf  das  andere  durch  Umschreibung  (Giro),  führten 
mit  vielen  Personen  Kontokorrente  u.  s.  f.  Ihre  Rechnungs- 
bücher (rationes)  waren  so  ihren  Kunden  gegenüber  >gemein- 


Rechtlicbe  Belencblupg.  297 

schaftliche  Urkunden c  im  eminenten  Sinne  des  heutigen 
Rechts.  Da  aber  das  römische  Recht  diesen  Begriff  noch 
nicht  kannte,  da  femer  eine  actio  ad  exhibendum  auf  Vor- 
legung dieser  Urkunden,  welche  }a  unzweifelhaft  nur  dea 
Bankiers  gehörten,  dem  Geschäftsfreunde  nicht  zustand,  eine 
actio  mandati  oder  dergleichen  sich  insofern  bezweifeln  Hess, 
als  die  Rechnungsführung,  streng  genommen,  nicht  im  Auf- 
trage der  Geschäftsfreunde  und  nicht  lediglich  in  deren  Inter- 
esse geschah,  aus  gleichem  Grunde  auch  die  —  übrigens  einer 
späteren  Epoche  angehOrige  —  erweiternde  actio  in  factum 
versagte,  so  mnsste  die  Editionspflicht  besonders  geregelt 
werden,  zumal,  da  sehr  häufig  Um-  und  Zuschreibungen  auch 
ohne  speziellen  Auftrag  geschehen  mochten. 

Aber  es  findet  sich  keine  Spur,  dass  jeder  beliebige 
Dritte,  dessen  Interesse  etwa  durch  einen  Eintrag  in  den 
Buchem  des  Bankiers  berührt  wurde,  einen  Anspruch  auf 
Edition  gehabt  hätte,  vielmehr  ergeben  die  Quellen  — 

anders,   aber   unrichtig.    Wetzeil,   Civilprozess   §  24 
S.  224  Note  16  — 
das  klare  Gegentheil: 

1.  4  pr.  §  1  D.  de  edendo  (2,  13): 

Argentariae  mensae  exercitores  rationem  quae 
ad  se  pertinet,  edent  — .  Huj'us  edicti  ratio 
aequissima  est:  nam  cum  singulorum  rationes 
argentarii  conficiant,  aequum  fuit,  id  quod  mei 
causa  confecit  meum  quodammodo  in- 
strumentum  mihi  edi. 
1.  6  §  5  eod. : 

Nur  Derjenige    darf   Edition    verlangen,    si   ad 
eum  pertineat   (sc   ratio),    pertinere  autem 
videtur   ad   me   ratio,   si  modo  eam  tractaveris  me 
mandante. 
I.  9  §  4  eod.: 

Ad  nos  enim  pertinet  non  tantum  cum  ipsi  con- 
traximus  vel  successimus  ei  qui  contraxit, 
sed  etiam  si  is,  qui  in  nostra  potestate  est,  con- 
'  traxit. 

Gleiches  gilt  von  den  nummularii : 
1.  9  §  2  eod.: 

Quia  et  hi   nummularii   sicut  argentarii  rationes 


ogic 


298      Ueber  Editionipflicht,  intbei.  betr.  gemdnicIiaFtl.  Urknaden  etc. 

conficiunt,   quia  et   accipiimt  pectmiam  et  erogant 
per  partes,  quanim  probatio  scriptura  codidbusque 
eomm  maxime  coatinetar :  et  frequentissime  ad  fidem 
eonim  decmritur. 
Daher  denn   auch   umgekehrt   —   was  bei  der  entgegen- 
gesetzten Ansicht  völlig  unerklärlich  wäre  —  der  argentarins, 
welchem  etwa   seine  Bücher  verloren   gegangen  waren,   von 
dem   dritten   Besitzer,   d.  h.   eben  dem  Geschäftsfreunde,   die 
Edition  der  die  gemeinschaftlichen  Rechtsverhältnisse  betreffen- 
den Urkunden,  z.  B.  die  diesem  zugestellten  Kootokorrent- 
auszttge  fordern  durfte:  ^ 

1.  6  §§  8,  9  D.  eod. 
Richtig  schon: 
Casaregis,  discursus  legales  de  commercio,  discursus 

102  Nr.  5. 
Bayer,  Vorträge  S.  955 ff. 

V.  Vangerow,  Pandekten  [7.  Aufl.)  Ol  §  708  S.  643. 
Demelius,  Die  Exhibitionspflicht  S.  250  ff. 
Für  das  heutige  Recht,  das  den  weiten  Begriff  der 
»gemeinschaftlichen  Urkundec  kennt,  fällt  so  unzweifelhaft 
die  gegenwärtig  nicht  mehr  singulare  Editionspflicht  der 
römischen  Bankiers  unter  den  zweiten  alsbald  zu  erörternden 
Editionsgrund.  Bestände  aber  wirklich  nach  römischem  Recht 
eine  darüber  hinausgehende  Editionspflicbt  der  argentarii,  so 
wäre  dieselbe  weder  jemals  Bestandtheil  des  gemeinen  Rechts 
geworden,  noch  könnte  sie  gegenwärtig  neben  und  ausserhalb 
der  Bestimmungen  der  C.P.O.  über  die  Edition  >gemeinschaft- 
licher  Urkundenf  gelten. 

Gleiches  versteht  sich  von  den  singulären  Rechtssätzen, 
betreffend  die  Editionspflicht  bei  den  gegen  den  Fiskus  ge- 
richteten Klagen: 

1.  2  §  1,  2  D.  de  iure  fisci  (49,  14) 
und  bei  der  Belangung  von  Zinswucberem : 

c.  1   §  1  in  Clement,  de  usuris  (5,  5).  — 

b.  Wegen  >Gemeinschaftlichkeitt  der  Urkuaden. 
§6. 

CP.O.  §  387  Ziffer  2  sagt: 

»Wenn  die  Urkunde  ihrem  Inhalte  nach  eine  für  den  Be- 
weisfUhrer  und  den  Gegner  gemeinschaftliche  ist« 


oogle 


Rechilich«  Beleaditang.  299 

Die  >Gemeinschaftlichkeit(  soll  bestehen  zwischen  dem 
Beweisfuhrer  und  dem  Gegner  —  hier  dem  iDritten*. 

Sie  soll  betreffen  den  »Inhalte  der  Urkunde,  d.  h.  es 
soll  ausreichen,  aber  auch  erforderlich  sein,  Gemeinschaftlich- 
keit des  ilnhaltsf,  nicht  erforderlich  sein  Gemeinschaftlichkeit 
des  >Rechts  an  der  Urkunde«  (Miteigenthum  u.  dgl.),  noch 
sonst  ein  besonderes  Recht  an  der  Urkunde  oder  auf  dieselbe, 
weil  all  dies  bereits  durch  Ziffer  1  fvgl.  §  5)  gedeckt  ist 

Als  Beispiele  solcher  Urkunden,  welche  ihrem  Inhalt 
nach  für  den  Beweisführer  und  für  den  Gegner  —  für  den 
Dritten  —  gemeinschafthch  sind,  werden  genannt: 

1.  Urkunden,  welche  im  Interesse  des  BeweisfUhrers  und 
seines  Gegners  (Dritten)  errichtet  sind. 

2.  Urkunden,  welche  deren  igegenseitigeRechtsverhält- 
nisse«,  d.  h.  Rechtsverhältnisse,  welche  zwischen  dem 
Beweisfuhrer  und  dessen  Gegner  (Dritten)  bestehen, 
beurkunden. 

Nur  eine  Abart  von  1  oder  2  bilden  die,  um  einer  zu 
engen  Deutung  der  Worte  »Urkunden«,  »beurkunden«,  »er- 
richtete zu  begegnen,  ausdrücklich  (»gelten  auch«)  hinzu- 
gefügten : 

»Schriftliche   Verhandlungen,    welche  über  ein 
Rechtsgeschäft     zwischen     den     Betheiligten     oder 
zwischen  einem   derselben  und  dem  gemeinsamen 
Vermittler  des  Geschäfts  gepflogen  sind.« 
Dass  das  Gesetz  Beispiele  nennt,   ergibt  der  Zusatz  »ins- 
besondere«.   Darüber  sind  auch  die  Kommentatoren  der  Pro- 


mit  einziger  Ausnahme  von  Hetlmann  zu  §  387  — 
einig.  Man  wollte  vorsichtiger  Weise  etwa  prinzipiell  gleich- 
stehende nicht  genannte  Fälle  nicht  ausscbliessen. 

Das  Wort  »insbesondere«  fehlte  Übrigens  sowohl  in  den 
früheren  Entwürfen,  wie  in  den  der  gegenwärtigen  Fassung 
des  §  387  zu  Grunde  liegenden  deutschen  Prozessgesetzen: 

Preuss.    Entwurf    von    1864    §    440.      Bayerische 
Prozessordnung    von   1869   Art.   386.     Württem- 
bergische Prozessordnung  von  1868  Art.  537. 
Vgl.   auch   Protokolle   der   Prozesskommission   für  den 
in  Hannover  (im  Auftrage   der    deutschen  Bundes- 

,  Google 


300      Ueber  EdilFonspSicbt,  inibe*.  betr,  gcmdniclurcl.  Urkundeii  etc. 

veTsammlung)  ausgearbeiteten  Entwurf   S.  2486  ff., 
5768  fi 
Erst  die  seit  1869  abgefassten  Entwtlrfe  enthalten  diesen 
Zusatz,    ohne  dass  die  Motive  über  den  Grund  der  Hinzu- 
fUgung  weiteren  Aufschluss  geben. 

Es  wäre,  da  ohnehin  die  verständige  analoge  Anwendung 
des  Gesetzes  dem  Richter  freisteht,  um  der  Sicherheit  der 
Rechtstlbong  willen  besser  weggelassen  worden.  Auch  sind 
alle  namhaften  Kommentatoren  der  Prozessordnung  darüber 
einig,  dass  sich  kaum  ein  Fall  einer  wahren  >gemeinschaft- 
licbeni  Urkunde  denken  lässt,  welcher  nicht  unter  die  aus- 
drücklich genannten  Rubriken  fiele: 

Vgl.   z.  B.   Struckmann-Koch,   v.  Wilmowsky- 
Levy,     V,     Sarwey,     L.     Seuffert,     Gaupp, 
V.  Bülow  ad  h.  1. 
Die  Vollmachtsurkunde,   welche  Puchelt   h.  1.  noch  da- 
neben nennt,  fällt  unter  die  Rubrik   >für  die  Personen,    in 
deren  Interesse  sie  errichtet  sind«;  ob  die  > Aufzeichnung  eines 
dritten  Zeugen  über  die  Vorverhandlungen  unter  den  Par- 
teienc  (v.  Wilmowsky  und  Levy  h.  1.)  dahin  gehört,  ist 
allgemein  nicht  zu  entscheiden. 

Aber  zurückzuweisen  ist  doch  durchaus  die  aus  dieser 
Fasstmg  des  Gesetzes  möglicher  Weise  hergeleitete  Folgerung, 
dass  es  sich  um  blosse  »Beispielec  handle,  derart,  dass  das 
richterliche  Ermessen  völlig  freien  Spielraum  habe: 

So  anscheinend  (?)   unter  den  Kommentatoren  Ende- 
mann h.  1.  —  wohl  in  Konsequenz  seiner  Paralleli- 
sirung    der  Editionspflicht    mit  der   Zeugnisspflicht 
(Beweislehre  des  Civilprozesses  S.  443). 
Das  Gesetz  hat  im  Gegentheil,  um  Zweifel  und  Unsicher- 
heit abzuschneiden,   insbesondere  um  der  mitunter  versuchten 
ungemessenen  Ausdehnung   der   Editionspflicht  nach  Art  der 
Zeugnisspflicht  entgegenzutreten,   den  immerhin  unbestimmten 
Begriff    der    igemeinschaftlichen    Urkundenc    in    dem   Sinne 
fisiren  wollen  und  fixirt,  in  welchem  er  von  der  bisherigen 
gemeinrechtlichen  Doktrin  und  Praxis  und  insbesondere  der 
neuen  Civilprozessgesetzgebung   Bayerns   und   Württembergs 
weitaus  überwiegend  anerkannt  war. 
Vgl.  oben  §  5. 
Ueber  die,  CP.O.  §  387,  als  »Beispiekf  genannten  Fälle 


Recbtlkfae  Beleachtniig.  -  301 

ist  die  besonnene  Praxis  des  gemeinen  Rechts  nicht  hinaus- 
gegangen, vielmehr  sehr  häufig  weit  dahinter  zurückgeblieben. 
Abgesehen  von  den  eigentlich  gar  nicht  hierher  gehörigen, 
vielmehr  schon  durch  das  römische  Recht  (actio  ad  exhiben- 
dum  bezw.  actio  in  factum  und  sonstige  KJagen)  normirten 
Fällen  der  Gemeinschaftlichkeit  des  Rechts  an  der  Urkunde 
oder  deren  ausschliesslicher  »Zugehörigkeit  <  an  den  Beweis- 
fuhrer: 

vgl.  oben  §  5  S.  287  ff. 
verstand  man  darunter  entweder: 

LedigUch  Urkunden,  welche  Über  ein  zwischen 
mehreren   Interessenten    abgeschlossenes  Rechts- 
geschäft errichtet  waren; 
z.  B.  v.  Linde,  Zeitschrift  für  Civilrecht  und  Prozess 

Bd.  I  S.  220 ff.; 
wesentlich  auch  Seuffert,  Praktisches  Pandektenrecht 
§  434.    Urtheil  des  Oberappellationsgerichts 
Jena  1835  (Seuffert's  Archiv  IV  Nr.  169); 
oder  doch: 

Urkunden  über  ein  zwischen  dem  BeweisfUhrer 
(bezw,   dessen  Rechtsvorgänger)  und  dem  Inhaber 
der  Urkunden  bestehendes  Rechtsverhältniss  und 
zu  dem  Zwecke  errichtet,  um  für  den  Inhalt  dieses 
Rechtsverhältnisses  beiden  Theilen  bezw.  deren  Rechts- 
vorgängem  als  Beweismittel  zu  dienen: 
Urtheile    des  O.A.G.'s  Lübeck    1875  (Seuffert's 
Archiv  XXXII  Nr.  196),    vgl.  Urtheile  von  1841, 
1852,   1857  (Frankf.   [Sauerländer's]  Sammlung 
in  S.  398  f£. ;  Jurisprudenz  —  in  bürgerlichen  Rechts- 
sachen —  aus  Lübeck,  redigirt  von  Wunderlich, 
II  S.  80,  81). 
O.A.G.    Darmstadt    1858    und    sonst   (Seuffert's 
Archiv  XIII  Nr.  291,  auch  Zeitschr.  f.  Handelsrecht 
n  S.  291);  vgl.  Schäffer  im  Archiv  f.  praktische 
Rechtswissenschaft  VI  S.  129  fi    O.A.G.  Celle  1840 
(Seuffert's  Archiv  I  Nr.  375).    O.A.G.  Kassel 
1840  (eod.  I    Nr.    130).     O.A.G.   Wolfenbüttel 
1840  (eod.  XX  Nr.  84)  — ; 
oder  doch  mindestens: 

Urkunden,  welche  sich  objektiv  auf  das  Rechts- 


302      Ueb«r  Editionapfticht,  iniba.  betr.  gemeintcbafU.  Urkandeo  «tc. 

verhältniss  des  BeweisfUhrers   und  des  Gegners  be- 
ziehen   und    im   beiderseitigen   Geschäfts- 
interesse errichtet  sind,  -wenn  auch  nicht  noth- 
weodig   in   der  Absicht ,    (überhaupt  oder  beiden 
Theilen)  als  Beweismittel  zu  dienen: 
Urtheile    des  Oberappellationsgerichts   Rostock    1873 
(Seuffert's  Archiv  XXIX  Nr.  85),   1846,    1850, 
1853    (Buchka   und    Budde,    Entscheidungen   III 
S.  22  ff.),   1856  (Seuffert's  Archiv  XVI  Nr.  157), 
womit  wesentlich  die  Formulirung  übereinstimmt, 
dass  die  Urkunde,   um  > gemeinschaftlich <  zu  sein, 
in   »Angelegenheiten  des  BeweisfUhrers   und   des 
Gegners«    errichtet    oder  angefertigt   sein   mllsse, 
z.  B.:  Glück,  Pandektenkommentar  XXII  S.  108; 
M.  Mittermaier,  a.  a.  O.  S.25ff.,  78;  v.  Van- 
gerow,   Pandekten   III   §  708  S.  643;   Renaud, 
Civilprozess  S,  355  §  125;  Demelius,  Exhibitions- 
pflicht  S.  269  ff.   und   auch  die  freilich   sehr  imbe- 
stimmte Fassung  Windscheids,  Pandekten  [auch 
8.  Aufl.]  II  §  474  a.  E.  sich  in  der  Hauptsache 
deckt. 
Nach  keiner   dieser  Auffassungen  genügt,    ist  vielmehr 
wiederholt  als  unzureichend  in  oberrichterlichen  Entscheidungen 
bezeichnet,  z.  B.  in  den  sehr  gründlichen  Urtheilen  der  Ober- 
appellationsgerichte zu  Lübeck  und  zu  Rostock,  dass  der 
Edition^mplorant  ein  Interesse  an  Einsicht  der  Urkunde  habe, 
oder  auch  nur,   dass  Über  dessen  Rechtsverhältnisse  die  nicht 
im   gemeinschaftlichen   Interesse    errichtete   Urkunde 
Auskunft    zu   geben   geeignet  sein   könnte.     Vgl.   oben   §   5. 
Dagegen  wird  man  nicht  irren,  wenn  man  von  den  nach  vor- 
stehender Ausführung    in   der   gemeinrechtlichen   Praxis  ver- 
tretenen Auffassungen  wesentlich  die  letzte,  somit  die  Editions- 
pflicht   am    weitesten    ausdehnende    (Ober^pellationsgericht 
Rostock)  durch  die  Civilprozessordnung  sanktionirt  findet.  Dem 
entsprechen  Wortlaut  wie  Inhalt  der  allgemeinen  Rubrik  nicht 
minder  als  die  ausdrücklich  hervorgehobenen  Fälle. 
Es  reicht  hiernach  nicht  aus: 

1)  dass  die  Urkunde  über  etwaige  Rechtsverhältnisse  oder 
darauf  bezügliche  Thatsachen  Auskunft  gibt,  welche  den  Edi- 
tionskläger betreffen,  sofern  diese  Rechtsverhältnisse  nicht  dem 


,  Google 


RecKÜiche  Bdeachtacg.  303 

Editioosklager  und  dem  Editionsbeklagteo  gemeinschaft- 
liche sind; 

2)  dass  die  Urkunde  ihrem  Inhalt  nach  fUr  die  streiten- 
den Thejle  gemeinschaftlich  geworden  ist,  sofern  sie  es  zur 
Zeit  ihrer  Errichtung  nicht  war  {»errichtet  ist»  —  »be- 
urkundet sind«):  die  iGemeinschaftlichkeitt  muss  bei  der  Er- 
richtung vorhanden  gewesen  sein. 

Vgl.  auch  z.  B.  die  Kommentare  vonGaupp,  Struck- 
manu- Koch,    Wilmowsky    u.    Levy,    Ende- 
mann b.  1.  und  I.  4  §  1  D.  de  edendo  (2,  13):  quas 
mei  causa  confecit'; 
endUch  3)  dass  die  Urkimde  ihrem  Inhalt  nach  einmal 
eine  für  die  Streitenden  »gemeinschaftliche*   war,   sofern   sie 
es   zur  Zeit   der  Erhebung  der  Editionsklage  nicht  mehr  ist. 
Es  besteht  keine  Editionspflicht  in  Betreff  erledigter  Rechts- 
verhältnisse : 

—  ne  forte  supervacuas  rationes  —  edi  sibi  postu- 
let  — ,  1.  6  §  2,  1.  9  §  3,  4  D.  de  edendo  (2,  13). 
Vgl.  unten  §  7. 

C.    Anwendung  auf  den  Streltftill. 
§7- 
Die  Pflicht  zur  Vorlegung  oder  gar  zur  Mittheilung  von 
HandelsbUchem    unter    dem    hier    noch     allein    in    Betracht 
kommenden  Gesichtspunkt   der   »GemeinschafÜichkeit   des  In- 
haltst — 

denn  dass  ein  anderer  Editionsgrund  des  »bürger- 
lichen Rechts«    nicht    voriiegt   und  dass  die   Vor- 
schriften des  AUg.  Deutschen  Handelsgesetzbuchs 
theils  nicht   zutreffen,   theils  sogar  entgegenstehen, 
ist  früher  dargelegt  worden:  §§  3 — 5.  — 
unterliegt  durchaus  den  allgemeinen,  im  §  6  entwickelten  Er- 
fordernissen.    Dass    jedes    >Handelsbuch «    schlechthin    und 
Jedennann  gegenüber  eine  »gemeinschaftliche  Urkunde«  sei, 
ist  eine  völlig  grundlose  Annahme,  welcher  sogar  das  römische 


'  Dan:     Unheil     du    Reichsgerichti     III.     CS.    vom     U.    Mai    l8Si 
(Seuffert'»  Archiv  XXXVII  Nr.  348). 


izecoy  Google 


304     Ueber  Ediiionipllicht,  inabc«.  betr.  gemdiMclitfil.  Urkuiid«ii  eic. 

Recht   hinsichtlich   der   Rechnungsbücher   der  ßantders  nicht 
zur  Seite,  sondern  entgegensteht. 

Vgl.  §  5  a.  E. 
S.    auch    die    zahlreichen ,    gerade    auf    Handels- 
bücher bezüglichen  und  deren  Pflicht  zur  Edition  unter 
dem   Gesichtspunkt  der    >Genieinschaftlichkeit  der   Ur- 
kunden<  verneinenden  Entscheidungen  des  Ober-Appel- 
lationsgerichts   zu    Lübeck    (Frankfurter   Sammlung 
[Sauerländer]  mS.398ff.,  406,  IVS.331).   Gaupp, 
Kommentar  zu  CP.O.  II  Anm.  III  zu  §  387  Anm.  III 
zu  §  394. 
Demgemäss   kommt  es  nicht  darauf  an,   ob  die  Handels- 
bücher der  Gesellschaft  X.  &  Cie.    unter  irgend  einem 
denkbaren  Gesichtspunkt   zwischen   dieser  Gesellschaft 
und  den  Klägern  als  Theilerben  des  Kommerzienraths  W.  L.  X. 
gemeinschaftliche   Urkunden    sind   oder   gar   einmal    gewesen 
sind,  sondern  ob  sie  dies   gegenwärtig   und  zwar  unter 
dem  hier  allein   in  Betracht  kommenden  Gesichtspunkt  sind, 
weil  sie  Aufzeichnungen  des  Kompierzienraths  W.  L.  X.  oder 
dessen  Mitgesellschafter  enthalten,  welche  geeignet  erscheinen, 
sei  es  relevante  Rechtsbeziehungen  zwischen  den  Klägern  und 
der  Gesellschaft  X.  &  Cie.  oder  deren  Theilhabem  als  solchen, 
sei  es,  und  dies  vornehmlich,  kollationspflichtige  Zuwendungen 
des  Kommerzienraths  X,  an  einige  seiner  Erben  festzustellen. 
Indem  das  Urtheil  der  Kammer  für  Handelssachen  des  KOnigl. 
Landgerichts   zu  Köln  gerade  diesen  entscheidenden  Gesichts- 
punkt  ignorirt  und   aus  der    in    abstracto   angenommenen 
Gemeinschaftlichkeit  jener  Handelsbücher  zwischen  der  Gesell- 
schaft X.  &  Cie.  und  dem  Kommerzienrath   X.   die  Editions- 
pflicht der  ersteren  wider  die  Editionskläger  folgert,  verstösst 
es  gegen  die  maassgebenden  Rechtsgrundsätze. 

1.  Es  ist  insbesondere  rechtlich  völlig  gleichgiltig ,  ob 
der  Kommerzienrath  W.  L.  X.  seinerseits  einmal  berechtigt 
gewesen  wäre,  die  Vorlegung  dieser  Bücher  zu  dem  Behufe  zu 
beanspruchen ,  um  Über  diejenigen  Rechtsverhältnisse ,  in 
welchen  er  als  »Gesellschafter  t  oder  als  angebUcher  »Kunde* 
zur  Gesellschaft  X.  &  Cie.  gestanden  hat,  Auskunft  zu  er- 
langen. Nicht  minder  ist  rechtlich  völlig  gleichgiltig,  ob  den 
Erben  des  Kommerzienraths  X. ,  allen  zusammen  oder  auch 
nur  einzelnen  derselben  besonders,  ein  Editionsrecht  zu  diesem 


„Google 


Rechtliche  Beleuchtung.  305 

Behufe  zugestanden  haben  würde.  Denn  diese  Rechts- 
verhältnisse berühren  hier  überall  nicht.  Sie  sind 
aber   auch   rechtlich   vollständig   erledigt. 

Die  Kolorirung,  welche  die  Kläger  in  dieser  Richtung 
ihren  Ansprüchen  gegeben  haben,  ist  rechtlich  darchans  un- 
haltbar, und  erledigt  sich  damit  zugleich  von  selbst  und  voll- 
ständig deren  eventueller  Anspruch  auf  Rechnungslegung, 
welchen  die  Kammer  für  Handelssachen  des  Königl.  Land- 
gerichts zu  Köln  zwar  formell  zurückgewiesen,  materiell  aber 
insofern  für  statthaft  erachtet  hat,  als  die  »Rechnungslegung  t 
in  der  Vorlegung  der  HandelsbUcher  enthalten  sei. 

Es  steht  —  mindestens  nach  Behauptung  der  Beklagten  — 
fest,  dass  der  Kommerzieorath  W.  L.  X.  selbst  imd  dass  dessen 
Erben  mit  der  Gesellschaft  X.  &  Cie.  vollständig  ab- 
gerechnet haben. 

In  welcher  Weise  die  »Abrechnungc  vollzogen  ist,  er- 
scheint rechtlich  gleichgiltig -,  es  genügt  dazu,  nach  fester 
Praxis,  sogar  eine  Nichtbemängelung  des  zugestellten  Rech- 
nungsauszuges, überhaupt  aber  jede,  auch  nur  stillschweigende, 
wenn  nur  unzweideutige  Anerkennung  des  im  laufenden  Ge- 
schäftsverkehr für  den  einen  oder  den  andern  Thei!  ordnungs- 
gemäss, wenn  auch  nur  einseitig  festgestellten  Gesammtschuld- 
betrags  (Saldo).  Die  vollzogene  Abrechnung  kann  nur  noch 
durch  den  Nachweis  des  Betrugs  oder  Irrthums  angefochten 
werden;  solange  die  Anfechtung  nicht  durchgeführt  ist,  ver- 
bleibt es  bei  dem  durch  die  Abrechnung  bindend  festgestellten 
Rechtsverhältniss. 

H.G.B.  Art.  294. 

V.  Ha  h  n ,  Kommentar  zu  H.G.B.  Art.  294,  291  (3.  Aufl.) 
und  die  dort  citirten  Entscheidungen  des  Reichs- 
oberhandelsgerichts. 
Goldschmidt,  in  der  Zeitschr.  f. HandelsrechtXS. 556 ft 
Stobbe,    Lehrbuch    des    deutschen    Privatrechts    in 

S.  81  [3.  Aufl.  S.  196]. 
Grünhut,    in    der    Zeitschrift    für    Öffentliches   und 
Privatrecht  der  Gegenwart  (Gr.'s  Zeitschr.)  Bd.  HI 
S.  508  ff.,  524  ff.  und  Cit. 
Windscheid,  Pandekten  §  412b  [8.  Aufl.  S.  777]. 
Nach  Behauptung  der  Beklagten  liegen  nun  sogar  von 
der  eigenen  Hand  des  Kommerzienraths  W.  L.  X.  geschriebene 


.oogic 


306     UebcT  EditioDSpflicht,   insbes.  betr.  gemeiiuchaftl.  UrlcundeD  «ic. 

Privatbilanzen  vom  Jahre  1867  ab  bei  den  Gerichtsakten;  in. 
diesem  »Privatbilanzbuch«  soll  derselbe  am  Schlüsse  eines 
jeden  Jahres  sein  Kapitalkonto  durch  Auistellung  sänuntlicher 
Saldi,  also  auch  den  Saldo  bei  der  Firma  X.  &  Cie.  fest- 
gestellt und  alljährlich  die  Richtigkeit  dieser  Aufstellung  durch 
den  Vermerk  beglaubigt  haben: 

»Vorstehende    Bilanz  ■  Aufstellung     meines    Ver- 
mögens wird  hiermit  als  richtig  von  mir  anerkannt. 

Köln  (oder  M.),  den 

gez.  W.  L.  X.« 
und   dieses  Privatbilanzbuch  nebst  den  darin  ausgesprochenen 
Anerkenntnissen  soll    derselbe  jedes  Mal,   sofort  nach  Fertig- 
stellung der  jeweiligen  Bilanz,  seinem  Sohne  Theodor  X.,  dem 
Theilhaber  der  Gesellschaft  X.  &  Cie.,  übergeben  haben. 

Schwerlich  lässt  sich  eine  präzisere  und  unzweifelhaftere 
Form  der  Abrechnung,  vollzogen  zwischen  einem  geschäfts- 
filhrenden  Theilhaber  einer  offenen  Handelsgesellschaft,  welcher 
sogar  selbst  die  Bilanz  aufmacht  und  den  Saldo  zieht,  und 
einem  zweiten  geschäftsfuhrenden  Theilhaber  derselben  Gesell- 
schaft, denken. 

Es  haben  aber  weiter,  wie  bereits  in  dem  vorausgeschickten 
>Thatbestande«  sub  I  (oben  S,  258)  erörtert  ist,  die  sämmt- 
lichen  Erben  die  ihnen  von  dem  geschäftsführenden  Theilhaber 
der  Gesellschaft  Herrn  Theodor  X.  vorgelegte  Berechnung 
des  Guthabens  ihres  Erblassers  gegen  die  Gesellschaft  X.  &  Cie. 
als  richtig  anerkannt.  Es  haben  endlich  die  klagenden  Erben, 
insbesondere  durch  die  lediglich  diesem  Zwecke  bestimmten 
wechselseitigen  Schreiben,  den  Betrag  des  jedem  Einzelnen 
gegen  die  Gesellschaft  zustehenden  bezw.  von  dieser  als  Schuld- 
nerin übernommenen  Guthabens  festgestellt  (oben  S.  259). 

Sie  prätendiren  auch  jetzt  nicht,  wie  zutreffend  das  Ur- 
theil  der  Kammer  für  Handelssachen  des  Königl.  Landgerichts 
zu  Köln  hervorhebt,  dass  ihnen  irgend  welche  Ansprüche,  mit 
Ausnahme  der  allseitig  unstreitigen,  gegen  die  Gesellschaft 
zustehen,  noch  behaupten  sie ,  dass  die  Gesellschaft  wider  sie 
irgend  welche  Ansprüche  erhebt;  noch  dass  sie  etwa  gegen 
Dritte  ihnen  überwiesene  Gesellschaftsschuldner  dergleichen 
Ansprüche  zu  erheben  berechtigt  oder  gewillt  seien;  noch 
endlich,  dass  sie  von  Dritten  aus  den  Beziehungen  ihres  Erb- 
lassers zur  Gesellschaft  in  Anspruch  genommen  werden.    Die 


Rechtliche  Beleucbtnng.  307 

HandelsbUcher  der  Gesellschaft  X.  &  Cie.,  welche  allerdings 
zwischen  dem  Erblasser  der  Editionskläger  bezw.  diesen  selbst 
und  der  Gesellschaft  X.  &  Cie.  insofern  gemeinschaftliche 
waren  oder  gewesen  wären,  als  dergleichen  Rechtsverhält- 
nisse in  Frage  standen,  haben,  falls  sie  solches  einmal  für  die 
Erben  waren,  schlechthin  tmd  in  allen  Beziehungen  auf- 
gehört, gemeinschaftlich  2u  sein.  Der  Editionsanspruch  aus 
dem  Grunde  auch  der  »Gemeinschaftlichkeitc  besteht  nicht 
um  seiner  selbst  willen,  sondern  nur  als  Schutzmittel  eines 
anderweitigen  rechtlichen  Interesses  und  cessirt  mit  diesem : 
I.  3  §§  9,  12  I.  19,  I.  12  §  ult.  D.  ad  exfaib.  (10,  4). 
Auch  die  I.  18  eod.,  welche  nach  Erlöschen  des  Schuld- 
Verhältnisses  dem  gewesenen  Gläubiger  eine  Klage  auf  Heraus- 
gabe des  Schuldscheins  gewährt,  geht  nicht  gegen  den  ge- 
wesenen Schuldner,  sondern  gegen  den  dritten  Inhaber,  z.  B, 
bei  Verletzung  des  noch  bestehenden  Eigenthumsrechts :  »ab 
alio  quam  debitore.< 

Vgl.  auch  Urtheil  des  Stadtgerichts  zu  Frankfurt  a/M. 
(Entscheidungen     des     Ober- Appellationsgerichts     zu 
Lübeck  in  Frankfurter  Rechtssachen  [Sauerländer] 
IV   S.   320):    Nicht  Editionsklage   auf  die  Vertrags- 
urkunde über   einen  wieder   aufgehobenen  Societäts- 
vertrag.     Heidenfeld   in   Behrend's   Zeitschrift 
in  S.  342, 
Zum  Behufe   einer,   übrigens   anscheinend   gar  nicht  be- 
zweckten   künftigen    Anfechtung    der    vollzogenen  Ab- 
rechnungen aber  dürfte  doch  die  beklagte  Gesellschaft  schwer- 
lich   verbunden   sein,    ihre  Handelsbücher  den    Klägern   vor- 
zulegen!   Oder  sollten  etwa  >Rechnungsirrthümer«  behauptet 
werden  ? ! 

Vgl.  hamburgische  Handelsgerichtszeitung  von  1869 
Nr.  104. 
2.  Angenommen  weiter,  dass  die  Handelsbücher  der  Ge- 
sellschaft, wie  Kläger  behaupten,  Aufzeichnungen  über  die 
angeblich  von  ihrem  Erblasser  an  einige  seiner  Söhne  ge- 
machten kollationspflichtigen  Zuwendungen  enthalten,  so  würden 
dergleichen  Aufzeichnungen  zwar  die  Rechtsverhältnisse  der 
Kläger  berühren,  aber  nicht  solche,  welche  den  Klägern 
mit  der  Gesellschaft  X.  &  Cie.  gemeinschaftlich 
wären.     Es  würde   sich  um   Interessen    nicht   des  Erblassers 


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306      Ueber  EditioDtpflicfat,  i'nsba.  betr.  gemeinschklU.  Urkonden  etc. 

oder  dessen  Erben  in  ihrer  Eigenschaft  als  dessen  Saccessoren, 
sondern  lediglich  um  die  Sonder interessen  einzelner  Miterben 
gegen  einander  handeln,  welche  die  Gesellschaft  durchaus 
nichts  angehen.  Die  Aufzeichnungen,  welche  diese  Rechts- 
verhältnisse berühren,  oder  darüber  Auskunft  geben,  waren 
»blosse  Privatannotationen  des  Erblassers  oder  seiner  Theil- 
haberc,  auf  deren  Mittheilung  imter  dem  Gesichtspunkt  der 
»Gemeinschaftlichkeit«  keinerlei  Anspruch  gegen  die  Gesell- 
schaft bestände. 

Vgl.  z.  B.  Urtheil  des  Ober-Appellationsgerichts  zu 
Oldenburg,  1848  (Seuffert 's  Archiv  III  Nr.  119), 
vgl.  Celle,  1840  (eod.  I  Nr.  375);  s.  auch  die  früher 
citirten  Urtheile  des  O.A.G.'s  zu  Lübeck  (Frank- 
furter Sammlung  III  S.  398  ff.,  406). 

Um  so  weniger,  als  die  allein  denkbarer  Weise,  wenn 
auch  nur  thatsächlich  die  Gesellschaft  berührenden  Zu- 
wendungen, welche  durch  die  Aufnahme  der  Gebrüder  Th., 
O.  und  W.  X.  in  die  Gesellschaft  X.  &  Cie,  und  die  mit  dieser 
Aufnahme  verbundenen  Stipulationen,  insbesondere  die  Fest- 
legung des  erblasserischen  Guthabens  in  der  Piandltmg,  ge- 
macht sein  könnten,  gar  nicht  dem  Rapport  unterliegen,  Code 
Napoleon  art.  854,  es  müsste  denn  —  was  durch  das  Urtheil 
der  Civilkammer  des  KOnigl.  Landgerichts  vom  17.  November 
1880  als  völlig  grundlos  verneint  ist  —  nachgewiesen  werden, 
dass  der  Erblasser,  dessen  in  die  Gesellschaft  aufgenonunene 
Sohne  und  der  zur  Familie  nicht  gehörige  Theilhaber  Herr 
A.  M.  sich  zur  Gefahrdung  der  übrigen  Erben  freventlich 
verbunden  hätten. 

Waren  oder  wären  also  noch  jetzt  die  HandelsbUcber  von 
X.  &  Cie,  zwischen  der  Gesellschaft  und  dem  Erblasser  der 
Kläger  oder  diesen  selbst  hinsichtlich  eines  gewissen  Inhalts 
gemeinsam ,  so  doch  nicht  hinsichtlich  ihres  hier  allein 
relevanten  angeblichen  Inhalts. 

Man  nehme,  um  dies  zu  verdeutlichen,  folgenden  Fall. 
A.  steht  mit  B.  in  der  Gesellschaft  A.  &  Cie.  In  der  ge- 
schäftlichen Korrespondenz  zwischen  A.  und  B.  werden  Ver- 
handlungen, Verträge  und  dgl.  erwähnt,  welche  zwischen  A. 
und  C.  oder  zwischen  B.  und  D.  oder  zwischen  C.  und  D. 
stattgefunden  haben,  oder  Zuwendungen,  welche  A.  gewissen 
Personen,  künftigen  Erben  oder  Dritten  (X.,  Y.,  Z.)  gemacht 


Rechtliche  Belenchiung.  309 

hat,  was  aber  alles  die  Rechtsbeziehungen  zwischen  A.  und  B. 
bezw.  zur  Gesellschaft  A.  &  Cie.  gar  nicht  berührt.  Dürfte 
nun  A.,  welcher  aus  der  fortbestehenden  Handlung  A.  &  Cie. 
ausgetreten  ist,  oder  dürften  Erben  des  A.  oder  dürften  X., 
Y.,  Z.  oder  dürften  etwa  C.  oder  D.  von  A.  &  Cie.  die  Vor- 
legung der  Handelsbücher  von  A.  &  Cie.  als  »gemeinschaft- 
lichere Urkunden  begehren,  um  darauf  Ansprüche  gegen  C. 
oder  (X.,  Y.,  Z.)  gegen  dritte  Personen  (Miterben  u.  s.  w.)  zu 
gründen,  oder  sich  gegen  Ansprüche  von  D.  oder  C.  zu  ver- 
theidigen  ?  Nur  wer  diese  Frage  bejaht,  dürfte  dies  auch  für 
unsem  Fall  thun. 

3.  Weder  also  liegt  der  Fall  vor,  dass  die  betreffenden 
HandelsbUcher  von  X.  &  Cie.  in  ihrem  hier  allein  relevanten 
Inhalt  im  Interesse  der  Gesellschaft  X.  &  Cie.  einerseits  und 
des  Erblassers  der  Kläger  oder  dieser  selbst  andererseits  er- 
richtet sind;  noch  dass  in  denselben  in  ihrem  hier  allein 
relevanten  Inhalt  gegenseitige,  d.h.  zwischen  der  Gesell- 
schaft X.  &  Cie.  einerseits  und  dem  Erblasser  der  Kläger 
oder  diesen  selbst  andererseits  bestehende  oder  auch  nur  be- 
standene Rechtsverhältnisse  beurkundet  sind  —  da 
ja  vielmehr  die  etwa  zwischen  dem  Erblasser  und  dessen 
Kindern  oder  zwischen  diesen  unter  einander  begründeten,  aus 
den  Handelsbüchem  der  Gesellschaft  ersichtlichen  rechtlichen 
Beziehungen  die  Gesellschaft  in  keiner  Weise  berühren  und  zu 
dergleichen  Aufzeichnungen  die  Handelsbücher  der  Gesellschaft 
weder  bestimmt  waren,  noch  sind  — ;  noch  dass  es  sich  um 
»Verhandlungen  über  ein  Rechtsgeschäft*  handelt;  noch  end- 
lich treffen  die  für  jede"  »gemeinschaftliche«  Urkunde  gelten- 
den wesentlichen  rechtlichen  Kriterien  hier  zu. 

Wie  in  der  deutschen  gemeinrechtlichen  Praxis  derartige, 
aber  für  die  Editionsklage  noch  weitaus  günstiger  liegende 
Falle  behandelt  worden  sind,  zeigt  u.  A,  der  schon  mehrfach 
erwähnte,  in  den  Entscheidungen  des  Ober-Appellationsgerichts 
zu  Lübeck  (Sammlung  in  Frankfurter  Rechtssachen  [Sauer- 
lander] Bd.  IV  S.  319  ff.)  mitgetheilte  Rechtsfall.  — 

4.  Der  angestellten  Editionsklage  steht  überdies  ent- 
scheidend folgender  Grund  entgegen. 

Nach  der  Sachlage  besteht  kein  Zweifel ,  dass  die 
Kläger,  behufs  Ermittelung  angeblich  rapportpflichtiger  Zu- 
wendungen ,     eine    soweit     irgend    angängig    allgemeine 


Google 


310      Ueber  Editionspllicht,  in»b«a.  betr.  gemeiDschaftl.  UtknndcD  etc. 

Durchmusterung     der    Handelsbücher    der    Gesellschaft 
X.  &  Cie.  begehren. 

Nun  aber  ist  die  iMittheilungspflicht«:  nur  in  bestimmten 
Fällen,  unter  denen  keiner  vorliegt,  zugelassen,  in  allen  übrigen 
gesetzlich  ausgeschlossen, 

vgl.  oben  §  3  — , 
die  Editionspflicht  von  HandelsbUchem  aber,  soweit  solche  auf 
>Gemeinschaft1ichkeit  des  Inhaltsc  der  Handelsbücher  gestützt 
wird,  sicherlich  dem  Dritten  gegenüber  nicht  in  einem  weiteren 
Umfange  begründet  als  gegenüber  dem  Prozessgegner. 

Ist,  nach  CP.O.  §  394  —  weit  über  das  in  einem  grossen 
Theile  Deutschlands  bisher  geltende  Recht  hinausgebend  — 
der  Dritte  aus  den-selben  Gründen,  wie  der  Gegner  des  Be- 
weisfuhrers  zur  Edition  verbunden,  so  versteht  sich  auch,  dass 
er  dazu  nicht  in  einem  weiteren  Umfange  verbunden  sein 
kann,  als  der  Prozessgegner. 

Die  Grenze,  welche  in  dieser  Beziehung  die  ausdrücklich, 
im  Interesse  der  nothwendigen  Wahrung  der  Geschäftsgeheim- 
nisse aufrecht  erhaltenen  Bestimmungen  des  Art.  38  des 
D.RG.B.'s  hinsichtlich  der  Handelsbücher  ziehen, 

vgl,  oben  §  2  — , 
gilt  nothwendig  auch  dem  Dritten  gegenüber,  ja  diesem 
gegenüber  aus  noch  gewichtigeren  Gründen.  Es  würde,  wie 
keiner  weiteren  Ausführung  bedarf,  jedem  verständigen  Aus- 
legungsgrundsatz, der  klaren  Intention  des  Gesetzes,  dem  noth- 
wendig zu  berücksichtigenden  und  jeder  Zeit  anerkannten  Be- 
dUrfniss  des  Handelsstandes,  somit  jeder  Regel  einer  vernünf- 
tigen Gesetzespolitik  widerstreiten,  sollte  der  editionsp flichtige 
Dritte  sich  eine  allgemeine  Durchmusterung  seiner  Handels- 
bücher —  und  zwar  auch  nur  innerhalb  der  von  der  Kammer 
für  Handelssachen  des  Königl.  Landgerichts  zu  Köln  ge- 
zogenen Grenzen  —  gefallen  lassen,  damit  die  Editionskläger 
in  den  Stand  gesetzt  werden,  statt  für  bestimmt  formu- 
lirte  Behauptungen  genau  bestimmte  Beweis- 
mittel herbeizuschaffen,  das  fehlende  Behauptungs- 
material zu  beschaffen  oder,  unter  dem  blossen  Scheine  be- 
stimmter Behauptungen,  aus  einer  Durchmusterung  fremder 
Handelsbücher  mögliches  Beweismaterial  zu  gewinnen. 
Vgl.  oben  §  cJ  a.  E.,  auch  Hamburgische  Handels- 
gerichtszeitung 1873  Nr.  243,  1871  Nr.  64. 


Ogk 


RechtUche  Beleachtnng.  31t 

5.  Endlich  stände  einer  auf  Grund  des  §  387  der  Deut- 
schen C.P.O.  gleichwohl  anzunehmenden  Bditionspflicbt  der 
beklagten  Partei  die  vertrag  smässige  Ausschliessung 
dieser  Editionspflicht  entscheidend  entgegen. 

D.    Die  Bestimmungen  des  Gesellschaftsvertrages. 


i.  Der  am  26.  Juni  1869  zwischen  dem  Kommerzienrath 
W.  L.  X.,  Herrn  A.  M.  und  den  Herren  Th.,  O.  und  W.  X., 
unter  Zustimmung  der  Frau  E.  X.  geborenen  S.,  notariell  ge- 
schlossene Societätsvertrag  bestimmt  unter  Ziffer  5,  dass  durch 
den  Austritt  oder  den  Tod  des  Herrn  W.  L.  X.  die  Societat 
nicht  aufgelöst  werden  solle,  und  unter  Ziffer  6  wörtlich: 

»Durch  den  Todesfall  eines  Associ&  während  der 
Vertragsdauer  wird  die  Gesellschaft  nicht  aufgelöst, 
die    Erljen    des    gestorbenen    Associ^s   hatten   kein 
anderes  Recht,   als  auf  Grundlage  der  letzten,  vor 
dem  Todestage  abgeschlossenen   und   von   sämmt- 
liehen    Associ^s    genehmigteD ,     respektive    unter- 
schriebenen  Bilanz   ihre   Abfindung   zu   verlangen, 
gleichviel  welche  Werthansätze  darin  aufgenommen 
sind.    An  weiteren  Geschäftsresultaten  partizipiren 
die   Erben   nicht;    sollte   jedoch    ihr  Erblasser   seit 
dem  Tage  der  letzten  Bilanz  noch  Einschüsse  ge" 
leistet  haben,   so   müssen  letztere  selbstverständlich 
unter  Vergütung   von   4  Prozent   Zinsen   restituirt 
werden.     Einsicht    in    die    Bücher  ist   den 
Erben  nicht  gestattet;  desgleichen  ist  Siegel- 
anlage, Inventarisation  und  jede  andere  gerichtliche 
Einmischung  unbedingt  ausgeschlossen.' 
Diese   namentlich   in  Bankgesellschaftsverträgen  bekannt- 
lich überaus  häufige  Stipulation  ist  augenscheinlich  nur  gegen 
diejenigen  Erben  eines  der  Theilhaber  gerichtet,  welche  nicht 
Theilhaber   der    ungeachtet   des   Todes    ihres   Erblassers   — 
gleichviel   unter    welchen   Personen    —   fortbestehenden 
Societat  waren   oder  wurden.     Sie  setzt  den  Fall,   dass  einer 
der  genannten  Theilhaber  —  gleichviel  welcher  —  durch  Tod 
aus  der  fortbestehenden  Gesellschaft  ausscheidet. 

Ihre  Tendenz  ist  klar.     Sie  will  die  fortbestehende  Gesell- 


oogic 


312      Ueber  Editiontpflidit,  inibst.  betr.  gemeinichafU.  Urkunden  etc. 

Schaft  gegen  jede,  stets  lästige,  unter  Umständen  höchst  ge- 
fahrliche Offenbarung  ihrer  Geschäftsverhältnisse  und  Ge- 
schäftsgeheimnisse an  irgend  welche  Personen,  welche 
nicht  Gesellschafter  sind,  schützen.  Sie  beruht  nicht, 
oder  doch,  augenscheinlich,  nicht  vorwiegend  in  einem  Miss- 
trauen gegen  die  ja  noch  unbekannten  Erben  eines  ausscheiden- 
den Gesellschafters,  sondern  in  dem  Vertrauen  auf  die  Mit- 
gesellschafter, von  deren  Ehrenhaftigkeit  und  Gewissenhaftig- 
keit erwartet  wird,  dass  sie  auch  ohne  Rechtszwang  zur 
Offenbarung  der  jeweiligen  Vermögensverhältnisse ,  für  das 
Vermögensinteresse  der  Erben  des  verstorbenen  Theilhabers 
ausreichende  Sorge  tragen  werden. 

Sie  unterstellt,  dass  den  Erben  des  ausgeschiedenen  Ge- 
sellschafters an  sich  ein  Recht  auf  Einsicht  der  HandelsbUcher 
der  fortbestehenden  Gesellschaft  zukomme,  da  gegenüber  einem 
Nichtrecht  dieser  Erben  sie  als  Überflüssig  keinen  Sinn  hätte. 
Sie  untersucht  aber  nicht,  unter  welchen  Voraussetzungen  und 
in  welchem  Umfange  dieses  Recht  bestehen  kömite  —  was  ja 
auch,  nach  Lage  der  Sache,  sich  sehr  verschieden  gestaltet, 
vgl.  oben  §§  5,  7. 

Sie  will  aber  klar,  dass  jegliches  derartige  Recht, 
welches  etwa  an  sich  einem  der  Erben  zustehen  könnte,  im 
Interesse  der  fortbestehenden  Gesellschaft  ausgeschlossen  sein 
solle.  Mit  andern  Worten :  es  soll  einem  jeden  derartigen,  au 
sich  rechtlich  begründeten  Anspruch  eines  nicht  zur  fort- 
bestehenden Gesellschaft  gehörigen  Erben  eines  der  Gesell- 
schafter die  Einrede  einer  die  Editionspflicht  ausschliessenden 
Vereinbarung,  exceptio  pacti  ne  edatur,  rechtswirksam  ent- 
gegenstehen. 

Diese  Vereinbarung  hat  aber  gleichzeitig  die  weitere 
wichtige  Wirkung,  dass  ein  einzelner  Gesellschafter,  welcher 
in  Verletzung  derselben  den  Erben  eines  verstorbenen  Gesell- 
schafters irgend  welche,  gleichviel  wie  beschränkte  Einsicht  in 
die  Handelsbücher,  d.  h.  überhaupt  in  die  Geschäftspapiere 
der  Gesellschaft  gestatten  wollte,  vertragswidrig  handeln,  ja 
sich  der  Gefahr  einer  Auflösungs-  bezw,  Ausschliessungs-Klage 
seitens  seiner  Mitgesellschafter  aussetzen  wtlrde; 
H.G.B.  Art.  94,  125,  128. 

2)  Die  Rechtsgiltigkeit  einer  derartigen  Verein- 
barung unterliegt  keinem  Zweifel, 


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Recitliche  BdeuchtnDg.  313 

Soweit  die  Editionspflicht  u,  dgl.  auf  den  Grundsätzen 
des  Societatsrecbts  beruht,  ist  jede  dieselbe  einschränkende 
Vereinbarung  sogar  durch  ausdrücklicbe  gesetzliche  Vorschrift 
mit  der  einzigen  selbstverständlichen  Ausnahme  gestattet,  dass 
bei  nachgewiesener  Unredlichkeit  das  gesetzliche  Recht  wieder 
in  Kraft  tritt: 

H.G.B.  Art.  105,  vgl.  Art.  90,  Z.  2  —  Art.  160,  vgl. 
Art.  157  —  Art.  253. 
Wenn  schon  nach  Auflösung  der  Gesellschaft  die 
Nothwendigkeit  unbedingter  Offenbarung  der  Handelsbücher 
an  Dritte,  gegen  welche  das  persönliche  Vertrauensverhältniss 
der  Gesellschafter  nicht  besteht ,  für  die  gewesenen  Gesell 
schafter,  zumal  solche,  welche  etwa  den  Handelsbetrieb  fort- 
setzen, die  schwersten  Nachtheile  mit  sich  führen  kann, 

vgl.  auch  Brinckmann,  Handelsrechts.  196  Note  18, 
S.  199  Note  29, 
so  leuchtet  dies  um  so  mehr  ein  bei  Fortbestand  der  Ge- 
sellschaft, 

Wurden  doch  aus  diesem  Grunde  von  den  kaufmännischen 
Mitgliedern  der  Berliner  Sachverständigenkonferenz  (1856) 
sogar  gegen  die  anbedingte  Mittheilungspflicht  der  Handels- 
bücher »in  Gesellschaftstheilungssachent  Bedenken  erhoben, 
welche  nur  durch  das  allseitige  Eioverständniss  darüber,  dass 
ftlr  Gesellschaftsangelegenheiten  beliebige  abweichende  vertrags- 
mässige  Feststellung  gestattet  sei,  gemindert  wurden,  wie  man 
denn  auch  darüber  einig  war,  dass  sogar  die  einseitige  Mit- 
theilung  einer  »Bilanz*  an  den  nur  von  einem  Gesellschafter 
einseitig  betheiligten  Dritten  (H.G.B.  Art.  98)  die  übrigen 
Gesellschafter  befuge,  die  Auflösung  der  Gesellschaft  zu  ver- 
langen. 

Protokolle  über    die   Berathungen  mit  kaufmännischen 
Sachverständigen  und  praktischen  Juristen,  betreffend 
den  Entwxirf  eines  Handelsgesetzbuchs  für  die  Preussi- 
schen  Staaten.    Berlin  1856  (Manuskript),  S.  14,  29,  33. 
Aber  auch,  sofern  es  sich  nicht  um  eine,  die  sehr  weit- 
gehenden  gesetzlichen   Societätsrechte    auf  Einsicht,   Mit- 
theilung, Vorlegung  der  Handelsbücher  einschränkende  Ver- 
einbarung handelt,  sondern  um  eine  vertragsmässige  Modifi- 
kation der  anderweitigen  engeren  Editionspflicht,  mag  es  sich 
um  die  Editionsgründe  des  §  387  Z.  1  der  C.P.O.  oder  um 

,j .,  .„Google 


314      UebcT  Ediliontpflicht,  insbei.  betr.  gemeiDscluifÜ.  L'ilcnndcD  etc. 

den  Editionsgrund  der  »Gemeinschaftlichkeitc  gemäss  §  387 
Z.  2  der  C.P.O.  handeln,  ist,  und  zwar  nicht  allein,  nach  der 
klaren  Gesetzesvorschrift  des  Art.  90  H.G.B.'s,  unter  den 
Gesellschaftern  bezw.  deren  Rechtsnachfolgern,  sondern  — 
was  hier  sogar  unerheblich  wäre  —  ganz  allgemein  die  modi- 
ficirende  Vereinbarung  statthaft.  Denn  wie  bereits  wiederholt 
erwähnt, 

vgl.  oben  §  4, 
gehört  die  gesammte  Editionspflicht,  auch  auf  Grund  der  sog. 
iGemeinschaftlichkeit  der  Urktmden* ,  nicht  dem  zwingenden 
öffentlichen  Recht,  sondern  dem  dispositiven  Privatrecht  an; 
wollte  man  aber  etwa  unrichtig  den  Editionsgrund  der  »Ge- 
meinschaftlichkeit* als  einen  wahren  prozessrechtlichen  Rechts- 
satz behandeln,  so  würde  derselbe  doch  in  die  sehr  zahlreiche 
Klasse  nur  dispositiver  Prozessrechtssätze  gehören ,  wie  denn 
z.  B.  sogar  aussergerichtliche  und  vor  schwebendem  Prozess 
getroffene  Vereinbarungen  Über  den  Gerichtsstand  unbezweifelt 
Geltung  haben  (CP.O.  §  38). 

S.  auch  O.  Bulow,  Archiv  für  die  civilistische  Praxis, 
Bd.  64  S.  1  ff. 
Endlich  sind  diese  Vereinbarungen  im  Gebiete  des  rhei- 
nischen Rechts  lange  vor  dem  Inkrafttreten  der  Deutschen 
Civil prozessordnung  eingegangen  zu  einer  Zeit,  da  in  dem 
Rechtsgebiete  der  Paciscenten  die  Vorschriften  des  gegen- 
wärtig geltenden  Rechts  über  die  Editionspflicht  Dritter  aus 
dem  Grunde  der  blossen  iGemeinschaftlichkeit  des  Inhalts< 
von  Urkunden,  zumal  von  Handelsbüchem ,  unstreitig  nicht, 
sicher  nicht  in  gleichem  Umfange  in  Geltung  gestanden  haben. 
Und  es  versteht  sich,  dass  die  in  jener  Zeit  gUltig  geschlossenen 
Verträge  durch  eine  lediglich  die  Grundsätze  des  Verfahrens 
betreffende  sogenannte  irückwirkende  Kraft«  der  Prozess- 
gesetze nicht  haben  ausser  Kraft  gesetzt  werden  können,  viel- 
mehr die  einmal  vertragsmässig  begründeten  Rechte  schlecht- 
hin zu  schützen  sind. 

Vgl.  C.  J.  A.  Mittermaier,  Archiv  für  die  civilisti- 
sche Praxis,  Bd.  10  S.  125. 

Renaud,  Civilprozessrecht  (2.  Aufl.)  §8  S.  19  Note  5. 

3)  Anlangend  endlich  die  Tragweite  der  Ziffer  6  des 

Gesellschaftsvertrags    vom    26.    Juni    1869 ,     so    erachtet   die 

Kammer  fUr  Handelssachen  des  Königl.  Landgerichts  zu  KOId 


Rechtliche  Bdenchtnng.  3(5 

die  Stipulation  im  vorliegenden  Falle  für  unanweodbar,  weit 
dieselbe  nicht  auch  den  erst  nach  geschehenem  Austritt  er- 
folgenden Tod  eines  Theilhabers  vorsehe  und  treffe. 

Dem  Wortlaut  des  Vertrags  entspricht  diese  Auffassung, 
nicht  dessen  unverkennbarem  Sinn.  Nach  dieser  Auslegung 
hätten  2.  B.  die  Erben  des  Herrn  A.  M.  oder  des  Herrn 
Th.  X.  kein  Recht  auf  Einsicht  der  Gesellschaftsbücher,  falls 
ihr  Erblasser  24  Stunden  vor  dem  fUr  seinen  freiwilligen  Aus- 
tritt festgesetzten  Zeitpunkt  stürbe;  sie  hätten  dagegen  das 
Recht  der  Einsicht,  sofern  der  Tod  ihres  Erblassers  24  Stunden 
nach  diesem  Zeitpunkt  erfolgen  sollte.  Augenscheinlich  wäre 
das  sinntos. 

Es  müssen  drei  Fälle  unterschieden  werden  und  ist  dabei 
zu  beachten,  dass  nach  dem  Willen  der  Kontrahenten  die 
Gesellschaft  unter  den  überlebenden  Theilhabem  fortgesetzt 
werden  sollte,  und  zwar  noch  sehr  lange  Zeit,  denkbarer  Weise 
sogar  weit  über  den  1.  Januar  1884  hinaus. 

Vgl.  oben  den  Thatbestand  S.  257  f. 

1.  Der  nächstliegende  Fall  war,  dass  einer  der  Theil- 
haber  aus  der  im  Uebrigen  fortbestehenden  Societät  durch 
Tod  ausschied.  In  diesem  Falle  hätte  ja  unzweifelhaft  dessen 
Erben  an  sich  das  Recht  zugestanden,  die  Vorlegung  der 
Gesellschaftsbücher  insoweit  zu  begehren,  als  zur  Feststellung 
ihrer  Ansprüche  gegen  die  Gesellschaft  und  umgekehrt,  oder 
der  aus  dem  Geschäftsbetrieb  der  Gesellschaft  für  die  Erben 
gegen  Dritte  entstandenen  Rechtsverhältnisse  erforderlich  war. 

Vgl.  oben  §  5  S.  287  ff. 
Für  diesen  nächstliegenden  Fall  besagt  die  Vereinbarung, 
dass  die  nicht  in  der  Gesellschaft  stehenden  Erben  sich  mit 
einer  von  den  Mitgliedern  der  Gesellschaft  anzufertigenden 
Bilanz,  einschliesslich  selbstverständlich  einer  Mittheilung  über 
das  Kapitalkonto  ihres  Erblassers,  zu  begnügen  haben,  ohne 
deren  Richtigkeit  durch  Einsicht  der  Bücher  prüfen  zu  dUrfen. 
Dass  ihnen  zu  irgend  welchen  weitem  Zwecken  ein  Editions- 
recht nicht  zukam,  verstand  sich  zwar  von  selbst,  wurde  aber 
durch  das  weitergehende,  ganz  ausnahmslose  Verbot: 

'Einsicht  der  Bücher  ist  den  Erben  nicht  gestattet», 
ausdrücklich  festgestellt. 

2.  Entfernter  lag  der  Fall,  dass  einer  der  Theilhaber  vor 
seinem  Tode  ausschied,  ohne  eine  endgiltige  Regulirung  mit 


,  Cioogic 


316      UebcT  Ediliotupflicht,  tiub«*.  betr.  gemeiuschafil.  UrkundeD  etc. 

der  fortbestehenden  Gesellschaft  bis  zu  seinem  Tode  herbei- 
zuführen. Es  mag  zweifelhaft  sein,  ob  die  Paciscenten  an 
diesen  Fall  gedacht  haben  —  aber  als  vorsichtige  Geschäfts- 
leute hatten  sie  sicherlich  keinen  Grund,  denselben  aus- 
zuschliessen  tind  sie  mussten  für  diesen  Fall  verständiger  Weise 
Gleiches  feststellen,  wie  fUr  den  ersten  Fall. 

3.  Einer  der  Theilhaber  trat  vor  seinem  Tode  aus  der 
Gesellschaft  aus  ond  regulirte  endgiltig  durch  gehörige  Ab- 
rechnung seine  Beziehungen  zu  der  fortbestehenden  Ge- 
sellschaft. 

Es  darf  zugegeben  werden,  dass  sogar  ein  äusserst  vor- 
sichtiger, ja  pedantischer  Geschäftsmann  nicht  auf  den  Ge- 
danken gerathen  konnte,  es  wtlrden  trotz  solcher  definitiven 
Abmachung  einzelne  seiner  Erben  aus  irgend  welchem  Grunde 
den  Versuch  machen,  Edition  der  HandelsbUcher ,  auf  deren 
Einsicht  sie  ja  keinerlei  Recht  besassen,  zu  erlangen,  und  es 
wäre  denkbar,  dass  diesem  Begehren  durch  den  Richter  ent- 
sprochen würde.  Eine  auch  diesen  Fall  betreffende  Verein- 
barung musste  somit  durchaus  überflüssig  erscheinen. 

Immerhin  aber  versteht  sich,  dass  das  Editionsverbot  für 
diesen  Fall  wo  möglich  noch  mehr  im  Sinne  der  Paciscenten 
liegen  musste  als  für  jeden  der  beiden  anderen  Falle,  und  dass 
sie  auf  Befragen  erklärt  hätten; 

Sollte,  was  uns  freilich  schwer  glaublich  erscheint, 
es  für  diesen  Fall  noch  eines  ausdrücklichen  Editions- 
verbotes bedürfen,  d.  h,  sollte  Jemand  es  für  denkbar 
erachten,  dass  den  Erben  eines  bei  Lebzeiten  ausgetretenen 
Gesellschafters,  welcher  selbst  sich  definitiv  mit  seinen 
Mitgesellschaftem  auseinandergesetzt  hat  und  lediglidi 
noch  Gläubiger  eines  völlig  unstreitigen  Geldbetrages 
der  Gesellschaft  gegenüber  ist,  ein  Anspruch  auf  Vor- 
legung der  Handelsbücher  der  fortgesetzten  Gesellschaft 
unter  irgend  welchem  Titel  zustehe, 

sei  es  des  Handelsrechts  oder  des  bürgerlichen  Rechts 
oder  der  sog.  >Gemeinschaftlichkeit  der  Urkunden', 
sei  es,  um  Ansprüche  gegen  die  Gesellschaft  oder 
gar  unter  einander  auf  diese  Weise  zu  beweisen 
oder  gar  zu  emiren, 
so  versteht  sich  hiermit  die  ausdrückliche  und  unbedingte 
Untersagung  einer  derartigen  Befugniss. 


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Rechtliche  Beleuchtung.  317 

Mit  dieser  Auffassung  wird  in  den  Societatsvertrag  nicht 
hineingetragen,  was  ausserhalb  desselben  liegt,  sondern  nur 
aus  demselben  entwickelt,  was  als  der  regehnässige  geschäfts- 
übliche Wille  verstandiger  Kontrahenten  erscheint : 

entsprechend  dem  für  die  Auslegung  der  Handels- 
geschäfte noch  besonders  gesetzlich  eingeschärften  Grund- 
satz der  Artikel  278,  279,  vgl.  Art.  90  Abs.  1  des 
A.  D.  Handelsgesetzbuchs,  sowie  den  gleichen  Grund- 
sätzen des 

Code  Napolten  art.  1135,  1159,  1160 
und  des  römischen  Rechts: 

1.  31  §  20  D.  de  aedil.  ed.  {21,  1):  ea  qoae  sunt 
moris  et  consuetudinis  in  bonae  fidei  iudiciis  debent 
venire. 

1.  114  D.  de  R.  J.  (50,  17):    in  obscuris  inspici 

solere,  quod  verisimilius  est  aut  quod  plerumque  Geri 

solet,  vgl.  1.  34  eod. 

Denn,  wie  in  der  Praxis,  namentlich  des  Reichs-Ober- 

handelsgerichts ,    stets   festgehalten   worden   ist,    muss    jeder 

Zweifel  über  den  Willen  der  Betheiligten,  welcher  sehr  wohl 

von  dem  Wortsinn  verschieden  sein  kann,  in  demjenigen  Sinn 

gelöst  werden,  welcher  der  Atiffassung  und  Sitte  redlicher 

Männer,  insbesondere  solider  Kaufleute  entspricht; 

Goldschmidt,   Handbuch  des  Handelsrechts.     Bd.  I. 
(2.  Aufl.)  S.  308—310,  insbes.  Note  13,    14,   S.  335 
bis  337. 
V.  Hahn,  Kommentar  zum  D. H.G.B.  Bd.  II.  (3.  Aufl.) 
S.  78  ff. 
Dass  aUetn  diese  Auffassung  dem  Willen  insbesondere 
des  Erblassers  der  Kläger  entspricht,  erhellt  schon  daraus,  dass 
derselbe  bereits  im  Societätsvertrage  vom  26.  Juni  1869  sein 
Ausscheiden  nicht  allein  durch  Tod,   sondern    schon  vorher 
durch  Aiistritt  vorgesehen,  und  für  diese  verschiedenen  Fälle, 
■welche  er  hinsichtlich  der  Rechtsstellung  seiner  Erben  wesent- 
lich gleich  behandelte,  Vorkehrungen  getroffen  hatte: 

vgl.  §§  4,  5,  6  des  Gesellschaftsvertrages; 
endlich    aus    dem    im    Prozess    produzirten    Schreiben,    das 
derselbe  am  7.  Mai  1874,  wenige  Wochen  vor  seinem  Aus- 
tritt, an  die  (sämmtlicheii  ?)  übrigen  Theilhaber  der  Gesell- 

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318      Uebet  EditioiiEpfiichl,  iiisbe».  betr.  gemeinKhaftl.  UTkundcn  etc. 

Schaft  X.  &  Cie.  gerichtet  hat,  und  dessen  einschlagiger  Passus 
mir  folgendermaassen  mitgetheilt  ist: 

»Wahrscheinlich   werdet   Ihr  Eode  dieses  Jahres 

Ueberfluss   an    disponibela    Mitteln    haben.     Dann 

mochte   ich  um  diese  Zeit  aus  Gründen  mancherlei 

Art  austreten.    In  erster  Reihe  wünsche  ich  Euch 

nicht  in  die  unangenehme  Lage  zu  setzen,  dass  die 

Miterben  bei  meinem  Ableben  berechtigt  sind,  ziu- 

Feststellung   meines  Nachlasses   Einsicht    in   Eure 

Bücher  zu  nehmen.  < 

Der  Konunerzienrath   X.   ging    somit   davon   aus,    dass, 

wenn  etwa  gesetzlich  seinen  Erben  Einsicht  in  die  Bücher  der 

Gesellschaft  X.  &  Cie,  zustehen  sollte,    —  er  hat  darunter 

wahrscheinlich    aber,    da    §   6   des  Gesellschaftsvertrages   im 

Uebrigen  klar   entgegenstand,   nur   die  dort  erwähnte  Bilanz 

verstanden  —  jedenfalls  mit  seinem  früheren  Ausscheiden  und 

der  an  dieses  sich  selbstverständlich  knüpfenden  Abrechnung 

mit  der  Gesellschaft  jedes  derartige  Recht  ausgeschlossen  sein 

werde,  wie  dies  denn  auch  in  der  That  nach  dem  Gesetz  der 

Fall  war.  ^ 


Schluss. 

Die  Untersuchung  bat  den  zwar  umständlichen,  aber  doch 
sicheren  Weg  eingeschlagen,  zunächst  ohne  Rücksicht  auf  die 
Vereinbarungen  des  Gesellschaftsvertrages  die  Statthaftigkeit 
der  erhobenen  Klage  zu  prüfen. 

Das  Ergebniss  dieser  Prüfung  lässt  sich  dahin  zusammen- 
fassen : 

1.  Ein  durchaus  selbstständiger,  von  erfolgter  Frist- 
gewährung in  einem  schwebenden  Hauptprozesse  unabhängiger 
Editionspro zess  gegen  Dritte  aus  dem  Grunde  der  »Gemein- 
schaftlichkeit der  Urkunden«  ist  unstatthaft  (§  I);  wollte  man 
solchen  gestatten,  so  würde  sich  die  Editionspflicht  nicht  nach 
den  Grundsätzen  der  Deutschen  Civilprozessordnung,  sondern 
nach  dem  maassgebenden  bürgerlichen  Recht,  hier  dem  rheini- 
schen bestimmen  (§  I). 

2.  Die  Editionspflicht  hinsichtlich  der  Handelsbücher  ist 
überhaupt  erbeblichen  Einschränkungen  unterworfen  (§  2). 

3.  Eine  Pflicht  zur  Vorlegung  der  Handelsbücher  besteht 


„Goo^^lc 


Rechtliche  Bd«ucIiCuDg.  319 

Dach  dem  Deutschen  Handelsgesetzbucb  nur  dem  Prozess- 
gegner gegenüber,  die  davon  verschiedene  Mittheilungspflicht 
ist  in  einem  Falle  der  vorliegenden  Art  gesetzlich  aus- 
geschlossen und  darf  nicht  unter  dem  Scheine  einer  nur  be- 
gehrten Vorlegung  erstrebt  werden  (§  3). 

4.  Die  Editionspflicht  gehört,  auch  nach  den  Grund- 
sätzen der  Deutschen  Civilprozessordnung ,  nicht  dem  öffent- 
lichen Recht  an  (§  4). 

5.  Eine  Editionspflicht  mach  den  Vorschriften  des  bürger- 
lichen Rechts«  (C.P.O.  §  387  Z.  l)  besteht  im  vorliegenden 
Falle  nicht:  weder  nach  den  Vorschriften  des  Handelssocietäts- 
rechts,  noch  nach  den  maassgebenden  Grundsätzen  des  rheini- 
schen bürgerlichen  Rechts,  noch  nach  den  hier  nicht  maass- 
gebenden Vorschriften  des  römischen  Rechts,  den  allgemeinen 
und  den  besonderen  von  den  argentarii  geltenden,  noch  endlich 
nach  der  Praxis  der  deutschen  obersten  Gerichte  (§  5). 

6.  Die  Handelsbücher  der  Gesellschaft  X.  &  Cie.  sind 
nicht  »ihrem  Inhalte  nach«  für  die  Editionskläger  und  die 
beklagte  Gesellschaft  oder  deren  Theilhaber  »gemeinschaft- 
liche Urkunden«  (C.P.O.  §  387  Z.  2).  Die  genaue  Analyse 
dieses  Begriffs  sowohl  nach  dem  geltenden  Recht  der  Deut- 
schen Prozessordnung  wie  nach  dem  früheren  gemeinen 
Recht  (§  6)  ergibt  vielmehr,  dass  dessen  Voraussetzungen 
im  vorliegenden  Streitfalle  durchaus  fehlen,  indem  diejenigen 
Rechtsverhältnisse,  hinsichtlich  welcher  eine  »Gemeinschaftlich- 
keit« denkbar  wäre,  mindestens  unstreitig  oder  völlig  erledigt 
sind,  durch  Aufzeichnungen  aber,  welche  etwaige  rapport- 
pflichtige Zuwendungen  des  Kommcrzienraths  W,  L.  X.  an 
einzelne  seiner  Erben  ergeben  könnten,  eine  »Gemeinschaftlich- 
keit« des  Inhalts  dieser  Aufzeichnungen  zwischen  der  Gesell- 
schaft X.  &  Cie.  und  den  Editionsklägem  Überall  nicht  be- 
gründet worden  ist  (§  7). 

7.  Die  gesetzlichen  Einschränkungen  hinsichtlich  der 
Editionspflicht  von  HandelsbUchem  stehen  auch  den  Editions- 
klägem entgegen,  welche  in  Wahrheit  darüber  hinaus  sogar 
eine  »Mittheilung«  der  Handelsbücher  erstreben  (§  7  a.  E.). 

8.  EKirch  §  6  des  Societätsvertrages  vom  26.  Juni  1869 
ist  schlechthin  und  rechtlich  wirksam,  nach  früherem  wie  nach 
geltendem  Recht,  jede  Einsicht  der  Editionskläger  in  die 
Bücher  der  fortbestehenden  Handelsgesellschaft  X.  &  Cie.  aus- 


,  CiOOglc 


320      Ueber  Editionspflicht,  intbet.  betr.  gemditwhaM.  Urkuoden  etc- 

geschlossen  (§  8).  Durch  diese  weder  dem  guten  Glaubea 
noch  der  öffentlichen  Ordnung  zuwiderlaufende,  vielmehr  der 
Billigkeit  und  dem  Handelsgebrauch  entsprechende,  den  guten 
Glauben  schützende  Vereinbarung  erledigt  sich  jeder  in  der 
rechtlichen  Beurtheilung  des  Streitfalles  etwa  noch  mögliche 
Zweifel ; 

Code  Napoleon    art    1134.     Les    Conventions    l^ale- 

ment  formöes  tiennent  Ueu  de   loi   ä  ceux  qui  les 

ont  faites. 


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10. 

ALTE  UND  NEUE  FORMEN 

DER 

HANDELSGESELLSCHAFT. 

VORTRAG, 

GEHALTEN  IN  DER 
JURISTISCHEN  GESELLSCHAFT  ZU  BERLIN. 

(1892.) 


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Erwartea  Sie  nicht,  dass  ich  in  der  knapp  bemessenen  Zeit 
eines  Vortrags  eine  ausfuhrliche  geschichtliche  Dar- 
legung des  Ursprungs  und  der  alhnäligen  Entfaltung  der  ver- 
schiedenen Formen  wirthschaftUcher  Associationen  versuche. 
Es  scheint  mir  angemessen,  mich  auf  gewisse  leitende,  die 
Franzosen  würden  sagen  »philosophische  <  Gesichtspunkte  zu 
beschränken,  zumal  ich  vor  Kurzem  die  Entstehungsgeschichte 
der  typischen  Urformen  eingehend  dargelegt  habe".  Die  all- 
gemeine geschichtliche  Betrachtung  soll  mir  ermöglichen,  von 
einem  weiteren  Standpunkt  aus  die  neueste,  noch  in  dem 
Stadium  der  legislativen  Behandlung  stehende  Gesellschafts- 
form der  kritischen  Prüfung  nach  dem  Maasse  meiner  Ein- 
sicht und  Erfahrung  zu  unterziehen,  und  ich  darf  für  diesen 
Versuch  wohl  aus  dem  Umstände  eine  gewisse  Berechtigung 
entnehmen,  dass  ich  mich  seit  40  Jahren '  unablässig  mit  der 
ErgrUndung  von  Bau  und  Funktionen  des  europäischen  Gesell- 
scbaftsrechts  beschäftigt  habe. 

I. 

Wenn  wir  in  dem  berühmten  Worte  des  Aristoteles: 
tavSffumos  ^pvoai  noXirixhv  töiovt  den  ewigen  Kern  aller  rich- 
tigen Staatslehre,  mit  dem  grossen  Denker  den  Staat  als  die 
DOthwendige  Form  dauernder  Verbindung  zusammenlebender 
Menschen  anerkennen,  daher  die  vielverbreiteten  Spekulationen 

>  UDiveiulgeaciiicliCe  des  HaadekrechU.  i.  Liefr.  (Handb.  des  Hudelt- 
iwchU.     3.  Aufl.    I.    Erste  Abtheilung,     1891),  insbes.  S.  254— 39S. 

>  De  todetate  en  comnundjte.  ipec.  I.  Halis  185 1 ;  Kritik  des  Enl- 
vurb  eines  Handelsgesetsbuchs  filc  die  prenssischeD  Staaten.  Abth.  i  u.  2. 
Heidelberg  1S57/5S.  GatachCen  Ober  den  Entwurf  eines  deutschen  H.G.B.'t 
nach  den  Beschlfissea  zweiler  Lciung.     Eilajigeu  iSäo  lu  «.  f. 

l,j  _ .^  ,  CiOOglc 


324  Alte  and  tt«ue  Fonoeit  der  HandeltgMelltcluift. 

von  der  angeblich  staatenlosen  Menschheit  einer  Urzeit,  von 
■willkürlichen  Verträgen,  durch  welche  die  Staaten  entstehen 
und  bestehen  sollen,  als  gleichermaassen  ungeschichtlich  wie 
psychologisch  unmöglich  verwerfen,  so  verhält  sich  dies  freilich 
anders  mit  denjenigen  Verbindungen  der  Menschen,  welche 
zu  sonstigen,  gemeinsam  verfolgten  Privatzwecken  eingegangen 
werden.  Weder  sind  sie  selbst  naturnothwendig,  noch  lassen 
sich  wirthschaftliche  oder  geschichtliche  Gesetze  für  ihre,  nur 
nach  wechselnden  wirthschafthchen  Bedürfnissen  und  Zweck- 
mässigkeitserwägungen  bestimmten  Formen  ermitteln.  Immerhin 
reichen  auch  sie  in  die  Anfänge  der  beglaubigten  Geschichte 
hinauf.  Bereits  in  altassyrischer  Zeit,  gegen  2000  Jahre 
vor  unserer  Zeitrechnung,  finden  wir  Handelsassociationen, 
sogar  von  langer  Dauer,  mit  einer  Art  von  Firma,  indem  die 
Gesellschaft  nach  ihrem  Haupte  benannt  wird '.  Und,  wenn- 
gleich wir  gar  nichts  wissen  von  Associationen,  so  wenig  als 
von  sonstigen  Rechtseinrichtungen  des  grössten  Handelsvolkes 
der  orientalischen  Welt,  der  Phönizier  und  Karthager, 
so  wird  doch  die  Existenz  von  Handelsgesellschaften  auch  bei 
ihnen  sich  nicht  bezweifeln  lassen.  Dagegen  ist  wohl  bekannt 
die  Fülle  hellenischer  Associationen  für  die  verschiedensten, 
auch  wirthsc haftlichen  Zwecke.  Nur  sind  wir  leider  über  deren 
Organisation  aus  den  sehr  lückenhaften  Fragmenten  der  Ge- 
setze, aus  den  Erörterungen  der  attischen  Redner  und  den 
nicht  immer  zuverlässigen  Konstruktionen  ihrer  Philosophen 
um  so  unvollkommener  unterrichtet ,  als  eine  juristische  Lite- 
ratur völlig  fehlt,  und  die  in  grosser  Fülle  vorhandenen  Ur- 
kunden, die  zuverlässigsten  Zeugnisse  hellenischen  Rechts,  in 
dieser  Hinsicht  nur  spärlichen  Aufschluss  gewähren. 

Endlich  ist  unsere  Kenntniss  sogar  des  römischen 
Gesellschaftswesens  und  Gesellschaftsrechts  eine  sehr  lücken- 
hafte. Wie  tief  und  sicher  auch  dieses  grösste  Rechtsvolk 
aller  Zeiten  den  juristischen  Kern  und  die  leitenden  Prinzipien 
der  »societasi  erfasst  und  mustergültig  formulirt  hat,  so  ver- 
mögen wir  doch  aus  der  theils  unzureichenden,  theils  überaus 
abstrakten  Ueberlieferung  kein  klares  Bild  von  der  unzweifel- 
haften Mannigfaltigkeit  der  Societäten  und  von  der  besonderen 

'  Z.  B.  Eugene  Revillout,  IfS  obligalions  en  droit  Egypiieo  compirf 
aux  autres  droits  de  t'aniiquilj.    Appendice  Eur  le  droit  de  la  Chdld^.    P*iis 


Alle  und  n«ue  Formen  <)«r  HandelsgetellschBft.  325 

Struktur  ihrer  einzelnen  Arten  zu  gewinnen.  Wir  wissen  nur, 
dass  neben  der,  wohl  vorherrschenden  Gelegenheitsgesellschaft 
auch  die  Gewerbs-,  Handels-  und  Industrie-Gesellschaft  be- 
standen haben,  dass  beide  in  der  Regel  nach  Art  unserer 
stillen  Gesellschaft  betrieben  wurden,  aber  auch  unserer  offe- 
nen und  unserer  Kommanditgesellschaft  ähnlich  sein  konnten; 
dass  es  für  gewisse,  Überwiegend  verwaltungsrechtliche  Zwecke 
grosse  Associationen  von  Kapitalisten  mit  korporativer  Ver- 
fassung (societates  publicanorum  sive  vectigalium)  gegeben 
hat,  mit  anscheinend  freier  Veräusserlichkeit  und  mindestens 
beschränkter  Vererblichkeit  der  Antheile ,  insofern  unsem 
heutigen  Aktienvereinen  in  wichtigen  Beziehungen  ähnlich, 
aber  doch  schwerlich  in  den  für  die  juristische  Struktur  ent- 
scheidenden Punkten  gleich  normirt. 

Immerhin  ist  ein  bedeutsames  Moment  nicht  zu  ignoriren. 
Der  dem  gesammten  Alterthum  eigenthUmliche  hauswirth- 
scbaftliche  und  zugleich  kapitalistische  Grossbetrieb,  nämlich 
durch  die  abhängigen  Familienglieder,  insbesondere  durch  die 
selbst  einen  bedeutsamen  Theil  des  Kapitalvermögens  bildenden 
Sklaven,  hat  auch  die  Gestaltungen  der  Societät  erheblich  be- 
einflusst.  Eine  mindestens  thatsächliche  Association  bestand 
häufig  zwischen  dem  Hausherrn  und  seinen  Gewaltunter- 
worfenen, desgleichen  dieser  unter  einander;  eine  auch  juristi- 
sche zwischen  Sklaven  oder  Hauskindem  verschiedener  Haus- 
herren, und  mindestens  das  praetorische  Recht  gewährte  be- 
kanntlich aus  den  Rechtsgeschäften  der  Gewaltunterg  ebenen 
verschiedenartige  Nebenklagen  gegen  den  Gewalthaber :  actiode 
peculio,  tributoria,  quod  jussu,  exercitoria,  instttoria.  So  konnte 
der  Gewalthaber  mehrerer  oder  konnten  die  mehreren  Ge- 
walthaber des  gleichen  Sklaven  den  Geschäftsgläubigem  in 
sehr  verschiedener  Weise  haften:  beschränkt  auf  Höhe  des 
Sonderguts,  und  zwar  unter  Vorwegabzug  der  eignen  Forde- 
rung (a.  de  peculio)  wie  ohne  solche  (a,  tributoria)  —  oder 
unbeschränkt  auch  mit  dem  sonstigen  Vermögen,  die  mehreren 
je  nachdem  solidarisch  oder  nur  antheilig.  So  verhält  es  sich 
noch  im  justinianischen  Recht,  sogar  hinsichtlich  der  Haus- 
kinder, trotz  der  allmäligen  Anerkennung  eigenen  Kinderguts. 
Es  waren  so  durch  das  Mittel  der  Sklaven  und  Hauskinder 
die  verschiedensten  Associationsformen  ermöglicht,  ja  es  zog 
prinzipiell  der  Gewerbebetrieb  durch  die  Gewaltunterworfenen 

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326  Alte  and  nene  Formen  der  Handel^Milichaft 

eine  nur  beschränkte  Haftung  des  Hausherrn  nach  Art  unserer 
Kommanditgesellschaft  nach  sich.  Die  Associatioa  mehrerer 
Gewaltfreien  aber  trag  in  der  Regel  den  Charakter  onserer 
stillen  Gesellschaft,  da  die  einzelnen  scxrü  auf  ihren  alleinigen 
Namen  zu  kontrahiren  pflegten,  die  Gläubiger  derselben  also 
gegen  die  übrigen  socii  nur  mit  der  cedirten  actio  pro  socio 
klagen  konnten ;  war  der  Antheil  der  übrigen  an  dem  Gesell- 
schaftsverlust vertragsmässig  bescht^nkt,  so  galten  durchaus 
die  Grundsätze  des  Art.  258  unseres  Deutschen  Handelsgesetz- 
buchs. Die  weitverbreitete  Auffassung,  es  sei  nach  rtlmischem 
Recht  eine  nur  beschränkte  Haftung  der  Socien  unstatthaft, 
ist  so  eine  durchaus  unbegründete;  ja  es  findet  sich  im  corpus 
iuris  nicht  einmal  dem  einzelnen  Schuldner  verwehrt,  von  vorn- 
herein seine  Haftung  aus  dem  betreffenden  Rechtsgeschäft  auf 
einen  bestimmten  Maximalbetrag  zu  begrenzen,  und  es  bildete 
diese  beschränkte  Haftung  die  Regel  bei  allen  mittelst  frei  wirth- 
schaftender  Sklaven  oder  Hauskinder  betriebenen  Gewerbe.  — 

Im  Mittelalter  ist  die  Sklaverei  allmälig  erloschen  und 
hat  die  alte  Hausgewalt  Über  die  Kinder  sich  immer  mehr  ge- 
lockert. Auch  gab  es  keine  oder  doch  nur  wenige  grosse 
Kapitalisten,  deren  eigenes  Vermögen  für  den  Betrieb  wejt- 
aussehender  oder  riskanter  Handels-  oder  Industrie-Unter- 
nehmungen ausgereicht  hätte.  So  konnten  denn  in  der  Haupt- 
sache nur  durch  Associationen  von  Freien  grössere  wirthschaft- 
liche  Unternehmungen  durchgeführt  werden:  durch  gegen- 
seitige von  Kapital  und  Arbeit  oder  durch  nur  einseitige  von 
Kapital  zu  Arbeit. 

Als  daher,  nach  Vernichtung  des  antiken  Grosshandels, 
zuerst  in  den  Mittelmeerländern  der  Verkehr  wiederum 
einen  kräftigeren  Aufschwung  nimmt,  begegnen  wir  alsbald 
zwei  Formen  der  Vergesellschaftung.  EHe  eine,  und  zwar  die 
älteste,  ist  die  mittelalterliche  commenda,  die  Gesellschaft 
mit  beschränkter  Haftung  des  Kapitalisten,  ursprünglich  für 
den  überseeischen,  später  auch  für  den  Binnenverkehr  ver- 
wendet —  sie  bildet  die  Grundlage  sowohl  der  heutigen  Kom- 
manditgesellschaft wie  der  heutigen  stillen  Gesellschaft  und 
findet  sich  früh  in  den  verschiedensten  Varietäten.  Sie  lehnt 
sich,  nach  sicheren  Spuren,  an  bereits  aus  dem  Alterthum 
überkommene  Geschäftsformen  —  an  antikes  »V;dgärrechte  — 
an.     Wie  der  heutige,  so  hatte  auch  der  mittelalterlich^  z.  B. 

,  Google 


Alte  und  neue  Fonnen  der  Huiddlge«eII«cluft.  327 

venetianische  oder  genuesische  Kapitalist  sein  Kapital  meist 
in  verschiedenen  SpekiUationsuntemehmungen  stecken  und 
pflegte  an  jeder  nur  mit  einem  genau  begrenzten  Betrage  be- 
theiligt  zu  sein ,  während  sein  durch  Gewinnantheil  inter- 
essirter,  häufig  kapitalloser  Gesellschafter,  mitunter  auch  ein 
Kommissionär  oder  Handelsbediensteter  die  Geschäfte  auf 
eigenen  Namen  und  so  unter  rechtlich  unbeschränkter  Haftung 
führte. 

Dagegen  in  dem  engeren  Kreise  der  Familienangehörigen, 
insbesondere  zwischen  Brüdern  (societas  fratrum)  oder  sonst 
einander  nahestehenden  Personen,  pflegte  eine  Zusammen- 
werfung  des  ganzen  Vermögens  oder  doch  beträchtlicher  Theile 
desselben  zu  gemeinschaftlichem  Geschäftsbetrieb  auf  gemein- 
schaftlichen Namen  (die  heutige  Gesellschaftsfiima)  stattzu- 
floden.  So  vornehmlich  im  Binnenverkehr,  namentlich  im 
Handwerk,  in  der  Fabrikation,  später  auch  im  Bankwesen. 
In  Folge  dauernder  Uebung  bildete  sich  allmäUg  der  Ge- 
wohnheitsrechtssatz, dass  die  einzelnen  Mitglieder  einer  solchen 
Gesellschaft  einander  aktiv  und  passiv  vertreten,  im  Prinzip 
jeder  für  alle  handeln  dürfe,  aber  auch  für  alle  solidarisch 
und  unbeschränkt  haften  müsse.  Endlich  bestand  die,  wohl  mit 
der  ursprünglichen  Familiengemeinschaft  zusammenhängende 
Rechtsanschauung,  dass  das  gemeinschaftliche  Societätsgut  ein 
durch  die  Societätszwecke  rechtlich  gebundenes  gemeinschaft- 
liches SondervermOgen  (iGesellschaftsvermOgeni)  bilde,  somit 
der  einseitigen  Verfügung  der  einzelnen  socii  oder  deren 
Gläubiger  entzogen  sei.  Mit  alle  dem  und  der  Gesellschafts- 
firma, deren  verbindlicher  Gebrauch  auf  dem  nun  anerkannten 
Prinzip  der  freien  Stellvertretung  beruhte,  war  die,  über  das 
römische  Recht  hinausgehende  feste  Struktur  derjenigen  Gesell- 
schaftsart begründet,  welche  wir  heute  als  offene  Handels- 
gesellschaft (iKollektivgesellschaftc)  bezeichnen. 

EHe  beiden  Gesellschaftsarten  haben  sich  wesentlich  un- 
abhängig von  einander  entwickelt  and  stehen  selbstständig 
neben  einander.  Die  weit  verbreitete  Annahme,  dass  die 
Kommanditgesellschaft  eine  modiflzirte,  nur  unter  besonderen 
Voraussetzungen  statthafte  Abart  der  offenen  Handelsgesell- 
schaft sei,  ist  historisch  wie  dogmatisch  gleich  irrig.  Nur 
haben  beide  Gesellschaftsarten  auf  einander  eingewirkt,  schon 
das  spätere    italienische,    insbesondere    aber   das   französische 


,  C-'OOgIc 


328  Alle  und  neue  Pannen  der  Haadet^eselbdiaft. 

Recht  hat  äe  in  zahlreichen  Punkten  und  nicht  immer  un- 
bedenklich assimilirt;  es  hat  »ch  endlich  hieran  die  schärfere 
Scheidung  zweier  Arten  der  alten  commenda,  nämlich  der 
Kommanditgesellschaft  einerseits  und  der  stillen  Gesellschaft 
andererseits  geknüpft,  welche  in  dem  Deutschen  Handels- 
gesetzbuch, zur  Freude  aller  Bewunderer  juristischer  Sub- 
tQitäten,  ebenso  konsequent  wie  praktisch  unglücklich  durch- 
geführt ist.  — 

Endhch  gehört  gleichfalls  bereits  dem  italienischen  Mittel- 
alter die  dritte  Hauptform  unserer  Handelsgesellschaften,  näm- 
lich die  Aktiengesellschaft  an,  welche  auf  dem  Grund- 
gedanken zugleich  veräusserlicher  und  vererblicher  wie  die 
Haftungsgrenze  darstellender  Antheile  beruht.  Allein  sie 
wurzelt  nicht,  gleich  den  beiden  ersten  Formen,  in  Handel 
und  Industrie,  sondern  im  öffentlichen  Anlehenswesen ,  findet 
sich  zuerst  als  Kolonialgesellschaft  und  hat  stets  ein  StUck 
pnbliztstischen  Charakters  bewahrt,  wenngleich  sie  sachlich 
allmälig,  insbesondere  seit  der  völligen  Freigebung  der  Aktien- 
vereinsbildung,  auf  den  Boden  des  reinen  Privatrechts  ver- 
pflanzt worden  ist.  Zur  Demokratisirung  wie  Mobilisining  der 
Kapitalien  und  zu  den  nur  dadurch  ermöglichten  gewaltigen 
wirthschaftlichen  Unternehmungen,  aber  auch  zu  allen  daran 
natut^emäss  sich  knüpfenden  Gefahren  und  Missbrauchen  bat 
sie  mehr  als  irgend  eine  andere  Gesellschaftsform  beigetragen-, 
sie  bewahrt  die  ihr  naturgemäss  anhaftenden  Mangel  als  noth- 
wendige  Korrelate  ihrer  grossen  wirthschaftlichen  Vorzüge. 

Was  gleichzeitig  an  ähnlichen,  aber  weniger  scharf  aus- 
geprägten Gesellschaftsbildungen  im  Gebiete  der  rein  ger- 
manischen Handelsvtslker,  etwa  in  Eteutschland  und 
Skandinavien  begegnet,  ist,  gleich  vielen  anderen  germa- 
nischen Pnvatrechtsbildungen ,  schliesslich  dem  reicher  und 
konsequenter  durchbildeten  romanischen  Recht  unterlegen.  Am 
spätesten  ist  hier  die  reine  Aktiengesellschaft  durchgedrungen. 
Dagegen  finden  sich  schon  früh  und  anscheinend  originär  der- 
selben ähnliche  gesellschaftliche  Verbindungen,  welchen  ge- 
meinsam ist  der  Charakter  eines  iMehrheitsverbandesc  mit 
vererblichen  und  veräusserlichen  Antheilen  an  einem  gewissen 
Sachenkomplex.  Wenn  die  Grundlage  des  ursprünglichen 
Aktienvereins  ein  Kapitalfonds  (mons,  monte)  bildet,  welcher 
sich  juristisch  als  ein  Komplex  von  Anlehensfordenmgen  gegen 


Alte  und  neue  Formen  der  Handeligeiellschsft.  329 

den  Staat  darstellt,  so  ist  hier  das  mehr  sinnliche  Substrat 
ein  Bergwerk,  ein  Salzwerk,  eine  Mühle,  ein  Seeschiff  mit 
seinem  Zubehör.  Die  Miteigner  dieses  Sachenkomplexes  stehen 
in  einer  eigenthUmlicben ,  bald  mehr  societätsmässigen ,  bald 
mehr  korporativen  Verbindung.  So  in  den  Gewerkschaften 
und  Pfännerschaften,  den  Mtlhlengenosscnschaften,  den  Rhede- 
reien,  den  Gehöferschaften. 

Während  aber  der  Aktienverein  sich  immer  schärfer  zu 
einem  reineo  Kapitalverband  entwickelt,  mit  dem  ein  fttr  alle 
Mal  festbegrenzten  Grundkapital,  dessen  Antheile,  mindestens 
im  kontinentalen  Recht,  zugleich  die  maximale  Haftungsgrenze 
für  jeden  einzelnen  Theilnehmer  darstellen,  findet  sich  in  diesen 
verwandten  Gebilden  sehr  häufig,  schliesslich  gesetzlich  das 
Zubussesystem  anerkannt  in  Verbindung  mit  einem  sehr 
merkwürdigen  Abandonsystem.  Die  einzelnen  Tbeilhaber  sind 
so  verbunden,  unter  Umständen  auch  über  ihren  arithmetisch 
begrenzten  Wertbantheil  an  dem  Gemeingut  hinaas,  zu  den 
Lasten  und  Schulden  des  gemeinsamen  Unternehmens  bei- 
zutragen, sofern  sie  nicht  durch  Aufgabe  ihres  Antheils  sich 
dieser  Zubussepfltcht  entziehen. 

Sehen  wir  einstweilen  von  diesen,  in  wichtigen  Beziehungen 
abweichenden  Zubussegesellschaften  ab,  so  gewinnen  wir  in 
den  bezeichneten  drei  Grundformen  der  Gewerbsgesellschaft 
nach  zwei  Richtungen  hin  die  charakteristischen  Typen: 
einmal  hinsichtlich  des  wirthschaftlich  wie  juristisch  gleich 
wichtigen  Eintheilungsgrundes  nach  der  Kreditbasis, 
zweitens  aber  hinsichtlich  der  allgemeinen  juristischen 
Gestaltung. 

In  erster  Beziehung  liegt  es  auf  der  Hand:  dass  die 
offene  Geseilschaft  ihren  Kredit,  somit  das  Maass  ihrer  Fähig- 
keit, Geschäfte  auf  Kredit  einzugehen,  der  solidaren  imd  zu- 
gleich unbeschränkten  Haftung  aller  Theilnehmer  für  die  Ge- 
sellschaftsschulden entnimmt;  dass  gerade  umgekehrt  der 
Kredit  der  Aktiengesellschaft  lediglich  auf  dem  das  einzige 
Haftungsobjekt  der  Gesellscbaftsgläubiger  bildenden  Vereinsgut 
beruht,  der  einzelne  Aktionär  überhaupt  nicht  ihafteti,  son- 
dern nur  bis  zur  MazimalhOhe  seines  Antheils  oder  seiner 
Antheile  für  die  Gesellschaftsschulden  ieinsteht< ;  endlich  dass 
die  Kommanditgesellschaft  und  die  stille  Gesellschaft  zwischen 
beiden  die  Mitte  halten,  indem  zwar  ein  oder  mehrere  Gesell- 


„Googlc 


330  Alte  nnd  ueae  Form«a  der  Hudel^etdhchofl. 

schafter  unbeschränkt  ftlr  die  Gesellschahsschulden  haften,  ein 
oder  mehrere  aber  nur  bis  auf  Höhe  ihrer  Einlage  für  die- 
selben einstehen,  wobei  dahingestellt  bleiben  mag,  ob  anch 
nur  bei  der  Kommanditgesellschaft  eine  idirekte  Haftung«  der 
Kommanditisten  anzunehmen  ist  oder  sich  empfiehlt.  — 

Diese  verschiedene  Gestalt  der  Kreditbasis  tritt  somit  her- 
vor in  der  verschiedenen  Haftung  nach  aussen,  und  zwar  nur 
darin,  wahrend  im  Innern  diese  verschiedenen  Gesellschaften 
ganz  gleichartig  sein  können  und  der  Vereinbarung  der  Be- 
theiligten  freier  Spielraum  gelassen  ist.  So  steht  nichts  im 
Wege,  dass  die  offene  Gesellschaft  oder  die  Konunanditgesell- 
Schaft  sich  mit  einem  festen,  in  gleiche  Grundtheile  zerlegten 
Aktienkapital  bildet,  oder  dass  in  der  offenen  Gesellschaft  ein 
oder  mehrere  Gesellschafter  gegen  die  übrigen  eine  nur  be- 
grenzte Haftung  übernehmen.  — 

In  der  zweiten  Beziehung  unterliegt  es  keinem  irgend 
gegründeten  Zweifel,  dass  die  Aktiengesellsdhaft  eine  juristi- 
sche Person  ist,  und  zwar,  nach  ihren  Überwiegenden  Merk- 
malen Korporation,  wenngleich  mit  wichtigen  Elementen  aus 
der  zweiten  Klasse  der  juristischen  Personen,  den  sogenannten 
Anstalten  oder  Stiftungen,  durchsetzt;  durch  die  hier  regel- 
mässigen Sonder- Vermögensrechte  der  einzelnen  Theilhaber 
gegen  den  Verein  unterscheidet  sie  sich  zwar  häufig  thatsäch- 
lich,  aber  nicht  begrifflich  von  solchen  Korporationen,  welchen 
diese  korporativen  Sonderrechte  fehlen. 

Umgekehrt  sind  weder  die  offene  noch  die  Kommandit- 
Gesellschaft  juristische  Personen,  sondern  wahre,  wenngleich 
in  mannigfachen  Beziehungen  eigenthUmhch  gestaltete  Socie- 
taten.  Der  Kampf  gegen  die  ganz  schablonenhafte,  änsser- 
liche  Auffassung  der  französischen  Doktrin,  welche  alle  Handels- 
gesellschaften als  juristische  Personen  behandelt,  dürfte  doch 
für  die  deutsche  Theorie  und  Praxis  im  Wesentlichen  ent- 
schieden sein,  wenngleich  noch  immer  nicht  alle  Konsequenzen 
der  richtigen  Auffassung  gezogen  werden.  Vor  mehr  als 
30  Jahren  prophezeite  mir  in  längerer  Unterredung  der  scharf- 
sinnige und  gelehrte,  aber  ganz  französischrechtlich  gebildete 
Referent  der  Nürnberger  Handelsgesetzkommission,  Geheim- 
rath  Heimsoeth,  ich  würde  »bei  reiferer  Einsicht  midi  der 
französischen  Auffassung  anschliessent ;  heute  darf  ich  kon- 
statiren,  dass  weder  an  mir,  noch  an  der  weit  Überwiegenden 


,  CiOO^^Ic 


Alle  und  neue  Formen  der  Htndel^eKllKhafL  331 

Mehrheit  denkender  Facbgenossen  diese  Propheieiung  sich  be- 
wahrheitet hat'. 

Aber  noch  ein  anderes  Prinzip  ist  siegreich  durchgekämpft 
worden.  Gleichfalls  im  Anschluss  an  die  damals  für  muster- 
giltig  erachtete  französische  Gesetzgebung  hatte  der  preussische 
Entwurf  des  Handelsgesetzbuches  den  verhänge] ssvollen  Satz 
an  die  Spitze  gestellt:  >Das  Gesetz  erkennt  drei  Arten  von 
Handelsgesellschaften  an«  (§  85),  nämlich  die  bereits  be- 
sprochenen drei  Grundformen  (§  86).  Damit  war  der  Kreis 
der  Associationsformen  gesetzlich  geschlossen,  das  Handels- 
gesetzbuch für  die  einzige  maassgebende  Rechtsquelle  erklärt. 
Auch  diese  schwerwiegenden  Sätze  sind  gelallen".  Man  er- 
kannte, dass  es  unstatthaft  sei,  der  durch  die  Entfaltung  des 
Untemehmmigsgeistes  hervorgerufenen  Bildung  neuer  Gesell- 
schaftsformen einen  gesetzlichen  Riegel  vorzuschieben.  Ja  es 
ist  sogar  neuerdings,  nach  freilich  hartem  Kampfe  gegen  die 
doktrinäre  Befangenheit  einflussreicher  Praktiker ,  gelungen, 
die  neue  Gesellschaftsform  der  Erwerbs-  und  Wirthschafts- 
genossenschaften  mit  beschränkter  Haftung  zur  gesetzlichen 
Anerkennung  zu  bringen  und  so,  trotz  mancher  legislatorischen 
Missgriffe,  der  freien  Bethätigung  wirthschaftlicher  Kräfte  in 
der  Hauptsache  ausreichenden  Spielraum  zu  gewähren. 

Die  Erwerbs-  und  Wirthschafts-  Genossen- 
schaften bilden  überhaupt  eine  besondere  Gesellschaftsart,  je 
nach  ihrer  besonderen  Gestaltung  den  offenen  oder  den  Aktien- 
gesellschaften verwandt,  aber  doch  von  beiden  in  dem  wirth- 
schaftlichen  wie  dem  juristischen  Grundprinzip  verschieden. 
In  der  Hauptsache  bestimmt,  Erganzungswirthschaften  der  in 
ihrer  Selbstständigkeit  verbleibenden  Einzelwirthschaften  zu 
sein,  sind  sie  auf  den  Wechsel  der  Mitglieder  und  ihrer  Kapi- 
talien berechnet,  Gesellschaften  mit  freiem  Ein-  und  Austritts- 
recht und  deshalb  auch  mit  wechselndem  Kapital  (sociät^s  ä 
capital  variable).  Durch  die  in  der  Hauptsache  richtige  legis- 
lative Gestaltung  dieser  eigenthümitchen  Gesellschaftsart  haben 

'  Vgl.  Laband,  Bdtrige  tar  Dogmadk  der  Handelsgeidlsclufteii, 
Zeit*dir.  r.  du  ges.  Handelaecht,  Bd.  30  S.  469  ff.,  Bd.  31  S.  t  ff.  Gierke, 
I>ie  Genonemcluftitheorie  and  die  deutsche  Rechttpicchung  (Berlin  18S7} 
S.  435 ff.;  Goldscilinidt,  Sptem  de*  HaadeltrecbU  im  GrondriH,  3.  Aufl. 
1891  S.  118 ff.  [4.  Aufl.  S.  129?.]. 

•  S.  dagegen  meine  Kritik  d.  pieou.  Entwarft,  I  (iSj?)  S.  57  fr. 


,  Google 


332  Alte  und  neue  Formen  der  HMtdeUgcullschaft. 

■wir  einen  wichtigen  Vorsprung  gegenüber  allen  ausländischen 
Gesetzgebungen  gewonnen,  welche  diese  Gesellschattsart  theils 
überhaupt  nicht  ausreichend  normiren,  theils,  wie  das  franzö- 
sische Recht  und  die  diesem  nachgebildeten  Gesetzbücher,  unter 
die  nicht  geeigneten  drei  Hauptformen  der  Handelsgesell- 
schaft ,  als  »modifizirte«  offene ,  Kommandit  -  Aktien  -  Gesell- 
schaften, pressen '. 

Haben  wir  uns  hier  und  in  manchen  anderen  wichtigen 
Rechtstheilen  endlich  von  dem  maassgebenden  Vorbild  des 
Auslandes  frei  gemacht,  dürfen  wir  betonen,  dass  unser  deut- 
sches Handelsrecht,  dessen  Doktrin  und  Praxis  in  der  Haupt- 
sache auf  eigenen  Ftlssen  steht,  so  wird  begreiflich,  dass  wir 
im  erfreulichen  Gefühle  .unserer  Kraft  es  wagen,  mit  durchaus 
originellen  Rechtsschöpfungen  auch  da  vorzugeben,  wo  uns 
bisher  Jedes  Vorbild  fremdländischer  Gesetzgebung  fehlt. 


IL 

Ein  derartiger  Versuch  wird  gegenwärtig  gemacht.  Der 
aus  der  Initiative  hochangesehener  Grossindustriellen  hervor- 
gegangene, vom  Reichsjustizamt  ausgearbeitete,  vom  Bundes- 
rath  genehmigte  Entwurf  eines  Gesetzes  überGesell- 
schaften  mit  beschränkter  Haftbarkeit  liegt  dem 
Reichstage  vor,  hat  nur  vereinzelten  Widerspruch  erfahren 
und  ist  bereits  mit  geringen  Modifikationen  von  der  Kommission 
des  Reichstages  angenommen  worden. 

Aber  wohlverstanden,  es  handelt  sich  um  eine  durch- 
aus neue,  noch  nirgends  in  der  Welt  erprobte  Ge- 
sellschaftsform. Es  verhält  sich  insbesondere  ganz  anders 
als  bei  den  iGenossenschaften  mit  beschränkter  Haftpflicht!, 
welche  lange  vor  ihrer  reichsgesetzlichen  Regelung  in  grosser 
Zahl  bestanden  und  sich  bewährt  hatten,  zum  Theil  ohne 
gesetzlichen  Schutz,  zum  Theil  sogar,  wenngleich  unvoll- 
kommen, gesetzlich  geregelt:  in  Bayern  und  Sachsen,  in 
Oesterreich-Ungam ,  der  Schweiz,  den  meisten  europäischen 
Staaten.    Es  ist  bekannt,  dass  die  Urheber  dieses  jetzt  greif- 

'  Goldschmidt,  Eiwerbs-  und  Wirthictufts-GeiiotMnsctuften ,  Stadien 
und  Vonchlfige,  iSSa  (ZeiUchi.  f.  dii  gee.  Hindelirecht  Bd.  37  ü.  i  S.).  Vgl. 
denselbeo:  Die  Erwerbs-  und  WirthschBru^etioNCiuchaften  nich  demRachi- 
gewtte  vom  i.  Mai  18S9,  ZdtKlir.  Bd.  37  S.  33  ff. 


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Alte  und  neue  Fonnen  der  Handel^cKlUclwft  333 

bare  Form  gewinnenden  legislativen  Gedankens,  die  Reichs- 
tagsabgeordneten Dr.  Hammacher  und  Geheimrath  Oechel- 
häuser ,  sehr  verschiedene  Grundprinzipien  für  die  neue 
Gesellschaftsform  vertreten  haben,  und  es  ist  klar,  dass  der 
im  Reichsjustizamt  mit  grossem  technischen  Gesdiick  aus- 
gearbeitete Gesetzentwurf  eine  Art  von  Kompromiss  zwischen 
diesen  verschiedenen  Grundgedanken  erstrebt.  Die  leitenden 
Prinzipien  desselben  sind  überwiegend  den  Grundsätzen  des 
Aktienrechts,  wichtige  jedoch  dem  Recht  der  offenen  Handels- 
gesellschaft, andere  dem  Recht  der  vorhin  charakterisirten 
Zubussegesellschaftea  (Gewerkschaft,  Rhederei)  entnommen. 

Wenn  hervorragende  Kenner  des  deutschen  Wirthschafts- 
lebens,  wenn  die  Mehrzahl  der  deutschen  Handelskammern 
darin  Übereinstimmen,  dass  die  bisher  gesetzlich  anerkannten 
Gesellschaftsformen  für  die  Erreichung  wirthschaftlicher  Zwecke 
nicht  ausreichen,  so  muss  den  so  gekennzeichneten  Interessen 
durch  das  positive  Recht  ausreichender  Schutz  verliehen 
werden.  Insofern  stehe  ich  der  Gesetzesvorlage  durchaus 
sympathisch  gegenüber  und  erachte  es  für  unzulässig,  mit 
O.Bähr'  dem  legislativen  Versuche  mit  der  Behauptung  ent- 
gegenzutreten,  dass  solcher  nur  dem  iSchwindeh  zu  Gute 
kommen  werde.  Aber  immerhin  scheint  mir  grosse  Vor- 
sicht geboten. 

IDen  Hinweis  darauf,  dass  in  England  sich  angeblich 
gleiche  Gesellschaften  bereits  erprobt  hätten,  vermag  ich  nicht 
als  begründet  anzuerkennen.  Bekanntlich  lässt  das  englische 
Recht  —  abgesehen  von  einigen ,  neuerdings  vermehrten 
Fällen '  —  weder  die  Kommandit-  noch  die  stille  Gesellschaft 
2U,  vielmehr  besteht  prinzipiell  für  Gesellschaften  mit  be- 
schränkter Haftbarkeit  lediglich  die  Form  der  Aktiengesell- 
schaft, aber  diese  ist  gesetzlich  auch  solchen  Gesellschaften 
zugänglich  gemacht,  welche  nicht  Aktiengesellschaften  im 
technischen  Sinne  unseres  Rechts  sein  wollen.  Denn  indem 
das  englische  Aktiengesetz  von  1862  gestattet,  dass  das  im 
Prospekt  oder  Statut  normirte  und  registrirte  Grundkapital 
ein  nur  nominelles  bleibt,  d.  h.  dass  die  Aktiengesellschaft  als 

■  >G«se1lschanea  mit  b«scbTSnkter  Haflaog'.     GreDiboten,  Februar  1893. 
*  Ges.  T.  ;.  Juli  1865  u.  Ges.  t.   14-  Augast  1R90  s.  2,  3.     (Zeitschr.  f. 
das  gM.  Handelsr.  X  S.  m,  XXXIX  S.  540.) 


oogic 


334  Alu  nnd  neue  Fonneo  der  HandebgetellKluft. 

Korporation  ins  Leben  bitt,  sobald  Überhaupt  nur  die  noth- 
wendigen  sieben  Mitglieder  je  eine  Aktie  gezeichnet  haben, 
ergibt  sich  die  rechtliche  Möglichkeit,  dass  unter  dem  Namen 
einer  Aktiengesellschaft  mit  einem  gewollten  Grundkapital  von 
10000  JP,  getheilt  in  100  Aktien,  sich  sieben  Personen  zu 
einer  korporativen  Gesellschaft  verbinden,  deren  wirklich  ge- 
zeichnetes Gesellschaftskapital  nur  700  £  beträgt  EMese  an- 
geblich erprobten  Gesellschaften  des  englischen  Rechts  mit 
beschränkter  Haftbarkeit  sind  somit  formell  fertige,  materiell 
unfertige  —  wir  wurden  sagen;  missbräucfaüche  —  Aktioi- 
gesellschaften,  und  ob  sich  beispielsweise  solche  auf  10000  ^ 
projektirte,  aber  mit  einem  Kapital  von  nur  700  |f  ins  Leben 
getretene  Gesellschaften  in  WirkUchkeit  bewährt  haben,  ist, 
trotz  mehrfacher  Bemühungen,  mir  zu  ergrflnden  nicht  ge- 
lungen. Ohnehin  dürfte  um  so  mehr  von  dem  angeblichen 
englischen  Vorbild  abzusehen  sein,  als  bekannthch  seit  ge- 
raumer Zeit  in  England  selbst  emstitcb  erwogen  wird,  ob  nicht 
ein  wirklich  vollgezeichnetes  Grundkapital  an  Stelle  des  nur 
nominellen  Grundkapitals  zu  setzen  sei,  womit  denn  diese 
eigenthUmliche  Abart  einer  nur  formellen  Aktiengesellschaft 
selbstverständlich  sofort  ausgeschlossen  wäre.  Im  Uebrigen 
kennt  freilich  das  englische  Recht  zwei  Formen  der  Aküen- 
gesellschaft,  welche  sich  der  bei  uns  projektirten  Gesellschafts- 
form nähern :  die  verhältnissmässig  seltene  Aktiengesellschaft 
>limited  by  guaranteec  und  diejenige  Aktiengesellschaft,  deren 
Statut  bestimmt,  dass  eine  gewisse  Rate  des  Aktiennominal- 
werths  erst  eingefordert  werden  dOrfe,  wenn  dies  bei  der 
Liquidation  bezw.  im  Konkurse  erforderlich  wird  (sog.  >reserve 
liabilityi);  beide  Arten  sind  wahre  Aktiengesellschaften,  aber 
materiell  mit  Zubussepflicht 

Ich  gehe  mithin  von  der  Unterstellung  aus,  dass  das  Be- 
dUrfniss  nach  Schaffung  einer  neuen,  und  zwar  noch  nirgends 
erprobten  Gesellschaftsform  vorliegt,  und  will  nicht  mit  den 
Befürwortern  derselben  und  den  Motiven  des  Regienmgs- 
entwurfs  untersuchen,  in  welchen  Fällen  und  aus  welchen 
Gründen  die  bisher  anerkannten  Gesellschaftsformen  nicht  zu- 
reichen; denn  in  dieser  Richtung  Hesse  sich  ja  sehr  streiten. 
Nur  Zweierlei  wäre  zu  betonen: 

Obwohl  ich,  im  Gegensatz  zu  Bahr,  das  Prinzip  der  be- 
schränkten  Haftung    keineswegs   perhorrescire   und   die  von 


Alte  und  Dcne  Fonnen  dei  HaDddtgaellschaft.  335 

Bahr  drastisch  angemalte  Unsicherheit  aller  Kreditverhält- 
□isse  von  deren  Anerkennung  keineswegs  befürchte,  vielmehr 
finde,  dass  der  schmählichste  Kreditmissbrauch,  nämlich  die 
gewissenloseste  und  frivolste  Verschleuderung  fremder  Kapi- 
talien auch  unter  dem  System  der  unbeschränkten  Haftung 
stattzufinden  pflegt,  desgleichen  dass  der  Einsicht  des  Publi- 
kums die  Prüfung  überlassen  werden  muss,  inwieweit  es  Ge- 
sellschaften mit  beschränkter  Haftbarkeit,  welche  sieb  )a  als 
solche  anzukündigen  haben,  Kredit  schenken  will  —  so  besteht 
doch  unleugbar  die  Gefahr,  dass  mit  deren  Anerkennung  auch 
wirklich  potente  Kapitalisten  und  auch  in  solchen  Fällen,  wo 
innere  GrUnde  eine  solche  Beschränkung  nicht  rechtfertigen, 
das  bequemere,  weil  weniger  verantwortungsvolle  Sjretem  der 
beschränkten  Haftung  wählen  werden.  Im  Prinzip  sind  un- 
zweifelhaft die  offene  Gesellschaft,  ja  die  Kommandit-  und 
stille  Gesellschaft  solider  und  kreditwürdiger  als  die  Gesell- 
schaften mit  nur  beschränkter  Haftbarkeit  aller  Theilnehmer; 
es  erscheint  daher  nicht  geratben,  die  letzteren  auf  Kosten  der 
ersteren  zu  begünstigen.  Ein  Unternehmen,  von  wenigen  Per- 
sonen betrieben,  für  welches  Niemand  im  äussersten  Falle  die 
unbeschränkte  Verantwortlichkeit  übernehmen  will,  dürfte  nur 
unter  ganz  besonderen  Umständen  wirthschaftUch  gerecht- 
fertigt sein.  Es  steht  zu  befürchten,  dass  die  neue  Gesell- 
schaftsform der  offenen  Gesellschaft,  der  Kommandit-  und 
stillen  Gesellschaft,  desgleichen  der  unter  Umständen  sehr  an- 
gezeigten Kommanditgesellschaft  auf  Aktien  eine  keineswegs 
unbedenkliche  Konkurrenz^  in  dem  Sinne  machen  wird ,  dass 
nunmehr  mit  Vorliebe  die  neue  Gesellschaftsform  gewählt 
wird.  Ja  gerade  hierin,  in  der  Gefahr  der  Verdrängung 
dieser  prinzipiell  solideren  Gesellschaftsformen, 
nicht,  wie  von  Bahr  und  Anderen  betont  wird,  in  der  be- 
fürchteten Konkurrenz  mit  den  Aktiengesellschaften,  möchte 
ich  die  Hauptbedenken  gegen  die  Gesetzesvorlage  finden. 

Ich  habe  früher  einmal,  in  meinen  iStudien  über  Erwerbs- 
und Wirthschaftsgenossenschafteai  den  Satz  ausgesprochen, 
»es  sei  wünschenswerth,  durch  das  Bewusstsein  unbeschränkter, 
wenn  auch  nur  im  äussersten  Falle  eintretender  gegenseitiger 
Verantwortlichkeit  sowohl  das  sittlich  spornende  und  ver- 
edelnde Gefühl  innerer  Zusammengehörigkeit  zu  stärken,  wie 
auf  eine  möglichst  umfassende  Mitthätigkeit  oder  doch  Kon- 


,  Cioogle 


336  Alte  und  nene  Formen  der  Hondel^eselitchAft. 

trole  jedes  einzelnen  Mitgliedes  hinzuwirkenc ;  femer,  dass  »wo 
die  Möglichkeit  des  steten  eigenen  Eingreifens,  der  eigenen 
Aufsicht  und  Leitung  besteht,  kein  Grund  vorliegt,  von  der 
prinzipiell  unbeschränkten  Haftung  auch  für  die  Handltugen 
beauftragter  Dritter  und  Genossen  abzugeheat.  An  diesen 
Sätzen  halte  ich  unbedingt  fest.  Es  erscheint  mir  äusserst 
bedenklich,  mit  der  Gesetzesvorlage  schlechthin  die  beschränkte 
Haftung  aller  Mitglieder  zum  Beispiel  in  solchen  Fällen  zu- 
zulassen, wo  ein  wirthschaftliches  Unternehmen  auf  mehrere 
Erben  gelangt,  wo  der  bisherige  AUeinuntemehmer  das  Ge- 
schäft an  zwei  oder  mehr  Personen  veränssert  oder  neben 
diesen  nur  noch  mit  einem  gewissen  Kapital  betheiligt  bleiben 
will.  Sicherlich  ist  es  in  allen  diesen  Fällen  bequemer,  falls 
die  beschränkte  Haftbarkeit  aller  Betheiligten  zugelassen  wird; 
aber  ohne  Hinzutritt  besonderer  Umstände  vermag  ich  in 
dieser  Bequemlichkeit  keinen  ausreichenden  Grund  fUr  die  Auf- 
gabe des  naturgemässen  Haftungsprinzips  zu  finden. 

Zweitens  ist  die  Frage  nicht  zu  umgehen,  ob  denn  solche 
Unternehmungen,  für  welche  die  beschränkte  Haftbarkeit  aller 
Betheiligten  angemessen  erscheint,  nicht,  wie  bisher,  in  der 
Form  der  Aktiengesellschaften  ihre  ausreichende  Ge- 
staltung finden  können. 

Zunächst  will  ich  wiederholen,  dass  ich  von  der  projek- 
tirten  Gesellschaftsform  keineswegs,  wie  Bahr  anninomt,  eine 
erhebliche  Gefährdung  des  bestehenden  Aktiengesellschafts- 
rechts besorge.  Zwar  sollen  auch  hier  die  Geschäftsantbeile 
vererblich  und  veräusserlich,  allein  es  soll  zu  deren  Abtretung 
schlechthin  ein  in  gerichtlicher  oder  notarieller 
Form  geschlossener  Vertrag  erforderlich  sein.  Damit  scheiden 
die  Geschäftsantbeile  dieser  Gesellschaften  aus  dem  Kreise  der 
•Börsenwerthe*  aus.  Wo  die  bßrsenmässige  Aktiengesell- 
schaft indicirt  ist,  welche  für  ihre  Papiere  einen  Markt  sucht, 
ist  die  neue  Gesellschaftsform  unbrauchbar;  sie  könnte  daher 
nur  den  wenig  gefährlichen  Aktiengesellschaften,  deren  Aktien 
in  einem  engen  Kreise  Betheiligter  oder  deren  Rechtsnach- 
folger wesentlich  stabil  bleiben,  ernstliche  Konkurrenz  be- 
reiten. 

Aber  es  bleibt,  wie  bemerkt,  die  Frage,  weshalb  nicht  für 
solche  Gesellschaften  die  durch  unser  Aktiengesetz  keineswegs 
ausgeschlossene  Form  von  nur  unter  erschwerenden  Voraus- 


,  Goo^^lc 


Alte  und  neue  ForraeD  der  HandeltgeEellscbift.  337 

Setzungen  Übertragbaren  Antheilsscheinen  gewählt  wird,  wäh- 
rend im  Uebrigen  es  fur  sie  bei  dem  bestehenden  Recht  der 
Aktiengesellschaften  bewendet.  Dem  werden  zwei  Gründe 
entgegen  gehalten: 

Einmal  wird  behauptet,  dass  unser  Aktienrecht,  ins- 
besondere das  neue  Gesetz  von  1884  dem  Unternehmungsgeist 
kaum  Uberwindliche  Schranken  gezogen  habe.  Man  findet 
diese  insbesondere  in  den  lästigen  Gründungsvorscbriften  und 
in  der  gesetzlichen  Verantwortlichkeit  des  Aufsichtsraths,  fuhrt 
auch  die  allerdings  sehr  schwerfällige  und  wenig  übersicht- 
liche Form  des  neuen  Aktiengesetzes  ins  Feld.  Nun  fühle 
ich  mich  nicht  berufen,  für  die  letztere  eine  Lanze  einzulegen ; 
dagegen  kann  ich  keineswegs  in  den  prinzipiellen  Tadel  gegen 
den  materiellen  Inhalt  dieses  Gesetzes  einstimmen,  finde  auch 
nicht,  dass  dasselbe  erfahrungsmässig  gute  oder  schlechte 
Gründungen  verhindert  hat.  Mindestens  aber  wäre  es  sehr 
verkehrt,  das  vor  Kurzem  nach  langen  mühseligen  Vorarbeiten 
erlassene  Aktiengesetz  dadurch  indirekt  zu  beseitigen,  dass 
man  die  Bildung  von  Gesellschaften  mit  durchaus  gleichen 
Zielen  ohne  die  strengen  Vorschriften  dieses  Gesetzes  ge- 
stattet. Sind  wirklich  diese  Vorschriften  eine  unerträgliche 
Fessel  des  Unternehmungsgeistes,  so  möge  man  an  die  direkte 
Reform  des  Aktiengesetzes  gehen,  und  man  würde  in  dem 
so  gerne  gepriesenen  englischen  Recht  mindestens  ein  aus- 
reichendes Vorbild  für  sehr  häufige  legislatorische  Wande- 
lungen des  Aktiengesellschaftsrechts  finden.  — 

Viel  gewichtiger  ist  ein  zweites  Bedenken.  Es  gibt  in 
der  That  Unternehmungen,  für  welche  die  Vorschriften  unseres 
Aktiengesetzes  undurchführbar  oder  doch  unzweckmässig  er- 
scheinen, obwohl  diese  Unternehmungen  nur  unter  beschränkter 
Haftbarkeit  aller  Betheiligten  durchgeführt  werden  können. 
Aus  diesem  Grunde  sind  bekanntlich  durch  das  Reichsgesetz 
vom  19.  März  1888  die  deutschen  Kolonialgesellschaften  von 
der  strikten  Innehaltung  des  Aktiengesetzes  eximirt,  indem 
das  Reichsgesetz  ihre  Geschäfts-  und  Gerichtsfähigkeit  aus- 
schliesslich an  einen  Beschluss  des  Bundesraths  auf  Grund 
ihres  vom  Reichskanzler  genehmigten  Statuts  geknüpft  hat. 
Da  es  nun  aber  unmöglich  erscheint,  auf  diesem  Wege  der 
Spezialgesetzgebung  allen  begründeten  Sonderinteressen  ge- 
recht zu  werden,  so  muss  versucht  werden,  für  solche  Sonder- 

Goldichmidt,  VermUcbte  Scheißen,    n. 


,  C-'Oogle 


338  Alte  und  neue  Formell  der  HandebgeaellschsfL 

Interessen  eine  altgemeine  Norm  zu  geben.  Aber  hier  darf, 
nach  meiner  Ueberzeugung ,  die  Gesetzgebung  nur  insoweit 
ihren  Arm  bieten,  als  ein  unzweifelhaft  begründetes  Interesse 
vorliegt,  welches  in  der  Form  der  bestehenden  oder  zu  refor- 
mirenden  allgemeinen  Gesetze  seine  angemessene  Befriedigung 
nicht  zu  finden  vermag. 

Ich  vermag  als  solches  lediglich  die  erstrebte  Zu- 
bussepflicht  anzuerkennen. 

Im  Gegensatz  zu  dem  vorhin  geschilderten  englischen 
Aktiengesetz,  welches  thatsächlich  die  Möglichkeit  einer  Kapi- 
talserweiterung wie  Kapitalsreduktioo  nach  wechselndem  Be- 
dürfniss  zulässt,  beruht  bekanntlich  unser  kontinentales  Aktien- 
recht auf  dem  starren  Grundprinzip  des  fixirten,  in  seiner 
statutenmässigen  Höhe  sogleich,  noch  vor  der  Konstituirung 
durch  Zeichnung  zu  sichernden  Grundkapitals.  Freilich  ist 
es  möglich,  und  z.  B.  bei  den  Versicherungsgesellschaften  au( 
Aktien  sogar  allgemein  üblich,  dass  die  Volleinzahlung  des 
gezeichneten  Grundkapitals  Über  das  gesetzlich  nothwendige 
Viertel  hinaus  sich  nur  allmälig  nach  Bedürfniss  oder  gar 
nur  eventuell  vollzieht,  aber  weder  kann  der  Aktionär  die  ge- 
hörig ausgeschriebene  Einzahlung  der  rückständigen  Raten 
rechtlich  weigern,  noch  hat  umgekehrt  der  Aktienverein  einen 
Rechtsanspruch  gegen  die  Aktionäre  auf  theilweise  Zurück- 
nahme der  geleisteten  Einlagen  oder  auf  Zuschüsse.  Soll 
eine  Verminderung  des  Betriebskapitals  unter  das  Grundkapital 
stattfinden,  so  bleibt  nur  der  umständliche  und  schwierige 
Weg  der  gesetzmässigen  Kapitalsreduktion ;  soll  eine  Erhöhung 
des  Betriebskapitals  über  das  Grundkapital  hinaus  eintreten, 
so  bleibt  nur  der  sehr  bedenkliche  Weg  der  Belastung  durch 
Schuldaufnahme,  namentlich  durch  sogenannte  Prioritätsobli- 
gationen, oder  der  Versuch  einer  beschlussmässigen  Erhöhung 
des  Grundkapitals,  welcher  nicht  nur  thatsächlich  scheitern 
kann ,  sondern  auch  rechtlich  an  dem  Widerspruch  eines 
Viertels  des  in  der  Generalversammlung  vertretenen  Grund- 
kapitals scheitert.  Desgleichen  lässt  sich  das  durch  die  General- 
versammlung erhöhte  Grundkapital  nur  im  Wege  der  gesetz- 
mässigen Reduktion  wiederum  mindern.  Kurz :  die  mangelnde 
Elastizität  des  ursprünglichen  oder  erhöhten  Grundkapitals 
verhindert  die  kontinentale  Aktiengesellschaft,  sich  völlig  den 
wechselnden   Bedürfnissen   des  kaufmännischen  Unternehmens 


Alte  nud  oeae  Formen  der  H>ndel«geKUtchafi.  339 

anzapassec.  Hier  erscheint  eine  Aushülfe  angezeigt,  indem 
das  System  der  Zubussegesellschaften  in  geeigneter  Weise  an- 
erkannt wird. 

Von  diesem  Bedürfniss  aus  hat  bekanntlich  die  ganze  auf 
die  neue  Gesellschaftsform  gerichtete  Bewegung  ihren  Aus- 
gangspunkt genonmien,  und  nur  in  der  Befriedigung  dieses 
Bedürfnisses  vermag  ich  für  jetzt  einen  ausreichenden  Grund 
zu  erkennen,  neben  der  Aktiengesellschaft  eine  neue  Form  der 
Kapitalgesellschaft  zu  schaffen. 


Es  ist  bereits  erwähnt,  dass  in  den  Kreisen  der  Betheiligten 
zwei  Hauptansichten  gegenüberstanden  und  noch  stehen,  welche 
mit  den  ScJilagworten  der  >individualistischen<  und  der  >kollek- 
tivistischenc  Gesellschaft  charakterisirt  werden.  Nach  der 
einen  soll  die  neue  Gesellschaftsform  in  der  Hauptsache  jPer- 
sooengesellschaft.^  sein  und  denjenigen  Bedürfnissen  dienen, 
welche  man  bisher  in  der  Form  der  offenen  wie  der  Kom- 
mandit-  oder  stillen  Gesellschaft  zu  befriedigen  gewohnt  war. 
Nach  der  zweiten  soll  dieselbe  wesentlich  >Kapitalgesell- 
schaftt  sein  und  in  der  Hauptsache,  obwohl  mit  dem  Zu- 
bussesystem ,  also  in  Anlehnung  an  die  Gewerkschaft,  die 
Stelle  der  Aktiengesellschaft  vertreten  können.  Je  nachdem 
der  eine  oder  der  andere  Gesichtspunkt  an  die  Spitze  ge- 
stellt wird,  muss  die  Gesammtgestaltung  der  neuen  Gesell- 
schaftsform eine  ganz  verschiedene  sein. 

Der  Entwurf  vermittelt.  Er  nimmt  in  der  Hauptsache 
das  sogenannte  kollektivistische  System  an,  ordnet  demgemäss 
die  neue  Gesellschaftsfornj  nach  Art  der  Aktiengesellschaft, 
lässt  aber  durch  seine  Vorschriften  die  Möglichkeit  offen,  dass 
diese  Gesellschaft  sich  auch  mehr  nach  Art  der  offenen  oder 
der  Kommanditgesellschaft  organisirt,  ja  lediglich  denjenigen 
Bedürfnissen  dient,  welche  herkömmlich  in  Form  dieser  Gesell- 
schaften befriedigt  zu  werden  pflegen. 

So  heisst  es  z.  B.  in  §  6: 

»ist  im  Gesellschaftsvertrage  bestimmt,  dass  sämmt- 
liche  Gesellschafter  zur  Geschäftsführung  berechtigt 
sein  sollem  u.  s.  f. 

§  7.  »Sind  mehr  als  drei  zu  Geschäftsführern  nicht 
bestellte  Gesellschafter  vorhanden»  u.  s.  f.  — 


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340  AI''  ""^  »'<"  Formen  der  HaadebgeMlltcluft. 

Es  ist  also  an  Gesellschaften  auch  von  wenigen,  vielleidit  nur 
zwei  oder  drei  Theilnehmem  gedacht. 

Insbesondere  ^nd  in  den  §§  46  ff.  für  die  Verhältnisse 
unter  den  Gesellschaftern  nur  subsidiäre  gesetzliche  Vor- 
schriften aufgestellt,  so  dass  es  z.  B.  einerseits  den  Gesell- 
schaftern unverwehrt  ist,  das  Prinzip  der  Stimmeceinhelligkeit 
fUr  alle  GesellschaftsbeschlUsse  festzusetzen,  andererseits  die 
komplizirte  Form  eines  mit  Generalversammlung  und  Auf- 
sichtsrath  ausgestatteten  Mehrheitsverbandes  zu  wählen. 

In  den  Beschlüssen  der  Reichstagskommission  ist 
das  individualistische  Element  sogar  noch  verstärkt,  insbesondere 
durch  Zulassung  der  Personenfirma  neben  der  vom  Entwurf 
allein  gestatteten  Sachfirma. 

Nun  habe  ich  weder  gegen  die  möglichste  Elastizität 
dieses  neuen  Gesellschaftsrechts,  noch  gegen  die  Weitherzig- 
feeit,  mit  welcher  man  gewisse  Rechtssätze  der  offenen  und 
der  Aktiengesellschaft  zu  kombiniren  versucht  hat,  einen 
prinzipiellen  Einwand.  Aber  ich  mochte  doch  darauf  hin- 
weisen, dass  Kombination  nicht  innerliche  Verschmelzung  ist. 
und  dass  diametral  entgegengesetzte  Grundgedanken  sich  nicht 
verschmelzen  lassen.  Und  auch  praktisch  erachte  ich  es  für 
äusserst  bedenklich,  wie  schon  oben  hervorgehoben,  eine  wesent- 
lich > individualistische!  Gesellschaft,  welche  naturgemäss  nach 
der  civilen  Societät  oder  nach  der  offenen  Handelsgesellschaft 
oder  Kommanditgesellschaft  artet,  unter  das  System  der  be- 
schränkten Haftbarkeit  zu  stellen,  da  diese  in  allen  festgeord- 
neten Instituten  unseres  geltenden  Rechts  nur  als  Korrelat 
der  in  gewissem  Sinne  unpersönlichen  Betheiligung  an  dem 
Unternehmen,  der  Nothwendigkeit,  dasselbe  durch  fremde  Ver- 
walter zu  führen,  erscheint:  bei  der  Kommandit-  und  stillen 
Gesellschaft,  bei  der  beschränkten  Haftung  des  Rheders  und  der 
Rhederei,  bei  der  Gewerkschaft,  der  Aktiengesellschaft  u.  s.  f. 

Es  wird  sich  sogleich  in  einer  sehr  wichtigen  Frage  zeigen, 
dass  diese  Weitherzigkeit  des  Entwurfs  zu  völlig  unzulässigen 
Konsequenzen  führt. 

Noch  bedenklicher  dUnkt  mir  ein  zweiter  Punkt.  Ist. 
wie  bemerkt,  das  treibende  und  durchaus  anerkennenswertbe 
Motiv  für  die  Bildung  einer  neuen  Gesellschaftsform  in  erster 
Linie  die  Ermöglichung  der  Zubusse-  oder  Nachschusspflicht 
so  erscheint  es  doch  schwer   begreiflich,   dass  nach   §§  26  fl. 


Alte  und  neue  Fonnea  der  Handeliges«ll9chifl.  341 

diese  Nachschusspflicht  eine  nur  fakultative  ist,  und  dass  solche, 
wenn  sie  im  Gesellschaftsvertrag  auf  einen  bestimmten  Betrag 
festgesetzt  wird,  auf  einen  beliebigen,  nur  nach  Verhältniss 
der  Gesellschaftsantheile  festzusetzenden  Betrag  bestimmt 
werden  kann.  Mit  anderen  Worten:  Die  neue  Gesell- 
schaft mit  beschränkter  Haftung  ist  nur  dann  Zu- 
bussegesellschaft,  wenn  sie  es  sein  will,  und  wenn 
sie  es  will,  so  kann  die  Zubussepflicht  eine  illusorische 
sein,  z.  B.  giltig  auf  '/lo  des  Geschäftsantheils,  also  etwa  auf 
50  M.  festgesetzt  werden.  Ich  finde  nicht,  dass  ein  praktisches 
Bedürfniss  für  Gesellschaften  dieser  Art  erkennbar  ist.  Wenn 
die  Motive  des  Gesetzentwurfs  vornehmlich  mit  der  Rüben- 
zuckeraktiengesellschaft exemphfiziren ,  welche  sich 
nach  der  neuen  Gesellschaftsform  bilden  könnte,  weil  diese 
neben  den  Kapitalbeiträgen  auch  anderweitige  Betheiligung 
zulasse,  so  ist  dies  freilich  richtig;  aber  ich  denke  doch ,  dass 
man  jene  sehr  wichtigen  Gesellschaften  und  andere  ähnliche 
Arten,  welche  Aktiengesellschaften  sein  wollen,  auch  als 
solche,  nämlich  als  eigenthümliche  Aktiengesellschaften  auf- 
recht erhalten  sollte,  erforderlichen  Falls  im  Wege  der  gesetz- 
lichen Deklaration.  Die ,  übrigens  völlig  difforme  Recht- 
sprechung des  Reichsgerichts,  welche  ihre  Existenz  bedroht, 
vermag  ich  keineswegs  als  überzeugend  anzuerkennen  und 
freue  mich,  dass  diese  Rechtsprechung  neuerdings  in  der  sehr 
lesenswerthen  Abhandlung  von  Landgerichtsrath  Lippmann' 
eine  beherzigenswerthe  Kritik  gefunden  hat. 

IV. 

Gegen  den  Entwurf  hat  Bahr  einen  sehr  gewichtigen 
Einwurf  erhoben,  welcher,  soviel  ich  sehe,  von  der  Presse 
nicht  genügend  gewürdigt  worden  ist.  Er  sagt,  man  dürfe 
nicht  die  beliebige  Kreirung  von  juristischen  Personen 
ohne  Staatsgenehmigung  gestatten. 

Ich  stehe  nun  freilich  auf  einem  durchaus  abweichenden 
prinzipiellen  Standpunkt.  Nicht  nur  erachte  ich  die  Freigebung 
der  Korporationsbildung  unter  gesetzlichen  Bedingungen  fUr 
ein  unabweisliches  Bedürfniss,  sondern  ich  nehme  auch  an, 
dass,   soweit  nicht  die  freilich   vorherrschende   Landesgesetz- 

'  Zeittchr.  f.  das  get.  Handelsrecht  Bd.  39  S.   116  fT. 

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342  -^'tE  i""^  "'"^  Formell  der  HiudeUgeiellschari. 

gebung  entgegensteht,  nach  dem  gehenden  gemeinen  Recht  der 
freien  Korporationsbildung  nur  diejenigen  Schranken  gezogen 
sind,  welche  in  der  Natur  der  Sache,  nämlich  in  der  Art  der 
Verbindung  selbst  gelegen  sind.  Wird  zu  erlaubtem  dauern- 
dem Zweck  eine  Verbindung  derart  errichtet,  dass  sie  die 
Interessen  nicht  lediglich  zeitiger,  sondern  auch  ktlnftiger  Mit- 
glieder durchzuführen  bestimmt  ist,  gibt  sie  sich  eine  dem 
entsprechende  Organisation,  will  sie  endlich  für  die  entstehen- 
den Verbindlichkeiten  lediglich  mit  ihrem  Vermögen  einstehen, 
oder  soll  doch  die  Haftung  auch  ihrer  einzelnen  Mitgheder 
eine  nur  subsidiäre  sein,  so  ist  diese  Verbindung  ihrem  Wesen 
nach  eine  Korporation'.  Die  Aufgabe  der  Gesetzgebung  kann 
hier  meines  Erachtens  in  der  Regel  nur  darin  bestehen ,  die 
Voraussetzungen  genau  zu  präzisiren,  unter  welchen  eine  der- 
artige Verbindung  das  Recht  hat,  als  juristische  Person  an- 
erkannt zu  werden.  Auf  diesen  Standpunkt  hat  sich  auch  die 
zur  Zeit  tagende  Kommission  für  die  zweite  Lesung  des  Ent- 
wurfs eines  börgertichen  Gesetzbuches  gestellt  und  eine  ent- 
sprechende, sorgfältig  redigirte  Vorlage  beschlossen.  Des- 
gleichen ist  durch  neuere  Reichsgesetze  und  Landesgesetze 
solchen  Verbindungen,  welche  den  Erfordernissen  dieser  Ge- 
setze entsprechen,  dadurch  implicite  die  juristische  Persönlich- 
keit verliehen,  dass  sie  ihnen  alle  Attribute  derselben  bei- 
gelegt haben.  Die  ganz  korrekte  Formel,  welcher  sich  her- 
kömmlich unsere  neueren  Gesetze  zu  diesem  Behufe  bedienen, 
ist  vorbildlich  in  Art.  213  des  Handelsgesetzbuches  dahin 
aufgestellt: 

»Die  Aktiengesellschaft  als  solche  hat  selbst- 
ständig ihre  Rechte  und  Pflichten  — c, 
während  die  hervorgehobenen  Worte  konsequent  bei  allen 
denjenigen  Verbindungen  fehlen,  welchen  die  gleiche  juristische 
Struktur  fehlt,  wie  der  offenen  Gesellschaft,  der  Kommandit- 
gesellschaft, einschliesslich  der  Kommanditgesellschaft  auf 
Aktien,  der  Rhederei  u.  dergl. 

Mit  dieser  korrekten  Formel  ist  auch  der  wunderliche 
Missgriff  J  h  e  r  i  n  g  '  s ,  welchen  jetzt  merkwürdiger  Weise 
.■sogar  O.  Bahr  als  eine  Errungenschaft  der  gesunden  Wissen- 

<  Mein  Vortrag  auf  dem  8,  deutschea  Jaristentag  1869  (Verhandl. 
II  S.  43  ff,)  n.  mein  S}>ttem  des  Haudelirechts  im  GnmdriH,  3.  Aufl.  (1891) 
S.  13011:  [4.  Aufl.  S.   131fr.]. 


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Alte  und  ueue  Formen  dei  HandebgeKllEchafl.  343 

Schaft  preist,  zurückgewiesen,  dass  Subjekte  des  Korporations- 
vermögens  bezw,  Anstaltsvermögens  die  jeweiligea  Mitglieder 
oder  die  Destinatare  seien.  Das  dürfte  doch  einigermaassen 
an  die  naive  Auffassung  des  Wilden  —  heute  würden  wir 
vornehmer  »des  Urmenschen*  sagen  —  erinnern,  welcher  die 
berühmte  > Stadtgemeinde  Berlin*  zu  sehen  wünscht  und  sich 
dieselbe  nur  in  der  Person  des  Oberbürgermeisters  oder  etwa 
in  dem  Magistratskollegium  oder  in  der,  vielleicht  in  der 
Hasenhaide  versammelten  Einwohnerschaft  vorzustellen  vermag. 
Diese  Identifizirung  des  freilich  zeitig  wechselnden  sinnlichen 
Substrats  mit  der  diesen  Wechsel  überdauernden  idealen  Per- 
sönlichkeit wäre  der  ungeheuerlichste  Rückschritt,  den  die 
Wissenschaft  des  Rechts  machen  könnte. 
Nun  sagt  auch  §  13  unseres  Entwurfs: 

>Die  Gesellschaft  mit  beschränkter  Haftung  als 

solche  hat  selbstständig  ihre  Rechte  tmd  Pfüch- 

tenf  u.  s.  f. 

Diese  Bestimmung   ist  auch  in  der  Reichstagskommission 

nicht    geändert    und    anscheinend    gar   nicht    einmal    monirt 

worden.    Wenn  aber  die  Motive  zu  §  13  bemerken: 

»Die  Frage,  ob  eine  Gesellschaft  mit  beschränkter 
Haftimg  als  juristische  Person  zu  betrachten  ist,   soll 
damit  nicht  entschieden  werden ;  sie  ist  wesentlich  theo- 
retischer Natur  und  muss  deshalb  der  Wissenschaft 
überlassen  bleiben*, 
so  stehen  diese  Motive   mit  Wortlaut   wie  Inhalt  des  Gesetz- 
entwurfs in  unversöhnlichem  Widerspruch.  Unter  einer  Gesell- 
schaft ,    welche     »als    solche   selbstständig    ihre    Rechte    wid 
pflichten  hat«,  versteht  die  Theorie  und  muss  die  Theorie  ver- 
stehen,   will  sie  anders  nicht  völlig  vernunftwidrig  denken, 
eine  juristische  Person.     Es  ist  bemerkenswerth ,   dass  in  den 
§   17  des  neuen  Genossenschaftsgesetzes  vom  1.  Mai  1889  die 
Reichstagskommission   die   Worte    »als    solche   selbstständig* 
It^diglich   deshalb  eingefügt   hat,   um   dadurch   die  juristische 
Persönlichkeit   der  eingetragenen  Genossenschaft  zum  zweifel- 
losen Ausdruck  zu  bringen. 

Trotz  des  Protestes  der  Motive  wird  es  also  dabei  bleiben, 
dass  jede  den  gesetzlichen  Erfordernissen  entsprechende  Gesell- 
schaft mit  beschränkter  Haftung  als  juristische  Person  gelten 
soll;   auch  werden  die  Verfasser  des  Entwurfs  wohl   selbst 


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344  Alte  und  neue  Fonoen  der  Htuidelsgesellichaft 

schwerlich  annehmen,  dass  zwar  in  gewissen  Fällen  das  an- 
zuerkennen sei,  in  andern  nicht,  denn  der  Rechtssatz  des  §  13 
macht  keine  Unterscheidungen. 

Setzen  wir  nun  den  Fall,  dass  der  Fabrikant  A,  welcher 
bisher  sein  Geschäft  allein  oder  mit  einem  offenen  Gesell- 
schafter oder  Kommanditisten  betrieben  hat,  das  Unternehmen 
in  eine  Gesellschaft  mit  beschränkter  Haftung  umwandelt, 
und  zwar  entweder,  indem  er  sich  mit  seinem  bisherigen  Gesell- 
schafter in  diesem  Sinne  einigt,  oder,  indem  er  etwa  einen 
Sohn  oder  auch  etwa  zwei  Töchter  oder  Schwiegersöhne  in 
das  Geschäft  aufnimmt.  Er  selbst  behält  von  dem  festgesetzten 
Stammkapital  von  50000  M.  40000  M.,  die  anderen  Gesell- 
schafter B  und  C  sind  insgesammt  mit  10000  M.  betheiligt-, 
alle  drei  oder  vielleicht  auch  nur  A  oder  nur  B  und  C  sind 
Geschäftsführer.  Der  Geselfschaftsvertrag  ist  auf  die  Dauer 
eines  Jahres  geschlossen.  Damit  soll  eine  »juristische  Persont 
geschaffen  sein,  also  ein  ideales  Wesen,  welches  sein  eigenes, 
allein  für  die  Schulden  haftendes  Vennögen  hat!  Ist  das 
wirklich  glaublich  und,  wenn  das  positive  Gesetz  es  vor- 
schreiben sollte,  zweckmässig?  Hier  zeigt  sich  recht  drastisch, 
dass  die  Formel  der  juristischen  Person  zwar  passt  für  die 
aktienartigen,  auf  einen  umfassenden  und  normaler  Weise 
wechselnden  Personenbestand  berechneten  Kapitalgesellschaften, 
nicht  aber  für  ganz  individualistische  Personenverbindungen, 
welche  man  durch  die  gleichen  gesetzlichen  Vorschriften 
glaubt  regeln  zu  können. 

Hält  man  dies  für  überhaupt  durchführbar,  so  muss  man 
mindestens  eine  Formel  streichen,  welche  nur  fUr  erstere  an- 
gemessen erscheint,  und  sich  damit  begnügen,  den  neuen  Gesell- 
schaften dasjenige  Maass  von  selbstständiger  Geschäftsfähig- 
keit und  Parteifähigkeit  zu  sichern,  welches  allen  Gewerbs- 
Handelsgesellschaften,  insbesondere  auch  der  offenen  und 
Kommanditgesellschaft,  gesetzlich  (Handelsgesetzbuch  Art.  111, 
164)  zukommt. 

V. 

Wenn  der  Entwurf  über  das  praktische  BedUrfniss  hinaus 
auch  solche  Gesellschaften  normirt,  welche  gar  nicht  2u- 
bussegesellschaften  sein  wollen,  so  greift  er  in  anderen 


Alto  tmd  neue  Fonii«ii  dei  HuideltKe«ellieIuft  345 

Beziehungen  noch  tiefer  in  unser  gesammtes  bürgerliches  und 
Handelsrecht  ein. 

Nach  §  1  können  Gesellschaften  mit  beschränkter  Haftung 
nach  Maassgabe  dieses  Gesetzes  zu  jedem  gesetzlich  zulässigen 
Zweck  errichtet  werden,  sind  also,  so  errichtet,  juristische 
Personen.  Also  nicht  einmal  ein  Erwerbszweck,  geschweige 
denn  ein  Handelszweck,  für  dessen  Befriedigung  durch  die 
neue  Gesellschaftsfonn  bisher  allein  ein  Bedtirfniss  er- 
kennbar hervorgetreten  ist,  soll  erforderlich  sein.  Jede  Ver- 
bindung zu  irgend  einem  nicht  ungesetzlichen  politischen, 
socialen,  religiösen,  gemeinnutzigen,  geselligen  Zweck  kann 
sich  fortan  in  dieser  Form  und  zwar  als  Korporation  bilden. 
Auch  dann,  wenn  diese  Verbindung  gar  nicht  die  natur- 
gemässen  Merkmale  einer  Korporation  an  sich  trägt,  sondern 
eine  vielleicht  ganz  vorübergehende  Vereinigung  zur  Befriedi- 
gung ganz  individueller  Bedtlrfnisse  weniger  Personen  ist 
Freilich  ist  das  bereits  gegenwärtig  möglich,  wenn  die  Form 
der  Aktiengesellschaft  oder  der  Kommanditgesellschaft  auf 
Aktien  gewählt  wird,  und  es  fehlt  nicht  an  drastischen  Er- 
scheinungen der  Art  —  aber  es  ist  doch  klar,  dass  diese 
wunderliche  Bildung  von  Pseudohandelsgesellschaften  durch 
das  neue  Gesetz  in  hohem  Maasse  erleichtert  wird.  Und 
während  in  der  Kommission  für  das  bürgerliche  Gesetzbuch, 
unter  lebhaftem  Meinungsstreit  imd  anscheinend  gegen  den 
Widerspruch  der  prenssischen  Regierung  versucht  wird,  die 
gesetzlichen  Voraussetzungen  der  freien  Korporationsbildung 
genau  zu  fiiiren,  statulrt  ein  anderes  Reichsgesetz  kurzer  Hand: 
wenn  sich  zwei  oder  mehr  Personen  als  Gesellschaft  mit  be- 
schränkter Haftung  mit  einem  Nominalkapital  von  mindestens 
20000  M.  unter  gewissen,  auf  das  Leichteste  erfüllbaren  Be- 
dingungen registriren  lassen,  so  bilden  sie  eine  juristische 
Person!  Das  macht  doch  nahezu  den  Eindruck,  als  ob  es  im 
Deutschen  Reich  zwei  verschiedene  Welten  gäbe,  von  denen 
jede  völlig  unabhängig  von  der  andern  regiert  wird. 

Weiter  soll,  nach  §  13  unseres  Entwurfs,  jede  Gesell- 
schaft mit  beschränkter  Haftung  als  Handelsgesellschaft 
im  Sinne  des  D.H.G.B.s,  somit  gemäss  Art.  5  des  H.G£.s 
auch  als  Kaufmann  im  Sinne  dieses  Gesetzes  gelten.  Also: 
sie  ist  allen  kaufmännischen  Rechten,  Begünstigungen,  Pflichten 
unterworfen;  ihre  Geschäfte  sind  als  Geschäfte  im  Gewerbe 


346  ^t^  '""^  »c**«  Fonnen  d«r  HaDdeligeseUtchaft. 

schlechthin  Handelsgeschäfte  (Art.  273),  und  alle  ihre  Ge- 
schäfte, welche  Geschäfte  im  Gewerbe  sein  können,  gelten 
präsumtiv  als  solche  (Art.  274);  sie  hat  als  Beklagte  vor 
der  Kanuner  des  Landgerichts  für  Handelssachen  Recht  zu 
nehmen  u.  s.  f.  Alk  diese  Gesellschaften  sind ,  a&ch  §§  7,  8 
des  Entwurfs,  in  das  Handelsregister  einzutragen,  über- 
haupt sind  sie,  ihre  Geschäfte,  Prozesse,  schlechthin  dem 
Handelsrecht  unterstellt.  Nun  dürfte  ich  für  meine  Person 
wohl  vor  dem  Verdacht  geschützt  sein,  dass  ich  die  berech- 
tigte Sphäre  des  Handelsrechts  einzuengen  bezwecke  —  aber 
einer  solchen  schrankenlosen,  vOtlig  unübersehbaren  Kom- 
merzialisirung  etwa  einer  beliebigen  Studentenverbindung  oder 
eines  politischen  Klubs  oder  selbst  einer  landwirthschaftltcfaen 
Gesellschaft  möchte  ich  doch  entschieden  widersprechen.  Es 
war  keineswegs  mibedenklich,  dass  bereits  die  Aktiennovelle 
vom  11.  Juni  1870  alle  Aktiengesellschaften  und  Kommandit- 
gesellschaften auf  Aktien,  dass  weiter  das  Genossenschafts- 
gesetz alle  eingetragenen  Erwerbs-  und  Wirthschaftsgenossen- 
schaften,  auch  solche,  welche  jedem  Handelsbetrieb  im  weitesten 
Sinne  ferne  stehen,  für  Kaufleute  im  Sinne  des  H.G.B^  er- 
klärt hat.  Aber  diese  gesetzliche  Fiktion  verschwindet 
gegen  die  ganz  unübersehbare  Tragweite  des  gegenwärtigen 
Entwurfs. 

Es  erscheint  mir  keineswegs  rathsam,  dass  die  bürger- 
liche Gesellschaft,  zumal  die  nicht  auf  Erwerb  abzielende,  sieb 
auf  alle  Wege  des  Handelsrechts  begiebt,  noch  gar,  dass  das 
Gesetz  die  heterogensten  Verbindungen  lediglich  ihrer  Form 
willen  schlechthin  dem  Handelsrecht  unterwirfL  Wenn,  wie 
ähnlich  schon  das  schweizerische  Obligationenrecht,  der  Ent- 
wurf des  bürgerlichen  Gesetzbuches  erster  Lesung  es  den  Er- 
werbsgesellschaften,  welche  nicht  Handel^eseUschaften  and, 
gestattet,  sich  vertragsmässig  den  Vorschriften  der  offenen 
Handelsgesellschaft,  somit  insbesondere  der  unbeschränkten 
und  solidaren  Haftung  aller  Mitglieder,  zu  unterwerfen,  so 
lässt  sich  dafür  immerhin  anfuhren,  dass  die  so  gewonnene 
verstärkte  Kreditbasis  der  Gesammtheit  zu  Gute  konomt  — 
allein  das  GegentheU,  nämlich  die  Exemtion  von  der  un- 
beschränkten Haftung  fUr  alle  Bevölkenmgsklassen  zu  be- 
günstigen, dürfte  doch  durch  keinerlei  Gründe  geboten  sein. 
Und  wenn  z.  B.  der  gegenwärtige  Art.   10  des  D.H.G3^ 


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Alle  and  neue  Formen  der  Huidelteetdliduft.  347 

die  sogenannten  MiaderkauQeute,  zu  denen  ja  auch  alle  Gast- 
wirthe  gehören,  von  der  Association  im  Wege  der  offenen 
und  der  K<Hnnianditge5el]schaft  ausschliesst,  sollte  es  mit 
diesem  noch  bestehenden  Verbote  verträglich  sein,  ihnen  die 
Gesellschaft  mit  beschränkter  Haftung  als  selbstverständlich 
willkommenen  Ausweg  zu  eröffnen,  dieselben  somit  anf  diesen 
noch  unerprobten  und  sicherlich  nicht  tmgefährlichen  Weg 
geradezu  hinzuweisen? 

VI. 

Gestatten  Sie  mir  zum  Schlüsse  eine  allgemeine  Bemerkung, 
welche  meinen  prinzipiellen  Standpunkt  gegenüber  dieser  Ge- 
setzesTorlage  etwas  genauer  präzisirt 

Ich  habe  mich  Zeit  meines  Lebens  entschieden  gegen 
Gelegenheitsgesetze  und  soweit  möglich  gegen  Stück- 
gesetzgebung erklärt.  Als  kurze  Zeit  nach  Errichtung 
des  Deutschen  Reichs  sehr  angesehene  Mitglieder  des  Reichs- 
tags, ich  nenne  nur  Lasker,  die  ursprünglich  beschränkte 
Kompetenz  der  Reichsgeset^ebung  auf  das  gesammte 
bürgerliche  Recht  ausgedehnt  wissen  wollten,  aber  nicht 
zu  dem  Zwecke,  um  ein  gemeinsames  bürgerliches  Gesetzbuch 
zu  schaffen,  sondern  um  die  Möglichkeit  beliebiger  gesetz- 
geberischer Eingriffe  des  Reichs  in  das  bestehende  Privatrecht 
der  Einzelstaaten  zu  gewinnen,  habe  ich  zwar  die  erstrebte 
Ausdehnung  der  Reichskompetenz  lebhaft  befürwortet,  aber 
nur  unter  der  Voraussetzung  und  zu  dem  Zwecke,  um  die 
volle  Rechtseinheit  durchzuführen*.  Und  nur  im  Anschluss 
an  meine  Ausfuhrungen  hat  die  bayerische  Regierung  ihren 
Widerstand  gegen  die  Erweiterung  der  Reichskompetenz  auf- 
gegeben %  so  dass  durch  Reichsgesetz  vom  20.  Dezember  1873 
diese  Kompetenzerweiterung  sanktiontrt,  sogleich  aber  die  Ein- 
leitung zur  gemeinsamen  Kodifikation  des  bürgerlichen  Rechts 
getroffen  wurde. 

Als  Referent  der  Vorkommission  für  das  bürgerliche 
Gesetzbuch  habe  ich,  unter  Zustimmung  meiner  Herren  Kollegen, 
verlangt,  dass   alsbald   und   gleichzeitig  mit  der  Bearbeitung 

■  Hein  Vortrag  >UebeT  die  Notbw«ndigkeil  «in«*  d«uUchen  Ziril- 
geKtibacbK  vom  il.  Hai  1871.  (Wocbauchrift :  Im  Nenen  Reich.  LeipuE 
1873,  No.   13.) 

>  Die  AktenitUcke  i.  B.  in  Hirtli'i  Annalen  1874,  S.  330ff. 


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348  Alte  und  neue  FormcD  der  Handeli^esellacbaft. 

des  bflrgerlichea  Gesetzbuchs  die  Revision  des  Handelsgesetz- 
buchs vorbereitet  werden  solle,  und  der  Bundesrath  hat  sich 
unsem  Vorschlagen  durchaus  angeschlossen'.  Wir  erwarteten 
freilich  damals  und  durften  erwarten,  dass  der  erste  Entwurf 
des  bürgerlichen  Gesetzbuchs  in  etwa  fünf  Jahren  hergestellt 
und  dass  alsdann  die  in  der  Zwischenzeit  vorbereitete  Revision 
des  Handelsgesetzbuchs  sogleich  in  Angriff  genommen  würde. 
Inzwischen  sind  18  Jahre  verflossen,  und  immer  mehr  wächst 
die  Gefahr,  dass  stückweise  der  Boden  unseres  geltenden  Rechts 
durchlöchert  oder  je  nachdem  ergänzt  wird,  ohne  dass  bei  dem 
Einzelgesetz  dessen  direkte  oder  indirekte  Rückwirkung  auf 
das  gesammte  Rechtssystem  in  aller  Scharbe  ins  Auge  gefasst 
wird.  Ich  spreche  damit  keinen  Tadel  gegen  die  Männer  aus, 
welche  ein  solches  Gesetz  verlangt  haben,  noch  gegen  die 
ReichsjustizbehSrde,  welche  den  wirthschaftlichen  Gedanken  eine 
in  der  Hauptsache  angemessene  juristische  Form  gegeben  hat. 

Aber  dieses  nun  einmal  unvermeidlich  gewordene  Spezial- 
gesetz darf  doch  nicht  über  das  als  nnabweislich  erkamite 
Bedürfniss  hinausgeben,  und  es  darf  nicht  denjenigen  legis- 
lativen Feststellungen  vorgreifen,  welche  mit  voller  Sicherheit 
nur  im  Zusammenhange  der  ganzen  bürgerlichen  und  Handels- 
gesetzgebuog  getroffen  werden  können. 

Ich  möchte  die  hier  entwickelten  Gesichtspunkte  in  Kürze 
dahin  zusammenfassen: 

Es  ist  durchaus  anzuerkennen,  dass  der  vorliegende  Gesetz- 
entwurf, ungehemmt  von  doktrinären  Bedenken,  dem  wirth- 
schaftlichen Unternehmungsgeist,  welcher  in  Deutschland  nur 
zu  sehr  damiederliegt,  freiere  Bahnen  eröffnet  und  eine  in  der 
Hauptsache  zweckmässig  geordnete  neue  Gesellschaftsform  auf- 
stellt, deren  einzelne  Prinzipien  sorgfältig  erwogen,  geschickt 
und  in  klarer  Weise  formulirt  sind. 

Aber  er  schiesst,  meines  Erachtens,  sehr  weit  über  das 
erkennbare  Bedürfniss  hinaus  und  ist  in  seiner  gegenwärtigen 
Gestalt  geeignet,  unsere  sämmtlichen ,  altbewährten  Formen 
der  Handelsgesellschaft  in  sehr  bedenklicher  Weise  zu  er- 
schüttern, nicht  am  wenigsten  dadurch,  dass  er  der  nur  unter 
Umständen  angemessenen  Begrenzung  der  Haftung  wirksamen 

■  Die  Aktenstücke  i.  B.  in  der  Z^tscbrift  fttr  du  ge».  Hudelnecht, 
Bd.  lo  S.  134  fr.  in  meinem  Anfuttze  die  Kodifikation  da  deiMschen  bV^er- 
liehen  und  HandeUrechti ;  rgl.  auch  Bd.  I  Nr.  6  dieMT  Sfmm''i"gi 


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Alte  und  neu«  Formen  der  Hudel^cKllKhaft.  349 

Vorschub  leistet.  In  diesem  Sinn,  und  ohne  in  die  Einzelheiten 
einzugehen,  will  ich  mich  mit  folgenden  Vorschlägen  begnügen : 

1.  Der  Entwurf  bat  sich  auf  Gesellschaften  zu  Handels- 
zwecken, worin  ja  auch  die  meisten  sogenannten  Industrie- 
zwecke  einbegriffen  sind,  zu  beschränken;  sollte  es  aber  un- 
umgänglich erscheinen,  auch  das  dem  Handel  nicht  angehörige 
Handwerk,  die  Urproduktion  (Landwirthschaft,  Fischerei),  end- 
lich gar  das  Immobil iarbauge werbe  zu  umfassen,  so  durfte  er 
doch  nur  das  Gewerbe,  d.  h.  das  dem  Gewinnzweck  bestimmte 
Unternehmen,  treffen. 

2.  Gesellschaften  mit  beschränkter  Haftung  sind  nur  als 
Zubussegesellschaften  zuzulassen ;  ist  die  Zubusse  im  Statut  auf 
einen  bestimmten  Maximalbetrag  festgesetzt,  so  darf  dieser 
nicht  unter  der  Hafte  des  Geschäftsaatheils  betragen. 

3.  Die  konstruktive  Frage,  ob  die  so  geregelten  Gesell- 
schaften als  juristische  Personen  zu  gelten  haben,  ist  vom 
Gesetz  lediglich  der  Wissenschaft  und  Praxis  zu  überlassen. 
Es  muss  daher  der  Satz  des  §  13  >als  solche  hat  selbstständig 
ihre  Rechte  und  Pflichten«  wegfallen.  Es  ist  denkbar,  dass 
je  nach  der  Sachlage  die  juristische  Persönlichkeit  anzuerkennen 
oder  zu  verneinen  sein  wird.  — 


Naehwort 

Der  Abschluss  des  vorstehend  besprochenen  Gesetzentwurfs 
ist  in  so  ungewöhnlicher  Weise  beeilt  worden,  dass  auch  die 
bescheidensten  Bedenken  nicht  haben  berücksichtigt  werden 
können.  Zwei  Tage  nach  Ausgabe  des  Kommissionsberichts, 
am  Tage,  da  dieser  Vortrag  gehalten  wurde  (19.  März)|,  ist 
der  Entwurf  in  zweiter  Lesung  und  bereits  in  der  nächsten 
Sitzung  {21.  März)  vom  Reichstage  in  dritter  Lesung,  beide 
Male  en  bloc,  angenommen  worden ' .  — 

r   dem  20.  Apnl  1S93   im  R.G.BI.  S.  477  fr.  ver- 


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DIE 

HAFTPFLICHT  DER   GENOSSEN 

UHD  DAS 

UMLAGEVERFAHREN. 

(1888.) 


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Vertreter  zahlreicher  Erwerbs-  und  Wirthschafts-Genossen- 
schaften  haben  mich  um  eine  eingehend  begründete 
Meinungsäusserung  über  zwei  wichtige,  zur  Zeit  in  den  Ge- 
nossenschaftskreisen  lebhaft  erörterte  Fragen  ersucht 

Ich  komme  diesem  Wunsche  nach,  weil  ich  es  für  meine  Pflicht 
halte,  in  der  gegenwärtig  ihrem  Abschluss  nahen  neuen  Ge- 
nossenschaftsgesetzgebung die  richtigen  Grundsätze  nach  bester 
ELcsicht  zur  Geltung  zu  bringen.  Wenn  auf  dem  letzten  (29.) 
am  31.  August  1888  zu  Erfurt  abgehaltenen  Allgemeinen  Ver- 
einstage der  deutschen  Erwerbs-  und  Wirthschafts-Genossen- 
schaften,  ungeachtet  eifriger  Befürwortung  des  Genossenschaits- 
anwalts,  nur  eine  sehr  knappe  Mehrheit  (78  gegen  71  Stimmen) 
den  Einzelangriff  adoptirt,  andererseits  der  Verband  der  schle- 
sischen  Genossenschaften  auf  dem  zu  Warmbrunn  am  19./20. 
Juni  1888  abgehaltenen  Verbandstage  nach  sehr  grUndhcher 
Erörterung  mit  grosser  Mehrheit '  den  Einzelangriff  reprobirt 
hat,  so  dürften  die  nachfolgenden  Ausführungen  vielleicht  in 
■weiteren  Kreisen  aufklarend  wirken,  ja  sogar  zeitige  Gegner 
des  hier  vertretenen  Standpunktes  von  dessen  Richtigkeit  zu 
überzeugen  geeignet  sein. 

Ueber  die  mir  vorgelegten  Fragen  habe  ich  mich  be- 
reits wiederholt  ausgesprochen.  Das  erste  Mal  in  memer 
1882  erschienenen  Schrift  »Erwerbs-  und  Wirtbschafts-Genossen- 
schaften.  Studien  und  Vorschlägec  (aus  der  Zeitschrift  für 
das  gesammte  Handelsrecht  Bd.  27  S.  1 — 118  besonders  ab- 
gedruckt), und  es  beruht,  wie  hier  ein  für  alle  Mal  bemerkt 
-werden  soll,  auf  einem  schwer  erklärlichen  Irrthum,  wenn 
neuerdings  in  Öffentlichen  Verhandlungen  und  in  der  Genossen- 
schaftspresse wiederholt  von  Vertheidigem    der   im  Gesetz- 

.  s.  41—59. 

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354  1^  Haftpflicht  der  GenoMMt  and  du  UmlageverfabKD. 

entwurf  aufgestellten  Grundsätze  in  Abrede  gestellt  worden 
ist,  dass  meine  Schrift  sich  völlig  unzweideutig  gegen  diese 
Grundsatze  erklärt. 

Das  zweite  Mal  mündlich  und  sehr  eingehend  als  Mit- 
glied der  vom  Reichsjustizamt  zur  Berathung  über  den  Ent- 
wurf des  Genossenschaftsgesetzes  im  November  1887  ein- 
berufenen Sachverständigenkonferenz.  Und  zwar  habe 
ich  hier  ausdrücklich  zu  Protokoll  erklärt,  dass  ich,  falls 
gewisse  von  mir  entschieden  bekämpfte  Grundsätze  beibehalten 
würden,  nicht  in  der  Lage  sei,  dem  unzweifelhafte  und  wich- 
tige Verbesserungen  des  zur  Zeit  geltenden  Gesetzes  enthalten- 
den Entwurf  zuzustimmen.  Mein  so  bestimmt  formulirter 
Widerspruch  beschränkte  sich  auf  drei  Punkte,  unter  welchen 
sich  gerade  die  beiden  hier  in  Rede  stehenden  befinden. 

Die  erste  Frage  betrifft  die  Statthaftigkeit  des  Einzel- 
angriffs von  Genossenschaftsgläubigem  gegen  die  noch  haften- 
den Genossen.  Die  zweite  betrifft  die  Betheiligung  aus- 
geschiedener, aber  den  Genossenschaftsgläubigem  noch  haften- 
der Genossen  am  Umiageverfahren. 

Diese  beiden  Fragen  stehen  zwar  in  einem  gewissen  Zu- 
sammenhang, aber  derselbe  ist  nicht  ein  logisch  nothwendiger. 
Man  kann  die  eine  verneinen  und  die  andere  bejahen;  ins- 
besondere würde  für  den  Gesetzgeber  aus  der  Verneinung  der 
zweiten  Frage  nicht,  wie  behauptet  wird,  die  allgemeine,  nidit 
unterscheidende  Bejahung  der  ersten  Frage  folgen. 

Für  die  Entscheidung  beider  Fragen  sind,  da  es  sich  um 
eine  durchgreifend  reformirende,  zum  erheblichen  Theil  ganz 
neues  Recht  schaffende  Gesetzgebung  handelt,  in  erster  Linie 
Erwägungen  der  Zweckmässigkeit  oder  wirthschaft- 
liehen  Nothwendigkeit  maassgebend;  die  sog,  >junstiscbe 
Konsequenz^,  wenngleich  sicherlich  zu  erstreben,  und  die  An- 
forderungen sog.  »juristischer  Konstruktion»  stehen  dabei  überall 
in  zweiter  Linie.  Sogar  für  das  einzelne  Gesetz  ist  aus  Zweck- 
mässigkeitsgründen eine  Abweichung  von  den  leitenden  Prin- 
zipien dieses  Gesetzes  unter  Umständen  geboten.  Noch 
weniger  schwer  würde  eine  Abweichung  einzelner,  ja  vielM" 
Bestimmungen  dieses  Gesetzes  von  sog.  >allgemeinen  juristi- 
schen Prinzipien«  wiegen.  Dieser  für  die  Gesetzgebung  ja  ganz 
selbstverständliche  Standpunkt  wird  nur  zu  häufig  vergessen, 
und  gerade  in  den  hier  vorliegenden  Fragen  wird  häufig  he- 


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Die  Haftpflicht  der  Genossen  und  das  UmlagererfibreD.  355 

hauptet,  dass  der  eine  Weg  priazipgemäss ,  der  entgegen- 
stehende »prinzipwidrig  •  sei.  Aber  was  man  »juristische 
Prinzipienc  nennt,  ist  nichts  von  selbst  Gegebenes  und  ftir  alle 
Zeit  Feststehendes,  sondern  aus  dem  jeder  Zeit  geltenden 
Recht  entnommen,  und  modifizirt  sich  mit  dessen  Aenderung. 
Denn  alles  Recht  ist  nicht  um  seiner  selbst  willen  da,  sondern 
um  vernünftigen  socialen  Zwecken  zu  dienen,  es  soll  die  ver- 
nunftige, d.  h.  dem  Wesen,  der  Natur  dieser  sozialen 
Lebensverhältnisse  entsprechende  Ordnung  sein.  Es  ist 
um  so  vollkommener,  je  mehr  sein  Inhalt  dieser  obersten  Auf- 
gabe entspricht,  mag  dabei  auch  die  abstrakte  Logik  nicht  in 
allen  FNmkten  durchgeführt  werden,  oder  mag  die  Theorie 
Mühe  haben,  die  Bestimmungen  des  Gesetzes  in  ihre  Kate- 
gorien einzuschachteln.  Die  wirklich  rechtsschöpferische  Kraft 
eines  Gesetzgebers  würde  sich  ein  Armuthszeugniss  ausstellen, 
wollte  sie  hinter  angeblich  zwingenden,  häufig  sogar  miss- 
verstandenen  »Rechtsprinzipien«  Deckung  suchen  gegen  den 
begründeten  Vorwurf,  dass  die  gesetzlichen  Bestimmungen 
zweckwidrig,  unangemessen,  verkünstelt  seien.  Derjenige  Ge- 
setzgeber ,  welcher  sich .  der  wirklich  lebendigen  Rechtsideen 
seiner  Zeit  vollkommen  bemächtigt,  braucht  niemals  den  Vor- 
wurf (?)  zu  scheuen,  dass  er  sich  aus  Zweckmässigkeitsgründen, 
um  des  öffentlichen  Nutzens  willen,  im  Gemeinioteresse  Ab- 
Tveichungen  von  der  logischen  Schablone  erlaubt  habe.  Ja, 
nicht  selten  pulsirt,  wie  einer  der  grössten  Juristen  aller  Zeiten, 
Rudolf  von  Jhering,  sehr  zutreffend  gezeigt  hat,  gerade 
in  diesen  anscheinenden  Abweichungen  das  allein  lebendige 
Recht.  Ein  grosser  Theil  z.  B.  unseres  geltenden  und  gewiss 
nothwendigen  Handelsrechts  ist  in  scharfem  Gegensatz  zu  den 
iPrinzipien«  des  bisherigen  Rechts  zu  maassgebender  Geltung 
gelangt. 

Ohnehin  dürfte  die  genauere  juristische  Analyse 
«rgeben,  dass  nicht  die  Statthaftigkeit  des  Einzelangriffs,  son- 
dern dessen  Ausschliessung  den  richtig  verstandenen 
Rechtsprinzipien  des  deutschen  Genossenschaftsrechts  ent- 
spricht; dass  somit  nicht,  wie  behauptet  wird  (z.  B.  in  den 
Blättern  für  Genossenschaftswesen  1888  Nr.  32  S.  257),  die 
früheren  Gegner  des  Einzelangriffs  »bei  schärferer  Prüfung 
der  Rechtsfrage«  sich  bekehren  müssten,  vielmehr  das  gerade 
Gegentheil  hiervon  wahr  ist. 

33« 

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356  ^''  Haftpflicht  der  Genoueo  und  du  UmlagCTcrialueD. 

In  beiden  Fragen  weiss  ich  mich,  lu  meiner  Genugthmuig, 
einig  mit  dem  Begründer  der  deutschen  Genossenschaften  und 
des  deutschen  Genossenschahsrechts,  mit  Schulze-Delitzsch 
und  der  mindestens  bis  vor  ganz  kurzer  Zeit  in  den  Kreisen 
der  deutschen  Genossenschaften  anscheinend  wider- 
spruchslos herrschenden  Ueberzeugung.  Dem  Ver- 
dacht einer  bHnden  Vergötterung  des  trefflichen  Mannes, 
dem  ich  in  wichtigsten  Prinzipienfragen ,  insbesondere  hin- 
sichtlich der  Zulassung  von  Genossenschaften  mit  beschränkter 
Haftung,  wiederholt  sehr  scharf  entgegengetreten  bin,  werde 
ich  schwerlich  ausgesetzt  sein.  Zu  meiner  grossen  Freude 
haben  wir  uns  schliesslich  in  allen  wesentlichen  Punkten  ge- 
einigt'. Aber  die  jetzt  in  weiten  Kreisen  und  sogar  von 
leitender  Stelle  in  Verbands-  und  Vereins- Versammlungen  auf- 
gestellte Behauptung,  dass  Schulze-Delitzsch  dem  Einzel- 
angriff in  derjenigen,  freilich  abgeschwächten  Gestalt 
welche  der  vorliegende  Entwurf  sanktioniren  will,  seine  Zu- 
stimmung ertheilt  haben  würde,  scheint  mir  doch  darchans 
grundlos.  Sie  steht  in  unlösbarem  Widerspruch  zu  dem,  was 
Schulze-Delitzsch  jeder  Zeit  in  Schrift  und  Wort, 
auch  mir  gegenüber  in  zahlreichen  diesen  Gegenstand  be- 
treffenden mündlichen  Erörterungen  erklärt  hat. 

Schulze-Delitzsch  und  ich  gingen  darin  vOlUg  einig, 
dass  durch  ein  reformirtes,  in  die  Geschäftsabwicklung 
der  sich  auflösenden  Genossenschaft  an  gehöriger  Stelle  ein- 
gefügtes Umlageverfahren  der  schädliche  Einzelangriff 
überflüssig  gemacht  und  demzufolge  beseitigt  werden  solle. 
Dass,  wie  bereitwillig  anerkannt  werden  soll,  das  Umlage- 
verfahren  als  Bestandtheil  des  Konkursverfahrens  in  dem  jetzt 
vorliegenden  Entwurf  juristisch  korrekter  gestaltet  ist. 
als  in  den  Entwürfen  Schulzes,  ändert  in  der  Sache 
nichts.  Denn  gleichviel,  ob  man  Schulzes  aussergericht- 
liches,  die  Konkurseröffnung  suspendirendes  Umlage  verfahren 
annimmt,  oder,  mit  dem  vorliegenden  Entwurf,  das  provi- 
sorische Umlageverfahren  zu  einem  Vorschussverfahren  inner- 
halb des  bereits  eröffneten  Konkurses  gestaltet,  demnächst  aber. 
nach  beiden  Systemen,  ein  definitives  Umlageverfahren  (Nach- 

■  Siehe  namentlich  Schulze-Delitisch ,  Material  lur  RevnJoa  de»  Ge- 
nossen sc  haftsgeselies  (iSBj),  insUes.  S.  66/67. 


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Die  Haflpäichl  der  Genossen  und  dai  UmlB£everfa.hreD.  357 

schussverfahren)  im  Kookurse  folgen  lässt:  sachlich  ergibt 
sich  nach  beiden  Ordnungen,  dass  die  Aufgabe  des  gleich- 
viel wie  gestalteten  Umlageverfahrens  (Vorschuss-  und  Nach- 
schussverfahrens)  die  v  o  1 1  e  Befriedigung  der  Genossenschafts- 
gläubiger  bildet  und  mittelst  dieses  Verfahrens  erreicht 
■werden  soll.  Auf  dieser  —  den  Schulzeschen  Entwürfen 
und  dem  jetzt  vorliegenden  Gesetzentwurf  gemeinsamen  — 
materiellen  Grundlage  beruhen  sämmtliche,  insbesondere  in 
den  Jahren  1881  und  1883  aufgestellten  Vorschläge,  und  als 
Schlussstein  dieses,  somit  dem  jetzigen  Entwurf  wie  den 
Schulze  sehen  Entwürfen  gemeinsamen  Systems  hat 
Schulze  jeder  Zeit  die  völlige  Beseitigung  des  Einzel- 
angriffs proklamirt.  In  diesem  Sinne  hat  Schulze  und 
hat  nach  Schulzes  Tode  der  gegenwärtige  Genossenschafts- 
anwalt die  bekaimtlicb  einmüthige  Zustimmung  der 
beiden  Allgemeinen  Vereinstage  (Kassel  1881,  Plauen 
1887)  fUr  das  projektirte  verbesserte  Umlageverfahren  ge- 
funden. 

Das  ganze  Material  liegt  aktenmässig  in  der  von  Schulze 
selbst  unmittelbar  vor  seinem  Tode  veröffentlichten  Schrift  vor: 
Material    zur    Revision     des    Genossenscbaftsgesetzes, 
1883,    S.   28 ff.,    38  ff.     Ais   denjenigen  Punkt,    auf 
den    Schulze    selbst    den     «höchsten    Werthi 
legt,  bezeichnet  er  wiederholt,  z.  B.  S.  45,   vgl.  auch 
S.  68,  die  durch  die  Umgestaltung  des  Umlagever- 
fahrens ermöglichte  »Aufhebung  des  Einzelangriffsc '. 
Obwohl   nun  Schulzes  so  häufige  Erörterungen   dieser 
Frage   vielleicht  nicht  immer  auf   einer  völlig  eindringenden 
theoretischen   Rechtskenntniss   beruhen,   so   war   er   doch 
sicherlich,   was  viel  mehr  sagen  will,   ein   rechtsschöpfe- 
rischer Kopf,    der   auf   dem    sicheren  Grunde    einer   selten 
trügenden  tiefen  Rechtsüberzeugung  stand.   Gleich  den  Schöffen 
des   alten   deutschen    Gerichtswesens    entnahm   er   seine   An- 
schauung von  dem,  was  recht  und  billig  sei,  der  eigenen  Brust, 
mitunter  zu  wenig  bekümmert   um  die  korrekte  wissenschaft- 
liche Begründung,    aber  doch  in  der  grossen  Schule  reichster 

■  Siehe  auch  meine  oben  S.  35J  cjtirte  Scbrift  S.  6zS.,  intbet.  S.  67 
a.  Dr.  J,  K.  Heri,  Di«  Novellen  und  Anträge  zum  Genossenscliaft^eieU,  be- 
sprochen and  erliatert,   1883,  S.  izi  C 


3,3,l,ze.:,,  Google 


35S  I^'c  HaftpfücbC  der  GeuoMen  und  du  Umlagevei&liren. 

Lebenseriahning  gegen  schwere  Irrungen  gefeit.  Als  er  sich 
von  der  praktischen  Unzulänglichkeit  des  deutschen  Genossen- 
schahsgesetzes überzeugt  und  in  rastloser  Verbessemngsarbeit 
endlich  den  Weg  gefunden  hatte,  auf  dem  sich  der  nach  seiner 
allmälig  zum  unerschütterlichen  Grundsatz  durchgebildeten 
Ueberzeugung  der  ebenso  schädliche  wie  unnöthige  Einzel- 
angriff beseitigen  liess,  hat  er  dieses  Credo  rastlos  vertreten. 
Er  hätte  sicherlich  auch  dem  vorliegenden  Entwurf  gegenüber 
die  gleiche  Haltung  eingenommen  und  in  dieser  für  ihn 
wichtigsten  Frage  jedes  Kompromiss  abgelehnt. 

Nicht  minder  fest  stand  seine  Ueberzeugung,  dass  nur  die 
Heranziehung  der  noch  haftenden,  wenngleich  ausgeschiedenen 
Genossen  zum  Umlageverfahren  eine  völlig  befriedigende  Ge- 
staltung desselben  ermögliche  und  im  wohlverstandenen  Inter- 
esse aller  Betheiligten  liege. 

Wenn  ihm  eine  allseitig,  auch  den  theoretischen 
Juristen  befriedigende  Begründung  seines  Standpunktes 
nicht  gelungen  ist,  so  darf  ihm  daraus  kein  Vorwurf  gemacht 
werden.  Die  spezifisch  juristischen  Fragen  liegen  eben  nicht 
ganz  einfach  und  sie  hängen  auf  das  Engste  zusammen  mit 
der  tieferen  Einsicht  in  die  Verschiedenheit  der  Haftungs- 
prinzipien, deren  wissenschaftlichen  Aufhau  ich  erst  1882 
in  meiner  Schrift  (S.  35—45)  versucht  habe.  Diesen  Auf- 
bau will  ich  in  Nachstehendem  vervollständigen  und  hoffe  da- 
mit das  sichere  Rechtsfundament  der  uns  gemeinsamen 
Ueberzeugungen  klarzulegen. 

I.    Der  Einzelangriff  der  Genossensohaftsgläubiger. 

Vor  etwa  1750  Jahren  wurde  es  im  römischen  Weltreich 
als  eine  schwere  Unbilhgkeit  empfunden,  dass  die  an  sich 
solidarisch  und  mit  ihrem  ganzen  Vermögen  haftenden  mehreren 
Bürgen  der  gleichen  Schuld  (Mitbürgen,  confidejussores)  auf 
das  Ganze  (in  solidum)  verurtheilt  wurden,  ungeachtet  der 
Gläubiger  durch  Solvenz  und  Belangbarkeit  Aller  ausreichend 
gesichert  erschien. 

Daher  gewährte  Kaiser  Hadrian  in  diesem  Falle  —  später 
erfolgte  die  Ausdehnung  auf  andere,  wirklich  oder  anscheinend 
gleichgeartete  Fälle  von  Solidarschulden  —  die  Rechts- 
wohlthat   der  Theilung   (beneficium   oder  auxilium  divi- 


Der  Einielacgriff  der  GenosscDscluiflBgläDbiger.  359 

siOBis)  derart ,  dass  zwar  das  Prinzip  der  Solidar- 
haftung aufrecht  erhalten  blieb,  aber  doch  der  Gläubiger 
nur  von  allen  Mitbürgen  zusammen  Befriedigung  ver- 
langen konnte;  es  fand  also  unter  diesen  solidarisch  haftenden 
Mitbürgen  eine  Theilung  oder,  was  dasselbe  sagen  will,  eine 
Umlage  der  Schuld  statt,  aber  so,  dass  der  Gläubiger  nichts 
verlor,  vielmehr  die  Antheile  (Umlagequoten)  der  etwa  wegen 
Insolvenz  oder  Nichtbelangbarkeit  ausfallenden  Mitbürgen  von 
den  solventen  mitgetragen  werden  mussten.  Ursprünglich  und 
zweckmässig  scheint  dabei  bereits  bei  der  Prozesseinleitung 
(vor  dem  Praetor  in  iure)  ein  »Umlageverfahren*  regulirt 
worden  zu  sein '. 

Nun  gerieth  das  gehörig  geordnete  Umlageverfahren  in 
späterer  Zeit  meist  in  Vergessenheit,  es  wurde  die  zweck- 
mässige imodifizirte  Solidarhaftc  häufig  missverständ- 
lich mit  der  reinen  iTheilhaftt ,  die  ja  für  den  Gläubiger 
äusserst  lästig  und  gefährdend  ist,  verwechselt.  So  erklärt 
sich,  dass  in  der  modernen  Rechtsentwicklung  eine  Abneigung 
gegen  diese  sog.  iRechtswohlthat  oder  Einrede  der  Theilungc 
entstand.  Das  preussische  Allgemeine  Landrecht  und  einzelne 
andere  Gesetzgebungen  haben  sie  beseitigt  und  auch  der  gegen- 
wärtig vorliegende  Entwurf  eines  bürgerlichen  Gesetzbuches 
für  das  Deutsche  Reich  §§  324,  673  [B.G.B.  §  769]  ver- 
wirft sie.  Immerhin  besteht  sie  nicht  nur  in  den  Gebieten  des 
gemeinen  imd  französischen  Rechts  noch  unverändert 
fort,  soweit  nicht  die  Solidarschuldner  auf  diese  Rechtswohl- 
that  unzweideutig  verzichtet  haben  oder  die  gebieterischen 
strengen  Anforderungen  des  Handelskredits  diese  Modi- 
fikation der  SoUdarhaft  ausschliessen ' ,  sondern  es  gibt  un- 
zweifelhaft zahlreiche  Fälle,  in  welchen  das  regellose  Heraus- 
greifen eines  von  mehreren,  insbesondere  von  sehr  zahlreichen 
Schuldgenossen  auch  einer  sehr  strengen  Rechtsanschauung 
als  ungehörig,  ja  unbillig  erscheint  Insbesondere  gilt  dies 
von  solchen  Fällen,  wo  nach  der  vernünftigen  Regel  des  Ver- 

■  Diem  wichtige  RechtsinsUtul  habe  ich  in  neuester  Zeit  (1SS7)  geDaner 
untenucht  and  d*reettellt:  »ergl.  meine  AbhandlnDg  Über  Btirgtchaft  nnd 
Tlleiliahlnng,  in  den  Jahrbtlcbem  fUl  die  Dogmatik  da  heatigen  römischen  und 
deutlichen  PriTUrechu  von  Jhering  u,  A.,  Bd,  XXVI  S.  354ff- 

■  Deutsche  Wechielordnung  Art.  81.     Deutsches  HuidcUgesettbnch  Art. 


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360  I^'B  Haftpflicht  der  Genosten  uod  das  UmligeverfaliTen. 

kebrs  und  in  Gemässheit  der  für  solche  Zwecke  getroffenen 
Einrichtungen  nur  eine  verständig  geregelte  Ge- 
sammthaft  erwartet  werden  darf. 

Nun  beruhte  bekanntlich  ursprünglich  die  statutarische,  in 
Altpreussen  auch  die  gesetzliche  Haftung  der  dem  sog.  »Solidar- 
prinzipi  unterstellten  Erwerbs-  und  Wirthschafts-  Genossen- 
schaften auf  den  drei  leitenden  Grundsätzen  der  direkten,  der 
solidarischen  und  der  unbeschränkten  (persönlichen)  Haft  Diese 
Maximen  waren ,  wie  allgemein  anerkannt  ist ' ,  durch  das 
maassgebende  preusstsche  bürgerliche  Recht,  durch  das  im 
Wesentlichen  benutzte ,  obwohl  nicht  zutreffende  Vorbild  der 
offenen  Handelsgesellschaft,  den  wichtigen  Vorgang  des  da- 
maligen englischen  Rechts,  insbesondere  aber  durch  die  Noth- 
wendigkeit  diktirt,  der  ganz  neuen  Schöpfung  durch  Annahme 
der  strengsten  Haftungsgrundsätze  den  schwer  zu  erlangenden 
Kredit  wie  das  Wohlwollen  des  Gesetzgebers  zu  gewinnen. 

An  diesen  Maximen  hielt  daher  wesentlich  noch  das  erste 
(preussische)  Genossenschaftsgesetz  vom  27.  März  1867  fest 
immerhin  schon  mit  der  wichtigen,  den  Schulze'schen  Ent- 
würfen entsprechenden  Abschwächung ,  dass  die  beibehaltene 
direkte  und  unmodifizirte  Solidarhaft  der  Genossen  sich  auf 
den  im  Liquidations-  bezw.  Konkursfall  erlittenen  Ausfall  be- 
schränkt: Ges.  §  11,  verb.  mit  §  50  Abs.  5,  somit  die  prin- 
zipale Plaftung  fUr  die  ganze  Genossenschaftsschuld  zu  einer 
subsidiären  Haftung  für  die  Ausfallschuld  umgewandelt 
wurde,  wobei  es  denn  auch  wesentlich  in  dem  geltenden  Bundes- 
gesetz vom  4.  Juli  1868  §§  12,  51  Abs.  5  verblieben  ist 

Aber  den  Intentionen  Schulze-Delitzschs  entsprach 
dieses  preussische  Gesetz  nur  sehr  unvollkommen.  Denn  be- 
reits in  §  36  seines  (zweiten)  1863  aufgestellten  Gesetzentwurfs 
hatte  Schulze-Delitzsch  —  nach  dem  Vorgange  der  bei 
einzelnen  sächsischen  Kreditgenossenschaften  getroffenen  Ein- 
richtungen —  ein  besonderes  »Verfahren  zur  Realisirung  der 
Solidarhaft«  vorgesehen  und  in  der  Hauptsache  dahin  for- 
mulirt: 

»Nach  Prüfung  des  eingereichten  oder  vom  Konkurs- 
gericht festgestellten  Vermögensstatus  setzt  das  Ge- 
richt  den  Betrag   derjenigen  Summe,   die   zur  vollen 

■  Verfil.  mein«  Schtift  S.  45  ff.     Motive  S.  46  ff. 

,.:  .«,:,yGüogle 


Der  EiDislangriff  der  GenouemctimfUelinbiger.  361 

Befriedigung    der    Vereinsgläubiger   erforderlich    ist, 
durch  Dekret   fest   und   vertheilt   dieselbe   auf  sämmt- 
liche  haftbaren,  gegenwärtigen  und  früheren  Mitgheder 
des  Vereins  gleichmässig« . 
Dieser  Vorschlag,  welcher  so  alsbald  nach  Auflösung 
der  Genossenschaft  ein  gerichtlich   geordnetes  Umlagever- 
fahren postulirte,  fand,  obwohl  im  Prinzip  gebilligt,  doch,  wegen 
prozessualer  Schwierigkeiten  nicht  die  Zustimmung  der  Kom- 
mission des  preussischen  Abgeordnetenhauses  (1863)  und  wurde 
von   Schulze-Delitzsch  einstweilen   fallen   gelassen,   aber 
mit  besserem  Erfolge  in  seinem  Entwurf  des  Genossenschafts- 
gesetzes für  den  Norddeutschen  Bund  wieder  aufgenommen, 
von  der  Keichstagskommission  »als  wichtigste  Ergänzung  des 
preussischen  Gesetzes  und  als  Forderung  des  Gemeinwohles* 
mit    geringen   Aenderungen    angenommen,    endlich   von    der 
Civilprozesskommission  in   derjenigen  Gestalt,   in  welcher   er 
die  §§  52 — 62  des  geltenden  Gesetzes  bildet,  formulirt. 

Bei  diesem  wichtigen  und  unzweifelhaft  wohlthätigen 
Schritte  hat  aber  weder  Schulze-Delitzsch  selbst,  noch 
haben  die  Verfasser  des  geltenden,  in  höchster  Eile  voll- 
endeten Gesetzes  (denn  der  vom  16,  Juni  1868  datirende  Be- 
riebt mit  Antrag  der  Civilprozesskommission  ist  sogleich  ohne 
jede  Aenderung  vom  Bundesrath  und  in  der  letzten  Sitzung 
des  Reichstages  am  20.  Juni,  wenige  Stunden  vor  dem  Schlüsse 
der  Session,  en  bloc  angenommen  worden)  ein  klares  Bewusst- 
sein  von  der  prinzipiellen  Bedeutung  des  Umlageverfahrens 
gehabt,  vielleicht  auch  absichtlich,  weil  das  noch  neue  Institut 
der  Genossenschaften  nach  ihrer  Ueberzeugung  ohne  die  volle 
direkte  Solidarhaft  nicht  lebenskräftig  erschien,  es  unterlassen, 
die  nothwendigen  Konsequenzen  zu  ziehen. 

Es  unterliegt  nämlich  nach  dem  Inhalt  des  Gesetzes  und 
nach  dem  Gange  der  Verhandlungen '  keinem  Zweifel ,  dass 
das  Umlage  verfahren  wesentlich  nur  im  Interesse  der  Genossen, 
nämlich  in  Bezug  auf  ihre  gegenseitigen  Rückgriffsrechte  und 
dem  entsprechende  Deckungspflicht,  behufs  Abschneidung  ver- 
wickelter Regressprozesse  geordnet  ist,   demgemäss  zwar  den 

■  S.  BusfUbrlich  Parisius.  Die  GenouenscbafttKCietie  im  Deutschen 
Reiche  (lil76)  S.  375 — 378:  Reinarti,  Die  eingetragene  Genouenscbaft  »Is 
Korporation,  besonderä  deren  Liquidalions- ,  Konkura- 
(i38a)  S.  97-1°^- 


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362  ^i'  HaftpSicht  der  Genots«ii  uod  das  UmUgeverfabren- 

Genossen  tioter  eiDaoder,  nicht  aber  den  Gläubigem  der  Ge- 
nossenschaft Recht  und  Pflicht  gewährt.  Zutreffend  beisst  es 
in  den  Motiven  des  vorliegenden  Gesetzentwurfs  S.  58,  59, 
vergl.  S.  45,  von  dem  Umlageverfahren  des  geltenden  Ge- 
setzes: 

»Die    Beitragspflicht    (zum   Umlageverfahren)    soll 
zwar  das  hauptsachlichste  Mittel  zur  Befriedigung  der 
Genossenschaftsgläubiger  bilden;   trotzdem  trägt  nach 
dem   (geltenden)   Gesetz  die   Beitragspflicht   nicht   ihr 
Fundament  in  sich  selbst,   sondern  es  wird  hierza  ein 
an  und  für  sich  ausserhalb  desselben  liegendes  Moment 
nämlich  die   subsidiäre  Garantiebaft  der  einzelnen  Ge- 
nossen in  der  Weise  herangezogen,  dass  die  Beitrags- 
pflicht  nur  als  ein  Ausfluss  der   in  Folge  möglicher 
Geltendmachung  der  direkten  Haftung  zu  erwartenden 
gegenseitigen   Regressrechte   der   Genossen   erscheint. 
Die   praktische  Folge   dieser   Konstruktion 
ist,   dass   weder  die  Gläubiger  noch  die  Ge- 
nossenschaft als  solche  in  dem  (Umlage-) Ver- 
fahren eine  Stelle  finden*. 
Daher   gehen,    ganz   unabhängig   von  dem   Um- 
lageverfahren,  das  Konkursverfahren  wider  die  Genossen- 
schaft und  die  Klagerechte  der  einzelnen  Gläubiger 
wider  die   einzelnen  Genossen  ihre  eigenen  Wege  und 
es  wird,  wie  in  §  52  des  Entwurfs  der  Reichstagskommissitm : 
iUebrigens  wird  durch  das  vorstehende  Verfahren 
an  dem  Rechte   der  Genossenschaftsgläubiger,   wegen 
der  im  Konkurs  an  ihren  Forderungen  erÜttenen  Aus- 
fälle die  Genossenschafter  solidarisch  in  Anspruch  zu 
nehmen,  nichts  geändert«, 
so  im  §  62,  vgl.  §  52  des  geltenden  Gesetzes,  vgl.  auch  §  197 
der  Reichs-Konkursordnung,  das  Recht  des  Einzelangriffs  ohne 
jede   Rechtswohlthat   der  Theilung   in   aller   Schärfe   aufrecht 
erhalten. 

Mit  anderen  Worten :  das  Umlageverfahren,  welches  nach 
seinem  praktischen  Gehalt  und  seiner  wirthschaftUchen  Ten- 
denz nur  eine  Gestalt  des  beneficium  divisionis  ist,  somit  zwar 
thatsächlich  die  Rückgriffsprozesse  unter  mehreren  Solidar- 
schuldnern abschneidet,  aber  doch  rechtlich  nur  dadurch,  dass 
es  diese  Solidarschuldner  dem  Gläubiger  gegenüber  nur  als 


Der  EinieUngrifT  der  Genossenschaflsgliubiger.  363 

Gesammtheit  haften  Usst,  hat  unversehens  die  gerade  um- 
gekehrte Gestalt  eines  die  Solidarschuldner  (Genossen)  recht- 
lich nicht  schützenden ,  dagegen  den  Regress  unter  ihnen 
rechtlich  abschneidenden  Verfahrens  erhalten.  Diese  ganze, 
auf  mangelhafter  Einsicht  in  die  wahre  Natur  des  Umlage- 
verfahrens beruhende  Struktur  desselben  ist  juristisch  und 
praktisch  eine  verfehlte.  Dieser  verhängnissvolle  Irr- 
thum  wirkt  noch  gegenwärtig  fort. 

Thatsächlich  freilich  gestaltete  sich  auch  das  so 
mangelhaft  geregelte  Umlageverfahren  zu  dem  praktisch  wich- 
tigsten Bestandtheil  des  Genossenschaftsrechts.  Jeder  Genosse 
rechnete  darauf,  nur  im  Wege  des  Umlageverfahrens  in  An- 
spruch genommen  zu  werden,  somit  im  ungünstigsten  Falle 
freilich  solidar  (ungetheilt  für  die  ganze  Schuld)  einstehen  zu 
müssen,  aber  doch  nicht  anders,  als  wenn  den  Genossen  wirk- 
lich die  Rechtswohlthat  der  Theilung  zustände,  somit  nur  für 
die  durch  Insolvenz  oder  Unbelangbarkeit  einzelner  Genossen 
ausfallende  Repartitionsquoten.  Nicht  rechtlich,  aber  that- 
sächlich war  die  direkte  Haftung  der  einzelnen  Genossen 
gegen  die  einzelnen  Gläubiger  durch  die  sog.  indirekte  Haf- 
tung, d.  h.  durch  die  blosse  Deckungspflicht  gegen  die  Ge- 
nossenschaft, die  absolute  Solidarhaft  durch  die  modifizirte 
Solidarhaft,  d.  h.  die  Solidarhaft  mit  Theilungswohlthat  ersetzt. 
Machten  aber  einmal  ausnahmsweise  Gläubiger 
von  ihrem  unzweifelhaften  Recht  des  direkten 
Einzelangriffs  für  die  ganze  Ausfallsschuld  Ge- 
brauch, so  wurde  dies  allgemein  als  eine  schwere 
Schädigung,  ja  als  eine  materielle  Ungerechtig- 
keit (Unbilligkeit)  empfunden.  Das  formell  gel- 
tende Gesetz  stand  mit  der  Ueberzeugung  gerade 
der  betreffenden  Volkskreise  von  dem  was  »recht 
und  billige,  ja  im  allseitigen  Interesse  allein 
zweckmässig  sei,   in  schneidendem  Widerspruch. 

Das  erscheint  um  so  erklärlicher,  als  inzwischen,  in  den 
letztverflossenen  20  Jahren,  die  deutschen  Erwerbs- und  Wirth- 
schafts-Genossenschaften  sich  immer  mehr  aus  wesentlich  indi- 
vidualistischen Societäten  zu  kapitalbildenden  Korporationen 
herausgebildet  haben,  deren  ökonomischer  Schwerpunkt  und 
Kredit  nicht  mehr  in  der  direkten  und  absoluten  Solidarhaft  der 
einzelnen  Genossen,   sondern  in   dem  eigenen  Vermögen   der 

,  C-'OOgIc 


364  I^'  Haftpflicht  der  GenwMn  and  du  UmlageTcKabreo. 

G«aossenschaft  mit  nur  dahinter  Steheader  Solidargarantie  der 
einzelnen  Genossen  liegt.  Hieraus  ergiebt  sich  denn  nach 
dem  normalen,  von  mir  vorlängst  dargelegten  Entwicklungs- 
gänge des  Rechts'  die  nothwendige  Umbildung  der  direkten 
und  absoluten  Solidarhaft  in  eine  modifizirte  solidare 
Deckungspflicht  derGenossen  gegenüber  der  Ge- 
nossenschaft, sodass  nur  aus  zwingenden  Gründen 
des  Gemeinwohls  oder  des  Kredits  neben  der  durch 
die  Deckungspflicbt  der  Genossen  realisirteo  Gesammthaft  der 
Genossenschaft  der  direkte  Einzelangriff  der  Gläubig^  gegen 
die  einzelnen  Genossen  gerechtfertigt  werden  kann. 

Erschien  nun  freilich  bei  der  gegenwärtig  allgemein  an- 
erkannten, auch  in  den  Motiven  des  vorliegenden  Gesetz- 
entwurfs klar  gezeichneten  Mangelhaftigkeit  des  bisherigen 
Umlageverfabrens  der  direkte  Einzelangriff  nicht  entbehrlich. 
50  ergeben  sich  doch  nach  dem  geltenden  Gesetz  die  schwersten 
Missstände. 

Den  Genossenschaftsgläubigern  steht  frei,  bei  der  Ge- 
nossenschaft im  Umlageverfahren  Befriedigung  zu  suchen,  aber 
sie  erhalten  diese  in  der  Regel  erst  nach  vieljährigen  Weite- 
rungen, da  das  Umlage  verfahren  erst  im  letzten  Stadium  des 
Konkurses  eröffnet  wird.  Wollen  sie  die  im  Konkurs  fest- 
gestellte Ausfallsschuld  wider  die  einzelnen  Genossen  verfolgen, 
so  müssen  sie  gegen  diese  Klage  erheben,  haben  den  —  nach 
bisherigem  mangelhaften  Recht  —  nicht  selten  schwierigen 
Ausweis  der  Mitgliedschaft  zu  führen  und  sind  häufig  an  der 
Realistrung  ihrer  Forderungen  durch  die  früheren  Zugriffe 
von  Privatglaubigem,  mitunter  sogar  durch  Beiseiteschaffung 
oder  Vinkulirung  der  Befriedigungsmittel  verhindert.  Es  ist 
bemerkenswerth ,  dass  in  einzelnen  eklatanten  Fällen  die 
Gläubiger  zu  besonderen  Haftschutzvereinen  zusammengetreten 
sind  und  mittelst  eines  ganz  freiwilligen  Umlageverfahrens  eine 
sachgemässe  Regulirung  ihrer  Ansprüche  durchzuführen  ver- 
sucht haben. 

Noch  ungünstiger  ist  die  Lage  der  Genossen.  Sie 
dürfen  gleichzeitig  von  der  Genossenschaft  auf  Zahlung  der 
im  Umlageverfahren  festgestellten  Deckungsbeiträge  exequirt 
und  von  jedem  Gläubiger  auf  Höhe  der  ganzen  Ausfallsschuld 

■  Vergl.  meine  Schrift  S.  41fr.,  62,   67,   113. 

,.:  .«:,yGüogle 


Der  Einzelangriff  d«r  GcnoiMMchafCsgUutHger.  365 

belangt  werden!  Weder  dem  einen  noch  dem  andern  An- 
spruch können  sie  entgegensetzen,  dass  sie  ihre  Verbindlich- 
keiten vollkonunen  erfüllt  haben,  sicherlich  nicht  den  Gläu- 
bigem. Hat  ein  einzelner  oder  haben  wenige  Genossen  den 
häufig  sehr  beträchtlichen  Schuldrest  der  Genossenschaft  be- 
zahlt, so  bleibt  denselben  nur  eine  Regressklage  wider  die 
übrigen,  mittlerweile  selbst  häufig  zahlungsunfähig  gewordenen 
Genossen  in  unzähligen  Prozessen  (Genosseuschaftsges.  §  56, 
vergl.  §  53). 

Diesen  unleugbaren  Missständen  gegenüber  habe  ich  — 
in  wesentlicher  Uebereinstimmung  mit  Schulze-Delitzsch, 
obwohl  ich  in  meiner  vorwiegend  die  Frage  der  beschränkten 
Haftpflicht  erörternden  Schrift  nicht  auf  die  Einzelheiten  ein- 
gegangen bin  —  verlangt,  dass  das  Umlage  verfahren  fUr  jeden 
Fall  der  Ueberschuldung  einer  Genossenschaft  »als  integriren- 
der  Bestandtheil  in  der  Geschäftsabwicklung  der  sich  auf- 
lösenden Genossenschaft  anerkannt«  und  mit  dem  Liquidations- 
bezw.  Konkursverfahren  in  eine  izeitlich  wie  sachlich  richtige 
Verbindung*  unter  Ersetzung  des  Einzel  an  griffs 
durch  die  blosse  Repartitionshaft  (Deckungs- 
pflicht)  gebracht  werde'. 

Wenn  ich  gleichzeitig,  im  Hinweis  darauf,  dass  der  be- 
liebige Einzelangriff  den  Gläubigem  selbstverständlich  bequemer 
ist,  es  für  zweckmässig  erachtete,  den  Genossenschaften,  je 
nach  ihren  verschiedenen  Kreditbedürfnissen,  die  Wahl 
zwischen  dem  von  Schulze-Delitzsch  und  mir  gleich- 
massig  vertretenen  System  und  dem  strengeren,  ja  vielleicht 
einem  noch  mehr  den  ursprünglichen  Grundsätzen  sich  an- 
schliessenden Haftungssystem  zu  überlassen",  so  hängt  dieser 
Wunsch  mit  meiner  prinzipiellen  Abneigung  gegen  eine  die 
Mannigfaltigkeit  der  Kreditsysteme  verkümmernden  gesetz- 
lichen Uniformirung  zusammen  und  erledigt  sich  jedenfalls 
gegenüber  dem  vorliegenden  Entwurf,  welcher  nur  eine  Ge- 
stalt der  Genossenschaften  mit  unbeschränkter  Haftung  an- 
erkennt. Die  neuerdings  in  Genossenschaftskreisen  aufgestellte 
Behauptung,  dass  ich  gegen  die  voa  mir  ganz  unzweideutig 
verlangte  Beseitigung   des  Einzeiangriffs  als  bedenklich   »ge- 


'  Vgl.  meine  Schrift  S.  62  fr.     Zaatimmend  Gierte,   Kritische  Viertel- 
jahrischrifl  fllT  Geseti^bang   und  RechttwitseDichaft   Bd.  34  (1882)  5.  391  IT. 
'  Vgl.  meine  Schrift  S,  69. 


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366  ^>'  Haftpflicht  der  GenoSKD  und  das  Umlagererhhren. 

warnte  hätte,  beruht  daher  mindestens  auf  oberflächlichster 
LektUre  meiner  Schrift.  — 

Der  vorliegende  Gesetzentwurf  hat  nun  das  Umlagever- 
fahren  in  geeigneter  Weise  geordnet.  Es  ist  jetzt  dafür  ge- 
sorgt, dass  die  mindestens  theilweise  Befriedigung  der  Gläubiger 
in  einem  früheren  Stadium  des  Konkursverfahrens  erfolgt 
später  eintretende  Zahlungsunfähigkeit  einzelner  Genossen  so- 
mit in  der  Regel  die  Befriedigung  der  Gläubiger  nicht  ver- 
hindern wird,  und  die  zum  Einzelangriff  noch  ver^tattete 
Ausfallsforderimg  (Entwurf  §§  22,  110,  121)  in  der  Regel 
einen  nicht  allzu  erbeblichen  Bruchtheit  der  ursprünglichen 
Genossenschahsschuld  beträgt;  endlich  dass  soweit  (noch  in 
der  Genossenschaft  stehende)  Genossen  dem  Einzelangriff  unter- 
liegen, sie  hinsichtlich  des  Gezahlten  den  Rückgriff  gegen  die 
Genossenschaft  haben  (Entw.  g  112,  Motive  S.  200). 

Um  die  praktischen  Wirkungen  dieses  Systems,  dessen 
sorgfältig  ausgearbeitete  Einzelheiten  (Entw.  §§  95 — 106)  als 
bekannt  vorausgesetzt  werden  dürfen,  zu  veranschaulichen,  sei 
der  Fall  gesetzt,  dass  zur  Zeit  der  Konkurseröffnung  das 
bilanzmässige  Aktivvermögen  der  Genossenschaft  500000  M.. 
dagegen  die  bilanzmässige  Genossenschaftsschuld  1  Million  M. 
beträgt  imd  dass  —  ein  sehr  günstiger  Fall  —  die  fehlenden 
500000  M.  oder,  wie  sich  bei  berichtigter  Bilanz  ergibt. 
550000  M.  im  Wege  des  vorläufigen  Umlageverfahrens  (sog. 
»Vorschussverfahren«  §§  95—101  bezw.  102)  bis  auf  300 000  M. 
beigetrieben  sind,  endlich  dass  von  diesem  Fehlbetrage  weitere 
100000  M.  alsbald  oder  doch  bis  zum  Ablauf  der  zweimonat- 
lichen Frist  (§  110)  in  dem  definitiven  Umlage  verfahren  (s(^. 
»Nachschussverfahrens  §g  103,  104)  eingezahlt  worden  sind. 
Es  bleiben  somit  200  000  M.,  welche  mit  Ablauf  der  der 
öffentlichen  Aufstellung  der  Nachschussberechnung  folgenden 
zweimonatlichen  Frist  die  Gläubiger  gegen  jeden  einzelnen 
Genossen  beliebig  in  voller  Höhe  einklagen  dürfen.  Und  zwar 
auch  gegen  diejenigen ,  gegen  welche  hinsichtlich  ihrer  im 
Vorschuss-  oder  Nachschussverfahren  festgestellten  Repartitions- 
quote  die  Zwangsvollstreckung  seitens  der  Genossenschaft  be- 
reits schwebt  (s.  auch  Motive  S.  197),  ja  sogar  gegen  die- 
jenigen, welche  freiwillig  oder  zwangsweise  den  ganzen  auf 
sie  fallenden  Antheil  an  der  im  Vorschuss-  und  Nachschuss- 
verfahren ausgeschriebenen  Umlage  gezahlt  haben. 


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D«r  EinxeUngrifT  der  GenoiseiischafugISubiger.  367 

Und  da  selbstverständlich  die  redlichsten  oder  doch  sol- 
ventesten Genossen  am  ehesten  dieser  Pflicht  genügt  haben, 
so  sind  gerade  sie  dem  ruinOsen  Einzelaagriff  der  Gläubiger 
—  immer  noch  in  Höhe  von  200000  M.  —  am  ehesten  aus- 
gesetzt. 

Dazu  tritt,  was  bisher  kaum  beachtet  worden  ist: 

Die  im  Konkurs  festgestellten ,  sofern  nur  nicht  im 
Prüfungstermin  von  dem  Vorstand  bezw.  den  Liquidatoren 
ausdrücklich  bestrittenen  Forderungen  gelten,  sogar  wenn 
sie  vom  Konkursverwalter  bestritten  waren,  auch  gegen  den 
einzelnen  Genossen  als  schlechthin  festgestellt,  ungeachtet  er 
seinerseits  zu  deren  Bestreitung  ausser  Stande  war:  Reichs- 
Konkursordn,  g  197  und  Entw.  §  1 10  Abs.  3.  Ja  es  ist  zwar 
nicht  die  Verurtheilimg  eines  Genossen,  aber  doch  die  Klage- 
erhebung gegen  solche,  somit  eine  möglicher  Weise  völlig 
frivole  Klage  statthaft,  ungeachtet  die  Forderung  im  Konkurs- 
verfahren streitig  geblieben  ist:  Entw.  §  ItO  Abs.  5,  vergl, 
Motive  S.  195  ff. 

Hierdurch  ist  freilich  für  die  Gläubiger  sehr  aus- 
ausreichend gesorgt,  aber  die  Annahme,  dass  nur  so  der  Kredit 
der  Genossenschaften  zu  erhalten  sei  oder,  wie  die  Motive 
(S.  63)  —  desgleichen  Dr.  Schenck  i.  d.  BI.  f.  Genossen- 
schaftswesen 1888  Nr.  23  —  sagen, 

die  direkte  Haftpflicht  in  ihrer  reformirten  Gestalt 
bilde  >ein  unentbehrliches  Element  in  dem  Kredit- 
organismus der  Genossenschaften  f, 
möchte  doch  eine  starke  Uebertreibung  enthalten.  Wenn 
nach  unserem  Beispiel  ein  Betrag  von  §twa  20  °!o  der  Ge- 
sammtschuld der  Genossenschaft,  oder,  nach  den  Motiven 
S.  195,  in  der  Regel  gar  >nur  noch  ein  verhältnissmässig 
unbedeutender  Restbetragt  zur  Deckung  des  Ausfalls  der 
Gläubiger  zu  ersetzen  sein  wird,  so  kann  nach  aller  prak- 
tischen Erfahrung  unter  etwaiger  durch  Wegfall  des  Einzel- 
angriffs veranlasster  Verzögerung  in  der  Tilgung  dieses 
Schuldrestes  der  Kredit  der  Genossenschaften  schwerlich 
leiden.  Nur  um  Verzögerung  aber  handelt  es  sich,  da  schliess- 
lich ja  auch  mittelst  des  Umlageverfahrens  die  Befriedigung 
der  Genossenschaftsgläubiger  erfolgt,  solange  noch  die  Ge- 
sammtbeit  der  Genossen  die  erforderlichen  Mittel  auf- 
zubringen vermag  —  im  entgegengesetzten,  ja  überaus  seltenen 


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36S  Die  Haftpflicht  der  G«iioueii  imd  das  Umbgcveiftlireii. 

Falle  aber  auch  der  Einzelangriff  nicht  zur  Befriedigung  führt. 
Zudem  steht  diesem  geringen  Vortheil  der  Gläubiger  gegen- 
über die  äusserste  Härte  gerade  wider  die  gewissenhaftesten 
Genossen,  indem  diesen  hinsichtlich  des  ja  relativ  noch 
immer  erheblichen  Schuldrestes  —  in  unserem  Beispiel  vwi 
200000  M.  —  das  Umlageverfahren  keine  Erleichtemng  der 
Haftung  gegenüber  den  Gläubigem  gewährt,  wenngleich  es 
ihren  Regress  gegen  die  mithaftenden  Genossen  erleichtert. 

Im  Rahmen  des  bestehenden  Gesetzes  ist  dies  juiistisch 
korrekt;  im  Rahmen  des  Entwurfs,  welcher  dem  Umlage- 
verfahren  seinen  wahren  Charakter  eines  die  Härte  der  ja 
unerlässlichen  solidaren  Garantieobligation  aller 
Genossen  mildernden  beneficium  divisionis  wieder- 
gibt, dasselbe  zu  einem  integrirenden,  in  die  Hand  der  Gläu- 
biger bezw.  deren  Organe  gelegten  Bestandtheil  des  die  Be- 
friedigimg der  Gläubiger  bezweckenden  Konkursverfahrens, 
mit  Recht  und  Pflicht  auch  der  Gläubiger  zu  dessen  sach- 
gemässer  Durchführung  macht,  prinzip  widrig.  Mit  anderen 
Worten:  unter  diesem  System  erscheint  die  Zulassung  des 
direkten  Einzelangriffs  auf  gleichviel  welchen,  sogar  minimalen 
Schuldrest  als  eine  nur  aus  zwingenden  praktischen 
Gründen  zu  rechtfertigende  höchste  Singularität. 

Die  juristische  Konsequenz  steht  somit  nicht  auf  der  Seile 
des  Entwurfs,  Den  Vertretern  des  Entwurfs  liegt  es  ob,  die 
praktische  Nothwendigkeit  des  Einzelangriffs  über- 
zeugend nachzuweisen.  Dieser  Nachweis  ist  zwar  versucht, 
aber  meines  Erachtens  durchaus  misslungen.  Wenn  in  den 
Motiven  (S.  60)  gesagt  wird:  »Der  von  einzelnen  (? !)  Seiten 
gemachte  Vorschlag,  dieselbe  (die  direkte  Haftpflicht)  zu  be- 
~  seitigen,  durch  die  blosse  Beitragspflicht  zu  ersetzen,  geht  Ober 
das  Ziel  hinaus*,  so  kann  augenscheinlich  darunter  nicht  das- 
jenige Ziel  verstanden  werden,  welches  die  Verfasser  des  Ent- 
wurfs im  Auge  haben  mussten  und  sicherlich  gehabt  haben, 
mittelst  des  Unilageverfahrens  eine  geordnete,  der  Billigkeit 
keit  entsprechende  Befriedigung  der  Gläubiger  herbeizufuhren. 
Nun  aber  ist  im  Entwurf,  entgegen  dem  geltenden  Recht,  die 
Beitragspfhcht  der  Genossen  zum  Umlageverfahren  als  Ver- 
pflichtung der  Genossen  gegen  die  Genossenschaft  ge- 
regelt; es  wird  zutreffend  hervorgehoben  (Motive  S.  59),  dass 
die  Genossenschaft  mit  ihren  durch  das  Umlagererfahren  be- 

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Der  EinielaDgiilT  der  GenossenschaflsglKubiger.  369 

schafften  Mitteln  die  Befriedigung  der  Gläubiger  bewirke.  Ist 
50  das  allerdings  fUr  Thatbestände  dieser  Art  allein  passende 
System  der  iDeckungspflicht«  oder  der  sog.  indirekten  Haftung ', 
zum  leitenden  Prinzip  erhoffen,  so  kann  das  »Zielt  doch  nur 
in  richtiger  Gestaltung  und  voller  Durchführung  der  Deckungs- 
pflicht, nicht  aber  in  dem  Gegentheil  der  indirekten  Haftuag, 
nämlich  in  der  direkten  Haftung  liegen. 

Die  besonderen  praktischen  Gründe  aber,  welche 
die  Motive  (S,  60,  61)  für  die  Beibehaltung  des  Einzelangriffs 
geltend  machen,  sind  folgende: 

1,  Dass  die  Möglichkeit  des  Einzelangriffs  im  Hinter- 
gründe stehe,  werde  »auf  den  Gang  des  Nachschuss- Verfahrens 
nachdrücklich  einwirken*.  »Es  liegt  dann«  —  wird  gesagt  — 
»im  Interesse  jedes  Genossen,  dass  von  ihm  selbst  und  von 
seinen  Mitgenossen  die  Beiträge  möglichst  schleunig  und  voll- 
ständig gezahlt  werden,  während  ein  gleicher  Antrieb  beim 
Mangel  eines  subsidiären  Einzelangriffs  fehlt.  Ein  solcher 
Antrieb  ist  auch  wirthschaftlich  nicht  zu  unterschätzen.  Er 
wird  nicht  bloss  bei  der  schliesslichen  Befriedigung  der  Gläu- 
biger sich  von  praktischer  Bedeutung  erweisen,  sondern  die 
jedem  Genossen  drohende  unmittelbare  Haftung  wird  schon 
von  vornherein  bei  bestehender  Genossenschaft  auf  die  sitt- 
liche und  wirthschaftliche  Haltung  der  Mitglieder,  auf  die 
Vorsicht  bei  der  Leitung  imd  der  Beaufsichtigung  der  genossen- 
schaftlichen Angelegenheiten  eine  günstige  Wirkung  ausüben.« 

Nun  versteht  sich  ja  freilich,  dass  je  strenger  die  Haf- 
tungsprinzipien sind,  um  so  mehr  der  Einzelne  zur  Vorsicht 
gemahnt,  um  so  mehr  er  in  den  Gesammtangelegenheiten 
seinen  individuellen  Einfluss  geltend  zu  machen  veranlasst  ist. 
Von  diesem  Standpunkte  würde  sich  das  ursprüngliche,  dem 
preussischen  Genossenschaftsgesetz  vorangehende  System  der 
vollen  direkten  Solidarhaftung  für  die  ursprüngliche  Gesammt- 
scbnld  am  meisten  empfehlen.  Lässt  at>er,  wie  schon  das 
geltende  Recht  und  noch  mehr  der  Entwurf  anerkennt,  sich 
eine  derartige  Solidarhaft  mit  den  vernünftigen  Zwecken  und 
Einrichtungen  der  Genossenschaften  nicht  vereinigen,  so  hat 
eben  die  Milderung  der  Solidarhaftung  so  weit  zu  gehen,  als 
mit  diesen  Zwecken  und  Einrichtungen  verträglich  ist.    Augen- 


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370  I^is  Haftpflicht  der  GeDOtieii  n&d  du  UmtifeveifshreD. 

scheinlich  beruht  die  scheinbare  Deduktion  der  Motive  auf  der 
Voraussetzung,  dass  nach  dem  System  des  Entwurfs  die  ein- 
zelnen Genossen  in  der  Lage  seien,  rechtzeitig,  d.  h.  bevor  es 
zum  Einzelangriff  kommt,  die  zur  Befriedigung  der  Gläubiger 
erforderlichen  Mittel  herbeizuschaffen,  und  zwar  auf  anderem 
Wege  herbeizuschaffen,  als  dass  sie  selbst  für  die  nichtzahlen- 
den  Genossen  eintreten  —  denn  durch  solches  Eintreten  würden 
sie  ja  praktisch  nur  den  gegen  sie  zu  richtenden  Einzelangriff 
antizipiren.  Diese  Voraussetzung  aber  ist  eine  irrthUmiiche. 
Wenn,  tun  bei  unserem  früheren  Beispiel  zu  bleiben,  die  Tilgung 
der  Genossenschaftsschulden  aus  den  Mitteln  des  Genossen- 
schaftsvermögens  und  demnächst  weiter  im  Vorscbuss-  und 
Nachschuss-Verfahren  bis  auf  200000  M.  erfolgt  ist,  und  zwar 
derart,  dass  von  500  Mitgliedern  400  ihrer  Vorschuss-  und 
Nachschuss-Pflicht  vollkommen  Genüge  geleistet  haben,  da- 
gegen noch  100  Mitglieder  ganz  oder  theilweise  im  Rückstande 
sind,  so  wissen  jene  400  in  der  Regel  gar  nicht  und  können 
in  der  Regel  gar  nicht  wissen,  ob  innerhalb  der  zweimonat- 
lichen Frist  die  noch  im  Rückstand  befindlichen  100  Genossen 
ihrer  Pflicht  genügt  haben.  Noch  weniger  sind  sie,  bei  aller 
sonst  in  Genossenschaftsangelegenheiten  bewährten  Umsicht 
in  der  Lage,  auf  die  mögliche,  lediglich  in  den  Händen  des 
Konkursverwalters ,  Gläubigerausschusses ,  Konkursgerichtes 
liegende  Beitreibung  der  noch  fehlenden  200000  M.  recht- 
zeitig einzuwirken.  Gleichwohl  sind  sie,  und  natürlich  gerade 
sie  vorzugsweise   dem  Einzelangriff  der  Gläubiger  ausgesetzt 

2.  Die  Möglichkeit  sei  nicht  ausgeschlossen,  dass  »leistungs- 
fähige Genossen  es  verstehen,  sich  ihrer  Beitragspflicht  zn 
entziehen  oder  den  Konkursverwalter  hinzuhalten.  Für  solche 
Fälle  ist  es  vollkommen  gerechtfertigt,  den  einzelnen  Gläubigem 
die  Wahrung  ihrer  Rechte  selbst  in  die  Hand  zu  geben«. 

Noch  drastischer  fuhrt  der  Genossenschaits-  Anwalt 
Dr.  Schenck  (Verhandlungen  des  schlesischen  Verbands- 
tages S.  48)  in  dieser  Richtung  aus,  es  könne  die  Genossen- 
schaft so  verblendet  sein,  dass  sie  nach  der  Konkurseröftnung 
ihre  schlechten  Vorstands-  und  Aufsichtsrathsmitglieder,  welche 
den  Vermögensverfall  der  Genossenschaft  verschuldet  hstten- 
wieder  wähle,  dass  diese  nun  einen  mit  ihnen  unter  einer 
Decke  spielenden  Konkursverwalter  wählen,  das  Nacbschus.'v- 
verfahren  so  endlos  verzögert  werde  u.  s.  f. 


::,y  Google 


Dn  EbzeUngriff  der  Genosiffiichaftsgliubiger.  371 

Wäre  dieser  Grund  stichhaltig,  so  mtlsste  in  jedem 
Konkursverfahren,  zumal  über  eine  Societät,  unter  Um- 
ständen jedem  Gläubiger  das  Recht  gewährt  werden,  die 
Geltendmachung  seiner  Forderung  selbst  in  die  Hand  zu 
nehmen!  Ohnehin  wird,  wer  die  exekutivische  Einziehung 
der  Nachschüsse  durch  den  Konkursverwalter,  sei  es  durch 
Scheinverträge  oder  durch  sonstige  Mittel  hinzuhalten  weiss, 
vor  dem  Schreckbild  klageweiser  Geltendmachung  durch 
den  einzelnen  Gläubiger  geringe  Scheu  empfinden. 

Wären  aber  in  Wahrheit  die  befürchteten  Uebelstände, 
■welche  sich  dann  nur  durch  eingreifende  Aenderung  des 
Konkursverfahrens  selbst  beseitigen  Hessen,  so  gewichtig,  und 
-wäre  denselben  wirklich  durch  die  Gestaltung  des  Einzel- 
angrifts  abzuhelfen,  so  greift  doch  das  Mittel,  welches 
der  Entwurf  empfiehlt,  so  sehr  über  das  erstrebte 
Ziel  hinaus,  dass  es  zur  höchsten  Ungerechtig- 
keit führt. 

Böswillige,  ja  nachlässige  Genossen  mag  die  ganze  Härte 
des  Gesetzes  treffen.  Aber  es  erscheint  völlig  unstatthaft,  für 
den  böswilligen  oder  nachlässigen  zahlungsfähigen  Genossen, 
Tvelcher  das  geordnete  Umlage  verfahren  frustirt,  die  völUg 
schuldlosen  Genossen  leiden  zu  lassen.  Der  vorstehend  (unter  1.) 
wörtlich  angeführte  Satz  der  Motive,  welcher  mit  beredten 
Worten  die  Pflicht  des  einzelnen  Genossen  zur  Vorsicht  und 
Selbstthätigkeit  in  Leitung  und  Beaufsichtigung  hervorhebt, 
trifft  gar  nicht  die  vorliegende  Frage.  Vielmehr  enthält 
schon  das  Interesse  der  zahlenden  Mitglieder  an  der  gleichen 
Zahlung  aller  übrigen  für  die  ersteren  den  denkbar  stärksten 
Antrieb,  auf  diese  Zahlung  hinzuwirken,  da  sie  ja  im  letzten 
Ergebniss  für  den  Ausfall  aufzukommen  haben;  aber  diesem 
Interesse  entspricht  auf  ihrer  Seite  kein  anderes  Zwangs- 
mittel gegen  die  Renitenten,  als  die  durch  die  Gesammtheit 
(den  Konkursverwalter,  Gläubigerausschuss  etc.)  durchzufüh- 
rende Beitreibimg. 

Traut  man  somit  der  Energie  des  Konkursverwalters 
bezw.  Gläubigerausschusses  nicht,  befürchtet  man  femer  den 
ja  denkbaren  Einfluss  von  Vetterschaft  und  dgl,  in  der  Ge- 
nossenschaft, so  mag  das  Gesetz  bestimmen,  dass  diejenigen 
Genossen,  welche  innerhalb  der  zweimonatlichen  Frist  ihrer 
Nachschussverpflichtung  nicht  nachgekommen  sind,  auf  Höhe 


372  Die  Haftpflicht  der  GenonCD  und  da*  UmUgneHibmi. 

der  ihnen  obliegenden  Umlage  —  ja,  will  man  noch 
strenger  zu  Werke  gehen,  auf  Höhe  der  ganzen  Aas- 
fallsBchuld  —  dem  direkten  Einzelangriff  der  Gläubiger 
ausgesetzt  sind;  sogar  die  direkte  Exekution  seitens  der 
Gläubiger  liesse  sich,  vorbehaltlich  natürlich  der  persönlichen 
Einwendungen  und  nach  gehöriger  Feststellung  der  Genossen- 
eigenschaft, durchaus  vertheidigen. 

Einem  derartigen  Kompromissvorschlag,  welchen 
ich  selbst  in  der  Sachverständigenkonferenz  gestellt  und  unler 
vielseitiger  Zustimmung  begründet  habe,  welchen  aber  die 
Verfasser  des  Entwurfs  einfach  ablehnen  (Motive  S.  61,  194i, 
wird  man  sich  anschliessen  dürfen,  ohne  dadurch  wider  das 
Prinzip  des  Umlageverfahrens  und  wider  die  ein- 
leuchtendsten Anforderungen  der  Billigkeit  zu 
Verstössen. 

3.  In  wesentlicher  Uebereinstimmung  mit  den  Motiven 
(S.  59,  195)  hat  der  Genossenschaftsanwalt  Dr.  Schenck 
(s,  namentlich  Verhandlungen  des  schlesischen  Verbandstagei 
S.  48,  auch  BI.  für  Genossenschaftswesen  1888  Nr.  23ffJ,  die 
Unbedenklichkeit  des  Einzelangriffs  damit  zu  begründen 
versucht,  dass  »es  nach  dem  verbesserten  Umlageverfahren 
kaum  mUglich  sei,  dass  irgend  ein  Gläubiger  noch  nicht  voll- 
ständig befriedigt  sei«.  Wäre  dem  aber  so,  so  versteht  es. 
sich  doch  nach  den  bekanntesten  Regeln  der  Gesetzespolitit. 
dass  für  einen  allenfalls  denkbaren,  aber  höchst  unwahrschein- 
lichen Ausnahmefall  nicht  gesetzliche  Bestimmungen  getroffen 
werden,  welche  mit  den  schwersten  praktischen  Nachtheilen, 
mindestens  in  der  Vorstellung  der  Betheiligten,  verknüpft  sind. 
Die  legislative  Kunst  besteht  ja  vornehmlich  in  der  weisen 
Beschränkung  auf  das  praktisch  Nothwendige ;  dass  nicht  jeder 
denkbare  Ausnahmefall  der  gesetzlichen  Regelung  bedürftig,  p 
auch  nur  fähig  ist,  hat  schon  die  erprobte  Weisheit  der  römischen 
Juristen  erkannt  und  gelehrt'.  Man  wäre  sonst  versucht,  sn 
die  Argumentation  mancher  Philosophen  und  Staatsmänner  ffl 
denken,  welche  die  Androhung  der  Todesstrafe  mit  der  Moti- 
virung  empfehlen,  dass  von  dieser  Androhung  niemals  G^ 
brauch  gemacht  werden  würde!  Immerhin  bestände  zwischen 
dieser   Argumentation    und    der    vorliegenden    der    wichtige 

'  L.  j-6  D.  de  legibus  (j,  3\ 

Digitizecy  Google 


Der  EinieUngriff  der  GenossenicbaftsglSubiger.  373 

Unterschied,  dass  die  Todesstrafe  doch  nur  gegen  den  Schul- 
digen und  nur  nach  Maassgabe  staatlicher  Anordnung  an- 
gedroht wird,  dagegen  die  Strafe  des  EinzelangrifEs  auch  den 
völlig  Schuldlosen  nach  WillkUr  jedes  einzelnen  Gläubigers 
treffen  kann. 

Dass  diese  ungeheure  Gefahr  des  einzelnen  Genossen 
sogar  in  Genossenschaftskreisen  übersehen  werden  kann,  er- 
scheint allerdings  schwer  begreiflich. 

4.  Diese  in  den  Motiven  {S.  60  —  61)  doch  allzu  euphe- 
mistisch als  >scheinbare  Härter  bezeichnete  Gefahr  und  Unbill 
soll  nach  diesen  Motiven  a.  a.  O.  ihre  »Beseitigung«  finden 
durch  »das  Regressrecht,  welches  den  Genossen  gegen  die 
Genossenschaft  unzweifelhaft  zukommt.  Der  direkte  Zugriff 
der  Gläubiger  ändere  somit  für  die  Genossen  selbst  an  dem 
Ergebniss,  welches  ohne  den  Zugriff  eingetreten  wäre,  sach- 
lich nichts.  Das  Recht  der  Gläubiger,  sich  geeigneten  Falls 
unter  den  haftpflichtigen  Genossen  diejenigen  auszusuchen, 
welche  sie  in  Anspruch  nehmen  wollen,  bewirke  hiemach  nur 
«ine  Aenderung  der  Parteirolle  und  nicht  der  Haftpflicht*. 

Dieses  »nurt  charakterisirt  mehr  als  alles  Andere  die  ganz 
formalistische  Behandlung  der  wichtigen  Frage.  Macht  es 
denn  im  praktischen  Effekt  wirklich  keinen  Unterschied, 
ob  ich  200000  oder  auch  nur  100000  M.  sofort  zahlen  muss, 
-wenngleich  mit  der  sogar  sicheren  Aussicht,  später  diese 
200000  oder  100000  M.  wieder  zu  erlangen,  oder  ob  ich  nichts 
zu  zahlen  brauche?!  Plus  est  in  re,  quam  in  actione,  sagen 
schon  die  praktischen  römischen  Juristen :  was  ich  zahlen  muss, 
wenngleich  mit  dem  klagbaren  Anspruch  auf  Wiedererlangung, 
ist  einstweilen  fUr  mich  verloren.  Von  den  400  Genossen, 
■welche  ihrer  Vor-  und  Nachschuss-Pflicht  vollkommen  genügt 
haben,  werden  1,  2,  5,  10  auf  Zahluug  des  Gesammtschuld- 
restes  von  200000  M.  durch  den  Einzelangriff  herausgerissen. 
Bevor  sie  ihre  lAuslaget  ersetzt  erhalten,  werden  sie  in  zahl- 
losen Fällen  völlig  ruioirt  sein.  Zumal  diejenigen  Gesell- 
schaftskreise, aus  denen  bekanntlich  weitaus  die  Hauptmasse 
der  Erwerbs-  und  Wirtbschafts-Genossenschaften  besteht :  die 
kleinen  Geschäftsleute,  Handwerker,  Kaufleute  können  eben 
g;ar  nicht  oder ,  zumal  nach  dem  Zusammenbruch  derjenigen 
Oenossenschaft,  welche  ihren  Kreditbedarf  vermittelt  hat,  nur 
unter  unerschwinglichen  Opfern  mit  einem  Male  grosse  Summen 


,  Cioogic 


374  Die  Haftpflicht  der  GcDonen  nad  du  UmlageverfahrcD. 

aufbringen,  auch  wenn  die  Aussicht  auf  deren  Wiedererlangung 
noch  so  sicher  wäre.  Ohnehin  tritt  dieser  Ersatz  iiäufig  erst 
nach  Jahre  langen  Weiterungen  ein,  und  es  kann  in  der 
Zwischenzeit  sich  die  thatsächliche  Möglichkeit  des  Regresses 
vollständig  verschoben,  es  können  die  früher  solventen  Ge- 
nossen zahlungsunfähig  geworden  sein,  die  Befriedigungsmitte] 
bei  Seite  geschafft  haben  u,  s.  f.  Befürchten  die  Verfasser  des 
Entwurfs  Nachlässigkeit  des  Konkursverwalters,  so  liegt  doch 
die  Gefahr  der  Verschleppung  besonders  nahe,  nachdem  die 
Gläubiger  bereits  durch  einige  Genossen  völlig  befriedigt  sind, 
kein  treibender  Gläubigerausschuss  mehr  dahintersteht  und 
nun  das  lediglich  zur  Au<%gleichung  dienende  Umlageverfahren 
sich  mühsam  und  schläfrig  abwickelt  Die  Vorschläge  des 
Entwurfs  führen  dahin,  was  derselbe  vermeiden  will :  das  Um- 
lageverfahren gerade  in  seinem  letzten  und  wichtigsten  Stadium 
zu  einem  blossen  Ausgleichungsverfahren  unter 
den  Genossen  herabzudrücken,  statt  ihm  die  allein  richtige 
Stellung  eines  die  Regressnahme  unter  denOenossen 
verhindernden  Ausgleichungsverfahrens  gegen- 
über den  Gläubigern  konsequent  zu  erhalten. 

5.  Zum  Erweise ,  dass  >die  direkte  Haftpflicht  in  ihrer 
reformirten  Gestaltimg  nicht  bloss  ein  unbedenkliches, 
sondern  auch  ein  unentbehrliches  Element  in  dem  Kredit- 
organismus der  Genossenschaften  bildet  und  durch  die  blosse 
indirekte  Haft  nicht  zu  ersetzen  isti  (Motive  S.  63),  wird  end- 
lich ein  letzter  Grund  angeführt:  die  Rechtsstellung  der  aus- 
geschiedenen, aber  noch  den  Gläubigem  haftenden  Genossen. 
Weil  nämlich  für  diese  das  Umlageverfahren  untbimlich  sei. 
so  müsse  nothwendig  die  direkte  Haftpflicht  auch  der  noch  in 
der  Genossenschaft  verbliebenen  Mitglieder  statuirt  werden 
(Motive  S.  61  ff.). 

Es  leuchtet  ein,  dass  diese  Begründung  wider  alle  legis- 
lativen Grundsätze  verstOsst.  Wollte  man  nämlich  auch  zu- 
geben —  was  zu  erweisen  ist  und  später  erörtert  werden  soll  — , 
dass  die  ausgeschiedenen  Genossen  nicht  zum  umlage- 
verfahren herangezogen  werden  können  und  um  deswillen  der 
direkten  Haftung  unterliegen  müssen,  so  können  doch  augen- 
scheinlich nicht  aus  diesem  Grunde  auch  die  noch  in  der 
Genossenschaft  stehenden  Mitglieder  dem  Umlageverfahren 
unterworfen   werden.     Man   sollte   umgekehrt  den  Schluss  er- 

_  .^  „Google 


Dm  Einzelangriff  der  Geno»sen»chaft«gliubiger.  375 

warten:  Weil  für  die  letzteren  das  Umlageverfahren  besteht, 
ist  gegen  sie  der  Einzelangriff  entbehrlich.  Wollte  man  aber 
auch  nicht  so  weit  gehen,  so  ist  doch  offenbar  der  gerade 
entgegengesetzte  Schluss  durchaus  unstatthaft.  Die  Deduktion 
lautet:  Klasse  a  (gegenwartige  Mitglieder)  ist  dem  Umlage- 
verfahren unterworfen ,  Klasse  b  (ausgeschiedene  Mitglieder) 
nicht  (nämlich  nicht  nach  Feststellung  des  Entwurfs);  weil 
Klasse  b  dem  Umlageverfahren  nicht  unterworfen  ist,  muss 
gegen  sie  der  Einzelangriff  bestehen  —  folglich  auch  gegen 
Klasse  a. 

Und  wenn  diese  Argumentation  ersichtlich  allen  Denk- 
gesetzen zuwiderläuft,  wo  findet  sich  denn  auch  nur  der 
Schatten  eines  Zweckmässigkeitsgrundes,  weshalb  die 
Klassen  a  und  b,  sofern  sie  einander  hinsichtlich  der  Betheili- 
gung am  Umlageverfahren  nicht  gleichgestellt  werden  können, 
einander  hinsichtlich  des  Einzelangriffs  gleichstehen  müssen? 
Auch  wenn  die  logische  Gleichstellung  der  Klassen  a  und  b 
nicht  auf  einem  evident  unrichtigen  Schlüsse  beruhte,  wenn 
also  logisch  an  sich  für  die  bereits  ausgeschiedenen  und  die 
gegenwartigen  Mitglieder  der  Genossenschaft  der  gleiche 
Rechtssatz  (Statthaftigkeit  des  Einzelangriffs)  zu  gelten  hätte, 
so  wäre  damit  die  praktisch  gleiche  Behandlung  in  diesem 
Punkte  in  keiner  Weise  gerechtfertigt. 

Nicht  die  rein  formale  logische  Konsequenz,  sondern  die 
innerliche  Zweckmässigkeit  ist  oberste  Richtschnur  der  Gesetz- 
gebung, Unsere  Gesetze  sind  nicht  und  sollen  nicht  sein  meta- 
physische Denksjrsteme ,  sondern  zweckentsprechende  Regeln 
für  das  soziale  Leben. 

Was  ausserhalb  der  Motive  des  Gesetzentwurfs  in  neuester 
Zeit  für  und  gegen  das  System  des  Einzelangriffs  in  längeren 
und  kürzeren  Darstellungen  geschrieben  und  gesagt  worden 
ist ' ,  dürfte  bereits  in  der  vorstehenden  ausführlichen  Erörte- 
rung seine  ausreichende  Würdigung  gefiuiden  haben. 

Für    die    volle   Beseitigung    des  Einzelangriffs   sprechen 

'  Vgl.  Dr.  Schenck,  in  den  Blattern  fUr  Genossenschaftswesen  iS&S 
Nr.  13fr.,  insbes.  aj  ff. ;  Dr.  Scholl*  eod.  Nr.  31—33,  Verhtndlungen  de» 
•  chlesischen  Verbandslages  1888  S.  4i— 59,  116— 118;  Dr.  Hert»  und 
Dr.  GUckemeyer  in  der  Zeitschrift  «Die  DeuUche  Genossenschaft.  1888, 
insbes.  Nr.  3,  5,  7,  8,  15—19;  Mathies  in  den  BlSttern  fbr  Genossenschafts- 
wesen 1888  Nr.  33. 


.)ogle 


376  Di<  Hartpflicht  der  G«ooueD  und  das  UmlageverfaliTen. 

nicht  allein  alle  Zweckmässtgkeits-  und  ErfahrungsgrUnde, 
sondern  sogar  —  was  )a  in  zweiter  Linie  steht  —  alle  Gründe 
juristischer  Konsequenz.  Die  auf  dem  Vereinstage  mit  grosser 
Sicherheit  aufgestellte  Behauptung,  dass  die  Solidarhaftung' 
selbstverständlich  oder  gar  nothwendig  den  Einzelangriff  be- 
dinge, beruht  auf  Rechtsunkenntniss. 

Ist,  ganz  entsprechend  dem  Wesen  und  Zweck  der  geg«i- 
wärtigen  Erwerbs-  imd  Wirthschafts-Genossenschaften,  in  dem 
reformirten  Umlageverfahren  des  Entwurfs  die  Sohdarhaftuog 
der  Genossen  gegen  die  Gläubiger  zu  einer  modifizirt  solidaren 
Deckungspflicht  der  Genossen  gegen  die  Genossenschaft  aus- 
gestaltet, welcher  ihrerseits  die  Befriedigung  der  Genossenschafts- 
gläubiger  obliegt,  so  lässt  sich  nicht  gleichzeitig  die  reine  und 
abstrakte,  wenngleich  subsidiäre  direkte  Solidarhaftung  der  Ge- 
nossen statuiren,  ohne  das  System  des  Gesetzes  in  sein  Gegentheil 
zu  verkehren.  Hinter  der  prinzipalen  Haftung  der  Genossen- 
schaft, welche  unzweifelhaft  eine  juristische  Person  ist', 
steht '  die  gesetzliche  burgschaftsäfanliche  (unbeschränkte  oder 
beschränkte)  und  stets  solidare  Verpflichtung  der  Ge- 
nossen, durch  Vor-  und  Nachschüsse  der  Genossenschaft  für 
die  volle  Befriedigung  der  Genossenschaftsgläubiger  aufzu- 
kommen. Besteht  so  ein  Recht  der  Genossenschaft  und  nur 
dieser  wider  die  Genossen  —  aber  ein  Recht,  welches,  wie 
erforderlichen  Falls  noch  ausdrücklich  gesagt  werden  mag. 
zugleich  im  Interesse  der  Gläubiger  unverktlrzbar  und  unver- 
zichtbar ist  — ,  so  kann  nicht  in  irgend  einem  Zeitpunkte 
gleichzeitig  der  Genosse  den  Genossenschaftsgläubigem  oder 
gar  einem  einzelnen  Glaubiger  zur  Zahlung  verbunden  sein, 
und  es  Hesse  sich  höchstens  strafweise  gegen  den  im  Um- 
lageverfahren  säumigen  Genossen  der  Einzelangriff  recht- 
fertigen. Was  würde  man  von  der  gesetzgeberischen  Weis- 
heit eines  Hadrian  oder  Justinian  sagen,  wenn  diese  verfügt 
hätten:  die  mehreren  Bürgen  sollen  freilich  nur  in  ihrer  Ge- 
sammtheit   (modifizirt  solidar)  haften,   und   es  soll  der  Richter 

■  S,  apch  Urlheile  des  Reichsgerichts  in  Qriluchen  Bd.  III  S.  ii. 
Bd.  VIII  S.  5;  Gierke,  Die  Genossenachaftstheorie  und  die  deutsche  Recht- 
sprechung (18S7)  S.  41fr. 

'  S.  meine  Schrift  S.  56ff,;  Gierke,  KritiKhe  Vierteljahnschiift  ßr 
Gesetzgebung  und  Rechtsvissenichaft  Bd.  14  S.  393,  403  und  Genosseniduifts- 
theorie  S.  302;  Reinatti  a.  a.  O.  S.  9z  If. 


„Google 


Der  EiDlelangriff  der  GeaosteiuchaftsgllabigeT.  377 

das  erforderliche  Umiageverfahren  strikt  durchfuhren;  sobald 
aber  der  Richter  es  imterlässt,  die  solventen  MitbUrgen  zur 
Erfüllung  ihrer  Verbindlichkeit  anzuhalten,  sollen  die  übrigen 
solventen  Mitbürgen,  welche  ihrer  Pflicht  genügt  haben,  von 
den  Gläubigem  auf  den  ganzen  Schuldrest  belangt  werden 
dürfen,  so  als  ob  keine  Theilung  (Umlageverfahren)  statt- 
gehmden  hätte?! 

Dazu  tritt,  dass  die  für  so  komplizirte  Organismen  wie 
die  heutigen  Erwerbs-  und  Wirthschafts-Genossenschaften  allein 
geeignete  sog.  indirekte  Haftung  oder  Deckungspflicht  nicht 
allein  bereits  von  einzelnen,  freilich  zur  Zeit  nicht  eintrags- 
fähigen  Genossenschaften  adoptirt  ist ' ,  sondern  auch  in  dem 
sächsischen  Gesetz,  die  juristischen  Personen  betreffend,  vom 
15.  Juni  1868  —  welches  um  der  Uniformirung  des  Genossen- 
schaftsrechts willen  später  in  seinen  die  Genossenschaften  betreffen- 
den Bestimmungen  beseitigt  worden  ist,  —  Regelung  erfahren 
hat:  §  11  Z.  6  und  Abs.  2,  §§  61—69,  endlich  sowohl  für  die 
verwandten  Wald-Genossenschaften  wie  für  >freie«  und  öffent- 
liche Wasser-Genossenschaften  durch  die  preussischen  Gesetze 
vom  6.  Juli  1875  {G.-S.  S.  416  ff.)  §  43  und  vom  1.  April 
1879  (G.-S.  S.  279  ff.)  §§  24  und  52  durchgeführt  worden  ist. 
Insbesondere  ist  §  24  dieses  Gesetzes,  welcher  die  Ver- 
hältnisse der  freien  Wasser-Genossenschaften  regelt,  hervor- 
zuheben : 

»Für  die  Verbindlichkeiten  der  Genossenschaft  haftet 
deren  Vermögen. 

Genügt  dasselbe  zur  Befriedigung  der  Gläubiger 
nicht,  so  ist  die  Genossenschaft  den  Gläubigem  ver- 
pflichtet, die  Erfüllung  der  Verbindlichkeiten  durch 
Beiträge  zu  bewirken,  welche  von  dem  Vorstande  bezw, 
von  den  Liquidatoren  nach  dem  im  Statut  festgesetzten 
Theilnahmeverhältniss  auf  die  Genossen  umzulegen  und 
erforderlichen  Falls  durch  Klage  beizutreiben  sind. 

Ist  zur  Beitreibung  der  Beiträge  die  Zwangsvoll- 
streckung gegen  einen  Genossen  ganz  oder  theilweise 
fruchtlos  geblieben,  so  ist  der  Ausfall  auf  die  übrigen 
Genossen  in  gleicher  Weise  zu  vertheilen.    Dasselbe 


'  Vgl.   Unheil    des    Reichigerichts   v.    zo.   Dezember   t386  ( 
ArchiT  Bd.  41  Nr.  138). 


Dg,l,:ö,.,,GüOglc 


378  I^>e  Haftpflicht  der  Genouen  und  du  Umlageverbhren. 

findet  statt,  wenn  über  das  Vermögen  eines  Genossen 
das  Konkursverfahren  eröffnet  worden  ist,  unbeschadet 
des  Rechts  der  Genossenschaft,  ihre  Forderungen  auf 
die   Beiträge   im   Konkursverfahren  zur  Geltung   zu 
bringen,  c 
Und  wenn  unbedenklich   zugegeben  werden   darf,   dass 
Wald-  und  Wasser-Genossenschaften  auf  einen  viel  geschlosse- 
neren Interessentenkreis   beschränkt  zu  sein  pflegen,   auch  im 
geringeren  Maasse  auf  persönlichen  Kredit   angewiesen  sind, 
so  hat  doch  der  Gesetzgeber  unzweideutig  anerkannt,  dass  die 
Interessen  ihrer  Gläubiger  durch  das  blosse  Deckungs- 
system  ausreichend  gesichert  erscheinen,  und  dass  der  Einzel- 
angriff  so  unnöthig  wie  nachtheilig  sei. 

Bereits  Schulze-Delitzsch  hat  wiederholt '  darauf 
hingewiesen,  dass  dieses  System  —  gegen  die  Regierungs- 
vorlage —  erst  durch  Beschluss  des  preussischen  Abgeordneten- 
hauses zur  Geltung  gelangt  ist.  Für  die  Erwerbs-  und  Wirth- 
schafts-Genossenschaften  stände  dem  deutschen  Reichstage  die 
gleiche  durchaus  freie  Erwägung  zu.  — 

Wenn  aber  aus  der  Geschichte  des  deutschen  Genossen- 
schaftswesens, das  ja  unter  dem  bestehenden  Gesetz  zu  er- 
freulicher Blüthe  gediehen  ist,  der  Schluss  gezogen  wird, 
dass  der  im  Gesetzentwurf  aufrecht  erhaltene,  immerhin  sehr 
erheblich  eingeschränkte  Einzelangriff  dem  Gedeihen  der  Ge- 
nossenschaften nicht  hinderlich  sein  könne,  so  bewegt  man 
sich,  nach  meiner  Ueberzeugung,  in  einem  sehr  verhängniss- 
Tollen  Irrthiom. 

'Als  die  deutschen  Genossenschaften  entstanden,  musste 
man  nothgedrungen  das  strengste  System  der  Haftpflicht 
wählen  und  vermochte  nur  dessen  allmälige  Milderung  an- 
zubahnen. Auch  entbehrte  man  ausreichender  Erfahrungen 
über  dessen  wirthschaftliche ,  ja  soziale  Gefahren.  Als  aber 
in  den  70  er  Jahren  Krisen  hereinbrachen  und  nunmehr  der 
Einzeiangriff  als  besonders  bedrohlich  empfunden  wurde, 
fügte  man  sich  zeitweise  in  die  Missstände,  weil  man 
der  bewährten  Kraft  und  Energie  Schulze-Delitzsch's 
vertraute,  es  werde  sich  ein  System  finden  lassen,  welches 
eine    rationelle    Befriedigung    der   Gläubiger   ohne   den   ver- 


'  Vgl.  z.  B.  Malerial  Mir  Revision  des  GenoatenKlMRiKeMttM  S.  43. 

,  Cioogle 


Der  Einzel  an  griff  der  Genotsenschifugliubiger.  379 

hassten  Einzelangriff  ermögliche.  Sogar  in  den  Motiven  des 
vorliegenden  Gesetzentwurfs  (S.  55)  wird  ausdrücklich  an- 
erkannt, dass  bei  den  Katastrophen,  welche  >in  einzelnen 
Fällen  den  Charakter  wahrer  Kalamitäten  für  die  davon  be- 
troffenen Bezirke  angenommen  haben« ,  nicht  bloss  der  Um- 
fang der  von  Einzelnen  zu  tragenden  Verluste,  sondern  nament- 
lich die  Unbestimmtheit  und  Unübersehbarkeit  derselben  >und 
die  andauernde  Besorgniss,  aus  der  Zahl  der  Genossen  von 
den  Gläubigem  allein  herausgegriffen  zu  werden*,  verderblich 
gewirkt  habe. 

Nur  jenes  Vertrauen  hat,  wie  mit  aller  Bestimmt- 
heit behauptet  werden  darf,  bisher  zahlreiche  und  wohl 
namentlich  die  vermögendsten  Mitglieder  derGe- 
nossenschaften  von  der  Fahnenflucht  abgehalten. 
Ergäbe  sich  aber  als  Frucht  so  vieljähriger  Reformarbeit,  dass 
gerade  dieser  in  den  Genossenschaftskreisen  bisher  für  ent- 
scheidend erachtete  Reformgedanke  an  dem  Widerstände  der 
Bundesregierungen  scheitert  —  und  dass  mit  dem  jetzt  in  Frage 
stehenden  Gesetz  auf  lange  hinaus  die  Reform  des  Genossen- 
scbaftsrechts  abgeschlossen  wird,  dürfte  doch  keinem  Zweifel 
unterliegen  — ,  so  sind,  nach  meiner  Ueberzeugung,  sehr  schwere 
Folgen  unvermeidlich.  Es  werden  sich  einerseits  —  was  ich, 
obwohl  ja  die  entsprechenden  Bestimmungen  des  Entwurfs  zum 
erheblichen  Theil  auf  meinen  Vorschlägen  beruhen,  für 
keineswegs  wünschenswerth  erachte  —  sehr  zahlreiche  Vor- 
schussvereine in  Genossenschaften  mit  beschränkter  Haftpflicht 
oder  gar  in  Aktienvereine  umwandeln;  es  werden  anderer- 
seits gerade  die  vermögendsten  Mitglieder,  vornehmlich  die- 
jenigen, welche  bisher  aus  uneigennützigem  Wohlwollen  den 
Genossenschaften  die  Stütze  ihrer  Mitgliedschaft  gewährt 
haben,  sich  zurückziehen,  nicht  gewillt,  fernerhin  das  Damokles- 
schwert des  Einzelangriffs  über  ihren  Häuptern  schweben  zu 
lassen. 

Man  sehe  nur  z.  B.  die  völlig  unzweideutigen  Erklärungen 
sehr  angesehener  Mitglieder  von  Genossenschaften  auf  dem 
schlesischen  Verbandstage  (Verhandlungen  S.  56 — 59). 

Können  die  Erwerbs-  und  Wirthschafts-Genossenschaften 
inmitten  eines  mit  steigender  Erbitterung  geführten  Interessen- 
kampfes und  gegenüber  der  wachsenden  Beherrschung  von 
Verkehr  und  Geldmarkt  durch  die  grossen  Kapitalmächte  sich 


380  ^''  Haftpflicbt  der  GeuotseD  and  dsa  UmlageTctrahien. 

nur  durch  selbstlose  Hingabe  Vieler  an  die  gemeiiintltugen 
Genossenschaftszwecke  behaupten,  so  hat  die  Reformgesetz- 
gebtmg  sicher  allen  Grund,  mit  äusserster  Voreicht  jeden 
Schritt  zu  vermeiden,  welcher  nothwendig  diese  Hingabe  ab- 
schwächen oder  gar  vernichten  muss.  Die  jetzt  aufgestellte 
Behauptung  aber,  dass  der  'Kredit*  der  Erwerbs-  und  Wirth- 
schafts-Genossenscbaften  die  Beibehaltung  des  Einzelangriffs 
erfordere,  hat  in  den  von  dem  früheren  und  dem  gegenwärtigen 
Genossenschaftsanwalt  beantragten  einstimmigen  Beschlüssen 
zweier  allgemeiner  Vereinstage  und  in  früheren  beredten  Aus- 
führungen des  gegenwärtigen  Genossenschaftsanwalts  selbst 
seine  ausreichende  Widerlegung  erfahren.  In  dieser  Be- 
ziehung sind  doch  augenscheinlich  die  Genossen- 
schaften selbst  die  besten,  ja  einzig  kompetenten 
Sachverständigen,  und  ich  vermag  nicht  einzusehen,  wie 
die  von  vielen  Seiten  für  juristisch  zutreffend  erachteten 
Ausführungen  der  Gesetzmotive  in  dieser,  ausschliesslich  am 
Lebenserfahrung  und  genauer  Kenntniss  der  Verkehrebedüri- 
nisse  zu  entscheidenden  Frage  eine  Meinungsänderung 
zu  bewirken  vermögen.  Praktische  Männer  können  ach 
vielleicht  darüber  täuschen,  ob  der  Einzelangriff  mit  dem  Be- 
stände and  den  wahren  Interessen  der  Genossenschaften  ver- 
träglich sei;  nicht  aber  darüber,  ob  der  Einzelangriff  für 
ihren  Bestand  und  ihr  Gedeihen  erforderlich  sei.  Ich  selbsi 
war  früher  der  Ansicht,  dass  man  den  einzelnen  Genossen- 
schaften die  Wahl  eines  strengsten  oder  eines  milden 
Kreditsystems  überlassen  solle,  d.  h.  die  Wahl  zwischen 
dem  System  der  direkten  und  sogar  prinzipalen  streng 
solidaren  Haftung  der  einzelnen  Genossen  und  dem 
System  der  blossen  indirekten  Haftung  (modifizirt  solidares 
Deckungssystem).  Wird  dieses  Wahlrecht  nicht  begehrt,  ent- 
scheidet man  sich  für  das  blosse  Deckungssystem  aus  dem 
doppelten  Grunde,  weil  der  Kredit  der  Genossenschaften  ein 
strengeres  System  nicht  erfordere  und  weil  der  Einzel- 
angriff für  den  Bestand  der  Genossenschaften  gefährdend  sei 
so  Hesse  sich  veretehen,  dass  man  sich  von  der  Irrigkeit  des 
zweiten  Grundes  überzeugt  —  aber  kaum,  dass  man  auch  hin- 
sichtlich des  ersten  Grundes  zu  der  gegentheiligen  Ueber- 
zeugung  bekehrt  werde. 


oy  Google 


Die  Heranuehung  au^escbiedcneT  Genouen  tum  Umlageveriahren.   381 

IL   Die  Heranziehung  ausgeschiedener  Genossen  zum 
ümlf^everfWiren. 

Die  Bilanz  der  Genossenschaft  hat  per  31.  Dezember  1888 
einen  wirklichen  oder  anscheinenden  Ueberschuss  der  Activa 
über  die  Passiva  von  50000  M.  ergeben.    Per  31.  Dezember 

1888  sind   50  Mitglieder  ausgeschieden.     Es  sind    zwei  F^lle 
möglich : 

1.  Löst  sich  die  Genossenschaft  bis  zum  30.  Juni  1889 
einschliesslich  auf  (nach  geltendem  Recht:   bis   zum  31.  März 

1889  einschliesslich),  so  ist  zu  unterscheiden: 

a.  Die  Ausgeschiedenen  haben  sich  mit  der  Genossen- 
schaft nicht  auseinandergesetzt ,  aber  ihr  Geschäfts- 
guthaben an  einen  Anderen  (delegationsweise)  über- 
tragen. Verfällt  dann  die  Genossenschaft  später  in 
Konkurs,  so  sind  die  ausgeschiedenen  Genossen  ftlr  die- 
jenigen Nachschüsse,  welche  ihnen  (unter  Berücksichti- 
gung ihrer  Guthaben)  im  Falle  ihres  nicht  erfolgten 
Ausscheidens  obgelegen  hätten,  zum  Umlageverfahren 
heranzuziehen,  aber  erst  subsidiär,  nämlich  erst  hinter 
den  Erwerbern  ihrer  Geschäftsguthaben.  (Die  sechs- 
monatige Frist  kann  in  diesem  Falle  übrigens  auch 
vom  Zeitpunkte  des  Ausscheidens  an  laufen,  da  diese 
Art  des  Ausscheidens  an  einen  bestimmten  Zeitpunkt 
nicht  gebunden  ist.)  Vgl.  Entwurf  §  70  und  Motive 
S.  151  ff. 

b.  Die  Ausgeschiedenen  haben  sich  mit  der  Genossen- 
schaft auseinandergesetzt,  eine  Uebertragung  der  Ge- 
schäftsguthaben an  Andere  hat  nicht  stattgefunden. 
In  diesem  Falle  werden  die  Ausgeschiedenen  schlecht- 
hin so  behandelt,  als  wenn  sie  noch  Mitglieder  der 
Genossenschaft  wären :  die  sogar  vollzogene  Aus- 
einandersetzung wird  rescindirt.  Sie  haben  somit  kein 
Recht  auf  Herauszahlung  ihres  iGuthabensc,  müssen 
vielmehr  das  Empfangene  zurückzahlen.  Sie  haben 
Pflicht  wie  Recht  der  Heranziehung  zum  Umlage- 
verfahren (Vorschuss-  und  Nachschuss- Verfahren)  ganz 
so,  als  ob  ihr  Ausscheiden  nicht  erfolgt  wäre,  werden 
also  nicht  lediglich  mit  ihrem  bilanzmässigeQ  Verlust- 
antheil   zur   kompensatorischen   oder  gar   mittelst  Zu- 


382  ^'"  Hiftpfiicht  der  Gcdomch  und  du  UinlageTetf^lueD. 

schussleistung  bewirkten  Deckung  des  bilanzmässigen 
oder  später  sich  ergebenden  Ausfalles  herangezogen. 
Vgl.  Entwurf  §§  68,  69. 
2.  Die  Genossenschaft  löst  sich  am  1,  Juli  1889  oder 
später  auf.  In  diesem  Falle  haben  die  Ausgeschiedenen,  weldie 
sich  —  was,  von  dem  Falle  der  Delegation  (1.  a)  abgesehen, 
stets  gesetzlich  nothwendig  ist  —  mit  der  Genossenschaft  aus- 
einandergesetzt haben,  die  Stellung  von  einfachen  Konkurs- 
gläubigern der  Genossenschaft  hinsichtlich  ihres  bei  der  Aus- 
einandersetzung festgestellten  Guthabens,  von  gemeinen  Schuld- 
nern der  Genossenschaft  hinsichtlich  des  ihnen  nach  der 
Auseinandersetzung  obliegenden  Zuschusses.  Sie  brauchen 
das  etwa  als  »Guthaben«  Empfangene  nicht  zu  restituiren  und 
haben  weder  Recht  noch  Pflicht  der  Betheiligung  am  Umlage- 
verfahren. Dass  sie  gleichwohl,  zwar  nicht  passiv,  aber  aktiv 
später  in  dasselbe  hineingezogen  werden  können  (Entwurf 
§  112),  wird  sich  alsbald  ergeben. 

Hinsichtlich  ihrer  Betheiligung  am  Umlage  ver- 
fahren unterliegen  somit  die  ausgeschiedenen  Genossen  einer 
durchaus  verschiedenen  Behandlung: 

1)  je  nachdem  die  Auflösung  der  Genossenschaft  binnen 
oder  nach  Ablauf  einer  vom  Zeitpunkt  des  Aus- 
scheidens ab  berechneten  sechsmonatigen  Frist  er- 
folgt ist; 

2)  im  ersten  Falle,  je  nachdem  eine  delegationsweise  Ueber- 
tragung  des  Guthabens  oder  eine  Auseinandersetzung 
mit  der  Genossenschaft  stattgefunden  hat. 

Dagegen  hinsichtlich  ihrer  Haftung  gegenüber  den 
Gläubigern  gilt  ftlr  alle  Ausgeschiedenen  das  gleiche 
Recht. 

Nämlich  sie  bleiben  für  die  bis  zum  Zeitpunkte  ihres 
Ausscheidens,  welcher  fUr  die  verschiedenen  Kategorieen  nicht 
gleichmässig  berechnet,  möglicher  Weise  um  ein  ganzes  Jahr 
nachdatirt  wird  (Entwurf  §§  65,  70),  eingegangenen  Genossen- 
schaftsschulden den  Genossenschaftsgläubigem  und  zwar  jedem 
einzelnen  derselben  solidarisch  ohne  Theilungswohlthat  und 
mit  ihrem  ganzen  Vermögen,  obwohl  nur  subsidiär,  für  die  aus 
dem  Vermögen  der  Genossenschaft  einerseits,  durch  Vorschüsse 
und  NachschUsse  der  in  der  Genossenschaft  verbliebenen  Mit- 

oogic 


Die  Heranziehung  ausgeichiedeaer  Geuoasen  mm  Umlagererfahren,    383 

glieder  bis   zu  dem  gesetzlichen  Zeitpunkte  andererseits  nicht 
gedeckte  > Ausfallsschuld*  verhaftet,  und  zwar: 

1)  schlechthin  3  Jahre  lang,   vom  Zeitpunkte  ihres  Aus- 
scheidens ab  berechnet.     Diese   3  Jahre  bilden   keine 
Verjährungszeit,   sondern   eine  gesetzliche  Befristung; 
3)  wird  innerhalb   dieser   3  Jahre  das  Konkursverfahren 
über  das  Genossenschaftsvermögen  eröffnet,  so  besteht 
diese   Haftung    fort    bis  zum    Ablauf   von   2   Jahren, 
beginnend  mit  der  in  §  HO  festgestellten  Frist.    Diese 
2  Jahre  bilden  eine,    in   manchen  Beziehungen   privi- 
legirte  Verjährungsfrist'. 
Angenommen,  dass  —  um  eine  mittlere  Zahl  zu  nehmen  — 
der  Konkurs   über  das  GenossenschaftsvermOgen    18   Monate 
nach  dem  Ausscheiden  eröffnet  wird,  dass  bis  zum  Vollzug 
der  Schlussvertheilung   (Entwurf   §    103)   auch   nur  ein  Jahr 
verfliesst,    bis    zur   Vollstreckbarerklärung   der    Nachschuss- 
berechnung  weitere  6  Monate  (Entwurf  §§  103,    110),   und 
nunmehr   nach   Verlauf  weiterer   2  Monate  (Entwurf  §   110) 
der  Lauf  der  zweijährigen  Verjährungsfrist  beginnt,  so  würde 
die  Dauer  der  solidaren  und  unbeschränkten  Haftung  der  Aus- 
geschiedenen gegenüber  den  Genossenschaftsgläubigem  sich  auf 
den  Zeitraum  von  5  Jahren  2  Monaten  erstrecken  —  sie  kann 
aber  sehr  leicht  auf  6,  7  und  mehr  Jahre  sich  erstrecken. 

Bleiben  wir  bei  der  vorstehenden  Durchschnittsberechnung, 
so  dürfen  nach  Verlauf  von  3  Jahren  2  Monaten  seit  dem 
Ausscheiden  die  Ausgeschiedenen  von  den  Gläubigem  belangt 
vrerden  auf  Höhe  der  ganzen  Ausfallsscbuld  (Entwurf  §§  71, 
110),  ganz  gleich  den  in  der  Genossenschaft  verbliebenen 
Mitgliedern,  ja  anscheinend  vor  diesen  dadurch  begünstigt, 
dass  sie  zu  dem  Umlageverfahren  nicht  herangezogen  worden 
sind,  also  bis  dabin  aus  eigenem  Vermögen  nichts  zugeschossen 
haben. 

Aber  gleichzeitig  ist  auch  ihre  Lage  eine  weitaus  un- 
günstigere als  die  Situation  der  gegenwärtigen  Genossenschafts- 
mitglieder. Die  letzteren  haben  immerhin  in  dem  Vorstand 
bezw.  den  Liquidatoren  ihre  natürlichen  Vertreter ,  den  aus- 
geschiedenen fehlen  solche  durchaus.  Gleichwohl  gilt  auch 
gegen  sie ,  dass  sie  eine  von  dem  Vorstand  oder  den  Liqui- 

>  Vgl.   Entwurf  %%  71,   III  und  Motive  5.  154,   155,  19S. 

,.:  .«.yGüogle 


384  I)ie  Hafipfiklil  der  Geac»*en  und  du  L'mkgeverfabreD. 

datoren  nicht  ausdrücklich  bestrittene  vom  Gericht  festgestellte 
Forderung  nicht  bestreiten  können,  dass  ein  gegen  den  Vor- 
stand bezw.  die  Liquidatoren  hinsichtlich  einer  bestrittenen 
Forderung  ergangenes  rechtskräftiges  Urtheil  auch  ihnen  gegen- 
über wirkt  (Entwurf  §  111  Abs.  2,  3,  vgl.  §  104  Abs.  2)  - 
von  dem  ja  zustehenden  Interventionsrecht  (CivUprozessonJnmig 
§§  63  ff.)  dürfte  schwerlich  je  Gebrauch  gemacht  werden. 

Allerdings  hat  der  vielleicht  nach  Ablauf  vieler  Jahre 
nach  seinem  Ausscheiden  durch  den  Einzelangriff  von  Glän- 
bigem  minirte  Genosse,  welcher  sich  mit  der  Genossenschah 
auseinandergesetzt  hatte,  den  Rückgriff  gegen  die  Genossen- 
schaft, und  zwar  auf  den  vollen  Betrag  des  Gezahlten,  allen- 
falls gegen  die  einzelnen,  in  gleicher  Lage  befindlichen  aus- 
geschiedenen Genossen  (Entwurf  §§  68,  112  und  Motive  S.  63, 
200)  —  indess  wie  geringen  Schutz  dieses  Regressrecht  prak- 
tisch gewährt,  ist  bereits  im  ersten  Abschnitt  erörtert. 

Da  ich  mich  strenge  auf  die  Beantwortung  der  mir  vor- 
gelegten Fragen  beschränke,  so  steht  hier  nicht  zu  prüfen, 
ob  die  im  Entwurf  angenommene  Haftungsdauer  der  aus- 
geschiedenen Genossen  gerechtfertigt  erscheint.  Wie  dem  aber 
auch  sei,  so  ist  sehr  zu  befürchten,  dass  in  Zukunft  kein  irgend 
vorsichtiger  Mann,  welcher  dem  Gesammtinhalt  des  soeben 
in  seinen  praktischen  Konsequenzen  klargelegten  Gesetzes 
genau  erwägt,  sich  einer  unter  diesem  Gesetz  stehenden  Ge- 
nossenschaft anschliessen  wird,  da  er  durch  sein  Ausscheiden 
aus  derselben  in  eine  fast  noch  bedenklichere  Lage  gerathen 
würde,  als  —  die  Statthaftigkeit  des  Einzelangriffs  überall 
vorausgesetzt  —  durch  sein  Verbleiben  in  der  Genossen- 
schaft. 

Auch  davon  kann  abgesehen  werden,  ob  die  Nichtheran- 
ziehung der  ausgeschiedenen  Genossen  zum  Umlageverfahren 
dem  geltenden  Recht  entspricht,  zumal  die  bis  zur  Aende- 
rung  der  Judikatur  maassgebende  Autorität  des  Reichsgerichts 
dieser  Annahme  zur  Seite  steht. 

Immerhin  ist  bekannt,  dass  der  die  Grundlage  des  gelten- 
den Gesetzes  bildende  Gesetzentwurf  vonSchulze-Delitzsch 
unzweideutig  das  Gegentheil  vorgeschlagen  hat,  und  wie  jeder 
Anhalt  fehlt,  dass  die  Civilprozesskommission  durch  ihre 
Fassungsänderung  in  diesem  wichtigen  Punkte  eine  Aendenug 
des  Gesetzentwurfes  beabsichtigt  habe,  Bundesrath  und  Reichs- 


Die  HeranziehuDg  auEgeschiedeDcr  Genossen  zum  UmlageverrahreD.    385 

tag  aber  auf  die  einzelnen  Bestimmungen  des  Entwurfs  über- 
haupt nicht  eingegangen  sind". 

Es  ist  weiter  klar,  dass  die  Rechtsgründe,  mit  welchen 
die  Ausschliessung  der  Ausgeschiedenen  vom  Umlageverfahren 
bisher  vertreten  worden  ist,  lediglich  dem  Umlageverfahren 
des  zur  Zeit  geltenden  Rechts  entnommen  sind,  nicht  aber 
auch  für  die  völlig  veränderte  Gestalt  desjenigen  Um- 
lageverfahrens, welches  der  vorliegende  Entwurf  aufstellt,  zu- 
treffen. 

Wenn  die  ausgeschiedenen  Genossenschafter  durch  die 
vollzogene  Auseinandersetzung  nach  Recht  und 
Pflicht  aus  jedem  Rechtsverbande  zur  Genossenschaft  heraus- 
getreten sind,  und  wenn  gleichzeitig  das  Umlagever- 
fahren eine  lediglich  innere  Angelegenheit  der  Genossen- 
schaft bildet,  welche  zwar  thatsächlich ,  aber  nicht  rechtlich 
die  Lage  der  Genossenschaftsgläubiger  und  der  diesen  haften- 
den (gegenwärtigen  und  früheren)  Genossen  berührt,  wenn 
diese  beiden  Prämissen  zutreffen,  so  lässt  sich  freilich,  wie 
ich  dies  stets  anerkannt  habe',  die  Heranziehung  der  Aus- 
geschiedenen zum  Umlageverfabren,  wie  zweckmässig  sie  auch 
im  Uebrigen  erscheinen  mag,  mit  den  Prinzipien  des  gelten- 
den Rechts  schwer  in  Einklang  bringen. 

Wird  hingegen,  wie  im  Entwurf  geschieht  und  im  ersten 
Theil  dieser  Erörterungen  eingehend  dargelegt  ist,  das  Um- 
lageverfahren als  integrirender  Bestandtheil  des 
Konkursverfahrens  anerkannt,  als  Recht  und  Pflicht  zu- 
gleich der  Gläubiger,  trägt  es  und  muss  es  naturgemäss 
den  Charakter  eines  auxilium  divisionis  tragen,  so  verschiebt 
sich  augenscheinlich  die  Sachlage  auch  juristisch  voll- 
kommen. 

Dies  hat  denn  auch  bereits  das  Reichsgericht  selbst 
(Urtheil  des  1.  Civilsenats  vom  27.  September  1886  i.  S.  des 
Vorschussvereins  zu  Treptow  c.  Seh.  u.  Gen.  (Beiträge  von 
Rassow  u.  Kuntzel  Bd.  XXXI  S.  90ff.  —  auch  in  den 
Blättern  für  Genossenschaftswesen  1887  Nr.  8])  ausdrücklich 
anerkannt.     »Wärec    —  heisst  es  hier  wörtlich  —  (in  dem 


<  Vgl.  meine  ScIiriEl  5.   19fr. 

>  Vgl.     meine     Schrift    S.     35;     Entscheidunf^n    des    Reich^ienchi* 
.  VIU  S.  71. 


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386  ^'^  Haftpflicht  der  Genossen  und  djs  UmUgeverfahicn. 

geltenden  Gesetz)  »den  Genossenschaftsgläubigem  das  Recht 
beigelegt  worden,  insgesammt  durch  ein  sie  vertretendes  Organ 
gegen  die  Gesammtheit  der  persönlich  haftenden  Genossen- 
schafter unter  Umlegung  der  zu  deckenden  Schuld  auf  die 
einzelnen  Genossenschafter  (nach  Köpfen)  vorzugehen,  so 
würde  es  sich  von  selbst  verstanden  haben,  dass 
das  Umlageverfahren  auch  gegen  ausgeschiedene 
Genossenschafter  gerichtet  werden  könnte,  so 
lange  sie  gemäss  i;  39  Abs.  1  des  Genossenschaftsgesetzes 
den  Gläubigem  verhaftet  sind.«  Aber,  heisst  es  weiter,  ein 
derartiges  Umlageverfahren  sei  dem  geltenden  Gesetz  (vom 
4.  Juli  1868)  fremd. 

Dem  gegenüber  ist  es  auffällig,  dass  die  Motive  S.  61  ff.  - 
und  entsprechend  Dr.  Schenck  in  den  Blättern  für  Genossen- 
schaftswesen 1888  Nr.  22  —  obwohl  sie  ja  wiederfiolt  und 
sehr  scharf  die  Verschiedenheit  des  im  Entwurf  geplanten 
Umlageverfahrens  von  dem  Umlageverfahren  des  bestehenden 
Gesetzes  betonen,  und  S.  58  sogar  wörtlich  ausführen: 

»Um  den  Gläubigern  die  ihnen  zubilligende  Ein- 
wirkung auf  die  Feststellung  und  Einziehung  der  von 
den  Genossen   zu  leistenden  Beiträge  zu  sichern,   darf 
das  Verfahren  nicht   wie   bisher  dem  Vorstand,   un- 
abhängig   vom     Konkursverwalter,     sonden 
muss     dem    letzteren     übertragen     werden, 
unter   der   Beaufsichtigung   des   Konkursgerichts   und 
Mitwirkung    der   Gläubiger   in  den  durch  die 
Konkursordnung  gegebenen  Schranken«, 
ihre  Gründe    gegen    die   Heranziehung   der   Ausgeschiedenen 
zum  Umlageverfahren  nicht  den  Prinzipien  des  neuen,  sondern 
den   völlig  abweichenden   Prinzipien   des    alten  Gesetzes  ent- 
nehmen. 

Indessen  kommt  es  ja,  wie  schon  mehrfach  hervorgehoben 
ist,  weniger  auf  die  sog.  prinzipielle  Korrektheit  als  auf  Zweck- 
mässigkeit an.  Es  soll  daher  im  Folgenden  der  Nachweis 
erbracht  werden,  dass  die  Heranziehung  der  ausgeschiedenen 
Genossen  zum  Umlageverfahren  dem  wahren  Interesse  der  Ge- 
nossenschaft, ihrer  Gläubiger,  ja  der  Ausgeschiedenen  self)st 
entspricht.  Nur  versteht  sich,  dass  hier  Interessenkon- 
flikte vorhegen  und  dass  es  ohne  alle  Schädigung  auch  be- 
rechtigter Interessen   nicht   abgeht.     In  solchem  Falle  besteht 


Die  Herini  ieliDiig;  ausgeschiedener  Genossen  zum  Umlage  verfahren.   387 

eben  die  Aufgabe  des  umsichtigen  Gesetzgebers  darin,  den- 
jenigen Weg  zu  wählen,  welcher  bei  sorgsamster  Er- 
wägung im  Ganzen  und  Grossen  als  der  zweck- 
mässigste   erscheint. 

Als  solcher  erscheint  nicht  die  Ausschliessung  der  Aus- 
geschiedenen vom  Umlageverfahren,  sondern  deren  Heran- 
ziehung, 

1.  Die  Ausschliessung  der  Ausgeschiedenen  verhindert 
augenscheinlich  die  Aufstellung  einer  jeden  sicheren  Berech- 
nung der  zur  Befriedigung  der  Gläubiger  paraten  Mittel. 
Findet  die  Auflösung  der  Genossenschaft  bis  zum  30.  Juni  1889 
statt,  so  hat  der  Konkursverwalter  auch  die  seit  31.  Dezember 
1888  ausgeschiedenen  50  Genossen,  ungeachtet  der  vollzogenen 
Auseinandersetzung,  heranzuziehen;  wenn  am  1.  Juli  1889,  so 
soll  dies  unstatthaft  sein.  Da  nun  aber  diese  Ausgeschiedenen 
gleichwohl  den  Gläubigem  haften,  so  kommen  doch  deren 
Leistungen  indirekt  der  Genossenschaft  zu  Gute,  wenn  auch 
vorbehaltlich  des  in  einem  weiteren  Nachschussverfahren 
(Entwurf  §  112)  zu  nehmenden  Regresses.  Anders  ausgedrückt: 
die  wirkliche  Befriedigungsmasse  ist  unbekannt,  bekannt 
ist  nur  die  Passivmasse.  Wollte  man  aber  etwa  behaupten, 
dass  ja  die  Regresssumme  der  Ausgeschiedenen  mit  dem  im 
Umlageverfahren  ihnen  aus  Genossenschaftsmitteln  zu  ersetzen- 
den Befrage  identisch  sei,  eine  Umlage  auf  die  Ausgeschiedenen 
somit  nicht  ein  Genossenschaftsaktivum  darstelle,  so  wUrde 
man  übersehen ,  dass  die  Regresssumme  —  nach  jedem 
System  —  erst  in  zweiter  Linie  steht,  d.  h.  erst  nach  Be- 
friedigung der  Genossenschaftsgläubiger  zur  Perzeption  kommt 
und  dass  die  in  der  Zwischenzeit,  insbesondere  durch  die  bis- 
herigen Zahlungen  veränderten  Solvenzverhältnisse  der  regress- 
pflichtigen  Genossen  den  Regressnehmem  zum  Nachtheil  ge- 
reichen. 

2.  Das  Interesse  der  Genossenschaft  an  der  Heranziehung 
der  Ausgeschiedenen  liegt  klar  auf  der  Hand.  Es  ist  ja  be- 
kannt, dass  nur  zu  häufig  bei  ungünstigem  Vermögensstande, 
ja  bei  irgend  erheblichen  Verlusten,  zahlreiche  Genossen  aus- 
treten, um  sich  dem  drohenden  Umlageverfahren  zu  entziehen. 
Dies  wird  auch  durch  den  gegenwärtigen  Entwurf  (Rück- 
datirung  des  Auflösungsbeschlusses  um  sechs  Monate)  nur  er- 
schwert, nicht  verhindert.     Will   der  Verein  diese  viel- 


388  Sie  Haftpflicht  der  Genossen  nnd  das  Umlageverfahren. 

leicht  vermögendsten  Genossen  zum  Umlagever- 
fahren  heranziehen,  so  bleibt  ihm  nur  das  Mittel 
der  Selbstvernichtung,  d.h.  der  Auflösung  binnen 
kurzer  Frist.  Gerade  diese  nothwendige  Konset^uenz  des 
vom  Entwürfe  befolgten  Systems  hat  den  scharfen  Wider- 
spruch Schulze-Delitzschs  wie  des  gegenwärtigen  Genossen- 
schaftsanwalts ,  welcher  sich  jetzt  auch  in  diesem  Punkte  auf 
die  Seite  des  Entwurfs  gestellt  hat,  hervorgerufen. 

3.  Anscheinend  nicht  so  klar  liegt  das  Interesse  der 
Gläubiger.  Es  kann  sich  fragen,  ob  nicht,  wenn  der 
Einzelangriff  beibehalten  wird,  einzelne  Gläubiger  es  vor- 
ziehen werden,  mit  direkter  Klage  auf  Zahlung  der  ganzen 
Ausfailsschuld  wider  die  Ausgeschiedenen  vorzugehen.  Allan 
wenn  man  erwägt,  dass  dies  erst  in  einem  sehr  späten  Zeit- 
punkt geschehen  kann,  so  dürften  doch  die  Gläubiger  im 
Durchschnitt  das  geordnete,  ohne  Bemühung  von  ihrer  Seite 
zur  Befriedigung  führende  Umlageverfahren  dem  immerhin 
beschwerlicheren  und  gehässigen  Einzelangriff  vorziehen.  Ist 
der  Einzelangriff  Überhaupt  zum  Schutz  der  Gläubiger  nicht 
erforderlich,  so  auch  nicht  gegen  die  Ausgeschiedenen;  er- 
forderlich  wird  er  nur,  wenn  man  ohne  Noth  die  Atisgeschiede- 
nen  vom  Umlageverfahren  ausschliesst. 

4.  Verwickelter  liegt  die  Frage  nach  dem  Interesse  der 
Ausgeschiedenen,  weil  eben  ein  Interessenkonflikt  besteht. 

Die  Ausgeschiedenen,  welche  sich  mit  der  Genossenschaft 
»auseinandergesetzt«  haben,  hoffen,  dass  sie  für  die  Ge- 
nossenschaftsschulden nicht  werden  in  Anspruch  genommen 
werden*,  jede  Heranziehung  zur  Schuldendeckung  ist  ihnen 
selbstverständlich  äusserst  unerwünscht,  ja  wird  von  ihnen  als 
ein  Unrecht  empfunden.  Nun  liegt  aber  die  Alternative  nicht 
so,  wie  von  gegnerischer  Seite  argumentirt  wird:  Sollen  die 
Ausgeschiedenen  zum  Umlage  verfahren  herangezogen  werden 
oder  von  jeder  Haftungspflicht  frei  sein,  sondern  sie  liegt  so; 
Sollen  die  Ausgeschiedenen  zum  Umlageverfahren  heran- 
gezogen werden  oder  dem  Einzelangriff  der  Gläubiger,  wenn- 
gleich erst  in  einem  späteren  2!eitpunkt,  ausgesetzt  sein? 

Angenommen,  dass  der  ohne  Heranziehung  der  Aus- 
geschiedenen zum  Umlage  verfahren  in  dem  kritischen  Moment 
zu  deckende  Schuldrest  200000  M.  beträgt,  für  dessen  Tilgung 
auch  die  im  Laufe  der  letzten  2,  3,  4  Jahre  vor  diesem  Zeit- 


Die  HeraMJehung  ausgeachiedensr  Genossen  lum  Umlage  verfahren.    389 

punkte  au^eschiedenen  150  Genossen  den  Gläubigem  auf- 
zukommen haben,  und  man  legt  diesen  150  Personen  die 
Frage  vor: 

»Zieht  Ihr  es  vor,  im  Umlageverfahreu,  also  etwa 
innerhalb  eines  Jahres   nach  der  Auflösung  ein  Jeder 
pro  rata,  etwa  mit  je  1000  M.  im  Wege  der  Umlage 
herangezogen   zu   werden,    unter  demoächstigem ,   im 
weiteren  Umlage  verfahren  zu  nehmenden  Regress  für 
die  gezahlten  1000  M.  an  die  Genossenschaft  —  oder 
wollt  Ihr  Heber  der  Gefahr  ausgesetzt  sein,  dass  nach 
Ablauf    etwa    eines    weiteren    Jahres    oder    weiterer 
18  Monate  jeder  Einzelne  von  Euch  beliebig  auf  den 
Betrag   von  200000  M.  (100000,   50000  u.  dgl.)  be- 
langt werde,  vorbehaltlich  seines  Regresses  gegen  die 
Genossenschaft  und    gegen   die    in    gleicher  Haftlage 
befindlichen  Genossen?« 
so    dürfte    für    einigermaassen    vorsichtige    und    verständige 
Männer   die  Antwort   kaum  zweifelhaft  sein.     Ja   sie   dürften 
wohl  mit  gutem  Grunde  sagen:   Der  im  Wesen  der  Erwerbs- 
und Wirthschafts-Genossenschaft  liegende,  gesetzlich  verbürgte 
freie  Austritt  aus  der  Genossenschaft  ist  für  uns  ein  Fall- 
strick   geworden.     Indem   wir   jeder  Einwirkung   auf   die 
Feststellung   der  Genossenschaftsschuld  und  auf  das  Um- 
lageverfahren,  welches  doch   die   volle   Tilgung   dieser 
Schuld  und  zwar  durch   angemessene  Vertheilung   auf 
die  sämmtlichen  einzelnen   haftenden  Genossen  bezweckt,   ent- 
behren, sind  wir  in  einer  ungünstigeren  Lage,  als  unsere 
in  der  Genossenschaft  verbliebenen  Genossen. 

Die  Versagung  der  Betheiligung  am  Umlage  verfahren 
stellt  sich  vorsichtigen  und  redlichen  Männern  als  ein  in- 
direktes Zwangsmittel  dar,  in  der  Genossenschaft  zu 
verbleiben  —  entgegen  dem  klaren  Willen  des  Gesetzes, 
welches  jeden  Zwang  dieser  Art  absolut  verpönt:  Entwurf 
§§60,  62,  18. 

Mindestens  könnten  die  Ausgeschiedenen  begehren, 
dass  für  sie  ein  besonderes  Umlage  verfahren  eröffnet, 
d.  h.  dass  unter  sie,  soweit  sie  solvent  sind,  der  Schuldrest 
gleichmässig  vertheilt  werde,  damit  die  Rechtswohlthat  der 
Xheilung  (beneficium  divisionis),  welche  sie  vermöge  des  Um- 
lageverfahrens   als    Mitglieder    der   Genossenschaft    genossen 


390  B'^  HafipIlLcht  der  Genossen  und  das  UmUgeverfahren. 

haben  ^  ihnen  nicht  ohne  Grund  entzogen  werde.  Erscheint 
aber  dieses  Verlangen  unausführbar,  weil  diesem  be- 
sonderen Umlageverfahren  die  nothwendige  Grundlage  eines 
festen  Status  der  Aktiven  und  Passiven  fehlen  würde  —  da 
ja  unmöglich  festgestellt  werden  kann,  welcher  Theil  des 
Schuldrestes  noch  durch  die  in  der  Genossenschaft  verbliebenen 
Mitglieder  gedeckt  werden  wird  und  welche  Gläubiger  sich 
gerade  an  die  Ausgeschiedenen  halten  werden  — ,  so  bleibt  im 
überwiegend  vernünftigen  Interesse  gerade  der 
Ausgeschiedenen  nur  übrig,  das  allgemeine  Umlage- 
verfahren  auch  auf  sie  auszudehnen. 

Nun  besteht  ja  die  Aufgabe  der  Gesetzgebung  gerade 
darin,  in  solchem,  bekanntlich  sehr  häufigen  Interessenkonflikt 
denjenigen  Weg  einzuschlagen,  welcher  dem  vernünftigen 
allgemeinen,  und  nicht  denjenigen,  welcher  dem  unvemlinf- 
tigen,  rein  egoistischen  Willen  einzelner  Betheiligten  entspricht.  — 

Was  50  von  dem  bisher  allein  geprüften  Interessen- 
standpunkt sich  als  unabweisliche  Regelung  ergiebt,  ent- 
spricht aber  auch  durchaus  den  richtig  verstandenen  Rechts- 
prinzipien des  Entwurfs,  wenn  man  nur  nicht  den  Fehler 
begeht,  nicht  die  Gesammtheit  dieser  Rechtsprinzipien  in 
Betracht  zu  ziehen,  sondern  einen  einzelnen  dieser  Grund- 
sätze für  sich  allein  ins  Auge  zu  fassen. 

1.  Ist  das  Umlage  verfahren  seinem  rechtlichen  Wesen 
nach  eine  Rechtswohlthat  den  Gläubigern  gegenüber 
(beneficium  oder  auxilium  divisionis),  so  kann  es  nicht  auf  die 
in  der  Genossenschaft  zur  Zeit  der  Auflösung  verbliebenen 
Genossen  beschränkt  werden.  Denn  die  noch  gegenwärtigen 
und  die  bereits  ausgeschiedenen,  aber  den  Gläubigem  noch 
haftenden  Genossen  sind  gleichmässig  gesetzliche 
Solidarbürgen  der  Genossenschaftsschuld.  Den 
Gläubigem  gegenüber  bilden  sie  innerhalb  der  Haftzeit  einen 
Körper:  es  ist  juristisch  durchaus  unstatthaft,  die  einzelnen 
Glieder  dieses  Körpers  nach  dem  für  die  Gläubiger  völlig 
unerheblichen  Umstand  der  gegenwärtigen  Mitgliedschaft  oder 
des  erfolgten  Ausscheidens  verschiedener  Behandlung  zu  unter- 
werfen. 

2.  Das  Recht  der  Genossenschaft,  die  ausgeschie- 
denen Genossen  zum  Umlageverfahren  heranzuziehen,  wird  ans 
dem   Grunde   in  Abrede   gestellt,    weil    zu  Folge  der    »Aus- 

.  '^  ...GooqIc 


Die  Heraniiehung  ausgeschiedener  Genoisen  zum  Umlageverfahren.   391 

einandersetzungt  dieselben  ihren  Antheil  an  den  Genossen- 
schaftsschulden bereits  getilgt  hätten.  Indessen  dieser  Grund- 
satz des  gemeinen  bürgerlichen  und  Handelsverkehrs,  dass 
mit  der  Auseinandersetzung  Alles  »abgemacht*  ist,  trifft  für 
die  sehr  verwickelten  Verhältnisse  der  Genossenschaften  nicht 
schlechthin  zu.  Jeder  Genosse  weiss,  dass  er  trotz  seines 
Ausscheidens  noch  lange  Jahre  für  die  Genossenschaftsschulden 
den  Gläubigern  haftbar  bleibt;  er  weiss  oder  muss  doch  als 
verständiger  Mann  wissen,  dass  jede  Bilanz,  also  auch  die- 
jenige, auf  deren  Grund  die  : Auseinandersetzung«  erfolgt  ist, 
nur  annähernd  richtig  ist  und  dass  im  späteren  Konkursfalle 
die  Werthschätzung  zumal  der  Aktiven  durchaus  anders  aus- 
fällt, als  vor  dem  Konkursausbruch. 

Er  weiss  endlich  oder  muss  doch  wissen ,  dass  die  Aus- 
einandersetzung mit  den  Ausscheidenden  gerade  nach  §  68 
des  Entwurfs,  unter  der  selbstverständlichen  Voraussetzung 
der  Solvenz  wie  Belangbarkeit  der  sämmtlichen 
Genossen  geschieht,  weil  ja  nur  unter  dieser  Voraussetzung 
die  Repartition  der  Genossenschaftsschulden  nach  Kopf- 
theilen  und  die  darauf  beruhende  Berechnung  der  Schuld- 
antheile  der  Ausscheidenden  möglich  ist ',  Anders  ausgedrückt : 
in  der  bestehenden  Genossenschaft  werden  zu  Gunsten 
der  Ausscheidenden  alle  Mitglieder  als  gleich 
gut  fingirt,  während  augenscheinlich  diese  Fik- 
tion in  dem  Augenblicke,  da  die  Genossenschaft 
in  Konkurs  verfällt,  nicht  aufrecht  erhalten  wer- 
den kann.  Die  praktische  und  juristische  Remedur 
kann  aber  nur  darin  bestehen,  dass  die  Ausge- 
schiedenen zu  dem  Umlageverfahren,  welches  die 
Uebertragung  der  die  insolventen  (unbelangbaren) 
Genossen  treffenden  Schuldantheile  auf  die  sol- 
venten Mitglieder  bezweckt  und  bewirkt,  heran- 
gezogen werden,  unbeschadet  natürlich  ihres  späteren,  ja 
auch  im  Entwurf  für  den  Fall  des  erfolgreichen  Einzelangriffs 
anerkannten  Regresses. 

So  lässt  sich,  gerade  bei  schärferer  Juristischer  Erwägung, 
das  im  allseitigen  Interesse  begründete  Recht  der  Ge- 
nossenschaft,   alle    noch   den  Gläubigem  haftenden   gegen- 

>  Vgl.  zulreflead  Dr.  Herti,  Die  deutsche  Genonenichsft  iSSS  Nr.  lä. 

oogle 


392  ^'^  Haftpflicht  dei  GcnoEsen  und  das  Umtagevetfaliren. 

wärtigen  und  ehemaligen  Genossen  zu  dem  im  allseitigen 
Intei^sse  liegenden  Umlageverfahren  heranzuziehen,  schwerlich 
bezweifeln. 

Wollte  man  indessen  auch  dieses  Recht  der  Genossen- 
schaft bezweifeln,  so  wird  man  doch  deren  entsprechende 
Pflicht,  somit  das  Recht  der  Ausgeschiedenen  auf 
diese  Heranziehung,  schwerlich  in  Abrede  stellen.  Mit 
der  blossen  »Auseinandersetzung«,  ja  sogar  mit  der  Heraus- 
zahlung des  etwaigen  Aktiv-  oder  Passiv  -  Saldos  des  aus- 
geschiedenen Genossen  ist  nur  formell  Alles  >abgemacht<, 
nicht  materiell. 

Der  ausgeschiedene  Genosse  hat  in  Folge  der  Auseinander- 
setzung nach  allgemeinen  Prinzipien  das  unzweifelhafte 
Recht  gegen  die  Genossenschaft,  von  den  Genossen- 
schaftsschulden, für  welche  er  gesetzlich  haftbar  bleibt,  libe- 
rirt  oder  doch  hinsichtlich  derselben  von  der  Genossenschaft 
gegen  die  Gläubiger  vertreten  zu  werden: 

L.  27,  28,  38  pr.  D.  pro  socio  (17,  2).    A.L.R.  I 
17  g  302:   »Soweit  der  austretende  Gesellschafter  den 
übrigen   den   zur  Tilgung  seines  Antheils  an  den  ge- 
meinschaftlichen Schulden  erforderlichen  Fonds  zurück- 
lässt,  kann  er  fordern,  dass  sie  in  einer  zu  bestimmen- 
den  Zeit   die   erfolgte   Befriedigung    dieser  Societäts- 
gläubiger  oder  seine  von  deren  Ansprüchen  bewirkte 
Befreiung   nachweisen*.     §   303:    »Dabei   findet   alles 
statt,   was  in   einem   gleichen  Falle  wegen   sich   aus- 
einandersetzender   Miterben    verordnet    ist»     (§g    147 
bis  150)'. 
Dass  dieser   selbstverständliche   Grundsatz    auch   für  die 
Erwerbs-   und   Wirthschafts  -  Genossenschaften    gilt,    hat    das 
Reichsgericht  ausdrücklich  anerkannt: 

Urtheil    vom   6.   November   1886    (Entscheidungen 
des  Reichsgerichts  in  Civilsachen  Bd.  18  S.  89). 
Durch  den  nach   erfolgter  Tilgung  der  Genossenschafts- 
schulden unzweifelhaft   gegen    die   Genossenschaft   statthaften 
und,  nach  §  112  des  Entwurfs,  im  Umlageverfahren  zu  reali- 
sirenden   Regress  wird   dieser  Pflicht   der  Genossenschaft 

'  Vgl.  A.L.R.  It  8  §670.    S.  auch  Brinckmann,  Lehrbuch  de«Haa- 

delsrechls  S.   177. 


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Die  HeraniiehaDg  autceschiedener  Genossen  zum  UmlageTcrfahren.   393 

gegen  die  ausscheidenden  Genossen  augenscheinlich  nur  sehr 
nnvollkommen  genügt.  Lässt  sich  nun  nach  bestehendem 
Recht  und  —  wie  anerkannt  -werden  muss  —  nach  der  Natur 
der  Dinge  der  unzweifelhafte  Anspruch  des  ausgeschiedenen 
Genossen  gegen  die  Genossenschaft  auf  Liberation  oder  Ver- 
tretung nicht  durchfuhren,  ohne  die  Interessen  der  Genossen- 
schaft zu  gefährden,  ist  vielmehr  zuzugeben,  dass  der  Aus- 
geschiedene sich  an  das  GenossenschaftsTennögen  nur  im 
Regresswege  halten  kann,  so  versteht  sich  doch  nach  unzweifel- 
haften Rechtsprinzipien  von  selbst,  dass  die  Genossenschaft 
mindestens  verpflichtet  ist,  soweit  ohne  eigene 
Gefährdung  möglich,  dem  ausgeschiedenen  Ge- 
nossen die  Tilgung  der  Genossenschaftsschulden 
entsprechend  zu  erleichtern,  d.  h.  ihn  an  dem  Um- 
lageverfahren  zu   betheiligen. 

Es  steht,  wohlverstanden,  nicht  ein  blosser  Billigkeits- 
anspruch der  ausgeschiedenen  Genossenschafter  gegen  die  Ge- 
nossenschaft —  obwohl  auch  dieser  bei  einer  durchgreifend 
reformirenden  Gesetzgebung  volle  Berücksichtigung  erheischen 
würde  — ,  sondern  ein  klarer  Rechtsanspruch  in  Frage, 
dessen  Anerkennung  sich  das  Gesetz  nicht  entziehen  darf.  — 

Die  vorstehende  Darlegung  hat  ergeben,  dass  die  Heran- 
ziehung der  Ausgeschiedenen  zum  Umlage  verfahren  noth- 
wendig  ist,  um  eine  sichere  Feststellung  der  Befriedigungs- 
masse zu  ermöglichen,  dass  sie  im  Interesse  der  Genossenschaft, 
im  vernünftigen  Interesse  der  Genossenschaftsgläubiger  und 
der  ausgeschiedenen  Genossen  selbst  liegt,  dass  dieselben  nach 
Rechtsprinzipien  den  Gläubigem  gegenüber  die  nur  modifizirt 
solidare  Haftung  im  Umlage  verfahren  beanspruchen  dürfen, 
dass  sie  endlich  der  Genossenschaft  gegenüber  ein  unzweifel- 
haftes Recht  auf  diese  Heranziehung  haben,  ja  dass  sogar  das 
Recht  der  Genossenschaft,  die  ausgeschiedenen  Genossen  zum 
Umlageverfahren  heranzuziehen,  nicht  füglich  bezweifelt  werden 
kann.  Schon  einer  dieser  Gründe  würde  für  die  Gesetz- 
gebung vollkommen  ausreichen,  und  in  einem  etwaigen  Kon- 
flikt der  Gründe  hatten  die  gewichtigeren  den  Ausschlag  zu 
_geben. 

Indem  all  dies  von  der  gegnerischen  Ansicht  verkannt 
wird,  zerreisst  sie  den  wirthschaftlichen  und  rechtlichen  Zu- 
sammenhang,  welcher  zwischen   den  gegenwärtigen  und  den 


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394  Di^  Haftpflicht  der  GenoueQ  und  dis  Umlage ver&hren. 

bereits  ausgeschiedenen  aber  noch  bähenden  Genossen  besteht 
Indem  sie  die  Rechtsverhältnisse  beider  Klassen  nur  insofern 
gleichmässig  regelt,  dass  sie  beide  dem  für  die  erste  Klasse 
sicherlich  unthunlichen ,  für  die  zweite  Klasse  überflüssigen 
Einzelangriff  imterwirft,  im  üebrigen  aber  verschieden,  indem 
sie  die  ausgeschiedenen  Genossen  zwar  nach  dem  Erfolge  des 
Umlageverfahrens  haften  lässt,  aber  an  diesem  nicht  betheiligt 
dann  aber  doch  wieder  behufs  ihrer  Befriedigung  im  Regress- 
wege ein  neues  Umlagever fahren  (Nachschussverfahren)  er- 
öffnet, verhindert  sie  die  allein  zweckmässige,  dem  Recht  und  der 
Billigkeit  entsprechende  Gestaltung  des  Umlageverfahrens, 

Hinsichtlich  des  Regresses  der  Ausgeschiedenen  be> 
gründet  es  keinen  Unterschied,  ob  man  den  Vorschlägen  des 
Entwurfs  oder  den  von  mir  vertretenen  Vorschlägen  folgt 
Nach  b  e  i  d  e  n  Systemen  hat  der  ausgeschiedene  Genosse,  weil 
und  sofern  er  sich  mit  der  Genossenschaft  > auseinander- 
gesetzt', somit  bereits  seinen  ganzen  Antheil  an  den  Genoesen- 
schaftsschulden  entrichtet  hat,  für  Alles,  was  er  später  zu 
diesem  Zwecke  zahlen  muss  —  gleichviel ,  ob  auf  direkten 
Einzelangriff  oder  im  Umlageverfahren  —  den  Regress  gegen 
die  Genossenschaft. 

Nach  beiden  Systemen  versteht  sich,  dass  er  diesen 
Regress  erst  secundo  loco,  erst  nach  Befriedigung  der  Gläu- 
biger, in  deren  Stelle  er  tritt,  nehmen  kann,  dfi  der  Bürge 
seine  Regressforderung  nicht  gleichzeitig  mit  den  noch  un- 
befriedigten Gläubigem  im  Konkurse  liquidiren  kann '. 

Immerhin  ist  durch  die  Ausschliessung  der  Ausgeschiede- 
nen vom  Umlage  verfahren  nutzlos  die  mögliche  Regresssumme 
erhöht,  nach  dem  entgegengesetzten  System  verringert. 

Wenn  endlich  geltend  gemacht  wird,  dass  die  Heranziehung 
der  Ausgeschiedenen,  weil  diese  nur  für  die  bis  zu  ihrem 
Ausscheiden  kontrahirten  Genossenschaftsschulden  haften,  die 
kalkulatorische  Berechnung  des  Konkursverwalters  erschwere. 
so  fällt ,  entscheidenden  Zweckmässigkeits-  und  Billigkeits- 
grllnden  gegenüber ,  diese  Rechnungserschwerung  um  so 
weniger  ins  Gewicht,  als  ja,   nach   dem  Entwurf   §  60,   der 

■  HeiDC  Abhandlung  in  der  Zeitschrift  f.  du  gesammle  Handelsrecht 
Bd.  XIV  S.  414.  —  Urtheil  des  Reichigerichts  Uat  PlenarbeschluM  vom 
15.  Febr.  tSS6  (Enttcheidungen  io  CivUsachen  Bd.  XIV  S.  17z  IT.). 


.OOgk' 


Die  HersDiiehaag  ausgeschiedener  Genossen  lum  L'mlageverfahren.    395 

Austritt  nur  zum  Schlosse  des  Geschäftsjahres  stattfindet  und 
wirkliche  Rechnungsschwierigkeiten  dadurch  ausgeschlossen 
sind.  — 

Kutanen  und  müssen  so  auch  die  Ausgeschiedenen  zum 
Umlageverfahren  herangezogen  werden,  so  entfällt  sogar 
für  sie  jeder  Grund,  den  allgemein  unstatthaften,  weil  ver- 
derblichen und  unbilligen  Einzelangriff  der  Gläubiger 
beizubehalten.  Die  behauptete  »Unschädlichkeit*  des  Einzel- 
angriffs ist  nur  denkbar,  wenn  von  demselben  nie  und  nirgends 
Gebrauch  gemacht  wird ,  das  Gesetz  also  ein  todter  Buch- 
stabe bleibt.  Die  deutschen  Genossenschaften  aber  sind  eine 
zu  bedeutsame  Institution  unseres  wirthschaftlichen  Lebens, 
als  dass  der  Gesetzgeber  versucht  sein  könnte,  dieselben  so 
gefährlichen  Experimenten  auszusetzen. 


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12. 

DAS 

RECEPTUM  NAUTARUM, 
CAUPONUM,  STABULARIORUM. 

EINE 

GESCHICHTLICH-DOGMATISCHE 

ABHANDLUNG. 

(1860.) 


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INHALT. 


I.   Juristische   Natur.     Herrschaftsgebiet.     Verhältniss   zu  den   civilen 

Konlrnkten  gl 40a 

II.    Verhaltniss   lu   den    prätoriichen   Strafliligen   gegen  "»ulae,   eau- 

[jones.  stabularii.      Deren  Theorie  §  2 40S 

III.  Die  einschlägigen  Fälle  der  Klagenkonkurreni  §  3 415 

IV.  Inhilt  der  actio  de  recept».  Begriff  der  vis  major  §  4.  Fort- 
seliung.  Der  gewöhnliche  Begriff  ist  unhaltbar  und  uniureichcnd 
§  J.  Fortsetzung,  Wahrer  Begriff  der  vis  major  in  unserer 
Lehre  §  6 418 

V.    Da»  saivum  fore  recipere  die  Gtuodlage  der  actio  de  recepto  Sj  7     434 
VI.    VoD  der  Ueliernahme  der  Gefahr  und  der  custodia  §  8     ....     440 

VII.    Resultate  §  9 447 

VIII.    Prozessualisches.     Der  Beweis  §  10 450 

IX.    Ausschliessung  und  Beschränkung  der  Haftung  §  II 451 

X.    Heulige  Geltnng  des  Instituts.    Beiträge  zur  Geschichte  der  Kecep- 

tion,  insbesondere  im  Seerecht  §  12 460 

XI.    Ausdehnung  auf  den  Landtrjnsporlvertragf   §  ij 471 


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T  "\as  receptum  nautarum,  cauponum,  stabulariomm  ist  von 
I  J  grosser  theoretischer,  wie  praktischer  Bedeutung.  Unter 
den  Instituten  des  römischen  Verkehrsrechts  nimmt  es  eine 
durchaus  eigenthUmliche  Stellung  ein,  weil  es  zu  den  wenigen 
gehört,  welche  nicht  schlechthin  der  schöpferischen  Kraft  des 
sich  selbst  Uberlassenen  Verkehrs  und  der  freien  Wissenschaft, 
sondern  dem  Eingreifen  einer  rechtskonstituirenden  Gewalt  ihr 
Dasein  und  einen,  wenigstens  dem  Anscheine  nach,  durchaus 
anomalen,  auf  blosser  utilitas  beruhenden,  Inhalt  verdanken. 
Praktisch  regelt  es  noch  gegenwärtig  die  Beziehungen  sehr 
wichtiger  Klassen  von  Gewerbtreibenden  zu  ihren  Kunden; 
fur  den  Handelsverkehr  vorzugsweise  bedeutsam  ist  es,  theils 
wegen  seiner  unbestrittenen  Geltung  für  jeden  Schiffstransport, 
also  namentlich  fUr  den  grossen  See-  und  Flussfrachtverkehr, 
theils  wegen  der  vielfach  angestrebten  und  realisirten  Aas- 
dehnung desselben  aof  den  Landtransport,  insbesondere  die 
grossen  modernen  Transportanstalten,  die  Post  und  die  Bisen- 
bahnen. 

Gleichwohl  hat  es  eine  durchaus  genügende  und  dem  gegen- 
wärtigen Standpunkt  unserer  Wissenschaft  entsprechende  Be- 
arbeitung noch  nicht  erfahren;  selbst  die  neueste '  Monographie, 
die  fleissige  Schrift  von  C.  F.  Müller,  Ueber  die  actio  de 
recepto  und  deren  analoge  Ausdehnung  auf  die  Postanstalten, 
Leipzig  1835,  zweite  sehr  Termehrte  Aufbge,  Leipzig  1857, 

'  Sehr  anbedeutend  iit  die  Inangnral- Dissertation  von  Apoitolenno, 
Aclio  de  recepto,  Berlin  1853.  Ganz  ungetillgend  hinmchtlich  der  Quellen- 
behsndlnilg  sowohl  der  rCmiachen,  wie  der  hambargischen,  ist  die  Tielftch 
citlrte  Schrift  Ton  A.  C  Wolters,  Ueber  die  Actio  de  recepto  in  Beiug  &nf 
Gutwnihe  als  Redpienten  nnd  deren  heutige  Anwendong  in  Deutschland,  be- 
sondeit  in  Hamburg,  Hambnrg  l804i  an  getnnder  Eiiuicht  fehlt  es  dem  Vet- 
fasser  nicht,  und  sein  praktiichea  Raiaonnemenl  ist  hlalig  intrefTend. 
Goldichnidt,  Vamückte  SchrlftoB.    II.  l6 


ogic 


402  ^^  receptnm  naataruin,  caupontun,  it&btilarioniiii. 

begnügt  sich  mit  der  Darlegung  des  praktischen  Details,  und 
wendet  sich,  wie  viele  andere  Schriften,  vorzüglich  der  Frage 
Über  die  analoge  Anwendung  des  Instituts  auf  die  Postanstalten 
zu  —  dagegen  die  leitenden  Prinzipien  desselben,  sein  ge- 
schichtliches und  dogmatisches  Verhältniss  zu  dem  regel- 
n^ssigen,  normalen  Verkehrsrecht  der  Römer  bleiben  un- 
berührt. 

Gerade  nach  dieser  Richtung  hin  dürfte  eine  Revision  der 
Lehre  geboten  sein  und  sowohl  für  die  Geschichte  des  romi- 
schen Verfcehrsrechts,  wie  für  manche  auch  im  heutigen  Civü- 
und  Handelsrecht  bedeutsame  Fragen  nicht  unerhebliche  Auf- 
schlüsse gewähren. 

Dem  Zwecke  dieses  Aufsatzes  gemäss  sollen  dabei  vor- 
zugsweise die  Beziehungen  unseres  Instituts  zur  Lehre  vom 
Frachtvertrag  berücksichtigt  werden,  zumal  nicht  nur  bei  den 
Römern  bereits  der  Fall  des  nauta  als  der  Normalfalt  voran- 
gestellt wird,  sondern  auch  nach  dieser  Seite  hin  die  Eigen- 
thUmlichkeiten  desselben  am  Schärfsten  hervortreten. 

Darum  mag  denn  auch  die  vielfach  ventilirte,  übrigens 
nur  dem  Gewerbspolizeirecht  angehörige  Frage  über  die  Auf- 
nahmepflicht  der  Gastwirthe  hier  unberührt  bleiben.  — 


I,  Juristische  N&tur.    Herrsohaft^biet   Verhältniss 
zu  den  oivilen  Kontrakten. 

§  1. 

Für  Schiffer",  Gast-  und  Stallwirthe  führt  die  Annahme 
von  Sachen  zur  Aufbewahrung  die  gesetzliche  Verpflichtung, 


'  D.  h.  SchiRsrheder.  1.  i  §  3  D.  oauUe,  caupoDo.  stabnlarit  (4,  9'^. 
Dafür  auch  die  AuidrllcVe  navicularios,  nauderoi,  vaüxltipK.  L  i  §  3  cod.  Cod. 
JntC.  XI  I,  3.  Cod.  Theod.  XIII  9.  Vgl.  abrigens  Pardcssus,  Coli,  des  lob 
maritimes  1  p.  329,  2jo.  Der  Spncheebraucli  irechaelt.  Id  der  R^d  odit 
nauta,  all  einer  von  den  Schiblenten,  im  Gegensatz  lam  Rheder,  meist  audi 
tom  Kapitin  (magiater  narii) ,  mitunter  aber  umfaait  er  diesen  mit  t.  B.  1.  i 
§§  3,  6,  7.  I.  6,  10  pr.  g  I  D.  de  lege  Rbodia  de  jactu  (14,  1).  Uebr^cns 
würde  lieh  der  immerhin  außallende  Auidmck  nauta  fUr  Schiffarbedei  erkUnn, 
wenn  wir  annehmen  dürften,  da»  unser  Edikt  Uter  ist  als  da*  Edikt  Ober  die 
exercitoria  actio  (vgl.  unteo  S.  419).  Denn  in  diesem  Falle  bexeicfaaete  nr- 
tprtliiglich  der  Audnicb  nauta  im  Edikt  wirklich  den  KapitSn:  magiMer  Davis, 
mochte  dieser  selbst  Rheder  lein  oder  nicht.    Erst  all  die  Möglichkeit  «»iv-w. 


Juristische  Nttar.  Hemeliaftsgebwt  Verhfiltiiiss  zu  d.  civil«  KoDtnktca.  403 

gegen   deren  Abhandenkommen  und  Beschädigung  zu  garan- 
tiren,  mithin  die  unbedingte  Restitutionspflicht  mit  sich: 
1.  1  pr.  D.  nautae  caupones,  stabularii  (4,  9). 

Ait   Praetor:     Nautae,    caupones,    stabularii, 
quod  cujusque  salvum  fore  receperint,  nisi 
restituent,    in  eos  Judicium   dabo. 
Vorausgesetzt,  dass  diese  Annahme  als  ein  Att  ihres  Gewerbe- 
betriebes ■  erscheint : 
I.  3  §  2  eod. : 

Eodem    modo    tenentur    caupones    et   stabularii ,    quo 
exercentes  negotium  suum  recipiunt.    Ceterum  si  extra 
negotium  receperint,  non  tenentur. 
Vgl.  I.  1  §§  2,  5  h.  t. 
In  dieser  gesetzlichen  ^  oder  genauer  ausgedruckt:  von 
Rechts  wegen  eintretenden  —  Garantieverpflichtung  (salvum 
fore    recipere) '    innerhalb    eines    gewissen    Gewerbebetriebes, 
deren  Ursprung  und  Wesen  wir  weiter  unten  erörtern  wollen, 
liegt  allein  der  eigenthUmliche  Charakter  des  receptum. 


aus  deu  Vertriigen  des  Schiffers  direkt  gegen  den  Kheder  zu  klagen,  koDDle 
mit  der  actio  de  recepto  auch  der  Rbeder  belangt  werden,  welcher  nicht  selbst 
KapilSn  war  und  die  Güter  entgegenDahm.  Der  exercitor  ist  also  anter  dea 
nautae,  d.  b.  omnes,  qui  navis  navigondae  cauta  in  nave  sunt  (I.  i  %  2  cit. 
1,  un.  §  t  D.  furti  adv.  nauiai  47,  5),  an  sich  nicht  inbegriffen:  erat  die 
Juritprudeni  (,1.  I  §  :  h.  1.)  hat  ihn  unter  diesen  BegrifT  gestellt ,  dann  aber 
znglnch  diesen  Begriff  fUr  das  vorliegende  VerhültDiss  ausnahmsweise  auf  exer- 
citor  und  magEster  navis  beschrankt,  also  die  eigentlichen  nautae.  das  Schiffs- 
Tolk.  ausgeschlossen.  Es  konnte  dies  um  so  eher  geschehen,  als  das  pönale 
Edikt  wegen  furtum  und  damnum  nautarum  schon  ursprüaglich  gegen  den 
QterdtoT  gerichtet  gewesen  lu  sein  scheint  1.  un.  pi.  §§  3,  J.  D.  furti  ad*. 
nautas  (47,  5)  1.  7  pr.  §§  a,  4,  J.  6.  1-  6  §  4.  D-  nautae,  caupones  — 
-wShrend  des  exercitor  bei  der  actio  de  recepto  sonst  nie  ErwShnung  geschieht. 
Gans  Shnlich  wtre  dann  der  Hergang  beim  caupo  und  stibularius  gewesen, 
so  duB  eist  mit  EinfUhning  der  institoria  actio  der  Sati  der  1.  ■  g  5  h.  t.  ge- 
rechtfertigt war:  caupones  autem  et  stabuliuios  aeque  eos  accipiemus,  qui 
canponam  vel  stabuEum  exercent,   instiloresve  eomm. 

'  Vgl,  Gluck,  ErlSuleniQg  der  Pandekten  VI  S.  I24ff.:  Bulow  und 
Hagemann,  Prakt.  Erörteningen  Bd.  V  S.  314— 217;  Sintenis,  Da*  prak- 
tische gemeine  Cirilrechl  II  S.  694  Not.  i,  S.  695  [3.  Aufl.  S.  696  Not.  1, 
S.  697];  ▼.  Holsschaher,  Theorie  und  Casuistik  des  gemeinen  Civilrechts, 
3.  Anfl.,  III  S.  831,  833  [3.  AofL  S.  903];  Ober-Appellationsgericht  ta  Dresden, 
in  Seuftert's  Archiv  II  Nr.  393. 

■  1.  I  pr.  §§  I,  6,  8.  L  3  8§  >.  a.  3-  1-5  >>.  t  L  nn.  g  4.  furti 
adv.  nautas  (47,  5).     O.A.G.  lu  Dresden  in  äetiffert's  Archiv  VIII  S.  71. 


,  Google 


404  I3»  receptam  ninUmm,  cauponnm,  ■UbiUuioriim. 

Gleicbgiltig  dagegen  für  Art  und  Umfang  dieser  Haftung 
ist  der  sonst  so  wichtige  Unterschied  zwischen  Entgeltlichkeit 
und  Unentgelttichkeit  der  Leistung';  bei  einem  entgeltlichen 
Frachtvertrag  erstreckt  sich  die  Garantie  für  das  Kaufmanns- 
gut  der  Passagiere  auch  aof  deren  Reisegepäck  und  Mond- 
Torrath,  obwohl  dieselben  weder  besondere  Fracht  zahlen,  nodi 
der  unmittelbaren  Obhut  der  Passagiere  entzogen  werden". 
Auch  das  macht  keinen  Unterschied,  ob  ein  reiner  Sachen- 
transport oder  zugleich  ein  Personentransport  vorliegt  Die 
mehrfach  >  aufgestellte  Behauptung,  dass  die  Regeln  des  recep- 
tum  nur  in  dem  Falle  anzuwenden  seien,  wenn  Reisende 
mit  ihrem  Gut  befördert  würden,  hat  weder  innere  Gründe, 
noch  den  Wortlaut  des  pi^torischen  Edikts,  noch  dessen  Inter- 
pretation durch  die  Jurisprudenz  ftlr  sich  —  um  so  weniger, 
als  auf  die  Personen  der  Reisei>den  sich  diese  Garantie- 
verpflichtung keineswegs  erstreckt.  Wird  auch  beim  Waaren- 
traosport  in  den  Quellen  sehr  häufig  —  obwohl  keineswegs 
ausschliesslich  —  der  Passagiere  (vectores,  mercatores)  gedacht, 
so  hat  dies  doch  nur  darin  seinen  Grund,  dass,  bei  den  Hao- 
delsverhaltnissen  des  Altertfaums,  wie  gleicher  Weise  des 
Mittelalters,  auch  Kaufmannsgut  nicht  unbegleitet  zu  reisen 
pflegte «.  Im  Uebrigen  werden  blosse  Frachtschiffe  von  den 
Passagierschiffen  sehr  wohl  unterschieden,  ohne  dass  hinsicht- 
lich der  Haftung  fUr  den  Waarentransport  sich  auch  nur  die 
Andeutung  eines  Unterschiedes  ^de '. 

Diese  unter  bestimmten  Voraussetzungen  VMi  Rechts  wegen 
eintretende  Garantieverpflichtung,  in  welcher  wir  —  wenn 
auch  nicht  ursprtjnglich,  doch  mindestens  bereits  zur  Zeit  der 


■  I.  3  g  I.     1.  6  pr.  h.  t 

•  1.  I  g  6.    1.  4  g  3  b.  I.    Vgl.  1.  3  g  2  de  tcE«  Rbodift  de  jactn  (14.  >)< 
3  Z.  B.  PuchtB,   Pandekten   §  314  [12.  Aufl.   S.  481];   Arndts  Pu- 

deklen  §  189  [auch  13.  Aufl.];  Reyacher,  D«i  jemöne  und  wBrttembe^ud« 
PriTBtrecht  II  §g  460,  46t;  Brioz,  Puidekten  S.  441  [fehlt  in  d.  3.  AnHi: 
vgl.  dagegen  Müller,  lieber  die  actio  de  recepto,  3.  Aufl.,  S.  to;  W.  Kocb, 
Deuticblaads  Eisenbahnea,  Tb.  II  S.  14. 

♦  Diese  Thalsacbe  ist  allbekannt,  lieber  den  1.  7  g  a  b.  t.  erwilmiai 
rauientßäTiis  vgl.  Pardeiiui,  Collecdon  des  loii  maritimes  I  p.  40.  Gaai 
gleiche  Ericheinnngea  be^gnen  im  alCnordnchen  and  noch  im  sf^tereo  niltd- 
alterlichen  Seeverkehr.  Vgl.  auch  Falke,  Die  Geschichte  de«  deutschen  Hu- 
deb,  Th.  I  (1858)  S.  194. 

1  Namentlich  1.  1  g  13  de  exerc.  act.  (14,  i).  L  3  pr.  g  >  de  lege 
Rbodia  (14,  1).    I.  ij  g  I  locati  (19,  3). 


„Google 


JuriitUche Nator.  HemclutCtsgebict  VerhiltniMiad.cmleDKoDtrakten.  405 

klassischen  Juristen  (vgl.  unten  §  7)  —  das  Wesen  des  recep* 
tum  zu  sehen  haben,  tritt  stets  einem  vollkommen  verbind- 
lichen civilen  Vertrage  hinzu.  Der  Inhalt  des  letzteren  wird 
nach  einer  gewissen  Richtung  modifizirt,  nämlich  hinsichtlich 
der  Haftpflicht  des  Uebemehmers  für  die  Integrität  des  Guts. 
Dagegen  geht  sein  juristischer  Charakter  keineswegs  in  den 
Regeln  des  receptum  auf. 

Daraus  ergibt  sich  ein  zwiefaches,  systematisch  und  prak- 
tisch gleich  wichtiges  Resultat. 

Einmal,  dass  das  receptum  nicht  als  eine  eigenthtlmlicbe, 
selbststäodige ,  etwa  miethähnliche  Vertragsart  bezeichnet 
werden  dari '  —  zugleich  fallen  damit  die  namentlich  von  den 
Aelteren  vielfach  ventUirten  Fragen,  ob  die  Verpflichttmg  ex 
recepto  eine  kontraktliche,  kontraktsähnliche  oder  deliktsartige 
sei'.  Sodann,  dass  die  Grundsätze  des  receptum  keineswegs 
ausreichen,  um  die  von  ihm  beherrschten  Verkehrsverhältnisse 
juristisch  zu  regeln,  dass  dieselben  vielmehr  zugleich  den 
durch  ihren  civilrechtlichen  Charakter  gegebenen,  und 
lediglich  hinsichtlich  der  Haftungspflicht  gegen 
Entwendung  und  Beschädigungs  modifizirten 
Rechtsnormen  unterliegen,  —  denselben,  welche  für  sie  aus- 
schliessUch  zur  Geltung  kommen,  wo  die  rechtlichen  Voraus- 
setzungen der   verstärkten  Haftnngspflicfat  fehlen.    So  wenig 

<  Z.  B.  Gluck  VI  S.  112;  Hugo,  Civil.  Magazin,  3.  Auig.  I  ä.  174: 
Thibaut,  P«idckten(8.  [9.lAnfl.)§S0i;  C.F.Kocli,  Diu  Recht  der  Fotde- 
rnngea  III  S.  999:  v.  Savigny,  Du  Obligalionenrecbt  11  S.  lli;  MUller, 
B.a.  O.  5.  14  fr.;  Sintenii,  Cmirecht  11  5.  693  Not.  i  [3.  Aufl.  S.  696  Not.  1]. 
Gani  uubegrUndet  nennt  K  0  m  p  e ,  Der  Enttrurf  einei  deutschen  Haudeligesetibuchs 
in  leinem  Veihiltnine  lum  deutschen  Poit-  and  EiienbahntTauEpoTtrechle  Regena- 
buTg  1S59.  S.  31  Not.  **  d«*  receptum  »gewiisennaatieD  eine  Tochter  der  Materie 
vom  depodlani'.  Und  gant  unTerEtSodlich  itt  der  letzte  äatz  >ist  die  actio 
de  recepto  mit  der  actio  ex  deposito  verbunden,  10  kann  iie(?)  nicht  in  eine 
andere  Art  von  Kontrakten  autarteo'.  Richtiger  BScking,  Pandekten  (im 
GmodriMc)  [4.  Aufl.]  §  356:  'Grand  der  Klage  iit  die  allgemeine  Recht*- 
beatimmung*  [fehlt  in  d.  5.  Aufl.]. 

>  Weber,  Natürliche  Verbindlichkeit  %  37;  GlUck,  a.  a.D.;  Müller, 
a.  a.  O.;  Unteiholzner,  Schul dverhUtniiie  TT  S.  734.  Wenn  Brini,  Pan- 
dekten p.  1.  Aufl.]  S.  443  [fehlt  in  d.  a.  Aufl.]  eine  realkontraktliche  Ver- 
pflichtung annimmt,  so  ist  daran  so  viel  richtig,  dau  die  gesetzliche  Vefpflich- 
(ung  zur  Restitution  eine  vorangegangene  Hingabe  (rea)  voraunetzt.  Am  Rlcb- 
tigtlen  haben  wir  das  receptum  als  ein  pr&toiische>  Obligationsverblltnist  lu  be- 
teichneu.     Siehe  unten  S.  439  Not  3. 

ä  1.  I  §§  I,  8.    1.  3  Pr-  §§  ".  3-S-     1-  4  pr.     l.  5  P'-  8  '  t.  t. 


,  Cioogle 


406  ^^  Tcceptirm  nauUram,  canponnin,  itabiiluionini. 

daher  etwa  der  Frachtverkehr  zur  See  ausschliesshch  von  den 
Prinzipien  des  receptum  beherrscht  wird,  so  ungeeignet  er- 
scheint die  häufig  aufgeworfene  Frage ',  ob  der  Landtransport 
(Tgl.  §  13)  den  Grundsätzen  der  locatio  conductio  oder  des 
receptum  unterliege.  Richtig  gestellt  müsste  die  Frage  lauten: 
allein  nach  den  Regeln  der  locatio  conductio,  oder  zuglach 
nach  denen  des  receptum? 

Die  civilen  Verträge,  welchen  diese  gesetzliche  Garantie- 
pflicbt  hinzutreten  kann,  sind  Depositum,  Mandat,  Locatio 
conductio,  Innominatcontract.  Letzterer,  wenn  der  Entgelt 
für  die  Aufbewahrung  oder  fUr  den  Transport  nicht  too 
vornherein  fest  bestinlmt,  oder  nicht  in  Geld,  sondern  in  ander- 
weitigen Leistungen  verabredet  ist,  oder  wo  Ungewissfadt 
über  die  vorliegende  Art  des  Miethverhältnisses  (rei  oder 
operis)'  herrscht. 

Bleiben  wir  bei  dem  vorzüglich  wichtigen  entgeltlicbeo 

>  Vgl.  auchDonellns,  ConimeDUrii  de  jure  civil!  XV  43  g  11;  Kriti, 
Ptndektearechl  1,  *  S.  308;  Cnyrim,  de  rei  ptrsonuve  inntporuuidi  obli- 
gadoDC,  quam  cum  poMa  contrahimiis.  Dits.  inaog.  Maiburg  1S54  g  i.  Sicht 
gam  richtig  lagtArndtB,  Pandeicten  [aach  13.  Anfl.}  §  2S9 :  •unabhängig 
von  dem  sonst  iwi*cheD  ihnen  und  den  anfgenommenen  Fremden  besteheaden 
RechUverhSltniiS',  denn  dieses  Rechtsverhiltnin  wird  nach  einer  S^te  hin  iDoditi- 
lirl;  und  Müller,  a.  a.  O.  S. 33,  34:  >Hat  dai  receptum  zugleich  die Naiar ciats 
anderen  Vertraget*,  denn  das  receptum  hat  seine  eigene  und  nni  sone  ^gcne 
Nfttnr.  Aber  neben  ihm  und  durch  dasselbe  modtfiziTt,  bestehen  stets  aadcf« 
Civilvertriige.  Dah«  auch  die  Folgesltie  Müllers  nicht  genau  sind.  Aehn- 
lieb  Zimmern,  Dal  System  der  rümiscHen  Noxallclagen  S.  24. 

>  1.  I  §  I.  1,  33  de  piaescr.  Terbis  (19.  5).  Dass  tibrigens  nuaitgelt- 
liehe  Transport vertrige  nach  den  Regeln  des  Depositum  lu  beurtheüen  wiien, 
wie  mit  Aelieren,  z.B.  S  typmann,  de  jure  maritimo  IV  15  No.  366  ff.,  nixi 
V.  Linde  aDnimmt  (Zeiuchr.  f.  Qvilr.  n.  Ptote«a,  N.  F.  16  S.  178),  lini 
sich  aus  1.  3  §  I  nautae  schwerhch  erweisen.  Denn  die  dort  von  Ulplan 
referirte  and  keineswegs  gebilligte  Ansicht  des  Pomponius  ist  gar  nicht  «os- 
drUcklich  für  den  Transportvetuag ,  noch  weniger  für  alle  Fille  desselben  ge- 
meint, sondern  hat  höchstens  diejenigen  im  Auge,  wo  die  GmndaCtie  der 
loc«tio  conductio  rei  anwendbarerscheinen.  Hfitte  aber  auch  Pomponins  — 
in  Widerspruch  mit  allen  Ubrigen  QuellenseugnisMD :  vg],  t.  B.  Gkjns  111 
i6!>  8  13.  J.  de  mandato  (3,  36).  I.  i  gg  11—13  deposiü  (16,  3).  L  i 
%  18  de  exerc.  act.  (14,  i).  1.  3i  de  pr.  verbia  (19,  5)  —  jene  Meiaung  ge- 
hegt, wie  er  denn  allerdings  über  die  Grensen  zwischen  Mandat  nnd  Depoä- 
tiun  erweitlich  geschwankt  hat,  so  würde  sich  die  ErwKhnung  dei^elbcD  bei 
Ulpian  schon  aus  dem  Grunde  erklSrec ,  um  die  strenge  Haftung  ans  don 
Edikt  durch   die  sehr  beschrinkte  Haftung  des  Depositais  recht  acharf  btrriix- 


iiiiec  »Google 


JuTUtische  Natur.  HemclufncelMet  VerhiQlniuiud.civQen  Kontrakten.   407 

Frachtvertrag  stehen,  so  findet  sich  unzweifelhaft  eine  partielle 
Konkurrenz '  der  civilen  Kontraktsklagen  mit  der  prätorischen 
actio  in  factum  de  recepto.  Zwar  stand  geeigneten  Falls  dem 
Befrachter  die  Wahl  zwischen  der  milderen  actio  locati  resp. 
conducti  und  der  strengeren  prätorischen  Klage  zu  ■,  allein  die 
erstere  hatte  auch  ihr  ausschliessliches  Herrschaftsgebiet,  für 
welches  eine  Konkurrenz  der  Ediktsklage  gar  nicht  in  Frage 
kam:  nämlich  überall  da,  wo  nicht  Entwendung  oder  Be- 
schädigung, sondern  anderweitige  Verletzungen  vertragsmässiger 
Obliegenheiten  zur  Klage  veranlassten. 

So  wird  nur  die  civile  Kontraktsklage,  und  zwar  gerade 
für  den  Seetransport,  erwähnt;  wegen  Ueberlieferung  der 
Waare  an  einen  Unrechten  1.  11  §  3.  L  31.  1.  13  §  6.  locati 
(19,  2);  wegen  Umladung  auf  ein  schlechteres  Sdiiff,  oder 
zur  ungehörigen  Zeit,  oder  wider  Willen  des  Befrachters  1,  13 
§  1  eod.,  1.  10  §  1  de  lege  Rhodia  (14,  2);  wegen  Einlaufens 
ohne  Lootsen  1.  13  §  2  locati;  behufs  Regulirung  der  Havarie- 
rechnimg 1.  2  pr.  de  lege  Rhodia ;  wegen  rechtswidriger  Unter- 
lassung oder  Verzögerung s  des  Transports  1.  10  §  1  eod.; 
auf  Restitution  des  Frachtvorschusses  bei  Nichtausführung  der 
Reise  1.  15  §  6  locati.  So  ist  jedenfalls  nur  diese,  bez.  die 
actio  legis  Aquiliae,  zulässig  wegen  körperlicher  Verletzung 
eines  Reisenden*. 

■  In  dem  vod  Savigny,  Sjitem  V  §  231  Dot.  q.  %  333  anfgeitellten 
SioDc.  Hier  ^m'A  ancb  die,  freilich  nnprUngtich  auf  die  KonlcurrcDz  der  «ctio 
legii  Aquiliae  mit  der^Slteren  actio  arborum  furtim  caesarum  beiUglichei  1.  41 
pr.  de  O.  et  A.  (44,  7)  ein. 

*  1.  3  §  I.  I.  S  pr,  nautae  (4,  9),  §  S  J-  Je  '»'»to  (3,  14).  1.  13 
§  8.    1.  60  8§  a.  9  lof^ti  (19,  a). 

1  So  UDlenchetdet  auch  der  Entwurf  eine»  Deuttcheo  Handeligefettbnch« 
zweiter  Lesung  gani  richtig;  die  Haftung  des  Frachtfahren  für  BescbSdignng' 
nnd  Verlust  der  Waare  tod  der  Haftung  fUr  ZHgenmg.  Die  erjEere  toll  sich 
nach  den  Grundsätien  des  receptum  bcBtimmen,  die  letitere  nach  den  milderen 
PHnxipien  der  locatio  conductio  an.  371,  371.  Dan  dieaer  Untenchied  schon 
im  bestehenden  Recht  für  den  naula  begründet  liegt,  scheint  bei  der  Berathung 
ganz  unbeachtet  geblieben  zu  sein,  da  nur  Billigkeitsgründe  geltend  gemacht 
wtirden.     Protokolle  S.  793— 79S'  798.  801—803,  IJ19. 

*  Die  pritoritche  Pönalklage  wegen  damnnm  injuria  datum  leidet  dicM 
BeschrSnkang  *o  wenig  als  die  eigentliche  aqnüitche  Klage  (1.  13  pr.  I.  7  pr. 
D.  ad  leg.  AquiJ.  9,  z)  ,  da  sie  nur  eine  Nachbildang  derselben  ist.  In  1.  6 
§  3  oaulae  ist  sie  um  deswillen  ausgcschloncn,  weil  der  Beschädigte  hier  nicht 
all  Passagier,  resp.  Waare ,  sondern  all  Mitglied  der  Hannscbaft  in  Betracht 
kommt     1.  7  g  3  eod,  — 


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408  I^  raccptuni  nantamin,  caupon 

Gegen  die  Annahme  eines  selbstständigen  Vertragsv-erhalt- 
nisses  spricht  endlich  auch  die  Ausdmcksweise  der  Quellen. 
Aus  Stellen  wie  1.  1  §  3  nautae  >de  recepto  tenebitorc,  L  3 
§  3  eod.  >ob  receptum  couveniturt  lässt  sich  nichts  entnehmen. 
Entscheidend  aber  ist  die  unten  i^her  zu  erörternde  1.  3  §  1 
nautae.  Hier  wird  das  der  prätorischen  Klage  zu  Grunde 
liegende  Rechtsverhältniss  als  das  nämtiche  bezeichnet,  welches 
die  civilen  Klagen  begründet:  quia  agi  civiti  actione  ex  hac 
causa  potent 

Und  ganz  entsprechend  ist  nicht  etwa  ein  Gegensatz 
zwischen  locatio  oder  depositum  einerseits  und  receptum  anderer- 
seits hingestellt,  sondern  es  heisst:  et  quia  in  locatocon- 
ducto  culpa,  in  deposito  dolus  duntaxat  praestatur.  At 
hoc  Edicto  omnimodo,  qui  recepit,  tenetur  etc.,  nicht  hoc 
contractu  oder  hoc  pacto.  Und  ebenso  zu  Anfang  dieses  Frag- 
ments: Ex  hoc  Edicto  in  factum  actio  profidscitur.  Auch 
<ias  scheint  nicht  unbezeichnend,  dass  in  1.  5  pr.  h.  t.  für  nan- 
tae,  caupones  das  blosse  tenentur  dem  es  locato  teneatur  fQr 
fullo   ind  sarcinator  entgegengestellt  wird. 

IL    Verh&ltniss  zu  den  prätorischen  Strafklagen 

gegen  nautae,  oaupones,  stabulaili.    Deren  Theorie 

und  heutige  Geltung. 

§  2. 

Die  beiden  prätorischen,  gleichfalls  in  factum  gefassten 
Strafklagen  furti  und  damni  injuria  dati  auf  das  duplum', 
welche  in  I.  6,  7  nautae  (4,  9).  1.  un.  furti  adv.  nautas  (47,  5) 
§  3  J.  de  obl.  quae  quasi  ex  dei.  (4,  5).  1.  5  §  6  de  O.  et  A. 
<44,  7).  1.  1  §  2  de  exerc.  acL  (14,  1).  1.  42  pr.  de  furtis 
(47,  2).  1.  19  §  2  de  nox.  act  (9,  4)  dargestellt  werden,  unter- 
scheiden sich  von  unserer  actio  in  factum  de  recepto  nicht 
allein  nach  Zweck  und  Inhalt,  sondern  auch  bezüglich  ihrer 
Voraussetzungen  und  ihres  inneren  Prinzips. 

Weiter  sind  dieselben  in  ihren  Voraussetzungen 
insofern,  als  eine  Entwendung  oder  Beschädigung  nicht  allein 

■  Am  beit«i)  Zimaern,  NiMUÜklagen  S.  agi  ff.;  UuIcTholmei, 
SchnldverhiltDiise  II  S.  736  ff. 


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Verhiltnin  in  d.  prStoritcheD  StnflcUgCD  gtgei  Dsuta«,  cauponei,  stabularii.  409 

an  den  zur  Bewahrung  Ubemonunenea  Sachen,  sondern  an 
allem,  was  sich  im  Räume  des  Schiffes,  Wirthshauses,  Stalles 
thatsächlich  befindet,  Personen  wie  Sachen,  znm  Doppelersatz 
verbindUch  macht,  also  insbesondere  Beschädigung  der  Passa- 
giere und  derjenigen  Sachen,  welche  dieselben  an  sich  tragen'. 
L.  7  pr.  nantae:    sed  non  alias  praestat,   quam  si  in 
ipsa  nave  datüm  sit.    Ceterum  si  extra  navem 
non  praestabit. 
L.  7  §  6  eod.   —   quasi  omnia,   quae   ibi  contin- 
gunt,  in  solidum  receperint. 
So  auch  1.  un.  §  3  furti  adv.  nautas:  Quum  eaim  in  cau- 
pona  vel  in  navi  res  perit  —  §6  eod.  —  qui  in   ea  caupona 
ejus  cauponae  esercendae  causa  ibi  sunt.    1.  5  g  6  de  O.  et 
A.  (44,  7);  —  de  damno  aut  furto,  quod  in  navi  aut  caupona 
aut  stabulo  factum  sit,  —  teneri.  —  1.  42  pr.  de  furtis  (47,  2) : 
—  de  eo,  quod  ibi  perit,  vulgaris  formula  in  dominum  danda 
est.  —  §  3  J.  de  obl.  quae  quasi  ex  del.  —  de  dolo  aut  furto, 
quod  in  navi,  aut  caupona,  aut  stabulo  factum  erit. 

Das  salvum  fore  recipere  —  vgl.  oben  S.  403  Note  2  — 
ist  hier  so  wenig  Voraussetzung  der  Haftung,  dass  es  dem 
für  die  Strafklagen  genügenden  blossen  räumlichen  Befinden 
im  Schiff,  Gasthaus,  Stall  geradezu  entgegengesetzt  wird: 

L.  un.  §§  3,  4  furti  adv.  nautas:  Quum  enim  in 
caupona  vel  in  navi  res  perit,  ex  Edicto 
Praetoris  obligatur  exercitor,  vel  caupo,  ita  ut  in 
potestate  sit  ejus,  cui  res  surrepta  sit,  utrum  mallet 
cum  exercitore  honorario  jure,  an  cum  füre  jure 
civiH  experiri.  Quodsl  receperit  salvum  fore 
caupo  vel  nauta  (Basil.  53,  1,  31:  Et  ftivtoi  t^v 
(fwlaxjjv  Tor  Ttgayfiozog  o  vavxliijgog  avaöi^aio)  furti 
actionem  non  dominus  rei  surreptae,  sed  ipse  habet, 
qui  recipiendo  periculum  custodiae  subit. 


■  Dieie  tind  nicht  Kdpirt.  So  wdt  ^t  die  S.  404  Not.  2  erwihnte  Aua- 
dehnung  der  actio  de  recepto  nicht.  Vgl.  auch  Rhod.  CompUation  Stück  11 
Cap-  14.  Slttck  III  Cap.  ij  (Pardeisai  CoUecdon  I  p.  ajs,  145).  Noch  Uarer 
im  Falle  dei  caupo,  da  zwar  Dicht  die  actio  de  recepto,  wohl  aber  die  pri- 
toiiichen  PönalldageD  wegea  BetchfidiguDg  und  Entircndung  lulinig  »ind, 
welche  gegen  eiaen  nur  tnr  Einnahme  der  Mahlzeit  (Frilbittlck,  Mitti^teHen, 
Abendegaen  etc.)  einkehrenden  Gaat  verabt  werden. 


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410  I^^ll*  receptum  Dantarutn,  caupoDum,  itftbulttriornm. 

Daraus  erklärt  sich  auch,  dass  die  praedictio  (I.  7  pr.  nanue) 
nur  bezüglich  der  Strafklagen  erwähnt  wird.    Vgl.  unten  g  1 1. 

Enger  aber  sind  die  Voraussetzungen  der  Pthial- 
klagec  in  doppelter  Beziehung: 

1.  Die  entwendeten  oder  beschädigten  Sachen  mOssen 
bereits  im  Schilfe  u.  s.  f.  sich  befunden  haben,  mögen  sie  auch 
schon  vorher  recipirt  gewesen  sein.  Anders  die  actio  de 
recepto  I.  3  pr.,  Tgl.  auch  1.  1  §§  2,  3,  8  nautae'. 

2.  Zur  Begründung  der  POnalklagen  gehört  nothwendig 
der  Nachweis,  dass  der  Schiffer  (Wirth)  selbst ',  oder  eine  be- 
stimmte ,   zur  Mannschaft  ^   bezüglich   zur  Bedienung  oder  zn 


■  Hier  genttgt,  Ut  aber  auch  erforderlicli,  die  ReceptioD,  mt^cD  bc1>  dk 
Waaren  auch  Doch  nicht  oder  bereit*  im  Schilfe  oder  Wiithihauie  befnndoi  haben. 
Vgl.  5.  439  Note  l  und  die  Urtheile  dei  ObertribnnalB  zn  Berlin  (Seaffert'i 
ArchiT  I  Nr.  67),  dei  Obertribunal»  in  Stultgart  (eod.  VII  Nr.  40),  da  Ober- 
appellationigeiichts  zu  Lübeck  Tom  2iJl2.  1856  (Sammlung  toq  Erkenni- 
tdtMtm  etc.  in  hamburtriichen  Rechtslachen  llt  S-  15)  A).  Carpiov,  Jnriipr. 
for.  II  a6  def.  1 1 ;  »paniachcs  Handeligeaetibach  Ait.  317,  681 ;  ponngieüc^ie« 
HBndeli2'*'''bo'=''  An.  187,   1364;  braiilioniichei  Art.   lOi. 

I  Viele  leugnen  die  Klage  für  diesen  Fall.  Wo  ei  uch  um  DanKllni^ 
de*  Qaa*idelikis  handelt,  iit  freilich  davon  nicht  die  Rede;  i.  B.  g  3  J.  de 
1.  5  g  6  de  0.  et  A.  (441  ?)■  Vgl.  jedoch  I.  an.  pr.  furti  adT.  nant.  (47,  5). 
].  4s  pr.  de  foTtii  (47,  3).  1.  19  g  3  de  nox.  act.  (9,  4).  HinNcbtlicb  des 
furtum  ist  die  Frage  bedeulnngiloi,  weil  hier  ohnehin  die  actio  forti  nee  vtam- 
fe«ti  bdI  da«  daptnm  ging;  dagegen  war  lie  bedeatmd  in  Betreff  dei  damnnm, 
weil  die  gewöhnliehe  aqailische  Klage  nur  in  Folge  Leugnern  den  dnfacfaen 
ErutE  Qbentieg.  Fttr  dai  damnum  iit  freilich  die  Znllisigkeic  der  Klage  w^en 
dei  Delikts  de«  Frintipats  nicht  aiudrflclctich  bezeagt;  indeawn  apricht  dafh 
nicht  allein  die  Analogie  de<  furluni ,  aondem  auch  die  Unwahncheinlichkeii, 
dsH  dM  Qnasidelikt  höher  wire  geahndet  worden,  als  dai  wirkliche  Delikt. 

1  Em  gini  gewöhnlicher  Iirthnm,  namentlich  der  Aelteren,  ist  es,  dais 
gewi*M  Leute  der  Mannschaft  oder  Bedienung  (medianini  etc.)  den  Schifiet 
a.  t.  f.  nicht  verpflichten.  Aber  1.  ■  gg  1,  5  D.  naulae  bestimmen  nur,  dass 
die  Reception  durch  dergleichen  untergeordnete  Dienstleute,  welche  gana 
niedere  Funktionen  haben,  nicht  wirksam  geschehen  könne;  sofsn  die  Reception 
gtlltig  erfolgt  itt,  hat  der  Schiffer  etc.  auch  gegen  die  Delikte  dicKT  I>iciul- 
lenle  «ioinitehen.  Wo  nun,  wie  bei  den  Pttnalklagen,  gar  nicht  die  Reception 
der  Grund  der  Haftung  ist,  da  versteht  nch  die  Vertretimg  der  Delikte  aoch 
dieser  Personen  von  selbst  Hier  wird  ihrer  darum  auch  gar  nicht  besonden 
erwlhnt,  sondern  et  heistt  ganz  allgemein  omnium  naiitarum  tuomm  (L  7  ^. 
nantae)  ,  a  quoquo  eorum  quosve  ibi  habebunt  (1.  nn.  pr.  furti  adv.  nanlu), 
qui  in  ea  caupona  ejas  cauponae  exercendae  causa  ibi  sunt  (I.  nn.  g  6  cod.). 
Man  hat  unbegreiflicher  Weise  rerwechselt  die  Verpflichtung  durch  den  Anf- 
nahmeakt ,  als  Grundlage   der  Haftung   ex   recepto,  —  und  die  VerpBichtni^ 


Verbilbiin  m  d.  pritOTUch«n  Stnflclagen  ^gen  nant&e,  canponGi,  »tabnlarii,  41 1 

den  beständigen  Bewohnern  des  Gasthauses  gehörige  Person 
das  Delikt  begangen  habe.  1.  6  §§  1 — 4.  I.  7  pr.  §  2  nautae. 
1.  un.  pr.  forti  adv.  nautas. 

Hiermit  hängt  das  innere  Prinzip  dieser  Klagen  enge 
zusammen.  Sie  sind  nicht,  wie  die  actio  in  factum  de  recepto, 
auf  eine  gesetzliche  durch  die  Aufnahme  begründete  Garantie- 
verpflichtung, sondern  dnrchaus  auf  ein  Delikt  oder  Quasi- 
delikt zurückzufuhren.  Letzteres  alsdann ,  wenn  nicht  der 
Schiffer  selbst,  sondern  seine  Leute  die  Schuldigen  sind.  Diese 
muss  er  schlechthin  vertreten,  vermöge  wirklicher  oder  fingirter 
culpa  in  eligendo:  er  hätte  tüchtigere,  ehrlichere  annehmen 
sollen.  Darum  hier  keine  Haftung  für  vectores  und  viatores, 
darum  blosse  Noxalhaftung  für  eigene  Sklaven,  in  Betreff 
deren  die  Annahme  einer  culpa  in  eligendo  denn  doch  gar  zu 
missiich  erschien:  1.  6  §  3  (vgl.  mit  1.  1  §  ult.  L  2,  3  pr.) 
1.  7  pr.  §  4  (vgl.  mit  1.  3  §  3)  nautae.  1.  un.  §§  5,  6  furti 
adv.  naut.  1.  5  §  6  de  O.  et  A.  1.  1  §  2  de  exerc.  acL  (14,  1). 
1.  42  pr.  de  furtis.  1.  19  §  2  de  nox.  act.  §  3  J.  cit.,  —  wo 
folgende  Wendungen  begegnen;  Quum  ipse  eos  suo  periculo 
adhibuerit  Culpae  scilicet  suae,  qui  tales  adhibuit ;  nam  quum 
alienos  adhibet,  explorare  enm  oportet,  cujus  fidei,  cujus  inno- 
centiae  sint-,  in  suis  venia  dignus  est,  si  qualesquales  ad  in- 
struendam  navem  adhibuerit.  —  Quod  liberum  quidem  hominem 
adhibens  statuere  debuit  de  eo,  qualis  esset,  in  servo  suo 
igaoscendum  sit  et,  quasi  in  domestico  malo.  Namque  via- 
torem  sibi  eUgere  caupo  vel  stabularius  non  videtur  —  inhabi- 
tatores  vero  perpetaos  ipsosquodammodo  elegit,  qui  non  rejecit.  — 
Et  aliquateous  culpae  reus  est,  quod  Opera  malorum  hominum 
uteretur.  —  Qui  nautas  adhibet,  culpa  et  dolo  carere  eos 
curare  debet. 

In  Kürze  stellt  sich  sonach  der  innere  und  der  praktische 
Unterschied  der  prätorischen  Ersatzklage  (actio  in  factum  de 
recepto)  von  den  beiden  prätorischen  Strafklagen  (actiones  in 
factum  furti  und  damni  injuria  dati)  dahin: 


dnrcli  dx  in  lecipirten  oder  ihatsichlich  im  Schiffe  eic.  bcGndticlieD  Objekteo 
begangene  Delikt,  ali  Vennluiutif  der  actio  de  recepto  und  der  PBnilklagen. 
Die*e  duicbgehende  Verwecluelnng  liegt  i.  B.  der  ganz  rerworrenen  Dar- 
MeUnng  ron  Wolteis  S.  ^ff.  ta  Grande.  Richtig  schon  Aceariint  in  der 
Gloue  EU  L  I  g  1  h.  t. 


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412  I^  Tccepttun  aintaiuni,   canponum, 

1.  Elrsatzklage. 

Das  Edikt  verpflichtet  den  Schiffer  u.  s.  f.  die  Integrität 
der  einmal  angenommeaea  Ladung  und  Reisebagage  schlecht- 
hin, soweit  dies  in  Menschenmacht  liegt,  zu  vertreten.  Es 
soll  für  ein  gewisses  Resultat  (Integrität  der  Ladung)  auf- 
gekommen werden,  was  allerdings  indirekt  zugleich  eine  Haftung 
fUr  Delikte  gewisser  Personen  involvirt.  Daher  auch  hier  von 
einem  factum  praestare  die  Rede  ist  (\.  l  %  ult  1.  2,  3  pr.  h.  t.) 
—  aber  zugleich  wird  scharf  hervorgehoben,  dass  nicht  die 
Vertretung  dieses  factum  der  Grund  der  Haftung  ist: 

1.  3  §  3  h.  t.    Item  si  servus  exercitoris  surripuit  vel 
damnum  dedit,  noxalis  actio  cessabit,  quia  ob  recep- 
tom  suo  nomine  dominus  convenitur. 
Der  nähere   Umfang   dieser  Verpflichtimg  soll    in    den 
§§  4  ff.  dargelegt  werden. 

2.  Strafklagen. 

Das  Edikt  verpflichtet  den  Schiffer  u.  s.  f.  für  alle  im 
Schiffe  u.  s.  f,  erweislich  durch  ihn  selbst,  oder  durch  sone 
Leute  (im  Gasthause  auch  durch  die  beständigen  Bewohner 
des  Gasthauses)  verübten  Entwendungen  und  Beschädigungen 
an  Sachen  der  Reisenden,  wie  fUr  alle  Beschädigungen  der 
Reisenden  selbst,  auf  Hohe  des  doppelten  Werths,  bezüglich 
Entschädigungsbetrages,  aufzukommen. 

Es  soll  nicht  für  ein  Resultat,  sondern  direkt  für  Delikte 
gewisser  Personen  eingestanden  werden. 

L  6  h.  L  —  servi  mei  nomine  — .  —  ejus  nomine  — . 
—  cujus  factum  Praetor  aestimare  solet  — .  —  nt 
certi  hominis  factum  arguamus.  — 
I.  7  b.  t.  —  debet  omnium  nantarum  factum  prae- 
stare — .  —  factum  eonun  praestat  — .  —  hujns 
factum  praestat  — .  Suo  nomine  tenetur,  culpae 
scilicet  suae  (wie  sogleich  erklärend  hinzugefügt 
wird). 
1.  un.  g  6  furti  adv.  nautas,  —  praestat  factum 
eorum  — .  —  quorum  factum  oportet  eum  prae- 
stare — .  —  vectorum  factum  non  praestatur. 
§  5.  —  servi  sui  nomine  — .  —  liberi  hominis 
nomine  — . 


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VerhSltniu  lu  d.  prltoriiclieii  StrtifUaeeii  gegen  DUtte,  canpones,  »tabnlaiii.   413 

Die  Deliktsnatur  dieser  Klagen  tritt  auch  in  ihrer  Unver- 
erblichkeit '  klar  genug  hervor.  Dass  sie  nicht  zugleich  der 
einjährigen  Verjährung  der  meisten  prätorischen  Deliktsklagen 
unterworfen  sind,  nOthigt  uns  keinenfalls,  mit  Unterholzner, 
Verjähningslehre  II  §  269,  zu  der  ganz  verwerflichen  An- 
nahme, dass  sie  nur  geschärfte  actiones  depositi  gewesen  seien, 
beruht  vielmehr  einfach  darauf,  dass  sie  lediglich  als  erweiterte 
Anwendungen  der  actio  forti  nee  manifesti  und  der  actio  legis 
Aquiliae  erscheinen  und  um  deswillen  gleich  diesen  behandelt 
werden'.  EHes  ergibt  sich,  zu  allem  Ueberflusse,  auch  aus 
der  Stellung  der  einschlägigen  Hauptfragmente.  Denn,  wie 
bereits  Noodt  (Commentarius  in  libros  XXVII  Digest,  zu 
lib.  IV  tit  9  g.  E.),  und  vollständiger  Zimmern,  Noxal- 
klagen S.  296  ff.  nachgewiesen  haben,  ist  die  Quelle  der  1.  un. 
D.  furti  adv.  nautas,  welche  die  Pönalklage  wegen  furtum 
bebandelt,  dasselbe  38.  Buch  des  ulpianischen  Ediktkommen- 
tars, in  welchem  dieser,  nächst  dem  vorhergehenden  lib.  37, 
die  Theorie  des  furtum  und  der  eigenthllmlichen  Anwendungs- 
fälle desselben  entwickelt  3.  Dagegen  die  1.  6,  7  D.  nantae 
handeln  speziell  von  der  actio  in  furtum  wegen  damnum  in- 
juria datnm,  also  von  der  nachgebildeten  aquilischen  Klage; 
nur  beiläufig  (1.  6  §§  1,  4)  auch  vom  furtum.  Diese  beiden 
Fragmente  aber  sind  ans  dem  22.  Buch  des  paulinischen  und 
dem  16.  Buch  des  ulpianischen  Ediktkommentars,  in  welchen 
beide  Juristen  vorzugsweise  die  Lex  Aquilia  und  verwandte 
Fälle  behandelt  haben*. 

■  1.  7  g  6  naaUe.  1.  ill  g  l  de  R.  I  (50,  17).  UebrigcDS  findet  die 
UnTererblichkeit  ihre  Grenie  auch  hier  sicherlich  in  der  BereichenuiE  1.  35  pr. 
de  O.  et  A.  (44,  7).  1.  un.  C  ex  del.  defanct.  (4,  17),  und  nach  heutigem 
Recht  in  dem  Betrage  der  Erbschaft,     t.  Savtgnjr,  Syttem  V  S.  A^ß. 

*  Insofern  encheinen  auch  diese  Klagen  als  wahre,  obwohl  nicht  lelbil- 
stXndige  AuNuhmen  von  der  Annalitlc  der  prittorlschen  Deliktskh^en.  In 
anderen  FSIlen  analoger  Anwendung  hat  man  nicht  immer  den  gleichen  Weg 
eingeKhlagen,  i.  B.  bei  der  ihnlichen  Klage  gegen  die  Pabticani:  L  1  pr.  D. 
de  public.  (39,  4)1  welche  ja  auch  sonst  manche  EigenthUmlichkeiten  hat,  und 
theQs  strenger,  tbeiU  müder  aU  die  CivQklagen  ist. 

1  Die  Angaben  bei  Zimmern  sind  nicht  gans  TolUtSndig.  Es  gehören 
hierhin  1.  50,  $1  de  fortis.  I.  8,  36,  3S  de  noxal.  act.  1.  I  de  tigno  juncto. 
I.  9  ad  leg.  Com.  de  sicar.  1.  6,  10,  13  de  cond.  furti*n.  1.  13  de  publican. 
1.   ii  3  ti  fiunili«  fnrt.  fec.  die    I.  7  aibor.  furtim  caes.     1.  193  de  V.  S. 

4  Zu  den  bei  Zimmern  ati^eskhlteii  Fragmenten  noch  1.  3,  4  li 
qnadrap.  paup.  fec     Aus  dem  18.  Buch  dei  ulpianischen  Ediktkommentan  ict 


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414  I^  reccptnn  naatanun,  onponum,   stabnlariorom. 

Es  leidet  demnach  keinen  Zweifel,  dass  aach  im  edictnm 
Perpetuum  unsere  beiden  POnatklagen  neben  dem  fm-tum  und 
damnum  injuria  datum  standen.  Dagegen  haben  Paulus 
und  Ulpian  die  pi^torische  Ersatzklage  de  recepto  in  un- 
mittelbarem Anschluss  an  die  Lehre  vom  receptum  arbitrii 
dargestellt  (Paulus  libro  13  ad  Ed.  Ulpian  lib.  13,  14  ad  Ed.). 
hinter  welcher  sie  auch  in  der  justinianeischen  Kompilaticm 
ihren  Platz  gefunden  hat  (Vgl.  unten  S.  420  Note  1  und 
§  7  a.  E.) 

Ob  und  inwieweit  nun  die  prätorischen  Poenalklagen  noch 
heut  zu  Tage  anwendbar  sind,  dartlber  herrscht  Streit.  Gewiss 
verwerflich  erscheint  die  Ansicht  derer,  welche  sie  für  dorcb- 
aus  anwendbar  erklären '  ^  denn  sie  sind  wesentlich  Klagen 
auf  Privatstrafe.  Zu  weit  aber  gehen  auf  der  anderen  S^te 
diejenigen ,  welche  sie ,  als  völlig  antiquirt,  ganzlich  aus- 
scheiden '.  Denn  sie  sind  keineswegs  nur  Klagen  auf  Prival- 
strafe,  sondern  sie  umfassen  zugleich  den  Schadenersatz 
(actiones  mixtae).  Dies  kannte  für  die  actio  furti  adv.  nantas 
bezweifelt  werden  wegen  der  reinen  Strafnatur  der  eigent- 
lichen actio  furti,  welcher  sie  nachgebildet  ist.  Darauf  wäre 
nun  freilich  an  sich  kein  Gewicht  zu  legen,  da.ss  neben  unserer 
Klage  einer  besonderen  condictio  furtiva  gegen  den  Thäter. 
welche  neben  der  eigentlichen  actio  furti  den  Ersatz  veimittelt, 
niemals  Erwähnung  geschieht.  Bedeutsam  aber  ist,  dass  die 
aquilische  Klage  unstreitig  den  Schadenersatz  mit  umfosst, 
und  nicht  minder  sicherlich  unsere  nachgebildete  Klage,  wie 
die  Mutterklage '.    Werden  nun  offenbar  unsere  beiden  Pönal- 

sogar  der  grCute  Tbeil  der  tit.  I,  Z  Hb.  9  entuomiaeD,  in  tit  i  die  l6  mn- 
fusenditcD  Fragmente. 

•  Z.  B,  V.  Weniag-InseDheim,  Civtlrecht,  5.  AarUge,  §  343: 
Schweppe,  Du  römuche  Privatrechc,  4.  Aufl.,  %  6ox;  MflhIeDbrncli. 
Pandektea  §  451;  Göschen,  Vorletnngen  II  2  S.  6S9;  Pucbta,  Pan- 
dekten (iz.  Aufl.)  §  391. 

>  Z.  B.  Gluck  VI  S.  143  nod  die  dort  Citirten;  Tbibant,  Pandduen 
(S.  [9,]  Aufl.)  %  501;  Seuffert,  Prakt.  Pandektenr.  (4.  Aufl.)  g  405 
Note  zo;  v.  Savigny,  Obligationen  II  S.  318,  319,  vgL  jedoch  S.  311; 
Arndts,  Pandekten  [13.  Aufl.]  %  389  Anm.  1  ());  Brinz,  Pandekten  S.  511 
X.  Aufl.  II  g  338. 

}  Bewieien  wird  dies  durch  I.  6  g  4  nauue,  wonach  nicht  gleklueitig 
g^^en  den  Thtler  mit  der  aquiliachen  Klage,  und  gegen  den  SdüSer  mit  der 
Qaandeliktsklage  vorgegangen  werden  darf.  Nur  gehört  sie  nicht,  wie  die 
dvile  Mutterklage,  lu  den  Klagen  mit  Litiscresceni,  sondern  geht  sieb  auf  das 


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Die  einichligigea  FSIIe  der  KlagenkonkntreDz.  415 

klagen  einander  in  den  Quellen  völlig  gleichgestellt ',  so  muss 
auch  die  actio  in  factum  furti  adv.  nautas,  insoweit  wenigstens, 
als  sie  auf  einem  Quasidelikt  beruht,  als  mixta  actio  angesehen 
werden.  Daraus  folgt,  dass  beide  Klagen,  gleich  der  aqoi- 
lischen  Mutterklage,  nur  in  ihrem  Strafzusatz  antiquirt  sind, 
dagegen  auf  einfachen  Schadensersatz,  gleich  dieser,  auch  noch 
gegenwärtig  zulässig  ^'scheinen'.  Auch  durfte  anzunehmen 
sein,  dass  diese  Klagen,  soweit  ihre  gegenwärtige  Anwendbar- 
keit reicht,  gleich  der  actio  furti,  und  nach  Analogie  der  1.  1 
§  7  nautae,  einem  jeden  Interessenten  zustehen,  nicht  wie  die 
condictio  furtiva  auf  den  Eigenthtlmer,  oder  wie  die  aquilischeo 
Klagen  auf  diesen,  den  b.  f.  possessor  und  den  dinglich  Be- 
rechtigten, beschränkt  sind'. 

Praktisch  wichtig  ist  die  soeben  erörterte  Frage  um  des- 
willen, weil,  wie  gezeigt,  die  Strafklagen  einen  anderen  und 
in  mehrfacher  Beziehung  weiteren  Thatbestaod  umfassen,  als 
die  pratorische  Ersatzklage,  ihre  Ausscheidung  aus  dem  Rechts- 
system sohin  eine  wesentliche  Lücke  lassen  würde. 


m.    Die  einsehl^igen  Fülle  der  Kli^nkonkurrenz. 

§3. 

Der  Vollständigkeit  halber  mag  hier  noch  die  Frage  nach 
dem  Verhältniss  der  an  sich  möglichen  verschiedenen  Klagen 
zu  einander  berührt  werden,  da  die  bisherigen  Darstellungen ' 
weder  erschöpfend,  noch  durchaus  genügend  sind. 

Es  sind  folgende  Fälle  zu  sondern,  für  welche  sich  nur 
wenige  ausdrückliche  Entscheidungen  finden: 

I.    Die  actio  in  factum  de  recepto  und  die  civilen  Kon- 

dDplnm.  G«jui  IV  173.  1,  7  D.  de  »lut.  {46,  3).  Vgl.  Rndorff  in  der 
Zeibchr.  f.  gescb.  Rechtawiiaeiuchaft  XIV  S.  189?.,  394  ff.,  396  ff. 

'  L  6  pr.  §§  I,  4.  L  7  §  6  nmiae.  I.  5  §  >  ««l-  8§  3.  7  cit.  l.  S 
g  6  de  O.  et  A. 

■  Damit  Minunen  im  Restdtat  Obeiein  Zimmern,  Noulklagen  S.  30Z; 
UnteTholznet,  SchnIdverUltniue  II  S.  733;  nomentlicli  Sintenis,  QvU- 
recht  [nch  3.  Anfl.]  II  g  izo  Anm.  i  a.  E.,  8  a.  E.,  14  ood  I  S.  i63,  363 
[»73  ff.]. 

1  Arndt«,  Pandekten  [13.  Aufl.]  g  313  a.  E. 

4  Namenüich  Glück  VI  S.  i4off.i  Mflller,  a.  a.  O.  S.  33ff.i  Sin- 
tenis II  S.  joo  [3.  Anfl.  S.  703]. 


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416  I^  recepRun  nantarum,  canponom,  mbaUrioTam. 

traktsklageo,  soweit  sie  denselben  Zweck  verfolgen,  schliessen 
einander  aus,  und  zwar  so,  dass  schon  die  Wahl  entschadet '. 
IL  Die  actio  in  factum  de  reoepto  scbliesst  stets  die  con- 
dictio furtiva  sowohl  gegen  den  Redpienten,  sofern  dieser  der 
Dieb  ist,  wie  gegen  den  dritten  Tbäter  aus  und  umgekdirt'. 
Auch  für  die  aquilische  Klage  würde  Gleiches  gdten,  weQ 
deren  Strafzusatz  gegenwärtig  antiquirt  ist,  wenn  nicht  ^ese 
Klagf  gegen  die  Erben  nur  auf  Höhe  der  Erbschaft  g;iIlge^ 
Daher  nach  Durchsetzung  der  aquilischen  Klage  gegen  die 
Erben  das  Mehr  mit  der  actio  in  factum  de  recepto  wird  nach- 
gefordert werden  können,  sofern  man  nicht  etwa  nach  L  2 
§  27  ri  bon.  rapt.  (47,  8)  in  unserem  Falle  die  aquilische  Klage 
gegen  die  Erben  gänzlich  versagt*. 

III.  Die  actio  furti  gegen  den  Recipienten,  falls  dieser 
selbst  der  Dieb  war,  würde  an  sich  durch  die  actio  de  recepto 
nicht  ausgeschlossen  gewesen  se\n>.  Dagegen  spricht  auch 
nicht  1.  3  g  5  nautae,  welche  sicherlich  im  Zusammenhang 
mit  der  unmittelbar  folgenden  1.  4  pr.  von  dem  Falle  zu  ver- 
stehen ist,  da  ein  Dritter  den  Diebstahl  begangen  hat. 

IV.  Schwieriger  ist  die  Frage,  ob  die  actio  de  recepto 
ausschliesst : 

1.  die  Quasideliktsklage  gegen  den  Redpienten,  sofern 
die  Voraussetzungen  beider  Klagen  gleichmässig  vorhanden 
sind. 

Aller  an  sich  begründeten  Zweifel  ungeachtet,  muss  diese 
Frage  bejaht  werden,  nicht  allein,  weil  die  Quasideliktsklage 
zu  den  actiones  mixtae  gehört,  sondern  auch  namentlich  darum, 
weil  sogar  die  reine  Strafklage  gegen  den  dritten  Thäter 
durch  die  actio  de  recepto  ausgeschlossen  wird.  Nur  darf 
selbstverständlich,  nach  dem  allgemeinen  PVinzip  der  1.  41  §  1 
D.  de  O.  et  A.  (44,  7),  mit  der  günstigeren  Klage  das  Mehr 
nachgefordert  werden,  also  gegenwärtig  mit  der  actio  de 
recepto  das  den  Betrag  der  Erbschaft  übersteigende  Interesse, 

■  Vgl.  die  Stelleo  S.  407  Note  1  und  den  Text  dun. 

'  1.  43  §  I  de  R.  J.  (50,  17).  1.  34  8  3  de  O.  et  A.  {44.  ?)■  1-  »7 
pr.  D.  de  dolo  (4,  3).    1.  t  §  10,  1.  4.    D.  de  hto  qni  effbd.  (9,  3). 

3  V.  SiTign^r,  Syttem  V  S.  46 ff. 

*  V.  Savign;,  System  V  S.  47  Noter.;  Fnchta,  Pandekten  [i3.Aafl.] 
g  SS  Note  g. 

J  V.  Savigny.  a.  a.  O.  S.  238  ff. 


itizecy  Google 


Die  eiiuchUgigen  FSUe  d«r  KIigenkoDhuireat.  417 

falls  man  nicht,  wie  bemerkt,  überhaupt  die  Quasideliktsklage 
gegen  die  Erben  hier  versagen  will. 

2.  die  Deliktsklage  gegen  den  dritten  Tbäter  im  gleichen 
FaUe. 

Dieselbe  wird  dem  Beeinträchtigten  ausdrücklich  und 
schlechthin  abgesprochen,  so  dass  er  scheinbar  nicht  einmal 
die  Wahl  zwischen  ihr  und  der  Ersatzktage  de  recepto  hat, 
sondern  sich  schlechthin  an  den  Recipienten  halten  muss. 

1.  un.  §  4  furü  adv.  nautas:    Quodsi  receperit  salvum 

fore  caupo  vel  nauta,  hirti  actionem  non  dominus 

rei  surreptae,  sed  ipse  habet,  qui  recipiendo  pericu- 

lum  custodiae  subit 

Eine  nähere  Bestimmung  findet  dieser  Satz  durch  1.  4  pr. 

nautae ,    1.  14  §  17  de  furtis  (47,  2) ' ,   wonach   der  Recipient 

die  actio   furti   nicht  haben  soll,  wenn  er  entweder  insolvent 

ist  oder  selbst  die  Sache  vorher  gestohlen  hat. 

Savigny,  System  V  S.  258,  will,  nach  dem  Vorgang 
der  Glosse,  diesen  Satz  mit  der  singulären  Strenge  der  actio 
de  recepto  erklären.  Der  wahre,  sehr  viel  allgemeinere  Grund 
wird  jedoch  ausdrücklich  hervorgehoben:  cujus  sit  periculo  — 
quia  recipiendo  periculum  custodiae  subit,  —  nämlich  der  be- 
kannte Rechtssatz,  dass  die  Deliktsklagen  gegen  den  Thäter 
als  ein  Aequivalent  für  das  periculum  custodiae  dem  zur 
custodia  Verpflichteten  zustehen.  —  In  dieser  Allgemeinheit 
wäre  jedoch  der  Satz  unbillig.  Will  nämlich  der  Bestohlene  ■ 
sich  nicht  an  den  Recipienten  halten,  sondern  verzichtet  er 
auf  seine  Ansprüche  gegen  denselben,  so  liegt  kein  Grund 
vor ,  ihm  die  Deliktsklage  zu  verweigern '.  So  erklärt  sich 
die  im  Gegensatz  zu  1.  un.  §  4  furti  cit.  scheinbar  eine  ge- 
wöhnliche Klagekonkurrenz  statuirende  1.  3  §  5  nautae: 

Novissime  videndum,  an  ejusdem  rei  nomine  et  de 
recepto  honoraria  actione  et  furti  agendum  sit? 
Et  Pomponius  dubitat;  sed  magis  est,  nt  vel  officio 
judicis,  vel  doli  exceptione  alterutra  esse  contentus 
debeat. 

'  UeberdiiBtiniiDeDd  mit  1.  lO— .ii  pr.  1.  77  (76)  de  furtis.  Vgl.  audi 
Mommien,  Erörtenu^ren  tiu  dem  Obli^tionenrecht,  Heft  I,  .S.  97. 

>  MommieD,  a.  a.  O.  S.  91  ff.     Uebiigeos  nehme  ich,    Dach  1.  5  §  1. 
1.  3  gg  I,  3  b.  t.  keineD  Anttond,    dieselben  Gnindi&tM  —   alUTdiogs  gegta 
di«  R«K«1,  vgl.  aacb  Glone  ad  b.  I.  —  tVi  die  aqaiÜKbe  Klage  aiunQehmeii. 
Ooldichmidi.ViiniiiKhte  Schriften.    H.  37 


,  C-'OogIc 


418  ^*^  Tcceptum  twaUmm,  cauponom,  (tabulaiionuo. 

V.  Die  Klage  aus  dem  Quasidelikt  schliesst  die  Delikts- 
klage und  sicherlich  auch  die  condictio  furtiva,  gegen  den 
dritten  Thäter  aus,  wie  umgekehrt,  doch  darf  der  belangte 
Schiffer  die  Cessioa  der  Klagen  gegen  den  Thäter  verlangen. 

1.  6  §  4  aautae.  1.  un.  §  3  furti  adv.  nautas. 
Die  Nothwendigkeit  der  Cession  hinsichtlich  der  actio 
furti  wäre  allerdings  eine,  übrigens  auch  sonst  vorkommende  ■ 
Anomalie,  wenn  es  sich  hier  gleichfalls  um  Verpflichtung  zur 
Custodia  und  daraus  entspringende  VerantwortUchkeit  handelte. 
Dies  ist  aber,  wie  oben  gezeigt  worden  ist,  hinsichtlich  der 
Quasideliktsklage  keineswegs  der  Fall. 

VI.  Endlich  könnte  die  Frage  aufgeworfen  werden,  ob 
gegen  den  Schiffer  etc.,  welcher  selbst  das  Delikt  begangen 
hat,  neben  der  Deliktsklage  noch  die  Quasideliktsklage  an- 
gestellt werden  dürfe'.  Nach  römischem  Recht  wäre  diese 
Frage  dahin  zu  bejahen,  dass  mit  der  umfassenderen  Klage 
das  Mehr  nachgefordert  werden  dürfte ' ;  gegenwärtig  ist  sie 
unerheblich,  weil  die  actio  furti  völlig  antiquirt  erscheint,  und 
die  einfache  wie  die  nachgebildete  aquilische  Klage  dahin  über- 
einkommen, dass  sie  nur  auf  einfachen  Schadensersatz,  g^en 
die  Erben  bis  auf  den  Betrag  der  Erbschaft,  zuläs^g  sind. 


IV.  Inhalt  der  aetio  de  reoepto.   BegrilT  der  vis  miy'or. 


Gründe  des  Verkehrsbedtlrfnisses  wie  der  Gewerbepolizö  *, 
nicht  minder  aber  auch  die  römische  Verkehrssitte,  auf  welche  wir 
unten  zurückkommen  werden,  haben  wohl  gleichmassig  zu  der 
strengen  Hafttmg  der  Schiffer,  Gast-  und  Stallwirthe  gefohn 

'  '■  54  (53)  §  3  d«  furtii  (47.   *)■     Vgl.  Mommien  S.  93  ff. 

»  Vgl.  oben  S.  410  Note  a, 

1  I.  34  pr.  de  O.  el  A.  (44,  7).  1.  I  D.  atbot.  farlim  caei.  (47,  7I 
1.  t  D.  vi  bon.  rapL  (47,  8);  t.  Vangeiow,  Puidekleo  IQ  S.  60  C 
[7.  Aufl.  %  sn]. 

*  In  der  Regel  werden  die  DiflereDtpunktc  entweder  verliumt  oda  dod 
ttbenchSut,  mitunter  jedoch  unterschltit,  i.  B.  anch  von  Koch,  Eüenbahna 
II  S.  39  Note  33.  Originell  iit  auch  hiei  der  Standpunkt  von  Kriti,  Pan- 
dekteorecht  I  s  S.  31S,  welcbem  infolge  dai  Edikt  fUi  nantae  etc.  anr  das- 
jenige Torgesctmeben  habe,  was  fOrebe  andere  Gattung  der  locatio  condi>cti(>('' 
die  Praxis  eingeführt  I 


iiiiec  »Google 


Inhalt  der  «clio  de  recepto.     BegiifT  der  vis  major.  419 

Im  Folgenden  soll  der  Umfang  dieser  Haftung  näher  ge- 
prüft und  damit  die  Grenze  gegen  die  nur  civilen  Kontrakts- 
verhältnisse gewonnen  werden,  Dass  diese  Untersuchung  durch 
den  bisherigen  Stand  der  Forschung  nicht  überflüssig  geniacbt 
ist,  dürften  die  nachstehenden  Erörterungen  ergeben.  Die- 
selben werden  sich  zunächst  auf  das  römische  Recht  be- 
schränken, da  es  vor  Allem  erforderlich  ist,  eine  sichere 
Grundlage  zu  gewinnen.  Am  Schlüsse  soll  der  Umfang  der 
Reception  untersucht,  in  einer  folgenden  Abhandlung  die  Ge- 
staltung des  hier  namentlich  wichtigen  Begriffes  der  sog. 
höheren  Gewalt  für  das  moderne  Recht  entwickelt  werden. 
Ueber  das  Alter  unseres  Edikts  fehlen  direkte  Nach- 
richten. Als  ältester  Konmientator  in  den  erhaltenen  Frag- 
menten wird  Labeo  genannt  (1.  1  §  4.  1.  3  §  1  h.  t.).  Ist 
jedoch  unsere  oben  S.  402  Note  1  ausgesprochene  Vermuthntig 
begründet,  dass  dasselbe  vor  dem  Edikt  über  die  exercitoria 
actio  erlassen  sei,  so  muss  es  spätestens  aus  der  Zeit  des 
Servius  Sulpicius  herstammen,  da  von  diesem  sogar  eine  ana- 
loge Ausdehnung  des  jedenfalls  jüngeren  Edikts  über  die  insti- 
toria  actio  berichtet  wird  (1.  5  §  1  de  inst,  act.  14,  3).  Durch- 
aus bestätigt  wird  diese  Annahme  durch  den  §  7  darzustellenden 
Sprachgebrauch  der  ciceronianischen  Zeit. 

Die  Worte  des  Edikts  sprechen  eine  imbedingte  Resti- 
tutionspflicht aus: 

L,    1    pr.    h,   t.    Nautae,    caupones,    stabularii,    quod 
cujusque  salvum  fore  receperint,  nisi  restituent,  in 
eos  Judicium  dabo'. 
Hierzu  bemerkt  Ulpian  aus  Pomponius: 

L.  3  §  1  h.  t.  Miratur  igitur,  cur  honoraria  actio  sit 
introducta,  quum  sint  civiles;  nisi  forte  inquit,  ideo, 
ut  innotesceret  Praetor  curara  agere  reprimendae 
improbitatis  hoc  genus  hominum,  et  quia  in  locato 
conducto  culpa,  in  deposito  dolus  duntaxat  prae- 
statur.  At  hoc  Edicto  o  m  n  i  m  o  d  o  qui  recepit 
tenetur,   etiamsi  sine  culpa   ejus  res  periit 


'  Bwil.  53,  6.  'Oneg  av  läßaaiv  tnl  rp  rpvläiai  ol  vaiMltigoi  — 
st  f*g  äiroKtt9iin<öotr ,  tväyoviai.  Vgl.  Baiil.  53  i,  31.  AehaLdi  Synopiis 
nÜDor  c  53;  HarmcDopul.  II  11  §  4:  Rhod.  CompU.  II  14  (Pardeisut, 
CoU«ct.  I  p.  301 ,  ao5,  23s), 

D,j,i,:..:,y  Google 


420  )^"  receplutn  namanim,  cauponmn,  iU.bu)«rion)m. 

Tel  damnum  datum  est,  nisi  si  quid  damno 
fbtali  contingit.    lade  Labeo  scribit:  si  quid 
naufragio,  aut  per  vim  piratanim  perierit,  iioii  esse 
iniquum    exceptionem    ei    dari.      Idem    erit 
dicendum,  et  si  in  stabttlo  vel  in  caupona  vis  major 
contigerit. 
Die    unbedingte    Haftung    erstreckt   sich    also    prinzipiell 
auch  auf  den  Zufall;  nur  aus  BilligkeitsrUcksichten  im  Wege 
einer   exceptio   wird  dieselbe  beschränkt'.     In   diesem   Sinne 
einer   sehr  weit   ausgedehnten   Haftung   sind    die  Ausdrücke 
recipere  custodiam  (1.  1  §  8  h.  t.),  cujus  sit  periculo  (1.  4  pr. 
h.  t.),  custodiae  nomine  tenentur  (1.  5  pr.  h.  t.),  recipiendo  peri- 
culum  custodiae  subit  (1.  un.  §  4  furti  adv.  nautas),  periculum 
ad  eos  pertinet  (l.  14  §  ult.  de  furtis),  non  soliun  a  furto,  sed 
etiam  a  damno   reced«^   {recipere]  debet  (1.  5   §  1    h.  t.)   zu 
verstehen.    Darin  liegt  die  von  den  römischen  Juristen  selbst 
anerkannte   anomale   Natur   des   Edikts;    Maxima   utilitas' 
est  hujus  edicti.  —  Ne  quisquam  putet  graviter  hoc  ad- 
versus  eos  constitutum  (I.  1  §  1  h.  t.).     Vgl.,  auch  die  Recht- 
fertigung in  1.  3  §  I  cit. 

Indessen  erschien  der  älteren  Theorie  diese  gesetzliche 
Haftung  auch  für  den  Zulall  so  exorbitant,  dass  sie  den  un- 
bequemen Satz  bald  durch  Reduziiimg  des  periculum  casus  auf 
culpa  ievissima  ^,  bald  durch  Verwandlung  der  Verpflichtungs- 


■  Keller,  Der  rfimische  GvilprOKss  [6.  Aufl.]  §  34;  BtIdi,  Pan- 
dekten [1.  Aufl.]  S.  44z  [fehlt  in  d.  3.  AuS.}.  Ebenso  beim  Teceptum  arbi- 
Irium ,  wo  Dur  an  Sielle  der  actio  and  exceptio  dss  magistratische  imperimn 
tri«:  I.  15.  16.  1.  9  §§  4,  5-  1-  ><•.  "  pr-  §§  4.  5-  I.  13  §  4-  1-  l?  §  '■ 
1.  32  §§  4  fr.  de  receptii  (4,  8].  Auch  hier  lautet  das  Edikt  des  PrSiors  nn- 
bediu^ :  ■eotentiam  dicere  coEam  1.  3  §  3  1.  15  eod.  Ebenso  eine  merkwflrdige 
PnraUele  in  dem  Gedankengange  Ulpian's:   I.  3  §1  eod.  und  1.  1  g  i  nantae. 

*  Ueber  die  uülitaa  im  römischen  Seerecht  vgl.  auch  1.  i  pr.  §§  5,  so 
de  exercit.  act.  (14,  1).  1.  i  §  t  de  ine,  niina,  naufr.  (47,  g)  .  und  ThÖl, 
Handelsrecht  (3.  Aufl.)  I  §  31  b  Note  6  [6,  Aufl.  I  §  65  Not.  9]. 

^  Vgl.  die  Citatc  bei  GlUck  VI  5.  tat  Note  51,  S.  139  Note  14.  Die 
Neueren  haben  diesen  Ausweg  selbstversliadlich  aufgegeben.  Doch  nnter- 
scheidet  noch  Buddeus  ia  Weiske's  Kechtslexikon  IV  S.  437  bei  Fufai- 
leaten  einen  mittleren  und  einen  höchsten  Grad  des  Fleisses !  Freitich  ist  diese 
Unklarhek  nicht  der  li^le  MissgrifT  der  guu  ungenllgenden  Abhandhing. 
Eine  Abschwichung  nach  dieser  Kichtung  findet  sich  Übrigens  berdts  «ehr 
frilh,  z.  B.  Edictom  Theodorid  cap.  119:  Si  quid  de  tabema  vel  stabnlo 
perierit,  at>  his,  qui  lods  talibus  praesunt.  vel  qui  in  hit  negotjaotnr,  repeten- 


lohalt  der  actio  de  recepto.     Be^iff  d«r  ms  major.  421 

frage  in  eine  Frage  der  blossen  Beweislast  zu  umgehen  sachte. 
Die  Eigenthümlichkeit  des  receptum  bestehe  darin,  dass  hier 
ausnahmsweise  nicht  der  Gläubiger  die  Schuld ,  sondern  der 
Verpflichtete  seine  Nichtschuld  darzulegen  verbunden  sei. 

Auch  diese  letzte,  noch  immer  verbreitete'  Ansicht,  auf 
welche  grossentheils  die  ältere  Theorie  das  ganze  Institut  und 
den  Grund  seiner  Einführung  stutzte,  muss  entschieden  zurück- 
gewiesen werden.  Denn  nicht  traf  ist  der  quellenmässige 
Gegensatz  ein  ganz  anderer,  sondern  auch  ex  locato  trifft  die 
Beweislast  hinsichtlich  des  Zufalls  stets  den  Schuldner',  weil 


dum  ett,  iu  at  praestent  BacnunenU  de  coDscientia  sua  luorumqne:  et  si  boc 
fecerint,  nihil  cogantur  eisolvere,  ant  certe  quantum  petilor  joraverit  se  in  eo 
loco  perdtdisse,  reitilnant  (Rboii.  S.  37). 

<  Z.  B.  Carpiov.  Jurispnid.  forensis  p.  II  c.  26  d.  18,  ig;  Gltick  IV 
§3J7  b.  VI,  §493;  Wolters,  a.  a.  O.  S.  3  ff.,  26,  56  ff.;  Müller,  a.a.O. 
S.  26.  64;  Apostolean« ,  actio  de  receplo  S.  7  Note  2.  Mit  Limitationen: 
Harpprecht,  Daa  Recht  der  Fuhrlente,  1718,  I  3  §§  2—7.  Hiadg  wird 
dieter  unrichtige  Sali  zwar  ni<;hl  auagesprochen  ,  aber  doch  voraulgesetit  und 
der  Argumenlation  ^u  Grunde  gvlegt ,  z,  B.  selbit  von  Reyscher,  Zeitschr. 
f.  deutsclieB  Recht  XIX  S.  298(?),  30t. 

>  1.  II,  19  pr.  §  I  de  probat.  (»2,  3).  1.  9  §  4  locati  (19,  ?},  1.  1 
§  13  de  mag.  con».  (17,  8).  1.  23—25  mandati  (17,  1).  I.  1  §  16  depositi 
(16,  3).  1.  5  C.  de  pign.  act.  (4,  24).  1.  3  C.  de  probaL  (4,  19).  Aui  der 
gemeinrechtlichen  Literatur  hervorzuheben:  Caiaregis,  diicursus  legales  de 
commercio  disc.  23  Nr.  6  ff.,  25  ff. ;  Mfln  ter,  Du  Fnchtfahrerrecht  I  S.  200  ff., 
II  S.  117  ff.;  Weber,  Ucber  die  Verbindlichkeit  zur  BeweisfUhrang  Kap.  VI 
§§  11—25;  Cropp,  Jur.  Abhandl.  11  S.  630;  Puchta,  Fandeklea  [j.  12.  Aufl.] 
§  2Ö7;  Sintenis,  Civürecbl  [3.  AdU.]  II  g  101  Note  67 ;  WSchter,  Hand- 
buch des  im  Königreich  Württemberg  geltenden  Privtttrechts  II  S.  793;  Gerber, 
Beitrige  zur  Lehre  vom  Klagegmud  und  der  Beweislasc  g§  17 — 24^  Koch, 
Kisenbehneo  II  S.  2Sff.;  Blitter  für  RechtaaDwcudung  In  Bayern  XI  S.  iS, 
XVIII  S.  50,  u.  A.  m.  L'eber  die  deutsche  Praxis:  Urtbeile  des  Oberappellations- 
geiicbts  IU  Dresden  (Seuffert'a  Archiv  I  Nr.  338,  VII  Nt.  2*5,  XI  237,  und 
Koch,  Eisenbahnen,  II.  Anhang  S.  117);  zu  Lübeck  (ThOl,  Aasgew.  Ent- 
scheidungsgr.  Nr.  162,  Seuffert'a  Archiv  I  Nr.  168,  IV  113,  114,  V  306, 
VII  310);  zu  Celle  (Seoffert'«Archi»I  168);  K*Mel  (Seu»ert's  Archiv  III 
363);  WiesbuJen  (Seuffert's  Archiv  X  41};  des  Obertribunals  zn  Stattgart 
(Senf  fert's  Archiv  IV  180  [?]);  verschiedene  Appellationsgerichce  und  Jumteil' 
fakultiten  (bei  Koch,  Eisenbahnen,  II.  Anhang  5.  tao,  iSi,  1S7,  205,  213, 
320);  Hamburger  Urtbdie  (bei  Ullrich,  Sammlung  von  seerechtlichen  Er- 
Icenntnissen  des  Handelsgeiicbls  za  Hamborg,  i.  Heft  Nr.  ai,  26,  69,  8S) 
u.  A.  m.  Uebereitutimmend  die  neueren  Gesetzgebungen,  über  welche  zu  ver- 
gleicben:  Kocl),  Lehrbuch  des  preiusischen  Privatrechts  II  §  470;  Zachartt, 
Handbuch  des  (raniäs.  CivUrechtt,   5.  Au6.  von  Anschfitz,  II  §§  308,   331 


422  I^  recepnim  nauUrum,  cauponnm,  sMbaUriornm. 

derselbe   zur   rechtzeitigen   und   unversehrten  Restitution  kon- 
traktlich verbunden  ist. 

Steht  hiernach  die  Haftung  fur  den  Zufall  ebenso  fest  als 
der  Wegfall  dieser  Verbindlichkeit  unter  gewissen  UmständeD, 
muss  also  die  Art  des  Zufalls  entscheiden,  so  entsteht  die 
Frage,  nach  welchen  Kriterien  die  erforderliche  Sondemng 
der  verschiedenen  Arten  des  casus  zu  bestimmen  sei.  Die  ge- 
wöhnliche' Antwort  lautet:  nur  vis  major  (höhere  Gewalt) 
befreit,  und  darunter  wird  dann  meistens,  sofern  man  über- 
haupt eine  Erläuterung  für  erforderlich  erachtet,  ohne  weitere 
Begründung  ein  an  sich  unabwendbares  Naturereigniss  oder 
eine  fremde  offenbare  (imwiderstehliche)  Gewaltthat  verstanden. 
Ein  beliebtes  Beispiel  ist,  dass  Feuer  im  Gasthause  (Schiffe) 
selbst  nicht  von  der  Haftung  befreie.  Wohl  dasselbe  meinen 
Puchta,  Pandekten  (12.  Aufl.]  §314,  und  Holzschuher, 
Theorie  und  Kasuistik  II  S.  820  [3.  Aufl.  III  S.  911],  wenn 
sie  nur  wegen  »von  aussen  kommender'  vis  majore  befreien. 
Etwas  verschieden,  aber  anscheinend  in  demselben  Sinne  drücken 
sich  Andere  aus,  z.  B.  Mahlenbruch,  Pandektm  III  §  451, 
nach  welchem  nur  »der  rein  zufällige,  sowie  der  durch  vis 
major  verursachte  Schade«  befreit;  Reyscher,  Das  gemeine 


[8.  AdA.  TOD  Crome  %%  288,  311]  (Code  cirU  att.  1147.  1148,  130s,  1315, 
■  3^1  [7^;  Code  de  commerce  art.  103);  Unger,  S^item  d«s  Österreich. 
Printrechli  [3.  Aufl.]  II  S.  569,  570,  593  Note  4i>  (Bflrgerl.  Geseutn»^  g  129s}; 
Entwurf  eines  dealKheii  Htndel^cKtzbuclu  Art.  344,   357  alin.  2,  371,   371. 

■  Z.  B.  Donellui,  Commentarii  lib.  15  cap.  43  §  tl ;  GIlIck  VI 
g§  4S6,  490;  Heise,  HaDdelirecht  S.  370  fF. ,-  Scbweppe  ni  g  601; 
T.  Wening-lDEenheim  II  §  393;  Seaffert,  FaDdektenrecht  [4.  Aaf.] 
§405;  Bender,  Handelsrecht!  §70;  PöhlE,  Seeieclit  II  S.  500;  Sintenii, 
GTilrecht  [j.  3.  Aufl.]  II  5.  69S;  Genglcr,  Deuttches  PriTOtrecht  [1.  Anfl.] 
g  95  [feblt  in  d.  4.  Anfl,];  Bluntichli,  DenUches  Privatrecht  fl  §g  116, 
130;  Müller,  a.  a.  O.  S.  3i,  33;  MommseD,  BeitilgE  mm  Obligatianec- 
recht  I  S.  353,  374  Note  10,  bei  diesem  Schriftiteller  um  so  aaffallcnder,  als 
er  knn  zuTor  S.  341  IT.  die  IdentitKt  Ton  easui  und  vis  major  aoadiSdlich 
aDerkemit:  Koch,  Eisenbahnen  II  S.  24. 

*  In  1.  30  g  4  locati  kommt  der  Ausdmck  extrariu  vis  voi ,  jedoch  nnr 
im  Gegensatz  lu  einer  von  den  Leuten  des  colonus  venmlasMen  FcneitbmnK. 
Geffenwiitig  pfl^  man  anler  Süsserem  Zufall  eiiiea  solchen  m  veistchen. 
welcher  nicht  von  innen  heraus  eintritt,  also  im  Gegensau  lum  inneren  Verderb 
der  Waaren  (vjtio  rei).  Stypmann,  De  jnre  maritimo  p.  IV  c^,  VIT 
Nr.  3iSff.;  Langenbeck,  Anmerkungen  über  das  faamburgische  Schib-  and 
Seerecht  (Hambmg  1717)  S.  80,  und  Andere  nach  Atileitnn|;  tömitcher  Stellen, 
wie  I.   13  85.    I.  15  §  3  locati  (19,  3).    1.  24  18  3,  3  de  damno  mf.  (39,  3). 


Inhalt  der  «ctio  de  recepto.     B^;riff  der  »äs  major.  423 

und  württembergische  Privatrecht  II  §§  460,  461,  welcher  »un- 
abwendbaren Zufall  oder  unwiderstehliche  Gewaltc  erfordert'; 
Arndts,  Pandekten  [13.  Aufl.]  §  289,  welcher  .reinen  Zufall 
und  fremde  Gewaltthat«  ausschliesst.  Andere,  z.  B.  Mitter- 
maier,  Grundsätze  des  deutschen  Privatrechts  II  §  540,  und 
Archiv  für  Wechselrecht  I  S.  162,  definiren  höhere  Gewalt  als 
»ein  Ereigniss,  welches  der  Schuldner  nicht  vorhersehen  und 
vermeiden  konnte,  in  Ansehung  dessen  ihn  auch  keine  Schuld 
trifftc,  d.  h.  doch  als  Zufall',  und  geben  damit  jene  von  ihnen 
selbst  als  nothwendig  erachtete  Sonderung  innerhalb  des  Zufalls 
gänzlich  auf.  Am  weitesten  entfernt  sich  von  der  gewöhnlichen 
Darstellungsweise  Thibaut,  Pandekten  [j.  9.  Aufl.]  §  501, 
welcher  den  Ausdruck  vis  major  gänzlich  vermeidet  und  »blossen 
Zufall«  befreien  lässt,  »unter  welchem  Begriff  hier  jedoch  die 
freien  schädlichen,  dem  Wlrth  selbst  unabwendüchen  Hand- 
lungen Derer,  welche  er  aufnahm,  nicht  stehen«  ^ 

Ein  tieferes  Eingehen  auf  die  einschlägigen  Fragen  ist 
uns  nirgends  begegnet,  eher  scheint  es,  dass  unter  jenen  doch 
auch  bedeutsam  wechselnden  Ausdrucksweisen  sich,  wo  nicht 
völlige  Unklarheit,  doch  grosse  Unsicherheit  und  Schwanken 
verbergen '. 


■  Derselbe  in  der  Zdtichr.  f.  dealKhes  Recht  XIX  5.  300. 

■  Vgl.  Mch  Einert  im  Archiv  fOr  Wechielrecht  I  S.  312  ff.  Sollte  aber 
etwa  der  Nachdmck  auf  dem  ivorherieheDi  liegen  und  damit  eine  Grcnie 
£^en  gewöhnliche  ZniUle  gemeint  win.  so  wfir«  dagegen  eintnwenden ,  dais 
dicKs  Kritenum  nnmlltng  ist,  w«l  es  nar  in  gewissen  FSllen  tutrifft:  anch 
Gewitter ,  Anlücken  feindlicher  Heere  lassen  sich  hiafig  Toihenehen  und 
werden  doch  sicherlich  als  höhere  Gewalt  beteiehiwt.  Ebenso  ist  die  IdentitSt 
von  cas  fortuit  und  foree  majeure  im  fTaniesischen  Recht  anerkannt,  welche« 
hSußg  beide  Aosdrflcke  knmnlativ  braucht.  Vgl.  Pardeisus,  Conrs  de  droit 
commerdal  Nr.  238,  und  namentlich  Delamatre  et  Lepoitvin,  Trait£ 
du  cOQirat  de  commistion  I.  II  Nr.  3g;  Troplong,  Du  lonage  Nr.  916, 
n.  A.  m. 

3  So  im  Wesentlichen  auch  schon  Struo,  welcher  den  Nachdruck  auf 
das  Wort  ejus  in  etiamsi  sine  culpa  ejus  res  periit  vel  darouum  datum  est 
legt.  Ueber  dessen  Kontroverse  mit  Cocceji  vgl.  Wehrn,  Doctiina  juris 
expUcatrix  princi^orum  et  cauiarum  damni,  l.eipiig  1795,  §  18. 

*  So  sagt  z.  B.  Pohls,  Handelsrecht  I  S.  146:  »Selbct  für  den  casus' 
muts  er  (der  Fuhrmann)  insofern  aufkommen,  als  die  Gesetze  ibn  verantwoct- 
lich  machen ,  auch  wenn  dne  Sache  ohne  seine  Schuld  unterging.  Nur  ein 
damnum  fatale  befreit  ihn.  Was  unter  diesem  damnum  fatale  lu  verstehen 
sei,  ISsst  sich  schwer  bestimmen.     Nur  so  viel  ist  gewiss,  dasa  eine  unabwend- 

.00« 


424  Dm  reMptnm  nautanun,  caapoDam,  (Ubularionun. 

Fortsetzung: 

Der  gewöhnliche  Begriff  von  vis  nugor  ist  unh^tbar 

und  unzureichend.  Beweis  aus  den  römischen  Reohts- 

quellen. 

§5. 
Soll   der   Begriff    der    »höheren   Gewalt«    ein    praktisch 
irgend  brauchbarer  sein  und  einen  sicheren  Anhalt  gewähren,. 


bare  höhere  Gewalt  ihn  befreit.'  Auch  iwei  nenere,  guu  glnchlautende  L>- 
theile  des  ObeiappelUtionsKerJchts  zu  Lübeck  vom  12.  Deiember  1856  (Saram- 
luDg  von  ErkenntoiueD  etc.  io  haniburgUchen  Rechtxsacfaen  JII  S.  151  S.), 
welche  unser  Icscitat  einer  lOrgnilligeD  Prttfung  anteriieheo ,  begnOgen  sich 
mit  bloss  negalivFD  Resultaten.  Es  bandelt  sich  um  Schadenseisati  an  bcnäti 
übemommeDen,  aber  noch  nicht  verladenen  Waaren,  welche  auf  der  Werft  von 
Boston  verbrannt  waren.  In  dieser  Beiiehnng  heiist  ei  in  den  gedachten  Ur- 
theileQ:  iWa«  nun  den  in  Rede  stehenden  Punkt  selbst  anlangt,  so  ist  anver- 
keanbar  dasjenige,  was  die  Wiedetkl&ger  als  das  in  den  aordametiksuiischen 
Staaten  und  speziell  lu  Botton  gellende  Recht  bneichnen  ,  in  hohem  Grade 
lingnlSr.  Sie  behaupten  ,  das;  der  Schiffer  nach  diesem  Rechte  die  Folgen 
eines  jeden  Feuerschadens,  welcher  sich  an  den  su  Iransportiiendeii  Gegen- 
ständen auf  andere  Weise  als  in  Veranlassung  eines  Blitistrahlei  ereigne,  m 
tragen  habe,  ohne  Rücksicht  darauf,  wenn  auch  etwa  die  Wirkung  des  Fencn 
als  eine  den  Umständen  nach  unabwendlicb  gewesene  anzusehen  sein  s<^te. 
Dies  atehl  mit  den  Prinzipien,  welche  in  dieser  Materie  den  Seerechlen  sowohl 
älterer  als  neuerer  Zeit,  wenigstens  der  weit  überwiegenden  Mehnahl  nach,  in 
Grunde  liegen,  im  Widenpruche.  Und  wenn  der  von  den  Wiederkligern 
hieifUr  citirte  Kent,  Comment.  II  S.  S97  ff.,  die  Meinung  aufsldlt,  das  die 
von  ihm  vertretene  umfangreiche  und  derjenigen  eines  Versieberen  in  den 
meisten  Punkten  gleichkommende  Verantwortlichkeit  des  Schiffers  ans  dem 
römischen  Rechte  —  welches  allerdings  im  Wesentlichen  die  Gnmdlage  des 
in  Betracht  gesogenen  Theils  der  geltenden  Seerechte  bildet  —  zu  recbtfeit^en 
sei,  so  ist  die*  ein  Irrlhum.  Denn  weder  weil  der  Frachtkontrakt  eine  locatia 
conductio  operis  ist,  haftet  der  Schiffer  für  die  Gefahr  der  zu  transportirenden 
GegenstSnde ,  noch  ftihren  die  GrunddUe  vom  receptnm  aaf  das  beieidinete 
Resultat  hin.  Freilich  erweitern  die  letztgedachten  GrundsStie  die  Venuitwnrt- 
lichkeit  des  SchilTers  so,  dau,  wlhrend  er  nach  den  Friniipien  des  Hieth' 
vertrajirei  schon  frei  ist,  si  sine  culpa  ejus  res  perÜt  vel  damnum  datum  est, 
er  in  Betreff  recipirter  Gegenitinde  für  Untergang  und  BeschSdignng  haftet, 
niti  quid  damno  fatali  contingit.  Allein  der  Begriff  des  damnum  fatale  wird 
lu  eng  aufgefasal,  wenn  man  ihn  nur  auf  unmittelbare  and  absolut  unwictef- 
stehliche  elementare  Wirkangen  bezieht  Schon  die  in  der  1.  3  cit.  selbtt  anf- 
geführten  Beispiele,  unter  welchen  auch  die  via  piratamm  angegeben  wird, 
wurden  jene  Anlegung  als  bedenklich  erscheinen  lasten,  allein  jeder  Zweifel 
wird  dadurch  beseitigt,  da«*  in  der  gleich  der  1,  3  dt.  von  Ulpian  henflliRD- 


,  Ci 00^^ Ic 


Der  gewöhnliche  BegrifT  von  via  major  isl  imhaUbat  und  unzureichend.    425 

SO  mUssten  wir  ein  Doppeltes  anaehmen  und  durch  die  Quellen 
erweisen  können: 

1.  Nur  solche  Ereignisse  befreien,  welche  Ihrer  Natur 
nach  unverschuldet  zu  sein  pfleg'en,  deren  Ab- 
wendung und  Abwehr  menschliche  Voraussicht  und 
Kraft  zu  übersteigen  pflegt. 

In  diesem  Sinne  wird  der  Begriff  wohl  von  den  Meisten 
gedacht'  und  namentlich  im  Handelsrecht  häufig  gebraucht, 
am  schärfsten  aber  von  Bluntschli,  a.  a.  O.  S.  20,  ent- 
wickelt. iDiese  Unterscheidung  innerhalb  des  Zufalls  hat  in 
der  That  ein  praktisches  Interesse.  In  den  Fällen  des  ge- 
wöhnlichen Zufalls  nämlich  ist  es  meistens  sehr  schwer,  zu 
emem  sicheren  Urtheile  zu  gelangen,  ob  durch  Sorgfalt  der 
Schaden  hätte  abgewendet  werden  kOnnen  oder  nicht ;  in  den 
Fällen  der  höheren  Gewalt  dagegen  (Naturereignisse,  Feindes- 
gewalt) ist  es  klar,  dass  der  Einzebie  ihr  nicht  widerstehen 
kann.  Jene  Unterscheidung  schneidet  daher  in  objektiv  sicherer 
Weise  die  Streit-  und  Beweisfragen  ab,  und  eignet  sich  darum 
so  vorzüglich  für  das  Handelsrecht.*  — 

2.  Diese  Ereignisse  müssten  überdies  im  konkreten  Falle 
unverschuldet,  d.  h.  für  den  Verpflichteten  unvermeid- 
lich und  unabwendbar  gewesen  sein,  —  was  sie  nament- 


den  1.  ja  §  3  pro  tocic  (17,  i)  damna  fatslia  definirt,  und  iwai  ab  die- 
jenigen beieichnet  werden,  denen  durch  Vorsicht  nicht  vorgebeugt  werden  kann, 
wobei  unter  Anderem  auch  incendium  als  Beispiel  eines  solchen  damnum  er- 
wUint  wird.  Damit  obere instimmend  haben  der  Regel  nach  die  Seereehte  den 
Schiffer  dann  ßlr  nicht  verhaftet  eiklirt ,  wenn  er  durch  nicht  vorherzusehen 
gewesene,  unabwendliche  äusiere  Einwirkungen  an  der  Liefenmg  der  ru  ver- 
schifTenden  Gegensl3nde  U)>erhanpt  oder  in  unbeschsdigtcm  Zustande  verhindert 
wurde,  gleichviel,  ob  die  causa  noccn»  eine  unmillelbare  eletnentarische  war 
oder  nicht.  Hiervon  zeugt  auch  die  seerechtliche  Praxis,  wie  sie  notorisch 
besteht ,  und  kann  es  hierbei  unerörterl  bleiben ,  ob  nicht  das  hambnrgische 
Recht  in  Betreff  der  Grundsätze  des  receptum  noch  weiter  zu  Gunsten  des 
Schiffers  geht.' 

■  Z.  B.  Wichter,  Württembergischei  Privatrecbt  11  S.  790.  Eine  noch 
engere,  aber  durchaas  ungewöhnliche  Bedeutung  legt  Pohls  Darstellung  des 
Seeaaiekuranzrechts  I  S.  sjl  dem  Ausdruck  'höhere  Gewalt*  bei,  indem  der- 
selbe nur  unvorhergesehene  Eingriffe  und  Akte  der  Staatsgewalt  unfiuse,  nicht 
auch  Naturereignisse,  Die  Aelteren  brachten  jene  he^ebrachte  Scheidung  von 
Zafall  und  höherer  Gewalt  mit  ihrer  Theorie  von  der  dreigradigen  culpa  in 
Verbindung.  Dagegen  Gluck  VI  S.  13S,  139;  doch  kommt  teioe  eigene 
Unlencheidong  S.   119,   lao  auf  nichts  Anderes  hinaus. 


„Google 


426  I^  rtceptom  nanlaniiii,  canpoomn,  Uabnluii^iiiii. 

lieh  alsdann  nicht  ^ären,  wenn  er  sieb  ohne  Grund 
oder  gar  kontraktswidrig  ihnen  ausgesetzt  hätte.    Denn 
alsdann  darf  ihn  der  Umstand  nicht  entschuldigen,  dass 
die  wirkende  Ursache  des  Ereignisses  nicht  auf  seinen 
Wilkn  zurückzuführen  ist 
Dieses  letzte  Moment  ist  offenbar  in  dem  Ausdruck  >  höhere 
Gewalt«  (vis  major,   damnum  fatale,  force  majeure)  nicht  ent- 
halten.    Es  gibt   ikein   Ereigniss,    welches   unter   allen   Um- 
ständen die  Möglichkeit  der  Verschuldung  des  debitor,   auch 
einer  bloss  mittelbar  einwirkendea,  anszuschUessen  vermöchte  '<. 
Ein  sog.  casus  mixtus  ist  Überall  denkbar  und  vertretbar'. 

Was  dagegen  das  erste,  objektive  Moment  anlangt^  so  ist 
klar,  dass  eine  Scheidung  in  der  von  Bluntschli  eotwickeltoi 
Art  zwar  theoretisch  vielleicht  denkbar,  aber  doch  praktisch 
nur  überaus  schwer,  wenn  Überhaupt  durchführbar  wäre^, 
überdies  aber  sowohl  eine  jeder  tieferen  Auffassung  wider- 
strebende Verausserlichung  der  Scbuldfrage,  wie  eine  materielle 
Ungerechtigkeit  in  sich  schlösse,  also  eine  Anomalie,  welche 
wir  nur  dann  annehmen  dürften,  wenn  sie  klar  ausgesprochen 
wäre,  und  welche  nur  dann  innerlich  gerechtfertigt  erschiene, 
wenn  zwingende  Verkehrsbedürfnisse  sie  hervorriefen.  Sokbe 
aber  fehlen  durchaus.  Ob  eiu  Ereigniss  in  der  Regel  oder  nnr 
ausnahmsweise  unvermeidlich  und  unabwendbar  ist ,   kann  für 


■  Hommten,  BeJtrlge  tarn  Obligationenrecht  I  S.  136. 

'  1_  II  §8  I,  4.  1-  9  §  3-  L  la,  13  S  7  1oc«'i  (»9.  »)-  L  ■  §  4  * 
O.  et  A.  (44,  7)-  !.  »  §  8  ii  qui«  caut.  (2,  11).  I.  7  §  «•  I-  "«  pr-  L  jo 
g  3  ftd  leg.  Aqnil.  (9,  3).  t.  5  §  4.  I.  iS  pr.  commod.  (13,  6).  ).  11  (32)  de 
negot.  ge«.  (3,  s)-  '-  '  qnod  m«.  c»im  (4,  3).  1.  30  de  pigo.  a«.  (13.  7) 
g  6.  J.  de  obl.  qiue  ex  del.  (4,  i)  g  3.  J.  qnib.  modis  (3,  14).  Vgl. 
nuneDtlfch  Caiaregls,  di>c  leg.  19  Nr.  33—35,  31—34  ^uc.  1,  Nr.  S^S. 
dbc  33,  Nr.  45  fr.;  Mommien,  a.  a.  O.  I  S.  334^.,  343  Note  34.  Ftir 
den  Fnubtvertrag :  Lauterbacli,  diu.  academ.  diip.  105  Nr.  38;  Harpp- 
recht,  a.  a.  O.  I  3  8  7. 

1  In  gewiuen  extiemen  FSIlen  wird  man  einig  lein,  1.  6.  bei  Wolken- 
brUchen,  Bliu,  fiergttnn.  Wie  aber  bd  dem  Hanaänatan?  bei  dem  Raubet 
bei  dem  Schilf  brach  P  Iit  gewaffneter  DiebsttU  stets  hShere  GewaltP  Doch 
wohl  nicht  KUechthin,  nicht  1.  B.,  wenn  etwa  ein  mit  einem  KnUitel  bewa&ettt 
MaoD  eine  aus  vier  Knechten  bestehende  Bewachung  des  Transports  aof  da 
Heerstrasse  angreift.  Es  Itommt  also  immer  wieder  auf  die  Umstinde  des  ein- 
zelnen Falles  an:  auf  die  Zahl,  die  Bewaffnung  der  Rluber,  auf  die  Lage 
der  Angegriffenen ,  den  Ort  und  die  Zeit  des  Angrifi  «u  s,  f .  VgL  auch 
Hommsen  I  S.  343  Not«  34.  Vortrefnich  Einert  im  ArcM*  für  Wecbsd- 
recht  I  S.  315. 


„Google 


Der  gewShnliche  B^riff  von  vü  major  i)t  unhaltbar  und  uDnireichend.   427 

den  Beweis  • ,  nicht  dagegen  für  das  materielle  Recht  einen 
Unterschied  bewirken. 

Soweit  aber  diese  Ansicht  sich  auf  die  römischen  Quellen 
stutzt,  erscheint  sie  durchaus  unerweislich.  Sie  kann  ihren 
Anhalt  nur  suchen  in  den  Ausdrücken  damnum  fatale  und  vis 
major  oder  in  den  angeführten  Beispielen. 

Damnum  fatale  ist,  nach  der  einzigen  Legaldefinition 
in  I.  52  §  3  pro  socio,  aus  dem  31.  Buche  desselben  ulpia- 
nischen  Ediktkommentars,  ein  damnum  quod  imprudentibus 
accidit,  d.  h.  welches  Nichtwissende,  Nichtvorhereehende  •  trifft. 
Setzen  wir  nun  auch  statt  >Nichtwissende  etc.«  den  Ausdruck 
»Nichtwissen-  oder  Nichtvorhersehenkönnende«,  so  ist  da- 
mit doch  nichts  Anderes  als  mit  dem  Ausdruck  iZufallt  ge- 
sagt: »ein  im  vorliegenden  Fall  dem  Schuldner  nicht  zu- 
zurechnendes, daher  in  der  Regel  von  aussen  her  eintretendes 
Ereignisse  K  Auch  in  1.  2  §  1  de  P.  et  C.  (18,  6)  wird  der 
Ausdruck  als  blosser  Gegensatz  zur  culpa  gebraucht. 

Ebenso  dient  der  Ausdruck  vis  major  oder  magna  be- 
kanntlich schlechthin  zur  Bezeichnung  unverschuldeter  Er- 
eignisse, mögen  diese  durch  Naturgewalt  ♦  oder  durch  Menschen 
veranlasst  sein,  ganz  gleichbedeutend  und  abwechselnd  mit 
damnum  fatale,  casus,  casus  fortuitus  oder  major,  cui  resisti 
non  potest  u.  s.  f.,  als  blosser  Gegensatz  zur  culpa, 
z.  R  1.  l  §  4  de  O.  et  A.  {44,  7).  1.  2  §  1  de  P.  et  C. 
(18,  6).  1.  7  pr.  de  edendo  (2,  13).  1.  13  §  1.  1.  30  de  pign. 
act.  (13,  7).    1.  28  C.  de  locato  (4,  65)  K   Ein  sehr  vollständiger 


■  Hommien  I  5.  236,  345.  Vgl.  anch  Ha«>e,  Die  Culpa  cap.  XII, 
Ueber  Ptiiumtionen. 

>  Vgl.  auch  1.  5  §  4  cnminodali  {13,  6).  1,  11  g  4  de  mJDoribus  (4,  4): 
occaxione  damni  Don  ioconsDlto  accidentU,  s«d  hXo.  —  Ucber  imptuden*  in 
dietem  Sinne  vgl.  Caesar  de  B.  G.  II  38.  Cicero  pro  Roicio  Amer.  8 ,  31. 
I-  18  C19)  §3  deneg.gestis  (3,  5).  1.  34  g  i.  I.  29  de  A.  E.V.  (19,  i).  So 
TerMehC  auch  da»  Oberappetlation^ericht  zu  Lübeck  (Seurfert's  Archiv  IV 
Nr.  1 14]  den  Begiiff  damnum  falaJe  von  >Iusseren  UmMinden,  im  Gegentati 
der  in  der  Macht  dei  Schiffen  liegenden  UmslIndC'. 

3  Ueber  den  Sprachgebrauch  auch  Mommsen  1  S.  241  ff. 

*  So  InibeioDdeTe  auch  glcichbedentend  mit  rit  divina:  9-toO  ßtu.  1.  35 
g  6  locaü  (19,  3).  L  Z4  g  4  de  damno  inf.  (39,  3) ;  vi*  natnralit  I.  59  locati 
(19,  1);  impedimenlum  naturale  ).  137  g  4  de  V.  O.  (45,   t). 

I  Siehe  auch  die  WörterbUclier  von  Briitoniu»  and  Dirk*en  bei  den 
Worten  canis,  vis,  faialit;  Heimbach  in  Weiike'i  Rechblexikon  IIS.  573; 
Mommsen,  a.  a.  O. 


428  ^'^  receptnm  naatamm,  caaponum,  sUbaUrionim. 

Katalog  von  quodcunque  damnvun,  si  modo  culpa  carent  in 
1.  30  pr.  ad  leg.  Faicid.  (35,  2).  Vgl.  auch  1.  23  de  R.  J. 
(50j  17)  und  1.  18  pr.  commodati  (13,  6). 

Gehört  doch  auch  zu  den  Legalbeispielen  der  vis  major 
neben  ruina,  naufragium  und  anderen  Ereignissen,  welche 
regelmässig  unverschuldet  sein  mögen,  das  incendium',  von 
welchem  an  sich  klar  ist,  und  wiederholt  hervorgehoben "  wird, 
dass  es  sehr  häufig,  wenn  nicht  gar  in  der  Regel  verschuldet 
sei.  Und  auf  der  anderen  Seite  ist  der  Ausdruck  vis  major 
selbst  für  solche  Ereignisse,  welche  regelmässig  oder  gar  un- 
zweifelhaft jeder  menschlichen  Voraussicht  und  Kraft  spotten, 
so  wenig  technisch,  dass  ftlr  dieselbe  ebenso  häufig  der  Aus- 
druck casus  fortuitus  vorkommt,  z.  B.  1.  24  §  3  de  damno 
infecto  (39,  2):  —  terrae  motu  aut  vi  fluminis,  aliove  quo 
caso  fortuito.  1.  6  §  9  de  edendo  (2,  13):  —  nanfragio  vel 
ruina,  vel  Jncendio,  vel  alio  simili  casu.  I.  21  (22)  de  neg.  gestis 
(3,  5) :  —  casu  quodam  —  forte  incendio,  ruina.  In  1.  18  pr. 
commodati  (13,  6)  findet  sich  der  Ausdruck  casus  quibus  resisd 
non  potest  für  dieselben  Fälle,  welche  in  §  2  J.  quib.  modis 
re  (3,  14),  der  daraus  entlehnt  ist,  mit  major  vis  und  major 
casus  bezeichnet  werden. 

Endlich  hat  man  den  gesuchten  objektiven  Maassstab  aus 
den  beigefugten  Beispielen  isi  quid  naufragio  aut  per  vim 
piratarum  perierit«  entnehmen  wollen.  Denn  indem  hier  als 
befreiend  nur  solche  Ereignisse  genannt  werden,  welche  sich 
als  unwiderstehliche  Natur-  oder  Menscheagewalt  darzustellen 
pflegen,  erscheine  der  Begriff  des  damnum  fatale  sachlich  be- 
grenzt'. 

So  naturlich  indessen  sich  dieser  Ausweg  darbietet,  stehen 
doch  drei  entscheidende  Gründe  entgegen.  Hinmal  fehlt  jeder 
Anhalt,  dass  Labeo  nur  die  von  ihm  genannten  und  ähn- 
liche Ereignisse  als  befreiend  bezeichnen  wollte,  da  an  die  Er- 
örterungen eines  kommentirenden   Juristen,   bei   aller  zu  er- 


'  Z.  B.  L  i8  pr.  1.  5  §  4  commod.  (13,  6).  1.  21  (11)  de  oeg.  gett.  (3,  5). 
L  z3  d«  R.  J.  {50,  17).  1.  6  §  9  de  edendo  (a,  13).  L  17  §4  de  pr.  »erb, 
(19.  5)- 

■  I.3§  I  deoff.pr»e».vipJ.  (1,  15).  I.  11  (11)  de  P.  et  C.  (18,  6).  1.  30 
§  4  locati  (19,  2).    1.  51  I  3  pro  »cio  (17,  x). 

i  So  t.  U.  Maller,  a.  a.  O.  5.  34;  Koch,  EiieulMlmca  II  S.  24 
Note  II. 


„Goovilc 


Der  gewühnlkbe  Begriff  vod  vis  major  ist  unhaltbu  und  unzureichend.   429 

-wartenden  Präzision,  sich  tinme^lich  gleich  strenge  Anforde- 
rungen wie  an  den  Gesetzgeber  stellen  lassen.  Sodann  soll 
mit  diesen  Beispielen  gar  nicht  eine  Begrenzung  des  danuinin 
fatale  gegeben -werden,  sondern  sie  werden  lediglich  als  Konse- 
quenzen aus  der  Nichthaftung  für  damnum  fatale  hingestellt: 
Inde  Labeo  scribit  — .  Endlich  finden  wir  ganz  ähnliche 
Beispiele  und  in  völlig  gleicher  Weise  bei  solchen  Rechts- 
instituten  gebraucht,  für  welche  unzweifelhaft  keine  Haftung 
über  culpa  hinaus  begründet  ist.    Z.  B.  fUr  das  Konunodat : 

L.  1  §  4  de  O.  et  A.  (44,  7):  Is  vero,  qui  utendum 
accepit,  si  majore  casu,  cut  humaaa  infinnitas 
resistere  non  potest,  veluti  incendio,  ruina, 
naufragio  rem,  quam  accepit,  anaiserit,  securus 
est ;  alias  tarnen  exactissinaam  diligentiam  custodien- 
dae  rei  praestare  compellitur. 
Für  die  Societät: 

L.  52  §  3  pro  socio  (17,  2):  Damna  quae  imprudenti- 

bus  accidunt,   hoc  est   damna  fatalia,  socii  non 

cogentur  praestare;  ideoque  si  pecus  aestimatum 

datum  sit,  et  id  latrocinio  aut  incendio  perierit, 

commune  damnum  est.  — 

Es  würde  endlich,  bei  dieser  Auffassung,  nicht  allein  ein 

singulärer  Rechtssatz,  der  ja  ausser  Frage  steht,  sondern  ein 

singulärer  Sprachgebrauch  der  Quellen',   und  eine  Veräusser- 

licbung  der  Schuldfrage  anzunehmen  sein,   für  welche  es  im 

Uebrigen  an  jedem  Anhaltspunkte  fehlt. 

Die  späteren  Schicksale  jenes  angeblich  technischen  Be- 
griffes der  höheren  Gewalt  werden  wir  insbesondere  für 
unser  modernes  Handelsrecht  am  Schiufa  dieser  Abhandlung 
(§§  12,  13)  verfolgen;  hier  wollen  wir,  an  Stelle  jener  äusser- 
lichen  und  ungenügenden  Auffassung  des  Quelleninhalts ,  das 
wahre  Wesen  unseres  Instituts  zu  erforschen  suchen.  Dabei 
mag  die  Bemerkung  nicht  überflüssig  erscheinen,  dass  positive 
Rechtsnorm  aus  Zweckmässigkeitsgründen  sehr  wohl  gewisse, 
im  konkreten  Fall  unverschuldete,  also  als  Zufall  zu  er- 
achtende Ereignisse  in  den  Kreis  der  vertretbaren  hineinziehen 
und  so  eine  Scheidung  zwischen  den  verschiedenen  Arten  von 

<  Dies  erkennt  Mommsen  I  S.  374  Note  10  Busdrticklich  an. 

j  .«:,yGüogle 


430  ^**  receptnm  nauUnim,  ckuponum,  suboloKoram. 

Zufällen  statuiren  mag'.  Nur  wird  der  Maassstab  für  diese 
Scheidung  nicht  aus  einem  allgemeinen  technischen  Begriff, 
wie  dem  vermeintlichen  der  vis  major,  zu  entnehmen  sein, 
sondern  eben  lediglich  durch  jene  positive  Rechtsnorm  bestimmt 
werden,  welche  die  Grundlage  der  Sonderang  bildet,  — 

Fortsetzung: 

Wahrer  BegnS  der  vis  iiMyor  in  unserer  Lehre. 


Noch  immer  befinden  wir  uns  in  dem  Dilemma  einer 
gleichzeitigen  Haftimg  und  Nichthaftung  für  den  Zufall  (omni- 
modo,  sine  culpa  ejus  —  nicht  für  damnum  fatale,  vis  major). 
Und  doch  ist  die  Lösung  des  Räthsels  überaus  einfach,  sobald 
man  nur,  statt  sich  an  einzelne  resultatlose  Ausdrücke  zu 
halten,  den  Zusammenhang  der  ganzen  Lehre  überschaut. 

Die  im  Edikt  ausgesprochene  unbedingte  Haftung  auch  für 
unverschuldeten  Verlust  und  Beschädigung  ist  von  der  Juris- 
pradenz  in  folgender  Weise  näher  bestimmt  worden: 

1.  Handlungen  der  Dienstleute  und  Passagiere  (vectores, 
viatores)  gelten  den  eigenen  Handlungen  des  Recipienten  gleich. 
Er  steht  also  unbedingt  ein  nicht  allein  für  eigenes  Ver- 
schulden, sondern  auch  für  jede  Beschädigung  und  jeden  Ver- 
lust, welche  durch  Verschulden  einer  dieser  Personen  herbei- 
geführt sind. 

L.  1  §  ult.  1.  2.  1.  3  pr,  h.  t. :  Et  puto  omnium  emn 
recipere  custodiam,  quae  in  navem  illatae  sunt,  et 
factum  non  solum  nautaram  praestare  debere,  sed 
et  vectorum,  sicut  et  caupo  viatorum^  et  ita  de 
facto  vectorum  etiam  Pomponius  libro  trigesimo 
quarto  scribit. 
L.  3  §  3  eod. :  —  Item  si  servus  exercitoris  surripuit, 
noxalis  actio  cessabit,  quia  ob  receptum  suo  nomine 
dominus  convenitur. 
Doch  darf  er  sich,  seine  Solvenz  vorausgesetzt,  mit  den 


■  So  I.  B.  du  englische  common  Uw,  welcbes  den  FracliEfahrer  (mmmon 
curier)  für  unbedingt  haftbar  erklSrt,  i.  B.  auch  fUr  Raub,  except  the  acE  or 
God  and  tbe  kings  eanemiet.     So  neuere  Post-  und  Eisenbahngesetie. 


■  ^  „Google 


Wahrer  Begriff  der  vi«  major  in  nuaerer  Lehre.  431 

Deliktsklagen   gegen  die  Thäter  regressiren.     Vgl.  oben  §  3. 
IV.  2. 

Die  Anomalie  dieser  Haftung  leuchtet  bezüglich  der  vec- 
tores  ein.  Sie  ist  aber  nicht  minder  zu  behaupten  in  Betreff 
der  Dienstleute,  da  nur  in  wenigen  singulären  Fällen  das 
römische  Recht  eine  unbedingte,  über  culpa  in  eligendo  hinaus- 
gehende Haftung  des  Dienstherm  für  seine  Leute  anerkennt 
Die  1.  25  §  7  D.  locati  (19,  2)  beweist  nicht  für  das  Gegen- 
theil'.  - 

2.  Er  garantirt  femer  für  Handlungen  Dritter,  zu  der 
ebengedachten  Kategorie  nicht  gehöriger  Personen,  und  zwar 
nicht  allein  gegen  furtum,  sondern  auch  gegen  damaum  der- 
selben:  Vernichtung  und  Beschädigung. 

L.  5  §   t  h.  t.:   Quaecunque  de  furto  diximus,   eadem 
et   de  damno   mtelligi   debent;    non   enim   dubitari 
oportet,  quin  is,  qui  salvum  fore  recipit,  non  solum 
a  furto,    sed  etiam   a   damno  recedere  (recipere) 
videatur. 
Vgl.  1.  3  §§  1,  3  h.  t. 
Ob  diese  Garantie  eine  unbedingte  ist,  wird  sich  später 
ergeben.     Allein  auch  abgesehen  davon  ist  dieser  zweite  Satz 
nicht  minder  anomal  als  der  erste.    Denn  die  Verpflichtung, 
fUr  custodia   einzustehen,    weiche   dem  Recipienten   obliegt', 
schliesst  regelmässig  nur  die  Haftung  gegen  Diebstahl,   nicht 
auch  gegen  Beschädigung  durch  Dritte  in  sich;  sofern  näm- 
lich nicht  der  Nachweis  geführt  wird,   dass  der  Schuldner  im 
Stande   gewesen  wäre,  dieselbe  zu  verhindern.    Hinsichtlich 
des  furtum   liegt  dem  Schuldner   der  Beweis  der  Unvermeid- 
lichkeit,  umgekehrt   hinsichtlich   des  damnum  dem  Gläubiger 
der  Beweis  der  Vermeidlichkeit  ob^. 

3.  Er  haftet  nicht  für  damnum  fatale  oder  vis  major. 
L.  3  §  1  h.  t. 

■  Dort  vird  flbr[gau  nicbt  eommve,  toDdem  eorumqne  gelesen.  Der 
Beweit  djetes  wichtigen  Sattel  fBr  da*  remiiche  Recht  «oll  rin  uiderei  Mal 
geftUiTt  werden.  Für  die  entgegengeseCEte  Meinung  hat  lich  iniwischen  auch 
Ubbelohde  entschieden,  auch  eine  aoaTUhrliche  Darstellung  in  Aunicht  ge- 
stellt    (Magazin  f.  haQnorer»:hes  Recht  IX  S.  399  ff.) 

'  Vgl.  den  Teit  Seite  420  nach  Note  1. 

3  L.  14  §  la.  1.  91  (90)  de  furtU  (47,  a).  1.  5.  8  C.  de  act,  pign.  (4,  14), 
Tgl.  mit  1.  19  commod.  (13,  6).  L  40,  41  locati  (ig,  a).  Haate,  Die  Culpa 
cap.  X,  XII. 


D,j,i,;^..,,Güogli: 


432  ^>s  receptum  nautu^m,  ciuponum,  stabulariomm. 

Fassen  wir  diese  drei  Sätze  zusammen,  so  ergäbe  sich, 
dass  die  Haftung  über  culpa  hinaus  sich  so  weit  erstreckt,  als 
die  beiden  ersten  Sätze  reichen,  dass  aber  jede  andere,  nicht 
vom  Recipienten  selbst  ausgegangene  Beschädigung ,  Ver- 
nichtung, Entwendung  als  nichtvertretbare  vis  major  anzosehen 
ist.  Oder  mit  anderen  Worten:  Als  vis  major  oder  casus 
gilt  in  der  Theorie  des  receptum  ein  jedes  vom  Recipienten 
selbst  unverschuldetes  Ereigniss,  welches  nicht  unter  Satz  1 
und  2  fällt. 

Zu  einer  genügenden  Abgrenzung  bedarf  es  indessen  noch 
einer  näheren  Fesstellung  des  zweiten  Satzes. 

Durch  diesen  ist  zunächst  nichts  weiter  ausgesprochen,  als 
dass  die  custodia  sich  hier  auch  auf  das  damnum  injuria  datum 
erstreckt.  Dabei  ist  nun  ein  Doppeltes  möglich.  Entweder  es 
bleibt  im  Uebrigen  bei  der  Regel,  dass  die  Haftung  für  furtum 
keine  unbedingte  ist,  sondern  nur  vorbehaltlich  des  Gegen- 
beweises besteht,  dass  der  That  bei  aller  Vorsicht  nicht  hat 
vorgebeugt  werden  können ',  —  und  Gleiches  würde  alsdann 
auch  für  das  damnum  gelten.  Oder  die  Haftung  für  furtum 
ist  hier  ausnahmsweise  eine  unbedingte,  daher  auch  für  dam- 
num, d.  h.  mit  andern  Worten:  Schiffer  und  Wirth  haften 
schlechthin  fUr  jede  durch  irgend  Jemand  verübte 
Entwendung  und  Beschädigung. 

Diese  letzte,  von  allen  denen,  welche  unter  vis  major  die 
»höhere  Gewalt«  in  dem  §§  4,  5  bezeichneten  Sinne  verstehen, 
insbesondere  auch  von  Hasse'  vertheidigte  Ansicht  findet  in 
den  Quellen  keine  Begründung. 

In  der  mehrbesprochenen  1.  3  §  1  nautae  ist  keinesw^s 
smit  dürren  Worten  gesagt,  dass  der  Unterschied  der  actio  de 
recepto  von  den  oft  (!)  konkurrirenden  Kontraktsklagen  dam 
liege,  dass  jene  sowohl  wegen  Diebstahls  als  wegen  damnum 
injuria  datum  unbedingt  und  auch  ausser  dem  Fall  der  culpa 
(schlechthin)  angestellt  werden  könne,  indem  diese  es  nicht 
können.'     Denn  unter  Umständen  wird  ja  sowohl  furtum,  wie 

■  Hasse,  c«p.  X;  Hepp,  Die  Zurechnung  auf  dem  Gebiete  des  GrS- 
rechts  S.  39,  40;  Unterholiner,  Schuld verb&Itnisse  I  g  IJ9;  Hommsen. 
ErörleruDgen  I  S.  90  Note  14. 

'A.a.O.  §§73,86,  Vgl.  Lauterbach,  dispul.  105  Nr.  43;  Schweppe 
UI  §  60a;  Göschen  II  3  I  658;  SiDlenis  II  S.  699  [3.  Aufl.  S.  70a]; 
Holler,  a.  ft.  O.  S.  32;  Koch,  Eisenbahnen  II  S.  34  Note  11,  S.  16  Noie  17- 


izecoy  Google 


Walirer  Begriff  der  »tg  major  in  unserer  Lehre.  433 

insbesondere  darnnum  zu  dem  ausdrücklich  ausgeschlossenen 
damnum  fatale  gerechnet  werden  können ',  und  in  den  Worten 
etiamsi  sine  culpa  ejus  res  periit  vel  damnum  datum  est  kann 
sehr  wohl  auf  die  schlechthin  verpflichtenden  Delikte  der  Ge- 
hilfen und  Passagiere  hingewiesen  sein,  ohne  dass  im  Uebrigen 
durch  das  omnimodo  tenetur  die  Frage  nach  der  Verschuldung 
für  unbedingt  irrelevant  erklärt  wäre.  Solcher  Ausdehnung 
steht  insbesondere  der  von  Hasse  nicht  beachtete  Umstand 
entgegen,  dass  mehrfach  und  mit  Nachdruck  die  Haftung  des 
Schiffers  und  Wirths  für  die  Dienstieute  und  die  Reisenden 
als  ein  ausserordentlicher,  ungeachtet  der  unbedingten  Fassung 
des  Edikts  erst  durch  die  Jurisprudenz  festgestellter  Rechtssatz 
hervorgehoben'  und  ein  wesentlicher  Unterschied  der  Ge- 
schäftsklage von  den  Strafklagen  darin  gesetzt  wird,  dass  bei 
den  letzteren  nicht  für  vectores  und  viatores  gehaftet  wirds. 
Diese  Ausdrucksweise  wäre  unerklärlich,  wenn  auch  die  Hand- 
lungen anderer  als  der  genannten  Personen  unbedingt  ver- 
pflichten sollten.  Eine  Haftung  für  diese  lag  am  nächsten, 
eine  unbedingte  Garantie  gegen  die  Handlungen  Anderer  wäre 
höchst  anomal  gewesen,  und  hätte  darum  um  so  mehr  der 
ausdrücklichen  Erwähnung  bedurft. 

Hiemach  scheint  unser  zweiter  Satz  nur  im  Sinne  der 
erstgedachten  Alternative  verstanden  werden  zu  können:  die 
Regeln,  welche  bei  jedem  zur  custodia  Verpflichteten  hinsicht- 
lich des  furtum  gelten,  aber  auch  keine  schärferen  —  von  den 
E)elikten  der  Dienstleute  und  Passagiere  abgesehen  — ,  finden 
beim  receptum  auch  hinsichtlich  des  damnum  Anwendung. 

Eine  leichte  Modifikation  dieser  Auffassung  ergibt  sich 
indessen  aus  den  folgenden  Betrachtungen  (§§  7,  8),  welche 
für  die  richtige  Auffassung  unseres  Instituts  nicht  ohne  Be- 
deutung und  für  dessen  geschichtliches  Verständniss  unent- 
behrlich sind. 


'  Nacb  dessen  Legüdeünition  in  1.  52  §  3  pro  locio.  Man  bruucht  nicht 
einmal  darauf  Gewicht  zu  legen,  dass,  wie  in  den  germanischen  Rechtsqudlen 
^«röhnLch,  so  auch  in  1.  30  pr.  ad  leg.  Faldd.  (35,  2}  zd  dem  quodcunque 
d&mnnm,  neben  mortea  serrorum,  rapinae,  iocendia ,  ruinae,  naufragia,  ris 
hoMinm,  latronum,  praedonum  auch  farta  geiihlt  «erden. 

'  L.   i  §  ulL     I.  3  pr.  b.  t. 

J  L.  6  §  3  h.  I.     1.  nn.  §  6  furü  adv.  nauUJ  (47,  ?). 
aoldichmidt,  VensiKbti)  Schrift«!.   □.  oS 


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434  Dm  receptun  luatarum,  ckupODiim,  «tibularionun. 

V.    Das  salvum  fore  reoipere  die  Grundlage  der 
actio  de  reoepto. 

§7. 
Wir  haben  im  §  1  das  receptum  als  ein  prätorisches 
Obligationsverhältniss  bezeichnet,  dessen  juristischer  Charakter 
darin  besteht,  dass  unter  bestimmten  Voraussetzungen  ge- 
wissen civilen  Vertragsverhältaisseo  eine  umEasseodere  Oarantie- 
verpElichtung  von  Rechts  ^egen  hinzutritt.  Diese  Auffassang 
schliesst  weder  die  Möglichkeit  vertragsmässiger  Beseitigung 
jener  Garantie  (§  1!),  noch  die  Annahme  aus,  dass  der  Stand- 
punkt des  Torklassischen  Rechts  ein  verschiedener  gewesen  sei. 
Für  diese  Annahme  spricht  entschieden  der  Wortlaut  des 
pratorischen  Edikts; 

Ulpian:    L.  l  pr.  fa.  t.     Ait  Praetor:    Nautae,   can- 
pones,  stabularii,  quod  cujusque  salvum  fore 
receperint,   nisi  restituent,  in  eos  Judicium  dabo. 
§  6.     Ait  Praetor:  quod  cujus  salviun  fore  rece- 
perint — 

§  8.    Recipit  autem  salvum  fore  — 
Gajus:  L.  5  §  1.  —  non  enim  dubitari  oportet,  qim 

is,  qui  salvum  fore  recipit  — 
Ulpian:  L.  un.  §  5  furti  adv.  nautas.     Quodsi  rece- 

perit  salvum  fore  nauta  vel  caupo  — 
Paulus:  R.  S.  II  6,  §  1.     Filius  familias  si  voluntate 
patris  navem  exerceat,   patrem  in   solidum   ob  ea, 
quae  salva  receperit  (al.  receperat,  recepit),  obligat 
Dass  diese  so  hSufig  mit  Nachdruck  wiederholten  Worte 
salvum   fore   recipere  ein  wirkliches  Versprechen,   für  die  In- 
tegrität der  Ladung    einstehen  zu  wollen,   eine  Garantieüber- 
nahme,  bezeichnen,  kann  nicht  zweifelhaft  sein.    Von  den  ver- 
schiedenen Bedeutungen  des  Wortes  recipere  kommen  hier  nur 
die    ganz    nahe    verwandten    »annehmen ,    aufnehmen ,     über- 
nehmen<    und   >auf  sich  nehmen,    Über  sich   nehmen,   über- 
nehmen, versprechen,  garantiren«  in  Betracht    Das  salvum 
fore  recipere  kann  somit  ein  Doppeltes  bedeuten: 

1.  laufnehmen,  so  dass  das  aufgenommene  Gut  unversehrt 
bleiben  sollt,  also  »aufnehmen  mit  dem  Versprechen,  ftlr  die 
Integrität  einzusteheni, 

2.  »versprechen,  für  die  Integrität  einstehen  zu  wollent. 


DiS  Ml»um  fore  redpeie  die  Grandli^e  d<r  «eüo  de  rectpto.       435 

Im  ersten  Falle  läge  der  Nachdruck  auf  der  tbats^ch- 
lichen  Uebemahme  der  Waare,  und  das  Versprechen  träte  als 
Modalität  der  Annahme  hinzu,  durch  die  Worte  salvum  fore 
bezeichnet. 

Im  zweiten  Falle  läge  der  Nachdruck  auf  dem  Ver- 
sprechen, und  die  thatsächliche  Uebemahme  der  Waare  würde 
als  selbstverständliche  Voraussetzung  der  Wirksamkeit  des 
Garantieversprechens  subintelligirt 

Beide  Bedeutungen  der  Formel  geben  einen  gleich  guten 
und  im  Resultate  übereinstimmenden  Sinn.  Wenn  für  die  erste 
zu  sprechen  scheint,  dass  mit  dem  nisi  restituent"  eine  that- 
sächliche Uebemahme  besser  harmonirt,  so  spricht  für  die  zweite 
schon  die  einfachere,  ungezwungenere  Konstruktion.  Auch  aus 
anderen  Gründen  möchte  ich  mich  für  die  letzte  Bedeutung 
entscheiden.  Der  Ausdruck  recipere  im  Sinne  von  versprechen 
wird  nicht  bloss  sehr  gewöhnlich,  sondern  geradezu  technisch 
(also  wahrscheinlich  recipio  lautend,  als  einseitiger  Verpflich- 
tungsakt) neben  poUiceri,  promittere,  spondere  gebraucht.  So 
heisst  es  bei  Cicero':  spondeo  in  meque  recipio  — ;  polli- 
ceris  vel  potins  recipis  — ;  promitto,  recipio,  spondeo  — ;  quae 
tibi  promitto  et  recipio  — ;  noil  solum  confirmavit,  verum 
etiam  recepit.  —  Ebenso  finden  sich,  abgesehen  von  dem 
häufigen  custodiam  recipere,  in  den  juristischen  Quellen  folgende 
Wendungen:  vel  repromittente ,  vel  se  delegante,  vel  in  se 
recipiente  deUtum  — ;  aditurum  se  hereditatem  recepisset  et 
restituturum  — ;  si  tacite  in  fidem  suam  recipiat  — ;  recepisse 
autem  arbitrium  videtur  qui  judicis  partes  suscepit,  finemque 
se  sua  sententia  controversiis  impositurum  pollicetur  ^.    Gerade 

'  Doch  itl  bekannt,  dan  du  restitnere  und  intbesondere  die  übliche 
Kklatet  der  acCiones  aibitrariae  »pi^i  mcituata  knneiwegs  eine  voraasgeheade 
Hingabe  roransteut.  Reilitaere  heisst  sehr  hXatig  nar :  •Herausgeben«,  oder 
gar  nur  .»einer  Verbindlichlieit  Dachkommen..  1.  2ä.  75.  81.  D.  de  V.  S. 
<50.  16).  1.  173  g  I  de  R.  J.  (50,  17).  1.  9  §  7  q.  n>-  =■  C4,  2).  1.  17  §  i. 
1.  w)  de  R.  V.  (6,  1).  V.  Savigny,  System  V  S.  ii?  ff- ;  '■  Keller,  Qvil- 
proien  [audi  6.  Aufl.]  Note  791;  so  auch  reddere.  Vgl.  meine  Unler- 
Eochiingen  in  I.  ixz,  g   i  de  V.  O.  5.  53  IT. 

>  Cicero  fam.  13,  17.  Att  13  1,  3.  Phil.  5,  18.  Tarn.  5,  8,  $.  6,  12. 
Vi«!]«  »ädere  Stellen  nichtjuriitiicher  Klassiker  bd  Klotz,  Handwörterbuch 
II  S.  107*. 

3  1.  4  §  I  de  manam.  (40.  l).  1.  47  (46)  de  hered.  inst.  (iS,  5).  1.  40  g  i 
de  jure  fi*cl  (49,  14).    1.   13   g  a  de  receptis  (4.   8).     Auch  Btiiaonius,   h. 


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436  ^"  receptom  naDtarum,  onponuni,  ttabularionim. 

auf  dieser  Bedeatung  des  recipere,  welche  namentlich  dem 
alteren  Sprachgebrauch  angehört  haben  dürfte,  beruht  der  zu- 
erst voo  Conti  US,  dispnt.  jur.  civil.  Hb.  I  c  4  nachgewiesene 
Zusammenhang  zwischen  unserem  Digestentitel  und  dem  un- 
mittelbar voraufgehenden  De  receptis,  qui  arbitrium  recepe- 
nmt,  ut  sententiam  dicant  (4,  8),  welcher  unzweifelhaft  schon 
im  prätorischen  Edikt  neben  dem  unsrigen  stand.  (Ulpian. 
liber  XIII,  XIV  ad  Ed.  Paulus  libro  XIII  ad  Ed.)  Der  arbiter 
verpflichtete  sich  ursprünglich  wahrscheinlich  durch  die  Formd 
recipio  (sententiam  me  dictunun  u.  dgl.).  Auf  diesem 
Sprachgebrauch  beruhte  auch  die  actio  receptitia  gegen  den 
argentarius '. 

Das  Versprechen  salvum  fore,  jedoch  in  Stipnlationsform, 
gleichfalls  als  Garantieverspreeben,  begegnet  uns  in  den  be- 
kannten Stipulationes  rem  pupilli  salvam  fore  und  rempublicam 
salvam  fore'. 

Da  das  salvum  fore  recipere  offenbar  als  technischer  Aus- 
druck angewendet  wird,  und  überdies  beide  Theile  desselben 
als  technische  Formeln  bezeugt  sind,  so  mögen  diese  oder 
doch  ähnliche  Worte,  z.  B.  salvum  erit,  von  Schiffern  und 
Wirthen  regelmässig  bei  der  Aofnahme  gebraucht  worden 
sein,  um  ihren  Garantiewillen  erkennbar  zu  machen.  Auch 
hätte  darin,  bei  dem  Hange  des  älteren  Rechts  zum  Forma- 
lismus und  bei  der  Natürlichkeit  solcher  Erklärungsweise,  weder 
etwas  Auffallendes,  noch  bei  der  verhältnissmässigenBeschränkt- 


T.  3,  QDd  Dirbsen,  Mannale  b.  v.  §  6  oehmen  ia  der  Fonoel  silTum  foie 
recipere  das  recipere  im  Sinne  voa  Versprecbea.  wihrend  der  Letitere  eod.  §  4, 
kuf  welchen  sich  SJntenii,  CTÜrecht  II  S.  696  Not.  S  [3.  Aufl.  n  S.  699 
NoL  8],  irrthUmlich  beruft,  nicht  ron  dem  salTum  fore  redpere,  sondeni  *on 
recipere  im  Sinne  der  1.  J  pr.  h.  t.  Epricht.  Dadarch  erledigen  Eich  auch  die 
Zweifel  von  Schilling,  Institutionen  lU  §  339  Nol  e,  f. 

■  1.  2  C.  de  comt.  pec  (4,  18)  g  S.  J.  de  acl.  (4,  6)  und  daza 
Schrader.  I>er  gekünstelten  Konstruktion  Girtanner's  (Die  SttpolatJon 
S.  169  tf.),  wonach  das  allerdings  wahncheinlich  dabei  lecluüiche  Wort  recipio 
auf  •Geben  und  sofortigen  RUcliempfang ,  eine  BethKtignng  der  Gdes<  hin- 
deutete, bedarf  es  hier  so  wenig  als  Überhaupt.  Die  Formel  recijHO  als  ein' 
seitige  formelle  Erklirung  an  die  dotis  dlclio  erinnernd. 

•  I.  1  pr.  g  17  de  mag.  con».  (J7,  8).  1.  16  §  z  de  mnner.  (50,  4). 
1.  *  §  5.  I-  17  §  >5  "d  muncip.  (50,  l).  1.  67  pr.  de  V.  O.  (45.  >)  §  4- 
J.  de  diT.  stip.  (3,  )8).  D.  rem  pupilli  salvam  fore  (46,  6).  L  8  de  cnnl. 
für.  (17,  10). 


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Dm  wlvutn  fore  Tcctpere  die  Grundlage  der  actio  de  recepto.        437 

heit  des  Verkehrs  ein  Heniamiss  für  diesen  gelegen.  Man 
darf  nur  freilich  nicht  an  heutigen  Hotel-  und  Dampfschiff- 
verkehr denken.  Eine  schlagende  Analogie  gewähren  die 
üblichen  Formulare,  ältere  wie  neuere,  unserer  Konnossemente, 
in  welchen  der  Schiffer  erklärt,  »welche  vorbenannte  Waare 
ich  gelobe,  wohl  gekonditioniret,  wie  ich  sie  empfangen  habe, 
zu  liefern  in  —  an  — *;  oder:  »Die  Ladung  ist  mir  —  in 
vorbemerkter  Beschaffenheit  richtig  übergeben  worden,  und 
verpflichte  mich  ausdrücklich,  dieselbe  weder  zu  verfälschen, 
noch  verfälschen  zu  lassen,  auch  solche  unbeschädigt,  wie  ich 
sie  empfangen  habe,  wieder  abzuliefern,  und  bleibe  im  ent- 
gegengesetzten Falle  dem  rechtlichen  Besitzer  für  allen  daraus 
entstehenden  Nachtheil  —  verhaftete ;  oder  kürzer  »ich  ver- 
binde mich,  alles,  wie  ich's  empfangen,  nach  meiner  glück- 
lichen Ankunft  in  —  abzuliefern* '.  In  den  neuesten  Konnosse- 
menten wird  diese  Klausel  mitunter  als  selbstverständlich 
weggelassen,  oder  in  anderer  Form,  nicht  als  persönliche  Er- 
klärung des  Schiffers  aufgenommen '. 

Bei  einem  rein  mündlichen  Verkehr,  wie  der  ältere  römi- 
sche Verkehr  überhaupt  und  insbesondere  auch  der  Seefracht- 
verkehr war,  lauteten  diese  Erklärungen  natürlich  kürzer  und 
beschränkten  sich  auf  die  für  die  Erkennbarkeit  des  Garantie- 
willens erforderlichen  Worte. 

An  diese  Verkehrssitte  kann  das  prätorische  Edikt  in 
zweifacher  Weise  angeknüpft  haben.  Einmal,  indem  es  die 
volle  Wirksamkeit  einer  solchen  einseitigen  und  wohl  nicht 
schlechthin  an  eine  bestimmte  Formel  und  Form  gebundenen 
Erklärung  ausser  Zweifel,  vielleicht  auch  den  Umfang  der 
dadurch  übernommenen  Verpflichtung  festsetzte.  Sodann,  und 
in  noch  durchgreifenderer  Weise,  indem  es,  ausgehend  von 
dem  in  der  Sitte  begründeten  ausdrücklichen  Garantieversprechen 
der  Wirthe  und  Schiffer,  die  bezweckte  Wirkung  dieses  Ver- 


>  Du  erste  Formular  ist  du  iltete  dentsche,  irie  es  »der  wohl  ji 
Scbiffer«,  Hambnre  1732.  S.  iiz,  mittheilt.  Dat  zweite,  ein  gegenwlrtig  in 
THatäg  DDd  Polen  flblidiei  Fonnolu  ftlr  die  Getreidescbiffahrt  auf  der  Weichsel. 
Dal  dritte,  ein  jetzt  in  Bremen  gebrauchtet  Fominlar  fllr  SegelichiBe. 

*  Z.  B.  ia  den  englischen,  wo  es  von  den  anfgezlhlten  GtUern  heim; 
■and  are  to  deU*ered  in  the  like  good  order  and  condition  at  the  port  of  — 
(the  act  of  God  —  ntcepted)  nnto  —  or  to  — «. 


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438  ^C'i  receplnm  Diutamin,  caupamun,  stabolariorani. 

Sprechens  an  die  blosse  Aufnahme  der  Reiseeffekten  und 
Waaren  knüpfte.  Wie  natürlich  auch  indessen  diese  letztere 
Auffassung  des  Edikts  in  seinem  Verbältniss  zu  den  alteren 
Satzungen  bei  dem  Entwicklungsgange  des  römischen  Rechts 
und  angesichts  ganz  unzweifelhafter  ähnlicher  Vorgänge'  er- 
scheint, so  stehen  doch  der  erstgedachten  überwiegende  Gründe 
zur  Seite.  Denn  nicht  allein  knüpft  das  Edikt  geradezu  an 
die  Formel  salvum  fore  recipere  an,  sondern  wir  vermt^eo 
auch  in  den  dürftigen  Resten  der  interpretirenden  Jurisprudenz 
den  weiteren  Entwicklungsgang  zu  übersehen.  Mag  die  ur- 
sprüngliche Verkehrssitte  allmälig  verschwunden  oder  lästig 
geworden  sein,  man-  gewöhnte  sich  daran,  die  Mehrdeutigkeit 
des  Wortes  benutzend,  das  recipere  von  dem  blossen  thatsäch- 
liehen,  ganz  formlosen  (1.  1  §  3  h.  t.  vgl.  mit  §§  6,  8)  Akt 
der  Aufnahme  durch  die  dazu  legitimirten  Personen  (1.  3  §§  2, 
3,  5  h.  t.)  und  das  Garantieversprechen  als  stillschweigend 
darin  begriffen  zu  verstehen".  Es  war  dies  um  so  natür- 
licher, als  ja  die  thatsächliche  Aufnahme  sich  eben  auch  früher 
von  selbst  verstand.  So  wird  in  der  Interpretation  des  Ulpian 
zum  Edikt: 

1.  1  §  6  h.  t.:    Ait  Praetor:    quod  cujus  salvum  fore 
receperiat,  hoc  est,  quamcuaque  rem  sive  mercem 
receperint, 
das   hoc   est   nicht    als  Erläuterung   des   quod,    sondern   des 
ganzen  vorausgehenden  Satzes  zu  verstehen  sein,  ganz  ent- 
sprechend : 

I.  1  §  8  h.  t. :  Recipit  autem  salvum  fore,  utrunj  si  in 
navem  res  missae  ei  assignatae  sunt,  an,  etsi  non 
sint  assignatae,  hoc  tarnen  ipso,  quod  in  navem 
missae  sunt,  receptae  videantur, 

'  Vgl.  meine  AbhandluDg  Ober  den  Kauf  auf  Probe,  in  der  Zeitsdirift  f. 
d.  get.  HaDdeltrecbt  T  S,  S8,  103.  Die  Gegenbemerknngeii  Fitting'«  <Zat- 
scbrift  II  S.  303)  lubsätairen,  meine«  Ertchtea«,  mit  Unrecht  dei  bltmen  Ver- 
kehrsntte  dai  Gewohnheitirecbt.  Dann  wire  die  ganae  Entwicklung  unverstSnd- 
lich.     Davon  ein  aDdermal. 

*  Wollte  man ,  was  oben  alt  mSglich  bezeichnet  wnrde ,  ichon  in  der 
Formel  wlvnm  fore  reciper«  dai  recipere  al«  thstiichliches  An&iehEaen  nr- 
(tehen ,  so  bfitte  nun  die  Entwicklung  zi*ar  auch  in  der  Subbtelligimng  äa 
lalTum  fore,  aber  nicht  zugleich  in  einer  Aenderung  der  mil  dem  Wort  redpote 
verbundenen  Bedeutung  bestanden. 


,  CiOOglc 


Dm  sklvam  foie  recipere  die  Gmndlage  der  actio  de  recepto.        439 

WO    offenbar    der   ganz    formlose   Akt    der   Annahme'    dem 
wahren  eigentlichen  recipere  gleichgestellt  wird. 

Daher  nun  schlechthin  von  res  recipere,  personam  reci- 
pere gesprochen  1.  3  pr.  I.  1  §  1  h.  t.,  auch  das  technische 
recipere  durch  suscipere  ersetzt  wird  I.  3  §  7  h.  t.,  wie  das 
salvum  fore  recipere  durch  das  allgemeinere  custodiam  reci- 
pere 1.  1  §  ult.  h.  t.  So  spricht  denn  auch  Paulus  R.  S.  II 
6  §  1,  falls  nicht  die  westgothischen  Kompilatoren  die  Stelle 
vei^ndert  haben,  nicht  mehr  von  salva  fore  recipere,  sondern 
nur  ob  ea,  quae  salva  receperit  (in  gutem  Zustande  empfangen), 
obligatur.  Und  die  Rubrik  unseres  Titels  lautet  denn  auch 
nur:  Nautae,  caupones,  stabularii,  ut  recepta  restituant. 

Eine  Bestätigung  der  bisherigen  Entwicklung  dürfte  das 
receptum  arbitrii  darbieten,  auf  dessen  höchst  merkwürdige 
Parallele  mit  unserem  Institut  schon  oben  hingewiesen  worden 
ist,  namentlich  S.  420  Note  1.  Auch  hier  war  für  den  arbiter 
wahrscheinlich  die  Formel  recipio  technisch,  bis  später  }ede 
auch  formlose  dahin  gerichtete  Uebereinkunft  genügte. 
Ulpian  libro  XIII  ad  Ed. 

1.  3  §  2  de  receptis,  qui  arbitrium  receperunt,  ut  sen- 

tentiam  dicant   (4,  8):   Ait  Praetor:    Qui  arbitrium 

pecunia  compromissa  receperit. 

1.  13  §  2  eod.:   Recepisse  autem  arbitrium  vide- 

tur,  ut  Pedius  libro  nono  dicit,  qui  judicis  partis 

suscepit,    finemque   se   sua  controversüs   imposi- 

turum  pollicetur. 

So  findet  sich  auch  hier  neben  dem  regelmässigen  recipere 

(1.  3  §  1.    1.  7  §  1.    1.  9  §  2.    1.  17  §  2.    1.  19  §  l.    1.  21 

§§  5,  9  D.  h.  t.)  mitunter  der  Ausdruck  suscipere  (1.  3  §  3. 

1.  4.    1.  16  pr.    1.  32  §  4  h.  t.    1.  6  C.  eod.  2,  55).    Und  der 

Kodextitel  2,  55  (56)  hat  die  Ueberschrift  de  receptis  arbitris. 

Hat  sich   in  dieser  Weise  die  gesetzliche '  Garantiepflicht 

'  Denn  dui  die,  wenigsteiu  itillachwetgeDde,  AnnRlime  durch  wiiient* 
liehet  EiDbringeDlaswD  erforderlich  *ei,  ergibt  Mch  aniweideutig  au  dea  Et- 
Crtcrnngen  Dliei  die  Befngnifi  der  Schiifilenle  znr  RecepüoD.  1  i  §§  3,  3  h.  U 
Vgl.  obeD  5.  410  Note  i. 

>  Daher  kann,  wie  g  i  l>«incrkt  norden  itt,  im  hentig«n  Recht  d«» 
receptam  Dicht  zu  den  Vertritgen  geilelll  werden,  loadem  nur  lu  den  gCMti- 
lichen  (prStoriichen)  Obligations*erhiltniuen.  Hon  wollte  dem,  mit  nel«n 
AelUren  und  Neueren,  z.  B.  Peckius  und  Vinoiu»  in  tit.  D.  et  C  >d  rem 

,Goo!;lc 


440  ^^  receptum  nantarum,  caaponum,  lUbuIariomm. 

der  klassischen  Zeit  aus  einem  ursprünglich  ausdrücklidien 
Garantieversprechen  herausgebildet,  so  liegt  es  nahe,  dasselbe 
mit  einigen  anderen,  den  gleichen  Zweck  verfolgenden  Insti- 
tuten zusammenzustellen,  ich  meine  mit  der  Uebemabme  der 
Gefahr  und  der  custodia.  Diese  Betracbtmig  wird  dazu  dienen, 
den  im  §  6  aufgestellten  zweiten  Satz  sicher  zn  begrenzen. 


VI.  Von  der  Uebernahme  der  GefUir  und  der  custodia. 


I.  Ausgeschlossen  von  der  folgenden  Betrachtung  bleiben 
die}enigen  Fälle,  wo  der  Inhalt  der  GefahrsUbematune  in  der 
Garantie  gegen  die  Insolvenz  eines  Dritten,  in  einer  Kredit- 
versicherung besteht,  wie  bei  Bürgen,  Municipalmagistraten, 
Deleganten  u.  s.  f.  Ebenso  die  umfassende  Kaution  bis  rebus 
recte  praestari  (1.  71  §  l  de  V.  S.  [50,  16].  1.  21  §  2  de 
aedil.  ed.  [2!,  ij). 

Für  die  auf  Sachleistung  gerichteten  Geschäfte  wird  die 
Gefahrsübemabme  als  allgemein  zulässig  anerkannt  in  1.  23 
de  R.  J.  (50,  17) :  sed  hoc  ita ,  nisi  si  quid  nominatim  con- 
ventt,  vel  plus,  vel  minus,  in  singuUs  contractibus,  nam  hoc 
servabitur,  quod  initio  convenit,  und  bei  einer  grossen  Zahl 
derselben  in  verschiedenen  Abstufungen  erwähnt. 

So  beim  Depositum  bald  als  blosse  Uebernahme  der 
culpa,  bald  der  culpa  et  periculum,  omne  periculum'.  Beim 
Kommodat'.  Beim  Pfandvertrag^  Beim  Darleben 
durch  den  Gläubiger  im  Falle  des  foenus  nauttcum  und  quasi- 


naadcam  pertinentes  comnieiitarü  h.  t,;  Noodt,  Comment.  in  Dig.  h.  t.; 
Glück  VI  S.  io6.  112,  laiff.;  Wolter»,  >.  ».  O.  S.  2,  3.  6ff.,  die  gani 
ungegTÜndele  Behauptung  aufstellen,  dais  schon  der  öffentliche  Gewerbibetrieb 
eine  lolche  GanmlieÜbernahDie  endialle.  Daneben  tritt  denn  auch  wieder  der 
richtige  Gedanke  in  Tage,  dus  die  Aufnahme  «elbct  die  GatantieObemahiiK  in 
lieh  schliesse,  altein  Grund  and  hiatorischet  ZuiaminenhaDg  bleibt  ungeaJuit 

■  §  a  J.  vi  bonor.  rapt.  (4.  *).  1.  a  gg  23,  U  D.  eod.  (47.  »).  1.  39 
mand.  {17,  i).  1.  1  §  35  depo».  (16.  3).  1.  5  §  i  comiD.  (13,  6).  1.  19  pr. 
de  hered.  pet.  (5,  3).  I-  7  §  IS  de  pact.  {1,  14)-  1.  9  §  i  de  duob.  rri» 
(45.  ')■ 

■  !.  31  g  I   commod.     L   1   C  eod.  (4,  23). 
1  1.  6  C.  de  pign.  act.  (4,  24). 


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Von  der  Ucbemahme  der  GeFalir  and  der  custodia.  441 

nauticum'.  Bei  der  Dos».  Beim  Kauf,  und  zwar  beim 
bedingten  durch  den  Käufer  ^,  beim  perfekten  durch  den  Ver- 
käufer, als  Uebemahme  der  Gefahr  für  vis  ac  tempestas,  oder 
für  Verschlechterung*.  Auch  werden  Fälle  von  Lieferungs- 
verträgen erwähnt,  in  welchen  der  Staat  die  See-  und  Kriegs- 
gefahren übemahms.  Bei  der  Conductio,  rei  wie  operis*. 
Beim  Mandat^ 

Sehen  wir  ab  von  den  wenigen  Fällen,  wo  diese  Erweite- 
rung der  Haftung  vertragsmässig  genau  begrenzt  oder  doch 
ersichtlich  nur  gegen  gewisse  Zufälle  einer  Garantie  über- 
nommen ist,  z.  B.  gegen  das  Zerbrechen  des  zu  fassenden 
Steines  in  I.  13  §  5  locati,  so  tritt  uns  überall  das  Resultat 
entgegen,  dass  die  ausdrtlckliche  Uebemahme  der  Gefahr 
schlechthin  die  Haftung  für  den  Zufall,  und  zwar  für  jede  Art 
desselben  nach  sich  zieht,  ohne  alle  Unterscheidung  der  ge- 
wöhnlichen und  der  ungewöhnlichen  Unglücksfälle". 

Eine  stillschweigende  Uebemahme  aller  Gefahr  liegt  regel- 
mässig in  der  aestimatio  des  zu  restituirenden  Gegenstandes' 
—  mit  Ausscheidung  der  beiden  Ausnahmefälle,  dass  die  aesti- 
matio den  einzigen  Gegenstand  der  obligatio  bildet,  imd  dass 
die  aestimatio  nur  eine  vertragsmässige  Feststellung  des  nach 
der  Natur  des  Verhältnisses  zu  vertretenden  verschuldeten 
Schadens  enthält". 

■  Vgl,  meine  Untersuchungen  inr  1.  133  §  i  de  V.  O.  S.  6 — 9,  21.  12. 
Ueb«r  foenus  quasi  nauticum:  1.  5  pr.  de  tuint.  foen.  (aa,  z),  vgl.  mit  1.  23 
§  2  q.  m.  C.  (4.   2). 

>  1.  6  de  poct.  dotaJ.  (zj,  4). 

J  1.  10  pr.  de  P.  et  C.  (18,  6). 

«  1.  78  §  3  de  C.  E.  (18,  1).  1.  I  pr.  de  P.  et  C.  (18,  6).  Dmu  die 
Zeitschrift  für  Handelsr.  I  5.  76  fr.,  S6,  89,   loj. 

i  Vgl.  Sueton  Ckudiua  c  18.  LJv.  23,  49.  25,  2.  Vgl.  Cicero  ep.  ad 
fam.  11,   17.     Daiu  Pardetsu«,  Collect.  1  p.  JttT. 

*  Rei:  1.  9  §  2  locati  (19,  2);  vgl.  1.  8  C.  h.  t.  (4,  65).  beschrinfct  1.  30 
§  4  locati.     Operii:  1.  13  8  S  eod. 

^  1.  39  mandati  (17,   i)-     '-  3^  C  de  neg.  geitia  (a,   iS  [19]). 

'  Vgl.  Gldck  IV  §  327;  Schümann,  Die  Lehre  Tom  Schadensersati 
II  S.  68;  Koch,  Das  Recht  der  Forderungen  I  S.  190,  202,  303  [2.  AuH. 
S.  200,  212,  213];  V.  HoUschuher,  Theorie  und  Kaniinik  III  S.  256  [3.  Aufl. 
S.  190];  Uolerholiner,  SchaldTerhSItDisK  I  §138;  Mommien,  Beitrl^  I 
S.  273  (f. 

•>  Gajus  III  146.  1.  10  g  6  de  jure  dot  (23,  3).  1.  5  S  3  coinni. 
(13,  6)-     I-  54  8  *  lo"ti  («9.  2)- 

»  ChambOD,  Beitrlfe  zum  Obligationenrecfat  S.  9E 

,. ,,.«:,,  Google 


442  I^u  receptum  ntutanim,  canponum,  MabuUHornm. 

II.  Weniger  einstimmig  ist  die  Theorie  hinsichtlich  der 
praktischen  Bedeutung  einer  Ueberaahme  der  custodia.  Viele 
sehen  darin  eine  unbedingte  Uebemahme  jedes  casus ',  Andere 
wenigstens  in  Betreff  des  Diebstahls,  wie  der  Sklavenflucht, 
und  der  Beschädigungen  *,  wieder  Andere  nehmen  dasselbe  doch 
hinsichtlich  des  EHebstahls  an',  wahrend  Hasse  geneigt  ist*, 
überhaupt  eine  juristische  Erhöhung  der  obligatio  in  Abrede 
zu  stellen. 

Dass  die  Uebernahme  der  custodia  durch  einen  ohnehin 
zur  custodia  verpflichteten  Schuldner  eine  Verstärkung  der 
gesetzlichen  Haftung  zu  begründen  vermag,  deutet  Gaius  in 
1.  35  §  4  de  C.  E.  (18,  1)  an: 

Si    res   vendita    per    furtum   perierit,    prius    animad- 
vertendum  erit,   quid  inter  eos  de  custodia  rei  con- 
venerat;   sinihil   appareat  convenisse,    talis 
custodia  desideranda  est  a  venditore,  qualem  bonus 
paterfamilias  suis  rebus  adhibet;  quam  si  praestiterit, 
et  tarnen  rem  perdidit,  securus  esse  debet  — , 
Ausdrücklich  ausgesprochen  ist  dieser  Satz  in  einer  Reihe 
von  Pandektenfragmenten  und  Reskripten,   welche   sammtlich 
von  einer  wichtigen  Art  der  locatio,  der  entgeltlichen  Auf- 
bewahrung in  Magazinen  (horrea) ',  haoddt. 

Bei  den  Missverständnissen,  welche  sich  durchgängig  an 
einzelne  derselben,  ausser  Zusammenhang  mit  den  übrigen  be- 
trachteten, geknüpft  haben  —  wie  denn  sogar  Hasse  be- 
zweifelt ,  dass  sie  auf  unsere  Frage  bezüglich  seien  — ,  er- 
scheint ihre  vollständige  Mittheilung  zweckmässig. 

Paulus   libro    II    Sententiarum    in   1,   55   D.    locatL 

■  Sch6mann,  Handbuch  des  ariliechts  I  S.  290  ff. ,  1[  S.  S76  S.; 
Geniler  im  Archir  f.  driL  Fnucis  I  S.  416  ff. ,  476fr.;  Mahlenbinch, 
PandekMn  %  365  Note  13;  UnterhoUner,  Schuldverhilmim«  I  §  138 
Note  b  all  Regel;  ThSI,  Hindelincht  3.  AuO.  %  77  Note  5(!>  [6.  Aufl. 
%  268  Not.  6];  dagegen  v.  Löhr,  Beitiige  aar  Theorie  der  Colpa  S.  199, 
200;  Mommiea,   Bntrige  I  S.  375. 

'  Braun,  ErBrterungeD  zaThibaut  S.  153,  153,  17S;  t.  Vangerov, 
Pandekten  [7,  Aufl.]  I  g  105. 

i  Fachta,  Pandekten  und  VorletutiKen  [11.  Aufl.]  g  366;  Scbilling, 
LutitatioDen  III  g  334  Note  r. 

*  Kc  Culpa  §  9S.     Klai  spricht  er  sich  darüber  nicht  aus. 

I  Ueber  diese  vgl.  Brissonia*,  Seleciae  «ntiqnit.  Üb.  IV  c.  g  18; 
Muther,  SequeilratioD  und  Airest,  Beilage  I. 


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Von  der  Vebenuhme  der  Gtfaht  and  der  custodia.  443 

Dominus  horreorum  effractis  et  compüatis 
horreis  non  tenetur,  nisi  custodiam  eorum  recepit; 
servi  tarnen  ejus  cum  quo  contractum  est,  propter 
aedificiorum  notitiam  in  quaestionem  peti  possuot. 
Labeo,  Posteriorum  libro  V  a  Javoleno  epitomatorum 
in  1.  60  §  9  eod. 

Rerum  custodiam,    quam  horrearius  conduc- 
toribus    praestare    deberet ,    locatorem    totorum 
horreorum  horreario  praestare  non  debere  puto, 
nisi  in  locando  aliter  convenit. 
L.  60  §  6  eod. 

Locator  horrei  propositum  habuit,  se  aurum, 
argentum ,  margaritam  non  recipere  suo  periculo ; 
deinde,  quum  sciret,  has  res  inferri,  passus  est; 
proinde  eum  futurum  tibi  obligatum  dixi,  ac  si  pro- 
positum fuit  remissum;  videtur. 
L.  1  C.  de  locato  (4,  65)  =  Collatio  X  9. 

Paulus  libro  Respoasorum 
quinto  sub  titulo  ex  locato  et 
conducto : 
Imp.  Antoninus  A.  Agrip-  §  1.    Imp.  Antoninus  Julio 

pino.  Dominus  horreo-  Agrippino.  Dominus  horreo- 
rum periculum  vis  majoris  vel  rum  periculum  vis  majoris  vel 
effracturam  latronum  conduc-  effracturae  latronum  praestare 
tori  praestare  non  cogitur.  His  non  cogitur.  His  cessantibus, 
cessantibus,  si  quid  eztrinsecus  si  quid  ex  (de)positis  rebus, 
ex  depositis  rebus,  illaesis  hör-  inlaesis  extrinsecus  horreis, 
reis,  perierit,  f^ammim  deposi-  periit,  damnum  depositorum 
tarum  rerum  sarciri  debet.  sarciri  debet  Prop.  IV  Non. 
P.  P.  prid.  Non.  Jan.  Anto-  Nov.  Antonino  A.  IV.  (et  Bai- 
nino  A.  IV  et  Balbino  Conss.  bino)  Conss. 
[213].  Paulus  respondit  satis  pro- 

positam  coostitutionem  decla- 
rare,    his   qui  horrea   locant, 
majorem    vim    imputari    non 
posse. 
L.  4  C  de  locato  (4,  65). 

Imp.  Alexander  A.  Arrio  Sabino.  Et  Divi  Antonini 
Pii  literis  certa  forma  est,  ut  domini  horreorum 
effractorum  ejusmodi  querelas  deferentibns  custodes 


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444  I^  receptam  nauurata,  c&uponnm,  ttabulujaruin. 

exhibere  necesse  habeant,  nee  ultra  periculo  ^bjecti 
sint.  Quod  vos  quoque  adito  praeside  provinciae 
impetrabitis.  Qui  si  majorem  anitnadversiooem  exi- 
gere  rem  deprehenderit ,  ad  Domitium  Ulpianum, 
praefectum  praetorio  efc  parentem  meam,  reos  re- 
mitiere oirabit.  Sed  qui  domini  horreorum 
nominatim  etiam  custodiam  repromise- 
runt,  idem  exhibere  debent.  P.  P.  Cal.  De<Äinb. 
Alexandro  A.  Cons.  [222]. 
Paulus  in  I.  3  §  2  de  off.  praef.  vigil.  (1,  15). 

Effracturae  fiunt  plerumque  in  insulis  in  horreis- 
que,  ubi  homines  pretiosissimam  partem  fortunarum 
suarum  reponunt;   quum   vel  cella  effringitur,   vel 
amarium,  vel  arca,  et  custodes  plerumque  puniun- 
tur,  ut  Divus  Antootnus  Erycio  Claro  rescripsit. 
Ait  enim,   posse   eum  horreis  effractis  quaesttooem 
habere  de  servis  custodibus,  licet  in  illis  ipaus  Impe- 
ratoris  portio  esset. 
Aus  diesen  Stellen  ergibt  sich  zunächst ,  gegen  die  ge- 
wöhnliche Annahme,  dass  unter  dominus  horrei,  locator  horrei 
und  horrearius  regelmässig   dieselbe  Person   verstanden  wird, 
nämlich  der  Eigenthümer  des  Magazins,  welcher  Waaren  zur 
entgeltlichen   Aufbewahrung   in  demselben   übernimmt.     Aus- 
nahmsweise ist  der  dominus  und  locator  horrei  nicht  zugleich 
horrearius  ■ ,   indem  er  das  Magazin  im  Ganzen  an  Jemanden 
vermiethet,   der  nun  den  einzelnen  Inferenten  als  horrearins 
gegenUbertritt. 

Wo  nun  der  dominus  horrei  zugleich  horrearius  ist,  haftet 
er  fUr  custodia,  also  gegen  einfachen  Diebstahl,  nicht  aber 
gegen  gewaltsamen  Einbruch  und  Plünderung:  quia  custodia 
adversus  vim  parum  proficit  (1.  31  pr.  de  A.  E.  V.  19,  1^ 
nur  muss  er  die  Wächter  zur  peinlichen  Frage  exhibiren.  Hat 
er  indessen  die  custodia  noch  überdies  ausdrückUch  Über- 
nommen, so  steht  er  auch  für  Einbruch  und  Plünderung 
ein,  ohne  übrigens  —  das  will  1.  4  cit.  C  de  locato  a.  E. 
sagen  —  der  im  Interesse  der  Strafrechtspflege  gebotenen 
Exhibition  der  Wächter  überhoben  zu  sein. 

Wenn  aber  ausnahmsweise  der  Eigenthümer  des  Magazins 


■  So  Tielleicht  I.  $6  locati.     Gewjgs  L  3t  §  i  qui  potiora  (ao,  4). 

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Von  dei  Uebernalun«  der  Gebhi  nnd  der  custodia.  445 

nicht  zugleich  horrearius  ist,  so  hat  er  selbstverständlich'  eben- 
sowenig dem  horrearius  (dem  conductor  totius  horrei)  als 
denen,  welche  mit  dem  letzteren  kontrahirt  haben,  custodiam 
zu  leisten,  es  sei  denn  das  Gegeotheil  ausgemacht. 

Das  Hauptgewicht   hat   man   von   jeher   auf  den  berüch- 
tigten §  3  J.  de  emtione  et  venditione  (3,  23)  gelegt: 

Quum  autem  emptio  et  venditio  contracta  sit  — 
periculum  rei  venditae  statim  ad  emptorem  pertinet, 
tamenetsi  adhuc   ea   res  emptori   tradita   non  sit. 
Itaque  si  homo  mortuus  sit,   vel   aliqua   parte  cor- 
poris laesus  fuerit,  aut  aedes  totae,  vel  aliqua  ei 
parte  incendio  consumptae  fuerint  —  emptoris  dam- 
num  est,  cui  necesse  est,  licet  rem  noo  fuerit  nactus, 
pretiom  solvere,   quidquid   enim   sine  dolo  et  culpa 
venditoris  acciderit,   in  eo  venditor  securus  est.  — 
Quodsi    fugerit    homo ,    qui    veniit,    aut    surreptus 
fuerit,  ita  ut  neque  dolus  vel  culpa  venditoris  inter- 
veniat,    animadvertendum    erit,   an    custo- 
diam ejus  usque  ad  traditionem  venditor 
susceperit:    sane   enim   si    susceperit,    ad 
ipsius  periculum  is  casus  pertinet;  si  non 
susceperit,  securus  est.    Idem  et  in  cete- 
ris   animalibus   ceterisque    rebus   intelU- 
gimus.     Utique   tarnen   vindicationem   rei   et   con- 
dictionem  exhibere  debebit  emtori,   quia  sane,   qui 
nondum  rem   emtori  tradidit,   adhuc   ipse  dominus 
est.    Idem  est  etiam  de  furti  et  de  damni  injuriae 
actione. 
So  viel  geht  klar  hervor,  dass  nach  der  Ansicht  Tribo- 
nians    die    besondere   Uebemahme  der    custodia  eine  Ver- 
stärkung der  Haftung  bewirken  soll,  und  in  diesem  allgemeinen 
Sinne  ist  auch   der  Satz  idem  et  in  ceteris  rebus  von  uns  zu 
verstehen.     Dass  Tribonian  mit  demselben  mehr  hat  sagen 
wollen,   und   zwar  etwas  Unrichtiges,   nämlich,   dass  Sklaven 
und  andere  Objekte  hinsichtlich  der  Verpfüchtimg  zur  custodia 
einander  gleichständen,   kann   freilich  weder  nach  dem  Wort- 
laut,   noch    nach    dem  Zeugniss   des  Theophilus  irgend 
zweifelhaft  sein'. 


<  Vgl.  auch  V.  SaviEiv,   Syilem  I   S.  3S5  Note  d;   Mommsen,   Bei- 
tilg«  1  S.  131  Note  13.     Wenn  Haise   §  98   einwendet,   dau  kebe  «gent- 


ogic 


44ö  ^"^  receptuin  ti*nuniiii,  cftupocum,  st&bnl>rionim. 

Eine  Verstärkung  der  Haftverbindlichkeit  für  den  be- 
sprochenen Fall  fuhrt  unsere  Stelle  an,  indem,  was  sonst 
regelmässig  casus,  d.  h.  unvertretbar  wäre,  nämlich  fuga  und 
subreptio  servi  nun  vertreten  werden  soll  wegen  der  Ueber- 
nahme  der  custodia.  Von  diesem  sonst  nicht  vertretbaren 
Ereigniss,  i  s  casus,  spricht  T  r  i  b  o  n  i  a  n ,  keineswegs  von  jedem 
möglichen  Zufall,  wie  Gensler,  a.  a.  O.  S.  477  will,  auch 
wohl  schwerlich  von  einem  damnum  injuria  datum,  welches 
Hasse  herbeizieht.  Denn  der  Schlusssatz  will  nur  sagen:  In 
allen  FMlen,  wo  der  Verkäufer  nicht  für  furtum  haftet,  ist  er 
wenigstens  zur  Abtretung  aller  Rechte  und  Vortheile  ver- 
bunden, wie  er  denn  insbesondere  auch  zur  Cession  der  ihm 
als  EigenthUmer  zustehenden  actio  legis  Aquiliae  verpflichtet 
ist,  weil  er  für  Beschädigungen  durch  Hhitte  überhaupt  nicht 
einzustehen  pflegt.  Will  man  indessen  dem  Schtusssatz  in 
Verbindung  mit  dem  idem  et  in  ceteris  rebus  noch  eine  be- 
stimmtere Bedeutung  geben,  so  würde  daraus  nur  folgen,  dass 
bei  Uebemahme  der  custodia  eine  verstärkte  Haftung  sowohl 
hinsichtlich  des  Diebstahls  wie  der  Beschädigung  eintritt.  — 

Hiemach  dürften  aus  den  vorliegenden  Quellenzeugnissen 
sich  folgende  einfache  Sätze  gewinnen  lassen: 

1,  Ueber  den  wahren  Inhalt  einer  vertragsmässigen  Ueber- 
nahme  der  custodia  entscheidet  zimüchst  der  erkennbare  Wille 
der  Kontrahenten. 

2.  Ist  dieser  nicht  zo  ermitteln,  so  muss  unterBchieden 
werden: 

a)  Es  ist  gesetzlich  keine  custodia  zu  prästiren.  Hier  hat 
die  vertragsmässige  Uebemahme  derselben  die  gleiche,  aber 
auch  keine  höhere  Verantwortlichkeit  zur  Folge,  als  in  anderen 
Fällen  das  Gesetz  auferlegt :  nämlich  Obhut  gegen  Entwendung 
ohne  Anwendung  von  Gewalt. 

b)  Es  ist  gesetzlich  fUr  custodia  einzustehen.  Die  ob^- 
drein  vertragsmässig  erfolgte  Uebemahme  der  custodia  hat 
hier  entweder  gar  keinen  Sinn,  ist  ein  bedeutungsloser  Zu- 
satz —  was  nach  allgemeinen  Auslegungsregeln  im  Zweifel 
nicht  angenonunen  werden  darf;   —  oder  sie  führt  zu  einer 

liehe  Veraclued«ah«it  der  Recbtuitte,  soadem  nur  «ine  faktische  Vetschiedcn- 
heit  d«r  catlodia  hinsichtlich  der  Sklaven  und  anderer  Objekte  galt,  sa  ist 
doch  nicht  m  vericenncn,  dass  sich  an  diese  faktische  Venchiedenhät  im 
Resultat  eine  Verschiedenheit  der  rechtlichen  Haßung  anschlois. 


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Retulute.  447 

Erhöhung  der  gesetzlichen  Verpflichtung,  zu  einer  Haftung 
auch  für  solche  Ereignisse,  welche  an  sich  nicht  imputabel, 
als  casus  zu  betrachten  wären,  sich  dennoch  aber  durch  Auf- 
wendung ausserordentlicher  Sorgfalt  abwenden  lassen,  EHese 
wird  hier  ausnahmsweise  zur  Pflicht  gemacht.  Natürlich  lassen 
sich  keine  Regeln  für  alle  Fälle  geben,  das  richterliche  Er- 
messen hat  überall  die  Totalität  des  vorliegenden  Verhältnisses 
ins  Auge  zu  fassen,  unter  steter  Rücksicht  darauf,  dass  zwar 
Obhut,  aber  auch  nichts  mehr  versprochen  worden  ist.  So 
wird  denn  allerdings  in  solchen  Fällen  gegen  gewaltsamen 
Diebstahl,  mitunter  auch  wohl  gegen  Beschädigungen  durch 
Dritte,  eingestanden  werden  müssen,  weil  und  sofern  durch 
besondere  Vorsichtsmaassregeln  dem  vorgebeugt  werden  kann; 
schwerlich  aber  gegen  Plünderung  durch  ganze  Räuberbanden, 
feindliche  Heerschaaren,  keinenfalls  gegen  in  concreto  unver- 
meidliche Naturereignisse.  Die  vertragsmässige  Verpflichtung 
zur  Obhut  involvirt  die  Anwendung  aller  auch  aussergewöhn- 
lichen  Maassregeln,  welche  unter  den  vorliegenden  Umständen 
geeignet  und  erforderlich  erscheinen,  um  Verletzungen  und 
Entwendungen  des  zu  behütenden  Guts  vorzubeugen;  mehr  in- 
dessen kann  auch  hier  nicht  verlangt  werden.  — 

VII.   Resultete. 


In  Anwendung  auf  unser  Institut  scheint  Folgendes  ge- 
wonnen. 

Der  ursprüngliche  Garantievertrag  des  Schiffers  oder 
Wirths,  aus  welchem  später  dessen  gesetzliche  Haftimg  her- 
vorging, stellt  sich  durchaus  nicht  als  Uebemahme  zufälliger 
Gefahr  (periculum  casus)  dar,  sondern  lediglich  als  Ueber- 
oahme  der  custodia,  und  wird  in  diesem  Sinne  in  den  Quellen 
selbst  aufgefasst:  1.  1  §  8  h.  t.:  recipere  custodiam,  1.  5  pr. 
h.  t:  custodiae  nomine  tenetur,  1.  un.  §  4  furti  adv.  nautas: 
recipiendo  periculiun  custodiae  subit  Vgl.  §  4,  insbesondere 
auch  S.  419  Note  1. 

Gehen  wir  nun  von  dem  regelmässig  •  vorliegenden  civilen 


*  UebrigeiK  kommt  et  tchwerlich  in  Betracht,  dm  unter  UmtlXnden  nur 
depositiuD  oder  locatio  condnctio  rei  vorLegL    Denn  et  hat  im  Edikt  hinsieht- 


448  ^"^  receptum  nauunim,  cauponain,  stabulariorum. 

Rechtsverhältniss  einer  locatio  conductio  operis  ans,  so  ist  hier 
die  Haftung  für  custodia  schon  gesetzUch  begründet,  daher 
die  weitere  Garantieerklärung  jene  Verpflichtung  zur  Obhut 
in  dem  soeben  entwickelten  Sinne  verschärft  und  manche 
sonst  als  casus  betrachtete  Ereignisse  in  den  Kreis  der  Ver- 
antwortlichkeit hineinzieht.  Ist  auch  das  Edikt  älter  als  jene 
dargestellte,  durchaus  der  klassischen  Jurisprudenz  angehftige 
Theorie  über  das  pactum  custodiae,  und  war  damals  der  aus- 
drückliche Garantievertrag  auch  schon  antiquirt,  so  dass  etwa 
eine  direkte  Uefiertragung  jener  Theorie  auf  unser  Institut 
ausgeschlossen  erscheint,  so  lässt  sich  doch  mit  aller  Sicher- 
heit annehmen ,  dass  die  klassischen  Juristen  den  Recipienten 
nicht  in  geringerem  Grade  haben  haften  lassen  als  den  con- 
ductor  operis  bei  übernommener  custodia,  da  sie  einerseits  die 
singulare  Strenge  des  Instituts  wiederholentlich  hervorheben, 
andererseits  sich  bemühen,  wie  die  oben  angegebenen  Aus- 
drücke erweisen,  dasselbe  möglichst  in  den  Rahmen  des  Rechts- 
systems einzupassen.  Und  es  war  das  für  sie  um  so  eher 
möglich,  als  die  Vorschrift  des  Edikts  entweder  absolut  und 
unbedingt  zu  verstehen  war  —  wogegen  sich  der  juristische 
Sinn  schon  eines  Labeo  empörte  1.  3  §  1  h,  t.'  —  oder 
aber,  wenn  man  einmal  die  unbedingte  Restitutionspflicht 
fallen  liess,  nur  die  Jurisprudenz  eine  Grenze  der  Verpflichtung 
ziehen  konnte. 

Wenn  also  ein  Schiffer  in  unbekannter  Gegend  oder  an 
einem  Orte,  wo  notorisch  viel  gefährliches  Gesindel  sich  umher- 
treibt, ohne  Noth  anlegt  oder  doch  nicht  für  besonders  starke 
Bewachung  seines  Fahrzeuges  sorgt,  so  sind  auch  gewaltsame 
Diebstähle  von  ihm  zu  vertreten.  Wenn  ein  Wirth  an  der 
Landstrasse  oder  gar  im  Walde  keine  Vorkehrungen  getroffen 
hat ,  um  nöthigen  Falls  dem  Anfalle  weniger  Räuber  wider- 
stehen zu  können,  so  werden  ihm  die  dabei  sich  ereignenden 
Beschädigungen  und  Entwendungen  allerdings  zugerechnet 
werden  können.  Wenn  ein  Stall,  ein  Magazin,  in  welchem 
Pferde  oder  Reisegepäck  untergebracht  werden,  nur  mit  Stroh 

lieh  der  Haftong  dcE  Recipieoteo  zwischen  diescD  verachiedenen  RechtsverhUt- 
aiweD  kein  Unleischied  gemacht  werden  lollen,  und  der  Hauptfall,  an  welchen 
sich  die  Übrigen  anschllestea,  ist  der  de«  SAUta. 

■  Vgl.  oben  co  S.  430  Note  1,  namentlich  die  ganz  iihalicben  Vorgänge 
beim  receplum  arbitrii. 


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Resultate.  449 

gedeckt  ist,  und  um  deswillen  von  einem  in  der  Nachbarschaft 
ausbrechenden  Feuer  ergriffen  wird,  während  die  übrigen  mit 
Ziegeln  oder  Asphalt  gedeckten  Gebäude  unversehrt  bleiben, 
so  ist  auch  das  zu  vertreten.  Dagegen  kann  auch  hier  ver- 
ständiger Weise  nicht  verlangt  werden,  dass  der  Wirth  in 
einer  belebten  Strasse,  der  Schiffer,  welcher  neben  der  Hafen- 
wache vor  Anker  liegt,  besondere  Wachen  gegen  Einbruch 
und  Raub  aufstelle;  dass  er  gar,  was  wirklich  behauptet  worden 
ist,  den  Reisenden  gegen  Diebstähle  und  Beschädigungen  durch 
dessen  eigene  Leute  vertrete!  Hier  gilt  das  sibi  imputaturus 
quod  talem  elegit '.  Ebensowenig  begründet  ist  die  unbedingte 
Verantwortlichkeit  fUr  einfachen  Diebstahl  oder  für  Feuer  im 
Gasthause  oder  Schiffe  selbst.  Wie  z.  B.,  wenn  bei  einer 
Strandung  die  Berger  stehlen  ?  wenn  sich  gehörig  verpackte 
Stoffe  entzünden,  deren  gefährliche  Beschaffenheit  und  Neigung 
zur  Selbstentzündung  bis  dahin  durchaus  unbekannt  war,  oder 
welche  unrichtig  deklarirt  waren,  wie  z.  B.  Wolle,  Schiess- 
pulver, Chemikalien?  wenn  im  Wirthshause  die  Gasröhren 
platzen?  wenn  der  Dritte,  welcher  einen  Gast  besucht,  in 
irgend  einem  abgelegenen  Winkel  des  Hauses  seine  noch 
glimmende  Cigarre  abgeworfen  oder  mit  einem  schnellzUnden- 
den  Stoffe  absichtlich  Feuer  angelegt  hat? 

Der  zweite  Satz  des  §  6  bestimmt  sich  sonach  dahin : 
Weder  findet  unbedingte  Haftung  für  damnum 
und  furtum  statt,  soweit  solche  nicht  von  den 
Dienstleuten  und  Passagieren  ausgehen,  noch 
auch  nur  die  gewöhnliche,  sondern  eine  in  beiden 

■  Durchaus  nicht  Itii  e[ne  solche  exorbitante  Haftung  spricht  die  mehr- 
fach angelogene  1.  ä  §  l  h.  t.  Dort  wird  allerdings  die  PSnalkla^  gegen 
den  Schiffer  gestattet,  dessen  Schiffsmann  das  Delikt  verübt  hat,  wenngleich 
dieser  Schiffsmann  ein  eigener  Siel ave  des  Beschädigten  ist.  Aber  nur  aus  dem 
Grunde,  weil  die  Ponalklage  unbedingt  füi  alle  Fälle  der  Delikte  der  Mano- 
scliaft  gegeben  ist.  Diese  logische  Konsequenz  eracheiot  anch  nicht  unbillig, 
weil  der  Sklave  des  Befrachters  als  Schiffsmann  der  BolmSssigkeit  und  Auf- 
sicht seines  Herrn  entzogen  ist,  und  ihre  etwaige  Hirte  wird  gemildert  durch 
die  ansdrücklich  hervorgehobene  Möglichkeit  des  R^resses,  welchen  der  Schiffer 
gegen  den  Herrn  entweder  mit  der  NoEslklage  oder  aus  dem  etwa  voriiegendea 
Kontraktsverhältniss  nehmen  darf.  Vgl.  auch  I.  nn.  §  5  furti  adr.  nautas. 
Uebrigens  kommen  sogar  Erweitemogen  dieses  Edikll  vor  I.  7  §  3  h.  t.,  und 
die  Deliktsklage  wird  iwar  nicht  de  pecnho,  aber  doch  quod  jossu  gegeben. 
1.   7  §  ult.  h.  t. 

Goldicliniidt,  Tenuiidite  Sctariftan.  n.  39 


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450  ^^  receptum  nautarum,  cauponuni,  ilabnUriorum. 

Beziehungen  verstärkte,  deren  Umfang,  unter 
Berücksichtigung  des  Grundgedankens  unseres 
Instituts  und  der  bezweckten  strengen  Haftung, 
der  Richter  im  einzelnen  Falle  nach  vernünftigem 
Ermessen  zu  bestimmen  hat.  Nur  was  darüber 
hinausliegt,  ist  nicht  vertretbarer  Zufall:  vis 
major,   damnum   fatale  im  Sinne  unserer  Lehre. 

VIII.   Prozessualisches.    Der  Beweis. 
§  10. 

I.  Der  Schiffer  hat  die  Ladung  in  unversehrtem  Zustande 
abzuliefern.  Ihn  trifft  die  Beweislast,  dass  er  durch  ein,  nach 
den  Regeln  unseres  Instituts  nicht  vertretbares  Ereigniss  dazu 
ausser  Stand  gesetzt  sei.    Vgl.  oben  zu  S.  421  Note  1. 

Aus  der  Zahl  der  nicht  vertretbaren  Ereignisse  scheiden 
schlechthin  aus'  sowohl  seine  eigenen  und  seiner  Leute 
Handlungen  und  Unterlassungen ,  wie  die  beschädigenden 
Handlungen  der  Passagiere. 

Dagegen  erscheinen  als  nicht  vertretbar: 

1.  Naturereignisse  und  Handlungen  anderer  als  der  ge- 
nannten Personen,  welche,  ungeachtet  aller  irgend  möglichen 
und  durch  die  Umstände  gebotenen  Vorsicht,  weder  abzu- 
wenden, noch  abzuwehren,  noch  in  ihren  schädlichen  Folgen 
vermeidlich  waren.  Vgl.  oben  S.  426  Note  1,  2.  Dabei  genügt 
nicht  die  nackte  Erweisung  der  zur  Entschuldigung  auf- 
gestellten Thatsachen,  sondern  es  müssen  auch  die  Umstände 
dargelegt  werden,  unter  denen  sie  sich  ereignet  haben,  um 
dem  Richter  die  Möglichkeit  einer  Ueberzeugung  hinsichtlich 
der  Entschuldbarkeit  zu  gewähren ».  Die  Natur  des  fraghchen 
Vorganges  ist,  wie  oben  S.  427  Note  1  angedeutet  wurde, 
hierbei  nicht  ohne  Einfluss.  Denn,  wenn  Ereignisse  dieser 
Art  in  der  Regel  unabwendbar  und  unvermeidlich  sind,  so 
wird  allerdings  der  Gegner  replicando  erweisen  müssen,  dass 
im  vorliegenden  Falle  dennoch  nur  Verabsäumung  möglicher 
Sorgfalt  den  Schaden  bewirkt  hat^ 

■  Vgl.  jetzt  auch  Koch,  Eiienbihnen  II  S.  410. 
'  EinvcrtUuideD  damit  Koch,  a.  a,  0.  S.  420. 

1  L.  3  9  I  h.  [.  Vgl.  Mommsea,  Beiträge  I  S.  136;  Koch,  a.a.O. 
S.  Z76ff.,  420;  PacdetstLS,  Coors  de  droit  commercia]  Nr.  543;  Alaaiei, 

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Pruzessualisches.     Der  Beweis.  451 

2.  Ereignisse,    welche   lediglich    auf   eigene    Schuld    des 
Reisenden   oder   Befrachters    zurückzuführen   sind,    z.   B.   auf 
schlechte  Verpackung  der  Waare,  nach  der  allgemeinen  Regel   . 
der  1.  203  de  R.  J.  (50,  17):  Quod  quis  ex  culpa  sua  damnum 
sentit,  non  intelligitur  damnum  sentire'. 

3.  Innerer,  auch  bei  gehöriger  Vorsicht  nicht  abwend- 
barer Verderb  oder  natürlicher  Abgang  der  Waare'. 

Dass  übrigens  der  dem  Schiffer  obliegende  Beweis  nur 
nach  den  Grundsätzen  der  I.  26  C.  de  naufr.  (11,  5)  durch 
Verklarung  erbracht  werden  könne,,  wie  Pardessus,  Coli.  I 

CommenUire  da  Code  de  commerce  Nr.  46S;  Entscheidungen  dea  Ober- 
appellalionsgerichls  zu  Lübeck  (bei  Thöl,  EntscheidungsgrOnde  Nr.  ait ; 
Senffert'B  Archiv  IV  Nr.  100,  VII  Nr.  31,  XI  Nr.  84;  ZeiUchrift  für 
Handelirecht  I  S.  573  ff.);  Dresden  (Seufferf»  Archiv  I  Nr.  338,  11  Nr.  49, 
VII  Nr.  12$,  VIII  Nr.  48);  Dekrete  de»  btemischen  Handelsgerichts  vom 
19.  Mai  1855  and  6,  April  1854  (Schletter's  Jahrbücher  II  S.  318); 
Sammlung  einiger  nünibergischen  Handelsrechtsgenohnheilen,  Nürnberg  1846, 
S-  34—38  paaüm. 

■  L.  II  §  II.  1,  45  §  I  de  A.  E.  V.  (19,  i).  I.  13  g  8  de  aedil.  ed. 
(ZI,   0-     1-   ^9  §    '■     !.  55  pr-     i.   5Ö   §§  i.   3-     1-  66  pr.   de  evict.  (31,  2). 

I.  63  (61)  §§  5,  7  de  furtis  (47,  a).  Consolato  del  mare  c.  21  (Pardessus,  Col- 
leclioQ  II);   Hambui^er  Statut  von   1603  JI,  14  Art.  34;   A.L.R.  I,  6  g§  18  ff., 

II.  S  §§  447i  451:  holllind.  Handelsgesetzbuch  Art.  345;  vgl.  die  Entschei- 
dungen des  Oberappellalionagerichts  lu  Dresden  (Seuffert 's  Archiv  II  Nr.  49, 
VII  Nr.  325,  VIII  Nr.  48),  Stuttgart  (eod.  VII  Nr.  40,  III  Nr.  166),  Lübeck 
(eod.  IV  Nr,  114).  Andere  Urtheile  bei  Kncli,  Eisenbahnen,  Anlagehefl 
b.  331  ff.,  154  ff..  305  ff.;  Mittermaier,  Deutsches  Privalrecht  II  §  540; 
Beseler,  Deutsches  Friratrecht  Ilt  5.  355  [4.  Aufl.  II  5.  iioz];  Pardessas, 
Coan  de  droit  commercial  Nr.  545;  Alauiet,  a.  a.  O.;  Vincens,  Exposition 
raisonnfe  t.  I  p.  623;  v.  Kaltenborn,  Grundsfitte  des  praktischen  europE- 
ischen  Seerechts  I  S.  340  ff.,  373ff.;  Koch,  Eisenbahnen  11  S.  33,  133, 
28Sff..  431;  Beschorner,  Das  deutsche  Eisenl>ahnrecht  S.  344. 

»  L.  13  §  5.  1.  33.  1.  625  vgl  mit  l.  15  §  I  looti  (19,  a).  1.  14  §  I 
depowti  (16,  3).  I.  27  g  39  ad  1^.  Aquil.  (9,  2).  1.  24  §§  a,  3  de  damno 
inf.  (39,  3).  Consolato  del  mare  c.  324;  A.L.R.  11,  8  g§  1734,  1886;  Code 
de  commerce  art.  103,  310;  holländisches  Handelsgesetibuch  Art.  343;  spa- 
niichei  Handelsgesetzbuch  Art.  3oS;  portugisisches  Handelsgesetzbuch  Art.  178; 
brastlianisches  Handelsgesetzbuch  Art.  loz ;  Oberappellationsgericht  in  LUlieck 
(.fieuffert's  Archiv  tV  Nr.  114,  VII  Nr.  310);  bremisches  Handelsgericht 
(Schletter's  Jahrb.  II  S.  318);  hambargisches  Handelsgericht  (Ullrich, 
Sammlung  von  seerechtlichen  Erkenntnissen  des  Handelsgerichts  in  Hamburg, 
I.  Heft,  S.  68,  143);  Oberlnbansl  zu  Berlin  (Striethorsi's  Archiv  XXXII 
S.  344  ff.);  Mittermaier,  a.  a.  O.;  Beseler,  a.  o.  O. ;  v.  Kaltenborn, 
n.  a.  O.;  Hey«e,  Handelsrecht  S.  371;  Koch,  Eisenbahnen  JI  S.  l84ff., 
228  ff.,  354  ff. 

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452  ^^  receptam  nautanioi,  «iiponum,  sMbuIariürum. 

S.  87  Note  7  behauptet,  ist  nicht  einmal  nach  den  Grund- 
sätzen des  heutigen  Seerechts  begründet,  wenngleich  die  Ver- 
klarung regelmässig  genügt  und  von  den  Interessenten  verlangt 
werden  kann ". 

Schliesslich  mag  noch  bemerkt  werden ,  was  selbst 
V.  Savigny  bei  seiner  Aufzählung  der  actiones  arbitrariae 
(System  V  §  223)  übersieht,  dass  die  actio  in  factum  de  recepto 
eine  actio  arbitraria  war.  Dies  ergibt  nicht  allein  nicht  die 
Formel  des  Edikts  »nisi  restituent«,  sondern  bestärkt  auch  die 
Analogie  der  verwandten  actiones  depositi  und  locati.  Daher 
hier  die  Feststellung  des  klägerischen  Interesses  durch  Wür- 
digungseid schlechthin  zulässig  ist '. 

II.  Die  heutige  Anwendbarkeit  der  prätorischen  Straf- 
klagen ist  im  §  2  erörtert  worden.  Sie  sind  gegen  die  Erben 
nur  bis  auf  den  Betrag  der  Erbschaft  zulässig  und  erfordern 
den  Nachweis  des  Klägers,  dass  Dienstleute  des  Schiffers  oder 
Wirths  oder  Inständige  Bewohner  des  Gasthauses  die  Urheber 
des  darzulegenden  Verlustes  oder  Schadens  sind,  und  dass 
das  Delikt  an  den  im  Raum  des  Schiffes,  Wirtbshauses,  Stalles 
befindlichen  Personen  oder  Sachen  begangen  ist. 


DL  Aussßhliessung  und  Beschränkung  der  Haftung. 

§  u. 

Es  ist  neuerdings,  namentlich  in  der  Praxis  der  rheinischen 
und  französischen  Gerichte,  den  Regeln  des  receptum  und 
den  aui  der  Theorie  des  receptum  beruhenden  Normen 
neuerer  Gesetzbücher  ein  absoluter  Charakter  beigemessen 
worden,  dergestalt,  dass  jede  Ausschliessung  oder  Beschränkung 
dieser  Haftung  unzulässig  sein  solle'.    Von  entgegengesetzter 


'  Vgl.  V.  Kaltenborn  I  S.   172  ff.,  II  S.  aagff. 

»  *.  Vangerow,  Pandekten  I  g  171  [7.  Aufl.  ehd.J;  Wetiell,  System 
des  Civilproiesses  [3.  Aufl.]  g  38;  Mammsen,  Beililige  II  S.  zjgEr.,  auv 
drücklich  schon  im  Edict  Theodorici  cap.  119  (vgl.  oben  S.  410  Nole  3). 

3  Vgl.  Gilbeit  zu  Code  civil  i;g3  ff.  not.  7,  8,  16;  in  Code  de 
commerce  loj.  not.  1,  i,  3,  6,  Die  franiösischcn  Schtirtsteller  aatenchuden 
indessen  mitunter  zwischen  gewöhnlichen  Frachtfahrern  und  den  monopoÜBiteo 


iOgIc 


Ausschliessung  and  Beachränltung  der  Haftung.  453 

Seite  hat  man  sich,  wie  auf  die  allgemeinen  Regeln  des 
Civilrechts,  so  insbesondere  auf  1.  7  pr,  nautae  berufen.  Es 
schweben  sodann  Streitfragen  über  die  Art  der  Ausschliessung, 
ob  einseitige  Protestation  des  Rezipienten,  und  zwar  noth- 
wendig  vor  oder  auch  nach  der  Rezeption,  genüge,  oder  ob 
ausdrückliche  Uebereinkunft  erforderlich  sei ',  —  Fragen  von 
grossem,  praktischem  Gewicht,  namentlich  für  den  Land- 
transport, welchen  man  ja  häufig  den  Normen  des  receptum 
unterstellt,  und  für  das  Verhältniss  des  Wirths  zu  den  Gästen, 
von  geringerem  für  den  Schiffstransport,  weil  hier  eine  koa- 
stante  Praxis  vorliegt,  und  die  übliche  Zeichnung  und  An- 
nahme des  Konnossements  Existenz  und  Inhalt  einer  vertrags- 
mässigen  Uebereinkunft  regelmässig  ausser  Zweifel  stellt. 


TruupoitansUlten ,  [ndem  sie  bei  ersteren  wenigstens  einen  aasdrUcklichen 
Vertrsg  gelten  lassen.  Vgl.  Huttcau,  Tralti  du  contrat  de  lonage  de»  voi- 
turien  (Paris  l8o6,  im  AnhaDg  zu  Pothiei,  Trailj  du  contrat  de  loaage)  p.  407, 
408;  Pardeasus,  CoQrs  de  droit  commercial  nr,  543,  553;  Alsuiet,  Com- 
mentaire  du  Code  de  commerce  ar.  464,  467;  Clamageran,  Du  louage 
d'JDdastrie,  du  mandat  et  de  la  commission.  Paris  1856  nr.  zzo,  223,  324; 
Ha>s6  und  Vttgi,  Le  droit  civil  frangais  par  K.  S.  Zach^riae,  tradult, 
■nnotf  etc.  t.  IV.  §  709  not.  lo,  11,  16.  Unter  den  deutschen  SchriftEtellern 
nur  Beichorner,  Das  deutsche  Eisenbahnr.  S.  240  fT.,  261  S.,  nnd  im  Arch. 
f.  dvil.  Praxis  Bd.  41  5.  393  ff.;  Voigt  in  der  Deutschen  Vierleljahnschiift 
1859  Nr.  85.  Dagegen  meine  Bcmerltungen  im  Archiv  f.  dvil.  Praxis  Bd.  41 
5.  406ff.  (Urtheile  deutscher  Gerichte  S.  410  Note  6);  Bessel  und  KUbl- 
wetter,  Das  preussische  Eisenbahnrecht  II  S.  211  ff-,  und  namentlich  Koch, 
Eisenbahnen  II  §§  7,  9,  II,  13.  15,  und  da«  Anlage  XXVI  S.  307  ff.  mit- 
getheilte  Unheil  des  Obertribnnals  zu  Berlin  v.  6.  Juli  1858;  BTinckmaan- 
EndemanD,  Lehrbuch  des  Handelsrecht!  §  114  Note  iS,  %  117  Note  S— to. 
Uebei  die  hSußgen  Klauseln  der  Konnossemente :  v.  Kaltenborn ,  GrundsStie 
des  praktischen  europfiisclien  Seerechls  I  S.  34s,  374,  375;  Voigt  jun.  im 
Henea  Archiv  f.  Handelsrecht  I  S.  487  ff.  Ueber  englisches  und  amcrikaniiches 
Recht:  Smith,  Compendium  of  mercantite  law.  6.  Aufl.  S.  287  ff.,  307  ff. 
[9.  Aufl.  S.  283?.,  303  ff.];  MittermaieT  im  Archiv  f.  dvil.  Praxis  Bd.  41 
S.  415 — 417.  Ueber  die  einscfalfigigen  Bestimmungen  des  Entwuifi  de*  deutschen 
Handelsgesetibnchs;  Meine  BemerliQngBn  im  Archiv,  Kritik  des  Entwürfe  bei 
Koch  a.  a.  O.  S.  319  ff.,  und  Kompe,  Der  Entwurf  eines  allgemeinen 
deatscbeo  Handeligeaetztuchs.  Regensbnrg  1S59  S.  30  ff.  Uebei  das  Ztlrcbe- 
rische  Geselsbuch  vgL  unten  S.  459  Note  3. 

'  Vgl.  Muller,  Ueber  die  actio  de  recepto  S.  3»,  33;  Puchta,  Vor- 
lesuDgen  II  §  314;  Seuffert,  Pr«kt.  Pandekteor.  II  g  40S;  S.  29a  A.L,R. 
II  8,  §§  448,  4SO- 


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454  I^  reeeptum  nautarum,  canponnm,  stibDlariornm. 

I.  Für  die  erste  Frage  gewährt  1.  7  pr.  nautae  aller- 
dings keine  direkte  Entscheidung.  Die  hierhin  gehörigen 
Worte  Ulpian's: 

Item    si    praedixerit ,   ut   unusquisque  vectorum  res 
suas  servet ,   neque  damniun  se  praestiturum ,   et  con- 
senserint  vectores  praedictloni,  non  convenitur. 
beziehen  sich  auf  den  vorhergehenden  Passus: 

Debet  exercitor  omnium   nautanun   suorum,    sive 
liberi  sint  sive  servi,  factum  praestare.    Nee  immerito 
factum    eorum    praestat,    cum    ipse  eos  suo   pericnio 
adhibuerit;   sed  non  alias   praestat,   quam   si   in  ipsa 
nave  damnum   datum  sit:   ceterum,   si  extra  navem: 
licet  a  nautis,  non  praestabit. 
Sie  gehören,  wie  die  ganze  1.  7,  nicht  der  Lehre  vom 
receptum,   sondern   dem  Institut    der  prätorischen  Strafklageo 
an,   dessen  Theorie  in  §  2  dargestellt  worden  ist     Die  prae- 
dictio    mit    nachfolgendem  consensas  schliesst   hier   nicht  die 
gesetzliche  Garantieverpflichtung  gegen  Entwendung  und  Be- 
schädigung aus ',  sondern  befreit  von  der  sonst  obliegenden 
unbedingten  Vertretung   der  Dienstleute,     Die  praedictio    ut 
unusquisque  vectorum  res  suas  servet«  trifft  femer  nicht  direkt 
die  gleichfalls  der  Theorie  des  receptum  unterliegenden  Fälle', 
in  welchen  ein  reiner  Waarentransport  stattfindet. 

Dass  diese  mögliche  Beschränkung  der  Verbindlichkeit 
eben  nur  hier,  und  nicht  auch  bei  der  actio  de  recepto  er- 
wähnt wird ,  erscheint  keineswegs  zufällig ,  vielmehr  selbst- 
verständlich, sofern  anders  wir  das  wahre  Wesen  des  receptum 
in  einem  ursprünglich  ausdrücklichen,  später  subintelligirten 
Garantieversprechen  zu  erblicken  haben.  Garantieversprecheo 
und  Ausschliessung  der  Garantie  sind  unverträglich  —  mit 
der  Ausschliessung  der  Garantie  hört  das  Verhältniss  auf, 
unter  die  Theorie  des  receptum  zu  fallen,  und  unterliegt 
lediglich  den  Normen  des  civilen  Vertragsverhältnisses,  unter 
welchen  es  abgesehen  von  dem  saivum  fore  recipere  steht'. 


'  Deren   Eiistenz  hier  vOUig  irrelevant  ist:   1.  un.  §  3  furti  adv.  i 
Vgl.  ob«n  %  3. 

*  Vgl.  oben  S.  404  Note  3. 
3  VgL  oben  S.  405  ta  Note  3. 


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Ausscblieisung;  und  BeschtinkuDg  der  Haftung.  455 

Andererseits  ist  unverkennbar  die  1.  7  cit.  für  unsere 
Lehre  nicht  ohne  Bedeutung.  Denn  wenn  schon  die  Stellung 
in  demselben  Titel  für  die  analogische  Anwendung  derselben 
auf  das  receptum  spricht,  so  muss  weiter  berücksichtigt 
werden,  dass  die  actio  de  recepto  mit  der  Ponalklage  nicht 
allein  die  äussere  Quelle,  das  prätorische  Edikt,  sondern  auch 
das  rechtspoHtische  Motiv  —  die  Verstärkung  des  Verkehrs- 
schutzes gegenüber  gewissen  Klassen  von  Gewerbetreibenden  — 
gemein  hat.  Gestattete  nun  die  Praxis  sogar  den  Strafklagen 
gegenüber,  deren  absoluter  Charakter  am  ehesten  angenommen 
werden  durfte,  eine  vertragsmässige  Beschränkung,  hat  sie 
also  sogar  diesen  den  absoluten  Charakter  entzogen,  so  wäre 
die  Aufrechterhaltung  desselben  für  die  Geschäftsklage  eine 
reine  Anomalie  gewesen,  um  so  mehr,  da,  wie  oben  gezeigt 
worden ' ,  die  Jurisprudenz  der  scheinbar  unbedingten  Regel 
des  Edikts  gegenüber  eine  mildere  Interpretation  zur  Geltung 
gebracht  hat,  —  während  das  Verbot  jeder  vertragsmässigen 
Beschränkung  eine  nur  ihr  zur  Last  fallende  Schärfung 
gewesen  wäre.  Ist  nämlich  die  geschichtliche  Entwickelung 
unseres  Instituts  von  uns  richtig  dargestellt  worden,  so  hat 
nicht  schon  das  Edikt,  sondern  erst  die  Jurisprudenz  die 
Selbstverständlichkeit  der  Garantieverpflichtung  eingeführt ". 
Zuvor  also  bedurfte  es  gar  keiner  Ausschliessung,  sondern 
nur  der  Nichtübemahme.  Soll  nun  die  Jurisprudenz  nicht 
allein  dies  Verhältniss  umgekehrt,  sondern  noch  weiter  sogar 
die  Möglichkeit  der  Ausschliessung  für  alle  Zukunft  verneint 
haben? !  Zur  Annahme  einer  so  gewaltsamen  Aenderung 
des  bisherigen  Rechts  nöthigt  uns  nichts.  Nirgends  eine 
Andeutung  von  der  absoluten  Natur  unseres  Instituts ',  da- 
gegen   vielmehr    die   bedeutsame   Analogie   der  POnalklagen. 


■  Vgl.  ob«n  S.  420  Note   i  und  %  9. 

'  Vgl  oben  S.  438  Note  1  ff. 

i  Auch  nicht  etwa  der  Satz  der  1.  i  §1  h.  t. :  ne  quitquam  put«t 
graviter  hoc  adversus  cos  constitutum;  num  est  in  ipsorum  arbitrio,  ne  quem 
recipiant,  etc.  Denn  derselbe  will  keinejwegi  sagen,  dass  zwar  die  Eingehung 
des  Verhältnisses  in  ihrem  Willen  liege,  der  rechtliche  Inhalt  des  einmal  ein- 
gegangenen Verhältnisses  dagegen  absolut  feststehe— sondern  narr  Eatschliesseii 
^ie  sich  zur  Eingehung  des  VerfaSItnisses ,  so  mOssen  sie  auch  die  rechtlichen 
Folgen  desselben  tragen,  —  ebenso  wie  1.  5  C  de  O.  et  A.  (44,  7)  —  also 
einseitige  willkürliche  Entziehung    ist    ausgeschlossen,    keinesw^s  aber  noch 

OOQ 


456  I^ai  leceptum  nauurum,  cauponum,  siabuloriurum. 

Auch  die  mehrtach  angeführte  1,  un.  g  4  D.  furtiadv.  nautas: 
Quodsi  receperit  saivum  fore  caupo  vel  nauta,  furti  actioncm 
non  dominus  rei  subreptae,  sed  ipse  habet,  quia  recipieado  peri- 
culum  custodiae  subit  —  will  wohl  keineswegs  nur  die  gewiss 
seltenen  Fülle  treffen,  in  denen  Güter  ganz  ohne  Wissen  und 
Willen  des  Schiffers  oder  Wirths  eingebracht  sind,  deutet 
vielmehr  auf  das  häufige  Vorkommen  vertragsmässiger  Aus- 
schliessung der  Garantie'. 

So   bleibt  es   denn   auch  hier  bei  der  allgemeinen  Regel. 

welche   derselbe  Ulpian  in  1,  23  de  R.  J.  (50,   17)  ausspricht: 

Contractus    quidam   dotum   malum   dumtasat    reci- 

piunt,  quidam  et  dolum  et  cutpam  —  sed  haec  ita,  nisi 

si  quid  nominatim  convcnit  (vel  plus,  vel  minus)  in 

singulis  contractibus :   nam  hoc  servabitur,  quod  initio 

coDvenit  (legem  enim  contractus  dedit)  — . 

und    auch    sonst    mehrfach    ausgesprochen   und   angewendet 

wird ' ,   entsprechend  der  oben  besprochenen  vertragmässigen 

Erweiterung  der  gesetzlichen  Haftung.    \"gl.  {;  8.    Und  es  ist 

kein  Zweifel,  dass  diese  allgemeine  Regel  auch  diejenigen  Fülle 

umfasst,   für   welche  die  Voraussetzungen  der  1.  7  pr.  nautae 

nicht  zutreffen,  den  blossen  Sachentransport 

II.  Die  zweite  Frage  dagegen  wird  durch  unser  Fragment 
direkt  entschieden.  Ulpian  erfordert  praedicere  und  con- 
sensus,  und  für  die  Ausschliessung  der  actio  de  recepto 
offenbar  nicht  minder,  als  für  die  Beseitigung  der  POnalklagen. 

Praedicere  bezeichnet  eine  der  Vertragsschliessung 
vorausgehende  Erklärung,  gerichtet  entweder  an  jeden 
einzelnen  Kontrahiningslustigen,  mündlich  oder  durch  Zirkulare, 
oder   altgemein  an  alle   durch  öffentlichen  Anschlag  in  oder 

AbSnderung  durch  Vertrag.  Nehmen  wir  dqd  gar  das  recipere  in  seiner  ur- 
iprttnglichen  Bedeutanf  als  Garantkversprechen ,  eo  ist  die  Unmöglichkeit  dci 
CDtgegergegeliten  Auilegung  klar,  weit  ja  nur  Aat  (freLwillige)  Versprechen 
über  den  Inhalt  der  VerpflichtuDg  entscheidet. 

■  Ungeachtet  also  die  1.  7  pr.  h.  t.  nicht  direkt  unserer  Lebte  angeböil, 
ISut  sich  deren  Benutzung  in  der  hier  veriuchten  Weise  um  deswillen  achwei- 
lieh  mit  Radorf  [ROmischi:  Rechtsgeschichte  II  %  loS  Note  12)  all  *dn 
Irrlhum  der  Neueren«  beieichnen. 

>  1.  I  §g  6,  10,  depositi  (16,  3).  1.  60  §  6  locati  vgl.  aatea  S.  457- 
1.  55  §  4  1.  71  pr.  de  C.  E.  (i8,  1).  1.  7  §  S-  I-  37  §  3  d<  P"t«  (=.  MJ- 
I.  6  de  pactis  dotal.  (2J,  4).     1.  27.  §  29  ad  ]rg.  Aquil.  (<},  z). 

o;;lc 


A  ussch  Hess  Uli  g  und  BeichrSnkung  der  HafLung.  457 

vor   dem   Vertragslokal,    durch    Insertion   in   die  öffentlichen 
Blätter  u.  dergl.  m.". 

Eine  praedictio  in  diesem  Sinne  wird  häufig  erwähnt,  sei 
es  um  den  Umfang  der  gesetzlichen  Verpflichtung  zu  mindern ', 
sei  es,  um  einer  gesetzlichen  Pflicht,  deren  Vernachlässigung 
zu  einer  umfassenderen  Haftung ' ,  oder  zur  Befreiung  des 
Schuldners  <  führen  würde,  Genüge  zu  thun. 

Je  nach  dem  Zwecke  der  praedictio  genügt  schlechthin 
die  unzweifelhaft  einseitige  Erklärung,  oder  es  ist  weiter  noch 
die  wirkliche  Zustimmung  der  etwa  Benachtheil  igten  erforder- 
lich. So  erfordert  consensus  auch  die  lehrreiche  1.  60  §  6 
locati : 

Locator  horrei  propositum  habuit   se  aurum  argeo- 
tum    margaritam    non    recipere    suo   periculo ;    deinde 
cum  sciret   bas  res   inferri,   passus  est:   proinde  eum 
futurum   tibi    obligatum   dixi,    ac    si   propositum    fuit 
remissum  videtur. 
Labeo  geht  offenbar  davon  aus,   es  sei  vielleicht  zweifel- 
haft,  ob  der  Einbringer  der  Kostbarkeiten  den  Anschlag  ge- 
lesen oder  dessen  nicht  ganz  zweifellosen  Sinn  richtig  verstanden 
habe,    er  habe   vielleicht  auch   gedacht,    dass  der  horrearius 
sich   anders  besonnen.     Sache  des  letzteren  wäre  es  gewesen, 


'  Proponere,  proscribere,  nicht  allein  für  Geselle,  Ediltte  und  deren  In- 
halt, wie  Klagen,  Exceplionen  a.  s.  f.,  sondern  auch  fUr  FrivaterklSruDgeD. 
1.  t  §  lo  depDsiti:  Sequcmur  tarnen,  ut  Pomponius  ixt,  aut  quid  habuenint 
proscriptum,  Kut  quid  conveneriL  1.  34  §  l  de  Etatul.  (40,  7) :  prosciibat-aut 
etiam  literis  ad  eum  missls  palam  facUc.  1.  II  §§  3 — 4  de  instit.  act.  (14,  3). 
1.  60  g  6  locati  (19.  2).     1.  4  §  6  de  dainno  iaf.  (39,  ■2). 

'  Gajui  IV.  136.  1.  60  g  6  locati. 

)  Nach  den  Regeln  des  ädilitischen  Edikts :  praedicera  oder  pronuntiare. 
I.  I  §  I.  1.  17  §  19.  1.  31  §  I.  I.  sa  de  aedil.  ed.  (ll,  1)  vgl.  1.  15  §  l 
de  «Utul.  {40,  7)-  I.  26  §  7  mandati  (17,  l).  Ferner  I.  7  pr.  qui  »itisdare 
cog.  (3,  8). 

4  Gajua  IIT.  123,  Pfoiesaualisch  von  Seiten  des  PrStors  oder  dei 
Kiägeri  behufs  einer  praescriptio :  I.  48  §  7  de  aedil.  ed.  (21,  l).  1.  7  §  2 
de  heced.  pet.  (5,  3).  Profiten.  Cod.  Gregor,  XII,  (Hänel  p.  37).  Im  Sinne 
von  ansagen,  rathen,  befehlen,  warnen,  findet  eich  praedicere  z.  B.  bei  Corne- 
lius Nepos  Them.  VII,  15  und  bei  Vellejus  Paterculus  II.  82.  2.  II.  57,  i. 
Dagegen  mebr  juristisch,  lum  Zweck  einer  Erhöhung  der  rechtlichen  Haftung, 
in  dem  bekannten  Bericht  über  Mnmmius  bei  Vellejus  Patercul.  I.  13,  4: 
jnberet  praedici  conducentibus,  M  eas  perdidissem,  novas  eos  leddituros. 

•OOQ 


458  Das  Tcccptum  Daularom,  cauponam,  EtabDlarionim. 

durch  eine  ausdrückliche  unzweideutige  Erkiäning  jedem 
Zweifel  über  seinen  Willen  vorzubeugec. 

In  welcher  Weise  die  Zustimmung  erfolgen  müsse,  ist 
nicht  weiter  bestimmt.  Selbstverständlich  genügt  auch  dne 
stillschweigende,  sofern  nur  die  Umstände  eine  solche  unzwei- 
deutig ergeben. 

Damit  erledigt  sich  die  bekannte  Streitfrage,  ob  ein  An- 
schlag im  Gasthofe  oder  gar  erst  im  Gastzimmer  zur  Ab- 
lehnung der  Verantwortlichkeit  genügen  könne.  Der  Wirth 
mag  beweisen,  dass  der  Reisende  jenen  Anschlag  bereits  vor 
seiner  Aufnahme  in  den  Gasthof  gekannt  und  nicht  protestirt 
habe'.  Ebensowenig  würde  eine  Notiz  der  Art  auf  dem 
erst  nach  Abgabe  des  Reisegepäcks  ausgehändigten  Gepäck- 
scheine genügen,  sofern  nicht  durch  die  Gesetzsammlung  publi- 
zirte  oder  doch  vor  dem  Bureau,  namentlich  der  Kasse  höchst 
offenkundig  angeschlagene  Reglements  die  Beschränkung  aus- 
sprechen '.   — 

Ein  solcher  Vertrag  kann  übrigens  eine  engere  und  eine 
weitere  Bedeutung  haben.  Eine  engere,  dass  nur  die  Haftung 
ex  recepto  ausgeschlossen  sein,  dagegen  die  weniger  um- 
fassende aus  dem  civilen  KontraktsverhSltniss  bestehen  bleiben 
soll'.  Eine  weitere,  dass  gar  keine  Verantwortlichkeit  be- 
stehen bleibt  —  dolus  natürlich  ausgenommen*.  Ist  die 
Haftung  allgemein  ausgeschlossen,  so  dürfte  Letzteres  anzu- 
nehmen sein '. 

An  der  Beweislast  ändert  ein  solcher  Vertrag  nichts*. 


■  Allerdioga  Itaiin  unter  Umsltlndeii  es  als  VerschuldunE  de»  Reisenden 
erscheinen .  dosa  et  die  vom  Wirth  durch  den  ihm  bekannt  gewordenen  An- 
schlag dargebotene  Gelegenheit  zur  siclieren  Verwahrung  seiner  EfTekten  nicht 
benntil  hat.  Von  diesem  Standpunkt  aus  liesse  sich  das  Urlheil  in  Seufferl's 
Archiv  X  Nr.  i6j  rechtfertigen. 

*  Ita  Dt  de  plnno  legi  possit. 

3  Vgl.  BlStter  fUr  Rechtsan Wendung  in  Bayern  B.   17,  S.  198. 

*  Ob  auch  lata  culpa?  Gegen  die  bejahende,  innerlich  gewiss  begrSe- 
dete  gemeine  Meinung  v.  Wächter,  WBrttemberg.  Privatrecht  II  S.  791 
Note  19,  20. 

s  Argum.  I.  17  §  19  ad  leg.  AquU.  (9,  2).  Nicht  entgegen  1.  47  pr.  de 
peculio  (15,  1),  weil  die  Haftung  pecoiio  tenus  unabhfiagig  von  dem  WÜIen 
des  Gewalthabers  einliitt. 

*■  Koch,  Eisenbahnen  II  S.  £9,  315,  42t,  421. 


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Anischlieisung  und  BeschrSaknng  der  Haftung.  459 

Neben  dieser  völligen  Ausschliessung  jeder  Haftung  sind 
weniger  umfassende  möglich  und  Üblich,  z.  B.  es  solle  nur  für 
(erweisliche)  Schuld  des  Rezipienten  oder  seiner  Gehülfen,  es 
solle  nur  für  gewisse  Schäden,  z.  B.  nur  für  Seegefahr,  oder 
nicht  für  gewisse  Schäden'  eingestanden  werden;  es  solle  im 
Falle  einer  Ersatzverbindlichkeit  nicht  das  volle  Interesse, 
sondern  nur  ein  gewisser  Maximalsatz  vergütet  werden  u.  dgl,  m. 
Die  Beweislast  wird  in  diesen  Fällen  nach  der  Art  der  Be- 
schränkung zu  regeln  sein.  So  trifft  dieselbe  den  Befrachter, 
wenn  nur  für  gewisse  Schäden,  oder  nur  für  erweisliche 
Schuld  der  Dienstleute  gehaftet  werden  soll,  oder  wenn  mit 
der  Klausel  ^Inhalt  unbekannt*  gezeichnet,  oder  etwa  be- 
stimmt ist,  dass  »jeder  Feuers-  und  Wasserschaden  als 
von  unwiderstehlicher  Gewalt  herrührend  erachtet  werden 
soll..  — 

Wie  weit  die  hier  entwickelten  Grundsätze  auch  bei  den 
Dampfschifffahrts-  und  Eisenbahnuntemehmungen ,  deren  Be- 
urtheilung  nach  der  Theorie  des  receptum  vorausgesetzt, 
wegen  ihres  faktischen  Transportmonopols  Anwendung  finden, 
soll  hier  nicht  untersucht  werden'.  Mir  scheint  gewiss,  dass 
das  faktische  Monopol  und  sonstige  Privilegien  dieser  An- 
stalten vom  Standpunkt  des  geltenden  Privatrechts 
ohne  jedes  Gewicht  sind ,  und  dass  Rechtsnormen,  welche  an 
sich    der   Abänderung    durch    den   Willen    der    Betheiligten 


'  Z.  B,  nicht  für  Gasseilicb  nichterkeiinbare  BescbSdtgungen,  fUr  Genichts- 
defekle  u.  s.  f.  Dahin  gehören  auch  die  öblichen  Konoossemeolsklauseln  »frei 
von  Bruch,  Leckage,  Rost«.  »Inhalt,  Gewicht,  Maass,  SiQckzabl  unbekaanl«, 
•frei  TOD  Beschüdigung'  u.  s.  f.;  BUsch,  Darstellung  der  Handlung  It 
S-  3S7.  370  (Zui,  S8).  Näheres  in  den  auf  S.  452  Note  3  angeführten  Schriften. 
Vgl.  auch  Entwurf  ciaea  Handelsgesetzbuchs  f.  d.  preussischen  Staaten 
Art.  485,  497.  Deutseber  Entwurf  erster  Lesung  Art  524,  545,  546  und 
daiflber  die  eingehenden  BeralhoDgen ,  Protokolle  (ofliuelle  Folioaasgabe) 
S,  2213 — M16,  m6o— 3301. 

'  Vgl.  die  auf  S.  452  Note  3  angeführte  Lileiatur,  und  mein  Gut- 
achten über  den  Entwurf  eines  deutschen  Handelsgesetzbuchs  nach  den  Be- 
schltlssen  zweiter  Lesnng:  Zeitschrift  fitr  d.  ges.  Handelsrecht  IH.  Beitage- 
heft S.  109 — 112,  Gesetilicb  enttchieüen  und  iwar  in  dem  hier  entwickelten 
Sisne  ist  die  Streitfrage  nur  in  dem  privatrechtlichen  Gesetzbuch  für  den  Kajilon 
Zürich,  zwar  nicht  ausdrücklich,  allein  nach  Inhalt  der  Kommissionsberathongen 
zu  den  §§  1655,  1668,  997,  looo.  Vgl.  die  Ausgabe  desselben  mit  Erllute- 
rungen  Ton  Bluntschli,  Bd.  HL  (Zürich   1855)  S.  543,  549. 


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460  Dm  receptuni  nantarum,  citapununi,  alabulariorum. 

unterliegen,  durch  hinzutretende  Gesichtspunkte  der  Art  nicht 
zu  Zwangsvorschriften  werden,  ihre  Ausschliessung  nicht  als 
Verstoss  gegen  öffentliches  Recht  oder  Grundsatze  der  Sitt- 
lichkeit erachtet  werden  könne. 


X.    Heutlg^e  Geltung  der  actio  de  recepto.    Beiträge 
zur  Geschichte  der  Rezeption,  insbesondere  im  Seerecht. 

§  12. 

Die  römische  Theorie  des  receptum  ist  unzweifelhaft  in 
di^  Praxis  und  die  Gesetzbücher  des  abendländischen  Europa 
übergegangen,  und  insbesondere  ein  Bestandtheil  unseres  ge- 
meinen deutschen  Rechts  geworden.  Die  Miss  Verständnisse, 
deren  Aufhellung  die  vorstehenden  Erörterungen  bezweckten, 
vermögen  die  volle  Geltung  der  richtig  verstandenen  römischen 
Regeln  nicht  auszuschliessen,  zumal  sie  weniger  die  praktischen 
Resultate,  als  die  dogmatische  Konstruktion  und  systematische 
Stellung  unseres  Instituts  betreffen.  Anders  verhält  es  sich  aller- 
dings mit  den  zu  S,  420  Note  3  und  S.  421  Note  1  bemerkten  Miss- 
verständnissen sehr  vieler  Aelteren,  da  diese  auch  zu  praktisch 
durchaus  abweichenden  Ergebnissen  und  zu  einer  voUkommen 
irrigen  Grenzbestimmung  zwischen  der  Theorie  des  receptum 
und  den  bloss  civilen  Kontraktsverhältnissen  führten.  Haben 
nun  auch  diese  irrigen  Ansichten  in  die  Partikularrechte  riel- 
fach  Eingang  gefunden,  so  kann  doch  von  einer  gewohnheit- 
lichen Fixirung  des  Inhalts  der  römischen  Quellen  zu  keiner 
Zeit  gesprochen  werden,  um  so  weniger,  als  die  verbreiteten 
IrrthUmer  nur  als  Ausflüsse  weitergehender  Missverständnisse, 
namentlich  über  die  Theorie  der  culpa  erscheinen.  Es  wird 
also  genügen,  dass  man  den  römischen  Quelleninhalt  hat 
adoptiren  wollen ,  wenn  auch  erweislich  nur  die  Haftung 
für  levissima  culpa  eingeführt  worden  ist.  Dies  ist  nament- 
lich überall  da  anzunehmen,  wo  Schiffer,  Wirthe  und  Fuhr- 
leute nach  durchaus  gleichen  Grundsätzen  behandelt  werden'. 

■  Siehe  unien  S.  468  Note  i,  S.  469  Note  4—6,  S.  47»  Note  i, 
S.  4S1  Note  3,  a.  483  Note  3,  4.  So  bemerkt  aur.h  Hutteaa,  Du 
coDtrat  de  looüge  des  voituriers.  (Paris  1806,  im  Anhang  m  Pothier,  Tnütj 
du  contrat  de  louage)  p.  37a.     -Cetle  al^nil£  enire  c«  trois  sorte«  de  pcisoDoe 


I-Ieulige  Gellimg  der  actio  de  recepta.  461 

Gegen  dieThatsache  der  Rezeption  '  würden  selbst  gewichtigere 
innere  Gründe  nicht  entscheiden,  als  mitunter  gegen  die  gemein- 
rechtliche Geltung  der  romischen  Theorie  aufgestellt  sind, 
z.  B.  dass  die  anomalen  (!)  Grundsätze  des  receptum  über  die 
Beweislast  unangemessen  seien ,  dass  auf  unsere  Wirthe  und 
Schiffer  die  Motive  des  prätorischen  Edikts,  nämlich  deren 
ausgezeichnete  Schlechtigkeit,  nicht  zuträfen,  dass  bei  uns  die 
Obrigkeit  durch  die  regelmässige  Konzessioosertheüung  dem 
Publikum  allen  erforderlichen  Schutz  gewähre,  und  der- 
gleichen mehr. 

Ohne  hier  die  Geschichte  der  Rezeption  in  ihrem  ganzen 
wenig  erspriesslichen  dogmengeschichtlichen  Detail  zu  ver- 
folgen, mag  es  genügen,  auf  einige,  besonders  für  die  Ent- 
wickelung  des  europäischen  Seerechts  bedeutsame  Thatsachen 
hinzuweisen. 

Unter    den   zahlreichen   Seerechtsquellen   des   Mittelalters 

(naula«,  caupones,  slabularii)  a  6li  adoptä  dans  noa  mceurs.  La  jurisprudence 
des  parlemenls,  Celles  des  cours  actuetles.  el  ]e  Code  civil  gui-tout,  ea  oiTrent 
U  preove.«  Unter  naulne  versteht  Hutlcau  jeden  Frachtfahrer.  Vgl.  eod. 
p.  401,  406,  407,  409—411. 

'  Die  Zahl  der  Dissentieaten  i<:t  sehr  gering.  Schilter,  Exerc.  ad 
Fand.  XIII  §  25  bezeugt  nur  die  zu  seiner  Zeit  noch  schwankende  Pnuis. 
Die  im  Text  angeführten  and  noch  schwächere  Grönde  werden  gegen  die 
fortdauernde  Geltung  des  Edikts  be\refrs  der  Gaslwirthe  aufgestellt  in  der 
schülerhaften  Dlsserlalion  von  Joh.  Willietmus  Richler,  De  actione  in 
factum  tu  quasi  contractu  reccplionis  moribus  nostris  non  convenienle.  Leipzig 
17591  S.  lö.  36 — 30,  obwohl  er  selbst  lugibt,  dass  in  der  Praxis  die  eut- 
gegengesetzte  Ansicht  Geltung  habe.  Nicht  minder  oberflächlich  Hellfeld, 
Reperlorium  III  p.  1693 — 1698;  Fischer,  Lehrbegriff  sämmtlicher  Kameral- 
und  Polizeirechte  111  §  öii  bemerkt  nur,  dass  die  zahlreichen  deutschen 
Partikulargeselle  Aber  die  Gaalwirlhschaft  vom  röm.  Recht  abwichen ,  und 
dessen  Gebrauch  entgegenstunden.  Unter  den  Neueren  hemcht  Einstimmigkeit. 
Belege  bei  v,  Zangen,  Kurze  Erörteiung  der  Fiage :  Wasfür  eine  Klage 
wider  einen  Fuhrmann  stattfinde,  welchem  die  luin  Transport  und  Ablieferung 
bedungenen  Sachen  weggekommen?  Giessen  179S,  S,  25  Note*;  Glück  VI 
S.  111:  Thibaui,  Pandekten,  8.  Aufl.  Bd.  II  §  572  S.  110;  v.  Holz- 
schuhe r,  Theorie  und  Kasuistik  III  S.  825  Note  i;  v.  Vangerow,  7.  Aufl. 
lU  S.  465  Anm.  2;  Müller,  S.  39.  Unbegrtlndete  Zweifel  und  Verwechselung 
der  actio  de  recepio  mit  den  Fönalklagen  bei  v.  Kaltenbora,  Seerecht  I 
5.  235 ,  2 j6 ,  242.  In  den  von  ihm  liiirten  neueren  Seerechten  ist  nur  der 
modus  der  Rezeption  —  vgl.  oben  S.  410  Note  l,  S.  438  Note  i  —  geändert. 
Dazu  noch  Entwurf  eines  Handelsgesetzbuchs  f.  d.  preuss.  Staaten  Art.  533, 
Motive  S.  187.  und  Protokolle  S.  1508,  2509,  2519. 


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462  1^35  receptam  nautamm,  cauponain,  Ktabulariorum. 

lassen  sich  zwei  grosse  Gruppen  unterscheiden:  die  eine  be- 
stehend aus  den  germanischen,  mit  Einschluss  der  holländischen 
und  nordfranzösischen;  die  zweite  dagegen  die  romanischen 
Küstenländer  des  Mittelländischen  Meeres  umfassend.  Beide 
sind  in  grossen  Sammlungen  zusamraengefasst ,  die  erste  in 
der  Wisby'schen  Kompilation,  die  zweite  im  Consolato  del 
mare.  Aus  der  wechselseitigen  Verbreitung  beider  und  den 
aufs  Neue  hinzutretenden  römischen  SeerechtsqueUen  ist  das 
neuere  europäische  Seerecht  entstanden,  dessen  geschichtliche 
Entwickelung  und  wirklichen  Inhalt  darzustellen  eine  eben 
so  würdige,  wie  noch  durchaus  ungelöste  Aufgabe  der  Wissen- 
schaft ist. 

Diese  beiden  grossen  Gruppen  zeigen  nun  auch  hinsicht- 
lich der  Verantwortlichkeit  des  Schiffers  für  die  Ladung  die 
bemerkenswertheste  Verschiedenheit. 

I.  Die  germanischen  Seerechte  begnügen  sich  überall 
den  Schiffer  für  eigene  Schuld  haftbar  zu  erklären'.  Sogar 
die  Verantwortlichkeit  des  Schiffers  für  seine  Leute  wird  in 
der  Regel  nicht  direkt  ausgesprochen,  wenn  auch  vielleicht 
vorausgesetzt,  wie  in  einem  Frankfurter  Schöffenurtheil  von 
1401  hinsichtlich  der  Fuhrleute '.  Einer  Fuhrmannskompagnie 
ist  ein  Theil  der  Ladung  abhanden  gekommen.  Sie  behauptet, 
dass  alle   mögliche  Vorsicht  angewendet  und  ein  Knecht  zur 


'  Die  folgcDdcD  Citate  nnd  meist  Dach  Parde*tas,  Collection  des  lots 
!s;  das  Wisby'sche  Seerecht  tilire  ich  nach  der  Tonaglicheo  Antgabe 
TOD  Scblyter  (Corpus  Juris  Visbyensis.  Land.  1853).  Rooles  d'OMroD  und 
flandrisches  Schiffsrecht  Art.  a  (Wisby  16),  10  (Wisby  14),  11  (Wiaby  15), 
13  (Wisby  33)  ,  »4  (Wisby  39).  Schiffsrecht  von  NordhoUand  Art.  3,  11 
(Wisby  43),  17  (Wisby  54).  Scbreibea  des  Hamburger  Raths  twischen  I156 
und  ia6l  (Pardesias  JII  p.  331  ff.).  Hamburger  SchiJ&recht  v,  1270  Art,  J3. 
SUdtrecht  Ton  Riga  V.  1270  Art.  163.  Zweite  Redaktion  tit.  XI,  c  6.  Lflbeckö 
Schiffsrecht  v.  1299  Art.  32,  33,  Lübecker  Recht  bei  Hach  IV,  21,  23,  96, 
Hanseatischer  Rcies«  von  141«  Art.  3,  8;  v.  1454;  t.  1482  Art.  XI.  b. ;  t.  1530 
Art.  XVII,  XVIII.  Statut  Ton  Bergen  r.  1*74  c,  2.  Statut  raa  Wisb» 
c.  6.  (PardesBUB  III  p.  27—29.)  Daniiger  Seerechtsurtheil  r.  1433  Nr.  13. 
(Holttus,  Onde  zeeregteo  in  Dantiig  p.  19,   13,  25). 

»  Thomas,  Der  Oberhof  zu  Frankfurt  a.  M.  Nr.  52.  Ein  Sprach  des 
magdebuigischen  SchälTeDbollegs  vom  15.  Febr.  1474  (NeumanD,  Magde- 
bui^r  WeislhUmer  Nr.  47  S.  127)  erklKrt  des  Fuhrmann,  welcher  den  Transport 
bis  an  den  Bestimmungsort  Übernommen  hatte ,  schlechthin  für  seinen  Silt>- 
stitnten  verantwortlich,  vorbehaltlich  des  Regresses  an  den  leliteien. 


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Heulige  Geltung  der  actio  de  recepto.  463 

Obhat  der  Waaren  bestellt  worden  sei.  Der  Rath  entscheidet, 
dass  die  Fuhrleute  dem  Befrachter  für  die  Waare  ein- 
stehen sollen. 

ez  were  dan  daz  solich  War  raublich  genommen 
oder  mit  gericht  uffgehalden  were,  doch  so  nimt  man 
den  forluden  hie  midde  irs  rechten  nit  gein  den  Knecht, 
den  sie  gewonnen  hadden,  der  War  zu  huden. 
Direkt  ausgesprochen  wird  dagegen  dieser  Satz  in  einem 
ürtheil   des   Raths  zu   Danzig   v.    1429 '.     Der  Schiffer  hatte 
Gut   aus  Flandern   nach   Danzig   gebracht,    das  Gut    in   ein 
Leichterschiff   (Burding)   geladen,   und   dem  Kaufmann  ange- 
zeigt, dass  die  Waare  vor  der  Brtlcke  (am  Loschungsplatz) 
sei.    Auf  dem  Bording  wurde  des  Nachts  ein  Laken  aufge- 
schnitten und   ein  Stück  Tuch   daraus   gestohlen.     Der  Kauf- 
mann belangte  den  Schiffer,  dieser  scheint  dem  Bordingsschiffer 
litem  denuntiirt  zu  haben,  und  dieser  bekannte,  dass  der  Dieb- 
stahl durch  Versäumniss  seiner  Knechte  geschehen  sei.     Der 
Rath  erkannte: 

De   Schipper  sulde   quiet  sien   darmede  dat  he  det 
guth   heylbar  jn   den  bordyngk  geantwerdet  hadde 
und    dem    Kopmann   thogesecht    hadde.      Sunder   de 
Bordingesman  nahdeme  he  dat  gutt  in  sien  schip  und 
vorwaringe   genamen  hadde,   und  ys  by  vorsumenisse 
syner  knechte,   de  jdt  vorwaren  sulde  were  gestalen. 
Zo  sprak  de  Raedt,  zo  sulde  de  Bordingeszman  dem 
Kopman   sien   gut  andtwerden   —  adder   ihn   darvan 
vomogen.  — 
In  den  Rooles  d'Ol^ron  art.  10,  und  ebenso  in  dem  ähn- 
lichen Fall  des  Consolato  del  mare  cap.  153  a.  E.  wird  aller- 
dings der  Schiffer  für  die  Schuld  seiner  Leute  verantwortlich 
gemacht,   jedoch   nicht  wegen  wirklicher  oder  fingirter  culpa 
in  eligendo,  sondern  nach  dem  Grundsatz,  dass  alle  diejenigen 

'  Nr.  7  der  RammluDg  in  dem  Zeitschr.  f.  d.  ges.  Hxiidelsr.  I  S.  2gj  S, 
beschriebenen  Dm ziger  Codex.  Vgl.  auch  HolCi  ui,  Onde  leeregten  in  Dantiig 
p.  14,  21,  22.  In  der  Zeitschr.  n.  ».  O.  ist  übrigens  der  zweimal  vorkommende 
Druckfehler  15  in  5  lu  berichtigen:  FardeEsns  hat  nämlich  nur  5  Urthcile 
abgediuckt.  Derselbe  Rechtssatz,  wie  in  dem  vorziehenden  Urtheil,  ist  auch  aua- 
gesprochen  in  der  Daniiger  Willkühr  von  1597  Art.- XVII.  (Pardeno«  IIl 
p.  475)  nnd  ic  der  Neureviditten  Willkahr  der  Stadt  Danzig  von  1761,  IIb.  I, 
cap.  4  Abachn.  5  Art.  11 ,  Abschn.  7  Art.  7.  — 


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J 


464  ^^  receptum  tiautaruin,  cauponum,  slabulaiiorum. 

den  Schadensersatz  leisten  müssen,  welche  Antheil  am  Gewinn 
des  Geschäfts  haben,  also  unter  dem  Gesichtspunkt  einer  socie- 
tas  lucri  et  damni. 

Sogar  zu  einer  Zeit,  da  die  römischen  Grundsätze  schon 
lange  im  Seerecht  Eingang  gehinden  haben,  begegnet  uns 
noch  regelmässig  der  mildere  germanische  Grundsatz.  So  in 
in  dem  romanisir enden  Hamburger  Schiffsrecht  (Stadtrecht  P.) 
von  1497  Art.  XXVI: 

Wat  eyn  yderman  schepet,  dar  schal  he  de  vracht 
van  geuen,  al  weren  de  guder  buten  schulde  des 
schipheren  vordoruen  efte  vorgaen  er  se  auer 
qwemen. 

Vgl.  Art.  VII,  IX,  XII,  Xlir,  XXV,  XXDC.  Ebenso 
wenig  findet  sich  in  dem  Hamburgischen  Stadtrecht  von  1603 
die  Spur  einer  umfassenderen  Haftung.  Vgl.  II,  15  Art,  1; 
n,  14  Art.  3,  4,  5,  9,  10,  11,  24,  34,  35,  36.  Sogar  das 
Hanseatische  Schiffsrecht  von  1614  scheint  noch  ganz  auf 
diesem  Standpunkte  zu  stehen:  tit.  3,  art.  1,  2,  15,  17,  13.  19; 
tit.  5.  art.  4,  5.  Und  die  niederländischen  Gesetze  des  16. 
Jahrhunderts,  wenngleich  ausdrücklich  hervorgehoben  wird. 
dass  der  Schiffer  auch  für  die  Schuld  seiner  Leute  verant- 
wortlich ist ',  gehen  doch  im  Uebrigen  nicht  Über  die  Haftung 
für  Schuld  hinaus". 

Gleiches  gilt  von  den  späteren  nordfranzösischen  Quellen, 
dem  Guidon  da  la  mer  —  vgl.  cap.  5  art.  6,  7,  9,  10,  11: 
cap.  9  art.  I,  4,  5,  und  sogar  der  Ordonnance  touchant  la 
marine  vom  August  1681,  —  vgl,  livre  II  tit.  1  art.  8,  12, 
13;  tit.  8  art.  2,  3;  livre  III  tit.  3  art.  10.  Allerdings  soll 
nach  dem  Zusatzartikel  38  der  Rooles  d'Olöron^  der  Schiffer 
dem  Befrachter  schlechthin  haften,  wenn  das  Schiff  durch  den 
Herren  des  Landes,  welchem  der  Rheder  angehört,  am  Aus- 
laufen verhindert  wird.  Allein  dieser  singulare  Satz  erklärt 
sich   aus  den   Feudalverhältnissen   des   nördlichen  Frankreich 

■  Ordonsnnz  t.  19.  Juli  1551  Ait.  43.  Ordonnanz  Philipp':  11.  t.  1563 
tit.  n  alt.  II. 

I  Ordonnanz  vom  ig.  Juli  155t  Art.  lä,  4a,  43,  44,  50.  Ordonanni 
rhilipp's  II.  V,  1563  tit.  II  art,  6 — 9,  11;  tit.  III  «rt.  19;  tiL  IV.  art.  I, 
8,  9,   "■ 

3  Bbckbookartikel,  bei  Pardeisas  I  p.  341,  343, 


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Heutige  Geltung  der  actio  de  receplo.  465 

und  aus  dem  SelbsthUlfeprinzip  des  mittelalterlichen  Rechts, 
vermöge  dessen  sich  der  Gläubiger  wegen  der  Schuld  des 
Ausländers  an  dessen  Landsleute,  wegen  der  Schuld  des  Herren 
an  dessen  Unterthanen  hält". 

In  dem  ganzen  Bereiche  dieses  Quellentreises"  ist  mir 
nur  eine  Satzung  begegnet,  welche  in  ihrer  absoluten,  an  die 
Worte  des  prätorischen  Edikts  erinnernden  Fassung,  und  viel- 
leicht schon  unter  dem  Einfluss  des  römischen  Rechts  ent- 
standen ,  an  die  strengere  Haftung  denken  lässt ,  nämlich 
Art.  11  des  Hanseatischen  Rezesses  von  1418,  welcher  dem- 
nächst in  den  Rezess  von  1447  Art.  X  (nicht  auch  in  die 
späteren  grossen  Rezesse),  in  die  späteren  Redaktionen  des 
LUbischen  Rechts  (Hach  IV,  29)  und  in  das  revidirte  Lübische 
Recht  von  1586  lib.  VI  tit.  1  art.  9,  wie  auch  in  das  Land- 
recht des  Herzogthums  Preussen  von  1620  lib.  IV  fit.  19  art.  I 
g  9  übergegangen  ist.     Derselbe  lautet: 

Vortmer,  is  gheramed  welken  Schipheren  wat  in- 
gheschepet  werd,  de  schal  dat  wedder  uth  antwerden 
dem  jennen  de  eme  dat  ingheschepet  hefft  edder  enem 
van  syner  weghen,  de  dar  vor  antwerden  wil,  uppe 
dat  id  to  rechter  scheringe  kome.  Wente  werde  wat 
verloren,  dat  scholde  de  Schipper  gelden.  — 
Noch  eine  preussische  Verordnung  vom  21.  Februar  1748 
scheint  jedoch  den  älteren  Standpunkt  festzuhatten '. 

■  Stobb'i,  ZuT  Geschichte  des  deutschen  Verlnesrechts  S.  150  ff- 
Biener,  Wechselrecbtliche  Abfaaadlungen  S.  40. 

'  Erwähnt  mag  noch  Verden,  daas  dis  livre  de  josdce  et  de  plet  (nach 
Laterriire,  HLstoire  du  droit  fraii(ajs  VI  S.  290  ff.  tn  Ende  des  13.  oder 
Anfang  des  14.  Jahrhunderts  in  Orleans  enstanden)  im  livre  III  eue  voU- 
stfindigc  Uebenetzung  des  Pandekten titels  nautae,  caaponei,  wie  andere! 
römiachei  Seerecbtititet  enth£lt  (Pardeatua  VI  p.  537  ff.). 

3  Reglement  und  Ordnung,  wie  es  mit  der  ElbschiSfahrt  derer  Waaien 
Ton  Berlin  nach  Hambui^  und  von  da  bis  Berlin  bri  der  CSiarmfiTlcischen 
auf  Z4  cinlSndische  Schiffer  gesetzten  Schiffei-Gilde  Tom  l.  Martii  1748  an 
gehalten  werden  solle,  de  dato  Berlin  vam  21.  Febfuarii  1748,  Nr.  9.  'Allen 
denen  eingeladenen  Waaren  mnthwiliiger  Weise  oder  durch  grobe  Verwahr- 
losung zugefdglen  Schaden  sind  die  Schiffer  lu  eraetzen  schuldig,  und  haftet 
dsfUr  nebst  den  SchifTsgefflxscn  nicht  nor  die  Fracht ,  sondern  aach  der  Lohn 
der  Schiflyenle,  welche  insgesammt  dafUr  eirnnstehen  Terbimden  nncL>  [Mjlius 
Corpus  Conslit.  Marchicar.  Conlinnatio  IV  p.  27.) 

Goldichmidt,  VermUchte  Scfatiftes.    n.  30 


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466  ^^  receplam  nautamm,  caaponum,  lUbnlariorum. 

II,  Anders  steht  es  mit  den  romanischen  Seerechts- 
quellen. In  den  blühenden  Handelsstaaten  des  südlichen 
Europa  findet  sich  früh  eine  sehr  entwickelte  Schiffahrtspolizei, 
welche,  im  öffentlichen  Interesse,  eine  grosse  Zahl  eigenthüm- 
licher  Einrichtungen  hervorrief,  z.  B.  das  Institut  des  Schiffs- 
schreibers mit  notariellem  Glauben.  Im  Sinne  dieser  staatlichen 
Fürsorge  für  Handel  und  Schiffahrt  lag  die  aus  gleichen 
Rücksichten  hervorgegangene  strengere  römischrechtliche 
Haftung  des  Schiffers  fUr  die  anvertrauten,  insbesondere  für 
die  vom  Schiffsschreiber  verzeichneten  Güter. 

So  stellen  die  Gewohnheiten  von  Valencia  ia  Spanien, 
{Pardessus  V  p.  333)  deren  Redaktion  dem  Jahre  1250 
angehört,  und  welche  wahrscheinlich  eine  Hauptquelle  des 
Consolato  gebildet  haben,  das  Seerecht  ganz  nach  römischen 
Quellen  dar,  meist  in  wörtlicher  Uebersetzung.  Insbesondere 
ist  lib.  II  rub.  XVI  §  1  fast  wörtlich  aus  1.  1  §  8,  1.  3  pr. 
§  1  nautae  entlehnt.  Denselben  Satz  enthält  noch  einmal 
lib.  IX  rub.  XVII  §  6. 

Das  Statut  von  Marseille  aus  den  Jahren  1253 — 1255 
(Pardessus  IV  p.  256  ff.)  macht  zwar  den  Schiffer  nur 
für  culpa  verantwortlich  lib.  IV  c.  7,  8,  9,  15,  20,  21,  aber 
in  dem  merkwürdigen  c.  26 '  bestimmt  es  ganz  allgemein  und 
absolut,  dass  alle  vom  Schiffsschreiber  verzeichneten  Güter, 
welche  verloren  oder  gestohlen  sind,  von  den  Rbedem  in  Natur 
oder  nach  ihrem  Werth  erstattet  werden  müssen: 

—  et  postquam  dicta  avera  reperientur  taliter 
scripta  in  dictis  cartulariis  ut  supra  dictum  est,  si 
postmodum  dicta  avera  amissa  vel  subrepta  fuerint  in 
dicta  nave  dominus  seu  domini  dicte  navis  seu  ille 
vel  illi  qui  habebunt  curam  dicte  navis  restituere  per 
officium  compellantur  predicta  avera,  vel  eorum  eiti- 
macionem  sine  mora  illi  vel  illis  quorum  fuerint  illa 
predicta  avera,  in  eo  loco  ubi  predicta  navis  portum 
fecerit  causa  discargandi. 
Desgleichen  enthalten  die  Statuta  navium  et  navigantinin 
von  Venedig  von    1255  (Pardessus  V  p.  21  ff.)   in  dea 


■  Wo    anch   der   KBBfnuumueichGn   ErwKlmuiig    geschielit.    Ebeiwo  ü 
dem  venedanixchen  Statat  T.  I3S5.  LH,  UIL 


3,3,l,ze.:,,GüOgk' 


Ileuiige  Geltung  der  actio  de  recepto.  467 

Artikeln   U,   III,    LI,   LH,  LIII,   LLX,  LX  die  regelmässigen 
Vorschriften  über  die  Verschuldungsfälle,  bis  auf: 

art.  LXII.     Quod   patroni  habeant  in  custodia  merces 
mercatorum  vel  marinariorum  per  scriptum, 

Dicimus,   quod  postquam  merces  in  nave  fuerint 
posite   secnndum  tenorem   et  ordinem  statuti  —  in 
patronorum  custodia  debeant  permanere;  et  sicut  in 
patroni  custodia  per  scriptum  merces   receperit,    ita 
eas   per   scriptimi   mercatori   cum   integritate   resti- 
tuere  teneatur,  excepto  per  forcium,  per  ignem,  per 
fortunam  temporis,  aut  quod  extra  projecte  fuissent. 
cap.  LVIV.     De  vastatione  mercimoniarum. 
Wenn     über    den    Ersatz    beschädigter    Güter    zwischen 
Schiffer  und  Betrachter  keine  Einigung  erfolgt,  so  soll  obrig- 
keitliche  Abschätzung    und   Zwang    zum   Ersätze   eintreten, 
jedoch: 

Salvo  si  patronus  posset  probare,  quod  illud  dampnum 

fuisset    occaxione   ignem   ezstinguendi ,    vel   fortunam 

temporis  habuisset,  propter  quam  patronus  penam  ali- 

quam    non    incurat;    que  probatio  fieri   et  cognosci 

debeat  et  determinari  per  consules  vel  vectores  predic- 

tos.    Si  vero  merces  aliter  vastarentur,  et  videbitur 

supradictis  quod  occaxione  patronorum  evenisset,   iUi 

cujus  merces  fuerant,   fiant  satisfieri  secundum  stima- 

tionem  dampni. 

Das  Breve  curiae  maris  von  Pisa  vom  Jahre  1298  (Par- 

dessus  IV  p.  585  ff.)  ^richt  unbedingte  Ersatzpflicht  aus  in 

den  cap.  13,  62.    In  den  Statuten  von  Ancona  vom  Jahre 

1397  (Pardessus  V  p.  116  ff.)  begegnen   nur   Vorschriften 

wegen   Verschuldung   des  Schiffers  rub.   I,   IV,    XV,  XIX, 

XLV,   XLIX,    LIIL      Dagegen   enthält  das  Statutum  officü 

Gazariae    von  Genua    vom    Jahre    1441     (Pardessus  IV 

p.  463  ff.)  neben  solchen  (cap.  8,  9,  81)  auch  einige  strengere 

und  unbedingte:  cap.  96,  97,  103. 

Sehr  merkwürdig  ist  die  Verbindung  beider  Systeme  in 
dem  Consolato  del  mare.  In  unzähligen  Stellen  wird 
jede  Verantwortlichkeit  des  Schiffers  von  einem  Verschulden 
desselben  abhängig  gemacht,  und  regelmässig  sogar  der  Beweis 
der  Schuld  dem  Befrachter  auferlegt.    So  (nach  der  Ausgabe 


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468  ^^  leceptum  aantamtn,  cauponam,  lUbulanoram. 

bei  Pardessus  II)  cap.  16,  18—21,  23—27,  44—46,  141, 
147,  149,  154,  160,  177,  182,  189,  190,  192,  204,  214,  215, 
221,  226,  243,  247,  250.  Dagegen  begegnen  in  einigen 
Kapiteln'  folgende  Wendungen: 

cap.    13.     S'il    se    perd    quelque    chose   ä   bord,    soit 
balle,  ballot,  marchandise,  soit  quelque  autre  objet, 
que  l'&rivain  aurait  inscrit,   ou  au  chargement  du- 
quel  il  aurait  pr^sid^,  il  doit  le  payer. 
cap.  22.     Si    quelque    objet   charg^   sur  le  navire  et 
inscrit  sur  le  registre  se  perd,  le  patron  est  obligd 
d'indemniser  les  propri^taires. 
cap.  224.     Mais   si    le   patron   ayant   fait   mesnrer  le 
grain  et   1 'ayant  re9u  en  compte,  les  marchands  y 
trouvent  quelque   deficit,   il   est  oblig^  de  les  en 
indemniser.  — 
In   den    deutschen    Landrechten    und   Gesetz- 
gebungen  des  17,  und  18.  Jahrhunderts  herrscht  die 
römische  Theorie    —   meist   freilich   in  der  missverständlichen 
Auffassung  der  älteren  Doktrin  —  unbestritten.    So:  Land- 
recht des  Herzogthums  Preussen    von  1620   üb.  IV 
tit  18   art.  3    §  2,    tit.  19   art.  I    §  9.       Landrecht    des 
Königreichs  Preussen  von  1721   pars  II  hb.  IV  tit.  18 
art.  3   §  2.      Der  scheinbar  abweichenden  Verordnung   vom 
21.  Februar  1748  ist  oben   zu  Note  3  auf  Seite  465  gedacht 
■Württembergisches  Landrecht  von  1610  Th.  II  tit  3 
§  15.    Codex  Maximil.  Bavaricus  lib.  IV  cap.  13  §  10'. 
Wie  es  auch  im  hamburgischen  Recht  mit  der  Ersatz- 
pflicht des  Wirthes  sich  verhalten  mag',  so  herrscht  doch 


■  Nach  der  Pardessos 'sehen  UebereetianK-  Eine  direkte  Enttebnnng 
aus  römiKhen  Qaellen,  wie  Pardessus  11  p.  67  not,  2  will,  Ut  nach  der 
obigen  Dantellung  nicht  nahrscheinlich. 

'  Die  Verantwortlichkeit  ist  auf  Haßung  füi  leviuima  culpa  mid  cslp* 
suoruni  abgeschvScht.  Die  UnterscheiduDg  iwischen  reinem,  d.  h.  ia  der  Regä 
miTenchuIdetem ,  und  gewöhnlichem  Zufall  wird  ausdrOcklich  yenrortea  (vgl. 
Anmerkungen  mm  Codicem  MaximQ.  Bavar.  München  1765,  Th,  IV  S.  656. 
657).  £ben«o  im  WOrttemb.  Ldr.  >Eum  höchsten  Fleiu  —  dais  (ie  nichts  dum 
allein  ohnversehens  xugeslanden  OhngltlcksHUl  entschuldigen  mSgen<. 

3  Vgl.  Wolters  a.  a.  O.  S.  61  ff.,  und  d^t^ea  B>nmei(ter,  Das 
Piivalrecht  der  freien  und  Hansestadt  Hamburg  I  S.  36a. 


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Heulige  Geltung  der  actio  de  recepto.  4^9 

hinsichtlich  des  Schiffstransports  unzweifelhaft  das  römische 
Recht,  und  liegt  der  neuerdings  eingeschärften  Verordnung 
vom  5.  Dezember  1766,  revidirt  am  26.  März  1786,  Art.  1 
bis  6,  11,  12,  15  zu  Grunde'.  Desgleichen  steht  die  früher 
schwankende  sächsische'  Praxis  nunmehr  im  römischen 
Sinne  fest'. 

Endlich  die  neuesten  Gesetzbücher  stehen  unzwei- 
deutig auf  diesem  Standpunkt:  Das  preussische',  das  öster- 
reichische',    die    französischen    Gesetzbücher* 


'  Hambarger  Handelsarchiv  S,  143  ff.  Bekanntmach ung  vom  13.  Sep- 
tember 1855,  ebenda  S.  146;  Pöhl's  Seerecht  11  S.  56g.  Vgl.  anch  die 
Uilheile  des  Oliera.ppelladonsgerichts  in  Lübeck  oben  Noie  4  auf  S.  413 ,  in 
Zeitschr.  f.  d.  ge».  Handelsr.  I  S.  573  ff.,  und  in  Scufferti  Archiv  X[  S.  Ill ; 
BOsch,  Darstellang  der  Handlung  (3.  Ausg.  t.  Normann)  II  S.  357  stellt 
es  noch  als  nngewiss  hin,  ob  der  Schiffe  fUr  Diebstahl  hafte.  Ueber  die  neueste 
hambnrgische  Praxii,  vgl.  die  Urthefle  bei  Ullrich,  Heft  i  Nr,  ai,  a6,  69, 
49,  80. 

»  Carpiov,  Jurisprud.  for.  II,  a6  def.  10;  Schtlter,  Exerc  ad.  Fand. 
XII  gS  li.  H- 

'  H  a  u  fa  o  1  d ,  Lehrbuch  des  KSnigl.  SSchs,  Privalrechts.  3,  Aufl.  1 
§  zSS  b.  Note  p.  Revidirter  Entwurf  eioes  bUrgerlichen  Gesetihuchs  fltr  das 
Königreich  Sachsen  §§  laSo — 1290. 

*  A.L.R.  II  S  §§  444-453.  »734—1736.  1599,  iß34.  '657.  1665,  i6«6. 
1676  E.  1691  C,  1698  fr.,  1707  ff.,  1712,  3452—2456:  Haftung  ftlr  ebenes 
und  der  Leute  geringstes  Verschulden,  nicht  aber  fUr  Süssere  Gewalt  und  Zu- 
fXUe  —  nicht  tVx  inneren  Verderb  oder  lusseren  nnabwendlichen  Zufall.  Dass 
die  rötnische  Theorie  hat  adoptirt  werden  sollen,  bezeugt  auch  Koch,  R.  d. 
Ford.  III  S.  8l8 — S30.  Modifikation  hinsichtlich  der  FassagierefTekten  A.LJt. 
II  8  §g  1760,  1761. 

i  Oesler.  Btti^erl.  Gesetibuch  §§  970,  961,  964,  131a:  Haftung  fllr  eigenes 
und  der  Dienstleute  Verachnlden,  nicht  aber  Haftung  für  ZnblL  Ungar. 
Gesetiartikel  XX  v.  1840.  §§  4,  5;  Haftung  fttT  bOse  Absicht  nnd  Un- 
acbtianikeit. 

'  Code  civil  ait.  1952 — 1954,  1782—1786.  Code  de  commerce  art  103, 
107,  230,  Z16,  321—319:  Haftung  fUr  eigenes,  der  Leute  und  der  GSate 
Verschulden ;  Nichthaftung  fflr  Zufall  oder  habere  Gewalt  —  nicht  fhr  inneren 
Verderb  oder  höhere  Gewall.  Die  Versduedcnheit  der  Aosdrticke  in  den  ver- 
schiedenen GesetibOchem  und  Theilen  desselben  Gesetzbuchs  ist,  ebenso  wie 
in  dem  preussischen  Gesetibuch,  nur  einer  unachtsamen  Redaktion  lu zuschreiben, 
und  deatct  küneswegs  auf  eine  Verschiedenheit  der  Haftung.  Die  franiQsischen 
Getetibücher  stehen  auf  der  Slleren  in  Frankreich  herrschenden  Doktrin  des 
römischen  Rechts.  Vgl.  oben  Note  i  auf  S.  460  und  über  diese  Doktrin: 
Domat,  Les  loix  civiles  dans  leur  ordre  naturel  (Lnxembourg  170a.  t.  I 
p.  66,  141—144}  livre  I  tit  4  sect.  8  nr.  5,  lit  16  *ect.  i,  3. 


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470  I)>*  receptum  ni.ntamm,  cauponnm,  stabnltrioruni. 

und  sämmtliche  Handelsgesetzbücher',  wie  das 
Zürcherische  Gesetzbuch'.  Vgl.  oben  Note  l  auf 
S.  460  und  §  13  die  Noten  auf  S.  480—484. 

Das  englische  Recht  ging  ursprunglich  sogar  noch 
weiter  als  das  römische.  Nach  common  law  erscheint  der 
SchiHer  als  gewöhnlicher  Frachtfahrer  (common  carrier)  and 
hahet  unbedingt  für  das  anvertraute  Gut,  unless  it  were  by 
the  act  of  God  (Sturmwetter,  überhaupt  Seegefahr),  or  that 
of  the  king's  ennemies  —  also  auch  für  ganz  unverschuldeten 
Diebstahl,  Raub,  Feuer,  mit  Ausnahme  des  durch  Blitz  ver- 
ursachten. Erst  neuere  Statuten  haben  diese  Haftung  beschränkt 
Allgemein  St.  11,  Geo.  4  &  1,  W.  4  c.  68  für  gewisse  werth- 
volle  Gegenstände,  welche  besonders  versichert  werden  müssen. 
Insbesondere  für  den  Schiffstransport  St.  26,  Geo.  3  c  86 
s.  2,  3,  welches  die  Verantwortlichkeit  für  Feuer,  auch  im 
Schiffe  ausgebrochenes,  beseitigte;  imd  die  Haftung  für  edle 
Metalle,  Edelsteine  u.  dgl.  von  der  Deklaration  derselben  ab- 
hangig machte.  St.  6,  Geo.  4  c.  125  s.  53,  welches  die  Ver- 
antwortlichkeit für  Lootsen,  und  für  diejenigen  Fälle,  da 
solche  nicht  herbeizuschaffen  sind,  aufhob.  Endlich  The 
merchant  shipping  act  vom  10.  August  1854  (St.  17  &  18, 
Vict.  c.  104)  p.  IX  s.  388,  503,  504;  welche  diese  Nonnen 
wesentlich  wiederholt'.  — 


>  Span.  Handel^Fselib.  Art.  aoj,  xoS,  209,  212,  21J,  317,  220,  215 
bis  327,  676,  67S — 6S3.  Hollind.  Handeligei.  Art.  91,  96—98,  345.  546. 
348.  349,  35'-  Portug.  Handelsgesetibuch  Art.  178,  179,  182,  183,  187,  I90, 
195 — 197,  1364,  1365,  136S,  1376,  1390,  1391.  BrasiliaD.  Handelsgesebb. 
Art.  99,  I02 — 106,  110  — 113,  115,  118.  Mit  dem  Code  de  commerce  itimmen, 
nach  St.  Josep  h,  Concordance,  die  HandelsgeselzbUcber  von  Rom,  Neapel  mid 
Sirdinifa  völlig  Uberein. 

>  Prival rechtliches  Gesetzbuch  für  den  Kanton  Zürich  §  1653  [vgl 
%  l^^)>  §§  1^54'  l^S^i  l^^S '  Unbedingte  Haßun^,  mit  Aasnahme  ron  Fallen 
heherer  Gevrall,  auch  für  Diensdeute  und  ZwischenfrachtfUbrer,  selbst  im  Falle  der 
Verzägerung.  Aus  den  EilSuterungen  Blnntschlis  (deuen  Ausgabe  mi 
Erläuterungen  Th.  III  ZUrich  1855,  5.  536^538)  lu  §  1Ö46  ergibt  sich,  dus 
der  Ausdruck  »höheie  Gewaltr ,  nogeachtet  sehr  triftiger  Einwendungen,  von 
der  Mehrheit  der  Kammission  aus  den  von  Bluntscbli  in  seinem  Deutschen 
Frivatrechl  II    S.  20   eutwickellen   Gründen    (vgl.   oben   S.  415)    beibehalcoi 

3  Molloy,  De  jure  maritimo  et  navati,  or  a  trealite  of  aflairj  mi- 
ritine,  8  ed.  1744,  ist  sich  des  UnteitcUedes  vom  röm.  Recht  rlillig  bemu«. 
Vgl.  book  II  eh.  3  Ni.  2,  8;   eh.  3  Nr.  13—18.     Uebei   das  englisdi-ameri- 


Ausdehnmig  auf  den  Landtrantportvertrag?  471 

Die  im  neueren  gemeinen  Seerecht  begründete  wichtige 
Modifikation  des  römischen  Rechts,  dass  für  alle  Forderungen, 
welche  auf  einem  Verschulden  des  Schiffers  beruhen,  die 
Rheder  nicht  über  die  fortune  de  mer  hinaus  haften,  sich  also 
durch  abandon  des  Schiffers  sammt  Zubehör  und  Fracht  be- 
freien können ',  berührt  die  hier  entwickelten  Prinzipien  selbst- 
verständlich in  keiner  Weise.  — 


XI.   Ausdehnung  auf  den  Landtransportvertrsg? 

§  13-. 
Die  Römer  haben  den  Landtransportvertrag  durchaus 
nur  nach  den  Grundsätzen  der  locatio  conductio^,  nicht  zu- 
gleich' nach  denen  des  receptum  beurtheilt.  Ueberall  ge- 
schieht nur  der  actiones  locati  conducti,  nirgends  der  actio 
de  recepto  Erwähnung,  auch  da*  nicht,  wo  das  eigentliche 
Herrschaftsgebiet  der  letzteren  *  ist.    Nirgends  findet  sich  eine 


kanUche  FrochtfOhreirecht  Oberhaupt:  Smith,  Compendiam  of  mercantile  law. 
6,  Ausg.  S.  187— 29S  [9.  Aufl.  S.  175—188];  Redfield,  Practica!  trealiie 
upOD  tb«  law  of  railwaT»  S.  332  ff.  [5.  AuH.  II  S.  i  CT.]. 

■  Im  Wesentlichen  befriedigend  Ciopp,  Juristische  Abhandlungen  I 
S.  467  fl".  EbensDwenif;  gehört  hieiher  die  parlikularrechtliche  ModifikacioQ 
des  A.L.R.'s  II  8  §  1528,  dass  die  Rbeder  täi  Verschuldung  der  SchilTer 
and  Schiflsleute  nur  subsidiär,  Dümlich  onr  insoweit  einstehen,  als  der  Be- 
schSdigte  selbst  luni  Ersatz  auvetmögend  ist.  Vgl.  O.A.G.  zu  Lübeck  in 
Seufferfs  Archiv  XI  Nr.  85. 

'  GiUcde  fUi  und  gegen  die  analoge  Ausdehnung  sind  zusammengestellt, 
und  die  ecsleren  bekimpft  insbesondere  bei  Brenner  (prae«.  Harpprecht), 
Actio  utilis  de  recepto  T707  Nr.  loS — 150;  (Harpprecht,  Diis.  «cad.  t  I 
disp.  XVI);  Werner  (praes.  Harpprecht),  Actio  utilis  de  recepto  utmm 
contra  rhedarum  meiitoriarum  exerdtore* ,  poltarum  magistros  et  quoscunque 
anrigai  locum  obtineat  1707  (eod.  t.  I  diep.  XVII);  Müller,  a.  a.  O. 
S.  39—08;  Cnyrim,  s.  a.  O.  §  l  (S.  4—14);  Koinpe,  Zeitschr.  f.  d. 
Recht  Bd.  XVIII  S.  31z— 3161    W.  Koch,  Eisenbahnen  II  g§  6,  23. 

3  Opois.  Auch  rei?  Vgl.  Cropp,  Juristische  Abhaodtnngen  II  S.  6jo 
bis  £38,  und  die  mehrfoch  berichtigende  Darstellung  von  Ullrich,  Neue* 
ArcbiT  f.  Handebrecht  II  S.  317  ff. 

•  VgL  oben  §  1  Note  3  auf  S.  415. 
i  Vgl,  oben  S.  407. 

*  1.  13  pr.  I,  25  §  7  locati  C19,  2).  VgL  auch  1.  II  §  3  eod.  1.  5 
pr.  ad  eibib.  (to,  4). 


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472  I^BS  recepCum  nautarum,  caupoonm,  stabularionim. 

Spur  analoger  Ausdehnung  derselben.  Denn  die  Anwendung 
unseres  Instituts  auf  Kahn-  imd  Flossführer,  welche  schon 
Labeo  machte: 

1.  l  §  4  h,  t. :  De  esercitoribus  ratium,  item  Ijntrariis 

nihil  cavetur:   sed   idem  constitui  oportere,   Labeo 

scribit,  et  hoc  jure  utimur. 
ist  nicht  als  Ausdehnung,  sondern  als  blosse  Interpretation  des 
vom  Edikt  gewählten  Ausdrucks  nauta '  zu  erachten,  welcher 
nicht  minder  den  Kahnschiffer  und  Flösser  in  sich  schliesst. 
als  der  Ausdruck  navis  oder  navigium  die  Kähne  und  Flösse '. 
Hätte  aber  auch  die  römische  Jurisprudenz  bei  ihrer  über- 
aus freien  Stellung  sich  eine  analoge  Ausdehnung  des  Instituts 
gestattet,  so  würde  dies  einen  gleichen  Vorgang  für  die 
moderne  Wissenschaft  und  Praxis  noch  keineswegs  recht- 
fertigen. Für  uns  gilt  durchaus  der  Bestand  des  justinianeischen 
Rechts,  soweit  derselbe  rezipirt  und  nicht  erweislich  durch 
neuere  Gesetze  oder  Gewohnheitsrecht  modifizirt  ist.  Haben 
nun  die  Römer  den  Landfrachtverkehr  durchaus  nur  nach  den 
Prinzipien  der  locatio  conductio,  nicht  auch  nach  den  Grund- 
sätzen des  receptum  beurtheilt,  so  lässt  sich  doch  schwerlich 
behaupten,  dass  hier  eine  Lücke  vorliege,  deren  Ausfüllung 
eine  Aufgabe  der  heutigen  Wissenschaft  und  Praxis  sei.  Es 
stehen  sich  vielmehr  zwei  Rechtsinstitute  gegenüber:  das  eine 
normale  mit  einem  sehr  weiten  Anwendungsgebiete,  alle  Fälle 
entgeltlicher  Werkverrichtung,   Sachen-  und  Raumgewährung 


•  Vgl.  V.  V«Dgeroiir,  Pandeklen  III  S.  466;  Müller,  a.  a.  O.  §  22. 
In  gleichem  Sinne  wird  dann  such  wohl  der  Ausdniclc  caupo  aaf  Wein-  und 
Bieiwirlhe,  Garkoche,  KaHeliers  u.  dgl.  beiogen :  Brenner  (praei.  Harpp- 
rech[)i  Actio  utilii  de  recepto  Nr.  44 — 65.  Dabei  wird  eine  tehr  nonittze 
UntenuchuDg  geführt ,  ob  die  actio  de  recepto  in  liotrariot  aod  ratiarioi  eine 
ntilis  oder  direcU  sei:  Nr.  25— 43-     Dagegen  Glüclt  VI  §  485  Note   10. 

*  Diese  werden  durchnns  den  naves  gleichgeachtel  und  gldchbehandelt: 
1.  1  §  6  de  e«rc.  act.  (14.  i),  !,  44  de  evicL  Cz',  a>  wo  iwar  jcapia  da 
hktis  entgegengestellt,  aher  doch  selbst  als  parva  navicola  bezeichnet  wird. 
I.  I  §  14  de  fliimiii  (43,  12),  1.  I  pr.,  1.  3  §  I.  )•  5  de  incendio,  ruina,  nao- 
fngio,  rate,  nave  expugnata  (47,  9),  1.  I  pr.  ut  in  Sum.  pubL  (43,  14); 
Paulus  R.  S.  U  31  §  18;  Gellius  N,  A.  X.  25.  Vg!.  auch  Brissgnins, 
De  TCTb.  signif.  s.  v.  inavist.  In  gleicher  Weise  versteht  z.  B.  du  preonüdie 
Gesetz  v.  14.  April  1824  (G.  S.  S.  7,  9)  unter  •Schiffer-  auch  ausdrUcldich 
den  .Kahnilthref.  Untersuchungen  darüber  in  der  Note  •  erwähnte»  DisMT- 
tation  von  Werner  (Harpprechl)   Nr.    195—199- 


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Ausdehnung  luf  den  Landtransport  vertrag)  473 

umfassend  —  das  andere  anormale  auf  das  eng  begrenzte 
Feld  gewisser  Gewerbe  beschränkt.  Was  nicht  dem  letzteren 
angehört,  fällt  naturgemäss  und  nothwendig  dem  ersteren  zu. 
Das  gleiche  Resultat  ergibt  sich  aus  einer  eingehenden 
Erwägung  der  eigenthümlichen  Natur  unseres  Instituts.  Das- 
selbe ist  nach  der  obigen  Darstellung: 

1.  den  Römern  selbst  als  innerlich  durchaus  anormal  er- 
schienen ',  und  um  deswillen  einer  jeden  analogen  Ausdehnung 
unfähig " ; 

2.  äusserlich  beschränkt  auf  gewisse  Klassen  von  Ge- 
werbtreibenden  für  Akte  ihres  Gewerbebetriebes'  —  also  nicht 
auf  andere  anwendbar,  mag  deren  Beschäftigung  auch  eine 
nah  verwandte  sein. 

3.  Als  Motive  für  die  Einführung  der  actio  de  recepto 
werden  in  den  Quellen  selbst  angegeben: 

a)  ein  gewerbspoiizeiliches,  nämlich  der  schlechte  Ruf  der 
Schiffer  und  Wirthe,  den  dieselben  nicht  minder  um  ihres  all- 
gemein    unsittlichen    Verhaltens    willen  *    wie    wegen    ihrer 
häufigen  Betrügereien  genossen 
Ulpian  in  1.  1  §  l  h.  t: 

—  et  nisi  hoc  esset  statutum,  materia  daretur  cum 
furibus  adversus  eos,  quos  recipiunt,  coäundi,  cum 
ne  nunc  quidem  abstineant  huiusmodi  fraudibus. 


'  Vgl.  oben  S.  4!0  Note  a. 

'  1.   14  de  leg.  (i,  3);  1.   141  pr.;  1.   i6a  de  R.  J.  (S«.   '7)- 

3  Vgl.  oben  S.  402—404.  Uebrieens  ist  das  hiufig  angeführte  Argument, 
dass  die  Kfimer  gar  kein  Frachtfuhrwesen  im  heutigen  Sinne  gehabt  hatten 
(i.  B,  Mackeldey,  Dis».  de  aclion«  de  recepto  contra  anrigas  generatira  ad- 
mittenda  1S06  g  2J — 30),  oder  doch,  dass  der  römUcbe  Landfrachtverlcebr  ein 
sehr  geringfügiger  genesen  sei,  in  sich  hinfUlig,  da,  die  Thatsache  ebenso  un- 
glaublich wie  unerwiesen  ist.  Auch  begegnen  uns,  neben  den  Tielbch  et- 
wShnten  collegia  der  naulae  und  navicularii,  nicht  selten  coUegia  aurigariornm, 
jumcntarionini  ■  mulionum  et  asinaiiorum ,  eine  schola  camcarnm.  Vgl. 
Orelli,  Inscript  Nt.  2413,  4093,  «596,  7106,  4131  und  Heineccius ,  De 
colleg.  et  corpor,  opif.  cap.  I  §  XII  (Opp.  Genf  1766  t.  II  p.  384). 

*  Vgl.  Müller,  a.  a.  O.  S.  7;  Becker,  Gallus,  2.  Au^.  v.  Rein  lU 
S.  12,  24.  Daiu  noch  die  bisher  nicht  benutzten  1.  4  §  2  de  his  qui  not. 
infamia  (3,  z),  t.  43  pr.  §  9  de  ritn  napt.  (23,  3),  1,  39  C  ad  leg.  Jal.  de 
adolt.  (9,  9);  Patilos,  R.  ä.  II  26  §  11.  Gleiche  Zustande  in  Griechenland: 
Becker,  Charikles,  2.  Ausg.  ron  HerrmaDn  II  S.  I34t  und  Herrmann, 
Griechische  PrivatalterthUmer  S.  255. 


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474  I^Bs  receptum  nautarum,  cauponum,  atabnlarionuD. 

1.  3  §  1  h.  t.: 
—  Miratur  igitur,  (Pomponius)   cur  honoraria  actio 
sit  inducta,  quum  sint  civiles;  nisi  forte,  inquit,  ideo, 
ut   innotesceret   praetor    curam  agere   reprimendae 
improbitatis  hoc  genus  hommum.  — 
b)  ein  dem  VerkehrsbedUrfniss  entlehntes  Motiv,  nämlich 
die  Nothwendigkeit  grösserer  Sicherheit  um  des  grossen  Ver- 
trauens willen,  welches  diesen  Gewerbetreibenden  nothwendig 
geschenkt  werden  muss: 

Ulpian  1.  1  §  1  h.  t.: 

Maxima  utilitas  est  huius  edicti,   quia  necesse  est 

plenimque    eorum    fidem    sequi    et    res   custodiae 

eorum  com  mitter  e. 

Als  ein  drittes  Motiv  endlich  haben  wir,  nach  den  obigen 

geschichtlichen  Erörterungen  (§  7),  den  üblichen  ausdrücklichen 

Garantievertrag    des   Schiffers   und   des  Wirths   zu  erachten, 

dessen  Klagbarkeit,  Interpretation  und  spfltere  Subintelliginmg 

eben  auf  Rechnung  der  beiden  ersten  Motive  zu  setzen  ist. 

Von  diesen  drei  Motiven,  welche  zusammengenommen  die 
rechtspolitische  Grundlage  unseres  Instituts  bilden,  trifft  nun 
keines  überhaupt  oder  doch  vollständig  auf  den  Landfracht- 
verkehr zu. 

a)  Die  römischen  Fuhrleute  haben  offenbar  eines  besseren 
Rufes  genossen  als  die  Schiffer.  Das  gilt  auch  noch  heute. 
Unterschlagungen,  insbesondere  von  Seiten  der  Stromschiffer, 
namentlich  an  Cerealien  und  Rohprodukten,  sind  auch  noch 
gegenwärtig  sehr  häufig ' ;  gegen  sie,  seltener  gegen  Fuhrleute, 
sind  besonders  strenge  Vorschriften  erlassen  worden  =. 


'  Diese  Erfuhrun^tliatsach«  beieugl  auch  Bosch,  Darstellung  der 
Handlimg  I  S.  S3S,  539:  «Dabei  kann  ich  die  Anmerkung  nich.1  nnterdrUcken, 
dais  die  Beispiele  von  Dieberei  nnd  Veruntreaang  bei  Landfcaditen  viel  seltener 
all  bei  Schiffen  sind,  ungeachtet  ein  FuhnDann,  der  viele  Meilen  ohne  Zeugen 
aber  Land  fährt,  sie  viel  leichter  ünden  muss ,  als  Seeleute  in  einem  vollge- 
pBCklen  SchiRe,  aus  welchem  sie  nar  im  Hafen  das  Gestohlene  auf  die  Seile 
bringen  können.  Auf  Flnssfahrlen  sind  die  Beispiele  viel  häufiger.  Die  Ur- 
sache scheint  mir  theils  in  der  Lebensart  eines  FohrmaaDes,  theils  in  diesem 
Unutande  zu  liegen:  der  Fuhrmann,  welcher  Vfaäten  veruntreut,  kann  die 
Schuld  auf  Niemanden  anders,  höchstens  auf  seinen  Knecht,  werfen.  Aber  er 
kennt  seine  Knechte  besser,  und  wechselt  nicht  oft  mit  ihnen;  weiss  ancb,  dasi 
er  keine  Fracht  da  wieder  findet,   wo  er  oder  seine  Knechte   sich  verdichtig 

..oslc 


Aiudehnung  auf  den  Landtraniportvciirsg?  475 

b)  Das  BedUrfniss  der  Sicherheit  gegen  Entwendung  und 
Beschädigung  scheint  das  gleiche  für  den  Land-  und  Wasser- 
transport  zu   sein.     Allein   dieses  Bedürfniss   reicht    für   sich 


gemacht  haben.  Der  SchifTer  hingegen,  welcher  fast  zu  jeder  Reiie  andere« 
Volk  dinget,  ichiebt  e»  auf  dieses  uod  wird  immer  vorgebea,  er  habe  nur 
sicbcre  Leute  ausgesucht.* 

'  Freilich  begegnen  schon  früh  Straf  Vorschriften  mgleich  gegen  Fuhrleute 
und  Schiffer,  sowohl  in  Rcichsgesetzen  (Kaiser  Maximilian's  Ordnung  der  Wein 
halber  §  3  im  Abschied  des  1498  lu  Freiburg  im  Breisgau  abgehaltenen  Reichs- 
tages [Gerstlacher,  Haodb.  der  deutschen  Reichsgesetze  Tb.  IX  S.  1343]; 
Reichspolizeiordnung  von  1548  tiL  161  von  1577  tit.  16;  Reichsgutacbten  vom 
^ — ^^1686  [bei  Gerstlacher  IX  S.  1351]),  wie  in  Partiltulargesetren 
und  Sladtrechten  (i.  B.  Braunschweig-Ltlneb.  Edikt  v.  21.  Dez.  1639  [Mar- 
perger,  Neueröffnete»  Handelsgericht  S.  ajsj).  Rev.  Lüb,  Recht  1.  IV 
tit  I  itrt.  7,  wie  dessen  frühere  Redaktionen  (Cod.  Brokes  II  Z33,  III  134; 
Hacb  IV  52),  vgl.  KSsClin,  KritJscbe  Ueberschau  III  S.  zio,  33g;  und  die 
neueren  StrafgesetzbUcber  bedcoben  meist  die  Unterschlagungen ,  sowohl  der 
Fuhrleute  wie  der  Schiffer,  und  zwar  als  qualiRzirte  Unterschlagung,  sofern 
sie  tlberbaupl  die  Frachtfahrer  besonders  rrwäbnen.  So  Bayer.  Strafgesetzb. 
An.  331 ;  Oldenburg.  Art.  236  (jetzt  aufgeboben  durch  Verordnung  vom 
7.  November  1836);  WBrttemb.  An,  347;  Braunschweig.  An.  221;  Hanno- 
versches Art.  307;  Grossherz.  Hessisches  Art.  3S3 ;  Njssauisches  Art  376. 
(Die  übrigen  Strafgesetzbücher  heben  diese  Ffille  nicht  besonders  hervor.) 
Ihre  gemeinsame  Quelle  ist  der  Code  penol  Art.  386,  387.  Indessen  ist  fOr 
die  neueren  Slrafgeselibacber  die  prinzipielle  Auffassung  und  die  Abstraktion 
Ton  der  grösseren  oder  geringeren  HKufigkeit  der  Verbrechen  selbstverstindlich  — 
nni  «n  oaiverer  Standpunkt  des  Gesetigeben  vermag  fflr  die  hier  behandelte 
mehr  sUtiuische  Frage  eb  Zeagniss  lu  genihren.  Ais  ein  Zeugniss  dieser  Art 
könnte  die  hambui^.  Verordnung  vom  5.  Dei.  1766,  rev.  23.  M£r2  1786,  and 
eingeschfirft  durch  Bekaontmachimg;  des  Ralhs  vom  13.  Sept.  1S55  (Ham- 
burgisches Handelsarchiv  S.  143 — 147)  angelogen  werden,  welche  die  SchiA- 
diebstSble  mit  besonders  stiengea  Strafen  bedroht;  vor  Allem  aber  die  preussiiche 
Gesetzgebung.  Das  allgemeine  Landrecht  (H  8  %  1510)  hebt  nur  die  Unter- 
tchlagungen  der  Schiffer  hervor,  und  bedroht  diese  mit  doppeltem  Scbadens- 
ersatz  und  der  Strafe  des  Betrugs.  Erst  das  Gesetz  vom  14.  April  1834  (G.S. 
S,  79)  ahndet  die  Unterschlagangen  sowohl  der  Fuhrleute  wie  der  Schiffer 
mit  der  Strafe  des  gemeinen  Diebstahls  unter  erschwerenden  Umstanden. 
Sehr  roerkwUtdig  ist  insbesondere  die  noch  geltende  Verordnung  vom  J.  Mai 
1809  (Rabe  X  S.  101),  ^1.  mit  A.L.R.  11  8  g  1403;  I  15  §  19,  ■?.  Sie 
•teilt  die  hinsichllich  der  Vindikation  sehr  vrichtige  Prlsnmtion  auf,  dass  Alles, 
was  der  Schiffer  von  seiner  Ladoi^  and  überhaupt  von  solchen  Waoren, 
welche  gewöhnlich  den  Inhalt  von  Schiffsladungen  bilden,  verkauft,  als  ge- 
stohlenes Gut  gelten  solle.  Die  Motivinmg  im  Eingange  dieser  Verordnung 
erinnert  an  die  Ererterungen  Ulpian's  zum  prfitorischen  Edikt.    iDa  die  SchiSiS' 


oogic 


476  ^3s  receptum  nautaruni,  caoponuin,  stabalarionini. 

nicht  aus,  um  das  Maass  der  Haftung  zu  bestimmeo.  ENe 
Verhältnisse  liegen  beim  Landfrachtfahrer  anders  als  beim 
Schiffer  und  Wirth.  Das  Gut  ist  nicht  so  leicht  Beschädigungen 
und  Entwendungen  durch  Passagiere  ausgesetzt,  um  so  mehr 
aber  durch  Dritte,  namenthch  bei  den  häufigen  Umladungen; 
die  Gefahren  des  Transports  sind  an  sich  geringer,  hingegen 
die  Kontrolle  durch  den  Frachtfahrer  ist  schwerer  als  durch 
den  Schiffer  und  Wirth.  Diese  Kontrolle  dem  gewöhnlichen 
Frachtfahrer  zuzumuthen,  erscheint  unbillig.  Für  Post-  und 
Eisenbahoanstalten  fällt  freilich  dieses  Bedenken  fort. 

c)  Endlich  findet  sich  von  einer  ähnlichen  Verkehrsatte, 
■wie  sie  oben  §  7  für  den  Schiffs-  und  Wirthshausverkehr  dar- 
gestellt ist,  im  Landfrachtverkehr  keine  Spur.  Und  wer  das 
auffällig  erachten  sollte,  der  mag  daran  erinnert  werden,  dass 
auch  gegenwärtig  die  Schiffer  Verpflichtungsdokumente  (Kon- 
nossemente) ausstellen,  dagegen  den  Landfrachtfahrem  nur 
vom  Absender  unterzeichnete  Begleitschreiben  (Frachtbriefe) 
mitgegeben  werden.  Die  Gefahren  des  Wassertransports  sind 
grösser,  die  Dauer  desselben  in  der  Regel  eine  längere,  man 
muss  dem  Schiffer  ein  grösseres  Vertrauen  gewähren  (1.  1 
§  1  h.  t.),  und  sucht  darum  nach  gewichtigeren  Garantien 
als  die  Regeln  des  Jus  commune  darbieten.  Nicht  der  Um- 
stand ,  dass  überhaupt  Vertrauen  geschenkt  werden  müsse, 
welcher  bei  sehr  vielen  Rechtsgeschäften  in  gleichem  Maasse 
zutrifft,  sondern  das  durch  die  Verhältnisse  gebotene  Maass 
des  Vertrauens  ist  entscheidend. 

In  einem  geordneten  Rechtszustande  sind  grösseres  Ver- 
trauen des  Gläubigers  und  strengere  Rechtshülfe  für  denselben 
Korrelate.  Das  tritt  auch  geschichtlich  klar  genug  hervor. 
Man  denke  an  die  Exekutivkraft  des  nexum,  an  die  strenge 
actio  certae  pecuniae  creditae  mit  ihrer  Sukkumbenzstiafe; 
an  die  materielle  und  formelle  Strenge  unserer  Wechselklagen; 
an  die  Infamie,  welche  den  verurtheilten  Schuldner  in  judido 
fiduciae,  tutelae,  mandati,  pro  socio,  depositi  traf  u.  dgl.  dl 


nnd  Schiffskncclite  öfters  die  ihnen  anvertraute  Ladung  veruntreuen,  auch  wohl 
durch  deren  Anfeuchtung  ihre  Scbw«re  zu  vergrössem  suchen  eto  Hier  ut 
die  Entstehung  aus  dem  unmittelbaren  praktischen  BedUrfniss  offenbar,  und 
bezeichnend  genug,  dass  gegen  die  Fuhrleute  niemals  eine  Sholiche  Vonehrift 
erlassen  worden  ist. 


„Google 


Ausdehnung  auf  d«D  Lsadlransportvertrag?  477 

Stehen  nun  diese  Gründe  einer  jeden  wissenschaftlichen 
Ausdehnung  unseres  Instituts  auf  den  Landfrachtverkehr 
entgegen,  so  könnte  nur  noch  die  Frage  aufgeworfen  werden, 
ob  etwa  demungeachtet  durch  gemeines  Gesetz  oder  gemeine 
Gewohnheit  eine  solche  Ausdehnung  herbeigeführt  worden 
sei.  Allein  ein  Reichsgesetz  der  Art  existirt  nicht,  und  eine 
gemeine  Gewohnheit  ist .  durchaus  imerweislich.  Dagegen 
spricht  schon  der  im  vorhergehenden  Paragraph  geführte 
Nachweis,  dass  sogar  im  Seerecht  die  Rezeption  des  römischen 
Rechts  auf  grosse  Schwierigkeiten  gestossen  ist.  Unter  den 
Schriftstellern  und  in  der  FVaxis  war  die  Frage  von  jeher 
kontrovers,  so  zwar,  dass  die  überwiegende  Mehrzahl  sich 
jederzeit  gegen  die  Ausdehnung  aussprach',  und  selbst  unter 
den  Vertheidigem  der  analogen  Ausdehnung  haben  nur  sehr 
Wenige  die  Ausdehnung  auf  alle  Fälle  des  Landtransports 
vertheidigt ' :  häufiger  auf  den  Verkehr  der  Posten  und  Land- 
kutscher 3. 


■  Vgl.  die  Nachweise  bei  Maller  a.  a,  O;  Cnyrim  a.  ».  O.  §  i; 
W.  Koch,  EUenbahnen  II  §  6,  23;  Kompe,   Zeitschr.  f.  Recht  XVIII  §4. 

■  Unlei  den  Neueren  namendich  viele  Germanisten:  Bender,  GnindsEtze 
dei  Handlongsrecbts  I  .S.  15S— l6o(P)',  Pohls,  Handelsrecht  I  §  6S;  KtiCz, 
Pandektenr.  I  2  S.  308,  317;  Mit  termaier,  Deutsches  Privatf.  11  g  S40, 
543,  550.  Srhr  merkwürdig  Maurenbrecher,  Lehrbuch  des  ges.  heutigen 
gemeinen  deutschen  Rechts  II  §  634;  Morstadt,  Kommentar  tv  Martens 
S.  4Ö;  Feust,  Blittcr  für  Rechtsanwendung  in  Bayern  VII  S.  387;  Hille- 
braod,  Deatschei  Privatrecht  §  114  Note  18;  Keyscher,  Württemberg. 
Privatrecht  II  g  460,  461;  Bes«ler,  D,  Privatrecht  III  S.  355.  352. 
Bluntschli,  D.  Privatrecht  II  §  130.  Uebrigens  ist  eine  sichere  Klassihkstion 
am  deswillen  unmöglich,  weil  über  die  piaktischco  und  innerlicheD  Unterschiede 
zwischen  der  civilen  Verantwortlichkeit  und  der  Haftung  ex  recepto  so  grosse 
Unklarheit  xu  herrachen  pflegt.  Doch  darf  man  wohl  annehmeo,  dass,  wo  die 
Landfrachtfahrer  den  Schiffern  gleichgestellt,  oder  nur  dorch  vis  major,  höhere 
Gewalt  Q.  dg),  befreit  werden  sollen,  die  Haftung  ex  TEcepte  gemeint  Ist.  Vgl. 
die  Note  1  auf  S.  453. 

1  Dafbr  pflegt  mao  sich  weniger  auf  innere  GrUnde,  als  anf  eine  behauptete 
Praxis  au  berufen,  i,  B.  v.  Zangen,  Kurie  Erörterung  etc.  S.  28 — 30,  33 — 36, 
la,  13;  Gltick  VI  g  193;  Mohlenbruch,  Pandekten  g  451 1  Koch,  R.  der 
Ford.  III  S.  Sag  ;  PuchCa,  Pandekten  [iz.  Aufl.]  g  3[4  beemrkC:  «Die  Anwen- 
dung auf  Landfnhrwerk  ist  lulälsig,  soweit  es  als  Gewerbe  lur  BeßSrderang 
von  Personen  betrieben  wird;  auf  Staatsanstalten  dieses  Zwecks  kann  es  nicht 
belogen  werden.«  Vorsichtiger  in  seinen  Vorlesungen  ad  b.  1.  «Bestritten  ist 
es,  ob  das  Edikt  auch  auf  Landfnhrwerke  Anwendung  finde.  Auf  keine  Weiss 
findet  es   statt   bei   dem  Transport  von  Sachen   allein.     Ausserdem  ist  es  an- 


478  Db>  receptiun  nautonim,  ouponDm,  itabuluiorum. 

Auffallend  genug  erwähnt  der  ausführlichste  Schriftsteller 
über  den  Laadf rachtvertrag ,  MUnter,  der  Kontroverse  gar 
nicht,  sondern  behandelt  die  Fuhrleute  durchaus  nur  nach 
den  Grundsätzen  der  locatio  conductio,  obwohl  er  die  Theorie 
auch  der  actio  de  recepto  bei  Gelegenheit  des  Verhältnisses 
zwischen  den  Fuhrleuten  und  den  Fuhrmannswirthen  in  ihrem 
ganzen  Detail  bespricht.  Auch  Veillodter  in  seinem  »Ent- 
wurf eines  allgemeinen  Handelsrechts«  Frankfurt  a.  M.  1799 
deutet  in  der  sehr  ausführlichen  Aufzählung  aller  Pflichten 
des  Fuhrmanns  (S.  221  ff.  namentlich  §  8—11,  17—24)  mit 
keinem  Worte  darauf  hin,  dass  der  Fuhrmann  über  sein  und 
seiner  Leute  Verschulden  hinaus  haften  solle.  Und  unter  den 
älteren  Schriftstellern  sind  gerade  diejenigen,  welche  ex  pro- 
fesso  das  Recht  der  Fuhrleute  behandeln,  die  entschiedecsten 
Gegner  einer  jeden  Ausdehnung  unseres  Instituts,  z.  B,  L  a  u  t  e  r- 
bach,  Diss.  de  nautis,  caupon.  stabular.  1676  (diss.  academ. 
disp.  CV)  Nr.  33—35;  Mieth,  Disp.  de  eo  quod  justum  est 
circa  aurigas.  Jene  1699,  cap.  4  §  10,  vgl.  cap.  3  §  2,  4  ff., 
cap.  2  §  10;  Harpprecht,  Das  Recht  der  Fuhrleute,  Th,  I 
Cap.  2  §  16,  Cap.  3  §  2;  Werner  {praes.  Harpprecht), 
Actio  utitis  de  recepto  1707,  wo,  wie  bei  Lauterbach,  auch 
reiche  Belege  aus  der  älteren  Literatur  und  Praxis  gegen  die 
Ausdehnung  angeführt  werden,  namentlich  Nr.  86—119  (vgl. 
mit  der  Aufzählung  der  Gegengründe  und  Gegner  Nr.  120 
bis  154),  200—204 ;  darunter  Urtheile  der  Rota  Romana,  der 
Leipziger  Schöffen,  des  Frankfurter  Raths,  der  Tübinger 
Juristenfakultät.  Der  Verfasser  des  Codex  Maximil.  Bavari- 
cus  lehnt  Jede  Ausdehnung  des  im  Üebrigen  adoptirten  In- 
stituts auf  den  Landverkehr  ab.  (Anmerkungen  zum  Codex 
Maximil.  Bavar.  [Münch.  1765]  Th.  IV  S.  657.)  In  gleicher 
Weise  hat  sich  die  preussische  Gesetzkommission  in  der  Ent- 
scheidung vom  25.  Februar  1783  gegen  die  Ausdehnung  desselben 
auf  Fuhrleute  erklärt  (Klein,  Annalen  der  Gesetzgebung  und 
Rechtsgelehrsamkeit  in  den  Preuss.  Staaten  Bd.  I  S.  76—81); 

IKiiig,  e*  wird  aber  doch  auf  die  Praxis  des  Landet  ankommen, 
denn  eine  innere  Noth wendigkeit  der  Aatdetmnng;  liegt  nicht 
Tor,  und  in  der  Tbat  sind  di«  Ffille  nicht  ganz  gleich.«  Gegen 
jede  Unterscheidung  und  (Oi  allgemebe  Ausdehnung:  Mackeldey,  Di^ 
dt.  S  36. 


itizecy  Google 


AusdehDung  auf  den  LandtramportTertraj;?  479 

übrigens  beruht  die  Anfrage,  und  vermuthlich  auch  die 
Entscheidung,  auf  unrichtigen  Ansichten  über  die  Beweislast. 

Die  neuesten  Schriftsteller  verneinen  jede  analoge  Aus- 
dehnung '. 

Was  insbesondere  den  Post-  und  Eisenbahnverkehr  an- 
langt, so  gelten  fUr  diesen  freilich  in  manchen  Beziehungen 
strengere  Normen  als  für  den  gewöhnlichen  Landfrachtvertrag, 
allein  nicht  etwa  wegen  dessen  Beurtheilung  nach  den  Grund- 
sätzen des  receptum,  sondern  nur  in  Folge  eines  für  diese 
grossen  Institute  theils  gewohnheitlich ,  theils  durch  auto- 
□omische  Satzungen  ausgebildeten  Sonderrechts.  Es  genügt, 
in  dieser  Beziehung  auf  die  neuesten  mehrfach  erwähnten 
gründlichen  Darstellungen  dieses  Sonderrechts  von  W.  Koch 
und  Kompe  zu  verweisen,  — 

Nur  ein  Punkt  scheint  allerdings  durch  deutsches  Ge- 
wohnheitsrecht, dem  Bedürfniss  des  heutigen  Verkehrs  und 
dem  älteren  einheimischen  Recht  gemäss,  gegen  das  römische 
Recht  allgemein  festgestellt  zu  sein:  nämlich  die  unbedingte 
Haftung  jedes  Frachtführers  für  sein  Dienstpersonal.  Dass 
dieser  Satz  irriger  Weise,  wie  mir  scheint,  auf  römische  Texte, 
namentlich  auf  1.  25  §  7  D.  locati  gegründet  wird,  würde 
an  seiner  Geltung  als  Gewohnheitsrechtssatz  nichts  ändern. 
Er  wird  überall  als  unzweifelhafter  Rechtssatz  gelehrt,  ange- 
wendet, und  in  den  Gesetzbüchern  ausgesprochen', 

'  So  Müller,  Cnyrim,  Koch,  Kompe  a,  a.  0.;  v.  Linde,  Zeit- 
>cbr,  f.  Qvilr.  und  Proieu,  N.  F.  Bd.  l6  S.  187  ff.  >Ist  jetzt  wohl  nicht 
mehr  streitig.:  Brinckm«no  -  Eodemann ,  Lehrbuch  de»  Handelsrecht» 
§  114  Note  13,  Zn  den  Verzeichniiten  bei  Mfliler,  Koch  etc.  wiren  noch 
als  GegDer  jeder  Ansdehnuog  nachiatiagen:  Heiue'a  HandeUrecht  S.  79, 
Das  hsmhnt^sche  Hnndelsgericht  in  einem  Urtheil  t.  J.  1818,  und  dazu  die 
Nachschrift  des  Dr.  Kleinwort  (Archiv  f.  das  Handelsr.  Bd.  II  S.  35,  33). 
Blitler  fUr  Rcchtsanwendving  in  Bauern  XI  S.  18  and  die  Redaktion  derwlben 
Vm  S.  388  Note  2;  Reinhardt,  Ei^Sniungen  xu  GlOck  II  5.  281,  282; 
Walter,  Syilem  des  gemeinen  deutschen  Privatrechts  §g  279,  278  ()),  Eine 
Aninahme  macht  nur  Beachotner,  Das  deutsche  Eisenbahurecbt  S.  z6j 
und  Archiv  fllr  civil.  Praxis  Bd.  41  S.  401 ,  doch  ist  denelbe  aber  die  wirk- 
lichen Diflereozen  zwischen  blosser  locutio  conductio  uad  receptum  im  Un- 
klaren.    Vgl.  z.  B,  dessen  Etseabahnrecht  S.  235,   236. 

*  Bei  Adteren  finden  sich  wohl  abweichende  Ansichten,  z.  B.  Werner 
(praes.  Harpprecht),  1.  c.  Nr.  206  fr.),  die  Neueren  dagegen  sprechen  rieh 
aberall  ftlr  die  unbedingte  Haftung  aus,  i.  B.  Munter,  Fracbtfihrerrecht  1 
S,  48  ff.;    Maller  a,  a.  O.  §§  21,  32;    Cnjrim,  IMn.  g  9;    Koch,  Eiien- 


480  Das  receptDm  naatamin,  caapODam,  tUbulariorum. 

Was  sodann  die  deutschen  Gesetzgebungen  und 
Partikularrechte  anlangt,  so  finden  sich  in  diesen  nur  folgende 
analoge  Ausdehnungen  unseres  Instituts. 

Das  A.  L.  R.  II  8  §§  2452-2464  unterwirft  die  Fracht- 
fuhrleute durchaus  den  Grundsätzen  des  Dienstvertrages 
(Vertrag  über  Handlungen  A.  L.  R.  I  11  §  869  ff.);  nur  be- 
stimmt es  ausdrücklich  g  2459,  dass  dieselben  schlechthin  für 
eigene  geringe  Versehen  und  für  die  geringen  Versehen  auch 
ihrer  Leute  haften  müssen  — ■  gegen  die  allgemeinen  Regeln  I  6 
§§  58—69,  I  5  §  278,  I  11  §  899.  Ausnahmsweise  sind  jedoch 
die  »Inhaber  öffentlicher  Landkutschen,  welche  der  Staat  bestellt 
oder  besonders  privilegirt  hat,  um  Reisende  oder  Sachen  fortzu- 
schaffen!, desgleichen  »die  Inhaber  solcher  Fähren,  welche  zum 
Uebersetzen  der  Reisenden  bestimmt  sind«,  den  Rhedem,  und  die 
Fuhrer  dieser  Kutschen  oder  Fähren  den  Schiffern  gleichgestellt 
§§  2452—2457'.  Die  fortdauernde  Geltung  dieser  Vorschrift 
ist  für  die  neben  den  Staatsposten  noch  bestehenden  Fuhr- 
institute der  Art  durch  Urtheil  des  Obertribuoals  zu  Berlin 
vom  26.  Juni  1855  (Striethorst 's  Arch.  f.  Rechtsf.  XVÜ 
S.  307  ff.)  —  gegen  mehrfache  Anfechtungen  —  aufrecht- 
erhalten worden.  Die  C.O.  vom  14.  Juli  1841  stellt  die  Strom- 
schiffer auch  bezüglich  des  Verhältnisses  zu  den  Befrachtern 
den  Seeschiffern  gleich.  Noch  darüber  hinaus  geht  und  den 
römischen  Grundsätzen  Über  das  receptum  näher  steht  die 
Vorschrift  des  preussischen  Eisenbahngesetzes  vom  3.  Novem- 
ber 1838  §  25. 

Die  Gesellschaft  ist  zum  Ersatz  verpflichtet  für 
allen  Schaden,  welcher  bei  der  Beförderung  auf  der 
Bahn  an  den  auf  derselben  beförderten  Personen  und 
Gütern ,    oder    auch    an  andern    Personen    und    deren 

bahnen  II  S.  2J,  133,  134;  Kompe,  Zeitscbr.  f,  D.  R.  XYIII  S.  3*8; 
—  selbElverständlicb  diejeaigen,  welche  Qberbaupt  den  conductor  operis  und 
Geachäflsherm  fUr  seine  Gehfllfen  boften  lassen,  oder  welche  die  Grundüue 
de<  receptum  auch  auf  den  LandfracbCfahrer  anwendcD.  Ueber  die  nenercn 
Gesetibtlcher  siehe  den  Teit  im  Folgeoden,  und  oben  S.  469  Note  4—6, 
470  Note  1—3. 

'  Kritik  dieser  Voischriften  bei  Gelpke,  Zdtschr.  &  Hudelarecht  III 
S.  56 — 64.  NShere  AusfUbning  in  Fischer,  Freussens  kanfmtnniichei 
Recht  S.  339  tf. 


izecoy  Google 


AaidebniiDg  auf  den  Land transporl vertrag !  481 

Sachen   entsteht,    und   sie    kann   sich   von  dieser  Ver- 
pflichtung nur  durch  den  Beweis  befreien,    dass  der 
Schaden  entweder  durch  eigene  Schuld  des  Beschädigten 
oder   durch   einen   unabwendbaren   äusseren  Zufall  be- 
wirkt worden   ist.     Die   gefährliche   Natur  der  Unter- 
nehmung selbst  ist  als  ein  solcher  von  dem  Schadens- 
ersatz befreiender  Zufall  nicht  zu  betrachten'. 
Dass   diese  Vorschrift  durchaus  auf  dem  Vorbild  der  ge- 
meinrechtlichen, preussischen  und  französischen  Regeln  über 
das  receptum  beruht,  ist  wiederfaolentlich  von  den  preussischen 
Gerichten  anerkannt  worden'.  — 

Das  österreichische  bürgerl.  Gesetzb.  §§  970,  1316 
behandelt  Schiffer,  Fuhrleute  und  Wirthe  nach  gleichen 
Grundsätzen. 

Im  sächsischen  Recht  ist  die  Ausdehnung  unseres 
Instituts  in  gleichem  Maasse  bestritten  wie  im  gemeinen;  für 
den  Postverkehr  steht  seine  Unanwendbarkeit  sogar  fest'. 
Allerdings  sind  in  neuester  Zeit  mehrere  Entscheidungen 
sächsischer  Gerichte ,  auch  des  Oberappellationsgerichts  zu 
Dresden,  ergangen,  welche  für  den  Landfrachtverkehr,  und 


'  Kritik  des  §  35  bei  HaDteroann,  Kritik  des  prensiiichen  Ei*ett- 
bahngesetzes  vom  y  Nov.  tSjy.  Aachen  1841  S.  6S — 71.  Ueber  die  Auilegung 
und  AoweaduDg  dieser  Vorsclirifi  siad  folgende  Urtlieile  des  pretmitcben  Ober- 
tribomU«  lu  vergleichen:  vom  22.  April  1855  (Striethartt' ■  Archiv  XXI 
S.  114—116),  vom  13.  November  1857  (eod.  XXVII  S.  iiS— 136  and 
Enttcbeidungen  XXXVll  S.  31—41),  vom  14.  Dezember  1S57  (eod.  XXVI 
S.  359—371  und  Enticb.  XXXVll  S.  42—51),  vom  34.  April  1854  (Entsch. 
XXVIII  S.  370^-276)  und  vom  19.  Oktober  1S58  (Zeitachr.  f.  d.  g.  H.  Bd.  III 
S.  3ig,  230). 

>  Vgl.  oben  S.  460  Note  1,  469  Note  4,  471  Kote  1  und  die  bri  W. 
Koch  abgedruckten  Urtheile  des  rheiniicben  Appdlbofea  vom  3.  Dezember 
1849  (Eisenbahnen  Bd.  II  S.  60),  des  OberlribuniLls  lu  Berlin  v.  16.  HKrz 
iSja  (eod.  S.  62),  des  rheinischen  Appellhofes  v.  21.  Januar  1853  (eod. 
S.  65),  des  Obertribunals  lU  Berlin  v.  8.  MIrz  1S53  (eod.  S.  66) ;  insbesondere 
das  Urtbeil  des  Obertribunals  v.  6.  Juli  1858  (eod.  Anlagenheft  Anl.  XXVI 
S.  310,  3H>    Vgl.  auch  Koch  11  S.  69—71. 

}  Vgl.  Haubold,  Lehrbuch  des  sficha.  PrivaCrechCs.  3.  Aosg.  §  3S8  b. 
Zos.  2  und  §  359  Note  d  e.  Die  hier  nnd  sonst  zitirte  Schrift  von  Funk- 
binel  (Ueber  die  Anwendbarkeit  der  prfitoiischen  actio  de  recepto  auf  die 
Enativerbindlichkeit  der  henCigen  PostanstaJien,  Fnhrleate  etc.  GtauclUD  1S3Ö} 
liabe  ich  nicbt  erlaogen  können. 

Galdichmidl,  VemiiicliM  SchriftsD.    H.  3I 

D,3,l,:a,.,,GüOglc 


432  ^'i  receptum  nautaTum,  cauponum,  stsboliirionun. 

insbesondere  für  den  Eisenbahntransport ,  aasdrücklich  die 
Grundsätze  des  receptum  adoptiren'.  Sieht  man  indessen 
näher  zu,  so  handelt  es  sich  in  allen  diesen  Urtheüen  nur  um 
die  Frage  von  der  Beweislast,  und  nur  dämm  werden  jene 
Grundsätze  herangezogen,  um  den  Satz  zu  rechtfertigen,  dass 
nicht  der  Befrachter  die  Schuld,  sondern  der  Frachtfahrer 
den  Zufall  zu  erweisen  habe.  Bedarf  es  aber,  wie  oben  §  4 
Note  2  auf  S.  421  gezeigt  worden  ist,  zu  diesem  Behuf e 
durchaus  keiner  analogen  Ausdehnung  der  Theorie  des  recep- 
tum, sondern  fuhren  die  Grundsätze  der  locatio  conductio 
durchaus  zu  dem  nämlichen  Resultate,  so  kann  durch  jene 
Urtheile  unsere  Kontroverse  offenbar  nicht  für  die  neuere 
Praxis  als  entschieden  erachtet  werden.  Und  dies  nm  so 
weniger,  als  sogar  eine  gleich  grosse  Anzahl  Urtheile  aus 
derselben  Zeit  auf  einem  durchaus  verschiedenen  Stand- 
punkte steht". 

Man  hat  tlberbaupt,  in  Ermangelung  klarer  Einsicht  in 
den  wahren  Inhalt  unseres  Instituts  und  dessen  Unterschied 
von  der  locatio  conductio,  mit  der  Behauptung,  dass  auf  das 
erstere  nicht  die  Grundsätze  der  letzteren  anwendbar  seien, 
so  argen  Missbrauch  getrieben,  dass  sogar  da,  wo  etwa 
die  Ausdehnung  der  actio  de  recepto  auf  den  Laudfracht- 
verkehr  als  ausdrückliche  Usance  bezeugt   ist,  wie  z.  B.  in 


■  Uctbeil  dcf  A.G.  lu  Leipzig  t.  9.  Duember  1S48,  besiäügt  durch  du 
O.A.G.  »n  Dreden  v.  ai.  Juoi  1849  (bei  Koch  ,  AnUgenbefl  S.  90.  91);  ia 
Appellalionigerichte  »u  Leipiig  v,  aj.  April  1856  (eod.  S.  97).  des  Spruch- 
koUegiunu  ni  Leipzig  v.  25.  September  1855  (eod,  S.  101—104).  Auf  diesen 
Urtheile»  und  auf  demselben  Imbom  fuuen  die  Note  l  S.  479  enrlhuten 
AnißthruDgeo  Beschorner' s. 

'  So  erkennt  du  O.A.G.  lü  Dreaden  in  dem  L'rlheil  v.  31.  Januu  1S56 
ausdcUcklich  and  unumwunden  die  atigemeine  Geltung  der  von  uns  Note  1 
S.  421  verlheidigten  Grmjdi8tie  hinsichtlich  der  BeweislMl  an  (Koch,  Ad- 
lagebeft  S.  108,  109  und  Seufferl's  Archiv  XI  Nr.  «37).  Ein  anderes 
Urlheil  des  O.A.G.  vom  i.  OkL  1856  besifitigt  ein  Unheil  des  Appeliations- 
gerichts  zu  Leipzig,  in  welchem  ausgefUhrt  wird,  dass  e«  hinsichtlich  der 
Beweiilast  keinen  Unterschied  mache ,  ob  man  den  Frachtfllhrec  nach  den 
Gtundsfitten  des  receptum  oder  der  locolio  conductio  benrtheile  (eod.  S.  llj, 
120,  131).  Dagegen  halle  in  derselben  Sache  das  vom  Appellationsgericbl 
ceformirte  Urtbeil  des  Handellgerichts  zu  Leipzig  v.  ApHt  1855  allgemein. 
ohne  auf  unsece  Frage  weiter  einzugehen,  dem  Absender  resp.  Destinatir  den 
Beweis  des  Verschulden»  des  Eisenbahnpersonals  auferlegt  (eod.  S,  125). 


oo< 


Igle 


AusdehDUDg  auf  den  LtadtrampOTl vertrag?  483 

Nürnberg ' ,   ein   sehr  entschiedenes   Misstrauen  gerechtfertigt 
sein  dürfte. 

Anders  verhält  es  sich  allerdings  mit  dem  auswärtigen 
Recht,  Hier  wird  durchweg  der  Landfrachtverkehr  in  diesem 
Punkte  dem  Schiffstransport  gleichbehandelt  —  theils  nach 
eigenthUmlichen  Prinzipien,  wie  im  engliechen  Common  Law ', 
theils  auf  Grundlage  der  römischen  Theorie,  wie  in  den 
französischen  Gesetzbtlchem  und  den  sämmtlichen  neueren 
Handelsgesetzbüchern,  welche  denselben  gefolgt  sind^.  So 
auch  in  dem  Civilgesetzbuch  für  Stadt  und  Republik  Bern 
Th.  II   (publizirt  den    18.  März  1830),  Satzung  737*,   und  in 


'  Andere  partiliulSre  Uskncen  der  Art  und  mir  nicht  beVuint  geworden. 
Für  NflmberK  liegen  Gutachten  (oder  gerichtliche  Entscheidungen]  vor  vom 
25.  Janaar  l8l6,  31.  Mai  1835,  V],  November  1837  [Nürnberger  Samm- 
lung einiger  nUraber^erischen  Handeln-ecfatsgewolinheiten  Nürnberg  1S46 
S>  33>  33>  37i  3^)1  allein  die  konkreten  Eotscheidungen  scheinen  durchweg 
zugleich  den  GmndiStien  der  locatio  conductio  operil  za  eotiprechen.  Du 
Gutacbten  v.  26.  Januar  1S16  bedient  sich  zwar  nicht  der  AuEdrüclw  receptum, 
vis  major  u.  dgl.,  erklSrC  aber  den  Fuhrmann  ftlr  jede  Beichldigung  des  Guts 
auch  durch  Drille  verantwortlich  —  unter  Berufung  auf  MUnter,  in  dessen 
Frachtfabrerrecbt  das  Ciut  nicht  lu  finden  ist,  und  der  nirgend*  an  die  Am- 
dehnnng  der  actio  de  recepto  auf  den  Landtransport  denkt. 

>  Uebec  die  Modifikationen  durch  das  Statute  law  vgl.  oben  g  12  g.  E. 

3  Vgl.  oben  auf  S.  460  Note  \,  469  Note  6,  470  Note  i.  Ueber  das 
französische  Recht  vgl.  noch  Pard  eiaus,  Coonde  droit  comm.Nr.54a,  516,  545; 
Alaciel,  Commentaire  da  code  de  commerce  Nr.  467,  4ÖS,  487;  Trop- 
long,  LouKge  Nr.  916,  936,  937;  Zacbarlli,  Handbuch  II  §373:  Masif 
und  Vergf,  Le  droit  civil  par  Zachariae,  traduit,  annotj  et  r^tabli  etc.  L  IV 
(1858)  g  709,  Ueber  die  Praxi»  Gilbert  lu  Code  civil  art.  1783  ff.  Code 
de  commerce  art.   103. 

*  'Handwerker,  die  fremde  iSachen  lar  Verarb^lane  übernommen,  und 
Wirthc,  Schiffer  und  Fuhrleute  haften  für  den  Schaden,  welcher  aus  der  Ent< 
Wendung,  dem  Verluste  oder  der  B«tchidigaiig  von  Sachen  entsteht,  die  ihnen 
oder  ihren  Dienstleulen  von  Haodwerksknnden ,  aufgenommenen  Reisenden 
oder  als  Frachtgut  augestellt  worden;  es  sei  denn,  sie  könnten  erzeigen,  daa* 
dieter  Schade  in  einem  Zufalle  «einen  Grund  habe,  der  nicht  durch  ihr  Ver- 
Echnlden  herbeigeRIhrt  worden ,  oder  gegen  welchen  sie  sich  durch  die  Vor- 
sichttmaassregeln  nicht  bitten  schätzen  können,  die  ein  ordentlicher  Hatiswirlh 
gegen  solche  ZuflUe  gebraucht,!  Dr.  Schnell  in  seinen  Anmerkungen  Mein 
(Th.  II  Bern  1830  S.  83,  83)  bemerkt,  es  sei  gegen  die  Klage  zu  sxcipiren, 
das*  der  Schaden  in  einem  reinen  Zufall  seinen  Grund  habe ,  d.  h.  in  einem 
solchen  Zufall,  der  nicht  durch  ihr  Verschulden  herbeigeführt  worden,  und 
den  man  durch  die  Vorsieb Isnuassiegeln,  darch  die  man  sich  vor  dergleichen 

31* 


,  Google 


484  ^^  receptnm  nantkrum,  cauponnm,  sUbnlArionun. 

dem  privatrechtlichen  Gesetzbach  für  den  Kanton  Zürich 
§1  1653 — 1656,  1668,  dessen  hier  einschlägiges  viertes  Buch 
mit  dem  1.  Heumonat  1855  ia  Kraft  getreten  ist. 

Zum  Schlüsse  mag  noch  der  neuesten  legislativen  Arbeiten 
gedacht  werden,  insbesondere  der  Entwürfe  zu  einem  Deut- 
schen Handelsgesetzbuch.  — 

ZufSUen  zu  verwahien  pflegt ,  nicht  hatte  abwenden  kGnnen ,  z.  B.  an  nicht 
Torheizasehendci  Katurereignisg,  ein  feindlicher  Ueberloll  n.  dgL  Uan  eiseht 
aus  dieser  Bemeikung  des  Rcdalctois,  dais  man  wirklieb  die  rCinischc  Theorie 
hat  aanehmcD  wollen,  wtihrend  nach  dem  Wortlaut  eine  mildere  Häftling  ge- 
meint enchieue. 


D,  Google 


Anhang. 

Resultate  für  die  l^slative  Gestaltung  und  die 
neueren  Gesetzentwürfe. 

Die  bisherige  Theorie  über  das  receptum  leidet,  abgesehen 
von  ihrer  mangelhaften  geschichtlichen  und  dogmatischen  Be- 
grUndtmg,  an  zwei  auch  praktisch  erheblichen  Fehlem.  Ein- 
mal, dass  sie  —  und  dieser  Vorwurf  gilt  insbesondere  der 
älteren  Behandlung  —  in  den  Grundsätzen  über  die  Beweis- 
last sowohl  den  Hauptunterschied  des  receptum  von  der 
locatio  conductio  operis,  wie  das  wesentlichste  legislative  Motiv 
der  Einführung  des  ersteren  erblickt.  Sodann,  dass  sie  den 
Umfang  der  Haftung  des  Rezipienten  durch  den  juristisch 
unsicheren  Begriff  einer  vom  einfachen  iZufalU  verschiedenen 
»höheren  Gewalt«  bestimmen  zu  können  glaubte.  Die  wirklich 
praktischen  Unterschiede,  welche  die  vorstehende  Darstellung 
ergeben  hat,  sind  nur  folgende'. 

1.  Ex  locato  haftet  der  conductor  nicht  schlechthin  für 
die  Schuld  seiner  Leute,  sondern  nur  dann,  wenn  er  seine 
diligentia  in  eligendo  nicht  zu  erweisen  vermag,  — ■  ex  re- 
cepto  dagegen  unbedingt  Dieser  wichtigste  Unterschied, 
welcher  nach  weit  verbreiteter  Meinung'  sogar  für  das 
römische  Recht  nicht  mehr  besteht,  ist  jedenfalls  durch  ge- 
meines Gewohnheitsrecht  insoweit  beseitigt,  dass  auch  der 
Landfrachtfahrer  unbedingt  für  seine  Leute  einsteht 


>  Dies  irird  du  Urtheil  rechtfertigen,  welches  5,  41S  Note  4  über  die 
Üblichen  AufTuningcn  HOJSgesprochen  ist. 

*  Die  in  Note  I  aufS.  4JI  erwähnte  »usführiiche  Dlrstellung  Ton  übbe- 
lohde  ist  erschienen  im  Archiv  f.  prakt.  Rechtswissenschaft  Bd.  VII  S,  33g 
bi»  176.   ' 


Digil.ze.:,,  Google 


486  ^*^  receptum  nsntanini,  csuponum,  stabnlarionui]. 

2.  Ex  locato  haftet  der  Frachtfahrer  nicht  für  die  Passa- 
giere, sofern  er  nicht  erweislich  schuldbarer  Weise  gefährliche 
Leute  aufgenommen  und  die  Aufsicht  über  dieselben  unter- 
lassen hat  —  ex  recepto  dagegen  unbedingt.  Dieser  Unter- 
schied ist  von  keiner  grossen  praktischen  Tragweite  und  bei 
dem  reinen  Gütertransport  ohne  Gegenstand. 

3.  Ex  locato  haftet  der  Frachtfahrer  nur  für  diligentia 
in  custodiendo  nach  dem  Maassstab  des  diligens  paterfamilias, 
—  dagegen  ex  recepto  ist  er,  vermöge  der  noch  besonders 
übernommenen  custodia,  zur  Anwendung  auch  ausserordent- 
licher, durch  die  Umstände  irgend  indizirter  Vorsichtsmaass- 
regeln  verpflichtet  und  haftet  schlechthin,  sofern  nur  deren 
Unterlassung  die  Beschädigung  oder  Entwendung  ermöglicht 
hat.  Im  entgegengesetzten  Falle  ist  auch  er  frei.  5.  448, 
449  sind  einige  Beispiele  angeführt,  aus  denen  sich  die  Grenze 
zwischen  der  beschränkten  und  der  umfassenderen  Haftung 
ersehen  lässt.  Einen  anderen  hierher  gehörigen  Fall  hat  das 
O.A.G.  zu  Lübeck  in  dem  Urtbeil  vom  30.  März  1858  ent- 
schieden (Zeitschr.  f.  d.  g.  H.  I S.  574  ff.).  Allein  bei  unbefangener 
Betrachtung  darf  nicht  verkannt  werden,  dass  diese  Grenz- 
linie eine  überaus  schwankende  ist,  und  dass  dem  praktischen 
Bedürfniss  mit  der  Haftung  für  dihgentia  sicherlich  genügt 
wäre.  So  ist  z.  B.  bei  Berathung  des  Entwurfs  eines  deutschen 
Seerechts  in  der  Hamburger  Subkommission  ohne  Widerspruch 
folgender  SaU  aufgestellt  (Prot  S.  2286,  2287).  .Der  Schiffer 
liefert  unverletzte  Theekisten  mit  stinkendem,  also  beschädigtem 
Thee  ab.  Es  wird  ihm  bewiesen,  dass  der  Thee  bei  der  Ab- 
ladung unbeschädigt  war,  und  dass  er  durch  die  Nachbarschaft 
einer  anderen  Kiste  infizirt  wurde,  in  welcher  sich  innerlich 
schlecht  verpackte  Apothekerwaaren  befanden,  welche  fälsch- 
lich als  Kaufmannsgüter  erklärt  worden  waren.  Dabei  steht 
fest,  dass  weder  den  Schiffer  noch  seine  Mannschaft  irgend 
ein  Verschulden  trifft.  Der  Kaufmann  hat  in  solchem  Falle 
unbezweifelt  ein  Recht  gegen  den  Schiffer  aus  dem  receptum; 
dagegen  haftet  ihm  weder  der  Assekuradeur ,  noch  hilft  ihm 
seine  Klage  gegen  den  Ablader  der  Apothekerwaaren,  wenn 
dieser  persönlich  seine  Unschuld  an  der  falschen  Deklaration 
beweist,  oder  wenn  er  insolvent  ist.  Dies  ist  einer  von  den  vielen 
Fällen,  inwelchendasGut  wirklich  ohne  Schuld desSchiffersdurch 
einen  von  ihm  ex  recepto  zu  vertretenden  Zufall  beschädigt  wiitLc 


Anhang.  487 

Ich  möchte  bezweifeln,  dass  sich  viele  solche  Fälle  auf- 
führen lassen,  sie  wären  aber  jedenfalls,  nach  den  in  dieser 
Abhandlung  entwickelten  Grundsätzen,  im  entgegengesetzten 
Sinne  zu  entscheiden'.  Alle  Billigkeit  spricht  dagegen,  hier 
den  Schiffer  haften  zu  lassen,  oder  doch  weiter  als  auf  Cession 
seiner  Klage  gegen  den  Ablader  der  Apothekerwaaren.  Ist 
dieser  insolvent ,  so  trifft .  der  Schaden  als  Zufall  den  Eigen- 
thümer  resp.  Käufer  der  Theekiste.  Ist  der  Ablader  an  der 
falschen  Deklaration  unschuldig,  so  tritt  dasselbe  ein,  bis  auf 
die  etwa  mögliche  Cession  der  Klage  gegen  den  Schuldigen. 
Auch  die  aquilische  Klage  direkt  gegen  den  Schuldigen  würde 
dem  Beschädigten  hier  zustehen.  Ein  praktisches  BedUrfniss, 
noch  weiter  zu  gehen,  ist  schwerlich  anzuerkennen. 

Prüfen  wir  nun  die  neuesten  legislativen  Arbeiten,  so  er- 
gibt sich  klar,  wie  wenig  man  bei  der  Ausdehnung  der 
Theorie  des  receptum  auf  den  Landtransport  die  praktische 
Tragweite  dieser  Neuerung  übersah. 

I.  Der  Entwurf  eines  Handelsgesetzbuchs  für 
das  Königreich  Württemberg  (1839)  bestimmt: 

Art.  Hl.  Der  Fuhrmann  haftet  für  jeden  Schaden 
an  dem  ihm  anvertrauten  Gute,  wenn  derselbe  nicht 
durch  höhere  Gewalt,  durch  die  eigenen  Mängel  des 
Guts  oder  durch  die  Schuld  des  Versenders  erweislich 
entstanden  ist  und  —  was  die  beiden  ersten  Fälle  an- 
langt —  bei  gehöriger  Vorsicht  nicht  abgewendet 
werden  konnte. 

Art.  120.  Ist  die  Ablieferung  des  Guts  wegen 
höherer  Gewalt  nicht  innerhalb  der  bedungenen  Zeit 
geschehen,  so  ist  der  Fuhrmann  für  den  Verzug  keine 
Entschädigung  schuldig.  — 

Art,  122.  Ist  der  einzuschlagende  Weg  vorge- 
schrieben, so  trägt  der  Fuhrmann  alle  Gefahr,  wenn 
er,  ohne  durch  höhere  Gewalt  gezwungen  zu  sein, 
davon  abweicht  — 


<  Vgl.  auch  aber  diesen  Fall  Pardessus,  Cours  de  droit  com.  Nr.  545. 
Wuntemb,  Entw,  MotiT«  S.  117.  Erster  (minlslerieller)  Entw.  eines  österr. 
Handelsrechts  §  iSo,  Revidirter  österr.  Entw.  §  iSl;  Flacher,  Preusteni 
kauf  mann  isches  Recht  S.  257. 


oy  Google 


488  ^'^  receptum  nautuiun,  Maponuni,  sbtbulariorum. 

Art.   127.      Alle    im    gegenwärtigen    Kapitel    ent- 
haltenen Verfligungea  gelten  auch  den  Schiffern.     Sie 
gelten  femer  den  Landboten,  Landkutschern  und  öffent- 
lichen   Posten ,    soweit    nicht    die    Gesetze    bei    dieses 
letzteren    etwas  Anderes    bestimmen.     Sie    können   im 
Wege    des  Vertrags    auch    auf    solche    Fuhrleute   An- 
wendung   finden,    welche   andere   als   Kaufmannsgüter 
zur  Fuhre  übernehmen,   ohne   gewerbsmässige  Fracht- 
fahrer zu  sein. 
In   den  Motiven  (Stuttgart  1840)   S.  116,    117  wird   aus- 
geführt,    dass     man    dem     holländischen    Handelsgesetzbuch 
Art  91    gefolgt  sei;   dass   man   nicht   den  Ausdruck  »unver- 
meidlichen Zufall*  gewählt  habe,   »weil  eine  solche  zweideutige 
Bestimmung    nur    zu   Zweifeln  bei   der   Anwendung  und  zu 
einem  verwickelten  Beweisverfahren  führe  —  und  weil  wieder 
Ausnahmen  hätten  gemacht  werden  müssen,   z.  B.   wenn  die 
Entwendung    von    den    Leuten    des  Fuhrmanns    oder   seinen 
Reisegefährten  oder  von  Leuten  herrührt,   welche  mit  ihm  in 
einem    Gasthof     zusammen    waren    etc.       Zudem    kommt    in 
Betracht,   dass   die  Fracht   eine  doppelte  Eigenschaft  hat  (?). 
einmal  als  Entschädigung   für  Fuhrlohn   und   dann  als  Asse- 
kuranzprämie .      lUnter    .höherer    Gewalt'    wird    verstanden 
jede    durch    natürliche,    thierische    oder    menschliche    Kräfte 
hervorgebrachte   unwiderstehliche  Gewalt.     Es  muss  demnach 
ein   von  Aussen  kommendes,   überwältigendes  Ereigniss   sein, 
nicht    ein    inneres,    in   der    Person    des  Fuhrmanns    sich   er- 
gebendes,  z.  B.  plötzliches  Erkranken  oder  Tod.«     >War  der 
Schaden  mehr  oder  weniger  bei  gehöriger  Vorsicht  vermeid- 
lich,  so  kann  sich  der  Fuhrmann  nicht  mit  der  höheren  Gewalt 
oder  den  eigenen  Mängeln  entschuldigen.« 

II.  Uebereinstimmend  mit  Code  de  commerce  art.  103 
lautet  der  nassauische  Entwurf  Art.  30  (nach  St.  Joseph, 
Concordance  p.  318). 

III.  Der  Entwurf  eines  allgemeinen  Handels- 
gesetzbuchs für  Deutschland  (1849)  (sog.  Reichshandels- 
gesetzbuch) tit.  V  enthält  folgende  einschlägige  Vorschriften: 

Art.  42.  Für  Verlust  und  Schaden,  welche  das 
Gut  von  der  Empfangnahme  bis  zur  Ablieferung  am 
Bestimmungsorte   treffen,   ist  der  Frachtführer  verant- 


AnbftDg.  4S9 

wortlich,  wenn  er  nicht  beweist,  dass  er  sie  durch  An- 
wendung der  Sorgfalt  eines  ordentlichen  Frachtführers 
nicht  würde  haben  abwenden  können, 

Art  43.  Für  die  verspätete  Ablieferung  des  Gutes 
ist  der  Frachtführer  verantwortlich,  wenn  er  nicht 
beweist,  dass  er  die  Verzögerung  durch  Anwendung 
der  Sorgfalt  eines  ordentlichen  Frachtführers  nicht 
würde  haben  vermeiden  können. 

Art  44.  Der  Frachtführer  haftet  für  seine  Leute 
und  fUr  den  Zwischenfrachtf Uhrer ,  welcher  ihm  nicht 
vorgeschrieben  war. 

Art.   49.     Die    Bestimmungen    dieses   Abschnitts 
finden  Anwendung  auf  Unternehmer  von  Beförderungs- 
mitteln jeder  Art,   welche  dem  Publikum  öffentlich  zur 
Benutzung   dargeboten  werden,   imbeschadet   der  Vor- 
schriften,  welche   in  den   besonderen   Reglements  ent- 
hatten sind. 
Nach    Art.  50  auch   auf   den  nicht  gewerbsmässigen  ent- 
geltlichen  Transport   von    Kaufmannsgütem ,    nach    Art.    52 
jedoch  nicht  auf  den  Seetransport. 

Der  Ausdruck  »höhere  Gewalt«  kommt  nicht  vor.  Die 
Motive  S.  216  brauchen  diesen  Ausdruck  als  durchaus  identisch 
mit  Zufall.  >In  Betreff  der  Verantwortlichkeit  des  Fracht- 
führers für  Verlust  und  Schaden  an  dem  übernommenen  Gute 
und  für  verspätete  Ablieferung  desselben  sagen  die  meisten 
Gesetzbücher,  dass  er  sich  nur  durch  den  Beweis  des  Zufalls 
oder  der  höheren  Gewalt  von  der  Verantwortlichkeit  befrelea 
könne.  Zufall  oder  höhere  Gewalt  ist  jedes  Ereigniss,  welches 
durch  Anwendung  der  erforderlichen  Sorgfalt  nicht  abge- 
wendet werden  konnte.*  Die  Verfasser  des  Entwurfs  glauben 
offenbar  in  völligem  Einklag  mit  den  in  den  Motiven  zitirten 
französischen  und  übrigen  modernen  Handelsgesetzbüchern  zu 
stehen.  Die  Motive  zu  Art.  27,  28,  29  von  der  Spedition, 
auf  welche  hier  verwiesen  wird  (S.  209),  sagen :  »Als  Schuldner 
einer  species  trifft  ihn  die  Beweislast,  und  er  kann  die  Ver- 
antwortlichkeit nur  dadurch  von  sich  abwenden,  dass  er  dar- 
thut,  dass  die  Verzögerung  oder  der  Schaden  durch  An- 
wendung der  gehörigen  Sorgfalt  nicht  abzuwenden  gewesen. 
Dieste  ist  es,  was  die  Gesetze  ausdrücken  wollen,  wenn  sie 
sagen,    dass    der    Spediteur    für    die    Verzögerung    und    für 


„Google 


490  ^^  receplnm  nABUrum,  dupoDnm,  itabulaHonun. 

Verlust  und  Schaden  hafte,  wenn  er  nicht  beweise,  dass  sie 
durch  höhere  Gewalt  entstanden  oder  dass  sie  die  Folge  eines 
Zufalls  seien.( 

Wahrend  so  der  württembergische  Entwurf  mit  dem 
Ausdruck  »höhere  Gewaltc  einen  höheren  Grad  des  Zufalls 
zu  bezeichnen  glaubt  und  bezweckt,  will  der  Reichsbandeis- 
gesetzentwurf ,  abgesehen  von  Art.  44,  für  keine  Art  des 
Zufalls,  niemals  über  culpa  hinaus,  haften  lassen.  EKe  Regehi 
des  Reichshandelsgesetzentwurfs  sind  also  die  des  gemeinen 
Rechts  nach  den  Prinzipien  der  locatio  conductio  operis, 
aber  mit  der  gewohnheitlichen  Verschärfung  hinsichtlich  der 
Dienstleute  und  der  nicht  hierhergehörigen  legislativen  Ver- 
schärfung betreffs  der  sog.  Zwischenfrachtführer.  Und  doch 
scheint  es,  dass  die  Redaktoren  des  Reichshandelsgesetzent- 
wurfs nur  die  Theorie  des  receptum  anzuwenden  glaubten! 

IV.  Sehr  klar  ist  diese  Differenz  über  die  Auffassung 
unseres  Instituts  in  den  Vorarbeiten  zu  dem  noch  in  Berathnng 
befindlichen  deutschen  Handelsgesetzbuch  hervorgetreten. 

Es  gehören  hierher  der  erste  (ministerielle)  und  der  zweite 
(revidirte)  Entwurf  eines  österreichischen  Handelsrechts ;  femer 
der  (erste)  Entwurf  eines  Handelsgesetzbuchs  für  die  preussischen 
Staaten  (1856),  der  revidirte  (zweite)  Entwurf  eines  Handels- 
gesetzbuchs für  die  preussischen  Staaten  (1857)  und  die  auf 
Grundlage  des  letzteren  entstandenen  Entwtlrle  eines  allge- 
meinen deutschen  Handelsgesetzbuchs  erster  (1857)  und  zweiter 
(1858)  Lesung,  sowie  die  veröffentlichten  Berathungsprotokolle 
und  Motive.  Von  den  seerechtlichen  Normen  liegen  zur  Zeit 
nur  die  zwei  preussischen  Entwürfe  und  der  erste  Entwurf 
der  hamburgischen  Subkonunission  vor. 

Die  Vorschriften  der  beiden  Osterreichischen  Ent- 
würfe lauten  dahin: 

Erster  öaterr.  Entwurf.  Zweiter  österr.  Entwurf. 

g  174.  Der  Frachter  ist  so-  g  176.   Inwieferne  derFräch- 

wohl  für  sein  und  seiner  Dienst-  ter  sowohl  für   sein  und  seiner 

leute  .Verschulden  (§§970,  1316  Dienstleute  Verschulden  alsanch 

a.  b.  G.B.)    als  auch   für   jenes  für     jenes     weiterer     Frachter, 

weiterer  Frachter,    welche   ihm  welche  ihm  nicht  namentlich  vor- 

nicht  namentlich  vorgeschrieben  geschrieben   sind,   oder  für  den 

sind,  aber  nicht  für  den  Zufall  Zufall  verantwortlich  sei,  bestim- 

verantwortlich.  —  men  die  §§  970,  1316  und  1311 
des  allg.  bürg.  G.B. 


oogle 


§  180.  Der  Frachter  haftet 
für  eine  dem  angegebenea  Inhalt 
angemessene  Sorgfalt ;  für  Scha- 
den aus  der  inneren  Beschaffen- 
heit der  Waare  oder  aus  solchen 
Mängeln  der  Verpackung,  welche 
er  bei  der  Uebemahme  nicht 
wahrzunehmen  im  Stande  war, 
ist  er  nicht  verantwortlich;  eben- 
sowenig für  Beschädigung  durch 
fremde  Frachtstücke,  deren 
wahrer  Inhalt  ihm  nicht  bekannt 
sein  konnte. 


ug.  491 

§  181.  Der  Frachter  hattet 
für  die  Anwendung  der  dem  an- 
gegebenen Inhalt  der  Fracht- 
stücke angemessenen  Sorgfalt; 
für  einen  aus  der  inneren  Be- 
schaffenheit der  Waare  oder  aus 
solchen  Mängeln  der  Ver[)a.ckung, 
welche  er  bei  der  Uebernahme 
nicht  wahrnehmen  konnte,  ent- 
standenen Schaden  ist  er  nicht 
verantwortlich ;  ebensowenig 
u.  s.  f.  (wie  nebenstehend). 


§  181.  Frachtstücke,  welche 
er  auf  solche  Art  verwahrt  über- 
nommen hat,  dass  er  deren  In- 
halt nicht  einsehen  konnte,  bat 
er  nur  in  äusscrlich  unbeschädig- 
tem Zustande  zu  übergeben. 
Im  Falle  des  gänzlichen  Verlu- 
stes oder  einer  wahrgenomme- 
nen Eröffnung,  welche  nicht  als 
zufällig  erwiesen  werden  kann, 
haftet  er  nur  für  den  Inhalt 
und  Werth,  der  ihm  bezeichnet 


g  182.  Bei  Frachtstücken, 
welche  er  auf  solche  Art  ver- 
wahrt üt>emonunen  hat,  dass  er 
deren  Inhalt  nicht  einsehen 
konnte,  haftet  er  nur  dafür,  dass 
er  sie  in  äusserlich  unbeschädig- 
tem Zustand  Übergebe.  Sind  die 
Frachtstücke  gänzlich  in  Verlust 
geratben,  oder  hat  eine  Eröff- 
nung der  Verlockung  stattge- 
funden, so  haftet  der  Frachter 
für  den  Verlust  oder  Abgang, 
dessen  zufällige  Entstehung  er 
nicht  erweist;  fällt  ihm  eine  vor- 
sätzliche Beschädigung  oder  ein 
grobes  Verschulden  zur  Last,  so 
hat  er  den  vollen  abgängigen, 
ausserdem  aber  niir  den  ihm  an- 
gegebenen Werth  zu  ersetzen.  — 


§  192  (193)  behalten  die  bestehenden  besonderen  Vor- 
schriften hinsichtlich  der  Versendungen  über  Meer,  durch 
Posten  und  Staatseisenbahnen  vor.  Der  Transport  zu  Wasser 
fallt  im  Uebrigen  unter  die  vorstehenden  Bestimmungen,  nach 

§   166  (168). 

Die  beiden  preussischen  Entwürfe  und  der  Nürnberger 
Entwurf  erster  und  zweiter  Lesung  enthahen  folgende  Be- 
stimmungen : 


izecoy  Google 


Das  Tcceptum  nuitanin,  onponum,  stabDlarionim. 


Erster   preuss. 
Entwarf. 
§  327.    Der 

Frachtführer 
haftet  für  die 
verspätete  Ab- 
]  ief erung,  sowie 
für  Verlust  und 
Schaden,  wel- 
che das  Gut  toh 
der  Empfang- 
nahme bis  zur 

Ablieferung 

mungsorte  tref- 
fen, wenn  er 
nicht  beweist, 
dass  er  die  Ver- 
zögerung oder 

den  Verlust 
oder     die     Be- 
schädigung 
durch    Anwen- 
dung der  Sorg- 
falt eines 
ordentlichen 
Frachtführers 
nicht  würde 
haben     al>wen- 
den  können. 


Revid.  preuss. 
Entwurf. 
8  310.  Der 
Frachtführer 
haftet  für  Ver- 
lust und  Be- 
schädigung des 
Guts    seit   der 

Empfang- 
nahme bis  zur 
Ablieferung, 

beweist,  dass  er 

den  \'erlust 
oder     die     Be- 

schädigtmg 
durch  Anwen- 
dung der  Sorg- 
falt eines 

ordentlichen 
Frachtführers 

nicht  würde 
haben  abwen- 
den können. 


Erster  deut- 
scher Entwurf. 
§  335.  Der 
Frachtführer 
haftet  für  den 
Schaden,  wel- 
cher durch  Ver- 
lost oder  Be- 
schädigung des 
Guts    seit  der 

Empfang- 
nahme bis  zur 

Ablieferung 
entstanden    ist, 
sofern  er  nicht 
beweist,  dass 
der  Verlust 
oder  die  Be- 
schädigung 
durch  unab- 
wendbare   hö- 
here Gewalt 
oder    durch 
inneren      Ver- 
derb oder  äus- 
serlich  nicht  er- 
kennbare Män- 
gel der  Verpa- 
ckung ent- 
standen ist. 


Zweiter  deut- 
scher Entwurf, 
§  371.    Der 

Frachtführer 
haftet  für  den 
Schaden ,  wel- 
cher durch  Ver- 
lust oder  Be- 
schädigung des 
Frachtguts  seit 
der  Empfang- 
nahme bis  inr 

Ablieferung 
entstanden  ist, 
sofern  er  nicht 
beweist,     dass 

der  Verlust 

oder    die  Be- 
schädigung 
durch     höhere 

Gewalt  (vis 
major)  oder  etc. 
(wie  §  335  er- 
ster Lesung). 


g  336.  Der 
Frachtführer 
haftet  für  den 
Schaden ,  wel- 
cherdurch  Ver- 
säumung     der 

bedungenen 
oder  üblichen 
Lieferungszeit 
entstanden  ist, 
sofern  er  nicht 
beweist,  dass  er 
die  Verspätung 
durch  Anwen- 
dung der  Sorg- 
falt eines 


§372  =§336 
erster  Lesung. 


Dg,l,:..:,,  Google 


g  330.  alin. 
1.  Der  Fracht- 
führer haftet 
für  seine  Leute 
und  für  den 
Zwischen- 

frachtführer, 
welcher       ihm 

□icht  vorge- 
schrieben war. 


§  313.  alin. 
1.  Der  Fracht- 
führer haftet 
für  seine  Leute 
and  für  den 
Zwischen- 
frachtführer, 
welcher  nicht 
vorgeschrieben 


ordentlichen 
Frachtführers 
nicht  habe 

abwenden 
können. 

g  338.  Cter 
Frachtführer 
haftet    für   die 

Ausführung 
des  von  ihm 
ü  ber  nommenen 

Transports, 
gleichviel,  ob  er 
ihn  selbst  oder 
ob  er  ihn  durch 
seine  Leute 
oder  durch 
andere  Per- 
sonen ausfuhrt. 


§  374.  Der 
Frachtführer 
haftet  für  seine 
Leute,  für  die 
Zwischen - 
frachtführer 
und  für  andere 
Personen,deren 
er  sich  bei  Ans- 
fUhrung  des 
von  ihm  Über- 


Transports be- 
dient. 


g§  319,  336  -     gg  306,  326  =      g§  331,  357  -     g§  367,  394 

bestimmen,  dass  die  vorstehenden  Regeln  auch  für  den  Trans- 
port auf  Flüssen ,  Binnengewässern ,  durch  Eisenbahn-  und 
andere  öffentliche  Transportanstalten  gelten  sollen.  Art.  394 
des  zweiten  deutschen  Entwurfs  behält  jedoch  die  besonderen 
abweichenden  Gesetze  und  Verordnungen  der  Postanstalten 
vor.  §  326  des  revidirten  preussischen  Entwurfs  wollte  diese 
Satze  auch  auf  den  Transport  durch  Leichterfahrzeuge  und 
Ktlstenschiffe  ausdehnen. 

EHe  einschlägigen  seerechtUchen  Vorschriften  der  beiden 
preussischen  Entwürfe  imd  des  ersten  hamburgischen  Entwurfs 
lauten  den  vorangeführten  über  den  Binnentransport  wesent- 
lich gleich: 


Erster  prenss.  Ent- 
wurf. 
§  471.  Der  Schif- 
fer haftet  nicht  nur 
dem  Rheder,  sondern 
auch    dem    Ablader 

und  Ladungsem- 
pfänger    für    ieden 
durch   seine  Unred- 
lichkeit   oder   durch 


Revidirter  preuss, 
Entwurf. 
g  433.  Der  Schif- 
fer haftet  —  für  Jeden 
durch  sein  Verschul- 
den  beim  Einladen, 
bei  der  Führung  des 
Schiffs  oder  beim 
LSschen  entstan- 
denen Schaden. 


Deutscher  Entwurf 
erster  Lesung. 
g  457.  Der  Schif- 
fer ist  verirflichtet, 
bei  allen  Dienstver- 
richtungen den  Fleiss 
und  die  Sorgfalt  eines 
ordentlichen  Schif- 
fers anzuwenden.  Er 
haftet  für  jeden  durch 


„Goo^^lc 


494  13**  receplui 

sein  Verschulden 
beim  Hinladen   oder 
bei  der  Fuhrung  des 
Schiffs  entstandenen 
Schaden.  — 


g  532.  Wenn  dem 
Schiffer  Güter  Über- 
geben werden,  deren 

Beschädigung, 
schlechte  Beschaffen- 
heit oder  schlechte 
Verpackung  sichtbar 
sind,  so  kann  er  diese 
Mängel  in  dem  Kon- 
nossement bemerken. 
Werden  dem 
Schiffer  Güter  in  der 
Verpackung  oder  in 
geschlossenen       Ge- 

fässen  übergeben 
oder  nicht  zugezählt, 
ztigewogen,  zuge- 
messen, so  kann  er 
in  dem  Konnossement 
bemerken,  dass  ihm 
der  Inhalt,  die  Zahl 
oder  das  Maass  nnd 
Gewicht  nicht  be- 
kannt sei. 


§485  — §532  d 
ersten  Entwurfs, 


ttabulanoiuiD. 

sein  Verschulden  ent- 
standenen Schaden, 
insbesondere  f tlr  den 
Schaden,  welcher  aus 
der  Verletzung  der 
in  den  Art.  434-441, 
443-445,  455  ihm 
auferlegten  Pflichten 
entsteht  —  Die  Haf- 
tung des  Schiffers 
besteht  nicht  nur 
gegenüber  dem  Rhe- 
der,  sondern  anch 
gegen  Qtfer  dem  Be-' 
frachter,  Ablader  nnd 
Ladungsempfänger, 
dem  Bodmereigläu- 
biger, dem  Schiffs- 
mann und  Passa- 
gier. — 

s  §  524.  Wenn  dem 

Schiffer  Güter  über- 
geben werden,  deren 

Beschädigung, 
schlechte  Beschaffen- 
heit oder  schlechte 
Verpackung  sichtbar 
sind,  so  ist  er  ver- 
pflichtet, diese  Män- 
gel in  dem  Konnosse- 
ment zu  bemerken. 
Werden  ihm  Güter 
in  der  Verpackung 
oder  in  geschlossenen 
Gefässen  übergeben, 
so  kann  er  in  dem 
Konnossement  be- 
merken, dass  ihm  der 
Inhalt  nicht  bekannt 
sei.  Desgleichen  kann 
er  in  dem  Konnosse- 
ment bemerken,  dass 
itmi  Zahl,  Maass  oder 
Gewicht  nicht  be- 
kannt sei,  es  sei  denn, 
dass  die  im  Konnosse- 
ment   nach    Zahl, 


„Goo^^lc 


§544.  Die  Ablie- 
ferung der  Fracht- 
güter   an    den    La- 

dungsempfanger 
rouss  nach  dem  In- 
halte des  Konnosse- 
ments erfolgen.  Der 
Schiffer  ist  verpflich- 
tet, für  jeden  Verlust 
nnd  jede  Beschädi- 
gung aufzukommen, 
sofern  er  nicht  nach- 
weist, dass  sie  durch 
einen  äusseren  Zu- 
fall oder  durch  inne- 
renVerderb  ohne  sein 
und  der  Schiffsmann- 
schaft Verschulden 
entstanden  sind. 


§  545.  Wenn  der 
Schiffer  das  Kon- 
nossement mit  dem 
Vermerk  «Inhalt  un- 
bekannt« gezeichnet 
bat  und  die  Ver- 
packung oder  die  Ge- 
fässe,  in  welchen  ihm 
die  Guter  Übergeben 
wurden,  änsserlich 
unverletzt  sind ,  so 
mussder  Empfänger, 
um  denselben  wegen 
Beschädigung  der 
Gtlter  in  Anspruch 
zu  nehmen,  sein  oder 
der  Schiffsleute  Ver- 
schulden darthun. 


§  496  =  g  544  des 
ersten  Entwurfs. 


§  497  =  §  545  des 
ersten  Entwurfs. 


495 

Maass  oder  Gewicht 
bezeichneten  Güter 
ihm  zugezählt,  zuge- 
messen oder  zuge- 
wogen sind. 

§  544.  Die  Ab- 
lieferung der  Guter 
an  den  Empfänger 
muss  nach  dem  Inhalt 
des  Konnossements 
erfolgen.  Der  Ver- 
frachter haftet  für 
den  Schaden,  welcher 
durch  ^  Verlust  oder 

Beschädigung  der 
Guter  seit  der  Em- 
pfangnahme  bis  zur 

Ablieferung  ent- 
standen ist,  sofern  er 
nicht  beweist,  dass 
der  Verlust  oder  die 
Beschädigung  durch 
höhere  Gewalt  (vis 
major)  oder  durch  in- 
neren Verderb  oder 
durcbäusserlich  nicht 
erkennbare  Mängel 
der  Verpackung  ent- 
standen ist. 

I  545.  Wenn  das 

Konnossement  den 
Zusatz  -Zahl,  Maass 
oder  Gewicht  unbe- 
kannt*    oder     einen 

gleichbedeutenden 
Zusatz  enthält,  so  hat 
der  Verfrachter  die 
Richtigkeit  der  An- 
gaben des  Konnosse- 
ments Über  Zahl, 
Maass  oder  Gewicht 
der  übernommenen 
Güter  nicht  zu  ver- 
treten. — 

§  546.  Die  Auf- 
nähme  des  Zusatzes 
•Inhalt     unbekannt* 


0(. 


-glc 


496  Qu  rec«pt<u 

Ebenso  haftet  der 
Schiffer  bis  zum  Be- 
weise seines  oder  der 

Schiffsleute  Ver- 
schuldens nicht  für 
Zahl,  Maass  oder  Ge- 
wicht oder  für  Bruch 
oder  Leckage,  wenn 
er  das  KonDossemcnt 
mit  dem  Vermerk 
*Zah],  Maass  oder 
Gewicht  unbekannt* 
oder  -frei  von  Bruch« 
oder  «frei  von  Lecka- 
ge« gezeichnet  hat. 


ouponom,  stabnlariorum. 


oder  eines  gleichbe- 
deutenden Zusatzes 
hat  ausserdem  die 
Wirkung,  dass,  wenn 
die  Verpackung  oder 
die  Gefässe,  in  wel- 
chen die  Guter  dem 
Schiffer  übergeben 
wurden,  bei  der  Ab- 
lieferung äusserlich 
tinverletst  sind,  von 
dem  Empfänger  der 
Beweis  geführt  wer- 
den moss,  nicht  allein 
dass  der  Schiffer  den 
im  Konnossement  an- 
gegebenen Inhalt  em- 
pfangen habe,  sondern 
auch,  im  Fall  der 
Verfrachter  wegen 
Beschädigung  der 
Güter  in  Anspruch 
genommen  wird,  dass 
die  Beschädigung  in 
einem  Verschulden 
des  Schiffers  oder 
einer  Person  sich 
gründe ,  für  welche 
der  Verfrachter  ver- 
antwortlich ist. 

Ist  das  Konnosse- 
ment von  dem  Schif- 
fer mit  dem  Znsatze 
■frei  von  Bruch'  oder 
•-frei  von  Leckage* 
oder  'frei  von  Be- 
schädigung* oder  mit 
einem  gleichbedeu- 
tenden Zusatz  ver- 
sehen, so  haftet  der 
Verfrachter  bis  zum 
Beweis  des  Ver- 
schuldens des  Schif- 
fers oder  einer  Per- 
son, für  welche  der 
Verfrachter  verant- 
wortlich ist,  nicht  für 


497 

Bruch  oder  Leckage 
oder  Beschädigung. 

§  547.  Für  Kost- 
barkeiten, Gelder  und 
geldwerthe  Papiere 
haftet  der  Verfrachter 
nur  in  dem  Fall,  wenn 
diese  Beschaffenheit 
oder  der  Werth  der 
Guter  dem  Schiffer 
bei  der  Abladung  an- 
gegeben ist. 


g  581.  Der  Schif- 
fer haftet  fUr  jeden 
Verlust  und  jede  Be- 
schädigung an  den 
ihm  oder  den  Schiffs- 
leu teo  Ubergebenen 
Reiseeffekten,  wenn 
er  nicht  nachweist, 
dass  solche  ohne  sein 
und      seiner     Leute 

Verschulden  ent- 
standen ist. 


§  533.  Der  Schif- 
fer haftet  für  jeden 
Verlust  und  jede 
Beschädigung  an  den 
von    ihm    oder    den 

Schiffsleuten  zur 
Aufbewahrung  über- 
nommenen Reise- 
effekten, nenn  n.  s.  f. 
(wie     §   581     erster 
Lesung). 


§  585.  Auf  die 
an  Bord  gebrachten 
Reiseeffekten  finden 
die  Vorschriften  der 
Art.  495,  532,  533 
Anwendung.  Sind 
dieselben  von  dem 
Schiffer  oder  einem 

dazu  bestellten 
Dritten  übernommen, 
so  gelten  für  den  Fall 
ihres  Verlustes  oder 
ihrer  Beschädigung 
die  Vorschriften  der 
Art.  544  Abs.  2,  547, 
548,  549. 


Alle  diese  Entwtlrfe  stimmen  darin  überein,  dass  den 
Frachtfahrer  (zu  Lande,  auf  Binnengewässern  oder  zur  See) 
unter  allen  Umständen  die  Beweislast  trifft ;  dass  er  schlechthin 
für  seine  Leute  (und  für  die  ZwischenfrachtfUhrer)  einsteht. 
Auch  die  Motive  des  preussischen  Entwurfs  und  die  Be- 
rathungsprotokolle  der  Nürnberger  Kommission  enthalten  über 
diese  wohl  für  selbstverständlich  erachteten  Punkte  nichts. 
Dagegen  sind  folgende  Verschiedenheiten  bemerkenswerth ; 

1,  Der  erste  preussische  Entwurf  §  327  stellt  den  Ver- 
zug des  Frachtführers  mit  dem  Verlust  tmd  der  Beschädigung 
der  Ladung  auf  eine  Linie ;  der  revidirte  preussische  Entwurf 
schweigt  über  diesen  Punkt  ganz.  Der  deutsche  Entwurf 
erster  und  zweiter  Lesung  dagegen  behandelt  den  Verzug 
milder    als  Verlust    und  Beschädigung    der  Ladung    —   aus 

Goldichmidl.  VmiiKhle  SchrUlsB.    U.  33 


„Google 


498  Dm  receptnm  nantumm,  canponsm,  ttabaluioinnL 

Biltigkeitsgrllnden ',  »weil  es  gemeinhin  leichter  sein  werde, 
gegen  Beschädigung  und  Untergang  der  Waare  vorzusehen 
als  gegen  eine  Verzögerung  der  Reise*,  auch  fUr  die  F^e, 
wo  eine  Konventionalstrafe  bedungen  ist. 

2.  Noch  bemerkenswerther  ist  die  Differenz  hinsichtlich 
derjenigen  Umstände,  deren  Erweis  bei  Verlust  oder  Be- 
schädigung der  Waare  den  Frachtfahrer  befreien  solle.  Der 
preussische  Entwurf  erachtet  beim  Binnentransport  »Anwendung 
der  Sorgfalt  eines  ordentlichen  Frachtführers«  für  genügend; 
dagegen  erfordert  er  beim  Seetransport,  abgesehen  von  be- 
freienden oder  die  Haftung  beschränkenden  Klauseln,  »äusseren 
Zufall  oder  inneren  Verderb  ohne  sein  und  der  Schiffsmann- 
schaft Verschuldenc.  Beim  Passagierkontrakt  soll  wiedenim 
Abwesenheit  jeder  Verschuldung  genügen,  und  auch  nur  für 
Verschulden  macht  der  allgemeine  §  471  (433)  verantwwilich. 
Der  deutsche  Entwurf  verlangt  für  den  Binnentransport  den 
Nachweis  »(unabwendbarer)  höherer  Gewalt  (vis  major)  oder 
inneren  Verderbs  oder  äusserlich  nicht  erkennbarer  Mängel 
der  Verpackung«,  und  Gleiches  ist  von  der  hamburger  Sub- 
kommission  für  den  Seetransport  beschlossen  wraden  (Protok. 
S.  2255,  2256,  Entw.  erster  Lesung  §§  544,  585). 

Diese  Differenz  beruht  nun  aber  keineswegs,  wie  es  den 
Anschein  hat,  auf  einer  verschiedenartigen  Anschauimg  Über 
die  Anwendbarkeit  der  actio  de  recepto  anf  den  Landtransport, 
sondern,  wie  schon  oben  angedeutet  wurde  und  die  Ab- 
weichung in  den  betreffenden  seerechtlichen  Bestimmungen 
des  preussischen  Entwurfs  darthut,  auf  Unklarheit  über  den 
wahren  Inhalt  unseres  Instituts. 

Die  betreffenden  Sätze  des  ersten  preussischen  Entwurfs 
wurden  in  der  berathenden  berliner  Sachverständigenkommission 
ohne  alle  Diskussion  angenommen;  nur  zu  Art.  581  findet  sich 
in  den  Protokollen  die  Bemerkung,  dass  die  Regel  nicht  auf 
alle  von  den  Passagieren  eingebrachten,  sondern  nur  auf  die 
wirklich  dem  Schiffer  oder  den  Schiffsleuten  übergebenen 
Sachen  anwendbar  sei,  und  dass  die  Uebemahme  seitens  der 
Schiffsleute  nur  auf  Geheiss  des  Schiffers  geschehen  dürfe'. 


■  Prot  S.  79S,  801—803,   1229,   1230.     Vgl.  oben  S.  407  Note  3. 
'  Protokolle   Ober  die  Betathungea  m[t  kanfmKnniicliea  SachTersUndigcn 
und  praktischen  Joiislen-,    betr.   den   Entwarf  dnes  Hnideligeaetibiicba  (.  d. 


Anhang.  499 

In  den  Motiven  zum  revidirten  preussischen  Entwürfe  za 
§  310  (S.  171)  heisst  es  nach  einer  kurzen  Darstellung  der 
einschlägigen  Vorschriften  des  bestehenden  preussischen  Rechts: 
»Es  unterliegt  wohl  keinem  Bedenken,  dass  die  Bestimmungen 
und  Unterscheidungen  des  allg.  Landrechts  ebenso  unzweck- 
mässig als  unzulässig  sind,  und  dass  die  strengere,  mit  den 
Grundsätzen  der  gemeinrechtlichen  actio  de  recepto  überein- 
stimmende Haftpflicht  des  Schiffers  dem  bei  sämmtlicheo 
Frachtführern  eintretenden  praktischen  Bedürfnisse  allein  ent- 
spricht. Die  neueren  Handelsrechte  machen  auch  überein- 
stimmend den  Frachtführer  für  alle  Verluste  und  Beschädigungen 
des  Guts  verantwortlich,  nur  mit  Ausnahme  derjenigen,  welche 
Ton  höherer  (unabwendbarer)  Gewalt  oder  von  eigenen  Mängeln 
der  Sache  herrühren  (vgl.  französ.  H.G.B.  Art.  103  etc.). 
Der  vorliegende  Artikel  hat  sich  in  der  Fassung  dem  Ent- 
würfe eines  allgemeinen  Handelsgesetzbuchs  für  Deutschland 
(Tit.  V.  Art  42)  angeschlossen,  welcher  denselben  Satz 
mit  einer  grösseren  Präzision  ausdrückt  und  zugleich 
den  nicht  unzweideutigen  Ausdruck  ,höhere  Gewalt'  (dam- 
num  fatale;  vgl.  Pohls  Handelsrecht  I.  S.  146)  vermeideLc 
In  den  Motiven  zum  Seerecht  §  433  wird  sodann  bemerkt, 
dass  der  Schiffer  für  geringes  Versehen  einstehen  müsse  . 
(S.  240).  Zu  §  485:  »Auch  wenn  über  den  Zustand  der 
Waare  nichts  im  Konnossement  bemerkt  ist,  gilt  die  Ver- 
muthung,  dass  sie  bei  der  Abladung  unversehrt  und  gesund 
war,  und  wenn  der  Schiffer  sie  beschädigt  abliefert,  muss  er 
beweisen,  dass  die  Beschädigung  durch  äusseren  Zufall  oder 
inneren  Verderb  entstanden  isti  (S.  265).  Zu  §§  496,  497: 
»Ueber  die  Verhaftung  des  Schiffers  für  die  ihm  anvertrauten 
Frachtgüter  hat  schon  das  römische  Recht  in  der  Lehre  vom 
receptum  eigenthümliche  Grundsätze  ausgebildet  (Arndt, 
Pandekten  §  289).  Abweichend  von  allgemeinen  Regeln 
musste  der  Schiffer  unbedingt  für  die  Handlungen  seiner  Leute 
aufkommen.  Er  musste,  wenn  er  die  ihm  anvertrauten  Sachen 
nicht  restituiren  konnte,  unter  allen  Umständen  selbst  den 
Nachweis  führen,  dass  fremde  Gewaltthat  oder  reiner  Zufall 
den  Verlust   verursacht   hatten.     Diese  Grundsätze   sind   aus 

prenn.   Staatrn.     Berlin  1856.     (Ali   Manuskript  gedraekt)      S.  91,  93,   135, 
137.  139,  145. 


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500  Du  receptnm  ntuiUrum,  caaponum,  stabultmornm. 

dem  BedUrfniss  des  Verkehrs  entstanden  und  desshalb  auch 
in  die  neueren  Gesetzgebungen  (A.L.R.  II  8  §§  1734,  1735) 
übergegangen.  Der  Entwurf  schliesst  sich  ihnen  an.  Die  Norm 
für  die  Ansprüche  des  LadungsempfSugers  gibt  das  Konnosse- 
ment. Was  der  Schiffer  im  Konnossement  empfangen  zu 
haben  bekennt,  muss  er  wieder  abliefern,  und  bei  jedem  Ver- 
lust und  jeder  Beschädigung  den  Nachweis  führen,  dass  sie 
ohne  sein  Verschulden,  also  durch  einen  äusseren  Zufall  oder 
durch  inneren  Verderb  entstanden  sind*  (S.  272).  Zu  §  533: 
»Schon  das  röm.  Recht  verpflichtete  den  Schiffer  zu  einer  be- 
sonders strengen  Haftung  für  die  Güter  der  Reisenden  (vgl. 
zum  Art.  496).  Er  musste  für  jeden  Verlust  und  Schaden 
aufkommen,  wenn  er  nicht  nachweisen  konnte,  dass  solche 
durch  eigene  Schuld  des  Reisenden  oder  durch  fremde  Gewalt- 
that  oder  durch  reinen  Zufall  entstanden  war.  Diese  Regel 
ist  auch  heute  noch  anwendbar.  Der  Entwurf  nimmt  sie  dess- 
halb in  Uebereinstimmung  mit  dem  A.L.R.  II  8  §§  1760,  1761, 
jedoch  mit  der  Modifikation  auf,  dass  die  Güter,  für  welche 
der  Schiffer  in  solcher  Weise  aufkommen  soll,  nicht  bloss  in 
das  Schiff  eingebracht,  sondern  auch  dem  Schiffer  zur  Aufbe- 
wahrung übergeben  sein  müssen  etc.«  (S.  287). 

Diese  Zusammenstellung  ergibt,  dass  die  Redaktoren  des 
preussischen  Entwurfs  für  alle  Fälle  des  Transportsvertrags 
durchaus  die  gleichen  Grundsätze,  und  zwar  die  strengen 
Regeln  des  receptum  angewendet  wissen  wollten;  dass  die  sehr 
verechiedene  Fassung  der  §§  310,  433,  496,  497,  533  nur  auf 
einer  Unachtsamkeit  der  Redaktion  beruht,  und  dass  die  Haf- 
tung ex  recepto  dabin  verstanden  ward,  dass  der  Schiffer  für 
jede  eigene  und  seiner  Leute  Schuld  unter  Beweislast  der 
Nichtschuld  aufzukommen  habe:  dass  also  die  Ausdrücke 
»äusserer  Zufall  oder  innerer  Verderb* ,  »fremde  Gewaltthat 
oder  reiner  ZufalN  nur  den  Gegensatz  zur  Schuld  des  Schiffers 
und  der  Mannschaft  bilden  sollen.  Es  wären  also  in  der  That 
nicht  die  Grundsätze  des  receptum,  sondern  allgemein  die  nach 
unsern  obigen  Erörterungen  im  heutigen  gemeinen  Recht  auch 
für  den  Landfrachtverkehr  geltenden  Regeln  adoptirt  worden, 
und  sicherlich  höchst  zweckmässig,  da  fUr  die  praktisch  nur 
unerheblich  strengere  Haftung  ex  recepto  kein  Verkehrs- 
bedürfniss  nachweisbar  sein  dürfte.  Die  Haftung  für  Delikte 
der   Passagiere    wäre   dadurch    freilich    ganz   ausgeschlossen; 


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Anhuig.  501 

allein  diese  Restriktion  wäre  wenigstens  dann  ohne  wesentliche 
Bedeutung,  wenn  ohnehin  nur  für  zur  Aufbewahrung  über- 
gebeae  Reiseeffekten  eingestanden  werden  soll  (Pr,  Entwurf 
§  533),  da  die  Entwendung  oder  Beschädigung  solcher  be- 
sonders übernommenen  Güter  nicht  leicht  ohne  Verletzung  der 
dem  Schiffer  obliegenden  custodia  möglich  ist,  derselbe  also 
im  Falle  der  Verletzung  ohnehin  einstehen  würde. 

Bei  den  Konferenzberathungen  zu  Nürnberg  und  Hamburg 
ging  man  von  anderen  Gesichtspunkten  aus.  Man  erkannte 
alsbald,  dass  die  Regeln  des  preussischen  Entwurfs  nicht  der 
wahren  Theorie  des  receptum  entsprechen;  man  glaubte  diese 
als  die  strengere  adoptiren  zu  müssen  und  nahm  daher  die 
üblichen  Ausdrücke  »unabwendbare,  höhere  Gewalt t ,  »vis 
major«  auf.  Die  Diskussion  drehte  sich,  nach  den  Protokollen, 
nur  darum,  ob  die  Land-  und  sonstigen  Binnenfrachtfahrer  den 
(See-)Schiffem  gleich  zu  behandeln  seien,  wofür  sich  insbe- 
sondere die  kaufmännischen  Mitglieder  erklärten.  Auf  den 
Begriff  der  höheren  Gewalt  wurde  dabei  gar  nicht  einge- 
gangen; man  erachtete  es  für  selbstverständlich,  dass  ex 
recepto  auch  für  den  »Zufall,  Fälle  der  höheren  Gewalt  aus- 
genonunen<  eingestanden  werde  (Prot.  S.  793—795,  vgl,  auch 
S.  801  —  803)..  Auch  in  zweiter  Lesung  wurde  auf  diese  Frage 
nicht  weiter  eingegangen,  sondern  nur  die  Streichung  des 
Wortes  »unabwendbare*  beschlossen,  iweil  die  jetzige  Fassung 
zu  Härten  führe  und  missdeutet  werden  könne,  auch  zu  Streitig- 
keiten über  die  Beweislast  führes,  dagegen  die  Einschaltung 
der  Worte  »vis  major»  in  Parenthese  beliebt  (Prot.  S.  1229). 
Eine  tiefere  Begründung  ist  überall  zu  vermissen.  —  Bei  der 
Berathung  des  Seerechts  ward  zunächst  der  Art.  433  des 
pr.  Entwurfs  in  einer  etwas  modifizirten  Fassung,  doch  unter 
Beibehaltung  des  Prinzips,  angenommen  (Prot,  S.  1928— 1930); 
an  Stelle  des  Art.  496  alin.  2  des  ersten  Entwurfs  wurde  die 
einfache  Wiederholung  des  in  der  Nürnberger  Konferenz  fest- 
gestellten Art.  371  zweiter  Lesung,  »welcher  die  Prinzipien 
des  römischen  Rechts  über  das  receptum  sanktionire,  die  längst 
als  geltendes  Seerecht  anerkannt  und  in  den  meisten  neueren 
Seerechten  wiederholt  zur  Geltung  gekommen  seienc,  beschlossen 
(Prot.  S.  2255,  2256);  endlich  das  Prinzip  des  Art.  533  des 
pr.  Entwurfs  in  einem  wenig  abweichend  redigirten  Para- 
graphen anerkannt  (Prot.  S.  2508—2511).     Aus   diesen  Be- 


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502  I}<»  rec«ptutn  OftUtanun,  caaponain,  ttabolaiioniiD. 

Schlüssen  sind  die  oben  mitgetheilten  §§  457,  524,  544 — 547, 
585  des  deutschen  Seerechts-Entwurfe  erster  Lesung  hervor- 
gegangen. 

Dem  praktischen  Bedürfniss  würde  die  von  mir  in  dem 
Gutachten  über  den  deutschen  Entwurfs.  113  vorgeschlagene 
Fassung  der  Art.  371,  544  entsprechen: 

>Der    Frachtführer    (Verfrachter)    haftet    für    den 
Schaden,  welcher  durch  Verlust  oder  Beschädigung  des 
Frachtguts  seit  der  Empfangnahme  bis  zur  Ablieferung 
entstanden  ist,  sofern  er  nicht  beweist,  dass  der  Verlast 
oder  die  Beschädigung  durch  Zufall,  insbesondere 
durch  inneren  Verderb,  oder  durch  äusserlich  nicht  er- 
kennbare   Mängel   der    Verpackung     oder    durch 
sonstiges   Verschulden    des    Absenders    ent- 
standen istf  — 
selbstverständlich  unter  Beibehaltung  des  im  Seerecht  fiesonders 
zu    allegirenden   Art.  374   zweiter  Lesung.     Die  allgemeine 
Fassung   dieser  Vorschrift   in  Verbindung  mit  den  oben  mit- 
getheilten Art.  457  alin.  2  des  Entwurfs  erster  Lesung  würde 
auch  die  prätorischen  Strafklagen  lunfassen,  soweit  solche  noch 
anwendbar    erscheinen,    und    durch    das   Verkehrsbedürfniss 
gerechtfertigt  sind,  nämlich  auf  einfachen  Schadensersatz  wegen 
Beschädigung  der  Passagiere  und  der  Effekten,  welche  dieselben 
an  sich  tragen,  durch  Schiffer  oder  Schiffsleute.    Vgl.  oben 
S.  408-415,  452. 


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18. 

ZUR 

GESCHICHTE 

DER 

SEEVERSICHERUNG. 

(1886.) 


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Die  erste  Verordnung  des  Magistrats  von  Barcelona  Über 
die  Seeversicherung,  erlassen  am  21.  November  1435 
(Pardessus,  Coli.  V  p.  493),  will  Betrügereien,  Benach- 
theiligungen, Streitfragen  abschneiden.  Diesen  sehr  allgemeinen 
Zielen  entspricht,  obwohl  von  einer  vollständigen  Regelung 
des  in  zahlreichen  Punkten  nach  wie  vor  der  Uebereinknnft 
und  dem  Handelsgebrauch  überlassenen  Geschäfts  weit  ent- 
fernt, ihr  mannigfaltiger  Inhalt.  So  stellt  sie  zahlreiche,  be- 
reits 1436  (Pardessus  V  p.  502)  modifizirte  Beschränkungen 
der  Versicherungsfreiheit  im  Interesse  der  einheimischen  Rhe- 
derei  auf;  limitirt  —  was  bereits  1436  aufgehoben,  !458  wieder- 
hergestellt vrurde  (Pard.  V  p.  502,  507)  —  die  Versicherung 
von  Schiffen  und  Waaren  auf  Dreiviertel  ihres  Werthes;  ordnet 
die  mehrfache  Versicherung,  die  Versicherung  fUr  fremde 
Rechnung;  enthält  Bestimmungen  über  die  Form  der  Ver- 
sicherungsverträge, die  Fristen  für  Zahlimg  der  Versiche- 
rungssumme, die  Pflichten  und  die  Courtage  der  Versiche- 
rungsmäkler nebst  manchem  Anderen. 

Sie  setzt  so  voraus  ein  bereits  hoch  entwickeltes  Asse- 
kuranzgeschäft, dessen  erste  Anfänge  geraume  Zeit  zurtick- 
liegen  müssen.  Die  scharfsinnige  Hypothese  von  Reatz",  es 
sei  »die  Idee  der  Seeversicherung  c  frühestens  in  der  Zeit  von 
1367  bis  1383  und  zuerst  in  Portugal  aufgekommen  und  ver- 
wirklicht, es  habe  sich  dort  oder  in  Barcelona  aus  der  vom 
Könige  Fernando  errichteten  Zwangsgenossenschaft  portugiesi- 
scher Schiffsrheder  auf  Gegenseitigkeit  das  demnächst  von 
den  übrigen  Mittebneerstaaten ,  insbesondere  den  italienischen 
Handelsplätzen  recipirte  Institut  der  Prämienversicherung  her- 

>  Geschieht«  dei  enropKischen  SeevenichetangsrecliU,  Th.  I  1870,  S.  13, 
14,  40  ff.,  56  £,   i6gff. 


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506  2"'  Getcbickte  der  SecTenicherang. 

ausgebildet,  hat,  wie  kein  äusseres  Zeugniss,  so  geringe  innere 
Wahrscheinlichkeit  für  sich.  Die  Schicksale  des  portugiesischen 
Zwangsversichenings-Instituts ,  über  welches  einzig  die  um 
1434  verfasste  Chronik  des  Fernfio  Lopez'  berichtet,  and 
völlig  imbekannt,  und  es  war  mindestens  im  sechzehnten  Jahr- 
hundert der  angeblich  portugiesisch-spanische  Ursprung  der 
Seeversicherung  so  durchaus  in  Vergessenheit  gerathen,  dass 
der  erste  Schriftsteller,  welcher  eine  zusammenhängende  Dar- 
stellung der  Lehre  gegeben  hat ,  der  Portugise  Pedro 
de  Santarem  (Petrus  Santema)  in  seinem  1552  zuerst  ge- 
druckten', wohl  geraume  Zeit  vorher'  geschriebenen  Trac- 
tatus  de  assecurationibus  et  sponsionibus  mercatorum  die  Ver- 
sicherung eine  >materia  peregrina<  nennt  (p.  I  No.  3)  und 
unter  den  Assekuranzplätzen,  freilich  seiner  Zeit,  Barcelona 
nicht  einmal  hervorhebt.  Die  abgestufte  Gefahrsprämie  aber, 
welche,  nach  Reatz,  angeblich  nur  einer  in  Portugal  zuerst 
in  grösserem  Maassstabe  versuchten  Unfallsstatistik  entnommen 
sein  kann,  findet  sich  als  Bestandtheil  des  Seedarlehnszinses 
von  Alters  her,  wenn  auch  für  die  Zinshöhe  vorwiegend  die 
Dauer  der  Kapitalsnutzung  in  Betracht  kommt.  Die  Zinshöhe 
schwankt  z.  B.  nach  den  genuesischen  Seedarlehnsurkunden 
der  Jahre  1155— 1164^  zwischen  25— 33'/3°/o,  während  das 
gleichzeitige  constitutum  usus  von  Pisa  (1161)  ruh.  XXV,  vgl 
XXIV,  für  das  gesellschaftlich  modifizirte  pisanische  See- 
darlehen sogar  einen  nach  der  durchschnittlichen  Reisedauer 


■  Pardeiiui,  Coli,  de  loii  marit  VI  p.  30a ff. ;   Reali  I  S.  4>ff. 

>  'Nunc  primum  in  lonm  data».  Venetiti  ipnd  Biltanarem  CotSUtt- 
Imnm.  Eiemplare  der  ed.  princepi  befindea  dch  im  Bentt  da  Hr.  Comelisi 
Walford  JD  London,  dcMcn  Gtlte  ich  die  Einsicht  verduike,  niid  in  der  Wiena 
Hofbiblialliek.  Von  einer  in  Portugal  enchienenen  enten  Anigabe  (10  E.  CanTCl, 
Traitt  des  anarancei  mirilimeB  I,  Pari*  1879,  p.  XXV  —  ohne  Angabe  det 
Datnm*)  fiadet  sich  mr  Zeit  keiae  Spar. 

i  Nach  BarboiB,  Bibliotheca  Liuitana  t.  III  (Uiboa  I75aff,)  p.  £17, 
hat  Santerna  gegen  Ende  der  Regierung  KBnig»  Manoel  (1495 — '5^0  gdebt; 
die  TOD  Barboia  citirten  Schriften  enthalten  Iceioe  nlheren  Angaben.  In 
Tractatni  nennt  Santema  den  Jason  Haynoi  (f  1519)  iqnidun  modannii,  otict 
aber  doch  achon  die  «yln  nuptialis  des,  nach  Pancirolns,  1540  Teistorbenen 
Joannes  de  Neviianis. 

*  Notnlar.  des  Giovanni  Scriba  in  Monum.  hiMor.  patr.  Chart.  II,  col.301  S. 
AntiOge  daran*  bei  ScbrOder,  Handbuch  des  deutschen  Haadeb-,  See-  uad 
Wechselrecht«,  herausg.  von  Endemann,  Bd.  IV  Abtil.  I  S.  34O  ff. 


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Zar  GcKilicht«  der  S«ever«icheniDg.  507 

bemessenen  subsidiären  gesetzlichen  Tarif  von  8  den.  bis  7  sol. 
per  libram,  d.  h.  von  S'/s— 35  "lo  für  die  Reise  aufstellt'. 

Das  von  Reatz  völlig  übergangene  Seedarlehen  linstar 
cuius  assecuratio  inventa  est«  (Straccha,  Tr.  de  assecurationi- 
bus  [Venet.  1569]  gl  15,  No.  2)  bildete,  neben  der  commenda 
bezw.  societas  maris,  das  wichtigste  Spekulationsgeschäft  der 
Mittelmeerländer  and  enthält  ein  Assekuranzelement  als  in- 
tegrirenden  Bestandtheil.  Da  der  Darlehensgeber  dem  Speku- 
lanten die  Seegefahr  des  Unternehmens  abnimmt,  so  lässt  sich 
die  Seedarlehenssumme  als  anticipirte  Versicherungssumme  — 
je  naclidem  fUr  die  Ladung  oder  fUr  das  Schiff  —  bezeichnen. 
Da  jedoch  der  Darlehensgeber  bei  Eintritt  des  Seeunfalls  nicht 
allein  das  Kapital,  sondern  auch  die  zugesicherten  Zinsen  ein- 
schliesslich der  in  diesen  liegenden  Gefahrsprämie  einbüsst, 
somit  gegen  blosse  Gewinnhoffnung  die  Gefahr  auf  sich  nimmt, 
so  fehlt  noch  das  charakteristische  Moment  der  Assekuranz: 
das  definitive  Opfer  des  Spekulanten  als  Entgelt  für  die  Ab- 
wälzung   des    befürchteten    Schadens    auf    ein    anderes  Ver- 


Soll ans  dem  Seedarlehen  als  solchem  die  Prämienversiche- 
rung  hervorgehen,  so  muss  einerseits  die  Versicherungssomme 
nicht  vorschussweise,  sondern  erst  nach  Eintritt  des  Unfalls 
gezahlt,  andererseits  die  von  den  Gebrauchszinsen  losgelöste 
Gefahrsprämie  schlechthin  von  dem  Spekulanten  geschuldet  oder 
gar  im  Voraus  entrichtet  werden. 

Nach  der  letzten  Seite  scheint  die  Entwickitmg  sich  nur 
sehr  allmälig  vollzogen  zu  haben,  derart,  dass  der  ursprung- 
liche Versicherungsvertrag  formell  oder  doch  materiell  die 
Gestalt  zweier  bedingter  Sponsionen  trug:  A.  verspricht  dem 
B.  bei  Eintritt  des  Seeunfalts  Schadensersatz,  B.  dem  A.  unter 
der  entgegengesetzten  Bedingung  einen  Entgelt  für  die  Ge- 
fehrsUbemahme '.  Indem  die  Gesetzgebung  Vorausbezahlung 
der  Prämie  bei  Abschluss  des  Vertrags  vorschrieb  (Verord- 
nung von  Barcelona  1435  c.  XI),   hat  sie  die  wahre  Asse- 


•  Bon»ini,  StaL  ined.  dl  PIm  II  p.  905.  S.  mach  R.  Wagner,  Hand- 
buch des  Seerechti  I  (1S84)  S.  35  Not.  61  Dnd  ■llgemeiner :  Molengraaff , 
De  overeenkomst  van  verwkering:  RechUgeleerd  M*gMi)it  d.  I  (Hurten  1883}, 
Bl.  432  Hot.  3. 

*  UntcD  S.  510. 


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508  Zur  GeKhichte  der  SeeTerachenmg. 

kuranz  auch  äusserlich  sichtbar  —  und  zwar  nicht  allein  gegen 
die  doch  nur  mögliche  Wettassekuranz'  —  abgegrenzt. 

Nach  der  ersten  Seite  ist  die  Entwicklung  sicherlich  ge- 
fördert worden  durch  die  berühmte  Dekretale  Papst  Gregor  IX., 
c.  Naviganti  (c.  19  X.  de  usuris),  somit  zwischen  1227 — 1234 
erlassen,  welche  den  Seedarlehenszins  und  damit  das  ganze 
Seedarlehensgeschäft  als  wucherisch  untersagt:  Naviganti  vel 
eunti  ad  nundinas  certam  mutuans  pecunlae  quantitatem,  pro 
eo  quod  suscipit  in  se  periculum,  recepturus  aliquid  ultra 
sortem,  usurariusest  censendus''.  Dass  hieran  mit  Ille  quoque 
ein  Fall  nichtwucherischen  Handelns  (non  debet  ex  hoc  usu- 
rarius  reputari)  schliesst,  mag  auf  einer  ungeschickten  Re- 
daktion, möglicher  Weise  einer  Verkürzung  des  ursprünglichen 
Textes,  beruhen  —  vielleicht  betrifft  das  quoque  die  in  diesem 
zweiten  wie  in  dem  ersten  Falle  ursprünglich  aufgeworfenen 
Zweifel,  etwa  De  illo  quoque  dubitatur  etc.  —  fällt  aber, 
gegenüber  der  allein  beglaubigten  Lesart  um  so  weniger  in's 
Gewicht,  als  die  letztere  durch  das  maassgebende  Zeugniss 
des  Redaktors  der  Dekretalen  bethätigt  wird.  Die  zwischen 
1234  und  1243,  vielleicht  schon  1235  ^  geschriebene  Summa 
des  Raymundus  de  Peüafort  erörtert  üb.  II  tit,  VIT  de  usuris 
et  pignoribus  S.  V  die  Frage,  ob  das  Seedarlehensgeschäft  er- 
laubt sei,  und  berichtet,  dass  von  den  beiden  bisher  vertretenen 
Meinungen  die  strengere,  nämlich  diejenige,  welche  die  Er- 
laubtheit des  Zinses  verneint,  welche  er  selbst  billigt,  jetzt  aus- 
drücklich durch  c.  Naviganti  sanktionirt  sei*  —  vgl.  den 
Wortlaut  selbst  in  S.  II  eod. ,  wo  der  zweite,  auch  zweifel- 
hafte, aber  entgegengesetzt  entschiedene  Fall  erwähnt  wird. 

Wiewohl  nun  dem  päpstlichen  Verbot  zuwider,  welchem 
die  Civilisten,   theilweise   sogar   die  Kanonisten   durch  subtile 


■  So  Vi*>nte  im  Archivio  giuridico  XXXIl  (1SS4)  p.  91. 

*  Usarariua  dod  est  ceoicndas  will  mit  AeUeren  leaen:  NeDEnann,  Ge- 
schiclite  d«i  Wachen  in  Deutschland  S.  17  ff.  Not  t;  Hatthiais,  Das  foenni 
cauticum  und  die  geschichtliche  Eatvickluog  der  Bodmerei,  iSEi,  S.  $6  be- 
trachtet ei  »nach  dem  heotigen  Stande  der  Forschung«  als  inicht  mehr  zweiM- 
lukft,  dass  dai  kanoniache  Recht  das  faenus  nauticam  Ton  dem  allgemeinep 
ZinseoTerbot«  eximirte*.  Desgl.  Brini.  Pandekten  II  g  298  Not.  37.  So 
jelst  aacb  Salvioli,  L'aisicurazione  e  il  cambio  marittimo,  Bologna  1884. 
p.  359;  dessen  Berufung  auf  Endemann  ist  Terfehll. 

1  V.  Schulte,  Quellen  and  Literatur  des  kanonischen  Recht*  11  S.  411. 

4  Sancli  Rdjnnnndi  de  Pennafoit  —  summa,  ed.  Veronae  1774  p.  >I0. 


ZnT  Geichichte  der  Seererachemng.  509 

Distioktionen  die  Spitze  abzubrechen  suchten',  sich  das  See- 
darlehen, unter  wachsender  Konkurrenz  des  wirthschaftlich 
verwandten  Bodmereivertrages',  in  der  Praxis  erhielt,  so  lag 
es  doch  nahe,  die  entgeltliche  GefahrsUbemahme  von  dem  Vor- 
schussgeschäft zu  sondern,  sei  es,  dass  letzteres,  weil  im  ge- 
gebenen Falle  entbehrlich,  ganz  hinwegfiel,  sei  es,  dass  ein 
anscheinend  unverzinsliches  Darlehen  gegeben  wurde,  sei  es, 
dass  die  Rollen  von  Darlehensgeber  und  GefahrsUbemehmer 
sich  schieden. 

War  dazu  einmal  der  Anstoss  gegeben,  so  musste  auf 
die  Entwicklung  der  Prämienversicherung  fördernd  einwirken, 
dass  der  Assekuranzgedanke  in  mannigfacher,  wenn  auch  noch 
unfertiger  Gestalt ,  in  zahlreichen  Institutionen  des  damaligen 
Verkehrsrechts  der  Mittelmeerländer  hervortritt.  Nicht  allein 
im  Seedarlehen,  auch  in  anderen  allgemein  verbreiteten  Ver- 
trägen: Commenda-,  Transport-,  Kaufverträgen,  war  es  üblich, 
über  die  Gefahr  zu  paktiren  3 ;  eine  Art  beschränkter  Gegen- 
seitigkeitsversicherung zwischen  Schiffs-  und  Ladungs-Inter- 
essenten begründete  die  schon  dem  pseudorhodischen  Seerecht 
angehörige  und  mindestens  im  Gebiet  des  Adriatischen  Meeres 
recipirte  Ausdehnung  der  Kontributionspflicht  auf  zufällige 
Schäden*,  sowie  das  doch  auch  anfänglich  kaum  auf  Spanien 
beschränkte  germinamento ' ,  über  die  einzelne  Schiffsgemein- 
schaft hinaus  die  conserva*. 

Die  Entwicklung  vollzieht  sich,  soweit  zu  ersehen,  zu- 
nächst in  Italien.  Aus  der  noch  nicht  abgeschlossenen  Unter- 
suchung,   für  welche   fortgesetzte   archivalische  Forschungen 

'  Lebrmcb  ist  der  Widerstreit  iwUchen  Suileroa  und  Straccha  a.  a.  O. 
Ueber  die  Streitfrageo :  EodemaiiD,  Studien  in  der  romaniach-kanoniiCiichen 
Wirtbscliaft».  und  Rechitlehre  11  S.  316 ff.;  Tgl.  Neumann,  a.  ».  O.;  Sal- 
vioH,  a.  a.  O.  S.  341  ff. 

>  Matthiasi,  a.  a.  O.  S.  61  fT. ;  Schröder,  a.  a.  O.  S.  343  ff. 

1  Unten  S.  463  ff.  Dergleichen  Verlrige  kennt  iwar  ichon  das  rOmische 
Recht:  meine  Abhandlung,  Zeitschr.  f.  Handelsrecht  III  S.  104 ff.,  ati«t  es 
fehlt  an  sicheren  Zeugnissen  für  den  Bestand  der  Sichvenicheiung. 

♦  Nicht  erat  im  Statut  *on  Ancon«  (1397).  wie  Cau»et  und  Salvioli 
meinen.  S.  schon  Pardessas,  Coli.  I  p.  141;  II  p.  30,  21;  V  p.  5.  6, 
106,  108;  Wagner,  a.  a.  O.  I  S.   16,   17. 

)  Es  bedarf  hier  noch  genauerer  Untersuchung. 

*•  Die  Quellen  sind  dlirt  bei  La  band,  Zeitschr.  L  Handelttvcht  VII 
S.  324  Note  38;  Wagner,  a.  a.  O.  I  S.  31  Note  50. 


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510  Zur  Gesdiichte  der  Seercnichenuig. 

weiteres '  Beweismaterial  erbringen  werden,  sollen  im  Folgen- 
den einige  erheblichere  Punkte  zur  Erörterung  gelangen.  Es 
steht  schon  gegenwärtig  lest,  dass  die  vonReatz  vermissten 
positiven  Zeugnisse  für  einen  früheren  Bestand  der  IVämien- 
versicherung  vorliegen. 


I. 
Eine  in  Grosseto  von  dem  Sieneser  Notar  Minus  condam 
ser  Nerii  22.  April  1329  aufgenommene  Urkunde»  besagt, 
dass  Octobonus  olim  domini  Pagani  de  Marinis  bekennt, 
empfangen  zu  haben  von  Bonacursns  olim  Janmis  (?),  Mitglied 
der  bekannten  Florentiner  Gesellschaft  der  Acciaioli,  zahlend 
für  sich  und  für  Rechnung  dieser  Gesellschaft: 

1.  1450  florenos  (auri)  infra  pagamentum  de  naulo  corio- 
rum  lane  et  anguellinarum  dicti  Bonacursi  et  Acdaio- 
lorum  predictorum  sotiorum  suorum.  Quam  mer- 
cantiam  dixit  quod  tulit  de  Tunisi  dictus  dominus 
Octobonus  in  tribus  suis  galeis. 

2.  2450  florenos  auri  infra  pagamentum  de  illa  quantitate 
quam  dictus  dominus  Octobonus  recipere  debebat  pro 
securitate  et  risico  sibi  facto  super  dictam 
mercantiam. 

Quod  naulizamentum  et  securitatem  factum  fuit  per 

Nicholaum  Guizzardini,   sotium  dicte  sotietatis  de  Ac- 

ciaiolis  in  civitate  Janue  predicte  hoc  anno  presenti  de 

mense  Martü  proxime  preterito,  ut  dixerunt  patere  manu 

Dominici,  ootarii  de  dicta  civitate  Janue, 

Weiter  bekennt   Octobonus,    tanquam  procurator   domini 

Gaspalis,   militis  de  Grimaldis  de   dicta  civitate  Janue  procn- 

ratorio  nomine  pro  eo  empfangen  zu  haben  von  Bonacursns 

für    Rechnung    der    genannten    Gesellschaft    (der    Acciaioli) 

'  EinifCf,  aber  unter  lOlligsr  Ignorirung  des  italisDuchen  SutDUnediti, 
bei  SalTioli,  ■.  ■.  O.  S.  3$K.i  ioabooodere:  Enrico  Ben»,  Studi  di 
diritto  commerciale ,  Genova  1883,  p.  4$  ff. :  Cetare  Vivante,  ArchiTio 
giuridico  XXXII  p.  80 — 109:  L'a.iiicuraziaiie  delle  cose;  EToloiione  Btorica; 
such  besonders  enchienen  Pisa  1S84. 

*  Abschrift  denelben  aus  dem  Ktinigl.  Staataarchiv  lu  Flmena  Terdanke 
ich  Herrn  Prorestor  C  Faolt  daaelbst ,  den  HinweU  auf  der«n  Existmi  Hon 
Professor  Lästig. 


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Zur  Geachichte  der  Seerenicherani;.  511 

272  florenos  auri  et  dimidium  infra  pagameotum  de  risico 
et  securitate  facta  per  dictum  dominum  Gaspalem  supra- 
dicto  Nicoiao  Guicciardini  pro  supradictis  mercantiis. 

IDiese  beiden  Verträge  können  nur  wahre  VetBicherungs- 
verträge  sein,  insbesondere  ist  an  ein  Seedarlehen  bei  der  Ver- 
bindung von  securitas  (Sicberstellung)  und  risico  nicht  zu 
denken.  Die  von  den  Ladungsinteressenten  (den  Acciaioli)  zu 
entrichtenden  Summen  sind  somit  Assekuranzpramien ,  deren 
auffallende  Höhe '  eine  sehr  werthvolle  Ladung  oder  besondere 
unbekannte  Umstände  (Feindes-Piraten-Gefahr  ?)  voraussetzt. 

Versicherer  in  dem  zweiten  Vertrage  ist  der  Genuese 
Gaspalis  de  Grimaldis,  in  dem  ersten  Vertrage  anscheinend 
der  Rbeder  Octobonus  de  Marinis.  Denn  die  naheliegende 
Annahme,  dass  O.  bei  einem  ungenannten  Dritten  fUr  Rech- 
nung der  A.  Versicherung  genommen  habe,  lässt  sich  mit  der 
Thatsache  nicht  in  Einklang  bringen,  dass  ein  Theilhaber  der 
versicherten  Gesellschaft  A.  als  Kontrahent  des  Versicherungs- 
vertrages bezeichnet  wird.  Auf  diese  Verbindung  von  Rhederei 
und  Waaren Versicherung,  welche  sich  vielleicht  aus  der  Gegen- 
seitigkeitsversicherung des  germinamento  losgelöst  hat,  deuten 
einige  später  zu  erwähnende  Beläge '. 

Die  Prämie  wird  augenscheinlich  erst  nach  glücklicher 
Ankunft  des  Schiffes  entrichtet.  Ob  sie  auch  nur  fUr  diesen 
Fall  versprochen  war?  Franco  Sacchetti  sagt  in  seinen 
um  1370 '  geschriebenen  sennoni  evangelici  serm.  IV  von  der 
Seeversicherung :  E  poi,  se  la  nave  va  a  salvamento,  tu  ricevi 
il  prezzo*.  So  fassen  die  Assekuranz  auf  noch  spätere  Kano- 
nisten  und  CivUisten,  z.  B.  Joa.  ab  Anania  (f  1457)  praeL 
in  Decretal.  lib.  Vs  zu  cap.  Naviganti  q.  13  No.  42  ff.,  unter 
unzutreffender  Berufung  auf  Paulus  de  Castro;  Alexander 
de  Imola  (Tartagnus  f  1477)  super  Dig.  novo*  in  1.  a.  Titio 

■  Um  1440  b«trlgt  die  Nornialprfimie  LondoD-Pisa ,  Pim-BrügKe  iz  bU 
I5°/b=  GioT.  Adeodio  di  UziaDO,  pnticm  delle  mercstnra  (Dells  dedma  IV 
p.   119,   138). 

'  UdUd  5.  463,  463. 

I  O.Gigli,  I  lennoiii  «vtngelid ,  le  lettere  ed  iltri  «critti  ioediti  o  raii 
di  Franco  Stcchetti,  Firenz«  1857,  p.  XXXIV,  LXVIII. 

*  A.  a.  O.  p.  11.  Aaf  eine  andere  Stelle  in  danelben  Predigt  hat  be- 
reit! Sslvioli,  a.  a.  O.  p.  35  hingewiesen. 

}  Lngduni  1546. 

*  Lngduni  1535. 


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512  Zur  Geschichte  der  Seereniclierung. 

(108)  de  V.  O. :  frequentant  (sc,  mercatores)  etiam  Florentini 
aliam  similem  conditionem :  ut  promitto  tibi  X  si  navis  mea 
mercaotüs  onerata  ad  tatem  locum  applicuerit  salva^  sin  autem, 
tu  promittis  mihi  reddere  valorem  mee  mercantie.  Sogar  noch 
Molin aens,  Tr.  de  usuris  Nr.  93  und  Andere, 


IL 

Weitere  sichere  Zeugnisse  aus  der  ersten  Hälfte  des  vier- 
zehnten Jahrhunderts  fehlen  zur  Zeit.  Das  inaulegiare  u  sigu- 
rare«  im  Cap.  47  des  pisanischen  breve  Portus  KaUaritajii  von 
1318'  kann,  im  Zusammenhalt  mit  c.  21,  34  daselbst,  nicht 
leicht  auf  Assekuranz  bezogen  werden  ^  indessen  dürfte  das 
sigurare  doch  von  der  mit  üblicher  Sicherstellung  verbundenen 
Thätigkeit  des  lUieders  zu  verstehen  sein ' ,  somit  einschliess- 
lich der  etwa  darin  begriffenen  Assekuranz  der  Ladung.  Für 
das  >compra  et  sigura<  des  Wechselkäufers  in  dem  Pisaner 
Maklertarif  vom  3.  Dezember  13233  bleibt  nur  die  Bedeutung: 
Sicherheitsleistung  für  kreditirte  Valuta  *. 

Das  statuto  de'  mercatanti  di  Calimala  von  Florenz  er- 
wähnt in  der  bisher  allein  publizirten  Vulgarredaktion  von 
1332=  tib.  1  c.  46  und  lib.  II  c.  4  Verträge  Über  Gefahrs- 
übemahme.  Allein  die  erste  Stelle  »patti  ed  ordini  d'alcuno 
avere  che  portassanot  betrifft  augenscheinlich  Commenda- 
verträge;  die  zweite  »concordare  con  qualunque  persona  vorrä 
di  vettura,  nolo  e  rischio  di  panni,  quali  avesse  comprati  overo 
fatti  comperare«  kann  eben  sowohl  von  einer  blossen  accesso- 
rischen  Gefahrsübemahme  durch  den  Frachtführer,  als  von 
einem  selbstständigen  Assekuranzvertrage,  sei  es  mit  dem 
Frachtführer,  sei  es  mit  einem  Dritten  verstanden  werden. 
Nur  die  erste  scheint  gemeint  in  einem  Vertrage  von  1335': 

8  balle  di  merci sulla  galea  di  Bartolomeo  da  Genova 

da  portare  sane  et  salve  in  Nizza  com'  h  di  costume. 


'  Bonainl,  Stal.  iued.  di  Pisa  II  p.   10S3  ff. 

'  Uebet  die  verschiedeDea  Ansichten:  Pardeisus ,  Coli.  V  p.  381  Note  i, 
p.  307  Note  t;  Reati  I  S.  3t  FT.;  Cauvel  I  p.  XXVI  ff.;  Skrioli  p.  19?. 
3  Bonaini  III  p.  590. 
t  Reali  I  S.  3S. 

i  Bei  E.  Giaidici,  Storia  dei  comuni  Italiaoi  III  p.  171  E 
*  Bei  Bioi,  I  Lncchesi  a  Venezia  p.  la}. 


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Zur  Gescbichte  der  SeerersicbeniDg.  513 

Indessen  ist  hier  doch  der  wichtigen  Geschäftsklauselo 
a  rischio,  assalvi  und  ähnlicher  zu  gedenken. 

Die  vor  1343,  wahrscheinlich  bald  nach  1335  geschriebene 
Kaufmannspraktik  des  Florentiners  Balducci  Pegolotti 
enthält  c.  45 ' ,  im  Anschluss  an  die  Florentiner  Usoliste  den 
Florentiner  Mäklertarif  für  Vermittelung  der  verschiedenartig- 
sten Geldübermachungsgeschäfte  (Firenze  per  senseraggio  di 
cambiora)  und  daselbst: 

Di  marcbi  per  Inghilterra  assalvi  in  terra  da  cia- 
scuna  parte  soldi  10  per  cento. 

Di  marchi  a  rischio  di  mare  e  di  gente  da  ciascuna 

parte  soldi  20  di  piccioli  per  cento  marchi. 

Als  wichtiges  Zeugniss  für  die  Prämienversicherung  wird 

die  Stelle  insbesondere  von  Pardessus',  neuerdings  wieder, 

trotz  ihrer  in  der  Hauptsache  richtigen  Deutung  durch  Reatz ', 

von  Salvioli'"  angerufen. 

Eine  zweite,  bisher  nicht  berücksichtigte  Stelle  Pego- 
lottis  c.  VIII*  enthält  den  Mäklertarif  für  Konstantinopel 
bezw.  Pera  und  darin: 

Di  cambiora  o  contanti  per  lettera  a  salvi  (assalvi) 

in  terra  o  a  rischio  —  dall'  uno  come  dall'  altro  ka.  2 

per  cento  di  perperi. 

Es  werden  unterschieden  Geldübermachungsgeschäfte  mit 

der  Klausel  assalvi  in  terra  und  solche  mit  der  Klausel  a  rischio 

sc.  di  mare  e  di  gente. 

Beide  Klauseln  begegnen  sehr  früh.  Die  erste  dient  dazu, 
die  unbedingte  Haftung,  insbesondere  des  gewöhnlichen  Dar- 
lehensschuldners zur  Rückzahlung  an  dem  dafür  bestimmten 
Ort  zu  bezeichnen  —  im  Gegensatz  zu  der  nur  bedingten 
Rückzahlung spf licht  des  Seedarlehensempfängers  (salva,  sana 
eunte-redeunte  navi),  wie  regelmässig  des  Commendaempfängers: 
dort  trägt  der  Schuldner,  hier  der  Gläubiger  die  Seegefahr 
mit  Einscbluss  von  Piraten-  und  Feindes-Gefahr.    Dem  forma- 

'  Dell«,  decima  III  p.  aoo. 

-  CoU.  IV  p.  567,  V  p.  331. 

3  S.  2S — 30.   Mit  «inigeo,  nicht  lUtreSenden  Modifikationen  anch  Canvet 

I  p.  xxxni  ff. 

♦  p.  34—19.     S.  anch  Schupfet  bei  Sacerdoti,  II  contratto  d'aMi- 

(Padova  1874)  vol.  I  p.   116;   Benia,  Studi  p.  49. 
5  Della  dedma  III  p.  38. 
GoldicbBildt,  VenuKhte  Schrift«.    O.  33 

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514  Zur  GcKhichte  der  SeeTenkhenuiK. 

listischea  Urkundenstyl  entsprach,  zumal  bei  der  Häufigkeit 
wie  Wichtigkeit  von  Seedarlehens-  und  Commendageschäft,  bei 
jedem  auch  nur  als  möglich  unterstellten  Geldtransport,  die 
ausdrückliche  Bestimmung,  auf  wessen  Gefahr  das  Geld  reise. 
Heben  doch  schon  die  römischen  Quellen  hervor,  dass  es  eine 
pecunia  trajectida,  d.  h.  pecunia,  quae  trans  mare  vehitur 
(1.  1  D.  de  naut.  foen.  22,  2)  sine  periculo  creditoris  accepta 
gibt  (1.  1  pr.  eod.  -  vgl.  l.  2  [1],  5  [4],  3  [2]  C.  eod.  4,  33), 
und  darauf  deutet  auch  das  sonst  schwierige  c.  17  p.  II  des 
Pseudorhodischen  Seerechts :  ta  iv  tf^  &aXäaati  dedavuafxiva  — 
axlvövva,  z6  —  dovei^öfieva  axtvdvva. 

Eine  Darlehnsurkunde  aus  Amalfi,  10.  Jahrb.',  lautet: 
—  et  prefati  tari  12  salvi  in  terra  vobis  reddere  debeamus  — 
sicut  salvi  in  terra  a  nos  recipiati  — ;  ut  omnia  prefata  capi- 
tula  habeatis  a  me  salvos  in  terram.  Venetianische  Urkunde 
1148  {Arch.  Veneto  Vll  p.  97):  Versprechen,  in  Konstanti- 
nopel empfangene  perperos  zurückzuzahlen  in  terra  salvos-, 
1168  (eod.  p.  149):  salvos  in  terra;  1179  (eod.  IX  p.  110): 
salvos  in  terra  u.  a.  m. 

Geht  das  Commendagut  prinzipiell  auf  Gefahr  des  Com- 
mendator ' ,  so  kann  sich  doch  die  Haftung  des  Empfängers 
bis  zur  unbedingten  Ruckzahlungspflicht  steigern,  für  salvum 
in  terra: 

Urk.  aus  Amalfi  1256,  1257,  1259»;  Genueser  Statut 
13.  Jahrh.  für  Pera  c.  214«;  iudicabo  ipsam  societatem  vel 
accomendationem  salvam  in  terra,  vgl,  c.  207,  210,  209: 
absque  ullo  detrimento  slt  salva  in  terra  —  tunc  sit  illa  pecunia 
salva  in  terra. 

Entsprechend  tabula  Amalfa  c.  43:  Item  all''  improoto 
quale  si  iä  alli  marinari  de  Rivera  esce  sempre  salvo  in  tra 
(terra),  d.  h.  die  den  Schiffsleuten  der  Küste  (von  Amalfi) 
vorausbezahlte  Heuer  (mutuum:  cap.  12,  17,  vgl.  26,  21,  47) 
steht,  wenn  zu  restituiren  (c  2,  3,  26,  41,  vgl.  c.  16,  52,  53). 
auf  Gefahr  des  Schiffsmanns.     Noch  jetzt  wird  die  Klausel  in 

■  Camera,  Memorie  diplomatico-storiche  di  Amalli  I  p.  171. 

>  Silbenchmidt.  Die  commenda  (18S4)  S.  85,  111  u.  CiL;  Lattes, 
II  dirilto  commerciale  ncIU  ]«2isIazioDe  itatutaria  delle  citli  Italiene  p.  töS 
Not.  132;  EDdemaan,  Stadieo   1  S.  363  ff. 

3  Camera,  a.  a.  O.  I  p.  435,  II  add.  p.  XLI,  XL. 

<  Promis,  miscell.  XI  p.   744. 


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Zor  Geschichte  der  Seeversichernog.  515 

dieser    Bedeutung   (mon   soggetta    a   rischio   marittimo«)   in 
AmaI6  gebraucht'. 

Ihren  Gegensatz  bilden  folgende  Klauseln :  in  tuo  periculo 
de  man  et  gente  (Venet.  Urk.  1161 :  Arch.  Veneto  VII  p.  365); 
sub  Dei,  maris  et  gentium  periculo :  Stat.  v.  Gaeta  IV  c.  103 
(Alianelli  p.  166);  ad  risicum,  periculum  et  venturam  maris 
et  gentium:  Urk.  v.  Amalfi  1386  (Camera  II  p.  498);  ad  , 
risicum  Dei  maris  et  gentium';  a  risch  de  mar  e  de  males 
gents  (Consulato  c.  210)  u.  a.  m.;  auch  kurzer:  ad  tuum  resi- 
cum,  ad  Dei  et  tuum  resicum,  ad  tuam  fortunam,  ad  resicum 
et  fortunam  eius  (Genues,  Urk.  1155 ff.:  Histor.  patr.  monum. 
Ch.  II  Nr.  337,  883,  956,  1029,  1031,  1054  u.  a.  m.). 

Die  Assises  de  Jerusalem  baisse  court,  Ende  des  12.  Jahr- 
hunderts, c.  48  (Kaussler')  stellen  entgegen:  a  gaaing  en 
aventure  de  mer  et  de  gens  und  a  porter  sauf  en  terre. 

Das  seedarlehnsartige  Liefermigsgeschäft  der  Stat.  von 
Marseille  1255,  lib.  II  c.  16'<:  venditio  vini  quod  portatur  ad 
fortunam  Dei  et  usum  maris  entspricht  der  bereits  im  Consti- 
tutum usus  von  Pisa  rub.  XXVII  ausführlich  geregelten  com- 
pera  mobilium  rerum  facta  ut  in  alia  terra  solutio  earum  vel 
pretii  fiat  {Bon.  II  p.  909),  und  es  heisst  hier :  Quod  si  in  ven- 
ditione  de  aliquo  mobili  nominatum  non  fuerit,  quod  sit  salvum 
in  mari  vel  salvum  in  na  vi,  in  terra  salvum  intelligatur ,  in 
qua  de  solutione  venditionis  mentio  facta  fuent. 

Die  Klauset  a  rischio  u.  dgl.  ist  insofern  zweideutig,  als 
nur  der  Zusammenhang  ergibt,  wen  die  Gefahr  trifft.  Wird 
sie  der  Klausel  assalvi  in  terra  entgegengesetzt,  so  kann  sie 
nur  sagen,  dass  den  Gläubiger  die  Gefahr  trifft.  Ob  durch 
die  Klausel  assalvi  in  terra  der  Geldschuldner  eine  ihm  recht- 
lich nicht  obliegende  höhere  Haftung  Ubemimmt  oder  ob  um- 
gekehrt durch  die  Klausel  a  rischio  (sc.  des  Gläubigers)  die 
rechtliche  Haftung  des  Geldschuldners  gemindert  wird,  hängt 
von  der  Natur  des  in  Betracht  kommenden  Vertrages  (Geld- 
transportvertrag —  Darlehnsvertrag)  ab. 

■  Alianelli,  delle  antiche  comuetadini  e  leggi  martttime  delle proviocie 
Napolitane  p.   i2Z  Note  3. 

■  Am  Urkanden  dea  13.  Jahrhandcrts  bai  Beoia,  itudi  p.  47. 

3  Auch  Trarera  Twiis,  moiiam.  inridica  appandix  IV  p.  $13,  513, 
t  Pardeiiat,  colL  IV   p.   264;    M(ty  et  Gnindon,    hktoiie  de  la 
commone  de  Maneüle  III  p.  LXXVIII. 

Dijiii.e  „Google 


516  Zur  Getcbichte  der  Secvcrflcherniig. 

Wahrend  somit  die  Klausel  assalvi  in  terra  je  nach  Um- 
ständen sich  von  selbst  versteht  oder  einen  assekuranzartigoi 
Nebenvertrag  für  den  Gläubiger  enthalten  kann ',  wird  durch 
die  ihr  entgegengestellte  Klausel  a  rischio  dieser  Effekt  nie 
für  den  Gläubiger,  möglicher  Weise  fUr  den  Schuldner  herbei- 
geführt. 

Denkt  man  nun  an  den  im  Wechselgeschäft,  als  Geldüber- 
weisungsgeschäft nach  auswärtigen  Plätzen,  wirklich  oder  fiktiv 
steckenden  Geldtransport,  dessen  Erspanmg  für  den  Wechsel- 
nehmer den  ursprünglichen  Häuptzweck  des  Wechselgeschäfts 
bildet  %  so  konnte  die  Frage  aufgeworfen  werden,  auf  wessen 
Gefahr  das  Geld  reist,  und  wir  ersehen  eben  aus  Pegolotti, 
dass  noch  zu  seiner  Zeit  für  den  Wechselverkehr  zwischen 
Florenz  und  England,  }a  im  Wechselgeschäft  von  Konstanti- 
nopel (Pera)  verschiedene  Abmachungen  vorkommen,  wie 
denn  noch  1382  eine  Urkunde  von  >uno  cambio  salvo  in  terra 
nobis  missoc  spricht^. 

Entweder  also,  sagt  Pegolotti,  schliesst  der  Wechsel- 
nehmer mit  der  Klausel  aohne  alle  Gefahr«  (für  mich)  oder 
mit  der  Klausel  »auf  See-  und  Menschengefahr«  (für  mich). 
Im  ersten  Falle  wird  er  selbstverständlich  mehr  für  den 
Wechsel  zu  zahlen  haben  —  eine  Banquiersprovisioo ,  welche 
sich  als  Assekuranzprämie  denken  lässt;  aber  von  dieser,  wie 
neuerdings  Salvioli  in  schwer  verständlicher  Darstellung,  an- 
scheinend sogar  unter  Kumulation  der  beiden  Verträge,  aus- 
zuführen sucht,  spricht  Pegolotti  nicht,  vielmehr  lediglich 
von  der  sehr  geringfügigen  Mäklerkourtage ,  welche  von 
b  e  i  d  e  n  Theilen  entrichtet  wird.  Es  handelt  sich  nicht  um  10 
oder  20  Prozent,  sondern  um  10  oder  20  soldi  auf  100  englische 


'  Der  gleiche  Zweifel  begegnet  schon  in  der  yielbesproehenen  Sielic  Cieero 
■d  famil.  II  17,  4;  Laodiceae  me  preedes  accepCurum  ubitror  omDis  pecaniae 
publicae,  ut  et  mihi  et  populo  CAatnni  lit  sine  vectnrae  periculo,  d.  h.  isnlri 
in  terrs  (Rom?). 

'  WechwIgeschSftE  der  püpillichen  Kollekluren  Ja  Unguu  I3l7ff.:  timent 
nums  periculum  feci  cambium  caoi  sodii  Bardomn  (Vetera  monnai.  SUv. 
mertd.  histor.  illustr.  ed.  Theiner  I  p.  1479'.);  1388  ff.:  per  litteni  cunbii  Tel 
«liam  tutum  modnm  (eod.  I  p.  34a,  351,  356,  367).  S.  auch  Gnidoo  de 
U  mer,  chap.  I  arl.  V;  Rafael  d«  Tarci,  tr.  de  cambüi,  disp.  I  qu.  3 
No.  t.  Bereits  Baldus,  consUia  34S  No.  6  rechtfertigt  die  Erlanbthdt  de* 
Wechselgeich&ftE  ipropter  pericula  qnae  inbeunt  in  iransminiaiie  pecnmanui*. 

3  Am  Qirloluio  di  CafTa:  Arch.  itor.  Ital.  1866  p.  109, 


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Zur  Geicliklite  der  Sesrerudicnmg.  517 

Marfc,  und  zwar,  wenn,  wie  anzunehmen,  Pegolotti  sich 
genau  ausgedrückt  hat,  im  Falle  der  Klausel  assalvi  in  terra 
tun  10  Rechnungssoldi  (grossi),  von  welchen  20  auf  die  üra, 
im  Falle  der  Klausel  a  rischio  um  20  kleine  soldi,  von  welchen 
jener  Zeit  45  auf  die  lira  gehen'.  Es  wären  also  je  nachdem 
22'/;.  oder  20  kleine  soldi  per  100  englische  Mark=  zu  zahlen 
gewesen.  Worin  die  kleine  Differenz  ihren  Grund  hatte,  lässt 
sich  um  so  weniger  ausmachen,  als  die  Maklertaxe  für  Kon- 
stantinopel für  Geschäfte  assalvi  und  a  rischio  zum  gleiches 
Betrage  angesetzt  ist, 

in. 

Gehen  wir  vom  Beginne  des  15.  Jahrhunderts  rückwärts, 
so  begegnen  zahlreiche  Zeugnisse  für  den  Bestand  des  italie- 
nischen Assekuranzgeschafts :  in  juristischer  Literatur,  Praxis, 
Gesetzgebung. 

1.  Der  1403  geschriebene^  tractatns  de  usuris  des  L a u r. 
de  Rodulfis  p.  III  cap.  consul.  S.  10  q.  3  Nr.  8ff.<,  dessen 
Autorität  für  die  Späteren  *  maassgebend  war,  vertritt  energisch 
die  kanonische  Erlaubtheit  des  Assekuranzvertrages:  non  enim 
propter  mutuimi,  cum  nullum  interveniat,  sed  propter  id  quod 
assecurat  mercatorem  de  mercibus  suis,  quas  periculo  marino 
vel  terrestri  reponit,  illud  redpit. 

Aber  noch  um  1370  hatte  Franco  Sacchetti,  ser- 
mone  IV*  sich  sehr  bestimmt  gegen  die  moralische  Statthaftig- 
keit der  Versicherung  ausgesprochen:  perö  che  altro  che  Dio 
non  puö  sicurare  niuna  cosa  in  questa  vita.  Dabei  setzt  er 
voraus  den  Bestand  sowohl  der  Schiffs-  wie  der  Waarenver- 
sicherung:  >E  l'uno  mercante  assicura  ü  navilio  dell'  altro  per 


'  Vgl,  pegolotti,  c,44(p.  195),  aoch  Peraiii,  stori«  del  comnierdo 
e  dei  banchieri  di  Firenie  p.  iii. 

■  Ve^leichDDgstabelle  bei  Pegolotti,  c,  46  (p,  3o6fr,). 

i  Schulte,  QueUen  u,  Literatur  des  kaooniMben  Recht*  II  S.  393. 

*  Tract  nniv,  iuris,  Ven.  1584  VII  p,  14  ff. 

i  Endemann,  Zeitschr.  f.  Handelsr.  IX  S.  310  tf.  ist  aaf  die  SItere 
Doktrin  nicht  eingegangen  —  auf  diese  Darateliung  verweilt  er  in  de»  Stadien 
II  5.  3S5.  Die  Moialtbeologie  und  kanonistiiche  Literatur  des  14.  Jahrhunderts 
wird  Doch  Ausbeute  gewlhren. 

^  Vgl.  oben  S.  46t  und  über  eine  italienische  Bearbeitung  der  sanmu 
Pisana  von  Giovanni  delle  Celle  (13S8);  s.  Salvioli,  a.  tt.  O.  p.  35, 


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518  Zur  Geschichte  der  SeeTawchenmg. 

danaric  und  >se  uno  mercatante  pigliando  prezzo  da  un  altro 
pu6  sicurare  mercatanzia  su  una  oave?« 

Den  allgemeineD  Gebrauch  bezeugt  das  1395  erlassene 
Schreiben  der  Signoria  von  Florenz  an  Jacobus  de  Appiano, 
signore  von  Pisa'.  Ein  Schiff  des  Simon  de  Mari  von  Genua 
aus  Sevilla  oder  einem  sonstigen  spanischen  Hafen  nach  einem 
pisanischen  Hafen  befrachtet,  ist  bei  Saona  genommen  und 
sequestrirt.  Da  nun  an  der  Schiffsladung  die  Florentiner  Kauf- 
leute Johannozius  de  Billiottis  und  Leonardus  de  Altovitis  et 
socii  interessirt  sind,  indem  sie  Ambrosio  Grisolfi  de  Janua  pro 
Qorenis  300  sicut  est  consuetudo  mercantium,  sicuranint,  so 
ergeht  die  Bitte,  dass  die  genannten  Florentiner  propter  securi- 
tatem  antefatam  incommodum  non  sentiant  neque  damnum. 

2.  Das  italienische  Statutarrecht  bewegt  sich  in 
folgenden  Richtungen:  es  stellt  die  Statthaftigkeit  der  Asse- 
kuranz gegenüber  theologischen  bezw.  kanonistischen  Bedenken 
fest;  es  ordnet  bezw,  inhibirt  Assekuranzen  auf  fremde  Schiffe 
und  Waaren;  es  regelt  die  Prozedur  in  Streitfällen;  es  unter- 
wirft die  Versicherungsverträge  einer  Registrirungs- (Stempel-) 
gebühr.  Dazu  treten  vereinzelte  Bestimmungen,  welche  aber, 
so  weit  bisher  zu  ersehen,  sich  nicht  auf  Privatrechtssätze  er- 
strecken. 

Unter  den  drei  jener  Zeit  nach  Pisa's  Niedergang  (1284) 
hervorragendsten  italienischen  Handelsstädten:  Venedig,  Genua, 
Florenz  scheint  Venedig  am  spätesten  sich  mit  der  gesetz- 
lichen Ordnung  der  Assekuranz  befasst  zu  haben.  Indessen 
doch  nicht  erst,  wie  allgemein  angenommen  wird,  durch  das 
nur  die  Gerichtszuständigkeit  und  das  Verfahren  betreffende 
Gesetz  vom  2.  Juli  1468',  Vielmehr  enthält  das  Capitolare 
dei  consoli  dei  mercanti'  als  c,  275  ein  Gesetz  vom  15.  Mai 
1411*  mit  der  Rubrik:  Securitates  super  navigiis  forensibus 
non  fiant  neque  de  ipsis  fiat  aliquod  ins. 

Es  ist  gerichtet  gegen  eine  den  venetianischen  Btlrgem 
sehr  schädliche  Gewohnheit  (Cum  introducta  sit  consuetudo), 
und  verbietet  fortan  bei  Klaglosigkeit  und  Verlust  des  vierten 

'  Bonaini  III  p.  357  Not. 

•  P^TdüEsns,  coli.  V  p.  65. 

)  Eine  von  Thomas  besorgle  Abschrift  desselben  befindet  nch  auf  der 
Königl.  Bibliothek  lu  Berlin. 

*  Ex  libro  53  Rogaiomm  ad  cart.  135. 


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Zur  Geadüchte  der  SeeTeTsichernDg.  519 

Theiles  der  Versicherungssumme  Jedermami  im  venetianischen 
Gebiet,  direkt  oder  indirekt  auf  fremde  Schiffe  oder  darin  ver- 
ladene Waaren  {super  dictis  navigüs  forensium  et  de  mer- 
cationibus  in  eis  caricatis)  Assekuranz  zu  leisten. 

Ebenda  findet  sich  c.  300  ein  Gesetz  vom  8.  Juli  1424' 
mit  der  ähnlichen  Ueberschrift :  Securitates  non  fiant  super 
navigüs  forensium.  Dein  Texte  nach  verbietet  es  schlechthin 
Jedermaim  im  venetianischen  Gebiet,  Assekuranz  zu  Gunsten 
irgend  eines  Fremden,  somit  anscheinend  auch  von  fremden 
Waaren  in  venetianischen  Schiffen:  quod  de  cetero  nullus  — 
andeat  vel  praesumat  per  se  vel  alium  assecurare  vel  assi- 
curari  facere  aliquem  forensem  — '.  — 

Für  Florenz  liegt  vor  in  den  Statuti  di  mercanzia, 
Redaktion  von  1393  eine  schon  von  Paulus  de  Castro 
Consil.  251  ^  erörterte  und  ausdehnend  interpretirte  Bestim- 
mung: lib.  III  ruh.  X.  Quod  non  possint  fieri  securationes 
per  florentinos  super  classibus  nisi  florentinis  *. 

Dieselbe  verbietet  im  ersten  Theile  den  Einwohnern  des 
florentinischen  Gebiets:  facere  per  se  vel  per  alium  directe  vel 
indirecte  aliquam  securationem  cautionem  aut  promissiooem  de 
aut  super  aliquibus  mercantiis  vel  rebus  oneratis  vel  onerandis 
super  aliquo  vel  aliquibus  classibus  lignis  vel  navigüs,  nisi 
solummodo  et  dumtaxat  civibus  florentinis  et  seu  de  civitate 
comitatu  vel  districto  Qorentino  et  pro  mercantiis  et  rebus 
ipsorum  Qorentinorum,  bei  Strafe,  Klaglosigkeit  und  Nichtig- 
keit des  zuwiderlaufenden  Geschäfts. 

Dagegen,  mit  der  Marginalrubrik :  Quod  per  dictum 
offitium  possit  cognosci  de  securitatibus  florentinorum ,  wird 
im  zweiten  Theile  bestimmt:  De  hüs  autem  cautionibus  et 
securationibus  que  fierent  inter  cives  seu  districtuales  floren- 
tinos et  pro  mercantiis  et  rebus  eorum  possit  et  debeat  per 
dictum  offitium  (sc.  mercantiae)  cognosci  procedi  ins  fieri  et 
terminari  prout  sibi  uidebitur  expedire.  Et  tales  securationes 
promissiones  et  obligationes  ualeant  et  teneant   et  possint  et 


<  Ex  libro  SS  Rogstomm  ad  cait.  30. 

*  Ein  Rathichlugs  von  1463  (Archivio  Veaelo  I  p.  131)  entscheidet  e 
einselnen  AtMknnnifaD. 

}  Ed.  Fruncof.  1581  vol.  i. 

*  Abicbrift  verduike  ich  Herrn  Frofetior  C.  Paoli  in  Floren*. 


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520  Zur  GdcUchte  der  ScerenicberDDg. 

debeant  observari  et  eiecutioni  mandari  simpliciter  et  seciio- 
dum  bonam  fidem  et  consuetudinem  mercatomm. 

Die  späteren   Modifikationen  ■    des    im  ersten   Theile  er- 
lassenen Verbots  interessiren  hier  nicht.  — 

Weitaus  reichhaltiger  ist  das  Statatarrecht  von  Genua. 

Ein  Verzeichniss    der    1404    zusammengestellten   Regule 

officii  mercantiae,  welche  sich  in  Genua  nicht  mehr  vor£nden 

und  anscheinend  nach  Paris  verschleppt  sind,  enthält  folgende 

Rubriken ' : 

De  non   assecurando  pro  navigiis  in  darsina  <x)l]0' 
catis. 

De  assecuramentis  non  faciendis  (et  nota  quod  foit 
refonnatum  in  cartis  424). 

Cassatio  capitoli  de  assecuramentis  non  fadendis  in 
libris  oEficii  mercantie. 

Item   quod   Omnibus  Januensibus  possint  assecurari 

et  se  assecurari  facere  etc.  et  de  assecuramentis  tarn 

per   patronos    quam  per    participes   vasorum   et   alia 

omnia  circa  assecuramenta  et  naufragia  quae  seqneren- 

tur  in  no.  424. 

Einzelne  dieser  Gesetze  und  andere  hier  nicht  aufgeführte, 

welche  zum  Theil  in  das  vierzehnte  Jahrhundert  zurückreichen', 

sind  erhalten*. 

Ges.  22.  October  1369  *: 

Contra  alegantes    quod    cambia   et   assecuramenta 
facta  quomodocumque  cum  scriptura  vel  sine  sint  illi- 
cita  vel  usuraria. 
Es  betrifft  die  Erlaubtheit  von  Handelsgeschäften  über- 
haupt, unter  besonderer  Hervorhebung  von  cambia  und  asse- 
curamenta.   Unter  Aufhebung  eines  G^etzes  vom  8.  Mai  1366, 
welches  nicht  auf  uns  gelangt,  dessen  Beziehung  auf  >assecura- 


'  PfihlmanD,  Die  Wiitluchafltpolitik  der  Florentmer  Renaunuice,  1S7S. 
S.  ia7ff. 

'  S.  schon  S.  ValleboDft,  delle  uocnraiioDi  e  dei  nnistri  cd  «Tarie  di 
mare  a.  ed.,  Genova  1873,  p.  3  Not.  a;  Beoii,  itudi  p.  50  Not.  i.  Ich 
folge  der  Ton  Bcdsb  mir  freundlichst  mitgelheiltea  Abschrift.  Bei  Vallebona 
findec  sich  einige  Abweichnogen ,  anch  die  Rabrik:  Cootra  allegantes  camlua 
et  anecuiameata  esse  usoraiia. 

1  Bensa,  atudi  p.  50  Not.  i. 

*  Atiscbriftcn  der  nachstehend  besprochenen  verdanke  ich.  Herrn  E.  Bensi. 

i  Arch.  di  stato.     Cod.  diven.  X  933,   1404 — 1405. 


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Zur  Geschiclita  da  SeeTerscbenuig.  521 

inenta<  somit  zweifelhaft  ist,  wird,  um  den  häufigen  chikanösen 
Weiterungen  der  Schuldner  zu  begegnen,  welche  einwenden : 
>quod  contractus  sive  mutuum,  de  quo  ageretur  et  pro  quo 
molestarentur  esset  illicitum  et  foeneratitium  et  quod  secun- 
dum  scripturas  canonice  non  possit  ipsis  talis  contractus  requiri 
vel  peti  et  super  hoc  habent  recursum  et  habuerunt  temporibus 
retrohactis  ad  curias  et  magistratus  ecclesiasticosf  bestimmt: 
>quod  si  aliqua  persona  cuiuscumque  conditionis  existat  que 
per  instrumentum  se  obligaverit  seu  obligaret  cum  scriptura 
vel  sine '  super  quibuscumque  mercantiis  et  in  quocumque  con- 
tractu mercantie  et  maxime  per  viam  cambii  seu  assecuramenti 
versus  aliquam  personam  et  alegaret,  quod  contractus  ille  esset 
usurarius  vel  iUicitust  —  so  soll,  in  Erwägung :  >quod  si  per 
huiusmodi  impedimenta  instrumenta  cambii  et  alii  contractus 
mercantiarum  facti  cum  scriptura  vel  sine  non  possint  exe- 
cutioni  mandari  vcrteretur  in  magnum  dampnum  et  incomodum 
civium  et  mercatorum  Januensium,  qui  comuniter  similes  con- 
tractus faciunt  nee  aliter  possent  merdmonia  exerceri  nee 
navigia  navigantia  expediri«,  ein  solcher  Schuldner  von  Rechts 
wegen  in  eine  Strafe  von  10  soUdi  für  jede  libra  des  geleug- 
neten Schuldbetrages  verfallen. 

Dass,  wie  bekanntermaasseo  gegen  Wechselgeschäfte,  so 
auch  gegen  die  Seeversicherung  theologische  Bedenken  be- 
standen, ist  bereits  früher'  hervorgehoben  und  lässt  sich  so 
and  nach  dem  Zusammenhange  nicht  bezweifeln,  dass  imter 
den  lassecuramentai  wahre  Versicherungsverträge  verstanden 
sind.  Originell  ist  die  indirekte  Abschneidung  3  der  Wucher- 
einrede durch  Strabatzung.  — 

Wie  in  Florenz  und  Venedig,  so  bestand  auch  in  Genua 
ein  gesetzliches  Verbot  der  Versicherung  fremder  Schiffe  und 
der  darauf  verladenen  Waaren  von  zur  Zeit  unbekanntem 
Datum.  Von  diesem  Verbote  wurde  im  wohlverstandenen  In- 
teresse des  einheimischen  Handels  wie  der  städtischen  Finanzen 
je  für  das  laufende  Jahr  während  der  Zeit  der  Versteigerung 


'  Gedacht  iit  augcnscbemlich  an  mtlDiUiche  oder  schriftliche  Vertrige  mit 
.■chtrfiglicher  (?)  notarieller  FeststelluDK. 

■  Oben  S.  517. 

1  S.  über  Floreiu:  Lastig,  Zcitschr.  t  Handelsrecht  XXIII  S.  I43ff'. 
,  Pöhlmaon,   a.  a.  O.  S.  79fr.;  allgemein  Lattes,  a.  a.  O.  S.  151,  15s. 

■ooqI 


522  Zur  Geachichte  der  Seereiücherang. 

der  RegistriningsgebUhr  dispensirt:  Ges.  v.  23.  Januar  1408': 
—  quod  quibuscumque  censariis  et  seu  prosonetis  civitatis  Janue 
liceat  et  licitum  sit  tractare  contrahere  componere  et  finnare 
ac  etiam  notariis  scribere  et  inde  instrumenta  conficere  in, 
super  et  de  quibuscumque  assecurationibus  in  navigiis  seu  super 
navigiis  eztraneorum  seu  non  Januensium  contrabendis  et  super 
oneribus,  mercantiis  et  raubis  dictis  extraneomm  navigiis  con- 
ductis  seu  vehendis.  — 

Endlich  die  Registrinmgsgebühr,  welche  im  Betragfe  von 
'/i  °/o  seit  1400'  von  den  Assekuranzverträgen  erhoben  wurde, 
soll,  nach  einem  Dekret  der  consules  calegantm  v,  2.  Februar 
14013,  stets  von  den  Versicherten  entrichtet  werden :  —  quod 
omnes  et  singule  persona  que  se  fecerint  assecurare  super  ali- 
quibus  rebus  et  mercibus  per  instrumentum  appodlsiam  vel  alio 
quovis  modo  —  non  ille  persone  que  versus  eos  assecuraverint 
de  rebus  et  mercibus  antedictis.  Auch  soll  Jedermann,  Notar, 
Mäkler  oder  Kaufmann  jeder  Zeit  auf  Verlangen  dem  Steuer- 
erheber von  allen  geschlossenen  Versicherungen  Mittbeiltmg 
machen  und  demselben  Einsicht  in  die  Assekuranzurkunden 
(de  instrumentis  que  fecerint  de  dictis  securitatibus  seu  etiam 
appodisiis  —  censarii  de  cartolariis  eorum,  in  quibus  scribont 
mercata  facta  per  eos  de  dictis  securitatibus)  gestatten.  — 

Hiermit  ist  nur  der  äussere  Entwicklungsgang  skizzirt. 
Die  leitenden  Rechtsprinzipien  und  die  einzelnen  Rechtssatze, 
welche  das  italienische  Assekuranzgeschäft  im  vierzehnten  und 
im  Beginne  des  ftlnfzehnten  Jahrhimderts  normirt  haben, 
werden  sich  erst  nach  Beschaffung  eines  umfassenderen  Ur- 
kimdenmaterials  feststellen  lassen.  — 

Ein  solches  erbringen,  wie  nachträglich  hinzuzufügen  ist, 
die  mir  soeben  durch  die  Gtlte  des  Herrn  Enrico  Bensa 
zugebenden  Aushängebogen  einer  ungemein  lehrreichen,  anf 
archivalischen  Forschungen  beruhenden  Schrift  desselben  über 
die  Geschichte  der  Versicherung:  11  contratto  di  assicurazione 
nel  medio  evo.  Studi  e  ricerche.  Genova  1884.  Florentiner 
Geschäftsbücher  ergeben  den  Bestand  derselben  in  Florenz 
bereits  1319.     Die  äusserst  zahlreichen,   in  den   genuesischen 


■  Arch.  di  itato.     Cod.  dir.  X  S.  936. 

'  Benia,  ttndi  p.  53  Not.  1. 

1  Cod.  TCgul.  consul.  etleg.  foL  66  b. 


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Zur  Gcccliiclite  der  Scerersidiertuig.  523 

Archiven  zerstreuten  Urkunden  über  Versicherungsgeschäfte 
reichen  bis  auf  das  Jahr  1347  herab;  es  sind  vollständige 
Assekuraozpolizen  aus  den  Jahren  1385  und  1397  erhalten. 
Auch  die  bisher  dürftige  Kenntniss  des  italienischen,  vornehm- 
lich des  genuesischen  Statutarrechts  ist  erweitert  und  in  den 
bisher  unbenutzten,  zwischen  1390 — 1435  geschriebenen  Con- 
silia  des  genuesischen  Juristen  Bartolomeo  Bosco  eine  neue 
Quelle  für  die  älteste  juristische  Doktrin  erschlossen.  Wie 
weit  den  scharfsinnigen  Ausführungen  des  Verfassers  über  das 
so  streitige  geschichtliche  Verhältniss  der  Prämienversicherung 
zur  Wette  und  über  die  Einkleidung  des  Versicherungsvertrages 
in  die  Form  des  Kaufvertrages  beigepflichtet  werden  darf, 
muss  der  Prüfung  an  anderer  Stelle  nach  der  in  Kürze  bevor- 
stehenden Vollendung  des  gediegenen,  die  Kunde  des  mittel- 
alterlichen Handelsrechts  in  den  verschiedensten  Richtungen 
fordernden  Werkes  vorbehalten  bleiben. 


izecoy  Google 


SACHREGISTER. 

Eililsa  twdeateB  dis  Saitaa,  dis  rSuiicIi«  dj 


At^ng  mit  einem  ■petiell  beieichneten 

Schiffe  T  504  ff, 
AbgangsMaasel :      IMput     d£ceiiibre, 

techll.  Bedeatung  1  487  fr. 
Ablideklmiel ,    r«chl1iche    Bedeatung 

I  499- 

Accept  de«  Wecludi  and  die  Krea- 
tlonttheone  II  94.  limitirlei  li   104. 

actio  damni  injana  dati ,  VerhiltntM 
zur  actio  de  recepto  II  40S  tf, 

—  rntti,  VerhBlInin  eut  Bctio  de  re- 
cepto II  4oS  ff. 

actio  de  recepto ,  Konkurreni  der  — 
mit  civiten  Klagen  11  415  ff.  In- 
halt der  —  II  418  IT.  Da»  salvuia 
fore  recipere  all  Gmndlage   der  — 

II  434  ff.     Hentige  Geltung  der  — 
II   460  ff.;   1.   anch  receptum  nan- 

AenderoDg    dei   Sitiei   einer   Aktien- 

gewllicnaft,  recbtUche  Bedenlong  I 

444  ff. 
Anfechinng  des  Schi«duprucb»  I  jfi?  ff. 
animui,  Koordination  von  corpus  und 

a,    in   der  Besitilehre  I  91  ff.     poa- 

seuio  animo  retinetar  I  344  ff.    Be- 

nttTCrluit  animo  I  363,  395,  313  ff., 

343- 
Anicheiuurkunden,   die  amocginiEchen 

II  iSo. 
Anialdis  II  9. 

AoweiiuDg,  Beiitaerwerb  dnrcb  I  3i6ff. 
■rbitratio  nnd  arbitrium,    At^renznng 

gegen  einander  I  543  ff. 
Archiv  fUr  das  Handelsrecht,   Iieraas- 

gegeben  von  einigen  homb.  Recbls- 

gelehrten  II  4. 

—  (Br  das  prensiische  Handels-  und 
Wechielrecbt,  heiKu^geb.  v.  Griff 
115. 


Aiher's  Hambnrg.  MonatsiEitschrifl  ftlr 
Politilc,  Hände!  u.  IInndFlirecltt  II 5. 

Anxateller,       Hafiung     dn     —     b«is 
Wechsel  II   114. 


Beaniter,  Ersalzpflicht  des  I  419?. 

Bekker,  Besititheorie  :  Begriff  des  Be- 
silies  I  45  ,  Behaaplnng  und  Vtr- 
lust  des  Besitiei  I  335  ff. 

Bender,  Grundiltze  des  engeren  Han- 
delsrechts II  15. 

Benecke,  Systein  der  Aueknmu  ond 
des  Bodmcreiwcsens  II   16. 

Besits.  GrQndlagenderBesitiiehreIz3C 
Begriff  des  BedUei.  Heutige  Doktrin 
I  40ff.,  78  ff.,  Baron  I  44,  79,  Bekker 
I  45,  Brint  I  44,  Brnns  I  47,  Cosack 
I  gl,  DerDbnrg  1  Si,  Euer  1  44, 
T,  Jhering  I  41,  79,  81,  Kiemlff 
I  47,  Kindel  I  44,  80,  Leu  I  79, 
T.  Liebe  I  79,  Meischeider  I  44,  So, 
Pernice  I  4J,  Fnchta  I  41,  Randa 
I  41,  80,  V.  Savigny  I  35,  39,  40, 
Windscheid  I  So,  8r;  Anffassaog 
der  Qacllen  I  40  ff.  i  der  ntsprtlng- 
liche  Besitzbegiiff  I  57fr.;  der  Be- 
ut* ein  socialer  Verkchrtbegriff  I 
68ff.,  zio,  121,  328,  344.  Elemente 
deajnniüschen  Besitzes,  Koordioatioa 
von  coipns  und  animus  I  91  ff.  Na- 
turalis possessio  I  57  ff.,  65  ff.  Besiti 
des  Erben  I  379  ff.  —  Befaanptnng 
nnd  Verlust  des  Besitzes,  Uteorien 
I  331  E,  T,  Savigny  I  331  ff., 
V.  Jhering  I  333  ff. ,  Willensiheorie 
I  334,  T.  Liebe  I  335,  Bekker  I 
335.  Die  Quellen  I  241  ff.  Die 
Paulinische  Regel  I  33^  ff.  Possessio 
abscntil  I  344  ff.  Animo  poasesso 
retinettu-  I  344  ff.    BeaitErerinsI   an 


,e.i 


GnmdslQckCD  wGhrend  Abwesenheit 
I  248  ff.  1  an  beweglichen  Sachen 
durch  furlum  oiKDifestum  I  364; 
durch  Vemachlissigung  I  365  ff.,  an 
GruDdilUcken  1  367  ff.,  an  beweg- 
lichen  Sachen  neglecia  atque  omitüa 
CDStodin  I  274?.  BniCiveilust  nnimo 
I  loa,  395,  313  C,  343.  Foueasio 
praesentis  I  277ff.  Unmiltelbai  be- 
sessene Sachen  I  377 ff;  Bcsitiver- 
Inst  corpore  T  377  ff.,  durch  Er- 
löschen der  ttutsSchlichen  und  recht- 
lichen MQglichkeit  jeder  Gewalt 
I  278  ff.;  Tod  des  Besilieis  I  379, 
Kriegsgefangenschaft  I  380;  durch 
freiwilliges  Aufgeben  der  Gewalt 
I  381  ;  durch  Naturereignisse  I  381 ; 
durch  Entseliung,  Verlieren  I  sSzff., 
BDsge  sc  blossen  durch  Fortdauer  der 
custodia  I  283 fF.;  an  Thieren  1387?., 
an  wilden  Thieren ,  nicht  in  den 
Hauslhieren  gehörigen  Vögeln, 
Fischen  I  28S  ff.,  an  Heerdenvieh 
I  390  f.,  an  Hausthieren  I  291,  an 
Tauben,  Bienen  I  291  ff.;  Besiliver- 
Inst  an  mittelbar  besessenen  Sachen 
I  29s  ff. .  corpore  et  aBimo  I  295, 
»nimo  I  39s,  corpore  1  296  ff.,  durch 
furlum  der  MitteUperson  I  397,  durch 
Tod  der  Mittelsperson  I  399,  durch 
Besitzaufgabe,  Entfernung,  Dejektion 
der  Milletsperson  I  300  ff.  BesiU- 
verlust  an  Sklaven  I  303  ff. ,  am 
servus  fugitivus  I  307  ff.  —  Erwerb 
des  Besities  I  141  ff.  Die  Doktrin 
141  ff.,  Theorie  t.  Jherings  I  149  ff., 
V.  Savignys  I  145  ff.  Die  Doppel- 
weise der  Besitierwerbiakte ,  sym- 
bolischer Besiizerwerb  1  142  ff. 
Okkupatorischer  und  iraditionsweiset 
Besitzerwerb  1  184  ff.  Handhafler 
Eiwerb  und  Surrogate  1  163  ff.; 
handhafter  Erwerb  I  163  ff.,  an 
Grundstücken  ,  Theorie  v.  Jhering's 
I  165  ff.  Surrogate  des  handhaften 
Erwerbs  I  167  ff. ;  Erwerb  durch 
NXhel  i7off.,anCrundst(lckenI  170, 
l8Bff.,anbeweglichen  Sachen  1 171  f.; 
Erwerb  durch  Erlangung  der  custodia 
I  I3S,  172  ff.,  in  OkkupaiionsfHIlen 
I  176  ff.,  187  f.,  an  Honigwaben 
I  178,  am  Schatte  I  178  ff.  Erwerb 
durch  Schi tlssel Übergabe  I  193  ff. 
Erwerb  doTcb  Zeichnen  I  197  ff. 
Erwerb  durch  Uebergabe  von  Ur- 
kunden I  199  If.  Erwerb  durch 
Miltelspenonen  I  310  ff.,  durch  An- 
weisung I  3i6  ff.,  durch  brevi  manu 
traditio  I  3iS,  darch  conititum 
potKSSorinm  X  318.     Erwerb  durch 


[älter.  525 

richterliche  Besitzeinweisung  T 133  ff, ; 
Vicuae  posiessionii  traditio  I  326  ff. ; 
Erwerb  durch  den  aervus  fugitivus 
I  309. 

flewei»  bei  der  actio  de  recepto  II 450  IT. 

Bcweiilast  bei  der  RevalirungsUage 
des  Trassaten  I  462  ff. 

brevi  manu  traditio  I  218. 

Brinkmann ,  Lehrbuch  des  Handels- 
rechts II  19. 

Bürgerliches  Gesetibnch,  Entwurf 
eines  —  und  die  Krealionitheon« 
n  135  ff.  Plan  und  Methode  für 
die  Aufstetlung  des  Entwurfs  änes  — 

I  510  ff.,  lu  Grunde  lu  legende 
Rechtsquellen  I  51$  f,  Umfang  des 
Entwurfs  I  Jlö  ff.  System  I  537. 
Art  und  Weise  der  Redaktion  I 
521  ff.     VoT^hlige  I  539  ff. 

BUscb  II  13  ff. 

c. 

Casaregia  II  9. 

Cession  im  griechischen  Recht  II  iSj  ff, 

Champagne,  Bedentjng  der  Messen 
der  —  fitr  das  HandeUrecht  II  40  f. 
GeschRftsoperationen  auf  den  Messen 
der  II  326  ff. 

Claim,  Begriff  I  538. 

constitutum  possessorinm  I  210  ff. 

corpus,  Koordination  von  corpus  nnd 
onimns  in  der  Besitilchr«  I  91  ff.  1 
s.  a.  Besitz. 

Cropp,  Juristische  Abhandlungen  II  17. 

custodia,  Ueberoahme  der  H  443  ff. 

—  in  der  Bedtzlebre.  Doktrin  I  133. 
Begriff  I24  ff,,  135.  Besitzerwerb 
durch  c.  125,  173  ff.,  in  Okkupations- 
ftllen  I76ff.,i87f.  Besilibehauptung 
durch  c.  135,  383  ff.  Besitzverlust 
neglecta  atque  Omissa  custodia  374  ff. 

D. 

DcleotioQ,  alt  Rechtsb^ff  I  97  ff. 
B. 

Eccius,  Ansicht  Über  das  Rechts - 
Studium  etc.  I  577  ff. 

Editionspflicbt  Ton  Urkunden,  nament- 
lich gemeinschaftlicher  Urkunden 
und  von  HandelsbOchetn  II  356  ff. 
Bestimmungen  der  C.P.O.  II  368  ff. 
Allgem,  bsichtipunkte  II  375  ff. 
nacb  den  Gruadsllien   des  H.G.B. 

II  380  (f.,  der  CP.O.  II  384ff.,  des 
rheinischen  bflr^er].  Rechtes  II  387ff., 
insbesondere  gemeinichafUicher  Ur- 
kunden II  39S  ff. 

Elgenlhnm ,  Beziehung  tum  Beulte, 
Theorie  t.  Jheriag'i  I  149  ff. 

■oogi 


526  Sichn 

Eigen  thnmitheorie  bei  Inbibopa^eren 
II  77  ff. ,  Thöl  II  78,  Bniniier  11 
79,  Stobbe  II  79,    Detnborg  II  81. 

Einen,    Dm  Wechselreclit  II    19. 

EiuelaDgriff  der  GenoEwnucbafts- 
gUnbiger  II  358  ff. 

EisenbihnaktieDgesellschaftcD ,  Za- 
litesigkeit  der  Verlegung  des  Sitzes 


der  - 


I  433  ff 


Entwurf  eines  B.G.B.  und  die  Kreations- 
theorie  II  135  ff.  Plan  und  Methode 
fflr  die  Aurstellnng  dex  —  eine* 
B.G.B.  I  510  f.;  s.  auch  B.G.B. 

Enitmng  des  Erbeo  I  279.  E.  durch 
den  aerrus  fugltirus  I  309. 

Erwerb  de«  Beaities,  s.  Besitz. 

Exekntivklantel  II  t6i  B.,  171,  I73* 

ExelcDtoriscbe  Urkunden  im  klusiich. 
Alterthum  II  IJ]  ff.;  s.  auch  Ur- 
kunden. 


Frimtry ,  ätudes  de  droit  commercial 

II  10. 
Furtum  der  MittelipeisoD,  Besiiiverlnst 

durch   I   397.      Besitzverlutt   dntch 

fuitmn  manifestum  1  264. 

G. 

Gefahr,  Uebemahme  der  II  440. 

Gelpke,  Zeitschrift  flli  dai  Handeli- 
rechl  II  5,   17. 

Gemeinschaftliche  Urkunden  II  19S. 
Begriff  und  Bldiliongpflicht  II  156  ff. 

GCDotscn,  Haftpflicht  der  —  und  dai 
Umilgeverfahren  II  353  ff,  Heran- 
ziehung ausgeschiedener  G.  zum 
UmlageTerfahren  II  3S1  ff. 

Genossenschaften,  Erwerbs-  u.  Vi'iTth- 
schiTti II  331  ff. 

GenoaMtuchaftigÜnbigcT,  EitueUngrifT 
der  II  358  ff. 

Gewllschaften  mit  beachrKnkter  Haf- 
tung II  333  ff. 

Gewahrsam,  Begriff  in  der  Besitzlchre 
I  laS  ff. 

Gewalt,  Begriff  in  der  Besitzlehre, 
I  77  f-.  83  ff.,  91  ff.  Psychisches 
Element  in  der  Gewalt  I  107  ff.,  in 
der  Gewalterlaugung  I  115  ff. 

Grttff,  Archiv  fllr  das  preusi.  Handels- 
nnd  Wechieltecht  II  J. 

Grundstücke  in  der  Besitzlehre,  s. 
Besitz. 


Haftpflicht  der  Genoawn  II  351  ff., 
des  AnistelleTS  eine«  Wechsels  II, 
114,  des  Krealon  Dach  der  Kreations- 


theorie II    114  ff.,   des  Beamten    I 
419  ff.,  des  Staates  I  421  ff. 
Handel,  Begriff  II  29  ff. 
HxndelsbtlchcT .     EditionspSicht    roa 

II  256  ff.,  302  ff. 
Handelsgesellschaft,  alte  aod  Kcae 
Formen  der  —  II  3Zlff.,  bei  den 
Orientalen  II  324,  bei  den  Römern 
II  325,  im  Mittelalter  II  326,  com- 
menda  II  326.  Uraprllnge  dei 
offenen  —  II  327.  Aktiengcsell- 
ichaft  n  318.  Errerbs-  and  Wiith- 
schaflsgenossenschsften  H  331.  Ge- 
sellschaften mit  beschränkter  HaftnDg 
II  33"- 
HandelsgcMlibuch,  Benutzung  und  Be< 
deutnng  der  Protokolle  fUr  die  Inter- 
pretation des  deutschen  —  II  53  ff. 
Handelsrecht,  Überdie  wissenscbaftlicfae 
Behandlung  des  deutschen  —  II  i  ff. 
ZeitBchrifteo  fOi  —  II  4ff.  Zweck 
der  Zeitschrift  fflr  das  gesammte  ^ 
II  I  ff.  Geschichtliche  Entwickinng 
des  —  II  39  ff.,  der  alten  Welt 
II  31  ff.,  bei  den  Orientalen  II  33, 
in  den  hellenischen  Staaten  II  32, 
bei  den  Römern  II  33  ff.,  im  Hittd- 
aller  II  35  ff. ,  im  brzantinischen 
Reich  II  3S,  EinBtttse  der  Araber 
auf  II  35 ,  bei  den  gennaniscboi 
Stämmen  IE  36  ff. ,  im  kanonischen 
Recht  II  37  ff.,  in  den  romanischen 
StBdten  II  38  ff.  Rezeption  de* 
romanischen  —  im  östlicheu  nnd 
nördlichen  Europa  II  42,  der  nenereo 
Zeit  II  44  ff.  Kodifikation  des  — 
II  47  ff. ,  in  den  deutschen  Terri- 
torien II  47  f.,  im  Gebiet  des  eng- 
lischen —  II 4S,  des  fnusösischen  — 
II4S,  des  spanisch-portugiesischen  — 
II  49,  des  französisch-deutschen  — 
U  49 ,  des  modifiriit  deutschen  — 
II  49,  des  skandinarischen  —  II  50, 
des  mssischen  —  II  50,  des  japani- 
schen —  II  50. 
Handelsrechtswissenschaft ,  Entwick- 
lung der  —  II  6  ff.,  bei  den  RSmern 
II  6  f.,  In  Italien  II  8  f.,  in  Deutsch- 
land II  9  ff.,  in  Franktcich  II  15. 
Handhafter  Besitzerwerb  1  163  ff. 
Hoheitsrechte     des    Staates    aber    die 

Privateisenbahnen  1  3SS  ff. 
Hdhere  Gewalt,  s.  vis  maior. 


Jakobsen  II  16. 

ignorftnti  non  tollitut  possessio  I  353. 

'.  Jberiog,   Betititheorie:   Begriff  des 

Besitzes  I  41,  79,  81 ;    Erwerb   des 


Besitzes  I  149 ff.,   an  Grandstflcken 

I  165  f.,   BehsuptuDg  und  Verlast 
(leg  Besitzes  I  333  ff. 

Indossament,  fidniiarisches  —  II  93  ff. 
Inhaberlcli.usel     in     alten     Uiknnden 

II  l7off. ,    allemalive   beiw.    kon- 
junktive  II  170,  reine  II  lyof. 

Inhaberurkunden  im  klassischen  Aller- 
thnm  II  160;  s.  aach  Urkunden. 

Interprelation ,  Benntiung  and  Be- 
deutung der  Protokolle  Rlr  die  — 
des  deutschen  H.G.B.  II  53  ff^  — 
der  1.  II  D  de  novat  et  deleg.  46,  z 
n   199  ff. 

Jamiiscber  Besitn,  Elemente  des  — 
Igiff- 

K. 

Kategorien   der  Weithpapiere  II  Sa  ff. 
Klausel,  Abgangs-  — ,  d£part  dfcembte 

I  437  ff.,   Ablade 1  499 .   Eie- 

kutiv-    —    11     169  ff.,    Inhaber-    — 

II  i;o  ff.,    Order-  —  II    168  ff-, 
eive     ad     quem    ea    res    pertinelHt 

n  197. 

Konnossement  II  I30ff. 

Kreationstheorie  und  das  Wecbsel- 
accept  11  94  ff.  Grawein  II,  95,  100. 
103 f.,  Demburg  II  108 f.,  uöC 
—  and  der  Entwurf  eines  B.G.B. 
II  136  ff.,  Billnner  II  140,  Laden- 
batg  II  140,  Carlin  II  140,  Eode- 
mann  II  141,  Kuntte  II  14t.  Judi- 
katur II  14z  f.,  geschichtliche  Be- 
deutung 11  145 ,  die  einielnen 
Stimmungen  des  Entvorft  II  146  ff. 

Kriegsgefangenschaft  des  Besitiers 
I  zSo. 


Ladeschein  II  120  ff. 
Lagerschein  II  110  ff. 
LandtraDsportvertrag,  Ausdehnung  des 

receptuTu  Dantarum  auf  —  II 471  ff. ; 

E.  auch  receplum  tuutaram. 
Langermann,  De  iure  in  curia  merca- 

torum  usitato  II  9. 
Liebe  II  19. 

Lieferungstermin,  ■.  Rücktritt. 
Lobetban,   Giundsfitie  des  Hatidlongs- 

rechts  II   I3. 
de  Luca  II  g. 

M. 

Mäkler,  Beieichnang  für  —  II  314  ff., 
insbesondere  Sensal  II  316. 

MlklcrTecbt.Ursprtlngedes — Hauff., 
Ansicht  Laband'i  II  311. 


singulan  II  9. 
Martens,   Gmndriss  des  Handelsrechts 

n  13. 

Messen ,  Bedentung  füT  das  Handels- 
recht II  40  f.  Geschüßsoperationen 
auf  den  —  der  Champagne  11  336  ff. 

Mittelspetsonen  in  der  Besiialehre,  (. 
Besitt,  Erwerb  und  Verluit. 

Millermeier  II  19.  Zum  Andenken 
1  653  ff.  Bildungsgang  I  654.  In- 
auguraldissertation 1  655.  Theorie 
des  Beweises  im  peinlichen  Prozets 
1  656.  Akademische  Lehrth£tigkeit 
I  656;  schrif^slellerische  ThHtigkeit 
I  657  ff.  Theilnahme  am  öffent- 
lichenrLebenlöäzff.  Letzte  Lebens- 


jahre 


i8f. 


Monatsieitschrift,  Hamburg. ,  fBr  Politik, 
Handel  und  Handelsrecht,  heraus- 
gegeben V.  Asher  II  5. 

Musius,  Anfangsgründe  des  Hand- 
lung!- und  Wechselrechts  II  13. 

N. 

naturalis  possessio  I  57  ff.,  6$  ff. 
Nibe  der  Sache,  BeälEerwerb  durch  — 

I  170  ff. 

Nicareta,  die  Schuld verschreibong  der 
—  II  176. 

o. 

Oberappellationsgcrichtshof  in  Lübeck, 
Bedeutung  des  —  (tlr  die  Handels- 
wiucnschaft  II  17. 

Okkupation  von  Grundstücken  Ab- 
wesender I  349  ff. 

Okkupatorischer  Besiuerwerb  I  176  ff., 

18s  f. 

Orchomenos.  Inschrift  von  — .  betreffend 
die   Darlehnigeschlfte  der  Nicareta 

II  176  ff. 

Orderanweisnng  im  klassischen  Recht 
11  I93ff.  Interprelation  von  1.  II 
D.  de  novat.  et  deleg.  46,  3  II 
199  ff. 

Orderklansel,  Zusammen  Stellung  von  — 
in  alten  Urkunden  II  16S  ff. 

Orderurkunden  im  klais.  Alterthum 
II  165  ff.,  s.  Urkunden. 


Pardessus,  Cours  de  droit  commn^ial 

11  IS. 
Pttnlus,  Kegel  des  I  335  ff. 


,  Cioogle 


Penitentlhcorie    II    77  ff.;     ».     auch 

Eigen  tbrnDstheoTle. 
Person  aUtilut   der    Akliengoellschaft 

144.1. 

Psychisches  Element  in  der  Gewslt 
1    107?.,    in    der   Gewalterlangung 

I    MS  ff. 

posseiisio  absentii  T  243.  344ff.,  an 
Grundstücken  I  249  ff.  Besitzverlust 
durch  Vernichlllssigung  bei  p.  a. 
I  lösff.,  p.  B.  am  Sklaven  I  310, 
s.  a.  Besitz,  poucisio  firma,  minus 
firma  1  1J2. 

polestas ,     Begriff   in    der    Besitilehre 

I  B3ff. 

Pohl,  Dantellac^  des  gemeiaen  deut- 
schen und  hamburgi sehen  Han<iels- 
recht!  II  17  f. 

Prise nlalionspapier  II  83  ff.  Brunner't 
DefinitioD   li  ÜaB.;  polenzirler  Art 

II  91.  Kriterien  des  —  nach 
Brnnncr  II  SS  IT. 

PrifscDtaiionstheorie  11  77  ff. ;  s,  auch 
ETgerthnmSthcorie. 

Prttseni  der  Sache,  Erwerb  d«  Be- 
sities  durch  —  I  170  ff. 

PrivaCei-enbahuen ,  Kechts Verhältnisse 
der  unter  St ants Verwaltung  stehen- 
den —  [  354  ff.  Hoheilsrecble  de* 
Staates  über  —  I  355  ff.  Prival- 
rechtliche  Beiiehungen  des  Staates 
in  —  I  359  ff.  Uebersicht  der  unter 
Staatsverwaltung  stehenden  1  367  ff. 
UeberUssung  von  —  an  den  Staat 
I  371  ff,  Natur  und  Umfang  der 
staatl.  VerwaltungsbefugnisEC  1 .171  ff. 
Stellung  der  staallichen  Verwattungs- 
beherden  im  Organismus  der  Staats- 
verwaltung 1  3SS  ff.  Die  staat- 
lichen Verwaltungsbehörden  und 
das   Recht  der  Aktiengesellschaften 

I  397  ff.  VeTBDtwortlicbkeit  der 
stsatt,  VerwaltuDgibeamlen,  Staats- 
behörden und  des  Staates  1  406  ff. 
Die  rechtliche  Natur  der  staatliclien 
Verwaltung  1  406  ff.  Die  Ersati- 
pflicht  des  Beamten  I  419  ff.  Ersatz- 
pflichc  dei  Staates  I  431  ff. 

Protokolle,  Bennliong  der  —  fUr  die 
laterpretaliondesDentscbenH.G.B.'s 

II  56  ff. ,  ihre  Bedeutung  II  57  S: 
V.  Hahns  Ansicht  II  57.  Schle- 
singers Ansicht  II  63  ff.  Ansfah- 
ningen  ▼.  Hahn*  11  68  ff. 

PiUfangsordnuDg    and   Rechtsstadtum 

1 577. 


Receptum  argentarii  II  107. 

Receplum  naulamm ,  cauponum,  sta- 
bulariorum  11  401  ff.  Litteratur 
II  401  f.  Herrschaftsgebiet  II  403. 
Verhüllniss  zu  den  civilen  KoO' 
Irakten  II  405  ff.  VerhÜltDiss  la  de» 
piitniischen  Sirafktagen,  deren 
Theorie  und  heutige  Geltung  II 
4oSff.,  die  eiiuchlSglgea  Fülle  der 
Klagenkonkurrenz  II  415  ff.  Inhalt 
der  actio  äe  receplo  II  4iSff.  Be- 
griff der  vis  maior  II  432,  gewAhn- 
licher  Begriff  II  424  ff.,  wahrer  Be- 
griff in  der  Lehce  vom  receptum 
II  430.  Von  der  Ueberuabmc  der 
Gefahr  und  der  cnslodia  II  440. 
Prozessualisches.  Beweis  II  450  f{. 
Ausschliessung  und  Beschiinkung 
der  Haftung  II  452,  Heutige  Gel* 
tung  II  ^So  ff.  Reieption  des  — 
II  461  ,  in  den  germanischen  See- 
rechten  II  463  ff, ,  in  den  romn- 
nischen  Seercchlen  II  466,  in  den 
modernen  Gesetzbüchern  II  469  f. 
Ausdehnung  auf  den  Landtransport- 
Vertrag  II  471  ff.,  im  rSmischen 
Recht  II  471  ff.,  im  A.LJI.II4S0,  im 
österreichischen  Recht  II  481 ,  im 
sOchuschen  Recht  11  4S1  f.  in  aus- 
IKudischen  Rechten  II  483  f.,  in  den 
neaeren  Gesetzentwürfen  11  405  ff. ; 
s.  auch  actio  de  recepto,  vis  maicr. 

Rechlsstudium  und  Prüfungsordnung 
mit  Rücksicht  auf  den  Vorbereitungs- 
dienst I  577,  Ansicht  T.  Ecdns' 
IS77f. 

Rechtsstreit,  Begriff  des  —  im  Völker- 
recht 1  539  ff. 

Revalirungsklage  des  Trassaten  1 462  K. 

Ricblerliche  Einweisung,  Besitierwerb 
durch  —   I  222  ff. 

Bohr,  VoIlstEndiges  Hausbaltongs- 
recht  II  10. 

Rflcktritl  bei  nicht  prlzisem  Lieferung^ 
termine  I  4S3  ff.,  496  ff. 


Savaiy  II  13. 

Savigny,  Friedrich  Carl  von  —  I  öioff., 
seiD  Stammbaum  I  623  Bildungs- 
gang I  624!.  Recht  des  Besitzet 
1  635.  Akademische  LehnhStigkeit 
I  625  ff.  Vom  Beruf  unserer  Zeit 
für  Gesetzgebung  und  Recbtswissen- 
Echaft  1  627  ff.  Rcchtsxusland  in 
Deutschland  um  1814  I  617  ff. 
Verdienste  um  die  Rechtlwi*sen- 
■cbaft  I  635  ff.     Hiatoruche  Schule 


I  637  f-  Srstem  det  heutigeii 
rOroiichen  Rechts  I  640  (.  AI« 
JuiiitminUtCT  I  Ö41.  ChankicT  I 
644  ff.  Lctile  Lebensjahre  I  647. — 
Seine  Besilztheorie;  Begriff  de«  Be- 
sitze» I  35,  39,  40,  Erwertj  da 
Besities  I  145  ff. ,  Verlust  des  Be- 
sitzes I  135  ff- 

Scaccia  11  9, 

Schau,  Bexitienrerb  am  —  I  178?., 
Erhallnn^  des  Besities  I  284. 

Schiedsgerichte,  Reglement  fllr  inter- 
nationale —  I  533  ff.     BildDDg  der 

—  I    552  ff.      Verfahren    vor 
I  SS7  ß- 

Schiedsspnicb    I   565  f.      Aufecbtang 

und  Aufhebung  I  567  ff. 
Schiedsvertrag ,     Schliessung    des 

I  S+aff. 

Schllttaelllbcrgabe,  Besitcerwerb  durch 

—  I  19»  ff. 
Seedarlehniurkuude   io   der  Rede  des 

Deroosthenes  c  Lacritnm  II  172. 
Seegerichte  II  40. 
Seerecht,    pieudoibodische»  —  II  36, 

aus  Seegerichten  hervorgegangene  — 

II  40.  Kodiliiirende  Darstellungen 
des  —  im  Mittelalter  II  44;  das 
receptmn  nautarum  im  germanischen 

—  II  462  ff. ,  im  romnnischen  — 
II  466  ff. 

SeeretsicheniOB,  lur  Geschichte  der  - 
H  505  ff.  Hrpolhetc  von  Reati 
II  506 f. 

Sensale  11  315  ff. 

»ervos  fugitivua,  Verlust  des  Besiues 
am  —  I  307  IT.,  Erwerli  des 
sities  durch  den  —  l  309,  Ersitiung 
durch  den  —  I  309. 

Sicht,  Nacbsicbipapiere  II  93  ff. 

Siti,  Verlegung  des  —  der  rumünischen 
Eisenbahnakli engesei! Schaft  I  434  ff., 
rechtliche  Bedeutung  des  —  1  441  ff., 
rechtliche  Bedeutung  der  AendemDg 
des  —  I  444  ff. 

Sklave,    Verlust   des   Besities  am 

I  303  ff.,  s.  a.  servu.. 
Skontraiion      im     klaiiischen     Recht 

II  107  ff. 

Staat,  Hoheitsrechle  des  —  Über  Prival- 
eitenbahnen  I  355  ff.,  privalrechtliche 
BeoebuQgen  des  — •  m  den  Prival- 
eisenbahnen  I  359  ff.,  Ersatipflicht 
I   4Zlf.,    direkte   Betheilignng    des 

—  an  Privat  eisen  bah  Den  I  360,  in- 
direkte Betbeilignng  I  361  ff. ,  die 
einielneD  Rechte  des  —  an  Privat- 
bahnen  I  363  ff. 

Staatliche  Verwaltung ,  Rechtsverhllt- 
nlsM  der  unter  —  stehenden  Ptivat- 
Gcildiebmidt,  VsrmiicMs  Sehriftea  D 


titter.  529 

bahnen  I  354  ff.,  Ueberticht  der 
nntet  —  stehenden  Privitbalmen 
1  367  ff.,  Natur  und  Umlang  der 
—  Verwallungsbefugnisse  bei  Ueber- 
lassung  von  Eisenbahnen  an  den 
Staat  I  371  ff.  ,  rechtliche  Natur 
I  406  ff. ;  B.  auch  Privat  Eisenbahnen. 

Stobbe,  Nachruf  an  I  675  ff. 

Surrogate  des  handhaften  Besitierwerbs 
1  167  ff. 

Symbolischer  Besitienrcrb  I  142  ff. 


lesserae  II  166. 

Thibaut,    Heber    die   Noth wendigkeit 

eines    allgem.    bttrgerl.    Rechts    fUr 

Deutschland  I  633  f. 
Thöl  II  18. 

Tradidonipapiere  II  124. 
Trassat ,      Revalirungsklage     des      — 

I  46z  ff. 
Trassirung  des  Wechsels  enthilt  einen 

Zahlungsauftrag  I  469  ff. 
Treitschke  II  19. 
Turris  II  9, 


Ueberlasiung  von  Privateisen bahnen  an 
den  Staat   I  377  ff. ;   s.  Privateisen- 

UebernahmederGcfahrund  der  custodi  a 
II  440. 

Üeberweiiungsketle  im  klassischen 
Recht  II  307. 

Umlageverfahren  II  351  ff. 

Urkunden,  Inhaber-,  Order-  nnd  exe- 
kntorische  —  im  Uatsischen  Alter- 
thum  It  165,  bei  den  orientalischen 
Völkern  11  167  f.  Zusammenstellung 
von  —  U  l6Sff.  Die  Seedarlehns- 
urkunde  (.Tnyygaip^)  in  der  Rede 
desDemoslhenesc.  LicritnmIIl72ff. 
Die  Schuld verschreibungen  der  Nica- 
relB  II  176.  Die  amorginischen  An- 
leheni Urkunden  11  iSo  ff^  Aegyp- 
tische  Papyrus  Urkunden  II  tl)4  f. 
SpKthellenische  ExekutiTurkunden 
II  1S5  ff.  Cession  im  altgriech. 
Recht  II  i8£ff.;  solche  Urkunden 
bei  Plautus  II  191  ff.  und  Lysias 
II  196.  SiebenbUrg,  Darlehnsurkunde 
II  196.  Orderanweisung  1.  ii  D.  de 
HOT.  U  198  ff.  EdiLionspflicht  II 
356  ff.,  gern  ein  schaftl.  —  II  398  ff. 
Mittelalterliche  Urkunden,  betr.  die 
Seeversicherung  It  510  ff.  Besiti- 
erwerb  durch  Uebergabe  von  Ur- 
kunden I   199  ff. 

34 


V. 

▼acnti  ponettio  abteDtium  I  267; 
Tacnae  possessionii  tisditio  I  226  ff. 

Verlust  des  Besittei,  s.  Besitz. 

vis  maioT,  frühere  BegrifTabeitiTH- 
muDf^n  II  43z  fr.  Unhaltbukeit 
dcrtelbea  II  414  ff.  Wahrer  Begriff 
in  der  Lcbre  Tom 'recepttim  nau- 
taiuro  II  430  ff-. 

VorbereituD^dieDst,  PrarnngiotdnunE 
und  Rechtsstodium  I  577  f. 

WureDpapicre  II  laoff. 
Wechseliccepl    II    94  ff. ,     limitirtes 

n  104. 
Wechselordnung,    Art.    Zl     und    die 

KrealioDstheorie  II  94  ff. 


Wertbpapiere ,  Misiellen  zur  Theorie 
der  —  II  73  ff.  Pendeiu-  n.  Eigen- 
thumstheorie  II  77  ff.  Prlientatioiu- 
papiere  II  Si  ff,  Sicht-  and  Nach- 
sichtpapiere II  93  ff.  Tradiiions- 
papierc  II  130  ff.  Waarenpspiere 
laof.,   insbesondere  Ladeschein 


II  I 


der      Bestizlehie 


Zeichnen,  Bedtzerwerb  durch  I  197  ff. 

ZeiUchriften ,  handelsrechtliche  — 
II  4  ff.  Aufgaben  der  Zeitschrift 
fUr  das   gesammle   Handelsiecht  II 


iLCD,  Google 


QUELLENREGISTER 

in  der  Abhandlung 

GRUNDLAGEN  DER  BESITZLEHRE 

(Band  I  Nr.  l). 


A.  Institutionen. 

1.  46  S.  318. 

1.  77  S.  170,  aeg. 

II,  1  de  R.  D. 

VI,  3  de  pnbl. 

I.  S.  151. 

1.  15  S.  309. 

n  S.  tsr.  288. 

VII,  I  de  naufr. 

13  S.  166. 

1.  13  S  3  S.  308,  309- 

14  S.  178,  394. 

VII,  4  qoibu»  m.  Moft. 
1.  13  S.  18S. 

IS  S.  293. 

45  S.  195- 

L  39  S.  397. 

46  S.  188. 

VIII,  3  de  S.  P.  U. 

47  S.  317- 

L  30  pr.  S.  336. 

II,  7  de  luncftp. 

VIII,  5  li  ten. 

f  J  s!  %\  169. 

1.  3  1  3  S.  74.  IS»- 

IX,  3  «d  leg.  Aqoil. 

pr.  §  4  S.  157. 

L  37  fi  13  S.  193. 

1.  39  S.  387. 

9  3  S.  ai3. 

IX,  4  de  BOi.  act 

ly^  iS  de  inlerd, 
1  4  S.  15J,   IS3- 
8  5  S.  350,  160,  300. 

L  7  pr.  S.  5*.  86. 

L  13  S.  86. 

L  13  S.  86. 
l.  31  pr.  S.  85. 
1.  31  |8   a,  3  S.  85 
1.  23  §  4  S.  85. 

6.  Dlgreeten. 

1.  a  de  0.  J. 

X,  3  f«m.  erc 

L  a  §  14  S.  311. 

L  8  S  I  S.  393. 
X,  4  »d  «ihib. 

IV,  3  de  dolo. 

I.  31  S.  301. 

1.  3  §  15  S.  67. 

IV,  6  ei  quib.  c.  mtior. 

1.  4  S.  67. 

L  19  S.  73,  158,  aSo. 

1.5     r.  S.  67. 

L  »3  8  a  S.  ato. 

1.  5       5  S.  183. 

1.  30  pr.  S.  aSo. 

LS       6  S.  88. 

IV,  7  «le  »li«.  ind.  mut 

I.  7       1  S.  67,  i«4. 

1.  4  §  I  S.  334. 

1.  9       IS.  387. 

V,  4  li  pa»  bered. 

1.  15  S.  179,  189.  387. 

L  10  S.  105. 

1.  16  S.  105. 

VI,  I  de  R.  V. 

Xn,   1  de  R.  C. 

1.  9  S.  88. 

1.  4  g  3  S.  3S7. 

34- 

532 

XIII,  6  commod. 

1.   iS  pr.  S,  303. 
Xnt,  7  de  pigD.  act. 

I.  40  §  3  S.  66. 
XV,   I  d«  pecul. 

].  8  S.  63. 
XVIll,   1  de  C  E. 

1.  74  S.  196. 

1.  78  S.  64. 

T.  78  g    I    S.  63. 

XVIII,  6  de  P.  et  C 
1.  1  pr.  S.   19«. 

I.  1  9  «  S.  197. 
I.  15  g  I  S.  197- 

XIX,  1  de  A.   E.  V. 


1.  j  8  ,  S. 
1.  3  §1  S. 


1  §  13  S.  186. 
XIX,  a  locui. 

1.  60  §  ■  S.  399- 
XIX.  S  de  pr.  »erb. 

1.  16  §  1  S.  tSS. 
XXI,   I  de  Md.  cd. 

1-   17  pr.  §§  1—16  S.  307. 

1.  17  g  IS  S.  .36. 

XXI,  3  de  exe.  rei  vend. 
1.  I  S.  339. 

XXII,  1   de  U9uri9. 

1.  35  8  1  s.  188. 

XXIII,  3  de  iure  dot 

I.  9  8  3  S.  63.   118,  i»6,  175. 

XXIV,  I  de  doDM.  inter  vinim  et  i 
I.  3  §  II  S.  316. 

).  a6  pr.  S,  67.  313. 
I.  46  S.  159. 

XXVIII,  5  de  bered.  bu. 
1.  60  pr.  S.  158. 

XXIX.  »  de  «cqn.  vel  om.  bered. 
1.  43  S.  ZIS. 

XXXIII,  7  de  inslr.  vel  iniUniii.  leg. 

1.  12  §  45  S.  106. 
XXXVI.  4  ul  in  pou.  leg. 

I.  5  §8  2  ff-  S.  105. 
XXXIX,   3  de  damno  inf. 

I.  9  8  I,  3  S.  387. 

I.  IS  g   18  S.  loj. 

I.  15  §  21  S.  17=.  3>7- 
XXX IX,  S- 

I.  6  S.  63, 


XL, 


■  3' 


170, 


de  lib.  • 

bis  7  S.  1 

1.  7  I  S  S.   1^8,  311 


1.  I 


■  bu 


311. 


5-   "S8.  3 
.»I4S 


L  24  pr.  S.  311, 
1.  15  §  2  S.  308.  309,  310  ff. 
I.  39  pr,  S.  313. 
XU,   I  de  A.  R.  D. 
1.  I  §  I  S.  15.,  189. 


I.  »3  S.  157,  310. 

I.  23  8§  I  ff.  S.  309. 

I-  37  f-  S-  309- 

I.  39  S.  309. 

„  44  S.  83,  2S9. 

,  53  S.  los- 

.  53  S.  74- 

-  54  S.  157.  310. 

I.  54  S  4  S-  308.  309. 

I.  55  S.  83,   163,    166, 

ago.  34+ 
,1,  3  d«  A.  V.  A.  P. 
I.  I  pr.  S.  58.  60,  112. 


I  6  S.  157. 
81  9.  '°  S.  in. 
I  14  S.  308,  309. 
l  .5  S.  66.  215. 
"-  16.  17  S.  315. 
o  S.  173.  3«9. 

167,  17'. 


>S7. 

S  1  S.  93,  94.  167,  189. 
\  3  S.  62,  66,  74,  93,  9S,  96, 
10,  179,  tSo. 
-  3  S  i  S.  53,   59,  64,    153,  315, 


1.  3"!  6  S.  93. 
I.  3  S  7  S.  157 


33'- 


L3  88 

300,  301. 
I.  3  g  9  S.  381,  381. 
L  3  I  10  S.   157,  277,  310,  311, 

.   3    8    13   S.    211,    313. 


Ogk 


Gnindkgen  der  Bctittldire. 


533 


3  g  13  S.  60,  61.  las,  ia6,  175, 
a74,  a84,aM,3S8,  agi,  895,303. 
3  I  14  S.  176,  178,  390. 
3  B  15  S.  119.  290,  »91,  »94. 
3  §  16  S.  394. 
3  I  17  S.  381. 
3  8  18  S.  189,  397. 
3  I  ao  S.  105. 

5  S.  185. 

6  pr.  S.  187,  »51. 
661$.  34S,  353,  g6o,  aSa. 

7  S.  353,  357,  335. 

8  S.  93,  339  C 

9  S.  sSi. 


1.    10         1,    3   S.    105. 
1.    13         1    S.    ISO. 

L  48  S.  166,  170. 

1.  49  V-  S.  74.  314. 

1.  13    r.  S.  386,  308. 

1.  49  i  «  S.  74.  lOS- 
1.  SO  1  1  S.  307.  309 
1.  51  S.  61,  9S,  167, 

1.  "3      3  S.  309,  3IO. 

1.  IS     .  »83,  307. 

1.  15  M  aa.  34>  35  S.  a?»- 
1.  16    .  333. 

1.  Sa  pr.  S.  150. 

L   Sa   8    3   S.   232. 

1.  17      1  S.  338,  331. 

1.  SSS-  "8. 

1.  18     I  s.  319- 

XLI,  3  de  Murp. 

L  18      3  S.  118.  136,    167 

170, 

1,4      8S.  1.9. 

17  .  186. 

1.  4      II  S.  taö. 

1.  18      3  S.  187,  354,  360, 

361. 

1.  4      la  S.  89. 

1.  18      4  S.  187,  154. 

1.  4      13  S.  74. 

1.  19      I  S.  105,  314. 

1.  4      33  S.  186. 

I.  ao    .  380,  397,  398. 

1.  4      37  S.  186. 

L  31       I  S.  318 
1.  33    .  361,  383. 

1.  5  S.  28a. 

1.  15  pr.  S.  158,  380. 

1.  33  pr.  S.  74- 

1.  IS  1  I  S.  309,  310 

1.  33       1   H.  158   380. 

L  16  S.  315. 

1.  33  §  2  S.  67,  83,  IS7. 
I.  34  S.  67,  74,  los,  313. 

L  30  S.  279. 

1.  31     .  281. 

1.  34  1  1  s.  397. 

L  35  §  I  S.  105,  331,   381 

1.  30      «  S.  164. 

397. 

1.  31      1  S.  310. 

300. 

1.  3"      3  S.  297. 

I.    35    S   3    S.   63.    350,     358 

a6o. 

1-31      SS.  »79- 

283, 335. 

I.  3»  pr.  S.  ai8. 

I.  37  S.  a6a,  337. 

1.  33       >  S.  105. 

1.  38  S.  105. 

1-  33      4  S.  303. 

1.  39  S.  74i  363,  337. 

1.  33      5  S.  38t. 

1.  30  pr.  S.  164. 

1.  33       6  S.  lOS,  307 

L  30       I  S.  156,  157. 

1.  37      >  S.  1S6,  366 

L  30      3  S.  335  A.» 

1.  38     .  367. 

1.  30      3  S.  a8i. 

I.  40  S.  280. 

L  30      4  S.  337- 

I.  44  F-  S.  158. 

1.  30      5  S.  74,  93. 

1.  44  8  3  S.  a8o 

L  30      6  S.  105,  114,  38t, 

397- 

1.  44  8  7  S.  los,  380 

I.  31     .  300,  301. 

XLI,  4  pro  empt. 

I.  33      1  S.  197. 

1.  6  g  3  S.  383. 

1.   33        2    S.    113. 

1.  7  pr.  S.  3C»- 

l.  33     ■  '8s. 

1.  7  8  8  S.   157. 

1.  34  pr.  S.  95.   16s.  330- 

XLI,  S  pro  heiede. 

L  34      a  S.  309,  310. 

1.  3  §  I  S.  67,  ,04. 

I.  35  5.  153. 

XLI,  6  pro  donuo. 

I,  38      I  S.  3». 
L  38      3  S.  a.s. 

1.  I  pr.  8  3  S.  333. 

L  5  S.  333. 

1.  39     ■  137. 

XLI,  7  pro  derd. 

1.  40  pr.  S.  307. 

1.  40  g  I  S.  313,    271,   381,    3S2, 

300  ff. 
1.  41  S.  105. 
L  44  pr.   S.  179,    180,    343,   37a, 

384. 
L  44  §  1  S.  9S,  311,  aia, 
L  44  S  2  S.  356,  301,  331. 
1-  44  8  7  S.  331. 
1.  44  I  8  S.  331. 
1.  45  S.  »48,  356. 
L  46  S.  356,  303,  335,  338,  340, 
1.  47  S.  359,  374,  385,  »88,  394  £ 

303- 


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1.  I  s.  317,  340. 

1.  3  8  »  S.  364. 

1.  3  pr.  S.  317. 

1. 14  B  'S  s.  119. 

1.  3  f   1  S.  317.  333- 

1.    31    Ü.    1S9. 

L  3  S.  318. 

1.  36  pr.  S.  178. 

L  5  S  >  S.  188. 

1.  36  1  I  S.  188. 

XU,  8  pio  IcgMo. 

!•  43  IS  s.  "^  "  S.  317. 

L  8  S.  .8s. 

1.  S*  II  "3.  19  S.  189. 

XUII,  I  da  interdictu. 

L  s8  S.  189. 

1.  I  pr.,  1.  3  §8  1,  I  S.  156. 

1.  68  pr.  S.  397,  398. 

XUll,  8  ne  quid  in  loco  pnblieo. 

XLVII,  4  U  qni  tettun. 

l  3  §  38  S.  52. 

L  I  S  «5  S.  74,  93.  »79- 

XLIII,  16  d.  ri. 

XLVII,   19  eipU.  hered. 

L  1 

pr.  8  6  S.  Sl. 

I.  «81  S.74. 

L  I 

9S.  67. 

XUX.  15  de  cpt. 

1.  1 

10  S.  67,  3*3. 

1.  13  8  3  S.  66,  73.  a8o. 
L  23  1  3  S.  380. 

I.  1 

33  S.  313.  381,  301. 

L  I 

34  S.  186, 187,  3S7,  360,  382. 

L,  16  de  V.S. 

1.  t 

»5  S.  333. 

1.  IIS  S.  53,  ISO,  153. 

I.  1 

38  S.  iSä,  187,  261,  282. 

1.  21S,  S.  84. 

Li 

39  S.  186. 

L.  17  de  R.J. 

L  ■ 

38  S.  167,   187. 

1.  I  S.  335- 

1.  I 

45  S.  381,  396. 

1.  33  S.  303. 

1.  I 

47  S.  187,  383. 

U  31  S.  687 

1.3 

g  6,  7  S.  186. 

L  93  S.  67. 

ti 

"a  s.  383. 

l.  119  S.  324. 

'.3 

9  S.  260,  2S3. 

L  153  S.  93,  339  «■ 

1-3 

14  S.    258,   3äO.   383,    336. 

L  n  S.  283. 

L  13  S.  383,  398. 

C.  Codex. 

1.  17  S.  360,  361,  383. 
1.  18  S.  186,  383,  29S. 

III.   19  nbi  iD  rem  «ct. 

L  2  S.  89. 

I.  18  pr.  S.  331. 

IV,  19  de  prob. 

L  30  S.  301. 

1.  12  S.  186. 

XUII,  17  Uli  po«dd. 

1.  30  S.  207. 

I.  I  pr.  S.  50, 

IV,  49  de  A.KV. 

I.  I  18  a.  3  S.  15a. 

1.  8.  S.  186. 

L  I  f  4  S.  .53- 

VI,   1  de  fagiti™. 

1.  2  g.  IS3. 

I.  I  s.  307.  308. 

XUn,  36  de  precuio. 

1.  4ff.  S.  308. 

L  3  pr.  S.  Sl. 
1.  6  1  3  S.  105. 

VI,  3  de  fnrtifc 

1.  9.  10,  13  pr.  S.  89. 

1.  15  8  ♦  S.  3IS.  3M,  340. 

1.  13  S.  308. 

L  19  PT.  S.  51- 
1.  31  S.  105. 

1.  21  S.  86. 

VII,  6  de  Ut.  lib.  toU. 

XUn,  31  tttrnbi. 

1.  nn.  8  il>  S.  307. 

1.  I  pr.  S,  so. 
1.  1  1  I  S.  153. 

VII,  3a  de  «cqu.  et  ret.  poaa. 

L  3.  S.   iSi. 

XUV.  3  de  excep.  rei  indic 

L  3  S.  66,  112. 

1.   1+  §  3  S.  153. 

1.  4  S.  94.  269.  3"8. 

XLV,   1  de  V.O. 

1.  s  S.  lOS- 

1.  38  8  6  S.  159. 

I.  10  S.  7St  94- 

1.  38  88  7.  8  S,  67.  105. 

1.  13  S.  263,  300,  301,  303,  307 

1.  38  1  9  S.  S». 

Vin,  4  Diide  vi. 

XLV,  3  de  itip.  «erv. 

i.  11  s.  263,  269,  37'. 

1.  36  s.  317. 

Vra,  5  »i  per  Tim. 

XLVI,  3  de  »lut 

L  I  S.  301. 

1.  79  S.  61,   119,   171. 

VIU,  6  uti  pooid. 

XLVII,  2  de  fiirL 

l.  OD.  S.   153. 

1.  I  §  3  S,  189,  297,  398. 

Vin,  37  de  diitr.  pign. 

1.  1 

3  S.  189. 

1.  13  S.  186. 

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Vni,  53  de  don. 

1.  I  S.  199  fr. 

1.  a6  S.  166. 
XI,  59  de  omni  tigr.  deiert, 

1.  Iff.  S.  318. 

1.  8  S.  >70,  31S. 

J>.  OaUlnetlt. 

I,    32    S.    207. 

I,  52,  S.  67, 

II,  4S  ff.  S.  156. 
II,  51  S.  267. 
II,  60  S.  105. 

U,  66  S.  151,  189. 

II,  67  S.  288. 

II,  68  S.  293. 

II,  6g  S.  151,  189. 

II,  86  S.  157. 


II,  89  S.  213. 

III,  56  S.  207. 

IV,  si  S.  56. 
IV,  14S  S.  152. 
IV,  150  S.  50. 
IV,  IS3  S.  94.   ■ 


IV, 


300- 


e:.  Paulus  sentent. 

31  g  27  S.  3>7.  31S. 

3'   §  37  S.  86. 

a  6  I   S.  93.   "I. 

6  g  s  S.  282. 

'       '  ~    187,  281. 


I  S. 


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