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Georg Chriſtoph Sichtenberg’s
Bermifchte Schriften.
39107
- Mene vermehrte,
von deffen Söhnen veranftaltete
Original - Ausgabe.
Mit dem Portrait, Facſimile und einer Anficht des
Geburtshaufes des Verfaſſers.
Erſter Band.
— mo öTöF
Göttingen,
Berlag ber Dieterihfhen Buchhandlung.
1844.
Borrede
Die und yon vielen Berehrern unferes Vaters zuge⸗
gangenen Aufforderungen haben ung um fo mehr zu der
gegenwärtigen neuen Ausgabe feiner nachgelaffenen ver-
mifchten Schriften veranlaßt, als wir dadurch Gelegen⸗
heit erhielten, aus feinen, in unferm Befige befind⸗
lihen Papieren dasjenige noch mitzutheilen, was, ohne
bisher gedrudt zu fein, in die bald nad feinem Tode
erfchienene erfte Ausgabe nicht mit aufgenommen war,
jo wie eine große Zahl feiner von uns geſammelten,
ebenfalls ungedrudten, Briefe zu veröffentlichen. Zugleich
glaubten wir diefe Sammlung, fo viel thunlih, durch
feine bereits anderwärts gedrudten Briefe vervollftän-
digen zu müffen, . |
Wir gingen bei dem Unternehmen von ber Anficht
aus, daß es angemeffen fein werde, die rein wife
fenfhaftliden Schriften hier nicht wieder mit
aufzunehmen, ba fie für ein größeres Publiftum überall
m‘
IV 8
y
nicht, und, bei dem jegigen Stande ber Wifjenfchaften,
auch für die Männer von Fach im Ganzen nicht mehr
von bedeutendem Intereſſe fein dürften.
Auh die Erflärungen der Hogarthifcdhen
Kupferftiche fohloffen wir aus, um den Umfang ber
gegenwärtigen Ausgabe durch Aufnahme diefes für fich
beftehenden Werkes nicht zu fehr auszudehnen.
Bei der Anordnung des Ganzen fuchten wir ung
ber früher befolgten möglichft anzuſchließen und wichen
von ihr nur in fofern ab, als wir die in ben beiden
erftien Bänden enthaltenen Nachrichten und Bemer—⸗
fungen bes VBerfaffers über fich ſelbſt, wie
die Demerfungen vermifchten Inhalts, unter
den in ber erftien Ausgabe gewählten Rubrifen — wenn
diefelben auch vielleicht hätten anders beftimmt werben
fönnen — zufammenftellten, ihnen einige hieher ges
börige Bemerfungen aus dem neunten Bande eins
Ihalteten, und die im erften Bande befindlichen Frag⸗
mente in den zweiten Theil diefer neuen Ausgabe
überfrugen.
Die Ausbeute, welche hier die nachgelaffenen Pa
piere an bisher Ungedrudten gewährten, ließen w
unter jenen Rubriken, fo willfürlih deren Auswc
zum Theil auh war, ald Nachtrag folgen.
Rückſichtlich dieſes Planes verhehlten wir ung '
. v
neswegs, daß es vielleicht wünfchenswerth geweſen wäre,
wenigſtens das in den beiden erſten Bänden Enthaltene
nach der Zeit ſeines Entſtehens zu ordnen, mußten in⸗
deſſen darauf verzichten, weil theils die Papiere unſeres
Vaters nicht durchaus vollſtändig auf uns gekommen,
theils die erhaltenen in dieſer Beziehung nicht immer
hinlänglich beſtimmte Nachricht geben. Dieſer Mangel
einer chronologiſchen Ordnung möchte indeſſen einiger⸗
maßen von geringerer Bedeutung ſein, als es auf den
erſten Blick ſcheinen könnte, da der Inhalt der Bemer⸗
kungen ſelbſt die Zeit ihres Entſtehens zum großen
Theile genügend andeutet.
Die Vorberichte der beiden erſten Bände
der erſten Ausgabe haben wir vollſtändig mit auf:
genommen, ba fie über den Titerarifchen Nachlaß unfe-
res Vaters überhaupt und über die Art und Weife, wie
jene Bemerkungen entflanden, bie geeignete Auskunft
enthalten, Wir Taffen fie der gegenwärtigen Vorrede
unmittelbar folgen, —
Indem wir ung glücklich fchägen würden, wenn wir
hoffen dürften, durch dieſe neue Ausgabe auch unferer
Seite dazu beigetragen zu haben, das Andenken unferes
Vaters, das durch die am ten Juli 1842 und 1843
in feinem Geburtsorte Dberramftadt fo finnig gefeier-
ten Erinnerungsfefte von Neuem erwedt worden, auf
vi
eine ſeinen zahlreichen Verehrern entſprechende Weiſe
mehr und mehr zu beleben, ergreifen wir gern dieſe
Gelegenheit, allen Denjenigen, welche uns dabei, durch
Mittheilung ſeiner Briefe und ſonſt, freundlich unter⸗
ſtützten, unſern verbindlichſten Dank hiemit auch öffent⸗
lich zu bezeugen.
” Hannover und Oldenburg im October 1843.
Geo. Chph. Lichtenberg,
Königl. Hannov. Generaldirector ber directen Steuern.
Chr W. Lichtenberg,
Königl. Hannov. Steuerdirector und Commiſſair bei der
Central⸗Steuer⸗-Behörde in Oldenburg.
Vorbericht
zum erſten Bande der erſten Ausgabe.
Die Sammlung, die wir hier dem Publikum über⸗
geben, muß ihr größtes Intereſſe durch den Mann er⸗
halten, auf den ſie ſich bezieht, und aus deſſen Papie⸗
ren ſie entſtanden iſt. Sie enthält nur fragmentariſche
Aufſätze und einzelne Gedanken über ganz verſchiedene
Gegenſtände, die keinen andern Zuſammenhang haben,
als ihren gemeinſchaftlichen Urſprung. Ein großer Theil
derſelben würde von dem Verfaſſer gewiß nie ans Licht
gebracht worden fein, und das Übrige wenigſtens nicht
in diefer Geſtalt. Aber die Forderungen, die man mit
Recht an den Verfaſſer einer Schrift machen Fann, find
fehr verfchieden von denen, bie ein bloßer Herausgeber
zu erfüllen hat. Hier blieb Fein anderer Ausweg übrig:
man konnte nur biefes dem Publifum mittheilen, ober
nichts.
VIII
Wer wird uns alſo tadeln, daß wir das Erſtere
gewählt haben? So mangelhaft auch dieſe Sammlung
iſt, ſo trägt ſie doch nicht wenig dazu bei, uns die
Denkungsart ihres Verfaſſers zu enthüllen, und zum
Theil ſein Innerſtes aufzudecken; und überdieß betrifft
ihr Inhalt lauter Gegenftände, die der Aufmerkſamkeit
eines jeden gebildeten Menfchen würdig find und fein
Nachdenken befchäftigen können. Wenn fie alfo gleich
nit in die Claſſe derjenigen Bücher gehört, die fich
zum Zeitvertreib in einem Athem durchlefen laſſen, fo
ift fie dafür defto gefchicdter, den Geift zu werden, und
in Thätigfeit zu fegen, und ung fo die zuträglichfte und
edelfte Art der Unterhaltung zu verfchaffen. Man muß
fie nicht wie eine gewöhnliche Koft betrachten, die man
bis zur Sättigung genießt, fondern wie ein geiftiges
©etränf, das in Heinen Gaben genoffen unfere Mahl:
zeit würzt, und unfere Mafchine belebt, aber im Über⸗
maaß gebraucht, ihre Kräfte ſchwächt, und den Geift
verwirrt.
Der Berfaffer war ein Mann von originellem Kopf,
und von mannichfaltigen VBerdienften um die deutſche
Literatur. Die Art von Talent, die er befaß, ift, fo
wie überhaupt, fo befonders unter ung felten: Wis und
Laune mit Menſchenkenntniß, philofophifcher Geift mil
Gelehrſamkeit, Scharffinn mit Gefchmad verbunden! —
IX
wer wird. von einem ſolchen Manne nicht gern die noch
übrigen Producte feines Geiſtes gefammelt und ber
Bergefienheit entriffen fehen, nachdem wir ihn felbft auf
immer verloren haben? Schon eine Kleinigkeit wird
ung theuer, wenn fie und an einen verftorbenen Freund
erinnert, um fo ſchätzbarer wird diefe Reliquie allen
Freunden und Berehrern des Verfaſſers fein, da fie
nicht bloß fein Andenken unter und zu erneuern, fondern
ung mit feinem Charakter und feinem Geifte felbft mehr
befannt zu machen geſchickt ift.
Er hatte von jeher die Gewohnheit, Alles aufzu-
fhreiben, was ihm Merfwürdiges vorkam. Er las fehr
viel, aber er dachte noch weit mehr, Wenn aljo au
bier und da fih ein Ercerpt aus einem Buche findet,
fo waren ed doch ungleich mehr feine eigenen Gedans
fen, die er nieberfchrieb, und felbft feine Excerpten
waren meiftend mit eigenen Zufäßen vermiſcht. Luftige
Einfälle, komiſche Ausdrücke, fonderbare Ereigniffe,
charafteriftifche Züge, Beobachtungen über fi und Ans
dere, furz, was ihm bes Bemerkens werth war, das
fohrieb er auf, Alles unter einander, fo wie es ihm
‚eingefallen war. Späterhin befamen diefe Papiere mehr
bie Form von Tagebüchern: er bemerkte jedesmal das
Datum, fehrieb auch manche minder wichtige Vorfälle,
befonders in feiner Samilie, auf, notirte fih die Büs
XI
„Sch habe ſchon Tange, heißt es, an einer Gefchichte
meined Geiftes- fowohl, als meines elenden Körpers
geichrieben, und das mit einer Aufrichtigfeit, die viel-
leicht Manchem eine Art von Mitihanm erweden wird;
fie fol mit größerer Aufrichtigfeit erzählt werben, als
vielleicht irgend einer meiner Lefer glauben wird. Es
ift dieſes ein noch ziemlich unbetretner Weg zur Unfterbs
lichkeit. Nach meinem Tode wird es der böfen
Welt wegen erfi herauskommen.“
Eine ſolche Biographie von einem Kenner bes menfchs
lichen Herzens, und einem fo aufmerkffamen Beobachter
feiner felbft würde ein eigenes Vermächtniß für bie
Melt gewefen fein, aber leider! hat er fie, wie fo viele
andere angefangene Werke, nicht zu Stande gebracht.
Diefe Stelle Tann ung zugleich rechtfertigen, wenn
wir felbft folhe Bemerkungen von ihm über fih ohne
Einfhränfung aufgenommen haben, die nicht vor⸗
theilhaft für ihn erfcheinen. Es war fein eigener Wille
fih mit der größten Aufrichtigfeit zu fchilder
alfo auch feine Fehler und Schwachheiten nicht zu v
fchweigen. Überbieg wird man dadurch nicht br
dag man feine Fehler verbirgt, vielmehr gewinnt
moralifhe Werth durch die Aufrichtigfeit, mit db’
fie gefteben. Auch find wir unbejorgt über der
teil, den dieſe Geftändniffe auf die gute Mein
xl
ibm haben fönnten, da von ber andern Seite überall
fein redliches Beftreben nach. einer immer größern ſo⸗
wohl geiftigen, als moralifchen Bollfommenpeit hervor⸗
leuchtet. Es würde fi) wenig für ung ſchicken, feine
Lohrebner zu machen, fonft wären wir Teicht im Stande,
von feiner großen Uneigennügigfeit, und Gewiſſenhaf⸗
tigfeit, von feiner Gefälligfeit, von feiner Strenge gegen
fih felbft und der Nachficht gegen Andere, von feiner
Wohlthätigfeit, von feiner Treue gegen feine Freunde,
und feiner Zärtlichfeit gegen feine Gattin und Kinder,
yon feiner unbeftehlihen Wahrheitgliebe die fprechendften
Beweiſe zu geben.
Der zweite Hauptartifel, Die Sragmente®), bes
greift faft lauter Stüde, die ſich auf eine Periode und
ein Übel unferer Riteratur beziehen, die fonft große Auf⸗
merffamfeit verdienten — die Periode der Ems
pfindfamen und der Kraftgenieg, est ift fie
vorbei, und in fo fern verlieren diefe Stüde an Inter⸗
eſſe; indeffen zeigen fie wenigftend, wie eifrig der Ver⸗
faffer bemüht gewefen iſt, ſich jenem Übel zu wider:
fegen, und mas für Deinen er noch bereitete, um fie
im Fall der Noth fpringen zu laffen. Befonders fcheint
*) Diefe Fragmente find, wie in ber Vorrede bemerft wor:
den, in ben 2ten Band der gegenwärtigen Ausgabe aufgenom⸗
men worden.
UV
ber Barafletor ihm am Herzen gelegen zu haben; .
denn er bat deffelben in feinen Papieren fehr oft ers
wähnt, und vielerlei angemerkt, was er barin abhan⸗
bein wollte. Auch den Titel deffelben hat er auf vers
ſchiedene Art beflimmt. Außer dem, der bier im Buche
angegeben ift, finden fi noch folgende zwei:
1) Parakletor oder Beweis, daß man zugleich
ein Driginalfopf und ein ehrliher Dann fein Fönne,
2) Parafletor d. i. Lehre und Troft für alle
armen Seelen, die in biefen Tagen nicht in Originals
föpfen wohnen Tönnen.
Imgleichen hatte er bereits eine Titelvignette dazu
erdacht: „das Geficht eines Tachenden Satyrs, das durch
einen DOpernguder fieht. Das Objectivglas muß nad
dem Leſer gerichtet fein, obgleich das Perfpertiv nad
einem andern Gegenftand zu zielen ſcheint. Ein Sinns
bild für die Ironie.“
Es wäre auch wohl möglich, daß Manches von dem,
was wir bier unter einer eigenen Überfchrift aufgeftellt
haben, eigentlich in den Parakletor gehörte; bei dem
Mangel einer genauen Beftimmung feines Inhalts Taf
fih dieß nicht entfcheiden. Dieß könnte z. B. mit d
der Fall fein, was bier unter der Rubrik der B
fhrift ver Wahnfinnigen von der Entdedun
fagt wird, die man in Deutfchland gemacht hatte
XV -
einfach gefchriebene Werke in die Sprache des Genies
zu übertragen. Denn es ift nicht zu leugnen, daß bie
Erfindung einer folchen Beftreichungsmethode ein großer
Troft für Diejenigen fein müßte, die nicht felbft Genie
genug befigen, um die Sprache der Begeifterung zu
haben; und vielleicht Tieße fich in unfern Tagen noch
einmal Gebrauch davon in ber Philojophie machen.
Eine andere fatyrifche Schrift, mit der der Verfaſ⸗
fer in den fechziger Jahren viel befchäftigt geweſen iſt,
ohne fie gleichwohl zu vollenden, iſt das Leben Kun-
kels, eines ehemaligen Göttingifchen Antiquarius.
Noch ift eine volftändige Rede zum Andenfen biefeg
Ehrenmannes, in einem Zirkel von Studenten gehalten,
vorhanden, die eine launige Bertheibigung deſſelben
enthält, aber eben nicht zum Druck geeignet if. Bon
diefer Rede aber follte das Leben noch verſchieden fein;
denn es findet fih oft in den Papieren von jener Zeit
etwas angemerkt, das in Kunfeld Leben gebraudyt wers
den könnte, oder bort abgehandelt werden follte, wovon
nichts in jener Rede vorfommt. Überhaupt wird Kuns
kels Name oft in feinen Papieren genannt, gleichwohl
haben wir nichts von feinem Leben ausgearbeitet ges
funden. *)
) Was fih über Kunkel in den nachgelaffenen Papieren
aufgefunden, wird in biefer Ausgabe mitgetheilt werden.
VI
Was endlich den dritten Hauptartifel, Die vermifch-
ten Bemerfungen, anbetrifft, fo fieht man leicht,
daß die Ordnung und Zufammenftellung, in der bie
Sachen ſich hier befinden, nicht das Werf des Verfafs
fer, fondern ber Herausgeber ift. Da biefer ganze
Artifel aus lauter abgeriſſenen Gedanfen befteht, fo
würde bie Verwirrung gar zu groß gewefen fein, wenn
wir fie fo unter einander gemifcht gelaffen hätten, wie
fie fih im Manufeript befinden. Um fie einigermaßen
in einen Zufammenhang zu bringen, haben wir dieje⸗
nigen zufammengeordnet, bie ihrem Inhalte nach ver-
wandt find. So überfieht man um fo eher die Mei-
nung des Berfaffers über einen Gegenftand, Indeſſen
muß man bier feine flrenge Eintheilung ſuchen. Die
Überſchriften follen nur ungefähr bemerflich machen, von
welcher Art die darunter begriffenen Sachen find; da
aber dieſe nicht urfprünglich nach jenen abgefaßt find,
fo fann man nicht fordern, daß ihnen Alles genau ans
gepaßt fein fol. Bei manchem Satze fommt ed über:
dieß auf den Geſichtspunkt an, aus dem man ihn be
trachtet, um ihn an feiner rechten Stelle zu finden od
nicht. Auch bei diefem Verfahren können wir und dr
eine Äußerung des Verfaſſers ſelbſt rechtfertigen.
„Die Kaufleute, fagt er, haben ihr FFaste F
(Sudelbuch, glaube ich, im Deutfchen) darin tra
XVII
von Tag zu Tag Alles ein, was fie faufen und vers
faufen, Alles unter einander ohne Ordnung. Aus bie
fem wird es in das Journal eingetragen, wo Alles
mehr fyftematifch ſteht; und endlih kommt es in ben
Leidger at double extrance, nad der italienischen
Art Buch zu: halten. In diefen wird mit jedem Manne
bejonders abgerechnet. Dieß verbient von den Gelehr⸗
ten nachgeahmt zu werden. Erſt ein Buch, worin ich
Alles einfchreibe, fo wie ich es fehe, oder wie es mir
meine Gedanken eingeben. Alsdann kann diefes
wieder in ein anderes getragen werben, wo
die Materien mehr abgefondert und georbd«
net find; und der Leidger fönnte dann bie Verbin⸗
dung und bie baraus fließende Erläuterung der Sachen
in einem ordentlichen Ausdruck enthalten.”
Die Papiere des Berfaffers find Maste book;
hieraus haben wir die Sachen in das Journal einge-
tragen, und das ift ed, was wir dem Publifum übers
geben. Den Leidger wirb derjenige liefern, ber bie
bier erhaltenen Sachen gehörig verarbeitet. Dann wird
es aber nicht Lichtenbergs, fondern des Bearbeiters eis
genes Werk fein.
Endlich müffen wir ung im voraus entfchuldigen,
wenn wir vielleicht manden Gedanfen hier aufgenoms
men haben follten, der bereits in ben gedrudfen Schrifs
AR
xVvui
fen des Berfaffers, ſchon mehr verarbeitet und befler
gelagt, vorkommt. Es fehlt zwar fehr viel, daß er
Alles, was er niedergefchrieben bat, in der Abficht aufs
gezeichnet hätte, um es in irgend einer Schrift wieder
anzubringen *); indefien haben wir ſchon oben bemerkt,
daß er Bieles von dem, worüber er öffentlich ſchrieb,
in feinen Zagebüchern vorläufig abzuhandeln pflegte, und
wir haben eine Menge von Beifpielen gefunden, daß
er Gedanken, Einfälle, Ausdrüde, die hier einzeln ftehen,
anderwärts in den mannichfaltigften Verbindungen ge⸗
braucht, und öfters bald weiter ausgeführt, bald mehr
zufammendgezogen hat; es Tönnte alfo wohl fein, daß,
bei ber zahlreichen Menge gebrudter Schriften yon ihm,
Manches unferer Aufmerkſamkeit entgangen wäre, das
wir als etwas Neues bier wieder aufgeführt halten,
Gotha im December 1799.
2. Chr. eichtenberg und Fr. Kries.
) Er erklärt ſich hierüber in einem ſeiner Briefe ausdrücklich:
„Ich habe, ſagt er, die Gewohnheit, daß ich meine Ge—
danken über Dinge niederſchreibe, keineswegs um ſie etwa ein—
mal anzubringen, ſondern bloß in ber Abſicht, ihren Zuſam—
menbang zu probiren. Denn beim Niederfchreiben bemerft man
gar Manches, was man beim bloßen überdenken nicht gewahr
wird, wenigſtens iſt dieſes der Fall mit mir.“
Borberict
zum zimeiten Bande ber erften Ausgabe.
Bei der Herausgabe dieſer zweiten Sammlung föns
nen wir und groößtentheils auf das berufen, was wir
in dem Vorbericht zur erften Sammlung gefägt haben;
und fo bleibt und nur wenig noch hinzuzufegen übrig.
Unferm Plane gemäß follte Diefer Band dasjenige
in fih faffen, was der Berfaffer in ben achtziger und
neunziger. Jahren niebergefchrieben. hat. Die ift aber
nicht im firengften Sinn zu nehmen. Da chronologifche
Ordnung Hier nicht die Hauptfache ift, fo haben wir
manche frühere Bemerkung, die wir bier oder da noch
fanden, ohne Bedenken aufgenommen und, wo es und
gut dünkte, eingefchaltet. Ja der größte Theil der phy⸗
fiognomifchen und pathognomifchen Bemerkungen gehört
in eine etwas frühere Periode. Sie find meiftend gegen
das Ende der fiebenziger gefchrieben, zu der Zeit wu
=)
XX
das phyfiognomifche Unweſen in Deutfchland fpüfte, dem
ſich der Berfaffer befanntermaßen öffentlich in einer, erft
im Göttingifchen Kalender, und dann befonders gebruds
ten Abhandlung 9) widerfegt hat.
Überhaupt kann man häufig fehen, wie die Bemer-
fungen des Berfaffere durch die Zeitumftände veranlaßt
wurden, und daher von vielen fchon errathen, wann
fie ungefähr gefchrieben worden find. So haben bie
philofophbifhenBemertungen hier meiftend eis
nen ganz andern Charakter, als in der erfien Samm-
fung. Ein großer Theil derfelben betrifft den Idealis⸗
mus und die Kantifche Philofophie, die fich erft feit
den achtzigern in Deutfchland mehr verbreitet, und den
Berfafier, wie man fieht, viel befchäftigt hat. ine
ganz neue und flarfe Rubrik find die politifhen Be—
merfungen, von denen wir nicht erſt zu fagen brau:
hen, durch welche Begebenheiten fie vorzüglich veran:
laßt wurden. Bielleiht wird Mander darin einen Man:
gel eines feften Syflems und ein Schwanfen der Grund:
fäge mit Unzufriedenheit wahrnehmen. Allein man er:
wäge, daß Politif überhaupt fih auf Erfahrungen grün:
det, und daß, wenn biefe ſich ändern, auch unfere Über:
zeugungen und Meinungen fi) ändern können. Kerner
*) Über Phyfiognomit wider die Phyſtognomen. Göttingen
1778.
xxI
daß diefe Bemerfungen zum Theil die Ausbrüde von
Empfindungen und Borftellungen find, die durch eins
zelne Begebenheiten in dem Gemüth bes Verfaſſers her⸗
vorgebracht, und durch feine jedesmalige Stimmung mos
bificirt wurden. Man muß alfo in ihnen nicht etwas
Ganzes fuchen wollen. Das Ganze liegt in dem Kopf
und Geift ihres Urhebers, deſſen Syſtem nach einen
höhern Maßftabe zu beftimmen iſt. Vertheidigt er jetzt
die Sache der Monarchie, und tritt dann wieder auf
die Seite der Demokraten, gut, fo ift es ein Beweis,
wie wenig er von Vorurtheilen eingenommen war, und
wie gern er das Gute von beiden Parteien anerkannte.
Er machte ed weder wie manche unferer angeblichen
Weifen, die Alles vortrefflic finden, was jenfeits des
Rheins gefchiehtz noch wie andere Politifer, die in Hige
gerathen, wenn fie den Namen Franzofen nennen
hören, und einen Demokraten für ein Ungeheuer halten.
Übrigens ift e8 auch unfere Sache nicht, jede Behaup-
tung bed Verfaſſers zu vertheidigens was wir hier dem
Publifum übergeben, find die Meinungen eines Berftors _
benen, nicht die unfrigen.
Man darf aber überhaupt nie vergeffen, wenn man
ben Berfaffer nicht mißverftehen will, daß es nur Bruch
ftüde find, die bier milgetheilt werben. Man kann
fie ale Säge betrachten, die aus dem Zulanmesssuss-
. XXI
herausgenommen find. Die ganze Reihe von Bebanfen
und Empfindungen, wovon fie nur bie Nefultate find,
it in dem Gemüth des Verfaſſers zurüdgeblieben, und
die fennen wir nicht. Daher kann es fommen, baß
ung mander Sag auffallend Flingt, der, wenn er gehö⸗
rig vorbereitet und ins rechte Licht geftellt würde, dad
Auffallende verlöre. Man drüdt fih oft in einer ge-
wiffen Stimmung und im Eifer etwas flarf aus, wo
man bei fälterem Blute eine Milderung und Einfchräns
fung nöthig findet. Hätte der Verfaffer dieſe Sachen
für das Publifum gefchrieben, fo würbe er fchon bafür
geforgt haben, fie in ihren Zufammenhang zu bringen
und gehörig zu verſchmelzen. So aber hat er fie nur
zu feinem eigenen Gebrauch aufgefest, und es ‚bleibt
ung nichts weiter übrig, als und ſelbſt eine mögliche
Reihe von Borftellungen zu denfen, aus welcher dieſer
oder jener Sat hervorgegangen fein möchte. Wo wir
aber keinen befriebigenden. Zufammenhang entdecken, da
bürfen wir deßhalb nicht gleich. zu unbilligen Urteilen
fortfchreiten.
Wir liefern noch einen Nachtrag zu ben Beob—
abhtungen und Nahrihten des Berfaffers
son unb über ſich ſelbſt, der aus einer wieder⸗
holten, genauern Durchſicht der Tagebücher entftanden
it. Da es einmal bei biefen Nachrichten weder auf
XxxIII
etwas Ganzes, noch auf eine beſtimmte Ordnung abge⸗
ſehen war, ſo iſt es verzeihlich, daß die erſte Durchſicht
nicht mit größerer Sorgfalt geſchehen war, und wir erſt
jest mit dieſer Naihlefe kommen. Die erftin Nachrichs
ten wären nicht minder fragmentarifch geblieben, wenn
auch diefe - gleich damit verbimden worden wären; und
bie Lücken, die ſich in fehen. finden, werben durch biefe
nicht ausgefüllt, Indeſſen ift- es immer ein ſchätzbarer
Beitrag von Bemerkungen, die manche der zarteften Ems
pfindungen ihres Urbebers enthfillen, und manchen fei-
ner gebeimften Gedanken verrathen.
Bielleicht aber wird es Manchen befremden, hier
nicht, wie im erſten Bande, eine Sammlung von Frage
menten zu finden. - Sollte Lichtenberg, wird er
beiten, in diefer Periode weniger gefihrieben, und nicht
ebenfalls mandien Plan gemacht und auszuführen ange-
fangen, aber noch unvollendet zurüdgelaffen haben!
Hierauf laͤßt ſich theils mit ja, theils mit- wein ante
worten. Zuerft ift- zu bemerken, daß gevabe in biefe
Periode der größte Theil der Schriften fällt, die Lich⸗
tenberg bei. feinem ‚Leben ſelbſt heransgegeben bat,
Gegen das Ende der. firbenziger übernahm er. Det Gön⸗
tingifhen Ralender, den er ununterbrochen ‚bie
an feinen Tod fortgefegt hat, Im Jahr 1780 fing er
in Verbindung mit Georg Forſter die Herausgabe
"
XXIV
bes Göttingiſchen Magazins an, das zwar nur
wenige Jahre gedauert hat, aber doch eine Menge Aufs
füge son feiner Hand enthält. Seit 1794 befchäftigte
ihn bie Erflärung der Hogarthifhen Kupfer
ftiche, wovon das Publikum fünf Lieferungen durch ihn
erhalten hat, Wäre es alfo wohl zu verwundern, wenn
er außerbem feine anderen Plane angefangen hätte; und
ift es nicht befier, daß er ung, flatt Fragmente zu bins
terlaffen, lieber etwas Ganzes felbft gegeben hat?
Gleichwohl aber Hatte er wirklich noch ein Paar
Plane, mit denen er fich viel befchäftigte, jeboch ohne
die Arbeit auch nur fo weit anzufangen, daß wir ben
Lefern einige Bruchſtücke Davon vorlegen könnten. Das
Eine war ein phyſikaliſches Compendium, wovon es
hier der Ort nicht iſt zu reden, und wovon wir dem
Publikum zu einer andern Zeit Nachricht geben werden.
Das Andere, das ganz eigentlich hierher gehört, war —
ein Roman. Dieſer ſcheint eine rechte Lieblingsidee
son ihm gewefen zu fein, denn er fpricht fehr oft in
feinen Tagebüchern davon, und hat fid) eine Menge
von Gedanfen, Charakterzügen, Situationen u. f. w.
aufgeihrieben, die er darin ausführen und gebrauchen
wollte, Sogar den Tag, wo er. den Entichluß dazu
faßte, bat er angemerkt; es war ben 7. Detober 1785,
alfo über 13 Jahre vor feinem Tode, Im Allgemeinen.
XxxIII
etwas Ganzes, noch auf eine beſtimmte Ordnung abge⸗
ſehen war, ſo iſt es verzeihlich, daß die erſte Durchſicht
nicht mit groͤßerer Sorgfalt geſchehen war, und wir erſt
jetzt mit dieſer Nachleſe kommen. Die erſtern Nachrich⸗
ten wären nicht minder fragmentariſch geblieben, wenn
auch diefe gleich damit verbunden worden wären; und
bie Lüden, die ſich in jenen finden, werden durch biefe
nicht ausgefüllt. Indeſſen ift- es immer ein fhäßbarer
Beitrag von Bemerkungen, die manche der zarteften Ems
pfindungen ihres Urhebers enthüllen, und manchen fei-
ner geheimften Gedanken verrathen.
Bielleicht aber: wird es Manchen befremden, bier
nicht, wie im erften Bande, eine Sammlung von Trage
menten zu finden. Sollte Tihtenberg, wird er
benfen, in diefer Periode weniger gefihrieben, und nicht
ebenfalls manchen Plan gemacht und auszuführen anges
fangen, aber noch unvollendet zurüdgelaffen haben?
Hierauf läßt fih theils mit ja, theils mit nein ante
worten. Zuerſt ift zu bemerken, daß gerade in biefe
Periode der größte Theil der Schriften fällt, bie Liche
tenberg bei feinem Leben felbft herausgegeben bat.
Gegen das Ende der fiebenziger übernahm er ben Göt⸗
tingifhen Kalender, den. er ununterbrocden bie
an feinen Tod fortgefegt hat. Im Jahr 1780 fing er
in Verbindung mit Georg Forſter die Herausıct
XXIV
bes Göttingiſchen Magazins an, das zwar nur
wenige Jahre gedauert hat, aber doch eine Menge Aufs
fäge son feiner Hand enthält. Seit 1794 beicäftigte
ihn die Erflärung der Hogarthifhen Kupfer
ftiche, wovon das Publikum fünf Lieferungen durch ihn
erhalten hat, Wäre es alfo wohl zu verwundern, wenn
er außerdem feine anderen Plane angefangen hätte; und
ift e8 nicht beffer, daß er ung, flatt Fragmente zu hins
terlaffen, lieber etwas Ganzes felbft gegeben hat?
Gleichwohl aber hatte er wirklich noch ein Paar
Plane, mit denen er fich viel befchäftigte, jedoch ohne
die Arbeit auch nur fo weit anzufangen, daß wir ben
Lefern einige Bruchftüde davon vorlegen könnten. Das
Eine war ein phyfifalifches Eompendium, wovon es
bier der Ort nicht ift zu reden, und wovon wir bem
Publifum zu einer andern Zeit Nachricht geben werben.
Das Andere, das ganz eigentlich hierher gehört, war —
ein Roman. Diefer ſcheint eine rechte Lieblingsidee
von ihm gewefen zu fein, benn er fpricht fehr oft in
feinen Tagebüchern davon, und hat fid eine Menge
von Gedanfen, Charakterzügen, Situationen u. f. w.
aufgefchrieben, die er darin ausführen und gebrauchen
wollte, Sogar den Tag, wo er den Entfchluß dazu
faßte, bat er angemerkt; e8 war den 7. October 1785,
aljo über 13 Jahre vor feinem Tode. Im Allgemeinen
xXV
ſollten die Thorheiten und Mängel unſers Zeitalters
den Gegenſtand der Satyre darin ausmachen, und der
Held deſſelben ſollte ein doppelter Prinz (nämlich
zwei zuſammengewachſen, wie eine Mißgeburt) ſein,
woraus, wie man denken kann, eine Menge lächer⸗
licher und komiſcher Situationen entſtanden wären. Aber
Schade, dag von allem dieſem nichts ausgearbeitet iſt ).
Noch früher ſcheint er die Idee gehabt zu haben,
ein ſatyriſches Gedicht zu verfertigen. Denn in
einer Stelle ſeines Tagebuchs, die viele Seiten vor
jener vorhergeht, in der er den Entſchluß einen Roman
zu ſchreiben anmerkt, heißt es: |
„©egenftände der Satyre in meinem Gedicht:
Moden und Trachten, fchlechtes Theater, ausländi-
ſches Recht, Mangel an Ehrerbietung gegen die Als
ten, Phlegma ber Juftizpflege, Affertation der Stus
benten, Kriechen der Profefforen vor reichen Studen⸗
ten, Freſſerei, Zwangsehen, Unehrlichfeit der Kinder
außer der Ehe, Mesalliance, Empfindelei, Nomane,
Mondmanie, geringfügige Urfachen der Kriege, Sol⸗
baten, ſchlechte Heerftraßen, Hazarbfpiele, Vergeſſung
der urfprünglichen Gleichheit, Titelprunf in den Zei-
tungen, Ganonifationen, Unwiffenheit der Klöſter,
) Die wenigen, auf diefen Roman bezüglihen Bemerkun:
gen, welche noch aufgefunden find, werben mitgetheilt merhen.
XXVIll
. Pädagogifhe Bemerkungen u - - . . . ©. 214
Nachtrag zu den päbagogifhen Bemerfungen. — 222
Holitifhe Bemerfungen . - » » 2 2... 25
Nachtrag zu den politifhen Bemerkungen.. — 252
. Literärifhe Bemerkungen 1,7
Nachtrag zu den Titerärifhen Bemertungen . — 301
. Bemerkungen über Sprache und Orthographie — 314
Nachtrag zu den Bemerkungen über Sprache
und Ortbograpbie - - © - 0 2 22... — 3%
Vermiſchte Schriften.
————
Erſter Theil.
I.
Nachrichten und Bemerkungen
des
Verfaffers über ſich ſelbſt.
I.
Nachrichten und Bemerkungen des Ver⸗
faflers über fich felbft.
Charakter einer mir bekannten Perfon *).
Ihr Körper iſt fo beſchaffen, daß ihn auch ein ſchlechter Zeich:
ner im Dunkeln beſſer zeichnen würde, und ſtände es in ihrem
Bermögen, ihn zu ändern, fo würde fie manchen Theilen weni⸗
ger Relief geben. Mit ſeiner Geſundheit iſt dieſer Menſch, ohn⸗
erachtet ſie nicht die beſte iſt, doch noch immer ſo ziemlich zufrie⸗
den geweſen, und er hat die Gabe, ſich geſunde Tage zu Nutze
zu machen, in einem hohen Grade. Seine Einbildungskraft,
feine treueſte Gefährtin, verläßt ihn alsdann nie; er ſteht hin⸗
ter dem Fenſter, den Kopf zwiſchen die zwei Hände geſtützt; und
) Dieſe Schilderung, die der Verfaſſer von ſich ſelbſt macht.
findet ſich in einem feiner früheſten CAGBGWbWwtA &-
R
4
wenn ber Vorübergehende nichts als den melandolifhen Kopf:
hänger ftebt, fo thut er fich oft das ftille Bekenntniß, daß er im
Vergnügen wieder ausgefchweift hat. Er hat nur wenige Freunde;
eigentlich ift fein Herz nur immer für Einen gegenwärtigen, aber
für mehrere abweſende offen. Seine Gefälligkeit macht, daß
Biele glauben, er fei ihr Freund; er dient ihnen auch, aus
Ehrgeiz, aus Menfchenliebe, aber nicht aus dem Xriebe, ber ihn
zum Dienft feiner eigentlichen Freunde treibt. Geliebt hat er
nur ein» ober zweimal; das eirre Mal richt unglüdlich, das an⸗
bere Mal aber glüdlid. Er gewann bloß durch Munterfeit und
Leichtfinn ein gutes Herz, worüber er nun oft beide vergißt, wird
aber Munterfeit und Leichtfinn beftändig als Eigenfchaften ſei⸗
ner Seele verehrten, die ihm die vergnügteften Stunden feines
Lebens verfchafft haben; und könnte er fih noch ein Leben und
noch eine Seele wählen, fo müßte ich nicht, ob er andere wäh-
len würde, wenn er bie feinigen wieder haben könnte. Don ber
Religion bat er als Knabe fihon fehr frei gedacht, nie aber eine
Ehre darin. gefucht, ein Yreigeift zu fein, fo menig als darin,
Alles ohne Ausnahme zu glauben. Er kann mit Inbrunft bes
ten, und bat ben neunzigſten Palm nie ohne ein erhaberes,
unbefchreibliches Gefühl Iefen Fönnen. Ehe denn bie Berge
worden u. ſ. w. ifl für. ihn unenblich mehr, als: Sing, un
fterblihe Seele u. f. w. Kür Affembleen find fein Körper
und feine Kleider felten gut, und feine Gefinnungen felten ....
genug geivefen. Höher als drei Gerichte des Mittags und zwei
des Abends mit etwas Wein, und niedriger als täglich Kartofe
5
fein, Üpfel, Brot und auch etwas Wein hofft er nie zu kom⸗
men. In beiden Fällen würbe er unglüdlich fein. Er ift nod
allezeit Erank geworben, wenn er einige Tage außer biefen Gren-
zen gelebt bat. Leſen und Schreiben ift für ihn fo nöthig, als
Eifen und Trinken, und er hofft, es werde ihm nie an Büchern
feblen. An den Tod denkt er ſehr oft, und nie mit Abfcheu;
er wünfcht, daß er nur Alles mit fo vieler Gelaffenheit denken
könnte, und bofft, fein Schöpfer werde bereinft fanft ein Leben
von ihm abfordern, ven bem er zwar ein allzuöfonomifcher,
aber doch kein ruchlofer Befiger war.
Ich wünfchte die Geſchichte von mir fo zu fehen, wie fie in
verſchiedenen Köpfen exiſtirt. Meine Brüder wiffen die meiften
Kleinigkeiten von mir; Hr. 2... g weiß Zieles von meiner
beften Geite; ©. . . kennt meinen Charakter von ber guten
und von ber fchlimmen Seite unter allen Menfchen am beiten.
&...6 weiß bie meiſten Thorheiten von mir und bie meiften
Heimligkeiten, wei ih immer aus meinen Ihorheiten Heim⸗
lichkeiten gemacht habe. Am einfältigften würde meine Ge:
fhichte ausfehen, wenn fie W . . . befchreiben follte. Hr. 2,
würde mid fo fhildern: Er bat Bein böfes Herz, er ift im äu⸗
Serfien Grab flüdtig, ‚und feine Marimen, bie er zuweilen äu⸗
Bert, find nur für eine Stunde gemängt; in ber nächſten vers
fchlägt er fie wieder. Gr bat zuweilen gute Gedanken, und er
kann fo ziemlich vergnügt fein, und bat es in feiner Gewalt
e8 zu fein. Ob er wohl wirklich feine Freunde liebte?; quae-
kur. — G...s würde ſich gewiß fo von mir ausdrücken:
4
wenn ber Vorübergehende nichts als den melandolifhen Kopf:
hänger fteht, fo thut er ſich oft das ftille Bekenntniß, daß er im
Vergnügen wieder ausgefchweift hat. Er hat nur wenige Freunde;
eigentlich ift fein Herz nur immer für Einen gegenwärtigen, aber
für mehrere abmwefende offen. Seine Gefälligkeit macht, daß
Biele glauben, er fei ihr Freund; er dient ihnen auch, aus
Ehrgeiz, aus Menfchenliebe, aber nicht aus dem Triebe, ber ihn
zum Dienft feiner eigentlichen Freunde treibt. Beliebt hat er
nur ein= oder zweimal; das eine Mal richt unglücklich, das an⸗
bere Mal aber glüdlid. Er gewann bloß durch Munterkeit und
Leichtfinn ein gutes Herz, worüber er nun oft beide vergißt, wird
aber Munterkfeit und Leichtfinn beftändig als Eigenfchaften feis
ner Seele verehren, bie ihm’ die vergnügteſten Stunden feines
Lebens verfchafft haben; und könnte er fi) noch ein Leben und
noch eine Seele. wählen, fo wüßte ich nicht, ob er andere wäh—⸗
len würde, wenn er bie feinigen wieder haben könnte. Bon der
Religion bat er als Knabe ſchon fehr frei gedacht, nie aber eine
Ehre darin geſucht, ein Preigeift zu fein,. fo wenig als batin,
Alles ohne Ausnahme zu glauben. . Er kann mit Inbrunft bes
ten, und bat ben neunzigfter Pfalm nie ohne ein erhaberfes,
unbefchreibliches Gefühl leſen können. Ehe denn die Berge
worden u.f. iv. ift für. ihn unendlich mehr, als: Sing, un
fterblihe Seele u. f. w.. Für Affembleen find fein Körper
und feine Kleider felten gut, und feine Gefinnungen felten.....
genug getvefen. Höher als drei Gerichte des Mittags und zivei
des Abends mit etwas Wein, und niedriger als täglich Kartofe
5
fein, Üpfel, Brot und auch etwas Wein hofft er nie zu kom—
men. In beiden Fällen würbe er unglüdlid fein. Er ift noch
allezeit Eran? geworben, wenn er einige Tage außer biefen Gren⸗
zen gelebt bat. Leſen und Schreiben ift für ihn fo nöthig, als
Eſſen und Trinken, und er hofft, es werbe ihm nie an Büchern
fehlen. An den Tod denkt er fehr oft, und nie mit Abfcheu;
er wünfcht, daß er nur Alles mit fo vieler Gelaſſenheit benfen
fünnte, und hofft, fein Schöpfer werde bereinft fanft ein Leben
von ihm abforbern, von bem er zwar Fein allzuöfonomifcher,
aber doch kein ruchlofer Befiger war.
Ich wünfchte die Gefhichte von mir fo zu fehen, wie fie in
verfchiedenen Köpfen exiſtirt. Meine Brüder wiffen bie meiften
Kleinigkeiten von mir; Hr. %... g weiß Vieles von meiner
beften Seite; €. . . kennt meinen Charakter von ber guten
und von ber fhlimmen Seite unter allen Menfhen am beften.
E ... 8 weiß die meiſten Thorbeiten von mir unb bie meiften
Heimlichkeiten, weil ich immer aus meinen Thorheiten Heim:
lichkeiten gemacht babe. Am einfältigften würbe meine Ge-
fhichte ausfehen, wenn fie W... befchreiben follte. Hr. L.
mwürbe mid fo fohildern: Er hat Bein böſes Herz, er ift im äus
ßerſten Grab flüdhtig, und feine Marimen, bie er zuweilen äus
Bert, find nur für eine Stunde gemünzt; in ber nächften vers
fhlägt er fie wieder. Er bat zuweilen gute Gedanken, und er
“ Bann fo ziemlidy vergnügt fein, und hat es in feiner Gewalt
e8 zu fein. Ob er wohl wirklid feine Freunde liebte? quae-
ritur. — ©... 8 würde fich gewiß (o non wir RÜRLU.
6
Sein Herz ift gut, aber wer hätte bie Streiche binter ihm fu:
hen folen, wenn er zu D... mit feinen Büchern am Ads
ler vorbeigieng; doc an den Augen kann man ihm etwas anſe⸗
ben. Gottlob, ich Ferne ihn nun, und er gefällt mir befto
beffer. — Ich weiß, E.. . n, deſſen vortreffliches Gerz im⸗
mer für die menſchliche Natur einen gehörigen Rabat rechnet,
würbe zu vortheilhaft von mir urtheilen, und ich wollte, jeder:
mann bädte von mir fo wie er, fo würde ih, ohne bewundert
zu fein, von jedermann hochgeſchätzt werden.
MWahrfcheinlich gebe id mich zwei Jahr geringer an, als id)
wirklich bin ). Schon in meinem achten Jahre wurde ich burch
des Glaſers S .. . Knaben auf die Vorftellung von der See⸗
lenwanberung geleitet. |
Ich fand oft ein Vergnügen daran, Mittel auszudenten,
wie ich dieſen oder jenen Menfchen ums Leben bringen, oder
‚euer anlegen könnte, ohne daß e8 bemerkt würde, ob ich gleich
nie den feften Entſchluß gefaßt habe, fo etwas zu thun, noch
auch nur die geringfte Reigung dazu in mir verfpürt, und bin
fehr oft mit folchen Gedanken eingefchlafen.
Ich verftehe von Muſik wenig, fpiele gar kein Inftrument,
außer daß ich gut pfeifen fann. Hiervon babe ich fihon mehr
Nugen gezogen, al8 viele Andere von ihren Arien auf ber Flöte
) Diefe Muthmaßung bat fi beftätig. In Meufels
Bel. Zeutfchland fteht das Jahr 1744 als Geburtsjahr; nad) dem
eingeholten Taufzeugniffe warb er aber den 1. Zul. 1742 geboren.
7
und auf dem Klavier. Ich würde e8 vergeblich verfuchen, mit
Worten auszubrüden, was ich empfinde, wenn: ich an einem
ftilen Abend In allen meinen Thatenx. recht gut pfeife,
und mir den Tert dazu denke. Wenn ich an bie Zeile Pomme:
Haft bu es denn befchloffen ır., was fühle ich da für Muth,
für neues Feuer, was für Vertrauen auf Gott! id wollte mid
in bie See ftürzen ımb mit meinem Glauben nidht ertrinden,
mit dem Bewußtfein einer einzigen guten. That eine Welt nicht
fürchten. Spüre ich einen Hang zum Scherzbaften, fo pfeife id:
Sollt' aud ih durch Gram unb Leid ıc. oder hen you
meet a tender creature elc.
Mein Glaube an bie Kräftigfeit bes Gebets; mein Aber:
glaube in vielen Stüden; Anieen, Anrühren ber Bibel und
Küffen berfelben; fürmlide Anbetung meiner heiligen Mutter;
Anbetung ber Geifter, die um mic ſchwebten — Ich befchwöre
die Wahrheit diefer Erzählung gar nicht; eine Verſicherung ift
nichts; ich berufe mich auf die innern Zeichen ber Übereinftim«
mung und die Merkmale der Aufrichtigkeit, die fo fange die Welt
ſteht, gelten werden, — dem allein Bennbar, ber Wahrheit aufs
richtig fucht und Beobadhtungsgeift hat. Butrauen, weil e8 zum
Theil im Herzen des Zutrauenden wurzelt, kann trügen, wenn
die Verfaffung des Letztern nicht die reinfte ift.
Sch hielt mir ein Bettelhen, worauf ich gemöhnlich ſchrieb,
was ich für eine befonbere mir von Gott erwiefene Gnade anſah,
und nicht anders erklären zu können glaubte. Bei meinem ins»
brünftigften Gebet fagte ich zuweilen: o lieber Sutr, Uua%
8
aufs Zettelchen! Solche Ausdrücke, Ausbrüche der empfind-
lichſften Seelen, find gleichſam Vertrauensgeheimniſſe zwiſchen
Gott und der Seele.
In meinem zehnten Jahre verliebte ich mich in einen Kna⸗
ben, Namens & ..., eines Schneiders Sohn, ber in ber
Stadtfchule Primus war; ich hörte gern von ihm erzählen, und
forſchte bei allen. Anaben nad Unterrebungen, bie fie mit ihm
gehabt hätten; ohne ihn felbft je gefprochen zu haben, war es
mir ein großes Vergnügen, zu hören, daß er von mir gefprochen
hatte. Nach der Schule Hetterte ich auf eine Mauer, um ihn
aus der Schule gehen zus fehen. Wenn ich mid, jest feiner Phy⸗
fiognomie, die mir noch fehr deutlich vorfchwebt, erinnere, fo
war er nichts weniger als ſchön — eine Stumpfnafe mit rothen
Baden; war aber Primus in ber Schule. Es follte mir leid
thun, wenn ich durch dieſes freie Bekenntniß das Mißtrauen ge⸗
gen die Welt vermehren ſollte; aber ich war ein Menſch, und
das Glück der Welt, wenn fie es jemals erreicht, muß nicht
durch Verhehlung geſucht werben, auf eine Weife. Dauerndes
Glück ift nur in Aufrichtigkeit zu finden.
Ih Habe wenige Menfchen in ber Welt gekannt ‚ deren
Schwachheiten ich nicht nach einem Umgang von drei Wochen
(Stunden des Umgangs bloß gerechnet, welches wohl ein Vier⸗
teljahr im Kalender betragen konnte) ausgefunden hätte, und ich
Din überzeugt worben, baß alle Verftellung nichts hilft gegen eis
nen Umgang von brei Wochen; denn jede Befeftigungsfunft hat
eine eigene Belagerungsfunft für den, der fehen Fann.
9
>
Das Gäßchen, wo mr ®... 8 Tochter einmal begegs
nete gegen halb Eins bed Nachmittags, vergeffe ih nie. Es kam
mir wie in ber Nacht vor, weil dba Alles am Xifche fa — fehr
fubtil, aber herzenswahr.
Ich babe nie aus Gewinnfucht unrecht gehandelt, fo wahr
Gott lebt.
Ich erinnere mich deutlich, daß ich einmal in meiner erſten
Jugend ein Kalb zum Apportiren abrichten wollte; allein ob ich
gleich merkte, daß ich in den nöthigen Fertigkeiten merklich zu⸗
nahm, ſo verſtanden wir doch einander alle Tage weniger, und
ich ließ es endlich ganz, und habe es nachher nie wieder verſucht.
In dem Hauſe, wo ich wohnte, hatte ich den Klang und
die Stimmung jeder Stufe einer alten hölzernen Treppe gelernt,
und zugleich den Tact, in welchem ſie jeder meiner Freunde, der
zu mir wollte, ſchlug; und ich muß geſtehen, ich bebte allemal,
wenn ſie von einem Paar Füße in einem mir unbekannten Ton
heraufgeſpielt wurde.
Welch ein Unterſchied, wenn ich die Worte: „Ehe denn
bie Berge wurden, und die Erbe und bie Welt ge
ſchaffen worben, bift vu Gott von Ewigkeit zu Ewig—
keit“ — in meiner Kammer ausſpreche, oder in der Halle von
Weftminftersabteii Über mir die feierlichen Gewölbe, wo ber
Tag immer in einer heiligen Dämmerung trauert, unter mir bie
Reſte zufammengeflürzter Pracht, der Staub ber Könige, und
um mid) ber die Trophäen des Todes! Ich habe fie hier und
bort ausgefprochen; in meinem Schlafgemad haha a wmH
10
erbaut; ich habe fie von Kindheit an nie ohne Rührung gebetet,
aber bier durchlief mich ein unbefchreibliches, aber angenehmes
Grauen; ich fühlte die Gegenwart des Richters, dem ih auf
den Flügeln ber Morgenröthe felbft nicht gu entrinnen vermöchte,
mit Thränen, weber ber Freude nocd bes Echmerzes, fondern
mit Ihränen des unbefchreiblichen Vertrauens auf ihn. Glaubt
nit, ihr, bie ihr überall muthmaßer und mehr muthmaßet als
Iefet, daß ich aus modiſcher Schwermuth biefes dichte. Sch habe
ben Young nicht ganz Iefen können, als e8 Mode war, ihn zu
lefen, und balte ihn noch jegt für einen großen Mann, ba «6
Mode ift, ihn zu tabeln. "
Die Augen eines Frauenzimmers find bei mir ein fo weſent⸗
liches Stück, ich ſehe oft darnach, denke mir fo vielerlei dabei,
daß, wenn id nur ein bloßer Kopf wäre, die Mädchen meinets
wegen nichts als Auge fein könnten.
Bei einem Pleinen Fieber glaubte ich einmal deutlich einzu⸗
fehen, daß man eine Bouteille Waffer in eine Bouteille Wein
verwandeln könne auf eine ähnliche Art, wie man eine bieredige
Figur in einen Triangel verwandelt.
Es thun mir viele Sachen weh, die Andern nur leid thun.
Ich habe etliche Mal bemerkt, daß ich Kopfweh befam, wenn
ich mich lange in einem Hohlſpiegel betrachtete.
Wenn ich bisweilen viel Kaffee getrunfen hatte, und baber
über Alles erfchraf, fo Fonnte ich ganz genau merken, daß id)
eher erjchraß, ehe ich den Krach hörte. Wir hören alfo gleihfam
noch mit andern Werkzeugen, ald mit den Ohren.
11 .
IH träumte neulih an einem Morgen, ich läge wachend
im Bette und könnte feinen Athem befommen; darauf erwachte
ih ganz munter, und fpürte, baß ih, nad meiner damaligen
Lage, nur fehr mäßigen Mangel daran hatte. Ginem bloß füb:
lenden Körper fommen böfe Empfindungen allezeit größer vor,
als einem, ber mit einer. benfenden Seele verknüpft ift, wo
felbft oft der Gcdanfe, daß die. Empfindungen nichts zu bebeus
ten haben, ober daß man fih, wenn man nur wollte, bar
von befreien könnte, Bieled von dem Unangenehmen vermindert.
Wir liegen öfters mit unferm Körper fo, daß gedrüdte Theile
und heftig fchmerzen, allein, weil wir wiſſen, daß mir uns
aus biefer Lage bringen können, wenn wir wollen, fo empfinden
wir wirklich fehr wenig. Dieſes beftätigt- eine Anmerkung, die
ich) anderdwo gemacht habe, daß man fih durch Drüden die
Kopfichmerzen vermindern Fünne.
Was für einen Effeet würde es mohl auf mich haben, wenn
ih einmal in einer ganz fhwarz behangenen großen Stube, mo
auch bie Dede mit fhwarzem Tuch befdylagen wäre, bei fihwar-
zen Fußteppichen, fhwarzen Stühlen und ſchwarzem Kanapee,
in einem ſchwarzen Kleide bei einigen wenigen Wachöferzen figen
müßte und von ſchwarz gekleibeten Leuten bedient würde?
Nichts aufgefhoben; alle Tage ein wenig;
Pfennige gefpart in allen Stücken; nidt zu viel
auf einmal, und lieber ein wenig defto öfterer —
das ift meinem Charakter am zuträglichfien, und wenn ich fo
nicht etwas ausrichte, fo richte ich. nichts aus.
12
In meinem Kopfe leben noch Eindrücke längſt abgefchiede-
ner Urſachen. '
Es ift allezeit betrübt für mich, wenn ich bedenke, daß man
in der Unterfuhung mander Dinge zu weit geben fann,. id)
meine, baß fie-unferer Glüdfeligkeit nachtheilig werden können.
Eine Probe davon babe ih an mir. Ich wünfche, ich wäre
in meinen Bemühungen, das menfchliche Herz kennen zu lernen,
minder glücklich gewefen. Ich verzeihe ben Leuten ihre Boshei⸗
ten weit lieber, als vorber, bas ift wahr; wenn jemand in Ge
felfehaft übel von mir redet, zumal wenn es nur gefchieht, um
bie Gefellfchaft zu beluftigen, fo kann ich ihm bewegen nicht im
mindeften auffäffig werben, ich mache mir, im firengften Berftanbe,
nichts daraus, nur. muß es nicht mit wallendem Blute und Hige
gefchehen, oder. grobe VBerläumbung fein, die glaube ih nicht zu
verdienen. Hingegen ift mir aud zu wenig an dem Lobe ber
Leute gelegen ; ihr Neid wäre allenfalld das Einzige, was mich
och freuen würde. Das follte in der Welt nicht fein. Alſo ift
auch ‚bier harmoniſcher Wachsthum des ganzen Erkenntnißſy⸗
ftems nöthig; wo ein Theil zu fehr -aultivirt wird, ba führt es
am Ende immer auf ein Pleines oder großes Unheil hinaus.
Über nichts wünſchte ich mehr die geheimen Stimmen
bentender Köpfe gefammelt zu leſen, als über bie Materie von
ber Seele; die lauten, öffentlichen verlange ich nicht, bie kenne
ih fhon. Allein die gehören nicht fo wohl in eine Pfychologie,
als in eine Statutenſammlung. Was wirb noch aus biefem
Gejchledhte werden, ehe e8 vergeht? Die Welt kann leicht noch
13
eine Million Jahre fo fortrollen, wie bisher, und-ba wären
5000 Jahre gerade das, was ein Vierteljahr in dem Leben eines
Menfchen von 50 ift, kaum unſerer Univerfitätszeit. - Was
babe ich da8 legte Bierteljahr gethan? Gegefien, getrunken,
eleftrifirtt, Kalender gemadyt, über. eine junge Kase gelacht, und
fo find 5000 Jahre diefer kleinen Welt bingelaufen, die Ich bin.
Sch babe es fehr deutlich bemerkt, daß ich oft eine andere
Meinung habe, wenn ich liege, und eine andere, wenn ich fiehe;
zumal wenn ich wenig gegeifen babe und matt bin.
Shatefpear hat eine befondere Gabe, das Närrifche auszus
drüden, Gmpfindungen und Gebanfen zu malen, bergleichen
man furz vor dem Einfchlafen oder im leichten Fieber hat. Mir
ift alsdann ſchon oft ein Mann wie eine Einmaleindtafel vor:
gefommen, und die Ewigkeit wie ein Bücherſchrank. — Er
müßte vortrefflich Fühlen, fagte ich, und meinte bamit den Sap
bes Widerſpruchs, den ich ganz eßbar vor mir gejehen hatte.
Am 4. Julius (1775) erwachte id in Wreft *), allein nicht
zu vollkommener Klarheit, aus einem Traume von meiner Muts
ter. Mir träumte, fie wäre bei mir in dem Garten von Wreft
und hätte mir verfprocdhen, mit mir: über ben Canal in der flie-
genden Brüde zu fahren. Sie trug mir aber vorher etwas zu
thun auf, biefes verwidelte mich in Schwierigkeiten, und ich
*) Einem englifhen Landſitz, 42 englifhe Meilen von Lon⸗
bon, wo ber Berfaffer einen großen Theil feines Aufenthalts in
England zugebracht hat.
16
find die vergnlügteflen meines Lebens. Der Neib und die Spöts
terei Anderer, die bier und ba etwas mehr wiffen, ift unerträg»
lid. Wie felig lebte ich damals! jekt, ba Alles, was ich thue,
beobadıtet wird; und von Manchem, ber. nicht die Hälfte von
mir werth ift, und eine bioß auswendig gelernte Bemerkung
meinem urfprünglichen Beftreben entgegenfeht, werde ich ausge⸗
ladt. Man follte doch unterfcheiden lernen, zwifchen bem, was
ein Mann felbft gedacht bat, und dem, was einer abfchreibt.
„Das Schlimmfte ift, daß ich in meiner Krankheit gar bie
Dinge nicht mehr denke und fühle, ohne mich hauptſächlich mit
zu fühlen. Ich bin mir in Allem bes Leidens bewußt, Alles
wird ſubjectiv bei mir und zwar bezieht ſich Alles auf meine Em⸗
pfindlichkeit und Krankheit.
Ich ſehe die ganze Welt als eine Maſchine an, bie ba iſt,
um mid) mein Leiden und meine Krankheit auf alle mögliche
Weije fühlen zu lafien. Ein pathologifcher Egoiſt! Es ift ein
höchſt trauriger Zuftand. Hier muß ich fehen, ob noch Kraft in
mir ift, ob ich diefes übermwältigen kann, wo nicht, fo bin ich
verloren. Allein, dieſe Krankheit ift mir jhon zur andern Na⸗
tur geworden. Wenn mir nur eine Arznei das erſte Differenzial
von Stoß gäbe! Pufillanimität ift das rechte Wort für
meine Krankheit; aber wie nimmt man fi) die? dieß zu lehren,
würde Ehrenfäulen verdienen.
Nun weiß id), was das heißt, fich ermannen. Wenn man
fhon ermannt ift, fo ift e8 gut, Andern rathen. Was ber
Menſch elend ift, wenn er felbft Alles thun fol! Es Heißt ein
17
Wunder von ihm fordern, wenn man feine Selbfterhaltung von
ihm fordert.
Ich war zuweilen nicht im Stande, zu fagen, ob ih krank
ober wohl wäre.
Meine Phantafie wurbe fcheu, fo wie Pferde, und lief fort
mit mir. Diefes drüdt meinen Zuftand in der Empfindlichkeit
am beften aus.
Ich merkte zuerft mein eintretendes Alter yan der Abnahme
des Gebächtniffes, die ich bald mit dem Mangel an Übung def:
felben entfchuldigte, bald als Folgen des eintretenden Alters be=
Elagte. Solche Wellen von Furcht und Hoffnung habe ih all
mein Lebenlang verfpürt.
Ich babe manchen Gedanken gehabt, von dem ich überzeugt
fein Eonnte, baß er den Bellen unter den Menfchen gefallen
würde, und ben ich nicht anzubringen mußte, auch anzubringen
"nicht fonderlich begierig war, und bafür mußte ih mich von
manchem feichten Literator und Compilator oder irgend einem
bloß empirifhen Waghals und Gonfufionär über die Achfel ans
fehen laſſen, und boch auch geftehen, daß, nach meinem Verhal⸗
ten, die Leute fogar Unrecht nicht hätten; benn wie Fonnten fie
wiffen, was meine Indolenz felbft vor meinem Tagebuche ver:
beimlichte? Doch wenn mir be Lüc fchrieb, ich fchriebe ihm
feinen Brief, aus dem er nicht etwas lernte, fo fegte mich die—
fes über alle Urtheile der Welt weg, aber wieder nur bei mir felbft.
Wenn ed der Himmel für nöthig und nüglich finden follte,
mid und mein Leben noch einmal aufzulegen; fo welter iS um
I. R
18
einige nicht unnüge Bemerkungen zur neuen Auflage mittheilen,
die hauptfächlich die Beihnung des Portraits unb ben Plan bes
Ganzen angehen.
Mein größter Troſt, ober eigentlih was mir zur füßeften
Rache bei Sticheleien auf mich und Andere gereicht, ift bie völ⸗
fige Überzeugung, daß nie ein großer und ein guter Mann
folder Nedereien fähig war.
Mir träumte, ich follte lebendig verbrannt werben. Sch
war fehr ruhig dabei, was mich beim Erwachen eben nicht
freute. So etwas kann Erfchlaffung fen. Ich raifonnirte
ganz rubig über die Beit, die e8 dauern würbe: Vorher, dachte
ih, bin ich noch nicht verbrannt, und nachher bin id es. Das
war Alles, was ich dachte, und bloß dachte. Diefe Zeit liegt
zwifchen fehr engen Grenzen. Ich fürchte faft, es wirb bei mir
Alles zu Gedanken, und das Gefühl verliert fidh.
Seit der Mitte des Jahres 1791 regt fi) in meiner ganzen
Sedantendkonomie etwas, das ich noch nicht recht befchreie
ben kann. Ich will nur Einiges davon anführen, um künftig
aufmerkfamer darauf zu werden: nämlich ein außerorbentliches,
faft zu fchriftlichen IThätlichkeiten übergehendes Mißtrauen gegen
alles menſchliche Wiſſen, Mathematit ausgenommen; und was
mich noch an das Studium der Phyſik feffelt, ift die Hoffnung,
etwas bem menſchlichen Geſchlechte Nüpliches aufzufinden. —
Wir müffen freilich etwas ergreifen, aber ob das nun Alle
fo ift, wie wir glauben? Da frage ich mich wieder, wat
nennft bu fo fein, wie du es bir vorſtellſt? Dein Glaubr
19
daß es fo ift, ift ja auch etwas, und von dem Übrigen weißt
du nichts.
Ein großer Fehler bei meinem Stubdiren in ber Jugend
war, daß ih ben Plan zum Gebäude zu groß anlegte. Die
Folge war, baß ih bie obere Etage nicht ausbauen Fonnte, ja
ih Fonnte nit einmal das Dach zubringen. Am Ende fab
ih mic genöthigt, mid mit ein paar Dachſtübchen zu begnü-
gen, die ich fo ziemlich ausbaute, aber verhindern konnte ich
doch nicht, daß es mir bei ſchlimmem Wetter nicht hinein reg:
nete. So geht ed gar Mandhen!
Ich babe den Weg zur Wiffenfhaft gemacht wie die Hunde,
die mit ihrem Herrn fpazieren gehen: hundertmal benfelben vor:
wärts und rückwärts, und als id anfam, war ich müde.
Sch babe das Regiſter der Krankheiten durcdhgegangen und
babe die Sorgen und bie traurigen Borftellungen nicht darunter
gefunden, das ift doch falſch.
Wenn ich in irgend etwas eine Stärke befike, fo ift es bie
im Ausfinden von Ähnlichkeiten und. dadurch im Deutlihmaden
beffen, was ich vollfommen verftehe. Hierauf muß ich alfo
vorzüglich denken. |
Der berühmte Homwarb befuchte mih, warum? kann ich
eigentlich nicht fagen, es müßte denn fein, baß .er meine
Stube, meil id damals in 1%, Jahre nicht vor die Thüre
gefommen war, etwa als einen Kerker habe in Augenfchein neh⸗
men wollen.
Der Procrastinateur : bee Auffchieber, ein Ahews pn Cm
. X
& 20 ,
Luſtſpiel, das wäre etwas für mich zu bearbeiten. Auffchieben
war mein größter Fehler von jeher!
Bon Allem nur das Schlimmfte fehen, Alles fürdhten, felbft
Gefundheit für einen Zuſtand anfehen, worin man bie Krank⸗
beit nicht fucht: dieſen Charakter glaube ih am beften durch⸗
fegen zu können, ich dürfte mich bloß abſchreiben.
Sch Iefe die Pfalmen Davids fehr gern: ich fehe daraus,
daß e8 einem .folhen Manne zuweilen eben fo ums Herz war
wie mir, und wenn ich fehbe, baß er nach feinem großen Leis
den wieder für Errettung dankt; fo denke ich, vielleicht kommt
die Zeit, daß auch bu für Errettung banken kannſt. Es ift
gewiß ein Troſt, zu fehen, daß es einem großen Manne in
einer höhern Lage nicht befier au Muthe war, als einem felbft,
und daß man doch nad ITaufenden von Jahren von ihm fpricht
und fih an ihm tröftet.
Nachdem ich Vieles menfchenbeobachterifh und mit vielem
fchmeichelhaften Gefühl eigener Superiorität aufgezeichnet und
in noch feinere Worte gefledt hatte, fand ih am Ende, daß
gerade das das Beſte war, was ich ohne alle diefe Gefühle fo
ganz bürgerlich niedergefchrieben hatte.
Bei aller meiner Bequemlichkeit bin ich doch immer in der
Kenntnig meiner felbft gewachſen, ohne eben die Kraft zu ha⸗
ben, mid) zu befiern. 3a ich habe mich öfters für alle meine
Indolenz dadurch entfchäbigt gehalten, daß ich diefes einfah,
und dad Vergnügen, das mir bie genaue Bemerkung eines
Fehlers an mir machte, war oft größer, als der Verdruß, ben
21
ber Fehler felbft bei mir erwedte. So ſehr viel mehr galt bei
mir der Profejfor, als der Menfh. Der Himmel führt feine
Heiligen wunberlich.
Mein Körper ift derjenige Theil der Welt, den meine Ge-
danken verändern künnen. Sogar eingebildbete Krankheiten
können wirkliche werden. In der ganzen übrigen Welt können
meine Hypotheſen die Orbnung der Dinge nicht ftören.
Ich batte in meinen Univerfitätsjahren viel zu viel Frei-
beit, und leider etwas überfpannte Begriffe von meinen Fä⸗
bigfeiten, und fchob daher immer auf, und das war mein
Berderben. In den Sahren 1763 bis 1765 hätte ich müſſen
angehalten werden, täglich wenigftens fech8 Stunden, . bie
fhwerften und ermfthafteften Dinge zu treiben (höhere Geome⸗
trie, Mechanik und Sntegralrehnung), fo hätte ich es meit
bringen können. Auf einen Schriftftellee habe ich nie ſtudirt,
fondern bloß gelefen, was mir gefiel, und behalten, mas fich
meinem Gedächtniß, gleihfam ohne mein Zuthun, wenigftens
ohne eine beftimmte Abficht, eingebrüdt bat. Weil ich aber
dennoh eine gewiſſe Selbfibeobadhtung über mi ausgeübt
babe, fo kann ich vielleicht im der kurzen Zeit, die ich noch zu
leben babe, dadurch nüglicy werden, daß ich lebhaft und mit
Kraft Andern fage, was fie nicht thun müſſen.
Ich babe mirs zur Regel gemacht, daß mich bie aufge
bende Sonne nie im Bette finden fol, fo lange ich geſund
bin. Es koſtete mich nichts, als den Entfchluß; denn ich habe
e8 bei Gefegen, die ich mir felbft gab, ivamer In guten , OS
o 20
Luſtſpiel, das wäre etwas für mich zu bearbeiten. Aufſchieben
war mein größter Fehler von jeher!
Von Allem nur das Schlimmſte ſehen, Alles fürchten, ſelbſt
Geſundheit für einen Zuſtand anſehen, worin man bie Krank⸗
beit nicht fucht: biefen Charakter glaube ich am beften burdh«
fegen zu können, ich dürfte mich bloß abfchreiben.
Ich Iefe bie Pfalmen Davids fehr gern: ich fehe daraus,
daß e8 einem ſolchen Manne zuweilen eben fo ums Herz war
wie mir, und wenn ich fehbe, baß er nad feinem großen Lei⸗
den wieder für Errettung dankt; fo benfe ich, vielleicht kommt
bie Zeit, daß auch bu für Krrettung banken kannſt. Es ift
gewiß ein Troſt, zu fehen, daß es einem großen Manne in
einer höhern Lage nicht befier zu Muthe war, als einem felbft,
und daß man doch nad Taufenden von Jahren von ihm fpricht
und fih an ihm tröftet.
Nachdem ich Vieles menfchenbeobadhterifh und mit vielem
fymeichelhaften Gefühl eigener Superiorität aufgezeichnet und
in noch feinere Worte geftedt hatte, fand ih am Ende, daß
gerade das das Belle war, was ich ohne alle biefe Gefühle fo
ganz bürgerlich niebergefchrieben hatte.
Bei aller meiner Bequemlichkeit bin ich doch immer in ber
Kenntnig meiner felbft gewachfen, ohne eben die Kraft zu has
ben, mic) zu beſſern. Ja ich babe mich öfters für alle meine
Indolenz dadurch entſchädigt gehalten, daß ich diefes einfah,
und das Vergnügen, das mir bie genaue Bemerkung eines
Fehlers an mir machte, war oft größer, als ber Verdruß, den
21
ber Fehler ſelbſt bei mir erweckte. So ſehr viel mehr galt bei
mir der Profeſſor, als der Menſch. Der Himmel führt ſeine
Heiligen wunderlich.
Mein Körper iſt derjenige Theil der Welt, den meine Ge:
danken verändern fünnen. Sogar eingebildete Krankheiten
können wirfliche werben. In der ganzen übrigen Welt können
meine Hypotheſen die Ordnung der Dinge nicht ftören.
Ich Hatte in meinen Univerfitätsjahren viel zu viel Frei:
beit, und leider etwas überfpannte Begriffe von meinen Fä⸗
bigkeiten, und fchob daher immer auf, und das war mein
Berderben. In den Jahren 1763 bis 1765 Hätte ich müſſen
angehalten werben, täglich wenigftens ſechs Stunden, . bie
fhwerften und emfthafteften Dinge zu treiben (höhere Geome⸗
trie, Mechanik und SIntegralrehnung), fo hätte ich es weit
bringen können. Auf einen Schriftfteller habe ich nie ftudirt,
fondern bloß gelefen „was mir gefiel, und behalten, was fich
meinem Gedächtniß, gleichſam ohne mein Zuthun, wenigftens
ohne eine beftimmte Abficht, eingebrüdt hat. Weil ih aber
dennoch eine gewiſſe Selbfibeobahtung über mid ausgeübt
babe, fo kann ich vielleicht in der kurzen Zeit, bie ich noch zu
leben babe, dadurch nützlich werden, daß ich lebhaft und mit
Kraft Andern fage, was fie nicht thun müffen.
Ich Habe mirs zur Regel gemacht, daß mich bie aufge
bende Sonne nie im Bette finden fol, fo lange ich geſund
bin. Es Eoftete mich nichts, als den Entfchluß; denn ich habe
es bei Gefegen, die ich mir felbft gab, iramer In gäalten , U"
22
ich fie nicht eher feflfehte, als bis mir die Übertretung faft uns
möglich war.
O! ich erinnere mich noch fehr wohl, wie ich beim Auf:
gange der Sonne empfinden follte und wollte, und nichts em-
pfand, aber mit dem Kopfe bald gegen biefe bald gegen bie
andre Schulter gefentt und mit blinzenden Augen zuweilen
Vieles von Empfindung fprah, und damit nicht bloß Anbere,
fondern fogar mich felbft betrog. Aber jene Empfindung Fam
erft in fpätern Jahren und vorzüglich flard von 1790 an, da
ich die Sonne öfter aufgehen ſah. Vorzüglich waren verftor-
bene Freunde, zumal bie legtverftorbenen, und meine Frau und
Kinder der Gegenftand, ben mein Herz jebt umfaßte. Ich
babe oft Ihränen geweint, und bin niedergefniet. Könnte ich
boh meinen Gntfchlüffen mehr Dauer geben! Allein es ift
gewiß Lörperlihe Schwäche baran Schuld, Leichtfinn gewiß
nicht, ob es mich gleich fehr fchmerzt, daß die Welt vermuth-
lih das einer Wanfelmüthigkeit im Charakter zufchreibt, mas
boch bloß Kränklichkeit ift.
—Ich Habe überhaupt fehr viel gedacht, das weiß ich, viel
mehr, als ich gelefen habe. Es ift mir daher fehr Vieles von
bem unbefannt, was bie Welt weiß, und baber irre ich auch
oft, wenn id mich in die Welt mifche, und dieſes macht mich
fhüchtern. Könnte ich das Alles, was ich zufammen gedacht
babe, fo fagen, wie e8 mir ift, nicht getrennt, fo würde es ges
wiß den Beifall ber Welt erhalten.
Wenn ich doch Ganäle in meinem Kopfe ziehen könnte, um
23
den inländifhen Handel zwifchen meinem -Gedanfenvorrathe zu
befördern! Aber da liegen fie zu Hunberten, ohne einander zu nügen.
Meine beftändige Vergleichung der Jahre eines Schriftftel-
lers, deſſen Leben ich Iefe, mit den meinigen, die ich ſchon in
meiner Jugend machte, ift ganz menſchliche Natur.
Ich fing erft gegen das Ende meines Lebens an zu arbeiten,
und mein bischen Wi aufs Profitchen zu fteden.
Sein Leben aufs Profithen fteden: mie ich jekt im Sabre
1795. Ich hätte aber, was ich jest thue und thun will und
gerne thäte, ehemals viel beſſer thun können, da hatte ich aber
feine Zeit!!
Ich ftede jegt meine ganze Thätigkeit aufs Profithen. Koh:
fen find noch da, aber feine Flamme.
Ich bin außerordentlid empfindlidy gegen alles Getöfe, allein
eö verliert ganz feinen wibrigen Eindrud, fobald es mit einem
vernünftigen Zwecke verbunden ift.
Wenn ich ehedem in meinem Kopfe nad Gebanfen oder
Einfälen fifhte, fo fing ich immer etwas; jekt kommen die
Sifche nicht mehr fo. Sie fangen an fi auf dem Grunde zu
verſteinern, und ich muß fie heraushauen. Zumeilen befonme
ih fie auch nur ſtückweiſe heraus, wie die Verfteinerungen vom
Monte Bolca, und flicke daraus etwas zufammen.
Man klagt fo fehr bei jedem Schmerz und freut fich fo ſel⸗
ten, wenn man eine fühlt. Unter bie legte Claſſe von Men
ſchen gehöre ih nicht. Wenn ich fo ganz feinen Schmerz fühle,
was zuweilen der Kal ift, wenn ich mich zu Bette Tag , SS
24
habe ich dieſe Glücfeligkeit fo ganz empfunden, daß ich Freu⸗
denthränen geweint babe, und biefer flille Dank gegen mei-
nen gütigen Schöpfer machte mich noch ruhiger. O! wer fo
fterben könnte! "
Sch verfprehe dem Publikum ihm Lünftig nichts mehr zu
verfprechen (fehr wahr und richtig nach meiner Lörperlichen und
vielleicht auch geiſtigen Anlage).
In meinem fechs und vierzigften Jahre fing ich an, die läng⸗
ften und kürzeſten Tage des Jahre mit einer Art von Intereffe
zu beobadten, das gewiß bie Frucht dieſes Alters war. Alle
Merkmale der Vergänglichkeit bei Dingen außer mir, waren mir
Meilenzeiger: meines eigenen Lebens. Und felbft die höhere
Weisheit (wie ich fie in diefen Jahren zu nennen beliebe), alles
diefed zu bemerken, wurde verdächtig.
E83 war eine drollige Idee von — —, fi einen fo biden
Kerl zu denken, ber mit ber einen Seite unter dem Bol und
mit ber andern unter dem Äquator wäre. Gin trauriges Leben |
Aber ich habe doch wirklich bei eisfalten Füßen zumeilen oben
geſchwitzt.
Als ich 27 Jahr alt war, wurde ich Profeſſor in Göttingen.
Damals fagte ich zu ben Purſchen, die mich grüßten, ganz ge
borfamer Diener. Als ich Hofrath war, fügte ich bei die-
fer Gelegenheit: ganz untertbhänigfter Diener. Wie id
zu diefem doppelten Superlativ Fam, begreife ich bis auf diefe
Stunde nidt. Influenza ber Zeit.
Ich bin mehrmal wegen begangener Fehler getabelt wor⸗
25
den, bie mein Tabler nicht Kraft oder Wit genug hatte, zu
begehen.
Ehemals zeichnete mein Kopf (mein Gehirn) Alles auf, was
ich hörte und fah, jetzt fchreibt er nicht mehr auf, fondern über:
läßt e8 Mir. Wer ift diefer Ich? bin ich und ber Schreiber
nicht einerlei ?
Ich kann nicht vergefien, daß ich in meiner Jugend ein-
mal die Frage: was ift das Norbliht? auf einem Zettel
mit der Addreſſe an einen Geift, fehrieb, und jenen des Abends
auf den oberften Boden im Haufe legte. O wäre ba ein Schelm
geivefen, der mir die Frage beantwortet hätte !
Nichts kann mich mehr ermuntern, als wenn idy etwas
Schweres verfianden babe, und body fuche ich fo wenig Schweres
verfiehen zu lernen. Ich follte es öfter verfuchen.
Menn fih mein Geiſt erhebt, fällt der Leib auf die Knie.
Wenn ich nur einmal einen rechten Entfchluß faflen könnte,
gefund zu fein! Halere aude!
Sch werde täglich mehr überzeugt, daß mein Nervenübel
von meiner Einfamkeit fehr unterhalten wird, wo nicht gar her⸗
vorgebraht worben ift. Ich finde faft gar Feine Unterhaltung
mehr, als durch meinen eigenen Kopf, der immer befchäftigt ift.
Da nun meine Nerven nie die ſtärkſten gewefen find, fo muß
nothwendig dadurch eine Ermübung entftehen. Ich merke fehr
wohl, daß mid Gefellfchaft aufheitert; ich vergeffe mich da, ober
vielmehr mein Kopf empfängt, anftatt zu fchaffen, und rubt das
ber.. Darum ift auch das Lefen fohon eine Ethaboo ru,
26
allein es ift doch nicht das, was bie Befellfchaft ift, weil ich das
Buch immer weglege, und für mid handle.
Ich babe oft mit Bemerkungen gegeizt, ich meine, immer
aufs Künftige damit gefpart, ohne fie jemald gern auszugeben.
Es könnte fein, daß manche auf biefe Weife gar nicht ans Licht
fümen.
2. war im Herzen gut, nur hat er fih nicht immer bie
Mühe genommen ,.e8 zu fcheinen. Mein größter Fehler, ber
Grund von allem meinen: Berbruß.
Es war entweder in ber Nacht vom 14. auf ben 15., oder
vom 15. auf den 16. October (1779), als mir träumte, ic)
fehe eine feurige Wolfe unter den Plejaden berfliegen; zugleich
läutete die große Glode zu Darmſtadt, und ich fiel auf die Knie
und fpradh die Worte: heilig, heilig ꝛxc. aus. Meine Em:
pfindungen waren dabei unausſprechlich groß, und ich hätte mich
berfelben kaum mehr fühig geglaubt.
Die Erinnerung an meine Mutter und ihre Tugend ift bei
“mir gleihfam zum Cordial geworden, das ich immer mit dem
beften Erfolg nehme, wenn ich. irgend zum Böfen wanfend werde.
Ih konnte mid) ehemals fo fehr auf eine Nachtleiche
freuen, daß ich den Tag über das wenige Geld, was ich hatte,
aus Vergnügen in Buderwaare verthat.
Wenn ich einen Nagel einfchlage, nur um etwas anzubhef:
ten, fo denke ich immer, was wirb gefchehen, ehe ich ihn wieder
berausziehe. Es ift gewiß hierin etwas. Ich beftete den Papp:
bedel im November an mein Bett an, und ehe ich den Nagr
27
noch herauszog, war mein vortrefflicher Freund Schernhagen in
Hannover, und eines meiner Kinder geftorben, und bie italie-
nifche Reife zu Waſſer geworben.
Eine defultorifche Lectüre ift jederzeit mein größtes Vergnü⸗
gen geweſen.
als ih mih in der Naht vom 24. auf den 25. Januar
1790 auf ben Namen des fchwebifchen Literator8 und Buch
händlers Gjörwell befann, ben ich gar nicht finden Zonnte,
fo bemerkte ich Folgendes: von Anfang an zweifelte ich ganz,
ihn je aus mir felbft wieder zu finden. Nach einiger Zeit
bemer?te ich, daß, wenn ich gewiſſe ſchwediſche Namen ausfpradh,
ih dunkel fühlte, wenn ih ihm näher Fam; ja ich glaubte zu
bemerken, wenn id ibm am nächſten war; und doch fiel ih -
plöglih ab und fchien wiederum zu fühlen, daß ich ihn gar
nit finden würde. Welche feltfame Relation eines verlornen
Wortes gegen die andern, die ich noch bei mir hatte, und gegen
meinen Kopf. Den zmeifilbigen gab ich übrigens immer ben
Borzug. Endlich bemübete ich mich, nachdem ich mich die Nacht
durch gequält, und dadurch meine Nervenzufälle gewiß verfchlims
mert hatte, den Anfangsbuchftaben zu finden, und als ich in
bem Alphabet an das G Fam, ftuste ich und fagte fogleich
Gjörwell. Allein einige Zeit nachher fing ich wieder an zu
glauben, es fei doch der rechte nicht, bis ich enblid aus dem
Bette fam und beiterer wurde. Was mein Aberglaube dabei
für eine wichtige Rolle fpielte! Als ich den Namen fand, glaubte
ih fogar, e8 fei ein Zeichen, daß id) nun gelaunt wuuhen wur.
28
Dieb hängt mit einer Menge ähnlicher Vorfälle in meinem Leben
zufammen. Ich bin fehr abergläubifh, allein ich fchäme mich
beffen gar nicht, fo wenig als ich mich fhäme zu glauben, bag
die Erde ſtille ſteht. Es ift ber Körper meiner Philofophie, und
ih danke nur Gott, baß er mir eine Seele gegeben bat, die die-
ſes corrigiren kann.
Bei meiner Nervenkrankheit habe ich ſehr häufig gefunden,
daß das, was ſonſt bloß mein moraliſches Gefühl beleidigte,
nun in das phyſiſche überging. Als jemand einmal ſagte:
„mich ſoll Gott tödten,“ wurde mir fo übel, daß ich dem Men:
fhen auf eine Zeit lang bie Stube verbieten mußte.
Es ſchicken wohl wenige Menfchen Bücher in die Welt, ohne
zu glauben, baß nun jeber feine Pfeife hinlegen oder fie angäns
ben würde, um fie zu lefen. Daß mir biefe Ehre nicht zuge
dacht ift, fage ich nicht bloß, denn das wäre leicht, fondern ich
glaube es auch, welches fchon etwas ſchwerer ift, und erlernt
werden muß. Autor, Seker, Corrector und Genfor mögen es
fefen, vielleicht auch ber Rerenjent, wenn er will, das find alfo
von taufend Millionen gerade fünfe.
Wenn nur der Scheidepunft erft überfchritten wäre! Mein
Gott, wie verlangt mich nach) dem Augenblid, wo bie Zeit für
mid aufhören wird, Beit zu fein; wo mid) ber Schoos bed müt-
terlichen Alles und Nichts wieber aufnehmen wird, in dem ich
damals fchlief, ald der Haynberg ”) angefpült wurde, als Epifur,
) Ein .befannter Berg bei Göttingen.
29
Cäſar, Lucrez lebten und fchrieben, und Epinoza den größten
Gedanken dachte, der noch in eines Menfchen Kopf gefommen ift.
Seit einigen Tagen (22. April 1791) lebe ich unter der
Hypotheſe (denn ich lebe beftändig unter einer), daß das Trin-
fen bei Tiſch ſchädlich fei, und befinde mich vortrefflich
dabei. Hieran ift gewiß etwas Wauhres, denn ich habe noch von
keiner Anderung in meiner Lebensart und von Feiner Arznei fü
ſchnell und hanbdgreiflich die gute Wirkung empfunden, als hiervon.
Es gibt für mich Peine gehäffigere Art Menfchen, als bie,
welche glauben, baß fie bei jeder Gelegenheit ex oflicio witzig
fein müßten.
Man ift nie glüdlicher, als wenn uns ein flarfes Gefühl
beflimmt, nur in diefer Welt zu leben. Mein Unglüd ift,
nie in diefer, fondern in einer Menge von möglichen Ketten
und Verbindungen zu eriftiren, bie fi) meine Phantafie, unters
ftügt von meinem Gewiſſen, ſchafft. So geht ein Theil mei:
ner: 3eit bin ‚und feine Bernunft ift im Stande, darüber zu fies
gen. Diefes verdiente fehr auseinander gefeht zu werden. Lebe
bein erftes Leben recht, damit bu bein zweited ge:
nießen kannſt. Es ift im Leben, wie mit ber Praxis des
Arztes, die. erfien Schritte entfcheiden. Das ift doch unredt
irgendwo, in der Anlage oder im Urtbeil. |
Als ih am 18. Dec. 1789 in meiner Nervenfrankheit die
Ohren mit den Fingern zubielt, befand ich mich fehr viel beffer;
nicht allein, weil nun mein Nervenfoften weniger Stöße befam,
fondern auch, weil ich nun da8 kränkliche Saufen in wa Diren
. 30
für ein erfünfteltes hielt, und mich für gefund in diefem Stüd,
und daher felbft auf einige andere Gefühle weniger achtete.
Die gute Wirkung war unleugbar.
Ich babe, feit meiner Krankheit 1789, die erbarmenswürs
bige Fertigkeit erlangt, aus Allem, was ich fehe und höre, Gift
für mich felbft, nicht für Andere zu faugen. Es ift als ob
das Drüfenfyften meines moralifhen Wefens, woburd bei glück⸗
lich organifirten Menſchen Ruhe, Nutzen und Bergnügen aus
Allem gezogen wird, ganz bie entgegengefepte Form angenommen
hätte, fo wie wenn bei Windmühlen ber Wind plötzlich von
hinten fommt, und Alles zerflört. Wie ift da zu helfen? Wie
fann man ſich gewöhnen, in Allem nur das Befte zu fehen, aus
Allem etmad Gutes zu vermuthen, immer zu boffen und felten
zu fürdten, freilich verfteht fihs, auch immer fo zu handeln,
dag man Urſache hat, mehr zu hoffen, als zu fürdhten ?
Wenn ich zumeilen in einem meiner alten Gebankenbücher
einen guten Gedanken von mir lefe, fo wunbere ich mich, wie
er mir und meinem Syſtem fo fremb bat werden können, unb
freue mich nun fo darüber, wie über einen Gedanken eined meis _
ner Borfahren.
Euler fagt in feinen Briefen über verfhiebene
Gegenſtände aus der Naturlehre (2. Band, ©. 228.),
ed mwürbe eben fo gut donnern und bliken, wenn auch fein
Menſch vorhanden wäre, ben ber Blik erfchlagen Eünnte. Es
ift ein gar gewöhnlicher Ausdruck, ich muß aber geftehen, daß
es mir nie leicht gewefen ift, ihm ganz zu faſſen. Mir kommt
31
es immer vor, ald wenn ber Begriff fein etwas von unferm
Denken Erborgtes wäre, und wenn es Peine empfindenden und
denkenden Gefchöpfe mehr gibt, fo ift auch nichts mehr. Co
einfältig biefes klingt, und fo ſehr ich verlacdht werden würde,
wenn ich fo etwas öffentlich fagte, fo halte ih doch ſo etwas
mutbmaßen zu fönnen für einen ber größten Vorzüge, ei-
gentlich für eine der fonderbarften Einrichtungen des menfchlichen
Geiftes. Diefes hängt wieder mit meiner Seelenwanderung zu—
fammen. Ich denke, ober eigentlih, ich empfinde hierbei fehr
viel, das ich nicht auszudrüden im Stande bin, weil es nicht
gewöhnlih menfhlid ift, und daher unfere Sprade nicht
dafür gemadt iſt. Gott gebe, baß ed mich nicht einmal ver:
rüdt madt. So viel merke ih, wenn ich barüber fchreiben
wollte, fo würde mich die Welt für einen Narren halten, unb
deßwegen fehweige id. Es ift auch nicht zum Sprechen, fo
wenig als die Fleden auf meinem Tifh zum Abfpielen auf ber
Geige.
Nichts ſchmerzt mich mehr, bei allem meinem Xhun und
Laſſen, als daß ich die Welt fo anfehen muß, wie ber ge:
meme Mann, da ich boch feientififch weiß, daß er fie falfıh
anfieht.
Wo Vorforge unnüg war, ba batte ich fie; wo fie aber
hätte nützlich fein können, trat ber Zeichtfinn ein: kommt Beit
tommt Rath, dachte ih, und that nichts — ein Charakter,
der fehr viel gemeiner ift, als man glaubt.
Am 10. October 1793 ſchickte ich meiner lieben Rs ö
32
bem Garten eine ünftlihe Blume aus abgefalienen bunten
Herbſtblättern. Es follte mich in meinem jegigen Zuftande
barftellen; ich ließ e8 aber nicht dabei fagen.
Wenn audy) meine Philofophie nicht hinreicht, etwas Neues
auszufinden, fo hat fie body Herz genug, das längft Geglaubte
für unausgemadt zu balten.
Ah! das waren noch gute Zeiten,.ba ich noch Alles glaubte,
was id) hörte.
O wie oft babe ich ber Nacht gebeichtet, in der Hoff
nung, baß fie mich abfolviren würbe, und fie hat mid nicht
abfolvirt!
Ich babe offenbar bei dem gröbern Drud meines Hogarths
gefühlt (miewohl dunkel), daß das bißchen Geift nicht im
Stande ift, fo vieler Mafje Leben zu geben, man fage was
man wolle; es ift wahr. Man follte die Bücher immer befto
Eleiner drucken laffen, je weniger Geift fie enthalten.
Ich bin fchon deßwegen zu einem Cenſor ungeſchickt, weil
für mich jede Handſchrift, etwa meine eigene ausgenommen,
eine Art von überſetzung in eine Sprache iſt, ber ich wenig—⸗
ftens nicht bis zur Leichtigkeit mädtig bin; unb fo etwas zer:
ftreut immer.
Ich kann ben Gedanken nicht los werben, baß ich ge-
ftorben war, ehe ich geboren wurde, und burd ben Tod
wieder in jenen Zuftand zurückkehre. Es ift ein Glüd in man⸗
cher Rüdfiht, daß biefe Vorftellung nicht zur Deutlichfeit ge-
bracht werden kann. Wenn auch der Menfch jenes Geheimniß
33
ber Natur erratben kann, fo wäre es doch fehr gegen ihr Ins
tereffe, wenn er es beweifen könnte. Eterben und wieber Ic
bendig werden mit Erinnerimg feiner vorigen Eriftenz, nennen
wir ohnmächtig gewefen fein; wieder erwachen mit andern Or:
ganen, die erjt wieder gebildet werben müffen, heißt geboren werben.
Nichts macht ſchneller alt, als der immer vorſchwebende Ge-
danke, dag man älter wird. ch verfpüre biefes recht an mir;
ed gehört mir zum Giftfaugen.
Menn e8 ein Werk von etwa zehn Folianten gäbe, worin in
nit allzu großen Kapiteln jedes etwas Neues, zumal von der fpe-
eulativen Art, entbielte; wovon jedes etwas zu benfen gäbe, und
jmmer neue Auffchlüffe und Erweiterungen barböte: fo glaube ich,
könnte ich nach einem foldhen Werke auf den Knieen nad) Ham-
burg rutfchen, wenn ich überzeugt wäre, daß mir nachher Gefunds
beit und Leben genug übrig bliebe, es mit Muße burchzufefen.
So lange das Gedächtniß dauert, arbeiten eine Menge
Menfchen in Einem vereint zuſammen, ber zwanzigjährige, ber
treißigjährige u. f. w. Sobald aber dieſes fehlt, fo fängt man,
immer mehr und mehr an, allein zu ftehen, und die ganze Ge:
neration von Ichs zieht fich zurück und lächelt über den alten
Hülflofen. Diefes fpürte ich fehr ftar im Auguft 1795.
Es gebt mir mit meiner Gefundheit wie den Müllern zuweilen
mit dem Waffer: ich muß immer, twenigftens zwei Tage in der Woche,
im Freien fammeln, um bie übrigen fünfe mahlen zu fünnen.
Ich habe oft Stunden lang allerlei Phantafieen nachgehängt,
in Zeiten wo man mich für ſehr beicgättior ut. W W
I. 3
34
das Nachtheilige davon in Rüdfiht auf Zeitverluft, aber ohne
diefe Phantafieencur, die ich gemeiniglid um bie gewöhnliche
Brunnenzeit gebrauchte, wäre ich nicht fo alt geworben.
Die Balken von Häufern anzufehen, bie Beugen waren von Hoff⸗
nungen, die nunnad 25 Jahren nicht erfüllt find. O Gott, o Gott!
biefes ift zu fein für einen großen Theil des lefenden Publitums, aber
nichts defto weniger wahr. Wie ſchwer ift es nicht, ein Mittel zu treffen !
Unter allen Überfegungen meiner Werke, die man unterneh«
men wollte, erbitte ich mir ausbrüdlich bie hebräiſche.
Es war zu Ende Septembers 1798, als ih Jemanden im
Traume die Gefchichte der jungen und fchönen Gräfin 9... ers
zählte, die mich, und überhaupt jebermann fehr gerührt bat. Sie
ftarb im September 1797 in den Wochen, oder eigentlich wäh⸗
rend der Geburt, bie nicht zu Stande fam. Sie wurbe geöffs
net und das Kind neben ihr in den Sarg gelegt, und fo wur:
ben fie zufammen bes Nachts mit Fadeln, unter einem entfeßs
lihen Zulauf von Volt, nad) einem benadhbarten Orte, wo das
Samilienbegräbniß ift, gebracht. Diefes gefhah auf dem Göt⸗
tingifchen Leichenwagen, einer fehr unbeholfenen Mafdine. Da:
durch wurden alfo die Leichname fehr durch einander geworfen.
Am Ende wollten fie, ehe fie in die Gruft gebracht wurden, noch
einige Leute fehen. Man öffnete den Sarg und fand die Mut:
ter auf dem Geficht liegend und mit ihrem Kinde in einen Haus
fen geſchüttelt. Das ſchöne Weib, fchwerlich noch 20 Jahre alt,
die Krone unferer Damen, bie auf manchem Bulle den Neid
ber ſchönſten erregt, in dieſem Zuſtande! Diefes Bild hatte mich
35
zu ber Zeit oft befchäftigt,. zumal da ich ihren Gemahl, einen
meiner fleißigften Zuhörer, fehr wohl gefannt hatte. Diefe traue
rige Gefchichte erzählte ih nun Jemanden im Traume, im Beis
fein eines Dritten, dem die Gefchichte auch befannt war; ver—⸗
gaß aber (fehr fonderbar) den Umftand mit dem Kinde, der doch
gerade ein- Hauptumftand war. Nachdem ich bie Erzählung,
wie ich glaubte, mit vieler Energie und Rührung beffen, bem
ich fie erzählte, vollendet hatte, fagte ber Dritte: ja, und das
Kind Tag bei ihr, Alles in einem Klumpen. — Sa, fuhr ih
gleihfam auffahrend fort, und ihr Kind lag mit in bem Sarge. —
Diefes ift der Traum; was mir ihn merfwürbig madıt, ift die-
ſes: Wer erinnerte mi im Traume an das Kind? Ich war
es ja felbft, dem ber Umftand einfiel; warum brachte ich ihn
nicht felbft im Traume als eine Erinnerung beit Warum fhuf
fih meine Phantafie einen Dritten, der mich bamit überrafchen
und gleihfam befhämen mußte? Hätte ich die Gefchichte wa⸗
. hend erzählt, fo wäre mir ber rührende Umftand gewiß nicht
entgangen: Bier mußte ich ihn übergehen, um mid) überrafchen
zu laffen. Hieraus läßt ſich allerlei ſchließen; ich erwähne nur
Eines, und gerade das, was am ftärfften wider mich felbft zeugt,
zugleich aber auch für die Aufrichtigkeit, womit ich diefen fon-
derbaren Traum erzähle. Es ift mir öfters begegnet, daß, wenn
ih etwas habe druden laſſen, ich erft ganz am Ende, wenn fi
nichts mehr ändern ließ, bemerkt habe, daß ich alles hätte beffer
fagen Fönnen, ja, baß ich Hauptumftände vergeffen hatte. Die:
ſes ärgerte mich oft fehr: — Ich glaube, dak ein ve Ertiie
ame I’
[4
36
rung liegt. Es wurde bier ein mir ſehr merkwürdiger Borfall
dramatifirt. Überhaupt aber ift das mir nichts Ungewöhnliches,
dag ih im Traum von einem Dritten belehrt werde; das ift
aber weiter nichts, als bramatifirtes Beſinnen. Sapienti sat.
Gerade wie auf meinem neuen Bibliothefszimmer fieht es
in meinem Kopfe aus. Ordnnungsliebe muß dem Menfchen früh
eingeprägt werden, fonft ift Alles nichts.
Sn der Naht vom 9. auf ben 10. Februar träumte mir, ich
fpeife auf einer Keife in einem Wirthshauſe, eigentlich auf einer
Straße in einer Bude, worin zugfeich gewürfelt wurde. Gegen mir
über faß ein junger, gut angeBleibeter, etwas windig ausfehender
Mann, der, ohne auf die umher Sikenden und Stehenden zu achten,
feine Suppe aß, aber immer den zweiten ober britten Löffel voll in die
Höhe warf, wieder mit bem Löffel fing und dann ruhig verfchludte.
Was mir biefen Traum befonders merkwürdig macht, ift, daß ich da⸗
bei meine gewöhnliche Bemerkung machte, daß folche Dinge nicht
tönnten erfunden werben, man müßte fie fehen. (Ich meine, fein Ro:
manenfchreiber würde barauf verfallen). Dennod) hatte ich dieſes doch
in dem Augenblicde erfunden. Bei dem Würfelfpiel faß eine lange,
bagere Zrau und firidte. Ich fragte, was man da gewinnen fönnte.
Sie fagte: nichts; und als ich fragte, ob man was verlieren
fönnte, fagte fie: nein! Diefes hielt ich für ein wichtiges Spiel”).
) Vielleicht ift e8 manchem Lefer intereffant zu hören, daß
dieſes die legte Anmerkung ift, bie fih in des Verfaſſers Tage:
buche findet, und die er nicht lange vor feinem Xode, ber ben
24. Zebruar erfolgte, niebergefchrieben haben kann.
— — —
37
Nachtrag
zu den Nachrichten und Bemerkungen des Berfaflers
über ſich ſelbſt.
Ich habe ſchon auf Schulen Gedanken vom Selbſtmorde
gehegt, die den gemein angenommenen in der Welt ſchnurſtracks
entgegenliefen, und erinnere mich, daß ich einmal lateiniſch für
den Selbſtmord disputirte und ihn zu vertheidigen ſuchte. Ich
muß aber geſtehen, daß die innere Überzeugung von ber Billig—
keit einer Sache (wie diefes aufmerkſame Lefer werden gefunden
baben), oft ihren legten Grund in etwas Dunklem hat, beffen
Aufklärung äußerft ſchwer ift oder wenigſtens fcheint, weil eben
der Widerfpruch, ben wir zwifchen dem Elar ausgebrüdten Satze
und unferm unbeutlihen Gefühle bemerken, uns glauben madt,
wir baben ben rechten noch nicht gefunden. Im Auguft 1769
und in ben folgenden Monaten babe id mehr an den Selbfi-
mord gedacht als jemals, und allezeit habe ich bei mir befunden,
daß ein Menfh, bei dem der Trieb zur Selbfterhaltung fo ge:
ſchwächt worden ift, daß er fo leicht überwältigt werden kann,
ih ohne Schuld ermorden könne. Iſt ein Fehler begangen
worben, fo liegt er viel weiter zurück. Bei mir ift eine vielleicht
zu lebhafte Vorftellung des Todes, feines Anfangs und wie
36
rung liegt. Es wurde bier ein mir fehr merfwärdiger Vorfall
dramatifirt. Überhaupt aber ift das mir nicht Ungewöhnliches,
daß ich im Traum von einem Dritten belehrt werde; das ift
aber weiter nichts, als dramatifirtes Befinnen. Sapienti sat.
Gerade wie auf meinem neuen Bibliothekszimmer fieht es
in meinem Kopfe aus. Orbnnungsliebe muß dem Menfchen früh
eingeprägt werben, fonft ift Alles nichts.
In der Naht vom 9. auf den 10. Februar träumte mir, ich
fpeife auf einer Reife in einem Wirthöhaufe, eigentlich auf einer
Straße in einer Bude, worin zugleich gemwürfelt wurde. Gegen mir
über faß ein junger, gut angekleideter, etwas windig ausſehender
Mann, der, ohne auf die umher Sigenden und Stehenden zu achten,
feine Suppe aß, aber immer ben zweiten oder dritten Löffel voll in die
Höhe warf, wieder mit dem Löffel fing und dann ruhig verfchludte.
Was mir diefen Traum befonders merkwürdig macht, ift, daß ich das
bei meine gewöhnliche Bemerkung machte, daß folche Dinge nicht
könnten erfunden werben, man müßte fie fehen. (Ich meine, fein Ro⸗
manenfchreiber würde darauf verfallen). Dennoch hatte ich diefes doch
in dem Augenblide erfunden. Bei dem Wütfelfpiel faß eine Tange,
hagere Zrau und ſtrickte. Ich fragte, was man da gewinnen könnte.
Sie fagte: nichts; und als ich fragte, ob man was verlieren
fönnte, fagte fie: nein! Diefes hielt ich für ein wichtiges Spiel”
*) Bielleiht it e8 manchem Lefer intereffant zu hören, {
dieſes die legte Anmerkung ift, die fih in des Verfaffers Ta
buche findet, und die er nicht lange vor feinem Tode, ber d
24. Februar erfolgte, niedergeſchrieben haben kann.
—— — —
37
Nachtrag
zu den Nachrichten und Bemerkungen des Verfaſſers
über ſich feldft.
SH babe ſchon auf Schulen Gedanfen vom Selbftmorde
gehegt, die den gemein angenommenen in ber Welt fehnurftrads
entgegenliefen, und erinnere mich, daß ich einmal lateinifch für
den Selbfimorb bdisputirte und ihn zu vertheidigen fuchte. Sch
muß aber geftehen, daß bie innere Überzeugung von ber Billig:
keit einer Sache (wie diefes aufmerkſame Leſer werben gefunden
baben), oft ihren legten Grund in etwas Dunklem bat, beffen
Aufklärung äußerft ſchwer ift oder wenigftens feheint, weil eben
der Widerfpruch, den wir zwifchen dem Elar ausgebrüdten Sake
und unferm unbeutlichen Gefühle bemerken, uns glauben madıt,
wir haben den rechten noch nicht gefunden. Im Auguft 1769
und in ben folgenden Monaten babe ich mehr an ben Selbft-
mord gedacht als jemals, und allezeit habe ich bei mir befunden,
daß ein Menfh, bei dem ber Trieb zur Selbfterhaltung fo ge:
ſchwächt worden ift, baß er fo leicht überwältigt werben kann,
ih ohne Schuld ermorden Fünne Iſt ein Fehler begangen
worden, fo liegt er viel weiter zurüd. Bei mir ift eine vielleicht
zu lebhafte Borftellung des Todes, feines Anton u Wr
38
leicht er an fi ift, Schuld daran, daß ich vom Selbfimorbe v
denke. Alle die mich nur aus etwas größeren Gefellfchaften und
nicht aus einem Umgange zu zweit kennen, werben fi} wun⸗
dern, daß ich fo etwas fagen kann. Allein Hr. LZjungberg °)
weiß ed, daß es eine meiner Lieblingsvorftelungen ift, mir ben
Tod zu gedenken, und baß mich biefer Gebanfe zuweilen fo
einnehmen Bann, daß ich mehr zu fühlen als zu denken fcheine
und halbe Stunden mir wie Minuten vorübergehen. Es ift
diefes Peine dickblutige Selbftfreuzigung, welcher ich wider meis
nen Willen nachhinge, fondern eine geiftige Wolluft für mich,
die id) wider meinen Willen fparfam genieße, weil ich zuweilen
9 Hr. Ljungberg, geborner Schwede, fludirte mit Lichten:
berg in Böttingen, Beide waren feit 1766 in engfter Freund⸗
fhaft verbunden. Sie madten ben Plan, England und Italien
gemeinfchaftlich zu befuchen, was indeffen nicht zur Ausführung
kam. Er war, nad Nyerup's Literatur Copieen, 1780 Pro:
feffor der Philofophie und Mathematit in Kiel, -von wo er in
das Commerzeollegium nad Copenhagen verfegt wurde, und
ftarb 1812. In Bezug auf ihn findet fih, abgefehen von eins
zelnen Briefen, nur noch folgende Bemerkung in Lichtenberg’s
Nachlaß: „An Hr. Liungberg fohrieb ih am ten December
1770: Nun babe ich feinen Menfhen, mit dem ich vertraut
umgeben ann; auch nicht einmal einen Hund, zu dem ih du
fagen fünnte. Zu meinem großen Glüde habe ich unter diefen
Umftänden noch ein gutes Gewiſſen, fonft hätte ich mich je eher
je lieber fihon zu ber Ruhe begeben, wovon ben Hamlet bie
Träume, bie er in berfelben fürchte, zurückhielten.“
2
39
fürchte, jene melancholiſche nachteulenmäßige Betrachtungsliebe
möchte daraus entſtehen.
Iſt das nicht ein herrlicher Zug in Rouſſeau's Bekennt⸗
niſſen, wo er ſagt, er babe mit Steinen nach Bäumen gewor⸗
fen, um zu fehen, ob er felig ober verbammt mwürbe? Großer
Gott, wie oft habe ich Ähnliches gethan, ich habe immer gegen
ben Aberglauben gepredigt und bin für mich immer der ärgfte
Beihenbeuter. As NR... auf todt lag, ließ ich e8 auf ben
Krähenflug ankommen, wegen bed Ausgangs mich zu tröften.
Sch hatte, wenn ih am Zenfter ftand, einen hohen Thurm mir
gegenüber, auf dem viele Krähen waren. Ob rechts oder links
vom Thurm bie erfte Krähe erfhien. Sie erſchien von ber
linken, allein da tröftete ich mich wieder damit, daß ich nicht
feftgefegt hatte, welches eigentlih die linke Seite des Thurms
genannt zu werben verdiente. 8 ift vortrefflih, daß Rouffeau
fih mit Fleiß einen dicken Baum auſuchte, den er alſo nicht
leicht fehlen konnte. |
Ich babe eine Menge Pleiner Gedanfen und Entwürfe zus
fammengefchrieben,, fie erwarten aber nicht ſowohl noch die letzte
Hand, als vielmehr noch einige Sonnenblide, die fie zum Auf:
gehen bringen.
Ich habe in England bald wie ein Lord, und bald wie ein
Handwerksburſche gelebt.
40
Ich muß zuweilen, wie ein Talglicht gepupt werden, fonft
fange ih an dunkel zu brennen.
Mit der Feder in ber Hand habe id mit gutem Erfolge
Schanzen erftiegen, von benen Andere, mit Schwert und Bann⸗
ftrahl bewaffnet, zurüdgefchlagen worden find.
Starte Empfindung, beren fo Viele fi rühmen, ift nur
allzuoft die Folge eines Verfalles der Verſtandeskräfte. Ich bin
nicht fehr bartherzig, allein das Mitleid, welches ich oft in meis
nen Träumen empfinde, ift mit bem bei wachendem Kopfe nicht
zu vergleihen. Jenes ift in mir ein nahe an Schmerz gren«
zendes Vergnügen. |
Ich habe mich zuweilen recht in mir felbft gefreut, wenn
Leute, bie Menfchentenner und Weltweife fein wollen, über
mich geurtheilt haben. Wie entfeglich fie fich irren. Der eine
hielt mich für weit beffer und ber andere für weit ſchlimmer
als ih war, und das immer aus fehr feinen Gründen, wie er
glaubte.
Sch gebe oft, wenn ein Bekannter vorbeigeht, vom Fenſter
weg, nicht fowohl um ihm die Mühe einer Berbeugung, als
vielmehr mir die DVerlegenheit zu erfparen, daß er mir feine
macht.
41
Das Sammeln und befländige Lefen ohne Übung der Kräfte
bat das Unangenehme, welches ich feit einigen Jahren (1788
gefchrieben) bei mir bemerke, daß fi) Alles an das Gedächtniß
und nidt an ein Syſtem hängt. Daher fallen mir beim Dispus
tiren oft die beften Argumente nicht fo leicht bei, wie wenn id)
allein bin, oder eigentlih, ih muß mir wirklih erfinden mas
ih ſchon wußte, aber gemeiniglidh erft in bem Augenblide er:
fahre ich, daß ich e8 wußte, wenn es mir nichts nützt, es gewußt
zu haben.
Sch vergeffe das Meifte was ich gelefen babe; nichts deſto
weniger aber. trägt e8 zur Erhaltung meines Geiftes bei.
Wir glauben, baß wir frei wären in unferen Sandlungen,
fo wie wir im Iraume einen Ort für ganz befannt balten, ben
wir gewiß jetzt zum erften Male ſehen. &o träumte mir in ber
Naht vom 23ften auf ben 24ften October 1788, ich hätte mid)
in eine Stabt verirrt, von der mir nicht einmal ber Name im
Traume befannt war und endlih, als ich in ber Ferne eine
zerfallene Bogenſtellung bemerkte, war ich froh, weil ich bie
von meinem Garten aus fehen und alfo mein Haus nicht weit
fein fonnte. Beim Erwachen fand ic) aber fhon, daß ich nie
in meinem Leben an einer ſolchen Bogenftellung gewohnt batte
u. ſ. w. In meinen Träumen findet fich mehr dergleichen.
Was bei anderen Ehen im Ernft gefchieht, das ahmen wir
(ih und meine Frau) aus Scherz nah. Wir zanken uns fürm-
42
lih im Scherz, -wo dann jeber fo viel Wik zeigt, als er auf:
treiben fan. Diefes thun wir, um ber Ehe ihr Recht zu
loffen. Wir feuern blind, um, wenn einer von uns fi) je
wieder verheirathen follte, nicht aus der Übung zu kommen.
Es iſt mir in meinen Leben fo viel unverbiente Ehre an-
getban morben, daß ich mir wohl einmal etwas unverbiente
Blame Pann gefallen laffen.
Das größte Glüd in der Welt, um welches id den Himmel
täglich anflehe, ift: daß nur verfländige und tugendhafte Men⸗
fhen mir an Kräften und Kenntniffen überlegen fein mögen.
IH wollte einen Theil meines Lebens bingeben, wenn ich
müßte, was ber mittlere Barometerfland im Paradieſe ges
weſen ift.
11.
Yemerftfungen
vermiſchten Inhalts.
1.
Philoſophiſche Bemerkungen.
E⸗ iſt ein Vorurtheil unſers Jahrhunderts in Deutſchland, daß
das Schreiben ſo zum Maßſtabe des Verdienſtes gediehen iſt.
Eine geſunde Philoſophie wird vielleicht dieſes Vorurtheil nach
und nach vertreiben.
Seitdem jederman kritiſche Chartequen lieſt, ſind die Pro⸗
dukte des Witzes der Leute gewiſſermaßen der Maßſtab geworden,
nad welchem man ihren Werth als Menſch überhaupt beſtimmt.
Vernunft und Erfahrung Lönnen zwar bei einem Cdhrift:
fteller einigermaßen die Hausbaltung für die Empfindung führen,
wenn er beide in einem febhr großen Maße befigt, nie wird er
aber fein Wer? durch Büge erheben können, bei deren Erblidung
der feinfte Nachahmer bekennen muß, fie lägen außer feinem
Sprengel. Es ſcheint, als wenn fih der Himmel die Mitthei⸗
lung befonderer Gedanken und Entdedungen felbft vorbehalten
hätte, da fie fo felten die Frucht bes Fleißes find.
48
Wir Proteflanten glauben jekt im fehr aufgeflärten Zeiten
in Abficht auf umfre Religion zu leben. Wie, wenn nun ein
neuer Luther aufſtände? WBielleicht beißen unfre Zeiten noch
einmal die finftern. Man wird eher ben Wind breben oder auf:
halten, als die Gefinnungen des Menfchen beften können.
— x
Es wird fhwerlid Ein Menſch Lünnen gefunden werben,
beffen Urtheil über das Gute und Schöne ale die Stimme der
menfchlichen Natur wird angefehen werben können. Man follte
anfänglich glauben, daß ein Mann von ber größten Erfahrung
und Einfiht allemal am beften fchreiben würde. Allein ift ber
Witzige nicht eben fo gut ein Menfh? Da ein menjchliches
Gefchleht von lauter Weifen fo wenig das glüdlichfte wäre,
als eines von lauter Narren ober Wipigen, fondern das Glück
beffelben vielmehr in einer Miſchung von allen beftebt, fo kann
fein Glied befjelben fein Gedanken- und Gefinnungsfyftem als
das Kriterium bes beften angeben. Seneca und Plinius haben
fo gut Recht, als Cicero. Am beiten wirb derjenige fehreiben,
der fo fchreibt, wie ed die Vernünftigften berjenigen Klaffe gut
finden würden, bie er durch feine Schriften zu belehren gebentt.
Allgemeine Regeln werben fid) nie in diefem Stüd angeben lafjen.
Sch habe fehr oft barüber nachgedacht, worin ſich eigentlich
das große Genie von dem gemeinen Haufen unterjcheidet. Hier
find einige Bemerkungen. Der gewöhnliche Kopf ift immer ber
berrfchenden Meinung und ber herrſchenden Mode conform, er
49
bält den Zuftaud, in dem fich Alles jekt befindet, für den einzig
möglichen, unb verhält ſich leidend bei Allem. Ihm fällt nicht
ein, daß Alles, von der Form ber Meublen bis zur feinften:
Hypotheſe hinauf, in dem großen Rath der Menfchen befchloffen
worden, befien Mitglied er iſt. Er trägt bünne Sohlen an
feinen Schuhen, wenn ihm glei) bie fpigen Steine .die Füße
wund brüden; er läßt die Schuhſchnallen fi durch die Mode
bis an bie Zehen rüden, wenn ihm glei ber Schuh öfters
fteden bleibt; er denkt nicht daran, baß bie Korm des Schuhes
fo gut von ihm abhängt, al8 von dem Narren, ber fie auf
elendem Pflafter zuerft dünne trug. Dem großen Genie fällt
überall ein: könnte dieſes niht auch falſch fein? Es
gibt feine Stimme nie ohne Überlegung. Ich habe einen Mann
von großen Talenten gekannt, deſſen ganzes Meinungenfoften,
fo wie fein Meublenvorrath, ſich durch eine bejondre Ordnung
und Brauchbarkeit unterfhied; er nahm nichts in fein Haus
auf, wovon er nicht den Nuken deutlich ſah. Etwas anzu=
fhaffen, bloß weil e8 andre Leute hatten, war ihm unmöglich.
Er dachte: fo hat man ohne mich befchloffen, daß es fein fol,
vielleicht hätte man anders befchloffen, wenn ich babei geweſen
wäre. — Dank fei e8 diefen Männern, daß fie zuweilen wenig»
ſtens einmal ſchütteln, wenn es fi) ſetzen will, wozu unfre
Welt noch zu jung ift. . Chinefen dürfen wir noch nicht werben,
Wären die Nationen ganz von einander getrennt, fo würden
vieleicht alle, obgleich auf verfchiedenen Stufen ber Vollkom—
menheit, zu dem dinefifhen Stilftand gelangt fein.
L &
50
Herr Capitain » Lieutenant v. 9... war fehr für den Uns
terricht duch Maſchinen. Sein Hauptargument war beflänbig,
baß es immer ein Glüd wäre, fo früh als möglich feine Abficht
zu erreihen. Er batte faft Peinen andern Beweis. Da aber
die Unterfuchung einer Sache, bie Bemühung fie zu verftehen,
uns das Ding auch befier und von mehrern Seiten kennen lehrt,
und ſich auf die paſſendſte Weife an unfer Gedankenſyſtem an⸗
ſchließt, fo ift gewiß für Leute, bie die Kräfte haben, eine
Zeichnung bem Modell vorzuziehen. Der allzufchnelle Zuwachs
an Kenntniffen, ber mit zu wenigem eigenen Zuthun erhalten
wird, ift nicht fehr fruchtbar. Die Gelehrfamteit kann auch ins
Laub treiben, ohne Früchte zu tragen. Man findet oft fehr
feihte Köpfe, die zum Erſtaunen viel wifien. Was man fich
ſelbſt erfinden muß, läßt im Verfiande die Bahn zurüd, bie
auch bei einer andern Gelegenheit gebraucht werden ann.
Tobias Mayer hatte hinten in eines feiner Bücher ge
fhrieben: guaeritur, ift e8 beffer, wenig und daß deuts
li zu wiffen, ober viel und undeutlich?
Ein Mann, der fih in einem engen Felde mit Aufmerk⸗
famkeit und Nachdenken befchäftigt bat, wird da, wo ed nicht
auf Geſchmack, fondern auf Verftand anfommt, gewiß auch
außer biefem Zelde gut urtheilen, wenn ihm ber Fall gehörig
vorgeftellt wird, ba ber Andere, ber vielerlei weiß, nirgends
recht gut zu Haufe iſt. Wenn fich eine mannidfaltige Kenntniß
heutzutage nicht fo Leicht aus Büchern erwerben liege, ohne
51
andere Anftrengung, als allein bes Gedächtniffes, fo ließe fich
nod eher etwas bafür fagen; ba aber bie Unbeutlichkeit, bie
bier vorausgefegt wird, ein hinlänglicher Beweis ift, wie wenig
ber Berftand babei gebraucht worden ift, fo ziehe ich ſchon aus
dbiefem Grunde eine geringe aber beutlidhe Kenntniß vor.
Newton bat die Farben zu fcheiden gewußt. Wie wird ber
Pſycholog heißen, der uns fagt, woraus bie Urfachen unferer
Handlungen zufammengefegt find? Die meiften Dinge, wenn
fie uns merklich werden, find ſchon zu groß. Ob ich den Keim
in ber Eihel mit dem Mifroffop, oder ben hundertjährigen
Baum mit bloßen Augen anfehe, fo bin ich glei weit vom
Anfange. Das Mikroſkop dient nur uns noch mehr zu ver
wirren. So weit wir mit unfern Fernröhren reichen Fünnen,
fehben wir Sonnen, um bie ſich wahrfcheinlich Planeten breben.
Daß in unferer Erde fo etwas vorgeht, bavon überführt uns bie
Magnetnadel. Wie, wenn fich bdiefes noch weiter erfiredte ?
wenn fich in dem Eleinften Sandförndhen eben fo Stäubchen um
Stäubchen drehten, die uns fo zu ruhen feinen, wie bie Fir
ſterne? Es könnte ein Wefen geben, bem das und fichtbare
Weltgebäude wie ein glühender Sanbhaufen vorfäme Die
Milchſtraße kann ein organifher Theil fein; in wie fern Tieße
fi) die Vegetation aus biefem Syftem erflären? — 8 gibt
nur eine einzige gerade Linie, aber eine unendliche Menge
frummer; wenn fi) alfo ein Körper bewegt, fo läßt ſich eine
unendlihe Summe gegen Eins feßen, daß er KK in Temumer
&*
52
ginie bewege, und für jede Arümmung läßt ſich ein Mittelpunkt
angeben. Da fi eine zirkelfürmige Bewegung in ber Welt am
längften erhält, wie wir an brei Planeten fehen, fowohl an
ihren Bewegungen um bie Achſe, ald um bie Sonne und
Sauptplaneten, fo ?önnte alle Bewegung daher ihren Urfprung
nehmen. Das Licht allein feheint Hiervon eine Ausnahme zu
machen, indefjen wirb es doch gebogen. con 'grofe Meß⸗
tünftler haben angenommen, baß fich dieſes ganze Syſtem um
einen uns unfichtbaren Körper drehe — warum könnte unfere
Erdkugel nicht ein folches Syſtem von Firfternen fein? Hier
fiten wir in einer folden Sanbkugel. Unfere Erbe ift uns
freilich das Sonderbarfte, fo wie unfre Seele bie fonberbarfte
Subftanz, weil wir jene allein felbft bewohnen, unb biefe
allein felbft find. Wenn wir nur einen Augenblid einmal etwas
anders fein Pönnten! Was würde aus unferm Berftande werben,
wenn alle Gegenftände das wirklich wären, wofür wir fie halten?
„Ich glaube» — fo follte man Alles anfangen, was
man durch eignes Nachdenken berausbringt, und was nicht ein
Gegenftand ber Rechnung if. Ich glaube, daß mancher Kopf
mehr thun önnte, als er thut, weil er fi) einmal barein erge
.ben bat, baß es ihm an Fähigkeiten fehlt. Andere, die viel
Neues gefehen haben, haben vielleicht nicht mehr Fähigkeiten,
aber mehr Induſtrie. Daher kann man einem jeden Philofophen
ben Spruch nicht genug empfehlen: „Seid munter und
wadet!«
53
Menſchliche Philofophie überhaupt ift die Philofophie eines
einzelnen gewiffen Menſchen, durch die Philofophie ber andern,
ſelbſt der Narren, corrigirt, und bieß nach den Regeln einer
vernünftigen Schägung der Grabe ber Wahrſcheinlichkeit. Sätze,
worüber alle Menfchen Übereinkommen, find wahr; find fie nicht
wahr, fo haben wir gar keine Wahrheit. Andere Säge für
wahr zu halten, zwingt uns oft die Verſicherung folcher Men—
fen, die in der Sache viel gelten, und jeder Menfch würbe
das glauben, ber fi in eben den Umftänden befände. Sobald
biefes nicht ift, fo ift eine befondere Philoſophie da, und nicht
eine, bie in bem Rath ber Menfchen ausgemacht ifl. Aber⸗
glaube felbft ift Localphiloſophie; er gibt feine Stimme auch.
Ich bin überzeugt, wenn Gott einmal einen ſolchen Men-
ſchen fchaffen wollte, wie ihn fi) die Magifter und Profefforen
der Philofophie vorftellen, er müßte den erften Tag ins Tollhaus
gebracht werben. Man könnte baraus eine artige Fabel machen:
Ein Profeſſor bittet fih von der Vorfiht aus, ihm einen Men⸗
fhen nach dem Bilde feiner Pfgchologie zu ſchaffen; fie thut es,
und er wirb ins Tollhaus gebracht.
Ehe man noch bie gemeinen Erfcheinungen in der Körper-
welt erklären konnte, fing man an, Geiſter zur Erklärung zu
gebrauchen. Jetzt, da man ihren Zufammenbang beffer kennt,
erflärt man Eines aus bem Anbern, unb bie Geifter, bei benen
wir ftille ftehen, find enblih doch ein Gott und eine Sur.
54
Die Seele ift alfo jeßt gleihfam das Geſpenſt, das in ber zer⸗
brechlichen Hütte unfers Körpers ſpukt. Aber iſt dieſes Berfah⸗
ren ſelbſt nur unſerer eingeſchränkten Vernunft gemäß? Dürfen
wir ſchließen: was unſerer Meinung nach nicht durch Dinge ge⸗
ſchehen kann, die wir kennen, muß durch andere Dinge geſche⸗
hen, als wir kennen? Das iſt nicht bloß ein falſches, ſondern
ein abgeſchmacktes Raiſonnement. Ich bin ſo ſehr überzeugt, daß
wir von dem uns Begreiflichen ſo viel als nichts wiſſen, und
wie viel mag nicht noch zurückſein, das unſere Gehirnfibern gar
nicht darbilden können! Beſcheidenheit und Behutſamkeit in
der Philoſophie, zumal in der Pſychologie, geziemt uns vorzüg⸗
ih. Was ift Materie, fo wie fie fi) der Pſychologe denkt?
Co etwas gibt e8 vielleicht in der Natur nicht; er tödtet bie
Materie, und fagt hernach, daß fie tobt fei.
Der Menſch ſucht Freiheit, wo fie ihn unglüdlicd machen
würde — im politifchen Leben, und verwirft fie, wo fie ihn
glücklich maht, und hängt Anderer Meinungen blindlings an.
Der Religions» und Syſtemsdeſpotismus ift der fürchterlichfte
unter allen. Der Engländer, der wider das Minifterium ſchimpft,
ift ein SPlave der Oppofition, und die meiftien Menfchen find
Sklaven ber Mode und alberner Gebräuche.
Wir thun alle Augenblid etwas, das wir nicht wiſſen, bie
Sertigfeit wird immer größer, und endlic würde. ber Menfch
Alles, ohne es zu wiffen, thun, und im eigentlichen Verſtande
55
ein denkendes Thier werden. So nähert fih Vernunft ber
Thierbeit.
Seitdem man Wiſſenſchaft zu nennen beliebt, Anderer
thörichte Meinungen zu Pennen, die man vielleicht aus einer ein-
zigen Formel nach den Regeln einer ganz mechanischen Erfin-
bungsPfunft herleiten könnte , und fich überall durh Mode, Ge:
wohnbeit, Anfehen und SInterefie leiten läßt, ſeitdem ift dem
Menfchen die Lebenszeit zu kurz geworben.
Man empfiehlt Selbftdenfen, oft nur um bie Irrthümer
Anderer beim Studiren von Wahrheit zu unterfcheiden. Es ift
ein Nutzen, aber ift das Alles? Wie viel unnöthiges Lefen wird
dadurch uns erfpart! Iſt denn Lefen und Stubdiren einerlei?
Es bat jemand mit großem Grund ber Wahrheit behauptet, daß
die Buchdruderei Gelehrfamkeit zwar mehr ausgebreitet, aber im
Gehalt vermindert hätte. Das viele Lefen ift dem Denken ſchäd⸗
lich. Die größten Denker, bie mir vorgefommen find, waren
gerade unter allen Gelehrten, die, welche am wenigften gelefen
hatten. '
Wenn man bie Menfihen Ichtt, wie fie denken follen, und
nicht ewig bin, was fie denken follen, fo wird auch dem Miß—
verftändnniß vorgebeugt. Es ift eine Art von Einweihung in
die Myſterien der Menſchheit. Wer im eigenen Denken auf einen
fonderbaren Sag ftößt, fommt auch wohl wieder davon ab, wenn
er falih if. Ein fonderbarer Sag bingegen, tr won mn
56
Manne von .Anfehen gelehrt wird, kann Taufende, die nicht un⸗
terfuchen, irre führen. Man kann nicht vorfihtig genug fein in
Befanntmadhung eigener Meinungen, bie auf Leben und Glück⸗
feligteit binauslaufen; bingegen nicht emſig genug, Menſchenver⸗
fland und 8weifeln einzufchärfen. Bolingbroke fagt fehr gut:
Every man’s reason is every man’s oracle.
Der Menfh wird ein Sophift und überwisig, wo feine
gründlichen Kenntniffe nicht mehr hinreichen; Alle müflen es fofg«
li werden, wenn von Unfterblichkeit und Leben nad) dem Tode
bie Rede ift. Da find wir alle ungründlid. Materialismus ift
bie Afymptote ber Pſychologie.
In einer fo zufammengefesten Mafchine, als biefe Welt,
fpielen wir, dünkt mid, aller unferer Beinen Mitwirkung une
geachtet, was die Hauptfache betrifft, immer in einer Lotterie.
Der Menſch ift vielleicht halb Geift und halb Materie, fo
wie der Polype halb Pflanze und halb Thier. Auf der Grenze
liegen immer die ſeltſamſten Geſchöpfe.
Gott ſchuf den Menſchen nach feinem Bilde, das heißt ver«
muthlih, der Menfch fhuf Gott nad dem feinigen.
Wenn ich etwas als Körper und dann als Geift betrachte,
dad gibt eine entfegliche Parallare. Man könnte jenes ben fo:
57
matocentrifden, und biefes den pſychocentriſchen Ort
eines Dinges nennen,
Daß die Seele nach dem Tode übrig bleibt, ift gewiß erft
geglaubt, und hernach bewiefen worden. Diefed zu glauben, ift
nicht feltfamer, ald Häufer für einen einzigen Mann zu bauen,
worin ihrer hundert Platz haben, ein Mädchen eine Göttin, und
ein gefröntes Haupt unfterblich zu nennen. Der Menſch ift Fein
künſtlicheres Gefchöpf, als die andern; er weiß e8 nur, daß er
es ift, und daraus läßt fi Alles erklären; und wir thun wohl,
biefe Eigenfchaft unfers Geiftes allen übrigen Eigenfchaften eines
Geiftes vorzuziehen, da wir in der Welt die Einzigen find, die
und dieſes ftreitig machen könnten.
Sind wir nit ſchon einmal auferftanden? Gewiß, aus
einem Buftande, in weldem wir weniger von bem gegenmwärtie
gen mußten, als wir in dem gegenwärtigen von dem zufünftie
gen wiffen. Wie fich unfer voriger Zuftand zu bem jekigen ver⸗
bält, fo der jetige zum künftigen.
Der oft unüberlegten Hochachtung gegen alte Gefeße, alte
Gebräuche und alte Religion hat man alles Übel in der Welt
zu danken.
Ich glaube faum, daß e8 möglich fein wird, zu erweifen,
daß wir das Werk eines höchſten Wefens, und nicht vielmehr
zum Beitvertreib von einem fehr urmolllommenen zufammenges
ſetzt worden find.
58
Sn
- Wenn Scharffinn ein Bergrößerungdglas ift, fo ift ber Witz
ein Berkleinerungsglas. Olaubt ihr denn, daß fi Entdedun-
gen bloß mit Vergrößerungsgläfern machen laffen? Ich glaube,
mit Berkleinerungsgläfern oder wenigftend durch ein ähnliches
Inſtrument in ber intellectuellen Welt find wohl mehr Entdedun:
gen gemacht worden. Der Mond fieht durch ein verkehrtes Fern⸗
rohr wie die Benus aus, und mit bloßen Augen, wie die Venus
durch ein gutes Fernrohr in feiner rechten Lage. Durch ein ge
meines Opernglas würden die Plejaden wie ein Nebelftern er-
fcheinen. Die Welt, die fo fhön mit Gras und Bäumen bes
wachfen ift, hält ein höheres Weſen, als wir, vielleicht eben
deßwegen für verfchimmelt. Der fehönfte geftirnte Himmel ficht
uns durch ein umgekehrtes Fernrohr leer aus.
Neue Muthmaßungen über Dinge follten die Gelehrten immer
mit Dane annehmen, wenn fie nur einige Vernunft bei fi
haben; ein anderer Kopf Hat zuweilen nichts nöthig, um eine
wichtige Entdedung zu machen, als einen folchen Reiz. Die
allgemein angenommene Art ein Ding zu erklären, bat Peine
Wirkung mehr auf fein Gehirn und Bann ihm Leine neue Bes
wegung mehr mittheilen.
Unfere Welt wird noch fo fein werden, daß es fo lächerlich
fein wird, einen Gott zu glauben, als heutzutage Gefpeniter.
Es iſt ein großer Unterfchied, welchen Weg man nimmt,
59
um zur Erkenntniß gewiffer Dinge zu gelangen. Wenn man
mit Metaphyfif und Religion in der Jugend ‚anfängt, fo gebt
man leiht in Vernunftſchlüſſen bis zur Unfterblichkeit der Seele
fort. Nicht jeder andere Weg wird: dazu führen, wenigitens
nicht eben fo leiht. Wenn fihb auch ſchon von jebem Wort
einzeln ein deutlicher Begriff geben läßt, fo ift e8 doch unmög⸗
lich, in einem fehr zufammengefegten Schluß alle dieſe Begriffe
gleich deutlich vor fich zu- haben; in ber Anmwenbung werden fie
oft nach der Art verbunden, die uns von Jugend auf bie ge
wöhnlichfte und leichtefte war.
Nichts ift ſchwerer in der Philofophie, als eine Sache ganz
von Anfang zu nehmen, und doch bei Betrachtung berfelben von
erworbenen Kenntniffen Gebrauch zu machen; 3.38. über bie
Unfterblichkeit der Seele denfen zu wollen, ohne vorher ſchon
ein gewifjes Ende, ein gewiſſes Ziel zu fehen; nicht beim fechften
Schluß ſchon eine Meinung zu ergreifen, und ben achten, neuns
ten, zehnten u. f. w. nur anzuhängen. Kann uns nit das
Denken in unſerer materiellen Subſtanz eben bewegen fo außer:
ordentlich vorkommen, weil wir biefes felbft find? Se nüber
wir einem Gegenftand in der Ratur kommen, deſto unbegreifli-
cher wird er. Das Sandkorn ift gewiß das nicht, wofür ich es
anfehe. Ich begreife eben fo wenig, mie ein zujammengefehtes
Weſen denken, als wie ein einfaches mit einem zufanımengefek-
ten in Berbindung gebracht werden könne. Hätten wir eine
Analyſis für dergleihen Säge, und könnten fie in eine Rewusi
4
60
bringen, fo würden wir feben, daß beide einerlei find, und daß
das LUnbegreiflide nur verfchoben, aber nicht aufgehoben ifl.
Ich weiß nicht, wie weit bie beiden Säge: 2 mal 2 ift 4, unb:
Heinrich IV ift von Ravaillac ermordet worben, in
meinem Kopf von einander liegen, ober ob jeber allemal ben
ganzen Kopf einnimmt, oder, wenn fie nur einen kleinen Theil
einnehmen, ob fie in allen Menfchen eben diefelben find. Mir
ift es wahrfcheinlich, baß jeder Gedanke eine gewiffe Gegend des
Gehirns befonders in Bewegung febt, aber entweder biefe Be
wegung bem ganzen übrigen Kopf mittheilt, in einem Menfchen
ftärker als in dem andern; ober nicht ganz, aber in einem Men⸗
fhen weiter als in dem andern. Hieraus läßt fi das Zuſam⸗
menhängende in den Träumen erklären.
In allen Spraden fagt man: ic) denke, ich fühle, ich
athme, ich habe Schläge befommen, und ich vergleiche, ich
erinnere mich ber Zarbe, und ich erinnere mid) bes Bapes.
Das, was fi) in uns der Farbe, und das, was fi ber Farbe
erinnert, find vielleicht eben fo wenig einerlei, als das, was
bie Schläge befommt, und das, was vergleicht. Alles thut etwas
bei Allem, ber Mensch fühlt fih in Allem ganz, und wenn ich
behalte, daß (a+x).(a— x) — a? — x? ift, fo hat vielleicht
mein Daumen einen Theil davon zu behalten, wiewohl einen
fehr unbeträcdhtlichen, aber in manden Menſchen doch fo viel,
daß ber Sat ihnen bei Berührung einer Sache einfällt, ober
baß fie im Traum, oder in einem Fieber glauben, ber Sag fei
weiter nichts als ein Stüdchen Leinwand. Es iſt nicht fo vers
61
drießlih, ein Yhänomenon mit etwas Mechanik und einer ftar:
fen Dofls von Unbegreiflihen zu erklären, als ganz durch Me
chanik, das heißt, die docta ignorantia macht weniger Schande
als die indocta. Alle Bewegung in ber Welt bat ihren Grund
in etwas, das feine Bewegung ift, warum foll die allgemeine
Kraft nicht auch die Urfache meiner Gebanfen fein, fo gut als
fie die Urfache von Gährung ift?
Der Mann bat recht, follte man fagen, aber nicht nad
ben Geſetzen, die man fih in der Welt einftimmig auferlegt hat.
Die Wahrheit hat taufend Hinderniffe zu überwinden, um
unbejchädigt zu Papier zu kommen, und von Papier wieder zu
Kopf. Die Lügner find ihre fhwächften Feinde. Der enthufla
ſtiſche Schriftfteller, der von allen Dingen fpridt, und alle
Dinge anfieht, wie andere ehrliche Leute, wenn fie einen Hieb
baben ; ferner, ber fuperfeine erfünftelte Menfchenfenner, ber in
jeder Hänblung eines Mannes, wie Engel in einer Monade,
fein ganzes Leben ſich abfpiegeln fiehbt und fehen will; der gute
fromme Mann, ber überall aus Refpect glaubt, nichts unters
fuht, mas er vor dem funfzehnten Jahre gelernt hat, und fein
bißchen Unterfuchtes auf ununterfuchtem Grund baut — das find
gefährliche Feinde der Wahrheit.
Das Gute und Zwelmäßige in ber Welt geht unaufhaltfam
fort. Wenn e8 daher in ber menfchlichen Natur liegt, dos S-
62
die chriftlihe Religion endlich einmal wieber zu Grunde gebt,
fo wird es gefhehen, man mag fi) dawider fepen, oder nicht.
Das Zurüdgehen und Hemmen auf eine Purze Zeit iſt nur ein
unendlich kleiner Bogen in der Linie. Nur ift e8 Schade, daß
gerade Wir die Bufchauer fein müffen, und nidt eine andere
Generation. Es kann e8 uns alfo niemand verdenten, wenn
wir fo viel als möglich arbeiten, unfere Zeiten nad unfern
Köpfen zu formen. Ich denke immer, wir auf biefer Kugel
dienen zu einem Bwed, beffen Grreihung eine Zuſammenver⸗
fhwörung des ganzen menfchlichen Geſchlechts nicht verhindern
fünnte.
Die gar fubtilen Männer find felten große Männer, und
ihre Unterfuchungen find meiltens eben fo unnüg, als fie fein’
find. Sie entfernen fih immer mehr vom praßtifhen Leben,
bem fie doch immer näher zu kommen fuchen follten. So wie
ber Tanzmeiſter und Fechtmeifter nicht von ber Anatomie ber
Beine und Hände anfängt, fo läßt fi gefunde, brauchbare
Philofophie auch viel höher, als jene Grübeleien, anfangen.
Der Fuß muß fo geftellt werden, denn fonft würde
man fallen, und, dbiefes muß man glauben, denn es
wäre abfurb, ed nicht zu glauben, find fehr gute Fun
damente. Die Leute, bie noch weiter gehen wollen, mögen es
thun, fie müſſen aber ja nicht denken, daß fie etwas Großes
thun; denn fie finden boch nur, wenn ihnen Alles gelingt, was
der vernünftige Mann ſchon lange vorher wußte. Der Mann,
63
der noch einmal ben eilften Grundſatz des Euklides demonſtrirt,
verdient allenfalls den Namen eines finnreihen Mannes; aber
zur Erweiterung der Wiffenfchaften wird er nichts beitragen, was
er nicht ohne diefe Erfindung auch hätte thun Fünnen. „Uber,
fagen fie, e8 gefchieht, den Zweifler zu widerlegen.“ Den wider:
legt ihre wahrhaftig nicht; denn welches Argument in der Welt
wird den Mann überzeugen können, ber einmal Abfurditäten
glauben kann? Und verdient denn jebermann wiberlegt zu wer:
den, der widerlegt fein will? Selbſt bie größten Schläger fchla«
gen ſich nicht mit jedem, ber fie herausfordert. Das find bie
Urfachen, weßwegen bie Beattifche Philofophie Achtung verdient.
Sie ift nicht eine ganz neue Philofophie, fie geht nicht bis auf
den tiefften Grund zurück, und taugt daher nicht zur Philofophie
bes Profefford, aber fie ift die Philoſophie des Menſchen.
Es wäre nicht gut, wenn die Selbftmörbder oft mit der eis
gentlihen Sprache ihre Gründe angeben könnten; fo aber res
bucirt fie fich jeder Hörer auf feine eigene Sprache, und ente
Eräftet fie nicht fo wohl dadurch, als macht ganz andere Dinge
daraus. Einen Menſchen recht zu verftehen, müßte man zuwei⸗
len der nämliche Menfch fein, den man verftehen will. Wer da
weiß, was Gedankenfoftem ift, der wirb mir Beifall geben.
Öfters allein zu fein, und über fi feldft zu denken, und feine
Welt aus ih zu mahen, kann uns großes Vergnügen gewäh—⸗
ren, aber wir arbeiten auf diefe Art unvermerkt an einer Phi⸗
Iofophie, nach welcher ber Selbfimord billig umd erlauıt N.
64
Es ift daher gut, fi durch einen Freund ober eine Freundin
wieder an die Welt anzuhaken, um nicht ganz abzufallen.
Bei unferm frübzeitigen und oft gar zu häufigen Lefen,
wodurch wir fo viel Materialien erhalten, ohne fie zu verbauen,
was die Folge bat, baß das Gedächtniß gewohnt wird, bie
Haushaltung für Empfindung und Gefhmad zu führen — ba
bedarf es oft einer tiefen Philofophie, unferm Gefühl den erfien
Stand ber Unfchuld wieder zu geben, fi) aus bem Schutt frem⸗
der Dinge heraus zu finden, felbft anzufangen zu fühlen und
felbft zu fprehen, und, ih möchte fat fagen, auch einmal
felbft zu exiſtiren.
Ich glaube, daß ber Inſtinct im Menfchen dem geſchloſſe⸗
nen Urtbeil vorgreift, und daß daher Manches von minder ger
lehrten, aber dabei genauen, Empfindern offenbart fein mag,
was das gefchloffene Raifonnement noch bis jegt nicht erreichen
und verfolgen kann. Es erzeugt fih thierifhe Wärme, unb
wird erzeugt werden, ohne daß man noch genau im Stande ift,
zu erklären, woher fie fomme. Dahin rechne ich die Lehre von
ber Unfterblichkeit der Seele. „Es wird nach unferm Leben fo
fein, wie e8 vor bemjelben war « — biefes iſt ein inftinctmäßis
ger Borgriff vor alem Raifonnement. Man kann ihn noch nicht
beweifen, aber für mich hat er, aufammengenommen mit ans«
bern Umftänden, Ohnmacht, Betäubung, eine unmiberftehliche
Gewalt, und bat ed auch vermuthlich für eine Menge von Men:
65
fhen, bie e8 nicht geftehen wollen. Kein einziges Raifonnement
bat mid noch vom Gegentheil überzeugt. Meine Meinung ift
Natur, jenes ift Kunft, beren Refultat Alles fo fehr und ſtark
widerfpricht, al8 nur etwas wiberfprechen kann.
Es wäre ein denkendes Weſen möglich, dem das Zufünftige
leichter zu fehen wäre, als das Vergangene. Bei den Trieben
der Inſecten ift fhon Manches, das uns glauben maden muß,
bag fie mehr durch das Künftige als durch bad Vergangene ges
leitet werben. Hätten die Thiere eben fo viel Erinnerung bes
Vergangenen, als Borgefühl des Künftigen, fo wäre uns man-
ches Infect überlegen; fo aber feheint bie Stärke bes Vorgefühls
immer im umgekehrten Berhältniß mit der Erinnerung an das
Vergangene zu ſtehen. .
Wenn ih im Traum mit Jemanden biöputire, und ber
mich widerlegt und belehrt, fo bin ich es, ber ſich felbft belehrt;
alſo nachdenkt. Diefes Nachdenken wird alfo unter ber Form
von Geſpräch angefhaut. Können wir und daher wohl mwun-
dern, wenn bie frühern Völker das, was fie bei ber Schlange
denken (wie Eva), durh: die Schlange fprah zu mir,
ausdrüden? Bon der Art find die Ausbrüde: der Herr
ſprach zu mir; mein Geiſt fprah zu mir. Da wir
eigentlich nicht genau wiffen, mo wir benfen, fo können wir
den Gedanken verfegen, wohin wir wollen. So wie man [pres
chen kann, bag man glaubt, es fäme von einem Dritten ,
T. %
66
kann man auch fo denken, baß es läßt, als würde e8 und ge-
fagt. Hierher gehört der Genius des Sokrates. Wie erflaunlic)
Bieles ließe fich nicht noch durch die Träume entwideln!
Wie find wohl die Menfchen zu bem Begriff von Freiheit
gelangt? Es war ein großer Gedanke.
Daß zuweilen eine falfche Hypothefe ber richtigen vorzuzie⸗
ben fei, ſieht man aus ber Lehre von ber Freiheit bes Menfchen.
Der Menſch ift gewiß nicht frei, allein es gehört ſehr tiefes
Studium der Philofophie dazu, fi) durch dieſe Borftellung- nicht
irre führen zu laffen — ein Studium, zu welchem unter Tau⸗
fenden nicht Einer die Zeit und Geduld, und unter Hunderten,
bie fie haben, kaum Einer den Geift hat. Freiheit ift baber ei»
gentlich die bequemfte Form, fich die Sache zu denken, und wird
auch allezeit die übliche bleiben, da fie fo fehr den Schein für
ſich hat.
Bor Gott gibt es bloß Regeln, eigentlih nur eine Regel,
und Feine Ausnahmen, Weil wir bie oberfte Hegel nicht Fen-
nen, fo machen wir Generalregeln, bie es nicht find; ja es
wäre wohl gar möglih, daß bas, was wir Regeln nennen,
wohl felbft noch für endlihe Wefen Ausnahmen fein Fünnten,
Der Spinozismus und der Deismus führen beide einen ver=
ftändigen Geift fo gewiß auf Eins hinaus, daß man, um zu
67
ſehen, ob man in dem erftern richtig ift, fich bes letztern bebie-
nen kann, fo wie man fi) des Augenmaßes oft zur Probe der
genaueften Meffungen bedient. |
Ich glaube von Grund meiner Seele und nach der reifſten
überlegung, daß die Lehre Chriſti, geſäubert vom Pfaffengeſchmiere,
und gehörig nach unſerer Art fih auszudrücken verſtanden, das
vollkommenſte Syftem ift, das ich mir wenigftens denken kann,
Ruhe und Glüdfeligkeit in der Welt am ſchnellſten, kräftig⸗
ften, fiherftien und allgemeinften zu beförbern. Allein ich glaube
auh, daß ed noch ein Syſtem gibt, das ganz aus ber reinen
Vernunft erwächſt, und eben dahin führt; allein es ift nur für
geübte Denker, und gar nicht für den Menfchen überhaupt; und
fände es aud Eingang, fo müßte man doch die Lehre Chrifti
für die Ausübung wählen. Chriftus bat fi) zugleich nach bem
Stoff bequemt, und dieß zwingt felbfi dem Atheiften Bewunde⸗
rung ab. (In weldhem Berftande ich bier das Wort Atheift
nehme, wird jeder Denker fühlen) Wie leicht müßte e8 einem
ſolchen Geifte gewefen fein, ein Syſtem für die reine Bernunft
zu erdenken, das alle Philofophen völlig befriedigt hättel Aber
. wo find die Menfchen dazu? Es wären vielleicht Jahrhunderte
verftrihen, two man e8 gar nicht verftanden hätte; und fo etwas
follte dienen, das menfchliche Geſchlecht zu leiten und zu lenken,
und in der Todesſtunde aufzurihten? Ja, was würden nicht
die Sefuiten aller Zeiten und aller Völker daraus gemacht haben?
Was bie Menfchen leiten fol, muß wahr, aber allen wekiumn
n*» .
68
lich fein; . wenn e8 ihnen auch in Bildern beigebradyt wird, die
fie fich bei jeder Stufe ber Erfenntniß anders erklären.
Eine große Rede läßt fi Teicht auswendig lernen, unb
noch leihter ein großes Gedicht. Wie ſchwer würde es nicht
balten, eben fo viele, ohne allen Sinn verbundene Wörter, oder
eine Rede in fremder Spradhe zu memoriren. Alfo Sinn und
Berftand kommt dem Gedächtniß zu Hülfe. Sinn ift Ordnung,
und Ordnung ift doch am Ende Übereinftimmung mit unferer
Natur. Wenn wir vernünftig fprechen, fprechen wir immer nur
unferem Wefen und unferer Natur gemäß. Um unferem Ges
bächtniffe etwas einzuverleiben, fuchen wir daher immer einen
Sinn binem zu bringen, oder eine Art von Ordnung; baber
genera und species bei Pflanzen und Thieren, Ähnlichkeiten bis
auf den Reim hinaus. ben bahin gehören auch unfere Hypo⸗
thefen; wir müjfen welche haben, weil wir fonft die Dinge nicht
bebalten können. Diefes ift ſchon längft gefagt, man kommt
aber von allen Seiten wieder darauf. So fuhen wir Sinn in
die Körperwelt zu bringen, die Frage aber ift, ob Alles für uns
lesbar if. Gewiß aber Täßt fi) durch vieles Probiren und
Nachfinnen auch eine Bedeutung in etwas bringen, das nicht
für uns, oder überhaupt gar nicht Tesbar if. So ſieht man im
Sande Gefihter, Landſchaften und dergl., bie fiherlih nicht
die Abficht diefer Lagen find. Symmetrie gehört auch hierher;
imgleihen die Stufenleiter in ber Reihe der Geſchöpfe; — alles
das ift nicht in den Dingen, fondern in uns, Überhaupt Fann
69
man nicht genug bedenken, daß wir nur immer uns beobachten,
wenn wir die Natur und zumal unfere Ordnungen beobachten.
Die Berfuhe der Phyſiker, 3. B. bed le Sage, die
Schmere, Attraction und Affinitäten mechaniſch zu erklären, find
ebenfalls dahin zu rechnen. Indeſſen find dergleichen Verſuche
immer fo viel werth, al8 eine Mafchine erfunden zu haben, die
biefes ausrichtet.. Wenn Iemand eine Uhr machen Eönnte, bie
die Bewegung ber Himmelsförper fo genau, ald in der Natur
barftellte, würde ber nicht ein großes Verdienſt haben, obgleich
die Welt nicht durch Räderwerk geht? Er würde felbft durch
diefe Mafchine Manches entbeden, was er nicht hineingetragen
zu haben glauben würde. Und was ift der Calcul anders, als
etwas biefer Mafchine Ähnliches ?
Ih glaube, dab, fo wie die Anhänger de Hrn. Kant
ihren Gegnern immer vormwerfen, fie verftänden ihn nicht, fo
auh Manche glauben, Hr. Kant habe Recht, weil fie ihn vers
fiehen. Seine Borftellungsart ift neu, und weicht von der ge⸗
wöhnlichen fehbr ab; und wenn man nun auf einmal Einfiht in
diefelbe erlangt, fo ift man auch fehr geneigt, fie für wahr zu
halten, zumal da er fo viele eifrige Anhänger hat. Man follte
aber dabei immer bedenken, daß biefes Verftehen noch fein Grund
ift, es felbft für wahr zu halten. Ich glaube, daß die meiften
über der Freude, ein ſehr abſtractes und dunkel abgefaßtes
Syſtem zu verftehen, zugleich geglaubt haben, es fei demonſtrirt.
70
Die Vorftelung, die wir uns von einer Seele machen, bat
viel Ähnliches mit der von einem Magneten in ber Erde. Es
ift bloß Bild. Es ift ein dem Menfchen angebornes Erfindungs⸗
mittel, fi Alles unter diefer Form zu denken.
Wir wiffen mit weit mehr Deutlichfeit, daß unfer Wille frei
ift, als daß Alles, was gefchieht, eine Urfache Haben müffe. Könnte
man alfo nicht einmal da8 Argument umkehren und fagen: Unfere
Begriffe von Urfache und Wirkung müffen fehr unrichtig fein, weil
unfer Wille nicht frei fein könnte, wenn fie richtig wären ?
Das Wefen, ba8 wir am reinften aus ben Händen ber
Natur empfangen, und was uns zugleich am nädften gelegt
wird, find wir felbft; und doch wie ſchwer ift da Alles und
wie verwidelt! Es fcheint faft, wir follen bloß wirken, ohne
uns felbft zum Gegenftande der Beobachtung zu machen. Sobald
wir und zum Gegenftande der Beobadhtung machen, ift es faft ei»
nerlei, ob wir aus dem Haynberg den Urfprung der Welt, oder aus
unfern Verrichtungen bie Natur unferer Seele wollen Pennen lernen.
Selbſt unfere häufigen Irrthümer haben den Nugen, baß
fie ung am Ende gewöhnen zu glauben, Alles Fönne anders
fein, als wir es uns vorftellen. Auch biefe Erfahrung kann ge-
neralifirt werden, fo wie das Urfachenfuchen; und fo muß
man endlich zu ber Philofophie gelangen, bie felbft die Noth⸗
mwendigfeit von dem Satze des Widerfpruch8 Teugnet.
71
Die beiden Begriffe von Sein und Nichtſein find bloß
undurchdringlich in unfern Geiftesanlagen. Denn eigentlich,
wiffen wir nicht einmal, was fein ift, und fobald wir uns
ins Definiren einlaffen, fo müffen wir zugeben, baß etwas
exiſtiren kann, mas nirgends. if. Kant fagt auch fo etwas
irgendwo.
Es iſt doch fürwahr zum Erſtaunen, daß man auf die
dunkeln Vorſtellungen von Urſachen den Glauben an einen Gott
gebaut hat, von dem wir nichts wiſſen, und nichts wiſſen kön⸗
nen. Denn alles Schließen auf einen Urheber der Welt iſt im⸗
mer Anthropomorphismus.
Anſtatt daß ſich die Welt in uns fpiegelt, ſollten wir viel⸗
mebr fagen, unfere Vernunft fpiegele fi in ber Welt. Wir
fünnen nicht anders, wir müffen Ordnung und weife Res
gierung in ber Welt erfennen, bieß folgt aus ber Einrich⸗
tung unſerer Denkkraft. Es ift aber. noch Feine Folge, daß
etwas, was wir nothwendig benfen müffen, auch wirklich fo
ift, denn wir haben von der wahren Befchaffenheit der Außen:
welt gar feinen Begriff; alfo daraus allein läßt fich Fein Gott
erweiſen.
In allen Dingen in ber Welt gibt es ein Coup d’ Oeil,
das heißt, jeder vernünftige Menfch, der etwas hört ober fiebt,
urtbeilt inflinetmäßig baräber. Er ſchließt z. B. aus dem Titel
72
bes Buchs und beffen Die auf den innern Werth. Wohlver-
ftanden, ich fage nicht, daß biefe Dinge fein eigentliches Urtheil
lenken, fondern nur, daß er mit dem erften Anblide einer Sache
auch ein, diefer geringen Information proportionirtes, Urtheil
von ihr verbindet, oft ohne baß er fi) befien deutlich bewußt
wird. Auch hebt bie Erfahrung ber nächſten Secunde das Ur⸗
theil oft wieder auf. Alles biefes find Samenkörner von Wiffen-
fhaften, aus denen ein Lambert etwas hätte ziehen können;
allein fo wie nicht aus jedem Samen ein Baum oder Küchen»
kraut wird, fo eben auch bier. Indeſſen find dieſe Winke nie
aus ber Acht zu laſſen; fie find die Refultate vieler empfangenen
Eindrüde in ber verftändlichften Summe conftruirt.
Das Möferifhe Mehl und nicht die Mühle iſt vortref-
lich; Früchte der Philofophie und nicht die Philofophie. Wenn
wir fragen, wie viel Uhr es ift, fo wollen wir nichts bon der
Einrichtung der Taſchenuhr wiffen. Die Kenntniß der Mittel ift
heutzutage eine rühmliche Wiffenfchaft geworden, und Niemand
gebraucht fie zu feinem Glück und dem Glücke ber Welt. Kennt»
niß der Mittel ohne eine eigentlihe Anwendung, ja ohne Gabe
und Willen fie anzuwenden, ift, was man jest gemeiniglich
Gelehrſamkeit nennt.
Es ift mir Peine Betrachtung angenehmer, als bie, in ben
polirteften Zeiten Spuren von Gebräuchen der roheften Völker
aufzufuchen, freilich ebenfalls verfeinert. (Es ift unmöglich, daß
713
ein Volk lange in einer Gattung feiner Kenntniffe zunehmen
fol, ohne in den andern auch mit zuzunehmen, wenigftens nicht
ohne Scheiterhaufen.) So wird es einem fceharfen Beobachter
nicht fchwer werden, einen fubtilen Schamanismus (geiftliche
Zafchenfpielerei) felbft auf unfern Kanzeln zu finden.” Solche
Dinge aufzufinden, barf man nur bie Reihe auffuchen, in wel:
cher der Schamanismus liegt. Alles läßt ſich verfeinern, und
Alles läßt fich vergröbern — ein vortreffliches Erfindungsmittel.
Es ift ein großer Unterfchied zwifchen etwas glauben, und
das Gegentheil nicht glauben können. Ich kann fehr oft etwas
glauben, ohne es beweifen zu können, fo wie ich etwas nicht
glaube, ohne es wiberlegen zu Fünnen. Die Seite, bie ich
nehme, wird nicht durch ftrieten Beweis, ſondern durch das
Übergewicht beſtimmt.
Was, wie ich glaube, die meiſten Deiſten ſchafft, zumal
unter Leuten von Geiſt und Nachdenken, find bie unveränderli⸗
chen Gefeße in ber Natur. Je mehr man fih mit denfelben be«
kannt macht, deſto wahrfcheinlicher wird es, daß es nie anders
in der Welt bergegangen, als e8 jekt darin hergeht, und baß
nie Wunder in der Welt gefchehen find, fo wenig als jept.
Daß ganze Zeitalter hintergangen werden, und nod) leichter ein-
zelne Menſchen, daß man aus taufendfachen Intereſſe etwas
glaubt, daß es fogar ein Vergnügen fein kann, etwas zu glaus
ben, was man nicht unterfucht bat, das ift gar Lin Usulurt,
74
bas fehen wir täglich; bag aber die Sonne beim Vollmond ver-
finftert, Waſſer in Wein verwandelt wird, u. bergl. ift unbegreiflich.
Wer die Gefchichte der Philofophie und Naturlehre betradh-
ten will, wirb finden, daß bie größten Gntbedungen von Leu⸗
ten find gemacht worden, die das für bloß wahrfcheinlich hiel⸗
ten, was Andere für gewiß ausgegeben haben; alfo eigentlid
von Anhängern ber neuern Akademie , bie das Mittel zwifcher
ber firengen Buverläffigfeit bes Stoiferd und ber Ungewißheit und
Gleichgültigkeit des Skeptikers hielt. Eine folche Philoſophie ift
um fo mehr anzurathen, als wir unfere Meinungen zu ber Beit
fammeln, da unfer Verſtand am ſchwächſten iſt. Dieſes Letztere
verdient in Abſicht auf Religion in Betrachtung gezogen zu werden.
Es iſt zum Erſtaunen, was für mannichfaltige Stufen von
Belehrung uns unfere Einrichtung gewährt, von ber unerklär-
fihften Ahnung bis zu den deutlichften Einfichten bes Berflan-
bes. Es ift eine meiner Lieblingsbefchäftigungen, fie zu analy«
firen. Saft jeder Überlegung geht ein gewiſſes beflimmendes
Gefühl vorher, das bei glüdlichen Gemüthsbefchaffenheiten ſelten
trügt, und das ber Verſtand nachher nur gleihfam ratificirt.
Die Ihiere werden vielleicht bloß durch ſolche Ahnungen geleitet.
Man irrt ih, wenn man glaubt, daß alle unfer Neues
bloß der Mode zugehörte, es ift etmas Feſtes darunter. Fort⸗
gang ber Menfhheit muß nicht verfannt werben.
75
Mir ift es unbegreiflich, warum ber Zuſtand ber umendli-
chen Herrlichkeit nicht lieber gleich angeht,‘ da doch diefes Leben
nur überhaupt ein verfehwindender Punkt ift.
Ih glaube, es ift ein großer Unterfchied zwiſchen Verl
nunft lehren und vernünftig fein. Es kann Leute ge
ben, die nichts weniger ald eigentlich) gefunden Verſtand befigen,
und doch vortrefflich über die Regeln nachdenken, die er befolgen
muß; fo wie ein Phyfiologe ben Bau bes Körpers Fennen, und
Teldft fehr ungefund fein Fann. Die großen Analyften des menfch:
lihen Kopfs waren nit immer bie Praftifch - Vernünftigen.
Ich rede bier nicht von Moral, fondern von Logik.
Ich glaube, ber ficherfie Weg, den Menfchen weiter zu
bringen, wäre, durch die polirte Vernunft des verfeinerten Mens.
fhen bie blinden NRaturgriffe des Barbaren (der zwifchen dem
Wilden und Feinen in der Mitte flieht) mit Philofophie zu ver:
feinern. Wenn e8 einmal in der Welt feine Wilden und Peine
Barbaren mehr gibt, fo ift e8 um uns gefchehen.
Bu den feinften Ramiflcationen unferer Wiffenfchaften und
Künfte liegt irgendwo der Stamm in unferer Wildheit oder
Barbarei (dem Mittelzuftand zwifchen Wildheit und Verfeine⸗
rung); biefen aufzufuchen,. wie viel Philofophie erforderte es
nit, aber wie viel Nuten hätte e8 auch!
76
So wie bie Völker ſich befjern, beffern fi) auch ihre Göt⸗
ter; weil man legtern aber nicht gleich alle die, menſchlichen
Eigenfchaften nehmen kann, die ihnen rohere Beiten angebichtet
baden, fo hält die vernünftige Welt Manches noch eine Zeit
lang für unbegreiflih, oder erklärt es figürlich.
&o lange die verfchiedenen Religionen nur verſchiedene Reli⸗
gionsfpradhen find, fo ift Alles recht gutz nur muß bie Abficht,
der Sinn einerlei und gut fein. Was liegt endlidy daran, ob
einer vor einem bölzernen Chriſtus niederfält, wenn er nur
dadurch zum Guten geleitet wird. Nur muß die Religion an
fi felbft die Prüfung aushalten, damit fie in jedem Dialekt,
wie ih Semmler ausdrüdt, Gutes wirkten kann. Es vers
räth wenig Weisheit bei manchen Leuten, daß ſie ſich über die
religiöſen Gebräuche Anderer luſtig machen; ſie beweiſen durch
ihre Aufführung, daß ſie den ganzen Sinn der Bibel nicht
faſſen. Wenn bei dem Volke Zweifel entſtehen, ſo muß ſie der
Gelehrte zu heben wiſſen; allein es verräth unbeſchreiblichen
Unverſtand, wenn Gelehrte gegen die Religion des Volks ſchreiben
und daran zu Helden werden wollen. Semmler ſagt ſogar):
nicht alle Menfchen müffen unfere chriftliche Religion haben.
Die Menfhen glauben überhaupt fchwerer an Wunder, als
an Traditionen von Wundern, und mancher Türke, Jude u.f.w.
) In feinem Leben, 2. Th. ©. 114.
77
ber fich jest für feine Traditionen tobt fchlagen ließe, würde bei
dem Wunder felbfi, als es geſchah, fehr Laltblütig geblieben
fein. Denn in dem Augenblide, da das Wunder geſchieht, bat
es fein anderes Anfehen, als bas ihm fein eigener Werth gibt;
es phufifch erklären, ift noch Feine Freidenferei, fo wenig als es
für Betrug halten, Blasphemie. Überhaupt ein Factum leug—
nen, ift an fi) etwas Unfchuldiges; es wird nur in ber Welt
gefährlich in fo fern, als man Andern daburch mwiderfpricht, die
feine Unleugbarkeit in Schub genommen haben. Manche Sache,
bie an fih fehr unwichtig ift, wirb dadurch wichtig, daß fich
Leute don Anfehen ihrer annehmen, die man für wichtig häft,
ohne eigentlich zu mwiffen warum. Wunder müſſen in der Ferne
gefehen werden, wenn man fie für wahr, fo wie Wolfen, wenn
man fie für fefte Körper halten fol.
Es ift mir nichts angenehmer, ald da, wo meine Zu⸗ ober
Abneigungen vor meiner Vernunft vorhergehen, aufzufuchen,
wie fie mit ihr zufammenhängen. Mit andern Worten, mir
bewußt zu werden, daß ich das in ber Welt fei, oder warum
ich das fei, was ich bin. — Sch glaube überhaupt, daß unfere
ganze Philofophie darin befteht, uns befjen beutlich bewußt zu
- werben, was wir fehon mechanifch find. Es ift fehr fonderbar,
daß uns ber Himmel fo viel Spielraum gegeben bat. Ders
mutblich können wir fo häufig im Scherz fehlen, damit wir uns
nicht bei unferem freien Willen einfallen Taffen im Ernſt zu fehlen.
78
So wie es fhon ſchmerzt, mande Entbedung nit gemacht
zu haben, fobald man fie gemacht fieht, obgleih noch ein
Sprung nöthig war, fo ſchmerzt es unendlich mehr, taufenb
Feine Gefühle und Gedanken, die wahren Stügen menfchlicher
Philofophie, nicht mit Worten ausgebrüdt zu haben, die, wenn
man fie von Andern ausgebrüdt fiebt, Erſtaunen erweden.
Ein gelernter Kopf fchreibt nur zu oft, was Alle fchreiben kön⸗
nen, und läßt das zurüd, was er fihreiben könnte, und wo⸗
durch er verewigt werben würde. Solche Bemerkungen, wie
Hartknopf beim Siehbrunnen macht, babe ich in meinem Leben
fehr viele gemacht.
Für den Geift bes Menfchen ift nicht minder geforgt, als
für ben Leib der Thiere; was bier Trieb und Kunfttrieb beißt,
ift dort gefunder Menfchenverfiand. Beide find einer Erftidung
fähig, nur mit dem Unterſchiede, baß das Thier diefe nur von
außen, ber Menfch auch von innen erhalten kann. Das Thier
ift für fih immer Subject, der Menfch ift ih auch Object.
Wenn bie Welt noch eine unzählbare Zahl von Sahren
fteht, fo wird die Univerfalreligion geläuterter Spinozismus fein.
Sich felbft überlaffene Vernunft führt auf nichts Andres hinaus,
und es ift unmöglich, daß fie auf etwas Andres hinausführe.
Im Religionshaß Liegt ficherlich etwas Wahres, alfo ver:
muthlih etwas Nügliches, Ich wünſchte fehr, man möchte
" 79
diefes ausfinden. Unſere Philofophen fprechen vom Religionshaß
als von etwas, das fidh vielleicht wegraifonniren ließe; das iſt
aber ſicherlich nicht.
Eine der größten Raffinerieen des menſchlichen Geiſtes iſt
unſtreitig die, daß man der Menſchen Hoffnungen auf einen
Zeitpunkt zuſammengezogen hat, von welchem ſich (wenigſtens
mit geometriſcher Gewißheit) nie etwas Entſcheidendes für oder
wider ausmachen laſſen wird; obgleich ein undeutliches
Gefühl, das ſchwer zu entwickeln iſt, nur altzu deutlich zeigt,
daß Alles nichts iſt.
Ich und mich. Ich fühle mich — find zwei Gegenſtände.
Unſere falſche Philoſophie iſt der ganzen Sprache einverleibt;
wir können ſo zu ſagen nicht raiſonniren, ohne falſch zu raiſon⸗
niren. Man bedenkt nicht, daß Sprechen, ohne Rückſicht von
was, eine Philoſophie iſt. Jeder, der Deutſch ſpricht, iſt ein
Volksphiloſoph, und unſere Univerſitätsphiloſophie beſteht in Ein⸗
ſchränkungen von jener. Unſere ganze Philoſophie iſt Berichti⸗
gung des Sprachgebrauchs, alſo, die Berichtigung einer Philo⸗
ſophie, und zwar der allgemeinſten. Allein die gemeine Philo⸗
ſophie hat den Vortheil, daß ſie im Beſitz der Declinationen und
Conjugationen iſt. Es wird alſo immer von uns wahre Philo⸗
ſophie mit der Sprache der falſchen gelehrt. Wörter erklären
hilft nichts; denn mit Wörtererklärungen ändere ich ja die Pro⸗
nomina und ihre Declination noch nicht.
80
Wir mögen uns eine Art uns die Dinge außer uns vorzu⸗
ftellen gebenten, welche wir wollen, fo wird und muß fie immer
etwas von dem Subject an fi) tragen. Es if, dünkt mid,
eine fehr unpbilofophifche Idee, unfere Seele bloß als ein lei⸗
dendes Ding anzufehen; nein, fie leihet auch den Gegenftänden.
Auf diefe Weife möchte e8 Bein Wefen in der Welt geben, bas
die Welt fo erfennte, wie fie iſt. Ich möchte diefes die Affini-
täten der Geifters und ber Körperwelt nennen, und ih Bann
mir gar wohl vorftellen, daß ed Wefen geben könnte, für bie
die Orbnung bed Weltgebäubes eine Muſik ift, wornach fie tan:
zen können, während der Himmel auffpielt.
Die größte Inconfequenz, bie ſich bie menfchlihe Ratur je j
bat zu Schulden kommen laffen, ift wohl gewiß,. daß fi) bie
Vernunft fogar unter das Jod eines Buches gefchmiegt hat.
Man kann fih nichts Entfeplidhers denken, und biefes Beifpiel
allein zeigt, was für ein hülfloſes Gefchöpf ber Menſch in Con⸗
ereto, ich meine in diefe zweibeinige Phiole aus Erde, Waſſer
und Salz eingefchloffen, if. Wäre ed möglidh, daß die Ber-
nunft fi) je einen befpotifchen Thron erbauete, fo müßte ein
Mann, ber im Ernft das Copernicanifhe Syſtem durch bie
Auctorität eines Buchs widerlegen wollte, gehenft werben. Daß
in einem Buche fieht, es fei von Gott, ift noch Fein Beweis,
daß es von Gott ſei; daß aber unfere Vernunft von Gott fei,
ift gewiß, man mag nun das Wort Gott nehmen, wieman
will. — Die Vernunft ftraft da, wo fie herrſcht, bloß mit ben
81
natürlichen Folgen des Vergehens oder mit Belehrung, wenn
belehren ſtrafen genannt werden kann.
Was bin ich? Was ſoll ich thun? Was kann
ih glauben und hoffen? Hierauf reducirt ſich Alles in
ber Philoſophie. Es wäre zu wünſchen, man könnte mehr
Dinge fo fimplicificiren; wenigftens follte man. verfuchen, ob
man nicht Alles, was man in einer Schrift zu tractiren gedenkt,
gleih anfangs fo entwerfen könnte.
Man Fann nicht genug beberzigen, daß die Eriftenz
eines Gottes, bie Unſterblichkeit ber Seele u. bergl.
bloß geben?bare, aber nicht erkennbare Dinge find. Es
find Gedankenverbindungen, Gebankenfpiele, denen nicht etwas
Objectived zu correfponbiren braucht. Es war ein großer Fehler
ber Wolfiſchen Philofophie, daß fie den Sat bes Widerſpruchs
auf das Erkennbare ausbehnte, da er doch eigentlich bloß das
Denkbare angeht.
Wenn man über Idealismus in verfchiedbenen Stadiis des
Lebens nachdenkt, fo geht es gemeiniglich fo: zuerſt ald Knabe
lächelt man über die Albernheit defielben; etwas weiter findet
man bie Vorftellung artig, wigig und verzeihlich ;’ disputirt gern
barüber mit Leuten, bie ſich ihrem Alter oder Stand nad noch
im erſten Stadio befinden. Bei reifen Jahren findet man ihn
zwar ‚ganz finnreih, fih und Undere bamit zu neden, aber im
I. &
82
Ganzen kaum einer Widerlegung wertb und der Natur wiber:
fprehend. Man hält es nicht der Mühe werth, weiter daran zu
den?en, weil man glaubt, oft genug baran gedacht zu haben.
Aber weiterhin befommt er, bei ernftlihem Nachdenken und
nicht gang geringer Befanntfchaft mit menſchlichen Dingen, eine
ganz unüberwindlide Stärfe. Denn man barf nur bedenken,
wenn e8 auch Gegenflände außer uns gibt, fo können wir ja
von ihrer objectinen Realität fchlechterdings nichts willen. Es
verhalte ſich Alles wie e8 wolle, fo find und bleiben wir ja doch
nur Idealiſten, ja wir können fchlechterbings nichts Andres fein.
Denn Alles kann uns ja nur bloß durch unfere Borftellung ges
geben werden. Zu glauben, daß diefe Borftellungen und Em:
pfindungen burch äußere Gegenflände veranlaßt werden, ift ja
wieder eine Borfielung. Der Idealismus ift ganz unmöglich
zu widerlegen, weil wir immer Spealiften fein würden; felbft
wenn es Gegenftlände außer uns gäbe, weil wir von biefen
Gegenftänden unmöglich etwas wiffen Fünnen. So wie wir
glauben, daß Dinge ohne unfer Zuthun außer uns vorgehen, fo
fönnen auch die Vorftellungen davon ohne unfer Zuthun in uns
vorgeben. Wir find ja auch ohne unfer Buthun geworden,
was wir find. Die Urfahe, warum fo viele Menfchen dieſes
nit fühlen, ift, daß fie mit dem Wort Vorftellung einen fehr
unvollftändigen Begriff verbinden, nämlich den von Traum und
Phantafie. Diefes find freilich Gattungen von Vorſtellungen,
aber fie erfchöpfen das Genus nicht. Hierin liegt unitreitig ber
Grund des Mißverftänbniffese. Man muß erft eins werden über
- 83
dad, was man unter Borftellungen verſteht. Sie find ficherlich
von verfchiebener Art, aber Peine enthält irgend ein deutliches
Beichen, daß fie von außen komme. Ja, was if außen?
was find Gegenflände praeter nos? Was will bie Präpofition
praeter fagen? Es ift eine bloß menſchliche Erfindung; ein
Name, einen Unterfchied von andern Dingen anzubeuten, bie
wir nicht praeter nos nennen. Alles find Gefühle.
AÄußere Gegenftände zu erfennen, ift ein Widerfpruch;
ed ift dem Menfchen unmöglich, aus fi) heraus zu gehen. Wenn
wir glauben, mir fähen Gegenftände, fo fehen wir bloß uns.
Wir können von nichts in der Welt etwas eigentlich erkennen,
als uns felbft, und die Veränderungen, bie in uns vorgehen.
Eben fo Fönnen wir unmöglidy für Andere fühlen, wie man
zu fagen pflegt; wir fühlen nur für uns Der Sag klingt
bart, er ift e8 aber nicht, wenn er nur recht verftanden wird.
Man liebt weder Bater, noch Mutter, nod Frau, nod- Kind,
fondern die angenehmen Empfindungen, bie fie und machen;
es fchmeichelt immer etwas unferem Stolze und unjerer Eigen:
liebe. Es iſt gar nicht anders möglih, und wer den Cap
leugnet, muß ihn nicht verfiehen. .. Unfere. Sprache darf aber
in biefem Stüde nicht philofophifh fein, fo wenig als fe in
Rüdficht Auf das Weltgebäude Copernieaniſch fein darf. Aus
nichts leuchtet, glaube ich, des Menfchen höherer. Geiſt fo ſtark
bervor, als daraus, daß er fogar ‚den Betrug aubfindig zu
maden weiß, den ihm gleichfam die Natur Igielen wir. WS
.. S*
84
bleibt die Frage übrig: wer bat Recht, ber, welcher glaubt, er
werde betrogen, oder ber es nicht glaubt? Unſtreitig bat ber
Recht, ber glaubt, er werde nicht betrogen. Aber das glauben
auch beide Parteien nicht, baß fie betrogen werden. &obalb
ich e8 weiß, fo ift es kein Betrug .mehr. - Die Erfindung der
Sprade ift vor der Philofophie hergegangen, und das iſt es,
was die Philofophie erfhwert, zumal wenn man fie Anbern
verftändlihd maden will, bie nicht viel felbft denken. Die
Philofophie ift, wenn fie ſpricht, immer gemärhiet ‚ bie Spradhe
der Unphilofophie zu reden.
Es ift gewiß fehr fehwer, zu fagen, wie wir zu bem Begriff
außer uns gelangen, ba wir boch eigentlich bloß in uns
empfinden. Etwas außer fi) empfinden, ift ein Widerſpruch;
wir empfinden nur in uns; bad, was wir empfinden, ift bloß
Mobdification unfer felbft, alfo in uns. Weil biefe Beränbe-
rungen nidt von uns abhängen, fo fihieben wir fie andern
Dingen zu, bie außer uns find, und fagen, es gibt Dinge
außer und. Man follte fagen praeter nos, aber bem preeter
fubftituiren wir die Präpofition extra, bie etwas ganz Anderes
ift; das ift, wir denken uns biefe Dinge im Raume außerhalb
unfer; das ift offenbar nicht Empfindung,. fondern «8 fcheint
etwas zu fein, was mit ber Natur unferes ſinnlichen Erfenntnißs
bermögens innigft verwebt ift; es ift bie Form, unter ber uns
jene Vorftelung bed praeter nos gegeben ift — sorm der Sinn⸗
lichkeit.
85
Philoſophie ift immer Scheibefunft, man mag die Sache wen:
den, wie man will. Der Bauer gebraucht alle Säge ber abftrarteften
Philofophie, nur eingewidelt, verftedt, : gebunden, wie ber Phy⸗
fiter und Chemiker fagt; der Philoſoph gibt uns die reinen Sätze.
Man muß in der Welt und im Reiche ber Wahrheit frei
unterfuchen, es koſte was es wolle, ‚und fih "nicht barum be⸗
fümmern, ob ber Sak in eine Familie gehört, worunter einige
Glieder gefährlich werben können. Die Kraft, bie dazu gehört,
fann fonft wo nützen.
Vielleicht könnte man fi die Sache fo vorftellen: Wir be-
figen ein Bermögen, Eindrüde zu empfangen, das ift unfere
Sinnlichkeit. Durch biefe werden wir uns ber Veränderungen
bewußt, bie in und vorgeben; bie Urfachen dieſer Veränderun⸗
gen nennen wir Gegenftände. Diefe Gegenftände find wir. felbft
nicht allein. Wir bemerken Veränderungen, Eindrüde in un,
wovon wir auch ben Grund in uns felbft fuchen, weil wir uns
bewußt find, daß fie von uns abhängen, ober in uns find, So
find wir uns des jebesmaligen Buftandes unferer Seele bewußt.
Diefed Vermögen ift der. innere Sinn Wo id alfo fage,
das geht in mir vor, fo erfahre ich biefes durch ben innern
Sinn. ‚Gefühl der Aufmerkfamkeit,. Spontaneität. Hier find
wir felbft Gegenſtand und Beobachter, Object und Subject.
Allein nun.gibt es auch Eindrüde, wovon wir mit nicht
zu überwältigender Überzeugung empfinden, daß. wir Sy ww
86
pfangendes Subject, aber nichts weniger ald Object find. Biel
leicht wäre e8 genug, bier zu fagen, jene Gegenflände wären
praeter nos, etwas von und Berſchiebenes — das, follte man
denken, wäre das Ginzige, was wir empfinden könnten. . Daß
fih aber dieſes praeter nos in ein extra nos verwandelt, baß
wir damit Entfernung von uns im Raume verbinden, unb
damit verbinden müffen,, das fcheint das nothwendige Erforder⸗
niß unferer Natur zu fein. Da biefe VBorftelung Nothwendig⸗
feit mit fih führt, fo kann fie nicht von der Erfahrung herrüh⸗
ren, benn Fein Erfahrungsfak implicirt Nothwenbigfeit. Ja,
wir müſſen uns fogar den Raum unendlich denken. Wie fün-
en wir fo etwas erfahren? Das ift unmöglid. Ich glaube
aljo, daß, wenn irgend ein Satz von aller Erfahrung unabe
bängig ift, fo ift e8 der von ber Ausbehnung der Körper.
Hier entfteht denn aber doch bie Frage (und ich kann nicht
fagen, ob man barauf geantwortet bat): wenn den Körpern
objective Realität verftattet wird, und ihnen Eigenſchaften zu⸗
fommen, fo wäre body unter unzähligen Fällen auch der mög:
ih, daß fie diejenigen hätten, bie wir ihnen unferer Ratur
nach beilegen müſſen, nicht weil fie fie haben, fondern weil
unter den unzähligen möglichen Formen ber Anfhauung body
auch biefe Übereinflimmung möglich wäre. Diefes wäre auch
eine harmonia praestabilita. Allein bier ift wieder eine Frage,
ob eine foldhe Frage zu thun verftattet iſt? ob ein Object das
fein fann, was e8 einem Andern zu fein fcheint? Diefe ganze
Frage ift Schon wieder Anthropomorphismus. Denn wie eme
87
pfindende und denkende Wefen von Objecten außer ihnen afflcirt
werben können, wiſſen wir ja nicht, und können es nicht
wiffen. In biefer Lage der Dinge ift es das Klügfte, was wir
thun können, bei uns fteben zu bleiben, unfere Mobificationen
zu betrachten, und uns um bie Befchaffenheit ber Dinge an fich
gar nicht zu bekümmern. —
So wie es nun mit dem Raume für die fo genannten
äußern Gegenſtände ift, fo ift es mit ber Zeit für die Gegen-
ftände des innern Sinned. Veränderungen in uns felbft ſchauen
wir an unter der Form von Dauer, Folge, Sleichzeitigkeit u. f. w.
Was das Studium einer tiefen Philofophie fo fehr erfchwert,
it, daß man im gemeinen Leben eine Menge von Dingen für
fo natürlich und leicht hält, daß man glaubt, e8 wäre gar nicht
möglih, daß es anders fein könnte; und doch muß man wiffen,
daß man folcher vermeintlichen Kleinigkeiten größte Wichtigkeit
erft einfehen muß, um das eigentlich fo genannte Schwere zu
erflären. - Wenn ich fage: diefer Stein ift hart — alfo
erft den Begriff Stein, ber mehreren Dingen zufommt, diefem
Individuo beilege; alsdann von Härte rede, und nun gar das
Hartfein mit dem Stein verbinde — fo ift dieſes ein folches
Wunder von Operation, daß e8 eine Frage ift, ob bei Berfertigung
manches Buches fo viel angewandt wird. „Aber find das nicht Sub⸗
tilitäten? braucht mar das zu wiffen ?“ — Was das Erfte anbetrifft,
fo find es feine Subtilitäten, denn gerade an biefen fimpeln Fällen
müffen wir die Operationen bes Berftandes Pennen lernen. Wollen,
88
wir biefes erft bei dem Zufammengefegten thun, fo ifl alle Mübe
vergebens. Diefe leichten Dinge ſchwer zu finden, verräth Beine
geringen Zortfchritte in ber Philofophie. — Was aber das An⸗
dere anbetrifft, fo antworte ih: Nein! man braudt es nicht
zu wiffen; aber man braucht auch kein Philofoph zu fein.
Für das Künftige forgen, muß für Gefchöpfe, bie das Künfs
tige nicht kennen, fonbderbare Einſchränkungen leiden. Sich auf
mehrere Fälle zugleich ſchicken, wovon oft eine Art bie andere
zum Theil aufheben muß, ann von einer vernünftigen Gleiche
gültigkeit gegen das Künftige wenig unterfchieden fein.
Die mwenigften Menjchen haben wohl recht über ben Werth
bes Nichtfeins gehörig nachgedacht. Unter Nichtfein nad) bem
Tode ftelle ich mir ben Zuſtand vor, in bem ich mich befand,
ehe ich geboren warb. Es ift eigentlich nicht Apathie, denn bie
kann noch gefühlt werden, fondern es ift gar nichts. Gerathe
ih in biefen Zuftand — mwiewohl bier die Wörter ich und Zu⸗
ftand gar nicht mehr paſſen; es ift, glaube ich, etwas, das
dem ewigen Leben völlig das Gleichgewicht hält. Sein und
Nichtſein flehen einander, wenn von empfindenden Wefen bie
Rede ift, micht entgegen, fondern Nichtſein und höchſte
Glückſeligkeit. Ich glaube, man befindet fidh gleich wohl,
‚ In welchem von beiden Zuftänden man ift. Sein und abwar
: ten, feiner Vernunft gemäß handeln, ift unfere Pflicht, da wir
\da6 Ganze nicht überfehen. A
Zt . Su F gr ———
» \
[u
89
Die Herren, bie gegen Kants Vorftellung von Raum und
Beit disputiren, kann ‚man billig fragen, was fie denn eigentlich
unter ihrer wahren Kenntniß der Gegenftände verfteben, und ob
überhaupt eine ſolche Kenntniß möglich if. Alles, was ich em:
pfinde, ift mir ja nur durch mich felbft gegeben, und jede Ein:
wirfung eines Dings außer mir ift ja Wahrheit; was wollen
iwir als Menfchen weiter? Es if ein Rabicalirrthum aller
derer, bie gegen biefe Kantifchen Vorflelungen disputiren, daß
fie diefelben für Idealismus, oder gar für einen Betrug bes Urs
heber8 der Natur halten, wenn es fo wäre. Mein da alle
Dinge in der Natur Beziehung auf einander haben, was kann
reeller und wahrer fein, als diefe Beziehungen? Wenn ich fage:
bie Körper nehmen einen Raum ein, fo fage ich etwas fehr
Reelles, weil id von einer Beziehung auf mich rede. Aber be:
baupten zu wollen, bie Körper objective nehmen einen Raum
ein, ift gerade fo unfinnig, als ihnen eine Farbe, ober gar eine
Sprache zuzufchreiben. — Wenn au aus allem diefem nichts
erhellet, fo erhellet doch wenigftens fo viel baraus, baß es
ein ganz vergebliches Bemühen ift, Hrn. Kant wiberlegen zu
wollen. !
- Was fehr feltfam ift, bleibt felten lange unerklärt. Das
Unerflärliche ift gewöhnlich nicht mehr feltfam, und ift es viel«
leicht nie gewefen.
Verſtand faßt Theorie fehr gut; Judicium enticheitet Gh
J
/
rn nern" u
90
bie Anwendung. Daran fehlt es fehr vielen Menfchen, und
öfters den größten Gelehrten und Theoretitern am meijten.
Schon vor vielen Jahren habe ich gedacht, daß unfere Welt
das Werk eined untergeordneten Weſens fein könne, und nod
Fann ich von dem Gedanken nicht zurüdtommen. Es iſt eine
Thorheit zu glauben, ed wäre Feine Welt möglich, worin Peine
Krankheit, Fein Schmerz und Fein Tod wäre. Denkt man fidh
ja doh ben Simmel fo. Bon SPrüfungszeit, von allmäliger
Ausbildung zu reden, beißt fehr menfchlich von Gott denken unb
ift bloßes Geſchwätz. Warum follte e8 nicht Stufen von Gei⸗
fiern bis zu Bott hinauf geben, und unfere Welt das Werk von
einem fein können, der bie Sache noch nicht recht verfiand, ein
Verſuch? ih meine unfer Sonnenfoftem, ober unfer ganzer Ne⸗
beiftern, der mit ber Milchftraße aufhört. WBielleicht find bie
Nebelfterne, die Herſchel geſehen bat, nichts als eingelieferte
Probeftüde, oder ſolche, an denen noch gearbeitet wird. Wenn
ih Krieg, Hunger, Armuth und Peftilenz betrachte, fo kann ich
unmöglich glauben, baß Alles das Werk eines höchſt weifen We⸗
ſens fei; oder e8 muß einen von ihm unabhängigen Stoff ges
funden haben, von welchem e8 einigermaßen befihränft wurde;
\ fo daß diefes nur refpective die beite Welt wäre, wie auch ſchon
\päufig gelehrt worden ift.
\
Wenn man bie Natur als Lehrerin, und die armen Men:
fhen als Zuhörer betrachtet, fo ift man geneigt, einer ganz fon«
91
berbaren Idee vom menfchlihen Gefchlechte Raum zu geben.
- Wir figen allefammt’ in einem Gollegio, haben bie Principien,
die nöthig ſind, es zu verftehen und zu faffen, borchen aber im⸗
mer mehr auf die Plaudereien unferer Mitfchüler, als auf den
Bottrag ‚der Lehrerin. Oder wenn ja einer neben uns etwas
nachfchreist, fo fpiden wir von ihm, flehlen, was er felbft
vielleicht undeutlich hörte, und vermehren es mit unfern eigenen
ortbographifhen und Meinungsfehlern.
Es gibt für jeden Grad des Wiffens gangbatSätze, von
denen man nicht merkt, daß fie über dem Unbegreiflichen, ohne
weitere Unterftügung , auf bloßem Glauben fchweben. Man bat
fie, ohne zu wiffen, woher die Sicherheit kommt, mit ber man
ihnen traut. Der Philofoph bat dergleichen fo gut, wie ber
Mann, der ba glaubt, das Wafjer. fließe deßwegen immer bergab,
weil e8 unmöglidy wäre, daß es bergauf fließen könne.
Mit den Prärogativen der Schönheit und ber Glüdfe
Iigteit bat «8 eine ganz verfchiedene Bewandtniß. Um: bie
Vortheile der Schönheit in der Welt zu genießen, müffen an:
dere Leute glauben, daß man ſchön ſei; bei der Glüdfeligkeit
aber ift das gar nicht nöthig; es iſt vollkommen hinreichend
daß man es felbft glaubt.
Sollte e8 nicht eine fallacia caussae fein, ober wenigſtens
viel davon mit unterlaufen, wenn man von dem Mutzen her
92
hriftlichen Religion mit fo vielem Enthuſiasmus fpriht? Sol:
ten es nicht die guten Menfchen fein, bie bie Religion vers
ehren; anftatt daß die Religion die guten Menfchen macht?
Sie werden Anhänger und Bertheibiger der Religion, weil fie
ihre Orundfäge predigt. So viel iſt wohl gewiß, _baf
nicht leicht ein ſchlechter Menſch w viel um Religion befüms
Wien wird, m
Tr " .
Ich babe Heydenreichs Briefe über ben Atheismus
gelefen , undach muß befennen, daß mir, feiner Abſicht zumiber,
die Briefe bes Atheiften fehr viel grünblicher gefchrieben zu fein
fheinen, als die bed Gläubigen. Ich kann mid von einigen
Behauptungen bed lehtern fchlechterbings nicht Überzeugen, und
doch bin ich mit Anflrengungen ber Bernunft nicht fo ganz uns
befannt, und an gutem Willen fehlt es mir auch nit. Es
wird zu viel auf die Ausbreitung des moralifhen Bewußtfeins
gerechnet, und ich möchte faft fagen, fi) hinter biefen Sag
verftedt, um einem glauben zu machen, man fei moralijch trank,
wenn man die Behauptung nicht verfieht. Hätten vie Erfinder
biefer wohlgemeinten Säge anerkannte Infallibilität, fo könnte
man fi gewöhnen, ihre Säge wahr zu finden, und fie könn⸗
ten von ihrer Seite fprechen: bein Glaube hat dir geholfen. —
Aber was ift für den Menfchen ein folher Beweis für bie
Eriftenz Gottes und ber Unfterblichkeit, den zu verftehen, ober
eigentlih zu fühlen, unter Taufenden kaum Einer fähig ift?
Soll der Glaube an Gott und Unfterblichkeit wirflih in einer
93
Welt wie biefe nügen, fo muß er wohlfeiler werden, ober er ift
fo viel wie gar feiner.
Eine ber feltfamfien Wortverbindungen , beren die menſch⸗
fihe Sprade fähig ift, iſt wohl bie: Wenn man nicht gebo-
sen wirb, fo ift man von allen Leiden frei.
- Eine der fonberbarften Anmenbungen, bie ber Menſch von
der Bernunft gemacht bat, ift wohl bie, e8 für ein Meifterftüd
zu balten, fie nicht zu gebrauden, und fo mit. Füügeln geboren
fie abzufchneiden, Die Vertheidigung bes Mönchsweſens grün
det fich gewöhnlich. auf ganz eigene Begriffe von Tugend, denen
nicht unähnlich, bie einer von ben Wiffenfchaften haben müßte,
um bie Tollhäufer für Akademieen berfelben zu erklären.
Es wäre möglid, daß manche Lehren ber Kantifchen: Phi⸗
lofophie von Niemand ganz verftanden würden, unb jeber
glaubte, der Andere verftänbe fie beſſer als er, unb. fidh baber
mit einer unbdeutlichen Einfiht begnügte, oder gar mitunter
meinte, es fei feine eigene Unfähigkeit, bie ihn verhinderte, fo .
beutlich zu fehen, als Anbere.
Alles was wir als Menſchen für reell erkennen müffen,
ift e8 auch wirklich für Menſchen. Denn ſobald es nicht mehr
verftattet ift, aus jenem Naturzwange auf Wirklichkeit zu
fließen, fo iſt an ein feftes Principium gar nicht wer m m
96
Nach einiger Zeit bemerkte ich mit großer Deutlichkeit, daß ich
es gar nicht‘ gewahr geworben war, baß fich die Sprache, in
der ich las, verändert hatte. Es war mir, als hätte ich immer
Sranzöffh, oder immer Gnglifch gelefen. Ich bin überzeugt,
wäre ich während biefer ungetheilten Aufmerkſamkeit auf biefen
Gegenftand genöthigt geweſen, ein beutfhes Buch nachzuſchla⸗
‚gen, fo würde ich auch bier dem Übergang nicht bemerkt haben,
denn biefe Sprachen find mir, was das bloße Berftehen, zumal
in einer phyfitalifchen Materie, wie biefe war, angeht, ungefähr
gleich geläufig. Man kann bieß wohl, ohne den Borwurf von
Ruhmredigkeit zu befürchten, von filh fagen, ba es gewiß in
Deutfhland Unzählige geben mag, bie fi) in demſelben Falle
befinden. Und weßwegen führe ich diefes bier an? Um folgen»
ber Betrachtung willen: Iſt e8 gut und vortheilhaft für unfern
Geift fih fo zu gewöhnen? ich kann es unmöglich glauben.
Ich ziele hierbei nicht auf ben Beitverluft, denn ber ift offenbar
fehr groß, .fondern ich glaube, baß es auch fonft in pſychologi⸗
fher Rückficht ſchädlich ift, fo vielerlei Zeichen für diefelbe Sache
im Kopfe zu ‚haben. Es könnte ba viel beffer eine neue Qua⸗
lität ſtehen, wo jegt ein neues Zeichen für eine alte flieht. So
wie ih aus dem englifhen Werke zu dem franzöfifhen über-
ging, mußte gleih ein ganz anderes Regifter gezogen werben,
und doch merfte id das nit. Ich mwünfchte diefes unterſucht
zu leſen.
Es ift wohl gewiß, daß man über eine Sache fehr richtig
97
und weije urtbeilen kann, und dennoch, wenn man genötbigt
wird, feine Gründe anzugeben, nur ſolche anzugeben im Stande
ift, die jeder Anfänger in ber Art Fechtkunſt wiberlegen ann.
Letzteres Fünnen oft die weifeften und beſten Menſchen fo wenig,
als fie die Muskeln Eennen, womit fie greifen ober Klavier fpielen.
Diefes ift fehr wahr und verdient weiter ausgeführt zu werben.
Eine ber größten Stügen für die Kantifhe Philofophie ift
die gewiß wahre Betradhtung, daß wir ja auch fo gut etwas
find, als die Gegenftände außer und. Wenn alfo etwas auf
und wirft, fo hängt die Wirkung nicht allein von dem wirfen-
ben Dinge, fonbern aud von dem ab, auf welches gewirkt
wird. Beide find, wie bei dem Stoß, thätig und leidenb zu-
glei ; denn es ift unmöglich, daß ein Weſen die Einwirkungen
eines andern empfangen kann, ohne daß die Hauptwirfung ge
mifcht erfheine. Ich follte denken, eine bloße tabula rasa ift
in dem Sinne unmöglih, denn durch jede Einwirkung. wird
das einwirkende Ding mobificirt, und bes, was ihm abgeht,
gebt bem andern zu, unb umgekehrt.
Mit dem Nutritionsgefchäfte der Seele ſieht es ſehr betrübt
aus: da gibt es Öffnungen genug, Nahrung einzunehmen ‚ aber
ed fehlt an Gefäßen, das Gute abzufonbern , und hauptſächlich
an primis viis, den unnützen Vorrath dem großen Ganzen der
Bücherwelt wieder ‚auguführen, und in ben, Kreislauf su bringen.
J. . . ' ' 0
98
Mie Vieles ift in uns nur durch eine beftändige Gewohn:
beit von Kindheit an entflanden! Was für Ausfihten würden
wir befommen, wenn wir unfer Kapital von Wahrheiten ein-
mal von demjenigen entblößen fünnten, was ihnen nicht fowohl
wefentlich ift, als vielmehr aus ber Öftern Wiederholung zus
wächſt.
Die gemeinſten Meinungen und was jedermann für ausge:
macht hält, verdient oft am meiften unterfucht zu werben.
Der Bauer, der glaubt, ber Mond fei nicht größer als ein
Pflugrad, denkt niemals daran, daß in einer Entfernung von
einiger Meilen eine ganze Kirche uns als ein weißer Punkt er«
fheint, und daß der Mond hingegen immer gleich groß bleibt.
Was hemmt bei ihm dieſe Verbindung ber Ideen, die er doch
einzeln alle hat? Er verbindet in feinem gemeinen Leben auch
wirklich Ideen, vielfeiht durch künſtlichere Bande, als wir.
Diefe Betrachtung föflte den Philofophen doch aufmerffam mas
hen, der vielleicht noch immer der Bauer bei gewiffen Berbin-
dungen ift. Wir denken früh genug, aber wir wiffen nicht, daB
wir denken, fo wenig als wir wiffen, daß mir wacfen ober
verbauen. Viele Menfchen unter den gemeinen erfahren e8 fogar
niemals. ine genaue Betrachtung der äußern Dinge führt
leicht auf den betrachtenden Punkt, uns felbft, zurüd, und um:
gekehrt, wer fich felbft einmal erft recht gewahr wirb, geräth
leicht auf die Betrachtung der Dinge um ihn. Sei aufmerkfam,
99
empfinde nichts umfonft, meſſe und vergleihde — das ift das
ganze Gefep ber Philofophie.
Wir werden uns gewiſſer Vorftellungen bewußt, bie nicht
von uns abhängen; Undere glauben, wir mwenigftens hingen von
und ab; wo ift bie Grenze? Wir kennen nur allein bie Eriftenz
unferer Empfindungen, Borftelungen und Gedanken. Gs denkt,
folte man fagen, fo wie man fagt: es blitzt. Zu fagen co-
gito , ift ſchon zu viel, fo bald man ed durch Ich denke über-
feßt. Das Ich anzunehmen, zu poftuliren, ift praktiſches Be⸗
bürfniß.
Mit eben bem Grabe von Gewißheit, mit dem. wir übers
zeugt find, daß etwas in uns vorgeht, find wir auch überzeugt;
daß etwas außer uns vorgeht. Wir verftehen die Worte in—⸗
nerhalb und außerhalb fehr wohl. Es wird: wohl Nie
mand in ber Welt fein, auch wohl fchwerlich je geboren werben,
der nicht diefen Unterfchieb empfände Fund das. if für die
Philoſophie hinreichend; hierüber folkte fie nicht hinausgehen ; es
tft doch Alles unnütze Mühe und verforne Zeit. Denn was auch
bie Dinge fein mögen, fo ift doch wohl ausgemacht, daß wir
fchlechterdings nichts von ihnen wiffen, als was in unferer Bor:
ſtellung liegt. In biefer Rückſicht, die, wie ich glaube, richtig
ift, iſt doch wahrlich ‚die Trage, ob ‚die Dinge wirklich außer
uns vorhanden, und fo vorhanden find, wie wir fie. fehen, völ⸗
lig ohne Sinn, Iſt e8 nicht fonderbar, daß der Areals suis
1»
100
etwas zweimal haben will, wo er an einem genug hätte und
nothwendig genug haben muß, weil es von unfern Borftelluns
gen zu ben Urfachen Feine Brüde gibt. Wir können uns nidt
denken, daß etwas ohne Urfache fein könne; aber wo liegt denn
diefe Nothwendigkeit? Wiederum in uns, bei völliger Unmög-
lichkeit, aus und heraus zu gehen. — Es Liegt mir wahrlich
wenig daran, ob man biefes Idealismus nennen will; auf ben
Namen kommt nidts an. Es ift wenigftend ein Idealismus,
der burch Idealismus anerkennt,’ daß e8.Dinge außer ihm gebe,
und daß Alles feine Urfache habe. Was will man weiter? Es
gibt ja Feine andere Wiffenfhaft für den Menfchen, wenigftens
für den philofophifchen. Im gemeinen Leben beruhigt man fid
mit Recht auf einer niebrigern Station; aber ich glaube nad
völliger Überzeugung: man muß entweder von biefen Gegen»
ftänden mit aller Philofophie völlig wegbleiben, ober fo philo:
fophiren. Nach bdiefer Vorſtellung fieht man leicht, wie recht
Hr. Kant bat, Raum und Zeit für bloße Formen ber Ans
ſchauung zu halten. Es ift nicht anders möglich.
Sollte nicht manches von dem, was Hr. Kant lehrt, zu-
mal in Rüdfiht auf das Sittengeſetz, Folge bed Alters fein,
wo Seidenfchaften und Meinungen ihre Kraft verloren haben,
und Vernunft allein übrig bleibt? — Wenn das menfdliche
Geflecht in feiner vollen Kraft, etwa mit dem 40ften Jahre,
ftürbe, was für Folgen würde dieſes auf die Welt haben! Aus
ber Berbindung der ruhigen Weisheit des Alters entfieht viel
101
Sonderbares. Ob es nicht noch einmal einen Staat geben wird,
wo man alle Menſchen im Adften Jahre fchlachtet ?
Hrn. Kant gebührt gewiß das nicht geringe Verdienſt, in
ber Phyſiologie unſers Gemüths aufgeräumt zu haben. Aber
diefe nähere Kenntniß ber Musfeln und Nerven wird uns weder
beffere Klavierfpieler, noch beffere Tänzer geben. Mir fommt
e8 auch zuweilen vor, als wenn er fi) durch den Beifall, ben
feine Kritif ber reinen Vernunft erhalten bat, nachher zu meit
bätte führen lafjen.
Was heißt mit Kantifhem Geift denfen? Ich glaube,
es beißt, bie Verhältniffe unfers Wefens, es fei nun was es
wolle, gegen bie Dinge, bie wir außer und nennen, ausfin⸗
dig maden; das beißt, ‘die Verhältniffe des Subjectiven gegen
das Objective beflimmen. Dieſes ift freilid immer ber Imed
aller gründlichen Naturforfcher gewefen, allein bie Frage ift, ob
fie e8 je fo wahrhaft philofophifce angefangen haben, als Hr.
Kant. Man hat das, was doch ſchon fubjectiv ift und fein
muß, für objectiv gehalten.
Sollte e8 denn fo ganz ausgemadt fein, daß unfere Ver:
nunft von bem Überfinnlichen gar nichts wiffen könne? Sollte
nicht ber Menjch feine Ideen von Gott eben fo zweckmäßig
weben können, wie die Spinne ihr Neg zum Fliegenfang?
Oder mit andern Worten: follte eö'nicht Wefen geben, die uns
102
wegen unferer Ideen von Gott und Unfterblichkeit eben fo bes
wundern, wie wife die Epinne und den Eeidenwurm?
Iſt denn wohl unfer Begriff von Gott etwas Anderes als
yerfonificirte Unbegreiflichkeit ?
Alles beim Menfchen auf einfadhe Principien zurüdbringen
mollen, beißt doch am Ende, dünft mich, vorausfegen, daß es
ein folches Principium geben müffe, und mie beweift man das?
Hr. Fichte feheint nicht zu bedenken, baß es Leute gibt,
tieunmöglidy ohne Hohlglas fehen, ohne Hörrohr hören und ohne
Krüde gehen können. Er follte auch nur noch lehren, rohes Fleiſch
zu efien, weil bie Thiere bes Feldes eine Garküche haben.
Es ift ein Satz, über welchen ich mich fogar zuweilen mit
meinem Sohn unterhalte, daß, vorzüglich bei dem mathemati«
fihen Genie, bie frühe Reife ber langen Dauer nicht nachtheilig
it. Die Sade ift auch, wie mich dünkt, nicht ſchwer einzufes
ben. Wenn Verftändlichfeit, und zwar unwiderſprechliche, für
den Geift ift, was bei dem Magen Verbaulichkeit heißt, fo ift
c8 auch Fein Wunder, zumal wo jene Nahrung gar feine Ems
pirie vorausſetzt. Ich glaube, der Menfh würde ewig leben,
wenn auch ber Leib das zu allen Zeiten mit efjen Fönnte *).
*) Diefes ſchrieb der Verfaffer wenige Tage vor feinem Tobe
an Käftnern.
103
Der Naturlehre ift, für mid wenigftens, eine Art von
sinking fond (Xilgungsfond) für die Religion, wenn die vor:
mwigige Vernunft Schulden mad.
Nachtrag
zu den Bemerkungen vermifchten Inhalts.
Was man feine Menfchenkenntniß nennt, ift meiftens nichts
als Reflerion, Zurüdftrahlung eigener Schwachheiten von Anderen.
Ih entfchuldige immer das Theorifiren, es ift ein Trieb
der Seele, der nügen kann, fobald wir einmal hinreichende Er⸗
fahrung haben. So fünnten alle unfere jekigen theorifirenden
TIhorheiten Triebe fein, bie erft fünftig ihre Anwendung finden.
Die vernünftigen SFreigeifter find Teichte fliegende Corps,
immer voraus und die die Gegenden recognofriren, mohin das
gravitätifche gefchloffene Sorpe der Orthodoxen am Ende doch
auch Fommt.
‚Vorfiellungen find auch ein Leben und eine Welt.
-
104
Zweifel muß nichts weiter fein ald Wachſamkeit, fonft kann
er gefährlich werben.
Saden, die man mit dem Cirkel getheilt hat, unterwirft
man doh auch noch dem Augenmaaß, um zu fehben, ob man
nicht grobe Fehler begangen. So muß man das Refultat feiner
Schlüffe der Probe des gefunden Menfchenverftandes ausfegen,
um zu fehen, ob Alles richtig zufammenhängt.
So wie das höchſte Recht das höchſte Unrecht ift, fo ift
auch umgekehrt nicht felten das höchſte Unrecht das höchfte Recht.
In allen Wiffenfhaften kann ed nügfich fein, Fälle zu ſup⸗
poniren, die nicht, fo viel wir wiffen, in ber Natur flattfinden,
fo wie die Mathematiker andere Gefeße ber Schwere. Es ift
immer eine Übung und kann zuweilen auf Bemerkungen führen.
Ich wollte, daß ich mich Alles entmöhnen Pünnte, daß ich
von neuem fehen, von neuem hören, von neuem fühlen Fünnte.
Die Gewohnheit verdirbt unfere Philofophie.
Man Fannn auf fo vielerlei Weife Gutes thun, als man füns
digen kann, nemlich mit Oedanfen, Worten und Werfen.
Wo damals die Grenzen der Wiffenfchaft waren, ba ift jebt
(* Mitte.
105
Die gefährlichften Unmwahrheiten find Wahrheiten mäßig
enteit,
Wenn uns ein Engel einmal aus feiner Philofophie erzählte,
ich glaube, e8 müßten wohl mandye Säge fo Füngen wie 2 mal
2 ift 13.
Die Natur hat den Thieren Einfiht genug gegeben, für ihre
Erhaltung zu forgen. Sie wiſſen fi) alle fehr gut zu helfen,
wenn ed auf diefen wichtigen Artifel anfommt. Den Menfchen
bat fie fogar, bat fie faft inftinetmäßig gegen die Furcht vor or /p)
dem Tode gewaffnet durch Glauben an Unfterblichkeit..
Wir find fo eingerichtet, daß wir wohl felten gültige Rich⸗
ter bdeffen fein werden, was uns nüßlich ift. In diefem Leben ift
diefes der Fall, wer will uns gut bafür fein, daß e8 in Rück⸗
fiht auf Fünftiges Leben nicht eben fo iſt? Wen Gott lieb hat,
den züchtigt er. Wie wenn es nun hieße: wen Gott lieb hat,
ben vernichtet er ?
Die Dinge außer uns find nichts Anderes, als wir fie ſehen,
für uns wenigftens nicht, denn wir können bloß Relationen bes
merfen, weil bie beobadhtende Subſtanz ja beſtändig in das
Mittel tritt. Gott ſelbſt ſieht in den Dingen nur ſich.
über den 1 Betibei, welchen bie Lefung- Schlechter Büder a
106
währt: Lönnte zu jegigen Zeiten eine fehr nützliche Lertüre wer:
den. Dan Pönnte aus ihnen audy Denkmäler in papier mache
maden. Ob überhaupt nicht das siehe | in der Welt nügli«
her iſt als das Gute?
Darin, daß man große Krieger bewundert, liegt etwas Na:
türliches, fo wie in ber Eroberungsſucht. Das Erfte correfponbirt
mit Schönheit und Leibeöftärke, das Andere mit Wohlſtand. GE
wirb daher auch nie aus ber Welt binausphilofophirt werben können.
Durch das planlofe Umberftreifen, durch bie planlofen Streif-
züge der Phantafie wird nicht felten das Wild aufgejagt, das
bie planvolle Philoſophie in ihrer wohlgeordneten Haushaltung
gebrauchen kann.
Es iſt ſonderbar, daß nur außerordentliche Menſchen die
Entdeckungen machen, die nachher fo leicht und ſũnpel ſcheinen.
Dieſes ſetzt voraus, daß, bie ſimpelſten aber wahren Berhält-
niffe der Dinge zu bemerken, fehr tiefe Kenntniffe nöthig find.
Aufklärung in allen Ständen befteht eigentlich in richtigen
Begriffen von unfern wefentlihen Bebürfniffen.
Eine Wirkung völlig zu hindern, dazu gehört eine Kraft,
bie der Urfache von jener gleich ift, aber ihr eine andere Rich:
tung zu geben, bebarf es öfters nur einer Kleinigkeit.
107
Wir nehmen Dinge wahr vernöge unferer Sinnlichkeit.
Aber was wir wahrnehmen, find nicht die Dinge ſelbſt. Das
Auge Schafft das Licht und das Ohr die Töne. Sie find außer
uns nichts. Wir leihen ihnen biefes.. Eben fo iſt es mit bem
Raum und der Zeit. Auch wenn wir bie Eriftenz Gottes nicht
fühlten, beweifen fünnen wir fie nicht. Alle diefe Dinge führen
auf eins hinaus. Es ift aber nicht möglid, ſich hiervon ohne
tiefes Denken zu Überzeugen. Man kann Kantifche Philofophie
in gewiffen Jahren, glaube ich, eben fo wenig lernen als dad
Seiltanzen.
Die Gultur der Seelen, wozu auch das Brannteweintrinken
mit gehört, hat viele Spuren ausgelöfcht, dereinft zu finden, was
ber Menfch urfprünglid war und fein follte.
Wir müffen glauben, daß Alles eine Urſache habe, fo wie
die Spinne ihr Netz fpinnt, um Fliegen zu fangen. Sie thut
biefes, ehe fie weiß, daß es liegen in der Welt gibt.
Das eigentlich Chriftlihe in unferer Religion ift die Seele
aller Religion, das Übrige ift Körper. Vom fhönften Grie:
hen bi8 zum Neger ift Alles Menſchen⸗Race.
Es gibt Wahrheiten, die fo ziemlich herausgeputzt einherges
ben, daß man fie für Lügen balten follte, und die nichts deſto
weniger reine Wahrheiten find.
108
In ber Vernunft iſt ber Menſch, in den Leibenfchaften Bott.
Ich glaube, Pope bat fchon fo etwas gefagt.
Iſt es nicht fonderbar, daß der Glaube ſtärker werben kann
als die Bernunft? Und ift es nicht bie Frage, weldes von
beiden mehr Recht auf die Leitung unferer Handlungen hat, ba
fie biefelben glei) ſtark leiten, wo fie zu berrfchen anfangen ?
Mit dem Fortfchreiten der Menfchheit zu größerer Vollkom⸗
menbeit fiebt es traurig aus, wenn man bie Analogie alles
deſſen, was lebt, zu Rathe zieht.
Die neuen Erfindungen in der Philoſophie find faſt lauter
Erfindungen neuer Irrthümer.
Sollte wohl die Vernunft, oder vielleicht beffer der Ver⸗
fland, wenn er auf Endurſachen geräth, beffer daran fein, ale
wenn er auf ein Dictat des Herzens gerät? Es ift ja noch
eine große Frage, wodurch mir am ftärfften mit der uns ums
gebenden Welt verbunden find, von Seiten des Herzens ober
der Vernunft ?
Geftern regnete e8 ben ganzen Tag und heute ſchien bie
Sonne den ganzen Tag. Wie viele Begebenheiten meines Le⸗
bens würben eine andere Richtung genommen haben, wenn es
beute geregnet und geftern die Sonne gefchienen hätte? Der
109
Winter von 1794 auf 1795 war fürchterlich” fireng, ber von
1795 auf 96 fehr gelinde. Was für Weltbegebenheiten würden, -
eine andere Richtung genommen haben, wenn die Ordnung umge
kehrt geweien wäre? Sicherlich hätten: die Franzoſen Holland nicht
erobert. Dergleichen Betrachtungen können Tepe weit füpren.
Daß fo Mancher die Wahrheit ſutht und nicht findet, rührt
wohl daher, daß die Wege zur Wahrheit, wie bie in ben No-
gaifhen Steppen, von einem Orte zum andern eben fo breit
wie lang find. .
Die reine Philofophie pflegt (und faun: e8 nicht vermeiben)
noch immer unvermerft ber Ziebe mit ber — unreinen. Unb
fo wirb e8 gehen bis an das Enbe ber Zeit.
Gine felavifche Handlung ift nicht immer bie Yanblung ei:
nes Sclaven.
Die Vernunft fieht jest über das Neich der bunfeln-nber
warmen Gefühle juft fo hervor wie die. Alpen; Gpikan über
bie Wolken. Sie fehen die Sonne reiner und beutliher, aber
fe im kalt und unfruchtbat Sie brüſtet ſich mit ihrer oe
Was die wahre Sreibeit unb ben wahren Gebrauch —*
ben am deutlichſten charakterifirt, iſt der Mißbrauch derſelben.
112
r ” 2.
Pſychologiſche Bemerkungen.
Bergangener Schmerz ift in ber Erinnerung angenehm, vers
gangened Vergnügen auch, Lünftiged Vergnügen wieder, auch
gegenmwärtiges. Alfo iſts nur ber zukünftige und gegenwärtige
Schmerz, was uns quälet — ein merkliches Übergewicht von
Seiten ded Bergnügens in ber Welt, das noch daburch vermehrt
wird, daß wir uns beftänbig Vergnügen zu verfchaffen fudhen,
deſſen Genug wir in vielen Fällen mit ziemlicher Gemwißheit
vorausfehen können, da hingegen ber noch Fünftige Schmerz
weit feltner vorausgefagt werden kann. ,
Der witzige Kopf und mittelmäßige Denker wirb bei gewiffen
Begebenheiten immer auf gefünftelte Erklärungen verfallen, auf
die Niemand gerathen kann, als er, weil er ohne Plan und
ohne Abficht denkt; hingegen wird der verfländige Mann immer
nahe und fimple Urfachen angeben. Diefes ift nicht zu vergeffen,
wenn ein foldhes Paar (im Roman) aufgeführt werben fol.
Dem erftern find weithergeholte und feiner Meinung nad fub-
tile Erklärungen eben fo natürlich, als feine witigen Gedanken
und epigrammatifcdhen Perioden.
113
„Ss gibt hundert Wibige gegen einen ,- ber Berftand bat’
— ift ein wahrer Sap, womit fi) mancher wislofe Dummkop
beruhigt, ber bedenken follte — wenn das nit zu viel vor
einem Dummkopf gefordert beißt — daß es wieder hundert
Leute, bie weder Wit noch Verſtand haben, gegen einen gebe,
der Witz bat.
Was geht ed dich an, was der Grund jener guten That bei
biefem Manne gewefen fein mag? War audh nicht Neid bie
Quelle derfelben, fo kann es doch bad Vergnügen, beneibet zu
werden, gemwefen fein — alfo, nicht ber eigene Neid, fondern
der Neid Anderer. |
Glaubt ihr etwa, eure Überzeugung babe ihre Stärfe ben
Argumenten zu danken? Ihr irrt fiherlid, fonft müßte Jeder,
der fie hört, überzeugt werden, fo gut als ihr. Boltaire ift
verblendet, fagen die Theologen; und er jagt: ihr feid verblendet.
Da fie aber nicht gerichtlich darthun können, daß fie mehr Ber:
nunft haben, als er, und er mehr Weltfenntnig und Philofophie
befigt, als fie, fo ift noch ein Übergewicht auf feiner Seite.
Man kann fo gut für ald wider einen Sag verblendet fein.
Gründe find meiftentheild nur Ausführungen von Anfprüchen,
wodurch man etwas, das man in jedem Fall doch gethan haben
würbe, zu vertheidigen und ihm einen Anſtrich von Rechtmäßige
feit und Vernunftmäßigkeit zu geben ſucht. Es fcheint, bie
Natur babe eine fo nöthige Sache, als ihr die Überzeugung
l. &
—
114
beim Menfchen war, nicht gern auf Vernunftfhlüffe allein an⸗
gen laffen wollen, indem dieſe leicht betrügfich fein können.
Mer Trieb kommt uns, dem Himmel fei e8 gedankt! oft. [don
über den Hals, wenn wir mit den Beweis ber Riglipkeit i und
Nöthigkeit noch nicht zur Hälfte fertig find.
Wenn jemand etwas fehr gerne thut, fo bat er faft immer
etwas in ber Sache, was die Sade nicht felbft iſt. Diefes ift
eine Bemerkung, bie eine tieffinnigere Unterfuchung durch den
nüglichften Erfolg belohnen würbe.
Wer ſich nicht auf Mienen verfteht, ift immer graufamer
ober gröber, als andere Leute; deßwegen kann man auch gegen
Fleine Thiere eher graufam fein.
Ich fagte bei mir felbfi: das fann ih unmöglich
glauben, und während dem Sagen merkte ich, daß ichs ſchon
zum zweitenmal geglaubt hatte.
Plato ſagt, das poetiſche Genie werde durch die Harmonie
und bie Versart rege gemacht, und dieſes ſetze den Dichter in
den Stand, ohne Überlegung feine Gedichte zu verfertigen. Plato,
thou reason’st well — ein jeder wird biefes bei ſich verfpürt
haben, wenn er mit Feuer DBerfe gemacht hat. Vielleicht könn⸗
ten wir durch ähnliche Kunftgriffe unfere übrigen Fähigkeiten
eben ſo in Bewegung fegen, hauptſächlich aud die Ausübung
115 .
ber Tugend dadurch befördern. Cine große Yertigfeit im Divi⸗
diren, und zwar nad) ber Methobe, die man Über ſich divi
diren nennt, bie ich bei jemand bemerkte, brachte mir —*82
Luft zur Kechenkunſt bei; ich dividirte mehr ber eiförmigen Ger
ftalt der Rechnung wegen, als aus einer andern Abfiht. Ich
babe ein paar junge Mathematifer gekannt (die in ber Folge
ihre Ramen berühmt gemacht haben), die ein Bergnügen darin
fanden, die Worte Caleul und Pues in dem Calcul auszu⸗
fpreden, daß ich nicht zmweifle, daß Pleine Rebenergöglichkeiten,
die fie in dergleichen Vorftelungen fanden, Ihren Zleiß munter
erhalten haben.
Wir finden nur alddann Vergnügen, wo mir Abfidht be
merken; wenigftens ift das ber Fall bei den Gegenftänden bes
Auges und des Obres: ber Flügel eines Schmetterlings gefiel
und anfangs wegen ber regelmäßigen Farben; bald wurden wir
bieß gewohnt, und nun gefällt er und wieber, wern wir feben,
baß er aus Federn befteht. So gefällt uns ber Quarz mehr
als der unförmliche Sandften. Wir müffen daher das Regel:
mäßige und Bmedmäßige in. den Dingen aufſuchen, um uns
Vergnügen zu erwecken.
Was iſt es, das da macht, daß wir uns zuweilen eines
geheimen Kummers ſtandhaft entſchlagen können, indem bie
Vorſtellung, daß wir unter dem Schutz einer höchſt gütigen
Vorſicht ſtehen, uns aufrecht erhält, — und daß wir dennoch in
Q*
116
der nächften halben Stunde biefem nämlichen Kummer beinahe
— Mit mir iſt es wenigſtens ſo, ohne daß ich ſagen
könnte, daß ich bei der zweiten Vorſtellung meinen Kummer
von einer neuen Seite betrachte, andere Relationen einſehe,
und dergleichen — nichts weniger. Fände dieſes Statt, fo
würde ich dieſe Anmerkung nicht einmal niedergeſchrieben haben.
Ich glaube vielmehr, daß die moraliſche Empfindlichkeit im Men⸗
ſchen zu unterſchiedenen Seiten verſchieden iſt, des Morgens
ſtärker als des Abends.
Wenn man ein altes Wort gebraucht, ſo geht es oft in
dem Canal nach dem Verſtande, den das ABCbuch gegraben
bat; eine Metapher hingegen macht ſich einen neuen, und ſchlägt
oft gerade durch.
Was mag wohl bie Urfadhe fein, daß unangenehme Ge
banken uns bes Morgens, wenn wir erwachen, viel lebhafter
plagen, al8 einige Zeit nachher, wenn wir wiſſen, baß Alles
wacht, oder auch wenn man aufgeftanden ift, oder mitten am
Tage, ober bes Abends, wenn man fih zu Bette legt? Sch
babe davon vielfältige Erfahrung gehabt: ich bin des Abends
ganz beruhigt über gewiffe Dinge zu Bett gegangen, über bie
ich gegen 4 Uhr des Morgens wieder fehr befümmert gewefen
bin, To daß ich oft einige Stunden wachte unb mich herum:
warf; um 9 Uhr, ober auch fhon früher war ſchon Gleichgül⸗
tigkeit oder Hoffnung wieder ba.
117
Warum bie Menfchen fo wenig behalten können, was fie
lefen, davon ift der Grund, daß fie fo wenig felbft denken a
Wenn jemand das, was Andere gefagt haben, gut zu wieder
bolen weiß, fo bat er gewiß felbft viel nachgedacht; es fei
denn, daß fein Kopf ein bloßer Schrittzähler wäre, und ber:
gleichen find manche Köpfe, bie des Gebächtniffes wegen Auf:
fehen machen.
Ich empfehle Träume nochmals. Wir leben und empfinden
fo gut im Iraum, als im Wachen, und das Eine madıt fo
gut als das Andere einen Theil unferer Eriftenz aus. Es gehört
unter die Vorzüge des Menfchen, baß er träumt und ed weiß.
Man bat fchwerlich noch den rechten Gebrauch davon gemacht. Der
Traum ift ein Leben, das, mit unferm übrigen zufammengefekt,
das wird, was wir menfchliches Leben nennen. Die Träume
verlieren fih in unfer Wachen allmälig herein, und man fann
nicht fagen, wo das Eine anfängt und bad Andere aufhört.
Es gibt wenig Menfhen, die nicht mande Dinge glauben
ſollten, die fie bei genauerer Überlegung nicht verfiehen würden.
Sie thun es bloß auf das Wort mandher Leute, ober denken,
daß ihnen die Hülfsfenntniffe fehlen, mit deren Erlangung alle
Zweifel würden gehoben werben. &o ift es möglih, daß ein
Satz allgemein geglaubt werden kann, deſſen Wahrheit noch
kein Menſch geprüft hat.
118
Da wir uns im Traume felbft fehen, fommt daher, daß
#*wir uns oft im Spiegel fehen, ohne daran zu denken, daß es
im Spiegel if. Es ift aber im Iraume die Vorſtellung leb⸗
bafter und das Bewußtfein unb Denken geringer.
Mertwürbig war es, baß, als id in ber Naht vom 23.
auf ben 24. October fo viel von Paul Jones träumte, ich
ihn unter zwei verfchiedenen Geftalten fah. Einmal, ba er
ausfahb wie der Schinder von & ..., und einmal, wie ein
großer, ftarfer holländiſcher Schiffer. Diefe Träume haben mir
allerlei Ideen, bie in meiner Seele fchliefen, entwidelt. Die
Unerfchrodenheit hatte ich von dem Schinder geborgt, ber eine
der roheften und verwegenften Phyfiognomieen bat, bie ich Penne.
Es ift ein merkwürdiger Zuftand ber Seele, dba man filh einen
Mann unter zweien oder auch mehreren vorftellt, je nachdem
fih Bilder mit den Eigenfchaften aſſociirt haben.
Es gibt viele Bemerkungen, bie man fidh öfters aus falfcher
Philvfophie befannt zu machen fhämt, fo wie man aud, wenn
man Engliſch ober Franzöſiſch lernt, aus falſcher Scham mande
Töne nit nachſpricht, ob man e8 gleich könnte. Ich lag eine
mal in meiner Jugend bes Abends um 11 Uhr im Bette unb
wachte ganz helle, denn ich hatte mich eben erft niedergelegt.
Auf einmal wandelte mid) eine Angft wegen Feuer an, bie ich
kaum bänbdigen Eonnte, und mich bünfte, ich fühlte eine immer
zunehmende Wärme an den Füßen, mie von einem nahen Feuer.
119
In dem Augenblide fing die Sturmglode an zu ſchlagen, und
es brannte, aber nicht in meiner Stube, fondern in einem ziem= ,
li entfernten Haufe. Diefe Bemerkung babe ich, fo viel ich
mich jest erinnern kann, nie erzählt, weil ich mir nicht bie
Mühe geben wollte, fie durch Verfiherungen gegen das Lächers
liche, da8 fie an ſich zu haben ſcheint, und mich gegen bie phi⸗
Iofophifche Herabfehung mander d ber Gegenmwärtigen au ſchützen.
Es gibt einen zuſtand, der wenigſtens bei mir nicht ſehr
ſelten iſt, da man die Gegenwart und Abweſenheit einer gelieb⸗
ten Perſon gleich wenig ertragen kann; wenigſtens bei ber Ger
genwart nicht das Vergnügen findet, welches man, aus ber Un:
erträglichkeit der Abmeſenheit zu ſchließen, von ihr erwarten
ſollte.
Die determinirteſten Philoſophen find zuweilen abergläubiſch,
und halten etwas auf das Ominöſe.
Sonderbar iſt die allmählige Entwickelung des Künftigen,
welche die Spieler der plötzlichen Enthüllung vorziehen. Bei
Hazardſpielen, wobei umgeſchlagen wird, betrachten ſie die Karte,
die ſie frei anſehen dürften, lieber erſt gegen ein ſchwaches Licht
von hinten. Selbſt Kinder thun dieß.
Jemand geht lange unentſchloſſen in ſeiner Stube auf und
ab; auf einmal findet er eine hölzerne Walze, auf. der er Kupfer⸗
PN 9
120
fliche erhalten hatte, und biefer Prügel gibt feinem Geift Stärfe,
und er entfchließt fih. Vielleicht hielt er es für einen Marfchalle«
ftab, ohne es deutlich zu denken.
Aus der Narrheit der Menfchen in Beblam müßte fi) mehr
ſchließen laſſen, was ber Menfch ift, als man bisher gethan bat.
Wenn uns von einer Gefellfhaft von Leuten träumt, wie
fehr in ihrem Charakter laffen wir fie nicht reden! warum ges
lingt uns das nicht eben fo, wenn wir fehreiben ?
Vieles Leſen macht ſtolz und pebantifch; viel fehen macht
weiſe, verträglich und nützlich. Der Lefer baut eine einzige Idee
zu fehr aus; der Andere (dev Weltfeher) nimmt von allen Stän«
den etwas an, mobdellirt fi nad) allen, fieht, wie wenig man
fih in ber Welt um ben abftracten Gelehrten befümmert, und
wird ein Weltbürger.
In ältern Jahren nichts mehr lernen können, hängt mit
dem in ältern Jahren fi nicht mehr befehlen laſſen wollen zu⸗
fammen, und zwar fehr genau.
Ich hatte Gelegenheit, öfters einen Betteljungen zu ſehen,
der durch Gefichterfchneiden und allerlei Geberden Lahen zu ers -
weden fuchte Diefes war mir fo unerträglid, daß ich das Ge⸗
fiht des Jungen, auch felbft in der Ruhe, anfing abfcheulich zu
121
finden, und ben Knaben im eigentlihen Berftanbe zu haſſen,
weil er fi) gar nicht wollte wehren lafjen. Eines Tages aber,
dba ein fehr fchönes und gutes Kind, ein Mädchen von vier Jah⸗
ren, ſehr herzlich und doch mit einem gewiffen Anftand über bes
Knaben Poffen lachte, machte bieß einen fo angenchmen Ein:
brud auf mich, daß ich nun felbft des Knabens Gefichter erträg-*
lih fand, und zwar nicht bloß aus ber zweiten Hand, wie man
denken follte, fondern wirklich in ſich ſelbſt. Ich lächelte nicht
in meinem eigenen, fonbern in bes Kindes Namen barüber;
Auch babe ich bei andern Gelegenheiten bemerkt, daß man über
gewiffe unfchäbliche Ungezogenheiten fi) erfi ärgern muß, um
fie hernach erträglich zu finden. Ich verftehe mich bier recht gut,
und erfläre die Sache weiter nicht.
Es iſt gar nicht abzufehen, wie weit fi) Anthropomorphis«
mus erfireden kann, das Wort in feinem größten Umfange ge
nommen. Es rächen ſich Leute an einem Todten; Gebeine wer:
den ausgegraben und verunehrt; man bat Mitleiden mit leblofen
Dingen — fo beffagte Jemand eine Hausuhr, wenn fie einmal in
der Kälte ſtehen blieb. Diefes Übertragen unferer Empfindungen
auf Andere berrfeht überall, unter fo mannicdhfaltiger Geftalt,
daß es nicht immer leicht ift, e8 zu unterfcheiden. Wielleicht ift
das ganze Pronomen der andere folden Urfprungs.
Worin mag ber Grund ber fonderbaren Erfcheinung liegen,
die ich fo _oft bemerft habe, daß man mit Jemanden ia Krumr
122
bon einem Dritten fpriht, und wenn man erwadt, findet, baß
ber vermeinte Dritte gerabe ber Mann war, mit bem man aud)
gefprodhen bat? Iſt es vielleicht bloße Form bed Erwachens,
oder worin liegt der Grund?
Da man im Traume ſo oft feine eigenen Einmürfe für bie
eines Anbern hält, z. B. wenn man mit Jemanben bisputirt,
fo wundertd mich nur, baß biefes nicht öfters im Wachen gea
fhieht. Der Zuftand des Wachens fcheint alfo hauptſächlich barin
zu liegen, daß man das in uns und außer uns ſcharf und
conventionsmäßig unterfcheidet.
Warum kann man fi ben Schlaf nicht abgemöhnen? Man
follte denken, ba die wicdhtigften Verrihtungen bed Lebens unun⸗
terbrochen fortgehen, und die Werkzeuge, wodurch fie gefchehen,
nie ruben und fehlafen, wie das Herz, die Eingeweide, bie lym⸗
pbatifchen Gefäße; fo wäre e8 auch nicht nöthig, daB man über:
baupt fchlafe. Alſo Die Werkzeuge, welche die Seele als ſolche
am meiften zu ihren Berrichtungen nöthig hat, werden in ihrer
Thätigkeit unterbroden. Ich möchte wol wiffen, ob der Schlaf
je in dieſer Rüdficht betrachtet worden if. Warum fchläft der
Menſch? Der Schlaf feheint mir mehr ein Ausruben der Ge-
banfenwerkzeuge zu fein. Wenn ein Menſch fi) körperlich gar
nicht angriffe, fondern nur nad feiner größten Gemächlichkeit
feinen Gefchäften folgte, fo miürde er doch am Ende ſchläfrig
werden. Diefes ift wenigftens ein offenbares Zeichen, daß beim
123
Wachen mehr ausgegeben, ald eingenommen wird; und biefer
überfhuß läßt ſich, wie alle Erfahrung lehrt, im Wachen nicht
erfegen. Was ift daB? Was ift der Menfh im Schlaf? Gr
ift eine bloße Pflanze; und aljo muß das Meifterflüd ber Schö⸗
pfung zumeilen eine Pflanze werden, um einige Stunden am
Tage das Meifterfiüd der Schöpfung repräfentiren zu können.
Hat wohl Jemand den Schlaf als einen Buftandb betrachtet, ber
uns mit ben Pflanzen verbindet? Die Gefchichte enthält nur Ere
zählungen von wachenden Menſchen; follten bie von fehlafenden
minder wichtig fein? Der Menſch thut freilich alsdann wenig, aber
gerade da hätte der wachende Pfychologe am meiften zu thun.
Die Nerven fpigen fi) gegen das Ende zu, und machen
dad aus, was wir finnlihe Werkzeuge nennen. Es find bie
Enden, bie nach außen ftehen, und die Eindrücke der Welt em»
fangen. Diefe find vermuthlih ohne unfer Wiffen befchäftigt;
und befiändig wach. 8 gibt alfo bei dem Menfchen, von ber
Spige der Nervenfafern an nach innen zu gerechnet, eine Schicht,
die beftändig in Arbeit ift, und vermuthlich, während fie in
Arbeit ift, ber Seele Begriffe zuzuführen, nicht auch in Arbeit
fein kann, fich felbft zu erhalten und das Verlorne zu erfeßen.
Diefe Theile ruhen alfo in bem Beitraume bed Erſatzes. Wir:
feinen nur zu fühlen, wenn wir wirfen, nicht wenn wir
für die Wirkung fammeln. Was wir dann empfinden, iſt viel
leicht bloß Empfinden bes Wohlbefindens. . E8 wird nicht zu Ge⸗
banken, es ift bloß Gefühl von Stärke, oder. doch Gemächlichkeit.
Unfere ganze Gefchichte ift bloß Gefchichte. des wachenden
124
Menſchen; an bie Gefchichte des ſchlafenden bat noch Niemand
gedacht. Die Gebanfenwerkzeuge feheinen am leichteften zu er«
müben zu fein; es find bie feinften Spiken. Daher denkt ber
Menfh im gefunden Schlaf gar nicht. Ich wiederhole es nod)
einmal: Gebraud und Erfaß feheinen einander in den feinften
Spitzen entgegen zu wirken; wo Grfag der Nerven bereitet wirb,
findet Feine Empfindung Statt. Diejenigen Theile, bie mehr
nad innen liegen, find bloß zur Erhaltung, nicht zum Empfan⸗
gen und zur Gegenwirkung. &o ließe fi) bie Nothwendigkeit
eines Schlafed a priori bemonftriven. eine Xheile, bie durch
gröbere erfegt werben müflen , fönnen ihren Dienft nicht leiften,
während fie in -Ausbefferung begriffen find.
Mit erftaunendem Vergnügen fand ih in Hrn. Lavaters
Ausfihten in die Ewigkeit, Th. J. &. 143 folg., daß er von-
dem Schlaf Ähnliche Empfindungen mit mir bat. Ich babe
Jahre lang vorher, ehe dieſes Buch erfhien, Herrn 2...g bie
Eröffnung gethan; ja als ih noch auf Schulen war, babe ich
meinem Freunde E...n ſchon etwas davon gejagt, aber nie
gehört, daß einer ober der andere von ihnen etwas Ahnliches
empfunden hätte. Meine Betrachtungen in biefem Buftanbe
gehen gemeiniglich auf ben Tod oder die Seele überhaupt, und
auf das, mad Empfindung ift, und endigen fih in einer Be
wunderung ber Einrihtung bed Menfhen. Alles ift mehr Ges
fühl als Reflerion, und unbefchreiblich.
.125 "
Hat wohl Jemand je von Gerüchen geträumt, mozu feine
Beranlafjung äußerlid da war? ich meine 3. B. von Roſen⸗
geruch zu einer Zeit, wo keine Rofen oder Rofenwaffer in ber
Nähe waren. Bon Mufit ift ed gewiß, und vom Licht auch;
aber Empfindungen von Schmerz im Traum haben gemeiniglich
eine äußere Veranlaſſung. Vom Geruch bin ich ungewiß.
Träume führen uns oft auf Umftände und in Begebenheiten
hinein, in die wir im Wachen nicht leicht vermwidelt werben
können; oder fie laſſen uns unbequemlichkeiten fühlen, die wir
vielleicht als klein in der Ferne verachtet hätten, in die wir
aber vielleicht mit ber Zeit verwickelt worden wären. Ein Traum
kann daher oft unſern Entſchluß ändern, und unſern moraliſchen
Fond mehr ſichern, als alle Lehren, die durch einen Umweg ins
Herz kommen.
Nachtrag
zu den pſychologiſchen Bemerkungen.
Um uns ein Glück, das uns gleichgültig ſcheint, recht
fühlbar zu machen, müſſen wir immer denken, daß es verloren
gegangen und daß wir es dieſen Augenblick wieder erhielten.
Es gehört aber etwas Erfahrung in allerlei Leiden dazu, um
dieſen Verſuch glücklich anzuſtellen.
u 126
Kopf und Füße, fo weit fie auch im phyſiſchen Berfiande
von einander entfernt liegen, fo nahe liegen fie ſich doch im
moralifchen und pfocdhologifhen. Freude und Traurigkeit zeigen
fi) kaum fobald an der Rafe, die doch ber Seele fo nahe liegt,
als in den Füßen. Ic kann diefes täglich von meinem Fenſter
aus bemerken, wo ich beutlih an den Züßen der Studenten
fehe, ob fie aus einem Collegio kommen, oder in eines zu geben
Willens find, Jenes an der platt auffallenden Sohle, bie ben
Qunger der regierenden Seele verräth, Diefes an bem ſchmach⸗
tenden Schritte, wo Abſatz und Zehen etwas langfamer nady
einander aufjuliegen kommen, der allemal ein Zeichen ber Burg
vorhergegangenen Sättigung ift. Bei den Studenten, wo id)
nicht8 dergleichen bemerken konnte, fand ich nachher faft intmer,
daß fie zugleich in ein Collegium gegangen und aus einem ge
fommen waren. u
Menſchen, die fih auf bie Beobachtung ihrer felbit gut
verftehen und fih damit heimli groß wiffen, freuen ſich oft
über die Entdedung eigner Schwachheit, wo die Entdedung fie
betrüben ſollte. So fehr viel mehr gilt bei Manchen ber Pros
feffor als der Menfch.
Wie leiht Eigenliebe, ohne daß wir es merken, bie Trieb:
feber mander, uns von berfelben ganz independent fcheinenden,
Handlımg fein kann, können wir barauß fehen, daß Leute das Geld
lieben können als Geld, obgleich fie nie Gebrauch davon machen.
127
Es ift eine Bemerkung, die ich durch vielfältige Erfahrung -
beftätigt gefunden babe, daß unter Gelehrten diejenigen faft
allezeit die verftändigften find, die nebenher mit einer Kunft fidh
befchäftigen, oder, wie man im Plattbeutfchen fagt, Plütern. -
Was die Spannung ber Triebfedern im uns am meiften
hemmt, ift, andere Leute im Beſitz des Ruhms zu fehen, von
"deren Unmwürdigkeit man überzeugt ift.
Wenn ich fage: halte beine Zähne rein und fpüle bir ben
Mund alle Morgen aus, fo wird das nicht fo leicht gehalten,
als wenn ich fage: nimm die beiden Mittelfinger dazu und zwar
über Kreuz. Des Menſchen Hang zum n Myſtiſchen. Man nüze ihn.
Die ſichere Überzeugung ‚daß man eönnte, wenn man wollte,
iſt Urſache an manches guten Kopfes Unthätigkeit, und das
nicht ohne Grund.
Nichts erklärt leſen und ſtudiren beſſer, als eſſen und
verdauen. Der philoſophiſche eigentliche Leſer häuft nicht bloß
in feinem Gedächtniſſe an, wie der Freſſer im Magen, ba hin⸗
gegen der Gedächtnißkopf mehr einen, vollen Magen, als einen
ftarfen gefunden Körper befommt. Bei Jenem wird Alles, was
er lieft und brauchbar findet, dem Syſtem und bem innern
Körper, wenn ich fo fagen darf, zugeführt, Diefes hierhin und
das Andere dorthin, und das Ganze befommt Stärke.
128
Es ift ganz gut viel zu leſen, wenn nur nicht unfer Gefühl
darüber flumpf würbe und über ber großen SBegierde, immer
ohne eigne Unterfuhung mehr zu wifien, enblih in uns ber
Prüfungsgeift erftürbe,
Mangel an Kraft fi zu vertheibigen geht bei bem Schwa-
hen in Klage über. Man kann diefes an den Kindern fehen,
wenn fie von größeren Kindern unrecht behandelt werden, aber
der ftille Trotzkopf ift allemal ber Beſte.
Krankheiten der Seele können den Tod nad fich ziehen
und das kann Selbſtmord werden.
Wenn einmal eine Schwädhe in ben Nerven fo weit ge
biehen ift, daß ein Entfhluß, etwas zu feiner eignen Beſſerung
anzufangen, unmöglich wird, fo ift der Menfch verloren.
Ich habe fehr oft Folgendes bemerkt: Je mannichfaltiger
die Begebenheiten find, bie fich ereignen, befto gefchwinder ver:
ftreihen einem zwar bie Tage, allein deſto länger dünkt einen
‚bie vergangene Zeit, die Summe biefer Tage, bingegen je eins
fürmiger die Befhäftigungen, befto länger werden einem bie
Tage und befto kürzer die vergangene Zeit oder ihre Summe.
Die Erklärung ift nicht fehr ſchwer.
Wenn einem zum Tode Berurtheiften eine Stunde geſchenkt
wird, fo iſt fie ein Leben werth.
129
Die Naturkundigen ber vorigen Zeit mußten weniger als
wir und glaubten ſich fehr nahe am Biele. Wir haben fehr
große Schritte darauf zu gethban und finden nun, daß wir noch
fehr weit ab find. Bei den vernünftigften Weltweifen nimmt
die Überzeugung von ihrer Unwiffenheit zugleich mit ihrem Wache:
thum an Erkenntniß zu.
Man kann eben fo gut träumen ohne zu fohlafen, als man
fhlafen kann ohne zu träumen.
Wir fehen, ein jeder, nicht bloß einen andern Regenbogen,
fondern ein jeder einen andern Gegenfland und einen andern
Satz als der Andere.
Was man fucht, ift gewöhnlich in ber lekten Taſche, ift
ein vermeintlicher Erfahrungsfag, den man, glaube ih, in allen
Ländern und in allen Familien angenommen bat, und doch glaubt
ihn niemand im Ernft.
Wer im fich felbft verliebt if, bat wenigftens bei feiner
Liebe den Vortheil, daß er nicht viele Nebenbuhler erhalten wird,
. Der Menfch kann gehen, pfeifen, oder auch Hundert zäh⸗
len und noch an etwas Anderes zugleich denken, und, was das
Merkwürbigfte ift, ohne von allen dreien etwas zu willen, ba
doch Jedes ganz eigne Regeln und Borficht erforkert,
I, N)
130
Ein eingebilbetes Unvermögen kann bei furchtfamen Perſo⸗
nen lange die Rolle eines wirklichen fpielen, in Werten des
Kopfs fowohl wie bes Leibes. f
Die Träume können dazu nügen, baß fie das unbefangene
Refultat ohne den 8wang, ber oft erfünftelten Überlegung, von
unferm ganzen Wefen barftellen. Diefer Gebanfe verdient fehr
beherzigt zu werden. = “
So wie man mit ben Kinnlaben nadhhilft, wenn man mit
einer fchlechten: Scheere Papier fehneidet, ober wenn man fehr
viele Blätter auf einmal ſchneiden will, (id habe dieſes audy an
meinem Eleinen Jungen von 5 Jahren bemerkt), fo ‚gibt es ver:
muthlich eine Menge Berrichtungen felbft des Geiftes,
Wer eine Scheibe an feine Gartenthür malt, :dem wird
gewiß bineingefchoffen. nen
Man kann nicht fiherer zeigen, baß ein gewiſſer Charakter
der wahre von einem fei, als wenn man zeigt, daß das Ge-
gentheil Jedermann lachen machen würde.
Um vergnügt oder vielmehr luſtig in der Welt zu fein, wird
nur erfordert, daß man Alles nur flüchtig anfieht; fo wie man
nachdenkender wird, wird man auch ernfthafter,
131
Daß man manchen außerorbentlihen Man, von dem: man
gehört Hat, geringer zu finden glaubt, wenn man ihn fiebt,
rührt gemeinigli), oder gewiß allemal daher, daß man jekt
fiehbt, daß er da8 gewöhnliche Geficht eines Menfchen hat.
Wenn man Iemanden bezahlt, ber nur eine gewiſſe, feharf
beftimmte, Summe erwarten und fordern Tann, nichts mehr
und nichts weniger, fo bezahlt man ihn, ohne das Gelb in
Papier zu wickeln; ift die Summe unbeftimmt, fo bezahlt man
im Papier, fi) und dem Einnehmenden alle: Nienenſpraqhe zu
erſparen. Es iſt noch mehr hierin.
Es iſt zwar ſehr wahr, daß die meiſten Menſchen, die
feiner Liebe fähig find, auch für die Freundſchaft wenig taugen.
Man fteht aber doch auch oft das Gegentheil.
Wovon das Herz nicht voll iſt, davon geht der Mund
über, babe ich öfters wahr gefunden, als den entgegengefeg:
ten a
Es ift der gemeine Fehler aller Leute von wenig Talenten
und mehr Belefenheit als Verſtand, daß fie eher auf künſtliche
Erklarungen verfallen als auf natürliche.
Das ganze anochengebaude unferer Denkungsart unb un:
fer Glaubens wird formirt aus urferen Helden, und Min
N
132
wahl geht zu einer Beit vor, two wir bie wenigfte Erfahrung
und Überlegung haben, und wirft doch am Ende auf unfere Über
legung, wo nicht auf die Folgen unferer Erfahrung.
Wer recht nachahmen könnte, ahmt nicht leicht nad). °
Jedes Dorf bat feine Pyramide, den Kirchturm. Aus
allen Dorfpyramiden in Deutfchland follten fi) wohl bie ägyp-
tifhen bauen laffen. Warum baut man fo in die Höhe? Der
Glocken wegen allein gewiß nicht. Es if immer Eitelleit, mit
Religion, vielleicht Aberglauben vermifcht, was biefe Pyramiden
fhuf fo gut wie die ägyptifchen.
Selbft die Uingewißheit, worin wir uns über gewiſſe Ge
genftände befinden, ift zuweilen nüglihd. Die Hoffnung befommt
dadurch einen größern Spielraum, und man hält immer dasje⸗
nige für wahr, was unferm Buftande am angemeffenften: ift.
Ih habe einen Müllerknecht gekannt, der niemals die Mütze
por mir abnahbm, wenn er nicht einen Efel neben fi) geben
hatte. Ih konnte mir das lange nicht erklären. Endlich fand
ih, daß er fi) dieſe Gefelfchaft für eine Demütbigung anfah
und um Barmherzigkeit bat; er ſchien damit der geringften Ber-
gleihung zwiſchen ihm und feinem Gefährten ausweichen zu
wollen.
133
Benvenuto Gellini macht bie vortrefflihe Bemerkung: „Scha⸗
den macht nicht Plug, weil ber neue ſich immer unter einer vers
fhiedenen Form anfündigt.» Diefes kenne ich recht aus eigner
Erfahrung.
Was ein bebäcdhtiges, geſetztes Verfahren in allen Vorfällen
des Lebens nüglih ift, kann ih mir auch dadurch erläutern.
IH kann mir feinen fchredlichern Zufall denken, als wenn mir
jemand eines meiner Kinder aus Unvorfichtigkeit erfchöffe, und
doch Penne ich mehrere Menfchen, denen idy ohne Mühe vergeben
würde, andere, bie ich nie wieder würde vor Augen fehen kön⸗
nen, und noch andere, bie ich auf der Stelle erfchießen könnte
und würde, wenn ich ein Gewehr zur Hand hätte.
So wie Affimilation Sylben und Wörter herborbringt, fo
können Sylben in nominibus propriis wiederum Farben zu Bil⸗
dern ber Einbildungsfraft und Züge zu Charakteren hergeben.
Es ift aller Unterfuchung werth, woher bie Bilder ſtammen,
die wir uns von Leuten, von Straßen und Städten u. f. w.
formiren, die wir nie gefehen haben. An dem Gefichte, das ich
mir vom General Lee gemacht habe, hut das doppelte e mehr
Antheil, als alle feine ſchlechten Thaten, die mir zu Obren ge:
kommen find.
Bei dem Studio der Mathematik kann wohl nichts flärkern
Troft bei Unverftändlichkeiten gewähren, als daß es ſehr viel
134
ſchwerer ift, eines Andern meditata zu berfichen ; als ſelbſt zu
mebitiren.
Die Allmacht Gottes im Donnerwetter wirb nur bewundert
entweder zu ber Beit da feines ift, ober hinterdrein beim Abzuge.
Unfere Ohren repetiren zuweilen die Glockenſchläge, alfo
Repetirohren. Ob es 1,2, aud allenfalls 3 geſchlagen hat,
kann man nocd lange nachher ausmaden, wenn man auch
nicht während des Schlagen® baran gedacht hat.
Ich bin überzeugt, daß es Brillen für die Seelenträfte ‚gibt
fo gut wie für die Augen. Es wäre fonderbar, wenn fo etwaß
nicht follte möglich fein. Wenn der Wik mit dem Alter ſchwach
wird, fo kann oft das Lefen von Wortregiftern Bergleichungen
bewirken, die ohne dieſes unmöglich wären. J
Wenn man die ſogenannten beſcheidenen 8weifel mancher
Weltweiſen als poſitive Wahrheit behandelt wiſſen will, ſo darf
man ihnen nur mit etwas Geringſchätzung widerſprechen.
Das Sorgenſchränkchen, das Allerheiligſte der innerſten
Seelenökonomie, das nur des Nachts geöffnet wird. Jedermann
bat das ſeinige. Ein Meubel, das in allen Haushaltungen
und in jebem Stande angetroffen wird. So etwas wäre einer
guten und lehrreichen Darftelung fähig.
133
Die glüdlichen Zeiten des Lebens, da man noch nicht benft,
wie alt man ift, und noch Fein Buch hält über die Haushals
tung des Lebens !
Ich Pann: bis biefe Stunde nicht recht begreifen, warum
bie Pleinen Kinder nicht eben fo beftändig lachen, als fie be:
ftändig weinen.
Es ift gewiß beffer, eine Sache gar nicht ſtudirt zu haben,
als oberflächlich. Denn der bloße: gefunde Menfchenverftand,
wenn er eine Sache beurtheilen will, föteht nicht fo ſehr fehl
als die halbe Gelehrſamkeit. Zu
Wenn e8 uns im Dunkeln irgendwo ftiht, fo Pünnen wir
gemeiniglid mit einer Nabelfpike die Stelle finden. Was für
einen genauen Plan muß die Seele von ihrem Körper haben!
Selbſt Aberglaube kamn zuweilen Nutzen ſtiften. Der ge⸗
meine Mann drückt nicht leicht eine ungeladene Flinte auf
jemanden los, weil er glaubt, der Teufel könne auch mit einer
ungeladenen fein Spiel maden.
136
3.
Moraliihe Bemerkungen.
Lady Gil, die Abtiffin des emglifchen Klofters in Liffabon,
teifte in ihrem 23ften Jahre nad Irland, nahm eine Erbſchaft
in Befig und Lehrte fo wieder zurüd in ihr Kloſter. Baretti)
glaubt, eine ſolche Tugend in einer weiblichen Bruſt verdiene ber
"Vergeffenheit entriffen zu werben. Sch glaube, folde Ihaten
follten jo heiß gebrandmarkt werden, als nur immer Witz, von
Beradhtung, Spott und Abfcheu geleitet, brennen kann.
Gin Dreigroſchenſtück iſt immer beſſer als eine Thräne.
Ihr, die ihr ſo empfindſam von der Seele eurer Mädchen
ſprechen könnt, ich gönne euch dieſe Freude. Glaubt aber ja
nicht, daß ihr fo was Erhabenes thut oder ſagt; oder dünkt
euch nicht edler als der Pöbel, ber gewiß fogar Unrecht nicht
bat, fi) hauptſächlich an den Körper zu halten. Was doch ein
) Joſeph Baretti, fonft al8 Dichter befannt, hat auch
Travels through England, Portugal, Spain and France (Lond.
1771. deutfch überf. Leipzig 1772. 8.) geichrieben, worin wahr:
ſcheinlich die obige Anekdote enthalten ift.
137 -
junger Recenfionenlefer für eine Idee von einem fo feinen Sen⸗
timent hat! Der Bauersknecht ſchielt nach dem Unterrock, und
ſucht den Himmel dort, den du in den Augen ſuchſt. Wer hat
Recht? Ich wäge keine Gründe in dieſer Frage, und noch viel
weniger entſcheide ich ſie, aber rathen will ich es aus treuem
Herzen allen empfindſamen Candidaten, daß ſie ſich mit dem
Bauern ſetzen, es könnte ſonſt auf verdrießliche Weitläuftigkei⸗
ten hinauslaufen.
Die Sanduhren erinnern nicht bloß an die ſchnelle Flucht
der Zeit, ſondern auch zugleich an den Staub, in welchen wir
dereinſt zerfallen werden.
Bei einem Verbrechen iſt das, was die Welt das Berbrechen
nennt, ſelten das, was die Strafe verdient, ſondern da liegt
es, wo unter der langen Reihe von Handlungen, womit es ſich
gleichſam als mit Wurzeln in unſer Leben hineinerſtreckt, die⸗
jenige iſt, die am meiſten von unſerm Willen abhieng und die
wir am leichteſten nicht hätten thun können.
Man könnte die Gewohnheit eine moraliſche Friction nen⸗
nen, etwas, das den Geiſt nicht leicht über die Dinge hin⸗
ſtreichen läßt, ſondern ihn damit verbindet, ſo daß es ihm
ſchwer wird, fi) davon los zu machen.
Die Zucht vor bem Tode, bie den Menfchen eingeprägt iſt.
138
ift zugleich ein großes Mittel, deſſen fich. der Himmel bebient,
fie von vielen Unthaten abzuhalten; denn Vieles wird aus dZurcht
vor Lebensgefahr oder Krankheit unterlaſſen.
Weiſer werden, heißt, immer mehr und mehr die Fehler
kennen lernen, denen dieſes Inſtrument, womit wir empfinden
und urtheilen, unterworfen ſein kann. Vorſichtigkeit im
Urtheilen iſt, was heutzutage Allen und Jeden zu empfehlen
iſt. Gewönnen wir alle zehn Jahre nur eine unſtreitige Wahr⸗
heit von jedem philoſophiſchen Sqhriftteler, ‚ fo..wäre unfere
Ernte immer reich genug.
Es gibt eine Art, ba8 Leben gu verlängern, bie ganz in
unferer Macht ſteht: Früh aufſtehen, zwedmäßiger Gebrauch
der Beit, Wählung ber beſten Mittel zum Endzweck, und. wenn
fie gewählt find, muntre Ausführung. Auf biefe Art kann man
fehr alt werben, fobald man das Leben nicht nad dem Kalender
ſchätzt; aber was das Beſte ift, fo. wirb auch: jenes Leben, bas
wir mit Kalendern ausmeffen, burch das, wovon Verdienſt ber
Maßſtab ift, verlängert. Wenn man einmal eine Arbeit vor
bat, fo ift e8 gut, bei ber Ausführung ſich nicht gleich das
Ganze vorzuftellen, benn biefes bat, bei mir wenigftens, viel
Niederfchlagendes; ſondern man arbeite an dem, was man
gerade vor fi bat, und wenn man bamit fertig iſt, gebe
man an das Nächſte. — Eine Sache den Augenblid anfan⸗
gen, und nicht eine Minute, viel weniger eine Stunde oder
139
einen Tag aufſchieben, ift ebenfalls ein Mittel, bie Zeit zu
ſtrecken.
Man kann die Fehler eines großen Mannes tadeln, aber
man muß nur nicht den Mann deßwegen tadeln.
Daß man oft, einer geringen Handlung wegen, eine Ber:
achtung auf einen Menfchen wirft, gefchieht nicht fomohl wegen
diefer Handlung an ſich betradhtet, al& wegen befien, was man
von ber Fähigkeit eines ſolchen Menfchen in andern Fällen mutb-
maßet. Daher man ben fo leicht verachtet, der ſich ungeahndet
beleidigen läßt.
Es find gewiß wenig Pflichten in der Welt fo wichtig, als
bie, die Fortdauer bes menfchlichen Geſchlechts zu befördern, und
fi) felbft zu erhalten, denn zu Beinen werben wir burd fo
reizende Mittel gezogen, als zu biefen beiden.
Mir ift es eine fehr unangenehme Empfindung, wenn jemand
Mitleiden mit mir bat, fo wie man das Wort gemeiniglich
nimmt. Denn bie. Menfchen brauchen: gerade da, wo fie recht
böfe find, die Rebensart: Mit einem folhen muß man
Mitleiden Haben. -: Diefe Art des Mitleidens ift ein Almo⸗
fen, und Almoſen fept Dürftigkeit von der einen, und Überfluß
von der andern Seite voraus, er fei auch noch fo gering.
Dem englifhen Pity ‚ift e8 eben fo gegangen, und noch Anger
180
dem Abjertivum pitiful, das unfer erbärmlid iſt. Es gibt
aber ein weit uneigennügigeres Mitleiden, das wahrhaften Un«
theil nimmt, das ſchnell zur That und Rettung fchreitet, und
felten von empfindfamer Schwermüthelei (man verzeihe mir
biefes Wort) begleitet wird. Man könnte jenes das almofen-
artige Mitleid, und biefes das Mitleid bei Offenfip
und Defenfivallianz nennen. — Mitſcham ift fehr
lauter. Man fühlt fie, wenn fih ein Mann, den man hoch⸗
ſchätzt, aus nit genugfamer Kenntniß derjenigen, vor denen
er fich zeigen will, vor ihnen lächerlich macht. — Es gibt eine
ganz unintereffirte Mitfreude. Ich habe fie bei &...8 Wie
dergenefung im Jahre 1778 ganz lauter empfunden. Nämlich
ich konnte in diefem Fall nad der genaueften Unterfuchung Fein
anderes SInterefie finden, als biefes, daß ein Mann von ber
größten Rechtſchaffenheit und einer Gelehrfamkeit, die täglich
feltner wirb, der Welt, der Univerfität und feiner Familie wieder
gegeben worden war, nachdem man fehon, ihn nicht etwa tobt
gefagt, fondern die Unmöglichkeit feiner Wiedergenefung medicinifch
demonftrirt hatte.
Wenn jemand in der Welt fih eine Sittenlehre mit Hülfe
von Nabelflihen und Scießpulver auf die Hand wollte ägen
laffen, jo wollte ich wohl bie dazu vorfchlagen, die ich in irgend
einem Stüde bed Zuſchauers einmal gelefen habe: The whole
man must move together. Die Vergehungen bagegen find uns
zählbar, und der Schaben, der daraus entfteht, groß und öfters
141
unerfeglih. Zum Menfchen rechne ich Kopf und Herz, Mund
‚und Hände; es ift eine Meifterfunft, biefe durch Wind und
Wetter ungertrennt bi8 an das Ende zu treiben, wo alle Be
mwegung aufhört.
Daß die Menfchen Alles aus Intereffe thun, ift dem Philo⸗
fophen nüglich zu wiffen, er muß nur nicht darnach handeln,
fondern feine Handlungen nah dem Weltgebrauch einrichten.
So wie ein guter Schriftfteller nicht von dem gewöhnlichen Ge:
brauch der Wörter abgeht, fo muß auch ein guter Bürger nicht
gleih von dem Handlungsgebrauch abgehen, wenn er ſchon
Bieles gegen Beides einzumenden bat. Ich bin fo ficher über:
zeugt, daß der Menfch Alles feines Bortheild wegen (dieſes Wort
gehörig verftanden) thut, daß ich glaube, es ift zur Erhaltung
der Welt fo nöthig, als die Empfindlichkeit zur Erhaltung bes
Körpers. Genug daß unfer Bortbeil fo fehr oft nicht erhalten
werden kann, ohne Tauſend glücklich zu machen, und unfere
erfte Urfadhe das Intereffe eines Theil fo weislih mit dem
Intereffe vieler Andern zu verbinden gewußt bat.
Sich recht anfchauend vorftellen zu lernen, baß niemand
volfommen glücklich ift, ift vielleicht der nächfte Weg, vollkom⸗
‚men glüdli zu werden. Es ift freilich niemand ganz glück⸗
lid, aber es gibt fehr viele Stufen. in unfern Leiden; und das
ift das Übel.
142
Weil die Menfchen fehr geneigt zum Auffchieben und zur
Zangfamkeit find, und gemeinigli das, twa8 um 5 Uhr bes
Morgens vor fi) geben fol ‚ aft um 6 Uhr gefchieht, fo kann
man ficher darauf rechnen, daß man die Oberhand in einer
Sade behält, wenn man Alles ohne den geringften Verzug un:
ternimmt.
Die Schwachheiten großer Leute befannt zu machen, ift
eine Art von Pflicht; man richtet damit Laufende auf, ohne
jenen zu fchaben. ‚Der Brief von d'Alembert über Rouſſeau
im Mercure de France, Sept. 1779. verdient bekannter zu ſein.
Alle Tugend aus Vorſatz taugt nicht viel. Ber ober
Gewohnheit je das Ding. ’
Man fol Riemanden in feiner Profeſſion erlic; machen,
er kann badurch unglücklich werden.
Das respice — i einer weit ſruchtdarem Geflärung
fähig, als man ihm gewöhnlich gibt. Der Menfh, der den
Himmel erfunden bat, rechnet aufs Künftige. Wer bei jeder
Handlung den Einfluß bebenft, den fie auf fein Künftiges haben
kann, und fie nicht unternimmt, wenn fie ihm nicht im Künfe
tigen Bortbeil bringt, wird gewiß glüdlich Ieben. Alle großen
Leute haben bloß bed Künftigen wegen das Gegenmwärtige unters
nommen, und fohledhte Menfchen haben immer, wie bie Xhiere,
143
bloß da8 Gegenwärtige vor Augen; ja fie erniebrigen ſich unter
bie. Thiere, weil. biefe aus: Inftinet Manches fürs Künftige thun,
und aljo die Natur gewiffermaßen ihre Befeelung über fih nimmt.
Ich glaube auch an den Helvetiusfhen Sat: Man fann,
was man will, aber niht Alles, was man ſich ruhig
wünfht zu Lönnen, will man. Die Art zu wollen,
bie Helvetius meint, ift unwiberftehliche Begierde, bie faft nie
ohne die erforderliche Fähigkeit ift. . i
Es ift gewiß ein ficheres Seien, baß man befier ‚geworben
ift, wenn man Schulden fo gerne bezahlt, als man Geld ein:
nimmt. '
Es gibt eine gewiffe Iungferfchaft der Seele bei den Mäb-
hen, und eine moraliſche Entjungferung; dieſe findet bei vielen
ſchon fehr frühzeitig Statt.
Ih bin völlig überzeugt, daß der Menfch alle die Kennt:
niffe befigt, die nöthig find, ihn glüdlich zu machen. Aber es
ift mir auch wahrſcheinlich, daß biefe menschliche Glüdfeligkeit,
als folche, ‚wenig zum Wohlfein des Ganzen beiträgt. Was
der Menſch zum Wohlfein.. des Ganzen beiträgt, ift ſchwerlich
feiner Willkür unterworfen. Was überfieht er davon? Nützt
er, felbft mit Ausübungen feiner Willkür, :fo ift felbft feine
Willkür eine Mafchine, und man ftreitet über Wer. Bu
144
wilfürlih zum Vortheil des Ganzen wirkt, muß das Ganze
überfehen. Diefes kann ber Menfch nicht, alfo iſt hier in Ab⸗
fiht des Ganzen an Freiheit nicht zu gedenken. Unumſchränkte
Freiheit ift bier ein Widerſpruch. Hat er bloß Freiheit erhalten
für einen gewiſſen Geſichtskreis, fo ift auch dieſes wieder Ma-
fhinerie, und es ift immer bie Freiheit eines Menfchen, ber
das Rad eines Krahns tritt. Ich glaube, da wo ber Menſch
fih an bie große Kette anfchließt, iſt er nicht frei; er weiß wohl
gar nicht einmal, daß er wirft.
Wenn ich je eine Predigt drucken laſſe, fo ift es über
base Bermögen Gutes. zu thun, daß jeber befikt. Der
Henker bole unfer Dafein bienieden, wenn nur der Kaifer Gutes
thun könnte. Jeder ift ein Kaifer in feiner Lage.
Das Wort Gottesbienft follte verlegt, und nicht mehr
vom Kirchengehen, fonbern bloß von guten Handlungen gebraudyt
werben.
Woher mag wohl bie entfegliche Abneigung des Menfchen
herrühren, fi) zu zeigen, wie er ift, in feiner Schlaftammer,
wie in feinen geheimften Gedanken? In der Körperwelt iſt Alles
wechfelfeitig, das, was es fich fein kann, und zugleich fehr aufe
richtig. Nach unfern Begriffen find bie Dinge gegen einander
alles Mögliche, was fie fein können, und der Menſch ift es
nicht. Er fcheint mehr Das zu fein, was er nicht fein follte,
145
Die Kunft fih zu verbergen, ober ber Wibertwille, fich geiftlich
oder moralifh nadenb fehen zu laffen, geht bis zum Erſtau⸗
nen weit.
Ich glaube, ſehr viele Menſchen vergeſſen über ihrer Erzie⸗
bung für den Himmel, die für die. Erde. Ich ſollte denken,
ber Menſch handelte am meifeften, wenn er erflere ganz an
- ihren Ort geftellt fein liege. Denn wenn wir von einem weifen
MWefen an biefe Stelle gefeßt worden find, woran fein Zweifel
ift, fo laßt uns das Beite in biefer- Station tun, und uns nicht
durch Offenbarungen blenden. Was ber Menfch zu feiner Glück—⸗
feligfeit zu wiflen nöthig bat, das weiß er gewiß ohne alle an-
dere Offenbarung, als die, bie er feinem Wefen nad) befigt.
Die Superklugheit iſt eine der serien Arten von
Unklugheit.
Der Glaube an einen Gott iſt Inſtinct, er iſt dem Men⸗
ſchen natürlich, ſo wie das Gehen auf zwei Beinen; modificirt
wird er freilich bei Manchen, bei Manchen gar erſtickt; aber in
ber Regel ift er da, und iſt zur innern Wohlgeſtalt bes Erkennt⸗
nißvermögens unentbehrlid.
Die Menfhen, die die Vergebung der Sünden durch latei-
nifhe Formeln erfunden haben, find an dem größten Berberben
in der Welt Schuld.
I. — X
146
Eine der fhwerften Künfte für den Menfchen ift wohl bie,
fih Muth zu geben. Diejenigen, benen er fehlt, finden ihn am
erften unter dem mächtigen Schuß eines, ber ihn befikt, und
ber uns bann helfen fann, wenn Alles fehlt. Da es nun fo
viele Leiden in ber Welt gibt, denen mit Muth entgegen zu ge:
hen, kein menſchliches Wefen einem Schwachen Kraft genug ger
ben kann, fo ift die Religion vortrefflih. Sie iſt eigentlich bie
Kunft, fi durch ben Gedanken an Gott, ohme andere weitere
Mittel, Troſt und Muth im Leiden zu verfchaffen, und Kraft,
bemfelben entgegen gu arbeiten. Ich babe Menſchen gekannt,
denen ihr Glück ihr Gott war. Sie glaubten an ein Glück,
und ber Glaube gab ihnen Muth, Muth gab ihnen Glüd, und
Glück Muth. Es ift ein großer Verluſt für ben Menfchen,
wenn er bie Überzeugung von einem weifen, bie Welt lenkenden
Weſen verloren hat. Ich glaube, es ift diefes eine nothwendige
Folge alles Stubiums ber Philofophie und der Natur. Man
verliert zwar den Glauben an einen Gott nicht, aber es ift nicht
mehr der bülfreiche Gott unferer Kindheit; es iſt ein Wefen,
befien Wege nicht unfere Wege, und beffen Gedanken nicht un⸗
fere Gedanken find, und bamit ift dem Hülflofen nicht fonber-
{ich viel gedient.
Es ift eine goldene Regel, daß man die Menfchen nicht
nah ihren Meinungen beurtheilen müffe, fondern nad bem,
was diefe Meinungen aus ihnen machen.
147
Den redlihen Mann zu erkennen, ift in vielen Fällen leicht,
aber nicht in allen. Es ift bier wie bei den Mineralien: einige
laffen fi) äußerlich Teicht erkennen, bei andern ift chemifche Ber:
legung nöthig. Aber wer gibt fich bei Charakteren mit chemi«
fher Berlegung ab, ober wie Biele haben die Fähigkeit dazu?
Das fchnelle Aburtheln ift größtentheild dem Faulheitstriebe der
Menfhen zuzufchreiben; das mühfame chemifche Syftem findet
in Prari wenig Anhänger.
Es ift für des Menfchen Rechtfertigung hinreichend, wenn
er fo gelebt hat, daß er feiner Tugenden wegen Vergebung für
feine Fehler verdient.
Man fchreibt wider den Selbftmord mit Gründen, bie un-
fere Vernunft in dem Eritifchen Augenblide bewegen follen. Die:
fe ift aber Alles vergeblih, fo lange man fi) diefe Gründe
nicht felbft erfunden bat, das heißt, fobald fie nicht die Früchte,
das Refultat unferer ganzen Erkenntniß und unfers erworbenen
Weſens find. Alfo Alles ruft uns zu: bemühe dich täglih um
Wahrheit, lerne die Welt Eennen, befleißige dich ded Umgangs
mit rechtfchaffenen Menſchen, fo wirft dis jederzeit hanbeln, wie
dirs am zuträglichften if. Findeſt du dann bereinft ben Selbſt-
mord für zuträglich, das beißt, find alle deine Gründe nicht zu=
reichend, dich abzuhalten, ff.» ....... |
Ordnung führet zu allen Zugenden! aber was führet zur
Ordnung?
40°
148
Ze größer der Mann ift, deſto ftrafbarer iſt er, wenn er
Fehler Anderer ausplaudert, die er erkennt. Wenn Gott bie
Heimlichkeiten der Menfchen befannt machte, fo könnte die Welt
nicht beftehen. Es wäre, als wenn man die Gedanken Anderer
ſehen könnte. Wohl dem Menfchen, der Leinen Ausplauberer
bat, der ihm an Kenntniffen überlegen ift !
Es gibt eine Menge Lleiner moralifcher Falfchheiten, die
‚man übt, ohne zu glauben, daß es fchädlich fei;z fo wie man
etwa aus ähnlicher Gleichgültigkeit gegen feine Geſundheit Tabad
raucht.
Der Stolz, eine edle Leidenſchaft, iſt nicht blind gegen
eigene Fehler, aber der Hoch muth iſt es.
Viele, die über Ablaßkrämerei in der katholiſchen Kirche
lachen, üben ſie doch täglich ſelbſt. Wie mancher Mann von
ſchlechtem Herzen glaubt ſich mit dem Himmel ausgeſöhnt, wenn
er Almoſen gibt! Ich habe ſelbſt die boshafteſten Menſchen,
die frevelhafteſten Unterdrücker des Verdienſtes und der Unſchuld
damit rechtfertigen hören: ſie thäten den Armen Gutes. Aber
das war nicht vitae lenor, das war nur Flickwerk. Ein Paar
Spiegelfheiben machen noch feinen Palaſt. Cs hat aud) etwas
Ähnliches mit den Berehrungen unter dem Galgen.
Wenn doch nur der zehnte Theil der Religion und Moral,
149
die in Büchern fteht, in den Herzen fände! Aber fu geht es
foft durchaus: der größte Theil von menfchlicher Weisheit wird
bald nach feiner Erzeugung auf den Repofitorien zur Ruhe
gebradt. Daher einmal Jemand biefed Wort nicht vom latei⸗
nifchen reponere, fondern unmittelbar vom franzöfifchen repos
berleiten wollte.
Ein Gelübde zu thun ift eine größere Sünde, als «8
zu brechen..
Was die wahre Freundfhaft, und noch mehr das glüdliche
Band der Ehe fo entzüdend macht, ift, die Erweiterung feines
Ichs und zwar über ein- Feld binaus, das fi im einzelnen
Menfhen durch Feine Kunft fchaffen. läßt. Zwei Seelen, die
fi) vereinigen, vereinigen fi) doch.nie fo ganz, baß nicht immer
noch der beiden fo vortheilhafte Unterfchied bliebe, der bie Mit:
theilung fo angenehm madt. Wer fich fein eigenes Leiden Elagt,
klagt es ficherlich vergeblich; wer e8 der Frau klagt, klagt e8
einem Selbft, das helfen kann, und fchon durch die Theilnahme
hilft. Und wer gern fein. Verbienft gerühmt hört, findet eben«
falls in ihr ein Publikum, gegen welches er fih rühmen Fann,
ohne Gefahr, fich lächerlich zu machen.
Diele Menſchen ſetzen die Tugend mehr im Bereuen ber
Fehler, als-im Vermeiden berfelben.
— —— — —
150
Nachtrag
zu den moraliſchen Bemerkungen.
Schwachheiten ſchaden uns nicht mehr, ſobald wir ſie kennen.
Man wird in manchen Fällen aus dem Grunde nicht ge⸗
firaft, oder es fieht vielmehr fo aus, als ob man nicht geftraft
würbe, weil man bie Strafe an ſich felbft bezahlt. Das was
ausgezahlt wird, wird oft einem Theile genommen und dem an-
dem entrichtet. Einer kann an dem Ruhme, ein witziger Schrift«
fteller zu fein, zunehmen, während ber Grebit, ben er als ehr:
fiher Mann hatte, abnimmt.
Die Welt ift in ihrem Urtheile in der Regel zu gütig, oder
zu unbillig.
Sich an einem Tage nicht von feinem Imwede ableiten Taffen,
ift auch ein Mittel, die Zeit zu verlängern, und ein fehr fiheres,
aber ſchwer zu gebrauchen.
Wenn bu die Gefchichte eines großen Verbrechers licfeft, fo
danke immer, ehe bu ihn verdammft, dem gütigen Simmel,
daß er dich mit deinem ehrlichen Gefichte nicht an ben Anfang
einer folchen Reihe von Umftänden geftellt hat. |
151
Wenn wir die Aufmerffamteit auf ſchwache Empfindungen
vernehmen lernen, fo fünnen fie uns den Dienft von ftarken thun.
So wie zu ben nieberträdhtigften und lafterhafteften Thaten
Geift und Talent erfordert wird, fo ift felbft bei den größten
eine gewiffe Unempfindlichkeit nöthig, die man bei anderen Ge:
legenheiten Dummheit nennt.
Es ift wirklich nichts abfcheulicher, als wenn fich felbft
zugezogene Strafgerichte noch einlaufen, nachdem man fchon länge
angefangen bat, fich zu beffern.
Der Geldgeiz der beim Ehrgeiz fleht, verbiente allemal ein
befieres Wort.
Die Helden ber alten Dichter find fehr von denen im Mil:
ton 3. B. verfhieden. Sie find tapfer, Elug und weife, aber
felten nach unferen Sitten liebenswürdig und barmherzig. Mils
ton bat die feinigen aus der Bibel entnommen. Sollte viel:
leicht unfere chriftlihe Moral ihren Grund in einer gewiſſen
Schwachheit haben, in einer jüdifchen Feigheit, da fidh bie ans
dere auf Stärke gründet? Allgemeine Verträglichkeit ift vielleicht
ein fchönes Hirngefpinft und was ſich nie wird erreichen laſſen.
Sympathie ift ein fchlechtes Almofen.
152
Seinen Neigungen ſchlechtweg entgegen zu handeln führt gewiß
am Ende zu etwas Beflerem. So 3.8. daß ich bei Tiſche nicht trinke.
Es ift ſehr fhlimm, daß heutzutage bie Wahrheit ihre Sache
durch Fiction, Roman und Kabel führen laſſen muß.
Ehe man tabelt, follte man immer erft verfuchen, ob man
nicht entfehuldigen kann.
Es ift ein großer Unterfchieb, in einem ſchlechten Zuftande
immer gelebt zu haben oder nun in denfelben erſt abwärts ge
fommen zu fein. Im lekten Galle wird man von zwei Kräften
getrieben, die in.der einfachen Richtung noch. immer als verfchie-
ben gefühlt werden, hingegen im erften nicht, da man-fie für eine
einzige, einfache hält. Diefes erſtreckt ſich noch über mehrere Dinge.
Man fängt feine Teflamente gewöhnlihd damit an, baß
man feine Seele Gott empfiehlt. Ich unterlaffe diefes mit Fleiß,
weil ich glaube, daß ſolche Recommandationen wenig fruchten, wenn
fie nicht durch das ganze Leben porausgegangen find. Solche Recom⸗
mandationen find Galgenbefehrungen; eben fo leicht als unwirkſam.
Es gibt jegt der Vorfchriften, was man fein fol, fo man-
herlei Arten, daß es fein Wunder wäre, wenn die Menge auf
den Gedanken geriethe, zu bleiben, was fie ift.
153
un
- Beobachtungen über den. Menfchen.
Der fehmeichlerifche Elende, ich möchte faſt fagen der Feig-
berzige, der unter jedem Streich des Schickſals winfelt, der fi
mit bemüthigen Gebehrden naht, Brot fordert, und fih auf
Gnade und Ungnade feinem Wohlthäter ergibt, ift leicht erfannt;
ber Jagdjunker im Vorbeifprengen verſteht Mienenfprachg genug,
ihn zu kennen. Der andere, ftille, nur für ein paar Stationen
geſchaffene Mann, deffen Elend nicht geſchwätzig ift, der mehr
benft, und wo er auf) immer an ber gemeinen LZaft angefpannt
wird, beſſer ziebt,. ift fehmerer gu: kennen. Es gehört ein- ge
übted Auge dazu, feine. ungefünftelte. Befcheidenheit- vom heim
lihen Stolz und feine Kürze in Allem vom Troß zu unterfcheiden.
Die gemeinften Menſchen, ob fie's gleich nicht der Mühe
werth achten, nieberzufchreiben, ‚was fie. fehen, fehen und fühlen
boch Alles, was des Niederfchreibens werth geweſen wäre, unb
ber Unterfchied zwifchen dem Pöbel und dem Gelehrten befteht
oft bloß in einer Art von Apperseption..oder in der Kunſt, zu
Buch zu bringen.
154
Diefer Mann theilte Alles fehr gern mit, was ihn nichts
Eoftete, unter Allen am meiften Complimente; beleidigte Nies
manden, wenigſtens wußte man es nicht; hatte allezeit eine
liebreiche Miene, und feine Befcheidenheit war fo groß, daß fie
in ber Stimme fogar an das Kläglihe grenzte; er paffirte bei
vielen Zeuten für tugendhaft, und bei den Meiften für demüthig;
furz, er war von ber Art Leute, die man fo ziemlich häufig
antrifft, und die man in England mit dem Namen sneaking
rascals zu bechren pflegt.
Es gibt eine gewiſſe Art Menfchen, bie mit jedermann leicht
Zreundfchaft machen, ihn eben fo bald wieder haſſen und wieber
lieben. Stellt man fi) das menfchliche Geſchlecht als ein Ganzes
vor, wo jeder Theil in feine Stelle paßt, fo werden dergleichen
Menfchen zu ſolchen Ausfülletheilen, die man überall binwerfen
kann. Man findet unter biefer Art von Leuten felten große
Genies, ohnerachtet fie am leichteften dafür gehalten werden.
Aus den Träumen der Menfchen, wenn fie diefelben genau
erzählten, ließe fich vielleicht Vieles auf ihren Charakter fchließen.
Es gehörte aber bazu nicht etwa einer, fondern eine ziemliche
Menge von Träumen.
Heftigen Ehrgeiz und Mißtrauen babe ih noch allemal
beifammen gefeben.
155
Zeute, bie nicht die feine Verſtellungskunſt völlig inne
haben, und Andere mit Fleiß bintergehen wollen, entbeden uns
gemeiniglich das Generelle ihrer ganzen Denkungsart bei ber
erften Bufammentunft. Wer alfo ber Neigung eines Anbern
ſchmeicheln, und fih in biefelbe ſchicken lernen will, der muß
bei der erften Zuſammenkunft genau Achtung geben; bort findet
man gemeiniglih die beflimmenden Punkte ber ganzen Den:
fungsart vereinigt.
Es gibt Menfhen, bie fogar in ihren Worten und Aus:
brüden etwas Eigenes haben, (die meiften haben menigftens
etwas, das ihnen eigen ift,) ba boch Redensarten durch eine
lange Mode fo und nicht anders find. Solche Menfchen find
immer einer Aufmerkſamkeit würdig; es gehört viel Selbftgefühl
und Unabhängigkeit der Seele dazu, bis man fo weit kommt.
Mancher fühlt neu, und der Ausdrud, womit er dieſes Gefühl
Andern deutlich machen will, ift alt.
Es ift zum Erflaunen, wie wenig oft dasjenige von uns
gethan wird, was wir für nüglid halten und was auch leicht
zu thun wäre. Die Begierde, geſchwind viel wiflen zu wollen,
binbert oft die genauen Unterfuchungen; allein es ift felbft dem
Menfchen, ber diefes weiß, fehr ſchwer, etwas genau zu prüfen,
wenn er gleich überzeugt ift, er komme, ohne Prüfung, auch
nit zu feinem Endzweck, viel zu lernen.
156
Wenn man gern wiſſen will, was anbere Leute über eine
gewiffe Sache denken, bie einen felbft angeht, To benfe man
nur, was man unter gleichen Umftänben von ihnen benfen
würde. Man halte Niemanden für moralifch beffer in biefem
Stück, als man ſelbſt ift, und Niemanben für einfältiger. Die
Zeute "merken Öfterer, als man glaubt, folde Dinge, die wir
vor ihnen mit Kunft verftedt zu haben meinen, — Bon biefer
Bemerfung ift mehr ald die Hälfte wahr, und das ift allemal
viel für eine Marime, die jemand in feinem breißigften Jahre
foftfeßt, wie ich biefe.
Die Äußerungen der Großmuth find heutzutage mehr ein
Wert der L2ertüre, ald ber. Gefinnungen;, das beißt, man ift
mehr großmüthig, um Lectüre zu zeigen, als Güte bes Herzens.
Leute, die es von Ratur find, merken felten, daß e8 etwas ift,
großmüthig zu fein. -
Die higigften Vertheidiger einer Wiffenfchaft, die nicht den
geringfien fcheelen Geitenblid auf biefelbe vertragen können, find
gemeiniglich ſolche Perfonen, bie es nicht fehr ‚weit in bderfelben
gebracht haben, und fich diefes Mangels heimlic) bewußt find.
Kluge Leute glauben zu machen, man fei, was man nidt
it, ift in den meiften Fällen ſchwerer, als wirklich zu werben,
was man fcheinen mil.
157
In ben böfliden Städtchen ift e8 unmöglich, etwas in ber
Weltkenntniß zu thun. Alles ift da fo höflich ehrlich, fo höflich
grob, und fo höflich betrügeriih, daß man felten böfe genug
werden fann, um eine Satire zu fehreiben. Die Leute verbdies
nen immer Mitleiden. Kurz es fehlt Allem die Stärke.
Kein Charakter ift gemeiner, als der von Philipp IT. von
Spanien: Langfam ohne Klugheit, falfch ohne jemanden zu
bintergehen, und fein ohne die geringfte wahre Beurtheilung.
So fhildert ihn Hume.
Es ift ein wahres Vergnügen, eine Coquette zu fehen, wie
fie fih firäubt und bäumt und wendet, und nicht über bie Linie
binüber will, bie bie alte Srau von ber jungen ſcheidet. Sie
arbeiten mit Reiben und Wafchen, mit Schönpfläfterden und
Pug immer dem Alter entgegen, das fie binübderziehen will, bis
fe endlich, wenn fie fehben, daß man zu glauben anfängt, fie
wären-fchon hinüber, wirklich nachgeben und hinübergehen.
Der Umgang mit vernünftigen Leuten iſt deßwegen jeder:
mann fo fehr anzurathen, weil ein Dummkopf auf biefe Art
buch Rachahmen Elug handeln lernen kann; denn bie größten
Dummköpfe können nadahmen, ſelbſt die Affen, Yubelhunde
und Elephanten können es. ’
Kaufleute, die täglich oft ganz entgegengefegte Moden rüds
158
men hören, und das von Leuten, bie fie übrigens hochachten,
befommen einen fo gemifchten Gefhmad, daß ihnen endlich
Alles gefüllt. Sie fagen alfo mit Recht: „das bat biefer oder
jener Mann gewählt,” anſtatt zu fagen, das ift- fchön und
das nicht.
Wahrhaftes, unaffectirtes Mißtrauen gegen menfchliche Kräfte
in allen Stüden, ift das fiherfte Zeichen von Geiftesftärke.
Es gibt Leute, bie werben mit einem böfen Gewiſſen ges
boren — mit einem rothen Strich (Strid) um den Hals.
Leibnitz bat die chriftliche Religion vertbeibigt. Daraus ge⸗
rade weg zu fehließen, wie bie Theologen thun, er fei ein guter
Chriſt gewefen, verräth fehr wenig Weltfenntniß. Eitelkeit, et=
was Befferes zu fagen, ald die Leute von Profeffion, iſt bei ei⸗
nem folden Manne, wie Leibnig,..dver wenig Feſtes hatte, eine
weit wahrfcheinlichere Triebfeder, fo etwas zu thun, als Religion.
Man greife doch mehr in feinen eigenen Bufen, und man wird
finden, wie wenig ſich etwas von Anbern behaupten läßt. Ja,
ich getraue mir zu beweifen, daß man zuweilen glaubt, man
glaube etwas, und glaubt es doch nicht. Nichts ift unergründ⸗
licher, ald das Syſtem von Triebfedern unferer Handlungen.
Mir ift ein Kleinthuer weit unausftehlicher, als ein Groß⸗
thuer. Denn einmal verftehen fo Wenige das Kleinthun, weil e8
159
eine Kunſt if, da Großthun aus ber Natur entfpringt; und
born läßt der Großtäuer jedem feinen Werth, ber Kleinthuer
hingegen veradhtet offenbar den, gegen welchen er es il. Ich
babe Einige gekannt, bie von ihrem geringen Verdienſt mit fo
viel pietiftifcher Dünnigkeit zu fprechen wußten, als wenn fie
fürchteten, man möchte fhmelzen, wenn fie fih in ihrem gan»
zen Lichte zeigten. Sch babe mir aber angewühnt, über folche
Leute zu lachen, und feit ber Zeit fehe und böre ich fie gern.
Ih glaube, daß die Quelle bed meiften menfhlihen Elends
in Indolenz und Weichlichleit liegt. Die Nation, bie bie meilte
Spannfraft hatte, war auch allezeit bie freiefte und glüdlichfte.
Die Indolenz rädt nichts, fondern läßt ih den größten Schimpf
und bie größte Unterdrüdung abfaufen.
Verſtändigen Perfonen werben nicht allein ſchöne Leute ohne
Verſtand verbaßt, fondern auch die äußerfte Dienfifertigkeit bei
Leuten verliert ohne Gaben des Geiſtes ihren Wert.
Die meiften Gelehrten find abergläubifcher, als fie ſelbſt
fagen, ja als fie felb glauben. Man kann üble Gewohnheiten
nicht fo Teicht ganz los werden; fie vor der Welt verbergen, unb
bie fehäblichen Folgen hindern, das kann man.
Ich bin überzeugt, man liebt ſich wicht bloß in Audern,
fondern baßt fi aud in Andern,
160
Der Menfch hat einen unmiderftehlichen Irieb, zu glauben,
man fähe ihn nicht, wenn er .nichts fiebt — wie bie Kinder,
die bie Augen zuhalten, um nicht gefehen zu werden.
Ich kann nur die ‚Oberfläche ber Leute auf meine Seite
bringen, ihr Herz erhält man nur mit ihrem finnlichen Ber:
gnügen — davon bin ich fo überzeugt, als ich lebe.
Es gibt Leute von unfchädfiher Gemüthsart, aber doch
dabei eitel, die immer von ihrer Ehrlichkeit reden und bie Sache
faft wie eine Profeffion treiben, und .mit einer fo prahlenden
Befcheidenheit von ihrem Berdienft zu wimmern wiſſen, baß
einem die Geduld über den immer mahnenden Gläubiger ausgeht.
Deffen, was wir mit Gefühl beurtheilen können, ift fehr
wenig, das Andere ift Alles Vorurtheil und Gefälligkeit.
Men would be angels, angels. would be Gods. Man
bält immer das für verdienftlicher, was einem fauer wird. Die:
ſes fließt aus der Verachtung feines gegenwärtigen Zuſtandes;
daher Eommen die vielen Stümper. Der Schnallengießer will
die Meereslänge erfinden. — Thue das, mas dir. leicht wird,
wovon du gern immer fprächeft, wozu bu gern jedermann bräd;-
teft, wenn du fönnteft, wovon bu bir deine eigenen Vorftellun:
gen machſt, die andern Leuten zumeilen nicht in ben Kopf wol:
len, und bie fie fremd und feltfam finden. Weiter muß man
161
geben, allerdings, aber es muß ſich gleihfam von feldft geben,
man muß glauben, immer bafielbe zu thun, und zur Berwuns
berung anderer Leute fehr viel mehr thun. Es ift ein Unglüd,
wenn ein Mann von Fähigkeiten buch Empfehlungen von Mäns
nern, deren Begriffe von ihm etwas zu groß find, in ein Amt
fommt, wo man etwas Außerorbentliches von ihm erwartet, das
er noch nicht Teiften kann. Es ift immer befier, daß ein Amt
geringer ift, al& bie Fähigkeiten. Wer oft baffelbe thut, kommt
darin weiter, aber nicht der, der fi) vornimmt, Dinge zu thun,
bie von feinen gegenwärtigen Berrichtungen verſchieden find.
Diefes Fünnte mit der Einleitung gefagt werden, bab man
aus Erfahrungen reden müffe, wenn man lehren wolle. Sein
eignes Leben auf biefe Art befchrieben fruchtet mehr für Andere,
als hundert Kaiferhiftorien. — Wenn man fagt, "man müffe
Geſchichtbücher Iefen, um bie Menfchen kennen zu lernen, fo
muß man nicht glauben, man verftehe jene feinen, ins Ber:
ſchlagene fallenden Künfte darunter; bie lernt man wohl allein
in ber Gefelfchaft, und gewiß fichrer und ſchneller.
Sch habe bemerkt, baß zwar jeht eine gewiſſe Freigeifterei
unter jungen Leuten einreißt, bie mit ber Seit üble Folgen ha⸗
ben kann; aber fo viel ift gewiß, es bat fih doch ein gewiffes
Wohlwollen unter eben biefen Leuten ausgebreitet. Man findet
viel Mitleiden,, Befcheidenheit u. f. w. unter ihnen ”).
) Im Jahr 1774 geſchtieben.
I. 1
162
Es ift dem Menfchen ſehr natürlih, wenn er verliebt ift,
Ähnlichkeiten zwifchen feinem Namen und feiner Geliebten Ra
men, ja fogar zwifchen den Geburtstagen und Geburtsorten zu
finden. So fand ein Berliebter es merfwürbig, daß er den 4,
November, und feine Geliebte ben 4. December geboren war;
ein anderer, baß fein Geburtstag auf den 1. Julius, und ber
feines Mädchens auf ben 1. Jänner fiel.
Ich wollte lieber das Wort ſuperklug gemadt haben,
al8 irgend eines; es macht feinem Zuſammenſetzer zuverläffig
Ehre. Es gibt Leute, die fi) angewöhnt haben, über Alles
Reflexionen anzuftellen, nicht weil ihnen die Saden natürlich
einfallen, fondern weil fie e8 erfünfteln — ein Verfahren, das
der Philofophie nicht das Geringfte nügt. Es find fo zu reden
Wunder in der Welt der Ideen, auf die man nicht rechnen fann.
Da dergleichen Leute immer Urfachen angeben, weil fie es für
ihre Pflicht anfehen, ober für ſchön halten, fo verfehlen fie faft
allemal das Natürliche, denn das Schwere, Weithergeholte ſchmei⸗
chelt dem Stolze, aus welchem fie es thun, mehr als das Na⸗
türliche. Hierin Tiegt auch der Grund davon, baß uns bie
großen Entdedungen fo leicht zu machen fcheinen, wenn fie ge-
macht find. Der eigentlich Berftändige Bingegen, ber nicht fo
viel lebhaften Wiß hat, oder ihm wenigftens nicht gleich traut,
fließt fo, weil er hohe Urfache bat, fo zu fehließen: durch Ähn⸗
lichkeiten ſind mir Tauſende verwandt, durch nahe Blutsfreund⸗
[haft nur Wenige. Verſteht ihr mich? Daher urtheilen Frauen⸗
163
zimmer fo vernünftig — (wenn fie erft einmal beffer werben
erzogen werben, fo wird es ſchon anders werben) — das haben
unfere Vorfahren eingefeben, und fie bei wichtigen Angelegen-
heiten zu Rathe gezogen. Die Gallier glaubten fogar, es fei
etwas Göttliches in ihnen. Ihr Gefühl für das wahre Schöne
bängt mit jenem zufammen, fo wie das Superfluge mit einem
Bergnügen am Sonderbaren verbunden if. Der Kluge wirb
nie fuperflug, hingegen kann ber Superkluge, wenn er aufhört,
aus dem Erfinden ein Geſchäft zu machen, und viel vernünftige
Sachen lieft, wofern er ſich nicht gar zu fehr verfiiegen bat, am
Ende Plug werden.
Die Kunft, fih durch ein von almofenfuchender Demüthis
gung weit entfernte Dünnethun ein Gewicht zu geben, hat
vieleicht nie jemand ftärfer in feiner Gewalt gehabt, ale —
Wenn ihn bie Welt ganz kennte, fo wie ich ihn kenne,
meine Herren, fie würde den Fuchs und das Shamäleon in ih⸗
ren Sleichniffen gegen ihn vertaufchen.
Es gibt Leute, die zuweilen ihre Offenberzigkeit rühmen;
fie folten aber bedenken, baß bie Offenherzigkeit aus dem Cha⸗
rakter fließen muß, fonft muß fie felbft der als eine Grobbeit
anfeben, ber fie ba, wo fie echt iſt, hochfchägt.
Wenn man etwas ernftlich fürchtet, fo bringen die entfern-
11°
156
Wenn man gern wiſſen will, was anbere Leute Über eine
gewiffe Sache benfen, bie einen felbft angeht, fo benfe man
nur, was man unter gleichen Umftänben von ihnen denken
würde. Man halte Niemanden für moralifch befjer in biefem
Stüd, als man felbft ift, und Niemanben für einfältiger. Die
Leute "merken Öfterer, als man glaubt, folde Dinge, die wir
vor ihnen mit Kunft verftedt zu haben meinen, — Bon biefer
Bemerkung ift mehr als die Hälfte wahr, und das ift allemal
viel für eine Marime, die jemand in feinem breifigften Jahre
feſtſetzt, wie ich biefe.
Die Äußerungen der Großmuth find heutzutage mehr. ein
Werk der Lectüre, ald ber. Gefinnungen, das beißt, man ift
mehr großmüthig, um Lectüre zu zeigen, als Güte bes Herzens.
Leute, bie es von Ratur find, merken felten, daß es etwas ift,
großmüthig zu fein. - nt
Die bitigften Vertheidiger einer Wiffenfchaft, die nicht ben
geringften fcheelen Seitenblid auf biefelbe vertragen können, find
gemeiniglich folche Perfonen, bie e8 nicht fehr ‚weit in-berfelben
gebracht haben, und fich dieſes Mangels heimlich bewußt find.
Kluge Leute glauben: zu machen, man fei, was man nicht
ift, ift in ben meiften Fällen ſchwerer, als wirklich zu werben,
was man feheinen will.
157
In den böflihen Städtchen ift e8 unmöglich, etwas in ber
Weltkenntniß zu thun. Alles ift da fo höflich ehrlich, fo höflich
grob, und fo höflich betrügerifh, daß man felten böfe genug
werden fann, um eine Satire zu fohreiben. Die Leute verdies
nen immer Mitleiden. Kurz e8 fehlt Allem die Stärfe.
Kein Charakter ift gemeiner, als der von Philipp IT. von
Spanien: Langfam ohne Klugheit, falſch ohne jemanden zu
bintergeden, und fein ohne die geringfte wahre Beurtheilung.
So fchildert ihn Hume.
Es ift ein wahres Vergnügen, eine Coquette zu fehen, wie
fie fich firäubt und bäumt und wendet, und ‚nicht über bie Linie
binüber will, die die alte Frau von ber jungen ſcheidet. Sie
arbeiten mit Reiben und Wafchen, mit Schönpfläfterdhen und
Yus immer dem Alter. entgegen, da8 fie binüberziehen will, bis
fie endlich, wenn fie fehen, daß man zu glauben anfängt, fie
wären-fchon hinüber, wirklich nachgeben und binübergeben.
Der Umgang mit ‚vernünftigen Leuten ift deßwegen jeder:
mann fo fehr anzurathen,. weil ein Dummkopf auf. diefe Art
durch Nahahmen Elug handeln fernen kann; denn die größten
Dummköpfe können nahahmen, felbit die Affen, Pudelhunde
und Elenhanten fünnen es. ’
Kaufleute, die täglich oft ganz entgegengefegte Moben rüh—⸗
158
men bören, unb das von Leuten, bie fie übrigens hochachten,
befommen einen fo gemifchten Gefhmad, daß ihnen enblid
Alles gefält. Sie fagen alfo mit Recht: »das bat biefer ober
jener Mann gewählt,“ anftatt zu fagen, das ift- fhön und
das nicht.
Wahrhaftes, unaffectirtes Mißtrauen gegen menſchliche Kräfte
in allen Stüden, ift das fiherfte Zeichen von Geiſtesſtärke.
Es gibt Leute, die werben mit einem böfen Gewiſſen ge
boren — mit einem rothen Strich (Strid) um den Hals.
Leibnitz bat die chriftliche Religion vertheibigt. Daraus ges
rabe weg zu fließen, wie die Theologen thun, er fei ein guter
Chrift gewefen, verräth fehr wenig Weltkenntniß. Eitelkeit, et=
was Beſſeres zu fagen, al& die Leute von Profeffion, ift bei ei⸗
nem folden Manne, wie Leibnig, der wenig Feſtes hatte, eine
weit wahrfcheinlichere Triebfeder, fo etwas zu thun, als Religion.
Man greife doch mehr in feinen eigenen Bufen, und man wird
finden, wie wenig fi) etwas von Andern behaupten läßt. Ja,
ich getraue mir zu beweifen, daß man zuweilen glaubt, man
glaube etwas, und glaubt e8 doch nicht. Nichts iſt unergründs
licher, ald das Syſtem von Triebfedern unferer Handlungen.
Mir ift ein Kleinthuer weit unausftehlicher, als ein Große
thuer. Denn einmal verftehen fo Wenige das Kleinthun, weil es
159
eine Kunft iſt, da Großthun aus ber Natur entfpringt; und
bann läßt der Großthuer jedem feinen Werth, ber Kleinthuer
hingegen verachtet offenbar den, gegen welchen er es il. Ich
babe Einige gekannt, bie von ihrem geringen Berbienft mit fo
viel pietiftifcher Dünnigfeit zu fprehen wußten, als wenn fie
fürdteten, man möchte fhmelzen, wenn fie fih in ihrem gans
zen Lichte zeigten. Ich habe mir aber angewühnt, über foldye
Leute zu lachen, und feit ber Zeit fehe und höre ich fie gern.
Ich glaube, daß die Quelle des meiften menfchlichen Elends
in Inbolenz und Weichlichkeit liegt. Die Nation, bie bie meifte
Spannfraft hatte, war auch allezeit die freiefte und glüdlichfte.
Die Indolenz rächt nichts, fondern läßt fi) den größten Schimpf
und bie größte Unterdrüdung abfaufen.
Berftändigen Perfonen werden nicht allein ſchöne Leute ohne
Verſtand verhaßt, fondern auch bie äußerfte Dienftfertigkeit bei
Leuten verliert ohne Gaben des Geiftes ihren Werth.
Die meiften Gelehrten find abergläubifcher, als fie felbft
fagen, ja als fie felbft glauben. Man kann üble Gewohnheiten
nicht fo leicht ganz los werden; fie vor der Welt verbergen, und
bie fchäblichen Folgen hindern, das kann man.
Ich bin überzeugt, man liebt ich nicht bloß in Andern,
fondern haßt ſich auch in Andern.
160
Der Menfch hat einen unwiderftehlihen Trieb, zu glauben,
man fähe ihn nidt, wenn er nichts fieht — wie bie Kinder,
die die Augen zuhalten, um nicht gefehen zu werben.
Ich kann mur die Oberfläche ber Leute auf meine Seite
bringen, ihr Herz erhält man nur mit ihrem finnlichen Ber.
gnügen — bavon bin ich fo überzeugt, als ich lebe.
Es gibt Leute von unfchädlicher Gemütbsart, aber doch
dabei eitel, die immer von ihrer Ehrlichkeit reden und bie Sache
faft wie eine Profeffion treiben, und .mit einer fo prahlenden
Befcheidenheit von ihrem Berbienft zu wimmern wiflen, baß
einem die Geduld über ben immer .mahnenden Gläubiger ausgeht.
Deffen, was mir mit Gefühl beurtheilen können, ift fehr
wenig, das Andere ift Alles Vorurtheil und Gefälligkeit.
Men would be angels, angels would be Gode Man
hält immer das für verbienftlicher, was einem fauer wird. Die-
fe8 fließt aus der Verachtung feines gegenwärtigen Zuſtandes;
daher fommen bie vielen Stümper. Der Schnallengießer will
die Meereslänge erfinden. — Thue das, was bir.leicht wirb,
wovon du gern immer fprächeft, wozu du gern jedermann bräd-
teft, wenn du könnteſt, wovon bu bir deine eigenen Vorſtellun⸗
gen macht, die andern Leuten zuweilen nicht in den Kopf wol:
len, und bie fie fremd und feltfam finden. Weiter muß man
161
gehen, allerdings, aber es muß fih gleihfam von felbft geben,
man muß glauben, immer bafjelbe zu thun, und zur Verwun⸗
berung anderer Leute fehr viel mehr thun. Es ift ein Unglüd,
wenn ein Mann von Fähigkeiten burch Empfehlungen von Mäns
nern, deren Begriffe von ihm etwas zu groß find, in ein Amt
fommt, wo man etwas Außerordentliche von ihm erwartet, das
er noch nicht leiften kann. Es ift immer beffer, daß ein Amt
geringer ift, als die Fähigkeiten. Wer oft dafjelbe thut, kommt
darin weiter, aber nicht der, ber fidy vornimmt, Dinge zu thun,
die von feinen gegenwärtigen Berrichtungen verfchieden find.
Diefes Fünnte mit ber Einleitung gefagt werden, daß man
aus Erfahrungen reben müffe, wenn man lehren wolle. Sein
eignes Leben auf biefe Art befchrieben fruchtet mehr für Andere,
als Hundert Kaiferhiftorien. — Wenn man fagt, "man müſſe
Gefchichtbücher Iefen, um die Menſchen Pennen zu lernen, fo
muß man nicht glauben, man verftehe jene feinen, ins Ber:
fchlagene fallenden Künfte darunter; die lernt man wohl allein
in der Gefelfchaft, und gewiß fichrer und ſchneller.
Sch babe bemerkt, daß zwar jebt eine gewiſſe Freigeifterei
unter jungen Leuten einreißt, die mit ber Zeit üble Kolgen ba-
ben kann; aber fo viel ift gewiß, es bat fich doch ein gewiffes
Wohlwollen unter eben biefen Leuten ausgebreitet. Man findet
viel Mitleiden, Befcheidenheit u. f. w. unter ihnen °).
*) Im Jahr 1774 gefchrieben.
l. AN
Es if dem Renſchen ſehr natürlich, wenn er verlicht iM,
Ähnlichkeiten zwiſchen feinem Namen und feiner Geliebten Ra-
men, fa fogar zwiſchen den Beburtstagen und GBeburtsorten zu
finden. &o fand ein Berliebter e8 merkwürdig, daß er ben 4,
November, und feine Beliebte den 4. December geboren war;
ein anderer, dab fein Beburtstag auf den 1. Julius, und der
feines Mädchens auf den 1. Jänner fiel.
Ich wollte lieber da8 Wort ſuperklug gemacht haben,
ale irgend eines; es macht feinem Bufammenfeker zuverläfflg
Ehre. Es gibt Leute, die fih angewöhnt haben, über Alles
Meflerionen anzuftellen, nicht weil ihnen bie Sachen natürlich
einfallen, fondern weil fie e8 erfünfteln — ein Berfahren, das
ber Philoſophie nicht das Geringfte nügt. Es find fo zu reden
Runder In der Melt der Ideen, auf bie man nicht rechnen fann.
Da dergleichen Leute immer Urfachen angeben, weil fie es für
ihre Pflicht anfehen, oder für fchön halten, fo verfehlen fie faft
allemal das Natürliche, denn das Schwere, Weithergeholte ſchmei⸗
(belt dem Stolze, aus welchem fie es thun, mehr als das Na-
tuͤrliche. Hierin Liegt auch der Grund davon, daß uns bie
großen Entdeckungen fo leicht zu machen feheinen, wenn fie ge:
macht find. Der eigentlich Verſtändige hingegen, ber nicht fo
viel lebbaften Wid bat, oder ihm wenigftens nicht gleich traut,
fidlieht fo, weil er hohe Urſache bat, fo zu ſchließen: durch Ihm-
lichkeiten And mir Tauſende verwandt, durch nabe Blutsfreund⸗
(wart nur Wenige, Verſteht ihr mich? Daher urtheilen Srauen-
163
zimmer fo vernünftig — (wenn fie erft einmal beffer werben
erzogen werben, fo wirb es ſchon anders werden) — das haben
unfere Vorfahren eingefehen, und fie bei wichtigen Angelegen⸗
beiten zu Rathe gezogen. Die Gallier glaubten fogar, es fei
etwas Göttliches in ihnen. Ihr Gefühl für das wahre Schöne
hängt mit jenem zufammen, fo wie da8 Superfluge mit einem
Vergnügen am Sonberbaren verbunden if. Der Kluge wirb
nie fuperffug, hingegen kann ber Superfluge, wenn er aufbört,
aus dem Erfinden ein Gefchäft zu machen, und viel vernünftige
Sachen lieft, wofern er ſich nicht gar zu fehr verftiegen bat, am
Ende Plug werden.
Die Kunft, fi duch ein von almofenfuchender Demüthis
gung weit entfernte® Dünnethun ein Gewicht zu geben, Bat
vielleicht nie jemand ftärker in feiner Gewalt gehabt, als —.
Wenn ihn die Welt ganz Fennte, fo wie ich ihn Eenne,
meine Herren, fie würde den Fuchs und das Chamäleon in ih:
ren Gleichniffen gegen ihn vertaufchen.
Es gibt Leute, die zuweilen ihre Offenberzigkeit rühmen;
fie follten aber bedenken, daß die Offenherzigfeit aus dem Cha»
rakter fließen muß, fonft muß fie felbft der als eine Grobheit
anfeben, ber fie da, wo fie echt ift, hochſchätzt.
Wenn man etwas ernftlich fürchtet, fo bringen bie entferu-
AL”
164
teften Dinge uns den Gegenſtand in den Sinn. Für einen,
der am Hofe Iebt, kann die geringfte Bewegung im Geficht ‚nicht
des Fürften felbft, fondern fogar feiner Diener, glauben machen,
man fei in Ungnade gefallen. Doch machen bie Gharaftere
hierin einen großen Unterfchied, und wer eine Zeichnung machen
will, bat fehr darauf zu achten.
Er war fonft ein Menfh, wie wir, nur mußte er flärder
gebrüdt werden, um zu fehreien; er mußte zweimal fehen, wa
er bemerken, zweimal hören, was er behalten follte, und was
Andere nach einer einzigen Obrfeige unterlaffen, unterließ er erft
nach ber zweiten.
Die Marime von Rodhefoucault: dans l’adversit6 de
nos meilleurs amis nous trouvons toujours quelque chose,
qui ne nous deplait pas, £lingt allerdings fonberbar; wer aber
die Wahrheit derfelben leugnet, verfteht fie entweder nicht, oder
kennt fich felbft nicht.
Keine Leute find eingebildeter, als die Befchreiber ihrer
Empfindungen, zumal wenn fie dabei etwas Profe zu comman⸗
diren haben.
Für alle Bemerkungen eines Mannes, ber 3. E. baarfuß
nach Nom laufen könnte, um fih dem vatifanifhen Apoll zu
Füßen zu werfen, gebe ich Beinen Pfennig. Diefe Leute fprechen
165
nur von fih, wenn fie von andern Dingen zu reden glauben,
und bie Wahrheit kann nicht leicht in üblere Hände gerathen.
Man fuche feinen Entbhufiaften Behutfamkeit lehren zu wols
len. Solche Leute fagen, fie wollen behutfam fein, glauben
auch, fie wären es, und find die unbehutjamften Menfchen auf
der Welt,
Ein gemeiner Charakter ift folgender: Es gibt Leute, bie
3.3. wenn fie zeichnen, fein Fältchen im Ermel leiden können;
fie haben für jedes Glied, das fie zeichnen, einen befonbderen
DBleiftift, müffen eigene Stühle haben, ihre Fenſter müffen be-
fonders liegen, und wenn fie anfangen zu zeichnen, zeichnen fie
doch herzlich ſchlecht. Diefer Charakter findet fich nicht bloß bei
Künftlern, fondern auch ſonſt. Man muß aber nicht glauben,
als fagte ich e8 zur Erläuterung des Parturiunt montes etc. —
nicht8 weniger; benn es ift ein Aufwand und feine Prablerei.
Habe Peine zu künſtliche Idee vom Menfchen, fundern ur:
theile natürlich von ihm; halte ihn weber für zu gut, noch für
zu böfe.
Jeder Menfch bat auch feine moralifche backside, bie er
nicht ohne Noth zeigt, und die er fo lange als möglich mit den
Hofen des guten Anftandes zubedt.
166 —
Der Stolz der Menſchen iſt ein ſeltſames Ding, es läßt
ſich nicht ſo leicht unterdrücken, und guckt, wenn man das Loch
A zugeſtopft bat, ehe man fich's verſteht, zu einem andern Loch
B wieber heraus, und hält man dieſes zu, fo ftebt es binter
dem Loch C u. f. w.
In jedes Menfchen Charakter figt etwas, das ſich nicht bres
hen läßt — das Knochengebäude bes Charakters; und
biefes ändern wollen, beißt immer, ein Schaf das Apportiren
lehren.
Man kennt mandhmal einen Menfchen genauer, ald man
fagen kann, ober wenigftens als man fagt. Worte, Grad ber
Munterkeit, Laune, Bequemlichkeit, Wit, Intereſſe — Alles
brüdt und leitet zur Falſchheit. &
Wo Mäßigung ein Fehler ift, da ift Gleichgültigkeit ein
Verbrechen.
Ih Eenne die Miene ber affectirten Aufmerkſamkeit, es ift
der niedrigfte Grab von Zerftreuung.
Ih bin überzeugt, daß ber Zank Homerifcher Helden man:
hen Bank im Parlamente bervorgebradt hat. Mancher, ber
gegen Lord North ſprach, dachte, er rebete gegen ben Agamem⸗
non. Es ift ber menfchlihen Natur fehr angemeffen.
167
Den Menfchen fo zu machen, wie ihn bie Religion haben
will, gleiht bem Unternehmen ber Stoiker; es ift nur eine
andere Stufe des Unmöglicdhen.
Es war wohl niemals ein Mann von irgend einigem Werth,
auf ben fein Pasquill gemacht worden wäre, und nicht leicht
eine fchlechte Seele, bie eins auf irgend einen Mann von Ber:
dienſt gemacht hätte.
über nichts wird flüchtiger geurtheilt, als über die Charak⸗
tere der Menſchen, und doch ſollte man in nichts behutſamer
ſein. Bei keiner Sache wartete man weniger das Ganze ab,
das doch eigentlich den Charakter ausmacht, als hier. Ich habe
immer gefunden, die ſo genannten ſchlechten Leute gewinnen,
wenn man fie genauer kennen lernt, und bie guten verlieren.
Wer fi) nur etwas Mühe geben will, wird leicht bemerken,
daß es eine gewiſſe Menfchentenntniß, eine Philofophie und eine
Theorie des Lebens gibt, die, ohne weiter unterfucht zu werben,
bob Bielen zum Leitfaden im Handeln ſowohl als Sprechen
dient. Es gibt fogar berühmte Leute, die weiter nichts vorzuwei⸗
fen haben. &o hält man in mittelmäßig großen Städten immer
ben Profeffor für einen Pedanten; ja fogar das Univerfitätsmä-
‚Bige hat da bie Bedeutung von Steifigkeit. Der Lanbjunker ift
auch ein bekannter Charakter, und doc, find die meiften Land⸗
junter das gar nit. Schwache Köpfe find in biefer Philofophie
168
gemeinigli fehr zu Haufe. Man muß zuweilen wieder bie
Wörter unterfuchen, benn bie Welt kann wegrüden, und bie
Wörter bleiben ftehen. Alfo immer Sahen und feine Wör—⸗
ter! Denn fogar die Wörter unendblidh, ewig, immer
haben ja ihre Bedeutung verloren.
Man irrt fih gar fehr, wenn man aus dem, was ein
Mann in Geſellſchaft fagt oder auch thut, auf feinen Charakter
oder Meinungen fchließen wid. Man fpriht und handelt ja
nicht immer vor Weltweifen; das Vergnügen eines Abends kann
an einer Sophifterei hängen. Beurtheilt ja aud fein Bernünfs
tiger Cicero's Philofophie aus feinen Neben.
Man follte nicht glauben, daß ber unnatürliche Berftanb fo
fehr weit gehen könnte, baß fich Beute beim infteigen in bie
Zrauerfutfhe complimentiren fünnten.
Es ift fonderbar, daß diejenigen Leute, bie bas Gelb am
liebften haben und am beften zu Ratbe halten, gerne im Dimi⸗
nutivo davon ſprechen. „Da kann ich doch meine 600 Thä-
lerchen babei verdienen“ — „ein hübfhes Sümmden! —
Wer fo fagt, ſchenkt nicht leicht ein halbes Thälerchen weg.
Er wunderte fich, daß ben Kagen gerade an ber Stelle zwei
Löcher in ben Pelz gefchnitten wären, wo fie die Augen hätten.
169
Die kecht guten offenberzigen Leute muß man nie unter den
Phraſesdrechslern ſuchen, wie Sterne.
Manche Menfchen äußern fchon eine Gabe, fih dumm zu
ftellen, ehe fie klug find; die Mädchen haben dieſe Gabe fehr oft.
Wenn bie Menfchen fagen, fie wollen nichts gefchenkt haben,
fo ift es gemeiniglich ein Zeichen, daß fie etwas geſchenkt haben
wollen.
Der Menfh liebt die Gefelfchaft, und ſollte es auch nur
die von einem brennenden Rauchkerzchen fein.
Man muß keinem Menfchen trauen, ber bei feinen Verſi⸗
herungen bie Hand auf das Herz legt.
Die Dienftmädchen Lüffen die Kinder und fehütteln fie mit
Heftigkeit, wenn fie von einer Mannsperfon beobachtet werden;
bingegen präfentiren fie fie in der Stile, wenn FZrauenzimmer
auf fie ſehen.
Sch Habe das fhon mehr bemerkt, die Leute von Profeffion
wiffen oft das Beſte nicht.
Wie glülli würde Mancher leben, wenn er fi) um andes
rer Leute Sachen fo wenig -befümmerte, als um feine eigenen.
170 ”
In jedem Menfchen ift etwas von allen Menſchen. Ich
glaube dieſen Satz ſchon fehr lange; ben vollftänbigen Beweis
davon kann man freilich erft von ber aufrichtigen Beſchreibung
feiner feloft erwarten, nämlich, wenn fie von Bielen unternom⸗
men wird. Diefes, was man von Allen bat, mit geböriger
Genauigkeit zu foheiden, iſt eine Kunft, die gemeiniglich bie
größten Schriftfteller verftanden haben. Man braucht nicht viel
von jedem Menfchen zu befiten. Es gibt geſchickte Leute, bie
ihre chymifchen Verſuche im Kleinen anftelen, und richtigere
Sachen berausbringen, als andere, bie fehr viel Geld darauf zu
verwenden haben.
Jedes Gebrehen im menfchlichen Körper erwedt bei bem,
ber darunter leidet, ein Bemühen, zu zeigen, daß es ihn nicht
drüdt: der Taube will gut hören, ber Klumpfuß über raube
Wege zu Fuß gehen, ber Schwache feine Stärke zeigen, u. f. w.
So verhält es fih in mehreren Dingen. Diefes ift für ben
Schriftſteller ein unerfchöpflicher Quell von Wahrheiten, bie An⸗
dere erfhüttern, und von Mitteln, einer Menge in die Seele zu
reden.
Der Menſch ift der größten Werke alsdann fähig, - wenn
feine Geiftesfräfte fihon wieder abnehmen, fo wie e8 im Julius
und um 2 Uhr bes Nachmittags, da die Sonne ſchon wieder zu⸗
rückweicht und finkt, heißer ift, al8 im Junius und um 12 Uhr.
171
Es ift wahr, alle Menfchen fchieben auf, und bereuen ben
Auffhub. Ich glaube aber, auch der Thätigfte findet fo viel
zu bereuen, als ber Faulſte; denn wer mehr thut, fieht auch
mehr und deutlicher, was hätte getban werden können.
Es gibt Leute, die können Alles glauben, was fie wollen;
das find glüdliche Geſchöpfe!
Ein Mädchen, bie fi ihrem Freund nach Leib und Seele
entdedt, entbedit bie Heimlichkeiten bes ganzen weiblichen Ge⸗
ſchlechts; ein jedes Mädchen ift die Vermwalterin ber weiblichen
Mofterien. Es gibt Stellen, wo Bauernmäbchen ausfehen wie
die Königinnen, das gilt von Leib und Seele.
Er Hat bloß Feinheit genug, fich verbaßt zu machen, aber
nicht genug, fi) zu empfehlen.
Es gibt wirklich fehr viele Menfchen, die bloß lefen, damit
fle nicht denken dürfen.
Leber Menſch hat feinen individuellen Aberglauben, ber ihn
bald im Scherz, bald im Ernft leitet. Ich bin auf eine lächer⸗
liche Weife öfters fein Spiel, ober vielmehr ich fpiele mit ihm.
Die pofitiven Religionen find feine Benukungen jenes Hanges
im Menfchen. Die Menfchen haben alle etwas davon, wenn fie
nicht deutlich denken, und es ift gewiß noch nie ein fo vollkom⸗
172
mener Deift gewefen, als er im Gompenbio ſteht; das ift un-
möglid.
Der Menich, der fi) vieles Glücks und feiner Schwäche be
mußt ift, wird abergläubifch, flüchtet zum Gebet, und bergl. mehr.
Das Höchſte, wozu ſich ein ſchwacher Kopf von Erfaßrung
erheben kann, ift die Fertigkeit, die Schwächen beſſerer Menfchen
auszufinden.
Es gibt in Rüdficht auf den Körper gewiß wo nicht mehr,
doch eben fo viele Kranke in ber Einbildung, als wirkliche Kranke;
in Rüdfiht auf den Verſtand eben fo viele, wo nicht fehr viel
mehr Gefunde in ber Einbildung, als wirklich Gefunbe.
Bon dem Nuhbme ber berühmteften Menfchen gehört immer
etwas ber Blöbfichtigkeit ber Bewunberer zu; und ich bin über:
zeugt, daß folchen Menfchen das Bewußtfein, daß fie von Eini⸗
gen, die weniger Ruhm, aber mehr Geift haben, burchgefehen
werden, ihren ganzen Ruhm vergält. Cigentlich ruhiger Genuß
des Lebens kann nur bei Wahrheit beftehen. Newton, Fränk—
lin, das waren Menfchen, bie beneidenswerth find.
Es ift Fein tüdifcheres und boöhafteres Gefchöpf unter ber
Sonne, als eine H.., wenn fie Alters wegen ſich genöthigt
fiebt, eine Betſchweſter zu werden.
173
Wenn man von ber wenigen Übereinflimmung, die das Ins
nere eines Menfchen mit feinem Außern hat (ich meine hier ben
efoterifchen Menfchen mit dem eroterifchen), auf etwas Ahnliches
in den Werfen der Natur ſchließen bürfte, fo wäre das ein fchlecdhs
ter Troſt. Denn wie wenige $reunde würden Freunde bleiben,
wenn einer bie Gefinnungen des andern im Ganzen fehen könnte!
Es gibt große Krankheiten, an benen man fterben kann; es
gibt ferner welche, die fih, ob man gleich nicht eben daran
ftirbt, doch ohne vieles Studium bemerken und fühlen laffen ;
endlich gibt e8 aber auch welche, die man ohne Mifroftop faum
erkennt. Dadurch nehmen fie fi) aber ganz abfcheulich aus; und
diefes Mifroftop ift — Hypohonbrie. Sch glaube, wenn -fich
die Menfchen recht darauf legen wollten, bie mitroffopifchen
Krankheiten zu fubiren, fie würden bie Satisfaction haben, alle
Tage krank zu fein. |
Man ift verloren, wenn man zu viel Beit-befommt an
fi) zu denken, vorausgeſetzt, daß man ſich nicht als ein Object
ber Beobachtung, wie ein Präparat, anſieht, fondern immer
als Alles, was man jest. if. Man wird fo viel Trauriges ges
wahr, daß über dem Anblid alle Luft verfliegt, es zu ordnen
oder zufammenzubalten.
|
Die Natur hat die Srauenzimmer fo gefchaffen, daß fie nicht
nad Principien, fondern nah Empfindung handeln follen.
174
Leute, bie ihre Briefe mit grünem Siegellad ſiegeln, find
alle von einer eigenen Art, gewöhnlich gute Köpfe, die fich felbft
zuweilen mit chemifchen Arbeiten befchäftigen, und wiſſen, baß
es fchwer ift, grünes Siegellad zu machen.
Man gibt falfhe Meinungen, die man von Menfchen ge
faßt hat, nicht gern auf, fobald man dabei auf fubtile Anwen»
dung von Menfchenkenntniß fi) etwas zu gute thun zu Pönnen
glaubt, und fih einbildet, folche Blide in das Herz des Andern
fönnten nur Gingeweihete thun. Es gibt daher wenige Fächer
ber menfchlichen Erkenntniß, worin das Halbwiſſen eröperen
Schaden thun kann, al dieſes.
Es könnte gar wohl fein, baß eine gewiffe Generation, in
linea recta ascendente et descendente, ein Ganzes ausmachte,
das fich entweder vervollkommnet ober verfhlimmert. Daß z. B.
ber Sohn des berühmten Howard völlig toll geworden ift,
könnte mit dem Genie des Baters Bufammenhang haben. Denn
ohne bei wahrhaften Menfchenkennern in den Verdacht zu kom⸗
men, ald wollte man biefen großen Mann verkleinern oder feine
Tugend verbädtig machen, kann man behaupten, daß er Mans
bes nicht würde unternommen haben, wenn er nicht bereits
einen kleinen Hieb gehabt hätte, und wenigftens entfernte An⸗
lagen zu dem, was nachher fein Sohn wirklich geworben ift.
Es gibt wohl Leinen Menfchen in ber Welt, der nicht,
175
wenn er um taufend Thaler willen zum Spigbuben wird, fies
ber um ‘das halbe Geld ein ehrlicher Mann geblieben wäre.
Wer fagt, er haſſe alle Arten von Schmeicdheleien, und es
im Ernſt fagt, der hat gewiß noch nicht alle Arten Eennen ge
lernt, theils ber Materie, theild ber Form nad).
Leute von Berftand haſſen allerdings die gewöhnliche
Schmeidelei, weil fie fih nothwendig durch die Leichtgläus
bigfeit erniedrigt finden müffen, bie ihnen ber fchmeichelnde
Tropf zutraut. Sie haſſen alfo bie gewöhnliche Schmeichelei
bloß deßwegen, weil fie für fie feine if. Ich glaube nad)
meiner Erfahrung ſchlechterdings an feinen großen Unterfchieb
unter den Menfchen. Es ift Alles bloß Überfegung. in jeder ”
bat feine eigene Münze, mit ber er bezahlt fein wil. Man ers
innere ſich an bie eifernen Nägel in Otaheite; unfere Schönen
müßten rafenb fein, wenn fie die eifernen Nägel in folgem
Werthe halten wollten. Wir haben andere Nägel, Es iſt eben:
falls bloß menſchliche Erfindung, zu glauben, daß Die Menſchen
ſo ſehr unterſchieden ſind; es iſt der Stolz, der dieſe Unterſchei⸗
dung unterſtützt. Seelenadel iſt gerade ſo ein Ding wie der
Geburtsadel. — (Etwas gemildert muß dieſes Alles werden.)
Die Menſchen nutzen wahrhaftig ihr Leben zu wenig; es iſt
alfo Fein Wunder, daß es noch fo einfältig in ber Welt agfieht.
Womit bringt man fein Alter bin? Mit Bertbeibigung von
Meinungen; nicht weil man glaubt, baß fie wahr find, ſonde
176
weil man einmal öffentlich gefagt hat, daß man fie für wahr
halte. Mein Gott, wenn die Alten ihre Zeit doch Fieber auf
Warnung verwenden wollten! Zreilich, die Menfchen werben
alt, aber das Geſchlecht ift noch jung. Es ift wirkli ein Be:
weis, daß die Welt noch nicht alt ift, daß man hierin noch fo
zurüd iſt. Wenn doch die Alten mehr fagen wollten, was man
vermeiden muß, und was fie hätten thun müflen, um nod
größer zu werden, als fie geworben find!
Ich habe fehr häufig gefunden, baß gemeine Leute, die nicht
raudten, an Orten, wo das Rauchen gewöhnlich ift, immer
fehr gute und thätige Menfchen waren. Bei bem gemeinen
Mann ift e8 leicht zu erflären; es verräth bei dieſer Glafje vor⸗
züglih ſchon etwas Gutes, fi von einer folden Mode nit
binreißen zu laffen, oder überhaupt etwas zu unterlaffen, was
wenigftens von Anfang nicht behagt. Auch muß ich geitehen,
daß ˖ von allen ben Gelehrten, bie ich in meinem Leben babe Een:
nen gelernt Sund bie ich eigentlich Genies nennen möchte, Bein
einziger geraucht hat. — Hat wohl Leffing geraudt?
Es ift für die Vervollkommnung unferes Geiftes gefährlich,
Beifall durch Werke zu erhalten, die nicht unfere ganze Kraft
erfordern. Man fteht alddann gewöhnlich flille. Rochefoucault
glautg daher, es babe noch nie ein Menfch alles das gethan,
was er babe thun können; ich halte dafür, daß diefes größten:
theils wahr ift. Jede menſchliche Secle hat eine Portion Indos
177
lenz, wodurch fie geneigt wird, das vorzüglich zu thun, was ihr
leicht wird.
Einer der größten und zugleich gemeinſten Fehler der Men⸗
ſchen iſt, daß fie glauben, andere Menſchen kennten ihre Schwä-
chen nicht, weil ſie nicht davon plaudern hören, oder nichts da⸗
von gebrud® leſen. Ich glaube aber, daß die meiſten Menſchen
beffer von andern gefannt werben, als fie ſich felbft Fennen. Ich
weiß, daß berühmte Schriftfieller, die aber im Grunde feichte
Köpfe waren (mas fi) in Deutfchland leicht beifammen findet),
bei allem ihrem Eigendünfel von den beften Köpfen, die ich be+
fragen Eonnte, für feichte Köpfe gehalten worden find.
Wenn man felbft anfängt alt zu werden, fo hält man Au—
dere von gleichem Alter für jünger, als man in frühern Jahren
Leute von eben dem Alter hielt. So halte ich z. B. den go
ſchmied K.., den ih ſchon vor 30 Jahren gefannt habe, für
einen jungen N Mar, ob er gleich gewiß fchon einig® 9 Jahre älter
ift, als fein Vater war, da ih ihn zum erfienmal fah, den ich
damals gewiß für feinen jungen Mann mehr hielt. Mit andern
Worten: wir halten uns felbft und Andere noch in denen Jah⸗
ren für jung, in welden wir, al8 wir nod) jünger waren, Ans
dere fihon für alt hielten.
| Ä —. &
Es gibt Leute, die zu keinem Entfhluß kommen fünnen, fie
müſſen ſich denn erft über bie Sache befchlafen haben: Dos K
l. \R%
178
ganz gut, nur kann es Fälle geben, wo man riskirt, mit fammt
der Bettlade gefangen zu werben.
Wird man wohl vor Scham roth im Dunkeln? Daß man
vor Schreden im Dunkeln bleich wird, glaube ih, aber das Er-
flere nicht. Denn bleih wird man feiner felbft, roth ſeiner ſelbſt
und Anderer wegen. — Die Frage, ob Frauenzimmzr im Duns
keln roth werden, ift eine fehr fhwere Frage; wenigften® eine,
bie ſich nicht bei Licht ausmachen läßt.
Es gibt nicht leicht eine größere Schwachheit, als die großen
oder wenigſtens glänzenden Thaten mancher Menſchen aus ge⸗
wiſſen Engelsanlagen und einer Größe der Seele zu erklären.
Es mag wohl einmal unter Tauſenden wahr ſein; wer aber den
Menſchen etwas ſtudirt hat, wird bie Urſachen ſolcher Thaten
gemeiniglich ganz in der Nähe finden. Es beißt ſchriftſtelleriſch
vornchm thun, wenn man Alles fo tief ſucht.
oe
Ich glaude nicht, daß bie fo genannten wahrhaft Frommen Zeute
gut find, weil fie fromm.find, fonbern fromm, weil fie gut find.
Es gibt gewiſſe Charaktere, denen e8 Natur ift, fi in- alle
häuslichen und bürgerlichen Verhältniſſe zu finden, und ſich das
gefallen zu laffen, wovon fie theild den Nugen, theils die Un⸗
möglichkeit einfehen, es beffer zu haben. Alſo das der Religion
zuzufßpreiben, Fönnte gar wohl eine fallacia causae fein.
Ih habe durch mein ganzes Leben gefunden, daß fich ber
179
Charakter eines Menfchen- aus nichts fo ficher erfennen läßt,
wenn alle Mittel fehlen, als aus einem Scherz, den er übel nimmt.
Wer ift unter.uns allen, der nicht Einmal im Jahre närrifch
ift, das ift, wenn er ſich affein befindet; ſich eine aridere' Welt,
andere Glüdsumftänbe denkt, als die wirdlihen? Die Vernunft
befteht nur: darin, fi) fogleih wieder zu finden, fobald bie
Scene vorüber ift, und aus ber Komdbie nach Haufe zu gehen.
Man hat in ben finftern Zeiten oft fehr große Männer ges
fehen. Dort fonnte nur groß werben, wen bie Natur befonders
zum großen Manme geftempelt hatte. Dept, ba der Unterricht
fo feiht ift, richtet man die Menfhen ab zum: Großwerden, wie
bie Hunde zum Apportiren. Dadurch hat man:'eine neue Art
bon Genie entdeckt, nämlich. die große NAbrihtungsfähigkfeitz
und dieſes find bie Menfchen., die uns den Handel hauptſächlich
verderben; fie können oft das eigentliche Genie verrunkeln- oder
wenigſtens hindern, gehorig emporzukommen.
Wenn zwei Perſonen, bie Fi jung gefannt- hatten, alt zus
fammen fommen, fo müffen tauſend Gefühle entftehen. Eines
der unangenehmften mag fein, daß fle nun fih in fo Manchem
betrogen finden, was fie bei ihren: doffanngeſpielen ehemals als
gewiß berechnet hatten. rn Er Zu
Selbſt die ſanfteſten, befcheidenften und beſten — NE
IQ”
180
immer fanfter, befcheidener und beffer, wenn fie ſich vor bem
Spiegel fhöner gefunden haben.
Es ift angenehm, bei jedem Menfchen eine gewiſſe Gleich⸗
förmigfeit der Gefinnungen in Rüdfiht auf ihre Temperatur zu
bemerken. Bei Johnſon nahm Alles eine gewiſſe Härte any
was bei ihm einmal gemwurzelt hatte, das konnte nicht wieber
heraus geriffen werden; baber auch fein Z love a good hater.
Härte und Weiche erftredt fi gemeiniglich in jedem Menfchen
über Alles.
Man rühmt fih im Alter nod einer Empfindfamkeit ber
Jugend, die man nie befefien hat. So entfchulbigt fogar das
Alter die Jugendfünden, und verbefiert jene Seiten durch Nach⸗
beifen. Sp erzählte mir in biefen Tagen ein alter Mann, er
könne fi) Feine größere Freude denken, als im Sommer Mor
gend um 5 Uhr oder noch früher durch das Korn zu fahren,
oder zu gehen, oder zu reiten; er habe in feiner Jugend ba recht
fo feine Andadt in Bewunderung feines Schöpferd gehabt. —
Bon alle bem war gewiß fein Wort wahr. Er fuhr und ritt
durch dad Kom und vergnügte fih; aber die Vergnügungen
waren nit anbädtig, fondern gewiß fehr weltlich, Entwürfe
zu Bällen u. dergl. Jetzt corrigirt er die Zeiten, und glaubt
damals empfunden zu haben, was er jet vielleicht empfinben
würde, oder wenigftens empfinden follte, nad feinem jeßigen
Nervenz, Knochen und Muskelſyſtem. — Iſt das nicht fon-
181
derbar? In ber That ift es in dem Horagifchen: laudator tem-
poris acti etc. enthalten, nur mit Nüance.
Wenn man jung ift, fo weiß man faum, daß man lebt.
Das Gefühl von Gefunbheit erwirbt man fi) nur durd Krank:
beit. Daß uns bie Erde anzieht, merken wir, wenn wir in die
Höhe fpringen, und dur Stoß beim Fallen. Wenn fi) das
Alter einftellt, fo wirb der Buftand der Krankheit eine Art von
Sefundheit, und man merkt nicht mehr, daß man krank ift.
Bliebe die Erinnerung bes Bergangenen nit, fo würde man
die Anderung wenig merken. Ich glaube daher auch, daß die
Thiere nur in unfern Augen alt werden. Ein Eichhörnchen,
das an feinem Sterbetage ein Aufterleben führt, ift nicht uns
glüclicher als bie Aufter. Aber ber Menfch, der an drei Stel«
len lebt, im Bergangenen, im Gegenwärtigen und in der Bus
kunft, kann unglüdlich fein, wenn eine von diefen dreien nichts
taugt. Die Religion bat fogar noch eine vierte hinzugefügt —
die Ewigkeit.
Es gibt Leute, die fo wenig Herz haben, etwas zu behaup:
ten, baß fie fi nicht getrauen, zu fagen, ed wehe ein ?alter
Wind, fo fehr fie ihn auch fühlen mögen, wenn fie nicht vors
ber gehört haben, daß es andere Leute gefagt haben.
Bei den meiften Menfchen gründet fi) der Unglanbe in
einer Sache auf blinden Glauben in einer andern.
| pp —— ——— — — —— — —
*
184
Ich muß mich immer freuen, wenn die guten Seelen, die
den Sterne mit Thränen des Entzückens in den Augen leſen,
glauben, der Mann ſpiegele ſich in ſeinem Buche. Die Sterniſche
Einfalt der Sitten, ſein warmes gefühlvolles Herz, ſeine mit
Allem, was edel und gut iſt, ſympathifirende Seele, und wie
die Phrafen alle beißen, und ber Seufjer alas poor Yorick!
ber Alles zugleih fagt, find unter uns Deutfchen zum Sprüch⸗
wort geworden. Man bat dieß vermuthlich einem Manne, ber
mehr Geſchmack ald Kenntniß der Welt hatte, nacdhgefagt, ohne
bie Sache weiter zu unterfudhen. Denn bie, bie Sternen am
meiften im Munde führen, find eben nicht die, die einen äußerſt
wigigen, fchlauen und biegfamen Kenner ber Welt zu beurtbeilen
im Stande find. Man kann den Eindrud von zehn Sprüdy
wörtern auf einen Kopf leichter auslöfchen ‚ als ben von einem
einzigen auf da8 Herz, und neulich hat man ihm fogar ben
redlihen Asmus nachgefeht. Das geht zu weit. Die nicht bloß
aus Schriften, fondern aus Ihaten bekannte rechtfchaffene Seele
bes Wandsbeders fol Sternen nachſtehen, weil uns ein falfcher
Spiegel ein angenehmes Bild von biefem zurüdwirft, oder zu⸗
rüdzumwerfen foheint? Ein Buch kann die ganze Seele feines
Berfaffers zurüdwerfen, aber es verräth eine große Unbefannt«
fhaft mit der Welt und dem menfhlihen Herzen, wenn man
diefes von Yorids Schriften glaubt. Yorid war ein kriechender
Schmaroger, ein Schmeidhler ver Großen, und eine unausftehliche
Klette am Kleide derer, die er zu befchmaujen ſich vorgenommen
hatte. Er Fam uneingeladen zum Frühftüd, und wenn man
‘185
ausging, um ihn loszuwerden, fo ging er mit aus, umb rhit
in andere Gefellfehaft, weil er glaubte, er könne nirgends un⸗
angenehm fein. Ging man nad) Haufe, fo ging er wieder mit,
und feste fih endlich zu Tifh, wo er gern allein und von ſich
ſelbſt fpradh. —Ein gelehrter und fehr rechtfchaffener Mann in
England fragte mich einmal: was halten fie in Deutfchland von
unferem Yorid? Ich fagte, er würbe von einer großen Menge
angebetet, und Kenner biefer Art Schriften, die ihn eben nicht
anbeteten, hielten ihn doch alle für einen außerorbentlichen und
einzigen Mann in feiner Art; ich fände nicht, daß man in Eng-
land fo von ihm bädte. — „Um Berzeihung, war die Ant-
wort, man denkt in England eben fo von ihm; nur weil wir
ihn näher kennen, fo wird das Lob durch die Häßlichkeit feines
perſönlichen Charakters fehr gemildert; denn er war ein Mann,
ber feine außerorbentlihen Talente größtentheild anwandte, nieber:
trächtige Streiche zu fpielen.« — Ic weiß, viele, vielleicht die
meiſten meiner Lefer ‚werben biefes für wahre Läfterung halten.
Iſt es nicht eine Schande, werben fie fagen, Neſſeln auf das
Grab besjenigen zu pflanzen, ber fie fo liebevoll von Lorenzo's
Grab ausrig? Aber nicht ausgeriffen haben würde, möchte ich
antworten, wenn ihn ein Herzog eingeladen hätte, ober Neffeln
ausreißen dem unerreichbar angenehmen Schwäger und Maler
von Empfindungen nicht fo vortrefflich geflungen hätte. Mit
Wis, verbunden mit Weltkenntniß, biegfamen Fibern und
einem burch etwas Interefje geſtärkten Vorſatz, eigen zu fcheinen,
läßt fich viel fonderbares Zeug in der Welt anfangen, wenn man
186
ſchwach genug ift, e8 zu wollen, unbelannt mit wahrem Ruhm
es ſchön zu finden, und müßig genug, ed auszuführen.
Nachtrag
zu den Beobachtungen über den Menſchen.
Die Vorurtheile find, fo zu ſagen, bie Kunſttriebe der Men⸗
ſchen. Sie thun daburch Vieles, das ihnen zu ſchwer werden
würde bis zum Entſchluß durchzudenken, ohne alle Mühe.
Auch die gemeinſten Dinge würde jedermann anders aus⸗
drücken, wenn er ſeinem eignen individuellen Gefühle folgen
wollte. Dieſes geſchieht aber ſelten vor einem gewiſſen reifern
Alter, da man merkt, daß man ſo gut ein Menſch iſt, als
Newton, oder als der Prediger im Dorfe, oder der Amtmann
und alle unſere Vorfahren. Shakeſpeare iſt eine Probe davon.
Man muß nie den Menſchen nach dem beurtheilen, was er
geſchrieben hat, ſondern nach dem, was er in Geſellſchaft von
Männern, die ihm gewachſen find, ſpricht.
Große Leute fehlen auch, und manche darunter ſo oft, daß
man faſt in Verſuchung geräth, ſie für kleine zu halten.
187
Wenn Jemand auf bie Ärzte, auf Advocaten, ober bie
elenden Philoſophen loszieht, fo lachen die Bernünftigen unter
benfelben mit. Wllein wenn man auf einen ſchlechten Geift-
lihen etwas fagt, beren e8 doch auch gibt, fo werfen felbft
gute Männer unter ihnen mit Eifer und Verfolgung um fid.
Was ift davon wohl bie Urfache ?
Die Gabe, den Menfchen ihre Heimlichkeiten fagen gu kön⸗
nen, ift e8, was man bei einem Schriftfteller oft Menſchen-
fenntniß nennt. Ein Burſch dünkt ſich gleich mehr, wenn er
ben Hut heruntergefhlagen, u. f. w. Iebermann bat feinen
guten Grad von Menfchenkenntniß, bie Leute wiffen nur nicht,
bag man eben das fagen muß, um für einen Menſchenkenner
gehalten zu werden.
Jeder Menſch bat etwas Eignes. Die Feigen und Bieg—
ſamen wiſſen es nur nach Anderen zu modeln. Der Wagen:
meifter gebt, benft und fpridht, wie e8 fein Knochen⸗ und Ge
dankenſyſtem mit ſich bringt; wer ihn ausladht, ben. lacht er
wieder einmal aus, oder, wenn er an- der Gelegenheit dazu
verzweifelt, fchlägt ihm hinter bie Ohren.
Ich kenne bie Leute wohl, bie ihr meint, fie find bloß
Geift und Theorie und können fi) Leinen Knopf. annäben.
Leute, die fehr viel gelefen Haben, machen felten große
188
Gntdedungen. Ich fage diefes nit zur Gntfchuldigung ber
Faulheit, denn Erfinden fegt eine weitläufige Selbftbetrachtung
der Dinge voraus. Man muß aber mehr fehen als fich fagen
laſſen.
Wenn die feinen Weltleute fragen: Gott weiß, warum?
o ift es immer ein ficheres Zeichen, daß fie außer bem lieben
Gott noch einen großen Mann kennen, ber es auch weiß.
Es gibt Schwärmer ohne Fähigkeit, und dann ſind fie wirk
lich gefährliche Leute.
Die Enthuſiaſten, die ich kennen gelernt, haben alle den
entſetzlichen Fehler, daß ſie bei dem geringſten Funken, der auf
fie fällt, allemal wie ein lange vorbereitetes Feuerwerk abbren⸗
nen, immer in berfelben Form und mit bemfelben Getöfe,
während bei dem vernünftigen Manne die Empfindung immer
dem Eindruck proportionirt if. Der Leichtfinnige raifonnirt nady
dem erften Eindruck Faltfinnig fort, da ber vernünftige Mann
immer einmal umkehrt und fieht, was ber Inftinet bazu fagt.
Die Gemiffen der Menfhen find, fo wie ihre Leiber, nicht
allein nicht gleich zart, fondern auch bei einem Menfchen zart,
wo fie bei bem andern eine fehweinsledermäßige Dide haben.
Sp habe ich Leute gefannt, deren Gewiſſen fo zart war, baß
fie nicht glauben wollten, die Sonne ftände ftil, und um Vieles
nicht auf ein. Städchen Brot getreten Hätten, und bie hingegen
mit bem Eigenthbum der Wittwen und Waiſen fchalteten wie mit
ihrem eigenen.
Tauſend ſehen den Nonſens eines Satzes ein, ohne im
Stande zu ſein oder die Fähigkeit zu beſtten, ihn ſormlich zu
widerlegen.
Kleine Fehler zu entdecken, iſt von jeher die Eigenſchaft
ſolcher Köpfe geweſen, die wenig oder gar nicht über bie mittel⸗
mäßigen erhaben waren. Die merklich erhabenen ſchweigen fill
ober fagen nur etwas gegen ba8 Ganze, und bie großen Geiſter
ſchaffen um, ohne zu tadeln.
Von dem, was der Menſth ſein ſollte, wiſſen auch die
Beſten nicht viel Zuverläſſiges; von dem, was er iſt, kann man
aus jedem etwas lernen.
Keine Claſſe von Menſchen urtheilt billiger von der andern,
als die Denker von den Denkern, und keine unbilliger, als die
Literatoren von den Literatoren. Die erſten ſehen Alles im
wahrſten Lichte, erkennen und verzeihen, die anderen meſſen
anderer Leute Fleiß nach ihrem eignen und richten fie darnach.
So wie es Mechaniker von Genie gibt, bie mit wenigen
und ſchlechten Inſtrumenten vortrefflich arbeiten, fo gibt es au
190
Leute, bie ihre wenige Belefenbeit fo zu gebrauchen und ibren-
Srfahrungen eine folche Extenfion zu geben wiflen, daß faum
ein fogenannter Gelehrter gegen fie aufkommen kann.
Daß die Menfchen fo oft falfche Urtheile fällen, rührt gewiß
nicht allein aus einem Mangel an Einfiht und Ideen, fonbern
hauptſächlich davon her, baß fie nicht jeden Punkt im Sage
unter das Mifroftop bringen und bedenken.
Beute, bie viel auf ber Strafe leſen, iin gerneiniglich
nicht viel zu Haufe.
Auch felbft den weiſeſten unter den Menfchen find die Beute,
bie Gelb bringen, mehr willlommen, als bie, die welches bolen.
Die Menfhen haben immer Wig genug, wenn fie nur
feinen baben wollen.
Es iſt ja doch nun einmal nicht anders: die meiflen Men⸗
fhen leben mehr nad der Mode als nad) der Vernunft.
Manden Perſonen muß man fehr nahe fommen, um ben
Reiz zu ſehen, den ihnen das gute, gefüllige Gemüth gibt. Kann
es nicht eben deßwegen bei Manchen ganz untenntlidy fein ?
Die edle Einfalt in den Werfen ber Ratur bat nur gar
191
zu oft ihren Grund in ber edeln Kurzfichtigkeit befien, ber fie
beobachtet;
Gr war einer von benen, bie Alles beffer machen wollen,
al8 man es verlangt. Diefes ift eine abfcheulihe Eigenſchaft in
einem Bedienten.
Zu überzeugen ift ber Pöbel nicht, oder fehr felten. Durch
liftige Lenkung feines Uberglaubens kann er body noch zuweilen
zu guten Handlungen gebradht werden. Wir fohreden ja bie
Kinder, bie wir nicht Überzeugen Bönnen, auch mit dem ſchwar⸗
zen Manne und mit Schornfteinfegern. Der heilige Januarius
zu Neapel ift nichts weiter, Hier ift mieder die Reihe, deren
äußerfte Glieder gar nicht mehr zufammen zu gehören fcheinen.
Gewiß ift die Anbetung der Sonne zu verzeihen. Jeder⸗
mann fieht fhon unwillfürlih nad einem hellen led. Das
thun auch die Thiere, und was bei Kagen, Hunben unwillfürs
liches Starren, ift bei den Menſchen Anbetung.
Iren ift auch in fo fen menſchlich, als die Xhiere
wenig ober gar nicht irren, wenigftens nur bie Plügften unter ihnen.
Die gefundeften und fchönften, regelmäßigft gebauten Leute
find die, die fich Alles gefallen laſſen. Sobald einer-sin Ge:
brechen bat, fo bat er feine eigne Meinung.:
192
Die Seiftlihen machen einen Lärm, wenn fie einen Mann
fehen, der frei dentt, wie Hennen, bie unter ihren Jungen ein
Entchen haben, melches in das Wafler gebt. Sie bedenken
nicht, daß Leute in dieſem Elemente eben fo fidher leben, als
fie im Trocknen.
Es ift zum Erftaunen, mie weit ein gefunder Menfchen-
verftand reiht. Es ift auch bier, wie im gemeinen Leben,
der gemeine Mann gebt bin, wohin ber Bornehme mit
Sehfen fährt.
Feder gute Kopf iſt ein matbematifcher Wilder, ber filh
fein Boot mit fümmerlihen Werkzeugen baut, aber in vielem
ſchweren Zälen, durch individuelle Geſchicklichkeit und Übung,
oft Dinge ausrichtet, die jener nicht ausrichten kann.
Ein großes Genie wirb felten feine -Entbedungen auf
ber Bahn Anderer mahen. Wenn es Sachen entbedt, fo ent⸗
dedt e8 auch gewöhnlich die Mittel dazu.
Bon bem feltfamen Gefchmade ber Menfchen zeugt auch
dieſes, baß bei belagerten Stäbten Leute ſowohl heraus als
binein befertiren.
Nichts zeigt fo Fräftig, wie fehr man fi) durch die Gewohn⸗
beit über Alles wegfegen lernt, als bie Yerüden, die felbft Geiſt⸗
193
liche in einer von dem natürlichen Haarwuchs fo fehr abweichen:
ben Form tragen, ohne dadurch Tächerlich zu werben.
Es gibt Zeichnenmeifter, die für Jedes, Bleiftift, Röthel,
ſchwarze und weiße Kreide, ein eigned Zebermeffer in einer eignen
Abtheilung der Schublade halten, Portraitmaler, bie mit Rich:
tung und Stimmung bes Lichts und ber Fenfterladen vor Son:
nenuntergang nicht fertig werden, bie Armel ewig einftreichen,
den Stuhl rüden u. f. w. Diefe zeichnen und malen gemeinig-
ih am fchledteften. Die ärmfte Unfähigkeit ift immer reich an
Nebenbereitungen, durch alle Verrichtungen und alle Stände,
felbft bis auf die feichten Schriftfteller, bie immer in Einleituns
gen glänzen. |
Der Dachdecker ftärkt ſich vielleiht durch ein Morgengebet
zu ben größten Gefahren. Das find glüdlide Menſchen, bie
das können. Bielleicht aber audy durch eine Doſis von gebrann«
tem Kakenhirn. O, wenn man body manchmal wüßte, was ben
Leuten Muth gibt !
Jedermann ift fehr begierig, durch Schaden Flug zu werben,
wenn nur ber erfte Schaden, ber dieſes lehrt, wieder erjegt wäre.
Auf die Blüthe folgt die unreife Frucht, die Blüthe ift in
fi eine Vollkommenheit. Eben fo ift e8 mit dem Menfchen.
Der Jüngling wird für vollfommener gehalten als ber Manu
J. I
194
von 30, 40 Jahren, und dann kommt erſt wicder ein vollenbeter
Buftand, bie Keife.
Wenn ih auch nit im Stande bin, dad: es werbe,
über todten Stoff auszufpredhen, um ihn bamit zu befeelen, fo
kann ich doch vielleicht in die Trompete ber Erweckung ftoßen,
um zu fehben, ob ſich unter den Erfchlagenen noch etwas rührt.
Der verftorbene M., welcher eine Fatholifche Aufmärterin
batte, fagte einmal ganz bona fide zu mir: bie Perfon ift zwar
katholiſch, das ift wahr, aber ih kann Dich verfihern, es ift
eine ehrliche gute Haut, fie hat neulich mir zu Liebe fogar einen
falfhen Eid gefchworen.
In der Gabe, alle Borfälle bes Lebens zu feinem und fei«
ner Wiffenfchaft Vortheil zu nügen, darin befteht ein großer
Iheil des Genies.
Gr hieß dieſes: mit ftillthätiger Geduld abwarten. Diefes
ift eine große Regel. Die Menfchen ändern fi) von ſelbſt, wenn
man fie nicht ausbrüdlich ändern will, fondern ihnen nur un»
merklich die Gelegenheit macht, zu fehen und zu hören. BBiele
Unternehmungen mißlingen bloß, weil man die Früchte davon
noch gern erleben wollte. .
Man lat, und mit Recht, über den Verſuch jenes Men:
195
fen, ber feinem Pferde das Freſſen abgemwöhnen wollte. Es
ftarb aber leider! gerade an dem Tage, ba bie größte Hoffnung
war, ihm bie Kunft endlich beizubringen. Mit dem Klugmer:
ben geht das nicht bloß den Schwaben fo, fonbern ben meiften
Menfchen.
Die Perfonen, die am aufgelegteften find, ſich mit prakti⸗
fhen Dingen zu befchäftigen, ober, was man in ber gelehrten
. Welt jest arbeiten nennt, find bie, die am wenigften Unterhal⸗
tung in fich felbft finden. Bei ihnen ift immer ber Stoß von
außen nöthig.
Bei einem Menfchen, ber mit Gottesfurdt prahlt, muß
man nie eigentliche chriftliche Gefinnungen fuchen.
Sehr viele und vielleicht bie meiften Menfchen müffen, um
etwas zu finden, erft wiffen, daß es da ift.
Der gemeine Mann hält. bei feinem SKirchengehen unb
Bibellefen die Mittel für den Zwei. Ein fehr gewöhnlicher
Irrthum.
Wenn ich mit Jemandem rede, ſo bemerke ich gleich, ob
er Elaſticität hat, oder ob er jedem Drucke nachgibt. Die Bar⸗
biere find alle weich. Käſtner ift hart. Meiſter war slaftifch.
3°
196
Bon.Allem, was in ber Welt ausgerechnet wird, gefcheien
2/, gedankenlos.
Die Menfchen gehen eigentlich nicht felbft in Gefellfchaft,
fondern fie fchiden eine angeBleidete Puppe ftatt ihrer bin, bie fie
ausfleiden, wie fie wollen.
Rouffeau, glaube ich, hat gefagt: ein Kind, bas nur feine
Eltern kennt, kennt auch die nicht recht. Diefer Gedanke läßt
fi) auch auf viele andere Kenntniffe, ja auf alle anwenden, bie
nicht ganz reiner Natur find. Wer nichts ale Chemie verfteht,
verſteht auch bie nicht recht.
Was doch eigentlid ben Armen den Himmel fo angenehm
madt, ift der Gedanke an bie dortige größere Gleichheit ber
Stänbe. |
Bei vielen Menfchen ift das Verſemachen eine Entwidelungs-
krankheit bes menfchlichen Geiſtes.
Thue ed ihm nach wer kann.
Hupazoli Iebte in 3 Jahrhunderten. Er warb ben 15ten
März 1587 zu Cafale geboren und ftarb den 27ten Januar 1702.
Er beirathete 5 Frauen, mit denen er 24 Kinder zeugte, und
außer diefen zählte er noch 25 Baftarde. Er trank nur Waffer,
tauchte nie Tabad und aß wenig aber gut, befonders Wildpret
197
und Früchte Er wohnte nie einer Schmauferei bei, um allzeit
früh zu Abend zu effen, und eine halbe Stunde nachher zu Bette
gehen zu können. Er hinterließ 22 Bände, worin Alles aufgee
fhrieben war, was er verrichtet hatte.
Ich habe mehrere folcher Buchhalter gefannt. Sie werden
gewöhnlich alt. Die Diät biefer Menfchen nachzuahmen hilft
nit viel... Die Nachahmer thun es durch den Kopf, durch ver:
nünftigen Entſchluß, und das hilft fo wenig als fi der Mangey
bes Genies durch Regeln erfegen läßt. Man hält bier für bie
Wirkung, was eigentlich die Urfache if: Die Männer nad der
Uhr werden gewöhnlich alt, denn die Fähigkeit, alt zu werben,
madt fie zu folhen. Der Nachahmer weiß filh bei fich felbft
fhon zu groß, ber Triumph über feine Neigungen felbft ift ein
Nervenfpiel, das fi) nicht-mit einent langen Leben verträgt.
Cultur verfchlingt die Gaftfreundfchaft.
Wer recht fehen will, was der Menfh thun könnte, wenn
er wollte, darf nur an bie Perfonen gebenfen, bie fih aus Ges
fängniffen gerettet haben oder haben retten wollen. Sie haben
mit einem einzelnen Nagel fo viel getban, wie mit einem Mau⸗
erbrecher.
Die Leute, bie niemals Zeit haben, thun am wenigften.
Man wird grämlich, wenn man alt wird, oder wenn Liekbs.
| 200
Ich babe mich öfters bes Lächelns nicht erwehren können
wenn ih auf meinem Garten die Reiſenden vorbeifahren Toy.
Die Morgens um 5 Uhr paffirten, waren bie, welche um 3 Uhr
reifen wollten, um 6 Uhr famen bie um 4 bie Pferde befellt
hatten, und dann endlih um 7 oder 8 Uhr, bie den Weg noch
in der angenehmen Kühle machen wollten.
Einige Leute berathfchlagen fi) aus Scherz, was fie anfan⸗
gen jollten, wenn fie das große 2008 gewünnen. Zwei barunter
haben ein 2008 in Compagnie. Sie fallen auf allerlei Arten
von Handel, den fie anfangen wollten, ed wird von Anderen
mit Gründen eingefproden, warum diefer Hanbel nicht gienge,
enblich vergißt man, baß das Ganze eine Vorausfegung ift. Es
wirb geftritten, al8 ob die Sache wirklich wäre, und mit einem
folden Eifer, daß e8 darüber zu Schlägen kommt. Die Schläge
abgerechnet, babe ich fo etwas einigemal erlebt, nit ohne Ber:
gnügen und herzliches Lachen der Geſellſchaft, indeffen hatten ſich
bod Einige fo weit dabei erhitzt, daß fie nicht mitlachten, wel«
ches das Vergnügen ber Andern nicht wenig erhöhete.
Was für ein Unterfchieb zwifchen den Jahren, wo man bie
Borfehung überall, und denen, wo man Beurtheiler fieht!
Erft müffen mir glauben, und dann glauben wir.
Die Könige glauben oft, das was ihre Generale und Abs
201
mirale thun, fei Yatriotismus und Eifer für ihre eigne Chre.
Ofters ift die ganze Triebfeder großer Thaten ein Mädchen, wel—
ches die Zeitung lieft.
Die Menfchen haben ihre befonderen Manieren zu fehlen,
zumal liegen die Fehler häufig in- einer falfchen Art don Ge-
nauigfeit. .
Man ſpricht viel von Aufklärung und wünſcht mehr Licht.
Mein Gott, was hilft aber alles Licht, wenn die Leute entwe⸗
der Leine Augen haben oder die, welche fie haben, vorfäglich
verjchließen ! 0
202
5.
Phyfiognomiſche und pathognomifche Be:
obachtungen und Bemerfungen.
Menogenes, ber Koch bes großen Pompejus, fah wie ber
große Pompejus felbft aus. &. Plin. Hist. nat. VII. 17.
Wir können uns beim Anblid einer Sache nicht enthalten,
wenigftens etwas barüber zu urtheilen; diefes thun wir auch bei
Menſchen, darauf hat Einer eine Phyſiognomik gebaut.
Ich babe einmal in Stade eine Ruhe mit einem heimlichen
Lächeln in dem Gefichte eines Kerls erblidt, der feine Schweine
glüklih in eine Schwemme gebracht hatte, worein fie fonft un⸗
gern gingen, dergleichen ich nachher nie wieder geſehen habe.
In 9. logirte ih einmal fo, daß meine Fenfter auf eine
enge Straße gingen, woburd die Communication zwijchen zwei
großen erhalten wurde. Es war fehr angenehm, zu fehen, wie bie
Leute ihre Gefichter veränderten, wenn fie in bie kleine Straße
Famen, wo fie weniger gefehen zu fein glaubten. So wie Einer
bier fein Waſſer abfhlug, ber Andere dort fih die Strümpfe
203
band, fo lachte der Eine heimlich, und der Andere fchüttelte den
Kopf. Mädchen dachten mit einem Lächeln an bie vorige Nacht,
und legten ihre Bänder zu Eroberungen auf ber nächſten großen
Straße zuredt. |
Sch bemerkte wirklich auf feinem Gefichte den Nebel, der
allezeit während des Wonnegefühls aufzufteigen pflegt, dad man
empfindet, wenn man fi über Andere erhaben zu fein glaubt.
Wir haben Peine deutliche Vorfielung vom menſchlichen Gefidht,
und das macht e8 fo fchwer, Phyfiognomif zu lehren. Die Regeln
enthalten immer nur Beziehungen einzelner Theile auf den Charak⸗
ter. Das Gefiht eines Mannes, ber mich einmal betrogen bat,
Penne ich fo genau, ſehe es fo bdeutlih vor mir, daß ich in
einem andern ihm ähnlichen Gefichte die geringfte Abweichung
fo fchnell bemerfe, als wären fie ganz verfchieden, ob ich gleich
nit im Stande bin, mit Worten auszubrüden, wo es liegt,
und noch weniger, e8 zu zeichnen; und doch werde ich auß ber
größern oder geringern Ähnlichkeit, bie andere Leute mit jenem
haben, auf ihren Charakter ſchließen, weil fich die Vorftellung
ber Betrügerei mit jener Senfation affocürt hat. Ein Zug im
Geſicht wird fih nicht fo leicht mit ber Vorfchrift, als mit der
Hanblung afforiiren. Ich habe immer gefunden, daß ed Leute
von mittelmäßiger Weltfenntniß waren, die ſich am meiften von
einer ?ünftlichen Phyſiognomik verſprachen; Leute von großer
Weltfenntniß find die beften Phnflognomen, und bie, die am
204
wenigften von ben Regeln erwarten. Die Urfade ift Teicht eine
zufehen.
Das Thorheitsfältchen findet fi gemeiniglich bei Leuten,
die mit einem albernen, nicht verfehwindenden Lächeln Alles be=
wundern, und nichts verftehen.
Der völlige Idiot, ber vernünftige gangbare Mann, und
ber Rafenbe haben überhaupt ihre Zeichen, woran man fie Teicht
ertennt, aber die Gradationen und Nüancen bierin zu beftimmen
(da8 eigentliche Fach der Phyfiognomik), ift fehr fchiwer.
Es gibt Leute, deren Lippen mit gleicher Breite um ben
ganzen Mund berumgehen, der dadurch das Anfehen von einem
Seuerftahl erhält; mit diefen ift felten viel anzufangen.
Große Heinlichkeit ohne Gederei und ohne daß man merkt,
daß fie gefucht wird, Nachgibigfeit und unaffectirte Befcheibenheit
und Wohlwollen ohne Zwang kann zur Schönheit werden, we⸗
nigffens Liebe gewinnen.
Wenn’ die Phyfiognomik das wird, was Lavater von ihr er:
wartet, fo wird man bie. Kinder aufhängen, ehe fie die Thaten
gethban haben, die ben Galgen verdienen. Es wird alfo eine
neue Art von Firmelung jedes Jahr vorgenommen werden miüfe
fen — ein phyſiognomiſches Auto da Fe.
205
Wenn ich no ein Beichen des Berftandes angeben foll, das
mich felten betrogen bat, fo ift es dieſes, daß Leute, bie fehr
viel älter find, als fie fcheinen, felten viel Verftand haben; und
umgekehrt, junge Leute, die alt ausfehen, ſich auch bem Ber-
flande des Alters nähern. Man wird mich verftehen, und nicht
etwa glauben, baß ich unter jung ausfehen, Gefundheit und
frifche Farbe, und unter Anfchein des Alters, Zalten und Bläffe
verſtehe. |
Es iſt etwas Beſonderes, und ich habe es nie ohne Lächeln
bemerkt, daß Lavater mehr auf den Naſen unſerer jetzigen Schrift⸗
ſteller findet, als die vernünftige Welt in ihren Schriften.
Die Hand, bie Einer ſchreibt, aus ber Form der phufifchen
Hand beurtheilen wollen, ift Phyfiognomil.
Sobald man weiß, baß Iemand blind ift, fo glaubt man,
man ?önnte e8 ihm von binten anfehen.
Es gibt wahrhaftig eine Art zurüdhaltender und empfind⸗
licher Menjchen, die, wenn fie fidh freuen, ausfehen, wie Ans
bere, wenn fie weinen. Wer das noch nicht gefehen bat und
nit weiß, muß fi nicht unterftehen, ein Wort über Phy⸗
fiognomif zn fagen.
Niemanb ift aufgelegter, zu glauben, feine Bemerkungen
206
hätten etwas unbefchreibli Xieffinniges, und was Taufenden
von Menfchen zu fehen verfagt fei, als ber Yhyfiognomift. Ich
babe mich ehemals fehr damit abgegeben, und mir nicht wenig
darauf zu Bute gethban. Die meiften waren fo fein, baß es mir
gar nicht ſchwer wurde, zu glauben und einzufehen, daß fie nicht
leicht Jemand anders machen könne, ald Ih. Man barf aber
nur Acht geben, tie veränberlih und fchwimmend bie Grenzli⸗
nien jeder gemachten Beihnung find, und wie oft man andere
ziehen muß; das Beftänbige ift gering, und zu Papier gebradht
nur demjenigen recht verftänblich, der es ſich ſchon vorher felbft
gefunden bat, dem Adepten. Nunmehr bin ich überzeugt, daß
e8 hundert andern Leuten, zumal Stubenfigern, eben fo gegan⸗
gen ift, wie mir. Nachrichten aus dem Cabinet ber Seele find
unterrichtender, als die, bie in allen Compenbien ſtehen; baber
babe ich die gegenwärtige aus dem Cabinet ber meinigen fehr
gern befannt gemacht.
Das Suftem bed Hefvetius, daß die Menfchen an Anlagen .
alle einander glei wären, flößt alle Phyfiognomif über ben
Haufen. Moher kommt es doch, daß man bei ähnlichen Ge-
Achtern fo oft ähnliche Gefinnungen findet ?
Es gibt Leute, die fo fette Gefichter haben, daß fie unter
dem Sped laden können, baß ber größte phyfiognomifche
Zauberer nichts davon gewahr wird, da wir arme wind»
dünne Gefchöpfe, denen die Seele unmittelbar unter ber
207
Epidermis fist, immer die Sprache fpreden, worin man nicht
lügen ann. \
Der Verſtand feheint das Band zu fein, woburcd wir mit
der Welt überhaupt und mit ihren Abfichten zufammenhängen,
nicht unfer Gefühl allein. Wenigftens muß ber Berfland vor
her erkannt haben, und dann Fönnen fich feine Schlüffe endlich,
zur Klarheit berabgefiimmt, mit andern Gefühlen durch Affos
ciation verbinden. Schlüffe von Schönheit auf Vollkommenheit
zu maden, ift nicht beffer, als von den Conpulfionen und Ge⸗
fihtöverzerrungen eines Sterbenden auf feine fihredfichen Em⸗
pfindungen zu ſchließen. Er Bann gerade in einer Art von
mwollüftigem Gefühl Liegen, wie der Mann, von dem in den
Pariſer Memoiren (für das Jahr 1773) erzählt wird, ber einen
in mephitifcher Luft erftidten Menfchen zu Hülfe eilen wollte,
und jelbft ohne Empfindung hinfiel, und nur durch bie forg:
fältige und anhaltende Bemühung einiger Ärzte ins Leben zurüd:
gebracht wurde. Hier heißt es in dem Berichte:
«Entre le moment de son entrée dans cette cave et
celui, oü il perdit connoissance, il ne s’ &coula qu’ environ
deux minutes, Pendant cet espace de tems il ne’ ressentit
ni douleur, ni oppression, et l’instant, qu’il perdit connois-
sance, il eprouva une sensalion des plus voluptueuses, un
delire inexprimable; il goütoit avec plaisir, à la porte du
tombeau, une satisfaction delicieuse, absolument exemte des
horreurs, que l’on a ordinairement de la mort. II perdit
‘208
enfin tout mouvement, tout sentiment, et resta dans celte
situation environ une heure et demie au pied de l’escalier
de la care, oü il &toit tombé etc.»
Es ift eine alte Regel: Ein Unverfhämter kann befcheiden
ausfehen, wenn er will, aber kein Befcheidener unverſchämt.
Den Streih, ben Parrhaſius dem Zeuris, und Beuris ben
Bögeln fpielte, fpielen täglih Tauſende ihren Nebenmenfchen
mit ihren Gefichtern.
Sch gebe zu, daß bie ganz großen, und bie ganz ‚fchlechten
Menfchen gezeichnet fein mögen — iſt das aber zu einer Phy⸗
fiognomit genug? Die meiften und minder monftröfen Men⸗
fhen liegen gewiß in ber Mitte, und erfi die Gelegenheit und
ber Zufall wirft fie in eine von beiden Claſſen.
Ein aufgeblafener Menfh kann fehr fehwindfüdhtig aus:
fehen. — Die Hoffnung, die man fih von Phyſiognomik macht,
bat fehr viel mit den Träumen Fontenelles gemein, ber von
bem Fliegen in ber Luft auf das Fliegen nach dem Monde fällt.
Die Damen glaubten ihm aud).
Bon Allem, was ich über Phyſiognomik gefchrieben babe,
wünfchte ich bloß, daß zwei Bemerkungen auf bie Nachwelt
fümen. Es find ganz einfältige Gedanfen, und Niemand wird
209
mic) darum beneiden. Der eine, baß ich die Ähnlichkeit zwi⸗
[hen Phyfiognomie und, Prophetik erkannt habe; der andere,
daß ich überzeugt gewefen bin, bie Phyſiognomik werde in ihrem
eigenen Fette erfliden.
Wenn bie Podeninoculation allgemeiner wird, fo werden
wir um eine ganze Claffe von Gefichtern fommen. Überhaupt,
wenn Krankheiten ausftürben, fo würden viele Gefichtsgefchlech-
ter untergehen.
Fragment.
Phyſiognomiſche Miſſionsberichte, oder Nachrichten
von dem Z3uſtande und Fortgang der Phyſiognomik
zu Sranquebar.
Es wird unfern Lefern noch aus ben Erlanger Zeitungen
im Andenten liegen, daß um die Mitte bed Jahre 1778 das
Sdiff la Divineuse, unter Führung des Capitains Sebaftian
Brand, geladen mit Storchfcehnäbeln, Stirnmeſſern und fünf:
hundert Ballen Silhouetten, aus dem Xerel nad Oftindien ab-
gegangen, um das Licht der Phyſiognomik in jenen finftern
Gegenden zu verbreiten. Am Bord beffelben befanden fich drei
Eingeweihete; nämlid: Don Zebra Bombaft, eigentlich
ein geborner Spanier, der aber in Deutfchland erzogen iſt; ein
Mann von edlem hohen Sinn, in Gang und Stil von recht
trönungsmäßigem Wefen. Bon der Wahrheit der Phyfiognomie
1. \&
210
überzeugt, oder doch fo gut als überzeugt, achtete er Feine Ein⸗
würfe mehr. Hr. Lavater hätte auf feinen würbdigeren Mann
verfallen können; hauptfächlich weil er mit bem utili nicht allein
das dulce, fondern auch ba8 amarum zu verbinden weiß.
Der zweite war Peter Kraft, ein auserwählter phyfiogno-
mifcher Gläubiger, ber burh Hrn. Lavaters Stil überzeugt
worden war, weil er glaubte, in folder Begeifterung könne
man feine Unwabhrbeiten reden. Der kaltblütige Menſch allein
irre eigentlih nur, weil Kälte, Erde und Irrtümer Synonyma
wären; bingegen fei der warme Menſch gottesbefefien, fei
Planzug bed Ganzen, ohne freien Willen, und alfo offenbar
Triebwerk des Weltzweds. Weiffagungen aus Überlegung wären
ipso facto feine. Nur allein Gott weiffage aus Raifonnement,
das Gefhöpf nur durch ihn; und das gefchehe allemal, wenn
e8 koche.
Don Zebra und Peter Kraft waren die beften Freunde,
und bewegen von Hrn. Lavater gewählt worden. Es war auch
nicht leicht möglich, daß fie hätten Zeinde werden können; benn
in ber Überzeugung von ber Wahrheit der Phyfiognomit waren
fie ſchon eins, und hatten alfo nicht nöthig, fi) auf die Gründe
einzulaffen; daher fie die meifte Zeit nur in flarfen, zuweilen
twigigen Ausdrüden wider die Gegner der Phyſiognomik fprachen.
Der britte Friedrich Weiß aus Berlin, ebenfalls ein
Bertheidiger der Phyſtognomik, wiewohl Fein warmer. Nach
einem einflimmigen Zeugniß Aller, die bie Reiſegeſellſchaft ges
kannt haben, war er ber befte Kopf unter ihnen. Er batte in
211
ber That über Phyfiognomit nachgedacht. Hr. Lavater hatte
ihn, obne ed fih merken zu laſſen, gewählt, um Leute zu
überzeugen, in denen bie Gnabe nicht wirken wollte; bingegen
Don Zebra und Peter Kraft, biejenigen zu überzeugen, ' die
ohne Überzeugung glauben.
Nachtrag
zu ben phufisgnomifchen und pathognomifchen Beobach⸗
tungen und Bemerkungen.
Es ift bie Pflicht jedes Weltweifen, den König in einem
Schubflider zu erfennen, um bem Berdienfte zu bezahlen, was
des Verdienſtes ift, und nicht Größe der Seele, Talent und
Fähigkeit nach dem lärmmachenden Effert zu fhägen. Wenn
die Phyſiognomik dazu etwas beitragen kann, fo ift fie aller:
dings eine verehrungswürbige Wiffenfhaft und Schuldigkeit fie
zu flubdiren.
Die unterhaltendfte Fläche auf der Erde für uns iſt die des
menſchlichen Gefichts,
Die gemeinen Leute find herrlich zu gebrauchen, manche
Bemerkungen zu machen, wenn. man ihre Mienen beobachtet.
14*
212
Man kann fie benutzen wie die Hunde, bie abgerichtet-find, Hühner
und Trüffeln zu finden, welche man felbft nicht riechen kann.
Mir können gar nichts von ber Seele fehen, wenn fie nicht
in den Mienen fitt. Die Gefichter einer großen Berfammlung
von Menfchen könnte man eine Gefchhichte der menſchlichen Seele
nennen, mit einer Art von chinefifhen Beichen gefchrieben. Die
Seele legt, wie der Magnet den Zeilftaub, fo das Gefiht um
fih) herum, und bie Verſchiedenheit ber Lage bdiefer Theile be:
ſtimmt die Verſchiedenheit befien, das fie ihnen gegeben hat.
ge länger man Gefidhter beobadhtet, deſto mehr wird man an
den fogenannten nichtöbedeutenden Gefigtern Dinge wahrneh-
men, bie e8 individuell machen.
Gefiht und Seele find wie Sylbenmaaß und Gedanken.
Es gibt wenig Menfchen, die ein gefcheutes Gefiht machen
können, wenn fie nad) ber Sonne fehen.
Se größer die Veränderung von ber Ruhe zum Lachen ober
von der Ruhe zum Weinen im Gefiht ift, deſto empfindlicher
it es. Ich babe in meinem Leben Leine folche Veränderung
gefehen, als in bem Gefichte meines älteften Jungen, wenn er
lähelt und wenn er weint. Im erſten Falle babe ich nicht
leicht ein himmlifcheres Geficht gefehen, und wenn er weint, fo
befommt er eine Art von 80jährigem Geficht, das ganz vieredig
mwird, da das andere fonft rund iſt. Sch babe ihn daher ben
Wagenmeifter genannt, weil ber fel. Bruns, unfer vierfehrötiger
Wagenmeifter, ungefähr ein folche® Geficht hatte.
Es gibt Gefihter in ber Welt, wider die man ſchlechter⸗
dings nicht Du ſagen kann.
Den Leuten, die ausgewachſene Schienbeine haben, kann
man dieß gemeiniglich an dem Unterkinn anſehen.
6, -
Pädagogiſche Bemerkungen.
Es wäre ber Mühe werth, zu unterfuchen, ob es nicht
ſchädlich ift, zu ſehr an der Kinderzuucht zu poliren. Wir kennen
ben Menfchen noch nicht genug, um dem Zufall, wenn ich fo
reden darf, dieſe Verrichtung ganz abzunehmen. Ich glaube,
wenn unfern Pädagogen ihre Abficht gelingt, ich meine, wenn
fie e8 dahin bringen können, daß fi) die Kinder ganz unter
ihrem Einfluß bilden, fo werden wir feinen einzigen recht großen
Mann mehr befommen. Das Braudhbarfte in unferm Leben
bat uns gemeiniglich niemand gelehrt. Auf öffentlihen Schu⸗
len, wo viele Kinder nicht allein zufammen lernen, ſondern
auch Muthwillen treiben, werden freilich nicht fo viel fromme
Schlafmügen gezogen, Mancher geht ganz verloren, ben meiften
aber fiebt man ihre Überlegenheit an. Betwahre Gott, daß ber
Menfh, deffen Lehrmeifterin die ganze Natur ift, ein Wachs⸗
klumpen werden fol, worin ein Profeffor fein erhabenes Bildniß
abdrudt.
Nachdem die Welt fchon fo lange geftanden hat, feheint es
faft unnöthig, am Menfchen weiter zu fünften. Man laſſe
215
die Kinder fo viel als möglih thun, und halte fie immer
zu ältern, als fie felbft find; man ſchwatze ihnen nicht
viel von großen Männern vor, fondern balte fie wo möglich)
an, Andere zu übertreffen. Wer immer angehalten wird, feine
Spieltameraden zu übertreffen, ber wirb im vierzigften Jahre
alle feine Collegen übertreffen. Aus ber Schule von Eton und
Weftminfter Fommen Leute, bie alles Andre lieber thun, als
ſchwatzen. Wenn ich mir ein Vergnügen machen will, fo denke
ih mir einen von unfern funfzehnjährigen gelehrten Knaben in
die Gefellfehaft eines funfzehnjährigen Engländers, der aus ber
Schule von Eton zurüdfommt; ben erften im Haarbeutel, ge—
pubert, bemüthig und gefpannt, auf den mindeften Drud mit
einer Menge Gelehrfamkeit Ioszubrechen, in feinen Meinungen
fhlechterdings nichts Anderes, als ber Feine fehlecht copirte Papa
oder Präceptor, ein bloßer Wiederfchein, bewundert bis ins
fechözehnte Jahr, im ftebzehnten, achtzehnten, neunzehnten, zwan-
zigften mit Erwartung und Stille angefehen, da indeffen das
auf hohlen Grund aufgeführte Gebäude zu finfen anfängt, im
zwei und zwanzigften, drei und zwanzigften u. f. w. ein mittel-
mäßiger Kopf, und fo bi8 ans Ende. Der Engländer hingegen
bat fein reines Todiges Haar um bie Ohren und Stirne hängen,
die Miene blühend, die Hände zerkfragt und auf jebem Knöchel
eine Wunde; Horaz, Homer und Birgil find ibm immer gegen
mwärtig, in feinen Meinungen ift er beftimmt und eigen, irrt
fih taufend Mal, aber verbeffert fich felbft u. f. w.
218
gefunde Kinder zu ziehen. In wie weit flimmt dieſes mit
unferer Methode überein? Unfer Einbläuen ber Geographie
foheint Feines von allen Dingen fonderlich zu befördern. Es kann
einer in feinem zwanzigften Jahre noch glauben, daß das Kö-
nigreich Preußen eine Infel fei, und deßwegen doch ein in allem
Betracht trefflicher Menfch fein. Ich habe einen foldhen gekannt.
Man foll zwar immer bei der Erziehung auf bie conventionellen
Schönheiten des Geiftes Rüdfiht nehmen, aber e8 find doch
bie letzten. “
Kinder zu kuppeln, wie die Hunde oder die Schweine in
England. Es wird in der Welt nicht eher gut geben, bis man
die Kinder Puppelt. |
Es ift in der That verkehrt, wenn man unfern Kindern
Alles mit Liebe beibringen will, da in dem höheren Leben, wenn
wir älter werden, uns das Wenigfte zu Gefallen geht, und wir
und immer unter einen Plan demüthigen müffen, ben wir nicht
überfeben. Alſo je eher je lieber zu jenem, Fünftigen Leben
gewöhnt!
Ih wünſchte ein Kind zu haben, das ich mir ganz eigen
machen könnte; ich mollte e8 zu Allem anhalten, wovon ich jeßt
zu fpät einfehe, daß ich es verfäumt habe. Die Eltern halten
ihre Kinder nicht genug zu dem an, was fie nun erkennen müf:
fen verfäumt zu haben. Überhaupt glaube ich, daß es fehr we-
219
nige Lehrer gibt, bie fo unterrichten, baß fie das vermeiden zu
lehren, was fie felbft, wenn fie bei jetzigem Berftande jung wä-
ren, vermeiden würden zu lernen.
Es war ein vortreffliher Junge, als er kaum ſechs Jahr
alt war, konnte er fhon das Vater Unfer rückwärts berbeten.
Man follte alle Menfchen gewöhnen, von Kindheit an in
große Bücher zu fehreiben, alle ihre Erercitia, Auffäge u. f. w.
und bie Bücher in Schmweinsleber binden. Da fi Fein Gefek
daraus machen läßt, fo muß man die Eltern darum bitten, we-
nigftens bei Kindern, bie zum Studiren beftimmt find, bieß zu
beobachten. Wenn man jett Newtons Schreibbücher hätte! Wenn
ih einen Sohn hätte, fo müßte er gar ein Papier unter Händen
befommen, als eingebunbenes. Serriſſe oder befubelte er es, fo würde
ich mit väterlicher Dinte babei fehreiben: Dieß hat mein Sohn
anno .. den ... befudelt, Man läßt den Körper und bie Seele,
da8 punctum saliens der Mafchine fortwachfen, und verfchweigt
und vergißt e8. Die Schönheit wandelt auf den Straßen; warım
ſollten nit in dem Familienarchiv die Probucte, oder vielmehr
bie Signaturen ber Fortfchritte bes Geiftes niedergelegt bleiben,
und der Wachsthum dort eben fo fihtbar aufbewahrt liegen
können? Der Rand müßte gebrochen, und auf einer Seite immer
die Umftände, und zwar fehr unparteiifch, gefchrieben werben.
Was für ein Vergnügen würde es mir fein, jegt meine Schreib:
bücher alle zu überfehen! Seine eigene Naturgefhichtel Manu
\
220
fieht jeßt immer, was man ift, und fehr ſchwach, was man
war. Man müßte dem eigentlichen Gegenftande ber Sammlung
diefe nicht zu oft fehen laſſen; vieleicht nur erft fpätz das Übrige
müßte er bloß aus Relationen kennen. Man hebt die Kinder:
bäubchen auf, und ich babe öfters felbft den Bufammenkünften
mit beigewohnt, da man einem großen, befoldeten und anfehn-
lihen Kopf fein Kinderhäubchen wieß. Warum nicht eben fo
mit Werfen bes Geiftes? Die Eltern könnten eine ſolche Samm⸗
lung von Bänden eben fo aufbewahren, wie ihr Kind, benn es
ift der Spiegel beffelben. Wie fie feinen Leib zu bilden haben,
lehrt fie ihr Auge; wie feinen Geift, der Anblid biefer Bände.
Vom vierten Jahre, glaube ih, könnte man anfangen. Kein
Band müßte verloren werden; denn das Papier muß boch bezahlt
werben, und das Aufbewahren macht keine Schwierigkeiten. Ich
wüßte nicht, welches angenehmer und nüglicher wäre, bie Bewe⸗
gung aller Planeten zu Eennen, oder biefe Annalen einiger vor
züglihen Menfchen. Die Welt würde dadurch fehr gewinnen.
Man muß bie Kinder in einen Korb fperren, aber ihnen
ben Korb fo angenehm maden, ald möglich; das heißt, wer ein
großer Biolinfpieler werben fol, muß täglich 8 Stunden geigen,
bon der 3eit an, ba er eine Bioline halten Bann, u.f.w. Das
ift der Korb, aus dem er nicht darf, allein barin muß ihm Alles
fehr erleichtert werben.
Ein Lehrer auf Schulen und Univerfitäten kann Peine In⸗
bividuen erziehen, er- erzieht bloß Gattungen. Gin Gedanke,
ber fehr viel Beherzigung und Auseinanberfegung verdient.
Es wird gewiß von unferer Jugend jebt viel zu viel gelefen,
und man follte dagegen fehreiben, wie gegen die Selbftbefledung,
nämlidy gegen eine gewiffe Art von Lectüre. Es ift angenehm,
aber fo fhäblih, al8 immer nur das Branntweintrinten.
Sa einmal recht gründlich zu unterfuchen, warum das Blüs
ben ohne Früchte zu tragen fo fehr gemein ift, nicht bloß an
den Obſtbäumen. Bei unfern gelehrten Kindern ift e8 eben fo:
fie blühen vortrefflih, und tragen Feine Früchte.
Vielleicht iſt noch nie ein Vater geweſen, ber nicht irgend
einmal fein Kind für etwas ganz Originelles gehalten bat. Doc
glaube ich, find die gelehrten Väter diefem zärtlichen Irrthum
mehr ausgeſetzt, als irgend eine andere Klaffe von Vätern.
Wenn man nur bie Kinder bahin erziehen könnte, daß ihnen
alles Undeutliche völlig unverftändlich wäre.
Ich bin überzeugt, daß die vermeinte Grünblichfeit beim
Bortrage ber Anfangsgründe fehr ſchadet. Es ift gar nicht
nötbig, daß ein Lehrer bem Anfänger die Sache gründlich vor⸗
trägt; aber ber Lehrer, ber dieſen Vortrag wählt, muß fie gründ⸗
lich verftehen; alddann ift gewiß für den Anfänger geforgt.
222
Wenn das Ungefähr nicht mit feiner gefhidten Hanb in
unfer Erziehungswefen bineinarbeitete, was würde aus unferer
Welt geworden fein?
Berminderung ber Bebürfniffe follte wohl das fein, was
man ber Jugend durchaus einzufchärfen, und wozu man fie zu
ftärfen fuhen müßte. Je weniger Bedürfniffe, befto
glüdlidher, ift eine alte, aber fehr verfannte Wahrheit.
Es ift gut, wenn junge Leute in gewifjen Jahren vom
poetifchen Übel befallen werden; aber inoculiren muß man es
ihnen ums Himmelswillen nicht laffen.
Die Muttermilch für ben Leib macht die Natur; für den
Geiſt wollen unfere Pädagogen fie machen.
-
Nachtrag
zu ben pädagogiſchen Bemerkungen,
Es ift ein Fehler in unferen Erziehungen, daß wir gewiſſe
Wiffenfchaften zu früh anfangen. Sie verwacfen fo zu fagen
in unfern Berftand, und ber Weg zum Neuen wirb gehemmt.
Es wäre die Frage, ob nicht bie Seelenkräfte fich ftärfen ließen,
ohne fie auf eine Wiffenfchaft anzumenben.
223
Sie hatten: bei dem jungen Menſchen die eigentliche Propf⸗
zeit vorbeiſtreichen laſſen und es wollte nichts mehr auf dem
wilden Stamme einwachſen.
Es gibt keine wichtigere Lebensregel in ber Welt, als bie:
halte dich, fo viel du kannſt, zu Leuten, bie gefhidter find als
du, aber doch nicht fo fehr von bir unterfchieden find, daß du:
fie nicht begreifi. Das Erheben wird deinem Chrgeiz burch
Snftinet Teichter werden, als dem Allzugroßen das Herablaſſen
aus Palter Entſchließung.
Bücher, bie man junge Leute will leſen madyen, muß man
ihnen nicht ſowohl felbft anempfehlen, als in ihrer ‚Gegenwart
loben. Sie finden fie hernach von ſelbſt. So ift es mir ge
gangen.
Wie perfectibel der Menſch ift und wie nöthig Unterricht,
fieht man fchon daraus, baß er jekt in 60 Jahren eine Gultur
annimmt, worüber das ganze Gefchlecht 5000 Jahre zugebradht
hat. Ein- Züngling von 18 Jahren kann die Weisheit ganzer
Zeitalter in fi) faffen. Wenn ich den Sag lerne: die Kraft,
bie im geriebenen Bernftein zieht, ift Diefelbe, die
in den Wolfen dbonnert, welches ſehr bald gejihehen Bann,
fo babe ich etwas gelernt, deffen Erfindung den Menfchen einige
Zaufend Jahre gekoftet hat.
224
rüber Unterricht gewährt eine Beitlang ben Anfchein des
Genies, erhält fi) aber nicht. Die Stillſtände erfolgen bald
früher bald fpäter.
Ich babe immer gefagt, die Mathematiker gebeihen am
beften, wenn man fie auf junge Stämme von Uhrmachern pfropft.
Man läßt die Kinder im 14ten Jahr confirmiren; man follte
fie im 25ften confirmiren, oder wenigftens neu bewerfen laſſen,
wie die Häufer in Göttingen. — Man muß feine Philofophie
alle 10 Jahre neu bewerfen laſſen.
Es ift ein fehlechter Lohn, wenn ein Junge, auf ben man
etwas verwandt hat, am Ende ein Poet wird. Ein Biertels
ſtündchen Nahtmufit für einen jahrelangen Dienft. Eltern,
bie bemerfen, baß ihr Junge ein Poet von Profeffion werden
will, follten ihn fo lange peitfchen, bis er das Verſemachen auf:
gibt, ober bis er ein großer Dichter wird.
Ich fürdte, unfere allzuforgfältige Erziehung liefert uns
Zwergobſt.
225
7.
Politiſche Bemerkungen.
Die Lüftung der Nation kommt mir zur Aufklärung ber:
felben unumgänglich nöthig vor. Denn was find_die Menfchen
anders als alte Kleider? Der Wind muß burdhfirdcdhen. Es
kann fi Jedermann bie Sache vorftellen, wie er will; allein
ih fiele mir jeden Staat wie einen Kleiderſchrank vor, und bie
Menſchen als bie Kleider beffelben. Die Potentaten find bie
Herren, bie fie tragen, und zuweilen bürften und auskfopfen,
und wenn fie fie abgetragen haben, die Treffen ausbrennen und
das Beug -wegjchmeißen. Aber bie Lüftung fehlt; ich meine,
daß man fie auf den Boden hängt. Wenn der Kaifer einmal
feine ungarifhen Schafe auf den Sand in der Mark triebe,
und der König von Preußen die feinigen in Ungarn weiden n ließe,
was würde da nicht bie Welt gewinnen |
Wenn man auf einer entfernten Inſel einmal ein Bolt
anträfe, bei dem alle Häufer mit fcharf geladenem Gewehr be:
hängt wären und man beftändig des Nachts Wache hielte, was
würde ein Reifender anders denken können, als daß die ganze
Infel von Räubern bewohnt wäre? Iſt e8 aber mit ben euro:
l. WD
226 .
päifchen Reichen andere? Man fieht hieraus, von wie wenigem
Einfluß die Religion überhaupt auf Menſchen ift, bie fonft
fein Geſetz über ſich erkennen, oder mwenigftend, mie weit mir
noch von einer wahren Religion entfernt find. Daß die Reli-
gion feldft Kriege veranlaßt bat, tft abfcheulich, und die Erfinder
ber Syfteme werben gewiß bafür büßen müffen. Wenn bie
Großen und ihre Minifter wahre Religion, und die Unterthanen
vernünftige Gefege und ein Syſtem hätten, fo wäre Allen geholfen.
Das GEinreißen bei gewöhnlichen Anftalten if ein großes
Berderben, vorzüglich in der -Politif, Ökonomie und Religion.
Das Neue ift dem Projectmacher fo angenehm, aber denen, Die
ed ‚betrifft, gemeiniglich fehr unangenehm, Der erite bedenkt
dabei nicht, daß er ed mit Menfchen zu thun bat, die mit
Güte unvermerdt geleitet fein wollen, und daß man dadurch
fehr viel mehr ausrichtet, als mit einer Umſchaffung, beren
Werth denn borh erft durch bie Erfahrung entfchiehen werden
muß. Bern man boch nur das Lektere bedenken wolte! Man
ſchneide die Glieder nicht ab, die man nod heilen fann, wenn
fie auch gleich etwas verftümmelt bleiben; ber Menſch könnte
über der Operation flerben. Und man reiße nicht gleich ein
Gebäude ein, bad etwas unbequem ift, und ftede ſich dadurch
in größere Unbequemlichkeitn. Man made kleine Verbeffe-
rungen.
Dr, Forſter fagt, bie Vielmweiberei bringe mehr Mädchen
227
als Knaben hervor. Diefe Behauptung (in wie weit fie ge
gründet ift, weiß ich nicht) beftätigt eine alte Meinung von
mir, daß es fi) mit dem menſchlichen Gefchlecht verbafte, wie
mit bem einzelnen Menfhen. Es bequemt ſich zu Allem. Dieß
ift wiederum eine ‘Folge feiner Perfectibilität. Vielleicht würde
Vielmännerei mehrere Knaben erzeugen, weil ba die Reihe an
einen befto feltener käme. Es verfieht fi) von felbft, wenn
der Mann eine Untreue beginge, fo wäre biefes nicht mehr
Vielmännerei. Wozu ließe fi) nicht das menſchliche Geflecht
bringen !
Es ift freilich nöthig, daß, wenn die nügliche, arbeitende
Claffe in Kenntniffen erhoben werden fol, die höhere fehr viel
weiter fein muß, um fie nachzufchleppen. Allein dieſes ſehr
viel weiter ift relativ. Wenn unfere Gelehrten fo fort
arbeiten, fo werden fie fi immer mehr von der gemeinen Men:
fhenclaffe entfernen, und ber Eifer, jene nad fi zu ziehen,
wird immer größer, aber auch die Verachtung größer werden,
womit man jene Menſchen anfleht. Der Katholif ift in diefer
Rückſicht billiger, al8 wir: er gibt das nach, was wir verlan-
gen, baß ber Niedrigere zugeben fol. Er fegelt langfamer,
um bie fihledhten Segler bei fi) zu behalten; wir gehen mit
vollen Segeln, und hoffen, was kaum zu ermarten ift, baß
uns die Kleinen nachkommen follen.
Man erleichtert fich, habe ih irgendwo gelefen, bie Be—
5 *
228
trachtung über die Staaten, wenn man fie ſich als einzelne
Menfchen gedenkt. Sie find alfo auch Kinder, und fo lange fie
diefes find, mögen fie monarchiſch am beften fein. Wenn aber die
Kinder groß werden, fo laſſen fie fi nicht mehr fo behandeln,
benn fie werden alsdann wirklich nicht felten klüger, als der Vater.
Wenn e8 noch ein Thier gäbe, ba8 dem Menfchen an
Kräften überlegen wäre, und ſich zuweilen ein Vergnügen daraus
machte, mit ihm zu fpielen, wie bie Kinder mit Maifäfern,
oder fie in Cabinetten auffpießte, wie Schmetterlinge; fo würde
es wohl am Ende ausgerottet werden, zumal wenn es nicht an
Geiftesfräften dem Menfchen fehr weit überlegen wäre. Cs
würde ihm unmöglich fein, ſich gegen die Menſchen zu halten;
es müßte ihn benn verhindern, feine Kräfte im mindeften zu
üben. Gin ſolches Thier ift aber wirklich der Despotismus,
und doch hält er fih noch an fo vielen Orten. Bei der &e-
fhichte des Thieres muß aber auch angenommen werden, daß
ed den Menfchen nicht wohl entbehren kann.
Wenn die Hunde, die Wespen und die Horniffen mit
menfchlicher Vernunft begabt wären, fo fünnten fie ſich vielleicht
ber Welt bemäcdhtigen.
Es ift eine Frage, ob wir nicht, wenn wir einen Mörber
rädern, gerade in ben Fehler des Kindes verfallen, das ben
Stuhl Schlägt, an ben es fich ftößt.
229
Darf ein Bol feine Staatöverfaffung ändern, wenn es
win? Über diefe Frage ift fehr viel Gutes und Schlechtes
gefagt worden. Ich glaube, die befte Antwort barauf ift:
Wer will e8 ihm wehren, wenn es dazıı entfchloffen ift?
Allgemein geworbenen Orundfäßen gemäß handeln, ift natür-
lich; der Berfuh kann falfh ausfallen, allein es ift num
einmal zum Verſuch gefommen. . Ihm vorzubeugen müßten
die MWeifeften die Oberhand haben, und diefe Weifelten müß⸗
ten eine Menge ber MWeifeften oder ber Unweiſeſten, gleich
viel, commanbiren fönnen, um bie Bernunft der Beffern und
den Gehorfam ber Schlechtern immer nad) berfelben Seite zu
lenken.
Die Gegner der Franzöfifchen Republik fprechen immer, daß
fie da8 Werk einiger wenigen aufrührerifchen Köpfe fei. Hier
kann man frei fragen: was ift je bei großen Begebenheiten das
Werk von Bielen zugleich gewefen? Oft war es nur das
Wert eines Einzigen. Unb mas find denn unfere Potens
tatenPriege je ander8 gewefen, als das Werk von Wenigen? —
König und Minifter. Es ift ein elendes Kaifonnement. Es
müffen und können immer nur Wenige fein, wenn etwas
Großes ausgeführt werden fol. Die Übrigen, bie Menge,
müffen alfemal berüber gebradht werden, man mag das nun
Überzeugung oder Verführung nennen, das ift gleich viel. Auch
fpricht man fo verädhtlic von Bierbrauern, Parfümeurs u. dgl.,
die jebt große Rollen fpielen. Es gehört ja aber dazu nichts
230
als gerader Menfchenverfiand, Muth und Ehrgeiz, ben biefe
Leute fo gut, als Andere befigen fünnen.
Ich möchte wohl wiffen, was gefchehen würde, wenn ein-
mal die Nachricht vom Himmel füme, daß ber liebe Gott ehe:
ftend eine Commiſſion von bevollmädtigten Engeln berabfchiden
würde, in Europa herum zu reifen, fo wie die Richter in
England, um bie großen Prozeſſe abzuthun, worüber es bienie-
den feinen andern Richter gibt, als das Recht bes. Stärfern ?
Wie mander Minifter würde dann lieber um gnäbigften Urlaub
anfuchen, einem Wallfiſchfang beisumohnen, ober die reine Caps
Horn: Luft zu atmen, als in feiner Stelle bleiben !
Ich fehe nicht ein, was e8 fhaden kann, dem Yatriotismus,
für ben nicht ale Menſchen Gefühl ‚haben, Liebe des Könige
unterzufieben, wenn ber König fo berrfht, daß er bie
Liebe und Treue feiner Untertbanen verdient. Liebe und Treue
gegen einen rechtfchaffenen Mann ift. dem Menfchen viel ver:
ländlicher, als die gegen das beite Geſez. Was für eine Macht
haben nicht die Lehren ber Tugend, wenn fie aus bem Munde
rechtfchaffener Eltern fommen! Gott bat gefagt: du folft
nicht tödten, du follft Vater und Mutter ehren u.f.w. Das
verfteht Jedermann. Der Beweis aus dem Recht der Natur ift
nicht fo einleuchtend. Jene Worte find deßwegen fein Betrug,
denn ed ift die Stimme ber Natur und Gottes,
231
Ich möchte wohl wiffen, ob Alle, die wider bie Gleichheit
der Stände fihreiben und diefelbe lächerlich finden, recht willen,
was fie jagen. Eine völlige Gleichheit aller Menfchen, fo wie
etwa aller Maifäfer, läßt fi) gar nicht denken; fo können es
alfo auch die Franzofen nicht verftanden haben, benn fie reden
ja überall von den Reichen. — Unter den Stubenten auf lint-
verfitäten findet eine ähnliche Gleichheit, wie die franzöfifche,
Statt: der ärmſte Student dünkt fi) fo viel wie der Graf,
und gibt diefem nichts vor, und das ift recht; ob er gleich
gerne zugibt, daß er im Collegio an einem befondern Tiſche
fit, und beffere Kleider trägt. Nur muß biefer, als Graf,
feine Vorzüge prätendiren; bie ihm bewilligten läßt ihm
Sedermann gerne. Wollte er welche prätendiren, fo wäre das
ber Weg, zu bewirken, daß man ibm alle verfagte. Nur bie
ſtolzen Prätenfionen find es, was ber freie Menfch nicht vertra-
gen kann; übrigens ift er gar fehr geneigt, wenn man ihn
gehen läßt, Jedem bie Vorzüge zu bewilligen, die er verdient;
und welches diefe find, das zu beflimmen, bat er gewöhnlich ein
fehr richtiges Maaß. Jede Achtung ift ein Gefchen?, das nicht
erzwungen werden darf und kann. Bewilligt das Volk durch
Decrete gewiſſe Vorzüge, ſo iſt dieſes eine Abgabe, und kein
Geſchenk des Einzelnen, und dieſe koͤnnen prätendirt werden.
Von der Art find die VBorrechte der Magiftratsperfonen im Dienft.
Jedermann denke doch an die Bürger feiner Baterfiadt. Wenn
ber reichfte Kaufmann einen Vorzug vor dem ärmſten Schufter
oder Schreiber prätenbirte, fo möchte er übel anfommen. „Du
232
haft mir nichts zu befehlen“« — ift bie Antwort. Prätendirt er
ihn nicht und ift fonft ein ehrlicher Mann, fo wird ihm jener
den Borzug nie verfagen.
Unter die Mißverftänbniffe oder die faljchen Darftellungen
bei der franzöfifchen Revolution gehört auch die, daß, man glaubt,
die Nation werde von einigen Böfewichtern geleitet. Sollten
nicht vielmehr biefe Böjewichter fi die Stimmung der Nation
zu Nupe machen ?
In Frankreich gährt ed; ob Wein oder Efjig daraus wer»
‚den wird, ift ungewiß.
Durch bie Ermordung Ludwigs XVI. wurden Leite gegen
bie Grunbfäge jener fränkifhen Vandalen empfindlid, die es
vorher nicht waren. Jene Ihat war die Sprade, wodurch fie
ihnen verfländlich wurden; und fie zu rächen, thut jet Mancher,
was er fonft nicht würde gethban haben. So werben bie größten
Dinge verrichtet, und eben fo ift e8 bei taufend Menfchen mit
ber Liebe gegen den König. Der Untertban thut oft für einen
guten König, was er für die eherne Bildfäule des Geſetzes nicht
würbe getban haben. Ein guter Regent ift die Kraft bed Ge»
feßes, die freilich meiftens nur zum Strafen gebraudit wird,
aber wenig zum DBelohnen. Der Menfch unterläßt viel leichter
etwas aus Furcht vor dem Haß des Regenten, als er es aus
Liebe für ihn thut. Was für eine große Kunft wäre ed, zu
233
maden, baß ber Menjch Dinge thäte, ohne daß er e8 müßte!
fo wie ber, ber bie Jagd liebt, feinem Körper eine beilfame
Bewegung verfchafftz oder der, der den Hunger ftillt, für die
Nahrung feines Körpers forgt, ober fein Gefchlecht fortpflanzt,
indem er eigentlidy nur feinem Vergnügen nachgeht. Der Himmel
bat fo wenig auf unfern Berftand anfommen laffen, und wir
wollen Alles damit treiben. Das Gefep ift ein gar Palter Körper.
Die Welt fo zu erfchaffen, wie Epikur, Demokrit, le Sage,
ift freilich Werwegenheit. Es kann ganz anders zugegangen
fein. Ullein das ift dad leider nur allzu gemeine argumentum
indoleniiae. Wir find Theile dieſer Welt, Mitbewohner, und
der Gedanke, der in uns lebt und webt, gehört ja auch mit
dazu. Da wir nun einmal für allemal in des lieben Gottes
Unterhauſe ſitzen, und er ſelbſt uns Sitz und Stimme aufge⸗
tragen hat, ſollen wir unſere Meinung nicht ſagen? Wenn
wir ſie nicht ſagen ſollten, und nicht ſagen dürften, ſo würden
wir ſie nicht ſagen können. Ich glaube, wozu der menſchliche
Geiſt Hang fühlt, da ſoll man ihn ja gewähren laſſen. Es
unterbleibt nicht, und darf und kann auch nicht unterbleiben.
Daß eine vernünftige Religionspolizei hierüber etwas waltet, iſt,
wie ich glaube, recht gut. Nur muß dieſes nicht durch ge⸗
druckte Befehle im Detail geſchehen; das iſt eine abſcheuliche
Sache. Denn der Befehl, wenn er auch noch ſo gut abgefaßt
iſt, kann ſich nicht in das Detail einlaſſen; und ſo lange er
dieß nicht kann, fo kann er ja eben fo einfältig gedeutet wer:
x
234
den, als das, dem er Einhalt thun will. Die Sprache ber
Mandate und Edicte kann bei ſolchen Gewifjensangelegenheiten
unmöglich burdhaus beftimmt fein. Lange Mandate werden
nicht gelefen, oder wenn fie gelefen werden, nicht behalten.
Man follte aber nicht deßwegen genauere Beobachter niederfeker,
fondern die, welche die allgemeinen (generifchen) Befehle
geben, follten die daraus entftehenden ſpecifiſchen zu mobe
riren wiſſen. Was würde wohl daraus werden, wenn ber liebe
Gott einmal bie Gefchöpfe nad) dem Linneifhen Syftem be:
handeln und füttern wollte? — Die Menfhen, fo fehr fie auch
im Beihenbuche einander ähnlich fehen, find unter fi) unendlich
verfchieden; und da die Größe überhaupt etwas Relatives ift, fo
ift bier eine unendliche Werfchiedenheit; und wenn wir die Ge
finnungen der Menfchen fehen Fünnten, wir würden eine Ber-
fhiedenheit antreffen, bie für das höchfte forfchende Auge un⸗
endlih fein würde, wir möchten nun das nennen, wie wir
wollten. — Alfo, jede Religionspolizei ſollte ſich fo allgemein,
als möglih, in ihren Gefegen ausprüden und privatim corris
giren. Du ſollſt nit tödten; Du follft nit fleb:
len; das ift recht gut geboten; das follte man nachahmen.
Was Lönnten nicht NRegenten ausrichten, zumal in Beinen
Staaten, wenn fie fih ihren Unterthanen öfters zeigten, pre:
digten u. f.w.! Sie würden fo die Seele des Geſetzes, beffen
Körper für fih wenig Heiz bat. — Die beften Gefeke- kann
man bloß refpectiren und fürdten, aber nicht lieben. Gute
235
Regenten refpectirt, fürchtet und liebt man. Was für mächtige
Quellen von Slüd für ein Volk!
Se größer und weitausfehender der Pan ift, in den eine
Revolution bineingehört, .defto mehr Leiden verurfucht fie denen,
die darunter begriffen. find; indem es nicht Jedermanns Sache
ift, felbft wenn er es überfieht, fi durch ben Berftand mit
Geduld zu ftärken, und dieſes um fo weniger, je ungemiffer es
ift, ob er nod die Früchte davon genießen werde. Uber eben
diefelbe Kurzfichtigfeit, die den Menfchen unfähig macht, bie
großen Plane der Vorfehung zu überfchauen, verftattet audy ben
weifeften Regierungen nicht, auf dem fanften Wege, ben fie
mit Recht einfchlagen, große Bwede zu erreihen. Ja, ba ed
natürliche YHflicht ift, immer nur das zu wählen, was uns gut:
dünkt, fo ift es unmöglich, zum Bortheil ber Welt Einen Weg
einzufchlagen,, ber Millionen fürs Gegenwärtige unglücklich madıt.
Der Menſch ift nur da, die Oberfläche der Erde zu bauen; ben
Bau und die Reparaturen, bie mehr in die Tiefe gehen, behält
fih die Natur felbft vor. Erdbeben, die Städte umkehren,
kann er nicht machen, und wenn er fie fönnte, würde er fie
gewiß am unrecdhten Orte anbringen. Ich bin fehr geneigt, zu
glauben, daß es mit unferen ..arcdhieen und „.Eratieen eben
jo gehe. Was ber Pflug und die Art thun kann, das ift für
uns, aber nicht was. den Erdbeben, Überſchwemmungen und
Orkanen zugehört, und vermuthlih, ja gewiß eben fo nützzlich
und nöthig if. Wenn am Ende das Glück des ganzen Ge:
236
fchlechts in einer .. Pratie befteht, wovon wir das erfie Wort
ber Zufammenfeßung gar nicht Fennen, und bad man nad Ge
brauch der Mathematiker etwa durch xOEratie bezeihnen könnte,
wer will biefes x beflimmen? Gin Freund las Chriftolratie,
und aus dem Innerften meiner Seele gefprochen, ich babe gegen
biefen Werth von x nichts einzuwenden, wenn man nur erfl
über die Bedeutung bed Wort Chriftus recht eins wäre, ober
die ſo deutliche Bedeutung nicht muthwillig verfennen wollte.
Es ift aber zu fürchten, daß auch dieſes Verſtändniß nur durch
Reformationdrebolutionen und breißigjährige Kriege wird bewirkt
werden können.
Mun wird, wenn man Acht geben will, bei dem Deuts
fhen die Nahahmung überall finden, freilich bald mehr, bald
weniger verftedt. Selbft unfer Fechten für Bezahlung ifi Nach⸗
ahmung ber Bertheidigung des Vaterlandes. Eigentlih kann
wahre Bertheidigung feines eigenen Herde, feines Weibes und
feiner Kinder mit dem Dienfte ber Soldaten nicht verglichen
werben; und doch geſchieht es fehr häufig. Es find Dinge ganz
verfhiedener Art, und fo unterfchieden, wie wahre Freund⸗
fhaft halten von [hmarogen.
Weiffagungen finden fih in fehr alten Büchern auch ſchon
deßwegen, weil einem bie Begebenheiten, bie die Beranlafjung
dazu waren, nicht immer einfallen. Denn wer bat, wenn er
auch Geſchichte weiß, Alles fo fonchroniftifch gegenwärtig, daß
237
er willen kann, was bamals bie Tiſchdiscurſe der Gefellfchaft
waren? Begebenheiten der Zeit verleiten zu einem Traum;
ähnliche Begebenheiten ereignen fiy wieder, und ber Traum
trifft ein. So habe ich felöft den Tod Ludwigs XVI. lange
vorher geweiffagt, und gewiß mehrere Menfchen haben bafjelbe
gedacht. Was bie franzöfifche Revolution für Folgen haben
wird, läßt fi) auch dunkel vorausfehen. Johann Huß wurde
verbrannt, Luther nicht; es entſtand ein breißigjähriger Krieg,
und nun fleht die Reformation da.
Bei ber jegigen Anardie in Frankreich und ber Uneinigfeit
im Nationalconvent folte man immer fragen: wie viel gehört
wohl davon ben Gmigranten zu? und wie viel dem Einfluß
fremder Höfe? Gewiß wird nicht bloß mit Armeen von letzteren
gefochten. '
In Peiner Streitigkeit, deren ich mich erinnere, find je,
glaube ih, die Begriffe fo verftellt worden, als in ber gegen-
wärtigen über Zreibeit und Gleichheit. Gebt, ruft die eine
Partei, hin nah Paris, da feht ihr’ bie Früchtchen der Gleich⸗
heit! Und es iſt betrübt, zu ſehen, daß ſogar berühmte Schrift⸗
ſteller in dieſen Ton mit einſftimmen. Eben fo könnte ich rufen:
ihr, die ihr ein ſo großes Glück im Umgange mit dem andern
Geſchlecht und in der Liebe findet, ſeht dort die Hospitäler der
Naſenloſen! oder ihr, die ihr von dem Labſal ſprecht, das euch
beim Genuß ber Freundſchaft der Wein gewährt, ſeht dat Six
- 238
Trunkenbolde in ben Klauen der Schwindfucht im Kreife ber:
bungernder Kinder langfam dahin fterben! Ihr Ihoren, möchte
ich fagen, fo lernt uns doch verfiehen! O ich glaube au, ihr
verfiehbt uns nur allzu wohl, ihr beraifonnirt nur defwegen fo,
weil ihr fürchtet, bie Welt möchte uns verftehen. Die Gleich⸗
beit, die wir verlangen, ift der erträglichfie Grad von Ungleich⸗
beit. So vielerlei Arten von Gleichheit e8 gibt, worunter es
fürdterliche gibt, eben fo gibt es verfchiebene Grabe ber Un»
gleichheit, und darunter welche, bie eben fo fürchterlich find.
Bon beiden Seiten ift Verderben. Ich bin daher überzeugt, daß
die Bernünftigen beider Parteien. nicht fo weit von einander lies
gen, als man glaubt; und daß bie Gleichheit der einen Partei,
und die Ungleichheit der andern wohl gar am Ende biefelbigen
Dinge mit verſchiedenen Namen ſein könnten. Allein was hilft
da alles Philoſophiren? Dieſes Mittel muß erkämpft werden,
und wird die übermacht von einer Partei zu groß, zumal wenn
der Muthwille der andern unbändig war, ſo kann es auch ſehr
viel ſchlimmer werden. Es iſt aber nur zu befürchten, daß jene
mittlere Gleichheit oder Ungleichheit (wie man will) von beiden
Parteien gleich ſtark verabfcheut wird. Sie muß alfo wohl mit
Gewalt eingeführt werden; und ba ift e8 denn dem Einführen»
den nicht zu verdenfen, wenn er ſich einen etwas flarfen Aus-
fhlag gibt. Hierin liegt überhaupt ein allgemeiner Grund von
der Seltenheit guter Mittelzuftänbe.
Wenn ber goldene Mittelzuftand durch den Streit der Ber:
239
theidiger beider Ertreme erfochten werden fol; jo ift es eine gar
mißlihe Sade. Nichts als völlige Entkräftung beider Theile
wird fie geneigt dazu machen, und in biefem Falle bemädhtigt
fi) leicht ein Dritter beider Parteien.
Sieyes ift feit 17883 wahrfcheinlicher Weiſe bie Iriebfeder
aller großen Begebenheiten in Frankreich. (Im Jahr 1793 ge:
fhrieben.)
Es find immer gefährliche Zeiten, wo ber Menfch fehr lebhaft
erkennt, wie wichtig er ift, und was er vermag. Es ift immer
gut, wenn er in Rüdfiht auf feine politifchen Rechte, Kräfte
und Anlagen ein bißchen fchläft, fo wie die Pferde nicht bei
jeder Gelegenheit Gebrauch von ihren Kräften maden dürfen.
Wenn Freiheit, wie man jagt, bem Menfchen natürlich ift,
ift es ihm denn minder natürlich, fi) dem Schuge eines Anbern
zu unterwerfen, wenn er nicht Stärke ober nicht IThätigkeit
genug hat? Da man fi über Könige weggefegt bat, wird es
nit immer Menfchen geben, die fi) über Geſetze wegſetzen?
Tugend in allen Ständen ift die Hauptfadhe; wo
die nicht ift, da ift Alles nichts, und Wechfel wird flets Statt
finden. Alles, wofür ein Staat zu forgen bat, ift, richtige
Begriffe von Gott und der Natur in Umlauf zu bringen. Man
bat ſich über Könige weggeſetzt, nicht weil fie Tyrannen waren;
fondern man nannte fie fo, weil man ſich über fie wegſetzen
240
wollte. Und wie, wern e8 nun nie an Ehrgeizigen fehlen wird,
bie die Gefege für Tyrannen halten ?
Es ſcheint faſt, als wenn es mit ber Erfenntniß gewiffer
Wahrheiten und ihrer Anwendung im Leben ginge, wie mit
Pflanzen: wenn fie einen gewiffen Grab von Höhe erreicht
haben, fo werden fie abgefchnitten, um wieder von vorme ans
zufangen. Der höchſte Grad von politifcher Freiheit liegt un⸗
mittelbar am Despotismus an, Wie fchön ift e8 nicht bei der
englifchen Gonftitution, daß fie republifanifche Freiheit mit ber
Monarchie ſchon vorläufig gemifht bat, um den völligen Um⸗
fhlag aus einer Demokratie in reine Monarchie oder Despotis⸗
mus zu verhindern ! |
Das Traurigfte, was bie franzöfifhe Revolution für uns
bewirkt hat, ift unftreitig das, baß man jede vernünftige und
von Gott und Rechtöwegen zu verlangende Forderung, als einen
. Keim von Empörung anfehen wird.
Es kommt nicht darauf an, ob die Sonne in eined Mo—⸗
narchen Staaten nicht untergeht, wie fih Spanien ehedem
rühmte; fondern was fie während ihres Laufes in biefen Staa:
ten zu fehen bekommt.
Man fpricht viel von guten Königen, die do im Grunde
nichts weniger waren, als gute Könige, aber gute Leute. Es
241
ift diefes eine Hödhft ungereimte Verwirrung ber Begriffe. Man
kann ein fehr guter Mann und doch Eein guter König fein, fo
gut ald man ein ebrliher Mann und dabei Fein guter Bereiter
fein Bann. Dieß ift wahrhaftig ber Kal mit Ludwig XVL
Was halfen feine guten Gefinnungen? Dadurch konnte fein
Volt unmöglih glüdlih werden. Man fagt nit, baß er
nicht vergleichungsweife gut geweſen ſei. Er war gewiß fehr
viel beſſer, als mande feiner Vorgänger.
Eine Gleichheit und Freiheit feftfegen, fo wie fie fich jest
viele Menfchen gedenken, das bieße ein eilftes Gebot eben,
wodurch die übrigen zehn aufgehoben würden.
Wenn ber größte Lehrer des Menfchengefchlehts käme und
eine Schule anlegte, vollkommene Menfhen zu -bilden, und alle
Schulmeifter rottirten ſich zuſammen, aus Furcht ihre Kunden
zu verlieren, fchrieben gegen ihn, fuchten. feine Kinder zu ver
führen, fihieten ihm mit Fleiß verworfene Gefchöpfe zu, ja
mitunter .verfleidete Mädchen mit venerifchen Krankheiten, ließen
ihnen Branntwein und wohlſchmeckende Gifte zufhiden u. f. w.
— wie würde ein folches Inftitut beftehen künnen? Wenn nun
Alles darin, wirklich darunter und darüber ginge, was für Recht
hätten nun bie neidifchen Schulmeifter, in die Welt zu fihreiben:
quid dignum tanto tuljf hie promissor .hiatu? — Sem Plan
hatte nicht. Schuld, Ionen. fie, die Schulmeiſter, mit ihren
Gegenarbeiten.
I. \G
242
Sonft fuht man bei Belehrungen die Meinung wegzus
fhaffen, ohne den Kopf anzutaften ; in Frankreich verfährt man
jegt fürzer: man nimmt die Meinung mit fammt dem Kopf weg.
Was die Großen jest zu bedenken haben, ift, daß fie ihre
Untertbanen gewiß nicht leicht ärger drüden können, als fie
in Sranfreich gebrüdt wurden; und diefe doch ihrem ‚Könige ben
Kopf abgefchlagen haben.
Es find jest Deutfche, Engländer, Franzofen, Yiernontefer,
Spanier, Portugiefen, Neapolitaner und Holländer, die das
heilige Grab der franzöfifhen Monardie zu erobern
tradhten; ob es ihnen wohl gelingen wird?
Es ift eine große Frage, wodurch in der Welt mehr ift
ausgerichtet worden: durch das gründlich Gefagte, ober durch
das bloß ſchön Geſagte. Etwas zugleich fehr gründlich und fehr
fhön zu fagen, ift ſchwer; wenigftens wird in dem Augenblick,
da die Schönheit empfunden wird, die Gründlichfeit nicht ganz
erkannt. Man tadelt das feichte Gefhwät, das jest in Frank⸗
reich in politifchen Dingen gebrudt wird. Ich glaube, biefer
Tadel ift felbfi etwas feicht, und zeigt, baß bloß das Syſtem,
aber nicht die Kenntniß menfchlicher Natur die Feder geführt hat.
Denn diefe Bücher werden ja nicht für das Menfchengefchlecht
und die abſtracte Vernunft gefchrieben, fondern für concrete
Menſchen von einer gerwiffen Partei; und erreichen gewiß ihren
243
Zweck fiderer, als alle Werke, die für ben abftracten Menfchen
berechnet find, den ed nody nicht gegeben bat, und n’e geben wird.
Ich fehe darin nichts fo fehr Arges, daß man in Frankreich
ber chriftlihen Religion entfagt bat. Das find ja Alles nur
Pleine Winkelzüge. Wie wenn das Bolt nun ohne allen
äußern Z3wang in ihren Schoos zurüdkehrt, weil ohne fie
fein Glück wäre? Welches Beifpiel für bie Nachwelt, und
welches koſtbare Erperiment, dad man wahrlidy nicht alle Tage
anftelt! Ja, vielleicht war es nöthig, fie einmal ganz aufzu:
heben, um fie gereinigt wieder einzuführen.
Es ift, glaube ich, Peine Frage, daß, bei aller Ungleichheit
der Stände, die Menfchen alle gleich glücklich fein können;
man fuche nur jeden fo glücklich als möglich zu machen.
Milton, der zwar nicht unter die Königsmörder felbft ge:
bört, die Carl I. auf das Schafstt brachten, aber fie doch nady
ber befanntlich vertbeidigte, lehrte: a popular government was
the most frugal; for the troppings of a monarchy would set
up an ordinary common wealth., Diefes ift eiri zu unferer
Zeit fehr gewöhnliches Raifonnement. Wir müffen, fagen fie,
fo viel bezahlen, bloß um den Hofſtaat zu unterhalten; dieſen
brauchen wir nit. — Diefe Art zu frhließen ift aber, fo vielen
Shein fie auch für fih Hat, nichts defto weniger fehr grundlos.
Erftlich fegt es voruus, daß, um glädlih zu eben, won
ar
244
nichts weiter nöthig bat, als Gelb: Ruhe und innerer Friede
kommt babei nich in Betracht. Die Leute glauben, das bißchen
Geld, das fie mehr haben, würden fie alsdann eben fo rubig
verzehren fönnen, als in der Monardie; aber das iſt Berblen-
dung. Wir ertragen ed ganz wohl, daß uns eine Familie bes
herrſcht, die wir über uns erhaben glauben. Aber wenn fich
ein Böſewicht, der dem Range nad nicht mehr ift, als ich,
burch Gelb und 2ik bei den Wahlen emporfhwingt; ein Mann,
dem ich mich an reellem Berdienſt überlegen fühle — das Präntt.
Auch wenn ich nicht gewählt werde, und bie Frau fagt: „aber,
lieber Mann, warum wählen fie denn dich nicht? . wenn wir
doch nur ein einzigesmal das Glück hätten! unfere Kinder wer⸗
den gar nicht fo angefehen, als wie ber Frau N... ihrer —
das ſchneidet fehr tief und verbittert das Leben, und verleitet
felbft manden Mann, der in einer Monarchie ehrlich. geblieben
wäre, zu Gabalen. Bei einer foldhen Hintanfegung verliert
Alles feinen Werth. Schon ber frhönfte Landfik in England
wirb feinem Beliger zur Wüfte, wenn er bei einer Parlaments⸗
wahl ausgefallen iſt. Hingegen in einer Monarchie vernachläffigt
zu werden, das fchreibt man mehr dem Schiefale zu, und dünkt
fih wohl noch gar in dem Leiden groß, und wird auch mehr
beklagt. Jeder mir benachbarte Bauer, der feine Stimme wider
mich gegeben bat, fieht fih als meinen Herrn an, und rühmt
fih in ber Schente, mich gedemüthigt zu haben. —
Bweitens, ift denn das Geld, das dem Hofe gezahlt
wird, meggemworfen? ober wird es in eiferue Kiften vergraben ?
245
Kommt es nicht vielmehr fehneller in Umlauf, als jebed andere
Geld? . Fragt einmal die Hoflieferanten, oder den Schufter und
Schneider, der für den Hof bes Hoflieferanten arbeitet; dieſe
werben anders urtbeilen. Der Hof bat feine Höfe unter fid,
die wieder. die ihrigen haben, und fo erfiredt es ſich mit ufıs
zäbligen Ramificationen bis zur unterften Claſſe.
Drittens unterfuche- man einmal unparteiifch, was eigent-
li der Grunbtrieb des Republikanismus ifl. Bei den Meiften
wenigftens ein Haß gegen die Großen. Denn man ift ge
wöhnlich immer befto. weniger republifanifch gefinnt, je höher
ber Rang ift, den man felbft in ber Welt beffeidet. Auch ift
ed fhon hundertmal gefagt worden, daß die Bertheidiger der
Gleichheit eigentlich) nichts wünſchen, als Alles höher zu ihrem
Horizont hinauf, aber nicht fich felbft zu einem tiefern herab
gebracht zu fehen. Die berühmte Mıs. Macaulay, eine große
Gleihmaderin, konnte e8 dem Dr. Johnſon nie vergeffen,
daß er fie nach einem folhen Dispüt, als man fih zu Tiſch
feste, fragte, ob fie nicht ihren Kammerd'ener miteffen laffen
wollte. oo
Biertens wird man häufig finden, daß bie Vertheidi⸗
ger ber Freiheit nicht felten ‚bie größten Tyrannen in ihrem
Haufe find. In England erzählt man, daß ber Herzog von
Richmond, der ehemalige große Bertheidiger der amerifanifchen
Freiheit nicht felten feine Berwalter durdhprügeln fol. Ja
Milton, ber große Freiheitsredner, hatte drei Weiber nach
einander und drei Töchter, aber ſolche erniedrigende Bearike
246
vom weiblichen Gefchlechte, daß er glaubte, fie wären bloß zum
Gehorchen da. Diefes ging bei ihm fo weit, daß er fogar
feine eigenen Töchter nicht fihreiben Icrnen ließ. Ich glaube,
es müßte eine fehr unterhaltende Lectüre fein, bie Reden eines
ſolchen Freiheitsritters mit ber Gefchichte des Pleinen monardji«
fhen Staates verglichen zu fehen, an deffen Spige er felbft ſteht.
Es wäre vortrefflich, wenn fi) ein Katechismus, oder eigent-
li ein Studienplan erfinden ließe, wodurch die Menfchen vom
dritten Stande in eine Art von Biber verwandelt werden könn⸗
ten. Ich kenne fein befjeres Thier auf Gottes Erdboden: es
beißt nur, wenn c8 gefangen wirb, ift arbeitfam, äußerſt matri«
monial, kunſtreich und bat ein vortreffliches Fell.
Ih möchte was darum geben, genau zu wiffen ‚ für wen
eigentlich die Thaten gethan worden find, von denen man öffent«
li fagt, fie wären für das Baterland gethan worden.
Ich kann freilih nicht fagen, ob es beſſer werben wird
wenn es anders wird; aber fo viel kann ich fagen, es muß
anders werben, wenn e8 gut werben foll.
Es gibt Länder, wo es nichts Ungewöhnliches ift, daß man
Officiere, die im Kriege treu gedient haben, beim Frieden redu⸗
eirt. Wäre es nicht gut, bei gewiflen Departements ber Staats:
verwaltung bie Einrichtung zu treffen, daß die bazu gehörigen
247
Bedienten, oder einige von ihnen, rebucirt würden, fobalb es
Krieg wird? Es wäre auch fihon genug, wenn fie auf halbe
Bejoldung gefegt würden.
Wer bat denn die Frangofen genötbigt, ihr Heil auf Um:
wegen zu fuhen? Die jekige Berfaffung (1796) ift jo wenig
ber Zweck, ald Robespierre's Iyrannei war. Auf biefem Wege,
glaube ih, muß die Sache gefunden werden. Kommen fie am
Ende zu einer monardifchen Regierung zurüd, gut, fo ift es
ein neuer und zwar ſehr Präftiger Beweis, daß große Staaten
nicht anders beherrſcht werden können.
Wenn die Gleichheit der Stände, über bie man jet fo viel
fchreibt und fpricht, etwas Wünfchenwerthes ift, fo muß fie
nothwendig etwas jener Gleichheit Analoges haben, bie man
nah Aufhebung des Rechts des Stärkern durch weiſe Geſetze
eingeführt bat. Es ift daher ein gar fonderbares Argument,
das man zur Vertheidigung der Ungleichheit beibringt, wenn
man fagt, die Menfhen würden mit ungleichen Kräften ges
boren. Denn hierauf kann man antworten: eben deßwegen,
weil die Menjchen mit ungleiden Kräften geboren werben, und
der Stärkere den Schwädern verfchlingen würde, hat man fidh
in Geſellſchaften vereinigt, und durch Geſetze eine größere Gleich:
beit eingeführt. Iſt das fo genannte Gleichgewicht von Europa
etwas Anderes? Überhaupt wäre e8 wohl befier, zu fagen:
Gleihgewidt ber Stände, als: Gleichheit.
248
Ich babe das Buch: ber politifhe Thierfreis. ober
bie Zeichen der Zeit. gelefen. Es ift gut gefchrieben, und
enthält theil® eigen, theils aus andern ercerpirt, das Befte, was
fi) gegen die Großen und bie Monardieen jagen läßt. Einiges
mag auch wohl unwiberleglich fein. Allein man laffe einmal
die Volföregierungen überall eintreten, fo werden vermutblich
andere Umftände folgen, bie bie Bernunft eben fo wenig billigen
fann, als die jegigen. "Denn daß das republitanifche Syſtem
ganz frei von allem Unheil fein follte, ift ein Traum, eine
foße Idee. Sch glaube, ohne deßwegen richten zu wollen, man
wird ewig und ewig durch Revofutionen von einem Syſtem in das
andere ftürzen, und die Dauer eines jeden wird von der tem=
porellen Güte der Subjerte abhängen. Nah Amerika
läßt fich noch nichts beurtheilen, weil e8 zu weit von den Län⸗
dern entfernt ift, wo man anders denft, und die anders Den⸗
enden auf jener Seite der Welt nicht Unterftügung gemug haben.
Die eingefchräntte Monarchie feheint am Ende die Afympfote zu
fein, der die Staaten immer näher zu fommen fuchen müffen ;
aber auch da wird ed immer und ewig auf die Güte ber Sub:
jecte anfommen. - _
Große Eroberer werden immer angeftaunt werben, und bie
Univerfalbiftorie wird ihre Perioden nad) ihnen zufehneiden. Das
ift traurig; es liegt aber in ber menfchlichen Natur. Gegen
ben großen und ftarfen Körper felbft eines Dummkopfs wird
immer der Eleine des größeften Geiftes, und ſonach ber große
249
Geift felbft, veräcdhtlich erfcheinen, ‚wenigftens für ben größten
Theil der Welt, und das fo lang Menfhen Menjchen find.
Den großen Geift im Heinen Körper vorzuziehen, bazu gehört
Überlegung, zu der fich die wenigften Menjchen erheben.
Es fol in einem gewiffen Lande Sitte fein, daß bei einem
Kriege der Regent fowohl. al& feine Räthe über einer Pulvertonne
ſchlafen müffen, fo fange der Krieg dauert, und zwar in befons
dern Zimmern des Schloffes, wo Jedermann frei hinſehen fann,
um zu beurtheilen, ob das Nachtlicht auch jedesmal brennt.
Die Tonne ift nicht allein mit dem Siegel der Volksdeputirten
verfiegelt, fondern auch mit Riemen an ben Fußboden befeftigt,
die wieder gehörig verfiegelt find. Alle Abend und alle Morgen
werben bie Siegel unterfucdht. Man fagt, baß feit geraumer
Beit die Kriege in jener Gegend ganz aufgehört hätten.
Der jekige Krieg bat gewiffe Begriffe allgemein in Gang
gebradt. Man kann nicht fagen, daß dieſes fchon oft gefchehen
fei. Nein, niemals fo! nad Erfindung ber Buchdruderei, nach
der Reformation, nad dem Gtabliffement fo vieler Zeitungen
und Sournale, nad fo vielen Leihbibliorthefen, und nad ber
entitandenen Lefefucht, die gewiß nie fo allgemein war. Es
fommt fo Bieles zufammen, was nie vorher beifammen war,
und nit beifammen: fein fonnte, was unfere Zeiten zu ben
merkwürdigſten macht, die je gewejen find.
250
Ich möchte wohl das Berhältniß der Zahlen wifien, die aus—
drüdten, wie oft das Wort Revolution in ben 8 Jahren
von 1781 bis 89 und den 8 Jahren von 1789 bis 97 in Europa
ausgefproden und gedrudt worden if. Schwerlich würbe das
Berbältniß geringer fein, als 1 : 1000000.
Iſt es nicht fonberbar, daß man, um dem Gouvernement
und namentlih dem Directorium in Frankreich Reſpect zu ver
fhaffen, ein Coſtum, eine Kleidertracht eingeführt bat? Das
fhönfte Coſtum wäre unftreitig die Erblichkeit der Regierung.
Keine Tracht, Fein Anzug wird je erfunden werben, der bem
gleiht. Es liegt im Menfchen ein Princip, das diefen Ans
zug fchneidert, den man jetzt geradeweg ber Schneibergilde über⸗
läßt. Sollte fi nit ein Mittel finden lafjen, bier einen Mit:
teliweg zu finden? Es ift Demokratie in dem aus Kopf und
Herz beftehenden Menfchen, was die Monardie ber reinen
Bernunft verwirft, und die politifchen Demokraten ftügen ‚fich
auf Monarchie ber Bernunft. Sie erfennen eine Monardjie
zur Bertheidigung einer Demofratie — Suchet einmal in der
Welt fertig zu werben mit einem Gott, den bie Bernunft allein
auf den Thron geſetzt hat. Ihr werdet finden, es ift unmög⸗
lih. Ich fage biefes, fo fehr ih au einfehe, daß es billig
wäre; aber biefe größere Billigkeit ift gerade die Stimme ber
Bernunft, bie jenes will, alfo parteiifh. Befraget bad Herz,
und ihr werbet finden, daß, fo wie bie Kleider Leute, fo bie
Geburt Regenten madt. Das Gleihniß führt, ich geftehe es,
—
251
auf etwas LXächerliches, aber bloß für den Lacher, den erbärm-
lichſten Menſchen, den ich fenne. Sch werbe gewiß von benen
verftanden, von denen ich verſtanden fein will, und biefes über:
bebt nich der Mühe, bier präcifer in den Ausdrüden zu fein. Ich
bin davon fo fehr überzeugt, daß, wenn mir die Wahl gelafjen
würde, welches Ortapblatt von mir auf die Nachwelt fommen
follte, ich getroft fagen würde: dieſes. — Sind denn bie
Kleidertrahten auch Vernunft? Warum ift ein Rewbell
dur den Schneider mehr werth, als durch bie Natur? Ihr
imponirt der Einbildungöfraft und dem Herzen von einer Seite,
wo die Belehrung: von feinem Irrthum viel leichter ift, als da,
wo e8 auf Vorrechte und Geburt antommt. Geht mir weg mit
euren neuen Schneidereien, bie weit hinter den unfrigen liegen!
Selbſt in eurer Livree liegt etwas von bem ignoto Deo. Das
Herz und das Auge wollen was haben.
Die Polizeianſtalten in einer gewiffen Stadt laſſen fi) füg-
lih mit den Klappermühlen auf den Kirfhbäumen vergleichen:
fie ftehen flil, wenn das Klappern am nöthigften wäre, und
maden einen fürchterlihen Lärm, wenn wegen bes heftigen
Windes gar Fein Sperling fommt.
Die Corps Invaliden bei den Soldaten bienen body wahrlid)
beutlich zu zeigen, was bereinft aus ben Baliden werben wird.
Es wäre gut, wenn man aud in andern Ständen den Jüngern
eine folche Pafiionsgefchichte vorhalten könnte. Andere Claſſen
252
von Gefhäftsmännern fehen die Erempel nicht fo beifammen.
Man muß fie fi) durd Überlegung und Phantafle zufammen
bringen, und das vermindert ben Totaleindrud fehr. -
Man will wiffen, daß im ganzen Sande feit 500 Jahren
Niemand vor Freuden geftorben wäre,
Wenn Heirathen Frieden ftiften können, fo follte man ben
Großen die Bielmeiberei erlauben.
Die an den Untertbanen meiftern wollen, wollen die Fir
fterne um die Erde drehen, bloß damit die Erbe rube,
Die Großen mit ihren langen Armen ſchaden fe weniger,
al8 ihre Kammerbdiener mit ben kurzen.
Nachtrag
zu den politiſchen Bemerkungen.
In den Worten: Vox populi vox Dei ſteckt mehr Weis:
beit, al8 man heutzutage in vier Worte zu ſtecken pflegt.
Polybius diftinguirt zroifchen Urfache, Vorwand und Anfang
253
eincd Krieges. Die beiden legteren werben gemeiniglich nur
allein befannt. So geht e8 auch in anderen Dingen.
Das Land, wo bie Kirchen fhön und die Häufer verfallen
find, ift fo gut verloren, als das, wo bie Kirchen verfallen und
die Häuſer Schlöffer werden.
Es iſt auch Population, wenn man Mafchinen flatt der
Menfchen gebraudt, Bandmühlen, Dampfmafdinen.
Unfer Weltſyſtem ift ein monardifher Staat. Die Sonne
bat ihren Hofftaat, fie hält aber doch die Großen etwas entfernt.
Sie erlaubt ihnen aber ihre Nebenplaneten. Hieraus ließe fich
vielleicht eine Fabel machen, die auf bie jegigen (1791) politie
fhen Revolutionen paßte. Die Satelliten rebeliren und wollen
gerade um die Sonne laufen. |
Eine Repubfit zu bauen aus den Materialien einer nieder:
geriffenen Monarchie, ift freilich ein fchmweres Problem. Es geht
nicht, ohne bis erſt jeder Stein anders gehauen ift, und bazu
gehört Zeit.
Wir wollen nun ſehen, was aus ber franzöfifchen Kepublif
wird (1796), wenn die Geſetze ausgefchlafen haben. W
254
8.
Ziterärifche Bemerkungen.
Was find unfere gelehrten Zeitungen und unfere meiften
Sournale? Sie find allerdings vom bloßen Meßkatalog unter
fhieden, aber was fie von dieſem unterfcheidet, ift gerade daß,
was da macht, daß fie faft Niemand mehr lieft.
Mit Phlegma ſchreibt fihs Leine Satire gegen Phlegma,
denn darin befteht eben feine Natur, daß es fi nicht felbft
ftört. Wir ahmen immer die Satire der Engländer und Fran»
zojen na, und bedenken nicht, daß wir mit ganz andern Fels
len zu thun baben.
Unfere-Yorife haben fi nun allmälig verloren; der Fluch
fhien immer mit den Generationen zuzunehmen. j
Diejenigen unter den Gelehrten, denen es an Menfchenver:
ftand fehlt, lernen gemeiniglich mehr als fie brauchen, und bie
Bernünftigen unter ihnen fönnen nie genug lernen.
In den Bügomer Prit. Sammlungen, wo man die Qumifche
N
255
Gefhichte nicht undeutlich der Häberlinifchen nachſetzt, vergißt
man offenbar einen Hauptumftand: Wer nämlich Humiſche Ges
ſchichte ſchäzt, verwirft deßwegen nicht Häberlinifhe. Die eine
läßt fih gar nicht mit der andern vergleihen, Die eigentlichen
Gefhichtklauber, die, um eine Jahrzahl zu berichtigen, Folians
ten langfam durchblättern und ganze Zrühlinge verfigen, find
überhaupt ein murrendes, alles andere verachtendes Bolk, und
können fich fehr erbittern, wenn man ihnen irgend ein Werf
vorzieht, das mit Leichtigkeit gefchrieben zu fein fcheint. „Das
fteht in dem trodenen Annaliften Alles weit genauer« — aber
fie bedenken nit, daß, fo wenig ald dem Menfchen äußerfte
Genauigkeit möglich ift, fie eben fo wenig ihm auch überall nös
tbig iſt. Wer den Ausdrud der Muskeln an dem farnefifchen
Herfules bewundert, dem muß ber Phnfiolog nicht verächtlich
zurufen: sim Albinus und Gowper fteht das Alles weit genauer.“
Jedes nah feiner Art, iſt eine Regel, die den Kritiker
überall leiten fol.
Daß Garve aufgehört bat zu fhreiben, ift ein fo großer
Berluft für unfere Literatur, als daß Lavater angefangen bat.
IH kann nicht leugnen, mein Mißtrauen gegen den Ges
ſchmack unferer Zeit ift bei mir vielleicht zu einer tadelnswürdis
gen Höhe geftiegen. Täglich zu fehen, wie Leute zum Namen
Genie kommen, wie die Kellerefel zum Namen Taufendfuß, nicht
weil fie fo viel Füße haben, fondern weil die Meiften nicht bis
256
auf 14 zählen wollen, hat gemadt, baß ich feinem mehr. ohne
Prüfung glaube. oo.
Aus dem jehigen Zuſtande ber Gelehrſamkeit, da fi Nützlich⸗
keit, Gründlichfeit und Tändelei wie 1, 3 und 5 verhalten, gleich
auf einen Verfall der Wiſſenſchaften fehließen wollen, beißt bie
Sache mit gar zu mifroffopifchen Augen betrachten. Diefes Zidzad
wird im Allgemeinen doch nur ein fteter Weg; ob er. zur Auf
nahme oder zum Verfall führt, läßt fi fo geſchwind nicht beur⸗
theilen. Funfzig Jahre Kleinmeifterei und Tändelei nehmen fich
“ für das lebende Zeitalter traurig aus, im Ganzen find es un«
merkliche Krümmungen in bem großen Zuge. Wenn man nahe
ift, fo fieht e8 aus, als böge er ſich zurück. — Wenn ein Volt
fih einmal aus der edeln Einfalt in das mehr Schimmernde
verloren bat, fo geht, wie ich glaube, der Weg nach der Ein»
falt zurück, durch das höchſt Affeetirte, das mit bem Ekel enbigt.
Wenn unfere jetzt im Schwange gehende regifterartige Ge—
lehrſamkeit nicht bald zu ihrem Winterftilifiand fommt, fo ift
allerdings viel zu befürchten. Der Menfch lebt allein, um fein
und feiner Mitmenfchen Wohl fo fehr zu befürdern, al® es feine
Kräfte und feine Lage erlauben. Hierin fürzer zu ſeinem End»
zweck zu gelangen, nügt er bie Verſuche feiner Vorfahren. Er.
ftudirt. Ohne jene Abficht ſtudiren, bloß um fagen zu können,
was Andere gethan haben, das heißt bie lehte der Wiffenfchaften
treiben. Solche Leute find fo wenig eigentliche Gelehrte, als
257
Regifter Bücher find. Nicht bloß wiffen, fondern auch für die
Nachwelt thun, was bie Vorwelt für uns gethan bat, heißt ein
Menſch fen. Sol ih, um nichts noch einmal zu erfinden,
was ſchon erfunden ift, mein Leben über der Gelehrten Ge-
[dichte zubringen? Sagt man doch Dinge vorfäglich zweimal,
und man nimmt ed einem nicht übel, wenn nur bie Einklei⸗
bung neu ift. Huf du felbft gedacht, fo wird deine Erfindung
einer fihon erfundenen Sache gewiß allemal das Zeichen des
Eigenthümlichen an ſich tragen.
Es haben ſich in dieſem Jahre eine Art von gelehrten Wit«
terungsgefprächen in unfere Gefellfehaften eingejchlichen, fo daß
man faft das eigentliche Wetter barüber vergißt. Anftatt zu
“fügen, e8 geht ein fcharfer Wind, fagt man, das neuefle Stüd
der alfgemeinen deutfchen Bibliothek ift nun angefommen. Statt
von ſchmutzigem Wetter zu fprechen, fpriht man von der Frank⸗
furter Zeitung und man Plagt jegt nicht mehr über ſchwüle Luft
ober Froft, fondern faft allein über Recenfentenunfug. Es fol
auch fogar ein franzöſiſcher Spottvogel in einer neuen Auflage
feiner Grammaire ein Geſpräch zwifchen einem Herren und einem
Schneider eingefchaltet haben, wo diefer unmittelbar nach der Frage:
Befehlen der Herr goldene Knicbänder oder cameelhanrne? feinen
Kunden fragt: Haben der Herr die Frankfurter Zeitung gelefen?
Die Engländer werden es duch Überfegung unferer Schrif—
ten dahin bringen, daß wir fie gar nicht mehr überfegen.
J. 1 \ı
258
Einige Leute wollen das Studiren ber Künfte lächerlich
maden, indem fie fagen, man ſchreibe Bücher über Bildchen.
Was find aber unfere Gefpräche und unfere Bücher anders, als
Befchreibungen von Bildchen auf unferer Netzhaut oder in unferm
Kopf?
In der Republik der Gelehrten will jeder berrfchen, es gibt
ba keine Aldermänner, das ift übel. Ieber General muß, fo
zu reden, ben Plan entwerfen, Schildwache fiehen, bie Wacht⸗
ftube fegen, und Wafler holen; es will Peiner ben andern in
bie Hände arbeiten.
In Deutfhland haben wir eine Menge Gelehrten, die fidh
gefchwinde, wie man gu fagen pflegt, in ein Fach hineinwerfen
koͤnnen. Diefe Leute wunbern: fi) heimlich über ſich felbft, daß
fie fo bald im Stande find, über eine Materie zu fchreiben.
Sie werben Polygraphen, ehe fie fi) befjen verfehen, und erlan⸗
gem einen Ruhm; allein faft immer werben fie nur von Unwiſ⸗
fenden und SHalberfahrnen angeftaunt. Der eigentlide Mann
des Yaches lächelt bei ihren Arbeiten, die der Wiffenfchaft felbft
nicht einem Pfennig eintragen. Sie gegentheils find blöbfinnig
genug, biefen ihnen verfagten Beifall des Kenners für Neid zu
halten. Unſere meiften Schriftfteller find von der Art, man
darf es kühn behaupten. Sie find vortrefflih, um von ihnen
zu fpreden — benn auch unter biefen berporzuragen, ift eine
Ehre, wenigftens in dem Lande, wo es Mobe ift, auf biefe Art
259
gelehrt zu fein — aber Bortheil bringen fie ber Wiffenfchaft
fiherlih nit. Um in einer Wiffenfhaft fo zu fehreiben, daß
man nicht bloß die Menge ftaunen macht, fondern ben Beifall
bes Kenners erhält und ber Wiffenfchaft felbft etwas zulegt, muß
man fih ihr allein widmen, und zu gewiſſen Beiten felbft nur
einzelne kleine Theile berfelbern bearbeiten. Unfere Gelehrten
werben gewiß von andern ähnlichen wieder verdrängt, fie ſter⸗
ben am Abend be Tages, da fie in ber Sonne fdhimmerten
und fpielten, zu Xaufenden dahin und werben vergefien. —
Man kann fi feldft His zum Erflaunen in einer
Sache Genüge leiften, und der Erfahrne lacht über
unfer Werk.
Lord Chefterfielb Hat gewiß nie gedacht, daß feine Briefe
im Druck erfcheinen würden. Hätte er einen Trartat über bie
Erziehung befannt gemacht, fo läßt fich gewiffermaßen aus bes
Lords Charakter, den er fehr pünktlich vor der Welt zu behaup⸗
ten fuchte, fchließen, daß er ganz anders ausgefallen fein würbe,
als ein folcher Erziehungsplan, den man aus feinen Briefen
entiverfen koͤnnte. Das Meifte ift darin, wie billig, ben inbivi-
duellen Umftänden des jungen Stanhope angemeffen, unb ba,
wo er beffen Natur wibderfpenftig findet, fucht er manchen fei:
ner Regeln ein Gewicht zu geben, das fie in einem allgemeinen
Syſtem nicht haben dürften. Gr bringt freilich als Hofmann
auf Grazie und Anftand bei einem jungen Menfchen, ben er
zum Hofmann machen will, aber daß er es auf eine ſolche Art
17°
260.
thut, wie wir in feinen Briefen fehen, wo er fo oft vom Tanz»
meifter, vom Berfchneiden und Nägelabfchneiden fpricht, und
immer the graces, the graces im Munde führt, bad muß aus
dem befondern Charakter ded jungen Stanbope erklärt werben.
Vielleicht kann Folgendes dazu beitragen, was ich von guter
Hand babe. Ich las Cheſterfield's Briefe auf Lord Bofton’s
Landhauſe, wo fi damals eine gewifje jchottifhe Dame, Mrs.
Walkingfhbaw, ebenfalls zum Beſuch aufhielt, die nicht allein
den jungen Stanhope fehr gut gefannt bat, fondern auch noch
jest vielen Umgang mit feiner Mutter hat. Nach der Befchrei-
bung biefer Dame war Mr. Stanhope ein guter, fetter, bequemer
Junge, ber viel gelernt hatte, aber wenig von bem Stolz und
brennenden Ghrgeiz befaß, den ihm fein Water zwanzig Jahre,
nachdem er ihn gezeugt hatte, noch einflößen wollte; nichts von
Bolingbrof’s wirfender Kraft, deſſen Ihaten ibm zum Mufter
vorgeftellt waren, obgleich vielleicht mehr gründliche Gelehrfame
keit in einem geringern Alter. Gr hätte fi) vielleicht gut geſchickt,
wie ich merke, ald Privatmann ein paar Auctoren oder Acla
pacis herauszugeben, und einen guten Ehemann und Bater zu
machen. Dabei war er im höchften Grade unreinlich, wie viele
Bücdermänner, uud pflegte oft in Gefelifchaft mit dem linken
Fuß auf dem rechten zu fliehen. Bon feiner wenigen Lebensart
zeugt bie befannte Gefhichte von feiner Aufführung bei einem
Gaſtmahl, bas fein Vater in der Abficht angeftellt hatte, ihn in
die Welt einzuführen und ihm Verbindungen zu verſchaffen.
Endlich heirathete er noch wider des Vaters Willen, aber ein
261
vortreffliches Frauenzimmer, die Herausgeberin der Briefe, mit
der er gewiß glüdficher gelebt hat, ald wenn ihm fein Vater, wie
gewiß am Ende gefchehen fein würde, feine ea am politifchen
Himmel gefhloffen hätte.
Es gibt wohl wenige Namen, bie fo fehr verdienen in dem
Tempel bed guten Geſchmacks aufgeftellt zu werden, während
fie der Henker mit gleihem Recht an ben Galgen ſchlägt, als
der Name bes Engländer Junius. &o viel Bosheit bei fo
viel attiſchem Wigz; verabfcheuungswürdige Beleidigung der Ma:
jeftät in einem beneibenswerthen Ausdrucke; Kenntniß bed Men⸗
fhen, auf die ruchlofefte Art zur Kränkung ihrer Rechte gemiß-
braudt; alle Zaubereien der Beredſamkeit aufgeboten, ein Ges
fpenft feiner Vorftelungen, den Despotismus, zu verbannenz; ein
Eifer für die Conftitution, der, wenn er allgemein werden follte,
ihren Untergang unvermeidlich maden würde — biefes charalte-
rifirt die Briefe diefes in allem Betracht außerordentlichen Mannes.
Man wundert fich oft, mie ein Mann, wie Mahomeb,
feine Leute fo habe hintergehen, und mit feinen Fähigkeiten, fie
mögen nun Plein ober groß gemwefen fein, ein Auffehen in ber
Welt maden fünnen, das gar Fein Verhältniß zu ihnen hatte.
Man wundert fih, und fiebt es boch alle Tage, wiewohl in
einem geringern Grabe vor fih. Es gibt in ber gelehrten Res
publif Männer, die ohne das geringfte wahre Verdienſt ein fehr
großes Auffehen machen; Wenige unterfuichen ven Werth berfel-
262
ben, und bie, bie ihn Zennen, würde man für Läfterer halten,
wenn fie ihre Meinung öffentlich fagten. Die Urſache ift, der
eigentlich große Mann bat Eigenfchaften, bie .nur der große
Mann zu fhägen weiß; der andere foldhe, welche der Menge ge
fallen, die hernach die Bernünftigen überflimmt.
Ich glaube, es ift Feine Wiffenfchaft, worin ein Mann mit
größerer Allgemeinheit von Unterhaltung mehr nügen, und fidh
felbft mehr zeigen kann, als die Geſchichte. Freilih muß
das Manchem feltfam vorfommen, meil biefes Wort faft ganz
feine Bedeutung im Deutfchen verloren bat. Die Deutfchen
haben, fo viel mir bekannt ift, bis jeht noch feinen Geſchicht⸗
fchreiber gehabt, und werden auch vielleicht noch nicht fo bald
einen befommen. Sie haben nicht bie Gelegenheit, alle Ser
lenfräfte fo auszubilden, ale Männer, bie. in großen und
geichen Städten leben, wo Pracht und Üüppigkeit auf das
böchfte geftiegen find. Sie bearbeiten meiftens nur Cine
Geiftesfraft, und das Phlegma bed Grüblers ift felten bei
ihnen. mit dem Witz unb ber Philoſophie verbunden, die
nöthig ift, die Sachen zufammen zu.bringen, und dann ſtark
und gut zu fagen. Ferner findet fi bei ihnen eine gewiſſe
Tory'ſche Gefälligkeit gegen bie Großen, bie macht, baß fie
das Meifte mit einer einfchläfernden Unmaßgeblichkeit und feis
gen Unvorgreiflichkeit fagen. Ihre Sprade ift noch nidt in
dem Buftande, daß bie Sprache ber guten Gefellfchaft die von
Büchern abgeben könnte. Der gute Schriftftelleer muß daher fich
263
eine Sprache fchaffen, wenn er fi) fo ausbrüden will, baß er
Ausländern gefallen fol.
Nichts iſt mehr zu wünſchen, als baß Deutfchland gute
Sefchichtfchreiber haben möge; fie allein können machen, daß
fi bie Ausländer mehr um uns befümmern. Es müffen aber
ja feine Begebenheitöberichtiger fein, oder fie müflen uns bie Mühe
in dem Werke nicht fehen laſſen; fie müffen Selbftverleugnung
genug befiten, das Reſultat von einer monatlangen Unterfuchung
in 'einer 3eile binzuwerfen, fo baß ed unter Zaufenden kaum
Einer für fo Eoftbar hält. Es wird dennoch gewiß gefunden,
und wenn jest nicht, fo nach taufend Jahren. Es muß überall
Rückſicht auf. Gefhichte des Menfchen, Geift der Gefege genom⸗
men werden, nicht prahlbaft, und aus eben dem Grunde nicht
einmal in einer Modewendung und noch viel weniger in einer
Pointe. Die runde Form ift bie, die am wahrfcheinlichfien ganz
auf bie Nachwelt kommt, wenn ‚die Materie fonft gut iſt; ich
wollte daher faft anrathen, wenigfiens in ben Betrachtungen,
lieber von Seiten der Kürze zu fehlen; wenn bie Nachwelt wei:
fer wird, fo bringt fie, wie Sterne fagt, mehr als die Hälfte
bes Buchs ohnehin mit. Sie kann vermuthlich gefchwinder Iefen.
Ich wünfchte aber wohl zu wiſſen, in wie ferne ber Deutjche
jegt zu einer ſolchen Gejchichte fühig ift; ich fage meine Meinung.
mit einiger Furcht. Der eigentliche Profefjor, oder Stubenfiger
ſollte ich vielmehr fagen, ift der Mann, der unter Allen am we⸗
nigften fähig ift, ein großer Gefchichtfchreiber zus werben. Gr
264
kann dem Andern vorarbeiten, er kann Differtationen fchreiben,
damit der Andere ein Wort fprechen kann, und kann in fo fern
ein fehr nügliher Mann werden. Allein es ift gewiß, daß fid)
am Ende diefe fehweren Berichtigungen alle nach 4 bie 500 ober
1000 Jahren verlieren werben, wo die Nachwelt noch bes Mans
nes Buch lefen wird, der Zurz, bündig und mit männliddem
Ernſt — ber für größtmögliche Unterfuhung Bürge wirb, fo
wie ein gefeßtes Geſicht und fimple reinliche Tracht für einen
männlichen Charakter — die Begebenheiten erzählt, und ohne
zu predigen, Anmerkungen einftreut, aus denen man Predigten
maden Fünnte. Ich fage, der Stubenfiker ift nicht der Mann,
der bierzu taugt, weil e8 faum möglich ift, ohne Umgang mit
ber Welt und mit Leuten, bie einem an Erfahrung überlegen
find, und von allerlei Stand, fi) da8 Gefühl zu erwerben, das
uns faft ohne nachzudenken von Begebenheiten urtbeilen, ober
wenigftens am rechten Orte fuchen,, ober nach ber rechten Rich⸗
tung verfolgen lehrt. Bücher würden diefen Mangel völlig ere
fegen, wenn alle Bücher von Menfchenfennern gefchrieben wären;
allein felbft der Mann, ber Erfahrung bat, im gemeinen Leben
barnach verfährt, fie am Tifh und Spaziergängen äußert, wirb
fie oft nicht in fein Buch bringen, nicht weil er fie für Arcana
bält, behüte der Himmel, fonbern weil er glaubt, fie ſchicken
fih nicht für ein Bud. Denn es ift nur allzugemein, baß
kluge Leute beim WBücherfchreiben ihren Geift in eine Form
zwingen, bie von einer gewiffen Idee, bie fie vom Stil haben,
beftimmt wird, eben fo wie fle Gefichter annehmen, wenn fie
265
ſich malen laffen. Langer Aufenthalt in großen Handelsſtädten,
nicht weit von einem Hof, ober noch befier, in einiger Verbin⸗
dung mit ihm, Aufmerkſamkeit auf bie gleichzeitigen Begeben-
beiten und ihre Verbindung, Lefung bes Tacitus, Robertfon und
einiger wenigen andern, Philofophie, Naturlehre und Mathe:
matif, beftändige Aufmerkſamkeit auf das, wovon gerebet wird,
wenn man in Gefellichaft ift, find Dinge, die überhaupt Bieles
beitragen, ben vernünftigen Mann zu bilden, und b haupt:
ſächlich den Geſchichtſchreiber.
Mich dünkt, der Deutſche hat feine Stärke vorzüglich in Ori⸗
ginalwerfen, worin ihm fchon ein fonberbarer Kopf vorgearbeitet
hat; oder mit andern Worten: er befigt die Kunft, durch Nachah⸗
men original zu werben, in ber größten Vollkommenheit. Er befigt
eine Empfindlichkeit, augenblidlich die Formen zu haſchen, und
fann fein Murfi aus allen Tönen fpielen, die ihm ein ausläns«
bifcher Originaltopf angibt.
Gewiß kann in Deutfchland nichts der Aufmerkfamkeit eines
fatirifhen Kopfes würdiger fein, als ber jegt fo allgemein ge
mworbene Jächerlihe Eifer, Original zu fein. Es geben über
biefem Bemühen die beſten Köpfe zu Grunde, und ber Deutſche
vernachläffigt diejenigen Wiffenfchaften, wozu ihn bie Natur
hauptſächlich beſtimmt zu haben fcheint: das Klarmachen in ber
Philofophie und ber höhern Geſchichte.
266
Ich glaube, daß von funfzig,. bie ben Homer ſchön finden,
ihn kaum Einer verfteht. Sie haben ihn nie tadeln hören, unb
fo Fann fie feine Lectüre ergögen; allein es. gehört viel dazu,
ihn eigentlich zu verfiehen. Ein Bud, bad man im zwanzig⸗
ften ganz überfieht und ganz verfteht, gefällt nicht leicht mehr,
wenn man breißig alt it. Daher kommen bie elenben Nachah⸗
mungen ber Alten, die wir von jungen Leuten lefen. Sie haben
3. E. den Horaz, ben Shakefpear nachgeahmt, den fie fahen,
gewiß, davon bin ich ficher überzeugt; aber nicht ben Horaz unb
Shafefpear , den ber erfahrnere, klügere und weifere Mann in
ihnen finder. Der Eine klebt bloß an dem Ausbrud und ber
Manier, bie er nicht erreicht; ber Zweite gibt uns faft in ber
Manier Sachen, bie gerade denen ähnlich find, die mar aus
bein Original wegwünſchen könnte; ein ‘Dritter weiß. ben Aus-
druck zwar zu treffen, allein er hat nichts in ber Welt gefehen
und erfahren, und fagt und Dinge, bie wir fihon auswenbig
wiffen, u.f. w. Ein fidhres Beihen von einem guten Buche
ift, wenn ed einem immer beffer gefällt, je älter man wirb.
Ein junger Menfh von 18 Jahren, der fagen wollte, fagen
dürfte, und vornehmlich fagen könnte, was er empfindet,
würde vom Tacitus etwa ‚folgendes Urtheil fällen: „Es iſt
ein ſchwerer Schriftfteller, der gute Charaktere zeichnet, und vor⸗
trefflich zumeilen malt, allein er affectirt Dunkelheit, und kommt
oft mit Anmerkungen in bie Erzählung ber Begebenheiten herein,
die nicht viel erläutern. Man muß viel Latein wifjen, um ihn
zu verftehen.n — Im 2öften Jahre, vorausgefegt, daß er mehr
267
getban hat, als gelefen, wird er vielleicht fagen: „Tacitus ift
der dunkle Schriftfteller nicht, für den ich ihn ehemals gehalten,
ich finde aber, daß Latein nicht das Einzige ift, was man wiſſen
muß, um ihn zu verfteben, man muß fehr viel felbft. mitbrin.
gen; und im 40ften, wenn er die Welt bat kennen lernen,
wird er fagen: ⸗Tacitus ift einer ber’ erſten este, bie je
gelebt haben.“
Daß die Plagiarii fo verächtlich find, Fommt daher, weil
fie ihr Plagium im Kleinen und heimlich ausüben. Sie follten
es machen, wie bie Eroberer, bie man nunmehr unter bie
bonnetten Leute rechnet: fie follten platterbings ganze Werke
fremder Leute unter ihrem Namen bruden laffen, und wenn
ſich Jemand dagegen in loco felbft regt, ihm binter die Obren
fhlagen, baß ihm das Blut zu Maul und Nafe berausfprügte;
auswärtige .aber:in Beitungen Spisbuben, Cabalenſchmiede und
dergleichen fchelten,, fie zum — weifen, ober. fagen, daß fie das
Wetter erfchlagen folle. Auf diefe Art wollte id) meinem Va⸗
terlande weiß miachen, daß ich den Sebaldus Nothanker geſchrie
ben hätte.
Es gibt eine gewiffe Art von Büchern, vergleichen wir in
Deutfchland in großer Menge haben, die zwar nicht vom 2efen
abjchreden, nicht plötzlich einſchläfern, oder mürrifch machen,
aber in Zeit von einer Stunde ben Geiſt in eine gewiſſe Mat-
tigfeit verfegen, die zu allen Zeiten einige Ähnlichkeit mit derje⸗
268
nigen bat, ‚die man kurz vor einem Gewitter verfpürt. Legt
man das Buch weg, fo fühlt man fi) zu nichts aufgelegt; fängt
man an zu fehreiben, fo fehreibt man eben fo; felbft gute Schrif⸗
ten fcheinen diefe laue Gefhmadlofigkeit anzunehmen, wenn man
fie zu leſen anfängt. Ich weiß aus eigener Grfahrung, daß
gegen diefen traurigen Buftand nichts geſchwinder hilft, als eine
Taſſe Kaffee mit einer Pfeife Varinas.
Winkelmann, Hagedorn und Leffing haben unfern beutfchen
Kritikern einen neuen Geift mitgetheiltl. Ehemals fagte man
von einem ſchlechten Kupferftih: Der Kupferftich ift fchlechtz jetzt
haben bie Beurtheilungen mehr Feuer. Bon einer Coeurdame
3. 8. mürben fie fo urtbeilen: Das Gefiht bat zu viel Locales,
die Augen haben von ben Augen ber Juno, die ber Kartenmadher zu
erreichen gefucht hat, nichts als die Größe; nicht von dem ftillen
Feuer, da8 den Paris wanken madıte, nichts von bem Himmel
an ihnen, der fich mit ihnen auf» und mit ihnen zufchließt. Go
idealifh auch der Mund ſcheint, fo franzöfifeh find die Locken;
fie fpielen nicht neidifh um bie volle Wange, fondern mit rei-
cher Pomade in eine gewiffe Stellung gefteift, fcheinen fie wenig
befümmert zu fein, ob fie zu wenig ober zu viel verbergen. In
ihrem Wuchs ift nichts Griechifches ; dem Serer könnte fie gefallen.
Man vermiffet mit Unwillen die ſchlanke Biegung bes Körper,
die uns dadurch, daß fie das Geficht mwegzieht, ben warmen. elas
ſtiſchen Bufen anzubieten ſcheint. Pie Hände find wie von ber
englifhen Krankheit verdreht und ſcheinen angefet. Bas Co
269
Iorit ift das Golprit-- eines ſchlechten Malers, ber auf frifchen
Gips malt, und der, um einer Stelle fanften Schmelz mitzu⸗
theilen, fieben andere ganz abgefchnitten figen läßt. Kurz in
der ganzen Goeurdame finden wir auch ‚nicht die flüchtigſte Spur
des Genies, das durch einen einzigen Bug uns nöthigt, Leine
wand für unfern Nächten zu-balten, feinen ſtummen Seufzern
und entgegen zu erbarmen, und bei feinen gemalten Thränen,
das höchfte Gefchen? des gefühlvollen Menfchen, lebendige Thrä⸗
nen zu einen.
Da, wo einen die Leute nicht mehr können denken hören,
da muß man fpredden; fobald man aber bahin fommt, mo man
wieder Gedanken vorausfegen kann, bie mit unfern einerlei find,
fo muß man aufhören zu ſprechen. Ein folhes Buch ift
Sterne's Reife; aber die. meiften Bücher enthalten zwijchen
äweien merkwürdigen Punkten nichts, als den allergemeinften
Menfchenverftand — eine ſtark audgezogene Linie, wo eine
punftirte zugereicht hätte. Alsdann ift es erlaubt, bad Ge:
dachte auszudrüden, wenn es auf eine befondre Art ausgebrüdt
wird, doc biefes ift ſchon mit unter der exften Anmerkung be
griffen.
Der beftändige Umgang, den 8... mit Büchern von als
lerlei Art hatte, die Titel, bie er las, und über welche er ſpre⸗
chen hörte, Hatten in. feinem Kopf eine Art von allgemeiner En-
eyPlopädie erzeugt, welche gedrudt zu fehen vielleicht des größ⸗
270
ten Betrachtungenſammlers nicht unwürbig wäre. Weil ich mich
öfter mit ihm über mathematifche Bücher unterhalten habe, fo
kenne ich ihn von biefer Seite etwas genauer. Seine Begriffe
formirten ſich ungefähr fo: Er fah Käftner’s Ruhm und Beſol⸗
bung — erfier Schluß: alfo durch Mathematit kann man
zu Ruhm und Brot kommen. Er fah eine Sprache in den mas
thematifchen Büchern, die fih von allen andern, chriftlichen und
beibnifhen, Sprachen unterfhied — zweiter Schluß: bie
Mathematid ift erfchredlich fchwer. Einige Bücher gingen ihm
befländig ab, ambere blieben ihm ſtehen, und beinahe ewig
ſtehen — dritter Schluß: einige Theile der Mathematik |
müffen alfo wohl Brot eintragen, allein fie wirb doch nicht ganz
mit gleihem Eifer getrieben. Er ſah die Finfterniffe vorausſa⸗
gen, und zwar, baß, wie er felbft fagte, die Kalendermacher ſel⸗
ten ſich um ein paar Baterunfer lang irrten — vierter
Schluß: das ift etwas Außerorbentliches um die Mathematik.
Bufammengenommen ſah feine Definition ungefähr fo aus:
"Die Mathematik ift eine Profeffion, wobei ein ehrlicher
Mann alle feine fünf Sinne nöthig bat, die Ehre und auch
Brot einbringt, aber nicht viel getrieben wird; einige heile
davon müſſen faft fo brauchbar fein, al8 die Pandekten; fie
lehrt Fünftige Dinge vorberfagen, und das auf eine erlaubte Art;
die Mathematifer wiffen vermutblih, wenn unfer einer ftirbt,
aber fie thun wohl, daß fie e8 uns vorenthalten, und Gott
gebe, daß die Landesobrigkeit es ihnen niemals erlaube, etwas
davon auszuplaudern ·.
Ä | 371.
So viel ich hören und fchließen konnte, fo war feine Tafel
ver menſchlichen Erfenntniß fo getheilt:
BWiffenfhaften bringen
Fu
Brot und fein Brot u. Ehre und Brot und
Ehre feine Ehre fein Brot feine Ehte
Turiopludentia Metaphysica Pocsia Advocaltia
Medicin« Logica Belles Let- Oeconomia
Theologia Critica tres Anatomia
Analysis. infi- Mathesis Kechnen und
nitor. Philosophia Schreiben.
Die Yoriks find die Obfervatoren bei der philofophifchen
Facultät diefer Welt, bie man eben fo nöthig bat, al& bie bei
Sternwarten. Sie brauchen die großen Kunftgriffe, allgemeine
Lehrſätze zu ziehen, nicht zu verftehen; nur genau obferviren
müffen fie fönnen. Was würde man von einem Obfervator far
gen, ber ein folches Diarium bdruden ließe: „Den 12ten habe
ih den Mond gefehn, den 13ten darauf die Sonne, fehr ſchön;
bie folgende Nacht Fonnte man erfehredlich viele Sterne fehen «
u. f. w., oder ber die Phafen einer Sonnenfinfterniß nad) Ba-
terunferslängen beflimmte? Aber unfere meiften Schriftiteller
find weiter nichts, als ſolche moralifche Obfervatoren, bie einem
Kenner eben fo abſcheulich zu lefen find, als e8 ein folches Dias
rium einem Aftronomen wäre.
272
\
Das Studium ber Naturgefchichte ift nun in Deuftſchland
bis zur Raſerei geftiegen. Es ift freilich immer befier, als
firogende Freiheitsoden zu verfertigen, oder das Dukendb Ideen
unferer fo genannten großen Dichter bald in drei⸗ bald in fech8»
zollige Zeilen in erftimulirter Begeifterung zu mifchen. Allein
obgleich vor Gott das Infect fo viel gilt, als ber Menſch, fo
ift ed für unfern Nervenknaul doch nicht fo. Gütiger Himmel,
wie viel bat der Menſch in Ordnung zu bringen, bis er auf
Bögel und Schmetterlinge kommt! Lerne deinen Körper kennen,
und was bu von deiner Seele wifjen kannſt; gemöhne deinen
Verſtand zum Iweifel und bein Herz zur Verträglichkeit. Lerne
den Menfchen Eennen, und waffne dich mit Muth, zum Vor⸗
theil deines Nebenmenfchen die Wahrheit zu reden. Schärfe dei:
nen Berfland durch Mathematit, wenn bu fonft feinen Gegen-
ftand findeft, Hüte dich aber vor Namenregiftern von Würment.
wovon eine flüchtige Kenntniß nichts nügt, und eine genaue ins
Unendlide führt. — „Uber Gott ifi unendlich im Infert, wie
in der Sonne.« DO ich geftehe dieſes gern zu; er ift auch im
. Sande ded Meeres unermeßlich, den noch fein Linne nad feinen
Geftalten geordnet hat. Wenn du nicht befondern Beruf haft,
in jenen Gegenden nad Perlen zu fifchen, ſo bfeibe hier und
baue deinen Ader, er erfordert deinen ganzen Fleiß, und be-
denke, daß die Zahl der Fibern deines Gehirns und ihrer Fal⸗
ten und Brüche endlich iſt. Wo eine Schmetterlingshiftorie ftebt,
wäre Plag für Plutarchs Biographien gewefen, die doch zu großen
Thaten angefeuert hätten. Iſt nicht Geſchichte der Künfte noth:
273
wenbiger und nüglicher® Ich wollte lieber wiſſen, was in ber
Gefhihte der Handwerke und Künfte ſteht, als Alles,
was Linne je gebacht und gefchrieben, weiß, wußte und wieder
vergeffen hat. Allein das ift das Loos ber Deutfchen, jeden
großen Ausländer, der nichts Anderes tbun Ponnte, ald was er
that, ber ben ausbrüdlichen Befehl der Natur hatte, in biefem
und feinem andern Sache groß zu werben, ich fage, es ift das
2008 ber Deutfchen, einen ſolchen Mann nachzuahmen, nicht
allein ohne Befehl der Natur, fondern felbfi wider ihren
Willen,
Die Aftronomie ift vielleicht diejenige Wiffenfhaft, worin
das Wenigfte durch den Zufall entdeckt worben ift, mo der menſch⸗
Ihe Berftand in feiner ganzen Größe erfcheint, und wo ber
Menſch am beften fennen lernen kann, wie Blein er ift.
Ob nicht eine flehende Macht von Recenfenten gut wäre,
die die Streitigkeiten ber übrigen Gelehrten führten, und bie
Gerechtſame und Vorzüge der Nation darthäten? Diefe Leute
müßten eben fo viel Gelehrſamkeit und: Beredfamkeit befigen,
als die Soldaten Tapferkeit.
Daß man fo viel wider die Religion und bie Bibel fchreibt,
gefchieht mehr aus Haß gegen eine gewiſſe Claſſe von Menfchen.
Wenn Philologen anfangen follten zu herrſchen ‚fo könnte leicht
den alten Clafſikern Homer, Birgil, Horaz und andern eine
1. AR
274
ähnliche Ehre mit größerem Vortheil mwiberfahren. Wir dürften
nur einmal einen pbilologifhen Pabft bekommen.
Über nichts Fönnte fi die Satire mit glüdlicherem Erfolge
ausbreiten, als über das abfcheuliche Überfegen zu unferer Zeit.
Die meiften beutfchen Gelehrten find die Dolmetfcher der Müf:
figgänger und die Mäffer der Buchhändler. Man überfekt, um;
wie man fagt, nützliche Kenntniffe gemeiner zu madhen, und
die Kenntniffe werden gemeiner, ohne nüplidh zu fein. Ewig
Mittel gefammelt und kein Endzweck erreiht! Cs ift zum Er:
ftaunen, wie mande Gelehrte in Deutfchland Kenntniffe anhäu-
fen, bloß um fie vorzuseigen.
In den ganz alten Werken der Bibel, in griechifcdhen und
lateinifhen Schriftftellern findet man eine Menge von Tugend:
lehren, fo viele feelenftärkende Sentenzen, die von den erleuch»
tetften Köpfen aus ber Erfahrung gefammelt, und mit dem
Zug einer ganzen Lebensbahn verglichen, endlich in biefen
Schatz niedergelegt worden find. Im Salomo fliehen eine
Menge vortrefflicher Lehren, die wohl nicht von ihm find —
Eingebungen; vielleicht Hefte, die ihm feine Lehrmeifter dictirt
haben. Eben bdiefer Verſtand der Alten, die Gabe, bie fie
haben, einem Beobachter feiner felbft ins Herz zu reden, ift
ed, was mir bie Lefung der Bibel fo angenehm macht. Es
find die Grundzüge zu einer Welttenntnig und Philoſophie
des Lebens, und bie feinfte Bemerkung der Neuern ift ges
275
meiniglih nichts als eine mehr inbividuclifirte Bemerkung
jener Alten.
Ein Mann von Weltfenntniß und Berftand belehrt oder
unterhält mic) immer, wenn ed auch glei mandmal nicht ge-
rade von: der beften Seite gefchehen follte. Bei einer Schladit.
zwifchen Engeln und Zeufeln bat Milton mehr Schönes gefagt,
ald Andere bei ihrem Sonnenwagen. Lamberts Abhandlung
über Dinte und Papier ift für mich unterhaftender, als Zim⸗
mermanns ganzer Nationalftolz.
Durch unfer vieled Xefen gewöhnen wir uns nicht allein
Dinge für wahr zu halten, die e8 nicht find, ſondern unfere
Beweiſe befommen aud eine Form, die oft nicht fowohl bie
Natur der Suche mit fih bringt, als unfer unvermerfter Ans
hang an die Mode, Mir beweifen aus den Alten, was wir
mit Beifpielen aus unferm Ort eben fo Präftig unterflügen fönn-
ten; auch werden Sentengen citirt, bie nicht beweifen, und
Süße, aus denen man nichts Neues lernt. Es ift fehr fchwer,
eine Sache neu anzufeben, nicht durch das Medium der Mode,
oder mit Rüdficht auf unfer Modeſyſtem. Cs wird immer Anz
jehen gebraucht, wo man Gründe brauchen follte, immer ge:
fhredt, wo man belehren follte, und Götter werben zu Hülfe
genommen, wo Menfchen binreichend wären.
Garrick dankte fehr weisfih ab, um nidt das Schickſal
18°
276
bes Schaufpieler8 Aefopus zu haben, der noch bei Einweihung
des Theaters des Pompejus agiren wollte. Die Stimme fehlte
ihm, und man weiß noch jegt, daß man wünſchte, er wäre
weggeblieben. Middleton Tom. I. pag. 470.
Unter den Gelehrten find gemeiniglidy biejenigen die größten
Verächter aller übrigen, bie aus einer mühſamen Bergleihung
unzäbliger Schriftfteller enblich eine gewiffe Meinung über einen
Punkt feftgefegt haben. Auch diefed muß freilich gefchehen, und
fie verdienen deſto aufrichtigern Dank, je mehr ed ausgemacht
ift, daß wir an ihrer Stelle eben das thun und denken würben.
Bieles Wachen und Lefen, denkt man, verdient den Lohn bes
Ruhms. Allein diefe Leute müffen auch bedenken, daß gerade
mit eigenen Augen in bie Welt bineinfehen, auch ein Stubium
ift, wozu fie nicht aufgelegt find. Denn ob ich Bemerkungen
hinter dem Buche, oder hinter ben Fenfterfcheiben made, ift
wohl gleichviel. Nehmet Alles mit Dank an, und veradhtet kei⸗
nen. Es ift Alles gut, und Alles kann zu einem großen End⸗
zweck genugt werben. In Büchern nah ben Menfchen fuchen,
ſollte ich deß wegen für eine fchlechtere Arbeit halten, als felbft
beobadıten, weil die Wenigften im Stande find, den Menfchen,
fo wie er ift, zu Buch zu bringen; und daffelbe Geiftesgebrechen,
welches macht, daß man den Menfchen falſch beobachtet, macht,
daß man ihn aud falſch im Buche erkennt; alſo iſt bei dem
letztern Studium die Wahrſcheinlichkeit zu fehlen doppelt ſo groß,
als bei dem erſtern.
277
Alles was unfere Schriftfteller noch zu fchilbern vermögen,
ift etwas Liebe; und auch dieſe wifjen fie nicht in bie etwas ent⸗
fernten Berrichtungen des menfhlichen Lebens zu verfolgen. Be⸗
merfungen in einem Roman anzubringen, bie fi) auf bie längfte
Erfahrung und tieffinnigften Betrachtungen gründen, fol fi
fein- Menfch fcheuen, der ſolche Bemerkungen vorräthig bat.
Sie werden gewiß audgefundenz durch fie nähern fih bie Werke
des Witzes ben Werken der Natur. Ein Baum gibt nicht bloß
Schatten für jeden Wanberer, fonbdern bie Blätter vertragen
auch noch das Mikroffop. Ein Buch, das dem Weltweifen ger
fällt, kann deßwegen auch noch dem Pöbel gefallen. Der lebte
braucht nicht Alles zu ſehen; aber es muß ba fein, wenn etwa
Jemand kommen follte, ber das fcharfe Geficht hätte.
Die traurigfte Art Schriften ift die, bie weder Raifonnes
ment genug enthalten, um zu überzeugen, noch Wiß genug, um
zu ergötzen; dahin gehören einige Schriften bed Hrn. Leibmebdicus
3immermann in Hannover.
Wenn einem die Meinungen ber Bellen über eine Sache
alle befannt geworden find, fo läßt fih mit bloßer Schlauigfeit
oder wenigftens fehr geringer Fähigkeit noch etwas darüber fagen,
was die Welt in Erftaunen ſetzt. Bloßer Vorſatz, etwas zu fagen,
fann da ſchon viel thun.
Es ift jeder Zeit eine fehr traurige Betrachtung für mic)
278
gewefen, daß in den meiften Wiſſenſchaften auf Univerfitäten fo
Vieles vorgetragen wird, das zu nichts dient, als junge Leute
dahin zu bringen, daß fie ed wieder lehren können. Griechifch
wird gelehrt, auf daß man es wieder lehren könne; und fo gebt
ed vom Lehrer zum Schüler, ber, wenn-er gut einfchlägt, höch⸗
tens wieder Lehrer wird und wieber Lehrer zieht. Bergmanns
vortreffliche Terminologie, die man nit annehmen will, unb
nimmt man fie an, doch mit ber alten verbinden muß, gehört
bierber.
Mir ift e8 immer borgefommen, als wenn man ben Werth
der Neuern gegen bie Alten auf einer fehr falfhen Wage wäge,
und ben legtern Borzüge einräumte, bie fie nicht verdienen. Die
Alten fehrieben zu einer Zeit, ba die große Kunft, fchlecht zu
fhreiben, noch nicht erfunden war, und bloß fchreiben bieh
gut Threiben. Sie fchrieben wahr, wie die Kinder wahr
reben. SHeutzutag finden wir und, wenn wir im fechzehnten
Jahre zu uns felbft fommen, ſchon, möcht ich fagen, von einem
böſen Geift befeffen; und bdiefen erft burch eigene Beobachtung
und Streit gegen Anfehen und Borurtheil und gegen die Macht
einer vierzehnjährigen Erziehung auszutreiben, und dann nod
wieder bie eigene Haushaltung ber Natur anzufangen, erfor
dert ficherlih mehr Kraft, als in den erften Zeiten ber Welt,
natürlih zu ſchreiben, jetzt da natürlich fchreiben, möcht ic
fagen, faft unnatürlih if. Homer bat gewiß nicht gewußt,
daß er gut fehrieb, fo wenig wie Shafefpear. Lnfere heutigen
279
guten Schriftfteller müffen alle die fatale Kunft lernen: zu wif:
fen, baß fie gut fhreiben.
Es gibt Peine Art von Gelehrfamkeit, und Feine Art Tite:
rärifcher Befchäftigung, die man nicht mit irgend einem Hand»
wer? ober fonft einer Handarbeit vergleichen Fünnte Wir haben
im Reiche der Gelehrſamkeit Wegeverbefferer, ein fehr nügliches Ge:
fchäfte, das wenig einbringt; Sclaven, bie mit blutigem Schweiß
Buder preffen und fieden, den andere Leute verſchmauſen; Leute,
die griechifche Münzen einfchmelzen, um modernes Beug baraus zu
gießen; Oaffenreiniger; Bettelvögte; Ausrufer; Bader, bie fich
für Wundärzte ausgeben, u. a. m. Allein ich babe nie eine Sat»
tung finden können, die fo viel mit dem Keffelflider gemein hätte,
als die Leute, die unter dem Schein, ein nüpliches Handwerk zu
treiben, herumziehen, um bie Leute zu betriegen und zu beftehlen.
Ich babe immer gefunden, je weniger ein Schriftfteller in
ber Naturlehre im Stande ift, in feinem Werke feine eigene
Größe zu beweifen, befto geneigter ift er, befländig bie Größe
Gottes zu zeigen. Und die fromme Welt findet fih von ihrer
Seele wiederum geneigter beim Letztern, als beim Erftern ben
guten Willen für die That anzunehmen.
Es iſt fehr gut, bie von Andern bundertmal gelefenen
Bücher immer noch Einmal zu leſen, denn obgleich das Ob⸗
jeet einerlei bleibt, fo ift doch das Subject verfchieben.
280
Es wäre gewiß fehr nüglich, der Welt bie Schriftfteller an⸗
zuzeigen, bie mit Kenntniß anderer, bie vor ihnen gewefen find,
aus ſich felbft allein gefhöpft haben. Durch biefe allein lernt
man, und es find ihrer gewiß fehr wenige, die alfo Sedermann
leicht Tefen Fünnte. Die andern prägen nah und find im eigent»
lihen Berftande Falſchmünzer.
Swift Eleibet bie Kinder feiner Ybantafle freilich oft felt-
fam genug heraus, daß man fie faum von Hanswurſten und
Luftfpringern unterfcheibet; allein Zeuge, Borten und Steine,
bie er barauf verwenbet, finb immer echt.
Der Gemeinfprud, daß bad Leben eined Gelehrten in feis
nen Schriften beftehe, verbient fehr eingefchränft zu werben. -
Das Stümpern in höhern Wiffenfchaften ift, wenn es mit
einigem Witz und einer gewiſſen Duplicität bes Ausdruds ge⸗
fhieht, das, was niebere Clafjen für hohe Weisheit halten; ber
Mann, ber von bem Fade ift, worin bier geftümpert wird,
lächelt über die Thorbeit. H. in feinen 3. 3. G. d. M. ift-ein
Stümper an vielen Stellen.
Wie man alte Bücher ftudirt, in ber Abfiht Wahrheit zu
ſuchen, fo kann man wohl zumeilen eine Ausbeute erhalten, bie
Andern entgangen ift, allein man risfirt auch zumeilen, die beite
Beit feines Lebens zu verkuren.
281
Simmermanne Buch, und auch viele Menfhen, bie nur
die Formen der Philofophie haben, gleichen einem Gebäude mit
gemalten Fenſtern; man glaubt Wunder was fie für Licht hät-
ten, fie find aber deſſenungeachtet fehr dunkel; ober gegen Ein
Senfter, das ein bißchen Licht ins Haus bringt, find allemal
zehn gemalte.
Es gibt wenige Gelehrte, die nit Einmal gebacht haben,
fih reich zu fchreiben. Das Glück ift nur wenigen befdhieben.
Unter den Büchern, die gefchrieben werben, machen wenige ihr
Glück, wenn fie leben bleiben; und bie meiflen werben tobt
geboren.
Es ift leider in Deutfchland der allgemeine Glaube, doch
nur Gottlob} unter den eigentlih Unmündigen, daß Jemand
von bemjenigen viel verftehen müffe, worüber er viel gefchrieben
bat. Gerade das Gegentheill Die Leute, die Leine Denker find,
und bloß fehreiben, um zu fehreiben und im Meßkatalogus zu
ftehen, verftehen oft 14 Tage nachher weniger von dem, was fie
gefchrieben haben, als der erbärmlichfte ihrer Leſer. Gott bes
wahre alle Menfchen vor biefer Art von Schriftftellerei! es ift
aber leider die gemeinfte.
Die Mathematit hat die großen Fortfchritte, die man in ihr
gemacht hat, ihrer Unabhängigkeit von Allem, was nicht bloß
- Größe ift, allein zu danken. Alfo Alles, was nicht Größe ift,
282
it ihr vößig fremd... Da fie alfo Seiner fremben Hülfe be-
barf, fondern nur allein Entwidelung der Gefege des menfch:
lihen Geiftes ift, fo ift fie nicht allein die gewiſſeſte und zuver⸗
läffigfte aller menſchlichen Wiffenfchaften, fondern auch gewiß
die leichtefte.. Alles was zu ihrer Erweiterung bienen kann, ift
im Menfchen ſelbſt; die Natur rüftet jeden Elugen Menfchen mit
dem vollftändigen Apparat dazu aus, wir befommen ihn zur
Ausfteuer mit. Eben dadurch wird fie bie leichtefte aller Wiffen-
fhaften, und wir bürfen in feiner andern hoffen, fo weit gehen
zu können. Denn der, ber ben ATften Satz im erfien Buch des
Euklides beweifen kann, ift doch ſchon fehr viel weiter in ber
Entwidelung biefer Gefege des menfchlichen Geiftes, ald man
irgend in der Phyſik gekommen ift.
Ich glaube,. daß einige der größten Geilter,. die je gelebt
haben, nicht halb fo viel gelefen hatten, und bei weitem nicht
fo viel mußten, als manche unferer mittelmäßigen Gelehrten. '
Und mander unferer fehr mittelmäßigen Gelehrten hätte ein größe⸗
rer Mann werden können, wenn er nicht fo viel gelefen hätte.
Was dem Ruhm und ber Unfterblichfeit manches Schrift-
ftellers ein größeres Hinderniß in den Weg legt, als der Neid
und die Bosheit aller Eritifchen Journale und Zeitungen zufam:
mengenommen, ift ber fatale Umftand, daß fie ihre Werke auf
einen Stoff müffen bruden laſſen, ber zugleich auch zu Gewürz⸗
duten gebraucht werden kann.
283
Was mir an der Art, Gefchichte zu behandeln, nicht gefällt,
ift, baß man in allen Handlungen Abfichten ſieht, und alle Vor⸗
fälle aus Abfichten berleitet. Das ift aber wahrlich ganz falfch.
Die größten Begebenheiten ereignen ſich ohne alle Abficht; ber
Zufall macht Fchler gut, und erweitert das Flügft angelegte Un.
ternehmen. Die großen Begebenheiten in der Welt werden nicht
gemacht, fondern finden fid.
Leben von Johnſon durch Boswell.— Johnſon
ift mir ein höchſt unangenehmer, ungefchliffener Patron. Aber
das find gerade die Menfchen, aus denen man bie Menfchen
fennen lernen muß — Kroftallifation, bie fi durch kein Ab»
ſchleifen verkennen läßt. Was helfen mir die gefchliffenen Steine
Eine feltfamere Baare, ale Bücher, gibt e8 wohl fchwer:
li in ber Welt. Bon Leuten gedrudt, die fie nicht verftehen;
von Leuten verkauft, die fie nicht verſtehen; gebunden, vecenfirt
und gelefen von Leuten , bie fie nicht verfiehen; und nun gar
gefchrieben von Leuten, die fie nicht verftehen.
Biele Priefter der Minerva haben, außer mandyer Ähnlich:
Peit mit der Göttin felbft, aud die mit dem berühmten Vogel
berfelben, baß fie zwar im Dunkeln Mäufe fangen, aber am
Tagedlicht den Kirchthurm nicht eher ſehen, als bis is ſie fich die
Köpfe daran entzwei ſtoßen.
284
Wenn England eine vorzügliche Stärke in Rennpferden
bat, fo haben wir bie unfrige in Rennfedern. Ich babe
welche gefannt, die mit einem einzigen Sag über bie höchften
Helen und breiteften Gräben ber Kritit und gefunden Vernunft
binüberfesten, al& wären e8 Strohhalmen.
Iſt es nicht fonderbar, daß man das Yublitum, da® uns
lobt, immer für einen competenten Richter hält; aber fobald
es uns tabelt, es für unfähig erklärt, über Werke bes Geiftes zu
urteilen ?
Wer mit Einemmal überfehen will, wie bie Menfchen Ge:
f&hichte fchreiben, ber muß fi) mit der Gefchichte der Religions:
ftifter befannt maden, weil das der Fall ift, wo man die Sache
am beutlichften fieht. In der Naturlehre iſt e8 eine fehr bekannte
Regel, daß man bie günftigften Umftände abpaffen muß. Die
eine Partei glaubt gewöhnlich fehr viel mehr, und bie anbere
fehr viel weniger, als wahr if. Was bier im höchſten Grabe
erfcheint, zeigt fih minder merflih in andern Relationen; if
aber immer ba.
Ich glaube, daß man felbft bei. abnehmendem Gedächtniß
und finkender Geiftesfraft überhaupt noch immer gut fchreiben
fann, wenn man nur nicht zu viel auf den Augenblid ankom⸗
men läßt, fondern bei feiner Lectüre oder feinen Mebitationen
immer nieberfchreibt, zu Fünftigem Gebrauch. Auch ber abge:
285
lebteſte Mann bat Augenblide, wo er, durch Umſtände fo gut
wie burh Wein angefpornt, fiebt, was fein Anderer gefehen.
Diefes muß gehörig aufgefammelt werden. Denn das, was der
Augenblid ber Ausarbeitung zu geben vermag, gibt er tod.
So find gewiß alle großen Schriftfteller verfahren.
Sollte ed nicht fehr viel befjer um das menschliche Gefchlecht
ſtehen, wenn wir gar feine Gefhichte, wenigftens Feine politifche
mehr hätten? Der Menſch würde mehr nad ben jebesmaligen
Kräften handeln, die er hat; da jekt bier und da das Erempel,
gegen einen, den es beffert, Tauſende ſchlimmer macht. — Alles
biefe8 für den proprium locum.
Es gibt eine bleibende menſchliche Natur, Regungen des
Herzens, die ſich jetzt noch bei eben den Veranlaſſungen einſtel⸗
len, auf die ſie ehemals in Athen, Rom und Jeruſalem gefolgt
find. Schriftſteller, bie dieſen Menſchen in ihren Werken ſchil⸗
dern, geben zugleich den Commentar dazu, und werden geleſen
werden, fo lange Menſchen find, zumal wenn fie durch Abwech—⸗
felung zu unterhalten wiffen ; denn Vergnügen an Beränberung
ift dem Menfchen bleibend eigen. Allein diefe Anlagen verhin-
dern nicht, daß der Menſch nicht felbft in gewiſſen Grenzen
follte fehr veränberlich fein können. Der Stolz zeigt fich unter
taufendfadher Form, fo gut wie die Neigung zum Puk. Der
Mond bewegt fi) in einer Elipfe um bie Erbe, aber es finden
fih viele Anomalieen. : Monben gehen und kommen wieder.
286
Much diefe Menfchen kann man ſchildern; es ift menfchliche Na⸗
tur, mobifleirt durch Umftände, die dem Wechjel unterworfen
find. Diefen Menfchen bat fi vorzüglid Hogarth gewählt;
aber folche Werke verlieren viel mit der Zeit. —
Es gibt Pein größeres Hinderniß bes Fortgangs in den Wij-
fenfihaften, al8 das Verlangen, ben Erfolg davon zu früh ver-
fpüren zu wollen. Diefes ift munteren Charakteren fehr eigen;
barum leiſten fie auch felten viel; denn fie laffen nad und
werden niedergefchlagen, fobalb fie merken, baß fie nicht forte
rüden. Sie würden aber fortgerüdt fein, wenn fie geringe
Kraft mit vieler Beit gebraucht hätten.
Unter allen Kapiteln, die uns ber angenehme Schwätzer
Mountuigne binterlaffen bat, bat mir immer das dom Xobe,
der vielen vortrefflichen Gedanken ungeachtet, am wenigften ges
falten, Es ift das 19te im erften Buche. Man fieht durch Alles
bindurch,, daß ich der wadere Philofoph fehr vor bem Tode ger
fürchtet, und durch die gewaltfame Ängſtlichkeit, womit er ben
Gedanken wendet, und felbft zu Wortjpielen dreht, ein fehr übe-
les Beiſpiel gegeben bat. Wer fi vor dem Tode wirklich nicht
fürchtet, wird fhwerlid davon mit fo vielen kleinlichen Troſt⸗
gründen gegen ibn zu reden wiffen, als bier Montaigne beibringt.
Eine traurige Betrachtung für dic alte Geſchichte Liefert uns
bie neue ſranzöſtſche. Wie vicl iſt nicht darüber geſchtieben wor⸗
287
ben! Wer dünkt ſich gleichwohl jekt weife genug, etwas barüber
zu ſchreiben, was nur einigermaßen der Wahrheit nahe kommt?
Nun ift freilich bei den Alten nicht fo viel gefchrieben, und folg«
Lich gelefen worden; aber gewiß gefchehen ift wohl eben fo viel;
ja was das Schlimmfte ift, fo mußte man fich bort mehr auf
Erzählung und Tradition verlaffen.
Es ſchadet bei manchen Unterfuchungen nicht, fie erft bei
einem Räuſchchen durchzudenken und dabei aufzufchreiben; herz
nach aber Alles bei kaltem Blute und ruhiger Überlegung zu
vollenden. Eine Bleine Erhebung durch Wein ift den Sprüngen
der Erfindung und dem Ausdrud günftig; der Ordnung und
Planmäßigkeit aber bloß die ruhige Vernunft.
Die Deutfihen mögen auch fagen, was fie wollen, fo kann
nicht geleugnet werden, daß unfere Gelchrfamkeit mehr darin
befteht, recht gut inne zu haben, was zu einer Wiffenfchaft ge-
hört, und zumal beutlich angeben zu können, was diefer und
jener darin gethan bat, als felbft auf Erweiterung zu denken.
Selbft unter unfern größten Schriftftelern gibt es welche, bie
eigentlich nur das, was man fehon wußte, gut geordnet wieder
bruden laffen, bier und da mit einer Erläuterung, die fie ent«
weder wieder an einem andern Ort aufgefangen haben, ober bie
ſich fonft leicht. machen läßt. Wie viele Kante, Euler,
Klaprothe haben wir denn? Die Engländer befümmern fich
wenig darum, mas Andere mögen gewußt baben,. und- fuchen
288
immer weiter zu geben, als das allgemein Bekannte reicht, und
fteben fich dabei recht gut, und, möchte ich faft binzufeken, wir
uns auh — nämlidy bei ben Erfindungen ber Engländer.
Ich glaube, daß ed mit: bem Studiren gerabe fo geht, wie
in der Gärtnerei: es hilft weber ber da pflanzt, noch der ba be⸗
geußt etwas, fondern Gott, ber das Gebeihen gibt. Ih will
mich erklären. Wir thun ficherlih eine Menge von Dingen,
von denen wir glauben, daß wir fie mit Wiſſen thäten, und
bie wir boch thun, ohne es zu wiffen. Es ift fo was in
unferm Gemüthe wie Sonnenfhein und Witterung, das nicht
von uns abhängt. Wenn ich über etwas fchreibe, fo kommt
mir das Befte immer fo zu, daß ich nicht fagen kann woher.
Merkwürbige Beobachtungen, wie viel man thut, ohne e8 zu
wiffen, enthält Montaigne im 3. Th. ©. 105 ff.
Der einzige Fehler, ben bie recht guten Schriften haben, ift
ber, daß fie gewöhnlich bie Urfache von fehr vielen ſchlechten
ober mittelmäßigen find.
Die Mathematik ift eine gar herrliche Wiffenfchaft, aber
die Mathematiker taugen oft den Henker nit. Es ift faft mit
ber Mathematik, wie mit der Theologie. So wie bie ber letztern
Befliffenen, zumal wenn fie in Ämtern ftehen, Anſpruch auf
einen befondern Credit von Heiligkeit und eine nähere Verwandt:
haft mit Gott machen, obgleich fehr Viele darımter wahre Tau«
289
genichtfe find, fo verlangt fehr oft der fo genannte Mathematiker
für einen tiefen Denker gehalten zu werben, ob e8 gleich darunter
die. größten Plunderköpfe gibt, die man nur finden kann, untaug-
lich zu irgend einem Gefchäft, das Nachdenken erfordert, wenn es
nicht unmittelbar durch jene leichte Verbindung von Zeichen gefches
ben kann, die mehr das Werk der Routine, als des Denkens find.
Das neue Teftament ift ein auctor classicus, das befte
Noth⸗ und Hülfsbüchlein, das je gefchrieben worden ift; daher
man jest auf jedem Dorfe der Chriftenheit mit Hecht einen Pro-
feffor angefegt hat, biefen Auctor zu erklären. Daß es viele
unter dieſen Profefforen gibt, bie ihn nicht verftehen, hat biefer
Auctor mit anderen Auctoren gemein. Aber dadurch unterfchei:
det fi) das Buch gar fehr von anderen, daß man Schuiker in
ber Erklärung deſſelben fogar geheiligt hat.
Der Mann, ber nicht aus dem Stegreif über Materien feis
nes Faches zu raifonniren weiß, ber erft in feine Excerpten bliden,
oder in feine Bibliothek fteigen muß, ift gewiß ein Artefact.
Man hat heut zu Tage eine Kunft, berühmt zu werben, die ben
Alten unbekannt war. Diefe wurden e8 durch Genie; die mei«
ften von unfern berühmten Gelehrten aber find Paften, feine
Edelſteine. Sehr weit wird es freilich auch mit ihrem Ruhm
nicht gehen. Ihre Werke werden vergeffen werden, wie die Poefie
des Cicero, bie fogar durch eine der Ewigkeit entgegengebenvde
Profe nicht zu erhalten war.
I. 19
290
Es fagte einmal jemand von Tobias Mayer: er habe
felbfi night gewußt, daß er fo viel wiffe — und barin
ftedt gewiß etwas fehr Wahres. Diefes ift die eigentliche Art,
es in der Welt weit zu bringen. Die gewöhnlichen Gelehrten
treiben die Wiffenfchaften al8 einen Iwed und fehen das, was
fie noch nicht wiſſen, ſchon mwenigftens in den Titeln voraus;
das ift niederfchlagend. Mayer fuchte immer ſelbſt, und Alles,
was er lernte, war ihm Bedürfniß — fo konnte er es in feiner
Wiffenfchaft weit bringen.- Jetzt lernt man gerade umgekehrt:
man gibt ſich mit Integrationen ab, die man nie brauchen wird,
und mit einer Menge von unnügen Dingen, ob fie gleich fehr
finnreih find. Franklin foheint mir ein ähnlicher Gelehrter
gewejen zu fein; Meifter hatte Vieles davon; auch Cook.
Der Lebtere fagte: Der Teufel hole alle Gelehrfamkeit, unb er
date und lernte und ftudirte beftändig, und war vermuthlich
ein größerer Gelehrter, als viele von den Leuten, die er unb
die ganze Welt fo nannten. Doch auch in biefer Diftinction
liegt etwas Wahre. Der Gelehrte könnte derjenige Mann fein, -
ber eine Menge von Kenntniffen in feinem Kopf aufgehäuft
bat, bie ihm nicht weiter nügen, als daß er fie Andern wieber
mittheilen kann. Wenn aber Jemand fi für ein einziges Fach
ausbildet, und ber ganze Menſch dahin zufammenftimmt, und
er nur in fo fern Menſch ift, als er biefes ift, dann ift er kein
Gelehrter.
Simmermanns Sragmente über Friedrich II. enthalten mans
291
ches gute Korn; allein das Bud muß erft gedrofchen, dann ge:
fihtet und geworfelt werben; ober eigentlich der Verfaſſer erft
gedrofchen, und dann das Buch gefichtet und geworfelt werben.
Man kann von feinem Gelehrten verlangen, fih in Ge-
felfchaft überall al8 Gelehrten zu zeigen; allein ber ganze Ton
muß den Denker verrathen; man muß immer von ihm lernen;
feine Art zu urtheilen muß auch in ben Fleinften Dingen von
ber Befchaffenheit fein, daß man fehen kann, was baraud wer:
den würde, wenn ber Mann mit Rube und in fi) gefammelt
wiffenfohaftlihen Gebrauch von biefer Kraft machte.
Sn den Schriften berühmter Schriftfteller, aber mittelmäßi«
ger Köpfe, findet man immer höchftens das, was fie einem zei-
gen wollen; hingegen flieht man in den Schriften bes ſyſtemati⸗
fhen Denkers, der Alles mit feinem Geifte umfaßt, immer das
Ganze und wie jedes zufammenhängt. rftere fuchen und fin
den ihre Nadel bei dem Lichte eines Schwefelhölzchend, das nur
an ber Stelle fümmerlich leuchtet, wo es fich befindet, ba bie
Andern ein Licht anzünden, das fich über Alles verbreitet.
Nichts beweifet mir fo deutlich, wie e8 in der gelehrten
Welt bergeht, als der Umftand, daß man ben Spinoza fo lange
für einen böfen nichtswürdigen Menfchen, und feine Meinungen
für gefährlich gehalten hat. So geht es ebenfalls mit dem Ruhm
fo vieler Andern.
9°
292
Die meiften Glaubenslehrer vertheidigen ihre Säge nicht:
nicht, weil fie von ber Wahrheit derſelben überzeugt find, fon
dern weil fie die Wahrheit derfelben einmal behauptet haben.
Da Herr Profeffor Witte in Roftod erwiefen bat, baß
die ägyptiſchen Pyramiden und die Ruinen von Perfepolis das
Werd von Vulcanen find, fo wäre es einmal der Mühe wertb,
zu ermweifen, daß ber Chimboraffo und der Montblanc von Men:
fhenhänden aufgeführt worben find. Es ift wenigftens einmal
ein Berfuh. Die Oranitwaden auf den Darmftäbter Feldern
find Glicker), mit welchen bie Rieſenkinder fpielten. Herr Nies
bubr bat Herrn Witte's Hypotheſe vortrefflich beleuchtet im Mu:
feum 1790 Der: Es ift eine Abhandlung, die man auch gegen
die gebraudhen kann, die die Welt für das Werk des Zufalls
halten. — Ih glaube, Herr Witte nimmt das Wort Bulcan
in einem andern Sinn, ba es fo viel al8 Künftler überhaupt
bedeutet; denn fürwahr! wer ben Schild des Achilles fchmieben
kann, dem find doch ein Paar perfifche Infchriften eine Klei⸗
nigfeit.
Es gibt ſo genannte Mathematiker, die ſich gerne eben ſo
für Geſandte der Weisheit gehalten wiſſen möchten, als manche
) So heißen in ben Rheingegenden die kleinen Kugeln von
Stein, womit bie Kinder fpielen. In Thüringen beißen- fie
Schüſſe.
293
Theologen für Gefanbte Gottes, und eben fo bad Volk mit al-
gebraifhem Geſchwätz, das fie Mathematik nennen, bintergehen,
ald jene mit einem Kauberwelfh, dem fie den Namen biblifch
beilegen.
Ich fehe die Recenfionen als eine Art von Kinberkrankheit
an, die bie neugebornen Bücher mehr ober weniger befült. Man
hat Erempel, baß die gefundeften daran fterben, und bie ſchwäch⸗
lichen oft durchkommen. Manche befommen fie gar nicht. Man
bat oft verfucht, ihnen durch Amulete von Vorrede und Debi-
cation vorzubeugen , ober fie gar durch eigene Urtheile zu macu⸗
liren; e8 bilft aber nicht immer.
Man Plagt über die entfehlihe Menge fchlechter Schriften,
bie jede Mefje herauskommen; ich fehe das fchlechterbings nicht
ein. Warum fagen die Kritifer, man foll der Natur nachah⸗
men? Die fhlechten Schriftftellee abmen der Natur nah, fie
folgen ihrem Triebe fo gut, wie die großen; umd ich möchte nur
wiffen, was irgend ein organifches Wefen mehr thun Fünne, als
feinem Triebe folgen? Ich fage: fehet die Bäume an, wie viel
werben von ihren Früchten reif? nicht ber funfzigfte Theil; bie
andern fallen unreif ab. Wenn nun bie Bäume Maculatur
bruden, wer will e8 ben Menfchen wehren, bie doch befier find
als die Bäume? Ja, was fage ich die Bäume; wißt ihr nicht,
baß von den Menfchen, bie das procreirende Publikum jährlich
herausgibt, mehr als ein Drittbeil ftirbt, ehe es 2 Jahr alt
294
wird? Wie die Menfchen, fo die Bücher, die von ihnen ge-
‚Schrieben werden. Anftatt mich alfo über die überhand nehmenbe
Schriftftellerei zu beklagen, bete ich vielmehr bie hohe Ordnung
der Natur an, bie e8 überall will, daß von Allem, was gebo-
ren wird, ein großer Theil zu — Dünger wird und zu Macu⸗
latur, welches eine Art von Dünger iſt; die Gärtner, ich meine
die Buchhändler, mögen auch fagen, was fie wollen.
Ich babe lange nicht begreifen können, woher e8 fommt,
daß es einem fo entfeglich ſchwer fällt, in den Büchern mandyer
berühmten Polygraphen zu leſen; aber endlich merkte ih mir bie
Sade ab: es rührt daher, daß diefe Menfchen fonft in Vergleich
mit wahrhaft großen Männern fo unbedeutend find, daß es einen
gar nicht reizen kann, zu wiflen, waß fie wiſſen.
Man lieft jest fo viele Abhandlungen über bad Genie, baß
jeber glaubt, er fei eines. Der Menfch ift verloren, der filh
früb für ein Genie hält.
Eine alle Denkkräfte ſchmelzende Befchäftigung ift bei ben
meiften Menfchen das Gompiliren und Ercerptenfammeln. Man
bemer?t auch täglich, daß Männer, die in ihrer Jugend viel Er-
weiterung in ben Wiffenfchaften hoffen ließen, in reifern Jahren,
bloß um häufig im Meßfatalog zu glänzen, oder auch fich zu
bereihern, Compilatoren geworben find, zumal ba fie bemerf:
ten, daß man in Deutfchland bei literärifhem Ruhm gemeinig-
295
Ti eben nicht fehr genau biftinguirt. Ich glaube, daß es ein
Berdienft ift, was in hundert Büchern flieht, unter einen ge:
wiſſen Gefihispunft in eines zu bringen; allein man muß e8
fehr von dem Berbienft des Mannes unterfheiden, ber die Wif
fenfchaft erweitert und ihre Grenzen fortrüdt. Ubrenfchöpfer
waren Hugenius, Hoof, Harrifon, und biefe find felten;
Uhrmacher gibt e8 überall, ich meine Bäume, woran Uhren
wadhfen, Spinnen, die Uhren weben.
Es ift traurig, daß die meiften Bücher von Leuten gefchrie:
ben werden, bie fi zu dem Gefhäft erheben, anftatt daß
fie fi) dazu berablaffen folten. Hätte z. B. Leffing ein Ba-
demecum für luftige Leute herausgeben wollen, ich glaube, man
hätte es in alle Spraden ber Welt überfeht. Aber fo fchreibt
Jedermann gern über Dinge, worin er fidh noch felbit gefällt,
und man gefällt fich felten in Dingen, bie man fo inne hat
und überfieht, wie etwa das Einmaleind. Wer, wenn er
fhreibt, um fi) Genüge zu thun, Alles fagt, was er weiß,
fohreibt gewiß ſchlecht. Hingegen wer anhalten muß, um nidt
zu viel zu fagen, kann fi) eher Beifall verfprechen.
.., Prediger zu . ., ift derartige Mann, ber das Klatſch⸗
magazin über Schulen und Univerfitäten anlegen will. Ein Pre⸗
biger follte fi) f[hämen, ‘fo etwas anzufündigen. Gr will aud)
Liften liefern von studiosis non studentibus, wenn anders, wie
er fagt, auf dem Papier fih Raum dazu findet, und, hätte er
296
binzufegen können, auf feinem Budel Raum für bie gerechten
Büdtigungen, bie er bewegen erhalten wird.
Ih glaube, man treibt in unfern Tagen die Gefchichte
ber Wiffenfchaften zu minutiös, zum großen Nachtheil der Wife
fenfchaft feld. Man lieft e8 gerne, aber wahrlich es läßt ben
Kopf zwar nicht Teer, aber ohne eigentliche Kraft; eben weil es
ihn fo voll macht. Wer je ben Trieb in fich gefühlt bat, feinen
Kopf nit anzufüllen, fendern zu flärfen, bie Kräfte und Ans
lagen zu entwideln, fi) auszubreiten, der wird gefunden haben,
baß es nichts Kraftloferes gibt, als bie Unterredung mit einem
fo genannten Literator in der Wiffenfchaft, in ber er nicht felbft
gedacht hat, aber taufend hiftorifch » literärifche Umftändchen weiß.
Es ift faft als wie Vorlefung aus einem Kochbuch, wenn man
bungert. Ich glaube auch, daß unter denfenden, ihren eigenen
und ber eigentlihen Wiffenfhaft Werth fühlenden Menſchen bie
fo genannte Literärgefhichte nie ihr Glück machen wird. Diefe
Menfchen raifonniren mehr, als fie fih darum befümmern, zu
wiflen, wie andere Menfchen raifonnirt haben. Was das Trau⸗
rigfte bei der Sache ift, fo findet man, daß, fo wie die Neigung
an literärifcehen Unterfuchungen in einer Wiffenfchaft wächſt, bie
Kraft zur Erweiterung ber Wiſſenſchaft felbft abnimmt, allein
ber Stolz auf den Befit ber Wiffenfchaft zunimmt. Solche Leute
glauben fih mehr im Beſitz ber Wiffenfchaft felbft zu fein, als
die eigentlichen Befiger. Es ift gewiß eine fehr gegründete Be—
merkung, daß wahre Wiffenfchaft ihren Beſitzer nie ftolz macht,
- 297
fondern bloß die von Stolz fi aufblähen laffen, die aus Unfä-
bigkeit, die Wiffenfchaft felbft zu erweitern, fih mit Aufklärung
ihrer dunkeln Gefchichte abgeben, oder Alles herzuerzählen wiſſen,
was Andere gethban haben, weil fie dieſe größtentheils mechaniſche
Beſchäftigung für übung der Wiſſenſchaft ſelbſt halten. Ich
könnte dieſes mit Exempeln belegen, aber das ſind odiöſe Dinge.
Es müßte eine ganz entſetzlich elende überſetzung ſein, die
ein gutes Buch für einen Mann von Geiſt, der ins Große lieſt
und nicht über Ausdrücken und Sentenzen hängt, verderben könnte.
Ein Buch, das nicht einen ſolchen Charakter hat, den ſelbſt der
ſchlechteſte überſezer kaum für den Mann von Geiſt verderben
kann, ift gewiß nicht für die Nachwelt gefchrieben.
Es ift gewiß fehr fchwer, ein Werk zu fchreiben, das ben
Beifall derer erhält, bie bei Genie die Materie, worein die Sache
einfchlägt, zum Studio ihres ganzen Lebens gemacht haben. Ich
babe gefunden, daß, wenn ich eine gewiffe Materie in ber Phyſik,
von nicht fehr großem Umfange, 8 bis 14 Tage lang zum Haupt:
gegenftand meiner Unterfudhungen machte, mir alle Schriftfieller,
bie darüber gefchrieben hatten, feicht vorgefommen find.
Wenn doch große Männer ihre Art zu ftudiren befannt machen
wollten, eigentlich die Art, wie fie ihre Meifterwerke verfertigt
haben. Der Anfang biefer Werke war ficherlich nicht der An:
fang des Schreibens. Es wäre möglich, daß von einem großen
‚298 ”
Werk des Genied der Anfang das wäre, was zulegt gefchrieben
worben ifl. Der Anfang wird ficherer gemacht, wo man ſich
vorher fehon ber Güte der Mitte und bes Endes bewußt ift.
Man fand in Sterne's Nachlaß eine Menge flüchtiger Bes
merkungen; fie wurden fogar trivial genannt; aber das waren’
Einfälle, die ihren Werth erſt durch die Stelle erhielten. Hier
werben Farben gerieben, hätte Sterne auf den Titel feis
ner Collectaneen fegen müffen. — Man verliert ja durch biefe
Vorbereitung nicht bie Kraft, um bei der wirklichen Compofition
noch immer hinzu zu erfinden, oder das anzubringen, was: auch
alsdann noch ber Zufall gibt. Bei Butlern fanb man eben
das; und Johnſon, felbft ein Mann dieſer Art, aber freilich,
wie man aus feinen aufgezeichneten Unterrebungen merft, ein
großer Erfinder aus dem Stegreif, fagt dabei: such is the la-
bour of those, who write for immortality.
Se weifer man felbft wird, deſto mehr fiehbt man in den
Werfen ber Natur; warum follte nicht auch in manchem unfes
rer Gedanken fehr viel mehr enthalten fein, al8 wir zuweilen
bemerken? es find ja auch Producte der menfchlidhen Natur.
Jeder Gedanke ift an ſich was, ber falfche fo gut als der wahre.
Der falfche ift nur das Unkraut, das wir in unferer Hausbal-
tung nicht gebrauchen können. So läßt ſich Manches entfchul-
digen, was ich dem Hogarth angebichtet babe. Er konnte
das Alles inftinetmäßig bingeworfen haben, ohne es zu wiffen.
299
Das Populärmaden follte immer fo getrieben werden, daß
man bie Menfchen damit heraufzöge. Wenn man fidh herab:
läßt, fo follte man immer daran benfen, aud bie Menfchen,
zu benen man fich herabgelaſſen hat, ein wenig zu heben.
Jean Paul Friedrich Richter hat ſehr viel geſchrie⸗
ben. Ein Verzeichniß ſeiner Schriften ſteht im deutſchen Maga⸗
zin. Altona, 1798. Febr. Dieſer Aufſatz enthält auch noch
einige andere Nachrichten von dieſem außerordentlichen Kopfe.
Ein Urtheil über Jean Pauls Romane in ber Gothai-
fchen gelehrten Zeitung 1798 Nr. 74. S. 659 ift vortrefflid.
Man kann nichts Befjeres und Grünbdlicheres über dieſen fonber:
baren Schriftfteller fagen. „Das Intereſſe, heißt e8 da, das er
erregt, ift nicht ſowohl ein Intereffe an feinen Perfonen und
deren Gefchichte, als vielmehr an ihm und feinem Geifte und
feinen Erfindungen, wie fie fib in ver Erzählung offenbaren.
Statt daß wir fonft den Verfaffer über feinen Erzählungen ver:
geffen, ift es bier umgekehrt; wir vergefjen bie Perfonen und
bie ganze Gefchichte über dem Berfaffer.“
Sean Paul ift auch zuweilen faum erträglid), und wirb
es noch weniger werden, wenn er nicht bald dahin gelangt, wo
er ruhen muß. Er würzt Alles mit cayennifchem Pfeffer, und
es wird ihm begegnen, was ich einft S... weifjagete: er wir,
um fi Falten Braten fchmadhaft zu machen, gefhmolzenes Blei
ober glühende Kohlen dazu effen müſſen. Wenn er wieder von
vorne anfängt, wirb er groß werben.
300
Sean Paul ſucht den Beifall ſeiner Leſer mehr durch einen
coup de main, als durch planmäßige Attake zu erobern.
Ich habe wohl hundertmal bemerkt, und zweifle nicht,
daß viele meiner Leſer hundert und ein ober zweimal
bemerft haben mögen, daß Bücher mit einem fehr einnehmen:
den, gut erfundenen Titel felten etwas taugen. Vermuthlich ift
er vor bem Buche felbft erfunden, vieleicht oft von einem Andern.
Es it Schade, daß man bei Schriftitellern bie gelehrten
Eingeweide nicht fehen kann, um zu erforfchen, was fie gegef-
fen haben. "
Ih bin überzeugt, wenigftens nach ben Begriffen, die ich
mir don den Kräften des menfchlichen Geiftes habe machen müfs
fen, daß es felbft mit allen den Approrimationen in unferer
Analyfis bereinft beffer gehen wird. Das Verbeffern der einge
fhlagenen Wege ift es, was bie Fortfchritte des Geiſtes aufhält.
Neue Wege! — fo muß man fchreiben, wenn bie Nachwelt von
einem glauben fol, man babe dieß Alles fchon vorausgefehen.
Es ift heutzutage nicht felten, daß einer Blumenkörbchen
anfündigt, und Kartoffelfädchen liefert.
Sind wohl die ungeheuren und Poftbaren Anftalten, bie
man jet an verfchiedenen Orten für bie Aftronomie macht, zu
301
loben? Iſt nicht ſchon durch die Anftaften ber Engländer, Frans
zofen, einiger italienifchen Staaten u. f. w. binlänglich für diefe
Wiffenfhaft geforgt* Wenigftens müßte man andere Wege ver:
fuchen. Herfchel fuchte den Weg der Vergrößerung. und erlangte
dadurch Unfterblichfeit. Müßte man nicht Obfervatoria in gro»
gen Höhen, auf dem Montblanc und Montrofe errichten? oder
an andern Seiten ber Erbe, ob da bie Schwere vielleicht anders
wirft, ober fi fonft etwas Neues zeigt? Iſt es wenigftens
weisli gehandelt, diefe Anftalten zu machen, da noch andere
Wiffenfchaften im Staube liegen?
Bor allen Dingen etwas gegen bie jetzige Art, die Aftronomie
zu behandeln; es gebt in der That zu weit. Ich frage, ob fo
‚viel daran liegt, einen Ort eine Biertelmeile falfch zu fegen? bu
gerechter Gott! um wie viel Grade mögen unfere Staatöverwal:
tungen falfch liegen! und wie Bieles mag noch nicht in den Städten
berichtigt fein, deren geographifche Lage man berichtigt hat! Der
Koflenaufwand auf Obfervatoria ift groß; wie viel würde nicht
eine Schulanftalt bei gleihem Aufwande bewirken können!
Nachtrag
zu den Titerärifchen Bemerkungen.
Ehemals, wenn man ein fehlechtes Buch ſchrieb, hatte man
es auf feinem Gewiffen, wenn jemand verführt oder angeführt
302
"wurde. Sebt bei den vielen gelehrten Zeitungen darf man fich
nicht mehr fo ſehr feheuen.
Bücher werden aus Büchern gefchrieben, und unfere Dich»
ter werden meiftentheild Dichter durch Dichterlefen. Gelehrte
ſollten fich mehr darauf legen, Empfindungen und Beobachtun⸗
gen zu Buch zu bringen. -
Es läßt fi ohne fonderlich viel Wit fo fchreiben, daß ein
Anderer fehr_vielen haben muß, e8 zu verſtehen.
Wenn wir mehr felbft dächten, fo würden wir fehr viel
mehr fchlechte und fehr viel mehr gute Bücher haben,
Es gibt fein fichereres Kriterion von einem großen Schrift«
ſteller, als wenn fi) aus feinen Anmerfungen en passant Bü-
cher machen laffen. Tacitus und Sterne find jeder in feiner Art
Mufter hiervon.
Die Menſchen find oft fo einfältig nicht, ale fie zuweilen
ſchreiben. Mancher hat eine beffere Phyſiognomik und eine beffere
Theorie der Künfte im Kopfe als in feinem Buche. Die Kunft
ift nur, feine Empfindung unverfälfht zu Buche zu bringen.
Aber das foll Alles ſchön und der Stil ftaatsmäßig fein. Es geht
ihnen mit dem Bortrage, wie gewiffen gemeinen Leuten, bie unter
fih Tempel, Treppe, und bei Bornehmen Tempfel und Trepfe fagen.
_ 303
Die alten Dichter haben doch noch den NRugen, wenn fie
auch fonft einen hätten, daß wir bie Meinungen bes gemeinen
Volks bier und da aus ihnen kennen lernen, bie fonft nicht auf:
gezeichnet find. Auch den haben unfere Genies nicht einmal.
Denn unfere Volkslieder find oft voll von einer Mythologie, die
niemand im Städtchen kennt, als der Narr, ber das Volkslied
gemadt hat.
Es ift fein fiherer Weg, fih einen Namen zu maden, als
wenn man über Dinge fchreibt, die einen Anfchein von Wichtig:
feit haben, die ſich aber nicht leicht ein vernünftiger Mann die -
Zeit nimmt zu unterfuchen.
Die bunteften Vögel fingen am ſchlechteſten, gilt oft auch
vom Menſchen. In einem Pradtftil muß man nicht immer tiefe
Gedanken fuchen.
Ein aufmerkfamer Denker wird in den Spieljchriften großer
Männer oft mehr Lehrreiches und Feines finden, als in ihren
ernfihaften Werfen. Das Formelle, Conventionelle, Etiquetten-
mäßige in diefen fällt ba gemeiniglich weg. Die meiften Schrift:
fieller nehmen dort eine Miene an, wie manche Leute, wenn fie
ſich malen laffen.
Es fieht mit ber Bücherfritit zuweilen aus, ald ob man bie
Recenfionen buch Waiſenknaben hätte mifchen und ziehen laffen.
304
Man bat griechifche und lateiniſche Bücher eingeführt, fo
wie die arabifchen Hengfte in England. Man Pünnte ben
Stammbaum mandes Buchs fo angeben, wie die Engländer
bie von ihren Pferden. \
Die Menfchen müffen, um gut von einer Sache zu benfen,
nicht Alles ſehen, fondern immer nocd einen Theil zur Muth⸗
maßung verftedt behalten. SYoriden bat bdiefes feine Empfin-
dung gelehrt. Wieland und Göthe waren ganz andere Menfchen,
ehe der eine fih in Farcen und der andere in Mercurabhanblun-
gen entkleidete. Es find wenige Menfchen, die, wie 3.8. Lam:
bert, Möfer und Zeffing, diefe Entkleidung vertragen können.
So befommt man in den meiften Fällen nach dem 10ten Buche,
das ein Mann fehreibt, oft eine fehlechtere Ipee von ihm, als
man von bem erften batte, nicht weil er ſich berunterfchreibt,
fondern weil man alsdann gegebene Punkte genug bat, bie
ganze Lebenslinie defjelben zu ziehen. Überhaupt, gut gezeigter
Borrath gefällt beffer als Aufwand.
Man lat Über Rabeners Noten ohne Tert, aber Lavater
ift in der That noch viel weiter gegangen, ber bat uns Noten
gegeben, wozu ber Tert ber Gommentar fein muß. Das ift bie
wahre Sprache der Seher, die man erft verfteht, wenn fi} bie
Begebenheiten ereignet haben, bie fie ankündigen.
Bor einigen Tagen meldete fich bei mir ein Mann in Böt«
305
tingen, ber aus zwei Paar alten feidenen Strümpfen ein Paar
neue machen konnte und feine Dienfte offerirte. So verfichen
wir die Kunſt, aus ein paar alten Büchern ein neues zu machen.
Was oft ben Polygraphen macht, ift nicht das Bielwiffen,
fondern jenes glückliche Verhältniß feiner Kräfte zu feinem Ge
fhmade, vermöge beffen ber leßtere immer gut beißt, was durch
bie erfteren hervorgebracht wird.
Die ſchönſte Stelle im Werther ift die, wo er ben Haſen⸗
fuß erfchießt.
Man wiberfpricht fi niemald, wenn man fi) mit einer
feften Meinung zum Schreiben nieberfegt, allein bei ber fefte
fin Meinung kann man ben Gegenftand flüchtig behandeln,
und, wenn man mit bemfelben allzu befannt ift, fo daß man
zu glauben anfängt, jedermann müſſe es verfiehen, Worte ge
brauchen, die der, den man erft belehren will, zmweibeutig findet.
Ich vergebe e8 Hrn Lavater, daß er fo viele Wibderfprüde in
meiner Abhandlung findet, er.war nicht der Erfte, ber fie darin
zu finden glaubte, und einer ber größten Denker, bie mir je
vorgefommen find, bat mir geftanden, er babe meine Meinung
erft bei der zweiten Durchlefung verftanden, und fei nun völlig
mit mir eind. Das ift ein großer. Sehler von einer Schrift, ich
leugne e8 nicht, und es foll mir eine Warnung fein, Fünftig Alles
was ih druden.lafie, wie Moliere, erſt meiner Köchin vorzulefen.
I. EN
306
Bei manchem Werke eines berühmten Mannes möchte ich
lieber lefen, was er weggeftrichen bat, als was er hat flehen laſ⸗
fen. Belehrung findet man öfters in der Welt ald Troſt.
Hopulairer Vortrag beißt heutzutage nur zu oft ber, wo⸗
durch die Menge in den Stand gefegt wird , von etwas zu fpre=
hen, ohne es zu verfteben.
Es ift wie bie tägliche Erfahrung lehrt, fehr wenig An-
ftrengung nöthig, etwas zu fagen, das eine ganz beträchtliche
erfordert, ed zu verfiehen. Hingegen erfordert e8 außerordentlich
viel Talent, einem vernünftigen Manne etwas Neues und Wich:
tiges fo leicht vorzutragen, daß er fich freut, es jegt zu willen,
und ſich fhämt, es nicht felbft bemerkt zu haben. Lezteres ift
ein fo charakteriftifches Beichen von einem großen Schriftiteller,
daß wenige folcher Bemerfungen einen ganzen Band alltäglicher
Dinge veredeln können.
Die fimple Schreibart ift fchon deßhalb zu empfehlen, weil
fein rechtfgaffener Mann an feinen Wusdrüden- fünftelt und
klügelt.
Ein Volk kann in ſeinen Schriften vernünftiger ſcheinen,
als es iſt, denn es kann noch lange die Sprache ſeiner Väter
ſchreiben, wenn ihm ſchon ihr Geiſt zu mangeln anfängt. Die
Metaphern in unſerer Sprache entſtanden alle durch Witz, und
307
jeht gebraucht fie der Unwitzigſte. Die Morgenländer denken bei
ihren vielen Bildern nicht mehr ale wir. Co faffen au oft
Leute das Äußere der Eitten rechtfchaffener Leute, ohne daß fie
es wiſſen. Die bilderreihfle Spradhe muß mit ber Zeit das
Bildliche verlieren, und bloß zu Beichen erfalten, bie ben
wilfürlichen nahe Eommen. So kann Sprachkenntniß fehr
nüglich werben.
Es ift faft durchaus der Fehler unferer Schriftfteller, daß
fie ih aus anderen Schriften bilden, und bloß zufammenfeßen.
Die Gradus ad Parnassum » Methode habe ich ed genannt. Gie
lefen nach, che fie über eine Sache nachgedacht haben, und fo
wird endlich ihre ganze Wiffenfchaft die Kenntniß deſſen, was
Andere gewußt haben.
Ihre Kritik iſt bloß experimental, fie bewundern, was fie
haben bewundern hören.
Es ift nur Schade, daß Leute bie an Höfen und in großen
Städten leben, nicht wenigftens ein paar Tage in der Woche der
Auslegung alter Weltweifen und Schriftfteller überhaupt widmen.
Ich glaube, fie würden alle Schulfüchfe auf einmal niederfchlas
gen können.
Ich Habe in meinen Univerfitätsjahren und nachher enthufla-
ftifche Bewunderer von Haller und welche von Klopfliod gekannt,
20 *
306
Bei manchem Werke eines berühmten Mannes möchte ich
lieber lefen, was er weggeftrichen hat, als was er hat flehen laſ⸗
fen. Belehrung findet man öfters in der Welt ald Troft.
Hopulairer Vortrag beißt heutzutage nur zu oft ber, wo⸗
burch die Menge in ben Stand gefegt wird , von etwas zu ſpre⸗
chen, ohne es zu verſtehen.
Es iſt wie die tägliche Erfahrung lehrt, ſehr wenig An-
ſtrengung nöthig, etwas zu fagen, das eine ganz beträchtliche
erfordert, e8 zu verfiehen. Hingegen erfordert e8 außerordentlich
viel Talent, einem vernünftigen Manne etwas Neued und Wid)-
tiges fo leicht vorzutragen, daß er fi) freut, es jegt zu willen,
und fich fhämt, es nicht felbft bemerkt zu haben. Lebteres ift
ein fo charakteriftifches Zeichen von einem großen Schriftfteller,
dad wenige folcher Bemerfungen einen ganzen Band altaglicher
Dinge veredeln koͤnnen.
Die ſimple Schreibart iſt ſchon deßhalb zu empfehlen, weil
kein rechtſchaffener Mann an feinen Wusdrüden: künſtelt und
Plügelt.
Ein Bolt kann in feinen Schriften vernünftiger fcheinen,
als es ift, denn es kann noch lange die Sprache feiner Väter
ſchreiben, wenn ihm ſchon ihr Geift zu mangeln anfängt. Die
Metaphern in unferer Sprache entitanden alle durch Wis, und
307
jest gebraucht fie der Unwitzigſte. Die Morgenländer denken bei
ihren vielen Bildern nicht mehr ald wir. Eo faffen auch oft
Leute das Äußere ber Eitten rechtfchaffener Leute, ohne daß fie
es wiſſen. Die bilderreichfte Sprahe muß mit der Zeit das
Bildlihe verlieren, und bloß zu Beihen erfalten, die ben
willfürliden nahe kommen. So kann Spradkenntniß ſehr
nüsglich werben.
Es ift fait durchaus der Fehler unferer Schriftiteler, daß
fie ih aus anderen Schriften bilden, und bloß zufammenfegen.
Die Gradus ad Parnassum » Methode habe ich e8 genannt. Gie
lefen nah, che fie über eine Sache nachgedacht haben, und fo
wird endlich ihre ganze Wiffenfchaft die Kenntniß deſſen, was
Andere gewußt haben.
Ihre Kritik iſt bIoß-erperimental, fie bewundern, was fie
baben bewundern hören.
Es ift nur Schade, daß Leute die an Höfen und in großen
Städten leben, nicht mwenigftens ein paar Tage in der Woche der
Auslegung alter Weltweifen und Schriftfteller überhaupt widmen.
Ich glaube, fie würden alle Schulfüchfe auf einmal niederfchlas
gen fünnen.
Ich Habe in meinen Univerfitätsjahren und nachher enthufla-
ftifche Bewunderer von Haller und welche von Klopflod gekannt,
20°
308
Die von Haller, ich rede bier bloß von dem Dichter, waren ges
meiniglid Leute von Geift und Nachdenken, die ihre Brotwiffen-
fhaft nie vernadpläffigten. Hingegen mit Klopſtocks enthuſta⸗
ſtiſchen Bewunderern verhielt es fi) gerade umgekehrt. Die
meiften waren unausftehliche Pinfel, denen vor den Wiffenfchafs
ten, bie fie eigentlich erlernen follten, efelte. Muſenalmanache
waren eine Kauptlectüre für fie. Waren ed Juriften, fo lernten
fie nichts, waren e8 Theologen, To wurden e8 frühzeitige Pre:
biger, und bie famen noch am beften fort. Mebiriner, bie en-
thufiaftifch für Klopftod eingenommen gewefen wären, babe ich
nicht gefannt. Mir ift nicht bewußt, daß ein beclarirter Be
wunderer von Haller und ber feine Gedichte mit vorzüglichem
Bergnügen gelefen, hernach etwas frappant Einfältiges gefchrie-
ben hätte, hingegen ift e8 eine ganz befannte Sache, baß unter
Klopftods eifrigften Bewunderern einige ber größten Flachköpfe
der Nation find. Das Factum ift wahr. Erklären kann ich es
felbft nicht.
In einem Lande, wo ber zuletzt Schreibenbe bei den Meiften
Recht behält, muß man nicht antworten, fobald man fi eini«
ges Übergewichts bewußt ift. Diejenigen, für die der Mann von
Verftand allein fehreibt, haben ohnehin entfchieden, ehe die Du⸗
plik erfcheint. So babe ich bei der Phyſiognomik gedacht.
Wenn man fi) einmal einen Gebanfen eines Andern ein
wenig zu Nuge macht, fo fehreien alle Recenfenten: halt den
309
\
Dieb. Diefes fommt mir vor, als wie, wenn fi) ein Knabe
hinten auf eine Kutfche fekt, fo rufen alle anderen, bie die Freude
nicht haben können, dem Kutfcher zu: es fipt einer hinten auf.
Ich mag immer den Mann mehr lieben, ber fo ſchreibt, wie
e8 Mode werben kann, als den, ber fo fchreibt, wie e8 Mode ift.
Anderer Leute Wein auf Bouteillen ziehen und ſich dabei
ein bißchen benebeln, daß man glaubt, er gehöre ihm. So etwas
thun die meiften deutſchen Schriftfteller.
E83 wagen fich viele Leute in Fächer, in denen man nichts
von ihnen erwartet, theils, weil die Verwunderung bes Yublis
kums es felbft etwas blind gegen Mängel madt, und bann, weil
bie Leute felbfi bie Schwierigkeiten eines ſolchen Faches nicht fo
gut Pennen, als das, worin fie ſich befchäftigt haben.
Ein Noth: und Hülfsbüchlein für Schriftfteller könnte gut
werden.
Obgleich ih weiß, daß fehr viele Necenfenten bie Bücher
nicht leſen, die fie fo mufterhaft recenſiren, fo ſehe ich doch nicht
ein, was es ſchaden kann, wenn man das Buch lieſet, das man
recenſiren fol.
Das deutſche Genie iſt ſehr geneigt, in wiſſenſchaftliches
310
Dingen ftatt der; Sache felbft an bie Literatur fi) zu halten.
Das deutfche Publikum, das felbft ſchon nad) der Seite geftimmt
it, ift auch daher geneigt, dieſe Literatoren mit dem Ruhme zu
frönen, ber eigentlich dem Denfer und dem Grweiterer ber Wif-
fenfhaft allein gebührt.
Jemand überfpringt bei VBorlefung der Meffiade immer eine
Zeile, und die Stelle wird doch bewunbert.
" &8 fommt fo außerordentlih viel darauf an, wie etwas
gefagt wird, daß ich glaube, die gemeinften Dinge laffen fich
fo fagen, daß ein Anderer glauben müßte, ber Teufel hatte es
einem eingegeben.
Der Ton ſtimmt oft die Behauptung, ſtatt daß die Be
bauptung den Ton angeben ſollte. Selbſt gute Schriftfteller,
wenn fie auch gern ſchön fprechen, finden fi) unvermerft zuwei⸗
fen ba, wo fie eigentlich nicht bin wollten.
Das Berdienft von Raffineurs von Zuder, den andere Na:
tionen gepflanzt und gefotten haben, ift dad Verdienſt ber mei⸗
ſten deutſchen Schriftfteller.
Die unnützeſten Schriften in unſeren Tagen ſcheinen bie mo⸗
ralifchen zu fein, nachdem wir die Bibel haben. Man möchte
faft den Ausfpruch des Kalifen Omar bei dem Brande ber Alerans
311
driniſchen Bibliothek gebrauchen: Entweder ſie enthalten was in
der Bibel ſteht, und dann find ſie unnütz, oder fie find darwider,
und dann muß man fie verbrennen. Unfere meiften moralifchen
Schriften find wirklih nur fhöne Rahmen um bie zehn Gebote-
Die Leichenpredigten auf Bücher unterfcheiden ſich gar fehr
von denen auf Menfchen. Die letzteren werben gewöhnlich über
Verdienſt gelobt und bie erfteren ausgefchimpft.
Viele fogenannte berühmte Schriftfteller, in Deutfchland
mwenigftens, find fehr wenig bedeutende Menfchen in Gefellfchaft.
Es find bloß ihre Bücher, die Achtung verdienen, nicht fie felbft.
Denn fie find meiftens fehr wenig wirklich. Sie müffen ſich
immer erft durch Nachſchlagen zu etwas machen, und dann ift
es immer wieder das Papier, das fie gefchrieben haben. Sie
find elende Rathgeber und feichte Lehrer dem, ber fie befragt.
Ich möchte wohl wiffen, wie e8 um unfere beutfche Litera:
tur in manchen Fächern ftehen würde, wenn wir Peine Englän-
ber und Franzoſen gehabt hätten. Denn felbft zum beffern Ber:
ſtändniß der Alten find wir durch fie angeführt worden. Selbſt
die Frivolität Mancher unter ihnen hat Manchen die Augen für
ben Werth ber Alten geöffnet.
Es hält nicht ſchwer, eine Sade zu Papier zu bringen,
wenn man fie einmal in ber Feber hat.
312
Es war vor einiger Zeit Mode, und ift es vielleicht noch,
auf die Titel der Romane zu fegen: eine wahre Geſchichte.
Das ift nun eine kleine unfchuldige Betrügerei, aber daß man
auf manchen neueren Gefhichtsbücdhern die Worte: ein Roman,
wegläßt, das ift Feine fo unfchuldige.
Bielleicht Teiftet manches ſchlechte Buch, das jegt verachtet
wird, bdereinft einem guten eben ben Dienft, ben bie elenden
Schaufpiele den Shakefpearifchen geleiftet haben, mit deſſen Wer:
Een fie gleichzeitig waren. So fommt auch dem ſchlechten Schrift-
fteller der Troft zu Statten, baß die Nachwelt bereinft fein Bers
dienft erfennen wirb. :
Um über gewiffe Gegenftände mit Dreifligkeit zu fihreiben,
ift fat nothwendig, daß man nicht viel davon verſteht. Auch
geht es gut an, wo ber Gegenſtand noch wenig bekannt ift.
Unftreitig hat man fehr viel mehr vom Vielfraß zu erzählen
gewußt, da er noch wenig gekannt war, als jekt, da man ihn
Pennt.
Der adernde Staatsbürger. Welches find die adernden Staats»
bürger im Gelehrtenfache? Die Bergleichung ließe fih, glaube
ih, weit treiben, vom Adermann bis auf bie Buderbäder und
Conditors, die Dichter.
° Die Nege ber Kritifer, womit fie nach Fehlern in Werken
313
fiſchen, follten von fo weiten Mafchen fein, daß fie Fehler von
einer gewiffen Größe burchließen und nicht Alles auffingen. Das
häßliche Filtriren.
Die Vorreden zu manchen Büchern find deßwegen dfter& fo
feltfam gefchrieben, weil fie gewöhnlich noch im gelehrten Kind⸗
bettfieber verfertigt find.
Es find zuverläffig in Deutfchland mehr Schrififteller, als
alle vier Welttheile überhaupt zu ihrer Wohlfahrt nöthig haben.
314
9.
Bemerkungen über Sprache und
Srtbograpbie.
Ich werde das in Ewigkeit nicht vergefien, ift ein falfcher
Yusdrud.
Es ift ein ganz unvermeiblicher Fehler aller Sprachen, baß
fie nur genera von Begriffen ausdrüden, unb felten das hin-
länglich ſagen, was fie fagen wollen. Denn wenn wir unfere
Mörter mit den Sachen vergleichen, fo werben wir finden, baß
bie legtern in einer ganz andern Reihe fortgeben, als die erftern.
Die Eigenfchaften, bie wir an unferer Seele bemerken, hängen
fo zufammen, daß fi) wohl nicht leicht eine Grenze zwifchen
zweien wird angeben lafien. Die Wörter hingegen, womit wir
fie bezeichnen, find nicht fo befchaffen, und zwei auf einander
folgende und verwandte Eigenfchaften werden durch Zeichen aus⸗
gebrüdt, bie uns Feine Verwandtfchaft zu erfennen geben. Man
follte die Wörter philofophifch beeliniren, das ift, ihre Verwandt⸗
fhaft von ber Seite durch Veränderungen angeben fünnen. In
der Analyfi8 nennt man einer Linie a unbeflimmtes Stüd x,
dad andere nicht y, wie im gemeinen Leben, fondern a —x.
315
Daher hat die mathematifhe Sprache fo große Vorzüge vor ber
gemeinen.
Sauerampfer ift ein Pleonasmus, Ampfer beißt fchon
fauer und ift das bollänbifche amper.
Man kann ficher glauben, daß man in einer Sache eine
gute Strede vorgerüdt ift, wenn man Kunfiwörter darin ge:
braudt. Die offenfive Kritif hat wirklich ihre Kunftwörter im
Deutfchen: einen herumnehmen, einem ben Bart wafchen,
einen verfoblen, bürften, fämmen, ftriegeln, burd
bie Hechel ziehen u.f. w.
Homocentriſch habe ich in dem moyen de parvenir ”)
gelefen — fein übler Ausdruck. Antbropocentrifch wäre
beifer, obgleich centrum auch ein lateinifches Wort iſt. Es war
aber bem kurzweiligen Verfaſſer vermutblich zu lang, ob er
gleich ein guter Grieche gewefen fein foll.
Die Tebendigen Sprachen find für die Ausländer, bie nicht
unter dem Volke gelebt haben, größtentheils tobt. Wie ſchwer
ift e8, alle die Pleinen Beziehungen zu erlernen, die gewiſſe Aus»
drüde, und Redensarten in fich faffen! und fat unmöglich ift
e8, wenn man einmal bei Jahren ift.
*) Einem berühmten Buche von Franzischus Bervaldus.
>
316
Borfucceffor, wie bie gemeinen Leute im Osnabrüdi-
fhen einen Borgänger nennen, ift nicht viel fehlechter, als
Nachfolger, da einem ja niemand vorfolgen kann.
Im Wort Gelehrter fledt nur der Begriff, daß einem
Vieles gelehrt ift, aber nicht, daß man auch etwas gelernt bat;
baher fagen bie Franzoſen finnreich, wie Alles, was von biefem
Volke kommt, nicht les enseignes, fondern les savans. und bie
Engländer nicht the taught ones, fonbern the learned.
Es iſt eine vortrefflihe Bemertung von Hartley, daß dur
bie VBerfchiedenheit der Spraden falfche Urtheile verbeffert wer:
ben; weil wir in Worten denken. Es verdient fehr überlegt zu
werden, in wie fern die Erlernung fremder Sprachen uns bie
Begriffe in unferer eigenen aufklärt.
Wir bewundern zuweilen bie Kräftigfeit der Sprachen un»
ausgebildeter Nationen; die unfrige ift nicht weniger kräftig;
unfere gemeinften Ausbrüde find oft fehr poetifch; aber das Poe⸗
tifche eined Ausdrucks verliert fi), wenn er und gemein wird.
Der Laut bringt den Begriff hervor, und das Bild, das vorber
das Mittel war, verfchwindet, und mit ihnen zugleich alle Neben:
ideen, bie e8 in fich ſchloß.
Was heißt ſchwätzen? Es heißt, mit einer unbefthreib-
lihen Gefchäftigkeit von ben gemeinften Dingen, bie entweber
[
317
fhon jedermann weiß, ober niemand wiffen will, fo mweitläuftig
ſprechen, baß niemand barüber zum Worte fommen kann, und
jedermann Seit und Weile lang wird. Die beutfhe Sprade ift
fehr arm an Wörtern für Handlungen, bie fih fo zu andern
Handlungen bes vernünftigen Mannes verhalten, wie Geſchwät
zur zwedmäßigen vernünftigen Unterrebung. So fehlt e8 uns
an einem folhen Wort für rehnen.
Ein Menſch wählt fi) ein Thema, beleuchtet e8 mit feinem
Lichtchen, fo gut ers hat, und fchreibt alddann in einem gewiffen
erträglichen Mobeftil feine Alltagsbemerfungen, bergleichen jeder
Secundaner auch hätte machen, aber nicht fo faßlich ausdrüden
können. Für diefe Art zu fchreiben, welches die Lieblingsart
ber mittelmäßigen und untermittelmäßigen Köpfe ift, wovon es
in allen Ländern wimmelt, babe ich ?ein befferes Wort, ale
Gandidatenprofe, finden können. Es wirb höchſtens das
ausgeführt, mas bie Bernünftigen fchon bei bem bloßen Wort
gebacht haben.
Je mehr man in einer Sprache dur Vernunft unterſchei⸗
den lernt, deſto fchwerer wirb einem das Sprechen berfelben.
Sm Fertigfpredhen ift viel Inftinctartiges; durch Vernunft Täßt
es fi nicht erreichen. Gewiſſe Dinge müffen in ber Jugend er:
lernt werden, fagt man; diefes ift von Menſchen wahr, bie ihre
Vernunft zum Nachtheil aller übrigen Kräfte cultiviren.
318
Es donnert, beult, brüllt, zifcht, pfeift, brauft, fauft,
fummet, brummet, rumpelt, quäkt, ächzt, fingt, rappelt,
. praffelt, raſſelt, Tnallt, Eniftert, Elappert, knurret, poltert,
winfelt, wimmert, raufht, murmelt, kracht, gludfet, röchelt,
Elingt, klingelt, bläfet, ſchnarcht, klatſcht, lispelt, Leucht,
ſchreiet, weinet, ſchluchzet, krächzet, ſtottert, lallt, girret, haucht,
klirret, blökt, wiehert, ſchnarrt, ſcharrt, ſprudelt. —
Dieſe Wörter und noch andere, welche Töne ausdrücken,
find nicht bloße Zeichen, ſondern eine Art von Bilderſchrift für
das Ohr.
Um eine fremde Sprache recht gut fprechen zu lernen, und
wirklid in Gefellihaft zu ſprechen, mit dem eigentlichen Accent
bes Volks, muß man nit allein Gedächtniß und Ohr haben,
fondern ud) in gewiffen Grad ein Pleiner Geck fein.
Sit heimſuchen wirklid fo viel als firafen, oder ift es
fo viel ald das Herz unterfudhen? Wir müffen mehr Ge-
brauch von dem Wort heim machen, es ift fehr ftarl. Heim
reden ift, im die Seele reden, höchfte Überzeugung verbunden
mit der Schaam fie zu geftehen bewirken. "
Das englifche kurze u hat wirklich viel Ähnliches mit dem
franzöfifchen o in l’on a, bonne, ich meine das reine Parififche
0, und nicht dad o refugie. In Befchreibung ber englifchen
Ausfprahe durch das Deutjche ift man noch lange nicht weit
319
genug gegangen; man bat Faum ben vierten Theil von dem
barin gethban, was man thun könnte. Man irrt, wenn man
glaubt, daß das Ih ber ſchwerſte Laut für den Deutfchen wäre.
Da wo es gelifpelt wird, ift e8 dem Deutfchen fehr leicht, wenn
man ihm nur bie Zunge führt; aber vorfagen beißt nicht bie
Bunge führen. Jeder Deutfche bat es gewiß einmal in feinem
Leben ausgefprochen , vielleicht mehr vor dem 16 Jahr als nach⸗
ber. Es ift das f mit ber Zunge zwifchen ben Zähnen ausge:
fprohen; je weniger man auf bie Zunge beißt, und je Bleiner
das Stüdchen berfelben ift, das zwifchen den Zähnen ift, befto
wahrer und feiner wird ed. Dieß gilt von dem th, wenn es
gelifpelt wird, wie in three, through, both, wrath, ihew, thin,
thing etc. Die Engländer Iifpeln es aber nicht immer, und
dann ift es ungleich ſchwerer zu befchreiben und auszufprechen.
Es ift nur der Anfang zu jenem, die Zunge legt fill nur, ale
wenn fie jenes ausfprechen wollte, fpricht aber gleich die folgen-
ben Buchſtaben aus; fo klingt es in that. Beim f bleibt die
Spitze der Zunge hinter ben Zähnen, und beim th ift fie vor den⸗
felben oder zwifchen inne. In that, mother, father , together,
gather und zwifchen Bocalen überhaupt, ift es bloß der Anfang
zum 3ifhen, ohne das Zifchen felbft, von dem man nichts hören
muß. Die Gaffenjungen am Oberrhein fprehen Feder eben fo
aus, wie die Engländer ihr feather, und das d in bem Wort
wie das ungelipelte th.
Die verfchiedenen Selbftlauter ließen fi durch eine ähnliche
Einrihtung, wie Mayers Zarbentriangel darftelen. Der Eng:
*
320
länder ihr kurzes in much, such, but hat etwas vom e und
vom 0; es ift nicht metſch und nidht motſch, ſondern befteht
aus zwei Theilen e und einem Theil o, rein genommen, das
beißt, fo wie wir fie im ABC ausfprebher. — Man kann ja
taub und ſtumm Geborne reden lehren, wie viel mehr Leute,
bie eine unendliche Menge von Lauten zu commanbiren haben.
Shakeſpear ift meiftens ſchwer ganz zu verftehen, und feine
gelehrten Sommmentatoren haben ihn oft nicht verftanden. Ihn
gut zu liberfegen, ift an vielen Stellen ganz unmöglich, wegen
feiner an Nebenibeen reichhaltigen Metaphern, wovon .ber befte
Überfeger uns doch immer nur einige geben kann. Außer einer
tiefen Kenntniß der englifhen Spradhe, bie nur wenige Auss
länder fich verfchaffen können, wirb eine noch ſchwerer zu er⸗
reichende Kenntniß ber Sitten bes Volks erfordert. Um nur eine
anzuführen, fo wünfchte ich wohl, daß ein Deutfcher, der feine
Nation und die englifhe gut kennt, uns ein Werkchen über
Shakeſpear's Flüche gäbe, und fie uns durch Ähnliche, 5. €. für
Oberſachſen, überfegte (dern für Deutfchland überhaupt müffen
wir nicht rechnen, weil wir fein London ober Paris haben).
&o wie fie gemeiniglich überfeßt werben, ift es abfcheulich, und
brüden Shakeſpear's Sinn gar nit aus. Das Weiß Gott
unſers Pöbels, geſchwind gefprochen, erweckt bei uns weiter
nichts als die Idee einer Ungezogenheit; dem Engländer mürbe
es bie Idee vor Feierlichfeit, und wenn e8 oft Fäme, von Ruch⸗
/ofigFeit, zumal am Anfange der Rebe, erwecken, ungefähr wie
321
bei uns, wenn man fagte: Das weiß Gott, baß ıc. Co
haben wir (ich fpreche als Oberheſſe) nichts, das dem englifchen
damn it entfpräde. Potz Wetter kommt ihm nahe, ift aber
zu läppiſch. God damn it wird in Deutfchland oft durch Gott
verdamme überfekt, jo abfcheulih, daß man kaum Ärger
fehlen fönnte, wenn man e8 durch der Herr fegne überfegte.
In England ift es mehr pöbelhaft als ruchlos, fo zu ſchwö⸗
ren, zumal wenn es gefhwind geiproden wird. Ja e8 kann fo
gefehwind gefprochen werden, daß es einen Anfchein von Artig⸗
feit bei der vornehmen Jugend gib. Wenn Shafefpear's
Perſonen fluchen, fo verfehlt e8 bei uns feinen Endzwed; was
bei ihm eine Schattirung fein follte, wird bei uns Hauptfigur.
Der Engländer flucht caeteris paribus zehnmal mehr, als ber
Deutfche, weil bie fluchende Claſſe der Menfchen (die Seeleute)
diefem Staat feine Reichthümer verfchafft, und feinen Schuß
gewährt, und ed unter ihnen Männer gibt, die bie Achtung
biefer Welt und der künftigen verdienen.
Conrab Photorins (p. t. Fotorins) Sendfchreiben an bie
Heraudgeber ded Magazins, bie Abfchaffung der Hofen betreffend.
Ew. Wohlgeboren rühmlihft bekannter Eifer für unfere
neue Orthographie oder, wie fie fte jest ſchicklicher nennen,
Cäno⸗ oder Kainographie, um fie nicht mit ber alten fo genann,
ten Ortbographie zu verwecfeln, bat mich aufgemuntert, Des
nenjelben einen Plan zur Bekanntmachung vorzulegen, ber wir
dem Kainographifchen viel Ahnfichkeit hat, wanlih, Tr Bim-
1 AA
322
Pleider abzuſchaffen; und follte biefer Ihren erwünfchten Beifall
erhalten, fo follen Diefelben ein Werk von mir befommen, wos
von ich Ihnen jekt nichts weiter fagen fan, als daß es eine
Reformation ber beutfchen Sprache ift, und unfere Gänograpbie
mußte nothwendig barauf leiten. Denn welches ift thörichter,
der zu fchreiben, und dähr zu lefen, ober zu fagen, ich drehe,
ih drehete; ich ſtehe, ih ftand; ich ſehe, ih ſahz id
gebe, ih ging? Diefes macht ben Ausländern und Kindern un«
enbliche Mühe. Daher auch die Juden, die zwar ein unterbrüdtes
Bolt find, aber boch zuweilen über uns aufrechtftehend wegfehen,
manchmal fagen: e8 fehete unvergleihlich aus; e8 wäre
ambefte, ergebete hin ꝛc. Ih muß Ew. Wohlgeb. gehorfamft
um Bergebung bitten, daß ich mic) ber Gänographie in meinem
Briefe nicht bediene. Mein Geift ift zwar ſtark, allein aber
das Fleiſch ift ſchwach. Ich bin nit mehr jung, unb ver:
fhreibe mich jeben Augenblid; auch weiß ich zwar immer, wie
ich ſpreche, allein ich weiß es nicht immer zu fchreiben. 3.8.
recht darf ich nicht ‚ und rächt kann ich nicht fehreiben, benn
es wird ja nicht gefprochen wie Hecht, u. f. w.
Forſchlach Fünftig feine Bainflaider mer zu
tragen.
Der fchönfte Theil bes menfchlichen Geſchlechts trägt Peine,
fo wenig als ber zartefte, nämlich das weibliche Gefchlecht und
bie Kinder. Die größten Menfchen haben. Feine getragen, weder
die Erzbäter, noch ber pius Aeneas, noch Tullus und Ancus.
u.
323 2
Cicero, Pompejus und Cäſar trugen keine, auch hat ver:
mutblih Sokrates Feine getragen. Ja bie gefünbeften Bölfer,
ich meine die ungefitteten, tragen bis auf biefe Stunde Peine;
auch bie gefitteten Bergfchotten nit. Daß es einem auffallend
fein würde, jetzt einen Minifter oder General ohne Beinkleider
berumgeben zu fehen, das ift bloß die Ungewohnheit, lächerliches
Borurtheil. ES HE nicht mehr, als flatt des einfältigen der
und phyſiſch jest där und füfifch zu fhreiben, welches
recht ift. Ohne Beinkleider zu geben, fol Leuten fehr bienlich
fein, bie fi) verändern wollen, indem es ein gelindes Faltes
Bad ift. Das beftändige Auf» und Zuknöpfen ift wirklich fehr
befhwerlih. Wer an einer Kirche wohnt, barf nur die Leute
beobadıten, bie am Tage bie einwärtögehenden Winkel berfelben
ftehend einnehmen; was das oft für Umftänbe fegt, einige müffen
fogar den Stod wegftelen, und beide Hände brauchen. Ich
riethe eine Art Bleiner Schürze, bie rund herum ginge, fo wie
bie Bederfhürzen am Rhein ıc.
Was die Engländer in der Füſik, die Franzoſen in ber
Metafüfit find, find die Deutfchen unftreitig in der Ortofrafi.
Das Süftem, das uns 9. 8... hierüber gegeben bat, ift vor-
treflich. Fürz gleich nicht überall Überzeugung bei fih, fo fürz
body auf Einigkeit, und hilfz nichz, fo ſchatz doch auch nichz.
Borzügli Dank ferdint Hr. Mülius in Berlin, ber auch in
feinem zerbeutfchten Gil Blas Hüpofrates fchreibt, und alfo
us
auch vermuthlih Filüppus und Hipyvie\e \gräleen wir.
23%
U ı
324
— — Neulich entftand bei einem Teſtament ein entfeglicher und
faft fcandalöfer Streit über folgende Worte: „Auch vermade
ih da8 Heu von meinen Wiefen ben jebesmaligen drei Stabt«
farren zu O...« Es wurde nämlich geftritten, ob Zeftator
die Prediger des Orts, oder die Bullen gemeint habe; und weil
bie lektern einen beſſern Advocaten erhielten, al8 die erftern, fo
fiel da8 Heu dem Bullenftal zu. Der Advockt für bie Prediger
mußte nichts beizubringen, als daß man einem unvernünftigen
Vieh nichts vermachen könne; nur fei befanntlih Teftator ein
Anhänger von Hrn. 8... und befien profaifchen Werfen gewe⸗
fen, und babe daher farren flatt pfarrern gefchrieben. Da:
gegen erwies der Advocat für die Bullen mit unmwiberfprechlichen
Beugniffen, Xeftator fei zwar ein eifriger K— ianer, aber, ba
er felbft Pfeiffer geheißen, aud ein bartnädiger Vertheidiger
bes Pf gewefen, weßbalb er wohl oft Klopfſtock und Trepfe
gefagt, aber fih nie Feiffer unterzeichnet babe. Die Sache
wäre alfo klar. Überdieß habe der Selige bekanntlich nicht viel
auf die bafigen Herren Prediger gehalten, und da die Wiefen
gegen 300 Thaler abwerfen, fo wäre ed gar nicht wahrſcheinlich
daß er ſie gemeint hätte, u. ſ. w.
Iſt es nicht ſonderbar, daß eine wörtliche überſetzung faſt
immer eine ſchlechte iſt? und doch läßt fi) Alles gut überſeten.
Man fieht hieraus, wie viel e8 fagen will, eine Sprache ganz
verfiehen ; es heißt, das Volk ganz kennen, das fie fpricht.
[
325 *
Kurzſichtig fein und weit ſehen werden im meta:
phorifchen Verſtande von Geiftesgaben falſch gebraucht. Ein
Kurzfichtiger heißt da ein Blinder; es ift aber Elar, baß Kurz:
fihtige auch Dinge fehen, bie andere Leute nicht fehen.
Der Teufel ift wohl heutzutage, in unferen aufgeklärten %.
Zeiten, ein re Fmer Teufel. Woher mag überhaupt die
Redensart: armer Teufel fommen? Sie findet ſich aud in
anderen Sprachen: poor devil, pauvre diable.
Daß bie Berwechfelung von lehren und lernen, bie bei
uns, zumal in der Sprade bed Umgangs gemeiner ift, als man
denen follte, von etwas Tieferm herrührt, als bloß von der Ähn⸗
lichkeit des Lautes, kann man daraus abnehmen, daß die Schott-
länder häufig to learn mit to teach verwechfeln, die boch nicht
verfchiedener Elingen können. Hingegen verwechlelt.der Englän:
der häufig 2o lie liegen, und to lay legen, welches auch ber
unftudirtefte Deutfche nicht thut, da doch die Ähnlichkeit des
Lauts und der Relation in ben Begriffen, bie fie ausdrüden,
bei beiden gleich groß ift. Wer Tiegt, ber bat ſich gelegt; und
wer fich lehrt, ber lernt; ober, wer “gelegt wird, liegt, und wer
gelehrt wird, Iernt.
Unfere Inverfionen in ber Sprache haben das Nachtheilige,
bag wir dem Ausländer oft fade vorkommen müſſen, der fe ux-
möglich alle verftehen Fan, ba fe bei dem Wpite Ah lurnt
nn
326
werden müſſen. Es wäre beſſer, wir ſprächen weniger in In⸗
verfionen.
Wenn man viel felbft denkt, fo findet man viele Weisheit
in die Sprache eingetragen. Es ift wohl nicht wahrfcheinlich,
daß man Alles felbft hineinträgt; fonbern es liegt wirklich viel
Weisheit darin, fo wie in ben Sprühwöggfie
—— bu
Es ift zum Erflaunen, wie fehr das Wort unendlich ge-
mißbraucht wird; Alles ift unendlich ſchön, unenblid
beffer u.f.w. Der Begriff muß.etwa® Angenehmes haben,
fonft hätte der Mißbrauch nit fo allgemein werben können.
Mas haben die Alten bavon ?
Im gemeinen Leben heißt oft die Epilepfie das böſe
Wefen. Was wäre das gute Wefen? Jemand meinte,
man könnte ben epileptifhen Budungen im Paroxyomus ber ge-
krönten Liebe biefen Namen geben.
Nachtrag |
zu den Bemerkungen über Sprache und Orthographie.
Despaviladdra heißt eine Lichtpuge auf Spaniſch. Man
ſollte glauben, es bieße wenigftens ein kaiſerlicher Generalfeld:
marfchalllieutenant.
Pe 0
%
Es gibt eine wahre und eine fürmliche Orthographie.
Deu Eine hat eine falfhe Rechtfhreibung und der Andere
eine rechte Kalfchfchreibung.
Ich glaube, es Fünnte einer Sprache gar nicht fchaben, wenn
man viele a und Grärismen übertrüge. So würden
gewiß bie Alten« enigftens verftändlich werben. In meinen
Schuljahren, we das Wort populär no nicht fo Mode war
wie jest, glaubten wir, e8 hieße pöbelhaft oder fo etwas.
Auffchieben beißt, feinem Hehirne eine größere Extenfion
‚ geben.
.
Das ift ein närrifcher Einfall, fagt man von einer gewiffen
Art Einfälle, die nichts weniger ald unklug find, auch, das Ding
ift doch närrifh. Gewiß hat ber erfie Mann, ber die Redensart
gebraudte, etwas dabei gedacht. Es kann dag Unermwartete
und das Seltfame in der Verbindung ber Ideen bezeichnen,
das Ülberfpringende, dergleichen man bei närrifchen Leuten vieles
findet.
Man muß künftig bloß Shafspere fchreiben mit W. Malone.
Denn es ift ausgemacht, daß er fich felbft fo gefchrieben hat,
und in ben Kirchenbücdhern von Stratford ſteht bei Kindtaufen,
Copulation und Todesfällen der Name beftändig fo.
%
R
De:
\
So wie es vielfylbige Wörter gibt, bie fehr wenig fagen,
fo gibt ed auch einfylbige von unenblicher Bedeutung.
®
Das Wort: Entbindung ift zweidentig; ed kann auch ben
x Tod bedeuten. "
| Der Deutfche liebt bie fcharfen reg Barum nicht:
Hoch, höher, höchft Ebelgeborener, Wohl, DEM , Beitgeborener
Her? u " "
Georg Chriſtop h Fichtenberg’s
Bermifchte Schriften.
Neue vermehrte,
von deſſen Söhnen veranftaltete
Original - Ausgabe.
Mit dem Portrait, Facſimile und einer Anficht des
Geburtshaufes des Verfaſſers.
Zweiter Band.
——ı ZZ He —
Göttingen,
Berlag ber Dieterihfhen Buchhandlung.
1844,
14.
inhalt
bes zweiten Bandes.
Bemerkungen vermifdhten Inhalts.
. Üftgetifche Bemerdunden . . . .
Nachtrag zu ben äfthetifchen Bemerkungen .. *
Witzige und ſatyriſche Einfälle und Bemerkungen
Nachtrag zu den witzigen und ſatyriſchen Einſällen
und Bemerkungenn. —
Witzige und komiſche Ausdrücke und Vergleichungen
Nachtrag zu den witzigen und komiſchen Ausdrücken
und Vergleichungennn.
Urtheile und Bemerkungen über den Charakter ver⸗
ſchiedener Völlr . . ... re.
Nachtrag zu ben Urtheilen und Bemerkungen über
bern Charakter verfchiedener Böllr -. . . . .
Zum Andenken von Berfiordbnn . -. . »
— 102
— 109
— 118
7.
IV
Gute Ratbihläge und Marimen . -. . » . . &.17
Nachtrag zu den guten Rathſchlägen und Marimen — 135
Borfchläge . . 0 0 0 . . o 0 0 0 0 — 138
Nachtrag zu den Vorſchlägen. —14
. Allerband + + . . . 0 . . . . + . — 147
Nachtrag zu Alerband -. » »o 2 2 20.2. —189
Fragmente.
Lorenz Eſchenheimers empfindſame Reiſe nach Laputa — 199
. Beiträge zur Geſchichte des... —203
Parakletor oder Troſtgründe für die Unglücklichen,
bie keine Originalgenies ind..... -— 207
Über den deutſchen Roman. > ed
Die Bittfchrift deB Wahnfinnigen . - -. » ». . —- 2
. Das Baftmahl der Ioumalifin . . . » .. — 32
Über die Macht der Liebe > > 2 2 2 0000 294
I.
Bermifchte Schriften.
— — —
Zweiter Theil.
.
u)
*
‚re
“
..
.
.s
»
m...
10.
Aſthetiſche Bemerkungen.
Was kann bie Abficht des geiftlichen Heldengebichts fein?
Erbauung,. Belehrung und Vergnügen. Der Unterfchieb zwifchen
Erbauung und Belehrung liegt, dünkt mid, barin, baß jene
in dem Vergnügen beftehbt, das ich empfinde, wenn ich mein
Thun mit ben Vorfohriften der Religion, von beren Nuken ich
überzeugt werde, übereinflimmend, ober mich durch biefe Über
zeugung in meinen Entfchlüffen geflärkt ſehe. Belehrt binge-
gen werde ih, wenn ich Dinge höre, bie ich vorher entiweder
gar nicht, oder falfh gewußt habe. Einige nennen auch jede
geiftliche Belehrung Erbauung. Wird das Wort Erbauung im
erfien Sinne genommen, fo kann das geiſtliche Heldengedicht
"nügen. Es kann mir die Vorfihriften ber Religion lebhafter
vorfielen und tiefer einprägen; eine erdichtete Folge von ihrer
Übertretung kann mich erinnern, daß in meinem Haufe, in meiz
nem Birkel von Freunden fi) fo etwas zutragen Fünne, und
fann meinem Entſchluß mehr Kraft geben. ben fo kann es
mich belehren, und alfo auch ergögen; aber Feine chriftliche Göt-
terbiftorie muß hineinkommen. Unfere allerheiligfte Religion ift
ein Gegenftand, den man immer vorzeigen foll, wie er ift; man
1*
4 .
fol nits mit ihm unternehmen, wovon ber Ausgang zweifel-
baft ift, und ein weifer Mann nicht einmal etwas, von dem
er gute Folgen erwartet, benn er könnte fi) irren. Diefer Theil
erbaut nicht, belehrt nicht, und kann auch nicht ergögen, wohl-
verftanden, in fo fern nicht ergögen, als e8 Hiftorie aus unferer
Religion ift, als Erdichtung freilich allein betrachtet.
So wie wir eine Meffiade und ein verlornes Parabies
haben, wo alles Göttliche menfhlich zugeht, fo könnte ein Bauer
eine Henriabe fchreiben, wo Alles wie in feinem Dorfe, nur ideas
liſirt, vorginge.
Einen Roman zu fchreiben ift deßwegen vorzüglich angenehm,
meil man zu allen Meinungen, bie man gern einmal in bie
Welt laufen laffen will, allemal einen Mann finden ann, ber
fie als die feinigen vorträgt.
Ein Ihema zu einem poetifhen Briefe ift in folgenden
Worten ber Argenis) &. 293 enthalten: Reges sumus suppli—
eibus; rursusque rex nobis, in cujus est manu quod pelimus.
Wieland erzählt fo viel Gutes vom Agathon und feheint
) So beißt befanntfich der berühmte politifche Roman von
Johann Barklay, der zu Ende bes fechszehnten und zu An-
fange des fiebzehnten Jahrhunderts lebte.
5
alle feine feinen Beobachtungen des Menfchen zu erfchöpfen, uns
biefen Menfchen fonderbar und groß vorzuftellen; er fpricht aber
felbft fo wenig, baß uns alles biefes nur Teſtimonia zu fein
feinen, und als ſolche wirfen. Ich kann es unmöglich glau⸗
ben, daß ein fo fehwärmerifcher delphiſcher Jefuitenfchüler Athen
nur eine Stunde beberrfhen kann; ja es wirb mir bange, wenn
ich höre, daß er ſich dazu entfchließt. Leute, wie Agathon in
Delphi, entfchließen fich felten oder niemals Beherrfcher zu wer:
ben, und taugen auch nicht dazu. Ich bin durch das ganze
Stüd dem Agathon nicht recht gut gewefen; ich möchte faft fagen,
ih mißgönne e8 dem belphifchen Sefuitenfchüler, daß fih ein fo
großer Mann wie Wieland für ihn intereffirt, und jede feiner
Altagdempfindungen durch fo feine Theorien zu adeln fucht.
Das Gute ift bewegen fo fihwer in allen Wifjenfchaften
und Künften zu erreichen, weil ein: gewiffer feitgefegter Punkt
erreicht werben fol. Etwas nad) einer vorgefegten Regel fchlecht
zu maden, wäre eben fo fehwer, wenn e8 anders alsdann nod)
den Namen des Schlechten verdiente.
Man glaube nicht, daß eine Bemerkung für ein Schaufpiel .
zu fein oder zu tief fei. Was der Kenner in ber Natur zu fin-
den im Stande ift, entdedt er auch bier wieder. Bielleicht wäre
es nicht gut, einen gar zu fubtilen Sag zum Hauptgegenſtand
bes Stücks zu machen; aber ben Hauptfak zu ſtützen, ift alles
Wahre gut; und ift es fehr tief, fo dient e8 dem Stüd noch zu
6
einer Stütze und, wenn ich fo reden darf, zu einem Nothpfen«
nig, wenn bie wisigen Einfälle und bie Situationen Tängft nicht
mehr haften wollen.
Es ift ein Fehler, den der bloß wisige Schriftfteller mit
bem ganz fihlechten gemein hat, daß er gemeiniglich feinen Ge
genftand eigentlich nicht erleuchtet, fondern ihn nur dazu braucht,
fich felbft zu zeigen. Man lernt den Schriftfteller Eennen und
fonft nichts. So ſchwer e8 auch zuweilen eingehen follte, eine
wihige Periode wegzulaffen, fo muß es duch gefhehen, wenn fe
nicht nothwendig aus ber Sache fließt. Diefe Kreuzigung ges
möhnt allmälig den Witz an bie Bügel, bie ihm bie Bernunft
anlegen muß, wenn fie beide mit Ehren austommen follen.
Schlechte Schriftfteller find hauptfächlich diejenigen, die ihre
einfältigen Gedanken mit Worten der guten zu fagen traten;
könnten fie, mas fie denken, mit angemefjcenen Worten fügen,
fo würden fie allezeit zum Beten des Ganzen etwas beitragen
und für den Beobachter mertwürbig fein.
Die Entfehuldigungen, die man bei ſich felbft madıt, wenn
man etwas unternehmen will, find ein vortrefflicher Stoff zu Mos
nologen; benn fie werden felten anber8 gemacht, ald wenn man
allein ift, und fehr oft laut.
Der Beim ift etwas, das mehr ben nörblichen Ländern
7
eigen ift, fo wie das Sylbenmaaß mehr in ben füblichern ver:
ehret wurde. Bei diefen ift Alles Muſik, ba bei jenen nur zu⸗
weilen, aber befto ftärker die Kunft und die Harmonie ſichtbar
wird, Ich zweifle nicht, daß bie Griehen und Römer nicht bis:
weilen auf Reime verfallen fein follten, e8 war aber biefes Künft:
liche ihnen allzufühlbar und daher verhaßt, fo wie uns bie Heime
fhmetterte und kletterte; bahingegen ihr zarteres Ohr
fhon eher Füße zählen Fonnte, als das unfrige, das fi) daher
ein fühlbares Sylbenmaaß, den Reim, erfand. Die alten deut:
fhen Verſe haben oft nur Reime und faft gar fein Metrum.
Es ift eine richtige Beobadhtung, wenn man fagt, baß
Leute, bie zu viel nachahmen, ihre eigene Erfindungskraft ſchwä⸗
hen. Diefes ift bie Urfache bes Verfalls der italienifchen Bau⸗
kunſt. Wer nahahmt und die Gründe ber Nachahmung nicht
einfiebt, fehlt gemeiniglich, fobald ihn die Hand verläßt, bie
ihn führte, .
In Werfen bes Gefhmads ift es fehr fchwer, weiter zu
kommen, wenn man fchon einigermaßen weit ift, weil hierin
ein gewiffer Grab von Vollkommenheit leicht unfer Vergnügen
werben kann, fo daß wir nur diefen Grad, ber unfern ganzen
Geſchmack ausfüllt, zum Endzweck unferer Bemühungen maden.
In andern Stüden, bie nit bloß auf das Vergnügen gehen,
verhält e8 fich ganz anders. Daher haben wir es in ben leßtern
ben Alten weit zuvorgethan; in den eriiern ober ab wait u
8
tief unter ihnen, ohnerachtet wir fogar Mufter von ihnen vor
uns haben. Dieſes kommt baber, weil das Gefühl des neuern
Künftlers nicht fharf genug iſt; es geht nur bis auf bie körper⸗
lihen Schönheiten feines Mufters, nicht auf die moralifhen, wenn
ih fo fagen darf. Man Bann das Gefiht eines reblichen Men:
fhen fehen, man kann e8 aber auch gewiffermaßen fühlen. Das
“ Lebtere ift das Erftere, verbunden mit einer Rüdficht auf bad Mo⸗
ralifhgute, womit wir in ihm oft bie Miene begleitet fahen.
Was ich hier fagen will, wirb wohl jeber verftehen, für den ich
eigentlich ſchreibe. So lange ber Künftler nur bloß nad ben
Augen zeichnet, wirb er nie einen Laokoon herausbringen, ber
etwas mebr als Zeichnung bat, der mit Gefühl verfertigt ift.
Diefes Gefühl ift dem Künftler unumgänglich nöthig; aber wo
fol er e8 fernen und wie? Unfere Afthetiten find bei weiten
noch nicht praßtifch genug.
NRouffeau nennt mit Recht ben Accent bie Seele ber Rebe
(Emile T. I. p. 96). Leute werben von uns oft für bumm an:
gefehen, und wenn wir e8 unterfuchen, fo ift e8 bloß ber ein⸗
fache Ton in ihren Reben, ber ihnen biefes Anfehen vor Dumm»
beit gibt. Weil nun ber Accent bei den Schriften wegfällt, fo
muß der 2efer darauf geführt werben, dadurch, daß man deut⸗
licher durch die Wendung anzeigt, two ber Ton hingehört, und
biefes ift e8, was bie Rede im gemeinen Leben vom Brief uns»
terfcheidet, und was auch eine bloß gebrudte Rebe von berjenis
gen unterfcheiden follte, bie man wirklich hält.
9
Die Bersart den Gedanken anzumefien, ift eine fehr fchwere
Kunft, und eine Bernadläffigung derfelben ift ein wichtiger Theil
des Lächerlihen. Sie verhalten fi) beide zufammen wie im ge
meinen Leben Lebensart und Amt.
Sn ben Werken unferer Kunft werben befländig Dinge ver
ſchwendet; Alles muß bei uns ftärfer gemadt werben, als es
ber Gebrauch erfordert, weil wir nicht alle Umftände überfehen
fünnen. Bei unfern Kleidern, Schränken, Stühlen, Häufern
müffen wir allegeit in die wahre Gleichung der Dinge noch eine
unbeflimmte Größe hinzufeßen, die wir nad) Gefallen verändern
fünnen. Wenn ab hinreichend wäre, etwas zu erreidhen, ohne
daß man das Geringfte davon nehmen Fönnte, fo müffen wir
dafür ab-x nehmen, da die Natur allemal ab+d fegt, und
auf einmal Alles beftimmt. Dur die Veränderung dieſes d
madt die Natur Varietäten, und befördert bie gänzliche Verän⸗
derung, wenn es negativ wird.
Den Männern haben mir fo viel feltfame Erfindungen in
ber Dihtfunft zu danken, bie alle ihren Grund in dem Erzeu⸗
gungstrieb haben, 3.3. die Ideale von Mädchen. Es ift Schade,
daß die feurigen Mädchen nicht von ben fchönen Jünglingen
fihreiben dürfen, wie fie wohl könnten, wenn e8 erlaubt wäre,
So ift die männliche Schönheit noch nicht von denjenigen Hän⸗
ben gezeichnet, die fie allein recht mit Feuer zeichnen könnten.
Es ift wahrfcheinlih, daß das Geiftige, was ein paar bezauberte
— —
10
Yugen in einem Körper erbliden, ber fie bezaubert hat, fich
ganz auf eine andere Art dem Mäbchen im männlidhen Körper
zeigt, als es fih dem Sünglinge im weiblichen entbedt.
Gerade das Gegentheil thun, ift auch eine Nahahmung,
und die Definition ber Nachahmung müßte von Rechtswegen
Beibes unter fi begreifen. Diefes follten unfere großen nach⸗
ahmenden Driginalföpfe in Deutfchland beberzigen.
„Unfere Profe, fagt man, ginge fo: ftolz, und unfere Poefte
fo demüthig einher « — ift denn das etwas fo gar Abſcheuliches?
Die Profe ift Tange genug zu Fuße gegangen (pedestris oratio),
und mich dünkt es wäre nun einmak Zeit -für die Poefle, abzu⸗
fteigen, um bie Profe reiten zu laffen.
Was für ein Werk ließe fich nicht über Shafefpear, Hogarth
und Garrif fchreiben! Es ift etwas hnliches in. ihrem Genie:
anfchauende Kenntniß des Menfchen in allen Ständen, Andern
buch Worte, den Grabftichel und Geberden verftändlich ge=
macht.
Beim Robinſon Cruſoe iſt die Deutung der bibliſchen Stellen
bei jeder Gelegenheit auf ſich ſehr ſchön und natürlich. Es iſt
dieſes allezeit das Zeichen eines guten und bedrängten Herzens
und für den Kenner ſehr rührend.
11
Der Iheatermenfch, ber Romanenmenfh, bas find Tauter
eonventionelle Gefchöpfe, die ihren Werth haben, sicut nummi:
und fi) ohne Rüdfiht auf den natürliden Menfchen idealifiren
laſſen. Allein der Zufchauer ift felten fo verborben, daß er nicht
den natürlihen Menfchen mit Vergnügen erkennen follte, fobald
er auf die Bühne tritt.
Die erfte Hegel bei Romanen fowohl als Schaufpielen ift,
daß man die verfehiedenen Charaktere gleihfam wie die Steine
im Schadfpiel betrachtet, und fein Spiel nicht durch Beränbes
rung der Gefege zu gewinnen ſucht, nad) welchen ſich dieſe
Steine richten müffen; alfo nicht den Springer wie einen Bauern
zieht und dergleihen; 2) muß man biefe Charaftere genau bes
fiimmen, und fie nicht außer Activität fegen, um feinen Ends
zweck zu erreihen, fondern nur durch die Wirkfamfeit berfelben
gewinnen wollen. Das nicht thun, beißt Wunder thun wollen,
die immer unnatürlich find.
Wenn man bie Gefchlechter nicht an den Kleidungen erfens
nen Zönnte, ja überhaupt die VBerfchiedenheit des Gefchlechts er-
rathen müßte, fo würde eine neue Welt von Liebe entftehen.
Diefes verdiente in einem Roman mit Weiöheit und Kenntniß
ber Welt behandelt zu werden.
Es gibt, wie ich oft bemerft babe, ein untrügliches Zeichen,
od der Mann, ber eine rührende Stelle ſchrieb, wirklich dabei
12
gefühlt hat, ober ob er aus einer genauen Kenntniß des menſch⸗
lihen Herzens bloß durch Berftand und fehlaue- Wahl rührender
Züge uns Thränen abgelodt hat. Im erftien Kal wird er nie,
nachdem die Stelle vorüber ift, feinen Sieg plötzlich aufgeben.
So wie bei ihm ſich bie Leidenfchaft fühlt, kühlt fie fi) auch
bei uns, und er bringt uns ab, ohne daß wir es wiffen. Hin⸗
gegen im legtern Fall nimmt er fih felten die Mühe, ſich feines
Sieges zu bedienen, fondern wirft ben Lefer oft, mehr zur Bes
mwunberung feiner Kunft, als feines Herzens, in eine andere Art
von Berfaffung hinein, bie ihn felbft nichts koſtet, als Witz,
ben Lefer aber faft um Alles bringt, was er vorher gewonnen
hatte. Mich bünft, von ber Iektern Art ift Sterne. Die
Ausdrüde, womit er Beifall vor einem andern Richterſtuhl er-
balten will, vertragen fich fehr oft nicht mit dem Sieg, den er
fo eben vor dem einen erhalten hatte.
Sterne und Fielding.
Sterne ſteht nicht auf einer fehr hohen Staffel, nit auf ,
dem ebelften Wege. Fielding fteht nicht ganz fo hoch, auf
einem weit edlern Wege. Es ift der Weg, ben derjenige betres
ten wird, der einmal ber größte Schrififteller der Welt wird,
und fein Fündling ift gewiß eines ber beften Werke, bie je
gefchrieben worden find. Hätte er uns ein Plein wenig mehr
für feine Sophie einzunehmen gewußt, und wäre er da, wo wir
nur ihn bören, oft kürzer gewefen, fo wäre vielleicht gar kein
Werft darüber.
\ 13
. ’
Eine glüdliche Situation in einem Stüd ausgefunden, macht
die übrige Arbeit leicht; die, die eine Sade bloß mit Einfällen
verfhönern wollen, haben eine Höllenarbeit.
Die Dichter find vielleicht eben nie bie weifelten unter ben
Menfchen geweſen; allein es ift mehr al8 wahrfcheinlidh, daß fie
und da8 Beſte ihres Umgangs und ihrer Gefellfchaft Liefern.
Da Horaz uns fo viel Vortreffliches binterlaffen bat, fo denke
>» ih immer, wie viel Bortrefflide® mag nicht in den Gefellfihaf-
ten gefprochen worden fein; benn fchwerlich haben bie Wahrhei⸗
ten den Dichtern mehr als das Kleid zu banken. Das fehöne
Rectiu; vives, Licini, etc. ift das Medio tutissimus ibis der
Geſellſchaft.
Man muß fi ja vorſehen, wenn man von einem geſetzten,
rechtfchaffenen Manne etwas Empfindfames erzählt, daß es nicht
mit vielen Worten geſchieht; man muß es ſo in der Erzählung
unterdrücken, wie es der Mann in Gegenwart Anderer thun
würde. Es iſt nun einmal in der Welt fo, daß die äußere Be:
jeugung eines innern Gefühls durch Geberden und Mienen, die
uns nicht Poften und daher auch oft nachgemacht werden, felten
für anftändig und immer für unmännlich gehalten werden. Nun
verfallen aber unfere dramatifchen Dichter und Romanenfchreiber
gerade in dad Gegentheil. Nichts ale Empfindungsbezeugungen
erzählen fie uns. Debwegen baffen wir bie Gefellfehaft ihrer
Helden, wie die von Schulknaben.
14
3% glaube, ber ſchlechteſte Gedanke kann fo gefggt wer-
ben, daß er bie Wirkung bes beften thut, follte auch" das letzte
Mittel diefes fein, ihn einem ſchlechten Kerl in einem Roman
ober einer Komödie in ben Mund zu legen.
Man muß feinem Werd, bauptfählid Feiner Schrift bie
Mühe anfehen, die fie gefoftet hat. Ein Scriftfieller, ber noch
von ber Nachwelt gelefen fein will, muß es fich nicht verdrießen
laſſen, Winfe zu ganzen Bühern, Gedanken zu Disputationen
in irgend einen Winfel eines Kapitel hbinzumwerfen, daß man
glauben muß, er habe fie zu Taufenden wegzuwerfen.
Es gibt eine Art von Ironie, bie wohl einmal. eines Ver⸗
fuhs wert) wäre. Man müßte nämlich die Zweifel, die man
gegen eine Sache bat, mit einem gewiffen ftarfen Anfchein von
Güte des Herzens und von der Nichtigkeit ber Meinung, bie
man beftreitet, vortragen. Ich will mich Durch ein Beifpiel beut«
licher erklären. Es könnte einer über die Genugthuung an Hrn
2... ober fonft jemand fo fchreiben: Ich babe unmaßgeblich
gedacht, da der liebe Gott nichts an den Pflanzen und Thieren
zu ändern gefunden, fondern fie fo gelaffen hat, wie fie anfüng»
lich waren, fo wäre ed, meiner einfältigen Einficht nach, doch
ganz fonderbar, daß er an dem Menfchen, den er body nad
feinem Bilde gemacht bat, fchon nach Verlauf von ein paar
tauſend Jahren cine Reparation nöthig gefunden haben follte,
und noch dazu von ber Art, baß er etwas thun mußte, was
15
die Nachwelt faum glauben kann, nämlich feinen Sohn von
Himmel berabfhiden. Wollen Em. Wohlgeboren gütigft bemer⸗
ten, daß die große Abweichung bes Menfchen von feinem erftern
volltommenern Zuſtande eine Folge ber in ihn gelegten Freiheit
war, daß ihn aber fein Hang zur Veränderlichkeit endlich von
jelbft wieder zurggegebracht haben würde? u.f. mw.
Was hilft das Lefen der Alten, fobald ein Menfch einmal
den Stand ber Unſchuld verloren bat, und wo er hinfieht, überall
fein Syftem micder findet? Daher urtheilt der mittelmäßige
Kopf, es fei leicht, wie Horaz zu ſchreiben, weil er es für leicht
hält, befier zu fehreiben, und weil dieſes beffer zum Unglüd
ſchlechter ift. Se älter man wird (vorausgefegt, daß man mit
dem Alter weifer werbe), defto mehr verliert man die Hoffnung,
beſſer zu fihreiben, als die Alten. Am Ende fieht man, daß
das Eichmaaß alles Schönen und Richtigen die Natur ift, daß
wir dieſes Maaß alle in uns tragen, aber nur fo überroftet von
Vorurtheilen, von Wörtern, wozu die Begriffe fehlen, und von
falfchen Begriffen, baß fi} nichts mehr damit mefjen läßt.
Bielleiht wird bald eine Zeit fommen, wo wir fehen wer:
den, daß wir in mandhen Stüden über den Alten find, in denen
wir uns jegt unter benfelben glauben. In der Bildhauerkunft
und Malerei ift diefes nur allzu klar. Winkelmann war ein
Enthufiaft, ein Mann, der für die Alten eingenommen wär,
und fih felig pries, als er ben claffifchen Boden betrat; ber
16
feinen Gefhmad nah den Muftern bildete, die er richten follte.
Bacon's Venus in der Exhibition in Pal-Mall könnte allemal,
glaube ih, neben ber mebiceifchen ftehen. Es gehört fchon viel
bazu, nad fo vielem Lärm, ſich in diefer Kunft hervorzuthun,
ohne ben Entfhluß, nah Rom zu geben, fi) dem vaticanifchen
Apoll zu Füßen zu werfen. Ale reifen hin, „J der Abficht ihn
anzubeten, aber Peiner, feine Gottheit zu unterfuchen.
Es gibt einem Ausdruck eine große Stärke, wenn ein Wort
eine Beziehung auf mehrere folgende bat, bie an ſich nicht
ſchlechtweg unter eine Claſſe gehören. Go fügt 3. B. der Ber:
faffer eines Briefed gegen die (amerikaniſchen) Colonieen: Their
distance from Britain, and, as ihey conceived, from cha-
stisement, not a little forwarded this disposilion etc. Dieſes
dient nur, meinen Gedanken zu erläutern. Solde Berbindun«
‚ gen von Worten fommen im Gefpräd) felten vor, weil man ba
nicht Zeit bat fie anzupaffen, und find deßwegen für gefchries
bene Profe vornehmlich ſchicklich, als ein Unterfheidungszeichen.
Denn, ganz abgezogen von Sachen und Inhalt, hat die Profe
ihre eigenen mannichfaltigen Verbindungen, bie oft nicht leicht
find und Schwierigfeiten haben, wie ber Reim und das Sylben⸗
maaß in ber Poefie. Man findet fie häufig in guten Schrift
fielen. Junius bat fie fehr oft. In dem Gefpräh kommen
fie zumweilen vor, fo wie die halben Alerandriner ober bie Reime
in ungebundener Rede. Aber von der münblichen Rebe ift bie
gejchriebene Profe, die eigentlich fo genannte Profe, ganz vers
17
ſchieden, und in fo fern hatte der bourgeois gentilhomme im
Moliere reht, wenn er ſich mwunberte, baß er beftändig Profe
gefproden. — Man wird bei allen Menfchen von Geift eine
Neigung finden, ſich kurz auszubrüden, gefhwind zu fagen,
was gefagt werben fol. Die Sprachen geben baber keine ſchwa⸗
chen Kennzeiheiepon dem Geift einer Nation ab. Wie fchwer
ift es nicht einem Deutfchen,. den Tacitus zu überfeen! Die
Engländer find. fhon coneifer, als wir; ich meine ihre guten
Schriftſteller. Sie haben einen großen Vorzug darin vor uns,
daß fie befondere Wörter für bie Species haben, wo wir oft
das genus mit einer Limitation gebraudhen, weldes Weitläufe
tigkeit macht. Es könnte nicht ſchaden, wenn man in jeber
Periode die Worte zählte, und fie jedesmal mit ben wenigften
auszubrüden fuchte. |
Um wisig zu fohreiben, muß man fi mit ben eigentlichen
Kunftausprüden aller Stände gut befannt machen. Ein Haupt:
wer? in jedem, nur flüchtig gelefen, ift hinlänglid; denn was
ernfthaft feicht ift, kann wigig tief fein.
Ein Unterfchied zwifchen unfern Dichtern und benjenigen
alten, die ich kenne, und einigen Engländern, ber einem gleich
in die Augen fällt, ift ber, daß biefe felbft in ihren Oben Dinge
gefagt haben, die nachher bie Philofophen brauchen fünnen; bas
gegen felbft diejenigen unter uns, bie großes Auffehen unter
der Jugend und einigen bejahrten Bornehmen gemacht haben,
II. 2
18
nichts zu Stande bringen, das weiter zu gebrauchen wäre. Die
Sprache ber alten Dichter ift die Sprache der Natur, ſchon in
‚ eine menfchlihe überſetzt; unfere neuern fprechen bie Sprache
der Dichter unabhängig yon. Empfindung, das heißt, eine ver
rüdte; was fie fagen, bat fcheinbaren Zufammenhang, und ift
oft zufälliger Weife richtig. Die Urfache ift, bilden fich nicht
durch Beobachtung, fondern durch Leſen, und man kann ja
nicht verſtehen, wovon man keinen Begriff bat. Sie glauben,
die gerühmten Alten wären das, wofür fie fie anfehen, und
ahmen fie als folhe nad. Horaz hat gewiß nicht für Leute ges
fhrieben, bie von einer Stabtfchule auf Univerfitäten gehen;
nicht einmal für die Lehrer folcher Zeutez er konnte nicht für
fie fchreiben, nachdem er an dem erften Hofe der Welt gelebt
hatte. Jedermann ſchreibt am leichteften für die Claſſe von
Menſchen, unter die er gehört, wobei ich nicht die meine, unter
die er in der Welt laut gerechnet wird. Wenn wir das hätten,
was Horaz als Primaner gefchrieben hat, das möchte vielleicht
einem Primaner ganz verſtäudlich fein, wenigftens einem römi⸗
fhen. Ich fage nicht, daB ein Dichter Tauter Schönheiten haben
fol, die nur dem Weltkenner verftändlich find. Nein, ſie follen
auch bierin ber Natur folgen, die für das bewaffnete und un:
bewaffnete Auge, ja felbft für den Blinden ihre Schönheiten bat.
Viele, die biefes Tefen, werben ſich oft heimlich gefagt has
ben, daß ihnen die Alten nicht fo fchmeden, als manche Neuere.
IH muß bekennen, es ift mir felbft fo gegangen; ich habe manche
bewundert, ehe fie mir gefallen haben; hingegen haben mir auch
19
manche gefallen, ehe ich fie verftanden babe. Und ich bin über
zeugt, es geht manchen Perfonen fo, die Commentarien über
diefe Werke fchreiben. Ich babe den Horaz lange vorher bewun⸗
dert, ehe er mir gefallen bat; ich mußte es thun, fo wie man
in Wien niederfallen muß, wenn ba8 kommt, was man bort
das Benerabile munt. Und Milton und Birgil haben mir eher
gefallen, ehe ich fie verftanden babe. Nachdem ich bekannter
mit der Welt geworben bin, nachdem ich angefangen habe, felbft
Bemerkungen über den Menfhen zu mahen — nicht niederzu:
fchreiben, fondern nur aufmerffam zu fein — und mid dann,
wenn ich diefe Schriftfteller Tad, meiner Bemerkungen wieder zu
erinnern, da fand id, daß das, was ich in jenen Dichtern als
unbrauchbares Geftein weggemworfen hatte, gerade das Erz war.
Ih verfuchte e8 nun mit andern Stellen, mit benen meine Bes
merfungen noch nicht zufammengetroffen waren; fie machten mich
im gemeinen Leben aufmerffam, und feit der Zeit (ich befenne
gern, daß e8 noch nicht lange if) wächſt meine Bewunderung
jener Männer täglih, und ich fchäge mich glücklich, daß ich
von Grund meines Herzens überzeugt bin, daß fie die Unſterb⸗
lichkeit verdienen, bie fie erhalten haben.
Wer fih in diefer Art die Alten zu lefen etwas geübt bat,
der gehe nun einmal zu ben Neuern über. Gr wird nit allein
feine Beſchäftigung finden, fondern wird oft einen geheimen
Unwillen verfpüren, wenn gr fiebt, was für einen Ruhm biefe
Leute erhalten haben, und baß e8 einem für Unverftand ausge⸗
legt werden würde, wenn man es Öffentlich bekennen wollte.
2*
20
Allein ich denke, laßt fie geben; fie gehen gewiß nicht durch das
feine Sieb, womit die Zeit unfere Werke der Ewigkeit zufichten
wird. Kein Buch kann auf die Nachwelt gehen, das nicht die
Unterfuchung bes vernünftigen und erfahrnen Weltkenners aus—⸗
hält. Selbit bie Zarce, bie Schnurre muß Ergösgung für biefen
Mann enthalten, und fie kann es, wenn fie zur Ewigkeit gehen
fol. Gefchieht es zumeilen, daß ſolche Dinger ohne innern
Werth doch fortbauern, fo ift e8 mehr den meffingenen Krams
pen zuzufchreiben. Der Beifall der Primaner und der Beitungs:
fihreiber ift, fo wie ihr Tadel, in Abficht des Ruhms eines
Werks, was ein Tropfen im Weltmeer ift. Ihren gerechten
Tadel wirb ber Feld ber Vergeſſenheit, ber fchon hängt, um
fi) über alles Elende zu wälzen, mit dem Werke zugleich be-
beden; und mit ihrem ungerechten können fie fo wenig eis
nem Werk den Weg zur Unfterblichfeit verfperren, als bie eins
tretende Fluth mit einem Kartenblatt zurüdfächeln. Dem Ber
faffer können fie allerdings fchaden ; den Leib können fie töbten,
aber die Seele nicht. In den taufend und einer Radıt ift mehr
gejunde Vernunft, als viele von den Leuten glauben, die Aras
biſch lernen, fonft hätten wir vermuthlich fchon Überfegungen
von ben übrigen Bänpen.*).
) Bekanntlich ift feitdem wirklich eine Fortfegung diefer une
terhaltenden Erzählungen ſowohl franzöfifch als deutſch erfchie:
nen. Das arabifhe Original brachte ein eingeborner Araber,
Don Chavis (Charis) in die ehemals Fönigliche Bibliothet nach
21
Ich glaube, daß fi) Zeberreime fchreiben laffen, die, ohne
ben Regeln biefer erhabenen Dichtungsart im geringften zu nahe
zu treten, dem Weiſen felbft fo viel Vergnügen machen könnten,
als eine Stelle aus bem Homer. Das Präbicat: Poffen fommt
einem Wer? des menfchlichen Witzes vorzugsweiſe zu, allein ein
armer Tropf fchreibt Poffen in allen Claſſen ber Wifjenfchaften.
Ein guter Ausdrud ift fo viel werth, als ein guter Gedanke,
weil es faft unmöglich ift, fi) gut auszuprüden, ohne das Aus-
gebrüdte von einer guten Seite zu zeigen.
Unfere neuen Kritifer preifen uns im Stil die edle und un⸗
gekünftelte Einfalt an, ohne uns dur ihr Beifpiel auf biefe
edle Einfalt zu führen. Alles, was fie zu fagen wiffen, ift, baß
fie uns.auf die Alten verweifen — in ber That eine Art zu ver:
fahren, bie nichts anders al8 gefährlich fein kann. Nicht jeber,
der edeleinfältig fehreiben ſoll, kann die Alten lefen — Bas wäre
fürwahr zu viel verlangt; von dem aber, ber eine folche Forde⸗
rung thut, kann man mit Recht mehr verlangen. Er muß fi
erklären. Der meifte ‘Theil der Menfchen, deren Stil als nicht
Paris und überſetzte e8 wörtlich ins Franzöfifche. Diefe Über:
fegung bildete Cazotte um, und gab fie zu Genf in vier
Bünden (unter dem Titel: Suite des mille et une Nuits etc.
1788. 1789) heraus; und nach diefer wurde die deutſche über—
fegung in ber Blauen Bibliothek gemadt, von ber fie
den fünften bis achten Band einnimmt.
22
fimpel genug getabelt worden ift, hat, wenn er fchrieb, immer
eine gewiſſe Spannung bei fi) ver'pürt, eine gewifje Aufmerk:
ſamkeit, nichts zubringen zu lafien, was fchleht wäre; nım
wollen fie ganz edel und fihlechtweg ſchreiben, laſſen von biefer
&pannung nah, und nun dringt alles Gemeine zu. Simpel
und edelfimpel zu fchreiben, erfordert vielleicht bie größte Span«
nung ber Kräfte, weil, bei einem allgemeinen Beftreben unferer
Seelenträfte, gefallen zu wollen, fi nichts fo leicht einfchleicht,
ale das Geſuchte. Es wird außerdem eine ganz eigene Art dazu
erfordert, bie Dinge in ber Welt zu betrachten, bie eher das
Werk eines nicht fehr belefenen ſchönen Geiftes, als eines Stu⸗
diums bes Altertbums if. Wenigftens glaube ich, fol man bie
Simplicität nie aus anderen Schriften zuerft kennen lernen wol⸗
In. Wer fo viel Latein verfteht, bag er ben Horaz ohne An⸗
ftand Iefen Fann, und nicht bloß an einigen Sentenzen beffelben
Bergnügen findet, fondern fpürt, daß, troß einer oft überrafchen«
den Schönheit, dennoch fein Gefühl immer mit dem Horazifchen
gleich gebt, der kann bernach ben Horaz zu feinem Unterricht
lefen, und wird das, was in ibm Schönes liegt, alddann noch
mehr entwideln. Wer aber gehört hat, Horaz fei ſchön, Tieft
ihn, ohne ihn wirklich feiner Empfindung barmonifch zu finden,
merft fi einige Züge und ahmt ihn nach; der muß entmweber
ein fehr feiner Betrüger fein, ober es wird allemal unglücklich
ausfallen. Ein folder Echriftfteller wird allemal glauben, er
habe ibn übertroffen, fo oft er eine Zeile niederfchreibt, und dieß
zwar befmwegen, weil er die Schönheiten des Horaz als abfolut
u 23
für fich beſtehend anfieht, und nicht bedenkt, daß fie in einem
gewiffen Verhältniß mit ber menfchlichen Natur ftehen, das er
nicht Pennt, alfo nicht weiß, wo ber Punkt ift, unter welchem
feine Schönheit, und über welchem Feine Simplicität mehr flatt:
findet. -
Nicht Jedermann ift ed gegeben, fo zu fehreiben, wie e8 dem
Menfhen in abstracto zu allen Zeiten und in allen Weltaltern
gefallen muß. In einer Berfaffung der Welt, wie die jekige,
gehört viel Kraft dazu, um immer im Wefentlichen zu wachfen,
und fehr viel Ballaft, um nicht, wenn Alles ſchwankt, auch mit
zu ſchwanken. Auf diefe Art natürlich zu ſchreiben, erforbert
unftreitig bie meiſte Kunft, jeko da wir meiftens.tünftlihe Men»
hen find. Wir müffen, fo zu reben, dad Coſtume des natürs
lihen Menfchen erft fiudiren, wenn wir natürlich fehreiben wol«
len. Philoſophie, Beobachtung feiner felbft, und zwar genauere
Maturlehre des Herzens und der Seele überhaupt, allein, und
in allen ihren Verbindungen, biefe muß berjenige flubdiren, der
für alle Zeiten fchreiben will. Das ift der feite Punkt, wo fich
gewiß bie Menfchen einmal wieder begegnen, es gefchehe auch
wenn e8 wolle. Iſt ein folder Gefhmad der herrfchenbe, fo ift
der Werth des menfchlihen Gefchlehts, mit ben Mathematikern
zu reden, ein Größtes, und Fein Gott kann es höher bringen.
Wer nur für etliche Jahre, nur für eine Meffe, oder nur für eine
Woche fchreibt, fommt mit Wenigerm aus. Er barf nut neuere
Schriftfteller Iefen, die Gefellfchaften feiner Beit befuchen, fo
24
gibt fih, wofern er nur ein Menfh ift, wie man ihn in bie
Haushaltung braucht, das Übrige von ſelbſt. Der Gebanke, daß
es fo außerordentlich leicht ift, Schlecht zu fehreiben, bat mid)
daher oft befchäftig. Ich meine nicht, baß es leicht fei, etwas
Schlechtes zu fchreiben, das man felbft für fehlecht hielt, nein!
fondern, daß es fo leicht ift, etwas Schlechtes zu fchreiben, das
man für fehr fchön hält. Hierin liegt das Demüthigende. Ich
zeichne eine gerade Linie, und die ganze Welt fügt: „das ift
eine frumme» — ich zeichne noch eine, diefe wird gewiß gerade
fein, vente ih; und man fagt gar: „o! biefe ift noch Erummer.«“
Was ift da zu thun? Das. Befte ift, Feine gerade Linie mehr
gezeichnet, und dafür anderer Leute gerade Linien betrachtet, oder
felbft nachgedacht. |
Es ift ein großer Rednerkunſtgriff, die Leute zumeilen bloß
zu überreden, wo man fie überzeugen könnte; fie halten ſich
alsdann oft da für überzeugt, wo man fie bloß überreben kann.
Mir ift nichts abgefhmadter in unfern Schaufpielen, als
die wohlgeſetzten Neben, die auf ben Knieen gehalten werden.
Man wird nach und nach auch fo fehr daran gewöhnt, daß es
nicht viel größern Eindrud macht, Jemanden auf den Knieen
zu frhen, al8 wenn er die Arme kreuzt. Wenn mich mein eiges
nes Gefühl nicht betrügt, fo kniet man nicht leicht vor einem
Menjchen, und nicht eher als bis die Sprache zu falen anfängt.
Wer mit feinem Knieen fo fertig ift, und feine Betheurungen fo
25
regelmäßig herſagt, der iſt ohne Zweifel ein Betrüger. Ich for⸗
dere die Herzen aller derjenigen auf, die irgend einmal in der
Welt einen Menſchen vor einem Menſchen aus Affect haben knieen
ſehen, oder ſelbſt einmal gekniet haben; und frage, ob es billig
iſt, mit dieſem größten und ehrwürdigſten Zeichen des innerſten
Affects, das bie menfchlice Natur bat, jede Eleine vorübergehende
Wallung des Blutd zu bezeichnen? Sch babe ein einzigesmal
einen Mann im Ernft Enieen fehen, und als er binfiel, fo war
es mir, als entginge mir der Athem.
Eine Stodhausfeene foll- fi) vortrefflich auf dem Theater
ausnehmen. Es müßten ba die Spigbuben über Freiheit und
Ehrlichkeit mit einander bisputiren.
Sich erfi eine Abfiht zu wählen und einen Endzweck feſt⸗
zufegen, und dann Alles, auch fogar das Geringfte in der Welt
diefer Abficht unterwürfig zu machen, ift der Charakter des vers
nünftigen und großen Mannes und großen Schrififtellers. In
einem Wer? muß jede tiefinnige Bemerkung, fo gut wie jeder
Scherz dazu dienen, die Hauptabfiht ficher zu erhalten. Auch
wenn ber Zefer vergnügt werden fol, vergnüge man ihn fo, daß
die Hauptabficht dadurch erreicht wird.
Die feinfte Satire ift unftreitig die, deren Epott mit fo
weniger Bosheit und fo .vieler Überzengung verbunden ift, daß
er felbft: Diejenigen zum Lächeln nöthigt, bie er trifft. So fpradh
26
Lord Chefterfield im Oberhauſe. Dr. Maty fagt von dieſem
großen Redner: «Ele reasoned best, when he appeared not witty;
and while he gained the affections of his hearers, he turned
the laugh on his opposers, and often forced them to join in it.»
Es ift eine fehr fhöne Bemerkung von Prieftley, daß ber
bifderreichfte Stil eben fo natürlich ift, als der einfachſte, ber
nur die gemeinften Worte gebraudt; denn wenn bie Seele in
der gehörigen Lage ift, fo fommen jene Bilder ihr eben fo na
türlich vor, als diefe fimpeln Ausdrüde.
Ein guter Charakter für eine Komödie ober einen Roman
ift der, der Alles zu fein verfteht, weil er ein gutes Gewiſſen
bat, und Alles deutet und zu feinem Schaden nupt.
Gin guter Scriftfteller hat nit allein Witz nöthig, bie
Ähnlichkeiten auszufinden, wodurch er ſeinem Ausdruck Anmuth
verſchaffen kann, ſondern auch die zu vermeiden, die dem Leſer
zum gänzlichen Verderben deſſelben einfallen können. Zu oft iſt
nicht ſowohl das, was der Autor ſagt, dem Eindrud, ben er
maden will, nadıtheilig, als das, was bem Lefer, deſſen Ges
danfen minder ängftlich fortgehen, dabei einfällt, und woran er
felbft nicht gedacht bat.
Bei einem Roman follte hauptfächlicy darauf gefehen wer:
den, die Irrthümer ſowohl, als die Betrügereien aller
Stände und aller menfchlichen Alter zu zeigen. Hierbei Fönnte
fehr viel Menfchentenntniß angebracht werben.
Nichts erwedt bie Neugierde der Jugend mehr, als Frag:
mente nüglicher Kenntniffe in angenehme Gedichte eingewebt.
Thomſons Jahrszeiten find ein Meifterftüd hierin, und haben
wohl in manchem Engländer bie Liebe zur Natur erweckt.
Wer, wie Boileau, den zweiten Vers zuerft madt, und
ibm ale möglide Geſchwindigkeit und Fluß ertheilt, wird ges
funden haben, wie ſchwer es ift, dem erften foldhe Füße zu ges
ben, daß er nachkommen kann. Doch ift e8 immer beſſer, als
dem erften eine Geſchwindigkeit zu geben, womit er den zweiten
über den Haufen rennt, und beide zufammen flürzen.
Es wäre eine rührende Situation, Jemanden vorzuftellen,
ber des Nachts plöglic” blind würde, und glaubte, die Nacht
dauerte fort. Er nimmt fein Feuerzeug und fchlägt, und kann
feine Funken berausbringen, und dergl. m.
Der wahre Wit weiß ganz von ber Sache entfernte Dinge
fo zu feinem Vortheil zu nugen, baß ber Lefer denken muß, ber
Schriftſteller babe fich nicht nach der Sache, fondern bie Sache
nad ihm gerichtet.
N
An Werthern gefällt mir das Lefen feines Homers nicht.
28
Es ift fubtile Prahlerei, daß der Mann etwas Griechiſches leſen
fonnte, während anbere Leute etwas Deutfches leſen müſſen.
Daß deutſche Schriftſteller ſo oft ihre Helden mit einem Grie—
hen in ber Hand fpazieren laſſen, ift deutfche Prahlerei, Zei-
tungs » und Sournalenleferei. Literärifches Verdienſt ift in
Deutfchland leider der Maaßſtab von wahrem Werth geworden,
weil Schulfüchſe den Thron des Gefhmads ufurpiren. Anftatt
einen Helden immer in feinem Homer lejen zu laffen, wollte
ic ihn lieber in das Buch fehen laffen, aus dem Homer feldft
lernte; das wir ganz ohne Barlanten, ohne Dialekte vor uns
haben. Es ift von bdiefen tiefen Kennern des Geſchmacks gar
nicht ſchön, baß fie eine Kopie ſtuditen, während‘ fe das Origi⸗
nal vor ſich haben.
Es iſt mit den Sinngedichten, wie mit den Erfindungen
überhaupt: die beſten ſind ebenfalls diejenigen, wobei man ſich
ärgert, den Gedanken nicht ſelbſt gehabt zu haben. Das iſt es
wohl, was die Leute meinen, wenn ſie ſagen, der Gedanke müſſe
natürlich ſein.
Was eigentlich den Schriftſteller für den Menſchen ausmacht,
iſt, beſtändig zu ſagen, was der größte Theil der Menſchen denkt
oder fühlt, ohne es zu wiſſen. Der mittelmäßige Schrift:
fteller fagt nur, was Jeder würde gefagt haben. Hierin bes
fteht ein großer Vortheil zumal der dramatifchen und Romanen:
dichter.
29
Es fol Menfchen gegeben haben, die, wenn fie einen Ges
danken nieberfehrieben, auch fogleich. die befte Form dafür ges
troffen haben folen. Ich glaube wenig davon. Es bleibt alle
mal bie Frage, ob ber Ausdrud nicht befjer geworben wäre,
wenn fie den Gedanken mehr gewandt hätten; ob nicht Pürzere
Wendungen möglich gewefen wären; ob nicht manches Wort
hätte wegbleiben fünnen, u. dergl. — Gleich auf den erften
Wurf jo zu fihreiben, wie 3. B. Taritus, liegt nicht in ber
menfchlichen Natur. Um einen Gebanfen recht rein barzuftellen,
bazu gehört vieles Abmwafchen und Abfüßen, fo wie einen Körper
rein darzuftellen. Um fi} biervon zu überzeugen, vergleiche man
nur bie erften Ausgaben der Reflexions von Rochefoucauft mit
den fpätern. Man fehe die Ausgabe des Abbe Brotier (Paris
1789), fo wird man finden, was ich gefagt habe. Wenigftens wird
es kaum möglich fein, gleich das erftemal fo zu fehreiben, baß man
eine Schrift öfters wieder lieft, und immer mit neuem Bergnü-
gen. Brotier drüdt fih in eben diefer Ausgabe vortrefflich hier:
über aus. Er fagt: Corneille, Bossuet, Bourdaloue, la
Fontaine et la Rochefoucault ont pense et nous pensons avec
cux, et nous ne cessons de penser, et tous les jours ils nous
fournissent des pensees nouvelles; que nous lisons Racine,
Flechier, Neuville, Voltaire, ils ont beaucoup: pense, mais
ils nous laissent peu à penser apres eux. Tels sont dans
les arts Raphael et Michel Ange, qui ont anime et animent
encore tous les arlistes, tandisque Guido et le Berain plai-
sent, sans qu'il sorte de leurs ouvrages presque aucune 6tin-
30
celle de ce feu, quı porte la lumiere et la chaleur.» — Aud
verliert fi bei öfterm Hin⸗ und Herwenden bed Gedankens ber
Kiel zu glänzen, und man ftreicht weg, was bloß des Glan»
zes wegen daſteht.
Die Vorſchriften, wie man Verſe machen ſoll, mögen wohl
an ſich gut ſein und Kenntniſſe verrathen, aber mir kommen ſie
immer vor, wie das ſonſt vortreffliche Sir Digby Recept Krebſe
zu machen: man nehme einige alte Krebſe, ſtoße ſie klein und
gieße Waſſer darüber.
Die deutſchen Geſellſchaften fegen Preiſe auf das beſte
Trauerſpiel; unſer Vaterland ſcheint nicht das Land der Trauer⸗
ſpiele zu ſin. Warum ſetzen ſie nicht einmal einen Preis auf
ein philoſophiſches Gedicht, wie das des Lucrez, oder auch nur
eines über die Elektricität in dem Geſchmack? Ich glaube, daß
dieſe Lehre der größten und erhabenſten Darſtellung fähig wäre;
da könnte man wagen, was man in einem philoſophiſchen Trac⸗
tat nicht wagen dürfte.
Das, wad man wahr empfindet, auch wahr auszubrüden,
da8 heißt, mit jenen Bleinen Beglaubigungszügen der Selbſtem⸗
pfindung, macht eigentlich den großen Schriftfteller; die gemei⸗
nen bedienen fich immer ber Redensarten, das immer Kleider
vom Trödelmarkt find.
31
Ein großer Griff in ber Berfification ift es, verwickelte Con»
ſtructionen, dergleichen man in Profa macht, aud im Vers an⸗
zubringen, und doch fich herauszumideln, ohne weder dem Einn,
noch dem Reim Gewalt anzuthun. Ich verftehe mich bier felbft
fehr wohl, finde aber, duß ich mich nicht für Andere deutlich
ausdrücke. Thümmel in feinen Heifen nad bem ſüdlichen
Frankreich hat fih in dem, was ich meine, hauptfädhlich als
einen großen Meifter bewiefen.
Wir haben eigentlih nur Ableger von Romanen und
Komödien; aus dem Samen werden wenige gezogen.
B. befitt großes Dichtertalent; aber es ift bei ihm in eine
fremde Materie gefaßt, fo wie bei den Bleiftiften das Reisblei
in Holz; wenn er fich zu fpigen vergißt, fo glaubt er zuweilen,
er fchriebe, wenn er bloß mit dem Holze Erikelt.
Wenn ein wigiger Gedanke frappiren fol, fo muß die Ähn⸗
lichkeit nicht bloß einleuchtend fein, das iſt noch das GSeringite,
ob es gleich unumgänglich nöthig iſt; fondern fie muß auch von
Andern noch nicht gefunden worden fein, und doch muß Alles,
was dazu gehört, jedem fo nahe liegen, daß es ihn Wunder
nimmt, daß er fie noch nicht audgefunden hat. Das ift bie
Hauptfade. Hat man die Bemerkung ſchon bunfel gemacht,
fo wohl die eigentliche, als die, womit bie Bergleihung ange:
ftellt wird, aber noch nie deutlich gedacht, fo fleigt das Ver⸗
32
gnügen aufs höchſte. Die Menfchen fehen täglich eine Menge
bon Dingen, bie fie zur Regel erheben Fönnten, es :gefchieht
aber nicht; fie bringen fie nicht zu Buch, und das nd die rechte
Fundgrube des Witzes.
In jedem Menſchen liegen eine Menge von richtigen Be
merfungen; allein die Kunft ift, fie gehörig fagen gu lernen —
das ift fehr ſchwer, wenigftens viel ſchwerer, als Mancher glaubt;
und gewiß fommen alle fchledhte Schriftfteller darin mit einan-
ber überein, baß fie von allem dem, was in ihnen liegt, nur
das fagen, was Jedermann fagte, und was baber, um gejagt
zu werden, nicht einmal in einem zu liegen braudt.
Um gut verfificiren zu können, ſcheint e8 unumgänglich
nötbig, daß man: dad Metrum und den Numerus in bemfelben
leife hört, ohne noch bie Worte zu vernehmen, die e8 füllen
folen. Die Form des Gedankens muß dem Dichter fhon vor:
ſchweben, ehe der Gedanke felbft erfcheint.
Eine gute Bemerfung über das fehr Bekannte ift es ei-
gentlich, was den wahren Wis ausmadt. ine Bemerkung
über das weniger Bekannte, wenn fie auch fehr gut ift, frape
pirt bei weitem nicht fo, theild weil bie Sache felbft nicht
Jedermann geläufig ift, und theils weil es leichter ift, über
eine Sache etwas Gutes zu fügen, worüber noch nicht viel
gefagt iſt. Man bezeichnet auch daher diefe Art von Eimfällen
33
im gemeinen Leben durch die Ausbrüde: geſucht und weit
bergebolt.
Mich wundert, daß no niemand eine Bibliogenie ges
fehrieben bat, ein Lehrgedicht, worin bie Entſtehung nicht fos
wohl ber Bücher, ald des Buchs befchrieben würde — vom Lein-
famen an, bis e8 enbli auf dem Hepofitorio rubt. Es Pönnte
gewiß babei viel Unterhaltendes und zugleich Lehrreiches gejagt
werden. Bon Entfiehung ber Lumpen; Verfertigung bes Pa—⸗
piers; Entſtehung des Maculaturs; mitunter bie Druderei; wie
ein- Buchftabe heute hier, morgen bort dient. Alsdann wie die
Bücher gefehrieben werden. Hier Fönnte viel Satyre angebracht
werben. Der Buchbinder; hauptſächlich die Büchertitel und zu-
legt die Pfefferduten. Jede Verrichtung könnte einen Gefang
ausmachen, und bei jedem könnte der Geift eines Mannes ans
gerufen werben,
Ih glaube, die Beit des deutſchen Hexameters kommt erft
durch Gewohnheit. Wenn man erfi recht viel Gutes in beut-
fhen Herametern zu leſen haben wird, fo wirb er fi durch
Affoeiation empfehlen. Diefe Zeit ift noch nicht da. Beſſer
wäre es unftreitig, durch liebliches Sylbenmaaß felbft dem mit:
telmäßigften Gedanfen Anmuth zu verfhaffen, als einem wis
drigen Sylbenmaaß durch Größe ber Gedanken aufhelfen zu wol
len. Es ift etwas Verkehrtes in der Abfiht. Warum haben
Engländer und Franzofen Leine berühmten Hexameter? uUnbe⸗
II. 3
34
rühmte mögen fie wohl genug haben; ich babe felbft dergleichen
gefehen; fie ſchienen mir abfheulih, und ich babe Urfache zır
glauben, daß es unzähligen Andern nicht beffer damit gehen
würde. Warum halten biefe Nationen nichts darauf? Ich
fürchte, der Grund davon liegt fehr tiefe Bewahre Gott, daß
fo etwas eine Regel für Deutfche werben follte, aber ein Wink
ift e8 allemal. Mit Raifonnement muß man nidt fommen;
Gefühl geht hier darüber, und nur dieſes hat ein Recht, zu ent
fheiden. Warum will man etwas einführen, das dem Gefühl
erft durch Affociation von Begriffen erträglich wird? Bei ben
Engländern befümmert man fih nicht um Raiſonnement, - wo
e8 auf Gefühl anfommt. Ein wohlflingender Herameter ift ja
deßwegen noch nicht ein wohlklingender Verd überhaupt. Was
den Griehen und Römern gefallen bat, muß uns befmwegen
| nicht auch gefallen. Indeſſen verdienen diejenigen unter unfern
Dichtern, bie etwas Schönes in fhönen Herametern gefagt has
ben, Dont, indem fie dadurch vermuthlich der Ergögung unferer
Nachkommen ein größeres Feld verfchafft haben.
Ich glaube, daß ein Gedicht auf ben leeren Raum einer
großen Erhabenbeit fähig wäre. Ich glaube wenigftens fo, nad
Allem, was ich bisher gelefen habe; vielleicht trägt aber auch
meine eigene Dispofition etwas bazu bei.
Es ift etwas, was, bünft mich, unfere beften Romanendichs
ter von den großen Männern ber Ausländer in biefem Fach un:
35
terfcheidet (auch ber größte Theil unferer dramatifchen Schrift»
fteller gehört mit dahin), daß man, um ihren Werth umd bie
Schwierigkeit, fo zu fohreiben, ganz zu fühlen, Lectüre haben
muß. Sie ſollten aber ihre Charaktere fo entwerfen, daß man
glaubte, man fünde fi) unter Lebendigen, und ginge mit ihnen
um, und lebte mit ihnen. Es fcheint, al8 wenn ber Fleiß auch
fogar den Dichter bei den Deutfchen machte und machen müßte.
Es ift, glaube ich, eine gute Erinnerung für unfere Landsleute,
wenn fie auf Eminenz Anſpruch machen wollen, fich Fächer zu
wählen, wo bloß Fleiß und Urtbeilstraft den Werth des Werks
ausmachen, und lieber da wegzubleiben, wo ein Senfkorn
von Genie bie vierzigjährige Arbeit bes flubirten Nachahmers
verdunfeln Parnn. Das Fliegen muß man den Vögeln über:
lafien.
Die Verſe, die in Deutfchland bei gewiſſen Gelegenheiten
gemacht werden, theilen fi) in zwei Claſſen, das Garmen
und das Gedicht. Dus Carmen befteht aus grüßtentheils be⸗
drudten Seiten in Folio, wovon eine dem Titel, die andern
dem Inhalt gewidmet find. Der Inhalt befteht aus gereimten
Beilen, und ber Titel ift die Hauptfahe. Wenn bie Beilen ges
reimt find, fo ift das Übrige von geringer Bedeutung. Man
bat bei Verfertigung eines Carmens nur die Regel zu beobad):
ten, bie Wolf den Kalendermachern beim Wetter gibt: man
muß im Winter Feine Donnerwetter, und im Sommer ?einen
Schnee prophezeihen. — Bel dem Gedicht ift der Titel nicht
| 3
36
die Hauptfache; es ift daher fehr oft in Quarto oder in. Octavo
gebrudt, und ber Reim ift eine conditio sine qua non.
Manche Arten find gar nicht leicht zu machen, und das ift bie
Urſache, daß fie jet ziemlich felten find. Man macht baber jept
fehr häufig Garmina in Quarto und in Octavo.
Wer nicht fo fchreiben fann, daß bie Philofophen Regeln
davon abftrahiren müſſen, der laffe es. Iſt wohl je ein Dice
ter_durch Regeln geworden? Was helfen ber Neſſel die Regeln
für die Ceder? Die Philofophen, die Äfthetiker, kann man als
Phyſiologen anfehen. So wenig bie höchſte Kenntniß befien,
was zu einem volllommenen Menfchen gehört, ben Befiker bie:
fer Kenntniffe in den Stand fekt, einen volllommenen Men-
fhen zu maden, fo wenig werden auch bie Regeln einen ‚Did
ter maden. Für Philofophie und Kenntniß der menfchlichen
Natur find diefe Unterfuhungen in hohem Grabe wichtig, wer
wird das leugnen?
Es ift faft nicht möglih, etwas Gutes zu fehreiben, obne
daß man fi) dabei Jemanden, oder auch eine gewiffe Auswahl
bon Menfchen denkt, die man anredet. Es erleichtert wenigftens
den Vortrag fehr in taufend Fällen gegen Einen.
Die Künfte üben die Empfindung und Phantafie, und vers
feinern fie. Diefe Fähigkeiten aber und ihre Vervollkommnung
find zur Erreihung des Zwecks menfchlicher Natur unentbehrlich,
37
wir mögen nun biefe in die Glüdfeligkeit, ober in bie Aus«
übung ber Tugenb fegen.
Die beiden erſten Menfchen hat man betrachtet; ich wünſchte,
die Dichter möchten e8 einmal mit ben letzten beiben verfuchen.
—
Nachtrag
zu den äſthetiſchen Bemerkungen.
x
Die Genies. brechen die Bahnen, und bie fchönen Beier
ebnen und verfchönern fie.
Die Komödie befjert nicht unmittelbar, vielleicht auch die
Satyre nit, ich meine, man legt die Lafter nicht ab, bie fie
lächerlich machen. Aber fie vergrößern unfern Gefichtöfreis und
vermehren die Anzahl der feften Punkte, aus benen wir und in
allen Borfällen des Lebens geſchwinder orientiren können.
Es iſt mit dem Witz, wie mit der Muſik. Je mehr man
hört, befto feinere Verhältniffe verlangt man.
Eine Hauptregel für Schriftfteller, zumal foldhe, bie ihre
eigenen Empfindungen befchreiben wollen, ift: Ja nicht zu glau-
38
ben, daß, weil fie folches thun, biefes bei ihnen eine befonbere
Anlage ber Natur anzeige. Andere können folches vielleicht eben
fo gut al8 Du, fie maden nur kein Gejchäft daraus, weil «8
ihnen einfältig vorfommt, ſolche Dinge bekannt zu machen.
Ich Iefe die: Tauſend und eine Nacht, und den Robinfon
Crufoe, ben Gilblas, den Zündling, taufendmal lieber, als bie
Meffiade, und wollte zwei Meffiaden für einen Pleinen Theil bes
Robinfon Crufoe hingeben. Unfere meiften Dichter haben, ich
will nicht fagen nicht Genie genug, ſondern nit Verſtand
genug, einen Robinfon Crufoe zu fchreiben.
Das umgekehrte parturiunt montes gefällt ben Menfchen
fehr, und der Schriftfteller muß es zu beobachten fachen.
Mie kommt ed, daß unfere Dichter von unferen vernünfti=
gen Leuten von Stande nicht mit Vergnügen gelefen werden?
Der Fehler kann unmöglich in unferm Yublitum liegen, er liegt
fiherlich in ynferen Dichtern, meift junge ober alte Knaben, bie
im Kreife unerfabrener Bewunberer aufgewacfen find, und da»
ber nicht zunehmen fünnen. Wer nicht in gewiffen Jahren oft
in Gefelfchaft war, wo er nicht die erfte Rolle fpielte, und feine
Kräfte ftet8 in Epannung fein mußten, um nidht eine üble
Meinung von fi zu erweden, wird gewiß ein Tropf werben,
und das find viele unferer gerühmten Dichter, Der Mann ber
Welt kann nichts von ihnen lernen, er überfieht fi. So wie
39
das handlungsvollſte Schaufpiel auch noch Bemerkungen ent-
halten muß, die felbft den Denker bei der Lampe müffen be:
fhäftigen können, fo kann felbft die Ode, indem fie die Eins
bildung “mit Bildern binreißt, wie das Licht einen, dem ber -
Staar audgezogen worden, tiefe Bemerkungen enthalten, die den
Mann von Überlegung, wenn ber Raufch verfliegt, befchäftigen
Pünnen.
Empfindfam zu fchreiben, dazu ift mehr nöthig, als Thrä-
nen und Mondſchein.
Eine Rebe muß nicht gebrudt werben, Dan bat gute Re:
den gehabt in ben Zeiten, da man vermuthlich ſchlecht fehrieb,
und etwas, das ſich gut Iefen läßt, muß man nicht berfagen
bören. Es find ganz verfchiedene Dinge. Ein Gemälde gehört
nicht ımter das Mikroſkop. Das follten fi) unfere bramatifchen
Dichter merken.
Wenn man Rape of the Lock durch „Lockenraub⸗ über:
feßt, fo ift ſchon die Hälfte des Wiged verloren. Was mag
nicht erft im Gedichte felbft verloren gegangen fein!
Unftreitig ift, wie ich ſchon früher einmal bemerkt habe, die
männliche Schönheit noch nicht genug von den Händen gezeich⸗
net worden, bie fie allein zeichnen könnten, ben weiblichen.
Mir ift es allemal angenehm, wenn ich von ein mwura Di:
40
terin höre. Wenn fie fih nur nicht nad ben Gedichten ber
Männer bildeten, was könnte da nicht entdeckt werben !
Die Nachtigallen fingen und wiffen wohl babei nicht, was
für Lärm die Verliebten und Dichter aus ihren Gefängen ma-
hen und baß es eine Gefellfchaft höherer Wefen gibt, bie fi
ganz mit Philomelen und ihren Klagen unterhalten. Vielleicht
bält ein böberes Gefchledht von Seiftern unfere Dichter wie wir
bie Nachtigallen und Canarienvögel; ihr Gefang gefällt ihnen
eben bewegen, weil fie feinen Berftand barin finden.
Bon ben meiften Widerfahern des Reims gilt wohl, was
Dryden von Milton fagt, fie befiten die Talente zum Rei⸗
men nicht.
Fünf Komödien von Ginem Act zu fchreiben, ift nicht halb
fo ſchwer, als eine einzige von fünf Acten.
Die Briefe eines Plugen Mannes enthalten immer ben
Charakter ber Leute, an die er fchreibt. Diefes kann in einem
Roman in Briefen fehr fchön gezeigt werden.
Es ift die Redekunſt, die vor ber Überzeugung einhertritt,
und ihren Pfad mit Blumen betreut. ..
In allen Werken Hogarths findet fi) kein Eſel ange:
bracht, womit fonft bie fatyrifchen Künftler fo fehr freigebig
find.
Wenn e8 doch in Sahen bes Geihmads ober der Kritik
überhaupt ein Oberappellationsgericht gäbe!!
Der Gedanke bat in dem Ausdrucke noch zu viel Spiel»
raum; ich babe mit dem Stodfnopfe hingewieſen, wo ich mit
ber Nadelſpitze hätte binweifen follen.
42
11.
Witzige und fatyrifche Einfälle und
Bemerkungen.
Barrere erzählt in feinem Werk über Guiana, daß die Wil
ven einen in ihre Gefelfhaft aufnehmen, bevor er nicht eine
Menge harter Proben ausgeftanden und fi) tüchtig gezeigt. hat,
Hunger und Durft zu leiden, fi) von großen Ameifen, Weöpen,
liegen und anderm Ungeziefer auf das beftigfte flehen, und
fih an verfchiedenen Stellen Schnitte in den Leib machen zu
laſſen; kurz, bie empfindlichiten Schmerzen mit der größten
Standhaftigfeit und Geduld zu ertragen. — Das ift doch mehr
als da8 Magifterwerben bei uns.
Gefpräd.
A. Ja die Nonnen baben fi nicht allein durch ein firen-
ges Gelübde ber Keufchheit, fondern auch noch durch flarfe Git⸗
ter vor ihren Fenſtern verwahrt:
B. O durch das Gelübde wollten wir wohl kommen, wenn
wir nur durch die Gitter wären.
Die Regeln der Grammatif find bloße: Menfchenfagungen ;
daher auch der Teufel felbft, wenn er aus befeffenen Leuten ges
. rebet, ſchlecht Latein geredet, wie man das in ber Geſchichte
bes Urban Granbier in Yitavals merkwürbigen Rechte:
bänbeln mit mehrerem nadhlefen ann.
Das Bekehren der Miffethäter vor ihrer Hinrichtung läßt
fi) mit einer Art von Mäftung vergleihen: man macht fie geift-
lich fett, und ſchneidet ihnen bernady bie e Kehle ab, bamit fie
nicht wieder abfallen.
Du fragft mich, Freund, welches befjer ift: von einem böfen
Gewifjen genagt zu werden, ober ganz ruhig am Galgen zu
hängen ?
Bu ©. babe ih einen Epifuräer gekannt, es war ein
Kerl von 61, Fuß, und von einer ungewöhnlichen Leibesftärke.
Es ging damals in das fechöte Jahr, daß er in der Karre ging,
wozu er Zeitlebens verdammt ar.
Man bat fo viele Anweifungen,, den Wein recht zu bauen,
und noch feine, ihn recht zu trinken. Gr wählt nur gut unter
dem Schuß eines fanften Himmels, und ähnliche Seelen müffen
diejenigen haben, die ihn am beften trinken. Derjenige, ber mehr
als eine Bouteille trinkt, ohne entweder franzöfifh, oder von
feinem Mädchen zu fprehen, ohne mich feiner Freundfchaft zu
verfihern, ohne zu fingen, ohne irgend ein kleines Geheimniß
zu verratben u. f. w., und ber, ber beim vierten Glas mid
44
bigig fragt, ob ich ihn nicht für einen braven Kerl balte,
alle Pleinen Scherze krittlich abwägt, kurz ber Unglüdlide, der
beim Wein immer Schläge haben will, und fehr oft auch be:
kommt, thäten beide weifer, wenn fie Waſſer tränken.
Es wäre vielleicht gut, wenn Redner fi Einen hohen Ab-
fag am Schuh machen ließen, um im Fall der Roth fi auf
einmal viel größer zu maden. Dieje Figur müßte, zur rechten
Zeit gebraudht, von unglaublicher Wirkung fein.
Kein Wunder, daß ſich Stutzer fo gern im Spiegel fehen:
fie ſehen fih ganz. Wenn ber Philofoph einen Spiegel hätte,
in welchem er fi, fo wie jene, ganz fehen Fönnte, er würde
nie bavon weg kommen.
Der liebe Gott muß uns doch recht lieb haben, daß er
immer in fo ſchlechtem Wetter zu uns fommt.
Bertheidigung eines fchlechten Autors.
Darf man Schaufpiele fchreiben, die nicht zum Schauen find,
fo möchte ich fehen, wer mir wehren wollte, ein Bud zu fchrei-
ben, das nicht zum Leſen ift.
Über die Horaziſche Regel:
Nonum prematur in annum.
Ih fehe nicht, warum, da ber Autor felbft nur neun Mo:
— — © —— — ⏑⏑
— — — ——
nate im Mutterleibe gelegen bat, fein Buch neun Jahre im
Yulte liegen fol? Ober, werben bie Gedanken befier, wenn fie
lange liegen? Man kann fi) nichts Einfältigeres denten. Mich
wundert e8 gar nicht, wenn ein Staat mit foldhen Geſetzen
nicht beftehen fann. Gottlob kenne ich auch Feine Provinz in
Deutfchland, wo bie Gelehrten ihre Werke neun Jahre liegen
ließen; doch find mir Beifpiele befannt, wo Richter die Hora-
zifche Hegel befolgt haben: fie ließen nämlich die Prozeſſe neun
Jahre lang liegen, aber am Ende wurben fie gemeiniglich fchlech-
ter entfchieden, al8 in ben Ländern, wo man fie aus bem Steg⸗
reife entfcheibet.
Jeder arme Teufel follte wenigftens zwei ehrliche Ramen
haben, bamit er ben einen baran wagen könnte, um ben an
bern ins Brot zu bringen. So haben Schrififieller anonymiſch
gefchrieben. Man könnte fill} dann mit bem einen noch wehren,
wenn ber andere abgejchnitten wäre.
Sch habe Leute gekannt, bie haben heimlidy getrunfen, und }
find öffentlich befoffen geweſen.
Sie flreihen bie Poſtwagen roth an, als die Farbe des
Schmerzens und ber Marter, und bedecken fie mit Wachslinnen,
nit, wie man glaubt, um bie Neifenden gegen Sonne und
Regen zu fihügen,, (denn die Reifenden haben ihren Feind unter
fih, das find bie Wege und ber Poltwagen,) fondern aus ber-
46
felben Urfahe, warum man denen, bie gehenkt werben follen,
eine Mütze über das Geficht zieht, damit nämlich die Umfte
benden bie gräßlichen Gefichter nicht fehen mögen, bie jene
ſchneiden.
Er läſe ſo gern, wie er ſagte, Abhandlungen vom Genie,
weil er ſich immer ſtark darnach fühlte.
Wenn man manche Hiſtörchen genau unterſucht, ſo wird
man immer finden, daß etwas Wahres darunter ſteckt, und zu⸗
weilen etwas ganz Anderes, als man fich anfangs vorſtellte.
So find z. B. die Hexen, die man ehemals fo ſehr mit Feuer
und Waffer verfolgt bat, gar die Gefchöpfe nit gewefen, bie
man fich gemeiniglich einbildet; auch bat man das Verbrennen
derfelben ein wenig zu früh eingeftellt. Ich habe an die 150
Stellen gefammelt, woraus ich beweifen kann, baß bie Heren
der vorigen Welt eigentlich die fo genannten Kaffeefhwe
ftern der jegigen find. Unter dem Namen Kaffeefchweitern vers
ftehe ich alle alten Frauensperfonen, bie in ihrer Jugend fo viel
gelernt haben, daß fie die Bibel, bis auf einige Nomina pros
pria im alten Teftament, ziemlich fertig weglefen, und alle Zah⸗
len ausfprechen können, wenn fie mit Worten gefchrieben find;
bie, nächft den biblijchen Gefchichten, ſich hauptſächlich auf bie
Privatgefhichte aller Familien in ihrem Städtchen gelegt haben,
und über Schwangerfchaften, Eheverlöbniſſe, Hochzeittage und
Kopfzeuge Regifter halten; die in jeder Krankheit eines jungen
Mädchens, den Baftard reifen fehen, unb den Mann und ben
Ball errathen, ber bie Urſach und ‚bie Gelegenheit dazu war;
die bypothetifchen Ehen zwifchen ledigen Perfonen, und nicht
felten reelle Ehefcheidungen mit ihrem Gefhwäg ftiften, kurz alle
unverftändigen, plappernden, befuchen gehenden, alten Weiber,
bie eben fo fehr bie Pet und das Verderben ber guten Geſell⸗
fhaft, als die verfländigen Matronen und ehrwürdigen Mütter
die Zierde berfelben find. Die Hern ſchwammen auf bem
Waſſer iſt ein bloß figürlicher Ausdruck, und foll nur fo viel
heißen, daß eigentlich Thee und Kaffee ihr Element fei, und id
"glaube im Ernft, daß unfere neuen Hexen im Kaffee nicht er-
fäuft werden können, denn ich babe felbft einmal eine 24 Taffen
trinten ſehen, ba bie frifcheften weftphälifchen Viehmägde an
vieren fterben. Daß fie am 1. Mai auf einem Befen reiten,
bat mir von Anfang an am meiften zu fchaffen gemacht, denn
ich babe zwar öfters in meinem Leben Birkenbefen und Kaffee
fhweftern beifammen gefehen, aber allemal ritt das Birkenholz
auf der Kaffeefchwefter. Berner, da im mittlern Latein ein
Buſch oder Befen Boessonus heißt, fo hätte e8 leicht fein kön⸗
nen, baß jemand den Böfen, als weldhes ben Teufel bebeus
tet, mit dem allerdings die Hexen fowohl als bie Kaffeefchwe:
ftern viel zu thun haben, mit dem Befen verwecfelt. Aber
fo wahrfcheinlich auch dieſes Manchem fcheinen möchte, fo wird
boch ber Denker auch bier die Schwierigkeit finden, die wir vors
bin bei dem Birkenholz fanden. Denn nad biefer Erklärung
hätten bie Hexen zwar ben Teufel geritten, aber fie fünnten als»
48
dann umfere Kaffeefhweftern nicht fein, benn bie reitet um-
gelehrt der Teufel. Sonſt heißt ja bekanntlich bie großbär
tige Schwalbe, bie Biegenmelkerin, wegen ihrer Reigung zum
Trinken, in manchen Ländern die Hexe; was war alfo natürlicher,
ale daß man bie Melkerinnen ber Kaffeefannen eben fo nannte?
Es iſt nicht zu leugnen, daß ein Quartant, ber fo bil, als
breit iſt, die herrlichfte und fchönfte Bücherform bat: erftlich er⸗
weckt die Gleichheit der Dimenfionen bie Idee von Fülle und
Solipität, dann flebt er dem berühmten Altar bes Apolls ähn⸗
ih, und das zeigt gleihfam das praesens numen.
Eine einzige Seele war für feinen Leib zu wenig, er haͤtte
zwelen genug gu thun geben können.
Auf einer Charte von Weſtphalen könnten bie gefährlichen
Stellen mit %, von einem Rade oder einem Todtenkopf angege⸗
ben werden: & oder 2 . Der Vorſchlag paßt noch auf
manche andere Gegenden Deutſchlands.
Auf die Frühlingsdichter.
Es iſt mit ihren Verſen, wie mit ben Krebſen, fie taugen
nur in den Monaten, in deren Ramen feinste ift.
Der große Geiſt.
Gr hatte die Eigenſchaſten der größten Maͤnner in ſich ver-
einigt; er trug ben Kopf fchief, wie Alerander, hatte immer
etwas in den Haaren zu nifteln, wie Cäfar, konnte Kaffee trin«
fen, wie Leibnig, und wenn er einmal recht in feinem Lebne
ſtuhl ſaß, fo vergaß er Eſſen und Trinken darüber, wie New—
ton, und man mußte ihn, wie dieſen, wecken; ſeine Perücke
trug er wie Dr. Johnſon, und ein Hoſenknopf ſtand ihm
7 offen, wie dem Cervantes.
„Die Wälder werden immer kleiner, das Holz nimmt ab,
mas wollen wir anfangen?« O wenn die Wälder ausgehauen
find, können wir fidherlic fo lange Bücher brennen, bis neuer
Vorrath angewachſen ift.
Der Vorſchlag, Bücher zu brennen, und dadurch wieder in
Hanf und Flachs zu verwandeln, iſt aller Aufmerkſamkeit eines
Patrioten würdig. Eigentlich werden doch nie Kriege gegen Bücher
geführt, denn die Scharmützel der Gewürzkrämer vermindern die
Bevölkerung gar nicht. Man.follte Bücher einliefern laſſen, wie
Sperlingsföpfe an manden Orten.
Wenn ber Menfd feinen Körper ändern könnte, wie feine
Kleider, was würde ba aus ihm werben! ober wenn aus ben-
Kleidungsftüden der Frauenzimmer immer das würde, was fie
fi) ftatt derfelben, hätten kaufen follen !
Verſuch über bie Nachtwächter,
Ich ſelbſt bin ein Nachtwächter, meine Herren, zwar nicht
II. 4
50
von SProfefion, fondern ein Dilettante; ich kann nämlich des
Nachts nicht fchlafen, und babe es darin, fo wie Dilettanten
gemeiniglich, ohne Prablerei zu reden, weiter gebracht, als die
meiften von SProfeffion.
Es ift ald ob unfere Sprachen verwirrt wären: wenn. wir
einen Gedanken haben wollen, fo bringen fie uns ein Wort,
wenn wir ein Wort fordern, einen Strih, und wo wir einen
Strid erwarteten, fteht eine Zote.
Eine luſtige Situation wäre folgende zwifchen zweien Come
plimentenmachern; fie müffen zugleich fprechen, fie verftehen fich
nicht, und jeder will dem andern zu Gefallen reden:
A. Ich dächte, biefes wäre fehr nöthig
B. Ich dächte, diefes wäre fehr unnöthig
A. Erlauben Sie gütigft, ich wollte fagen
unnötig
B. Verzeihen Sie gütigft, ich wollte fagen
nöthig u.f.w.
beide zugleich
wieder zugleich
Eine Scene aus bem Duodrama zweier Awillinge
im Mutterleibe,
U. Haft dur geftern gehört, was die Hebamme gefagt bat?
B. Nein, ich babe gefchlafen. Was fagte fie denn?
4. Es würde nun nicht über acht Tage währen, fo follte
ber Pleine Junge heraus.
B. Horch, ich höre wieder Mufif, wenn nur bie Mutter
nicht tanzt! Ich babe mir bei dem letzten Ball bier die Hüfte
verrenft, das thut mir abfcheulich weh.
A. Und ich ſtieß mir die Nafe aufs Knie, daß ich fie gar
nicht mehr finden kann; und der Himmel weiß, was die Mut-
ter getrunten bat, höre Bruber, ich war Pudel did. Du kannſt
gar nicht glauben, was mir da feltfam ward. Die Kugeln zu
beiden Seiten ber Nafe find auch Ohren, Bruder, ich hörte
Worte damit, bie ich nicht fprechen kann, denn wenn id) fie
fprehen will, jo höre ich fie nur mit den Seitenohren.
B. O das babe ich oft, ich ſtieß mich neulich an eines der
Vorderohren, da hörte ich ein Wort, das Plang wie fpik.
Bergleihung unfers neuern Stils mit den engli:-
ſchen Gärten
Jedermann muß wiffen, wenn er e8 auch nicht fühlt, daß
die englifhen Gärten bie vortrefflichften find, fo daß ich über:
zeugt bin, die Natur bat es ſchon hundertmal bereut, daß fie
den Schaffbaufer Wafferfal nicht gerade den Ruinen von Pal⸗
myra gegenüber, und den Montblanc auf die Lüneburger Heide
gejest hat, woburd nicht allein jene ganze Gegend, fondern auch
hauptſächlich der Profpert vom Baumbaufe zu Hamburg gewon⸗
nen baben würde. Nun aber betrachte man einmal die engli«
fhen Gärten: da fohlängelt fih ein angenehmer Weg von einer
Biertelmeile nach einem Gartenhaufe hin, da8 Faum einen Büch—
fenfhuß vor uns liegt; eben fo führen uns unierr Suuhtüütt
L*
52
nach ihrem Gegenftande hin — fo wie dort zu beiden Seiten bie
berrlichften Zorbeerbäume, das mit Trotteln behangene Liburnum,
ber reizende Tulpenbaum und die fehöne Acaria unter ber beut-
fhen Eiche ftebt, fo wandelt bier Herz und Ohr durch bie fanf:
teften Sentenzenmifhungen in angenehmer Ungewißheit dahin,
ob wir den polirten Bögling von Verfailles oder einen von Her:
manns Abdjutanten fprechen hören; es ftehen ba ionifche Wörter
neben altbrittifhen, und Lemgo und Rom umarmen ſich. -
Dort fieht man hinter Brombeeren und ausländifchem Unkraut ben .
Wolfen fpornenden Obeliff emporfteigen, gerade fo wie bier, unter
dem angenehmften verworrenen Raifonnement, fich die afiatifche Pe⸗
riode in einen Schluß erhebt, den man da nicht fuchen follte. Und -
fo wie dort die fchönften übergoldeten Bafen aus Holz, die ſchönſten
Götterftatuen bei muthwilligen Saunen ftehen, fo fteht bier die rei«
zendfte Prachtmoral, umarmt von ber lieblichften Bote, u. f. w.
Das Wort Laune wird heutzutage faft in einem fo weit:
läuftigen Sinne gebraudht, als das Wort Butterbrot.
Die Zeitungsfchreiber haben fich ein hölzernes Kapellchen er:
baut, das fie auch den Tempel des Ruhms nennen, worin fie
den ganzen Tag Portraits anfchlagen und abnehmen, und ein
Gehämmer machen, daß man fein eigenes Wort nicht hört.
Zu Zezu*) gibt e8 eine Art Puppen, die in ältern Zeiten
) Der Name einer erdichteten Infel, deren Gefchichte zu
gemacht worden find, wogegen Baucanfons ‚Ente unb Ylötenfpie
ler bloße Nürnberger Waare if. Die Kunft dergleichen zu ver
fertigen, verſtehen die Einwohner nicht mehr, ſeitdem ſie ſich
ſehr ſtark bemühen, hiſtoriſch genau zu wiſſen, was die Alten
gewußt haben, ohne fich um die Erwerbung eben des Geiſtes
der Alten ſonderlich zu bekümmern. Ich habe ſie öfters auf der
Straße gehen ſehen, und allemal, ehe ich es wußte, und noch
oft nachher, für wahre Menſchen gehalten. Die Verehrung gegen
dieſe Puppen geht ſo weit, daß man einigen ſogar Ehrentitel
gegeben hat. So hatte z. B. eine, die ſehr leſerlich ſchreiben
konnte: es lebe der Fürſt, ben Titel eines geheimen Gabi»
netſecretärs bekommen; und eine andere, die eine kleine Elektri⸗
ſirmaſchine beſtändig feierte, hieß: Profeſſor der Phyfik und Mit:
glied der Akademie der Wiſſenſchaften.
Ein Philoſoph auf ber Inſel Zezu hatte bie Frage aufge⸗
worfen: Wenn ſich ein Menſch in einen Ochſen verwandeln
könnte, ob das als ein Selbſtmord anzuſehen, und der Ochſe
ſtraffällig wäre?
Hercules wird mit einer Löwenhaut gemalt, um ſeine Tha⸗
ten anzudeuten; unſere Jäger müßte man mit einem Haſenfell
über dem Kopf malen, und unſere kritiſchen Herculeſſe mit dem
ſchreiben ber Verfaſſer einmal Willens geweſen fein mag; wenig:
ftens finden ſich verfehiedene Beiträge dazu in feinen Papieren.
54
Felle eines armen Dichter, dem man, um es kenntlich zu ma⸗
chen, noch einige Zorbeerblätter um ben Kopf, und eine Yeber
hinter dem Ohr laffen könnte.
Die Bewegungsgründe, woraus man etwas thut, könnten
fo wie die 32 Winde georbnet, und ihre Namen auf eine ähn-
lihe Art formirt werden, 3. B. Brot:Brot:-Ruhm, ober
Ruhbm-Ruhbm:Brot.
Es madt ben Deutfchen nicht viel Ehre, daß einen an füh⸗
ren (was fonft mit anleiten ſynonym ift) fo viel heißt, als
einen betrügen. Sollte bas nicht ein Hebraismus fein?
Sch weiß gar nicht, was ihr Leute wollt; ich bin gar nicht
einmal Willens, ein großer Mann zu werden, unb das hättet
ihr mich mwenigftens vor der Hand erft fragen müſſen. Meint
ihr denn, um einem Sünber mit ber Geißel über den Wirbel
zu hauen, müffe man eine Löwenſtärke beſitzen? Man braucht
fein großer Mann zu fein, um jemanden die Wahrheit zu fagen,
und ein Glück für uns, daß auch ber arme Teufel Wahrheiten
fagen fann. j
Der Mann hatte fo viel Berftanb, daß er faft zu nichts
mehr in der Welt zu gebrauchen war.
Genera poelarum — ein Nebenkapitel in einem Bud).
Diefes ift eine Theorie, die meines Erachtens in ber Pſycho⸗
logie eben das vorftellt, was eine.fehr bekannte in der Phyſik
ift, die das Norblicht durch den Glanz der Häringe erklärt.
In England find jetzt bie fo. genannten papier mache - Ber-
zierungen fo eingeriffen, baß man, glaube ich, endlid Denk:
mäler in Weftminfterabtei davon maden wird. Überhaupt wäre
ed nicht übel, wenn mandyer Gelehrter fein verfertigtes Maculatur
ſtampfen und feine Büfte daraus verfertigen ließe.
Wir find fo albern, daß wir immer auf das Natürliche
bringen, andere Nationen find klüger. In London heißt he is
a natural nit ein Haar weniger ald, er ift ein dummer
Teufel, und wer weiß nicht, daß natürlicher Sohn fo
viel ift als ehrlofer Baſtard, und daß dergleichen Menfchen in
vielen Ländern Deutfchlands von allen Ehrenftellen ausgefchloffen
find, wozu nur die unnatürlichen gelangen können?
Daß die Arbeiten bed Geiſtes auch ben Körper angreifen,
pflegte Zener zu fagen, könne er beutlich daran fpüren, daß,
wenn er Nepperifche Stäbe zufchnitte, er oft fo müde mwürbe,
als wenn er Stangen für feine Baumfcdule fpikte.
In ben glüdlichen Zeiten ber ‚Barbarei, da hatte man doch
noch Hoffung, einmal mit ber Zeit ein guter Chrift zu werben.
Man durfte nur regelmäßig in die Kirche gehen, und bem lie:
-
56 |
ben Gott von Allem, was er einem gab, wieder etwas zurück⸗
geben, deſſen Bejorgung noch bazu die Geiftlichfeit übernahm.
Aber heutzutage ift e8 faum mehr möglich, biefen Titel zu er⸗
langen.
In eben diefem goldenen Alter war e8, wo man nod et
was auf ein Buch hielt. Kine Gräfin von Anjou bezahlte für
ein Homiliarium bes Bifhofs Haimo zu Halberftabt zweihun:
dert Schaafe, fünf Malter Waizen, und, glaube ich, eben fo
viel Malter Roden und Hirfen. — 8weihundert Schaafe für
einen Band Homilien, das Plingt doch noch wie ein pro labore.
Aber fragt einmal jet einen Halberftädtifhen Domberrn, was
man für feine empfindfamen Predigten kriegt? Keine Ham⸗
melskeule. |
Was? man müßte bie Sache verftehen, wenn man bar:
über bisputiren wollte? Ich behaupte, daß zu einem Dispüt noth⸗
wendig ift, daß wenigftens einer die Sache nicht verſtehe, wor:
über geſprochen wird; und in dem fo genannten lebendigen
Dispüt in feiner höchften Vollkommenheit dürfen beide Parteien
nichts don der Sache verftehen, ja fie müſſen nicht einmal wif:
fen, mas fie felbft fagen. Das ift Lully's ganze Kunft *): es
iſt kein Arcanum, fondern ein Räthſel; er hatte die Welt zum
Beiten, wie mancher Philofoph vor und nah ihm. Wir bes
) Ars Lulliana, die Kunft, von allen Dingen finnlos zu
ſchwatzen, ift eine Erfindung von Raymundus Zullus, einem
berüchtigten Scholaftiker des dreizehnten Jahrhunderts.
figen alle biefe Kunſt, und fie ift offenbar in der Kunft, Profe
zu reden, fchon mitbegriffen. Als ich in Gngland war, dispu⸗
tirte man auf allen Bierbaͤnken, Kaffeehäufern, Kreuzwegen und
Landkutſchen über die Amerikaner nach ben Regeln des lebendis
gen Dispüts; und felbft in bem Rath der Aldermänner, an befe
fen Spige Wilkes fand, wurde nach biefen Regeln bisputirt.
Ja, ale einmal ein einfältiger Tropf auffland, und zu bebenten
gab, ob es nicht einigermaßen gut wäre, die Sade ernftlich zu
prüfen, ebe man einen Entfchluß faßte, fo antwortete ein ans
- terer Mann ausdrüdlih, daß, ba dieſes zu weit führen würde
und mübfam wäre, ber Entſchluß ohne weitere Unterſuchung ge
faßt werben müßte — welches auch bamals, weil es faft Eſſens⸗
zeit war, genehmigt wurbe.
Bertheibigung unferer Obenfänger.
Menſchenverſtand ift eine herrliche Sade, allein das unbe.
bolfenfte, unbrauchbarfie Ding von ber Welt bei foldhen Gele
genheiten, wo man ihn nicht nöthig hat. Wer fagt euch denn,
daß ihr ihn brauchen follt, wenn ihr eine Ode lefen wollt? Sie
find bei fhlummerndem Menfchenverftand gefchrieben, und ihr
beurtheilt fie bei wachendem. Mit einem Wort, das rechte Wert
ift da, aber ihr bringt ben rechten Kopf nicht mit. »Horaz,
fagt ihr, hätte ganz andere Oben gefchrieben, ed wären Beilen
darin, bie bewundere man immer mehr, je älter man würde,
unb je öfterer man fie lefe, ba hingegen bie meiften beutfchen
Oden immer einfältiger Elängen, je öfterer man fle wieder:
—
58
holte./ — Kann man ſich eine maliciöſere, Liſcoviſchere Art
ſich zu erklären ausſnnen? Ich glaube, einem ſteinernen Apo⸗
ſtel müßte die Geduld ablaufen. Ihr Haubenſtöcke, wer ſagt
euch denn, daß ihr unſere Odenſänger mit dem Horaz verglei⸗
. hen ſollt? Was? Horaz lebte an einem ber erſten Höfe der
Welt, und in einer Stadt, bie das Herz bes menſchlichen Ge⸗
fihlecht8 genannt werben könnte, da konnten die Gaffenbuben
dad Quicquid agunt homines auf jedem Kirchhof oder hinter
jeder Mauer fehen, wenn fie nur bie Augen aufthun wollten.
Da war «8 freilich eine gewaltige Kunft, ben Menfchen zu tens
nen. Wahrheiten, bei deren Erforfhung wir jegt alle unfere
Phyſiognomik aufbieten, und bei beren Bewunderung uns bie
Augen über und bie Nafenlöcher aufgehen — wißt ihr, was bie
in Rom waren? SKaffeebiscourfe, nichts weiter; Dinge, über bie
jeder Betrüger noch funfzig Staffeln hinausgehen mußte, wenn
er feine Künfte fpielen wollte. Ich hätte faft Luft, bie feinen
Herren, bie unfere Almanachsſänger mit dem Boraz meſſen kön⸗
nen, und gewiß mit mehrerm Recht, mit gewiſſen Originalföp:
fen zu vergleihen, die in Celle in einem gewiſſen Haufe einge-
ſchloſſen firen. Einfältige Streiche I Unfere Odendichter find meie .
ftens junge, unſchuldige Tröpfe, die in Pleinen Städten leben
und fingen, wo alle Einwohner einerlei hoffen, einerlei fürchten,
einerlei hören und einerlei denfen; wo zwanzig Köpfe in einer
Gefelfhaft immer für Einen gelten; Leute, bie aus Dichter:
lefen Dichter werden, fo wie man aus Büchern fhwimmen,
oder aus Rugenda's Bataillen bie Kriegskunſt lernt; unerfahrne
Menfchen, davon jeber etwa ein Dugend’eigene und zwei Dutzend
geborgte Ideen baar liegen. bat — ba läßt. fih :damit über die
Welt handeln. — Außerbem gibt es ja zweierlei Oden: ge
lehrte, für Geift und Chr, und ungelehrte, für das Ohr
allein, und zu den letztern braudt man Baum einmal vom
Weibe geboren zu fein. Wenn man etwas Sylbenmaß in ben
Ohren hat, und dabei zwanzig bis breißig Oben als Stimulantia
lieft, fo möchte ich das Gefiht von dem Sterblichen fehen, ber
nit eine Ode wiederhallen könnte, die jeden poetifchen Prima⸗
ner zur Bewunderung binriffe. Kurz, foldye Compofitionen muß
man gar nicht mit dem Maßftabe mefien, mit dem man Hage:
dorns, Utzens und Ramlerd Oben mißt; fie gehören zu einer '
ganz andern Claſſe von Gompofition, und find das in der Poeſte,
was Jakob Böhme unfterblihde Werke in’ Profe find, eine Art
von Pidenid, wobei der Verfaſſer die Worte, und: ber Lefer
ben Sinn ftelen. Will diefer nicht, oder kann er nicht, gut,
fo Täßt ers bleiben; zu einem ſolchen Kränzchen finden fi
immer Leute. —
Zragment.
Witzige Schriften wollten fie. Da regnete, bliste und ha⸗
gelte ed Epigrammen. Wißt. ihr, was die Antwort war? . Die
alte abgedrofchene Sentenz: e8 gäbe hunbert Wigige gegen Einen,
ber Verftand hätte. Wer Fonnte es alsdann den Spottpögeln
verdenfen, von benen es in Deutihlanb wimmelt, wenn fie bie
Welt mit verftändigen Schriften anfüllten, ich meine mit folchen,
60
in denen fein Gran von Witz anzutreffen ift* Daher nahm bie
verftändige Komödie, bie verftändige Farce, unfere verſtändige Sa-
tore ihren Urſprung; ja man machte fogar verftändige Wortfpiele.
Ich kann nicht unterlaffen, den Lefern, oder vielmehr ben
Berlegern zu melden, daß ich enblih, nad einer faft funfzehn-
jährigen Lectüre des größten Schriftfteller8, ben wir haben, ich
- meine Jakob Böhme, einige Paragraphen in ihm fo verftehe,
als wenn ich fie heute felbft gefchrieben hätte. Es find offenbar
Weifjagungen, und wer fi) nur etwas im Zukünftigen umge:
fehen bat, wirb eingeftehen müffen, daß fie auf die fürchterlichen
drei 7 gehen, die wir jekt in unferer Jahrzahl (1777) haben,
und feit taufend Jahren nicht gehabt und erft in taufend Jah⸗
ren wieber haben werden. War nicht 1555 der Religionßfriebe,
und brannte nicht 1666 London ab? Ich werde aber bie Ickte
Hand nicht eher an das Werk Iegen, als bis fi) die Begeben⸗
beiten felbft werben ereignet haben.
Ich habe auf Schulen junge Geſchöpfe, die ausfahen, als
Pönnten fie gar nicht, oder doch wenigſtens gar nichts fprechen,
fogar bebräifch fprechen hören, fo daß den Zuhörern die Haare
zu Berge, und bie Augenachfen parallel fanden. Ich erinnere
mich nie ein ähnliches Erempel bei andern Rationen gelefen zu
baben, ein einziges ausgenommen, bad, wo ich nicht irre, zu
Bileams Beiten vorgefallen ift.
Es ift keine Kunft, etwas kurz zu fagen, wenn man etwas
zu fagen bat, wie Tacitus. Wein wenn man nichts zu fagen
hat, und fchreibt dennoch ein Buch, und madt gleihfam die
Wahrheit felbft mit ihrem ex nihilo nihil fit zur Zügnerin, das
beiße ich Verdienſt.
Auf einer meiner Reifen wurde ich in ein Gabinet von
Büften und Statüen geführt. Mir gefiel, troß ber vielen alten
theuren Köpfe, die Büfte eines Demofrits, der etwa 50 bis 60
Jahr alt fein mochte, mehr als Allee. Allein um mid nicht
von der Frau, die das Cabinet zeigte, auslachen zu laffen, fiel
mein Lob auf einen alten Caligula, ber bie Zeichen der Aufer:
ftehung, römifche Gartenerde, noch hinter den Ohren hatte, und
die Frau fagte, ich müßte ein Herr von Gefchmad fein.
Nachdem wir nun die Natur durchaus kennen, fo fieht ein
Kind ein, daß ein Verſuch weiter nichts ift, als ein Compli⸗
ment, das man ihr no madt. Es ift eine bloße Ceremonie;
wir wiffen ihre Antworten fhon vorher. Wir fragen bie Natur
um ihren Conſens, wie bie großen Herren bie Landſtände.
⸗ „Wie gehts?« fragte ein Blinder einen Lahmen. „Wie
Sie fehen,“ antwortete der Lahme, „ganz paſſabel.“
Wenn ich die Genealogie ber Dame Wiſſenſchaft recht
Benne, fo ift die Unwiffenbeit ihre ältere Schwefter; und
62
ift denn das etwas fo Himmelfchreiendes, bie ältere Schweſter
zu nehmen, wenn einem bie Jüngere auch zu Befehl ſteht? Bon
Allen, die fie gekannt haben, habe ich gehört, daß die ältefte
ihre eigenen Reize habe; daß fie ein fettes, guted Mädchen fei,
die eben deßwegen, weil fie mehr fchläft, als wacht, eine vor:
treffliche Gattin abgibt.
Sp ſchreiben, wie H..., ift undriftlic gegen die Nach⸗
welt; denn nun werden neidifche Wortklauber mande fpätern
Erfindungen ſchon in biefen Schriften finden wollen, obgleid
ber ehrliche Mann mit Feiner Sylbe daran gedacht hat.
Prophetiſche Blide in einen Meßkatalog vom
Jahr 1868 *);
Abbt vom Berdienfte. Paris 1867.
Abhandlung von ben im vorigen Jahrhundert üblichen fo
genannten Deutfhen Geſellſchaften, und ob in Jena
eine geweſen, welches geleugnet wird.
Abhandlung von ber Art zu Fritifiren, vor und nad) dem
großen Krieg, militärifches Verfahren ber Beitungsfchreiber
und der fo genannten Offenfivfritifer überhaupt.
Gleims ſämmtliche Werke mit Kupfern, von ben beften Mei:
ftern in und außer Deutfchland. Wien 1868.
Geſchichte der ökonomiſchen Gefelfchaften des vorigen Jahr:
) Im Jahr 1768 gefchrieben.
bunbertS, bes daraus entftandenen Verfalls bed Aderbaues,
der Hungersnoth der Scribenten, und daher erfolgten Über:
fegungsgeiftes in Deutfchland.
I. 38. €. Schuhmachers in Augfpurg, Vorfchlag, die Schuhfoh:
len nad ber Rablinie zu krümmen, nebft einem Anbang,
worin gegen Winkelmann behauptet wird, baß ber Batica:
nifche Apoll Peinen guten Stiefelfuß gehabt habe.
Bon den Schimpfwörtern der alten Deutfhen, Antichriſt und
Antifritifus. Erfurt 1860.
Leute werden oft Gelehrte, fo wie mande Soldaten wer-
ben, bloß weil fie zu Peinem andern Stand taugen. Ihre rechte
Hand muß ihnen Brot fchaffenz fie legen ſich, kann man fagen,
wie die Bären im Winter bin, und faugen aus der Tage.
Die Barbarei ift eine Sündfluth über die Wiffenfchaften
gewefen, welche der wigelnde Frevel einiger römifchen beaux
esprits über biefelben gebracht hat; fie ift in beinahe zweitaufend
Zahren noch nicht ganz vertrodnet, felbft in Deutfchland ftehen
bier und da noch ſtarke Pfügen, wie Seen, wo gewiß feine
Taube ein Ölblatt finden würde.
Nahahmung der englifhen Cross-readings ).
Geftern disputirte unter dem Vorſitz des Hrn. Leibmedicus —
Ein Hengftfüllen mit einem weißen Pleß vor dem Kopf.
* Man muß fi) vorftellen, das Lefen. gefhehe in einem
64
Eine Jungfer von gutem Herkommen wünſcht ald Kammer:
mädchen anzukommen —
Hinten fteht bie Jahrzahl 1719.
Es wird eine Köchin gefucht, die mit Backwerk umzugehen weiß —
Zu zwei Perfonen eingerichtet, nebft etwas Kellerraum.
| Ein junger ftarfer Kerl, ber ſchon als Reitknecht gedient —
Bertreibt Vapeurs und Mutterzufälle in Burzer Zeit.
| Heute wurde Frau N... von Zwillingen entbunden —
Wer auf zehne pränumerirt, Priegt eines umfonft.
Dem Förfterr u WW... if geftern ein junges Rind von ber
Weide entlaufen —
Um fünftigen Sonntag feine Antrittsprebigt zu halten.
Neulich gab der Churfürft dem Capitel ein fplendides Diner —
Drei Perfonen wurden gerettet, bie Übrigen erfoffen.
( Die drei Damen, beren geftern Erwähnung gefhehen —
Können immer eine Stunde vor der Auction befihtigt werben.
° Öffentlichen Blatte, worin fowohl politifche, als gelehrte Neuig:
feiten, Avertiffements von allerlei Art, u. f. w. anzutreffen find:
der Drud jeder Seite fei in zwei oder mehrere Golumnen ges
theilt, und man leſe die Eeiten queer durch, aus einer Co:
lumne in die andere.
Am 13. diefes flug ber Blitz in die hieſige Kreuzkirche —
Und feßte Tages darauf feine Reife weiter fort.
Die Vermählung des Grafen v. 9... ift glücklich vollzogen |
worden —
Er bat aber Gottlob! nicht gezünbet.
Den 12ten ftarb ein Mann in feinem 104ten Jahre —
Und befam in der Taufe die Namen Friderica Sophia.
Die neue Oalanteriefrämerin am Marfte verkauft —
Schnupfen, Kopfweh und andere Zufälle,
Gefpräh zwifhen mir und dem franzöfifdhen
Spradmeifter L..., ber ein verfleinertes
Gehirn gefunden haben wollte.
Der Spradhm. Hier, Herr Profefjor, habe ich ein ver-
fteinertes Menfchengehirn auf dem Haynberge gefunden; daß ift
wirklich eine große Seltenheit. |
Ich. Ja, fo wie überhaupt Berfleinerungen von Dingen,
die leicht faulen; allein die Menfchen, bie dergleichen gefunden
haben wollen, find gar Feine Seltenheit. Ic babe fogar Je:
manden gekannt, der einen verfteinerten Butterwed gefunden
haben wollte.
Der Spradm. Wollen Sie mir biefed rare Stück nicht
abfaufen? Vous l’aurez pour un ducat,
II. 5
66
Ich. Mein lieber Herr L..., folgen Sie meinem Rathe,
und werfen Sie ben Stein weg, es ifl ein gemeiner, im Waffer
abgerundeter Stein.
Der Sprachm. DO Sie find ſchon fo oft fo gütig gegen
mich gewefen — Vous l’aurez pour un &cu. Je n’ai pas un sou.
Ich. Hier haben Sie einen halben Gulden, ben ſchenke
ich Ihnen, aber nehmen Sie den Stein mit.
Der Spradm. O Sie fennen ja ben Hrn.-Hofrath 9...
gut, empfehlen Sie mich doch, vielleicht wird dieſes pretiöfe Stüd
für das Cabinet gekauft.
(Hier ging mir bie Gebulb aus).
Ich (Heftig). Hören Sie, laſſen Sie mi mit Frieben;
wenn Sie aber fagen wollen, das, was Sie hier in ber Hand
balten, fei Ihr eigenes Gehirn, fo will ich ſehen, was ich
für Sie thun kann, denn fo Blingt doch die Sache noch plaufi⸗
bel. (Hier machte ich die Thür auf).
Ein Paar Fabeln.
Der Schuh und der Pantoffel.
. Ein Schub mit einer Schnalle redete einen Pantoffel, der
neben ihm ftand, alfo an: Lieber Freund, warum fchaffft du
dir nicht auch eine Schnalle an? es ift eine vortreffliche Sache.
Ich weiß in Wahrheit nicht einmal, wozu die Schnallen eigent:
li nügen, verfegte ber Pantoffel. Die Schnallen! rief der Schuh
hitzig aus, wozu die Schnallen nügen? Das weißt bu nicht ?
Ei, mein Himmel, wir würben ja gleich im erſten Moraſt ſtecken
bleiben. Ja, liebfter Freund, antwortete ber Pantoffel, ich gebe
nit in den Moraft.
%. Sie müffen fih notwendig Sramers Er und über
ihn anfchaffen, es ift ein unentbehrlidhes Bud).
B. Barum unentbehrlich ?
A. Ei, mein Gott! Sie verfiehen ohne baffelbe nicht eine
Beile in Klopftods Oben.
B. Ia, mein Freund, ich leſe Klopfiods Oben nidt.
Das Spradhrohr und der Mund.
Man würde dich gewiß nicht auf fünfhundert Schritte hö⸗
ren, fagte dad Spradrohr zum Munde, wenn ich nicht ben
Schal zufammenbielte.
Und dich würde man nirgends hören, berfehte ber Munb,
wenn ich nicht ſpräche.
Ihr Gefchichtfchreiber, rüdt den Helden nicht auf, baß ohne
euch ihre glänzendften Thaten nach hundert Jahren vergefien fein
würden, benn ohne biefe glänzenden Thaten hätte man nie et-
was von euch erfahren.
Tobesanzeige
Am fünften Ianuar verblich,
Im fechzigften, Herr Paflor Jürgens.
5 «
68
Was er gefchrieben, findet fi
In Meufels Deutfchland, und fonft — nirgends.
Em etwas vorfchnippifcher Philofoph, ich glaube Hamlet,
Prinz von Dänemarf, hat gefagt, e8 gäbe eine Menge Dinge
im Himmel und auf der Erde, wovon nichts in unfern Com:
penbien ftände. Hat ber einfältige Menfch, der bekanntlich nicht
recht bei Troft war, damit auf unfere Gompenbien ber Phyſik ge
ftihelt, fo fann man ihm getroft antworten: gut, aber dafür ftehen
auch wieder eine Menge von Dingen in unfern Gompendien, wo:
von weder im Himmel noch auf der Erde etwas vorkommt.
Er Hatte ein paar Warzen auf feiner Nafe, die fo faßen,
daß man fie leicht für die Köpfe ber Nägel hätte hatten Fömen,
womit fie am Geficht angeheftet war.
Ein Ball en Masque zum Beften der Armen.
Hodzeiten gehören unter bie Fleifchfpeifen, da fie in ben
Faſten verboten find.
Die metallifchen Alter der Welt find jet verkalcht.
Geheimer Ausrufer — eine neue Hofcharge — näms
lich, der heimlich verbreitet, was man gern verbreitet hätte, und
doch nicht Taut verbreiten barf.
Wenn bie Menfchen nicht nach ben Uhren geben, fo fan«
gen endlich die Uhren an nad) den Menfchen zu gehen.
Da flieht er, wie Niobe, unter den Kindern feines Witzes,
und muß feben, wie ihm Apol eines nad) dem andern über den
Haufen ſchießt.
yon Buch, das in der Welt am erſten verboten zu werden
erdiente, wäre ein Katalogus von verbotenen Büchern.
Seht, da wir Buchbrudereien haben, brauchen wir fein
ftehendes Heer von Abfchreibern, Mönche, zu halten.
Die Bücher in einen Hofftaat zu ordnen: La Lande wäre
mein Premierminifter, Robinfon mein Kammerbiener, gelebhrte
Zeitungen bie Sagbhunde u. f. w.
Bon einem, ber nur immer auf das Gegenwärtige denkt,
Eönnte man fagen, er bat die Unfterblikfeit ber Seele _
nicht erfunden.
Es war nur Schade, wenn er aud ein noch fo niebliches
Kleid trug, fo machte fein öfonomifches, fubmifjes Gefiht, daß
man immer glaubte, es fei fein einziges.
In einem Lande, wo den Leuten, wenn fie verliebt find,
70
bie Augen im Dunkeln leuchteten, brauchte man bes Abends
feine Laternen. .
Weil er feine eigenen Pflichten immer vernadhläffigte, fo
behielt er Zeit genug übrig, zu fehen, wer von feinen Mitbürgern
feine Pflichten vernadhläffigte, und es ber Obrigkeit anzuzeigen.
Harlequin will fich felbft ermorden, und nachdem er gegen
jede Todesart etwas einzuwenden findet, entfchließt er fich end»
lich, fich tobt zu kitzeln.
Es ift Fein Iufligerer Charafter, al8 der von einem Univer⸗
falpatron ohne Kenntniffe. |
Andere lachen zu maden, ift £eine fchwere Kunft, fo lang
ed einem gleich gilt, ob e8 über unfern Wi ift, ober über uns
felbft.
Man macht jest fo junge Dortoren, baß Doctor und Ma⸗
oifter faft zur Würde ber Taufnamen gediehen find. - Auch bee
fommen die, denen biefe Würden ertheilt werben, fie oft wie
bie Taufnamen, ohne zu wiflen wie.
Das Werkchen ift bei aller feiner Dicke fo leer, daß man es
faft für Fein Buch, fondern für ein Zutteral halten follte. —
Ghartefe fo viel ald Chartae Theca.
— — — —
— zz —
Diefer Mann arbeitete an einem Syſtem ber Raturgefchichte,
worin er bie Thiere nach der Form ber Ercremente geordnet
hatte. Er hatte drei Claffen gemadt: die eylindrifchen, fphäri:
fhen und kuchenförmigen.
Es ift doch nichts als eine bloße Berwechfelung vom Mein
und Dein bei beiden, beim ehrlichen Manne fowohl, als bei
dem Spigbuben. Der eine fieht jenes an, als wäre e8 biefes,
und ber andere hält biefes für jenes,
Die Gelehrten haben feit jeher ihre Hypochondrie ober ihre
Augenkrankheit Lieber befchrieben, als bie Krankheiten bes innern
Kopfes.
Man follte Katharr ſchreiben, wenn er bloß im Halſe,
und Katharrh, wenn er auf der Bruſt fikt.
Man follte, wenn man bie Titel anfiehbt, wie fie ihren
Werth verlieren, faſt glauben, es wäre mehr Ehre in die Welt
gekommen; fo wie der Werth des Geldes fällt, wenn bed Gol⸗
des zu viel wirb.
Manche Leute behaupten eine philofophifche Unparteilichkeit
über gewiffe Dinge, weil fie nichts davon verfteben.
Wenn einmal jemand dem größten Schelm in Deutihlanb
12
100000 Louisd'or vermachte, wie viele Prätendenten zur Erb:
fhaft würden fi nicht finden!
Warum follte das herrliche Sprüdhwort nicht fo gut vom
geiftlihen al8 vom Teiblihen Vermögen gelten: Mit Bielem
bält man Haus, mit®enigem fommt man aud aus?
Die menfchliche Haut if ein Boben, worauf Haare wachfen ;
[ mich wunderts daß man noch Fein Mittel ausfindig gemacht hat,
ihn mit Wolle zu befüen, um bie Leute zu fcheeren.
Conbamine fol in Amerifa einige Affen gefehen haben, die
feine Operationen nahmadıten: nad) einer Uhr liefen, dann nad)
einem Serfpectiv, dann thaten, als fchrieben fie etwas auf,
u. bergl. m. — Solcher Philofophen gibt es viele.
Bahrdt im Ketzeralmanach und ber Verfaffer des Alma:
nachs für Belletriften fagen freilich öfter bie Wahrheit, aber doch
thun fie e8 in ben meiften Fällen wie bie Narren und bie Kinber.
Ich fehe immer einen Soldaten mit feinem Bajonette als
ein Argument an, und eine Revüe als eine logiſche Übung,
Menſchen zu überzeugen, was fie find.
Die Wilden haben biefes im Gebrauch, und die Zahmen
in manchen Gegenden Deutſchlands auch.
Wenn fich Yrügel fchreiben ließen, ſchricb einmal ein Vater
an ſeinen Sohn, ſo ſollteſt du mir gewiß dieſes mit dem Rücken
leſen, Spitzbube!
Der Vater. Mein Töchterchen, du weißt, Salomon
- fagt: wenn dich die böſen Buben locken, fo folge ihnen nicht.
Die Tochter, Aber, Papa, was muß ih dann thun,
wenn mich die guten Buben loden ?.
Ja, der Hr. Leibarzt war ein vortrefflicher Mann, er befuchte
SZedermann, er mochte vornehm ober gering fein, und wenn es
um Mitternacht gewefen wäre. Man konnte mit Recht von ihm
fagen, was. Horaz von bed Kaifer Augufis Leibarzt fagt: aequo'
pulsat pede pauperum tabernas regumque turres.
Unter bie größten Entdeckungen, auf bie der menfchliche
Berftand in ben neueften Zeiten gefallen ift, gehört meiner Mei⸗
nung nad) wohl die Kunſt, Bücher zu beurtbeilen, ohne fie ger
lefen zu haben.
Das alte Weib Pönnte eine vortreffliche politifche Mo:
natsjchrift werben.
„Die Antwort wird verbeten„ — was man fo häu—⸗
fig unter die Irauerbriefe fekt, wäre unter ben Recenfionen recht
ſchicklich.
74
Die fehönen Weiber werben heutzutage mit unter bie Ta⸗
Iente ihrer Männer gerechnet.
Während man über geheime Sünden öffentlich fchreibt, habe
ich mir vorgenommen, über Öffentliche Sünden heimlich zu fchreiben.
Wenn auch einmal: einer lebendig begraben wird, fo blei«
ben dafür hundert andere über der Erbe hängen, die tobt find.
A. Hat das Mädchen nicht einen herrlichen Bufen! B. Ja
wohl, dasift recht was Horaz ein bene praeparatum pectus nennt.
All hail, Macbeth! 'überfegte einmal jemand buch: „Alle
Hagel, Macbeth!“
Die Hühner verfhluden Steine, wenn fie verbauen wollen.
Die Seele ſcheint bei Verdauung der Gedanken etwas Ahnliches
nöthig zu finden, inbem fie. befanntlid immer Steine in ber
Birbeldrüfe bat.
—
Die Braut war pockengrübig, und ber Bräutigam finnig.
Spötter fagten, wenn das Pärchen nur erft zufammengefchmies
bet wäre, fo gäben ihre Gefichter ein treffliches Waffeleifen.
Was ift für ein Unterfchieb zwiſchen einem Daher und
einem Arzt ?
#*
Antwort: Der Yaftor baut den Acker Gottes, und ber
Arzt den Gottesacker.
Sch babe öfters gefehen, dab fi Kräben auf Schweine
fegen und Acht geben, wenn biefe einen Wurm aufwühlen, damn
berabfliegen , ihn holen, und fi darauf wieder an ihre alte
Stelle ſetzen. Ein herrliches Sinnbild von dem Sompilator, der
aufmühlt, und dem ſchlauen Schriftfieller, der es ohne viele
Mühe zu feinem Bortheil verwendet,
Er war damals Hoffhaggräber und grub eine Menge Schätze
am Hofe für fih, ohne jemals. einen außer bemfelben für ben
Hof zu graben.
Ein Bater fagt: ber verfluchte Junge macht e8 gerade fo
wie ih, ich will ihn prügeln, baß er bed Teufels wird.
Nachdem wir über anderthalb Stunden gegangen waren,
befanden wir uns an ber nämlichen Stelle, von welcher wir
audgegangen waren. Das ift eine verzweifelte petitio principii,
rief ih auß,
Bei Ramsden ſollen jegt die Pofaunen für ben jüngften
Tag geftellt fein, und man glaubt, daß, wenn ihm Gott Leben
und Gefunbheit bis dahin gibt, fie zur rechten Zeit fertig \ wer
den follen.
76
Bilb eines Polygrapben.
Wenn er eigene Meditationen fehrieb, fo hielt er ſich ordent⸗
ih in feinem Schlafro@ mit langen Ermeln, wie bie meiften
Menfhen; wenn er aber Excerpte aus Reifebefchreibungen machte,
über die Gebräuche bei verfchiebenen Bölkern, fo fchrieb er wie ein
Becker⸗ oder Mebgerfnecht, in einer Wefte ohne Ermel, mit bem
Hemd über die Ellenbogen aufgeftreift. Es fah vortrefflich aus.
Es gibt manche Leute, bie nicht eher hören, als bis man
ihnen die Ohren abfchneibet.
Aus Galvani's Entdedung wirb es begreiflih, warum
die Menfchen ihre Hände fo gern nach Gold ausfireden; denn
das Ausftreden gehört mit unter bie Zuckungen. Man flieht alfo,
daß bierin nicht Alles moralifh, fondern auch Manches phufifch
if. Die Hände find Wünfchelrutben, die immer nad) Metall
fchlagen.
Die Menfchen verfprechen fich jekt fo viel von Amerifa und
befien politifchem Zuftande, daß man fagen fünnte, die Wünſche,
wenigftens bie heimlichen, aller aufgeklärten Guropäer hätten
eine weſtliche Abweichung, wie unfere Magnetnabeln.
Wenn es gegründet iſt, mas ein vortreffliher Kopf, ber
Abbe Lechevalier, muthmaßte, baß der König Lubwig XVI.
durch den Einfluß der Royaliften hingerichtet fei, weil man dieß
— _ —
für das ficherfte Mittel gehalten hätte, wieder einen König zu
befommen; fo könnte man nicht unfhidlich fagen, der König
fei in usum Delphini hingerichtet worden.
Ich ſchätze Leute glülih, bie einen Vornamen mit einem
M haben, weil fie gleihfam natürlihe Magiftri find.
Der berrfehende Gefhmad an Halbromanen zeigt fi fogar
jest in unferen politifchen Zeitungen.
Guter Rath.
A. Sagen Sie mir, fol ich heirathen oder nicht?
B. Ih dädte, Sie machten es wie Ihre Frau Mutter,
und beiratheten in Ihrem Leben nicht.
Bergleihung zwifhen einem Prediger und einem
Schloſſer.
Der erſte ſagt: du ſollſt nicht ſtehlen wollen; und der
andere: dus ſollſt nicht ſtehlen fönnen.'
Er kann die Dinte nicht halten, und wenn es ihm anfommt,
jemand zu befubeln, fo befubelt er fi) gemeiniglich am meiften.
A. Dieß ift wohl Ihre Frau Liebſte?
B. Um Bergebung, es ift meine Frau.
— Bee — *
78
Nachtrag
zu ben witigen und fatyrifhen Einfällen und
Demerfungen,
Daß ber Barometer öfters fällt, wenn es trübe wirb, daran
find die Wolken eben fo wenıg Urſache, ald an manden Orten
die Jahrmärkte, daß ed regnet.
Bei einem Eleinen Werfen denke ich immer, das ift nur
ein Spähbüchelchen, woburd der Berfafier Ankergrund für ein
größeres fuchen läßt.
Die großen Medaillen Gellert, Hagedorn u. f. w. bat bie
Natur eingefhmolzen, und feheint fie uns nun in kleinen Cou⸗
rantforten wiederzugeben.
, Acht Bände hat er gefchrieben. Er hätte gewiß beſſer ge-
‘than, er hätte acht Bäume gepflanzt, oder acht Kinder erzeugt.
Da faß nun der große Mann und fah jeinen jungen Kagen zu.
Er bat den Galgen nit auf dem Budel, aber in ben
Augen.
Er war ein fo. aufmerkffamer Grübler, daß er ein Sanbforn
immer eber fah als ein Haus. j -
Der Mann hatte Bieles bei wachender Gelehrfamkeit und
fhlafendem Menfchenverftande ausgehedt.
Seit wann ft denn: ſchlecht und recht und recht fchlecht
einerlei ?
Die Natur bat bie Menfhen durch bie Bruft verbunden,
und die Profefjores hätten fie gern mit bem Kopfe zufammen.
Sein Dintefaß war ein wahrhafter Janustempel. Wenns
jugepfropft war, fo wars in ber ganzen Welt Friebe,
Eine von den Convenienzen ber Ehe ift aud bie, einen
Befuh, den man nicht ausftehen Bann, zu feiner Frau zu weifen,
Das Kompliment: Sind Sie geftern glücklich nah Haufe
gefommen? zeugt noch von unfern ehemaligen Sitten und Stein:
pflafter.
Eine Wegebefjerung in. ven Wiffenfchaften wäre anzurathen,
um deſto befjer von ber einen zu ber andern kommen zu können.
Außer ſeiner geiſtlichen Heerde, welcher er, wenn er konnte,
80
etwas abnahm, hatte er noch 200 Etüd auf ber Weide gehen,
bie er regelmäßig fchor.
E 2
Wenn eine Betfchwefter einen Betbruber heirathet, fo gibt
- 1 das nicht immer ein betendes Ehepaar.
Der Verleger bat ihn in efligie vor feinem Werke aufhän-
gen laffen.
Der Hund ift bas wachſamſte Thier, und doch ſchläft es
den ganzen Tag.
Man ſollte Crocodille in den Stadtgräben ziehen, um ihnen
mehr Feſtigkeit zu geben.
Von dem Manne könnte man ſagen, daß die Satyriker ihn
ſich gleichſam zu ihrem Ambos gewählt hatten.
Etwas Witziges läßt ſich wider Alles ſagen und für Alles.
Hiergegen könnte ein witziger Mann wieder etwas ſagen, das
mich vielleicht dieſe Behauptung bereuen machen könnte.
| Es ift Schade, daß es keine Sünde iſt, Waſſer zu trinken,
„rief ein Italiener, wie gut würde es ſchmecken!
Eine jede Sache hat ihre Werktags⸗ und ihre Sonntagsfeite.
si
Das Mädchen ift ganz gut, man muß nur einen andern
Rahmen darum maden laſſen.
Man könnte dad Gewiſſen unſerer Empfindſamen ein poeti⸗
ſches Gewiſſen nennen.
In Göttingen wird ber Mann, der ben Kopf von außen zu:
ftugt, von den Burſchen eines größern Vertrauens gewirdigt,
als der ihn von innen zu verbeſſern unternimmt. *
Die Wege werden immer breiter und Kine; je: näher man
biefer Höle (London) kommt.
Sie hätten ein Octavbanbchen nad Göttingen geſchickt, und
an Leib und Seele einen Quaͤrtanten wieder bekonmen.
Aus dem Blöfen des Kindes ift Sprache fo geworben, wie
aus dem Zeigenblatte ein franzöfifches Gallakleid.
Bei Prophezeihungen ift der -Ausleger oft ein wichtigerer
Mann als der Prophet.
Er liebte bauptfächli die Wörter, bie meht in Wörterbü⸗
chern vorzukommen pllegen. —
Es wird noch auftommen, Biftentarteni ‚int ben Collegi⸗
II. 6
82
zurüdzulaffen ; noch beffer bei den Kirchen. Man geht hin, wenn
feine Kirche ift, und läßt eine Karte ba, etwa beim Küfter,
Der Dreifuß, den bier und ba die Galgen formiren, hat
gewiß mehr Wahrheit wo nicht gelehrt, doch eingefchärft, als
ber zu Delphi.
...;&e verfchludte viel Weisheit, e8 war aber, als wenn ihm
Alles in die unrechte Kehle gekommen fei.
Bei ben geiftlihen Schafen in ber Gemeinde fo gut, wie
bei den weltlichen auf dem Felde ift die Wolle immer bie Hauptſache.
..... Es gibt Predigten, die man opne Thränen zu weinen nicht
anbören , und ohne welche zu lachen nicht leſen kann.
Wenn er ſprach, ſo fielen in der ganzen Nachbarſchaft die
Mauſefallen zu.
Wer ein Gewitter, und nur ein paar hunderttauſend Hor⸗
niſſe teuͤmmandiren könnte, ber koönnte mehr thun als Alexander,
oder auch nur eine halbe Million Menſchen. |
. Die Leute, bie dad y fo gern aus dem ABC verbannen
wollen, kann ich wenigftens fo viel verfihen, daß, als. in ben
Sahren funfzig die Worte: Seid fromm! am Himmel ftanden,
das Wort feid mit einem y gefchrieben war.
Wenn uns ber liebe Bött ferner Leben und Geſundheit fchenkt,
fo hoffe ich follen wir alle hier begraben werden. Rebe in einem
Samilienbegräbniffe.
Das Fauftreht iſt Heutzutage verſchwunden bis auf bie
Freiheit, jedem eine Fauſt in ber Tafche zu machen.
Die feltfamften Ideen fchwärmten feinem Kopfe zu, als
wenn ihre Königin barin fäße, und bas war auch wahr,
Es ift immer befjer, einem ſchlechten Schriftfteller gleich den
Onabenftoß zu geben, ale ihn ſo lebendig von unten herauf zu
recenfiren.
Geſtern Nachmittag 33/, Uhr iſt meine Taſchenuhr ganz fanft
verftorben. Sie hatte fchon feit drei Monaten gefräntelt.
Gr excerpirte beftändig, und Alles, was er las, ging aus
einem Buche neben dem Kopfe vorbei in ein anderes.
63 wäre fein Wunder, wenn bie Zeit ſolchen Leuten das
Stundengla8 an ben Kopf fohmiffe.
Um biejes Gebäude gehörig aufzuführen, muß vor allen Din
genein guter Grund gelegt werden, und ba weiß ich feinen feflern,
als wenn man über riede Schicht pro gleich eine Schicht contra aufträgt.
6 “
84
Der Ameritaner,:ber ben Columbus s zuerſt entbedte, ', machte
eine böfe Entdedung.
Unter allen den Guriofitäten, die er in feinem Haufe auf:
gehäuft hatte, war er felbft am Ende immer bie größte,
Es ift faſt unmöglid, bie Fackel der Wahrheit durch ein
Gedränge zu tragen, ohne Jemandem den Bart zu ſengen.
Er erfand Alles etwa fo, wie bie wilden Schweine und bie
Jagdhunde die Salzquellen und Geſundbrunnen.
Das Außerordentlichſte bei bieſem Gedanken er unſteitig
dieſes, daß, wenn er ihn eine halbe Minute ſpäter gehabt hätte,
ſo hätte er ihn nach ſeinem Tode gehabt.
Er las immer Agamemnon ſtatt „angenommen“, fo ſehr
hatte er den Homer geleſen.
So wie es Thiere gibt, bie mit dem Schwanze greifen, ſo
gibt es auch welche, die mit der Hand ſchwänzeln.
Er hatte gar keinen Charakter, ſondern wenn er einen haben
wollte, ſo mußte er immer erſt einen annehmen.
Es ſcheint, wir haben jetzt nur noch Sugochſen, Aueroch ſen
gibt es nicht mehr. Wir haben jetzt nur Zugdichter, die eigent⸗
lichen Auerdichter gibt es nicht mehr.
Man bat Beifpiele von Geburten, ‚die 44 Jahre im Mut⸗
terleibe zugebracht haben, und am Ende ift doch nichts-daraus
geworben.
Daß am Menfchen nicht viel Sonderliches ift, beweiſt haupt
fählih die Weitläuftigkeit der Jurisprudenz.
Ob er am Herzen befchnitten war, weiß ih nicht, aber
baß er verdient hätte, es an den Ohren zu fein, ba8 weiß id).
Der Mann sans la lettre war beffer, als nachdem man
den Titel darunter geflochen hat.
Bom Stolziren bes welfchen Hahns. Ich möchte wohl wife
fen, was die Natur damit will. Er felbft kann nichts bamit
wollen.
So wie man anderen Leuten Piftolen und Degen wegthun
muß, wenn fie betrunfen find, fo mußte man ihm ben Gelb:
beutel wegnehmen, damit er nicht zu viel Gutes that.
Es gibt Familien, in denen die Leute ſchon bei jungen
Jahren die Schneidezähne verlieren. Es find das Feine ſonder⸗
liche Leute. u
Was das Glodenläuten zur Ruhe ber Verftorbenen beitra-
86
gen mag, will ich nicht entfcheiden; ben Lebendigen in es ab⸗
ſcheulich.
So wie die Leibärzte der Ochſen Menſchen ſind, ſo hat man
[. auch oft gefunden, daß bie Leibärzte ber Menfchen Ochſen find.
Er hatte fi) wenigftens feit 6 Wochen nur in Gedanken ge-
wafchen.
Einer will fi) erfäufen, allein fein greßer Hund, der ihm
nachgelaufen, apportirt ihn allemal wieber.
Einer zeugt ben Gedanken, ber Andere bebt ihn aus ber
Taufe, ber Dritte zeugt Kinder mit ibm, ber Zierte beſucht ihn
am Sterbebette, und der Fünfte begräbt ihn.
Er glaubte nicht allein Feine Geſpenſter, ſondern er fürch—
tete fi) nicht einmal bavor.
Er konnte das Wort „ſucculent⸗ ſo ausſprechen, daß, wenn
man es hörte, man glaubte, man biſſe in einen reifen Pfirſich.
Die Natur hatte bei dem Bau dieſes Menſchen ihren Plan
auf 90 Jahre angelegt, er felbft aber fand für befjer, ihn nad
einem zu bearbeiten, bei welchem nicht völlig das Drittel von
jenem herauskam.
Was den Weg zum Himmel betrifft, fo mögen wohl, auf
und ab, Religionen gleich gut fein, allein der Weg auf ber
Erde, das ift ber Henker.
Das Buch bebarf noch des Aalfaterns, die Riſſe auszu⸗
ſlopſen.
Er hatte immer ſo viel mit den Geiſtlichen zu ſchaffen, daß
ſich endlich die Leiblichen der Sache annahmen, und ihn aus
ber Stadt fchafften.
Da liegen nun die Kartoffeln , und ſchlafen ihrer Auferſte⸗
hung entgegen.
Er mochte in Proſa untertauchen ‚ ober in Poefie ſich erhe⸗
ben, ſo war immer ein Heer von Recenſenten hinter ihm her.
Es ging dem armen Teufel wie den fliegenden Fiſchen, die von
ihren Feinden verfolgt werben, fie mögen untertauchen oder
fliegen.
Die Suppe fehmedte fo abfheulih, daß, um zu glauben,
es fei auf eine Vergiftung abgefehen, man nur nöthig gehabt
hätte, ein großer General oder ein König zu fein.
- In einem Auffake, worin ein neuer Brunnencurort empfohlen
wird, wird auch angezeigt, daß ein fchöner geräumiger Kirchhof da fei.
88
Wir freffen einander: nicht, wir ſchlachten uns / bloß.
Er ſchlief in x feiner gewöhnlichen Unthätigfeit einmal ſpo
lange auf der Fenſterbank, daß ihm die Schwalben hinter die
Ohren bauten.
Man ftattete ihm ſehr heißen, etwas verbrannten, Dank ab.
Gr bing noch auf ber r bortigen Univerftät, wie ein fchöner
Kronleuchter, auf dem aber feit zwanzig Jahren Fein Licht mehr
gebrannt hatte,
[ Ein Kerl, ber einmal feine 100000 Thaler geftohlen hat,
kann bernach ehrlich durch -die Welt kommen.
Bu ben jährlichen Sterbeliften follten noch folgende Rubrifen
Binzufommen: In ben Hinimel find gefommen 33; zum Teu⸗
fel find gefahren 717; zweifelhaft 883. Mit ſolchen Zetteln
könnten die Theologen ſich Geld verdienen.
Er hatte ein paar Augen, aus denen man, ſelbſt wenn fie
ſtill fanden, feinen Geift und Wit fo erkennen onnte, wie bei
einem ftillftehenden Windhunde die Fertigfeit im Laufen.
Bon einem Juben: er ftarb den Tten September, nachdem
er bereits den 6ten ejusdem, wie biefes bei bem Volke Gottes
gebräuchlich ift, war begraben worben.
89
Ich habe Thon lange gedacht, bie Philofophie wird ſich
noch felbft freffen. Die Metaphyſik bat diefes zum Theil ſchon
gethan.
Die Barbierer und Haarſchneider tragen .bie kleinen Stadt:
neuigfeiten in bie großen Käufer, fo wie bie Bögel den Samen
von Bäumen auf bie Kirchthürme. Beide keimen ba oft zum
Schaden, nur ift die. Pflanzungsart verfhieben. Jene fprechen
fie, und dieſe übertragen fle auf bem entgegengejegten Wege.
Nah einem. breißigjährigen Kriege mit. fich felbft, Fam es
endlich zu einem Vergleich, aber die Zeit war verloren.
Man kann wirflih nicht wiſſen, ob man nicht jekt im
Tollhauſe ſitzt. RW
Die Fliege, die nicht geklappt ſein will, ſetzt ſich am ſicher⸗
ſten auf die Klappe ſelbſt.
Ich lobe mir die Leute, welche Nerven haben wie 4: Pfen-
nigöftride.
Wenn auch das Gehen auf zwei Beinen dem Menfchen nicht
natürlich ift, fo ift es doch gewiß eine Erfindung, die ihm Ehre
macht.
90
Seine Bücher waren alle ſehr nett; fie hatten auch fonft
wenig zu thun.
Hinten hatte er einen falfchen Zopf eingebunden, und vorne
ein frommes Geſicht, das nicht viel ächter war, auch zuweilen
wie jener bei heftigen Bewesungen ausfiel.
.. Man hat Nachtſtühle, die wie aufeinander gelegte Folian⸗
ten ausſehen. Einige Schriftſteller ſcheinen Gefallen an der um⸗
gekehrten Methode zu finden, und Bücher zu ſchreiben, die ſich
wie Nachtſtühle präſentiren.
Geſpräch.
Ich. Warum weint ſie denn?
Die Gartenfrau. Ach, mein Mann geht heute zum
Nachtmahl nach Bovenden.
Ich. Nun, iſt denn da zu weinen? Das in ja gut, daß
er ſo fromm iſt.
Die Frau. Ach ja, fromm, wenn er zum Nachtmahl ge⸗
weſen, ſo betrinkt er ſich, und da krieg ich allemal Schläge.
Ich verkaufte, wie Eſau, mein Geburtsrecht in die Facul⸗
tät zu treten gegen etwas Ruhe.
Ein Mechanikus (Seyde) beurtheilte Bürgers Gedicht auf
Michaelis, mit der Bemerkung, es wäre Schwung darin. Es
mar eine Luft, ben Dann von einer Ode urtbeilen zu bören
wie von einer Zeuerfprügße.
Die Entfhuldigungen feiner Fehler nehmen fich zum Theil
gut aus: fie tragen aber zur Beſſerung ſeines Fehlwurfs gemei⸗
nigli fo wenig bei, al8 beim Kegeln das Nachhelfen mit Kopf,
Schultern, Armen und Beinen, wenn bie Kugel fhon aus der
Hand ift. Es ift mehr Wunſch ale Einwirkung.
Man kann wirklich, wenn man in einem ſchlechten Wagen
fit, ein folches Gefiht machen, baß ber ganze Wagen gut aus-
ſieht. Auch vom Pferde gilt das,
Es hilft freilich, aber man muß immer bebenten, es if
ein Schritt, der mit dem viele Ähnlichkeit hat, da man fi zur
Heilung ber Schwindſucht in den Kuhſtall einmiethet.
Branntewein aus Sperlingen brennen, würde fie bald zer«
ftören.
Ein canadifher Wilder, dem man alle Herrlichkeiten von
Paris gezeigt hatte, wurde am Ende gefragt, was ibm am be
ften gefallen babe. Die Metzgerläden, antwortete er.
Die Frage ift, mas man in jener Welt dazu fagen wird,
wo man vermutblich anders benft, als bier zu Lande.
92
Um fortzufommen, bediente er’ ſich des befannten vierfüßigen
Thiers, das noch in keinem zoologifchen Werke befchrieben ift,
und dad unter dem Namen von Portehaife in allen großen
Btäbten häufig berumfchleiht. Man Pönnte e8 als ſchwanger
betrachten, und mit dem trojaniſchen Pferde vergleichen.
Man: gibt ü über . Iorifen Gedichten oft die Versart on:
- oo. [—o—-.e|j|=-oo0| ufm
Wenn man bie Gedanken darin mit Eins und den Nonfens
mit Null anzeigte, fo würbe «8 zumeilen fo ausfehen:
-—-"000|000|000|-
Wenn fie auf dem Leihhauſe Menfhen annähmen, fo
möchte ich wohl wiffen, wie viel ih auf mich geborgt befäme.
&o find die Schuldthürme eigentlich Leihhäufer, in welchen
man nicht fowohl auf Meublen, als auf bie Beſitzer felbft
Geld leiht.
Es 8 fehlt nicht viel, fo ordnet man die Menfchen in Rüdficht
auf Geiftesfähigkeiten fo wie bie Mineralien nach ihrer Härte,
ober eigentlih nach der. Gabe, bie eines beſitt, das andere zu
ſchneiden und zu Fragen. J
Die Chr begießen das vnaniden- und bie Juden bes
fihneiden ee.
%. De Mann bat viele Kinder. B. Ja, aber ich glaube,
bei ben meiften bat er bloß bie Gorrectur beforgt..
Die Degen, welde bie größten Sroberungen machen, find
die mit Demanten befeten.
Der Januarius ift ber Monat, da man feinen guten Freun⸗
den Wünfche darbringt, und die übrigen bie, worin fie nicht
erfüllt werben.
In England wurde bei einem politiſchen Ftauenzimmerclub
feſtgeſetzt, daß bei wichtigen Borfällen außer ber Präfidentin
nur noch zwei. Perfonen zu gleicher Zeit. reden follten.
Im Adrefkalender ſtehen die Profefforen offenbar nach ber
Zandmiliz.
Herr N pflegte ſich und feinen Kindern jo viel Circenses
zu geben, daß es endlich beiden am pane zu fehlen anfing.
Die Vermählung des Dogen mit dem abriätifhen Meere
könnte genügt wärden. Der Bürgermeifter zu ...., das wegen
feines Biers berühmt iſt, vermählt fi) jährli mit einem Braus
keſſel. N. vermählte fi alle Jahre wenigftens Einmal mit ber
Goſſe, nur mit dem Unterfchiebd von dem Dogen zu Venedig,
baß diefer nur einen Ring ins Waſſer wirft, jener aber mit
fehr viel größerer Herzlichkeit ſich felbft hineinlegte. -
94
S. that felten Unrecht, aber was er that, gemeiniglich zur
unrechten Zeit.
Er Hatte im Prügeln eine Art von Gefchlechtötrieb ; er prüs
gelte immer nur feine Frau.
Die beiden Hohenliederdichter Salomon und Bürger haben
in puncto puncti nie ſonderlich viel getaugt.
Es gibt eigentlich zwei Arten, eine Sache zu unterfuchen,
eine Faltblütige und eine warmblütige, |
Der Correetor verbeffert Drudfehler noch zu rechter Zeit;
ber Krititer gebructe Zehler, wenn «8 Teider zu fpät iſt.
Es wäre freilich gut, wenn es keine Selbſtmorde gäbe.
Aber man richte nicht zu voreilig. Wie in aller Welt wollte
man z. B. in Trauerſpielen bie unnügen Perfonen wegſchaffen?
Sie durch andere ermorden zu laffen, ift gefährlih. Alles ift
weislich georbnet.
Man kann ſich nicht leicht eine fchlauere Here benken. Die
Schlange hatte wie ben Vater, fo auch feine beiden Söhne bes
ſtrickt. Wahrli eine wahre Gruppe des Laofoon.
* .
So gehts an ber Leine, an der Elbe und am Rhein, und
wird wohl am Jordan eben fo gegangen fein. :
»
Er ſchickte mir ein fehr ſchlecht gebrudktes und gefchriebenes
Troſtgedicht, gerade als wenn man Thränen mit Löſchpapier
trocknen könnte.
Er war nicht ſowohl Eigenthümer als Pächter der Wiſſen⸗
haften, die er vortrug. Denn es gehörte ihm nicht ein Fleck⸗
chen davon.
Es gibt heutzutage fo viele Genies, daß man recht froh
fein ſoll, wenn einem einmal ber Himmel ein Kind befcheert,
das feines ift.
Man hatte ihm fein Buch zu Schanden recenfirt, und ex
fagte felbft, wenn er es auf ben Schranke flehen fähe, fo ver«
arge es in ihm das Gefühl, wie der Anblid bes verfchloffenen
Zadend eines Kaufmannes, der banferot geworben: ift.
Gefpräd..
A. Ja, die bat ihr Köpfchen.
B. Und ich habe mein Prügelchen.
Er hatte fi) fogar eine Conſtitution entworfen,.. um ſich
zum Handeln zu bringen, und eigentliche Minifter erwählt, Mäs
figfeit, fogar den Geiz einmal. Sie wurden her immer wie
ber beruntergeworfen.
96:
-. Mit ber ehriftlichen Religion Läßt fi): Staat mahen, aber
wahrlich mit. den Chriften ſehr wenig.
Man wäfht am Gründonnerstag 12 Männern ober Wei:
bern bie Füße, und bafür das ganze Jahr hindurch e allen übri⸗
gen Unterthanen die Köpfe.
Ob der Mond bewohnt iſt, weiß der Aſtronom ungefähr
mit der Zuverläſſigkeit, mit. der er weiß, wer fein Vater war,
aber nit mit der, womit er weiß, wer feine Mutter gewefen:ift.
Wenn die Nachwelt einmal einen ganz aufgetrennten Das
menanzug fände (vielmehr ftatt der Nachwelt, eine andere: Claffe
vernünftiger Wefen) und wollte -baraus die Figur ber. Dame
beftimmen, die. damit überzogen geweſen wäre, was würde. da
für eine Figur herauskommen? “ FE
Doß in den Kirchen geprebigt‘ wird, macht behtwegen die
Blikableiter auf ihnen nicht unnöthig.
Man hat heutzutage mehr Magifter ber Rehtſhoſenhet
als rechtſchaffene Menſchen.
%
Es it eing ganz befannte Sache, baß bie e Bieelkünd
Ken größer find, als die Viertel ftunden.
Die Buchhändler follten Leinenlumpen und Papierfchnigeln
zur Bezahlung nehmen, fo könnte ſich noch mancher ehrliche
Mann ein Werken anfdyaffen.
Ih hatte mich auf K’8 Anrathen damals entfeglich dar⸗
über geärgert.
Wenn er philofophirt, fo wirft er gewöhnlich ein angeneh⸗
mes Mondlicht über bie Gegenflände, das im Ganzen gefällt,
aber nicht einen einzigen Gegenftand deutlich zeigt.
Daß wir bie Sperlinge noch nidt ganz von unfern Erb:
fenfeldern adhalten fünnen, ift ein Zeichen, daß wir bie Natur
der Sperlinge noch nicht genug kennen. Wan verfährt gegen
fie, wie gegen Spigbuben, das ift wie gegen Menfchen, und
das find fie doch offenbar nicht. Ich wollte alfo auf alle Weife
zur unmenfchlichen Behandlung rathen.
Jemand ftirbt ftoifh, an einem Gefhwür am Rüden, man
begreift nicht, warum ber Mann fo tieffinnig ift, findet aber
nad feinem Tode, daß ihm der Galgen auf ben Rüden ge:
brannt war.
Kein Wort im Evangelio ift mehr in unferen Tagen befolgt
worden, als das: Werdet wie die Kindlein.
II. 7
98
Wo alle Leute fo früh als möglich Fommen wollen, da muß
- nothwendig bei weiten ber größte Theil zu fpät Fommen. -
Ein Stoß auf den Magen raubt alles Bemwußtfein nicht
dem Magen, fondern dem Kopfe felbft. Überhaupt wird immer
von Kopf und Herz geredet, und viel zu wenig vom Magen,
vermutblih, weil er in den Souterrains logirt ift, aber bie
Alten verftanden es beffer. Perſius creirte ihn bekanntlich fchon
zum Magister Artium, und feitdem ann er dod) wohl etwas
binzugelernt haben.
Bekanntlich ift Boltaire zweimal getauft worden, es bat
aber nicht viel gefruchtet, und vielleicht wäre es beffer für ihn
und bie Welt gewefen, wenn man, ſtatt das Pflänzchen zwei:
mal zu begießen, e8 zweimal befchnitten hätte.
Bei diefer Gelegenheit mwurben einige Guartbänbe in den
FSoliantenftand erhoben, und e8 wurbe ihnen erlaubt, Xitelblät:
tet in folio zu führen, die aber eingefchlagen getragen werden
mußten.
"x
Es ift möglih, Iemandem die Baden fo zu ftreiheln, daß
ed einem Dritten ſcheint, als hätte man ihm eine Obrfeige ges
gebeii. .
Im ganzen Sirkel von Liebe zur Veränderung, die das
— ——— —— — o⏑
weibliche Gefchlecht befikt, ift wohl bie zur Veranderung des
Namens die vorzüglichfte.
Sch habe ihm Lieber gefungen, gereimte und ungereimte,
aber er hörte fie an, wie der Maifäfer ben Gefang ber er Kinber,
und that nur bloß was ihm gefiel.
Das Niefen ift eine Operation, wodurch große Übel entſte⸗
ben können, Taubheit, Blindheit, Aberkröpfe, ja felbft der Tod.
Diefes ift die Urfache, warum man Profit fagt, Gott gebe, daß
bir dieſes nicht fihaden möge. Man Eönnte das Profit bei
manchen anderen Dingen fagen, beim erften Verſemachen, Heis
rathen u. f. w.
Er hatte fo viel über die Sache gedacht, wenigſtens geſchrie⸗
ben, daß man damit, wo nicht ein Pferdihen, doch ein mäßiges
Efelchen hätte belaften Pönnen.
Er war ein unerfhöpflicher Erzähler, und höchſt unterhal-
tender Mann. Das Licht feines Wiges leuchtete über Tafeln
von 50 Couverts. Es mußte aber jemand da fein, der das
Licht zuweilen putzte, fonft fing e8 an dunkel zu brennen, und
verlofh wohl gar. Es mit ber LXirhtfcheere auszuthun, war
unmöglid. j D)
Sept ſucht man überall Weisheit auszubreiten, wer weiß,
7 *
100 J
ob es nicht in ein paar Hundert Jahren Univerfitäten gibt, bie
alte Unwiſſenheit wieder berzuftellen.
Ab, was wollten wir anfangen, fagte das mänden, wenn
ver liebe Gott nicht wäre !
Wenn dieſes Philofophie ift, fo ift e8 mwenigften® eine, bie
nicht recht bei Troſt ift.
Jemand, ber bie Größe eines Fledens befchreiben wollte,
fagte: er war von der Größe eined gewöhnlichen Dintenfleds.
Frage: Was ift leicht und was ift fchwer? Antw.: Solche
Fragen zu thun ift leicht; fle zu beantworten ift ſchwer.
Die großen Zeldherren wollten wir gern entbehren, wenn
wir nur dafür defto mehr große Stadt» und Lanbesherren bes
fämen.
Als er am Kirchhofe vorbeiging, fagte er: Die da Fännen
nun ſicher fein, baß fie nicht mehr gehenkt werden; das können
wir nidt.
Gr fagte Alles mit fo wenig Worten, als follte er fie fi
eindbrennen laffen,
- — —— — |U[|444‚
ln — — — — — — —
Wenn irgend ein Phöbus feinen feurigen Wagen zur Er:
feuchtung und Berberrlihung der Welt an dem Firmamente hin-
führt, fo fann man ficher auf ein Dupend Phaetone rechnen,
bie in ihren Gabrioletchen und Halbchaischen hinterbrein purzeln.
Er fhliff immer an fih, und wurde am Enbe ftumpf, ehe
er fcharf war,
Wäre ed nicht gut, bie Theologie etwa mit dem Jahre 1800
für gefchloffen anzunehmen und ben Theologen zu verbieten,
fernere Entdedungen zu machen?
Ich bin längſt von dem Satze überzeugt gemwefen, daß es
in den Familien, die 3. & aus Mann und Frau, 4 bis 8 Kin⸗
dern, einer Kammerjungfer, ein Paar Mägbden, ein Paar Bes
dienten, Kutfiher ıc. beftehen, und auch Eleineren, zumal wenn
noh ein paar Frau Bafen wenigftens tolerirt werden, gerade
fo zugeht, wie mut. mut. in den größten Staaten. Es gibt da
Verträge, Kriege, Zriedensfchlüffe, Minifterwechfel, Lettres de
Cachet, Reformation, Revolution u. f. w.
Um an etwas zu zweifeln, ift freilich oft bloß nöthig, baß
man es nicht verfteht. Diefen Sa wollten einige Herren gar
zu gern umkehren, indem fie behaupten, man verftehe ihren
Satz niht, wenn man ihn bezweifelt.
102
12.
Witzige und Fomifche Ausdrücke und
Vergleichungen.
Diefer Satz gehört mit unter die officinellen.
Er kann fi) den ganzen Tag in einer warmen Borftellung
fonnen.
Sie find fo fehr unterfehieden, als ſchwarz von weiß; alfo
fo fehr als ein Peruquenmader von einem Schornfteinfeger.
Er fpeit Geheimniffe und Wein.
Herr 9... hat diefe Meffe ein Wer? vom Stapel laufen
laſſen.
Er mäanderte wohl dreimal um die Stelle herum.
Er ſpeiſte ſo herrlich, daß hundert Menſchen ihr: Unſer
tägliches Brot gib uns heute davon hätte erfüllt werden
können.
Seit urbar machen.
Gr war das bei ber Sadhe, was ber Schwanzmeifter bei
der Ramme iſt: er commanbdirte, führte den dickſten Strid, und
arbeitete am wenigſten.
Va fpriht mit dem Maule wie ber Franzoſe, mit Hanb-
dungen wie der Engländer, mit ben Achfeln wie ber Italiener,
oder mit allen dreien wie der Deutſche.
-
Man könnte ihn den Saunkönig der Schriftfteller nennen.
Wenn fein Wagen fuhr, fo glaubte man inımer, e8 füme
eine Feuerfprige, wohlverflanden, eine in- ber Richtung von der
Brandftätte nach dem Sprigenhaufe.
-
Zwei auf einem Pferde bei einer Prügelei ein ſchönes Sinns-
bild für eine Staatöverfaffung.
Bon dem Birfenbaum gilt oft mehr, ald von ben Küns
ften, da8 Opidianifche Emollit mores nee sinit esse feros.
Professor Philosophiae extraordinariae.
Das Doctorwerden ift eine Confirmation bed Geiſtes.
104
Blitztrunkene Wolken, Spotttrunßen.
Es regnete fo ftark, daß ale Schweine rein, und alle Men:
fhen dredig wurden,
Die Störde und Kraniche können kaum fo rar in England
fein, als die Louisd'or bei ihm. Bumeilen ließ fih ein halber
Gulden fo wie eine Märzfchwalbe fehen, verſchwand aber bald
wieder.
Sie ift am furore Wertherino geftorben.
Er war ein Zwillingskopf, das ift, er hatte, ohne
eine Mißgeburt zu fein, bie Kopflräfte von zweien.
Er ift jegt in Paris, und compilirt Krankheiten und Nar:
renspoſſen.
$
F Gine zweifhläfrige Frau.
Eine einfchläfriger Kirchftuhl.
Dortor der Ihanatologie.
Mit dem Band, das ihre Herzen binden follte, haben fie
ihren Zrieden ftrangulitt.
Die Shetis, ‚ bie der Bacchus umarmt, wäre ein berrliches
Schild für unfere Weinfchenten.
Eine Vorrede könnte Fliegen wedel, und eine Dedica⸗
tion Klingelbeutel betitelt werden.
Das hat ihm ſicherlich ſein diabolus familiaris- eingegeben.
Der Sap muß noch mit einem Bruch multiplicirt werben.
Ein Schulmeifter fohreibt an einen andern: ba heißt es recht :
Nitimur in foetidum. .
Den Hintern mit dem Birkenpinfel roth malen.
Der Herbft zählt der Erbe die Blätter wieder zu, bie fie
dem Sommer geliehen bat.
Nicht Alle, die Wohlgeboren find, find Wohlgeſtor⸗
ben, ober im Reiche der Todten Hochedelgeſtorben.
Wir haben mehr Titulärpbilofophen, als wirkliche.
Wir von Gottes Ungnabden Taglöhner, Xeibeigene, Neger,
Frohnknechte ꝛc.
106
Ein Menfh, der mit einem Fluch Añdern die Herzhaftig:
keit nimmt und fi) gibt — ein Straßenräuber.
-
Kirchthürme, umgekehrte Trichter, das Gebet in den Himmel
zu leiten.
. Die Zonfur ber Zeit und die Corona civica ber Debauche
um bie Schläfe. "
Königlicher dofblitableiter — ein Titel.
Er war nicht ſowohl Vater des Vatetlandes, als deſſen
Generalquartiermeiſter.
Ein Mannsfriſeur, der auch allenfalls mit Frauenzimmern
fertig werden kann.
Wenn man ſeinen Stammbaum und die hoffnungsvolle
Jugend anſah, ſo mußte man geſtehen, daß die Familie ein
wahrhaftes perpetuum nobile wäre.
Gr befam die Hauptprügel, der Andere nur bad accessit.
Sein jüngerer Bruder Priegte feined befondern Kopfes wegen
eine Pleine Stelle beim Theatro anatomico zu G... Nämlich er
fam todt auf die Welt, und wird jegt dort in Spiritus aufbewahrt.
Die Frauenzimmer mit Paradießyogeln verglichen, weil fie
feine Beine haben.
Er ftieß ihn mit dem Kopf gegen bie Erde, ald wenn er
ihn da aufftelen wollte, wie Columbus das Ei.
Seine Bebienten waren noch fo ziemlih weihmäulig,
fie famen beim zweiten Klingelzug allemal.
Er hatte einige Jahre mit ihr im Stande ber unbeiligen
Che gelebt.
Die Schulen — gelehrte Rafpelhäufer. — Er rafpelte bie
auclores classicos feine ganze Lebenszeit durch.
Statt Quod erat demonstrandum, KUQIE Elton! unter
eine pfochologifche Demonftration. '
Er faß zwifchen feinen jungen Hünblein, und nannte fich
Daniel in der Löwengrube.
Er feßte der Wade einen Louisd'or auf bie Bruft, und fo
entkam er ofüdlih.
Gr bielt fehr viel vom Lernen auf ber Stube, und war
alfo gänzlich für bie gelehrte Stalfütterung.
108
Der Efel kommt mir vor wie ein Pferd ind Holländifche
überfekt.
Die gefhärfte Sokratifhe Methode — ich meine bie
Tortur.
Ein Fiſch, der in der Luft ertrunken war.
Der Gang der Jahreszeiten iſt ein Uhrwerk, wo ein Guck⸗
guck ruft, wenn es Frühling iſt.
Der berühmte Schwein- und nachherige Seelenhirt Sixtus V.
Vom Wahrſagen läßt ſich wohl feben in der Welt, aber
nicht vom Wahrheit ſagen. |
Eine Ausgabe auf papier velin, und eine auf papier vilain.
Mein Aide be Camp — Melungs Wörterbuch.
Die Geſundheit fieht e8 lieber, wenn der Körper tanzt, ald
wenn er fchreibt.
Etwas aus Ultracrepidamie thun.
Ich bin nicht der Meinung, die Erde zum Hofpitalplaneten
zu maden.
Bankerotwaſſer — der Kaffee.
109
Nachtrag
zu ben wißigen und fomifchen Ausdrücken und
Bergleichungen.
ARE bie Livree bes Hungers und bed Elends.
Gott, ber unfere Sonnenuhren aufziebt.
Eine Mondfinfterniß, die Silhouette der Erbe.
Nah dem neuen Griechenland reifen, um das Grab ber
fhönen Künfte zu befuchen.
Eine Schraube ohne Anfang; fo könnte man wohl eine
lahme nennen.
Das Geftirn des Unheils war über ihm aufgegangen.
Gr ift in eigenhänbdiger Perfon binaufgeftiegen.
M Ein Mittagsmahl überſetzte ein Franzoſe: mal de midi.
So find in Göttingen öfters wahre maux de midi.
Wären nur bie Herren Weiber beffer, mit ben Drau Che
männern ginge c8 wohl noch hin.
110
Abhandlung von merkwürdigen Ochſen⸗ und Cfelsföpfen,
bie nahe bei N. und in der anliegenden Gegend über der Erbe
gefunden worden.
Bon dem Erziehungsbuche bis zum Erziehungsbefen.
Eine Efelin, bie felbft nöthig gehabt hätte, erft die Eſels—
mild zu trinken.
Augen wie ein Stilet.
Eine Jungfer Hausfrau, ober eine Frau Haudjungfer.
Profit, wenn's fein Schnupftabad ift.
Stanflin, der Erfinder der Disharmonica zwifchen England
und der neuen Welt.
An die Univerfitätögaleere angeſchmiedet.
Lieber Gott, ich bitte dich um taufend Gotteswillen.
Als unfere felige Kuh noch lebte, fagte einmal eine Frau
in Oöttingen.
Er ftand fo erbärmlich. da, wie ein ausgebranntes Räucher⸗
kerzchen.
Es gibt eine Art von Proſa, bie man bie Staatsperuque
nennen könnte.
Der Menfh der alten Zeit verhält fih zur neuen, wie.
ein Bratenwenber zu einer Repetiruhr.
Das neue Teftament, von neuem aus bem Griedifchen
überfeßt, vermehrt und verbeffert u. f. w.
Eine Scelendocolade, deren Gebrauh zum ewigen Leben
führt. on
Er trieb einen Pleinen Finfternißhanbel.
Verse der Preffe und der Kaffeemühle.
Der Franke fichtz der Emigrirte gehet fechten.
Die Herren vom Berge, ich meine vom Parnaß. (1796 ge⸗
fchrieben). "
Schon lange vor ber franzöfifhen Revolution "hatte er bie
dreifarbige Nafe aufgeftedt.
Es war mir auf dem Garten immer eine Freude, bes Sonns
tags fo die fchönen Leinathenienferinnen vorbeigehen zu fehen.
—
112
Ein wahres Stedbriefgeficht.
Er ſchien eher Tifchlerarbeit zu fein, als ein wirklich menſch⸗
liches Gefchöpf.
Flüche für Kinder, Seeleute, Militairperfonen ır.
Ein großes Licht war der Mann eben nicht, aber ein großer
bequemer Leuchter. Er handelt mit anderer Leute Meinungen.
Er handelte mit anderer Leute Meinungen. Er war Pros
feffor der Philofophie.
Die Geehrten und die Gelehrten.
Er ftieg langſam und ſtolz wie ein Gerameter voran unb
feine Frau trippelte wie ein Pentameterchen hinter brein.
Auf den Fenftern der Aufklärung ruht in... nod eine
ſchwere Zare.
Die Stadtuhr hat wieder rheumatifche Zufälle,
Gr hatte von feiner Frau ein Kind, welches Einige für
apokryphiſch halten wollten.
Er hatte ein paar Stückchen auf der Metaphyſik ſpielen gelernt.
Das Grenabiercabinet Sriehr. Wilhelm bes Sehen.
— Bäber heilen gut.
Das Berbrechen ber befeidigten Philoſophie.
Eine. Menagerie von Spisbuben. | u
Der Papagei fpradh noch bloß feine Mutterſprache.
Jungfern, davon drei auf ein Säculum gehen.
Die weißen Federn der Damen ſind weiße Fahnen, die ſie
aufſtecken zum Zeichen der Capitulation.
Zwölflöthiger Rheinwein.
Hinlänglicher Stoff zum Stillſchweigen.
⸗ Wenn der Schlaf ein Stiefbruder des Todes iſt, ſo iſt der
Tod ein Stiefbruder des Teufels.
Er ſchrieb und dachte friſch von der Leber weg, ohne Alles
erſt durch das Filtrum der Gonvenien; laufen zu laſſen.
IL i 8
114
Ein Pfaffe auf ber Canzel. Er war did, breit, hatte einen
furzen Hals, und fein Gefiht öfters unter einem Winkel von
459 aufwärts gerichtet, fo daß er förmlich einem geifllihen Con-
troversbombenmörſer glih. Zuweilen wurde fein Rüden faft
borizontal und da fpie er, wie eine Drehbaſſe, Fluch, Freuden:
und Segenfeuer durch einanber.
Die Nafe machte mit den beiden Augenknochen eine Art von
fpanifhem Reuter, daß man fe nicht einmal hätte küffen kön⸗
nen, wenn man gewollt hätte,
Wir wohnen in Göttingen in Sqheiterhaufen, , bie mit Thür
ren und Fenſtern verfehen: find.
©ie afen ein Te Deum laudamus.. ...:
Er war Anekdotenfpebiteur und > Sofmebi bei dem Fürs:
ſten zu NR.
Seine Stirn verdient das glühende Eiſen bes Geſchicht⸗
ſchreibers.
Ein Sorgenmeſſer; mensura curarum. Mein-Geſicht iſt
eines.
DOffenfiver und defenfwer: Stolz. —
Sie zog eine. Diebe und Leibrente. -— , te
Der felig zerplakte B., ſagte dieſen Morgen mein Zrifeur.
Dem Büchelchen die Pocken einveuliren, das tft, fi bie
Recenfenten durdy Bitten zu Freunden machen.
D. follte auf fein Maculaturmagazin ‚die Aufſchrift ſetzen
laſſen: Piperariis et Apollii; oder auch: Musis et Piperi.
Das ift die Wetterfeite meiner moralifchen Sonftitution, da
Fann ich etwas außhalten. i
Neujahrswünſche, für deren Güte der Verkäufer rinfteht.
Sie fünnen, wenn ne nicht einſchlagen, ‚ wieder zurückgegeben
werden.
Die ganze Halsgerichtsordnung der Canzel.
" Diefen meinen Secundaverweis« fchreibt ein Kaufınann
an feinen Sonn.
ICH
Ein Haus, worin bie Körper nach ahgeſchiedener Serum
einen Wittwenfig erhalten.
‚Bi ift zwar noch nicht verheirathet., Bat: aber promovirt.
8 vw
116
Gr war ber Ausrufer bed Evangelii, denn Prediger konnte
man ihn nicht nennen.
Ih habe gehört, er fol zuweilen nüchtern fein.
Der Hunger und das Elend liegen ba gleichfam in Garniſon.
Er war ber wahre Serunbenzeiger bes Anſtandes ‚bet Ber:
nunft und des guten Gefhmads.
Gr hatte mehrere Krankheiten, allein feine Hauptflärke befaß
er im aſthmatiſchen Face.
Er war damals die Spadille ber Gefellfhaft.
Der gute Ton fteht dort um eine Octave niedriger.
Das Mufenbrot ift an manden Orten noch fehwärzer als
das Commisbrot.
Er glich gewiffen Blumenblättern, die man nie gerade bies
gen Bann, fie bleiben immer nad) ber einen oder der andern
Seite hohl.
Das Wort Haldgeriht Fünnte zumeilen von einem concilio
medico gebraucht werben.
117
Er hatte eben einige lateinifhe Wörter apportiren gelernt.
Man fagt: das Adlerauge der Kritif. In vielen Fällen
wäre es befjer, zu fagen: die Hundsnaſe der Kritik,
Borrede ſollte heißen Borf pann ‚ denn bas find manche
Borreben.
Es ließen fih ganz artige Bemerkungen über die vielen auf
dem großen Profpert in M. in die Augen fallenden Kirchfpiken
maden. Sie find eine Art fpanifcher Reuter gegen den Teufel
und fein Heer, SKriegableiter u. f. w.
Yen Mädchen, faum zwölf Moden alt. .
118
. 133. | oo |
Urtheile und Bemerkungen über den
Charakter verſchiedener Völker.
Die Osnabrücker find ganz gute Leute, aber fie braudyen
doch auf drei Tage, um einen Windofen zu ſehen.
In Athen berrfchte meit weniger gefunde Vernunft, als in
Lacedämon. Die erfte Stadt war äußerft wanfelmüthig; fie ließ
ihre Generale binrichten, und bereute es; fie vergiftete den So⸗
Prates, beftrafte feine Feinde, und errichtete ihm Ehrenfäulen.
Im Jahr 1774 Tas ich in irgend einer von Hume's Schrife
ten, die Engländer hätten. gar feinen Charafter.
„Ich konnte damals nicht begreifen, wie ein ſolcher Mann ſo
y etwas fagen Fonnte, für das fich einen Tag Credit erwarten
ließ. Nun, nachdem ich etwa 16 Wochen unter biefem Volke
gelebt habe, glaube ich mit Überzeugung, daß Hume recht hat.
Ich will bamit nicht fagen, daß es wahr ift, allein mir fommt
es nun fo vor, was ich voriged Jahr für gänzlich unmöglid ges
halten hatte,
Wenn fi etwas Beftimmtes von dem Charakter der Eng:
%
länder fagen läßt, fo iſt es biefes, daß ihre Meven, wie man
zu fagen pflegt, fehr fein find. Sie unterſcheiden Wieles, wo
Andere nur Eins fehen, und werben leicht durch den gegenwärs
tigen Eindrud hingeriſſen. Daher fieht: man, wie ihre Wankel⸗
müthigfeit mit ihrem Genie zuſammenhängt. Wenn fie fi
porfäglich einer einzigen Bade überlaffen,, fo müffen fie e8 auf
biefe Art fehr weit bringen,
Sn England findet man mehr Originalcharaktere in Gefell-
[haften und unter dem gemeinen Volk, als man aus ihren
Schriften Fennt. Wir hingegen haben eine Menge. im Meßka⸗
talog, wenige in Geſellſchaft und im gemeinen Leben, und uns
ter den Galgen gar keine.
Sagt, ift noch ein 1 Ban außer Deifötan, wo man bie
Nafe eher rümpfen lernt, als putzen?
ꝰ Der Charakter der Deutſchen in zwei Worten: patriam
fugimus. Virg.
Die Engländer folgen ihrem Gefühl mehr, als andere Men⸗
ſchen, daher find fie fo geneigt, neue Sinnen anzunehmen, z. B.
sense of trulh, sense of moral, sense of heauty.
Die Deutfchen Iefen zu viel. Darüber, daß fie nichts zum
zweitenmal erfinden wollen, lernen fie Alles fo anfehen, wie
120
ed ihre Vorfahren angefehben haben. Der zweite Fehler ift aber
gewiß fchlimmer, als ber erfte.
Selbft aus den taufend und einer Naht kann man bie
Indolenz ber Indianer ertennen. Aladins Lampe, womit er
ſich Alles verſchaffen kann, das Pferb, dad vermittelft eines
Bapfens hinführt, wohin man will, find unwiderſprechliche Kenn:
zeichen des Charakters. Haben nicht thätigere Nationen auch in
ihren Fabeln mehr Thätigkeit ?
Keine Ration fühlt fo fehr, als bie beutfche, ben Werth
von andern Nationen, und mwirb leider! von ben meiften wenig
geachtet, eben wegen biefer Biegfamleit. Mich dünkt, bie an«
dern Nationen haben redht: eine Nation, bie Allen gefallen
will, verdient von Allen verachtet zu werden. Die Deutfchen
find e8 auch wirklich fo ziemlihd. Die Ausnahmen find bekannt,
und fommen nit in Betracht, wie alle Ausnahmen.
’
Ich glaube doch, daß, in Vergleich mit bem Gnglänber,
bie Vernunft bei dem Deutfchen mehr vertuſcht, was eigentlich
gar nicht einmal Statt finden follte. Der Deutfhe lacht 3. €.
bei mancher Gelegenheit nicht, weil er weiß, daß es unſchicklich
ift, wobei dem Engländer dad Lachen gar nicht einfällt.
Wo die gemeinen Leute Vergnügen an WBortfpielen finden,
und häufig felbft welche machen, ba kann man immer darauf
rechnen, ‚daß bie Ration auf einer ſehr hoben Staffel von. Cul⸗
tur flieht. Die Calenberger Bauern machen Feine. .
Nachtrag
zu den Wrtheilen und Bemerkungen über den Charakter
verfchienener Völker.
Die engliſchen Genies gehen. vor der Mode ber, und bie
deutſchen hinter drein.
Die Griechen beſaßen eine Menſchenkenntniß, die wir, ohne
durch den ſtärkenden Winterſchlaf einer neuen Barbarei durchzu⸗
gehen, kaum erreichen zu können ſcheinen.
Wenn man den Ländern ihre Namen von den Worten
gäbe, die man zuerſt hört, fo müßte England damn it heißen.
Ich möchte einmal wiffen, was gefchehen würde, wenn
man in Zondon bie zehn Gebote fo lange aufhöbe, als es 12 fchlägt.
Wir kennen noch zur Zeit die Spisbuben der Engländer
beſſer, al8 fie unfere Gelehrten.
122
Warum gibt fih nicht leicht irgend jemand, ber e8 nicht
ift, für einen Deutſchen aus, fondern gemeiniglich, wenn er ſich
für etwas ausgeben will, für einen Zranzofen oder Engländer?
Das ift in diefer Welt ausgemadht. Aber das find Hafenfüße.
Gut, aber warum gibt es Feine Hafenfüße unter andern Natio⸗
nen, bie fi für Deutfche ausgeben? Cs ift ſeltſam. Es ift
ein Irrthum. Aber Irrthum von, Nationen, wer wil:ihn rich
ten? Es werben Kriege. geführt über. Urfachen, bie im gemeinen
Leben den Galgen verdienen. Aber wer will richten ?
Der deutfche Gelehrte hält die Bücher zu lange offen, und
ber Engländer madt fie zu früh zu. Beides bat indefien in
der Welt feinen Nupen. |
Die Hannoveraner haben ben Fehler, daß fie zu früh klug
werden. J
| 14,
Zum Andenken von Verſtorbenen.
Große Männer follten ihren Beifall Öffentlich nicht bloß
den Helden geben, nicht bloß dem Manne, der von einer Bor«
ftelung begeiftert eine Ode ſtammelt, fondern auch bem gerech-
ten und firengen Richter, bem gelehrten und gewiſſenhaften Ad⸗
. vocaten, dem finnreihen und emfigen Handwerker. Fürchtet
nicht, daß eure Geſchichtbücher mit Namen üÜberſchwemmt wer⸗
den würden. Sie ſind ſo ſelten und ſeltner, als die Helden,
je geringer der Lohn iſt, den ſie aus den Händen des Ruhms
erwarten. Ich weiß nicht, ob bie Geſchichtſchreiber des ſieben⸗
jährigen Krieges den Generalanbiteur Sriefebacd nennen wers
den; wenn ein Livius darunter ift, fo vergißt er ihn nicht. Ein
Dann, der feinem Könige fo getreu, wie feinem Gott war;
‘der, wenn er bie Gerechtigkeit und das Geſetz für ſich hatte,
nichts fcheute, was fonft Menfchen zu fürchten pflegen, burd
nicht8 beftechlih, was die Welt geben Bann; Purz der Mann,
deſſen Tugend Ferdinand bewundert, und bei deſſen Tode
Zimmermann geſagt hat:
Der Mann, der von der Bahn der Tugend niemals wich,
Der an Gerechtigkeit den Höllenrichtern glich,
124
Den Fürftengunft vergebens wanken madte,
Der als ein Gott bei jeder Handlung badhte,
Der ftirbt! — ad nur zu früh für Baterland und Freund ıc.
Die Namen folder Männer müffen nicht etwa unter dem
Titel: Leben gewiffenbafter Rihter unb Abpocaten
— der Nachwelt zugeftellt werden wollen, bie fie gewiß unter
diefer Addreffe nicht erhält. Man muß ihnen nicht einen Lei«
henftein auf einem Stadtkirchhof errichten, fondern man muß
fie unter die Könige begraben. j
Den 12. September 1769 ftarb in Göttingen Hr. Rolten,
ein Büchfenmacher und ein fehr ehrliher Mann. Gr hatte es
in feiner Kunft fehr weit gebraht, und war zugleich ein treff⸗
liher Schütze. Er ſchoß einmal aus freier Hand 13 mal nad
einander auf 250 Schritt ins Schwarze, und beinahe immer auf
benfelben Fled. Bei folennen Sceibenfchießen hat er öfters ben
Yunft aus ber Scheibe geſchoſſen. Gr liegt in ber Albaner
Kirche begraben, wo ber große Mayer ebenfalls liegt. Gr war
mein guter Freund, und batte ein vortreffliches Herz, daher
lächele ich nicht bei ber Verbindung der beiden Ramen, Mayer
und Nolten.
Am 18. December 1788, ftarb mein vortreffliher Meifter‘),
*) Albreht Ludw. Friebr. Meifter, geb. 1724, zu Weider
beim im Hohenlohifchen, Prof. ber Philofophie in Göttingen.
125
-
allein erft ven 23. ward er, nach feiner- Verordnung, begrabett.
Hieraus Teuchtet bed guten Mannes Furcht hervor, die ihn fonft
gegen das Ende feiner Tage verlaffen zu haben ſchien. Ich babe
ihn fehr genau gekannt, nicht bloß, weil ich viel mit ihm umging,
— denn man kann ſehr viel mit einem Manne umgehen, und ihn
boch nicht Eennen lernen, — fonbern weil id) in einer Berbin-
dung mit ihm ſtand, wobei man fi nicht bloß an einander
anfchließt, fondern auch fo unter einander öffnet, baß-Alles in’
beiden Gefäßen bis zum horizontalen Stand zuſammenfließt.
Er war ein Mann von den größten Fähigkeiten, und einem
Scharffinn, der nicht leicht ſeines Gleichen hat. Mathematiſcher
Calcul war deßwegen nicht das, was Reize für ihn hatte; er
dachte ſehr gering davon, wie von den Leuten, die ihren ganzen
Ruhm darin allein fuchen., Schriftſtelleriſchen Stolz hatte er
gar nicht; er hätte fonft gewiß leicht feine Herren Collegen” über:
troffen. Ganz gekannt bat ihn indeffen die Welt gar nicht,
auch feinem Charakter nad. Es ift gar fonderbar, wie viel der
vernünftigfte und rechtſchaffenſte Mann nöthig bat, nicht mit
dem Mifroffop betrachtet zu werden. Ich möchte wohl zumei«
len wiffen, wo alle8 ba8 hinaus will, und wo man die Linie
zu ziehen bat. Das Mädchen im Stand ber Natur paart fi
willig mit dem Manne, ber Stärke und Geſundheit und Thä⸗
tigkeit verräth. Nach der Hand findet fie, daß fein Athem nicht
der reinfte ift, daß er ihr wirklich nicht immer Genüge leiſtet
n.f.w. So geht e8 überall. Meifter war ein höchſt feiner und
ſcharffinniger Kopf, und wirklich ein großer Mann, von uner-
=
126
ſchütterlicher Rechtfcehaffenheit im Handel und Wandel, und dod
batte er fo unzählige Schwachheiten, wo man ihn ganz ſah. — —
Petron und Apulejus waren immer feine Lieblingsfchriftfiel-
ler; obgleich er gegen edle Simplicität nit unempfindlich war,
Un Auflöfung einer verwidelten Synthefe fand er befonderes
Bergnügen.
127
— 15. |
Gute Hathichläge und Marimen.
Wenn bu in einer gewiffen Art von Schriften groß werben
wilft, fo lies mehr, als die Schriften biefer Art. Wenn du
auch ſchon deine Äſte nicht Über ein großes Stüd Feld ausbrei⸗
ten willſt, fo ift es deiner Aruchtbarfeit immer gutraslich, deine
Wurzeln weit ausgebreitet zu haben.
Ein gutes Mittel, gefunden Menſchenverſtand zu erlangen,
ift ein beſtändiges Beftreben nach deutlichen Begriffen, -und zwar
nicht bloß aus VBefchreibungen Anderer, ſondern fo viel möglich
durch eigenes Anfchauen. Man muß die Sachen oft in der Ab»
fiht anfehen, etwas daran zu finden, was Andere noch nicht
gefeben haben; von jedem Wort muß man fi) wenigftens Eins
mal eine Erklärung gemacht haben, ‚ und- keines. brauchen, dad
man. nicht verſteht. on: =
Es ijt fehr gut, Alles, was man denkt, rechnet u. dergl., in
befondere Bücher zu fehreiben: dieß macht den Wachstum merk:
lich, unterhält den Be und gibt einen 1 Rebenbenegunghgrund,
aufmerkfam zu fein. --. on, ner
128
Man muß nie denken, biefer Sa ift mir zu fohwer, ber
gehört für große Gelehrte, ih will mich mit den andern bier
befchäftigen; das ift eine Schwacdhheit, bie leicht in eine völlige
Unthätigkeit ausarten kann. Man muß fi) für nichts zu gering
balten. u
So zu leſen und zu ftudiren, daß es fi) immer anfekt,
kann ich rathen, obgleih die Welt nit an mir ben Nupen
diefes Rathes fieht. Ich gebe ihn nicht, weil ich ihn durch häu⸗
fige Erfahrung nützlich befunden babe, fondern weil ich ihn jept
fehr deutlich fehe, daß ich ihn hätte befolgen follen. Aus dieſem
Geſichtspunkte follte man überhaupt Vorſchriften betrachten.
Bei Abſichten muß man bei der Lectüre beftändig vor Augen
haben, wenn fie vernünftig fein fol: einmal, die Saden zu
behalten und fie mit feinem Syftem zu vereinigen, und dann
vornehmlich fi die Art eigen zu machen, wie jene Leute bie
Sachen angefehen haben. Das ift die Urfadhe, warum man es
bermann warnen follte, Peine Bücher von Stümpern zu leſen.
zumal wo fie ihr eigenes Raifonnement eingemifcht haben. - Man
fann Saden aus ihren Compilationen lernen, allein was einem
Philofophen eben fo wichtig, wo nicht wichtiger ift, feiner Den-
Fungsart eine gute Form zu geben, lernt er nicht.
Hüte dich, daß du nicht durch Zufälle in eine Stelle kommſt,
ber du nicht gewachfen bift, damit du nicht feheinen mußt, was
129
du nicht biſt. Nichts ift gefährlicher, und töbtet alle innere
Ruhe mehr, ja ift aller Rechtfchaffenheit mehr nadıtheilig, ale
biefes, und endigt gemeiniglich mit einem gänzlichen Verluſt
des Grebits,
Übe beine Kräfte, was dich jegt Mühe Eoftet, wird bir end»
lich mafchinenmäßig werben.
Was man fieht, tzut oder lieſt, ſuche man immer auf den
Grab der Deutlichkeit zurückzubringen, daß man wenigſtens
die gemeinſten Einwürfe dagegen beantworten kann; alsdann
läßt es ſich zu dem errichteten Fond unſerer Wiſſenſchaft ſchlagen.
Kein ſtreitiges Vermögen muß je darunter gerechnet werden.
Will ſich etwas allgemein Angenommenes nicht mit unſerm
Syſtem vertragen, ſo fehlen uns vielleicht noch Grundideen; und
Erlernung ſolcher iſt ein großer Gewinn. —
Man muß nicht zu viel in Büchern blättern über Wiſ—
fenfchaften, die man noch zu erlernen hat. 8 fehlägt oft nieder.
Immer nur das Gegenwärtige weggearbeitet !
Durch eine fricte Aufmerkſamkeit auf feine eigenen Gedan⸗
fen und Empfindungen, und durch bie färkflindividualifirende
Ausdrückung berfelben, durch forgfältig gewählte Worte, die man
gleich niederfchreibt, kann man in kurzer Zeit einen Borrath von
Bemerkungen erhalten, beffen Nutzen fehr mannichfaltig ift.
I. 9
130
Wir lernen uns felbft fennen, geben unferm Gedankenſyſtem
Feftigkeit und Zuſammenhang; unfere Reden in Geſellſchaften er:
balten eine gewiſſe Eigenheit wie bie Gefichter, welches bei bem
Kenner fehr empfiehlt, und deffen Mangel eine böfe Wirkung thut.
Man bekommt einen Schatz, ber bei Fünftigen Ausarbeitungen ge
nügt werden kann, formt zugleich feinen Stil, und flärft ben in-
nern Sinn und die Aufmerkſamkeit auf Alles. Nicht alle Reichen
find es durdy Glück geworden, fonbern viele durch Eparfamteit.
&o kann Aufmerkſamkeit, Öfonomie der Gedanfen und Übung
ben Mangel an Genie erfegen. -
Man Fann nicht leicht über zu vielerlei benfen, aber man
kann über zu vielerlei Iefen. Über je mehrere Gegenftände ich
denfe, das heißt, fie mit meinen Erfahrungen und meinem Ges
dankenfyftem in Berbindung zu bringen fuche, befto mehr Kraft
gewinne ih. Mit dem Lefen ift es umgekehrt: ich breite mid)
aus, ohne mich zu flärken. Merke ich bei meinem Denken
Lücken, bie ich nicht ausfüllen, und Schwierigkeiten, bie ich
nicht überwinden kann, fo muß ich nacdhfchlagen und Iefen. Ent:
weder dieſes ift das Mittel, ein brauchbarer Mann zu werben,
oder e8 gibt gar Feines.”
O, wenn man bie Bücher und die Gollectaneen ſähe, aus
denen oft die unfterblichen Werke erwacfen find — (ich habe
die Geftändniffe einiger vertrauten Schrifrfteller für mich, die
nicht wenig Aufſehen gemacht haben) — es würde gewiß Tau⸗
- — — 2
fenden den größten Zrofl gewähren! Da nun biefes nicht leicht
gefchehen kann, fo muß man lernen durch fi) in Andere hinein
fehen. Man muß Niemanden für zu groß halten, und mit
Überzeugung glauben, daß alle Werfe für die Ewigkeit die Frucht
des Fleißes und einer angeftrengten Aufmerkſamkeit gewefen find.
Laß dich deine Lectüre nicht beberrfchen, fondern berrfche
über fie.
Ängftli zu finnen und zu denken, was man hätte thun
können, ift das Übelfte, was man thun Pann.
Von den jedermann bekannten Büchern , muß man nur
die allerbeften Iefen, und dann lauter folche, die fat niemand
ennt, deren Berfaffer aber fonft Männer von Geift find. -
Jeden Augenblick des Lebens, er falle, aus welcher Hand bes
Schickſals er wolle, und zu, den günfligen, fo wie den ungünfti-
gen, zum beftmöglichen zu machen, barin befteht die Kunft bes
Lebens, und das eigentliche Vorrecht eines vernünftigen Wefens,
Zur Auferwedung bes in jedem Menfchen fchlafenden Sy:
ftems, ift das Schreiben vortrefflih; und jeder, ber je geſchrie—
ben hat, wirb gefunden haben, daß Schreiben immer etwas er:
wedt, was man vorher nicht deutlich erfannte, ob es gleich in
uns lag.
9*
132
Sich der unvermutheten Vorfälle im Leben fo zu feinem
Bortheil zu bedienen wiffen, daß bie Leute glauben, man babe
fie vorher gefehen und gewünfcht, heißt oft Glück, und madıt
ven Mann in der Welt. Ja, biefe Regel bloß zu mwiffen unb
immer im Geift zu haben, ift ſchon eine Stärfung. Nach Ro—
chefoucault's Urtheil, fol der Cardinal de Reg biefe Eigenfchaft
in einem hoben Grade befeffen haben.
Wer weniger hat, als er begehrt, muß wiffen, daß er mehr
bat, als er werth ift.
„Es gibt fehr viele Menſchen, die unglüdlider
find, als bus — gewährt zwar Fein Dad, darunter zu woh—⸗
sen, allein fih bei einem Negenfchauer darunter zu retiriren,
ift das Säschen gut genug.
Man follte fi nicht fchlafen Iegen, ohne fagen zu können,
daß man an dem Tage etwas gelernt hätte. Ich verftehe bar-
unter nit etwa ein Wort, dad man vorher noch nicht gewußt
bat; fo etwas ift nichts; will es jemand thun, ich habe nichts
dagegen; allenfalls kurz vor dem Lichtauslöfchen. Nein, was
ich unter dem Lernen verftehe, ift Fortrüden der Grenzen unfe:
rer wifjenfchaftlichen oder fonft nüglichen Erkenntniß; Berbeſſe⸗
rung eines Irrthums, in bem wir uns fange befunden haben;
Gewißheit in’ manden Dingen, worüber wir lange ungewiß
waren; beutlih Begriffe von dem’, was uns undeutlich war;
Erfenntniß von Wahrheiten, bie fich fehr weit erſtrecken u. f. w.
Was dieſes Beſtreben nüglih macht, ift, daß man bie Sache
nicht flüchtig vor dem Lichtausblafen abthun kann, fondern daß
die Befchäftigungen des ganzen Tages dahin abzweden müffen.
Selbft das Wollen ift bei dergleichen Entſchließungen wichtig, ich
meine bier das beftändige Beftreben ber Borfchrift Gnüge zu leiſten.
Unternimm nie etwas, wozu du nicht das Herz haft, dir
den Segen bed Himmels zu erbitten!
Ad, ih habe fo oft felbft erfahren, wie viel die Regel
gilt: Vermeidet den Schein des Böfen fogar! Denn wenn man
auch noch fo gut handelt, fo gibt man doch irgend einmal Je
manden Gelegenheit, uns eine Schuld aufzubürben, wobei fein
Mund nicht einmal zu lügen Urfache hätte, fo fehr auch fein
Herz ihn der Falfchheit ziehe.
Rath am Ende bes Lebens: Man hüte fi, wo mög:
ih, vor allen Schriften der Compilatoren und der allzu literäs
rifhen Schriftfteller! Sie find nit ein Menfch, fondern viele
Menfhen, die man nie unter einen Kopf bringen Bann, ohne
fi) zu verwirren; und e8 gebt oft viele Zeit verloren, eine folche
muftvifche Arbeit unter einen guten Geſichtspunkt zu bringen.
Ein Mann, der Alles zufammen gebacht hat, für ſich, verdient allein
gelefen zu werben, weil ein Geift nur einen Geiſt faffen kann.
136 “
Manche Leute wiſſen Alles fo, wie man ein Räthfel meiß,
deſſen Auflöfung man gelefen bat, oder einem gefagt worden iſt,
und das ift die fchlechtefte Art von Wiffenfchaft, die ber Menfch
am wenigften fi erwerben follte. Er follte vielmehr darauf ber
dacht fein, ſich diejenigen Kenntniffe zu erwerben, bie ihn in
ben Stand ſetzen, Vieles felbft im Kal der Noth zu entbeden,
was Andere lefen oder hören müffen, um e8 zu wiffen.
Man fol feinem Gefühle folgen, und ben erften Eindrud,
ben eine Sache auf uns madht, zu Wort bringen. Nicht ale
wenn ich Wahrheit fo zu fuchen riethe, fondern weil es bie uns
verfälfchte Stimme unferer Erfahrung if, das Reſultat unferer
beften Bemerkungen, da wir leicht in pflichtmäßiges Gewäſch
verfallen, wenn wir erſt nacdfinnen.
—
Große Dinge gefeben zu haben, 3. B. einen großen Sturm,
muß unftreitig bem ganzen Gehirn eine andere Stimmung geben,
und man Pann fi) daher nicht genug in foldhe Lagen bringen.
Man fammelt auf biefe Art, ohne zu wiſſen.
Sweifle an Allem wenigftens Einmal, und wäre e8 auch)
der Sag: zweimal 2 ift 4.
In die Welt zu gehen, ift deßwegen für einen Schriftfteller
nöthig, nicht fowohl, damit er viele Situatignen fehe, ſondern
felbft in viele komme.
ein Glied ausmacht. Jedes Ding gehört in.eine folche Heibe,
beren äußerſte Glieder gar nicht mehr zufammen zu gehören
fcheinen.
Nicht eher an bie Ausarbeitung zu gehen, ale bis man mit
der ganzen Anlage zufrieden if, das gibt Muth und erleichtert
die Arbeit.
Es ift eine große Stärfung beim Studiren, wenigftens für
mich, Alles. was man Tiefet, fo deutlich zu faffen, daß man
eigne Anwendungen bavon, ober gar Zufähe dazu machen
kann. Man wird dann am Enbe geneigt, zu glauben, man
babe Alles felbft erfinden fünnen, und fo etwas macht Muth, fo
wie nichts mehr abfchredt, als Gefühl von Superiorität im Bud).
Nachtrag
zu den guten Rathſchlägen und. Marimen.
Wig und Laune müffen wie alle corrofive Sachen mit Sorg:
falt gebraucht werben.
Man ift nur gar zu fehr geneigt, zu glauben, wenn man
etwas Talent befißt, Arbeiten müffen einem leicht werden. Greife
Dih immer an, wenn Du etwas Großes thun willſt.
136 “
Mandye Leute wifjen Alles fo, wie man ein NRäthfel meiß,
deſſen Auflöfung man gelefen bat, oder einem gefagt worben ift,
und das ift die fchlechtefte Art von Wiffenichaft, die der Menfch
am wenigften fich erwerben follte. Er follte vielmehr darauf ber
dacht fein, ſich diejenigen Kenntniffe zu erwerben, bie ihn in
den Stand fegen, Vieles felbft im Fall ber Noth zu entdeden,
was Andere lefen oder hören müſſen, um es zu wiffen.
Man fol feinem Gefühle folgen, und ben erften Eindruck,
ben eine Sade auf uns madt, zu Wort bringen. Nicht ale
wenn ich Wahrheit fo zu fuchen riethe, fondern weil e8 die uns
verfälfchte Stimme unferer Erfahrung ift, das Refultat unferer
beften Bemerkungen, da wir leicht in pflichtimäßiges Gewäſch
verfallen, wenn wir erft nachfinnen.
— —
Große Dinge geſehen zu haben, z. B. einen großen Sturm,
muß unſtreitig dem ganzen Gehirn eine andere Stimmung geben,
und man kann ſich daher nicht genug in ſolche Lagen bringen.
Man ſammelt auf dieſe Art, ohne zu wiſſen.
Zweifle an Allem wenigſtens Einmal, und wäre es auch
der Satz: zweimal 2 ift 4.
In die Welt zu gehen, ift deßwegen für einen Schriftfteller
nötbig, nicht fowohl, damit er viele Situatignen fehe, ſondern
jelbft in viele komme.
Man muß fih hüten, manche Dinge nicht befannt zu nen-
nen, weil man gerade zuweilen baraus fiebt, baß fie einem
unbelannt waren.
Keine Unterfuhung muß für zu ſchwer gehalten werben,
und feine Sache für zu fehr ausgemadt.
Ich glaube, diejenigen Gelehrten, bie Alles fhägen zu kön⸗
nen glauben, haben doch nicht recht den Werth eines jeden ihrer
Mitbrübder fchägen gelernt. Es kommt wahrhaftig in dem Fortgange
ber Wifienfchaften nicht darauf an, ob einer etwas in dem, was
fonft groß genannt wird, getban bat. Wenn nur jeder thäte
was er könnte, ben Theil von Kenntnifjen verarbeitete, befien er
mädtig ift, und in welchem er fchärfer ſieht als tauſend Andere.
Man kann das Streben nad Entdedung bem Bogelfchießen
vergleihen. Wer die Krone abfchießt, muß bedenken, daß bie
Schüffe feiner Vorgänger auch etwas dazu beigetragen haben,
daß er einen Flügel abEriegt, oder gar die Krone.
Nichts verloren gehen zu laffen, ift eine Hauptregel, Pas
pierfchnigel fo wenig, als Zeit.
16,
Borfchläge.
Es wäre ein guter Plan, wenn einmal ein Kind ein Bud
für einen Alten fohriebe, da jest Alles für Kinder fchreibt. Die
Sade ift ſchwer, wenn man nicht aus dem Charakter gehen will.
Jede Univerfität follte einen Ambafjadeur auf ben übrigen
Univerfitäten haben, zu zwedmäßiger Unterhaltung fowohl ber
Freundſchaften, als der Feinbfchaften.
Eine Statiftid der Religion wäre wohl ein Werf, daß, von
einem Kerner gefchrieben, großes Auffehen machen Fünnte.
Der Pas de Calais follte künftig Pas de Blanchard heißen.
Wir glauben für die Nachwelt zu forgen, wenn wir unfere
Gedanken auf Lumpenpapier abdruden lafien, die dann bie Nachs
welt, das heißt, die Leute, die und Urgroßväter nennen, wieder
auf Lumpenpapier copiren. Aber, mein Gott! was wird aus
allem Lumpenpapier und unferer Wiffenfchaft werben, wenn wir
wieder einmal Boden des Meered werden? Die ägyptifchen
Pyramiden waren ein gefcheuter Gedanke. Jene Leute verftans
ben ſich auch auf das Papiermachen, aber fie vergaßen, etwas bars
auf zu druden. Wir follten auf einer Stelle in ber Schweiz, bie
be Lüc, Sauffüre, Sennebier angeben müßten, ein fol
ches Denkmal errichten, und Europa müßte fubferibiren. Ich
gebe meinen Louisd'or. Aber welche Hieroglyphe würde dazu
gewählt werden müſſen? Welches find die Zeichen, wodurch
man fi) einem künftigen Menfchengefchlechte wieder veritändlich
machen fünnte? Es müßte eine Sprade fein, die Kinder und
Philofophen verbände. Die Hieroglyphen Fünnten alfo ſehr wich⸗
tig fein. O wenn boch Beiden auf ben Pyramiden fländen !
Bielleiht hat jemand ben Gedanken vor mir gehabt, und bie
Hieroglyphen oder Myſterien finb das, was ich meine.
Ein fehr ſchönes Süjet für einen Maler wären einige Eleine
unfchuldige Mädchen, die neugierig in einen Brunnen guden,
aus dem, ihrer Meinung nach, die Kinder geholt werden. Es
könnte allenfalls nur eines bineinfehen, während die anderen
warten, bis die Stelle frei wirb.
Särge von Korbwerk könnten wohlfeil und doc ſchön
gemacht werden; man könnte fie ſchwarz und weiß anftreichen.
Sie hätten den Vortheil, daß fie leicht verfaulten.
Ein Sournal des Lurus und der Moden für Ärzte; auch
für mehrere Stände ließe ſich ſo etwas wohl ſchreiben, ſelbſt Phi⸗
loſophie nicht ausgeſchloſſen.
140
Da ber politiſche Pabſt gefallen if, umb ber geifiliche balı
nadfulgen wird, fo wäre bie Frage, ob man nicht einen merkt
einsfdhen wählen ſollte; ih meine eine Art von Delay Lama,
Der durch Lioßes Werlihren und durch Überfenbung feiner Ab⸗
und Ausmlsfe Arankheiten heilte. Ich glaube, ein ſolcher Mann
fonnte wnnklich durch das bloße: ih binder Herr euer Do«
tur -- Rrankheiten bannen. Bu einem folhen Pabſt ſchickte
lb Ummermann.
Ach möchte zum Weichen für Aufflärung das bekannte Zeis
chen dea FJeuers (‚\) vorſchlagen. Das Feuer gibt Licht und
Rurıne, und iſt zum Wachethum und Portfchreiten alles befien,
wag lebt, unentbehrlichz aber unvorfichtig gebraucht, brennt es
auch und zerſtört.
Es verdiente wohl, daß man am Ende des Jahres ein Ge:
richt über die politiſchen Jeitungen hielte; vielleicht machte dieß
die Sehreiber derſelben behutſamer. Da die Zeitungsſchreiber
ſeldſt delogen werden, fo müßte man billig verfahren, um nicht
rede an thun. Man müßte zwei oder mehrere entgegenge⸗
ſedte Miileer mit einander, und mit dem Lauf ber Begebenhei⸗
ten vernleichen fo Tiefe ib am Ende etwas über ihren Werth
und CEdaruakter ſeſtſeden.
“a min wodl der Müde werth, einmal das BerlsSumben
im Kur alt ein Kartenſhiel verzuftclien, me immer Gimer
ben Andern fticht. Pope's Lodenraub Pönnte hierbei zum Mufter
genommen werben.
Es wäre gewiß ein verdienſtliches, wenn gleich nicht leich⸗
tes, Unternehmen, das Leben eines Menfchen doppelt oder breis
fah zu befchreiben, einmal, als ein allzu warmer Freund,
dann als ein Feind, und dann fo wie e8 die Wahrheit felbft
fhreiben würde.
Sch denke, über alte Seitungen, 3. B. jest (1797) über
die von 1792 an, müßte fih ein herrliches Collegium leſen
laſſen, nicht in biftorifcher, fondern in pfochologifcher Rüdficht.
Dus wäre etwas! Was in der Welt kann unterhaltender fein,
als die vermeintliche Gefchichte der Beit mit der wahren zu vers
gleichen ?
Über den Wberglauben ließe fich gewiß etwas fehr Gutes
fohreiben, nämlich zu feiner Bertheidigung. Jedermann ift aber:
gläubifh. Ich mit meinen Lichtern; ich glaube an biefe Dinge
nit, aber es ift mir doch angenehm, wenn fie nicht wibrig
ausfallen.
Warum gibt man nidht manchen Meubeln ober Gefäßen
paffendere Formen, wie e8 die Alten 3.8. bei ihren Lanzen ges
tban haben? — Wenn man wüßte, wie bie Büchſe der Pan«
dora audgefehen hätte, fo wäre fie wohl zu Dintenfäffern, Lot⸗
144
Nachtrag
zu den Vorſchlägen.
Die Menjhen nah ben Häufern zu orbnen, worin fie woh⸗
nen, wie die Schneden.
IH denfe, wenn man etwas in bie Luft bauen will, fo
find e8 immer beffer Schlüffer als Kartenhäufer.
Hat nicht unfere Gefangbuchverbefferung viel Ähnlichkeit
mit dem Ausweißen ber alten gothiſchen Kirchen, bie dadurch
gefhändet werden? Man foll verhindern, daß fie nicht einftür-
zen und den Boden reinlich halten. ine ausgeweißte Abtei
von Weftminfter wäre abfcheulich.
——
Es ift fein übler Gedanke, die Ruthe hinter den Spiegel
zu ſtecken, daß fie dem, ber bineinfieht, gleihfam auf ben
Rücken gebunden erfcheint, der Gedanke hat mehr brauchbare
Seiten, könnte auch zu einer Titelvignette, oder zur Auffchrift
über ein Kapitel gebraucht werden.
Man Lönnte bie menfchliche Gefellfhaft in drei Glaffen
theilen, in bie:
1. nequce ora neque labora,
2. ora et non labora, und
3. ora et labora.
145
Was man von dem Vortheile und Schaden ber Aufklä—
rung fagt, ließe fi) gewiß gut in einer Zabel vom Feuer bar:
ftellen. Es ift die Seele der unorganifhen Natur, fein mäßiger
Gebrauch macht und das Leben angenehm, es erwärmt unfere
Winter und erleuchtet unfere Nächte. Aber das müſſen Lichter
und Fadeln fein, die Straßenerleuchtung durch angezündete Häus
fer ift eine fehr böfe Erleuchtung. Auch muß man Kinder nicht
damit fpielen laffen.
Es liege ſich vielleicht ein ganz guter Aufſatz über bie Na-
men von Hunden ſchreiben. Melac nennt man Hunde, nad
ben befannten privilegirten Morbbrenner. Vielleicht gibt es
nad der franzöfifchen Staatsumwälzung auh Namenumwäl-
zung unter ben Hunden. Güftine wäre ein herrlicher Name für
einen, ber viel beilt und nicht beißt, wenigftens nicht wo er
fol. Kogebue müßte nothwendig einer heißen. Ehrliche Leute,
die noch fo beißen, kann e8 fo wenig verdrießen, wie ben tür:
kiſchen Kaifer, daß fo viele Hunde Sultan beißen. |
In jeder Farultät follte wenigftens Ein recht tüchtiger Mann
fein. Wenn die Charniere von gutem Metall find, fo kann
das Übrige von Holz fein.
Einmal bie fogenannten natürlichen Dinge aufzuzählen;
natürliche Kinder, natürliche Religion, natürliche Tugend.
Es ſteckt in dieſen AÄußerungen ber natürlichen Philoſophie fehr
Vieles, was fich die unnatürlihe nicht immer träumen läßt.
11. 10
146
Man adjungirt alten Leuten junge. Ich glaube, es wäre
in vielen Källen beffer, wenn man manden jungen Leuten alte
adjungirte.
Sollten ſich nicht manche Verordnungen, z. E. Feuerord⸗
nungen, unmittelbar, vermittelſt leichter Transpoſitionen auf
andere Gegenſtände, z. E. Erziehung der Kinder, mut. mut. an⸗
wenden laſſen? Die Wörter: Waſſer, Spritze, Schläuche,
Spritzenmeiſter u. ſ. w. dürften nur gehörig überſetzt werden.
Ein Verſuch, eine Inſtruction für einen Spritzenmeiſter zugleich
für einen Schulrector einzurichten, könnte ſehr lehrreich werden.
Wie möchte es in den Wiſſenſchaften ausſehen, wenn die
Menſchen erſt im 15ten Jahre ſehen, und im 20ten etwa erſt
bören und folglich fprechen lernten? Co etwas verdiente mit
Philofophie und Menfchentenntniß burchgefegt zu erben.
Ehemals taufte man bie Glocken, jetzt follte man bie Dru⸗
derprefien taufen.
Wir find Alle Blätter an einem Baum ‚ keines dem an⸗
bern ähnlich, das eine fommetrifh, das andere nicht, und doch
gleich wichtig bem Ganzen, Diefe Allegorie koͤnnte durchgeführt
werden, . "
147
17,
Allerhand.
ere Gelehrten verfallen in den Fehler der Krämer in
en Stäbten, fie kaufen nicht an der Stelle, wo es wächſt,
Ben laſſen es ſich lieber erſt von einem Engländer oder Fran⸗
ıberbeifchaffen. Das ewige „unſern Landsleuten be
mt mahenio Warum ſuchen wir unfern Landsleuten
‚ben Geift einzuprägen, felbft zu verfuchen, und immer auf
Beffermachen zu denken?
efhreibung eines fondberbaren Bettvorhangs.
Im Sabre 1769 gerieth id auf den Gedanken, allerlei Ges
ier auf einem Bogen Papier neben einander zu zeichnen, die
ſtens etwas Lächerliches an ſich hatten. Wenige Perſonen,
ich das Papier vorlegte, konnten ſich des Lachens enthal⸗
ij durch kein Buch hätte ſich dieß fo bald erreichen laſſen.
5 hatte aber noch nicht vierzig Köpfe gezeichnet, als ich mich
n erfchöpft fühlte. Die Zuſätze Famen nur felten. Im fols
ſenden Sabre Iegte mich ein kleines Flußfieber in ein Bette, das
men fchrägen Himmel hatte, durch deſſen nicht gar dichtes Ge⸗
bebe „ das noch dazu aus ziemlich ungleichen Fäden beftand, bie
an»
148
weiße Wand durdfchien. Hier zeigte fich eine unzählkare Menge
ber feltfamften und brolligften Gefichter. Ich konnte in einer
Fläche, die faum fo groß als ein Quartblatt wär, über hun:
dert berauöbringen, und jedes hatte mehr Ausdrud und Eigen—
thümlichkeit, als fonft in den gezeichneten Gefihtern anzutreffen
ift, die unverbefjerlihen Köpfe von Hogarth ausgenommen, mit
denen fie viel Ähnliches hatten. Wenn ich einen Kopf hatte, fo
nahm ich feinen Mund zum Auge, und ben Augenblid ftand
ein neuer ba, ber mich bald anlädhelte, bald anfletfchte; ein
dritter lachte mich aus, und ein vierter blidte mich höhniſch an.
Es ift unmöglih, alle die huſtenden, niefenden und gähnenden
Stellungen zu befchreiben, bie fi) mir vorftellten. Hätte ich fie
mit eben der Kraft zeichnen können, ‚mit welcher fie fi) meinem
Auge und meiner Einbildungskraft.darftellten, ich würbe gewiß
biefen Vorhang verewigen. — onardo da Vinci foll biefe
Befhäftigung jungen Malern empfehlen.
Im Jahr 1711 ereignete fi) ‚ein großer Unfall in Lyon:
ein muthwilliger Feldwebel, Namens Welair, ließ am Tage bed
heil. Dionyfius, ba eine Menge Menfchen über bie fchmale Rho⸗
nebrüde nad einem Dorfmarkt gegangen waren,. den Zapfen:
ftreih zum Thorſchluß eine Stunde früher: ald gewöhnlich fchla:
gen. Das Thor befindet ſich mitten auf der Brüde. Als bie
Zeute unterwegs dad Trommeln hörten, eilten fie, um nicht ge:
nötbigt zu werben, vor der Stadt zu fihlafen; fie drängten fi
auf der Brüde, einige ließ ber Feldwebel gegen ein Trinkgeld
dur, und andere beraubte er mit feinem Complott. Das Ge-
dränge wurbe aber fo heftig, daß zweihunbert Leute babei ums
Leben kamen, diejenigen nicht gerechnet, bie einige Tage barauf
an ihren Wunden farben. Belair wurde unter den ärgften
Berwünfchungen des Volks geräbert. ©. Pitaval Causes cèlè-
bres. Tom. X. — In Göttingen, wo bie Kühe ded Sommers
um Mittagszeit auch nach ber Stabt getrieben werben, ereignete
fih im Jahr 1765 ein ähnlicher Zufall, aber body nur unter
den Kühen. Sie hatten bei der großen Hike diefed Jahres immer
bie Gewohnheit, wenn fie nahe an ba8 Thor kamen, zu lau«
fen, weil fie fi) nad dem Fühlen Gang unter bem Thor durch
den Wall fehnten. An dem, traurigen Tage befand fich zum
Unglüd ein Bauersfneht mit einem Wagen unter dem Thor,
als die Kühe angerennt Pong Die Pferde am Wagen fiengen
an auf das fi) vorbeidrängende Vieh auszufchlagen, unb ſchlu⸗
gen einige Stüd nieder; über biefe ftürzten die hintern, und fo
fort, daß in weniget:MRinuten der ganze Thorweg von unten
bis oben mit tobten Kuhd angefüht war. Sie wurden bernady
von dem Henkersfnecht tweggeräumt, unb längs ber Straße hin
gelegt, da man fand, daß fih ihre Anzahl auf etliche und fie-
benzig belief, auch diejenigen nicht gerechnet, bie noch hernach
in den Ställen flarben. Ich babe fie felbft Tiegen fehen.
Als der brave Mann todt war, fp trug biefer den Hut, ber
den Degen, fo wie er; biefer ließ fih fo frifiren, jener ging,
wie er; aber der redlihe Mann, wie er, wollte feiner fein.
150
Bu einer Vorrede.
Geſpräch zwifhen einem Lefer und dem Berfaffer.
Der Saft. Was haben Sie Gutes, Herr Wirth?
Der Wirth. Nichts als was Sie bier fehen, was auf
bem Küchenzettel fieht, den Sie fo eben in der Hand batten.
Der Saft. Und ift das Alles? .
Der Wirth. Alles, mein Ser.
Der Saft. Uber fagen Sie mir um aller Welt willen,
fonnten Sie fi nicht auf etwas Beſſeres gefaßt machen ?
Der Wirth. Ja, was heißen Sie befjer, mein Her?
ift das nicht gut ?
Der Gaſt. Nein, fo etwas, was mehr wiberält. Sauern
Kohl und Sped, ober fo etwas.
Der Wirth. Das habe ihenichtz wenn ich gewußt hätte,
daß ich die Ehre von Ihnen haben würbe, unb daß Sie fauern Kohl
und Sped liebten, fo bätte ich mic vorgeſehen; aber es kom⸗
men der Perſonen ſo viel, und jede vekdangt etwas Anderes, ſo
daß ein armer Wirth nicht weiß, wan anſchaffen ſoll. Dieſes
Gericht fand geſtern Beifall.
Der Gaſt. Daß Sie doch keinen ſauern Kohl haben! —
Doch, wenn es nicht anders iſt, ſo geben Sie her.
Der Wirth. Ich hoffe, Sie ſollen zufrieden ſein, es iſt
zwar nur ein ſchlechtes Gericht, aber ich weiß es auf eine eigne
Art zurecht zu machen; ich werfe allerlei daran, was einem
hungrigen Magen bekommt. Belieben Sie näher zu treten, mein
Herr.
151
Gin Mädchen, 150 Bücher, ein paar Freunde und ein Pros
fpect von etwa einer beutfchen Meile im Durchmeſſer, war bie
Welt für ihn.
Die Zeiten, wo man anfängt, die Regeln zu flubiren, wie
e8 andere Seiten gemacht haben, daß fie es fo weit brachten,
find böfe Beiten. Die beften Köpfe werben entjeklich belefene,
bleihe, ſchwindſüchtige Stubenfiger, anftatt gut verbauende,
frifhe Erfinder zu fein.
Wenn die wilden Schweine dem armen Manne feine Felder
verderben, fo rechnet man es ihm unter dem Namen Wildfchas
den für göttlihe Schidung an.
Es kann nicht Alles ganz richtig fein in der Welt, weil bie
Menfchen noch mit Betrügereien regiert werben müſſen.
wi: .: —
Eine Sprache, a allemal die Verwandtſchaft der Dinge
zugleih ausbrüdte, wäre für den Staat nüglidher, als Leib.
nigens Charakteriftil. Ich meine eine folde, wo man 3. B.
Seelforger flatt Prediger, Dummkopf flatt Stuper,
Waſſertrinker fiatt anakreontiſcher Dichter fagte.
Es ift in der That ein fehr blindes und unfern aufgeklär⸗
ten Zeiten fehr unanftänbiges Vorurtheil, daß wir die Geogra⸗
phie und die römifche Gefchichte eher lernen, als bie Phyſiologie
152
und Anatomie, ja bie beibnifche Kabellehre eher, als Liefe für
Menfchen beinahe fo unentbehrlihe Wiffenfchaft, daß fe nächſt
der Religion folte gelehrt werben. Ich glaube, daß einem hö⸗
bern Geſchöpfe, als wir Menfchen find, dieſes das reigenbfte
Schaufpiel fein muß, wenn er einen großen heil des menfchlichen
Gefchlechts ein paar taufend Jahre ſtarr hinter einander herziehen
fieht, die aufs ungewiffe und unter dem Zreibriefe, Regeln für
die Welt aufzufuchen, bingehen und fih und ber Welt unnüg
fterben, ohne ihren Körper, der doch ihr vornehmfter Theil war,
gefannt zu haben, da ein Blick auf ihn, fie, ihre Kinder, ihren
Nächſten, ihre Nachkommen hätte glüdlic machen können.
Es wäre zu unterfuchen, was man zum allgemeinen Maß»
ftabe der Bedienungen in ber Welt annehmen fol, um gleich
einer Nation begreiflich zu machen, wie hoch ein 'gewiffer Mann
anzufehen ſei. Es fragt ſich alfo: gibt e8 Leute, die ſolche Ver⸗
richtungen haben, bie bei allen Nationen nöthig find, und bei
allen gleich hoch gefchägt werden? Die Priefter laffen fih wohl
nit dazu annehmen; biefer Maßſtab ift fehr ungewiß und in
vielen Ländern zu Plein. Ein Mädchen ginge noch eher an;
biefe werden ziemlich gleihfürmig, in Europa wenigftens, ges
liebt, fo daß ich glaube, der Ausdruck: er liebte ihn wie
fein Mädchen, ift bedeutender, als ber: er liebte ihn,
wie feinen Vater,
Wenn man einen guten Gedanken lieft, fo kann man pro»
153
biren, ob fi) etwas Ähnliches bei einer andern Materie denken
und fagen laſſe. Man nimmt bier gleihfam an, baß in ber
andern Materie etwas biefem Ähnliches enthalten fei. Diefes
iſt eine Art von Analyfis der Gedanken, bie vielleicht mancher
Gelehrte braucht, ohne e8 zu fagen.
Ein allgemeines Map für das Verdienſt oder für bie Wich⸗
tigkeit einer Verrichtung, das allen Ständen ſogleich die wahre
Größe einer That angäbe, wäre eine Erfindung, bie eines mo⸗
ralifden Newtons würdig wäre. -3. €. eine Gompagnie vor
des Commandanten Haus zu erereiren, ift gewiß nicht fo ſchwer,
als en paar Schub zu fohlen, (ich weiß es freilich, daß bie Ehre
eine Befoldung iſt; fie auszuzahlen, Tegt der Fürſt eine Steuer
auf die Hüte und den Nacken ber Untertanen. Wenn ein
Handwerksburſche vor dem Officier den Hut zieht, To denke
ih immer, biefer Burfche ift eine Art von SKriegszahlmeifter;
und wie unartig find bie Officiere, bie Bie Zahlung ohne Quit⸗
tung annehmen, ich meine, die nicht wieder an den Hut greis
fm!) und ich behaupte, ein Kleid zu fehneiden, ift zuverläf-
fig ſchwerer, als Hofcavalier zu fein — ich meine ben Hof:
cavalier in Abſtracto. ine ſolche Rangortnung, bie aber
gewiß dem Berfaffer und dem Verleger den Kopf often würde,
wünfchte ich gebrudt zu fehen z fe eriftirt gewiß in dem Kopfe
jedes rechtfchaffenen Mannes, Man künnte zu einem ſolchen
Maß das Balanciren auf dn, Kalt nehmen, weil diefed un⸗
gefähr alle Menfchen mit NR. er Sugroindint (nm, und
152
und Anatomie, ja bie beidnifche Fabellehre eher, als dieſe für
Menfchen beinahe fo unentbehrlihe Wiffenfhaft, daß ſie nächſt
der Religion folte gelehrt werden. Ich glaube, daß einem bö»
bern Gefchöpfe, als wir Menfchen find, dieſes das reizenbfte
Schaufpiel fein muß, wenn er einen großen Theil des menfchlichen
Gefchlechts ein paar taufend Jahre ſtarr hinter einander berziehen
fieht, bie aufs ungewiffe und unter dem Freibriefe, Regeln für
bie Welt aufzufuchen, bingeben und fih und ber Welt unnüg
fterben,, ohne ihren Körper, der doch ihr vornehmfter Theil war,
gekannt zu haben, da ein Blick auf ihn, fie, ihre Kinder, ihren
Nächſten, ihre Nachkommen hätte glücklich machen können.
Es wäre zu unterſuchen, was man zum allgemeinen Maß—⸗
ftabe ber Bebienungen in ber Welt annehmen fol, um glei
einer Nation begreiflich zu machen, wie hoch ein gewiffer Mann
anzufehen ſei. Es fragt ſich alfo: gibt e8 Leute, die ſolche Ber:
richtungen haben, bie bei allen Nationen:gihig find, und bei
allen gleich hoch gefchägt werden? Die Weſter laſſen ſich wohl
nicht dazu annehmen; biefer Maßſtab iſt fehr ungewiß und in
vielen Ländern zu Plein. Ein Mädchen ginge noch eher an;
biefe werben ziemlich gleihfürmig, in Europa wenigftens, ger
liebt, fo daß ich glaube, ber Ausdrud: er liebte ihn wie
fein Mädchen, ift bedeutender, al8 ber: er liebte ihn,
wie feinen Bater.
Wenn man einen guten Gedanken lieft, fo fann man pro:
-
biren, ob fi) etwas Ähnliches bei einer andern Materie denken
und fagen laffe. Man nimmt bier gleihfam an, daß in ber
andern Materie etwas biefem Ähnliches enthalten fei. Diefes
ift eine Art von Analyfis der Gedanken, bie vielleicht mancher
Gelehrte braudt, ohne es zu fagen.
Ein allgemeines Maß für das Verbienft oder für bie Wich⸗
tigkeit einer Verrichtung, das allen Ständen fogleidh die wahre
Größe einer That angäbe, wäre eine Erfindung, die eines mo⸗
ralifhen Newtons würbig wäre. -3.@. eine Compagnie vor
des Commandanten Haus zu erereiren, ift gewiß nicht fo ſchwer,
als ein paar Schuh zu fohlen, (ich weiß es freilich, daß bie Ehre
eine Befoldung iſt; fie auszuzahlen, legt der Zürft eine Steuer
auf die Hüte und den Nacken ber Untertfanen. Wenn ein
Handwerksburſche vor dem Officier ben Hut zieht, fo denke
ih immer, biefer Burfhe ift eine Art von SKriegszahlmeifter;
und wie unartig ſiicn Ale Officiere, die Sie Zahlung ohne Quit⸗
tung annehmen, id ei, die nicht wieder an den Hut greis
fen!) und ich behaupte, ein Kleid zu fchneiden, ift zuverläfs
fig fchwerer, als Hofcavalier zu fein — ich meine ben Hof-
cavalier in Abſtracto. Eine folde Rangordnung, bie aber
gewiß dem Berfaffer und dem Berleger ben Kopf koſten mwürbe,
wünfchte ich gebrudt zu fehen ; fie eriftirt gewiß in dem Kopfe
jedes rechtfchaffenen Mannes. Man Lönnte zu einem folchen
Maß das Balanciren auf der Nafe nehmen, weil biefes un:
gefähr alle Menfchen mit gleicher Gefchwindigfeit lernen, und
154
durch die Länge ber Tabakspfeife in Bollen, bie Grabe ber
Schwierigkeit meffen.
Der Streit über bedeuten und fein, der in ber Religion
fo viel Unheil angeftiftet Hat, wäre vieleicht heilfamer gewefen,
wenn man ihn über andere Gegenftände geführt hätte; denn es
ift eine allgemeine Quelle unfers Unglüds, baß wir glauben,
die Dinge wären das wirklich, was fie doch nur bedeuten.
Der Aberglaube gemeiner Leute rührt von ihrem frühen
und allzueifrigen Unterricht in der Religion ber. Sie hören
von Geheimniffen, Wundern, Wirfungen des Teufels, und bals
ten e8 für fehr mwabrfcheinlich, daß dergleichen Saden überall
in allen Dingen gefchehen können. Hingegen, wenn man ihnen
erft die Natur felbft zeigte, fo würden fie leichter das Überna⸗
türlihe und Geheimnißvolle der Religion. mit Ehrfurcht betrach⸗
ten, anftatt daß fie es jekt für. etwas iBemeines anfehen.
Ich glaube, wenn man ihnen fagte QNuren heute ſechs Engel
über die Straße gegangen, fie würden es für nichts Beſonderes
anſehen. Auch die Bilder in der Bibel taugen nicht für Kinder.
Man folte in ber Woche wenigſtens einmal biätetifche Pre⸗
digten in ber Kirche halten, und wenn bie Diätetit von unfern
Geiftlihen erlernt würde, fo könnten fie geiftliche Betrachtun⸗
gen einfledhten, bie fih bier gewiß fehr gut anbringen ließen.
Denn es ift nicht zu zweifeln, daß geiftliche Betrachtungen, mit
etwas Phyſik vermifcht, die Leute aufmerkfamer erhalten ,,- und
ihnen erbaulichere Vorftelungen von Gott geben würden, als
bie oft übel angebrachten Beifpiele feines Zorns.
Gin langes Glück verliert ſchon bloß durch feine Dauer.
Lefen beißt borgen, baraus erfinden, abtragen.
Mit elektriſchen Ketten ließen fi) Signale geben, Längen nicht
weit entlegener Orter beflimmen u. f. w. Es ließen fi) vieleicht
Ströme dazu gebrauchen, wenigftens auf eine gewiffe Strede.
Sobald man anfängt Alles in Allem zu fehen, wird man
gemeiniglich dunkel im Ausdruck. Man fängt an, mit Gngel-
gungen zu reden.
Leſſings Geſtübniß daß er für ſeinen geſunden Verſtand
faſt zu viel geleſen habe, beweiſt, wie geſund ſein Verſtand war.
Ein Mittel, ſich Ruhm zu erwerben, iſt, wenn man mit
einer gewiſſen Zuverſicht in eine dunkle, unbekannte Materie
hineingeht, wohin es niemand der Mühe werth achtet, einem
zu folgen, und darüber mit ſcheinbarem Bufamnienhange
raifonnirt.
Wenn ich ein beutfches Buch mit Tateinifchen Buchſtaben
158
Gedanken. Auf biefe Art kann Jakob Böhms Buch Manchem
fo nüglich fein, als das Buch ber Natur.”
— — —
Es iſt allemal ein gutes Beiden, wenn Künftler oft von
Kleinigkeiten gehindert werben können, ihre Kunft gehörig aus
zuüben. 5... ftedte feine Singer in Herenmehl, wenn er auf
dem Glaviere fpielen wollte, und ein anderer großer Klavierfpies
ler konnte nie zum Spielen gebracht werden, wenn er fidy bie
Nägel nicht lange vorher abgefchnitten hatte. Den mittelmäßigen
Kopf hindern foldhe Sachen nicht, weil feine Unterfcheidungsfraft
überhaupt nicht fo weit geht; er führt gleihfam ein grobes Sieb.
Alles reformirt ih: Mufit war ehemals Lärm, Satyre war
Yasauill, und da, wo man heutzutage fagt: erlauben Sie güs
tigft, fhlug man einem vor Alters inter bie Ohren.
Ein Louisd'or in der Taſche ift beffer, als zehn auf bem
Bücherbrett. '
Wenn ein toller Kopf ded Teufels Beug anfängt, ift e8 deß⸗
wegen eine Folge, baß ein Collegium von zwölf folchen Leuten
eben folches Beug anfangen würde? Keinesweges; ich bin viels
mebr überzeugt, daß zwölf tolle Köpfe etwas befchließen könn⸗
ten, das ausfehen müßte, als käme es von zwölf Plugen. Und
fagt, was ift der Menfch anders, als ein kleiner Staat, ber
von Tollköpfen beberrfcht wirb?- -
yo
159
In den barbarifchen Beiten, wenn das fo genannte Eſels⸗
feft zum Andenken der Flucht nad Agypten gefeiert wurde,
ſchrie der Prieſter, anſtatt den Segen zu ſprechen, dreimal wie
ein Eſel, und die Gemeine ſprach ihm dieſe verſtändlichen Worte
treulich nach, der Eine gut, der Andere ſchlecht, je nachdem er
ein guter oder ſchlechter Eſel war. Dieß ſollte kein Spaß ſein,
ſondern war eine ſehr heilige Handlung. Bergl. Du Cange,
voc. Festum. . u
ur
Bu Heinrich& des VIII. Beiten fpeifte man in England um
10 Uhr bes Morgens zu Mittag’ und um 4 Uhr zu Abend; jegt
fpeift man um 5 Uhr zu Mittag und um Mitternacht zu Abend.
Fortrüdung. der Nachtgleichen und ber Effenszeit. Die Iehtere
zu unterfuchen ift fo wichtig für ben Moraliften, als die erftere
für den Aftronomen.
Das Buch hatte die Wirkung, die gemeiniglich gute Bücher
haben: e8 machte die Einfältigen einfältiger, die Klugen Flügen,
und die übrigen taufende blieben ungeändert.
‚ Die beweifen, wo nichts zu beweifen if. Es gibt eine Art
von feerem Gefhwäg, dem man burch Meuigfeit bed Ausdrucks
und unerwartete Metaphern das Anſehen von Küle gibt. KR...
und 2... find Meifter barin. Im Fön geht es an, im Ernft
ift es underzeihlich.
160
Wenn die Menfhen plöglich tugendhaft würben, fo müßten
viele taufende verhungern.
In einem Stüd find wir allerdings unendlich weit unter
den Engländern, und das ift in ber Kunft, Avertiffements zu
maden. Es ift faft unmöglich, ſich des Kaufens zu enthalten,
auch wenn man weiß, daß es nicht wahr if. Man meint, man
glaubt ed nicht, und glaubt es doch. Ich habe oft ber Sadıe
nachgedacht, und man wirb leicht fehen, worin es liegt. Um
mich beutlih zu erklären, will ich nur ein Beifpiel von den
Quadjalbern geben. Dieſe maden eine Befchreibung von ber
Krankheit, gegen bie ihre Arznei gerichtet ift, nicht etwa in all
gemeinen Ausbrüden und kurzweg, fondern fie wiffen, baß der
Menfch lieber Detail hat. Sie befchreiben daher bie Symptomen
genau, und was fie fagen, geht oft beim — bie große Kunft
aller großen Schriftfteller. So erinnere ic mich einer Bekannt:
madung eines Mitteld gegen Zahnweh, die ungefähr fo Tautete:
„Überall, wo man jest hinfommt, hört man Perfonen über
Schmerzen Elagen, bie fie Zahnſchmerzen nennen, fie find aber
ganz verfchieden. Denn viele Perfonen, die ſich bie Zähne haben
ausziehen laſſen, haben fich eher fchlimmer darnady befunben.
Zunge, gefunbe Perfonen find ihnen am meiften ausgeſetzt; fie
fhlafen wenig, getrauen fi) nichts Feftes zu effen, aus Furdt
den Schmerz zu erweden, und fallen baber ganz von Fleiſch
und werben elend. Ich muß befennen, baß, meiner großen und
langen Erfahrung ungeachtet, mid; dieſes Übel lange getäufcht
161
bat, indem ich weder durch Ausziehen, noch. Schröpfen, noch
durch meinen bekannten vortrefflihen Zahnbalſam, der fonft gar
nicht trügt, etwas audgerichtet habe; bis ich endlich meine in
bem großen Schnupfenjahr 1740 mit dem größten Gegen ge
braudten bimmlifhen Tropfen, (diefen Namen geben ihuen
faft wider meinen Willen einige meiner Patienten, wegen ber
wohlthätigen und fchnellen Wirfung,) bie bisher nicht viel helfen
wollten, bervorgefucht habe; fie. heilen fait augenblidlih, und
ih babe wahre Wunder damit gethan.“ :
Daß alle fcherzhaften Sachen Poffen find, wird wohl am
meiften von alten Theologen oder alten Profefforen ber Rechte
behauptet. Sie glauben, Alles wäre ernfihaft, was mit einem
ernfthaften Gefiht oder in einem ernfthaften slilo gefagt wird,
ba ed doch ausgemacht ift, daß von hundert Pofjen gewiß neun:
zig ernfthaft vorgetragen werden. Aus ben luſtigen Schriften
kluger Köpfe läßt fich fehr oft mehr lernen, als aus fehr. vie
len ernfthaften. Sie tragen Manches mit einer lachenden Miene
vor, mas fie im Ernft meinen, was aber noch nicht unterfucht
genug ift, um einen ernfthaften zu Pleiden. Andere Leute kön⸗
nen e8 gar wohl im Ernſt nügen.
Der Pöbel ruinirt ſich durch das Fleifh, das wider den
Geift, und ber Gelehrte durch den Geiſt, ben zu. fehr wider ben
Leib gelüftet.
II. 11
162
Ter eigentliche Menſch ßeht wie eine Zwiebel mit vielem
tauſend Röurzeln aus; die Nerven empfinden allein in ibm, bad
Andere dient, diefe Wurzeln zu halten und bequemer fortzufchaffen;
was wir fehen, ift alfo nur ber Topf, in welchem der Menſch
(tie Herden) gepflanzt iſt.
Iinfere Kunſtkammern find voll von elfenbeinernen Bechern
ein Beweis von ber Favoritneigung unferer lieben Voreltern:
ein Stück Elfenbein, woraus ber Grieche einen Apoll gefchnigt
bitte, ſchnitten fie zum Becher.
Als ich Im Jahr 1769 einen Engländer zu dem Profeſſor
#. . . führte, ber damals Prorertor war, fo bielt diefer mit
vieler Gravität und rbetorifcher Genauigkeit eine lateinifche Rebe
an Ihn, und als er völlig ausgeredet hatte (denn ich wollte
ihn nicht in die Rede fallen), fagte ich zu ihn: Ihr Magnifi:
eng, die Engländer verftehen unſer Latein nicht. Gr fchien
aber nicht fehr betreten darüber.
Man gibt oft Regeln Über Dinge, wo fie unftreitig mehr
Schaden ald Nuden bringen, Was ich bier meine, will ich mit
einem Artikel ans einer Feuerordnung erläutern; die Anwendung
wird ſich ein jeder in feiner Wiſſenſchaft zu muchen wiffen :
„Wenn ein Haus brennt, fo muß man vor allen Dingen
die rechte Wand des zur Linken fichenten Haufes, und hingegen
die ine Wand des zur echten fichenden zu decken ſuchen.
163
Die Urfache ift Teicht einzufehen. Denn, wenn man z. €. bie
linke Wand des zur Linken ftehenden Haufes decken wollte, fo
liegt ja bie rechte Wand bed Haufes der linken Wand zur Rech:
ten, und folglih, da das Feuer auch diefer Wand und ber redh-
ten Wand zur Rechten liegt, (benn wir haben ja angenommen,
daß dad Haus dem Feuer zur Linken liege,) fo liegt die rechte
Wand bem Feuer näher, als die linke; das ift, bie rechte Wand
bed Haufes könnte abbrennen, wenn fie nicht gedeckt würde, ehe
dad Feuer an die linde, die gebedt wird, käme; folglich könnte
etwas abbrennen, das man nicht beit, und zwar eher., als etwas
Anderes abbrennen würde, aud wenn man es nicht deckte;
folglich muß man biefes laffen und jenes beden. Um fi bie
Sade zu imprimiren, barf man nur merken, wenn das Haus
dem Zeuer zur Rechten liegt, fo ift es die Iinfe Wand, und
liegt das Haus zur Linken, fo ift e8 die rechte Wand.»
Daraus, daß bie Kinder ihren Eltern zuweilen fo fehr glei«
hen, fiebt man offenbar, daß es ein gewiſſes Naturgeſet ift,
baß Kinder ihren Eltern gleichen follen. Allein wie viele Fälle
gibt es deffenungeadhtet nicht, wo fie ihnen nicht gleihen? Ber
muthlich find daran gewiſſe Collifionen Schuld, ebenfalls wie bei
ben Phyfiognomieen.
Es ift fehr reizend, ein ausländifches Frauenzimmer unfere
Sprache fprehen und mit ſchönen Lippen Fehler mahen zu
hören. Bei Männern ift e8 nicht fo.
11°
164
Ih kann mir eine Beit denken, welcher unfere teligiöfen
Begriffe fo fonderbar vortommen werben, als ber unfrigen ber
Nittergeift.
Es klingt lächerlich, aber es ift wahr: wenn man eiwas
Gutes ſchreiben will, fo muß man eine gute Feder haben, haupt⸗
fächlich eine, die, ohne baß man viel brüdt, leichtweg fchreibt.
Ein großer Nuken bed Schreibens ift auch der, daß die
Meinung Eines Menjchen und das, was er fagt, unverfälfcht
auf die Nachmelt fommen kann. Die Tradition nimmt etwas
von jedem Munde an, burd den fie läuft, und kann endlich
eine Sache fo vorftellen, daß fie unfenntlid wird. Es ift alle
mal eine Überfehung.
Sie ſprechen für ihre Religion nicht mit der Mäßigung und
Verträglichkeit, die ihnen ihr großer Lehrer mit Ihat und Wor«
ten predigte, fondern mit dem zwedwibrigen Eifer philofophifcher
Sectirer, und mit einer Hike, als wenn fie Unrecht hätten.
Es find Peine Chriſten, fondern Chriftianer.
Herr Camper erzählte, daß eine Gemeinde Grönlänber, als
ein Miffionair ihnen die Flammen ber Hölle recht fürchterlich
malte, und viel von ihrer Hitze fprach, fih alle nach ber Hölle
zu fehnen angefangen hätten.
165
Mit wenigen Worten viel fagen beißt nicht, erft
_ einen Auffag maden, und dann bie Perioden abkürzen; fondern
vielmehr, die Sache erſt überbenfen, und aus dem Überbachten
das Beſte fo fagen, baß der vernünftige Lefer wohl merkt, was
man weggelaffen hat. Wigentlich heißt es, mit den wenigften
Worten zu erkennen geben, daß man viel gedacht habe.
Die Rolle des Pajazzo, die allerdings etwas fehr Sonderba⸗
res bat, könnte in andern Dingen nadhgeahmt werben. Die
Nachahmer Sterne's find gleichfam die Yajazzi deffelben‘, und
fo it Zimmermann Lavaters Pafazzo.
Das Ja mit dem Kopffehütteln, und das Nein mit bem
Kopfniden wird einem fehr fchwer, befommt aber doch nachher
eine eigene Bedeutung, wenn man es kann.
Twiß hatte ſich mit ſeiner Tour through Ireland ſo verhaßt
gemacht, daß man ſein Portrait auf dem Boden der Nachttöpfe
mit offenem Munde und Augen vorſtellte mit der Umſchrift:
Come let us piss
On Mr. Twiss.
Könnte man nicht vierteljährige Kalender herausgeben, ober
gar für jeden Monat einen, mit einer niedlichen Vignette, Nach⸗
richten und Gebichten, geziert?
166
Er batte ben Brief erft mit Oblaten, und oben barauf mit
Lad gefiegelt, aus einer Ähnlichen Abfiht, wie Mercur bie
Grundfäge ber Geometrie auf Säulen aus Thon und Erz grub.
Denn warb ber Brief zu nahe an ben Ofen gelegt, fo hielt ihn
die Oblate zu, und fiel er ins Waſſer, das Lad.
Warum fehielen die Thiere nicht? Dieß ift auch ein Vor:
zug der menſchlichen Natur.
Die meiften Leute halten bie Augen gu, wenn fie rafirt
werben. Es wäre ein Glüd, wenn man bie Ohren unb andern
Sinne fo verfhließen Fönnte, wie bie Augen.
Wenn man einem vernünftigen Manne einen Hieb geben
fann, baß er toll wird, fo fehe ich nicht ein, warum man einem
tollen nicht einen follte geben können, daß er Elug wird.
Wenn eine Gefchichte eined Königs nieht verbrannt worden
ift, fo mag ich fie nicht leſen.
Iſt es nicht fonderbar, daß die Beherrfcher des menfchlichen
Geſchlechts den Lehrern befjelben fo fehr an Rang überlegen
find? Hieraus fiebt man, was für ein frlavifches Thier der
Menſch ift.
Es war eine Zeit in Rom, da man bie Zifche beffer erzog,
167 |
als die Kinder. Wir erziehen bie Pferde beſſer. Es ift boch
feltfam genug, daß der Mann, der am. Hofe die Pferde zureitet,
Zaufende von Ihalern zur Befoldung bat, und bie, die demſel⸗
ben die Unterthanen 'zureiten, bie Schulmeifter, hungern müffen.
Swift ging einmal mit Dr. Sheridan verkleidet auf
eine Bettlerhochzeitz Letzterer ftellte einen blinden Mufitanten vor,
und Swift war fein Hanbleiter. Da fanden fie das größte
Wohlleben, fie befamen Geld und Wein im Überfluß. Tags
darauf ging Swift auf ber Landſtraße fpazieren, und fand ba
Blinde, die auf der Hochzeit recht gut geſehen, und Lahme, die -
recht gut getanzt hatten; Cr fchentte ihnen das auf der Hoch⸗
zeit erworbene Geld, fagte ihnen aber zugleich, wenn er fie noch
einmal bier, ober irgendwo in biefem Gewerbe anträfe, fo würbe
er fie insgefammt einftedlen laſſen; worauf fie alle eiligft.davon
liefen. — Co wurden die Blinden fehend, und bie. Lahmen
gehend.
Als e8 den Gothen und Vandalen einfiel, bie große Tour
durch Europa in Gefellfhaft zu machen, fo wurden die Wirthe:
bäufer in Stalien fo befegt, daß faft gar nicht unterzufonmen
geweſen fein fol. Zuweilen Elingelten drei, vier auf Einmal.
Daß wir unfere Augen fo leicht, und unfere Obren fo ſchwer
verfchließen können, wenigftens nicht anders, als wenn mir
unfere Hände davor bringen, zeigt unmwiberfprechli, baß ber
168
Himmel mehr für die Erhaltung ber Werkzeuge, als für das
Bergnügen der Seele geforgt bat. Doc find die Ohren nd
unfere beiten Wächter im Schlaf. Was für eine Wohlthat
wäre es nicht, bie Obren fo leicht verfchliegen und Öffnen zu
können, als die Augen |
Sm Deutfchen reimt fh Geld auf Welt; e iſt faum
möglich, daß e8 einen vernünftigern Reim gebe; ich biete allen
Sprachen Trogz
Wenn jemand alle glücklichen Einfälle ſeines Lebens. bicht
zufammen famnmelte, fo würde ein gute Werk daraus werben.
Sebermann ift wenigfiend ded Jahre Einmal ein Genie. Die
eigentlih fo genannten Genies haben nur die guten Ginfälle
dichter. Man fiebt alfo, wie viel darauf ankommt, Alles aufzus
fohreiben.
Sn Genua barf fih ein Mann bei feiner Frau auf ber
Straße oder ſonſt öffentlih bliden lafjenz der Cicisbeat hat ba
die größte Höhe erreicht, und ein Mann, ber nicht darauf achten
wollte, würde verfpottet werben und ſich den. größten Inſulten
des Pöbels ausfegen. Man tadelt diefen Gebrauch vielleicht mit
Recht, aber es ift doch etwas in dem Gefühl, was ihn entfchul:
big. Es gibt doch zu fonderbaren Gedanken Anlaß, einen Mann
bei feiner Frau zu fehen. Sie werden ausgemeſſen, und allerlei
dabei gedacht, was man nicht benft, wenn man jedes allein
169
fiebt. Einen Erzbifhof von Canterbury mit feiner rau einher
geben zu fehen, würbe wenigftens ba® bifchöflihe Anfehen nicht
fefter gründen, das ift gewiß. In jedem menſchlichen, von eis
nem ganzen Staat gebilligten Gebrauch, liegt immer etwas zum
Grunde, was ih, wo nicht rechtfertigen, boch entjchulbigen läßt.
Ah! beim Tabackrauchen bedenkt ber Statiflifer nur den
Taback. Aber, gerechter Gott! das Bergnügen, nach bes Tages
getragener Laft und Arbeit, in feiner Familie ruhig und vorbe⸗
reitend zum Purzen Schlaf und ber fi) morgen wieder erneuern»
den ſchweren Arbeit, das Kraut abbrennen zu ſehen, das Ge⸗
fhäft des Ausfpudens, und den Erſatz durch theuer erfauften
Trunf, die ausrubende Beichäftigung — o großer Gott! das
Alles bebenft niemand. Laßt ed bem Armen, ber es einmal
bat, ihr, die ihr Alles habt, was ihr wollt, und wechfeln könnt,
wie es euch gefällt.
Wenn man einmal Nahrichten von Patienten gäbe, benen
gewiffe Bäder und Gefundheitbrunnen nicht geholfen haben,
und zwar, mit eben ber Sorgfalt, womit man das Gegentheil
thut, e8 würde niemand mehr hingehen, wenigftens fein Kranker,
Wenn jemand etwas ſchlecht macht, das man gut erwar⸗
tete, fo. ſagt man: nun ja, fo kann ichs auch. Es gibt
wenige Redensarten, die ſo viel Beſcheidenheit verrathen.
170
Wenn bei Meinen Perfonen Alles gehörig ſtark und gut ift,
fo find fie gewöhnlich Tebhafter, als andere Menfchen, weil bei
gleiher Bluterzeugung weniger Maſſe zu verforgen ift. 8werge
und Rieſen find gemeiniglic gleih dumm, weil bei erftern bie
Kräfte fehlen, und bei letztern zu viel zu beftreiten ift. Vielleicht
fommt e8 noch dahin, daß man die Menfchen verftümmelt, fo
wie die Bäume, um befto beffere Früchte bes Geiftes zu tragen.
Das Gaftriren zum Singen gehört fehon hierher. Die Frage if:
ob fih nicht Maler und Poeten eben fo fehneiden ließen ?
Ich babe einmal, wo ih nicht irre, in Rouffeau’s Emil
gelefen, daß ein Mann, ber täglih mit der Sonne aufftanb
und mit Untergang berfelben zu Bette ging, über hundert Jahr
alt geworden fein fol. Ich glaube aber, wo man eine folde
Ordnung in einem Manne antrifft, da find auch mehrere zu
vermuthen, und diefe mögen denn die Urfache des Alters gewes
fen fein,
Das Alter macht Elug, das ift wahr; dieſes heißt aber
nichts weiter als Erfahrung madht Plug Hingegen:
Klugheit macht alt, das heißt, Reue, Ehrgeiz, Ärger macht
bie Baden einfallen und die Haare grau und ausfallen — das
ift nicht minder wahr. Diefe täglichen Lehren mit Büchtigung
zwar nicht auf den 9. . ., aber an gefahrlichern Theilen einge⸗
ſchärft, find ein wahres Gift.
Es müßte fehr artig laſſen, wenn man eine ganze Stabt
auf eine Wage bauen könnte, das beftändige Schwanfen zu ‚bes
merken. . .
Ich glaube nicht, daß es ganz unmöglich wäre, baß ein
Menih ewig leben könne; denn immer abnehmen f&ließt
den Begriff von aufhören nicht nothwendig in fich, .
Das Künftliche aus dem Sinne fchlagen, ift bei weiten
nicht fo viel werth und fo Fräftig wirkend zur Gefundheit, als
das Natürliche; denn wirklich ift Erfteres ſchon eine Art von
Anftrengung.
Le Baillant bemerft in feinen Reifen in das Innere
von Afrifa, daß die Adler auch Aas frefien, und bittet bie Dich»
ter der alten und ber neuern Seit um Bergebung, daß er den
ftolgen Vogel Jupiter fo ſehr erniedrigt; doch merkt er an,
daß er ed nur im Notbfall thue, und was thut man nicht in ber
Noth! Der Adler thut alfo, was feine Dichter im Nothfall auch
thun würden, er ſchickt fi) in bie Beit. Ja, Jupiter felbft buhlte
um Europens Beifall unter einer Maske, in welcher er nichts
von. feiner vorigen Pracht beibehielt ald — die Hörner. Unter
derfelben Maske buhlt jetzt ein ſtolzer Schriftftellee (3.......n)
um den Beifall Germaniens, und es fcheint ihm zu gelingen.
Gin Pabſt (Zacharias, glaube ich) that bie Leute in den
172
Bann, bie an Mntipoden glaubten; und jebt könnte ber Fall
leicht Tommen, baß einer feiner Nachfolger die Antipoben in
ben Bann thäte, wenn fie nicht an die Infallibilität des römi-
fhen Stuhls glauben wollten. Wenigftens haben bie Päbſte
die Länder von Leuten verfchentt, beren Beine zwar keinen
Winkel von 180 Grad, aber doch ſchon einen beträchtlich ſtum⸗
pfen mit ben unfrigen machen. Das ift body auch ein Kortfchritt.
Sihern Nachrichten zu Zolge, wurden im Jul. 1790 Steine
von der Baſtille auf ben Straßen von London Pfundweiſe vers
Fauft. Das Pfund koſtete mehr, als das beſte Rindfleiſch.
Keine Claffe von Stümpern wird von ben Menfchen mit
größerer Nachſicht behandelt, als bie propbetifhen. Wer ſollte
wohl benten, daß man ben Kalendern noch glauben könnte, ba
fie taufendmal irren, unb es befamnt ift, daß fie bloß aus dem
Kopfe, oder allenfalls nad) einem Mobell von einigen borberge
benden Jahren bingefchrieben werben? und doch geſchieht es.
Ein 2008 in ber bannöverifchen Lotterie Loftet 18 Thaler,
und 30 Grofchen Einfchreibegeld; biefes beträgt täglich eine Auß
lage von etwas mehr als 14 Pfennigen; fo viel verfchnapfen
manche Menfchen täglich. Wer fi) alfo gewöhnt, Hoffnung zu
fhnapfen, und wem biefed gut bekommt, dem wollte ih auf
alle Fälle rathen, in bie Lotterie zu feken.
Die befte Art, Lebende und Verfischene zu loben, iſt, ihre
Schwadheiten zu entfehuldigen und babei alle mögliche Menſchen⸗
tenntniß anzuwenden. Nur Beine Tugenden angedichtet, - bie fie
nicht befeffen haben! das verdirbt Alles, und macht felbft das
Wahre verdächtig. Entfhuldigung von Fehlern empfiehlt den
Lobenden.
Theoſophie, Aftrologie und eine gewiffe Meteorologie. haben
nicht bloß da8 gemein, daß man bei ihrem Studium ſowohl,
als ihrer Ausübung die Augen nad) dem Himmel richtet, fondern
auh, daß ihre Berehrer immer mehr fehen wollen, als Andere.
Mir thut e8 allemal weh, wenn ein Mann von Talent
ftirbt, denn bie Welt bat dergleichen nöthiger, als der Himmel.
Es iſt eine fehr weislihe Kinrihtung in unferer Ratur,
daß wir fo viele Außerft gefährliche Krankheiten gar nicht füh⸗
len. Könnte man ben Sclagfluß von feiner erfien Wurzel an
verfpüren, er würde mit unter bie chroniſchen Krankheiten ge
rechnet werben. ‚
Wie wenig Ehre es einem Maler macht, Thiere durd feine
Gemälde zu täufchen, davon :hatte ich einmal einen auffallen⸗
den Beweis: mein Nothfehlchen hielt das Schlüſſelloch einer
Commode für eine Kliege, flog einigemal darnach und ſtieß ng
beinahe den Kopf darüber ein.
174
Seitdem er die Obrfeige befommen batte, dachte er immer,
wenn er ein Wort mit einem O fah, ald Obrigkeit, es heiße
Ohrfeige.
Das Pulver, wovon in einer Stelle aus dem Morhof
in Leſſing's Collertaneen (Th.1. S. 89) unter dem Artikel
Petrus Arlensis de Scudalupis gerebet wird, und das Leffingen
an das bölifche Feuer erinnert, ift wohl gewiß das Knallgold
geweſen.
Schlecht disputiren iſt immer beſſer als gar nicht. Selbſt
Kannengießern macht die Leute weiſer, wenn gleich nicht in der
Politik, doch in anderen Dingen; das bedenkt man nicht genug.
Wenn jemand in Cochinchina fagt: Doji (mich hungerthh,
fo laufen bie Zeute, als wenn es brennte, ihm etwas zu eſſen
zu geben. In manden Provinzen Deutfchlands könnte ein
Dürftiger fagen: mi hungert, und es würbe gerade fo viel
beifen, als wenn er fagte: Doji.
Bei dem Verluſt von Perſonen, bie uns lieb waren, gibt
es feine Linderung, als bie Zeit und forgfältig gewählte 3er:
ftreuungen, wobei uns unfer Herz Feine Vorwürfe machen kann.
Die Urfadhe der Seekrankheit fol, wie Briſſot de War—⸗
pille fagt, noch nicht recht befannt fein. Ich glaube, fie rührt
von ber zufanmengefekten Bewegung bed Blutes ber, an bie
man fich erfti gewöhnen muß. Denn ich babe allegeit bemerkt,
daß die unangenehmfte Bewegung bie ift, dba man nad) einem
fahften Auffteigen des Schiffes wieder zu finfen anfängt, wo
denn unftreitig nicht bloß das Blut nad) dem Kopfe, fondern
au ber Kopf dem Blute entgegen gebt.
Es ift doch beſonders, daß e8 in nalen Ländern fo viele
Menfchen gibt, die Weltmafchinen verfertigen. Auch in Bofton
fand fi, wie Briffot erzählt, ein gewifler Pope, ber über 10 Jahre
an einer zugebradht hatte. Eine unnügere Arbeit läßt fih wohl
sicht gedenken. Vaucanſons Flötenfpieler, der die Flöte wirklich
bläft, geht weit darüber. Einen läppifchern Gebrauch kann wohl
ber Menfch von feinen Seelenträften nicht machen, als wenn .er die
Weltmafchine durch ein Räderwerk darzuftellen ſucht, das immer
zur Familie der Bratenwender gehört und daran erinnert. Schon
eine vergoldete Sonne, die auf einem Zapfen ruht, ift etwas Ab⸗
fcheuliches; und die Schwere durch Stangen zu repräfentiren, an
die man die Planeten fpießt, hat viel Ähnlichkeit mit dem Ginfal
bes Shakefpear, den Mondſchein durch einen Kerl vorzuftellen.
Wenn die großen Herren, die body nur allein dergleichen Poffen bes
zahlen konnen, fo etwas fehen wollen, fo können fie auf einem
freien Platz die Sache dur ihre Hofleute und Hoflafaien bar»
ftellen laſſen, und bie Rolle der Sonne felbft Übernehmen.
Ich glaube, der befte Copiſt und Zeichner würde einen Kopf
176
oder eine Figur nicht gut treffen Eönnen, wenn. fie ihm verkehrt
vorgelegt würde, unb unter ber Bedingung, weber das Original,
noch feine Copie während ber Arbeit, gerade vor ſich hinzulegen.
Man fieht alfo, was ber Künftler thut, ber ein Geficht copitt:
er lieft beftändig im Ganzen, und mit dem Geifte dieſes Gans
zen vor Augen, thut er manden Strid in der augenblidlicdhen
Begeifterung, wenn ich fo reden darf, wovon er nichts weiß,
und ſo wird die Copie ähnlich. Man wird finden, daß dieſes
Leſen im Ganzen, dieſes Zuſammenfaſſen bei jedem Unternehmen
nöthig iſt, und dem Mann von Genie von dem gemeinen Kopfe
unterſcheidet. So ſind bei dem Commando von Armeen, bei
Anlegung großer mechaniſcher Werke, bei großen Finanzopera⸗
tionen oft die tiefſten Theoretiker die elendeſten Ausführer. Sie
haben immer das Detail zu ſehr vor Augen, und dad Unge—
meine, das neu Entdedte und Schwere, und vergefien
darüber das Leichte, Alltäglihe, das immer, ober boch in den
meiften Fällen das Hauptfählichite ift. «Hier fällt mir der Mas
thematifer ein, ber gegen eine Mafchine, bie ben Weg bes Schiffee
auf der See zeichnen follte, nichts einzumenden hatte, als daß
die Beichnung wegen der Ausdehnung des Papiers trügen könne.
Sich durch plögliche Umänderung ohne Erklärung gegen bie,
die es eigentlich angeht, ein gewiffes Air von Wichtigkeit zu
geben, ift ein fehr gemeines Verfahren im Cheftande, Jammer
und Elend, wo e8 in Regierungen Statt findet }
-
1277
Gewiſſen Menſchen iſt ein Mann von Kopf ein fataleres
Geſchöpf, als der declarirteſte Schurke.
Ich habe mir die Zeitungen vom vorigen Jahre binden laſſen,
es iſt unbeſchreiblich, was für eine Lectüre dieſes iſt: 80 Theile
falſche Hoffnung, 47 Theile falſche Prophezeihung und 3 Theile
Wahrheit. Dieſe Lectüre hat bei mir die Zeitungen von dieſem
Jahre ſehr herabgeſetzt, denn ich denke: was dieſe ſind, das waren
jene auch.
Wenn bie Fiſche ſtumm find, fo find dafür ihre Verkäufe⸗
rinnen befto berebdter.
Wir leben in einer Welt, worin ein Narr viele Rarren,
aber ein weifer Mann nur wenige Weiſe macht.
Pantheon ber Deutfchen.
Sch babe au vor Newtons Grabmal in Weflminiter«
abtei geftanden; ih habe Shakeſpears Denkmal, vermifcht
mit denen von großen Helden angefehen; allein ic muß befen-
nen, vielleicht zu meiner Schande, baß ber Eindrud fehr ges
-mifcht und eigen war. Ich konnte mich unmöglich überzeugen,
daß Newton und Shakefpear dadurdy geehrt würden, fonbern,
wenn ich mich in ber Erklärung meines Gefidhts nit irre, fo
war e8 mir, als fländen dieſe Denkmäler da, bie übrigen zu
ehren, und bem Plaß Ehre zu verfchaffen. Es war mir unmög«
u. 12
178
lid, mid von biefem Gefühl los zu machen. — Was könnte
es helfen, jetzt Lutbern in einem beutfchen Pantheon aufzu⸗
ftellen? Sol das zur Ehre Luthers fein? Unmöglih, es ift
zur Ehre des Pantheons. Wenn ja eine folche Anftalt nützen
fol, fo müffen Männer aufgeftellt werben, deren Thaten ohne
Slanz groß waren; Männer, bie fich bloß durch Handeln um
Baterland und Nebenmenfchen verdient gemacht haben — ein
Scriftfteller, als folder. Ein Schriftfteller, ber zu feiner Ber:
ewigung eine Bildfäule nöthig bat, ift auch dieſer nicht werth.
Wenn ber Menfch die Nägel nicht abfchnitte, fo würden fie
unftreitig fehr fang wachſen, und er dadurdy zu allerlei Verrich⸗
tungen ungefchidt werden, bie ihm jest Ehre machen. Diefe
Berftümmelung ift alfo unftreitig von großem Nutzen geweſen.
Sch babe daher immer das Nägelabfauen als einen Inftinct bes
trachtet, fih auszubilden. Daher faut man an den Nägeln bei
einer epinöfen Frage oder überhaupt bei einem ſchweren Problem.
Wenn ſchon dadurch nidht viel ausgerichtet wird, fo wird doch Per-
feetibilitätstrieb geübt; nun wirft fih die gefammelte Kraft, wenn
fie ih an einem Ende zu ſchwach fühlt, auf einen andern Theil.
Der Gehalt, das ſpecifiſche Gewicht des Geiftes und ber
Talente eines Menſchen ift deſſen abfoluter Werth, multiplicirt
mit der mittlern Wahrfcheinlichkeit feiner Lebensdauer ober fei«
ner Entfernung vom gewöhnlichen Stillftand der Fortfchritte. —
Sehr verſtändlich, für mich. wenigftens.
179
In England warb vorgefchlagen, die Diebe zu caftriren.
Der Vorſchlag ift nicht Übel: die Strafe ift fehr hart, fie macht
bie Leute verächtlih, und doch noch zu Gefchäften fähig; und
wenn Steblen erblich ift, fo erbt e8 nicht fort. Auch legt der
Muth fh, und ba ber Gefchlechtstrieb fo häufig gu Diebereien
verleitet, fo fällt auch biefe Beranlafjung weg. Muthwillig bloß
ift die Bemerfung, daß bie Weiber ihre Männer deſto eifriger
vom Stehlen abhalten würden; denn fo wie die Sachen jetzt
ſtehen, riskiren ſie ja, fie ganz zu verlieren.
Die Jahre ber zweiten Minorennität, das find böfe Deiten,
wenn fie anfommen. Bei Schriftftellern übernimmt das Pub⸗
likum alsdann gemeiniglih die Vormundſchaft. Abnahme des
Gedächtniſſes, graue Haare, Wegfchleihen der Zähne, und Lob
der Zeiten, wo das Fleifch noch weicher gekocht wurbe, find die
ficheren Kennzeichen, daß fie eingetreten find. Wohl dem alsdann,
der auf guten Grund gebaut hat.
j Gartefius fagt in einem Briefe an Balzel (European Maga-
zine Febr. 1795 p. 85.), daß man bie Einfamkeit. in großen
Städten fuchen müffe, und er lobt fi) dazu Amfterdam, von
wo ber Brief datirt if. Ich fehe auch wirklich nicht ein, warum
nicht Börfengefumfe eben fo angenehm fein fol, als das Raus
fchen des Eichenwaldes; zumal für einen Philoſophen, der Feine
Handelsgeſchäfte macht, und zwifchen Kaufleuten wandeln kann,
wie zwiſchen Eichbäumen, da die Kaufleute ihrerſeits bei ihren
190 Wu;
180
Gängen und Gefchäften fih fo wenig um den müffigen Wand⸗
ler befümmern, als die Eihbäume um den Dichter.
Seit der Erfindung der Schreibefunft haben bie Bitten
viel von ihrer Kraft verloren, die Befehle hingegen gewonnen.
Das ift eine böfe Bilanz. Gefchriebene Bitten find leichter ab⸗
geſchlagen, und gefchriebene Befehle leichter gegeben, al® münd«
liche. Bu beiden ift ein Herz erforderlich, das oft fehlt, wenn
der Mund der Sprecher fein foll.
Es ift doch fo ganz modern, einen Afchentrug oben über
ein Grab zu fegen, während der Körper unten in einem Kaften
fault. Und diefer Afchentrug ift wieder ein bloßes Beichen eines
Aſchenkruges; es ift bloß der Leichenftein eines Aſchenkruges.
Nach dem Menfchen kommt in dem Syſtem ber Boologen
ber Affe, nach siner unermeßliden Kluft. Wenn aber einmal
ein Linne die Thiere nad ihrer Glüdfeligkeit, oder Behaglichkeit
ihres Zuſtandes ordnen wollte, fo kämen doch offenbar manche
Menſchen unter die Müllerefel und die Jagbhunde zu fleben.
Es macht allemal einen fonderbaren Eindrud auf mid, wenn
ih einen großen Gelehrten, oder fonft einen wichtigen Mann
febe, dabei zu denken, daß doch einmal eine Zeit war, ba et
den Maikäfern ein Liebehen fang, um fie zum Auffliegen zu er:
muntern,
Aus dem Bittern, wenn man fchwad wird, follte man faft
glauben, die Wirkung unfers Willens auf unfern Körper ges
fhähe ftoßweife, und bie Stetigkeit in ben Bewegungen verbalte
fih zum Bittern, wie ber Kreis ober die Prumme Linie zum
Polygon. Man kann in jedem Alter, glaube ich, wigig fein,
nur geht ed nicht immer in einem fo fleten Strom, wie in ber
Jugend; man zittert ba. Sammelt man aber die Bemerkun:
gen, und nimmt bie Zwifchenräume meg, fo kann ber Lefer bie
Abnahme der Kräfte nicht bemerken. Ich mag thun, was ich
will, fo kann ich e8 nicht ohne Zwiſchenräume — ich zittere
überall. Zittern ift Anfirengung und Ausruben in fchnellen Ab»
wechfelungen verbunden.
Bor einigen Tagen. las id, baß ein Prediger im Lüttichi=
fen, wo ich nicht irre, ber. 125 Jahr alt war, von feinem
Biſchofe gefragt worben wäre, wie er ed angefangen hätte, fo
alt zu werben. Ich habe mich, war die Antwort, des Weins,
ber Weiber und bes Zorns enthalten. Hier ift nun, wie mid
dünkt, die große Frage: wurde ber Mann fo alt, weil er fi
jener Gifte enthielt, ober weil er ein Temperament befaß, das
es ihm möglich machte, ſich jener Gifte zu enthalten ? Ich glaube,
es ift unmöglich, nicht für das Letzte zu flimmen. Daß ſich mit
jenen Giften jemand das Leben verkürzen kann, und zwar fehr
ftarf, ift Bein Beweis, daß man fi) das Leben verlängert, wenu
man fich ihrem Gebrauch entzieht. Wer bas Temperament nicht
bat, würde, wenn er ſich des andern Geſchlechts enthielte, ges
182
wiß fein Leben damit nicht verlängern. — Eben fo iſt e8 mit
der Sage, baß bie wahren Ghriften immer rechtfchaffene Leute
find. Es bat lange rechtfchaffene Menfchen gegeben, ehe Chri⸗
fien waren, und gibt Gottlob! auch da noch welche, wo Feine
Chriſten find. Es wäre alfo gar wohl möglich,. daß bie Leute gute
Chriften find, weil das wahre Chriftentbum basjenige von ihnen
fordert, wa8 fie auch ohne baffelbe gethban haben würden. So⸗
Prates wäre gewiß ein fehr guter Chrift geworden.
Wenn ein Prediger merkt, daß feine Zuhörer nicht aufs
merkfam find, fo müßte er es machen, wie ein gewifjer Dr.
Alymer, Bifhof von London. Als diefer fand, daß ber größte
Theil feiner Verſammlung fchlief, fing er auf einmal laut an
in einer bebräifchen Tafchenbibel zu leſen, bie er bei fi) hatte.
Sogleich wurde Alles aufmerffam. Da fing ee an: „waß feib
ihr doch für feine Leute! ihr feid aufmerffam, wenn ich euch
etwas vorlefe, wovon ihr Fein Wort verfteht, und fchlaft, wenn ich
mit euch in eurer Mutterfprache. von. Dingen rebe, auf denen das
Heil eurer Seele beruht. (Universal Magaz. Oct. 1797. p. 284.)
Iſt e8 nicht abfcheulih, daß fi der Menſch gewöhnt hat,
zur Nahrung oder zur Befriedigung feiner Leckerhaftigkeit Dinge
zu wählen, die von feiner eigenen Gartenmauer an gerechnet, ein
Paar taufend Meilen entfernt wahfen? Warum tractiren reiche
Juden bei ihren Tractamenten nidt mit Wafler aus dem Jordan,
oder mit dem Honig und ber Milch, die in ihrem. Baterlande flieht ?
183
Das größte Geheimniß, das fo viele Menfchen erfahren haben,
und noch fo viele beiderlei Gefchlechts erfahren werben, das man
gewöhnlih an öffentlihen Plägen erfährt, das aber noch nie
jemand ausgeplaubert hat, noch je ausplaubern wirb — bie
Empfindung, wenneinember Kopfabgehbauenmwirb.
Wie viel .in der Welt auf Vortrag ankommt, kann man
fhon daraus fehen, daß Kaffee aus Weingläfern getrunken, ein
ſehr elendes Getränk iftz ober Fleiſch bei Tifche mit ber Schere
gefchnitten, oder gar, wie ich einmal gefehben habe, Butterbrot
mit einem alten, wiewohl fehr reinen, Schermeffer geſchmiert —
wen würde das wohl bebagen? -
Sch weiß von guter Hand, baß feit ber evolution ber re⸗
ligiöfe Sfepticismus gar. nit mehr unter ben Menfchen von
Rang und Familie in Frankreich Statt finden fol, worin er
ehemals berrfchte. Man bat beten gelernt. Diele Damen, bie
fonft nichts davon wiffen wollten, find nun ganz pour la reli-
gion de nos peres. Man glaubt aber doch auch, daß fie etwas
mehr dabei gedacht, und auch das gouvernement de nos peres
gemeint hätten.
Hat wohl jemand je den Einfall gehabt, die Afopifchen
Gabeln durch Ihiermarionetten vorzuftelen? Wenn die Thiere
gut gezeichnet wären, fo könnte es wohl eine herumziehende
Truppe ernähren.
184
Das große 2008 in ber Erfindungslotterie dee Menfchen ift
Gottlob ! noch nicht gezogen. Wer ed gewinnen wird, läßt fi
freilich nicht fagen; aber fo viel feheint gewiß zu fein, baß es
fein Compilator und aftronomifcher Conflabler gewinnen wird.
In Nr. 372 des Reichsanzeigers von 1798 ſteht wieder et⸗
was von ber — — ) Hermetifchen Gefellfchaft. Ein rechtes
Mufter von Dummheit, Stolz und an Wahnfinn grängendem
Mangel an Menfchenkenntniß und Philofopbie.
Es erleichtert die Correfpondenz, wenn man weiß, baß ber
Correfponbent eine fhöne Frau hat.
Ich habe in meinem Leben eine ganz beträchtlihe Menge
fehr alter Perfonen gefehben, kann mich aber nicht erinnern, je
eine gefehen zu baben, bie fiar® podengrübig gewefen wäre.
Was ift die Urfache? Unſtreitig wirb es eine von folgenden
breien fein müfjen. Entweder ſolche Leute erreichen Bein hohes
Alter; oder durch das Sufammenfchrumpfen der Haut verlieren
fih die Podengruben größtentheild; oder enblih, ba überhaupt
nicht febr viele Menfchen fehr alt, und ebenfall8 nur wenige
ſtark von den Poden gezeichnet werden, fo könnte es leicht fein,
*) Hier ftand im Mfpt. ein fehr derbes Epitbeton, das wir,
nicht aus Schonung für die faubere Gefellfhaft, fonbern für
und felbft ausgelafien haben.
185
baß biefe zwiefache Seltenheit bie Urſache wäre, warum es einem
Menfchen von 50 bis 60 Jahren begegnen könnte, Peinen poden-
grübigen Alten gefehen zu haben. Diefe britte Urfache fcheint
mir bie wahrſcheinlichſte. Indeſſen follten mehrere Menſchen
eine ähnliche Bemerkung gemacht haben, fo verdiente doch bie
Sache vieleiht Aufmerkfamteit.
So angenehm bie Muſik dem Ohre ift, wenn es fie
bört, fo unangenehm ift fie ihm oft, wenn man ihm bavon
vorſpricht.
Spielen iſt ein ſehr unbeſtimmtes Wort, oft wird etwas
eine Spielerei durch den ſchlechten Gebrauch, den man von einer
Sache macht. Es gibt Leute, die ſogar mit den allerheiligſten
Dingen ſpielen.
Die geſchnitzten Heiligen haben in ber Welt mehr ausgerich⸗
tet, als die lebendigen.
Die verfchiebenen Arten von Yulfen, ihrer Geſchwindigkeit
fowohl, als ihrer Härte nah, müßte ſich durch eine Mafchine,
buch fchwingenbe Darmfaiten von verfihiebener Dide und Span⸗
nung deutlich ‚machen laffen. So etwas ließe fi in Collegien
gebrauchen.
Mus was für Urſachen werben bie Hechte von heißem Eſſig
186
blau, die Krebſe im Kochen roth, das grüne Wacheuch unter
Vaſſer bel u. ſ. w.?
Sollten ſich Gerüche mot durch dohiwpiegel concentriren
laſſen?
Würde ein Öltropfen auf unſere Erdkugel fallen, wenn fie
sarız aus Waſſer beftände ?
Könnten nicht in den Hirnhöhlen durch Zerſetzung ber Dämpfe,
die nothwendig bisweilen Statt finden muß, allerlei Ungemäd«
lichkeiten entftehen: Gewitter, Regen, Thau? fo etwas wäre
wirklich möglid; find ja Dämpfe auch die Urſache ber Erdbeben.
Wie hängt eine bekannte Erfahrung, daß Leute in ber
Dämmerung befjer fehen, ald am Tage, mit einer andern zu⸗
fammen, daß manche Taube befjer im Lärm hören?
Hat man Beifpiele von taubgebornen Thieren? Taubge⸗
borne Hunde möchten wohl ſchwerlich ſtumm fein.
Hat man wohl je unterfuht, warum bie Nafen gefunder
Hunde fo kalt find? Cs könnte leicht die Abfiht haben, baf
fi! manche Gerüche leichter darauf niederfchlügen.
Sat man wohl präcife Berfuche darüber, daß Mil bei
187
einem Donnerwetter gerinnt? und ift biefes ber Fall, mie wird
es am natürlichften erflärt ?
’ Ob wohl ein Hund Eönnte abgerichtet werben, einen mag.
netifchen Stahl von einem anbern zu unterfheiden? Der Ge
braud von ber Hundesnaſe ift wohl noch nit ganz gemarht
worden, ber fi) davon machen ließe. Erdbebenpropheten find
die Hunde, wie auch einige andere Thiere.
Sollte ed wohl in Abſicht auf das ganze Weltfgfiem ober
felbft die Firfterne fo etwas gehen, wie Wetter, Witterung,
Wetterſeite?
Ich bin manchmal faſt geneigt, zu fragen: gibt es in der
Welt noch etwas Anderes, als Waſſer? J—
Wozu ift das Stroh.gut?
Iſt es wohl wahr, was ich oft gehört habe, daß die Hunde
nicht ſchwizen; und wenn es wahr iſt, was läßt ſich für ein
phyfiologiſcher Grund angeben?
Was würde eine Nachtigall machen, der man um die
Schlagezeit die Ohren zuklebte?
Iſt es nicht ſonderbar, daß man die Geometrie mit einem
188
befondern Falle anfängt, mit ber Lage ber Linien auf Ebenen?
Leicht mag dieſes fein, ob es aber wiſſenſchaftlich iR, ift eine
andere Frage. Es müßte doch fürwahr bie Möglichkeit einer
Ebene erwiefen werben. Ich fürdte nur, wenn man bie Phi⸗
loſophie der Nathematik zu weit treibt und fie zu weit von dem
gemeinen Menfchenverfiand wegrüdt, fe wirb fie im Ganzen
verlieren.
Ob die Muſik bie Pflanzen wachſen mache, ober ob es unter
den Pflanzen welche gebe, die muſtkaliſch find ?
Bir können ein Hirſenkorn ungeheuer vergrößern; aber
eine Sekunde Zeit fönnen wir zu Feiner Minute und zu Peiner
Biertelftunde machen. Das wäre vortreffiih, wern man das
Fönnte! Allein man ſucht mehr die Zeit zu verkleinern, fo
follte man fagen, flatt verfürzen.
Es ift fehr weife, daß die Fifche ſtumm find ; denn ba das
Waſſer den Schall fo außerorbentlich fortpflanzt, fo würden fie
ihr eigenes: Wort nicht hören. Ich glaube, eines der größten
Unglüde, das bie Welt befallen Pünnte, wäre biefe®, daß die
Luft den Schall ungefhwädht zwanzig Meilen weit fortpflanzte.
189
Nachtrag
zu Allerband.
Die Efel haben bie traurige Situation, worin fie jet in
der Welt Ieben, vielleicht nur dem witzigen Ginfalle eines lofen
Menfchen zu danken. Diefer ift Schufd, daß fie zu dem ver-
achtetften Thiere geworben find, und biefes auch wohl bleiben
werden, und gewiß gehen viele Eſeltreiber nur deßwegen mit
ihren Eleven ſo fürchterlich um, weil es Eſel, nicht weil es
träge und langſame Thiere find.
Wenn man einmal in der Welt anfangen wollte, nur das
Nötbige zu thun, fo müßten Millionen Hungers fterben.
Gin paar Dusend Millionen Minıften machen ein Leben
von 45 Jahren, und etwas darüber.
Eine Uhr, die ihrem Befiter immer um %, zuruft: Du...;
um balb: Du bift..; um %: Du bift ein.; und wenn e8
vol fhlägt: Du bift ein Menfd.
Wie werden einmal unfere Namen hinter bem Grfinder des
liegend und dergl. vergeffen werden!
190
Die Sympathieen ſind gewiß nicht alle zu verwerfen. Viel⸗
leicht finden wir einmal bie Urſachen dazu. Sie find vielleicht.
Reſte von den verlorenen Wiffenfchaften einer andern Generation
Menfchen.
Gelegenheit macht nicht Diebe allein, fie macht auch be
fiebte Leute, Menfchenfreunde, Helden. Bon bem Ginfalle,
ben ein Witiger hat, gehört mehr als die Hälfte dem Dumme
Popfe zu, ben e? traf.
Wie nahe wohl zumeilen unfere Gedanken an einer großen
Entdeckung hinſtreichen mögen.
Die Orakel haben nicht ſowohl aufgehört zu reden, als
vielmehr die Menfchen ihnen zuzubören.
Wer eine Wiffenfchaft noch nicht fo ‚inne hat, daß er. jeden
Berftoß dagegen fühlt, wie einen grammaticalifhen Fehler in
feiner Mutterfprache, der bat noch viel zu lernen.
In ben Bibelerflärungen kommt mir Bieles vor, wie in
den Erklärungen der Figuren in der Baumannshöhle.. Man hat
da betende Jungfrauen, Taufſteine, Pathen, Mönche, Rinds⸗
zungen, Säulen, Eierftüde, Himmelfahrt Chrifti, Pauken u. |. w.
Man muß aber gemeiniglich fhon wiffen, was e8 fein foll,
um e8 darin zu erfennen.
Sch babe einmal in einem ökonomischen Schriftſteller fol
genden Einfall gelefen, der fehr artig if, und auch auf menſch⸗
lihen Umgang angewandt werden könnte. Unter allen Vögeln,
fagt der Berfaffer, feheinen bie Sperlinge die größten Vertrau⸗
ten ber Bauern zu fein, und feine Art wird von Bauern fo
fehr gehaßt als dieſe.
Der Schwarze Mann ber Kinder gehört mit in bie Klafie
von Erfindungen, worin die Höllenftrafen fiehen. Es ift, glaube
ich, nicht möglich, den Aberglauben auszurotten.
Die Neigung der Menfchen, Eleine Dinge für wichtig zu
balten, bat fehr viel Großes hervorgebracht.
Einer glaubt genauen Umgang mit Käftner gehabt zu haben,
und am Ende mars ber Waifenhauspräceptor Keftuer zu Göt—
tingen.
Warum fann jedermann ohne Vorwurf von Stolz fügen:
ih bin ein ehrlicher Mann, aber nicht: ich bin ein Mann von
Genie, oder ein wißiger Kopf? Iſt etwa jenes weniger, oder
ſchimpft das Wort Spigbube nicht fo viel als Dummkopf? Und
doch dürfen Necenjenten ed den Leuten nicht allein in das Geficht
fogen, daß fie Dummköpfe jind, fondern e8 ihnen fogar auch beweiſen.
Es gibt Leute, die das r wie ein mw audfprechen, fie find
192
mir unerträglih. 3.9. Fwiction, Swage, Bweite, flatt Fric⸗
tion, Zrage, Breite.
Eo viel iR audgemadt, die chriſtliche Religion wirb mehr
von ſolchen Leuten verfodten, bie ihr Brot von ihr haben,
als folden, die von ihrer Wahrheit überzeugt fund. Man muß
bier nicht auf gebrudte Bücher fehen, das if dad Wenigſte, bie
belommen Tauſende nicht zu lefen, ſondern auf bie Perſonen,
die täglich an ihrer Aufrechterbaltung fchnigeln und ſtümpern,
und auf Univerfitäten vom Freitifde an dazu erzogen und ver
zogen werben. “
Es ift doch fonderbar, daß wir fo viele Mittel kennen, eine
Krankheit zu befördern, und fo wenige, fie zu heilen.
Den Efel macht feine Ähnlichkeit mit dem Pferde nur
defto lächerliher, aber das Pferd wirb nicht lächerlich durch
den Eſel.
Ein Geſchöpf höherer Art läßt bie ganze Geſchichte der Welt
repeticen, fo wie man bie Uhren repetiren läßt.
Es mag ein Einfall noch fo einfältig fein, er regulirt immer
etwas und berrfcht irgendwo. Das Gefiht im Monde herrfcht
in unjern Kalenderzeichen.
are
Die Leihenöffnungen können biejenigen Fehler nicht ent»
decken, die mit dem Tode aufhören.
Es wird gewiß in England des Jahre noch einmal fo viel
Portwein getrunken, als in Portugal wächſt.
Die Luſtbarkeiten, wobei man in bie Höhe fehen muß, find
immer angenehmer, ald eine, wobei man geradeaus fiebt. Or.
Blanchard ſollte Muſikanten mit in die Höhe nehmen.
Man wirft ben Corporationen ber City of London vor,
daß fie aus Leuten befteben, die meiftens als Individuen fehr
würdige Männer find, aber in corpore gewöhnlich fehr einfäl⸗
tige Streiche machen. Gerade wie unfere Aheologen.
Die Welt jenfeit der gefchliffenen Gläſer ift wichtiger, als
die jenfeit der Meere, und wird vieleicht nur von ber jenfeit
bes Grabes übertroffen.
—n — 1
Ih möchte wohl ben Titel des lekten Buches wiſſen, das
gedrudt werden wird, Original verfteht fi), nicht Auflage.
Was man fehr prädtig Sonnenfläubdhen nennt, find bo
eigentlih Dredftäubchen.
—
Wenn der Menſch, nachdem er 100 Jahre alt geworden,
II. 13
194
wieder umgewendet werben könnte, tie eine Sanbuhr, und fo
wieder jünger würbe, immer mit der gewöhnlichen Gefahr, zu
fitrben; wie würde e8 da in ber Welt ausfehen ?
Ein untrügliches Mittel wider das Sahntmweh zu erfinden,
wodurch es in einem Augenbli& gehoben würde, möchte wohl
fo viel werth fein und mehr, als noch einen Planeten zu ent:
beden. | |
Jedes Zeitalter hat eine Menge Eigenheiten, bie die Nach⸗
welt mit Vergnügen aufgezeichnet fehen würde, und bie viel zu
fein für den Gefchichtfchreiber find, die immer wechfelnden Thor:
beiten der Beit ıc. Für diefe ift Hogarths Grabſtichel das befte
Medium fie aufzubewahren. Wer in aller Welt kann einen
Parlamentswahlfhmaus, oder eine Midnight conversation fo
fhildern, wie er gethban bat, und wie lehrreidy kann nicht eine
ſolche Schilderung gemacht werden !
Wie viele Menfhen mag mohl bie Bibel ernährt haben,
Commentatoren, Buchdruder und Buchbinder?
In England wird ein Mann der Bigamie wegen ange
FMagt, und von feinem Advoraten badurch gerettet, baß er be:
wies, fein Client babe drei Weiber.
Es iſt ein Glück, daß die Gedankenleerheit keine ſolche
195
Folge bat, wie bie Luftleerheit, denn fonf würden manche
Köpfe, bie fi an die Lefung von Werken wagen, welde fe
nicht verftehen, zufammengebrüdt werben.
Man wirft oft den Großen vor, daß fie fehr viel Gutes
hätten thun können, das fie nicht getban haben. Sie könnten
antworten: Bedenkt einmal das Böfe, das wir hätten thun
fönnen, und nicht gethan haben.
Die Buchdruckerkunſt ift doch fürwahr eine Art von Mef:
ſias unter den Erfindungen.
Wenn Noth die Mutter des Zleißes oder der Erfindung ift,
. fo ift e8 eine Frage, wer ber Vater, oder die Großmutter, oder
die Mutter der Noth ift.
Jeder Menfch erhält bei feiner Geburt ein Loos in der gros
gen Lotterie der Erfindungen, in welcher wohl gewiß am Ende
des Jahrs 1798 das größte Loos noch nicht gezogen war. '
Als am Sten Ortober 1796 die Stadt Andreasberg auf dem
Harze durch den Blig größtentheild abbrannte, wollten bie Leute
dem Mann, in deffen Haufe der Blig eingefhhlagen hatte, Fein
Obdach geben, weil er ein Böfewicht fein müffe, indem Gott
feinen Zorn zuerft über ihn ausgelaffen babe.
13 *
496 -
Man führt gegen den Wein nur bie böfen Thaten an, zu
denen er verleitet, allein er verleitet auch zu Hundert guten ,. bie
nicht fo bekannt werden. Der Wein reist zur Wirkſamkeit, bie
Guten im Guten, und die Böfen im Böfen.
rag mente
1.
Lorenz Efchenbeimers
empfindfame Reife nah Laputa.
Schreiben
des Hrn, Vxs-4 dxs ddy Trullrub,
Älteſten der Akademie zu Lagoda,
das Empfindſame im Reiſen zu Waſſer und zu Lande
und im zu Hauſe Sitzen betreffend.
Aus dem Hochbalnibarbiſchen überſetzt
von
M. S.
Vorrede bes Überfegers.
Die gelebrte Welt bat es bekanntermaßen fchon längft und
mit Recht bedauert, daß ber berühmte Lemuel Gulliver bei feis
nem Aufenthalt in Laputa und Lagoda ſich nicht mehr bemüht
200
bat, eine genauere Verbindung zwifchen ber bafigen Akademie
und irgend einer europäifchen zu fliften, da er die vortrefflichite
Gelegenheit dazu hatte. Anderer Vortheile zu gefchweigen, will
ih jest nur bie einzige Univerfallurbelmethobe er:
wähnen, die durch bie neuern Bemühungen einiger beutfchen
Gelehrten viel gefhwinder zur Vollkommenheit hätte gehracht
werden können, babingegen unfer bereitö eingeführter Infular-
univerfalismus wieber durch jene geiwonnen haben würde. Defto
größer ift, glaube ih, alfo ber Dienft, den ich ber gelehrten
Welt erzeige, indem ich ihr die Nadıricht ertheilen Fan, baß
wirklich unlängft etlihe @remplare Transartionen ber
Akademie zu Laputa von bem Häringsfiiher Hans Puyt
in Amfterdam, ber bahin verfhlagen worden, aufgekauft und
nad Europa gebracht worden find, wovon ich mir mit vieler
Mühe endlich eines verſchafft habe. Der Leſer witd kaum glau⸗
ben, was für Muͤht es mid gekoſtet hat, alle die Sachen zu
entziffern, da mir außer den wenigen Worten, die uns Gulli⸗
ver erklärt hat, und einiger andern, die eine Ähnlichkeit mit
dem Japaniſchen haben, welche Sprache ich verftehe, fonft nichts
befannt war. Unterdeſſen And Ainmehr alle Schwierigkeiten
gehoben, und ich werde nächſte Iubilatemefje im Stande fein,
einen Band bavon in beutfcher Sprache zu liefern. Sch babe
bier eine Probe mit folgender Abhandlung machen wollen, nicht
weil fe mir vorzüglich gefallen Hat, fondern weil fie noch vor
Michaelis abgedrudt werden Tonnte, und außerdem zeigt, wie
jene Männer and in einer Sache ſchon vor einigen Jahren ges
201
dacht haben, woron bie Engländer fih für bie Erfinder, und
die Deutfchen für die Berbeſſerer ausgeben.
Ehe ich fchliefe, muß ich mich noch über bie vielleicht zu
freie Überſezung einiger Wörter erklären. Hauptſächlich habe
ich die Worte Vtzocknu lomnar? immer dur‘ empfindfame
Reife überſezt. Das Wort tzoc heißt eigentlih: fich mit
Gewalt zum Bredhen zwingen oder mit Gewalt und
aufeine unnatürlide Weiſe etwas von ſich geben.
Wenn es aber mit dem Wurzelzeichen fleht, fu wird es allezeit
im moralifhen Berftande genommen. So beißt zef ein küh—
ler Wind, Vzef ein Schmeichlerz lull ein Chamäleon,
Vlull 2ebensart; zomn ein Bär, V zomn ein Kriticus,
viele andere zu gefchweigen. Ich kehre nun wieder zu meinem
Wort Vtzocknu zurüd: knu heißt überhaupt Alles, was eine
Wirkung der Seele ift, als Betradhtungen und bergleichen.
Lomnar bedeuten Reifen, und die Bedeutung des kleinen Er:
ponenten am Ende wird Holgendes erläutern können. Es ift
befannt, baß ber balnibarbifhe Hof nicht eigentlich in Balni-
barbi, fondern auf Zaputa (der fliegenden Infel) iſt. Die Sprache
ber Infel ſtimmt mit der Sprache in Balnibarbi meiftentheifs
überein, nur daß jene feiner iſt. Ich babe fie deßwegen auf
bem Titel zum Unterfchiede die hoch balnibarbiſche genannt.
Etlihe Wörter aber haben demungeadhtet am Hofe und auf ber
Infel eine andere Bedeutung als in Balnibarbi. Daher pflegt
man eine Pleine an das Ende des Worts zu fegen, wenn man
zwar hochbalnibarbifch fehreibt, aber ein gemiffes Wort in der
202
nieberlänbifhen Bedeutung bes gemeinen Volks genommen haben
will. Es ift zum Erflaunen, wie verfchieben zumeilen bie Be
beutungen ber Wörter find. 8. 8. zorr heißt ein artiges
$rauenzimmer, und zorr® eine Hure; molom ein Ge
lebrter, molom® ein Schwätzer.
203
2.
Beiträge zur Gefchichte des ***
Gegen das Ende des erſten Jahrhunderts wurde mitten
in dem Sitze des guten Geſchmacks und der Gelehrſamkeit (die
Studenten der damaligen Zeit nannten e8 Tiber-Athen) ein
Geſchöpf geboren, das ausjah wie andere Menfhen. So viel
uns auch die Gefchichtfchreiber bier und da von feinen Gemüths⸗
gaben fagen, fo ift doch Alles, was fi aus ihren Nachrichten
von bem Geſchlechte deffelben fchließen läßt, fehr unſicher und
widerfprechend.. Man müßte benn daraus, daß ed in fpätern
Jahren einen weiblichen Ramen annahm, fehließen wollen, daß
es zum ſchoͤnen Geflecht gehört hätte, welches aber durch ans
bere männliche Berrichtungen, bie e8 nach bem Zeugniß einiger
Schriftſteller unternahm, wieder unwahrfcheinlid gemacht wird,
wenn ich nur die beiden anführen will, daß es fechten Eonnte
und flubirt hatte. Man wird mir alfo verzeihen, wenn id, um
fo unparteiifh als möglich zu fein, immer mit Es von diefer
Merfon rebe, einem Wort, das doch fonft keinen Nugen bat,
als etwa einen befcheidenen Schriftfteller aus einer Verlegenheit
zu ziehen, wie bie, in ber ich mich fo eben noch befunden habe.
Bas in feinen jüngern Jahren ſchon von ihm in die Augen
fid, war ein ungewöhnlich einnehmendes Wefen, eine Fähigkeit
204
und Begierde zu mandherlei Dingen, nebfl einem unwiderſteh⸗
lichen Triebe, alle diefe mannichfaltigen Begierden zu befriedigen.
Auf Univerfitäten machte ed auch einen Verſuch dazu; es ging
in der That von einer Sache zur andetn, und gab. allezeit bei
ber letzten ſich die heimliche Verſicherung, bei dem zweiten Be⸗
ſuch mehr zu thun. So kam es in der Arithmetik bis in die
Brühe, und in der Geometrie bis zu der Diſection des Win⸗
kels; es ſprach fehr fertig über daB summum bonum, über Raumı
und Beit, beurtheilte bie Werke der Kunſt, wußtte yon Titus
Feldzügen zu ſprechen, und machte Verſe. Es las fehr..vief,
doch ohne viel zu lernen ober zu wiſſen, fo wie manche Leute
viel effen,. und dennoch, oder vielleicht eben deßwegen auszeh⸗
ren. Sp wie aber überhaupt. das, was nicht figert bleibe, durch
irgend einen andern Weg wieder: fortgeht, fo hatte. es eine. Babe,
fehr viel über vielerlei mit Beifall zu fprechen weiche Auslee⸗
rung zum Etſtannen der. Umftehenden zuwrilen mehrere Stun⸗
ben nad) ‚einander anhielt. Nun ift befannt, daß, was: ein
fehr gefunder Verſtand ſeinem Befiger vielleicht wit ber-Beit: ver⸗
ſchafft, Vertheidiger, Bewunderer, Nachahmer, eine ſehr ge
ſunde Figur dem ihrigen gewiß und in kurzer Weit verfihafft.
Dieß geſchah auch bier: die Nachahmumg und Bewunderung
verbreitete ſich erſt über Die! ſchönen Körper, und. ſtieg dann
immer weiter bis auf die ſchönen Geiſter. Dieſe brachten bie
Wiſſenſchaft, den Kopf. in Geſellſchaft mit Anftand und fo aus⸗
zuleeren, daß es amsflcht, als bliebe er noch voll, ſo weit in ein
Syſtem, als ſie ſich dazu bringen laͤßt. Hier findet ſich bie
205
erfie Spur der Tafchenmwörterbücher, und bie Art zu fludiren,
die für die Erlernung ber Wahrheit eben das ift, was die bes
rühmte Kurbelmethode bed Doctors zu Lagoba für die Erfindung
berfelben wäre, ich meine unfere fo berühmte Inſularmethode.
Man fchrieb und las, fintt Bücher, Recenſionen, und fpradh
nur, anflatt zu wifien und zu denken, unb Gedächtniß fing
an, bie Haushaltung für Vernunft und Gefhmad zu führen.
Unfer Gefhöpf hatte das Vergnügen, in feinen beften Jahren
Perſonen vom Lehrftand unter feine Nachahmer zu zählen, obs
gleich dieſe es nicht für ihr Original hielten. Ich kann bier
nicht verfchweigen, daß es bamals hier und da einige Leute gab,
die ihm den Namen die Halbköpfigen beilegten, und zwar,
wie man glaubt, aus einem ähnlichen Grunde, weßwegen bie
Portugiefen dem fcharfiinnigen Ton Diego be Mendoza den
Namen des Siebenköpfigen gaben, nidt ſowohl wegen
einer befondern Stärke oder Form des Kopfes, als vielmehr
bedjenigen unfichtbaren Wejens, das fi), der gemeinen Meinung
nad, in bemfelben aufhält.
As fh bei unferm Subject diejenige Neigung zu regen
anfing, bie fih in unfern beiten Jahren am heftigften regt,
und von welcher fo viel Unheil in der Welt berrührt, ich meine
die Reigung Bücher zu fihreiben, fo fand es ſich in der größ-
ten Berlegenheit. Es hatte Wis, das heißt, Fühigkeit, etwas
gut zu fagen, wenn ed etwas zu jagen gehabt hätte; allein
biefe Fähigkeit fand etwa ein paar hundert Ideen, bie nad
allen möglichen Gombinationen und mit dem Bande ber flüchtigs
206
ften Ähnlichkeit zufammengenüpft, body noch immer feinen großen
Gedanken, und noch weniger ein Buch machen fonnten. Diefes
mußte ich nothwendig erinnern, ehe ich fagen Eonnte, daß es um
diefe Zeit anfing — — Liederhen zu fohreiben. Und nun
ſchrieb ganz Xiber« Athen Liederhen aus Nahahmung, und größ-
tentheil8 auch aus gleicher Befchaffenheit ihrer Seelenkräfte und
Seelenſchwächen. Wer ein Mädchen hatte , ſchrieb auch gewiß
Der muntern Kleinen holde Briefchen
Bol Liebe und — — Diminutivchen.
So wie dieſer Geſchmack allgemeiner wurde, fing die Ver⸗
nunft an im Gehalt zu fallen, daß die wahre endlich ſo ſelten
wurde, daß ſelbſt die Yameos bie ihrige mit Profit hätten abs
fegen können. &8 ging Wörtern, womit man fonft ganz
leichte Dinge bezeichnete, wie heutzutage den Wörtern Algebra,
Nachtgedanken oder Griechiſch, es lief den Leuten dabei
wie kaltes Waffer den Rüden hinunter. Ja, Einige geflanden,
baß es ihnen, wenn fie ihre Vernunft gebrauchen follten, wäre,
als wenn fie mit ber linten Hand arbeiten, ober etwas Geſchrie⸗
benes im Spiegel leſen wollten. Und doch wurde viel gefchrie-
ben und biöputirt, weil man aber einander nicht verftand, To
entftand ein folches Schreiben omnium contra omnes, daß nie
mand fiher war. Was ward aber aus unferm Befhöpf? Es
Iebte fehr Tang, ging endlih im Alter in ein Klofter, lehrte
ariftotelifche Philofophie, und ftopfte fih mit Philofophie, anftatt
ſich damit zu nähren, und verlor endlich unter dem "Namen
Barbarei in einem fehr hohen Alter Ehre und Leben.
207
3.
Parakletor
oder
Troſtgründe für die Unglücklichen, die feine
| Driginalgenies find.
Deutfchland bat fo lange nad Originalköpfen gefeufzt, und
jest, da fie allein am Mufenalmanad) zu Dugenben fiten, klagt
man überall über die Originalköpfe. Keine Meffe ginge mehr
wie unter Franz I, der Eine hinkte, der Andere affectirte ein
fteifes Knie, der Dritte fchlüge ein Rad, der Vierte Purzelbäume,
ber Fünfte ginge auf Stelzen, der Sechfte machte ben Hafentanz,
ber Siebente hüpfte auf einem Bein, der Achte rollte, der Neunte
ritte fein fpanifches Rohr, der Zehnte ginge auf den Knien, der
Eilfte kröche, und der Zwölfte rutfchte. Ich hätte es den Origi-
naltöpfen vorher fagen wollen, und ich rathe es allen denen,
die e8 werben wollen, fo zu bleiben, wie fie find; denn ich habe
immer gemerft, daß man fo mit unferm einfältigen Yublitum
am weitefien kommt. Ich wollte einmal fehen, wer mir etwas
fagen will, wenn id bin, was ih bin? Aber wenn ibr ori«
ginell fchreibt, 3. B. in fonfopifchen Sentenzen, fludht und
fhimpft wie Shaßefpeare, leiret wie Sterne, fengt und brennt
mie Swift, oder pofaunet wie Pindar — meint ihr, daß ihr
208
damit Dan? verdienen würdet *_ Sch will nicht fagen, was bie
Leute thun würden, wenn ihr wirklich jchreibt, wie Shafefpeare,
Sterne, Swift und Pindar — denn da fände fi wohl noch
bier und da ein ehrlicher Mann, ber ein Einjehen hätte — aber
mit Fluchen, Schimpfen, Leiern, Sengen, Brennen und Poſau⸗
nen richtet ihr nichts aus.
Ich weiß nicht 2 ob ich lebhafter empfinde, als andere Men
fhen, oder ob ich weniger Unrecht leiden kann, ober ob ich
meiner furzen Statur wegen, ba das Blut noch ganz heiß ift,
wenn es vom Kerzen nah dem Kopfe fommt, gejchwinber
Schlüſſe ziehe, aber mich bünft, es ift um alle beutfche Auto:
renfreiheit fchlechterbings und unmwieberbringlich gefchehen, wenn
wir noch zwei Meſſen bem .zügellojen, wiberfinnigen Gefchrei des
beutfchen Yublitumd Gehör ‚geben. Bor der Schlacht bei Rob
bad) fehlte es den Faullenzern an Romanen; wir lefen die eng⸗
liſchen Romane, fo daß wir alle Straßen in London wiſſen,
und den Galgen zu Tyburn ſo gut, als ben unfrigen kennen,
wir äugeln im Park, und treiben, Gott. weiß was, in Co:
ventgarden, unb. fo geben wir ihnen einen Roman. Nun bat
das Kind einen Roman, „Wir wollen deutſche Driginalcha-
xaktere hinein, « fchreien fie. Originalcharaktere? Gebt hin
— ic hätte bald etwas gefagt — geht bin, fagt das erſt den
Zeuten, bie bie Kinder geugen, unb denen, bie fie beherr-
fen, wenn fie groß find, und nicht uns. „Run gut, fo
gebt uns Gedichte. Wir geben einen Boll breite und ſechs⸗
zoͤllige, wie fie fie haben wollen, zu Zentnen. Die Bud:
209
Raben wollen ihnen nicht gefallen; gut, wir nehmen lateinifche,
unb einige Spottuögel nehmen fogar blaue und rothe Farbe,
Was that das Yublitum, war es zufrieden? O in Ewigkeit
niht! Es wurde nur gröber unb ausfchweifender in feinen
Zorberungen, und dachte mit einer einzigen unferer Republif
auf einmal bie Bank zu fprengen. Es verlangte nämlih —
Driginalgenies und Originalwerke. Aber das war
gerade ber Punkt, auf dem wir es erwarteten, und es ift ein
betrübter Beweis, wie unerfahren der beutfche Lefer in ber Kennt»
niß feines eigenen Landes ift; immer die Augen jenfeit bes Rheins
ober jenfeit bed Canals gerichtet, fieht er nicht, warauf er tritt.
Ich habe von jeher geglaubt, daß unter allen Nationen in Deutfch»
land bie Originalgenies marfchfertig lägen, weil fie aber nicht
verlangt wurden, fo lebten und fchrieben fie fo fort, wie wir
gemeinen Schriftfteller, von ber Linken zur Rechten, und gingen
von Empfindung und Gedanken zum Ausdbrud immer in ber
fürzgeften Linie. Aber kaum war bie Lofung gegeben: wer
original [reiben kann, ber werfe feine bisherige
Feder weg, als die Federn flogen, wie Blätter im SHerbfte.
Es war eine Luft anzufehen, breißig Yoride ritten auf ihren
Stedenpferdben in Spiralen um ein Biel herum, das fie ben
Tag zuvor in einem Schritt erreicht hätten; und ber, ber fonft
beim Anblick bes Meeres oder bes geflirnten Himmels nichts den⸗
ten konnte, ſchrieb Andachten über eine Schnupftabacksdoſe.
Shakefpeare fanden zu Dutzenden auf, mo nit allemal in
einem Trauerſpiel, doch in einer Recenfion; da wurden Ideen
II. 14
210
in Sreundfchaft gebradht, bie dh außer Beblam nie gefehen
batten; Raum und Zeit in einen Kirfchkern geklappt und in
die Ewigkeit verſchoſſen; es hieß: eins, zwei, drei, ba geſchahen
tiefe Blicke in das menſchliche Herz, man: fagte feine Heimlich⸗
keiten, unb fo ward Menſchenkenntniß. Selbſt draußen in
Böotien fand ein Shafefpeare auf, der wie Nebutadnezar, Gras
ftatt Frankfurter Milhbrot aß, und durch Prunkſchnitzer fogar
bie Sprache originell machte. Niederfuchfen ſummte feine Oben,
fang mit offenen Najenlöchern und voller Gurgel Patriotismus
und Eprace und ein Baterlanb‘; das die Sänger zum Teufel
wünfht. Da erklangen Lieder und Romanzen, die e8 mehr
Mühe Poftete zu verftehen, als zu machen. Kurz, die Originale
waren da; und das Publikum — was fagte dad? Anfangs
befchämt über die unerwartete Menge flugte es, dann aber er:
klärte es feierlich: das wären feine Originale, das wären Dich⸗
ter aus Dichtern, und nicht Dichter aus Natur, durch fie würde
das Capital nicht vermehrt, fonbern nur bie Sorten vermwechfelt,
bald Silber in Kupfer, bald Gold in Silber umgefekt, u. f. w.
Da haben wird, meine Freunde! Mid dünkt, unjere Sache
ift jept zu klar, ale baß es nöthig wäre, lange zu überlegen,
was zu thun fei. Geſetzt auch, wir gehorcdhten ibm, unfere
DOriginalfhrififteller ließen diefe: Originalküpfe fahren, und ver:
fuchtens mit Nr. 2., fo würben-wir biefelbe Antwort erhalten ;
und gejeht, fie träfen’s, fo wären unterdeffen die Herren müde
und wollten wieber etwas Neues. Kurz, heut gebroden ift bef-
fer, als morgen. Es ift Mar, fie wollen uns nur berumziehen,
211
wie bie Boſtonianer das Parlament, bis bei jchwächern Nudh
kommen bie jegt noch biegfame Gewohnheit zu einem Gefeg
verbärtet, das uns Schriftſteller zu Hofnarren des deutſchen
Yublitums madt. Alſo jegt nicht weiter. Ich fage, ihr habt
Driginalköpfe verlangt, da find fie zu Taufenden; es wimmelt.
Ihr erkennt fle nicht, und ich fpreche mit freier tim, id er:
kenne fie dafür, mein Wort ift: „erft mich, dann fie,“ und
num trete auf ben Eand, wer will. — —
Ihr wollt haben, wir follen fchreiben, wie bie Griechen,
und ihr mit eurer Bezahlung wollt immer alte Deutfche bleiben.
Macht ihr den Anfang, und fest uns Ehrenfäulen, fo wollen
wir mit unfern Iliaden fchon zu feiner Zeit berausrüden. Aber
immer fordern, immer auf Rechnung, und immer die Bezab-
fung aufgefhoben, das ſchmeckt freili vortrefflich. Hätte ich
aber etwas zu fagen, fo wüßte ich wohl, was ich thäte: bei
jeder Meffe müßte gegen einen Bullen Bücher, den wir der Welt
liefern, bie Welt angehalten werben, uns eine Ehrenſäule ab-
zuliefern, und hätte man beren eine Quantität beifammen, fo
würden fie auf dem Landtage ausgefpielt, und dann vom Stein:
bauer gehörig belettert, beziffert und gefegt. Dieß wäre das
befte, wo nicht daß einzige Mittel, fo wie wir und ihr jest ein:
ander gegenüberfiehen, uns wicder zu vereinigen und dem Streit
ein Ende zu machen. Ihr folltet nur einmal bie englifchen Ge:
Ichrten ſehen, wie die es machen und ſichs maden lafien! Ba
fiten fie am Tiſch fo fett und fo rund, effen und trinken fi
212
einen Weſtenknopf na bem anbern ans dem Knopfloch, und
wenn fie das lange genug getrieben haben, fo fireden fie ſich in
Räefiminfterabtei auf ein marmornes Poſtament, mitten unter
die Kbnige bin, und laſſen das Yublitum, über das fie fih
noch dazu im Leben meiftens luſtig gemacht haben, für die Un
Poflen forgen. Und das ift recht; denn wer feib ihr? fagt! wer
flempelt denn die meiſten Entreebillets zum Ewigkeit, wir ober
ihr? Am Ende, daß ichs gerabe herausfage, wenn ihr nicht
wollt, fo brauchen wir auch nicht, und fahren fort wie bisher,
und geben ohne euer Buthun in bie Ewigkeit. Das müßte nicht
rechtlich gugeben, wenn ein Buch, das gut gefchrieben ift, ein
paar Dutzend neuer und nüslicher Wahrheiten enthält, in mef-
fingene Eden und Krampen gebunden, und alle Monat einmal
gelüftet wird, nicht fo weit reichen follte, als eure Klingelbagen
oder eure Blankenburger. — —
Ich kann in der Welt nicht begreifen, was wir bavon
baben, den Witen fo bei jeder Gelegenheit ben Bart zu ftreicheln.
Danken können fie ed uns nicht, und aus ben breiten und nie:
drigen Stirnen und den trogigen Gefichtern zu ſchließen, wor:
über ich jeder deutſche Pitſchierſtecher aufhält, würden fie es
nit einmal, wenn fic es koͤnnten. Es if fürwahr eine mächtige
Ehre für uns, daß 08 vor zwei tauſend Jahren Leute gegeben
at, Me geſcheuter waren, ald wir. Meint ihr vielleicht, wu
Ihren nach ın den Zeiten, wo ie größte Weisheit in tem Be
wahren dedand, daß man michts wife? Muf das Gapual
213
borgt man euch keinen Magiftertitel, fo wenig als auf den
Reichthum, der in ber Armuth beftebt, einen Srofchen. Nein,
Freunde, bie Beiten find vorbei. Solche Süpe find heuzutage
nichts weiter als fchöne Nefter von ausgeflogenen Wahrheiten ;
in den philoſophiſchen Kunſtkammern gehen fie mit, in bie Haus⸗
haltung taugen fie nicht einen Schuß Pulver. ine berrliche
Ehre, heutzutage überzeugt zu fein, daß man nichts wiffe!
Wollte Bott, es wäre bierin noch fo wie fonft! dann wären
eure Klagen über die jegigen Zeiten unnüß; denn ihr werdet
nicht Icugnen, daß wir Leute genug haben, bie nichts wiffen,
und die einfältige Überzeugung davon ließe fi) ihmen bald bei«
bringen. — —
Nachdem die Theorie von der Nothwendigkeit eines Man:
geld an Symmetrie, um original zu fein, ift gegeben worten,
fo ann gefagt werden: Ich bielte daher für ratbfam, daß man
ben neugebornen Kindern einen fanften Schlag mit geballter
Fauſt auf den Kopf gäbe, ber, ohne ihnen zu fchaben, die Sym⸗
metrie de8 Gehirns etwas verrüdte. Ich riethe ihn ja nicht ges
rade auf bie Stirn, ober oben oder hinten hinzugeben, auch
nicht auf die Seite, weil biefes bie Symmetrie Feineswegs affici-
ren würde. Denn in ben drei erften Fällen werden beide Sei»
ten gleich ſtark unmittelbar getroffen, und in dem lekten würde
bie Reaction ber gegenüberftehenben Seite flatt eines Schlages
fein. Ich riethe alfo unmaßgeblih den Schlag gerade über
einem ber beiden äußern Augenwintel anzubringen; denn da
214
alsdaun Iheile von einer ganz andern Structur umd Lage in
Heaction gebracht werben, fo Bann e8 nicht anders fein, ald daß
dadurch die ſchönſte Afyımmetrie des Gehirns erhalten wire. Sch
babe deßwegen oft mit Verdruß bemerft, daß die Schläge auf
ben Kopf, oder die fo genannten Chrfeigen in unfen Edulen
ablommen, und nur in ber großen Gefellihaft, wo fie ganz
umſonſt angebradt werben, weil bie Köpfe alsdann gewöhnlich
fon in das Holz gegangen find, Mode find. Man hat Erem:
pel, daß Leute, die auf den Kopf gefallen, ober mit einem
Prügel darauf gefchlagen find, zuweilen angefangen haben zu
weiffagen, und ander von ben Dingen in ber Welt zu denken,
als andre Menfchen. Diefes hieß nun freilich, des Guten zu
viel thun, und ich erkläre noch Alles hierin aus einer fommetri-
fen Berrüttung des Gehirns; allein Fein Menfh kann Icug:
nen, baß der beneidenswürdigfte Kopf in biefer Welt derjenige
wäre, ben man vergöttern würde, wenn er bie eine Seite ‚nicht
hätte, und ben man in Beblam einfperren müßte, wenn bie
andere nicht wäre; das find bie großen Seelen, bie Affe und
Angel zugleich find, und die freilich zumeilen die Täppifchen
Ideen des erfiern mir dem tranfcendentalen Periodenklang bes
Intern, oder bie fonnenhellen Ideen bed Iegtern mit ben uns
verftändlichen Beichen bes erfiern ausbrüden. — Weiter: warum
fdlagen fih die Menſchen an ben Kopf, wenn fie etwas nicht
wiffen, was fie hätten wiſſen ſollen? ein Gebraud, der ten
Menſchen natürlich if. — —
. a nn
213
4.
Über den Deutfchen NRoman.
-, Mnfere Lebensart it nun fo fimpel geworben, und alle ans
fere Gebräuche fo wenig myſtiſch; unfere Städte find meiftens
fo klein, das Banb fo offen, Alles ift fich fo einfältig tren, daß
ein Mann, ber einen beutihen Roman ſchreiben will, faft nicht
weiß, wie er Leute zufammenbringen, oder Knoten ſchürzen foll.
Denn da bie Eltern jet in Deutfchland burchaus ihre Kinder
felbft .jüugen, fo fallen bie Kindervertaufhungen weg, und ein
Sanell von Erfindung ift verfiopft, der nicht mit Geld zu bezah⸗
Im war. Mollte ih ein Mädchen in Mannskleidern herumge⸗
ben laſſen, das käme gleich heraus, und bie Bebienten verrie⸗
tben es, noch ehe fie aus dem Haufe wäre; außerdem werden
uufere Srauenzimmer fo weibijch erzogen, baß fie gar nicht das
Herz haben, fo etwas zu thun. Nein, fein bei der Mama zu
figen, gu kochen und zu nüben, und felbfi eine Koch« und Näh⸗
mama zu werden, das ift ihre Sache. Es iſt freilich bequem
für fie, aber eine Schande fürs Vaterland, und ein unüber⸗
winbdliches Hinderniß für den Romanenfchreiber.
In England glaubt man, baß, wenn zwei Perſonen von
einertei ‚Gefihlecht in .demfelben Zimmer fchlafen, ein Kerker⸗
216
fieber unvermeidlich fei; deßwegen find bie Perfonen in einem
Haufe des Nachts am meiften getrennt, und ein Schriftteller
darf nur forgen, wie er die Hausthüre offen Eriegt, fo kann er
in das Haus laffen, wen er will, und barf nicht forgen, daß
jemand eber- aufwacht, als er. es haben wid.
Ferner da in England die Schornfleine nicht bloß Rauch:
canäle, fondern hauptſächlich die Luftröhren der Schlaffammern
find, fo geben fie zugleich einen vortrefflichen Weg ab, Ummit:
telbar und ganz ungehört im jede beliebige Stube des Hauſes
ju kommen, und der ift fo bequem, baß ich mir babe fagen
laſſen, daß, wer einmal einen Schornſtein auf» und abgeftiegen
fei, ihn felbft einer Xreppe vorzöͤge. Im Deutfchland käme ein
Liebhaber Ihön an, wenn er einen Schornftein hinabklettern
wollte. Ja, wenn er Luft hätte, auf einen Feuerheerd, oder in
einen Waſchkeſſel mit Lauge, oder in die Antihambre von zwei
bis drei Ofen zu fallen, die man wohl gar von innen nicht ein⸗
mal aufmachen kann. Unb gefegt, man wollte die Liebhaber
fo in die Küche fpringen lafien, fo ift die Krage, wie bringt
man ihn aufs Dach? . Die Kater in Deutfchland können diefen
Weg wohl zu ihren Geliebten nehmen, aber die Menfchen nicht.
Hingegen in England formiren die Dächer eine Art von Straße,
die zuweilen beffer ift, als die auf der Erbe; und wenn man
auf einem ift, fo Eoftet es nicht mehr Mühe auf das andere zu
kommen, als über eine Dorfgoffe im Winter zu fpringen. Man
will zwar fagen, man babe biefe Einrichtung wegen Feuersge⸗
fahr getroffen; ba aber dieſe fi kaum alle 150 Jahre in einem
217
Haufe ereignet, fo flelle ich mir vor, daß man e8 vielmehr zum
Xroft bebrängter Berliebten und Spigbuben für nüsglich befun-
ben Bat, die fehr oft biefen Weg nehmen, wenn fle gleich noch
andere wählen tünnten, und gewiß allemal, wenn die Retirade
in ber Gil geſchehen muß, gerade fo wie etiwa die Heren und
der Teufel in Deutfchlanb zu thun pflegen.
Endlich ein rechtes Hinderniß von Intriguen ift der fonft
feine und fobenswürbige Einfall der Poftdirectoren in Deutſch⸗
land, durch ben eine unzählige Wenge von Tugenden bes Jahre
erhaliten werben, baß fe flatt ber englifchen Poſtkutſchen und
Mafchinen, in denen ſich eine ſchwangere Prinzeffin weder fürch⸗
ten noch fchämen bürfte zu reifen, bie fo beliebten offenen Rum:
pelwagen eingeführt haben. Denn was bie bequemen Kutfchen
in England und bie dortigen vortrefflihen Wege für Schaden
thun, ift mit Worten nicht auszubrüden.
Fürs erfle, wenn ein Mädchen mit ihrem Liebhaber aus
London bed Abends durchgeht, fo kann fie in Frankreich fein,
ehe ber Bater aufwacht, oder in Schottland, ehe er mit feinen
Berwanbten zum Schluß kommt; daher ein Schriftfteller weder
Seen, noch Zauberer, noch Talismane nöthig hat, um bie Ber:
liebten in Sicherheit zu bringen; denn wenn er fie nur bis nach
Gharingeroß oder Hydepark⸗Corner bringen kann, fo find fie fo
fiher, ale wenn fie in des Weber Meleks Kaften waren”).
) Bom Weber Melek und feinem Kaften fiehe die perfifchen
Märchen, dritter Tag.
218
Hingegen in Deutſchland, wenn auch der Bater den Berluft
feiner Toter erft ben britten Tag gewahr würde, wenn cr nur
weiß, daß fie mit ber Poft gegangen ift, fo kann er fie zu
Pferde immer noch auf ber dritten Station wieder kriegen.
Ein anderer übler Umftand find bie leider nur allzuguten
GSefellfhaften in den bequemen Poſtkutſchen in England, bie
immer voll fchöner, wohlgekleibeter Frauenzimmer fleden, und
wo, welches das Parlament nicht feiden follte,; bie Paffagiere
fo figen, baß fie einander anfehen müſſen; wodurd nicht allein
eine höchſt gefährliche Verwirrung ber Augen, fondern zuweilen
eine. höchſt ſchändliche zum Lächeln von beiden Seiten reizende
Berwirrung der Beine, und daraus enblid eine oft nicht mehr
aufsulöfende Verwirrung ber Eeelen. und Gedanken entſtanden
iſt; fo daß mancher ehrliche junge Menfch, ber von London nad)
Orford reifen wollte, flatt. beffen zum Teufel .gereift iſt. So
etwas ift nun, bem Himmel fti Dank, auf..unfern Poſtwagen
nicht möglich. Denn erfilich können artige Brauenzimmer ſich
unmöglich auf einen folchen Wagen fegen, wenn fie ſich nicht
in ber Jugend etwas im Zaunbeklettern, Elſterneſterſtechen, Aüp⸗
felabneymen und Rüſſeprügein umgeſehen haben; denn ber
Schwung: über die Seitenleiter erfordert eine befondete Gewandt⸗
beit, ımb wenige Frauenzimmer können ihn thun, ohne den
untenftehenden Wagenmeifter und die Stullfnechte zum Lachen
zu bringen. Für das zweite, fo fit man, wenn man endlich
fist, fo, das man fi nicht in das Geſicht ſieht, und in diefer
Stellung fünnen, was man auch fonft dagegen fagen mag, we⸗
219
nigftend Intrigen nicht gut. angefangen werden. Die Erzäh—⸗
ung verliert ihre gange Würze, und man kann höchſtens nur
verſtehen, was men. fagt,. aber nicht was man fagen will.
Endlich hat ˖ man auf den beutfhen Poſtwagen ganz andere
Sachen zu thun, als zu plaudern; man muß fidh feit halten,
wenn bie: Zöcher Pouımen, ober in ben ſchlimmen Fällen fi ge
börig zum Sprung fpannen; muß auf die Afte acht geben, und
ſich zus gehorigen Zeit Duden, damit ber Hut oder Kopf figen
bleibt; bie- Windfeite wierken, und immer bie Kleidung an ber
Seite verfiärken, von wo ber Angriff gefchiehtz und regnet es
gar, Fo hat befanntlid ber Menfch die Kigenfchaft mit andern
Ihieren gemein, bie nicht in oder auf dem Waſſer leben, daß
er file wird, wenn. er naß wird; da ftodt alfo bie Unter
rebung ganz. Kommt man entlih in ein Wirthshaus, fo
gebt -bie Zeit mit andern Dingen bin: der eine trodnet fid,
ber andere ſchüttelt fih, der eine kaut feine Bruſtkuchen, und
ber: andere bäht fi den Barden und was dergleichen Kindereien
mebr find.
Hierbei kommt noch ein Umftand in Betradytung, ber
auch alle freundfchaftlihe Miſchung der Gefellfehaft unmöglich
macht. Nämlich weil die Poftwagenreifen mit fo vielen Trüb⸗
falen verbunden find, fo bat man bafür geforgt, baß die
Wirthshäuſer noch um fo viel fchlechter find, als nöthig ift,
um. ben Poflmagen wieder angenehm zu madhen. Ja man
kann fih nicht vorftellen, was das für eine Wirkung thut,
Ich babe Leute, die zerſtoßen und zerfchlagen. waren und
220
nad Rube feufzten, als fie das Wirthshaus fahen, wo fie fich
erquiden follten, fi mit einem Heldenmuth entfchließen fehen
weiter zu reifen, ber wirklich etwas Ähnliches mit jenem
Muth bed Regulus hatte, der ihn nad Garthago zurüdzuge-
ben trieb, ob er glei wußte, daß man ihn bort in eine Art
von deutfchem Poſtwagen fehen, und fo ben Berg herunter rol⸗
len laffen würde.
Alfo fallen die Poftkutfchen » Intriguen mit den Poftkutfchen
felhft, den rechten Treibhäufern für Epifoben und Entdelungen,
fhlechterbings weg. Aber im Hannöverifhen, wird man fagen,
it ja nun eine Poſtkutſche. Gut, ich weiß ed, und zwar eine,
bie immer fo gut ift, als eine englifhe. Alſo foll man alle
Romane auf dem Wege zwifhen Haarburg und Münden an:
fangen laffen, den man jebt fo geſchwind zurüdlegt, daß man
kaum 3eit bat recht befannt zu werden? Alles was ja bie
Fremden thun, ift, daß fie in das Lob bed Königs ausbrecdhen,
ber dieſes fo georbniet bat, oder fchlafen. Denn fie find gemei-
niglich, ehe fie in dieſe Kutfche kommen, fo abgemattet, daß fie
nun glauben, fie wären zu Haufe ober lägen im Bette. Das
find aber in der That bie rechten Gegenftände für einen Roman,
fünf fchlafende Kaufleute fchnarchend einzuführen, vber ein Ka⸗
pitel mit dem Lobe des Königs anzufüllen. Das Erftere ift ſchlech⸗
terbings gar Fein Gegenſtand für ein Buch, und das Lehtere
für feinen Roman. Aber ich bin durch diefen unnügen Einwurf
nur von meiner Sache abgefommen. Ja wenn nicht noch zu⸗
weilen ein Klofter wäre, wo man ein verlichte® Paar untere
221
bringen Pönnte, fo wüßte ich mir keinen eigentlich beutfchen
Roman bis auf die dritte Seite zu fpielen; und wenn es ein:
mal eine Klöfter mehr gibt, fo it das Stündchen der beutfchen
Romane gefommen. — —
” 222
5.
Die Bittfchrift der Wahnfinnigen.
Die Bittfchrift der Wahnfiunigen zu Celle Eönnte eine gute
Satyre abgeben. Sie fünnten um eine Bibliothef anfuchen, und
vorher über den Werth der Bücher mit einander bisputiren. Das
Letztere könnte eine vortreffliche Perfiflage auf die NRecenfenten in
Deutfchland werden. Es müßte vorgeftellt werben, wie mancher den
Nachttopf nach ven Büchern göſſe. 3.8. Einer, der ganz nadend
da faß, und von feinem geiftlihen Ornat nichts am Leibe hatte,
als einen alten Kragen, ben er bei jeder Gelegenheit herum:
zaufte, und fih und Andere öfters damit firanguliren wollte,
griff bei dem Wort Timorus”) nah feinem Nachttopf, um
ihn über das Buch audzuleeren; er war aber zum Glüd ganz
leer, welches bei Einigen ein berzliches Lachen erregte.
Nun wird weiter gelefen: M... vom Steinfheiden:e.
Den! den! o den! fihrie ein alter melandolifher Mann mit
einem langen Bart. M... bat mich in meiner legten Schwan«
gerfchaft touchirt. —
) Dieß ift eine kleine ſatyriſche Schrift des Werfafferd, die
im Jahr 1773 unter dem erdidhteten Namen von Conrad
Photorin erfhienen ift.
223
Die Einleitung zu ber Gefchichte könnte ebenfalls fehr tref-
fend eingerichtet werden. Daß die Regierung eine ſolche Bitt:
fchtift angenommen, kann ich ihr im geringften nicht verbenten.
Eine Bittfchrift muß gewöhnlich durch vier Linien brechen, ehe
fie den von dem Bittenden gewünſchten Endzweck erreicht: fie
muß angenommen, gelefen, in Betrachtung gezogen
und befolgt werden. Diefe werben ben Regeln einer gefunden
Befefligungsfunft gemäß immer fefter, je .näber fie dem End»
zwed liegen. In diefer Kunſt haben die Deutfchen und Fran⸗
zojen ed unglaublidy weit gebracht. Es hat vornehme Herren
gegeben, bei benen fchon bie britte faft unübermwindlich war.
Alfo mit dem -einfältigen Annehmen vergibt man fich gar nichts;
in einem Schloß gibt «8 viele Winkel, aus denen ein Stüdchen
Papier fo wenig wieder ganz herauskommt, als aus ber Schmie:
deeſſe. — —
— — Einer ſchreibt Fidibus und Tapeten, oder nannte
vielmehr ſein Buch zuerſt ſo; denn im Vorbeigehen muß ich
dem guten Mann ſagen, daß er nicht der Erſte iſt, der Fidibus
geſchrieben hat. Viele vortreffliche Männer aus allen vier Fa⸗
eultäten nicht zu gedenken, fo kann ich von meiner Wenigfeit
verfihern,, daß ih Fidibus, Pfefferduten, Papier zu Unterlagen
und anderm Gebrauch in ber baushaltung geſchrieben habe, ehe
man an ihn dachte.
Der Himmel gebe euch Kopf, rufen fie hinten drein. Und
ich wünſche, er hätte euch zwei gegeben, fo fäßet ihr jet viel-
224
leicht in Spiritus bis über eure vier Ohren, anftatt baß ihr
jebt mit einem Paar, aus dem man,viere fchneiben könnte, her⸗
umfchleicht, und ben Leuten griechifche Ideen in ihre beutfchen
Köpfe feht.
Ja, der Lefegeift ift dem Deutfchen fo angeboren, daß er
ihn nicht einmal verläßt, wenn die Bernunft fort ift. Hiervon
kann ich meinen Lefern ein Beifpiel mittheilen, bas vielleicht in
der Geſchichte des menſchlichen Gefchlechts feines Gleichen noch
nicht gehabt hat. In einem gewifjen deutfchen Narrenhauſe
haben die Patienten bei ber Landesregierung um bie gnäbdigfte
Berwilligung einer öffentlichen Bibliothet im Rarrenhaufe un:
terthänigft angehalten. Bugleih haben fie ein Berzeichniß ein-
geſchickt, was fie eigentlich für Bücher verlangten, und ich kann
mit Vergnügen melden, baß eine Copie ſowohl von ber Bitt-
fhrift, al8 von dem Bücherverzeichniß in meinen Händen ift.
Die erfte ift ein wahrhaftes Meifterftüd, und ber Stil ift in
manchen Perioden bem von einigen unferer frei herumgehenden
Schhrififteller fo ähnlich, baß eines von beiden gewiß wahr ift:
entweder man bat vernünftige Leute fchändlicher Weife ins Toll⸗
haus geſperrt; oder eine ganze Menge beraudgelaffen. Die Bitts
ſchrift feße ich ber, allein ich habe meine Urſachen, warum ich
das Bücherverzeichniß noch für dießmal zurüdhalte. Es leben
nämlich noch eine Menge von ben Perfonen, und zum Theil in
hohen Ämtern in der Kirche und im Staat, auf deren Schriften
die Wahl gefallen ift, und diefe könnte es verbrießen, daß man
ihre Bücher in einem Narrenhaufe aufftellte, gleichfam als Re:
225
präfentanten ihrer Autoren. Ja, id wunderte mich nicht wenig,
als ih ein Büchelchen von mir darunter erblidte, um fo viel
mehr, ba das Bud, ausdrücklich gegen bie Narren gerichtet ift.
Allein ich erfuhr bald bie Urfahe. Ich hatte jenes Werkchen
ironice adgefaßt, und bie armen Teufel glaubten, wie der Frank⸗
furter Recenfent, es wäre Ernſt.
Bittfhrift ber Narren.
MY Lords,
Wir Enbesunterfehriebene haben mit Beiftand und auf An⸗
rathen der unter uns befindlichen Barden und Druiden unferer
Abficht zu entfprechen geglaubt, wenn wir eine unfern Köpfen
entfprechenbe oder entfagende Bibliothed hätten. Wir haben
Originale und hohe Genies unter uns. Hier in ber Gwigfeit,
bort in ber Ewigkeit, dort, bort, dort iſts noch wie ein meißer
Punkt, immer Eleiner, immer grauer, immer fpiger — — bo,
bo — nun ifts fort. O wenn wir Worte hätten! ein Buch ein
Wort, ein Wort ein Buch, aber hoher Genius, und euer Deutfch,
eure Grammatif! gudt, gudt, Golofjus babet fih in einem
Fingerhut! Großer Fochender Gedankenſchwall hebt fi und hebt
ſich und hebt fich in mir, erft wie das Raufchen bes Eichenwaldes
in dem Ohr des furchtfamen Wanbererd um Mitternadt, dann
kochts deutlicher, deutlicher, wie das flürmende Weltmeer in ber
Gerne, und dann horch! faft wie ein niefendes Regiment. Nun
iſts gut Shakefpeare, fo, fol nun ifts gut! Aber, hochzueh⸗
rende Herren, wir alle waren Kinder, und Ihr Fünnt es wieder
II. 15
226
werden, wenn bart weich, und weich hart bei Eu) wird. Sam:
melt Shr nicht und leſet Jhr nicht? Gut. Wir in dieſem
Haufe find nicht immer Kinder. Iwanzigmal de Tags, weh !
weh! wie fchredlich! die hellen Augenblide find die fchlimmiten ;
ihr bedauert und wegen der unrechten. Der Himmel ftraft bie
Bernünftigen mit Narıheit, und die Narren mit den kurzen
Viſiten einer treulos gewordenen Vernunft. Was! Was! Was!
Gabs'n, wolt's n’t freffn. Siehſt's Genie? wie's 'n Wolk'n
webt? Ob d's Genie ſiehſt? Wenn d's nit ſiehſt, hoſt d'n
Noſen nit 's Genie z' riechen ).
Deutſchland hat man unſtreitig eine ber erſten Entdeckun⸗
gen dieſes Jahrhunderts zu danken, bie, wie alle deutſchen Ent:
dedungen, bei ber Nachwelt in feliger Erinnerung bleiben wird,
fie mag nun zu lauter Kopf, oder zu lauter Herz werden. Näm—
) Aus diefen im böotifhen Dialekt gefchriebenen Zeilen
ſollte ich faft vermuthen, daß das Concept von einem gewiffen
Mann gemacht worden fei, ber, wie mir gefagt worden, noch
fürzli bei einem Eritifchen Gericht auf ber ungelehrten Bank
geſeſſen, jett aber in dieſem Haufe auf der gelehrten fit. Ich
gedenfe ihm künftig die Unfterblichkeit zu verſchaffen, ſobald ich
mit meiner eigenen erft ins reine bin. Iſt es diefer Mann, fo
muß ber Leſer merken, daß, weil er nie etwas Kfuges gefagt
bat, er vermuthlich die vernünftig fcheinenden Zeilen, bie vor
dem Böotifchen hergeben, in einem Anfall von Raferei, binge
gen die böotifhen und andern bei einer Wiederfehr feiner Ver:
nunft gefchrieben haben muß.
227
li wir haben zuerft gelehrt, wie man die Berrüdten und Ras
ſenden gebrauchen könne, bie man bisher als das Kehricht ber
Geſellſchaft weggeworfen hat. Sie werden bekanntermaßen ſchon
an vielen Orten in Deutſchland gebraucht, den gemeinen Men⸗
ſchenverſtand in das mit Recht beliebte Halbgahre und Unbe⸗
greifliche zu überfegen. Denn dba man in Deutfchland endlich
babin gekommen ift, daß man glaubt, ein’ Mann habe gar kei⸗
nen Kopf, wenn er nicht zuweilen darauf geht, das ift, feinen
originellen, und doch mancher Mann, der Weib und Kinder zu
ernähren bat, und unter ber ftrengen Difciplin bes planen Men⸗
fchenverftandes ftebt, fich nicht hinfegen und noch ein Originals
kopf werben kann, fo kann ich nunmehr melden, daß fich einige
unglüdfelige Bewohner dieſes Haufes erboten haben, biefe Mühe
für fie zu übernehmen. Man beliebe nur fein Werkchen in ganz
gemeiner Profe abzufaflen, 3. B. 2 mal 4 ift 8 und 3 davon
abgezogen, bleiben 5; ober: es läßt fih zumeilen aus der Nafe,
ben Lippen, der Stirn und ben Augen auf bie Seele des Man⸗
nes Schließen, in deſſen Befitz fie find, zumal wenn ber Mann
in dem Volke lebt, wo man feine Bemerkungen über ihn früh
angefangen bat zu fammeln; oder: es ift angenehm, wohl zu
thun, ja ein Vergnügen, davon zu lefen, das zuweilen Freuden⸗
thränen bei guten Leuten erwedt. Alles biefes werben unfere
Köpfe ins Unbegreifliche überfegen. Buteilen werden fie einer
bekannten alten guten Bemerfung etwas von bem Menſchenver⸗
ſtand benehmen, der darin liegt, und die Lücke mit dem ihrigen
ausfüllen, ſo daß man glauben ſollte, es wäre dreimal mehr
15*
228
dahinter. Diefes ift eine vortrefflihe Erfindung, und wir haben
die Ehre zu melden, daß einige angefehene Männer, die wir bie
erften Philofophen von Deutfchland nicht nennen wollen, ihre Bü-
chelchen in unferm Haufe haben beftreichen laffen (denn fo wird
ed genannt), und viel Auffehen damit in ber Welt gemacht haben.
Serner dba es vernünftigen Leuten ſchwer wird, fi) einen
neuen Stil zu fhaffen, worin hingegen bie Narren eine ganz
eigene Gabe haben, fo hat man an bie 150 Arten, die größ-
tentheils noch nie gebraucht find, verfertigen laſſen, und Proben
davon vorräthig, bie die größte Satisfaction geben werden.
Einige darumter find zum Entzüden artig, und andere zum
Grepiren drollicht. Man bat ihnen der Berftändlichkeit wegen
Namen gegeben, bie zwar zum Theil von Salatfamen berge:
nommen, aber allemal fo gewählt worden find, baß fie die Na-
tur bed. Stils beffer ausbrüden, als e8 in einer breimal fo
langen Definition möglich gewefen wäre. Wir haben fie in
Claſſen von fieben abgetheilt, darunter die pretiöfefte folgende
it — im Geſchlecht ber launichten (genere lunaticorum) übers
trifft fie fchlechterbings nichts.
1. Groß Shakefpearifh Nonpareille.
. Englifch geſchachter Hanswurft.
3. Sachſenhäuſer Steinkopf, bunt.
4. Ditto, ſchlicht.
5. Bunter Prabler, mit und ohne Vorik.
6. Großer Mogul.
7. Gefprengter Prinzenkopf.
229
Ich bin einmal auf ben Einfall gefommen, ob nicht Saturn,
der mehr wie ein zerbrochenes Orrery ausfieht, als wie ein Planet,
wohl gar das Modell von unferm Syſtem gewefen fein koͤnnte,
welches nun, da e8 nichts mehr nükt, bei Seite getworfen worben
if. Diefe Muthmaßung wurde bei mir zur Gewißbeit, als ich.
bebadhte, daß Saturn fünf Trabanten hat, und gerabe fo viel
Hauptiplaneten find, wenn man ben Saturn nicht mit rechnet. Der
Ring ift weiter nichts, als eine dem Horizont an unfern aflro«
nomifhen Rechenmaſchinen ähnliche Vorrichtung, vermuthlich
um Problemata aufzulöfen. Ja Short bat ſogar die Sirkel ge
ſehen, die darauf verzeichnet find. Diefe meine Entdedung einer
fo alten Urkunde für die Aftronomen, wodurch man nunmehr
die Tychonianer durch den Augenfchein widerlegen kann, und
bie von dem größten Nutzen für die Aftronomie fein wird, fobalb
bie Berngläfer einmal zu der Güte gediehen find, daß man die
Charaktere auf dem Ring wird leſen önnen, machte mir eine
ungemeine Freude. Ich wurde auch von Freunden aufgemuns
tert, den Gedanken bekannt zu machen; weil ich mich aber im
Erfindungss und Genieftil niemals viel geübt babe, fo fehlugen
fie mir vor, den Auffag ganz fimpel zu machen, und nichts hin⸗
ein zu bringen, als was nöthig ift, und fo gearbeitet ihn nach
einem befannten Tollhaufe zu ſchicken, und ihn dort für ein Ges
ringes beftreihen zu laffen. Diefes babe ich gethan, und ich
muß befennen, ic) babe mein Wer? nicht mehr gekannt, ale
ed zurüdfam, fo wenig als bie Leute ihre Schweine, wenn fie
aus ber Maft kommen. Wo vorher das Gerippe beleidigend
230
hervorſah, da war nun eine fanfte Wölbung von Sped, und
was fich vorher wie ein Würfel anfühlte, fühlte nun die Hand
angenehm, wie eine Kugel; durchaus berrfchte ein gewiffer gro-
Ber weifjagender Ton, einige Gedanken wurben kühn gefagt,
und anbere kühn verfcehwiegen; das Weggelafjene ift fo wegge⸗
laſſen, daß man glaubt e8 wäre befjer, als das SHergefehte, fo
daß, wenn man es oft lieft, man endlich glaubt, man fchwebe
auf ber Xiefe, und könnte den Plato mit Einem Wort ausfpres
hen, und im Gedankenſchwindel fi) befier, als alles was ift,
in Ewigkeit ohne Efel nad) Gottes Zweck auf einmal genießen.
Ich feke eine Probe daraus ber:
Dort hängt es, binausgerüdt über bie Kernfchußweite bes
Lichts, wie groß! wie weggeworfen das Model — Rumpelkam⸗
mer dem Schöpfer, unerfchöpflichee Mufeum für dich, Menſch!
das Model einer Welt, felbft Welt! felbft vielleicht als Model
bewohnt — nicht Pappbedel, nicht Meffing, fondern Model
Gottes! Satum — welche Hieroglyphe! Coelus, Coelius —
den Griehen Uranus, Uranie, Urarie, Orrery — Alles Elar,
nicht Wink, fondern Fingerzeig, Worthall in die Ceele, dem
Menfhen Licht vom Schöpfer aufgeftedt, und vom Menfchen
in Kathedernacht eingehült! Philoſophiren fünnen fie alle, fehen
feiner.
Primus ab aethereo venit Saturnus Olympo.
Primus Planeta, nidt ultimus, erftes Model, Probe — zeigt
Jupiter und mit wen? vermählt — mit ber Logika oder Arith:
metita? Nein! mit der Ops, baber Optif, Aftronomie, Er:
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kenntniß des Allmächtigen. Bermählt Ops mit bem Satum,
und der Himmel fleht euch offen. An ein Sandkorn Gefchmie:
deter, wenn du etwas haft, fag, was haft du? ieh hin alfo,
fiehb und flarre mit entftaartem Auge. Saturn! unter ihm bie
goldenen Beitn — morgenländifche Philoſophie — Bücher in
Einem ®ort. Der Tod ift das Leben, ehe bie Zeit war, war
die güldene Beitz; fein Jammerthal, feine Kopfiteuer, kein Zahn»
weh! Guldene Beit, Leine Zeit, wie harmoniſch und boch wie
wahr! wie finnig und doch wie ſtark! Jungfräuliche, unges
fhänbete Bernunft vermähblt mit gefundem Ausdrud, noch nicht
durch den Pöbel und Peine Akademie abgenukt: Letzter "Planet,
Model, Mikrofoften, letztes Gefchöpf, Menſch, Ebenbild Gottes,
Mitrotosmus — wo ift Analogie, wenn bier keine ift? —
232
6,
Das Gaſtmahl der Iournaliften.
Gleich nad Zubilate voriged Jahr wurde mir von einem
Freunde gemeldet, daß zu Flarchheim, einem kleinen Dorfe auf
ber Seite von Langenfalza, eine merkwürdige Zuſammenkunft |
fein würbe, bie wohl verdiente, von jemanden, ber fo viel Neu:
gierbe hätte, und, wie er fi) ausdrüdte, ben Seelen fo gern
in die Gefihter gudte, ald ih, gefehen zu werden. Es wären
einige ber wichtigften Gelehrten, Zeitungsfchreiber und Journa⸗
liften von Deutfchland, wie er felbfi von einem unter ihnen
wiffe, entfchloffen, an diefem Ort zufammen zu fommen, fi
perfünlich Fennen zu lernen, und ein paar Tage zu fchmaufen.
Er glaubte, daß vielleicht wichtige Sachen vorgenommen werden
würden, wenigftens hätte ihm dieß berfelbe Mann zu verftehen
gegeben; vermuthlich eine kleine Veränderung mit der Litteratur.
möchte wohl ber Gegenftand fein.
Ich war über diefe Nachricht faft außer mir. Denn was
muß das nicht für ein Anbli fein, dachte ich, bdiefen Zirkel
von xalorg xuyasors beifammen zu fehen, die ehrwürdigen Glie⸗
ber des Gerichts, das Leinen zeitlichen Richter erkennt, bdiefe
Bewahrer jenes großen Siegeld, womit die Patente des Ruhms
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geftempelt werben, unb bie endlich allein das Jus praesentandi
bei der Rachwelt aus ben Händen der Welt empfangen haben.
Man bat längfi bemerkt, daß, je undeutlicher die Begriffe find,
die man von ber Größe eines Mannes bat, fie defto mehr auf
das Blut wirken, und bie Bewunderung befto enthufiaftifcher
wird. Himmel, fagte ih, made mid fo glüdlich, diefes An⸗
blicks zu genießen, die Leute zu ſehen, gegen bie alle Weifen
der Erde das find, was fie gegen dich find! Und in dem Aus
genblid Fam es mir vor, als wenn ich die Gefellfchaft fähe,
jeden mit einem Heiligenfchein um ben Kopf. Ob ich gleich
nicht deutlich weiß, daß ich einen Journaliften mit einem Apo⸗
fiel verglichen Hätte, fo fchien e8 boch faft, als wenn ich es ein»
mal dunkel getban haben müßte, denn fie fchienen mir in dem
augenblidlihen Gefihte da zu fiten, wie bie Eilfe auf einem
Kupferftich, den ich in meiner Kindheit öfters angefehen hatte. — —
234
7.
Über die Macht der Liebe.
Mittwoch. Morgens 8 Uhr
den 19. Febr. 1777.
So wie ich vorgeſtern angefangen hatte, kann und mag ich
nicht fortfahren. Ich lege alſo ein kleineres Fundament für ein
kleineres Gebäude, für Sie zum — umblaſen. Jedoch aus
einer geheimen Ahnung zu urtheilen, wird auch dieſer Brief
nicht ſo ganz klein ausfallen; ſeltſam ausfallen wird er gewiß.
Ich wage viel damit, wenn ich je viel bei Ihnen gegolten habe,
denn ich wage Alles zu verlieren. Sie ſollen nicht allein meine
Gedanken über Verlieben und Macht bes Frauenzim—
mers hier in einem Auszuge ſehen, ſondern ich will Ihnen
auch einen kurzen Entwurf meiner Methode zu philoſophiren
geben, um mir bei Ihnen nicht ſowohl die Überzeugung wegen
bes erfteren zu erleichtern, als die Vergebung. Ich werde Alles
in den gerabeften Ausdrüden fagen, bie mir vorfommen, und
muß deßwegen um zwei Dinge bitten: einmal, baß Sie denken,
ich fchriebe weder an Mann noch Weib, fonbern bloß an eine
vernünftige Seele, und baß, weil biefe Vorftelung manchem
nicht fo geläufig fein möchte, als Ihnen, Sie mir diefen Brief,
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fobald Sie ihn gelefen haben, wieder verfiegelt zurück ſchicken.
Ich fehe jeht erfi, eine biefer Bitten gebt an Ihren Berftand,
bie andere an Ihr. Herz, ih muß alfo noch eine dritte binzufü«
gen, daß die Gewährung biefer Bitten nit von ber Beſchäfti⸗
gung abhängen möge, die Herz und Berftand in diefem Wirr:
warr finden, benn es Bönnte fein, baß fie ganz leer audgiengen.
Trotz meiner großen Armut an Kennmiſſen (morunter ich
nicht Alles verfiehe, mas ich weiß, fondern nur was ich auch
zweckmäßig zufammengebacht habe), finde ich mich oft nicht we:
nig durch den Gedanken berubigt, baß ich das durch taufenbfa«
ches Interefie gefpaltene und taufendfach ſich ſelbſt betrügende
menfchlihe Herz zu bem Grab babe kennen lernen, daß ich an
einer Sache zweifeln fann, und wenn fie in taufend Büchern
bejaht ſtünde, taufend Jahre durch geglaubt worden, und als
untrüglih von ſchönen und häßlichen Lippen verfündigt worben
wäre. Ich habe mir zur unverbrüdlidhen Regel gemacht, aus
Refpect ſchlechterdings nichts zu glauben, bemohngeachtet aber, vor
wie nah, fortzufahren, aus Reſpect am gehörigen Ort oft zu
thun und zu fagen, was ich nicht glaube und nit glauben
fann. Der Men ift ein ſolches Wunder von Seltfamkeit, daß
ih überzeügt bin, es gibt Leute, bie oft meinen, fie glaubten
etwas und glaubens body nicht, bie ſich felbjt belügen, ohne es
zu wiſſen, und Dinge einem Andern nacdhzumeinen und nadzu>
fühlen glauben, bie fie ihm bloß nachſprechen. Daß das wahr
ift, davon, fage ich, bin ich ficher überzeugt, denn ich habe
mid ehemals felbft darüber ertappt. Diefes bat mich fehr
-
236
mißtrauifch gegen mich felbft und noch mehr gegen die Verfiche:
sungen Anderer gemacht, deren Interefie, Gattung von Eigen:
liebe und Berftandesfräfte ich nicht ?enne, und von benen ich
alfo nicht weiß, ob fie ein Botum haben, ober ob fie bloß He
rolde find. Wir find nur gar zu geneigt zu glauben, das fei
wahr, was wir oft bejahen bören und was Viele glauben, und
bedenfen nit, daß ber Schein, ber zehn betrügt, Millionen
betrügen kann. Neun Sehntheile des menfchlichen Gefchlechts
glauben, die Erbe ftünde ftill, und es ift doch nicht wahr. Wir
bedenken nit, daß, wenn Einer halb aus Intereffe etwas bes
jabt, e8 Taufende ganz aus Intereffe nadhfagen, und zehntaufend,
weil fie doch was fagen müffen, und gar feine Meinung haben,
ober bloß Anderer ihre. Das ift ber größte Theil der Menfchen.
Es ift daher Sammer Schabe, baß wir fo oft die Stimmen
nur zählen können. Wo man fie wägen fann, ſoll man es nie
verfäumen. Ich kann daher nicht leugnen, daß mir die Leute
vorzüglid angenehm find, die ohne Affertation zuweilen die eviden⸗
teften Säge bezweifeln, oder Leute zu entfchuldigen fuchen, bie fie
bezweifelt haben, fo wie neulich 8... von D..., ber behauptet
hatte, 3 mit O0 multiplicirt wäre 3, oder mit andern Worten
breimal nichts wäre drei. Ohne im geringften folchen abfurden
Sweifeln, wie biefe, eben angeführt, das Wort zu reden, glaube
ih auch, daß es feine größere Verſtandsſtärkung gibt, als Miße
trauen gegen alle Meinungen ber Menge. Man kann fi immer
fiher zurufen: das ift nicht wahr, und wenn man auch
gleih am Ende findet, daß man fih geirrt hat; fo wird man
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diefen Irrtum nie ohne Gewinn von Geiten des Syſtems von
Kenntniffen entdeden, bie man bat, und beffen Fefligkeit boch
eigentlich ausmacht, was wir Seelenftärke nennen. Sagen ober
gar predigen muß man biefe Zweifel eben nicht immer. In
Religionsfachen ift es das fichere Zeichen eines ſchwachen Kopfe.
Denn was ift wahr an biefen Dingen, das nicht fein Wahreres
haben kann? Und wo es auf zeitlihe Ruhe und Glüdfeligkeit
ankommt, muß man, meiner Meinung nad), allgemein anges
nommene Säge fo wenig ohne große Urfache änbern, als einen
geprüften guten Minifter mit einem andern vertaufchen, von
beffen Geſchicklichkeit man fih mehr bloß verfpridht. In ber
Frage, worüber ich jest fehreibe, könnte die muthwilligfte öffent:
lie Unterfuhung feinen Schaben fliften, ja nugen würde fie,
weil bierin das Eleinfte Theilchen, dem Baum anzulegen ober
bem Sporn abzunehmen, ein gutes Werk thun beißt, es müßte
dann fein, daß man fo fehriebe, baß man gerade das Gegen-
tbeil würfte, fo wie jemand von &... 8 Abhandlung vom Selbſt⸗
mord gefagt hat: Er müßte nicht, feitdem er das Büchelchen
gelefen hätte, käme ihn zumeilen ber Kitel an, fich felbft zu er:
morden. — Sehen Sie nun, warum ich meinen Brief zurüd
verlange? Doch zur Sache.
Die Frage: If die Macht ber Liebe unwiderſtehlich,
oder kann der Reiz einer Perfon fo ftar auf uns wirken, baß
wir dadburh unvermeidlich in einen elenden Zuſtand geras
then müffen, aus welchem uns nichts als ber ausfchließende Beſitz
diefer Perfon zu ziehen im Stande ift? habe ich in meinem Leben
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unzählige Mal bejahen hören von Alt und Jung, und oft mit
aufgefchlagenen Augen und über das Herz gefaltenen Händen, den
Zeichen ber innerften Überzeugung und ber fich auf Discretion erges
benden Natur. Ich könnte fie auch bejahen, nichts ift mwohlfeiler
und leichter, ich werde fie auch fünftig aus Gefälligkeit wieder
bejaben, oder auch, wenn Pünftige Erfahrungen das Gabinet berei-
chern, aus bem ich jett herausphilofophire, im Ernft, woran ich aber
deßwegen fehr zweifle, weil ein paar Beifpiele, die gehörig ins Licht
gefeht für mich fireiten, binlänglich find, den ganzen Sa auf ewig
zu leugnen. Ich babe, fage ich, den Sas unzählige Mal bejahen
bören und bejaht gelefen in Profe und in Berfen. Aber wie
viel Menfchen waren barunter, die bie Frage ernſtlich unterfucht
hatten? Bewußt wenigftens ift e8 mir von feinem, daß er fie
unterfucht hätte, und vielleicht hatte fie auch wirklich Feiner un:
terfucht; denn wer wird eine Sade unterfuchen, von beren
Wahrheit der Guckuk und die Nachtigall, die Zurteltaube und
ber Bogel Greif einftimmig zeugen, wenigitens, wenn man ben
füßen und bittern Barden aller Zeiten glauben barf, über beren
Philofophie aber zum Glück der Philoſoph fo jehr lacht, als das
vernünftige Mäbchen über ihre Liebe. Ich glaube, ich habe
die Frage binlänglich unterfucht, lange vor Hrn. Prof. Meiners,
deffen Ülbereinflimmung mit meiner Meinung in der Haupt:
fache nicht wenig dazu beigetragen hat, daß ih den Mann
jest Liebe, deſſen Kopf ich längft verehrt habe. Nach biefer Un—
terfuchung behaupte ich mit völliger Überzeugung: die unwider—
Beblihe Gewalt der Liebe, uns durch einen Gegenftand entwe:
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der höchſt glücklich oder höchſt unglücklich zu machen, ijt poeti⸗
ſche Faſelei junger Leute, bei denen der Kopf noch im Wachſen
begriffen iſt, die im Rath der Menſchen über Wahrheit noch
keine Stimme haben, und meiſtens fo beſchaffen find, daß fie
feine befommen können. Sch erkläre bier noch einmal, ob es
fi) gleich wohl von felbft verfteht, daß ich den Zeugungstrieb
nicht meine; der, glaube ich, kann unwiderftehlich werden, allein
fiherlich hat ihn die Natur uns nicht eingeprägt, uns höchſt uns
glüdli oder böchft glüdlich zu machen. Bus Erite zu glauben
macht Gott zu einem Tyrannen, und das Letztere ben Dienfchen
zum Vieh. Und doch rührt die ganze Verwirrung in bdiefem
Streit aus nicht genugfamer Unterfheidung eben biefes Tries
bes, der fih unter fehr verfchiedener Geftalt zeigt, und ber
fhwärmenden Liebe ber. Man vertheidigt Liebe und verwirft
Liebe, und eine Partei verfteht dieſes und tie andere etwas
Anderes. So weit diefen Morgen.
Donnerstag. 9 Uhr.
Die guten Mädchen haben die Ausprüde Himmel auf
der Welt, Seligkeit, womit mande Dichter die glücklichſte
Liebe belegten, al8 ewige unwandelbare Wahrheit angefeben,
und mädchenmäßige Jünglinge haben es ihnen nachgeglaubt, da
e8 doch nur weichliches Geſchwätz junger Schwärmer ift, bie
weder mußten, was Himmel, noch was Welt war. Die Bes
nennungen find nur in fo fern wahr, in fo fern e8 wahr ift, daß
Mädchen Göttinnen find, Die Griehen, nicht allein das weis
fefte und tapferfte, :fondern auch das wollüftigfte Volk auf der
Welt, bielten wahrlich die Mädchen nicht für Göttinnen, ober
ben Umgang mit ihnen für Paradies oder ihre Liebe für unwi⸗
derſtehlich. Sie erzeigten ihnen nicht einmal die Achtung, bie
man wenigftes von einem freien Volk, ich will nicht fagen von
einem gefühlvollen, gegen ein ſchwaches Gefchleht hätte er-
warten follen. Sie braudten fie, bie organifirten Fleiſchmaſſen
zu zeugen, aus benen fie felbft nachher Helden, Weife und
Dichter formten, und ließen fie übrigens gehen. Sie wohnten
im Innerften des Haufes, kamen nicht in Männergefellfchaften,
wodurch ihnen benn freilih aller Weg abgefchnitten ward, fi
für fo kluge Köpfe gehörig auszubilden, baher fie immer fchledy-
ter und verächtlicher werden mußten. Daß ihnen wahrhaftig
große Männer courten, biefe Achtung mußten fie fih erſt durch
befondere auszeichnende Geiftesgaben erwerben, und biefe Be-
ſuche waren nit von der verliebten Art. Das Vermögen, das
ihnen bie Natur gegeben bat, ein bdringendes Verlangen auf
eine angenehme und nützliche Art zu befriedigen, rechneten fie
ihnen für kein Verdienſt an, und, wie mich bünft, mit großem
Recht; denn es ift ein Handel, wobei beide Parteien gewin-
nen. Die Ausdrüde Herz verfhenfen, Gunft verſchen—
fen, find wieder poetifhe Blümchen. Kein Mädchen fchenkt
ihr Herz weg, fie verkauft e8 entweder für Gelb oder Ehre, oder
vertaufcht ed gegen ein anderes, wobei fie Vortheil hat, oder
doch zu haben glaubt. Aber was führe ich Ihnen die Griechen
an? Gibt e8 nicht heutzutag ein fehr vernünftiges Volk, das
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von ber beides lächerlichen und dabei müffiggängerifchen Schwärl"
merei ber Liebe frei ift, ein Volk, bem wir allein den Fort⸗
gang in nüglichen Wiffenfhaften, Beſſerung bes Menfchen und
alle großen Thaten zu danken haben. Wiffen Sie, was ich für
ein Bolt meine? Gewiß Sie Pennen es. Es ift die Gemeinde
ber activen, vernünftigen, ſtarken Seelen, bie man über die
ganze Erbe ausgebreitet findet, obgleich manches Städtchen leer
ausgehen möchte; ber gefunde, nügliche glüdliche Landmann,
den unfere albernen Dichter (wie überhaupt die Natur) befingen
und bewundern, ohne ihn zu kennen, fi fein Glück wünſchten,
ohne doch ben Weg dazu wählen zu wollen. Mir läuft die
Galle über, wenn ich unfere Barden das Glück bed Landmanns
beneiden höre. Du willſt, möchte ich immer fagen, glücklich
fein wie er, und dabei ein Ged fein wie Du, das geht freilich
nicht. Arbeite wie er, und wo beine Glieder zu zart find zum
Pflug, fo arbeite in ben Tiefen der Wiffenfchaft, fies Eulern
oder Hallen ſtatt & ..., und ben ſtärkenden Plutarch ftatt bes
entnervenben Siegwarts, und enblich Ierne bein braune Mäd⸗
chen genießen, wie bein braunes Brot — von Hunger verflärt
und gewürzt, tie bein Landmann thut, fo wirft bu glüdlich
fein wie er. Nicht Adel der Seele, nicht Empfindfamteit, ſon⸗
bern Müffigang, oder doch Arbeit bei ber ber Geift müffig bleibt,
und Unbefanntfhaft mit ben großen Reizen der Wiflenfchaft,
worin fhlechterbings nichts von Lieb’ und Wein vortommt,
ift die Quelle jener gefährlichen Leidenfchaft, bie (ich getraue es
allgemein zu behaupten) ſich noch niemals einer wahrhaft männ⸗
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