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Full text of "Vermischte Schriften"

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Georg Chriſtoph Sichtenberg’s 


Bermifchte Schriften. 


39107 





- Mene vermehrte, 


von deffen Söhnen veranftaltete 
Original - Ausgabe. 





Mit dem Portrait, Facſimile und einer Anficht des 
Geburtshaufes des Verfaſſers. 


Erſter Band. 


— mo öTöF 
Göttingen, 
Berlag ber Dieterihfhen Buchhandlung. 
1844. 


Borrede 


Die und yon vielen Berehrern unferes Vaters zuge⸗ 
gangenen Aufforderungen haben ung um fo mehr zu der 
gegenwärtigen neuen Ausgabe feiner nachgelaffenen ver- 
mifchten Schriften veranlaßt, als wir dadurch Gelegen⸗ 
heit erhielten, aus feinen, in unferm Befige befind⸗ 
lihen Papieren dasjenige noch mitzutheilen, was, ohne 
bisher gedrudt zu fein, in die bald nad feinem Tode 
erfchienene erfte Ausgabe nicht mit aufgenommen war, 
jo wie eine große Zahl feiner von uns geſammelten, 
ebenfalls ungedrudten, Briefe zu veröffentlichen. Zugleich 
glaubten wir diefe Sammlung, fo viel thunlih, durch 
feine bereits anderwärts gedrudten Briefe vervollftän- 
digen zu müffen, . | 

Wir gingen bei dem Unternehmen von ber Anficht 
aus, daß es angemeffen fein werde, die rein wife 
fenfhaftliden Schriften hier nicht wieder mit 
aufzunehmen, ba fie für ein größeres Publiftum überall 

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IV 8 
y 
nicht, und, bei dem jegigen Stande ber Wifjenfchaften, 
auch für die Männer von Fach im Ganzen nicht mehr 
von bedeutendem Intereſſe fein dürften. 

Auh die Erflärungen der Hogarthifcdhen 
Kupferftiche fohloffen wir aus, um den Umfang ber 
gegenwärtigen Ausgabe durch Aufnahme diefes für fich 
beftehenden Werkes nicht zu fehr auszudehnen. 

Bei der Anordnung des Ganzen fuchten wir ung 
ber früher befolgten möglichft anzuſchließen und wichen 
von ihr nur in fofern ab, als wir die in ben beiden 
erftien Bänden enthaltenen Nachrichten und Bemer—⸗ 
fungen bes VBerfaffers über fich ſelbſt, wie 
die Demerfungen vermifchten Inhalts, unter 
den in ber erftien Ausgabe gewählten Rubrifen — wenn 
diefelben auch vielleicht hätten anders beftimmt werben 
fönnen — zufammenftellten, ihnen einige hieher ges 
börige Bemerfungen aus dem neunten Bande eins 
Ihalteten, und die im erften Bande befindlichen Frag⸗ 
mente in den zweiten Theil diefer neuen Ausgabe 
überfrugen. 

Die Ausbeute, welche hier die nachgelaffenen Pa 
piere an bisher Ungedrudten gewährten, ließen w 
unter jenen Rubriken, fo willfürlih deren Auswc 
zum Theil auh war, ald Nachtrag folgen. 

Rückſichtlich dieſes Planes verhehlten wir ung ' 


. v 


neswegs, daß es vielleicht wünfchenswerth geweſen wäre, 
wenigſtens das in den beiden erſten Bänden Enthaltene 
nach der Zeit ſeines Entſtehens zu ordnen, mußten in⸗ 
deſſen darauf verzichten, weil theils die Papiere unſeres 
Vaters nicht durchaus vollſtändig auf uns gekommen, 
theils die erhaltenen in dieſer Beziehung nicht immer 
hinlänglich beſtimmte Nachricht geben. Dieſer Mangel 
einer chronologiſchen Ordnung möchte indeſſen einiger⸗ 
maßen von geringerer Bedeutung ſein, als es auf den 
erſten Blick ſcheinen könnte, da der Inhalt der Bemer⸗ 
kungen ſelbſt die Zeit ihres Entſtehens zum großen 
Theile genügend andeutet. 

Die Vorberichte der beiden erſten Bände 
der erſten Ausgabe haben wir vollſtändig mit auf: 
genommen, ba fie über den Titerarifchen Nachlaß unfe- 
res Vaters überhaupt und über die Art und Weife, wie 
jene Bemerkungen entflanden, bie geeignete Auskunft 
enthalten, Wir Taffen fie der gegenwärtigen Vorrede 
unmittelbar folgen, — 

Indem wir ung glücklich fchägen würden, wenn wir 
hoffen dürften, durch dieſe neue Ausgabe auch unferer 
Seite dazu beigetragen zu haben, das Andenken unferes 
Vaters, das durch die am ten Juli 1842 und 1843 
in feinem Geburtsorte Dberramftadt fo finnig gefeier- 
ten Erinnerungsfefte von Neuem erwedt worden, auf 


vi 
eine ſeinen zahlreichen Verehrern entſprechende Weiſe 
mehr und mehr zu beleben, ergreifen wir gern dieſe 
Gelegenheit, allen Denjenigen, welche uns dabei, durch 
Mittheilung ſeiner Briefe und ſonſt, freundlich unter⸗ 
ſtützten, unſern verbindlichſten Dank hiemit auch öffent⸗ 
lich zu bezeugen. 


” Hannover und Oldenburg im October 1843. 


Geo. Chph. Lichtenberg, 


Königl. Hannov. Generaldirector ber directen Steuern. 


Chr W. Lichtenberg, 


Königl. Hannov. Steuerdirector und Commiſſair bei der 
Central⸗Steuer⸗-Behörde in Oldenburg. 


Vorbericht 


zum erſten Bande der erſten Ausgabe. 


Die Sammlung, die wir hier dem Publikum über⸗ 
geben, muß ihr größtes Intereſſe durch den Mann er⸗ 
halten, auf den ſie ſich bezieht, und aus deſſen Papie⸗ 
ren ſie entſtanden iſt. Sie enthält nur fragmentariſche 
Aufſätze und einzelne Gedanken über ganz verſchiedene 
Gegenſtände, die keinen andern Zuſammenhang haben, 
als ihren gemeinſchaftlichen Urſprung. Ein großer Theil 
derſelben würde von dem Verfaſſer gewiß nie ans Licht 
gebracht worden fein, und das Übrige wenigſtens nicht 
in diefer Geſtalt. Aber die Forderungen, die man mit 
Recht an den Verfaſſer einer Schrift machen Fann, find 
fehr verfchieden von denen, bie ein bloßer Herausgeber 
zu erfüllen hat. Hier blieb Fein anderer Ausweg übrig: 
man konnte nur biefes dem Publifum mittheilen, ober 
nichts. 


VIII 


Wer wird uns alſo tadeln, daß wir das Erſtere 
gewählt haben? So mangelhaft auch dieſe Sammlung 
iſt, ſo trägt ſie doch nicht wenig dazu bei, uns die 
Denkungsart ihres Verfaſſers zu enthüllen, und zum 
Theil ſein Innerſtes aufzudecken; und überdieß betrifft 
ihr Inhalt lauter Gegenftände, die der Aufmerkſamkeit 
eines jeden gebildeten Menfchen würdig find und fein 
Nachdenken befchäftigen können. Wenn fie alfo gleich 
nit in die Claſſe derjenigen Bücher gehört, die fich 
zum Zeitvertreib in einem Athem durchlefen laſſen, fo 
ift fie dafür defto gefchicdter, den Geift zu werden, und 
in Thätigfeit zu fegen, und ung fo die zuträglichfte und 
edelfte Art der Unterhaltung zu verfchaffen. Man muß 
fie nicht wie eine gewöhnliche Koft betrachten, die man 
bis zur Sättigung genießt, fondern wie ein geiftiges 
©etränf, das in Heinen Gaben genoffen unfere Mahl: 
zeit würzt, und unfere Mafchine belebt, aber im Über⸗ 
maaß gebraucht, ihre Kräfte ſchwächt, und den Geift 
verwirrt. 

Der Berfaffer war ein Mann von originellem Kopf, 
und von mannichfaltigen VBerdienften um die deutſche 
Literatur. Die Art von Talent, die er befaß, ift, fo 
wie überhaupt, fo befonders unter ung felten: Wis und 
Laune mit Menſchenkenntniß, philofophifcher Geift mil 
Gelehrſamkeit, Scharffinn mit Gefchmad verbunden! — 


IX 


wer wird. von einem ſolchen Manne nicht gern die noch 
übrigen Producte feines Geiſtes gefammelt und ber 
Bergefienheit entriffen fehen, nachdem wir ihn felbft auf 
immer verloren haben? Schon eine Kleinigkeit wird 
ung theuer, wenn fie und an einen verftorbenen Freund 
erinnert, um fo ſchätzbarer wird diefe Reliquie allen 
Freunden und Berehrern des Verfaſſers fein, da fie 
nicht bloß fein Andenken unter und zu erneuern, fondern 
ung mit feinem Charakter und feinem Geifte felbft mehr 
befannt zu machen geſchickt ift. 

Er hatte von jeher die Gewohnheit, Alles aufzu- 
fhreiben, was ihm Merfwürdiges vorkam. Er las fehr 
viel, aber er dachte noch weit mehr, Wenn aljo au 
bier und da fih ein Ercerpt aus einem Buche findet, 
fo waren ed doch ungleich mehr feine eigenen Gedans 
fen, die er nieberfchrieb, und felbft feine Excerpten 
waren meiftend mit eigenen Zufäßen vermiſcht. Luftige 
Einfälle, komiſche Ausdrücke, fonderbare Ereigniffe, 
charafteriftifche Züge, Beobachtungen über fi und Ans 
dere, furz, was ihm bes Bemerkens werth war, das 
fohrieb er auf, Alles unter einander, fo wie es ihm 
‚eingefallen war. Späterhin befamen diefe Papiere mehr 
bie Form von Tagebüchern: er bemerkte jedesmal das 
Datum, fehrieb auch manche minder wichtige Vorfälle, 
befonders in feiner Samilie, auf, notirte fih die Büs 


XI 


„Sch habe ſchon Tange, heißt es, an einer Gefchichte 
meined Geiftes- fowohl, als meines elenden Körpers 
geichrieben, und das mit einer Aufrichtigfeit, die viel- 
leicht Manchem eine Art von Mitihanm erweden wird; 
fie fol mit größerer Aufrichtigfeit erzählt werben, als 
vielleicht irgend einer meiner Lefer glauben wird. Es 
ift dieſes ein noch ziemlich unbetretner Weg zur Unfterbs 
lichkeit. Nach meinem Tode wird es der böfen 
Welt wegen erfi herauskommen.“ 

Eine ſolche Biographie von einem Kenner bes menfchs 
lichen Herzens, und einem fo aufmerkffamen Beobachter 
feiner felbft würde ein eigenes Vermächtniß für bie 
Melt gewefen fein, aber leider! hat er fie, wie fo viele 
andere angefangene Werke, nicht zu Stande gebracht. 

Diefe Stelle Tann ung zugleich rechtfertigen, wenn 
wir felbft folhe Bemerkungen von ihm über fih ohne 
Einfhränfung aufgenommen haben, die nicht vor⸗ 
theilhaft für ihn erfcheinen. Es war fein eigener Wille 
fih mit der größten Aufrichtigfeit zu fchilder 
alfo auch feine Fehler und Schwachheiten nicht zu v 
fchweigen. Überbieg wird man dadurch nicht br 
dag man feine Fehler verbirgt, vielmehr gewinnt 
moralifhe Werth durch die Aufrichtigfeit, mit db’ 
fie gefteben. Auch find wir unbejorgt über der 
teil, den dieſe Geftändniffe auf die gute Mein 


xl 


ibm haben fönnten, da von ber andern Seite überall 
fein redliches Beftreben nach. einer immer größern ſo⸗ 
wohl geiftigen, als moralifchen Bollfommenpeit hervor⸗ 
leuchtet. Es würde fi) wenig für ung ſchicken, feine 
Lohrebner zu machen, fonft wären wir Teicht im Stande, 
von feiner großen Uneigennügigfeit, und Gewiſſenhaf⸗ 
tigfeit, von feiner Gefälligfeit, von feiner Strenge gegen 
fih felbft und der Nachficht gegen Andere, von feiner 
Wohlthätigfeit, von feiner Treue gegen feine Freunde, 
und feiner Zärtlichfeit gegen feine Gattin und Kinder, 
yon feiner unbeftehlihen Wahrheitgliebe die fprechendften 
Beweiſe zu geben. 

Der zweite Hauptartifel, Die Sragmente®), bes 
greift faft lauter Stüde, die ſich auf eine Periode und 
ein Übel unferer Riteratur beziehen, die fonft große Auf⸗ 
merffamfeit verdienten — die Periode der Ems 
pfindfamen und der Kraftgenieg, est ift fie 
vorbei, und in fo fern verlieren diefe Stüde an Inter⸗ 
eſſe; indeffen zeigen fie wenigftend, wie eifrig der Ver⸗ 
faffer bemüht gewefen iſt, ſich jenem Übel zu wider: 
fegen, und mas für Deinen er noch bereitete, um fie 
im Fall der Noth fpringen zu laffen. Befonders fcheint 

*) Diefe Fragmente find, wie in ber Vorrede bemerft wor: 


den, in ben 2ten Band der gegenwärtigen Ausgabe aufgenom⸗ 
men worden. 


UV 


ber Barafletor ihm am Herzen gelegen zu haben; . 
denn er bat deffelben in feinen Papieren fehr oft ers 
wähnt, und vielerlei angemerkt, was er barin abhan⸗ 
bein wollte. Auch den Titel deffelben hat er auf vers 
ſchiedene Art beflimmt. Außer dem, der bier im Buche 
angegeben ift, finden fi noch folgende zwei: 

1) Parakletor oder Beweis, daß man zugleich 
ein Driginalfopf und ein ehrliher Dann fein Fönne, 

2) Parafletor d. i. Lehre und Troft für alle 
armen Seelen, die in biefen Tagen nicht in Originals 
föpfen wohnen Tönnen. 

Imgleichen hatte er bereits eine Titelvignette dazu 
erdacht: „das Geficht eines Tachenden Satyrs, das durch 
einen DOpernguder fieht. Das Objectivglas muß nad 
dem Leſer gerichtet fein, obgleich das Perfpertiv nad 
einem andern Gegenftand zu zielen ſcheint. Ein Sinns 
bild für die Ironie.“ 

Es wäre auch wohl möglich, daß Manches von dem, 
was wir bier unter einer eigenen Überfchrift aufgeftellt 
haben, eigentlich in den Parakletor gehörte; bei dem 
Mangel einer genauen Beftimmung feines Inhalts Taf 
fih dieß nicht entfcheiden. Dieß könnte z. B. mit d 
der Fall fein, was bier unter der Rubrik der B 
fhrift ver Wahnfinnigen von der Entdedun 
fagt wird, die man in Deutfchland gemacht hatte 


XV - 


einfach gefchriebene Werke in die Sprache des Genies 
zu übertragen. Denn es ift nicht zu leugnen, daß bie 
Erfindung einer folchen Beftreichungsmethode ein großer 
Troft für Diejenigen fein müßte, die nicht felbft Genie 
genug befigen, um die Sprache der Begeifterung zu 
haben; und vielleicht Tieße fich in unfern Tagen noch 
einmal Gebrauch davon in ber Philojophie machen. 

Eine andere fatyrifche Schrift, mit der der Verfaſ⸗ 
fer in den fechziger Jahren viel befchäftigt geweſen iſt, 
ohne fie gleichwohl zu vollenden, iſt das Leben Kun- 
kels, eines ehemaligen Göttingifchen Antiquarius. 
Noch ift eine volftändige Rede zum Andenfen biefeg 
Ehrenmannes, in einem Zirkel von Studenten gehalten, 
vorhanden, die eine launige Bertheibigung deſſelben 
enthält, aber eben nicht zum Druck geeignet if. Bon 
diefer Rede aber follte das Leben noch verſchieden fein; 
denn es findet fih oft in den Papieren von jener Zeit 
etwas angemerkt, das in Kunfeld Leben gebraudyt wers 
den könnte, oder bort abgehandelt werden follte, wovon 
nichts in jener Rede vorfommt. Überhaupt wird Kuns 
kels Name oft in feinen Papieren genannt, gleichwohl 
haben wir nichts von feinem Leben ausgearbeitet ges 
funden. *) 


) Was fih über Kunkel in den nachgelaffenen Papieren 
aufgefunden, wird in biefer Ausgabe mitgetheilt werden. 


VI 


Was endlich den dritten Hauptartifel, Die vermifch- 
ten Bemerfungen, anbetrifft, fo fieht man leicht, 
daß die Ordnung und Zufammenftellung, in der bie 
Sachen ſich hier befinden, nicht das Werf des Verfafs 
fer, fondern ber Herausgeber ift. Da biefer ganze 
Artifel aus lauter abgeriſſenen Gedanfen befteht, fo 
würde bie Verwirrung gar zu groß gewefen fein, wenn 
wir fie fo unter einander gemifcht gelaffen hätten, wie 
fie fih im Manufeript befinden. Um fie einigermaßen 
in einen Zufammenhang zu bringen, haben wir dieje⸗ 
nigen zufammengeordnet, bie ihrem Inhalte nach ver- 
wandt find. So überfieht man um fo eher die Mei- 
nung des Berfaffers über einen Gegenftand, Indeſſen 
muß man bier feine flrenge Eintheilung ſuchen. Die 
Überſchriften follen nur ungefähr bemerflich machen, von 
welcher Art die darunter begriffenen Sachen find; da 
aber dieſe nicht urfprünglich nach jenen abgefaßt find, 
fo fann man nicht fordern, daß ihnen Alles genau ans 
gepaßt fein fol. Bei manchem Satze fommt ed über: 
dieß auf den Geſichtspunkt an, aus dem man ihn be 
trachtet, um ihn an feiner rechten Stelle zu finden od 
nicht. Auch bei diefem Verfahren können wir und dr 
eine Äußerung des Verfaſſers ſelbſt rechtfertigen. 

„Die Kaufleute, fagt er, haben ihr FFaste F 
(Sudelbuch, glaube ich, im Deutfchen) darin tra 


XVII 


von Tag zu Tag Alles ein, was fie faufen und vers 
faufen, Alles unter einander ohne Ordnung. Aus bie 
fem wird es in das Journal eingetragen, wo Alles 
mehr fyftematifch ſteht; und endlih kommt es in ben 
Leidger at double extrance, nad der italienischen 
Art Buch zu: halten. In diefen wird mit jedem Manne 
bejonders abgerechnet. Dieß verbient von den Gelehr⸗ 
ten nachgeahmt zu werden. Erſt ein Buch, worin ich 
Alles einfchreibe, fo wie ich es fehe, oder wie es mir 
meine Gedanken eingeben. Alsdann kann diefes 
wieder in ein anderes getragen werben, wo 
die Materien mehr abgefondert und georbd« 
net find; und der Leidger fönnte dann bie Verbin⸗ 
dung und bie baraus fließende Erläuterung der Sachen 
in einem ordentlichen Ausdruck enthalten.” 

Die Papiere des Berfaffers find Maste book; 
hieraus haben wir die Sachen in das Journal einge- 
tragen, und das ift ed, was wir dem Publifum übers 
geben. Den Leidger wirb derjenige liefern, ber bie 
bier erhaltenen Sachen gehörig verarbeitet. Dann wird 
es aber nicht Lichtenbergs, fondern des Bearbeiters eis 
genes Werk fein. 

Endlich müffen wir ung im voraus entfchuldigen, 
wenn wir vielleicht manden Gedanfen hier aufgenoms 

men haben follten, der bereits in ben gedrudfen Schrifs 
AR 


xVvui 


fen des Berfaffers, ſchon mehr verarbeitet und befler 
gelagt, vorkommt. Es fehlt zwar fehr viel, daß er 
Alles, was er niedergefchrieben bat, in der Abficht aufs 
gezeichnet hätte, um es in irgend einer Schrift wieder 
anzubringen *); indefien haben wir ſchon oben bemerkt, 
daß er Bieles von dem, worüber er öffentlich ſchrieb, 
in feinen Zagebüchern vorläufig abzuhandeln pflegte, und 
wir haben eine Menge von Beifpielen gefunden, daß 
er Gedanken, Einfälle, Ausdrüde, die hier einzeln ftehen, 
anderwärts in den mannichfaltigften Verbindungen ge⸗ 
braucht, und öfters bald weiter ausgeführt, bald mehr 
zufammendgezogen hat; es Tönnte alfo wohl fein, daß, 
bei ber zahlreichen Menge gebrudter Schriften yon ihm, 
Manches unferer Aufmerkſamkeit entgangen wäre, das 
wir als etwas Neues bier wieder aufgeführt halten, 


Gotha im December 1799. 
2. Chr. eichtenberg und Fr. Kries. 


) Er erklärt ſich hierüber in einem ſeiner Briefe ausdrücklich: 

„Ich habe, ſagt er, die Gewohnheit, daß ich meine Ge— 
danken über Dinge niederſchreibe, keineswegs um ſie etwa ein— 
mal anzubringen, ſondern bloß in ber Abſicht, ihren Zuſam— 
menbang zu probiren. Denn beim Niederfchreiben bemerft man 
gar Manches, was man beim bloßen überdenken nicht gewahr 
wird, wenigſtens iſt dieſes der Fall mit mir.“ 





Borberict 


zum zimeiten Bande ber erften Ausgabe. 


Bei der Herausgabe dieſer zweiten Sammlung föns 
nen wir und groößtentheils auf das berufen, was wir 
in dem Vorbericht zur erften Sammlung gefägt haben; 
und fo bleibt und nur wenig noch hinzuzufegen übrig. 

Unferm Plane gemäß follte Diefer Band dasjenige 
in fih faffen, was der Berfaffer in ben achtziger und 
neunziger. Jahren niebergefchrieben. hat. Die ift aber 
nicht im firengften Sinn zu nehmen. Da chronologifche 
Ordnung Hier nicht die Hauptfache ift, fo haben wir 
manche frühere Bemerkung, die wir bier oder da noch 
fanden, ohne Bedenken aufgenommen und, wo es und 
gut dünkte, eingefchaltet. Ja der größte Theil der phy⸗ 
fiognomifchen und pathognomifchen Bemerkungen gehört 
in eine etwas frühere Periode. Sie find meiftend gegen 
das Ende der fiebenziger gefchrieben, zu der Zeit wu 

=) 


XX 


das phyfiognomifche Unweſen in Deutfchland fpüfte, dem 
ſich der Berfaffer befanntermaßen öffentlich in einer, erft 
im Göttingifchen Kalender, und dann befonders gebruds 
ten Abhandlung 9) widerfegt hat. 

Überhaupt kann man häufig fehen, wie die Bemer- 
fungen des Berfaffere durch die Zeitumftände veranlaßt 
wurden, und daher von vielen fchon errathen, wann 
fie ungefähr gefchrieben worden find. So haben bie 
philofophbifhenBemertungen hier meiftend eis 
nen ganz andern Charakter, als in der erfien Samm- 
fung. Ein großer Theil derfelben betrifft den Idealis⸗ 
mus und die Kantifche Philofophie, die fich erft feit 
den achtzigern in Deutfchland mehr verbreitet, und den 
Berfafier, wie man fieht, viel befchäftigt hat. ine 
ganz neue und flarfe Rubrik find die politifhen Be— 
merfungen, von denen wir nicht erſt zu fagen brau: 
hen, durch welche Begebenheiten fie vorzüglich veran: 
laßt wurden. Bielleiht wird Mander darin einen Man: 
gel eines feften Syflems und ein Schwanfen der Grund: 
fäge mit Unzufriedenheit wahrnehmen. Allein man er: 
wäge, daß Politif überhaupt fih auf Erfahrungen grün: 
det, und daß, wenn biefe ſich ändern, auch unfere Über: 
zeugungen und Meinungen fi) ändern können. Kerner 


*) Über Phyfiognomit wider die Phyſtognomen. Göttingen 
1778. 


xxI 


daß diefe Bemerfungen zum Theil die Ausbrüde von 
Empfindungen und Borftellungen find, die durch eins 
zelne Begebenheiten in dem Gemüth bes Verfaſſers her⸗ 
vorgebracht, und durch feine jedesmalige Stimmung mos 
bificirt wurden. Man muß alfo in ihnen nicht etwas 
Ganzes fuchen wollen. Das Ganze liegt in dem Kopf 
und Geift ihres Urhebers, deſſen Syſtem nach einen 
höhern Maßftabe zu beftimmen iſt. Vertheidigt er jetzt 
die Sache der Monarchie, und tritt dann wieder auf 
die Seite der Demokraten, gut, fo ift es ein Beweis, 
wie wenig er von Vorurtheilen eingenommen war, und 
wie gern er das Gute von beiden Parteien anerkannte. 
Er machte ed weder wie manche unferer angeblichen 
Weifen, die Alles vortrefflic finden, was jenfeits des 
Rheins gefchiehtz noch wie andere Politifer, die in Hige 
gerathen, wenn fie den Namen Franzofen nennen 
hören, und einen Demokraten für ein Ungeheuer halten. 
Übrigens ift e8 auch unfere Sache nicht, jede Behaup- 
tung bed Verfaſſers zu vertheidigens was wir hier dem 
Publifum übergeben, find die Meinungen eines Berftors _ 
benen, nicht die unfrigen. 

Man darf aber überhaupt nie vergeffen, wenn man 
ben Berfaffer nicht mißverftehen will, daß es nur Bruch 
ftüde find, die bier milgetheilt werben. Man kann 
fie ale Säge betrachten, die aus dem Zulanmesssuss- 


. XXI 


herausgenommen find. Die ganze Reihe von Bebanfen 
und Empfindungen, wovon fie nur bie Nefultate find, 
it in dem Gemüth des Verfaſſers zurüdgeblieben, und 
die fennen wir nicht. Daher kann es fommen, baß 
ung mander Sag auffallend Flingt, der, wenn er gehö⸗ 
rig vorbereitet und ins rechte Licht geftellt würde, dad 
Auffallende verlöre. Man drüdt fih oft in einer ge- 
wiffen Stimmung und im Eifer etwas flarf aus, wo 
man bei fälterem Blute eine Milderung und Einfchräns 
fung nöthig findet. Hätte der Verfaffer dieſe Sachen 
für das Publifum gefchrieben, fo würbe er fchon bafür 
geforgt haben, fie in ihren Zufammenhang zu bringen 
und gehörig zu verſchmelzen. So aber hat er fie nur 
zu feinem eigenen Gebrauch aufgefest, und es ‚bleibt 
ung nichts weiter übrig, als und ſelbſt eine mögliche 
Reihe von Borftellungen zu denfen, aus welcher dieſer 
oder jener Sat hervorgegangen fein möchte. Wo wir 
aber keinen befriebigenden. Zufammenhang entdecken, da 
bürfen wir deßhalb nicht gleich. zu unbilligen Urteilen 
fortfchreiten. 

Wir liefern noch einen Nachtrag zu ben Beob— 
abhtungen und Nahrihten des Berfaffers 
son unb über ſich ſelbſt, der aus einer wieder⸗ 
holten, genauern Durchſicht der Tagebücher entftanden 
it. Da es einmal bei biefen Nachrichten weder auf 


XxxIII 


etwas Ganzes, noch auf eine beſtimmte Ordnung abge⸗ 
ſehen war, ſo iſt es verzeihlich, daß die erſte Durchſicht 
nicht mit größerer Sorgfalt geſchehen war, und wir erſt 
jest mit dieſer Naihlefe kommen. Die erftin Nachrichs 
ten wären nicht minder fragmentarifch geblieben, wenn 
auch diefe - gleich damit verbimden worden wären; und 
bie Lücken, die ſich in fehen. finden, werben durch biefe 
nicht ausgefüllt, Indeſſen ift- es immer ein ſchätzbarer 
Beitrag von Bemerkungen, die manche der zarteften Ems 
pfindungen ihres Urbebers enthfillen, und manchen fei- 
ner gebeimften Gedanken verrathen. 

Bielleicht aber wird es Manchen befremden, hier 
nicht, wie im erſten Bande, eine Sammlung von Frage 
menten zu finden. - Sollte Lichtenberg, wird er 
beiten, in diefer Periode weniger gefihrieben, und nicht 
ebenfalls mandien Plan gemacht und auszuführen ange- 
fangen, aber noch unvollendet zurüdgelaffen haben! 
Hierauf laͤßt ſich theils mit ja, theils mit- wein ante 
worten. Zuerft ift- zu bemerken, daß gevabe in biefe 
Periode der größte Theil der Schriften fällt, die Lich⸗ 
tenberg bei. feinem ‚Leben ſelbſt heransgegeben bat, 
Gegen das Ende der. firbenziger übernahm er. Det Gön⸗ 
tingifhen Ralender, den er ununterbrochen ‚bie 
an feinen Tod fortgefegt hat, Im Jahr 1780 fing er 
in Verbindung mit Georg Forſter die Herausgabe 


" 


XXIV 


bes Göttingiſchen Magazins an, das zwar nur 
wenige Jahre gedauert hat, aber doch eine Menge Aufs 
füge son feiner Hand enthält. Seit 1794 befchäftigte 
ihn bie Erflärung der Hogarthifhen Kupfer 
ftiche, wovon das Publikum fünf Lieferungen durch ihn 
erhalten hat, Wäre es alfo wohl zu verwundern, wenn 
er außerbem feine anderen Plane angefangen hätte; und 
ift es nicht befier, daß er ung, flatt Fragmente zu bins 
terlaffen, lieber etwas Ganzes felbft gegeben hat? 
Gleichwohl aber Hatte er wirklich noch ein Paar 
Plane, mit denen er fich viel befchäftigte, jeboch ohne 
die Arbeit auch nur fo weit anzufangen, daß wir ben 
Lefern einige Bruchſtücke Davon vorlegen könnten. Das 
Eine war ein phyſikaliſches Compendium, wovon es 
hier der Ort nicht iſt zu reden, und wovon wir dem 
Publikum zu einer andern Zeit Nachricht geben werden. 
Das Andere, das ganz eigentlich hierher gehört, war — 
ein Roman. Dieſer ſcheint eine rechte Lieblingsidee 
son ihm gewefen zu fein, denn er fpricht fehr oft in 
feinen Tagebüchern davon, und hat fid) eine Menge 
von Gedanfen, Charakterzügen, Situationen u. f. w. 
aufgeihrieben, die er darin ausführen und gebrauchen 
wollte, Sogar den Tag, wo er. den Entichluß dazu 
faßte, bat er angemerkt; es war ben 7. Detober 1785, 
alfo über 13 Jahre vor feinem Tode, Im Allgemeinen. 











XxxIII 


etwas Ganzes, noch auf eine beſtimmte Ordnung abge⸗ 
ſehen war, ſo iſt es verzeihlich, daß die erſte Durchſicht 
nicht mit groͤßerer Sorgfalt geſchehen war, und wir erſt 
jetzt mit dieſer Nachleſe kommen. Die erſtern Nachrich⸗ 
ten wären nicht minder fragmentariſch geblieben, wenn 
auch diefe gleich damit verbunden worden wären; und 
bie Lüden, die ſich in jenen finden, werden durch biefe 
nicht ausgefüllt. Indeſſen ift- es immer ein fhäßbarer 
Beitrag von Bemerkungen, die manche der zarteften Ems 
pfindungen ihres Urhebers enthüllen, und manchen fei- 
ner geheimften Gedanken verrathen. 

Bielleicht aber: wird es Manchen befremden, bier 
nicht, wie im erften Bande, eine Sammlung von Trage 
menten zu finden. Sollte Tihtenberg, wird er 
benfen, in diefer Periode weniger gefihrieben, und nicht 
ebenfalls manchen Plan gemacht und auszuführen anges 
fangen, aber noch unvollendet zurüdgelaffen haben? 
Hierauf läßt fih theils mit ja, theils mit nein ante 
worten. Zuerſt ift zu bemerken, daß gerade in biefe 
Periode der größte Theil der Schriften fällt, bie Liche 
tenberg bei feinem Leben felbft herausgegeben bat. 
Gegen das Ende der fiebenziger übernahm er ben Göt⸗ 
tingifhen Kalender, den. er ununterbrocden bie 
an feinen Tod fortgefegt hat. Im Jahr 1780 fing er 
in Verbindung mit Georg Forſter die Herausıct 


XXIV 


bes Göttingiſchen Magazins an, das zwar nur 
wenige Jahre gedauert hat, aber doch eine Menge Aufs 
fäge son feiner Hand enthält. Seit 1794 beicäftigte 
ihn die Erflärung der Hogarthifhen Kupfer 
ftiche, wovon das Publikum fünf Lieferungen durch ihn 
erhalten hat, Wäre es alfo wohl zu verwundern, wenn 
er außerdem feine anderen Plane angefangen hätte; und 
ift e8 nicht beffer, daß er ung, flatt Fragmente zu hins 
terlaffen, lieber etwas Ganzes felbft gegeben hat? 
Gleichwohl aber hatte er wirklich noch ein Paar 
Plane, mit denen er fich viel befchäftigte, jedoch ohne 
die Arbeit auch nur fo weit anzufangen, daß wir ben 
Lefern einige Bruchftüde davon vorlegen könnten. Das 
Eine war ein phyfifalifches Eompendium, wovon es 
bier der Ort nicht ift zu reden, und wovon wir bem 
Publifum zu einer andern Zeit Nachricht geben werben. 
Das Andere, das ganz eigentlich hierher gehört, war — 
ein Roman. Diefer ſcheint eine rechte Lieblingsidee 
von ihm gewefen zu fein, benn er fpricht fehr oft in 
feinen Tagebüchern davon, und hat fid eine Menge 
von Gedanfen, Charakterzügen, Situationen u. f. w. 
aufgefchrieben, die er darin ausführen und gebrauchen 
wollte, Sogar den Tag, wo er den Entfchluß dazu 
faßte, bat er angemerkt; e8 war den 7. October 1785, 
aljo über 13 Jahre vor feinem Tode. Im Allgemeinen 


xXV 


ſollten die Thorheiten und Mängel unſers Zeitalters 
den Gegenſtand der Satyre darin ausmachen, und der 
Held deſſelben ſollte ein doppelter Prinz (nämlich 
zwei zuſammengewachſen, wie eine Mißgeburt) ſein, 
woraus, wie man denken kann, eine Menge lächer⸗ 
licher und komiſcher Situationen entſtanden wären. Aber 
Schade, dag von allem dieſem nichts ausgearbeitet iſt ). 
Noch früher ſcheint er die Idee gehabt zu haben, 
ein ſatyriſches Gedicht zu verfertigen. Denn in 
einer Stelle ſeines Tagebuchs, die viele Seiten vor 
jener vorhergeht, in der er den Entſchluß einen Roman 
zu ſchreiben anmerkt, heißt es: | 
„©egenftände der Satyre in meinem Gedicht: 
Moden und Trachten, fchlechtes Theater, ausländi- 
ſches Recht, Mangel an Ehrerbietung gegen die Als 
ten, Phlegma ber Juftizpflege, Affertation der Stus 
benten, Kriechen der Profefforen vor reichen Studen⸗ 
ten, Freſſerei, Zwangsehen, Unehrlichfeit der Kinder 
außer der Ehe, Mesalliance, Empfindelei, Nomane, 
Mondmanie, geringfügige Urfachen der Kriege, Sol⸗ 
baten, ſchlechte Heerftraßen, Hazarbfpiele, Vergeſſung 
der urfprünglichen Gleichheit, Titelprunf in den Zei- 
tungen, Ganonifationen, Unwiffenheit der Klöſter, 


) Die wenigen, auf diefen Roman bezüglihen Bemerkun: 
gen, welche noch aufgefunden find, werben mitgetheilt merhen. 


XXVIll 


. Pädagogifhe Bemerkungen u - - . . . ©. 214 
Nachtrag zu den päbagogifhen Bemerfungen. — 222 
Holitifhe Bemerfungen . - » » 2 2... 25 
Nachtrag zu den politifhen Bemerkungen.. — 252 
. Literärifhe Bemerkungen 1,7 
Nachtrag zu den Titerärifhen Bemertungen . — 301 
. Bemerkungen über Sprache und Orthographie — 314 
Nachtrag zu den Bemerkungen über Sprache 

und Ortbograpbie - - © - 0 2 22... — 3% 





Vermiſchte Schriften. 


———— 


Erſter Theil. 


I. 
Nachrichten und Bemerkungen 


des 


Verfaffers über ſich ſelbſt. 


I. 


Nachrichten und Bemerkungen des Ver⸗ 
faflers über fich felbft. 


Charakter einer mir bekannten Perfon *). 


Ihr Körper iſt fo beſchaffen, daß ihn auch ein ſchlechter Zeich: 
ner im Dunkeln beſſer zeichnen würde, und ſtände es in ihrem 
Bermögen, ihn zu ändern, fo würde fie manchen Theilen weni⸗ 
ger Relief geben. Mit ſeiner Geſundheit iſt dieſer Menſch, ohn⸗ 
erachtet ſie nicht die beſte iſt, doch noch immer ſo ziemlich zufrie⸗ 
den geweſen, und er hat die Gabe, ſich geſunde Tage zu Nutze 
zu machen, in einem hohen Grade. Seine Einbildungskraft, 
feine treueſte Gefährtin, verläßt ihn alsdann nie; er ſteht hin⸗ 
ter dem Fenſter, den Kopf zwiſchen die zwei Hände geſtützt; und 


) Dieſe Schilderung, die der Verfaſſer von ſich ſelbſt macht. 
findet ſich in einem feiner früheſten CAGBGWbWwtA &- 
R 


4 


wenn ber Vorübergehende nichts als den melandolifhen Kopf: 
hänger ftebt, fo thut er fich oft das ftille Bekenntniß, daß er im 
Vergnügen wieder ausgefchweift hat. Er hat nur wenige Freunde; 
eigentlich ift fein Herz nur immer für Einen gegenwärtigen, aber 
für mehrere abweſende offen. Seine Gefälligkeit macht, daß 
Biele glauben, er fei ihr Freund; er dient ihnen auch, aus 
Ehrgeiz, aus Menfchenliebe, aber nicht aus dem Xriebe, ber ihn 
zum Dienft feiner eigentlichen Freunde treibt. Geliebt hat er 
nur ein» ober zweimal; das eirre Mal richt unglüdlich, das an⸗ 
bere Mal aber glüdlid. Er gewann bloß durch Munterfeit und 
Leichtfinn ein gutes Herz, worüber er nun oft beide vergißt, wird 
aber Munterfeit und Leichtfinn beftändig als Eigenfchaften ſei⸗ 
ner Seele verehrten, die ihm die vergnügteften Stunden feines 
Lebens verfchafft haben; und könnte er fih noch ein Leben und 
noch eine Seele wählen, fo müßte ich nicht, ob er andere wäh- 
len würde, wenn er bie feinigen wieder haben könnte. Don ber 
Religion bat er als Knabe fihon fehr frei gedacht, nie aber eine 
Ehre darin. gefucht, ein Yreigeift zu fein, fo menig als darin, 
Alles ohne Ausnahme zu glauben. Er kann mit Inbrunft bes 
ten, und bat ben neunzigſten Palm nie ohne ein erhaberes, 
unbefchreibliches Gefühl Iefen Fönnen. Ehe denn bie Berge 
worden u. ſ. w. ifl für. ihn unenblich mehr, als: Sing, un 
fterblihe Seele u. f. w. Kür Affembleen find fein Körper 
und feine Kleider felten gut, und feine Gefinnungen felten .... 
genug geivefen. Höher als drei Gerichte des Mittags und zwei 
des Abends mit etwas Wein, und niedriger als täglich Kartofe 


5 


fein, Üpfel, Brot und auch etwas Wein hofft er nie zu kom⸗ 
men. In beiden Fällen würbe er unglüdlich fein. Er ift nod 
allezeit Erank geworben, wenn er einige Tage außer biefen Gren- 
zen gelebt bat. Leſen und Schreiben ift für ihn fo nöthig, als 
Eifen und Trinken, und er hofft, es werde ihm nie an Büchern 
feblen. An den Tod denkt er ſehr oft, und nie mit Abfcheu; 
er wünfcht, daß er nur Alles mit fo vieler Gelaffenheit denken 
könnte, und bofft, fein Schöpfer werde bereinft fanft ein Leben 
von ihm abfordern, ven bem er zwar ein allzuöfonomifcher, 
aber doch kein ruchlofer Befiger war. 

Ich wünfchte die Geſchichte von mir fo zu fehen, wie fie in 
verſchiedenen Köpfen exiſtirt. Meine Brüder wiffen die meiften 
Kleinigkeiten von mir; Hr. 2... g weiß Zieles von meiner 
beften Geite; ©. . . kennt meinen Charakter von ber guten 
und von ber fchlimmen Seite unter allen Menfchen am beiten. 
&...6 weiß bie meiſten Thorheiten von mir und bie meiften 
Heimligkeiten, wei ih immer aus meinen Ihorheiten Heim⸗ 
lichkeiten gemacht habe. Am einfältigften würde meine Ge: 
fhichte ausfehen, wenn fie W . . . befchreiben follte. Hr. 2, 
würde mid fo fhildern: Er bat Bein böfes Herz, er ift im äu⸗ 
Serfien Grab flüdtig, ‚und feine Marimen, bie er zuweilen äu⸗ 
Bert, find nur für eine Stunde gemängt; in ber nächſten vers 
fchlägt er fie wieder. Gr bat zuweilen gute Gedanken, und er 
kann fo ziemlich vergnügt fein, und bat es in feiner Gewalt 
e8 zu fein. Ob er wohl wirklich feine Freunde liebte?; quae- 
kur. — G...s würde ſich gewiß fo von mir ausdrücken: 


4 


wenn ber Vorübergehende nichts als den melandolifhen Kopf: 
hänger fteht, fo thut er ſich oft das ftille Bekenntniß, daß er im 
Vergnügen wieder ausgefchweift hat. Er hat nur wenige Freunde; 
eigentlich ift fein Herz nur immer für Einen gegenwärtigen, aber 
für mehrere abmwefende offen. Seine Gefälligkeit macht, daß 
Biele glauben, er fei ihr Freund; er dient ihnen auch, aus 
Ehrgeiz, aus Menfchenliebe, aber nicht aus dem Triebe, ber ihn 
zum Dienft feiner eigentlichen Freunde treibt. Beliebt hat er 
nur ein= oder zweimal; das eine Mal richt unglücklich, das an⸗ 
bere Mal aber glüdlid. Er gewann bloß durch Munterkeit und 
Leichtfinn ein gutes Herz, worüber er nun oft beide vergißt, wird 
aber Munterkfeit und Leichtfinn beftändig als Eigenfchaften feis 
ner Seele verehren, bie ihm’ die vergnügteſten Stunden feines 
Lebens verfchafft haben; und könnte er fi) noch ein Leben und 
noch eine Seele. wählen, fo wüßte ich nicht, ob er andere wäh—⸗ 
len würde, wenn er bie feinigen wieder haben könnte. Bon der 
Religion bat er als Knabe ſchon fehr frei gedacht, nie aber eine 
Ehre darin geſucht, ein Preigeift zu fein,. fo wenig als batin, 
Alles ohne Ausnahme zu glauben. . Er kann mit Inbrunft bes 
ten, und bat ben neunzigfter Pfalm nie ohne ein erhaberfes, 
unbefchreibliches Gefühl leſen können. Ehe denn die Berge 
worden u.f. iv. ift für. ihn unendlich mehr, als: Sing, un 
fterblihe Seele u. f. w.. Für Affembleen find fein Körper 
und feine Kleider felten gut, und feine Gefinnungen felten..... 
genug getvefen. Höher als drei Gerichte des Mittags und zivei 
des Abends mit etwas Wein, und niedriger als täglich Kartofe 


5 


fein, Üpfel, Brot und auch etwas Wein hofft er nie zu kom— 
men. In beiden Fällen würbe er unglüdlid fein. Er ift noch 
allezeit Eran? geworben, wenn er einige Tage außer biefen Gren⸗ 
zen gelebt bat. Leſen und Schreiben ift für ihn fo nöthig, als 
Eſſen und Trinken, und er hofft, es werbe ihm nie an Büchern 
fehlen. An den Tod denkt er fehr oft, und nie mit Abfcheu; 
er wünfcht, daß er nur Alles mit fo vieler Gelaſſenheit benfen 
fünnte, und hofft, fein Schöpfer werde bereinft fanft ein Leben 
von ihm abforbern, von bem er zwar Fein allzuöfonomifcher, 
aber doch kein ruchlofer Befiger war. 

Ich wünfchte die Gefhichte von mir fo zu fehen, wie fie in 
verfchiedenen Köpfen exiſtirt. Meine Brüder wiffen bie meiften 
Kleinigkeiten von mir; Hr. %... g weiß Vieles von meiner 
beften Seite; €. . . kennt meinen Charakter von ber guten 
und von ber fhlimmen Seite unter allen Menfhen am beften. 
E ... 8 weiß die meiſten Thorbeiten von mir unb bie meiften 
Heimlichkeiten, weil ich immer aus meinen Thorheiten Heim: 
lichkeiten gemacht babe. Am einfältigften würbe meine Ge- 
fhichte ausfehen, wenn fie W... befchreiben follte. Hr. L. 
mwürbe mid fo fohildern: Er hat Bein böſes Herz, er ift im äus 
ßerſten Grab flüdhtig, und feine Marimen, bie er zuweilen äus 
Bert, find nur für eine Stunde gemünzt; in ber nächften vers 
fhlägt er fie wieder. Er bat zuweilen gute Gedanken, und er 
“ Bann fo ziemlidy vergnügt fein, und hat es in feiner Gewalt 
e8 zu fein. Ob er wohl wirklid feine Freunde liebte? quae- 
ritur. — ©... 8 würde fich gewiß (o non wir RÜRLU. 


6 


Sein Herz ift gut, aber wer hätte bie Streiche binter ihm fu: 
hen folen, wenn er zu D... mit feinen Büchern am Ads 
ler vorbeigieng; doc an den Augen kann man ihm etwas anſe⸗ 
ben. Gottlob, ich Ferne ihn nun, und er gefällt mir befto 
beffer. — Ich weiß, E.. . n, deſſen vortreffliches Gerz im⸗ 
mer für die menſchliche Natur einen gehörigen Rabat rechnet, 
würbe zu vortheilhaft von mir urtheilen, und ich wollte, jeder: 
mann bädte von mir fo wie er, fo würde ih, ohne bewundert 
zu fein, von jedermann hochgeſchätzt werden. 

MWahrfcheinlich gebe id mich zwei Jahr geringer an, als id) 
wirklich bin ). Schon in meinem achten Jahre wurde ich burch 
des Glaſers S .. . Knaben auf die Vorftellung von der See⸗ 
lenwanberung geleitet. | 

Ich fand oft ein Vergnügen daran, Mittel auszudenten, 

wie ich dieſen oder jenen Menfchen ums Leben bringen, oder 
‚euer anlegen könnte, ohne daß e8 bemerkt würde, ob ich gleich 
nie den feften Entſchluß gefaßt habe, fo etwas zu thun, noch 
auch nur die geringfte Reigung dazu in mir verfpürt, und bin 
fehr oft mit folchen Gedanken eingefchlafen. 

Ich verftehe von Muſik wenig, fpiele gar kein Inftrument, 
außer daß ich gut pfeifen fann. Hiervon babe ich fihon mehr 
Nugen gezogen, al8 viele Andere von ihren Arien auf ber Flöte 


) Diefe Muthmaßung bat fi beftätig. In Meufels 
Bel. Zeutfchland fteht das Jahr 1744 als Geburtsjahr; nad) dem 
eingeholten Taufzeugniffe warb er aber den 1. Zul. 1742 geboren. 


7 


und auf dem Klavier. Ich würde e8 vergeblich verfuchen, mit 
Worten auszubrüden, was ich empfinde, wenn: ich an einem 
ftilen Abend In allen meinen Thatenx. recht gut pfeife, 
und mir den Tert dazu denke. Wenn ich an bie Zeile Pomme: 
Haft bu es denn befchloffen ır., was fühle ich da für Muth, 
für neues Feuer, was für Vertrauen auf Gott! id wollte mid 
in bie See ftürzen ımb mit meinem Glauben nidht ertrinden, 
mit dem Bewußtfein einer einzigen guten. That eine Welt nicht 
fürchten. Spüre ich einen Hang zum Scherzbaften, fo pfeife id: 
Sollt' aud ih durch Gram unb Leid ıc. oder hen you 
meet a tender creature elc. 

Mein Glaube an bie Kräftigfeit bes Gebets; mein Aber: 
glaube in vielen Stüden; Anieen, Anrühren ber Bibel und 
Küffen berfelben; fürmlide Anbetung meiner heiligen Mutter; 
Anbetung ber Geifter, die um mic ſchwebten — Ich befchwöre 
die Wahrheit diefer Erzählung gar nicht; eine Verſicherung ift 
nichts; ich berufe mich auf die innern Zeichen ber Übereinftim« 
mung und die Merkmale der Aufrichtigkeit, die fo fange die Welt 
ſteht, gelten werden, — dem allein Bennbar, ber Wahrheit aufs 
richtig fucht und Beobadhtungsgeift hat. Butrauen, weil e8 zum 
Theil im Herzen des Zutrauenden wurzelt, kann trügen, wenn 
die Verfaffung des Letztern nicht die reinfte ift. 

Sch hielt mir ein Bettelhen, worauf ich gemöhnlich ſchrieb, 
was ich für eine befonbere mir von Gott erwiefene Gnade anſah, 
und nicht anders erklären zu können glaubte. Bei meinem ins» 
brünftigften Gebet fagte ich zuweilen: o lieber Sutr, Uua% 


8 


aufs Zettelchen! Solche Ausdrücke, Ausbrüche der empfind- 
lichſften Seelen, find gleichſam Vertrauensgeheimniſſe zwiſchen 
Gott und der Seele. 

In meinem zehnten Jahre verliebte ich mich in einen Kna⸗ 
ben, Namens & ..., eines Schneiders Sohn, ber in ber 
Stadtfchule Primus war; ich hörte gern von ihm erzählen, und 
forſchte bei allen. Anaben nad Unterrebungen, bie fie mit ihm 
gehabt hätten; ohne ihn felbft je gefprochen zu haben, war es 
mir ein großes Vergnügen, zu hören, daß er von mir gefprochen 
hatte. Nach der Schule Hetterte ich auf eine Mauer, um ihn 
aus der Schule gehen zus fehen. Wenn ich mid, jest feiner Phy⸗ 
fiognomie, die mir noch fehr deutlich vorfchwebt, erinnere, fo 
war er nichts weniger als ſchön — eine Stumpfnafe mit rothen 
Baden; war aber Primus in ber Schule. Es follte mir leid 
thun, wenn ich durch dieſes freie Bekenntniß das Mißtrauen ge⸗ 
gen die Welt vermehren ſollte; aber ich war ein Menſch, und 
das Glück der Welt, wenn fie es jemals erreicht, muß nicht 
durch Verhehlung geſucht werben, auf eine Weife. Dauerndes 
Glück ift nur in Aufrichtigkeit zu finden. 

Ih Habe wenige Menfchen in ber Welt gekannt ‚ deren 
Schwachheiten ich nicht nach einem Umgang von drei Wochen 
(Stunden des Umgangs bloß gerechnet, welches wohl ein Vier⸗ 
teljahr im Kalender betragen konnte) ausgefunden hätte, und ich 
Din überzeugt worben, baß alle Verftellung nichts hilft gegen eis 
nen Umgang von brei Wochen; denn jede Befeftigungsfunft hat 
eine eigene Belagerungsfunft für den, der fehen Fann. 


9 


> 


Das Gäßchen, wo mr ®... 8 Tochter einmal begegs 
nete gegen halb Eins bed Nachmittags, vergeffe ih nie. Es kam 
mir wie in ber Nacht vor, weil dba Alles am Xifche fa — fehr 
fubtil, aber herzenswahr. 

Ich babe nie aus Gewinnfucht unrecht gehandelt, fo wahr 
Gott lebt. 

Ich erinnere mich deutlich, daß ich einmal in meiner erſten 
Jugend ein Kalb zum Apportiren abrichten wollte; allein ob ich 
gleich merkte, daß ich in den nöthigen Fertigkeiten merklich zu⸗ 
nahm, ſo verſtanden wir doch einander alle Tage weniger, und 
ich ließ es endlich ganz, und habe es nachher nie wieder verſucht. 

In dem Hauſe, wo ich wohnte, hatte ich den Klang und 
die Stimmung jeder Stufe einer alten hölzernen Treppe gelernt, 
und zugleich den Tact, in welchem ſie jeder meiner Freunde, der 
zu mir wollte, ſchlug; und ich muß geſtehen, ich bebte allemal, 
wenn ſie von einem Paar Füße in einem mir unbekannten Ton 
heraufgeſpielt wurde. 

Welch ein Unterſchied, wenn ich die Worte: „Ehe denn 
bie Berge wurden, und die Erbe und bie Welt ge 
ſchaffen worben, bift vu Gott von Ewigkeit zu Ewig— 
keit“ — in meiner Kammer ausſpreche, oder in der Halle von 
Weftminftersabteii Über mir die feierlichen Gewölbe, wo ber 
Tag immer in einer heiligen Dämmerung trauert, unter mir bie 
Reſte zufammengeflürzter Pracht, der Staub ber Könige, und 
um mid) ber die Trophäen des Todes! Ich habe fie hier und 
bort ausgefprochen; in meinem Schlafgemad haha a wmH 


10 


erbaut; ich habe fie von Kindheit an nie ohne Rührung gebetet, 
aber bier durchlief mich ein unbefchreibliches, aber angenehmes 
Grauen; ich fühlte die Gegenwart des Richters, dem ih auf 
den Flügeln ber Morgenröthe felbft nicht gu entrinnen vermöchte, 
mit Thränen, weber ber Freude nocd bes Echmerzes, fondern 
mit Ihränen des unbefchreiblichen Vertrauens auf ihn. Glaubt 
nit, ihr, bie ihr überall muthmaßer und mehr muthmaßet als 
Iefet, daß ich aus modiſcher Schwermuth biefes dichte. Sch habe 
ben Young nicht ganz Iefen können, als e8 Mode war, ihn zu 
lefen, und balte ihn noch jegt für einen großen Mann, ba «6 
Mode ift, ihn zu tabeln. " 

Die Augen eines Frauenzimmers find bei mir ein fo weſent⸗ 
liches Stück, ich ſehe oft darnach, denke mir fo vielerlei dabei, 
daß, wenn id nur ein bloßer Kopf wäre, die Mädchen meinets 
wegen nichts als Auge fein könnten. 

Bei einem Pleinen Fieber glaubte ich einmal deutlich einzu⸗ 
fehen, daß man eine Bouteille Waffer in eine Bouteille Wein 
verwandeln könne auf eine ähnliche Art, wie man eine bieredige 
Figur in einen Triangel verwandelt. 

Es thun mir viele Sachen weh, die Andern nur leid thun. 

Ich habe etliche Mal bemerkt, daß ich Kopfweh befam, wenn 
ich mich lange in einem Hohlſpiegel betrachtete. 

Wenn ich bisweilen viel Kaffee getrunfen hatte, und baber 
über Alles erfchraf, fo Fonnte ich ganz genau merken, daß id) 
eher erjchraß, ehe ich den Krach hörte. Wir hören alfo gleihfam 
noch mit andern Werkzeugen, ald mit den Ohren. 


11 . 


IH träumte neulih an einem Morgen, ich läge wachend 
im Bette und könnte feinen Athem befommen; darauf erwachte 
ih ganz munter, und fpürte, baß ih, nad meiner damaligen 
Lage, nur fehr mäßigen Mangel daran hatte. Ginem bloß füb: 
lenden Körper fommen böfe Empfindungen allezeit größer vor, 
als einem, ber mit einer. benfenden Seele verknüpft ift, wo 
felbft oft der Gcdanfe, daß die. Empfindungen nichts zu bebeus 
ten haben, ober daß man fih, wenn man nur wollte, bar 
von befreien könnte, Bieled von dem Unangenehmen vermindert. 
Wir liegen öfters mit unferm Körper fo, daß gedrüdte Theile 
und heftig fchmerzen, allein, weil wir wiſſen, daß mir uns 
aus biefer Lage bringen können, wenn wir wollen, fo empfinden 
wir wirklich fehr wenig. Dieſes beftätigt- eine Anmerkung, die 
ich) anderdwo gemacht habe, daß man fih durch Drüden die 
Kopfichmerzen vermindern Fünne. 

Was für einen Effeet würde es mohl auf mich haben, wenn 
ih einmal in einer ganz fhwarz behangenen großen Stube, mo 
auch bie Dede mit fhwarzem Tuch befdylagen wäre, bei fihwar- 
zen Fußteppichen, fhwarzen Stühlen und ſchwarzem Kanapee, 
in einem ſchwarzen Kleide bei einigen wenigen Wachöferzen figen 
müßte und von ſchwarz gekleibeten Leuten bedient würde? 

Nichts aufgefhoben; alle Tage ein wenig; 
Pfennige gefpart in allen Stücken; nidt zu viel 
auf einmal, und lieber ein wenig defto öfterer — 
das ift meinem Charakter am zuträglichfien, und wenn ich fo 
nicht etwas ausrichte, fo richte ich. nichts aus. 


12 


In meinem Kopfe leben noch Eindrücke längſt abgefchiede- 
ner Urſachen. ' 

Es ift allezeit betrübt für mich, wenn ich bedenke, daß man 
in der Unterfuhung mander Dinge zu weit geben fann,. id) 
meine, baß fie-unferer Glüdfeligkeit nachtheilig werden können. 
Eine Probe davon babe ih an mir. Ich wünfche, ich wäre 
in meinen Bemühungen, das menfchliche Herz kennen zu lernen, 
minder glücklich gewefen. Ich verzeihe ben Leuten ihre Boshei⸗ 
ten weit lieber, als vorber, bas ift wahr; wenn jemand in Ge 
felfehaft übel von mir redet, zumal wenn es nur gefchieht, um 
bie Gefellfchaft zu beluftigen, fo kann ich ihm bewegen nicht im 
mindeften auffäffig werben, ich mache mir, im firengften Berftanbe, 
nichts daraus, nur. muß es nicht mit wallendem Blute und Hige 
gefchehen, oder. grobe VBerläumbung fein, die glaube ih nicht zu 
verdienen. Hingegen ift mir aud zu wenig an dem Lobe ber 
Leute gelegen ; ihr Neid wäre allenfalld das Einzige, was mich 
och freuen würde. Das follte in der Welt nicht fein. Alſo ift 
auch ‚bier harmoniſcher Wachsthum des ganzen Erkenntnißſy⸗ 
ftems nöthig; wo ein Theil zu fehr -aultivirt wird, ba führt es 
am Ende immer auf ein Pleines oder großes Unheil hinaus. 

Über nichts wünſchte ich mehr die geheimen Stimmen 
bentender Köpfe gefammelt zu leſen, als über bie Materie von 
ber Seele; die lauten, öffentlichen verlange ich nicht, bie kenne 
ih fhon. Allein die gehören nicht fo wohl in eine Pfychologie, 
als in eine Statutenſammlung. Was wirb noch aus biefem 
Gejchledhte werden, ehe e8 vergeht? Die Welt kann leicht noch 


13 


eine Million Jahre fo fortrollen, wie bisher, und-ba wären 
5000 Jahre gerade das, was ein Vierteljahr in dem Leben eines 
Menfchen von 50 ift, kaum unſerer Univerfitätszeit. - Was 
babe ich da8 legte Bierteljahr gethan? Gegefien, getrunken, 
eleftrifirtt, Kalender gemadyt, über. eine junge Kase gelacht, und 
fo find 5000 Jahre diefer kleinen Welt bingelaufen, die Ich bin. 
Sch babe es fehr deutlich bemerkt, daß ich oft eine andere 
Meinung habe, wenn ich liege, und eine andere, wenn ich fiehe; 
zumal wenn ich wenig gegeifen babe und matt bin. 
Shatefpear hat eine befondere Gabe, das Närrifche auszus 
drüden, Gmpfindungen und Gebanfen zu malen, bergleichen 
man furz vor dem Einfchlafen oder im leichten Fieber hat. Mir 
ift alsdann ſchon oft ein Mann wie eine Einmaleindtafel vor: 
gefommen, und die Ewigkeit wie ein Bücherſchrank. — Er 
müßte vortrefflich Fühlen, fagte ich, und meinte bamit den Sap 
bes Widerſpruchs, den ich ganz eßbar vor mir gejehen hatte. 
Am 4. Julius (1775) erwachte id in Wreft *), allein nicht 
zu vollkommener Klarheit, aus einem Traume von meiner Muts 
ter. Mir träumte, fie wäre bei mir in dem Garten von Wreft 
und hätte mir verfprocdhen, mit mir: über ben Canal in der flie- 
genden Brüde zu fahren. Sie trug mir aber vorher etwas zu 
thun auf, biefes verwidelte mich in Schwierigkeiten, und ich 


*) Einem englifhen Landſitz, 42 englifhe Meilen von Lon⸗ 
bon, wo ber Berfaffer einen großen Theil feines Aufenthalts in 
England zugebracht hat. 


16 


find die vergnlügteflen meines Lebens. Der Neib und die Spöts 
terei Anderer, die bier und ba etwas mehr wiffen, ift unerträg» 
lid. Wie felig lebte ich damals! jekt, ba Alles, was ich thue, 
beobadıtet wird; und von Manchem, ber. nicht die Hälfte von 
mir werth ift, und eine bioß auswendig gelernte Bemerkung 
meinem urfprünglichen Beftreben entgegenfeht, werde ich ausge⸗ 
ladt. Man follte doch unterfcheiden lernen, zwifchen bem, was 
ein Mann felbft gedacht bat, und dem, was einer abfchreibt. 

„Das Schlimmfte ift, daß ich in meiner Krankheit gar bie 
Dinge nicht mehr denke und fühle, ohne mich hauptſächlich mit 
zu fühlen. Ich bin mir in Allem bes Leidens bewußt, Alles 
wird ſubjectiv bei mir und zwar bezieht ſich Alles auf meine Em⸗ 

pfindlichkeit und Krankheit. 

Ich ſehe die ganze Welt als eine Maſchine an, bie ba iſt, 
um mid) mein Leiden und meine Krankheit auf alle mögliche 
Weije fühlen zu lafien. Ein pathologifcher Egoiſt! Es ift ein 
höchſt trauriger Zuftand. Hier muß ich fehen, ob noch Kraft in 
mir ift, ob ich diefes übermwältigen kann, wo nicht, fo bin ich 
verloren. Allein, dieſe Krankheit ift mir jhon zur andern Na⸗ 
tur geworden. Wenn mir nur eine Arznei das erſte Differenzial 
von Stoß gäbe! Pufillanimität ift das rechte Wort für 
meine Krankheit; aber wie nimmt man fi) die? dieß zu lehren, 
würde Ehrenfäulen verdienen. 

Nun weiß id), was das heißt, fich ermannen. Wenn man 
fhon ermannt ift, fo ift e8 gut, Andern rathen. Was ber 
Menſch elend ift, wenn er felbft Alles thun fol! Es Heißt ein 


17 


Wunder von ihm fordern, wenn man feine Selbfterhaltung von 
ihm fordert. 

Ich war zuweilen nicht im Stande, zu fagen, ob ih krank 
ober wohl wäre. 

Meine Phantafie wurbe fcheu, fo wie Pferde, und lief fort 
mit mir. Diefes drüdt meinen Zuftand in der Empfindlichkeit 
am beften aus. 

Ich merkte zuerft mein eintretendes Alter yan der Abnahme 
des Gebächtniffes, die ich bald mit dem Mangel an Übung def: 
felben entfchuldigte, bald als Folgen des eintretenden Alters be= 
Elagte. Solche Wellen von Furcht und Hoffnung habe ih all 
mein Lebenlang verfpürt. 

Ich babe manchen Gedanken gehabt, von dem ich überzeugt 
fein Eonnte, baß er den Bellen unter den Menfchen gefallen 
würde, und ben ich nicht anzubringen mußte, auch anzubringen 
"nicht fonderlich begierig war, und bafür mußte ih mich von 
manchem feichten Literator und Compilator oder irgend einem 
bloß empirifhen Waghals und Gonfufionär über die Achfel ans 
fehen laſſen, und boch auch geftehen, daß, nach meinem Verhal⸗ 
ten, die Leute fogar Unrecht nicht hätten; benn wie Fonnten fie 
wiffen, was meine Indolenz felbft vor meinem Tagebuche ver: 
beimlichte? Doch wenn mir be Lüc fchrieb, ich fchriebe ihm 
feinen Brief, aus dem er nicht etwas lernte, fo fegte mich die— 
fes über alle Urtheile der Welt weg, aber wieder nur bei mir felbft. 

Wenn ed der Himmel für nöthig und nüglich finden follte, 
mid und mein Leben noch einmal aufzulegen; fo welter iS um 

I. R 


18 


einige nicht unnüge Bemerkungen zur neuen Auflage mittheilen, 
die hauptfächlich die Beihnung des Portraits unb ben Plan bes 
Ganzen angehen. 

Mein größter Troſt, ober eigentlih was mir zur füßeften 
Rache bei Sticheleien auf mich und Andere gereicht, ift bie völ⸗ 
fige Überzeugung, daß nie ein großer und ein guter Mann 
folder Nedereien fähig war. 

Mir träumte, ich follte lebendig verbrannt werben. Sch 
war fehr ruhig dabei, was mich beim Erwachen eben nicht 
freute. So etwas kann Erfchlaffung fen. Ich raifonnirte 
ganz rubig über die Beit, die e8 dauern würbe: Vorher, dachte 
ih, bin ich noch nicht verbrannt, und nachher bin id es. Das 
war Alles, was ich dachte, und bloß dachte. Diefe Zeit liegt 
zwifchen fehr engen Grenzen. Ich fürchte faft, es wirb bei mir 
Alles zu Gedanken, und das Gefühl verliert fidh. 

Seit der Mitte des Jahres 1791 regt fi) in meiner ganzen 
Sedantendkonomie etwas, das ich noch nicht recht befchreie 
ben kann. Ich will nur Einiges davon anführen, um künftig 
aufmerkfamer darauf zu werden: nämlich ein außerorbentliches, 
faft zu fchriftlichen IThätlichkeiten übergehendes Mißtrauen gegen 
alles menſchliche Wiſſen, Mathematit ausgenommen; und was 
mich noch an das Studium der Phyſik feffelt, ift die Hoffnung, 
etwas bem menſchlichen Geſchlechte Nüpliches aufzufinden. — 
Wir müffen freilich etwas ergreifen, aber ob das nun Alle 
fo ift, wie wir glauben? Da frage ich mich wieder, wat 
nennft bu fo fein, wie du es bir vorſtellſt? Dein Glaubr 


19 


daß es fo ift, ift ja auch etwas, und von dem Übrigen weißt 
du nichts. 

Ein großer Fehler bei meinem Stubdiren in ber Jugend 
war, daß ih ben Plan zum Gebäude zu groß anlegte. Die 
Folge war, baß ih bie obere Etage nicht ausbauen Fonnte, ja 
ih Fonnte nit einmal das Dach zubringen. Am Ende fab 
ih mic genöthigt, mid mit ein paar Dachſtübchen zu begnü- 
gen, die ich fo ziemlich ausbaute, aber verhindern konnte ich 
doch nicht, daß es mir bei ſchlimmem Wetter nicht hinein reg: 
nete. So geht ed gar Mandhen! 

Ich babe den Weg zur Wiffenfhaft gemacht wie die Hunde, 
die mit ihrem Herrn fpazieren gehen: hundertmal benfelben vor: 
wärts und rückwärts, und als id anfam, war ich müde. 

Sch babe das Regiſter der Krankheiten durcdhgegangen und 
babe die Sorgen und bie traurigen Borftellungen nicht darunter 
gefunden, das ift doch falſch. 

Wenn ich in irgend etwas eine Stärke befike, fo ift es bie 
im Ausfinden von Ähnlichkeiten und. dadurch im Deutlihmaden 
beffen, was ich vollfommen verftehe. Hierauf muß ich alfo 
vorzüglich denken. | 

Der berühmte Homwarb befuchte mih, warum? kann ich 
eigentlich nicht fagen, es müßte denn fein, baß .er meine 
Stube, meil id damals in 1%, Jahre nicht vor die Thüre 
gefommen war, etwa als einen Kerker habe in Augenfchein neh⸗ 
men wollen. 


Der Procrastinateur : bee Auffchieber, ein Ahews pn Cm 
. X 


& 20 , 
Luſtſpiel, das wäre etwas für mich zu bearbeiten. Auffchieben 
war mein größter Fehler von jeher! 

Bon Allem nur das Schlimmfte fehen, Alles fürdhten, felbft 
Gefundheit für einen Zuſtand anfehen, worin man bie Krank⸗ 
beit nicht fucht: dieſen Charakter glaube ih am beften durch⸗ 
fegen zu können, ich dürfte mich bloß abſchreiben. 

Sch Iefe die Pfalmen Davids fehr gern: ich fehe daraus, 
daß e8 einem .folhen Manne zuweilen eben fo ums Herz war 
wie mir, und wenn ich fehbe, baß er nach feinem großen Leis 
den wieder für Errettung dankt; fo denke ich, vielleicht kommt 
die Zeit, daß auch bu für Errettung banken kannſt. Es ift 
gewiß ein Troſt, zu fehen, daß es einem großen Manne in 
einer höhern Lage nicht befier au Muthe war, als einem felbft, 
und daß man doch nad ITaufenden von Jahren von ihm fpricht 
und fih an ihm tröftet. 

Nachdem ich Vieles menfchenbeobachterifh und mit vielem 
fchmeichelhaften Gefühl eigener Superiorität aufgezeichnet und 
in noch feinere Worte gefledt hatte, fand ih am Ende, daß 
gerade das das Beſte war, was ich ohne alle diefe Gefühle fo 
ganz bürgerlich niedergefchrieben hatte. 

Bei aller meiner Bequemlichkeit bin ich doch immer in der 
Kenntnig meiner felbft gewachſen, ohne eben die Kraft zu ha⸗ 
ben, mid) zu befiern. 3a ich habe mich öfters für alle meine 
Indolenz dadurch entfchäbigt gehalten, daß ich diefes einfah, 
und dad Vergnügen, das mir bie genaue Bemerkung eines 
Fehlers an mir machte, war oft größer, als der Verdruß, ben 


21 
ber Fehler felbft bei mir erwedte. So ſehr viel mehr galt bei 
mir der Profejfor, als der Menfh. Der Himmel führt feine 
Heiligen wunberlich. 

Mein Körper ift derjenige Theil der Welt, den meine Ge- 
danken verändern künnen. Sogar eingebildbete Krankheiten 
können wirkliche werden. In der ganzen übrigen Welt können 
meine Hypotheſen die Orbnung der Dinge nicht ftören. 

Ich batte in meinen Univerfitätsjahren viel zu viel Frei- 
beit, und leider etwas überfpannte Begriffe von meinen Fä⸗ 
bigfeiten, und fchob daher immer auf, und das war mein 
Berderben. In den Sahren 1763 bis 1765 hätte ich müſſen 
angehalten werden, täglich wenigftens fech8 Stunden, . bie 
fhwerften und ermfthafteften Dinge zu treiben (höhere Geome⸗ 
trie, Mechanik und Sntegralrehnung), fo hätte ich es meit 
bringen können. Auf einen Schriftftellee habe ich nie ſtudirt, 
fondern bloß gelefen, was mir gefiel, und behalten, mas fich 
meinem Gedächtniß, gleihfam ohne mein Zuthun, wenigftens 
ohne eine beftimmte Abficht, eingebrüdt bat. Weil ich aber 
dennoh eine gewiſſe Selbfibeobadhtung über mi ausgeübt 
babe, fo kann ich vielleicht im der kurzen Zeit, die ich noch zu 
leben babe, dadurch nüglicy werden, daß ich lebhaft und mit 
Kraft Andern fage, was fie nicht thun müſſen. 

Ich babe mirs zur Regel gemacht, daß mich bie aufge 
bende Sonne nie im Bette finden fol, fo lange ich geſund 
bin. Es koſtete mich nichts, als den Entfchluß; denn ich habe 
e8 bei Gefegen, die ich mir felbft gab, ivamer In guten , OS 


o 20 
Luſtſpiel, das wäre etwas für mich zu bearbeiten. Aufſchieben 
war mein größter Fehler von jeher! 

Von Allem nur das Schlimmſte ſehen, Alles fürchten, ſelbſt 
Geſundheit für einen Zuſtand anſehen, worin man bie Krank⸗ 
beit nicht fucht: biefen Charakter glaube ich am beften burdh« 
fegen zu können, ich dürfte mich bloß abfchreiben. 

Ich Iefe bie Pfalmen Davids fehr gern: ich fehe daraus, 
daß e8 einem ſolchen Manne zuweilen eben fo ums Herz war 
wie mir, und wenn ich fehbe, baß er nad feinem großen Lei⸗ 
den wieder für Errettung dankt; fo benfe ich, vielleicht kommt 
bie Zeit, daß auch bu für Krrettung banken kannſt. Es ift 
gewiß ein Troſt, zu fehen, daß es einem großen Manne in 
einer höhern Lage nicht befier zu Muthe war, als einem felbft, 
und daß man doch nad Taufenden von Jahren von ihm fpricht 
und fih an ihm tröftet. 

Nachdem ich Vieles menfchenbeobadhterifh und mit vielem 
fymeichelhaften Gefühl eigener Superiorität aufgezeichnet und 
in noch feinere Worte geftedt hatte, fand ih am Ende, daß 
gerade das das Belle war, was ich ohne alle biefe Gefühle fo 
ganz bürgerlich niebergefchrieben hatte. 

Bei aller meiner Bequemlichkeit bin ich doch immer in ber 
Kenntnig meiner felbft gewachfen, ohne eben die Kraft zu has 
ben, mic) zu beſſern. Ja ich babe mich öfters für alle meine 
Indolenz dadurch entſchädigt gehalten, daß ich diefes einfah, 
und das Vergnügen, das mir bie genaue Bemerkung eines 
Fehlers an mir machte, war oft größer, als ber Verdruß, den 


21 

ber Fehler ſelbſt bei mir erweckte. So ſehr viel mehr galt bei 
mir der Profeſſor, als der Menſch. Der Himmel führt ſeine 
Heiligen wunderlich. 

Mein Körper iſt derjenige Theil der Welt, den meine Ge: 
danken verändern fünnen. Sogar eingebildete Krankheiten 
können wirfliche werben. In der ganzen übrigen Welt können 
meine Hypotheſen die Ordnung der Dinge nicht ftören. 

Ich Hatte in meinen Univerfitätsjahren viel zu viel Frei: 
beit, und leider etwas überfpannte Begriffe von meinen Fä⸗ 
bigkeiten, und fchob daher immer auf, und das war mein 
Berderben. In den Jahren 1763 bis 1765 Hätte ich müſſen 
angehalten werben, täglich wenigftens ſechs Stunden, . bie 
fhwerften und emfthafteften Dinge zu treiben (höhere Geome⸗ 
trie, Mechanik und SIntegralrehnung), fo hätte ich es weit 
bringen können. Auf einen Schriftfteller habe ich nie ftudirt, 
fondern bloß gelefen „was mir gefiel, und behalten, was fich 
meinem Gedächtniß, gleichſam ohne mein Zuthun, wenigftens 
ohne eine beftimmte Abficht, eingebrüdt hat. Weil ih aber 
dennoch eine gewiſſe Selbfibeobahtung über mid ausgeübt 
babe, fo kann ich vielleicht in der kurzen Zeit, bie ich noch zu 
leben babe, dadurch nützlich werden, daß ich lebhaft und mit 
Kraft Andern fage, was fie nicht thun müffen. 

Ich Habe mirs zur Regel gemacht, daß mich bie aufge 
bende Sonne nie im Bette finden fol, fo lange ich geſund 
bin. Es Eoftete mich nichts, als den Entfchluß; denn ich habe 
es bei Gefegen, die ich mir felbft gab, iramer In gäalten , U" 


22 


ich fie nicht eher feflfehte, als bis mir die Übertretung faft uns 
möglich war. 

O! ich erinnere mich noch fehr wohl, wie ich beim Auf: 
gange der Sonne empfinden follte und wollte, und nichts em- 
pfand, aber mit dem Kopfe bald gegen biefe bald gegen bie 
andre Schulter gefentt und mit blinzenden Augen zuweilen 
Vieles von Empfindung fprah, und damit nicht bloß Anbere, 
fondern fogar mich felbft betrog. Aber jene Empfindung Fam 
erft in fpätern Jahren und vorzüglich flard von 1790 an, da 
ich die Sonne öfter aufgehen ſah. Vorzüglich waren verftor- 
bene Freunde, zumal bie legtverftorbenen, und meine Frau und 
Kinder der Gegenftand, ben mein Herz jebt umfaßte. Ich 
babe oft Ihränen geweint, und bin niedergefniet. Könnte ich 
boh meinen Gntfchlüffen mehr Dauer geben! Allein es ift 
gewiß Lörperlihe Schwäche baran Schuld, Leichtfinn gewiß 
nicht, ob es mich gleich fehr fchmerzt, daß die Welt vermuth- 
lih das einer Wanfelmüthigkeit im Charakter zufchreibt, mas 
boch bloß Kränklichkeit ift. 

—Ich Habe überhaupt fehr viel gedacht, das weiß ich, viel 
mehr, als ich gelefen habe. Es ift mir daher fehr Vieles von 
bem unbefannt, was bie Welt weiß, und baber irre ich auch 
oft, wenn id mich in die Welt mifche, und dieſes macht mich 
fhüchtern. Könnte ich das Alles, was ich zufammen gedacht 
babe, fo fagen, wie e8 mir ift, nicht getrennt, fo würde es ges 
wiß den Beifall ber Welt erhalten. 

Wenn ich doch Ganäle in meinem Kopfe ziehen könnte, um 


23 


den inländifhen Handel zwifchen meinem -Gedanfenvorrathe zu 
befördern! Aber da liegen fie zu Hunberten, ohne einander zu nügen. 

Meine beftändige Vergleichung der Jahre eines Schriftftel- 
lers, deſſen Leben ich Iefe, mit den meinigen, die ich ſchon in 
meiner Jugend machte, ift ganz menſchliche Natur. 

Ich fing erft gegen das Ende meines Lebens an zu arbeiten, 
und mein bischen Wi aufs Profitchen zu fteden. 

Sein Leben aufs Profithen fteden: mie ich jekt im Sabre 
1795. Ich hätte aber, was ich jest thue und thun will und 
gerne thäte, ehemals viel beſſer thun können, da hatte ich aber 
feine Zeit!! 

Ich ftede jegt meine ganze Thätigkeit aufs Profithen. Koh: 
fen find noch da, aber feine Flamme. 

Ich bin außerordentlid empfindlidy gegen alles Getöfe, allein 
eö verliert ganz feinen wibrigen Eindrud, fobald es mit einem 
vernünftigen Zwecke verbunden ift. 

Wenn ich ehedem in meinem Kopfe nad Gebanfen oder 
Einfälen fifhte, fo fing ich immer etwas; jekt kommen die 
Sifche nicht mehr fo. Sie fangen an fi auf dem Grunde zu 
verſteinern, und ich muß fie heraushauen. Zumeilen befonme 
ih fie auch nur ſtückweiſe heraus, wie die Verfteinerungen vom 
Monte Bolca, und flicke daraus etwas zufammen. 

Man klagt fo fehr bei jedem Schmerz und freut fich fo ſel⸗ 
ten, wenn man eine fühlt. Unter bie legte Claſſe von Men 
ſchen gehöre ih nicht. Wenn ich fo ganz feinen Schmerz fühle, 
was zuweilen der Kal ift, wenn ich mich zu Bette Tag , SS 


24 


habe ich dieſe Glücfeligkeit fo ganz empfunden, daß ich Freu⸗ 
denthränen geweint babe, und biefer flille Dank gegen mei- 
nen gütigen Schöpfer machte mich noch ruhiger. O! wer fo 
fterben könnte! " 

Sch verfprehe dem Publikum ihm Lünftig nichts mehr zu 
verfprechen (fehr wahr und richtig nach meiner Lörperlichen und 
vielleicht auch geiſtigen Anlage). 

In meinem fechs und vierzigften Jahre fing ich an, die läng⸗ 
ften und kürzeſten Tage des Jahre mit einer Art von Intereffe 
zu beobadten, das gewiß bie Frucht dieſes Alters war. Alle 
Merkmale der Vergänglichkeit bei Dingen außer mir, waren mir 
Meilenzeiger: meines eigenen Lebens. Und felbft die höhere 
Weisheit (wie ich fie in diefen Jahren zu nennen beliebe), alles 
diefed zu bemerken, wurde verdächtig. 

E83 war eine drollige Idee von — —, fi einen fo biden 
Kerl zu denken, ber mit ber einen Seite unter dem Bol und 
mit ber andern unter dem Äquator wäre. Gin trauriges Leben | 
Aber ich habe doch wirklich bei eisfalten Füßen zumeilen oben 
geſchwitzt. 

Als ich 27 Jahr alt war, wurde ich Profeſſor in Göttingen. 
Damals fagte ich zu ben Purſchen, die mich grüßten, ganz ge 
borfamer Diener. Als ich Hofrath war, fügte ich bei die- 
fer Gelegenheit: ganz untertbhänigfter Diener. Wie id 
zu diefem doppelten Superlativ Fam, begreife ich bis auf diefe 
Stunde nidt. Influenza ber Zeit. 

Ich bin mehrmal wegen begangener Fehler getabelt wor⸗ 


25 
den, bie mein Tabler nicht Kraft oder Wit genug hatte, zu 
begehen. 

Ehemals zeichnete mein Kopf (mein Gehirn) Alles auf, was 
ich hörte und fah, jetzt fchreibt er nicht mehr auf, fondern über: 
läßt e8 Mir. Wer ift diefer Ich? bin ich und ber Schreiber 
nicht einerlei ? 

Ich kann nicht vergefien, daß ich in meiner Jugend ein- 
mal die Frage: was ift das Norbliht? auf einem Zettel 
mit der Addreſſe an einen Geift, fehrieb, und jenen des Abends 
auf den oberften Boden im Haufe legte. O wäre ba ein Schelm 
geivefen, der mir die Frage beantwortet hätte ! 

Nichts kann mich mehr ermuntern, als wenn idy etwas 
Schweres verfianden babe, und body fuche ich fo wenig Schweres 
verfiehen zu lernen. Ich follte es öfter verfuchen. 

Menn fih mein Geiſt erhebt, fällt der Leib auf die Knie. 

Wenn ich nur einmal einen rechten Entfchluß faflen könnte, 
gefund zu fein! Halere aude! 

Sch werde täglich mehr überzeugt, daß mein Nervenübel 
von meiner Einfamkeit fehr unterhalten wird, wo nicht gar her⸗ 
vorgebraht worben ift. Ich finde faft gar Feine Unterhaltung 
mehr, als durch meinen eigenen Kopf, der immer befchäftigt ift. 
Da nun meine Nerven nie die ſtärkſten gewefen find, fo muß 
nothwendig dadurch eine Ermübung entftehen. Ich merke fehr 
wohl, daß mid Gefellfchaft aufheitert; ich vergeffe mich da, ober 
vielmehr mein Kopf empfängt, anftatt zu fchaffen, und rubt das 
ber.. Darum ift auch das Lefen fohon eine Ethaboo ru, 


26 


allein es ift doch nicht das, was bie Befellfchaft ift, weil ich das 
Buch immer weglege, und für mid handle. 

Ich babe oft mit Bemerkungen gegeizt, ich meine, immer 
aufs Künftige damit gefpart, ohne fie jemald gern auszugeben. 
Es könnte fein, daß manche auf biefe Weife gar nicht ans Licht 
fümen. 

2. war im Herzen gut, nur hat er fih nicht immer bie 
Mühe genommen ,.e8 zu fcheinen. Mein größter Fehler, ber 
Grund von allem meinen: Berbruß. 

Es war entweder in ber Nacht vom 14. auf ben 15., oder 
vom 15. auf den 16. October (1779), als mir träumte, ic) 
fehe eine feurige Wolfe unter den Plejaden berfliegen; zugleich 
läutete die große Glode zu Darmſtadt, und ich fiel auf die Knie 
und fpradh die Worte: heilig, heilig ꝛxc. aus. Meine Em: 
pfindungen waren dabei unausſprechlich groß, und ich hätte mich 
berfelben kaum mehr fühig geglaubt. 

Die Erinnerung an meine Mutter und ihre Tugend ift bei 
“mir gleihfam zum Cordial geworden, das ich immer mit dem 
beften Erfolg nehme, wenn ich. irgend zum Böfen wanfend werde. 

Ih konnte mid) ehemals fo fehr auf eine Nachtleiche 
freuen, daß ich den Tag über das wenige Geld, was ich hatte, 
aus Vergnügen in Buderwaare verthat. 

Wenn ich einen Nagel einfchlage, nur um etwas anzubhef: 
ten, fo denke ich immer, was wirb gefchehen, ehe ich ihn wieder 
berausziehe. Es ift gewiß hierin etwas. Ich beftete den Papp: 
bedel im November an mein Bett an, und ehe ich den Nagr 


27 


noch herauszog, war mein vortrefflicher Freund Schernhagen in 
Hannover, und eines meiner Kinder geftorben, und bie italie- 
nifche Reife zu Waſſer geworben. 

Eine defultorifche Lectüre ift jederzeit mein größtes Vergnü⸗ 
gen geweſen. 

als ih mih in der Naht vom 24. auf den 25. Januar 
1790 auf ben Namen des fchwebifchen Literator8 und Buch 
händlers Gjörwell befann, ben ich gar nicht finden Zonnte, 
fo bemerkte ich Folgendes: von Anfang an zweifelte ich ganz, 
ihn je aus mir felbft wieder zu finden. Nach einiger Zeit 
bemer?te ich, daß, wenn ich gewiſſe ſchwediſche Namen ausfpradh, 
ih dunkel fühlte, wenn ih ihm näher Fam; ja ich glaubte zu 
bemerken, wenn id ibm am nächſten war; und doch fiel ih - 
plöglih ab und fchien wiederum zu fühlen, daß ich ihn gar 
nit finden würde. Welche feltfame Relation eines verlornen 
Wortes gegen die andern, die ich noch bei mir hatte, und gegen 
meinen Kopf. Den zmeifilbigen gab ich übrigens immer ben 
Borzug. Endlich bemübete ich mich, nachdem ich mich die Nacht 
durch gequält, und dadurch meine Nervenzufälle gewiß verfchlims 
mert hatte, den Anfangsbuchftaben zu finden, und als ich in 
bem Alphabet an das G Fam, ftuste ich und fagte fogleich 
Gjörwell. Allein einige Zeit nachher fing ich wieder an zu 
glauben, es fei doch der rechte nicht, bis ich enblid aus dem 
Bette fam und beiterer wurde. Was mein Aberglaube dabei 
für eine wichtige Rolle fpielte! Als ich den Namen fand, glaubte 
ih fogar, e8 fei ein Zeichen, daß id) nun gelaunt wuuhen wur. 


28 


Dieb hängt mit einer Menge ähnlicher Vorfälle in meinem Leben 
zufammen. Ich bin fehr abergläubifh, allein ich fchäme mich 
beffen gar nicht, fo wenig als ich mich fhäme zu glauben, bag 
die Erde ſtille ſteht. Es ift ber Körper meiner Philofophie, und 
ih danke nur Gott, baß er mir eine Seele gegeben bat, die die- 
ſes corrigiren kann. 

Bei meiner Nervenkrankheit habe ich ſehr häufig gefunden, 
daß das, was ſonſt bloß mein moraliſches Gefühl beleidigte, 
nun in das phyſiſche überging. Als jemand einmal ſagte: 
„mich ſoll Gott tödten,“ wurde mir fo übel, daß ich dem Men: 
fhen auf eine Zeit lang bie Stube verbieten mußte. 

Es ſchicken wohl wenige Menfchen Bücher in die Welt, ohne 
zu glauben, baß nun jeber feine Pfeife hinlegen oder fie angäns 
ben würde, um fie zu lefen. Daß mir biefe Ehre nicht zuge 
dacht ift, fage ich nicht bloß, denn das wäre leicht, fondern ich 
glaube es auch, welches fchon etwas ſchwerer ift, und erlernt 
werden muß. Autor, Seker, Corrector und Genfor mögen es 
fefen, vielleicht auch ber Rerenjent, wenn er will, das find alfo 
von taufend Millionen gerade fünfe. 

Wenn nur der Scheidepunft erft überfchritten wäre! Mein 
Gott, wie verlangt mich nach) dem Augenblid, wo bie Zeit für 
mid aufhören wird, Beit zu fein; wo mid) ber Schoos bed müt- 
terlichen Alles und Nichts wieber aufnehmen wird, in dem ich 
damals fchlief, ald der Haynberg ”) angefpült wurde, als Epifur, 


) Ein .befannter Berg bei Göttingen. 


29 


Cäſar, Lucrez lebten und fchrieben, und Epinoza den größten 
Gedanken dachte, der noch in eines Menfchen Kopf gefommen ift. 

Seit einigen Tagen (22. April 1791) lebe ich unter der 
Hypotheſe (denn ich lebe beftändig unter einer), daß das Trin- 
fen bei Tiſch ſchädlich fei, und befinde mich vortrefflich 
dabei. Hieran ift gewiß etwas Wauhres, denn ich habe noch von 
keiner Anderung in meiner Lebensart und von Feiner Arznei fü 
ſchnell und hanbdgreiflich die gute Wirkung empfunden, als hiervon. 

Es gibt für mich Peine gehäffigere Art Menfchen, als bie, 
welche glauben, baß fie bei jeder Gelegenheit ex oflicio witzig 
fein müßten. 

Man ift nie glüdlicher, als wenn uns ein flarfes Gefühl 
beflimmt, nur in diefer Welt zu leben. Mein Unglüd ift, 
nie in diefer, fondern in einer Menge von möglichen Ketten 
und Verbindungen zu eriftiren, bie fi) meine Phantafie, unters 
ftügt von meinem Gewiſſen, ſchafft. So geht ein Theil mei: 
ner: 3eit bin ‚und feine Bernunft ift im Stande, darüber zu fies 
gen. Diefes verdiente fehr auseinander gefeht zu werden. Lebe 
bein erftes Leben recht, damit bu bein zweited ge: 
nießen kannſt. Es ift im Leben, wie mit ber Praxis des 
Arztes, die. erfien Schritte entfcheiden. Das ift doch unredt 
irgendwo, in der Anlage oder im Urtbeil. | 

Als ih am 18. Dec. 1789 in meiner Nervenfrankheit die 
Ohren mit den Fingern zubielt, befand ich mich fehr viel beffer; 
nicht allein, weil nun mein Nervenfoften weniger Stöße befam, 
fondern auch, weil ich nun da8 kränkliche Saufen in wa Diren 


. 30 


für ein erfünfteltes hielt, und mich für gefund in diefem Stüd, 
und daher felbft auf einige andere Gefühle weniger achtete. 
Die gute Wirkung war unleugbar. 

Ich babe, feit meiner Krankheit 1789, die erbarmenswürs 
bige Fertigkeit erlangt, aus Allem, was ich fehe und höre, Gift 
für mich felbft, nicht für Andere zu faugen. Es ift als ob 
das Drüfenfyften meines moralifhen Wefens, woburd bei glück⸗ 
lich organifirten Menſchen Ruhe, Nutzen und Bergnügen aus 
Allem gezogen wird, ganz bie entgegengefepte Form angenommen 
hätte, fo wie wenn bei Windmühlen ber Wind plötzlich von 
hinten fommt, und Alles zerflört. Wie ift da zu helfen? Wie 
fann man ſich gewöhnen, in Allem nur das Befte zu fehen, aus 
Allem etmad Gutes zu vermuthen, immer zu boffen und felten 
zu fürdten, freilich verfteht fihs, auch immer fo zu handeln, 
dag man Urſache hat, mehr zu hoffen, als zu fürdhten ? 

Wenn ich zumeilen in einem meiner alten Gebankenbücher 
einen guten Gedanken von mir lefe, fo wunbere ich mich, wie 
er mir und meinem Syſtem fo fremb bat werden können, unb 
freue mich nun fo darüber, wie über einen Gedanken eined meis _ 
ner Borfahren. 

Euler fagt in feinen Briefen über verfhiebene 
Gegenſtände aus der Naturlehre (2. Band, ©. 228.), 
ed mwürbe eben fo gut donnern und bliken, wenn auch fein 
Menſch vorhanden wäre, ben ber Blik erfchlagen Eünnte. Es 
ift ein gar gewöhnlicher Ausdruck, ich muß aber geftehen, daß 
es mir nie leicht gewefen ift, ihm ganz zu faſſen. Mir kommt 


31 


es immer vor, ald wenn ber Begriff fein etwas von unferm 
Denken Erborgtes wäre, und wenn es Peine empfindenden und 
denkenden Gefchöpfe mehr gibt, fo ift auch nichts mehr. Co 
einfältig biefes klingt, und fo ſehr ich verlacdht werden würde, 
wenn ich fo etwas öffentlich fagte, fo halte ih doch ſo etwas 
mutbmaßen zu fönnen für einen ber größten Vorzüge, ei- 
gentlich für eine der fonderbarften Einrichtungen des menfchlichen 
Geiftes. Diefes hängt wieder mit meiner Seelenwanderung zu— 
fammen. Ich denke, ober eigentlih, ich empfinde hierbei fehr 
viel, das ich nicht auszudrüden im Stande bin, weil es nicht 
gewöhnlih menfhlid ift, und daher unfere Sprade nicht 
dafür gemadt iſt. Gott gebe, baß ed mich nicht einmal ver: 
rüdt madt. So viel merke ih, wenn ich barüber fchreiben 
wollte, fo würde mich die Welt für einen Narren halten, unb 
deßwegen fehweige id. Es ift auch nicht zum Sprechen, fo 
wenig als die Fleden auf meinem Tifh zum Abfpielen auf ber 

Geige. 
Nichts ſchmerzt mich mehr, bei allem meinem Xhun und 
Laſſen, als daß ich die Welt fo anfehen muß, wie ber ge: 
meme Mann, da ich boch feientififch weiß, daß er fie falfıh 
anfieht. 

Wo Vorforge unnüg war, ba batte ich fie; wo fie aber 
hätte nützlich fein können, trat ber Zeichtfinn ein: kommt Beit 
tommt Rath, dachte ih, und that nichts — ein Charakter, 
der fehr viel gemeiner ift, als man glaubt. 

Am 10. October 1793 ſchickte ich meiner lieben Rs ö 


32 


bem Garten eine ünftlihe Blume aus abgefalienen bunten 
Herbſtblättern. Es follte mich in meinem jegigen Zuftande 
barftellen; ich ließ e8 aber nicht dabei fagen. 

Wenn audy) meine Philofophie nicht hinreicht, etwas Neues 
auszufinden, fo hat fie body Herz genug, das längft Geglaubte 
für unausgemadt zu balten. 

Ah! das waren noch gute Zeiten,.ba ich noch Alles glaubte, 
was id) hörte. 

O wie oft babe ich ber Nacht gebeichtet, in der Hoff 
nung, baß fie mich abfolviren würbe, und fie hat mid nicht 
abfolvirt! 

Ich babe offenbar bei dem gröbern Drud meines Hogarths 
gefühlt (miewohl dunkel), daß das bißchen Geift nicht im 
Stande ift, fo vieler Mafje Leben zu geben, man fage was 
man wolle; es ift wahr. Man follte die Bücher immer befto 
Eleiner drucken laffen, je weniger Geift fie enthalten. 

Ich bin fchon deßwegen zu einem Cenſor ungeſchickt, weil 
für mich jede Handſchrift, etwa meine eigene ausgenommen, 
eine Art von überſetzung in eine Sprache iſt, ber ich wenig—⸗ 
ftens nicht bis zur Leichtigkeit mädtig bin; unb fo etwas zer: 
ftreut immer. 

Ich kann ben Gedanken nicht los werben, baß ich ge- 
ftorben war, ehe ich geboren wurde, und burd ben Tod 
wieder in jenen Zuftand zurückkehre. Es ift ein Glüd in man⸗ 
cher Rüdfiht, daß biefe Vorftellung nicht zur Deutlichfeit ge- 
bracht werden kann. Wenn auch der Menfch jenes Geheimniß 


33 


ber Natur erratben kann, fo wäre es doch fehr gegen ihr Ins 
tereffe, wenn er es beweifen könnte. Eterben und wieber Ic 
bendig werden mit Erinnerimg feiner vorigen Eriftenz, nennen 
wir ohnmächtig gewefen fein; wieder erwachen mit andern Or: 
ganen, die erjt wieder gebildet werben müffen, heißt geboren werben. 

Nichts macht ſchneller alt, als der immer vorſchwebende Ge- 
danke, dag man älter wird. ch verfpüre biefes recht an mir; 
ed gehört mir zum Giftfaugen. 

Menn e8 ein Werk von etwa zehn Folianten gäbe, worin in 
nit allzu großen Kapiteln jedes etwas Neues, zumal von der fpe- 
eulativen Art, entbielte; wovon jedes etwas zu benfen gäbe, und 
jmmer neue Auffchlüffe und Erweiterungen barböte: fo glaube ich, 
könnte ich nach einem foldhen Werke auf den Knieen nad) Ham- 
burg rutfchen, wenn ich überzeugt wäre, daß mir nachher Gefunds 
beit und Leben genug übrig bliebe, es mit Muße burchzufefen. 

So lange das Gedächtniß dauert, arbeiten eine Menge 
Menfchen in Einem vereint zuſammen, ber zwanzigjährige, ber 
treißigjährige u. f. w. Sobald aber dieſes fehlt, fo fängt man, 
immer mehr und mehr an, allein zu ftehen, und die ganze Ge: 
neration von Ichs zieht fich zurück und lächelt über den alten 
Hülflofen. Diefes fpürte ich fehr ftar im Auguft 1795. 

Es gebt mir mit meiner Gefundheit wie den Müllern zuweilen 
mit dem Waffer: ich muß immer, twenigftens zwei Tage in der Woche, 
im Freien fammeln, um bie übrigen fünfe mahlen zu fünnen. 

Ich habe oft Stunden lang allerlei Phantafieen nachgehängt, 
in Zeiten wo man mich für ſehr beicgättior ut. W W 

I. 3 


34 


das Nachtheilige davon in Rüdfiht auf Zeitverluft, aber ohne 
diefe Phantafieencur, die ich gemeiniglid um bie gewöhnliche 
Brunnenzeit gebrauchte, wäre ich nicht fo alt geworben. 

Die Balken von Häufern anzufehen, bie Beugen waren von Hoff⸗ 
nungen, die nunnad 25 Jahren nicht erfüllt find. O Gott, o Gott! 
biefes ift zu fein für einen großen Theil des lefenden Publitums, aber 
nichts defto weniger wahr. Wie ſchwer ift es nicht, ein Mittel zu treffen ! 

Unter allen Überfegungen meiner Werke, die man unterneh« 
men wollte, erbitte ich mir ausbrüdlich bie hebräiſche. 

Es war zu Ende Septembers 1798, als ih Jemanden im 
Traume die Gefchichte der jungen und fchönen Gräfin 9... ers 
zählte, die mich, und überhaupt jebermann fehr gerührt bat. Sie 
ftarb im September 1797 in den Wochen, oder eigentlich wäh⸗ 
rend der Geburt, bie nicht zu Stande fam. Sie wurbe geöffs 
net und das Kind neben ihr in den Sarg gelegt, und fo wur: 
ben fie zufammen bes Nachts mit Fadeln, unter einem entfeßs 
lihen Zulauf von Volt, nad) einem benadhbarten Orte, wo das 
Samilienbegräbniß ift, gebracht. Diefes gefhah auf dem Göt⸗ 
tingifchen Leichenwagen, einer fehr unbeholfenen Mafdine. Da: 
durch wurden alfo die Leichname fehr durch einander geworfen. 
Am Ende wollten fie, ehe fie in die Gruft gebracht wurden, noch 
einige Leute fehen. Man öffnete den Sarg und fand die Mut: 
ter auf dem Geficht liegend und mit ihrem Kinde in einen Haus 
fen geſchüttelt. Das ſchöne Weib, fchwerlich noch 20 Jahre alt, 
die Krone unferer Damen, bie auf manchem Bulle den Neid 
ber ſchönſten erregt, in dieſem Zuſtande! Diefes Bild hatte mich 


35 


zu ber Zeit oft befchäftigt,. zumal da ich ihren Gemahl, einen 
meiner fleißigften Zuhörer, fehr wohl gefannt hatte. Diefe traue 
rige Gefchichte erzählte ih nun Jemanden im Traume, im Beis 
fein eines Dritten, dem die Gefchichte auch befannt war; ver—⸗ 
gaß aber (fehr fonderbar) den Umftand mit dem Kinde, der doch 
gerade ein- Hauptumftand war. Nachdem ich bie Erzählung, 
wie ich glaubte, mit vieler Energie und Rührung beffen, bem 
ich fie erzählte, vollendet hatte, fagte ber Dritte: ja, und das 
Kind Tag bei ihr, Alles in einem Klumpen. — Sa, fuhr ih 
gleihfam auffahrend fort, und ihr Kind lag mit in bem Sarge. — 
Diefes ift der Traum; was mir ihn merfwürbig madıt, ift die- 
ſes: Wer erinnerte mi im Traume an das Kind? Ich war 
es ja felbft, dem ber Umftand einfiel; warum brachte ich ihn 
nicht felbft im Traume als eine Erinnerung beit Warum fhuf 
fih meine Phantafie einen Dritten, der mich bamit überrafchen 
und gleihfam befhämen mußte? Hätte ich die Gefchichte wa⸗ 
. hend erzählt, fo wäre mir ber rührende Umftand gewiß nicht 
entgangen: Bier mußte ich ihn übergehen, um mid) überrafchen 
zu laffen. Hieraus läßt ſich allerlei ſchließen; ich erwähne nur 
Eines, und gerade das, was am ftärfften wider mich felbft zeugt, 
zugleich aber auch für die Aufrichtigkeit, womit ich diefen fon- 
derbaren Traum erzähle. Es ift mir öfters begegnet, daß, wenn 
ih etwas habe druden laſſen, ich erft ganz am Ende, wenn fi 
nichts mehr ändern ließ, bemerkt habe, daß ich alles hätte beffer 
fagen Fönnen, ja, baß ich Hauptumftände vergeffen hatte. Die: 
ſes ärgerte mich oft fehr: — Ich glaube, dak ein ve Ertiie 
ame I’ 


[4 


36 


rung liegt. Es wurde bier ein mir ſehr merkwürdiger Borfall 
dramatifirt. Überhaupt aber ift das mir nichts Ungewöhnliches, 
dag ih im Traum von einem Dritten belehrt werde; das ift 
aber weiter nichts, als bramatifirtes Beſinnen. Sapienti sat. 

Gerade wie auf meinem neuen Bibliothefszimmer fieht es 
in meinem Kopfe aus. Ordnnungsliebe muß dem Menfchen früh 
eingeprägt werden, fonft ift Alles nichts. 

Sn der Naht vom 9. auf ben 10. Februar träumte mir, ich 
fpeife auf einer Keife in einem Wirthshauſe, eigentlich auf einer 
Straße in einer Bude, worin zugfeich gewürfelt wurde. Gegen mir 
über faß ein junger, gut angeBleibeter, etwas windig ausfehender 
Mann, der, ohne auf die umher Sikenden und Stehenden zu achten, 
feine Suppe aß, aber immer den zweiten ober britten Löffel voll in die 
Höhe warf, wieder mit bem Löffel fing und dann ruhig verfchludte. 
Was mir biefen Traum befonders merkwürdig macht, ift, daß ich da⸗ 
bei meine gewöhnliche Bemerkung machte, daß folche Dinge nicht 
tönnten erfunden werben, man müßte fie fehen. (Ich meine, fein Ro: 
manenfchreiber würde barauf verfallen). Dennod) hatte ich dieſes doch 
in dem Augenblicde erfunden. Bei dem Würfelfpiel faß eine lange, 
bagere Zrau und firidte. Ich fragte, was man da gewinnen fönnte. 
Sie fagte: nichts; und als ich fragte, ob man was verlieren 
fönnte, fagte fie: nein! Diefes hielt ich für ein wichtiges Spiel”). 

) Vielleicht ift e8 manchem Lefer intereffant zu hören, daß 
dieſes die legte Anmerkung ift, bie fih in des Verfaſſers Tage: 


buche findet, und die er nicht lange vor feinem Xode, ber ben 
24. Zebruar erfolgte, niebergefchrieben haben kann. 


— — — 


37 


Nachtrag 
zu den Nachrichten und Bemerkungen des Berfaflers 
über ſich ſelbſt. 


Ich habe ſchon auf Schulen Gedanken vom Selbſtmorde 
gehegt, die den gemein angenommenen in der Welt ſchnurſtracks 
entgegenliefen, und erinnere mich, daß ich einmal lateiniſch für 
den Selbſtmord disputirte und ihn zu vertheidigen ſuchte. Ich 
muß aber geſtehen, daß die innere Überzeugung von ber Billig— 
keit einer Sache (wie diefes aufmerkſame Lefer werden gefunden 
baben), oft ihren legten Grund in etwas Dunklem hat, beffen 
Aufklärung äußerft ſchwer ift oder wenigſtens fcheint, weil eben 
der Widerfpruch, ben wir zwifchen dem Elar ausgebrüdten Satze 
und unferm unbeutlihen Gefühle bemerken, uns glauben madt, 
wir baben ben rechten noch nicht gefunden. Im Auguft 1769 
und in ben folgenden Monaten babe id mehr an den Selbfi- 
mord gedacht als jemals, und allezeit habe ich bei mir befunden, 
daß ein Menfh, bei dem der Trieb zur Selbfterhaltung fo ge: 
ſchwächt worden ift, daß er fo leicht überwältigt werden kann, 
ih ohne Schuld ermorden könne. Iſt ein Fehler begangen 
worben, fo liegt er viel weiter zurück. Bei mir ift eine vielleicht 
zu lebhafte Vorftellung des Todes, feines Anfangs und wie 





36 


rung liegt. Es wurde bier ein mir fehr merfwärdiger Vorfall 
dramatifirt. Überhaupt aber ift das mir nicht Ungewöhnliches, 
daß ich im Traum von einem Dritten belehrt werde; das ift 
aber weiter nichts, als dramatifirtes Befinnen. Sapienti sat. 

Gerade wie auf meinem neuen Bibliothekszimmer fieht es 
in meinem Kopfe aus. Orbnnungsliebe muß dem Menfchen früh 
eingeprägt werben, fonft ift Alles nichts. 

In der Naht vom 9. auf den 10. Februar träumte mir, ich 
fpeife auf einer Reife in einem Wirthöhaufe, eigentlich auf einer 
Straße in einer Bude, worin zugleich gemwürfelt wurde. Gegen mir 
über faß ein junger, gut angekleideter, etwas windig ausſehender 
Mann, der, ohne auf die umher Sigenden und Stehenden zu achten, 
feine Suppe aß, aber immer ben zweiten oder dritten Löffel voll in die 
Höhe warf, wieder mit dem Löffel fing und dann ruhig verfchludte. 
Was mir diefen Traum befonders merkwürdig macht, ift, daß ich das 
bei meine gewöhnliche Bemerkung machte, daß folche Dinge nicht 
könnten erfunden werben, man müßte fie fehen. (Ich meine, fein Ro⸗ 
manenfchreiber würde darauf verfallen). Dennoch hatte ich diefes doch 
in dem Augenblide erfunden. Bei dem Wütfelfpiel faß eine Tange, 
hagere Zrau und ſtrickte. Ich fragte, was man da gewinnen könnte. 
Sie fagte: nichts; und als ich fragte, ob man was verlieren 
fönnte, fagte fie: nein! Diefes hielt ich für ein wichtiges Spiel” 





*) Bielleiht it e8 manchem Lefer intereffant zu hören, { 
dieſes die legte Anmerkung ift, die fih in des Verfaffers Ta 
buche findet, und die er nicht lange vor feinem Tode, ber d 
24. Februar erfolgte, niedergeſchrieben haben kann. 


—— — — 


37 


Nachtrag 


zu den Nachrichten und Bemerkungen des Verfaſſers 
über ſich feldft. 


SH babe ſchon auf Schulen Gedanfen vom Selbftmorde 
gehegt, die den gemein angenommenen in ber Welt fehnurftrads 
entgegenliefen, und erinnere mich, daß ich einmal lateinifch für 
den Selbfimorb bdisputirte und ihn zu vertheidigen fuchte. Sch 
muß aber geftehen, daß bie innere Überzeugung von ber Billig: 
keit einer Sache (wie diefes aufmerkſame Leſer werben gefunden 
baben), oft ihren legten Grund in etwas Dunklem bat, beffen 
Aufklärung äußerft ſchwer ift oder wenigftens feheint, weil eben 
der Widerfpruch, den wir zwifchen dem Elar ausgebrüdten Sake 
und unferm unbeutlichen Gefühle bemerken, uns glauben madıt, 
wir haben den rechten noch nicht gefunden. Im Auguft 1769 
und in ben folgenden Monaten babe ich mehr an ben Selbft- 
mord gedacht als jemals, und allezeit habe ich bei mir befunden, 
daß ein Menfh, bei dem ber Trieb zur Selbfterhaltung fo ge: 
ſchwächt worden ift, baß er fo leicht überwältigt werben kann, 
ih ohne Schuld ermorden Fünne Iſt ein Fehler begangen 
worden, fo liegt er viel weiter zurüd. Bei mir ift eine vielleicht 
zu lebhafte Borftellung des Todes, feines Anton u Wr 


38 


leicht er an fi ift, Schuld daran, daß ich vom Selbfimorbe v 
denke. Alle die mich nur aus etwas größeren Gefellfchaften und 
nicht aus einem Umgange zu zweit kennen, werben fi} wun⸗ 
dern, daß ich fo etwas fagen kann. Allein Hr. LZjungberg °) 
weiß ed, daß es eine meiner Lieblingsvorftelungen ift, mir ben 
Tod zu gedenken, und baß mich biefer Gebanfe zuweilen fo 
einnehmen Bann, daß ich mehr zu fühlen als zu denken fcheine 
und halbe Stunden mir wie Minuten vorübergehen. Es ift 
diefes Peine dickblutige Selbftfreuzigung, welcher ich wider meis 
nen Willen nachhinge, fondern eine geiftige Wolluft für mich, 
die id) wider meinen Willen fparfam genieße, weil ich zuweilen 


9 Hr. Ljungberg, geborner Schwede, fludirte mit Lichten: 
berg in Böttingen, Beide waren feit 1766 in engfter Freund⸗ 
fhaft verbunden. Sie madten ben Plan, England und Italien 
gemeinfchaftlich zu befuchen, was indeffen nicht zur Ausführung 
kam. Er war, nad Nyerup's Literatur Copieen, 1780 Pro: 
feffor der Philofophie und Mathematit in Kiel, -von wo er in 
das Commerzeollegium nad Copenhagen verfegt wurde, und 
ftarb 1812. In Bezug auf ihn findet fih, abgefehen von eins 
zelnen Briefen, nur noch folgende Bemerkung in Lichtenberg’s 
Nachlaß: „An Hr. Liungberg fohrieb ih am ten December 
1770: Nun babe ich feinen Menfhen, mit dem ich vertraut 
umgeben ann; auch nicht einmal einen Hund, zu dem ih du 
fagen fünnte. Zu meinem großen Glüde habe ich unter diefen 
Umftänden noch ein gutes Gewiſſen, fonft hätte ich mich je eher 
je lieber fihon zu ber Ruhe begeben, wovon ben Hamlet bie 
Träume, bie er in berfelben fürchte, zurückhielten.“ 


2 


39 


fürchte, jene melancholiſche nachteulenmäßige Betrachtungsliebe 
möchte daraus entſtehen. 


Iſt das nicht ein herrlicher Zug in Rouſſeau's Bekennt⸗ 
niſſen, wo er ſagt, er babe mit Steinen nach Bäumen gewor⸗ 
fen, um zu fehen, ob er felig ober verbammt mwürbe? Großer 
Gott, wie oft habe ich Ähnliches gethan, ich habe immer gegen 
ben Aberglauben gepredigt und bin für mich immer der ärgfte 
Beihenbeuter. As NR... auf todt lag, ließ ich e8 auf ben 
Krähenflug ankommen, wegen bed Ausgangs mich zu tröften. 
Sch hatte, wenn ih am Zenfter ftand, einen hohen Thurm mir 
gegenüber, auf dem viele Krähen waren. Ob rechts oder links 
vom Thurm bie erfte Krähe erfhien. Sie erſchien von ber 
linken, allein da tröftete ich mich wieder damit, daß ich nicht 
feftgefegt hatte, welches eigentlih die linke Seite des Thurms 
genannt zu werben verdiente. 8 ift vortrefflih, daß Rouffeau 
fih mit Fleiß einen dicken Baum auſuchte, den er alſo nicht 
leicht fehlen konnte. | 


Ich babe eine Menge Pleiner Gedanfen und Entwürfe zus 
fammengefchrieben,, fie erwarten aber nicht ſowohl noch die letzte 
Hand, als vielmehr noch einige Sonnenblide, die fie zum Auf: 
gehen bringen. 


Ich habe in England bald wie ein Lord, und bald wie ein 
Handwerksburſche gelebt. 


40 


Ich muß zuweilen, wie ein Talglicht gepupt werden, fonft 
fange ih an dunkel zu brennen. 


Mit der Feder in ber Hand habe id mit gutem Erfolge 
Schanzen erftiegen, von benen Andere, mit Schwert und Bann⸗ 
ftrahl bewaffnet, zurüdgefchlagen worden find. 


Starte Empfindung, beren fo Viele fi rühmen, ift nur 
allzuoft die Folge eines Verfalles der Verſtandeskräfte. Ich bin 
nicht fehr bartherzig, allein das Mitleid, welches ich oft in meis 
nen Träumen empfinde, ift mit bem bei wachendem Kopfe nicht 
zu vergleihen. Jenes ift in mir ein nahe an Schmerz gren« 
zendes Vergnügen. | 


Ich habe mich zuweilen recht in mir felbft gefreut, wenn 
Leute, bie Menfchentenner und Weltweife fein wollen, über 
mich geurtheilt haben. Wie entfeglich fie fich irren. Der eine 
hielt mich für weit beffer und ber andere für weit ſchlimmer 
als ih war, und das immer aus fehr feinen Gründen, wie er 
glaubte. 


Sch gebe oft, wenn ein Bekannter vorbeigeht, vom Fenſter 
weg, nicht fowohl um ihm die Mühe einer Berbeugung, als 
vielmehr mir die DVerlegenheit zu erfparen, daß er mir feine 
macht. 


41 


Das Sammeln und befländige Lefen ohne Übung der Kräfte 
bat das Unangenehme, welches ich feit einigen Jahren (1788 
gefchrieben) bei mir bemerke, daß fi) Alles an das Gedächtniß 
und nidt an ein Syſtem hängt. Daher fallen mir beim Dispus 
tiren oft die beften Argumente nicht fo leicht bei, wie wenn id) 
allein bin, oder eigentlih, ih muß mir wirklih erfinden mas 
ih ſchon wußte, aber gemeiniglidh erft in bem Augenblide er: 
fahre ich, daß ich e8 wußte, wenn es mir nichts nützt, es gewußt 
zu haben. 


Sch vergeffe das Meifte was ich gelefen babe; nichts deſto 
weniger aber. trägt e8 zur Erhaltung meines Geiftes bei. 


Wir glauben, baß wir frei wären in unferen Sandlungen, 
fo wie wir im Iraume einen Ort für ganz befannt balten, ben 
wir gewiß jetzt zum erften Male ſehen. &o träumte mir in ber 
Naht vom 23ften auf ben 24ften October 1788, ich hätte mid) 
in eine Stabt verirrt, von der mir nicht einmal ber Name im 
Traume befannt war und endlih, als ich in ber Ferne eine 
zerfallene Bogenſtellung bemerkte, war ich froh, weil ich bie 
von meinem Garten aus fehen und alfo mein Haus nicht weit 
fein fonnte. Beim Erwachen fand ic) aber fhon, daß ich nie 
in meinem Leben an einer ſolchen Bogenftellung gewohnt batte 
u. ſ. w. In meinen Träumen findet fich mehr dergleichen. 


Was bei anderen Ehen im Ernft gefchieht, das ahmen wir 
(ih und meine Frau) aus Scherz nah. Wir zanken uns fürm- 


42 


lih im Scherz, -wo dann jeber fo viel Wik zeigt, als er auf: 
treiben fan. Diefes thun wir, um ber Ehe ihr Recht zu 
loffen. Wir feuern blind, um, wenn einer von uns fi) je 
wieder verheirathen follte, nicht aus der Übung zu kommen. 


Es iſt mir in meinen Leben fo viel unverbiente Ehre an- 
getban morben, daß ich mir wohl einmal etwas unverbiente 
Blame Pann gefallen laffen. 


Das größte Glüd in der Welt, um welches id den Himmel 
täglich anflehe, ift: daß nur verfländige und tugendhafte Men⸗ 
fhen mir an Kräften und Kenntniffen überlegen fein mögen. 


IH wollte einen Theil meines Lebens bingeben, wenn ich 
müßte, was ber mittlere Barometerfland im Paradieſe ges 
weſen ift. 


11. 
Yemerftfungen 


vermiſchten Inhalts. 


1. 
Philoſophiſche Bemerkungen. 


E⸗ iſt ein Vorurtheil unſers Jahrhunderts in Deutſchland, daß 
das Schreiben ſo zum Maßſtabe des Verdienſtes gediehen iſt. 
Eine geſunde Philoſophie wird vielleicht dieſes Vorurtheil nach 
und nach vertreiben. 

Seitdem jederman kritiſche Chartequen lieſt, ſind die Pro⸗ 
dukte des Witzes der Leute gewiſſermaßen der Maßſtab geworden, 
nad welchem man ihren Werth als Menſch überhaupt beſtimmt. 


Vernunft und Erfahrung Lönnen zwar bei einem Cdhrift: 
fteller einigermaßen die Hausbaltung für die Empfindung führen, 
wenn er beide in einem febhr großen Maße befigt, nie wird er 
aber fein Wer? durch Büge erheben können, bei deren Erblidung 
der feinfte Nachahmer bekennen muß, fie lägen außer feinem 
Sprengel. Es ſcheint, als wenn fih der Himmel die Mitthei⸗ 
lung befonderer Gedanken und Entdedungen felbft vorbehalten 
hätte, da fie fo felten die Frucht bes Fleißes find. 


48 


Wir Proteflanten glauben jekt im fehr aufgeflärten Zeiten 
in Abficht auf umfre Religion zu leben. Wie, wenn nun ein 
neuer Luther aufſtände? WBielleicht beißen unfre Zeiten noch 
einmal die finftern. Man wird eher ben Wind breben oder auf: 
halten, als die Gefinnungen des Menfchen beften können. 

— x 

Es wird fhwerlid Ein Menſch Lünnen gefunden werben, 
beffen Urtheil über das Gute und Schöne ale die Stimme der 
menfchlichen Natur wird angefehen werben können. Man follte 
anfänglich glauben, daß ein Mann von ber größten Erfahrung 
und Einfiht allemal am beften fchreiben würde. Allein ift ber 
Witzige nicht eben fo gut ein Menfh? Da ein menjchliches 
Gefchleht von lauter Weifen fo wenig das glüdlichfte wäre, 
als eines von lauter Narren ober Wipigen, fondern das Glück 
beffelben vielmehr in einer Miſchung von allen beftebt, fo kann 
fein Glied befjelben fein Gedanken- und Gefinnungsfyftem als 
das Kriterium bes beften angeben. Seneca und Plinius haben 
fo gut Recht, als Cicero. Am beiten wirb derjenige fehreiben, 
der fo fchreibt, wie ed die Vernünftigften berjenigen Klaffe gut 
finden würden, bie er durch feine Schriften zu belehren gebentt. 
Allgemeine Regeln werben fid) nie in diefem Stüd angeben lafjen. 


Sch habe fehr oft barüber nachgedacht, worin ſich eigentlich 
das große Genie von dem gemeinen Haufen unterjcheidet. Hier 
find einige Bemerkungen. Der gewöhnliche Kopf ift immer ber 
berrfchenden Meinung und ber herrſchenden Mode conform, er 


49 


bält den Zuftaud, in dem fich Alles jekt befindet, für den einzig 
möglichen, unb verhält ſich leidend bei Allem. Ihm fällt nicht 
ein, daß Alles, von der Form ber Meublen bis zur feinften: 
Hypotheſe hinauf, in dem großen Rath der Menfchen befchloffen 
worden, befien Mitglied er iſt. Er trägt bünne Sohlen an 
feinen Schuhen, wenn ihm glei) bie fpigen Steine .die Füße 
wund brüden; er läßt die Schuhſchnallen fi durch die Mode 
bis an bie Zehen rüden, wenn ihm glei ber Schuh öfters 
fteden bleibt; er denkt nicht daran, baß bie Korm des Schuhes 
fo gut von ihm abhängt, al8 von dem Narren, ber fie auf 
elendem Pflafter zuerft dünne trug. Dem großen Genie fällt 
überall ein: könnte dieſes niht auch falſch fein? Es 
gibt feine Stimme nie ohne Überlegung. Ich habe einen Mann 
von großen Talenten gekannt, deſſen ganzes Meinungenfoften, 
fo wie fein Meublenvorrath, ſich durch eine bejondre Ordnung 
und Brauchbarkeit unterfhied; er nahm nichts in fein Haus 
auf, wovon er nicht den Nuken deutlich ſah. Etwas anzu= 
fhaffen, bloß weil e8 andre Leute hatten, war ihm unmöglich. 
Er dachte: fo hat man ohne mich befchloffen, daß es fein fol, 
vielleicht hätte man anders befchloffen, wenn ich babei geweſen 
wäre. — Dank fei e8 diefen Männern, daß fie zuweilen wenig» 
ſtens einmal ſchütteln, wenn es fi) ſetzen will, wozu unfre 
Welt noch zu jung ift. . Chinefen dürfen wir noch nicht werben, 
Wären die Nationen ganz von einander getrennt, fo würden 
vieleicht alle, obgleich auf verfchiedenen Stufen ber Vollkom— 
menheit, zu dem dinefifhen Stilftand gelangt fein. 
L & 


50 


Herr Capitain » Lieutenant v. 9... war fehr für den Uns 
terricht duch Maſchinen. Sein Hauptargument war beflänbig, 
baß es immer ein Glüd wäre, fo früh als möglich feine Abficht 
zu erreihen. Er batte faft Peinen andern Beweis. Da aber 
die Unterfuchung einer Sache, bie Bemühung fie zu verftehen, 
uns das Ding auch befier und von mehrern Seiten kennen lehrt, 
und ſich auf die paſſendſte Weife an unfer Gedankenſyſtem an⸗ 
ſchließt, fo ift gewiß für Leute, bie die Kräfte haben, eine 
Zeichnung bem Modell vorzuziehen. Der allzufchnelle Zuwachs 
an Kenntniffen, ber mit zu wenigem eigenen Zuthun erhalten 
wird, ift nicht fehr fruchtbar. Die Gelehrfamteit kann auch ins 
Laub treiben, ohne Früchte zu tragen. Man findet oft fehr 
feihte Köpfe, die zum Erſtaunen viel wifien. Was man fich 
ſelbſt erfinden muß, läßt im Verfiande die Bahn zurüd, bie 
auch bei einer andern Gelegenheit gebraucht werden ann. 


Tobias Mayer hatte hinten in eines feiner Bücher ge 
fhrieben: guaeritur, ift e8 beffer, wenig und daß deuts 
li zu wiffen, ober viel und undeutlich? 

Ein Mann, der fih in einem engen Felde mit Aufmerk⸗ 
famkeit und Nachdenken befchäftigt bat, wird da, wo ed nicht 
auf Geſchmack, fondern auf Verftand anfommt, gewiß auch 
außer biefem Zelde gut urtheilen, wenn ihm ber Fall gehörig 
vorgeftellt wird, ba ber Andere, ber vielerlei weiß, nirgends 
recht gut zu Haufe iſt. Wenn fich eine mannidfaltige Kenntniß 
heutzutage nicht fo Leicht aus Büchern erwerben liege, ohne 


51 


andere Anftrengung, als allein bes Gedächtniffes, fo ließe fich 
nod eher etwas bafür fagen; ba aber bie Unbeutlichkeit, bie 
bier vorausgefegt wird, ein hinlänglicher Beweis ift, wie wenig 
ber Berftand babei gebraucht worden ift, fo ziehe ich ſchon aus 
dbiefem Grunde eine geringe aber beutlidhe Kenntniß vor. 


Newton bat die Farben zu fcheiden gewußt. Wie wird ber 
Pſycholog heißen, der uns fagt, woraus bie Urfachen unferer 
Handlungen zufammengefegt find? Die meiften Dinge, wenn 
fie uns merklich werden, find ſchon zu groß. Ob ich den Keim 
in ber Eihel mit dem Mifroffop, oder ben hundertjährigen 
Baum mit bloßen Augen anfehe, fo bin ich glei weit vom 
Anfange. Das Mikroſkop dient nur uns noch mehr zu ver 
wirren. So weit wir mit unfern Fernröhren reichen Fünnen, 
fehben wir Sonnen, um bie ſich wahrfcheinlich Planeten breben. 
Daß in unferer Erde fo etwas vorgeht, bavon überführt uns bie 
Magnetnadel. Wie, wenn fich bdiefes noch weiter erfiredte ? 
wenn fich in dem Eleinften Sandförndhen eben fo Stäubchen um 
Stäubchen drehten, die uns fo zu ruhen feinen, wie bie Fir 
ſterne? Es könnte ein Wefen geben, bem das und fichtbare 
Weltgebäude wie ein glühender Sanbhaufen vorfäme Die 
Milchſtraße kann ein organifher Theil fein; in wie fern Tieße 
fi) die Vegetation aus biefem Syftem erflären? — 8 gibt 
nur eine einzige gerade Linie, aber eine unendliche Menge 
frummer; wenn fi) alfo ein Körper bewegt, fo läßt ſich eine 
unendlihe Summe gegen Eins feßen, daß er KK in Temumer 

&* 


52 


ginie bewege, und für jede Arümmung läßt ſich ein Mittelpunkt 
angeben. Da fi eine zirkelfürmige Bewegung in ber Welt am 
längften erhält, wie wir an brei Planeten fehen, fowohl an 
ihren Bewegungen um bie Achſe, ald um bie Sonne und 
Sauptplaneten, fo ?önnte alle Bewegung daher ihren Urfprung 
nehmen. Das Licht allein feheint Hiervon eine Ausnahme zu 
machen, indefjen wirb es doch gebogen. con 'grofe Meß⸗ 
tünftler haben angenommen, baß fich dieſes ganze Syſtem um 
einen uns unfichtbaren Körper drehe — warum könnte unfere 
Erdkugel nicht ein folches Syſtem von Firfternen fein? Hier 
fiten wir in einer folden Sanbkugel. Unfere Erbe ift uns 
freilich das Sonderbarfte, fo wie unfre Seele bie fonberbarfte 
Subftanz, weil wir jene allein felbft bewohnen, unb biefe 
allein felbft find. Wenn wir nur einen Augenblid einmal etwas 
anders fein Pönnten! Was würde aus unferm Berftande werben, 
wenn alle Gegenftände das wirklich wären, wofür wir fie halten? 


„Ich glaube» — fo follte man Alles anfangen, was 
man durch eignes Nachdenken berausbringt, und was nicht ein 
Gegenftand ber Rechnung if. Ich glaube, daß mancher Kopf 
mehr thun önnte, als er thut, weil er fi) einmal barein erge 
.ben bat, baß es ihm an Fähigkeiten fehlt. Andere, die viel 
Neues gefehen haben, haben vielleicht nicht mehr Fähigkeiten, 
aber mehr Induſtrie. Daher kann man einem jeden Philofophen 


ben Spruch nicht genug empfehlen: „Seid munter und 
wadet!« 





53 


Menſchliche Philofophie überhaupt ift die Philofophie eines 
einzelnen gewiffen Menſchen, durch die Philofophie ber andern, 
ſelbſt der Narren, corrigirt, und bieß nach den Regeln einer 
vernünftigen Schägung der Grabe ber Wahrſcheinlichkeit. Sätze, 
worüber alle Menfchen Übereinkommen, find wahr; find fie nicht 
wahr, fo haben wir gar keine Wahrheit. Andere Säge für 
wahr zu halten, zwingt uns oft die Verſicherung folcher Men— 
fen, die in der Sache viel gelten, und jeder Menfch würbe 
das glauben, ber fi in eben den Umftänden befände. Sobald 
biefes nicht ift, fo ift eine befondere Philoſophie da, und nicht 
eine, bie in bem Rath ber Menfchen ausgemacht ifl. Aber⸗ 
glaube felbft ift Localphiloſophie; er gibt feine Stimme auch. 


Ich bin überzeugt, wenn Gott einmal einen ſolchen Men- 
ſchen fchaffen wollte, wie ihn fi) die Magifter und Profefforen 
der Philofophie vorftellen, er müßte den erften Tag ins Tollhaus 
gebracht werben. Man könnte baraus eine artige Fabel machen: 
Ein Profeſſor bittet fih von der Vorfiht aus, ihm einen Men⸗ 
fhen nach dem Bilde feiner Pfgchologie zu ſchaffen; fie thut es, 
und er wirb ins Tollhaus gebracht. 


Ehe man noch bie gemeinen Erfcheinungen in der Körper- 
welt erklären konnte, fing man an, Geiſter zur Erklärung zu 
gebrauchen. Jetzt, da man ihren Zufammenbang beffer kennt, 
erflärt man Eines aus bem Anbern, unb bie Geifter, bei benen 
wir ftille ftehen, find enblih doch ein Gott und eine Sur. 


54 


Die Seele ift alfo jeßt gleihfam das Geſpenſt, das in ber zer⸗ 
brechlichen Hütte unfers Körpers ſpukt. Aber iſt dieſes Berfah⸗ 
ren ſelbſt nur unſerer eingeſchränkten Vernunft gemäß? Dürfen 
wir ſchließen: was unſerer Meinung nach nicht durch Dinge ge⸗ 
ſchehen kann, die wir kennen, muß durch andere Dinge geſche⸗ 
hen, als wir kennen? Das iſt nicht bloß ein falſches, ſondern 
ein abgeſchmacktes Raiſonnement. Ich bin ſo ſehr überzeugt, daß 
wir von dem uns Begreiflichen ſo viel als nichts wiſſen, und 
wie viel mag nicht noch zurückſein, das unſere Gehirnfibern gar 
nicht darbilden können! Beſcheidenheit und Behutſamkeit in 
der Philoſophie, zumal in der Pſychologie, geziemt uns vorzüg⸗ 
ih. Was ift Materie, fo wie fie fi) der Pſychologe denkt? 
Co etwas gibt e8 vielleicht in der Natur nicht; er tödtet bie 
Materie, und fagt hernach, daß fie tobt fei. 


Der Menſch ſucht Freiheit, wo fie ihn unglüdlicd machen 
würde — im politifchen Leben, und verwirft fie, wo fie ihn 
glücklich maht, und hängt Anderer Meinungen blindlings an. 
Der Religions» und Syſtemsdeſpotismus ift der fürchterlichfte 
unter allen. Der Engländer, der wider das Minifterium ſchimpft, 
ift ein SPlave der Oppofition, und die meiftien Menfchen find 
Sklaven ber Mode und alberner Gebräuche. 


Wir thun alle Augenblid etwas, das wir nicht wiſſen, bie 
Sertigfeit wird immer größer, und endlic würde. ber Menfch 
Alles, ohne es zu wiffen, thun, und im eigentlichen Verſtande 


55 


ein denkendes Thier werden. So nähert fih Vernunft ber 
Thierbeit. 

Seitdem man Wiſſenſchaft zu nennen beliebt, Anderer 
thörichte Meinungen zu Pennen, die man vielleicht aus einer ein- 
zigen Formel nach den Regeln einer ganz mechanischen Erfin- 
bungsPfunft herleiten könnte , und fich überall durh Mode, Ge: 
wohnbeit, Anfehen und SInterefie leiten läßt, ſeitdem ift dem 
Menfchen die Lebenszeit zu kurz geworben. 


Man empfiehlt Selbftdenfen, oft nur um bie Irrthümer 
Anderer beim Studiren von Wahrheit zu unterfcheiden. Es ift 
ein Nutzen, aber ift das Alles? Wie viel unnöthiges Lefen wird 
dadurch uns erfpart! Iſt denn Lefen und Stubdiren einerlei? 
Es bat jemand mit großem Grund ber Wahrheit behauptet, daß 
die Buchdruderei Gelehrfamkeit zwar mehr ausgebreitet, aber im 
Gehalt vermindert hätte. Das viele Lefen ift dem Denken ſchäd⸗ 
lich. Die größten Denker, bie mir vorgefommen find, waren 
gerade unter allen Gelehrten, die, welche am wenigften gelefen 
hatten. ' 

Wenn man bie Menfihen Ichtt, wie fie denken follen, und 
nicht ewig bin, was fie denken follen, fo wird auch dem Miß— 
verftändnniß vorgebeugt. Es ift eine Art von Einweihung in 
die Myſterien der Menſchheit. Wer im eigenen Denken auf einen 
fonderbaren Sag ftößt, fommt auch wohl wieder davon ab, wenn 
er falih if. Ein fonderbarer Sag bingegen, tr won mn 


56 


Manne von .Anfehen gelehrt wird, kann Taufende, die nicht un⸗ 
terfuchen, irre führen. Man kann nicht vorfihtig genug fein in 
Befanntmadhung eigener Meinungen, bie auf Leben und Glück⸗ 
feligteit binauslaufen; bingegen nicht emſig genug, Menſchenver⸗ 
fland und 8weifeln einzufchärfen. Bolingbroke fagt fehr gut: 
Every man’s reason is every man’s oracle. 


Der Menfh wird ein Sophift und überwisig, wo feine 
gründlichen Kenntniffe nicht mehr hinreichen; Alle müflen es fofg« 
li werden, wenn von Unfterblichkeit und Leben nad) dem Tode 
bie Rede ift. Da find wir alle ungründlid. Materialismus ift 
bie Afymptote ber Pſychologie. 


In einer fo zufammengefesten Mafchine, als biefe Welt, 
fpielen wir, dünkt mid, aller unferer Beinen Mitwirkung une 
geachtet, was die Hauptfache betrifft, immer in einer Lotterie. 


Der Menſch ift vielleicht halb Geift und halb Materie, fo 
wie der Polype halb Pflanze und halb Thier. Auf der Grenze 
liegen immer die ſeltſamſten Geſchöpfe. 


Gott ſchuf den Menſchen nach feinem Bilde, das heißt ver« 
muthlih, der Menfch fhuf Gott nad dem feinigen. 


Wenn ich etwas als Körper und dann als Geift betrachte, 
dad gibt eine entfegliche Parallare. Man könnte jenes ben fo: 


57 


matocentrifden, und biefes den pſychocentriſchen Ort 
eines Dinges nennen, 


Daß die Seele nach dem Tode übrig bleibt, ift gewiß erft 
geglaubt, und hernach bewiefen worden. Diefed zu glauben, ift 
nicht feltfamer, ald Häufer für einen einzigen Mann zu bauen, 
worin ihrer hundert Platz haben, ein Mädchen eine Göttin, und 
ein gefröntes Haupt unfterblich zu nennen. Der Menſch ift Fein 
künſtlicheres Gefchöpf, als die andern; er weiß e8 nur, daß er 
es ift, und daraus läßt fi Alles erklären; und wir thun wohl, 
biefe Eigenfchaft unfers Geiftes allen übrigen Eigenfchaften eines 
Geiftes vorzuziehen, da wir in der Welt die Einzigen find, die 
und dieſes ftreitig machen könnten. 


Sind wir nit ſchon einmal auferftanden? Gewiß, aus 
einem Buftande, in weldem wir weniger von bem gegenmwärtie 
gen mußten, als wir in dem gegenwärtigen von dem zufünftie 
gen wiffen. Wie fich unfer voriger Zuftand zu bem jekigen ver⸗ 
bält, fo der jetige zum künftigen. 

Der oft unüberlegten Hochachtung gegen alte Gefeße, alte 
Gebräuche und alte Religion hat man alles Übel in der Welt 
zu danken. 


Ich glaube faum, daß e8 möglich fein wird, zu erweifen, 
daß wir das Werk eines höchſten Wefens, und nicht vielmehr 
zum Beitvertreib von einem fehr urmolllommenen zufammenges 
ſetzt worden find. 


58 


Sn 


- Wenn Scharffinn ein Bergrößerungdglas ift, fo ift ber Witz 
ein Berkleinerungsglas. Olaubt ihr denn, daß fi Entdedun- 
gen bloß mit Vergrößerungsgläfern machen laffen? Ich glaube, 
mit Berkleinerungsgläfern oder wenigftend durch ein ähnliches 
Inſtrument in ber intellectuellen Welt find wohl mehr Entdedun: 
gen gemacht worden. Der Mond fieht durch ein verkehrtes Fern⸗ 
rohr wie die Benus aus, und mit bloßen Augen, wie die Venus 
durch ein gutes Fernrohr in feiner rechten Lage. Durch ein ge 
meines Opernglas würden die Plejaden wie ein Nebelftern er- 
fcheinen. Die Welt, die fo fhön mit Gras und Bäumen bes 
wachfen ift, hält ein höheres Weſen, als wir, vielleicht eben 
deßwegen für verfchimmelt. Der fehönfte geftirnte Himmel ficht 
uns durch ein umgekehrtes Fernrohr leer aus. 


Neue Muthmaßungen über Dinge follten die Gelehrten immer 
mit Dane annehmen, wenn fie nur einige Vernunft bei fi 
haben; ein anderer Kopf Hat zuweilen nichts nöthig, um eine 
wichtige Entdedung zu machen, als einen folchen Reiz. Die 
allgemein angenommene Art ein Ding zu erklären, bat Peine 
Wirkung mehr auf fein Gehirn und Bann ihm Leine neue Bes 
wegung mehr mittheilen. 


Unfere Welt wird noch fo fein werden, daß es fo lächerlich 
fein wird, einen Gott zu glauben, als heutzutage Gefpeniter. 


Es iſt ein großer Unterfchied, welchen Weg man nimmt, 


59 


um zur Erkenntniß gewiffer Dinge zu gelangen. Wenn man 
mit Metaphyfif und Religion in der Jugend ‚anfängt, fo gebt 
man leiht in Vernunftſchlüſſen bis zur Unfterblichkeit der Seele 
fort. Nicht jeder andere Weg wird: dazu führen, wenigitens 
nicht eben fo leiht. Wenn fihb auch ſchon von jebem Wort 
einzeln ein deutlicher Begriff geben läßt, fo ift e8 doch unmög⸗ 
lich, in einem fehr zufammengefegten Schluß alle dieſe Begriffe 
gleich deutlich vor fich zu- haben; in ber Anmwenbung werden fie 
oft nach der Art verbunden, die uns von Jugend auf bie ge 
wöhnlichfte und leichtefte war. 


Nichts ift ſchwerer in der Philofophie, als eine Sache ganz 
von Anfang zu nehmen, und doch bei Betrachtung berfelben von 
erworbenen Kenntniffen Gebrauch zu machen; 3.38. über bie 
Unfterblichkeit der Seele denfen zu wollen, ohne vorher ſchon 
ein gewifjes Ende, ein gewiſſes Ziel zu fehen; nicht beim fechften 
Schluß ſchon eine Meinung zu ergreifen, und ben achten, neuns 
ten, zehnten u. f. w. nur anzuhängen. Kann uns nit das 
Denken in unſerer materiellen Subſtanz eben bewegen fo außer: 
ordentlich vorkommen, weil wir biefes felbft find? Se nüber 
wir einem Gegenftand in der Ratur kommen, deſto unbegreifli- 
cher wird er. Das Sandkorn ift gewiß das nicht, wofür ich es 
anfehe. Ich begreife eben fo wenig, mie ein zujammengefehtes 
Weſen denken, als wie ein einfaches mit einem zufanımengefek- 
ten in Berbindung gebracht werden könne. Hätten wir eine 
Analyſis für dergleihen Säge, und könnten fie in eine Rewusi 


4 


60 


bringen, fo würden wir feben, daß beide einerlei find, und daß 
das LUnbegreiflide nur verfchoben, aber nicht aufgehoben ifl. 
Ich weiß nicht, wie weit bie beiden Säge: 2 mal 2 ift 4, unb: 
Heinrich IV ift von Ravaillac ermordet worben, in 
meinem Kopf von einander liegen, ober ob jeber allemal ben 
ganzen Kopf einnimmt, oder, wenn fie nur einen kleinen Theil 
einnehmen, ob fie in allen Menfchen eben diefelben find. Mir 
ift es wahrfcheinlich, baß jeder Gedanke eine gewiffe Gegend des 
Gehirns befonders in Bewegung febt, aber entweder biefe Be 
wegung bem ganzen übrigen Kopf mittheilt, in einem Menfchen 
ftärker als in dem andern; ober nicht ganz, aber in einem Men⸗ 
fhen weiter als in dem andern. Hieraus läßt fi das Zuſam⸗ 
menhängende in den Träumen erklären. 

In allen Spraden fagt man: ic) denke, ich fühle, ich 
athme, ich habe Schläge befommen, und ich vergleiche, ich 
erinnere mich ber Zarbe, und ich erinnere mid) bes Bapes. 
Das, was fi) in uns der Farbe, und das, was fi ber Farbe 
erinnert, find vielleicht eben fo wenig einerlei, als das, was 
bie Schläge befommt, und das, was vergleicht. Alles thut etwas 
bei Allem, ber Mensch fühlt fih in Allem ganz, und wenn ich 
behalte, daß (a+x).(a— x) — a? — x? ift, fo hat vielleicht 
mein Daumen einen Theil davon zu behalten, wiewohl einen 
fehr unbeträcdhtlichen, aber in manden Menſchen doch fo viel, 
daß ber Sat ihnen bei Berührung einer Sache einfällt, ober 
baß fie im Traum, oder in einem Fieber glauben, ber Sag fei 
weiter nichts als ein Stüdchen Leinwand. Es iſt nicht fo vers 


61 


drießlih, ein Yhänomenon mit etwas Mechanik und einer ftar: 
fen Dofls von Unbegreiflihen zu erklären, als ganz durch Me 
chanik, das heißt, die docta ignorantia macht weniger Schande 
als die indocta. Alle Bewegung in ber Welt bat ihren Grund 
in etwas, das feine Bewegung ift, warum foll die allgemeine 
Kraft nicht auch die Urfache meiner Gebanfen fein, fo gut als 
fie die Urfache von Gährung ift? 


Der Mann bat recht, follte man fagen, aber nicht nad 
ben Geſetzen, die man fih in der Welt einftimmig auferlegt hat. 


Die Wahrheit hat taufend Hinderniffe zu überwinden, um 
unbejchädigt zu Papier zu kommen, und von Papier wieder zu 
Kopf. Die Lügner find ihre fhwächften Feinde. Der enthufla 
ſtiſche Schriftfteller, der von allen Dingen fpridt, und alle 
Dinge anfieht, wie andere ehrliche Leute, wenn fie einen Hieb 
baben ; ferner, ber fuperfeine erfünftelte Menfchenfenner, ber in 
jeder Hänblung eines Mannes, wie Engel in einer Monade, 
fein ganzes Leben ſich abfpiegeln fiehbt und fehen will; der gute 
fromme Mann, ber überall aus Refpect glaubt, nichts unters 
fuht, mas er vor dem funfzehnten Jahre gelernt hat, und fein 
bißchen Unterfuchtes auf ununterfuchtem Grund baut — das find 
gefährliche Feinde der Wahrheit. 


Das Gute und Zwelmäßige in ber Welt geht unaufhaltfam 
fort. Wenn e8 daher in ber menfchlichen Natur liegt, dos S- 


62 


die chriftlihe Religion endlich einmal wieber zu Grunde gebt, 
fo wird es gefhehen, man mag fi) dawider fepen, oder nicht. 
Das Zurüdgehen und Hemmen auf eine Purze Zeit iſt nur ein 
unendlich kleiner Bogen in der Linie. Nur ift e8 Schade, daß 
gerade Wir die Bufchauer fein müffen, und nidt eine andere 
Generation. Es kann e8 uns alfo niemand verdenten, wenn 
wir fo viel als möglich arbeiten, unfere Zeiten nad unfern 
Köpfen zu formen. Ich denke immer, wir auf biefer Kugel 
dienen zu einem Bwed, beffen Grreihung eine Zuſammenver⸗ 
fhwörung des ganzen menfchlichen Geſchlechts nicht verhindern 
fünnte. 


Die gar fubtilen Männer find felten große Männer, und 
ihre Unterfuchungen find meiltens eben fo unnüg, als fie fein’ 
find. Sie entfernen fih immer mehr vom praßtifhen Leben, 
bem fie doch immer näher zu kommen fuchen follten. So wie 
ber Tanzmeiſter und Fechtmeifter nicht von ber Anatomie ber 
Beine und Hände anfängt, fo läßt fi gefunde, brauchbare 
Philofophie auch viel höher, als jene Grübeleien, anfangen. 
Der Fuß muß fo geftellt werden, denn fonft würde 
man fallen, und, dbiefes muß man glauben, denn es 
wäre abfurb, ed nicht zu glauben, find fehr gute Fun 
damente. Die Leute, bie noch weiter gehen wollen, mögen es 
thun, fie müſſen aber ja nicht denken, daß fie etwas Großes 
thun; denn fie finden boch nur, wenn ihnen Alles gelingt, was 
der vernünftige Mann ſchon lange vorher wußte. Der Mann, 


63 


der noch einmal ben eilften Grundſatz des Euklides demonſtrirt, 
verdient allenfalls den Namen eines finnreihen Mannes; aber 
zur Erweiterung der Wiffenfchaften wird er nichts beitragen, was 
er nicht ohne diefe Erfindung auch hätte thun Fünnen. „Uber, 
fagen fie, e8 gefchieht, den Zweifler zu widerlegen.“ Den wider: 
legt ihre wahrhaftig nicht; denn welches Argument in der Welt 
wird den Mann überzeugen können, ber einmal Abfurditäten 
glauben kann? Und verdient denn jebermann wiberlegt zu wer: 
den, der widerlegt fein will? Selbſt bie größten Schläger fchla« 
gen ſich nicht mit jedem, ber fie herausfordert. Das find bie 
Urfachen, weßwegen bie Beattifche Philofophie Achtung verdient. 
Sie ift nicht eine ganz neue Philofophie, fie geht nicht bis auf 
den tiefften Grund zurück, und taugt daher nicht zur Philofophie 
bes Profefford, aber fie ift die Philoſophie des Menſchen. 


Es wäre nicht gut, wenn die Selbftmörbder oft mit der eis 
gentlihen Sprache ihre Gründe angeben könnten; fo aber res 
bucirt fie fich jeder Hörer auf feine eigene Sprache, und ente 
Eräftet fie nicht fo wohl dadurch, als macht ganz andere Dinge 
daraus. Einen Menſchen recht zu verftehen, müßte man zuwei⸗ 
len der nämliche Menfch fein, den man verftehen will. Wer da 
weiß, was Gedankenfoftem ift, der wirb mir Beifall geben. 
Öfters allein zu fein, und über fi feldft zu denken, und feine 
Welt aus ih zu mahen, kann uns großes Vergnügen gewäh—⸗ 
ren, aber wir arbeiten auf diefe Art unvermerkt an einer Phi⸗ 
Iofophie, nach welcher ber Selbfimord billig umd erlauıt N. 


64 


Es ift daher gut, fi durch einen Freund ober eine Freundin 
wieder an die Welt anzuhaken, um nicht ganz abzufallen. 


Bei unferm frübzeitigen und oft gar zu häufigen Lefen, 
wodurch wir fo viel Materialien erhalten, ohne fie zu verbauen, 
was die Folge bat, baß das Gedächtniß gewohnt wird, bie 
Haushaltung für Empfindung und Gefhmad zu führen — ba 
bedarf es oft einer tiefen Philofophie, unferm Gefühl den erfien 
Stand ber Unfchuld wieder zu geben, fi) aus bem Schutt frem⸗ 
der Dinge heraus zu finden, felbft anzufangen zu fühlen und 
felbft zu fprehen, und, ih möchte fat fagen, auch einmal 
felbft zu exiſtiren. 


Ich glaube, daß ber Inſtinct im Menfchen dem geſchloſſe⸗ 
nen Urtbeil vorgreift, und daß daher Manches von minder ger 
lehrten, aber dabei genauen, Empfindern offenbart fein mag, 
was das gefchloffene Raifonnement noch bis jegt nicht erreichen 
und verfolgen kann. Es erzeugt fih thierifhe Wärme, unb 
wird erzeugt werden, ohne daß man noch genau im Stande ift, 
zu erklären, woher fie fomme. Dahin rechne ich die Lehre von 
ber Unfterblichkeit der Seele. „Es wird nach unferm Leben fo 
fein, wie e8 vor bemjelben war « — biefes iſt ein inftinctmäßis 
ger Borgriff vor alem Raifonnement. Man kann ihn noch nicht 
beweifen, aber für mich hat er, aufammengenommen mit ans« 
bern Umftänden, Ohnmacht, Betäubung, eine unmiberftehliche 
Gewalt, und bat ed auch vermuthlich für eine Menge von Men: 


65 


fhen, bie e8 nicht geftehen wollen. Kein einziges Raifonnement 
bat mid noch vom Gegentheil überzeugt. Meine Meinung ift 
Natur, jenes ift Kunft, beren Refultat Alles fo fehr und ſtark 
widerfpricht, al8 nur etwas wiberfprechen kann. 


Es wäre ein denkendes Weſen möglich, dem das Zufünftige 
leichter zu fehen wäre, als das Vergangene. Bei den Trieben 
der Inſecten ift fhon Manches, das uns glauben maden muß, 
bag fie mehr durch das Künftige als durch bad Vergangene ges 
leitet werben. Hätten die Thiere eben fo viel Erinnerung bes 
Vergangenen, als Borgefühl des Künftigen, fo wäre uns man- 
ches Infect überlegen; fo aber feheint bie Stärke bes Vorgefühls 
immer im umgekehrten Berhältniß mit der Erinnerung an das 
Vergangene zu ſtehen. . 


Wenn ih im Traum mit Jemanden biöputire, und ber 
mich widerlegt und belehrt, fo bin ich es, ber ſich felbft belehrt; 
alſo nachdenkt. Diefes Nachdenken wird alfo unter ber Form 
von Geſpräch angefhaut. Können wir und daher wohl mwun- 
dern, wenn bie frühern Völker das, was fie bei ber Schlange 
denken (wie Eva), durh: die Schlange fprah zu mir, 
ausdrüden? Bon der Art find die Ausbrüde: der Herr 
ſprach zu mir; mein Geiſt fprah zu mir. Da wir 
eigentlich nicht genau wiffen, mo wir benfen, fo können wir 
den Gedanken verfegen, wohin wir wollen. So wie man [pres 


chen kann, bag man glaubt, es fäme von einem Dritten , 
T. % 


66 


kann man auch fo denken, baß es läßt, als würde e8 und ge- 
fagt. Hierher gehört der Genius des Sokrates. Wie erflaunlic) 
Bieles ließe fich nicht noch durch die Träume entwideln! 


Wie find wohl die Menfchen zu bem Begriff von Freiheit 
gelangt? Es war ein großer Gedanke. 


Daß zuweilen eine falfche Hypothefe ber richtigen vorzuzie⸗ 
ben fei, ſieht man aus ber Lehre von ber Freiheit bes Menfchen. 
Der Menſch ift gewiß nicht frei, allein es gehört ſehr tiefes 
Studium der Philofophie dazu, fi) durch dieſe Borftellung- nicht 
irre führen zu laffen — ein Studium, zu welchem unter Tau⸗ 
fenden nicht Einer die Zeit und Geduld, und unter Hunderten, 
bie fie haben, kaum Einer den Geift hat. Freiheit ift baber ei» 
gentlich die bequemfte Form, fich die Sache zu denken, und wird 
auch allezeit die übliche bleiben, da fie fo fehr den Schein für 
ſich hat. 


Bor Gott gibt es bloß Regeln, eigentlih nur eine Regel, 
und Feine Ausnahmen, Weil wir bie oberfte Hegel nicht Fen- 
nen, fo machen wir Generalregeln, bie es nicht find; ja es 
wäre wohl gar möglih, daß bas, was wir Regeln nennen, 
wohl felbft noch für endlihe Wefen Ausnahmen fein Fünnten, 


Der Spinozismus und der Deismus führen beide einen ver= 
ftändigen Geift fo gewiß auf Eins hinaus, daß man, um zu 


67 


ſehen, ob man in dem erftern richtig ift, fich bes letztern bebie- 
nen kann, fo wie man fi) des Augenmaßes oft zur Probe der 
genaueften Meffungen bedient. | 


Ich glaube von Grund meiner Seele und nach der reifſten 
überlegung, daß die Lehre Chriſti, geſäubert vom Pfaffengeſchmiere, 
und gehörig nach unſerer Art fih auszudrücken verſtanden, das 
vollkommenſte Syftem ift, das ich mir wenigftens denken kann, 
Ruhe und Glüdfeligkeit in der Welt am ſchnellſten, kräftig⸗ 
ften, fiherftien und allgemeinften zu beförbern. Allein ich glaube 
auh, daß ed noch ein Syſtem gibt, das ganz aus ber reinen 
Vernunft erwächſt, und eben dahin führt; allein es ift nur für 
geübte Denker, und gar nicht für den Menfchen überhaupt; und 
fände es aud Eingang, fo müßte man doch die Lehre Chrifti 
für die Ausübung wählen. Chriftus bat fi) zugleich nach bem 
Stoff bequemt, und dieß zwingt felbfi dem Atheiften Bewunde⸗ 
rung ab. (In weldhem Berftande ich bier das Wort Atheift 
nehme, wird jeder Denker fühlen) Wie leicht müßte e8 einem 
ſolchen Geifte gewefen fein, ein Syſtem für die reine Bernunft 
zu erdenken, das alle Philofophen völlig befriedigt hättel Aber 
. wo find die Menfchen dazu? Es wären vielleicht Jahrhunderte 
verftrihen, two man e8 gar nicht verftanden hätte; und fo etwas 
follte dienen, das menfchliche Geſchlecht zu leiten und zu lenken, 
und in der Todesſtunde aufzurihten? Ja, was würden nicht 
die Sefuiten aller Zeiten und aller Völker daraus gemacht haben? 
Was bie Menfchen leiten fol, muß wahr, aber allen wekiumn 

n*» . 


68 


lich fein; . wenn e8 ihnen auch in Bildern beigebradyt wird, die 
fie fich bei jeder Stufe ber Erfenntniß anders erklären. 


Eine große Rede läßt fi Teicht auswendig lernen, unb 
noch leihter ein großes Gedicht. Wie ſchwer würde es nicht 
balten, eben fo viele, ohne allen Sinn verbundene Wörter, oder 
eine Rede in fremder Spradhe zu memoriren. Alfo Sinn und 
Berftand kommt dem Gedächtniß zu Hülfe. Sinn ift Ordnung, 
und Ordnung ift doch am Ende Übereinftimmung mit unferer 
Natur. Wenn wir vernünftig fprechen, fprechen wir immer nur 
unferem Wefen und unferer Natur gemäß. Um unferem Ges 
bächtniffe etwas einzuverleiben, fuchen wir daher immer einen 
Sinn binem zu bringen, oder eine Art von Ordnung; baber 
genera und species bei Pflanzen und Thieren, Ähnlichkeiten bis 
auf den Reim hinaus. ben bahin gehören auch unfere Hypo⸗ 
thefen; wir müjfen welche haben, weil wir fonft die Dinge nicht 
bebalten können. Diefes ift ſchon längft gefagt, man kommt 
aber von allen Seiten wieder darauf. So fuhen wir Sinn in 
die Körperwelt zu bringen, die Frage aber ift, ob Alles für uns 
lesbar if. Gewiß aber Täßt fi) durch vieles Probiren und 
Nachfinnen auch eine Bedeutung in etwas bringen, das nicht 
für uns, oder überhaupt gar nicht Tesbar if. So ſieht man im 
Sande Gefihter, Landſchaften und dergl., bie fiherlih nicht 
die Abficht diefer Lagen find. Symmetrie gehört auch hierher; 
imgleihen die Stufenleiter in ber Reihe der Geſchöpfe; — alles 
das ift nicht in den Dingen, fondern in uns, Überhaupt Fann 


69 


man nicht genug bedenken, daß wir nur immer uns beobachten, 
wenn wir die Natur und zumal unfere Ordnungen beobachten. 

Die Berfuhe der Phyſiker, 3. B. bed le Sage, die 
Schmere, Attraction und Affinitäten mechaniſch zu erklären, find 
ebenfalls dahin zu rechnen. Indeſſen find dergleichen Verſuche 
immer fo viel werth, al8 eine Mafchine erfunden zu haben, die 
biefes ausrichtet.. Wenn Iemand eine Uhr machen Eönnte, bie 
die Bewegung ber Himmelsförper fo genau, ald in der Natur 
barftellte, würde ber nicht ein großes Verdienſt haben, obgleich 
die Welt nicht durch Räderwerk geht? Er würde felbft durch 
diefe Mafchine Manches entbeden, was er nicht hineingetragen 
zu haben glauben würde. Und was ift der Calcul anders, als 
etwas biefer Mafchine Ähnliches ? 


Ih glaube, dab, fo wie die Anhänger de Hrn. Kant 
ihren Gegnern immer vormwerfen, fie verftänden ihn nicht, fo 
auh Manche glauben, Hr. Kant habe Recht, weil fie ihn vers 
fiehen. Seine Borftellungsart ift neu, und weicht von der ge⸗ 
wöhnlichen fehbr ab; und wenn man nun auf einmal Einfiht in 
diefelbe erlangt, fo ift man auch fehr geneigt, fie für wahr zu 
halten, zumal da er fo viele eifrige Anhänger hat. Man follte 
aber dabei immer bedenken, daß biefes Verftehen noch fein Grund 
ift, es felbft für wahr zu halten. Ich glaube, daß die meiften 
über der Freude, ein ſehr abſtractes und dunkel abgefaßtes 
Syſtem zu verftehen, zugleich geglaubt haben, es fei demonſtrirt. 





70 


Die Vorftelung, die wir uns von einer Seele machen, bat 
viel Ähnliches mit der von einem Magneten in ber Erde. Es 
ift bloß Bild. Es ift ein dem Menfchen angebornes Erfindungs⸗ 
mittel, fi Alles unter diefer Form zu denken. 


Wir wiffen mit weit mehr Deutlichfeit, daß unfer Wille frei 
ift, als daß Alles, was gefchieht, eine Urfache Haben müffe. Könnte 
man alfo nicht einmal da8 Argument umkehren und fagen: Unfere 
Begriffe von Urfache und Wirkung müffen fehr unrichtig fein, weil 
unfer Wille nicht frei fein könnte, wenn fie richtig wären ? 


Das Wefen, ba8 wir am reinften aus ben Händen ber 
Natur empfangen, und was uns zugleich am nädften gelegt 
wird, find wir felbft; und doch wie ſchwer ift da Alles und 
wie verwidelt! Es fcheint faft, wir follen bloß wirken, ohne 
uns felbft zum Gegenftande der Beobachtung zu machen. Sobald 
wir und zum Gegenftande der Beobadhtung machen, ift es faft ei» 
nerlei, ob wir aus dem Haynberg den Urfprung der Welt, oder aus 
unfern Verrichtungen bie Natur unferer Seele wollen Pennen lernen. 


Selbſt unfere häufigen Irrthümer haben den Nugen, baß 
fie ung am Ende gewöhnen zu glauben, Alles Fönne anders 
fein, als wir es uns vorftellen. Auch biefe Erfahrung kann ge- 
neralifirt werden, fo wie das Urfachenfuchen; und fo muß 
man endlich zu ber Philofophie gelangen, bie felbft die Noth⸗ 
mwendigfeit von dem Satze des Widerfpruch8 Teugnet. 


71 
Die beiden Begriffe von Sein und Nichtſein find bloß 
undurchdringlich in unfern Geiftesanlagen. Denn eigentlich, 
wiffen wir nicht einmal, was fein ift, und fobald wir uns 
ins Definiren einlaffen, fo müffen wir zugeben, baß etwas 
exiſtiren kann, mas nirgends. if. Kant fagt auch fo etwas 
irgendwo. 


Es iſt doch fürwahr zum Erſtaunen, daß man auf die 
dunkeln Vorſtellungen von Urſachen den Glauben an einen Gott 
gebaut hat, von dem wir nichts wiſſen, und nichts wiſſen kön⸗ 
nen. Denn alles Schließen auf einen Urheber der Welt iſt im⸗ 
mer Anthropomorphismus. 


Anſtatt daß ſich die Welt in uns fpiegelt, ſollten wir viel⸗ 
mebr fagen, unfere Vernunft fpiegele fi in ber Welt. Wir 
fünnen nicht anders, wir müffen Ordnung und weife Res 
gierung in ber Welt erfennen, bieß folgt aus ber Einrich⸗ 
tung unſerer Denkkraft. Es ift aber. noch Feine Folge, daß 
etwas, was wir nothwendig benfen müffen, auch wirklich fo 
ift, denn wir haben von der wahren Befchaffenheit der Außen: 
welt gar feinen Begriff; alfo daraus allein läßt fich Fein Gott 
erweiſen. 


In allen Dingen in ber Welt gibt es ein Coup d’ Oeil, 
das heißt, jeder vernünftige Menfch, der etwas hört ober fiebt, 
urtbeilt inflinetmäßig baräber. Er ſchließt z. B. aus dem Titel 


72 


bes Buchs und beffen Die auf den innern Werth. Wohlver- 
ftanden, ich fage nicht, daß biefe Dinge fein eigentliches Urtheil 
lenken, fondern nur, daß er mit dem erften Anblide einer Sache 
auch ein, diefer geringen Information proportionirtes, Urtheil 
von ihr verbindet, oft ohne baß er fi) befien deutlich bewußt 
wird. Auch hebt bie Erfahrung ber nächſten Secunde das Ur⸗ 
theil oft wieder auf. Alles biefes find Samenkörner von Wiffen- 
fhaften, aus denen ein Lambert etwas hätte ziehen können; 
allein fo wie nicht aus jedem Samen ein Baum oder Küchen» 
kraut wird, fo eben auch bier. Indeſſen find dieſe Winke nie 
aus ber Acht zu laſſen; fie find die Refultate vieler empfangenen 
Eindrüde in ber verftändlichften Summe conftruirt. 


Das Möferifhe Mehl und nicht die Mühle iſt vortref- 
lich; Früchte der Philofophie und nicht die Philofophie. Wenn 
wir fragen, wie viel Uhr es ift, fo wollen wir nichts bon der 
Einrichtung der Taſchenuhr wiffen. Die Kenntniß der Mittel ift 
heutzutage eine rühmliche Wiffenfchaft geworden, und Niemand 
gebraucht fie zu feinem Glück und dem Glücke ber Welt. Kennt» 
niß der Mittel ohne eine eigentlihe Anwendung, ja ohne Gabe 
und Willen fie anzuwenden, ift, was man jest gemeiniglich 
Gelehrſamkeit nennt. 


Es ift mir Peine Betrachtung angenehmer, als bie, in ben 
polirteften Zeiten Spuren von Gebräuchen der roheften Völker 
aufzufuchen, freilich ebenfalls verfeinert. (Es ift unmöglich, daß 


713 


ein Volk lange in einer Gattung feiner Kenntniffe zunehmen 
fol, ohne in den andern auch mit zuzunehmen, wenigftens nicht 
ohne Scheiterhaufen.) So wird es einem fceharfen Beobachter 
nicht fchwer werden, einen fubtilen Schamanismus (geiftliche 
Zafchenfpielerei) felbft auf unfern Kanzeln zu finden.” Solche 
Dinge aufzufinden, barf man nur bie Reihe auffuchen, in wel: 
cher der Schamanismus liegt. Alles läßt ſich verfeinern, und 
Alles läßt fich vergröbern — ein vortreffliches Erfindungsmittel. 





Es ift ein großer Unterfchied zwifchen etwas glauben, und 
das Gegentheil nicht glauben können. Ich kann fehr oft etwas 
glauben, ohne es beweifen zu können, fo wie ich etwas nicht 
glaube, ohne es wiberlegen zu Fünnen. Die Seite, bie ich 
nehme, wird nicht durch ftrieten Beweis, ſondern durch das 
Übergewicht beſtimmt. 

Was, wie ich glaube, die meiſten Deiſten ſchafft, zumal 
unter Leuten von Geiſt und Nachdenken, find bie unveränderli⸗ 
chen Gefeße in ber Natur. Je mehr man fih mit denfelben be« 
kannt macht, deſto wahrfcheinlicher wird es, daß es nie anders 
in der Welt bergegangen, als e8 jekt darin hergeht, und baß 
nie Wunder in der Welt gefchehen find, fo wenig als jept. 
Daß ganze Zeitalter hintergangen werden, und nod) leichter ein- 
zelne Menſchen, daß man aus taufendfachen Intereſſe etwas 
glaubt, daß es fogar ein Vergnügen fein kann, etwas zu glaus 
ben, was man nicht unterfucht bat, das ift gar Lin Usulurt, 


74 


bas fehen wir täglich; bag aber die Sonne beim Vollmond ver- 
finftert, Waſſer in Wein verwandelt wird, u. bergl. ift unbegreiflich. 


Wer die Gefchichte der Philofophie und Naturlehre betradh- 
ten will, wirb finden, daß bie größten Gntbedungen von Leu⸗ 
ten find gemacht worden, die das für bloß wahrfcheinlich hiel⸗ 
ten, was Andere für gewiß ausgegeben haben; alfo eigentlid 
von Anhängern ber neuern Akademie , bie das Mittel zwifcher 
ber firengen Buverläffigfeit bes Stoiferd und ber Ungewißheit und 
Gleichgültigkeit des Skeptikers hielt. Eine folche Philoſophie ift 
um fo mehr anzurathen, als wir unfere Meinungen zu ber Beit 
fammeln, da unfer Verſtand am ſchwächſten iſt. Dieſes Letztere 
verdient in Abſicht auf Religion in Betrachtung gezogen zu werden. 


Es iſt zum Erſtaunen, was für mannichfaltige Stufen von 
Belehrung uns unfere Einrichtung gewährt, von ber unerklär- 
fihften Ahnung bis zu den deutlichften Einfichten bes Berflan- 
bes. Es ift eine meiner Lieblingsbefchäftigungen, fie zu analy« 
firen. Saft jeder Überlegung geht ein gewiſſes beflimmendes 
Gefühl vorher, das bei glüdlichen Gemüthsbefchaffenheiten ſelten 
trügt, und das ber Verſtand nachher nur gleihfam ratificirt. 
Die Ihiere werden vielleicht bloß durch ſolche Ahnungen geleitet. 


Man irrt ih, wenn man glaubt, daß alle unfer Neues 
bloß der Mode zugehörte, es ift etmas Feſtes darunter. Fort⸗ 
gang ber Menfhheit muß nicht verfannt werben. 


75 


Mir ift es unbegreiflich, warum ber Zuſtand ber umendli- 
chen Herrlichkeit nicht lieber gleich angeht,‘ da doch diefes Leben 
nur überhaupt ein verfehwindender Punkt ift. 


Ih glaube, es ift ein großer Unterfchied zwiſchen Verl 
nunft lehren und vernünftig fein. Es kann Leute ge 
ben, die nichts weniger ald eigentlich) gefunden Verſtand befigen, 
und doch vortrefflich über die Regeln nachdenken, die er befolgen 
muß; fo wie ein Phyfiologe ben Bau bes Körpers Fennen, und 
Teldft fehr ungefund fein Fann. Die großen Analyften des menfch: 
lihen Kopfs waren nit immer bie Praftifch - Vernünftigen. 
Ich rede bier nicht von Moral, fondern von Logik. 


Ich glaube, ber ficherfie Weg, den Menfchen weiter zu 
bringen, wäre, durch die polirte Vernunft des verfeinerten Mens. 
fhen bie blinden NRaturgriffe des Barbaren (der zwifchen dem 
Wilden und Feinen in der Mitte flieht) mit Philofophie zu ver: 
feinern. Wenn e8 einmal in der Welt feine Wilden und Peine 
Barbaren mehr gibt, fo ift e8 um uns gefchehen. 





Bu den feinften Ramiflcationen unferer Wiffenfchaften und 
Künfte liegt irgendwo der Stamm in unferer Wildheit oder 
Barbarei (dem Mittelzuftand zwifchen Wildheit und Verfeine⸗ 
rung); biefen aufzufuchen,. wie viel Philofophie erforderte es 
nit, aber wie viel Nuten hätte e8 auch! 


76 


So wie bie Völker ſich befjern, beffern fi) auch ihre Göt⸗ 
ter; weil man legtern aber nicht gleich alle die, menſchlichen 
Eigenfchaften nehmen kann, die ihnen rohere Beiten angebichtet 
baden, fo hält die vernünftige Welt Manches noch eine Zeit 
lang für unbegreiflih, oder erklärt es figürlich. 


&o lange die verfchiedenen Religionen nur verſchiedene Reli⸗ 
gionsfpradhen find, fo ift Alles recht gutz nur muß bie Abficht, 
der Sinn einerlei und gut fein. Was liegt endlidy daran, ob 
einer vor einem bölzernen Chriſtus niederfält, wenn er nur 
dadurch zum Guten geleitet wird. Nur muß die Religion an 
fi felbft die Prüfung aushalten, damit fie in jedem Dialekt, 
wie ih Semmler ausdrüdt, Gutes wirkten kann. Es vers 
räth wenig Weisheit bei manchen Leuten, daß ſie ſich über die 
religiöſen Gebräuche Anderer luſtig machen; ſie beweiſen durch 
ihre Aufführung, daß ſie den ganzen Sinn der Bibel nicht 
faſſen. Wenn bei dem Volke Zweifel entſtehen, ſo muß ſie der 
Gelehrte zu heben wiſſen; allein es verräth unbeſchreiblichen 
Unverſtand, wenn Gelehrte gegen die Religion des Volks ſchreiben 
und daran zu Helden werden wollen. Semmler ſagt ſogar): 
nicht alle Menfchen müffen unfere chriftliche Religion haben. 


Die Menfhen glauben überhaupt fchwerer an Wunder, als 
an Traditionen von Wundern, und mancher Türke, Jude u.f.w. 


) In feinem Leben, 2. Th. ©. 114. 


77 


ber fich jest für feine Traditionen tobt fchlagen ließe, würde bei 
dem Wunder felbfi, als es geſchah, fehr Laltblütig geblieben 
fein. Denn in dem Augenblide, da das Wunder geſchieht, bat 
es fein anderes Anfehen, als bas ihm fein eigener Werth gibt; 
es phufifch erklären, ift noch Feine Freidenferei, fo wenig als es 
für Betrug halten, Blasphemie. Überhaupt ein Factum leug— 
nen, ift an fi) etwas Unfchuldiges; es wird nur in ber Welt 
gefährlich in fo fern, als man Andern daburch mwiderfpricht, die 
feine Unleugbarkeit in Schub genommen haben. Manche Sache, 
bie an fih fehr unwichtig ift, wirb dadurch wichtig, daß fich 
Leute don Anfehen ihrer annehmen, die man für wichtig häft, 
ohne eigentlich zu mwiffen warum. Wunder müſſen in der Ferne 
gefehen werden, wenn man fie für wahr, fo wie Wolfen, wenn 
man fie für fefte Körper halten fol. 


Es ift mir nichts angenehmer, ald da, wo meine Zu⸗ ober 
Abneigungen vor meiner Vernunft vorhergehen, aufzufuchen, 
wie fie mit ihr zufammenhängen. Mit andern Worten, mir 
bewußt zu werden, daß ich das in ber Welt fei, oder warum 
ich das fei, was ich bin. — Sch glaube überhaupt, daß unfere 
ganze Philofophie darin befteht, uns befjen beutlich bewußt zu 
- werben, was wir fehon mechanifch find. Es ift fehr fonderbar, 
daß uns ber Himmel fo viel Spielraum gegeben bat. Ders 
mutblich können wir fo häufig im Scherz fehlen, damit wir uns 
nicht bei unferem freien Willen einfallen Taffen im Ernſt zu fehlen. 


78 


So wie es fhon ſchmerzt, mande Entbedung nit gemacht 
zu haben, fobald man fie gemacht fieht, obgleih noch ein 
Sprung nöthig war, fo ſchmerzt es unendlich mehr, taufenb 
Feine Gefühle und Gedanken, die wahren Stügen menfchlicher 
Philofophie, nicht mit Worten ausgebrüdt zu haben, die, wenn 
man fie von Andern ausgebrüdt fiebt, Erſtaunen erweden. 
Ein gelernter Kopf fchreibt nur zu oft, was Alle fchreiben kön⸗ 
nen, und läßt das zurüd, was er fihreiben könnte, und wo⸗ 
durch er verewigt werben würde. Solche Bemerkungen, wie 
Hartknopf beim Siehbrunnen macht, babe ich in meinem Leben 
fehr viele gemacht. 


Für den Geift bes Menfchen ift nicht minder geforgt, als 
für ben Leib der Thiere; was bier Trieb und Kunfttrieb beißt, 
ift dort gefunder Menfchenverfiand. Beide find einer Erftidung 
fähig, nur mit dem Unterſchiede, baß das Thier diefe nur von 
außen, ber Menfch auch von innen erhalten kann. Das Thier 
ift für fih immer Subject, der Menfch ift ih auch Object. 


Wenn bie Welt noch eine unzählbare Zahl von Sahren 
fteht, fo wird die Univerfalreligion geläuterter Spinozismus fein. 
Sich felbft überlaffene Vernunft führt auf nichts Andres hinaus, 
und es ift unmöglich, daß fie auf etwas Andres hinausführe. 


Im Religionshaß Liegt ficherlich etwas Wahres, alfo ver: 
muthlih etwas Nügliches, Ich wünſchte fehr, man möchte 


" 79 


diefes ausfinden. Unſere Philofophen fprechen vom Religionshaß 
als von etwas, das fidh vielleicht wegraifonniren ließe; das iſt 
aber ſicherlich nicht. 


Eine der größten Raffinerieen des menſchlichen Geiſtes iſt 
unſtreitig die, daß man der Menſchen Hoffnungen auf einen 
Zeitpunkt zuſammengezogen hat, von welchem ſich (wenigſtens 
mit geometriſcher Gewißheit) nie etwas Entſcheidendes für oder 
wider ausmachen laſſen wird; obgleich ein undeutliches 
Gefühl, das ſchwer zu entwickeln iſt, nur altzu deutlich zeigt, 
daß Alles nichts iſt. 


Ich und mich. Ich fühle mich — find zwei Gegenſtände. 
Unſere falſche Philoſophie iſt der ganzen Sprache einverleibt; 
wir können ſo zu ſagen nicht raiſonniren, ohne falſch zu raiſon⸗ 
niren. Man bedenkt nicht, daß Sprechen, ohne Rückſicht von 
was, eine Philoſophie iſt. Jeder, der Deutſch ſpricht, iſt ein 
Volksphiloſoph, und unſere Univerſitätsphiloſophie beſteht in Ein⸗ 
ſchränkungen von jener. Unſere ganze Philoſophie iſt Berichti⸗ 
gung des Sprachgebrauchs, alſo, die Berichtigung einer Philo⸗ 
ſophie, und zwar der allgemeinſten. Allein die gemeine Philo⸗ 
ſophie hat den Vortheil, daß ſie im Beſitz der Declinationen und 
Conjugationen iſt. Es wird alſo immer von uns wahre Philo⸗ 
ſophie mit der Sprache der falſchen gelehrt. Wörter erklären 
hilft nichts; denn mit Wörtererklärungen ändere ich ja die Pro⸗ 
nomina und ihre Declination noch nicht. 


80 


Wir mögen uns eine Art uns die Dinge außer uns vorzu⸗ 
ftellen gebenten, welche wir wollen, fo wird und muß fie immer 
etwas von dem Subject an fi) tragen. Es if, dünkt mid, 
eine fehr unpbilofophifche Idee, unfere Seele bloß als ein lei⸗ 
dendes Ding anzufehen; nein, fie leihet auch den Gegenftänden. 
Auf diefe Weife möchte e8 Bein Wefen in der Welt geben, bas 
die Welt fo erfennte, wie fie iſt. Ich möchte diefes die Affini- 
täten der Geifters und ber Körperwelt nennen, und ih Bann 
mir gar wohl vorftellen, daß ed Wefen geben könnte, für bie 
die Orbnung bed Weltgebäubes eine Muſik ift, wornach fie tan: 
zen können, während der Himmel auffpielt. 


Die größte Inconfequenz, bie ſich bie menfchlihe Ratur je j 
bat zu Schulden kommen laffen, ift wohl gewiß,. daß fi) bie 
Vernunft fogar unter das Jod eines Buches gefchmiegt hat. 
Man kann fih nichts Entfeplidhers denken, und biefes Beifpiel 
allein zeigt, was für ein hülfloſes Gefchöpf ber Menſch in Con⸗ 
ereto, ich meine in diefe zweibeinige Phiole aus Erde, Waſſer 
und Salz eingefchloffen, if. Wäre ed möglidh, daß die Ber- 
nunft fi) je einen befpotifchen Thron erbauete, fo müßte ein 
Mann, ber im Ernft das Copernicanifhe Syſtem durch bie 
Auctorität eines Buchs widerlegen wollte, gehenft werben. Daß 
in einem Buche fieht, es fei von Gott, ift noch Fein Beweis, 
daß es von Gott ſei; daß aber unfere Vernunft von Gott fei, 
ift gewiß, man mag nun das Wort Gott nehmen, wieman 
will. — Die Vernunft ftraft da, wo fie herrſcht, bloß mit ben 


81 


natürlichen Folgen des Vergehens oder mit Belehrung, wenn 
belehren ſtrafen genannt werden kann. 


Was bin ich? Was ſoll ich thun? Was kann 
ih glauben und hoffen? Hierauf reducirt ſich Alles in 
ber Philoſophie. Es wäre zu wünſchen, man könnte mehr 
Dinge fo fimplicificiren; wenigftens follte man. verfuchen, ob 
man nicht Alles, was man in einer Schrift zu tractiren gedenkt, 
gleih anfangs fo entwerfen könnte. 


Man Fann nicht genug beberzigen, daß die Eriftenz 
eines Gottes, bie Unſterblichkeit ber Seele u. bergl. 
bloß geben?bare, aber nicht erkennbare Dinge find. Es 
find Gedankenverbindungen, Gebankenfpiele, denen nicht etwas 
Objectived zu correfponbiren braucht. Es war ein großer Fehler 
ber Wolfiſchen Philofophie, daß fie den Sat bes Widerſpruchs 
auf das Erkennbare ausbehnte, da er doch eigentlich bloß das 
Denkbare angeht. 


Wenn man über Idealismus in verfchiedbenen Stadiis des 
Lebens nachdenkt, fo geht es gemeiniglich fo: zuerſt ald Knabe 
lächelt man über die Albernheit defielben; etwas weiter findet 
man bie Vorftellung artig, wigig und verzeihlich ;’ disputirt gern 
barüber mit Leuten, bie ſich ihrem Alter oder Stand nad noch 
im erſten Stadio befinden. Bei reifen Jahren findet man ihn 
zwar ‚ganz finnreih, fih und Undere bamit zu neden, aber im 

I. & 


82 


Ganzen kaum einer Widerlegung wertb und der Natur wiber: 
fprehend. Man hält es nicht der Mühe werth, weiter daran zu 
den?en, weil man glaubt, oft genug baran gedacht zu haben. 
Aber weiterhin befommt er, bei ernftlihem Nachdenken und 
nicht gang geringer Befanntfchaft mit menſchlichen Dingen, eine 
ganz unüberwindlide Stärfe. Denn man barf nur bedenken, 
wenn e8 auch Gegenflände außer uns gibt, fo können wir ja 
von ihrer objectinen Realität fchlechterdings nichts willen. Es 
verhalte ſich Alles wie e8 wolle, fo find und bleiben wir ja doch 
nur Idealiſten, ja wir können fchlechterbings nichts Andres fein. 
Denn Alles kann uns ja nur bloß durch unfere Borftellung ges 
geben werden. Zu glauben, daß diefe Borftellungen und Em: 
pfindungen burch äußere Gegenflände veranlaßt werden, ift ja 
wieder eine Borfielung. Der Idealismus ift ganz unmöglich 
zu widerlegen, weil wir immer Spealiften fein würden; felbft 
wenn es Gegenftlände außer uns gäbe, weil wir von biefen 
Gegenftänden unmöglich etwas wiffen Fünnen. So wie wir 
glauben, daß Dinge ohne unfer Zuthun außer uns vorgehen, fo 
fönnen auch die Vorftellungen davon ohne unfer Zuthun in uns 
vorgeben. Wir find ja auch ohne unfer Buthun geworden, 
was wir find. Die Urfahe, warum fo viele Menfchen dieſes 
nit fühlen, ift, daß fie mit dem Wort Vorftellung einen fehr 
unvollftändigen Begriff verbinden, nämlich den von Traum und 
Phantafie. Diefes find freilich Gattungen von Vorſtellungen, 
aber fie erfchöpfen das Genus nicht. Hierin liegt unitreitig ber 
Grund des Mißverftänbniffese. Man muß erft eins werden über 


- 83 


dad, was man unter Borftellungen verſteht. Sie find ficherlich 
von verfchiebener Art, aber Peine enthält irgend ein deutliches 
Beichen, daß fie von außen komme. Ja, was if außen? 
was find Gegenflände praeter nos? Was will bie Präpofition 
praeter fagen? Es ift eine bloß menſchliche Erfindung; ein 
Name, einen Unterfchied von andern Dingen anzubeuten, bie 
wir nicht praeter nos nennen. Alles find Gefühle. 





AÄußere Gegenftände zu erfennen, ift ein Widerfpruch; 
ed ift dem Menfchen unmöglich, aus fi) heraus zu gehen. Wenn 
wir glauben, mir fähen Gegenftände, fo fehen wir bloß uns. 
Wir können von nichts in der Welt etwas eigentlich erkennen, 
als uns felbft, und die Veränderungen, bie in uns vorgehen. 
Eben fo Fönnen wir unmöglidy für Andere fühlen, wie man 
zu fagen pflegt; wir fühlen nur für uns Der Sag klingt 
bart, er ift e8 aber nicht, wenn er nur recht verftanden wird. 
Man liebt weder Bater, noch Mutter, nod Frau, nod- Kind, 
fondern die angenehmen Empfindungen, bie fie und machen; 
es fchmeichelt immer etwas unferem Stolze und unjerer Eigen: 
liebe. Es iſt gar nicht anders möglih, und wer den Cap 
leugnet, muß ihn nicht verfiehen. .. Unfere. Sprache darf aber 
in biefem Stüde nicht philofophifh fein, fo wenig als fe in 
Rüdficht Auf das Weltgebäude Copernieaniſch fein darf. Aus 
nichts leuchtet, glaube ich, des Menfchen höherer. Geiſt fo ſtark 
bervor, als daraus, daß er fogar ‚den Betrug aubfindig zu 


maden weiß, den ihm gleichfam die Natur Igielen wir. WS 
.. S* 


84 


bleibt die Frage übrig: wer bat Recht, ber, welcher glaubt, er 
werde betrogen, oder ber es nicht glaubt? Unſtreitig bat ber 
Recht, ber glaubt, er werde nicht betrogen. Aber das glauben 
auch beide Parteien nicht, baß fie betrogen werden. &obalb 
ich e8 weiß, fo ift es kein Betrug .mehr. - Die Erfindung der 
Sprade ift vor der Philofophie hergegangen, und das iſt es, 
was die Philofophie erfhwert, zumal wenn man fie Anbern 
verftändlihd maden will, bie nicht viel felbft denken. Die 
Philofophie ift, wenn fie ſpricht, immer gemärhiet ‚ bie Spradhe 
der Unphilofophie zu reden. 





Es ift gewiß fehr fehwer, zu fagen, wie wir zu bem Begriff 
außer uns gelangen, ba wir boch eigentlich bloß in uns 
empfinden. Etwas außer fi) empfinden, ift ein Widerſpruch; 
wir empfinden nur in uns; bad, was wir empfinden, ift bloß 
Mobdification unfer felbft, alfo in uns. Weil biefe Beränbe- 
rungen nidt von uns abhängen, fo fihieben wir fie andern 
Dingen zu, bie außer uns find, und fagen, es gibt Dinge 
außer und. Man follte fagen praeter nos, aber bem preeter 
fubftituiren wir die Präpofition extra, bie etwas ganz Anderes 
ift; das ift, wir denken uns biefe Dinge im Raume außerhalb 
unfer; das ift offenbar nicht Empfindung,. fondern «8 fcheint 
etwas zu fein, was mit ber Natur unferes ſinnlichen Erfenntnißs 
bermögens innigft verwebt ift; es ift bie Form, unter ber uns 
jene Vorftelung bed praeter nos gegeben ift — sorm der Sinn⸗ 
lichkeit. 


85 


Philoſophie ift immer Scheibefunft, man mag die Sache wen: 
den, wie man will. Der Bauer gebraucht alle Säge ber abftrarteften 
Philofophie, nur eingewidelt, verftedt, : gebunden, wie ber Phy⸗ 
fiter und Chemiker fagt; der Philoſoph gibt uns die reinen Sätze. 





Man muß in der Welt und im Reiche ber Wahrheit frei 
unterfuchen, es koſte was es wolle, ‚und fih "nicht barum be⸗ 
fümmern, ob ber Sak in eine Familie gehört, worunter einige 
Glieder gefährlich werben können. Die Kraft, bie dazu gehört, 
fann fonft wo nützen. 





Vielleicht könnte man fi die Sache fo vorftellen: Wir be- 
figen ein Bermögen, Eindrüde zu empfangen, das ift unfere 
Sinnlichkeit. Durch biefe werden wir uns ber Veränderungen 
bewußt, bie in und vorgeben; bie Urfachen dieſer Veränderun⸗ 
gen nennen wir Gegenftände. Diefe Gegenftände find wir. felbft 
nicht allein. Wir bemerken Veränderungen, Eindrüde in un, 
wovon wir auch ben Grund in uns felbft fuchen, weil wir uns 
bewußt find, daß fie von uns abhängen, ober in uns find, So 
find wir uns des jebesmaligen Buftandes unferer Seele bewußt. 
Diefed Vermögen ift der. innere Sinn Wo id alfo fage, 
das geht in mir vor, fo erfahre ich biefes durch ben innern 
Sinn. ‚Gefühl der Aufmerkfamkeit,. Spontaneität. Hier find 
wir felbft Gegenſtand und Beobachter, Object und Subject. 

Allein nun.gibt es auch Eindrüde, wovon wir mit nicht 
zu überwältigender Überzeugung empfinden, daß. wir Sy ww 


86 


pfangendes Subject, aber nichts weniger ald Object find. Biel 
leicht wäre e8 genug, bier zu fagen, jene Gegenflände wären 
praeter nos, etwas von und Berſchiebenes — das, follte man 
denken, wäre das Ginzige, was wir empfinden könnten. . Daß 
fih aber dieſes praeter nos in ein extra nos verwandelt, baß 
wir damit Entfernung von uns im Raume verbinden, unb 
damit verbinden müffen,, das fcheint das nothwendige Erforder⸗ 
niß unferer Natur zu fein. Da biefe VBorftelung Nothwendig⸗ 
feit mit fih führt, fo kann fie nicht von der Erfahrung herrüh⸗ 
ren, benn Fein Erfahrungsfak implicirt Nothwenbigfeit. Ja, 
wir müſſen uns fogar den Raum unendlich denken. Wie fün- 
en wir fo etwas erfahren? Das ift unmöglid. Ich glaube 
aljo, daß, wenn irgend ein Satz von aller Erfahrung unabe 
bängig ift, fo ift e8 der von ber Ausbehnung der Körper. 

Hier entfteht denn aber doch bie Frage (und ich kann nicht 
fagen, ob man barauf geantwortet bat): wenn den Körpern 
objective Realität verftattet wird, und ihnen Eigenſchaften zu⸗ 
fommen, fo wäre body unter unzähligen Fällen auch der mög: 
ih, daß fie diejenigen hätten, bie wir ihnen unferer Ratur 
nach beilegen müſſen, nicht weil fie fie haben, fondern weil 
unter den unzähligen möglichen Formen ber Anfhauung body 
auch biefe Übereinflimmung möglich wäre. Diefes wäre auch 
eine harmonia praestabilita. Allein bier ift wieder eine Frage, 
ob eine foldhe Frage zu thun verftattet iſt? ob ein Object das 
fein fann, was e8 einem Andern zu fein fcheint? Diefe ganze 
Frage ift Schon wieder Anthropomorphismus. Denn wie eme 


87 


pfindende und denkende Wefen von Objecten außer ihnen afflcirt 

werben können, wiſſen wir ja nicht, und können es nicht 
wiffen. In biefer Lage der Dinge ift es das Klügfte, was wir 
thun können, bei uns fteben zu bleiben, unfere Mobificationen 
zu betrachten, und uns um bie Befchaffenheit ber Dinge an fich 
gar nicht zu bekümmern. — 

So wie es nun mit dem Raume für die fo genannten 
äußern Gegenſtände ift, fo ift es mit ber Zeit für die Gegen- 
ftände des innern Sinned. Veränderungen in uns felbft ſchauen 
wir an unter der Form von Dauer, Folge, Sleichzeitigkeit u. f. w. 


Was das Studium einer tiefen Philofophie fo fehr erfchwert, 
it, daß man im gemeinen Leben eine Menge von Dingen für 
fo natürlich und leicht hält, daß man glaubt, e8 wäre gar nicht 
möglih, daß es anders fein könnte; und doch muß man wiffen, 
daß man folcher vermeintlichen Kleinigkeiten größte Wichtigkeit 
erft einfehen muß, um das eigentlich fo genannte Schwere zu 
erflären. - Wenn ich fage: diefer Stein ift hart — alfo 
erft den Begriff Stein, ber mehreren Dingen zufommt, diefem 
Individuo beilege; alsdann von Härte rede, und nun gar das 
Hartfein mit dem Stein verbinde — fo ift dieſes ein folches 
Wunder von Operation, daß e8 eine Frage ift, ob bei Berfertigung 
manches Buches fo viel angewandt wird. „Aber find das nicht Sub⸗ 
tilitäten? braucht mar das zu wiffen ?“ — Was das Erfte anbetrifft, 
fo find es feine Subtilitäten, denn gerade an biefen fimpeln Fällen 
müffen wir die Operationen bes Berftandes Pennen lernen. Wollen, 


88 


wir biefes erft bei dem Zufammengefegten thun, fo ifl alle Mübe 
vergebens. Diefe leichten Dinge ſchwer zu finden, verräth Beine 
geringen Zortfchritte in ber Philofophie. — Was aber das An⸗ 
dere anbetrifft, fo antworte ih: Nein! man braudt es nicht 
zu wiffen; aber man braucht auch kein Philofoph zu fein. 


Für das Künftige forgen, muß für Gefchöpfe, bie das Künfs 
tige nicht kennen, fonbderbare Einſchränkungen leiden. Sich auf 
mehrere Fälle zugleich ſchicken, wovon oft eine Art bie andere 
zum Theil aufheben muß, ann von einer vernünftigen Gleiche 
gültigkeit gegen das Künftige wenig unterfchieden fein. 


Die mwenigften Menjchen haben wohl recht über ben Werth 
bes Nichtfeins gehörig nachgedacht. Unter Nichtfein nad) bem 
Tode ftelle ich mir ben Zuſtand vor, in bem ich mich befand, 
ehe ich geboren warb. Es ift eigentlich nicht Apathie, denn bie 
kann noch gefühlt werden, fondern es ift gar nichts. Gerathe 
ih in biefen Zuftand — mwiewohl bier die Wörter ich und Zu⸗ 
ftand gar nicht mehr paſſen; es ift, glaube ich, etwas, das 
dem ewigen Leben völlig das Gleichgewicht hält. Sein und 
Nichtſein flehen einander, wenn von empfindenden Wefen bie 
Rede ift, micht entgegen, fondern Nichtſein und höchſte 
Glückſeligkeit. Ich glaube, man befindet fidh gleich wohl, 
‚ In welchem von beiden Zuftänden man ift. Sein und abwar 
: ten, feiner Vernunft gemäß handeln, ift unfere Pflicht, da wir 
\da6 Ganze nicht überfehen. A 
Zt . Su F gr ——— 


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89 


Die Herren, bie gegen Kants Vorftellung von Raum und 
Beit disputiren, kann ‚man billig fragen, was fie denn eigentlich 
unter ihrer wahren Kenntniß der Gegenftände verfteben, und ob 
überhaupt eine ſolche Kenntniß möglich if. Alles, was ich em: 
pfinde, ift mir ja nur durch mich felbft gegeben, und jede Ein: 
wirfung eines Dings außer mir ift ja Wahrheit; was wollen 
iwir als Menfchen weiter? Es if ein Rabicalirrthum aller 
derer, bie gegen biefe Kantifchen Vorflelungen disputiren, daß 
fie diefelben für Idealismus, oder gar für einen Betrug bes Urs 
heber8 der Natur halten, wenn es fo wäre. Mein da alle 
Dinge in der Natur Beziehung auf einander haben, was kann 
reeller und wahrer fein, als diefe Beziehungen? Wenn ich fage: 
bie Körper nehmen einen Raum ein, fo fage ich etwas fehr 
Reelles, weil id von einer Beziehung auf mich rede. Aber be: 
baupten zu wollen, bie Körper objective nehmen einen Raum 
ein, ift gerade fo unfinnig, als ihnen eine Farbe, ober gar eine 
Sprache zuzufchreiben. — Wenn au aus allem diefem nichts 
erhellet, fo erhellet doch wenigftens fo viel baraus, baß es 
ein ganz vergebliches Bemühen ift, Hrn. Kant wiberlegen zu 
wollen. ! 


- Was fehr feltfam ift, bleibt felten lange unerklärt. Das 
Unerflärliche ift gewöhnlich nicht mehr feltfam, und ift es viel« 


leicht nie gewefen. 


Verſtand faßt Theorie fehr gut; Judicium enticheitet Gh 


J 


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90 


bie Anwendung. Daran fehlt es fehr vielen Menfchen, und 
öfters den größten Gelehrten und Theoretitern am meijten. 


Schon vor vielen Jahren habe ich gedacht, daß unfere Welt 
das Werk eined untergeordneten Weſens fein könne, und nod 
Fann ich von dem Gedanken nicht zurüdtommen. Es iſt eine 
Thorheit zu glauben, ed wäre Feine Welt möglich, worin Peine 
Krankheit, Fein Schmerz und Fein Tod wäre. Denkt man fidh 
ja doh ben Simmel fo. Bon SPrüfungszeit, von allmäliger 
Ausbildung zu reden, beißt fehr menfchlich von Gott denken unb 
ift bloßes Geſchwätz. Warum follte e8 nicht Stufen von Gei⸗ 
fiern bis zu Bott hinauf geben, und unfere Welt das Werk von 
einem fein können, der bie Sache noch nicht recht verfiand, ein 
Verſuch? ih meine unfer Sonnenfoftem, ober unfer ganzer Ne⸗ 
beiftern, der mit ber Milchftraße aufhört. WBielleicht find bie 
Nebelfterne, die Herſchel geſehen bat, nichts als eingelieferte 
Probeftüde, oder ſolche, an denen noch gearbeitet wird. Wenn 
ih Krieg, Hunger, Armuth und Peftilenz betrachte, fo kann ich 
unmöglich glauben, baß Alles das Werk eines höchſt weifen We⸗ 
ſens fei; oder e8 muß einen von ihm unabhängigen Stoff ges 
funden haben, von welchem e8 einigermaßen befihränft wurde; 


\ fo daß diefes nur refpective die beite Welt wäre, wie auch ſchon 


\päufig gelehrt worden ift. 
\ 


Wenn man bie Natur als Lehrerin, und die armen Men: 
fhen als Zuhörer betrachtet, fo ift man geneigt, einer ganz fon« 


91 


berbaren Idee vom menfchlihen Gefchlechte Raum zu geben. 
- Wir figen allefammt’ in einem Gollegio, haben bie Principien, 
die nöthig ſind, es zu verftehen und zu faffen, borchen aber im⸗ 
mer mehr auf die Plaudereien unferer Mitfchüler, als auf den 
Bottrag ‚der Lehrerin. Oder wenn ja einer neben uns etwas 
nachfchreist, fo fpiden wir von ihm, flehlen, was er felbft 
vielleicht undeutlich hörte, und vermehren es mit unfern eigenen 
ortbographifhen und Meinungsfehlern. 


Es gibt für jeden Grad des Wiffens gangbatSätze, von 
denen man nicht merkt, daß fie über dem Unbegreiflichen, ohne 
weitere Unterftügung , auf bloßem Glauben fchweben. Man bat 
fie, ohne zu wiffen, woher die Sicherheit kommt, mit ber man 
ihnen traut. Der Philofoph bat dergleichen fo gut, wie ber 
Mann, der ba glaubt, das Wafjer. fließe deßwegen immer bergab, 
weil e8 unmöglidy wäre, daß es bergauf fließen könne. 


Mit den Prärogativen der Schönheit und ber Glüdfe 
Iigteit bat «8 eine ganz verfchiedene Bewandtniß. Um: bie 
Vortheile der Schönheit in der Welt zu genießen, müffen an: 
dere Leute glauben, daß man ſchön ſei; bei der Glüdfeligkeit 
aber ift das gar nicht nöthig; es iſt vollkommen hinreichend 
daß man es felbft glaubt. 


Sollte e8 nicht eine fallacia caussae fein, ober wenigſtens 
viel davon mit unterlaufen, wenn man von dem Mutzen her 


92 


hriftlichen Religion mit fo vielem Enthuſiasmus fpriht? Sol: 
ten es nicht die guten Menfchen fein, bie bie Religion vers 
ehren; anftatt daß die Religion die guten Menfchen macht? 
Sie werden Anhänger und Bertheibiger der Religion, weil fie 
ihre Orundfäge predigt. So viel iſt wohl gewiß, _baf 
nicht leicht ein ſchlechter Menſch w viel um Religion befüms 
Wien wird, m 

Tr " . 

Ich babe Heydenreichs Briefe über ben Atheismus 
gelefen , undach muß befennen, daß mir, feiner Abſicht zumiber, 
die Briefe bes Atheiften fehr viel grünblicher gefchrieben zu fein 
fheinen, als die bed Gläubigen. Ich kann mid von einigen 
Behauptungen bed lehtern fchlechterbings nicht Überzeugen, und 
doch bin ich mit Anflrengungen ber Bernunft nicht fo ganz uns 
befannt, und an gutem Willen fehlt es mir auch nit. Es 
wird zu viel auf die Ausbreitung des moralifhen Bewußtfeins 
gerechnet, und ich möchte faft fagen, fi) hinter biefen Sag 
verftedt, um einem glauben zu machen, man fei moralijch trank, 
wenn man die Behauptung nicht verfieht. Hätten vie Erfinder 
biefer wohlgemeinten Säge anerkannte Infallibilität, fo könnte 
man fi gewöhnen, ihre Säge wahr zu finden, und fie könn⸗ 
ten von ihrer Seite fprechen: bein Glaube hat dir geholfen. — 
Aber was ift für den Menfchen ein folher Beweis für bie 
Eriftenz Gottes und ber Unfterblichkeit, den zu verftehen, ober 
eigentlih zu fühlen, unter Taufenden kaum Einer fähig ift? 
Soll der Glaube an Gott und Unfterblichkeit wirflih in einer 


93 


Welt wie biefe nügen, fo muß er wohlfeiler werden, ober er ift 
fo viel wie gar feiner. 


Eine ber feltfamfien Wortverbindungen , beren die menſch⸗ 


fihe Sprade fähig ift, iſt wohl bie: Wenn man nicht gebo- 
sen wirb, fo ift man von allen Leiden frei. 





- Eine der fonberbarften Anmenbungen, bie ber Menſch von 
der Bernunft gemacht bat, ift wohl bie, e8 für ein Meifterftüd 
zu balten, fie nicht zu gebrauden, und fo mit. Füügeln geboren 
fie abzufchneiden, Die Vertheidigung bes Mönchsweſens grün 
det fich gewöhnlich. auf ganz eigene Begriffe von Tugend, denen 
nicht unähnlich, bie einer von ben Wiffenfchaften haben müßte, 
um bie Tollhäufer für Akademieen berfelben zu erklären. 










Es wäre möglid, daß manche Lehren ber Kantifchen: Phi⸗ 
lofophie von Niemand ganz verftanden würden, unb jeber 
glaubte, der Andere verftänbe fie beſſer als er, unb. fidh baber 
mit einer unbdeutlichen Einfiht begnügte, oder gar mitunter 
meinte, es fei feine eigene Unfähigkeit, bie ihn verhinderte, fo . 
beutlich zu fehen, als Anbere. 





Alles was wir als Menſchen für reell erkennen müffen, 
ift e8 auch wirklich für Menſchen. Denn ſobald es nicht mehr 
verftattet ift, aus jenem  Naturzwange auf Wirklichkeit zu 
fließen, fo iſt an ein feftes Principium gar nicht wer m m 


96 


Nach einiger Zeit bemerkte ich mit großer Deutlichkeit, daß ich 
es gar nicht‘ gewahr geworben war, baß fich die Sprache, in 
der ich las, verändert hatte. Es war mir, als hätte ich immer 
Sranzöffh, oder immer Gnglifch gelefen. Ich bin überzeugt, 
wäre ich während biefer ungetheilten Aufmerkſamkeit auf biefen 
Gegenftand genöthigt geweſen, ein beutfhes Buch nachzuſchla⸗ 
‚gen, fo würde ich auch bier dem Übergang nicht bemerkt haben, 
denn biefe Sprachen find mir, was das bloße Berftehen, zumal 
in einer phyfitalifchen Materie, wie biefe war, angeht, ungefähr 
gleich geläufig. Man kann bieß wohl, ohne den Borwurf von 
Ruhmredigkeit zu befürchten, von filh fagen, ba es gewiß in 
Deutfhland Unzählige geben mag, bie fi) in demſelben Falle 
befinden. Und weßwegen führe ich diefes bier an? Um folgen» 
ber Betrachtung willen: Iſt e8 gut und vortheilhaft für unfern 
Geift fih fo zu gewöhnen? ich kann es unmöglich glauben. 
Ich ziele hierbei nicht auf ben Beitverluft, denn ber ift offenbar 
fehr groß, .fondern ich glaube, baß es auch fonft in pſychologi⸗ 
fher Rückficht ſchädlich ift, fo vielerlei Zeichen für diefelbe Sache 
im Kopfe zu ‚haben. Es könnte ba viel beffer eine neue Qua⸗ 
lität ſtehen, wo jegt ein neues Zeichen für eine alte flieht. So 
wie ih aus dem englifhen Werke zu dem franzöfifhen über- 
ging, mußte gleih ein ganz anderes Regifter gezogen werben, 
und doch merfte id das nit. Ich mwünfchte diefes unterſucht 
zu leſen. 


Es ift wohl gewiß, daß man über eine Sache fehr richtig 


97 


und weije urtbeilen kann, und dennoch, wenn man genötbigt 
wird, feine Gründe anzugeben, nur ſolche anzugeben im Stande 
ift, die jeder Anfänger in ber Art Fechtkunſt wiberlegen ann. 
Letzteres Fünnen oft die weifeften und beſten Menſchen fo wenig, 
als fie die Muskeln Eennen, womit fie greifen ober Klavier fpielen. 
Diefes ift fehr wahr und verdient weiter ausgeführt zu werben. 


Eine ber größten Stügen für die Kantifhe Philofophie ift 
die gewiß wahre Betradhtung, daß wir ja auch fo gut etwas 
find, als die Gegenftände außer und. Wenn alfo etwas auf 
und wirft, fo hängt die Wirkung nicht allein von dem wirfen- 
ben Dinge, fonbern aud von dem ab, auf welches gewirkt 
wird. Beide find, wie bei dem Stoß, thätig und leidenb zu- 
glei ; denn es ift unmöglich, daß ein Weſen die Einwirkungen 
eines andern empfangen kann, ohne daß die Hauptwirfung ge 
mifcht erfheine. Ich follte denken, eine bloße tabula rasa ift 
in dem Sinne unmöglih, denn durch jede Einwirkung. wird 
das einwirkende Ding mobificirt, und bes, was ihm abgeht, 
gebt bem andern zu, unb umgekehrt. 


Mit dem Nutritionsgefchäfte der Seele ſieht es ſehr betrübt 
aus: da gibt es Öffnungen genug, Nahrung einzunehmen ‚ aber 
ed fehlt an Gefäßen, das Gute abzufonbern , und hauptſächlich 
an primis viis, den unnützen Vorrath dem großen Ganzen der 
Bücherwelt wieder ‚auguführen, und in ben, Kreislauf su bringen. 


J. . . ' ' 0 


98 


Mie Vieles ift in uns nur durch eine beftändige Gewohn: 
beit von Kindheit an entflanden! Was für Ausfihten würden 
wir befommen, wenn wir unfer Kapital von Wahrheiten ein- 
mal von demjenigen entblößen fünnten, was ihnen nicht fowohl 
wefentlich ift, als vielmehr aus ber Öftern Wiederholung zus 
wächſt. 


Die gemeinſten Meinungen und was jedermann für ausge: 
macht hält, verdient oft am meiften unterfucht zu werben. 


Der Bauer, der glaubt, ber Mond fei nicht größer als ein 
Pflugrad, denkt niemals daran, daß in einer Entfernung von 
einiger Meilen eine ganze Kirche uns als ein weißer Punkt er« 
fheint, und daß der Mond hingegen immer gleich groß bleibt. 
Was hemmt bei ihm dieſe Verbindung ber Ideen, die er doch 
einzeln alle hat? Er verbindet in feinem gemeinen Leben auch 
wirklich Ideen, vielfeiht durch künſtlichere Bande, als wir. 
Diefe Betrachtung föflte den Philofophen doch aufmerffam mas 
hen, der vielleicht noch immer der Bauer bei gewiffen Berbin- 
dungen ift. Wir denken früh genug, aber wir wiffen nicht, daB 
wir denken, fo wenig als wir wiffen, daß mir wacfen ober 
verbauen. Viele Menfchen unter den gemeinen erfahren e8 fogar 
niemals. ine genaue Betrachtung der äußern Dinge führt 
leicht auf den betrachtenden Punkt, uns felbft, zurüd, und um: 
gekehrt, wer fich felbft einmal erft recht gewahr wirb, geräth 
leicht auf die Betrachtung der Dinge um ihn. Sei aufmerkfam, 


99 


empfinde nichts umfonft, meſſe und vergleihde — das ift das 
ganze Gefep ber Philofophie. 


Wir werden uns gewiſſer Vorftellungen bewußt, bie nicht 
von uns abhängen; Undere glauben, wir mwenigftens hingen von 
und ab; wo ift bie Grenze? Wir kennen nur allein bie Eriftenz 
unferer Empfindungen, Borftelungen und Gedanken. Gs denkt, 
folte man fagen, fo wie man fagt: es blitzt. Zu fagen co- 
gito , ift ſchon zu viel, fo bald man ed durch Ich denke über- 
feßt. Das Ich anzunehmen, zu poftuliren, ift praktiſches Be⸗ 
bürfniß. 


Mit eben bem Grabe von Gewißheit, mit dem. wir übers 
zeugt find, daß etwas in uns vorgeht, find wir auch überzeugt; 
daß etwas außer uns vorgeht. Wir verftehen die Worte in—⸗ 
nerhalb und außerhalb fehr wohl. Es wird: wohl Nie 
mand in ber Welt fein, auch wohl fchwerlich je geboren werben, 
der nicht diefen Unterfchieb empfände Fund das. if für die 
Philoſophie hinreichend; hierüber folkte fie nicht hinausgehen ; es 
tft doch Alles unnütze Mühe und verforne Zeit. Denn was auch 
bie Dinge fein mögen, fo ift doch wohl ausgemacht, daß wir 
fchlechterdings nichts von ihnen wiffen, als was in unferer Bor: 
ſtellung liegt. In biefer Rückſicht, die, wie ich glaube, richtig 
ift, iſt doch wahrlich ‚die Trage, ob ‚die Dinge wirklich außer 
uns vorhanden, und fo vorhanden find, wie wir fie. fehen, völ⸗ 
lig ohne Sinn, Iſt e8 nicht fonderbar, daß der Areals suis 

1» 


100 


etwas zweimal haben will, wo er an einem genug hätte und 
nothwendig genug haben muß, weil es von unfern Borftelluns 
gen zu ben Urfachen Feine Brüde gibt. Wir können uns nidt 
denken, daß etwas ohne Urfache fein könne; aber wo liegt denn 
diefe Nothwendigkeit? Wiederum in uns, bei völliger Unmög- 
lichkeit, aus und heraus zu gehen. — Es Liegt mir wahrlich 
wenig daran, ob man biefes Idealismus nennen will; auf ben 
Namen kommt nidts an. Es ift wenigftend ein Idealismus, 
der burch Idealismus anerkennt,’ daß e8.Dinge außer ihm gebe, 
und daß Alles feine Urfache habe. Was will man weiter? Es 
gibt ja Feine andere Wiffenfhaft für den Menfchen, wenigftens 
für den philofophifchen. Im gemeinen Leben beruhigt man fid 
mit Recht auf einer niebrigern Station; aber ich glaube nad 
völliger Überzeugung: man muß entweder von biefen Gegen» 
ftänden mit aller Philofophie völlig wegbleiben, ober fo philo: 
fophiren. Nach bdiefer Vorſtellung fieht man leicht, wie recht 
Hr. Kant bat, Raum und Zeit für bloße Formen ber Ans 
ſchauung zu halten. Es ift nicht anders möglich. 


Sollte nicht manches von dem, was Hr. Kant lehrt, zu- 
mal in Rüdfiht auf das Sittengeſetz, Folge bed Alters fein, 
wo Seidenfchaften und Meinungen ihre Kraft verloren haben, 
und Vernunft allein übrig bleibt? — Wenn das menfdliche 
Geflecht in feiner vollen Kraft, etwa mit dem 40ften Jahre, 
ftürbe, was für Folgen würde dieſes auf die Welt haben! Aus 
ber Berbindung der ruhigen Weisheit des Alters entfieht viel 


101 


Sonderbares. Ob es nicht noch einmal einen Staat geben wird, 
wo man alle Menſchen im Adften Jahre fchlachtet ? 


Hrn. Kant gebührt gewiß das nicht geringe Verdienſt, in 
ber Phyſiologie unſers Gemüths aufgeräumt zu haben. Aber 
diefe nähere Kenntniß ber Musfeln und Nerven wird uns weder 
beffere Klavierfpieler, noch beffere Tänzer geben. Mir fommt 
e8 auch zuweilen vor, als wenn er fi) durch den Beifall, ben 
feine Kritif ber reinen Vernunft erhalten bat, nachher zu meit 
bätte führen lafjen. 


Was heißt mit Kantifhem Geift denfen? Ich glaube, 
es beißt, bie Verhältniffe unfers Wefens, es fei nun was es 
wolle, gegen bie Dinge, bie wir außer und nennen, ausfin⸗ 
dig maden; das beißt, ‘die Verhältniffe des Subjectiven gegen 
das Objective beflimmen. Dieſes ift freilid immer ber Imed 
aller gründlichen Naturforfcher gewefen, allein bie Frage ift, ob 
fie e8 je fo wahrhaft philofophifce angefangen haben, als Hr. 
Kant. Man hat das, was doch ſchon fubjectiv ift und fein 
muß, für objectiv gehalten. 


Sollte e8 denn fo ganz ausgemadt fein, daß unfere Ver: 
nunft von bem Überfinnlichen gar nichts wiffen könne? Sollte 
nicht ber Menjch feine Ideen von Gott eben fo zweckmäßig 
weben können, wie die Spinne ihr Neg zum Fliegenfang? 
Oder mit andern Worten: follte eö'nicht Wefen geben, die uns 


102 


wegen unferer Ideen von Gott und Unfterblichkeit eben fo bes 
wundern, wie wife die Epinne und den Eeidenwurm? 


Iſt denn wohl unfer Begriff von Gott etwas Anderes als 
yerfonificirte Unbegreiflichkeit ? 


Alles beim Menfchen auf einfadhe Principien zurüdbringen 
mollen, beißt doch am Ende, dünft mich, vorausfegen, daß es 
ein folches Principium geben müffe, und mie beweift man das? 


Hr. Fichte feheint nicht zu bedenken, baß es Leute gibt, 
tieunmöglidy ohne Hohlglas fehen, ohne Hörrohr hören und ohne 
Krüde gehen können. Er follte auch nur noch lehren, rohes Fleiſch 
zu efien, weil bie Thiere bes Feldes eine Garküche haben. 


Es ift ein Satz, über welchen ich mich fogar zuweilen mit 
meinem Sohn unterhalte, daß, vorzüglich bei dem mathemati« 
fihen Genie, bie frühe Reife ber langen Dauer nicht nachtheilig 
it. Die Sade ift auch, wie mich dünkt, nicht ſchwer einzufes 
ben. Wenn Verftändlichfeit, und zwar unwiderſprechliche, für 
den Geift ift, was bei dem Magen Verbaulichkeit heißt, fo ift 
c8 auch Fein Wunder, zumal wo jene Nahrung gar feine Ems 
pirie vorausſetzt. Ich glaube, der Menfh würde ewig leben, 
wenn auch ber Leib das zu allen Zeiten mit efjen Fönnte *). 





*) Diefes ſchrieb der Verfaffer wenige Tage vor feinem Tobe 
an Käftnern. 


103 


Der Naturlehre ift, für mid wenigftens, eine Art von 
sinking fond (Xilgungsfond) für die Religion, wenn die vor: 
mwigige Vernunft Schulden mad. 





Nachtrag 
zu den Bemerkungen vermifchten Inhalts. 





Was man feine Menfchenkenntniß nennt, ift meiftens nichts 
als Reflerion, Zurüdftrahlung eigener Schwachheiten von Anderen. 


Ih entfchuldige immer das Theorifiren, es ift ein Trieb 
der Seele, der nügen kann, fobald wir einmal hinreichende Er⸗ 
fahrung haben. So fünnten alle unfere jekigen theorifirenden 
TIhorheiten Triebe fein, bie erft fünftig ihre Anwendung finden. 


Die vernünftigen SFreigeifter find Teichte fliegende Corps, 
immer voraus und die die Gegenden recognofriren, mohin das 
gravitätifche gefchloffene Sorpe der Orthodoxen am Ende doch 
auch Fommt. 


‚Vorfiellungen find auch ein Leben und eine Welt. 


- 


104 


Zweifel muß nichts weiter fein ald Wachſamkeit, fonft kann 
er gefährlich werben. 


Saden, die man mit dem Cirkel getheilt hat, unterwirft 
man doh auch noch dem Augenmaaß, um zu fehben, ob man 
nicht grobe Fehler begangen. So muß man das Refultat feiner 
Schlüffe der Probe des gefunden Menfchenverftandes ausfegen, 
um zu fehen, ob Alles richtig zufammenhängt. 


So wie das höchſte Recht das höchſte Unrecht ift, fo ift 
auch umgekehrt nicht felten das höchſte Unrecht das höchfte Recht. 


In allen Wiffenfhaften kann ed nügfich fein, Fälle zu ſup⸗ 
poniren, die nicht, fo viel wir wiffen, in ber Natur flattfinden, 
fo wie die Mathematiker andere Gefeße ber Schwere. Es ift 
immer eine Übung und kann zuweilen auf Bemerkungen führen. 


Ich wollte, daß ich mich Alles entmöhnen Pünnte, daß ich 
von neuem fehen, von neuem hören, von neuem fühlen Fünnte. 
Die Gewohnheit verdirbt unfere Philofophie. 


Man Fannn auf fo vielerlei Weife Gutes thun, als man füns 
digen kann, nemlich mit Oedanfen, Worten und Werfen. 


Wo damals die Grenzen der Wiffenfchaft waren, ba ift jebt 
(* Mitte. 


105 


Die gefährlichften Unmwahrheiten find Wahrheiten mäßig 
enteit, 


Wenn uns ein Engel einmal aus feiner Philofophie erzählte, 
ich glaube, e8 müßten wohl mandye Säge fo Füngen wie 2 mal 
2 ift 13. 


Die Natur hat den Thieren Einfiht genug gegeben, für ihre 
Erhaltung zu forgen. Sie wiſſen fi) alle fehr gut zu helfen, 
wenn ed auf diefen wichtigen Artifel anfommt. Den Menfchen 
bat fie fogar, bat fie faft inftinetmäßig gegen die Furcht vor or /p) 
dem Tode gewaffnet durch Glauben an Unfterblichkeit.. 


Wir find fo eingerichtet, daß wir wohl felten gültige Rich⸗ 
ter bdeffen fein werden, was uns nüßlich ift. In diefem Leben ift 
diefes der Fall, wer will uns gut bafür fein, daß e8 in Rück⸗ 
fiht auf Fünftiges Leben nicht eben fo iſt? Wen Gott lieb hat, 
den züchtigt er. Wie wenn es nun hieße: wen Gott lieb hat, 
ben vernichtet er ? 


Die Dinge außer uns find nichts Anderes, als wir fie ſehen, 
für uns wenigftens nicht, denn wir können bloß Relationen bes 
merfen, weil bie beobadhtende Subſtanz ja beſtändig in das 
Mittel tritt. Gott ſelbſt ſieht in den Dingen nur ſich. 





über den 1 Betibei, welchen bie Lefung- Schlechter Büder a 


106 


währt: Lönnte zu jegigen Zeiten eine fehr nützliche Lertüre wer: 
den. Dan Pönnte aus ihnen audy Denkmäler in papier mache 
maden. Ob überhaupt nicht das siehe | in der Welt nügli« 
her iſt als das Gute? 





Darin, daß man große Krieger bewundert, liegt etwas Na: 
türliches, fo wie in ber Eroberungsſucht. Das Erfte correfponbirt 
mit Schönheit und Leibeöftärke, das Andere mit Wohlſtand. GE 
wirb daher auch nie aus ber Welt binausphilofophirt werben können. 


Durch das planlofe Umberftreifen, durch bie planlofen Streif- 
züge der Phantafie wird nicht felten das Wild aufgejagt, das 
bie planvolle Philoſophie in ihrer wohlgeordneten Haushaltung 
gebrauchen kann. 


Es iſt ſonderbar, daß nur außerordentliche Menſchen die 
Entdeckungen machen, die nachher fo leicht und ſũnpel ſcheinen. 
Dieſes ſetzt voraus, daß, bie ſimpelſten aber wahren Berhält- 
niffe der Dinge zu bemerken, fehr tiefe Kenntniffe nöthig find. 


Aufklärung in allen Ständen befteht eigentlich in richtigen 
Begriffen von unfern wefentlihen Bebürfniffen. 


Eine Wirkung völlig zu hindern, dazu gehört eine Kraft, 
bie der Urfache von jener gleich ift, aber ihr eine andere Rich: 
tung zu geben, bebarf es öfters nur einer Kleinigkeit. 


107 


Wir nehmen Dinge wahr vernöge unferer Sinnlichkeit. 
Aber was wir wahrnehmen, find nicht die Dinge ſelbſt. Das 
Auge Schafft das Licht und das Ohr die Töne. Sie find außer 
uns nichts. Wir leihen ihnen biefes.. Eben fo iſt es mit bem 
Raum und der Zeit. Auch wenn wir bie Eriftenz Gottes nicht 
fühlten, beweifen fünnen wir fie nicht. Alle diefe Dinge führen 
auf eins hinaus. Es ift aber nicht möglid, ſich hiervon ohne 
tiefes Denken zu Überzeugen. Man kann Kantifche Philofophie 
in gewiffen Jahren, glaube ich, eben fo wenig lernen als dad 
Seiltanzen. 


Die Gultur der Seelen, wozu auch das Brannteweintrinken 
mit gehört, hat viele Spuren ausgelöfcht, dereinft zu finden, was 
ber Menfch urfprünglid war und fein follte. 


Wir müffen glauben, daß Alles eine Urſache habe, fo wie 
die Spinne ihr Netz fpinnt, um Fliegen zu fangen. Sie thut 
biefes, ehe fie weiß, daß es liegen in der Welt gibt. 


Das eigentlich Chriftlihe in unferer Religion ift die Seele 
aller Religion, das Übrige ift Körper. Vom fhönften Grie: 
hen bi8 zum Neger ift Alles Menſchen⸗Race. 


Es gibt Wahrheiten, die fo ziemlich herausgeputzt einherges 
ben, daß man fie für Lügen balten follte, und die nichts deſto 
weniger reine Wahrheiten find. 


108 


In ber Vernunft iſt ber Menſch, in den Leibenfchaften Bott. 
Ich glaube, Pope bat fchon fo etwas gefagt. 


Iſt es nicht fonderbar, daß der Glaube ſtärker werben kann 
als die Bernunft? Und ift es nicht bie Frage, weldes von 
beiden mehr Recht auf die Leitung unferer Handlungen hat, ba 
fie biefelben glei) ſtark leiten, wo fie zu berrfchen anfangen ? 


Mit dem Fortfchreiten der Menfchheit zu größerer Vollkom⸗ 
menbeit fiebt es traurig aus, wenn man bie Analogie alles 
deſſen, was lebt, zu Rathe zieht. 


Die neuen Erfindungen in der Philoſophie find faſt lauter 
Erfindungen neuer Irrthümer. 


Sollte wohl die Vernunft, oder vielleicht beffer der Ver⸗ 
fland, wenn er auf Endurſachen geräth, beffer daran fein, ale 
wenn er auf ein Dictat des Herzens gerät? Es ift ja noch 
eine große Frage, wodurch mir am ftärfften mit der uns ums 
gebenden Welt verbunden find, von Seiten des Herzens ober 
der Vernunft ? 


Geftern regnete e8 ben ganzen Tag und heute ſchien bie 
Sonne den ganzen Tag. Wie viele Begebenheiten meines Le⸗ 
bens würben eine andere Richtung genommen haben, wenn es 
beute geregnet und geftern die Sonne gefchienen hätte? Der 


109 


Winter von 1794 auf 1795 war fürchterlich” fireng, ber von 
1795 auf 96 fehr gelinde. Was für Weltbegebenheiten würden, - 
eine andere Richtung genommen haben, wenn die Ordnung umge 
kehrt geweien wäre? Sicherlich hätten: die Franzoſen Holland nicht 
erobert. Dergleichen Betrachtungen können Tepe weit füpren. 


Daß fo Mancher die Wahrheit ſutht und nicht findet, rührt 
wohl daher, daß die Wege zur Wahrheit, wie bie in ben No- 
gaifhen Steppen, von einem Orte zum andern eben fo breit 
wie lang find. . 


Die reine Philofophie pflegt (und faun: e8 nicht vermeiben) 
noch immer unvermerft ber Ziebe mit ber — unreinen. Unb 
fo wirb e8 gehen bis an das Enbe ber Zeit. 





Gine felavifche Handlung ift nicht immer bie Yanblung ei: 
nes Sclaven. 


Die Vernunft fieht jest über das Neich der bunfeln-nber 
warmen Gefühle juft fo hervor wie die. Alpen; Gpikan über 
bie Wolken. Sie fehen die Sonne reiner und beutliher, aber 
fe im kalt und unfruchtbat Sie brüſtet ſich mit ihrer oe 


Was die wahre Sreibeit unb ben wahren Gebrauch —* 
ben am deutlichſten charakterifirt, iſt der Mißbrauch derſelben. 


112 


r ” 2. 
Pſychologiſche Bemerkungen. 





Bergangener Schmerz ift in ber Erinnerung angenehm, vers 
gangened Vergnügen auch, Lünftiged Vergnügen wieder, auch 
gegenmwärtiges. Alfo iſts nur ber zukünftige und gegenwärtige 
Schmerz, was uns quälet — ein merkliches Übergewicht von 
Seiten ded Bergnügens in ber Welt, das noch daburch vermehrt 
wird, daß wir uns beftänbig Vergnügen zu verfchaffen fudhen, 
deſſen Genug wir in vielen Fällen mit ziemlicher Gemwißheit 
vorausfehen können, da hingegen ber noch Fünftige Schmerz 
weit feltner vorausgefagt werden kann. , 


Der witzige Kopf und mittelmäßige Denker wirb bei gewiffen 
Begebenheiten immer auf gefünftelte Erklärungen verfallen, auf 
die Niemand gerathen kann, als er, weil er ohne Plan und 
ohne Abficht denkt; hingegen wird der verfländige Mann immer 
nahe und fimple Urfachen angeben. Diefes ift nicht zu vergeffen, 
wenn ein foldhes Paar (im Roman) aufgeführt werben fol. 
Dem erftern find weithergeholte und feiner Meinung nad fub- 
tile Erklärungen eben fo natürlich, als feine witigen Gedanken 
und epigrammatifcdhen Perioden. 


113 


„Ss gibt hundert Wibige gegen einen ,- ber Berftand bat’ 
— ift ein wahrer Sap, womit fi) mancher wislofe Dummkop 
beruhigt, ber bedenken follte — wenn das nit zu viel vor 
einem Dummkopf gefordert beißt — daß es wieder hundert 
Leute, bie weder Wit noch Verſtand haben, gegen einen gebe, 
der Witz bat. 


Was geht ed dich an, was der Grund jener guten That bei 
biefem Manne gewefen fein mag? War audh nicht Neid bie 
Quelle derfelben, fo kann es doch bad Vergnügen, beneibet zu 
werden, gemwefen fein — alfo, nicht ber eigene Neid, fondern 
der Neid Anderer. | 


Glaubt ihr etwa, eure Überzeugung babe ihre Stärfe ben 
Argumenten zu danken? Ihr irrt fiherlid, fonft müßte Jeder, 
der fie hört, überzeugt werden, fo gut als ihr. Boltaire ift 
verblendet, fagen die Theologen; und er jagt: ihr feid verblendet. 
Da fie aber nicht gerichtlich darthun können, daß fie mehr Ber: 
nunft haben, als er, und er mehr Weltfenntnig und Philofophie 
befigt, als fie, fo ift noch ein Übergewicht auf feiner Seite. 
Man kann fo gut für ald wider einen Sag verblendet fein. 
Gründe find meiftentheild nur Ausführungen von Anfprüchen, 
wodurch man etwas, das man in jedem Fall doch gethan haben 
würbe, zu vertheidigen und ihm einen Anſtrich von Rechtmäßige 
feit und Vernunftmäßigkeit zu geben ſucht. Es fcheint, bie 
Natur babe eine fo nöthige Sache, als ihr die Überzeugung 

l. & 


— 


114 


beim Menfchen war, nicht gern auf Vernunftfhlüffe allein an⸗ 
gen laffen wollen, indem dieſe leicht betrügfich fein können. 
Mer Trieb kommt uns, dem Himmel fei e8 gedankt! oft. [don 
über den Hals, wenn wir mit den Beweis ber Riglipkeit i und 


Nöthigkeit noch nicht zur Hälfte fertig find. 


Wenn jemand etwas fehr gerne thut, fo bat er faft immer 
etwas in ber Sache, was die Sade nicht felbft iſt. Diefes ift 
eine Bemerkung, bie eine tieffinnigere Unterfuchung durch den 
nüglichften Erfolg belohnen würbe. 


Wer ſich nicht auf Mienen verfteht, ift immer graufamer 
ober gröber, als andere Leute; deßwegen kann man auch gegen 
Fleine Thiere eher graufam fein. 


Ich fagte bei mir felbfi: das fann ih unmöglich 
glauben, und während dem Sagen merkte ich, daß ichs ſchon 
zum zweitenmal geglaubt hatte. 


Plato ſagt, das poetiſche Genie werde durch die Harmonie 
und bie Versart rege gemacht, und dieſes ſetze den Dichter in 
den Stand, ohne Überlegung feine Gedichte zu verfertigen. Plato, 
thou reason’st well — ein jeder wird biefes bei ſich verfpürt 
haben, wenn er mit Feuer DBerfe gemacht hat. Vielleicht könn⸗ 
ten wir durch ähnliche Kunftgriffe unfere übrigen Fähigkeiten 
eben ſo in Bewegung fegen, hauptſächlich aud die Ausübung 


115 . 

ber Tugend dadurch befördern. Cine große Yertigfeit im Divi⸗ 
diren, und zwar nad) ber Methobe, die man Über ſich divi 
diren nennt, bie ich bei jemand bemerkte, brachte mir —*82 
Luft zur Kechenkunſt bei; ich dividirte mehr ber eiförmigen Ger 
ftalt der Rechnung wegen, als aus einer andern Abfiht. Ich 
babe ein paar junge Mathematifer gekannt (die in ber Folge 
ihre Ramen berühmt gemacht haben), die ein Bergnügen darin 
fanden, die Worte Caleul und Pues in dem Calcul auszu⸗ 
fpreden, daß ich nicht zmweifle, daß Pleine Rebenergöglichkeiten, 
die fie in dergleichen Vorftelungen fanden, Ihren Zleiß munter 
erhalten haben. 


Wir finden nur alddann Vergnügen, wo mir Abfidht be 
merken; wenigftens ift das ber Fall bei den Gegenftänden bes 
Auges und des Obres: ber Flügel eines Schmetterlings gefiel 
und anfangs wegen ber regelmäßigen Farben; bald wurden wir 
bieß gewohnt, und nun gefällt er und wieber, wern wir feben, 
baß er aus Federn befteht. So gefällt uns ber Quarz mehr 
als der unförmliche Sandften. Wir müffen daher das Regel: 
mäßige und Bmedmäßige in. den Dingen aufſuchen, um uns 


Vergnügen zu erwecken. 


Was iſt es, das da macht, daß wir uns zuweilen eines 
geheimen Kummers ſtandhaft entſchlagen können, indem bie 
Vorſtellung, daß wir unter dem Schutz einer höchſt gütigen 
Vorſicht ſtehen, uns aufrecht erhält, — und daß wir dennoch in 

Q* 


116 


der nächften halben Stunde biefem nämlichen Kummer beinahe 
— Mit mir iſt es wenigſtens ſo, ohne daß ich ſagen 
könnte, daß ich bei der zweiten Vorſtellung meinen Kummer 
von einer neuen Seite betrachte, andere Relationen einſehe, 
und dergleichen — nichts weniger. Fände dieſes Statt, fo 
würde ich dieſe Anmerkung nicht einmal niedergeſchrieben haben. 
Ich glaube vielmehr, daß die moraliſche Empfindlichkeit im Men⸗ 


ſchen zu unterſchiedenen Seiten verſchieden iſt, des Morgens 
ſtärker als des Abends. 


Wenn man ein altes Wort gebraucht, ſo geht es oft in 
dem Canal nach dem Verſtande, den das ABCbuch gegraben 


bat; eine Metapher hingegen macht ſich einen neuen, und ſchlägt 
oft gerade durch. 


Was mag wohl bie Urfadhe fein, daß unangenehme Ge 
banken uns bes Morgens, wenn wir erwachen, viel lebhafter 
plagen, al8 einige Zeit nachher, wenn wir wiſſen, baß Alles 
wacht, oder auch wenn man aufgeftanden ift, oder mitten am 
Tage, ober bes Abends, wenn man fih zu Bette legt? Sch 
babe davon vielfältige Erfahrung gehabt: ich bin des Abends 
ganz beruhigt über gewiffe Dinge zu Bett gegangen, über bie 
ich gegen 4 Uhr des Morgens wieder fehr befümmert gewefen 
bin, To daß ich oft einige Stunden wachte unb mich herum: 


warf; um 9 Uhr, ober auch fhon früher war ſchon Gleichgül⸗ 
tigkeit oder Hoffnung wieder ba. 


117 


Warum bie Menfchen fo wenig behalten können, was fie 
lefen, davon ift der Grund, daß fie fo wenig felbft denken a 
Wenn jemand das, was Andere gefagt haben, gut zu wieder 
bolen weiß, fo bat er gewiß felbft viel nachgedacht; es fei 
denn, daß fein Kopf ein bloßer Schrittzähler wäre, und ber: 
gleichen find manche Köpfe, bie des Gebächtniffes wegen Auf: 
fehen machen. 


Ich empfehle Träume nochmals. Wir leben und empfinden 
fo gut im Iraum, als im Wachen, und das Eine madıt fo 
gut als das Andere einen Theil unferer Eriftenz aus. Es gehört 
unter die Vorzüge des Menfchen, baß er träumt und ed weiß. 
Man bat fchwerlich noch den rechten Gebrauch davon gemacht. Der 
Traum ift ein Leben, das, mit unferm übrigen zufammengefekt, 
das wird, was wir menfchliches Leben nennen. Die Träume 
verlieren fih in unfer Wachen allmälig herein, und man fann 
nicht fagen, wo das Eine anfängt und bad Andere aufhört. 


Es gibt wenig Menfhen, die nicht mande Dinge glauben 
ſollten, die fie bei genauerer Überlegung nicht verfiehen würden. 
Sie thun es bloß auf das Wort mandher Leute, ober denken, 
daß ihnen die Hülfsfenntniffe fehlen, mit deren Erlangung alle 
Zweifel würden gehoben werben. &o ift es möglih, daß ein 
Satz allgemein geglaubt werden kann, deſſen Wahrheit noch 
kein Menſch geprüft hat. 


118 


Da wir uns im Traume felbft fehen, fommt daher, daß 

#*wir uns oft im Spiegel fehen, ohne daran zu denken, daß es 

im Spiegel if. Es ift aber im Iraume die Vorſtellung leb⸗ 
bafter und das Bewußtfein unb Denken geringer. 


Mertwürbig war es, baß, als id in ber Naht vom 23. 
auf ben 24. October fo viel von Paul Jones träumte, ich 
ihn unter zwei verfchiedenen Geftalten fah. Einmal, ba er 
ausfahb wie der Schinder von & ..., und einmal, wie ein 
großer, ftarfer holländiſcher Schiffer. Diefe Träume haben mir 
allerlei Ideen, bie in meiner Seele fchliefen, entwidelt. Die 
Unerfchrodenheit hatte ich von dem Schinder geborgt, ber eine 
der roheften und verwegenften Phyfiognomieen bat, bie ich Penne. 
Es ift ein merkwürdiger Zuftand ber Seele, dba man filh einen 
Mann unter zweien oder auch mehreren vorftellt, je nachdem 
fih Bilder mit den Eigenfchaften aſſociirt haben. 


Es gibt viele Bemerkungen, bie man fidh öfters aus falfcher 
Philvfophie befannt zu machen fhämt, fo wie man aud, wenn 
man Engliſch ober Franzöſiſch lernt, aus falſcher Scham mande 
Töne nit nachſpricht, ob man e8 gleich könnte. Ich lag eine 
mal in meiner Jugend bes Abends um 11 Uhr im Bette unb 
wachte ganz helle, denn ich hatte mich eben erft niedergelegt. 
Auf einmal wandelte mid) eine Angft wegen Feuer an, bie ich 
kaum bänbdigen Eonnte, und mich bünfte, ich fühlte eine immer 
zunehmende Wärme an den Füßen, mie von einem nahen Feuer. 


119 


In dem Augenblide fing die Sturmglode an zu ſchlagen, und 


es brannte, aber nicht in meiner Stube, fondern in einem ziem= , 


li entfernten Haufe. Diefe Bemerkung babe ich, fo viel ich 
mich jest erinnern kann, nie erzählt, weil ich mir nicht bie 
Mühe geben wollte, fie durch Verfiherungen gegen das Lächers 
liche, da8 fie an ſich zu haben ſcheint, und mich gegen bie phi⸗ 
Iofophifche Herabfehung mander d ber Gegenmwärtigen au ſchützen. 





Es gibt einen zuſtand, der wenigſtens bei mir nicht ſehr 
ſelten iſt, da man die Gegenwart und Abweſenheit einer gelieb⸗ 
ten Perſon gleich wenig ertragen kann; wenigſtens bei ber Ger 
genwart nicht das Vergnügen findet, welches man, aus ber Un: 
erträglichkeit der Abmeſenheit zu ſchließen, von ihr erwarten 
ſollte. 


Die determinirteſten Philoſophen find zuweilen abergläubiſch, 
und halten etwas auf das Ominöſe. 





Sonderbar iſt die allmählige Entwickelung des Künftigen, 
welche die Spieler der plötzlichen Enthüllung vorziehen. Bei 
Hazardſpielen, wobei umgeſchlagen wird, betrachten ſie die Karte, 
die ſie frei anſehen dürften, lieber erſt gegen ein ſchwaches Licht 
von hinten. Selbſt Kinder thun dieß. 


Jemand geht lange unentſchloſſen in ſeiner Stube auf und 


ab; auf einmal findet er eine hölzerne Walze, auf. der er Kupfer⸗ 


PN 9 


120 


fliche erhalten hatte, und biefer Prügel gibt feinem Geift Stärfe, 
und er entfchließt fih. Vielleicht hielt er es für einen Marfchalle« 
ftab, ohne es deutlich zu denken. 


Aus der Narrheit der Menfchen in Beblam müßte fi) mehr 
ſchließen laſſen, was ber Menfch ift, als man bisher gethan bat. 
Wenn uns von einer Gefellfhaft von Leuten träumt, wie 
fehr in ihrem Charakter laffen wir fie nicht reden! warum ges 
lingt uns das nicht eben fo, wenn wir fehreiben ? 


Vieles Leſen macht ſtolz und pebantifch; viel fehen macht 
weiſe, verträglich und nützlich. Der Lefer baut eine einzige Idee 
zu fehr aus; der Andere (dev Weltfeher) nimmt von allen Stän« 
den etwas an, mobdellirt fi nad) allen, fieht, wie wenig man 
fih in ber Welt um ben abftracten Gelehrten befümmert, und 
wird ein Weltbürger. 


In ältern Jahren nichts mehr lernen können, hängt mit 
dem in ältern Jahren fi nicht mehr befehlen laſſen wollen zu⸗ 
fammen, und zwar fehr genau. 


Ich hatte Gelegenheit, öfters einen Betteljungen zu ſehen, 
der durch Gefichterfchneiden und allerlei Geberden Lahen zu ers - 
weden fuchte Diefes war mir fo unerträglid, daß ich das Ge⸗ 
fiht des Jungen, auch felbft in der Ruhe, anfing abfcheulich zu 


121 


finden, und ben Knaben im eigentlihen Berftanbe zu haſſen, 
weil er fi) gar nicht wollte wehren lafjen. Eines Tages aber, 
dba ein fehr fchönes und gutes Kind, ein Mädchen von vier Jah⸗ 
ren, ſehr herzlich und doch mit einem gewiffen Anftand über bes 
Knaben Poffen lachte, machte bieß einen fo angenchmen Ein: 
brud auf mich, daß ich nun felbft des Knabens Gefichter erträg-* 
lih fand, und zwar nicht bloß aus ber zweiten Hand, wie man 
denken follte, fondern wirklich in ſich ſelbſt. Ich lächelte nicht 
in meinem eigenen, fonbern in bes Kindes Namen barüber; 
Auch babe ich bei andern Gelegenheiten bemerkt, daß man über 
gewiffe unfchäbliche Ungezogenheiten fi) erfi ärgern muß, um 
fie hernach erträglich zu finden. Ich verftehe mich bier recht gut, 
und erfläre die Sache weiter nicht. 


Es iſt gar nicht abzufehen, wie weit fi) Anthropomorphis« 
mus erfireden kann, das Wort in feinem größten Umfange ge 
nommen. Es rächen ſich Leute an einem Todten; Gebeine wer: 
den ausgegraben und verunehrt; man bat Mitleiden mit leblofen 
Dingen — fo beffagte Jemand eine Hausuhr, wenn fie einmal in 
der Kälte ſtehen blieb. Diefes Übertragen unferer Empfindungen 
auf Andere berrfeht überall, unter fo mannicdhfaltiger Geftalt, 
daß es nicht immer leicht ift, e8 zu unterfcheiden. Wielleicht ift 
das ganze Pronomen der andere folden Urfprungs. 


Worin mag ber Grund ber fonderbaren Erfcheinung liegen, 
die ich fo _oft bemerft habe, daß man mit Jemanden ia Krumr 


122 


bon einem Dritten fpriht, und wenn man erwadt, findet, baß 
ber vermeinte Dritte gerabe ber Mann war, mit bem man aud) 
gefprodhen bat? Iſt es vielleicht bloße Form bed Erwachens, 
oder worin liegt der Grund? 


Da man im Traume ſo oft feine eigenen Einmürfe für bie 
eines Anbern hält, z. B. wenn man mit Jemanben bisputirt, 
fo wundertd mich nur, baß biefes nicht öfters im Wachen gea 
fhieht. Der Zuftand des Wachens fcheint alfo hauptſächlich barin 
zu liegen, daß man das in uns und außer uns ſcharf und 
conventionsmäßig unterfcheidet. 


Warum kann man fi ben Schlaf nicht abgemöhnen? Man 
follte denken, ba die wicdhtigften Verrihtungen bed Lebens unun⸗ 
terbrochen fortgehen, und die Werkzeuge, wodurch fie gefchehen, 
nie ruben und fehlafen, wie das Herz, die Eingeweide, bie lym⸗ 
pbatifchen Gefäße; fo wäre e8 auch nicht nöthig, daB man über: 
baupt fchlafe. Alſo Die Werkzeuge, welche die Seele als ſolche 
am meiften zu ihren Berrichtungen nöthig hat, werden in ihrer 
Thätigkeit unterbroden. Ich möchte wol wiffen, ob der Schlaf 
je in dieſer Rüdficht betrachtet worden if. Warum fchläft der 
Menſch? Der Schlaf feheint mir mehr ein Ausruben der Ge- 
banfenwerkzeuge zu fein. Wenn ein Menſch fi) körperlich gar 
nicht angriffe, fondern nur nad feiner größten Gemächlichkeit 
feinen Gefchäften folgte, fo miürde er doch am Ende ſchläfrig 
werden. Diefes ift wenigftens ein offenbares Zeichen, daß beim 


123 


Wachen mehr ausgegeben, ald eingenommen wird; und biefer 
überfhuß läßt ſich, wie alle Erfahrung lehrt, im Wachen nicht 
erfegen. Was ift daB? Was ift der Menfh im Schlaf? Gr 
ift eine bloße Pflanze; und aljo muß das Meifterflüd ber Schö⸗ 
pfung zumeilen eine Pflanze werden, um einige Stunden am 
Tage das Meifterfiüd der Schöpfung repräfentiren zu können. 
Hat wohl Jemand den Schlaf als einen Buftandb betrachtet, ber 
uns mit ben Pflanzen verbindet? Die Gefchichte enthält nur Ere 
zählungen von wachenden Menſchen; follten bie von fehlafenden 
minder wichtig fein? Der Menſch thut freilich alsdann wenig, aber 
gerade da hätte der wachende Pfychologe am meiften zu thun. 
Die Nerven fpigen fi) gegen das Ende zu, und machen 
dad aus, was wir finnlihe Werkzeuge nennen. Es find bie 
Enden, bie nach außen ftehen, und die Eindrücke der Welt em» 
fangen. Diefe find vermuthlih ohne unfer Wiffen befchäftigt; 
und befiändig wach. 8 gibt alfo bei dem Menfchen, von ber 
Spige der Nervenfafern an nach innen zu gerechnet, eine Schicht, 
die beftändig in Arbeit ift, und vermuthlich, während fie in 
Arbeit ift, ber Seele Begriffe zuzuführen, nicht auch in Arbeit 
fein kann, fich felbft zu erhalten und das Verlorne zu erfeßen. 
Diefe Theile ruhen alfo in bem Beitraume bed Erſatzes. Wir: 
feinen nur zu fühlen, wenn wir wirfen, nicht wenn wir 
für die Wirkung fammeln. Was wir dann empfinden, iſt viel 
leicht bloß Empfinden bes Wohlbefindens. . E8 wird nicht zu Ge⸗ 
banken, es ift bloß Gefühl von Stärke, oder. doch Gemächlichkeit. 
Unfere ganze Gefchichte ift bloß Gefchichte. des wachenden 


124 


Menſchen; an bie Gefchichte des ſchlafenden bat noch Niemand 
gedacht. Die Gebanfenwerkzeuge feheinen am leichteften zu er« 
müben zu fein; es find bie feinften Spiken. Daher denkt ber 
Menfh im gefunden Schlaf gar nicht. Ich wiederhole es nod) 
einmal: Gebraud und Erfaß feheinen einander in den feinften 
Spitzen entgegen zu wirken; wo Grfag der Nerven bereitet wirb, 
findet Feine Empfindung Statt. Diejenigen Theile, bie mehr 
nad innen liegen, find bloß zur Erhaltung, nicht zum Empfan⸗ 
gen und zur Gegenwirkung. &o ließe fi) bie Nothwendigkeit 
eines Schlafed a priori bemonftriven. eine Xheile, bie durch 
gröbere erfegt werben müflen , fönnen ihren Dienft nicht leiften, 
während fie in -Ausbefferung begriffen find. 


Mit erftaunendem Vergnügen fand ih in Hrn. Lavaters 
Ausfihten in die Ewigkeit, Th. J. &. 143 folg., daß er von- 
dem Schlaf Ähnliche Empfindungen mit mir bat. Ich babe 
Jahre lang vorher, ehe dieſes Buch erfhien, Herrn 2...g bie 
Eröffnung gethan; ja als ih noch auf Schulen war, babe ich 
meinem Freunde E...n ſchon etwas davon gejagt, aber nie 
gehört, daß einer ober der andere von ihnen etwas Ahnliches 
empfunden hätte. Meine Betrachtungen in biefem Buftanbe 
gehen gemeiniglich auf ben Tod oder die Seele überhaupt, und 
auf das, mad Empfindung ift, und endigen fih in einer Be 
wunderung ber Einrihtung bed Menfhen. Alles ift mehr Ges 
fühl als Reflerion, und unbefchreiblich. 


.125 " 


Hat wohl Jemand je von Gerüchen geträumt, mozu feine 
Beranlafjung äußerlid da war? ich meine 3. B. von Roſen⸗ 
geruch zu einer Zeit, wo keine Rofen oder Rofenwaffer in ber 
Nähe waren. Bon Mufit ift ed gewiß, und vom Licht auch; 
aber Empfindungen von Schmerz im Traum haben gemeiniglich 
eine äußere Veranlaſſung. Vom Geruch bin ich ungewiß. 


Träume führen uns oft auf Umftände und in Begebenheiten 
hinein, in die wir im Wachen nicht leicht vermwidelt werben 
können; oder fie laſſen uns unbequemlichkeiten fühlen, die wir 
vielleicht als klein in der Ferne verachtet hätten, in die wir 
aber vielleicht mit ber Zeit verwickelt worden wären. Ein Traum 
kann daher oft unſern Entſchluß ändern, und unſern moraliſchen 
Fond mehr ſichern, als alle Lehren, die durch einen Umweg ins 
Herz kommen. 





Nachtrag 
zu den pſychologiſchen Bemerkungen. 


Um uns ein Glück, das uns gleichgültig ſcheint, recht 
fühlbar zu machen, müſſen wir immer denken, daß es verloren 
gegangen und daß wir es dieſen Augenblick wieder erhielten. 
Es gehört aber etwas Erfahrung in allerlei Leiden dazu, um 
dieſen Verſuch glücklich anzuſtellen. 


u 126 


Kopf und Füße, fo weit fie auch im phyſiſchen Berfiande 
von einander entfernt liegen, fo nahe liegen fie ſich doch im 
moralifchen und pfocdhologifhen. Freude und Traurigkeit zeigen 
fi) kaum fobald an der Rafe, die doch ber Seele fo nahe liegt, 
als in den Füßen. Ic kann diefes täglich von meinem Fenſter 
aus bemerken, wo ich beutlih an den Züßen der Studenten 
fehe, ob fie aus einem Collegio kommen, oder in eines zu geben 
Willens find, Jenes an der platt auffallenden Sohle, bie ben 
Qunger der regierenden Seele verräth, Diefes an bem ſchmach⸗ 
tenden Schritte, wo Abſatz und Zehen etwas langfamer nady 
einander aufjuliegen kommen, der allemal ein Zeichen ber Burg 
vorhergegangenen Sättigung ift. Bei den Studenten, wo id) 
nicht8 dergleichen bemerken konnte, fand ich nachher faft intmer, 
daß fie zugleich in ein Collegium gegangen und aus einem ge 
fommen waren. u 


Menſchen, die fih auf bie Beobachtung ihrer felbit gut 
verftehen und fih damit heimli groß wiffen, freuen ſich oft 
über die Entdedung eigner Schwachheit, wo die Entdedung fie 
betrüben ſollte. So fehr viel mehr gilt bei Manchen ber Pros 
feffor als der Menfch. 

Wie leiht Eigenliebe, ohne daß wir es merken, bie Trieb: 
feber mander, uns von berfelben ganz independent fcheinenden, 
Handlımg fein kann, können wir barauß fehen, daß Leute das Geld 
lieben können als Geld, obgleich fie nie Gebrauch davon machen. 


127 


Es ift eine Bemerkung, die ich durch vielfältige Erfahrung - 
beftätigt gefunden babe, daß unter Gelehrten diejenigen faft 
allezeit die verftändigften find, die nebenher mit einer Kunft fidh 
befchäftigen, oder, wie man im Plattbeutfchen fagt, Plütern. - 


Was die Spannung ber Triebfedern im uns am meiften 
hemmt, ift, andere Leute im Beſitz des Ruhms zu fehen, von 
"deren Unmwürdigkeit man überzeugt ift. 


Wenn ich fage: halte beine Zähne rein und fpüle bir ben 
Mund alle Morgen aus, fo wird das nicht fo leicht gehalten, 
als wenn ich fage: nimm die beiden Mittelfinger dazu und zwar 
über Kreuz. Des Menſchen Hang zum n Myſtiſchen. Man nüze ihn. 


Die ſichere Überzeugung ‚daß man eönnte, wenn man wollte, 
iſt Urſache an manches guten Kopfes Unthätigkeit, und das 
nicht ohne Grund. 


Nichts erklärt leſen und ſtudiren beſſer, als eſſen und 
verdauen. Der philoſophiſche eigentliche Leſer häuft nicht bloß 
in feinem Gedächtniſſe an, wie der Freſſer im Magen, ba hin⸗ 
gegen der Gedächtnißkopf mehr einen, vollen Magen, als einen 
ftarfen gefunden Körper befommt. Bei Jenem wird Alles, was 
er lieft und brauchbar findet, dem Syſtem und bem innern 
Körper, wenn ich fo fagen darf, zugeführt, Diefes hierhin und 
das Andere dorthin, und das Ganze befommt Stärke. 


128 


Es ift ganz gut viel zu leſen, wenn nur nicht unfer Gefühl 
darüber flumpf würbe und über ber großen SBegierde, immer 
ohne eigne Unterfuhung mehr zu wifien, enblih in uns ber 
Prüfungsgeift erftürbe, 

Mangel an Kraft fi zu vertheibigen geht bei bem Schwa- 
hen in Klage über. Man kann diefes an den Kindern fehen, 
wenn fie von größeren Kindern unrecht behandelt werden, aber 
der ftille Trotzkopf ift allemal ber Beſte. 





Krankheiten der Seele können den Tod nad fich ziehen 
und das kann Selbſtmord werden. 


Wenn einmal eine Schwädhe in ben Nerven fo weit ge 
biehen ift, daß ein Entfhluß, etwas zu feiner eignen Beſſerung 
anzufangen, unmöglich wird, fo ift der Menfch verloren. 


Ich habe fehr oft Folgendes bemerkt: Je mannichfaltiger 
die Begebenheiten find, bie fich ereignen, befto gefchwinder ver: 
ftreihen einem zwar bie Tage, allein deſto länger dünkt einen 
‚bie vergangene Zeit, die Summe biefer Tage, bingegen je eins 
fürmiger die Befhäftigungen, befto länger werden einem bie 
Tage und befto kürzer die vergangene Zeit oder ihre Summe. 
Die Erklärung ift nicht fehr ſchwer. 


Wenn einem zum Tode Berurtheiften eine Stunde geſchenkt 
wird, fo iſt fie ein Leben werth. 


129 


Die Naturkundigen ber vorigen Zeit mußten weniger als 
wir und glaubten ſich fehr nahe am Biele. Wir haben fehr 
große Schritte darauf zu gethban und finden nun, daß wir noch 
fehr weit ab find. Bei den vernünftigften Weltweifen nimmt 
die Überzeugung von ihrer Unwiffenheit zugleich mit ihrem Wache: 
thum an Erkenntniß zu. 


Man kann eben fo gut träumen ohne zu fohlafen, als man 
fhlafen kann ohne zu träumen. 


Wir fehen, ein jeder, nicht bloß einen andern Regenbogen, 
fondern ein jeder einen andern Gegenfland und einen andern 
Satz als der Andere. 


Was man fucht, ift gewöhnlich in ber lekten Taſche, ift 
ein vermeintlicher Erfahrungsfag, den man, glaube ih, in allen 
Ländern und in allen Familien angenommen bat, und doch glaubt 
ihn niemand im Ernft. 


Wer im fich felbft verliebt if, bat wenigftens bei feiner 
Liebe den Vortheil, daß er nicht viele Nebenbuhler erhalten wird, 


. Der Menfch kann gehen, pfeifen, oder auch Hundert zäh⸗ 
len und noch an etwas Anderes zugleich denken, und, was das 
Merkwürbigfte ift, ohne von allen dreien etwas zu willen, ba 
doch Jedes ganz eigne Regeln und Borficht erforkert, 

I, N) 





130 
Ein eingebilbetes Unvermögen kann bei furchtfamen Perſo⸗ 


nen lange die Rolle eines wirklichen fpielen, in Werten des 
Kopfs fowohl wie bes Leibes. f 


Die Träume können dazu nügen, baß fie das unbefangene 
Refultat ohne den 8wang, ber oft erfünftelten Überlegung, von 
unferm ganzen Wefen barftellen. Diefer Gebanfe verdient fehr 
beherzigt zu werden. = “ 


So wie man mit ben Kinnlaben nadhhilft, wenn man mit 
einer fchlechten: Scheere Papier fehneidet, ober wenn man fehr 
viele Blätter auf einmal ſchneiden will, (id habe dieſes audy an 
meinem Eleinen Jungen von 5 Jahren bemerkt), fo ‚gibt es ver: 
muthlich eine Menge Berrichtungen felbft des Geiftes, 


Wer eine Scheibe an feine Gartenthür malt, :dem wird 
gewiß bineingefchoffen. nen 


Man kann nicht fiherer zeigen, baß ein gewiſſer Charakter 
der wahre von einem fei, als wenn man zeigt, daß das Ge- 
gentheil Jedermann lachen machen würde. 





Um vergnügt oder vielmehr luſtig in der Welt zu fein, wird 
nur erfordert, daß man Alles nur flüchtig anfieht; fo wie man 
nachdenkender wird, wird man auch ernfthafter, 





131 
Daß man manchen außerorbentlihen Man, von dem: man 
gehört Hat, geringer zu finden glaubt, wenn man ihn fiebt, 
rührt gemeinigli), oder gewiß allemal daher, daß man jekt 
fiehbt, daß er da8 gewöhnliche Geficht eines Menfchen hat. 





Wenn man Iemanden bezahlt, ber nur eine gewiſſe, feharf 
beftimmte, Summe erwarten und fordern Tann, nichts mehr 
und nichts weniger, fo bezahlt man ihn, ohne das Gelb in 
Papier zu wickeln; ift die Summe unbeftimmt, fo bezahlt man 
im Papier, fi) und dem Einnehmenden alle: Nienenſpraqhe zu 
erſparen. Es iſt noch mehr hierin. 

Es iſt zwar ſehr wahr, daß die meiſten Menſchen, die 
feiner Liebe fähig find, auch für die Freundſchaft wenig taugen. 
Man fteht aber doch auch oft das Gegentheil. 


Wovon das Herz nicht voll iſt, davon geht der Mund 
über, babe ich öfters wahr gefunden, als den entgegengefeg: 
ten a 





Es ift der gemeine Fehler aller Leute von wenig Talenten 
und mehr Belefenheit als Verſtand, daß fie eher auf künſtliche 
Erklarungen verfallen als auf natürliche. 


Das ganze anochengebaude unferer Denkungsart unb un: 
fer Glaubens wird formirt aus urferen Helden, und Min 
N 


132 


wahl geht zu einer Beit vor, two wir bie wenigfte Erfahrung 
und Überlegung haben, und wirft doch am Ende auf unfere Über 
legung, wo nicht auf die Folgen unferer Erfahrung. 


Wer recht nachahmen könnte, ahmt nicht leicht nad). ° 


Jedes Dorf bat feine Pyramide, den Kirchturm. Aus 
allen Dorfpyramiden in Deutfchland follten fi) wohl bie ägyp- 
tifhen bauen laffen. Warum baut man fo in die Höhe? Der 
Glocken wegen allein gewiß nicht. Es if immer Eitelleit, mit 
Religion, vielleicht Aberglauben vermifcht, was biefe Pyramiden 
fhuf fo gut wie die ägyptifchen. 


Selbft die Uingewißheit, worin wir uns über gewiſſe Ge 
genftände befinden, ift zuweilen nüglihd. Die Hoffnung befommt 
dadurch einen größern Spielraum, und man hält immer dasje⸗ 
nige für wahr, was unferm Buftande am angemeffenften: ift. 


Ih habe einen Müllerknecht gekannt, der niemals die Mütze 
por mir abnahbm, wenn er nicht einen Efel neben fi) geben 
hatte. Ih konnte mir das lange nicht erklären. Endlich fand 
ih, daß er fi) dieſe Gefelfchaft für eine Demütbigung anfah 
und um Barmherzigkeit bat; er ſchien damit der geringften Ber- 
gleihung zwiſchen ihm und feinem Gefährten ausweichen zu 
wollen. 





133 


Benvenuto Gellini macht bie vortrefflihe Bemerkung: „Scha⸗ 
den macht nicht Plug, weil ber neue ſich immer unter einer vers 
fhiedenen Form anfündigt.» Diefes kenne ich recht aus eigner 
Erfahrung. 


Was ein bebäcdhtiges, geſetztes Verfahren in allen Vorfällen 
des Lebens nüglih ift, kann ih mir auch dadurch erläutern. 
IH kann mir feinen fchredlichern Zufall denken, als wenn mir 
jemand eines meiner Kinder aus Unvorfichtigkeit erfchöffe, und 
doch Penne ich mehrere Menfchen, denen idy ohne Mühe vergeben 
würde, andere, bie ich nie wieder würde vor Augen fehen kön⸗ 
nen, und noch andere, bie ich auf der Stelle erfchießen könnte 
und würde, wenn ich ein Gewehr zur Hand hätte. 


So wie Affimilation Sylben und Wörter herborbringt, fo 
können Sylben in nominibus propriis wiederum Farben zu Bil⸗ 
dern ber Einbildungsfraft und Züge zu Charakteren hergeben. 
Es ift aller Unterfuchung werth, woher bie Bilder ſtammen, 
die wir uns von Leuten, von Straßen und Städten u. f. w. 
formiren, die wir nie gefehen haben. An dem Gefichte, das ich 
mir vom General Lee gemacht habe, hut das doppelte e mehr 
Antheil, als alle feine ſchlechten Thaten, die mir zu Obren ge: 
kommen find. 





Bei dem Studio der Mathematik kann wohl nichts flärkern 
Troft bei Unverftändlichkeiten gewähren, als daß es ſehr viel 


134 


ſchwerer ift, eines Andern meditata zu berfichen ; als ſelbſt zu 
mebitiren. 

Die Allmacht Gottes im Donnerwetter wirb nur bewundert 
entweder zu ber Beit da feines ift, ober hinterdrein beim Abzuge. 

Unfere Ohren repetiren zuweilen die Glockenſchläge, alfo 
Repetirohren. Ob es 1,2, aud allenfalls 3 geſchlagen hat, 
kann man nocd lange nachher ausmaden, wenn man auch 
nicht während des Schlagen® baran gedacht hat. 


Ich bin überzeugt, daß es Brillen für die Seelenträfte ‚gibt 
fo gut wie für die Augen. Es wäre fonderbar, wenn fo etwaß 
nicht follte möglich fein. Wenn der Wik mit dem Alter ſchwach 
wird, fo kann oft das Lefen von Wortregiftern Bergleichungen 
bewirken, die ohne dieſes unmöglich wären. J 

Wenn man die ſogenannten beſcheidenen 8weifel mancher 
Weltweiſen als poſitive Wahrheit behandelt wiſſen will, ſo darf 
man ihnen nur mit etwas Geringſchätzung widerſprechen. 





Das Sorgenſchränkchen, das Allerheiligſte der innerſten 
Seelenökonomie, das nur des Nachts geöffnet wird. Jedermann 
bat das ſeinige. Ein Meubel, das in allen Haushaltungen 
und in jebem Stande angetroffen wird. So etwas wäre einer 
guten und lehrreichen Darftelung fähig. 


133 


Die glüdlichen Zeiten des Lebens, da man noch nicht benft, 
wie alt man ift, und noch Fein Buch hält über die Haushals 
tung des Lebens ! 


Ich Pann: bis biefe Stunde nicht recht begreifen, warum 
bie Pleinen Kinder nicht eben fo beftändig lachen, als fie be: 
ftändig weinen. 


Es ift gewiß beffer, eine Sache gar nicht ſtudirt zu haben, 
als oberflächlich. Denn der bloße: gefunde Menfchenverftand, 
wenn er eine Sache beurtheilen will, föteht nicht fo ſehr fehl 
als die halbe Gelehrſamkeit. Zu 





Wenn e8 uns im Dunkeln irgendwo ftiht, fo Pünnen wir 
gemeiniglid mit einer Nabelfpike die Stelle finden. Was für 
einen genauen Plan muß die Seele von ihrem Körper haben! 


Selbſt Aberglaube kamn zuweilen Nutzen ſtiften. Der ge⸗ 
meine Mann drückt nicht leicht eine ungeladene Flinte auf 
jemanden los, weil er glaubt, der Teufel könne auch mit einer 
ungeladenen fein Spiel maden. 


136 


3. 
Moraliihe Bemerkungen. 


Lady Gil, die Abtiffin des emglifchen Klofters in Liffabon, 
teifte in ihrem 23ften Jahre nad Irland, nahm eine Erbſchaft 
in Befig und Lehrte fo wieder zurüd in ihr Kloſter. Baretti) 
glaubt, eine ſolche Tugend in einer weiblichen Bruſt verdiene ber 

"Vergeffenheit entriffen zu werben. Sch glaube, folde Ihaten 
follten jo heiß gebrandmarkt werden, als nur immer Witz, von 
Beradhtung, Spott und Abfcheu geleitet, brennen kann. 


Gin Dreigroſchenſtück iſt immer beſſer als eine Thräne. 


Ihr, die ihr ſo empfindſam von der Seele eurer Mädchen 
ſprechen könnt, ich gönne euch dieſe Freude. Glaubt aber ja 
nicht, daß ihr fo was Erhabenes thut oder ſagt; oder dünkt 
euch nicht edler als der Pöbel, ber gewiß fogar Unrecht nicht 
bat, fi) hauptſächlich an den Körper zu halten. Was doch ein 


) Joſeph Baretti, fonft al8 Dichter befannt, hat auch 
Travels through England, Portugal, Spain and France (Lond. 
1771. deutfch überf. Leipzig 1772. 8.) geichrieben, worin wahr: 
ſcheinlich die obige Anekdote enthalten ift. 


137 - 

junger Recenfionenlefer für eine Idee von einem fo feinen Sen⸗ 
timent hat! Der Bauersknecht ſchielt nach dem Unterrock, und 
ſucht den Himmel dort, den du in den Augen ſuchſt. Wer hat 
Recht? Ich wäge keine Gründe in dieſer Frage, und noch viel 
weniger entſcheide ich ſie, aber rathen will ich es aus treuem 
Herzen allen empfindſamen Candidaten, daß ſie ſich mit dem 
Bauern ſetzen, es könnte ſonſt auf verdrießliche Weitläuftigkei⸗ 
ten hinauslaufen. 


Die Sanduhren erinnern nicht bloß an die ſchnelle Flucht 
der Zeit, ſondern auch zugleich an den Staub, in welchen wir 
dereinſt zerfallen werden. 


Bei einem Verbrechen iſt das, was die Welt das Berbrechen 
nennt, ſelten das, was die Strafe verdient, ſondern da liegt 
es, wo unter der langen Reihe von Handlungen, womit es ſich 
gleichſam als mit Wurzeln in unſer Leben hineinerſtreckt, die⸗ 
jenige iſt, die am meiſten von unſerm Willen abhieng und die 
wir am leichteſten nicht hätten thun können. 


Man könnte die Gewohnheit eine moraliſche Friction nen⸗ 
nen, etwas, das den Geiſt nicht leicht über die Dinge hin⸗ 
ſtreichen läßt, ſondern ihn damit verbindet, ſo daß es ihm 
ſchwer wird, fi) davon los zu machen. 





Die Zucht vor bem Tode, bie den Menfchen eingeprägt iſt. 


138 


ift zugleich ein großes Mittel, deſſen fich. der Himmel bebient, 
fie von vielen Unthaten abzuhalten; denn Vieles wird aus dZurcht 
vor Lebensgefahr oder Krankheit unterlaſſen. 


Weiſer werden, heißt, immer mehr und mehr die Fehler 
kennen lernen, denen dieſes Inſtrument, womit wir empfinden 
und urtheilen, unterworfen ſein kann. Vorſichtigkeit im 
Urtheilen iſt, was heutzutage Allen und Jeden zu empfehlen 
iſt. Gewönnen wir alle zehn Jahre nur eine unſtreitige Wahr⸗ 
heit von jedem philoſophiſchen Sqhriftteler, ‚ fo..wäre unfere 
Ernte immer reich genug. 


Es gibt eine Art, ba8 Leben gu verlängern, bie ganz in 
unferer Macht ſteht: Früh aufſtehen, zwedmäßiger Gebrauch 
der Beit, Wählung ber beſten Mittel zum Endzweck, und. wenn 
fie gewählt find, muntre Ausführung. Auf biefe Art kann man 
fehr alt werben, fobald man das Leben nicht nad dem Kalender 
ſchätzt; aber was das Beſte ift, fo. wirb auch: jenes Leben, bas 
wir mit Kalendern ausmeffen, burch das, wovon Verdienſt ber 
Maßſtab ift, verlängert. Wenn man einmal eine Arbeit vor 
bat, fo ift e8 gut, bei ber Ausführung ſich nicht gleich das 
Ganze vorzuftellen, benn biefes bat, bei mir wenigftens, viel 
Niederfchlagendes; ſondern man arbeite an dem, was man 
gerade vor fi bat, und wenn man bamit fertig iſt, gebe 
man an das Nächſte. — Eine Sache den Augenblid anfan⸗ 
gen, und nicht eine Minute, viel weniger eine Stunde oder 


139 


einen Tag aufſchieben, ift ebenfalls ein Mittel, bie Zeit zu 
ſtrecken. 


Man kann die Fehler eines großen Mannes tadeln, aber 
man muß nur nicht den Mann deßwegen tadeln. 





Daß man oft, einer geringen Handlung wegen, eine Ber: 
achtung auf einen Menfchen wirft, gefchieht nicht fomohl wegen 
diefer Handlung an ſich betradhtet, al& wegen befien, was man 
von ber Fähigkeit eines ſolchen Menfchen in andern Fällen mutb- 
maßet. Daher man ben fo leicht verachtet, der ſich ungeahndet 
beleidigen läßt. 


Es find gewiß wenig Pflichten in der Welt fo wichtig, als 
bie, die Fortdauer bes menfchlichen Geſchlechts zu befördern, und 
fi) felbft zu erhalten, denn zu Beinen werben wir burd fo 
reizende Mittel gezogen, als zu biefen beiden. 





Mir ift es eine fehr unangenehme Empfindung, wenn jemand 
Mitleiden mit mir bat, fo wie man das Wort gemeiniglich 
nimmt. Denn bie. Menfchen brauchen: gerade da, wo fie recht 
böfe find, die Rebensart: Mit einem folhen muß man 
Mitleiden Haben. -: Diefe Art des Mitleidens ift ein Almo⸗ 
fen, und Almoſen fept Dürftigkeit von der einen, und Überfluß 
von der andern Seite voraus, er fei auch noch fo gering. 
Dem englifhen Pity ‚ift e8 eben fo gegangen, und noch Anger 


180 


dem Abjertivum pitiful, das unfer erbärmlid iſt. Es gibt 
aber ein weit uneigennügigeres Mitleiden, das wahrhaften Un« 
theil nimmt, das ſchnell zur That und Rettung fchreitet, und 
felten von empfindfamer Schwermüthelei (man verzeihe mir 
biefes Wort) begleitet wird. Man könnte jenes das almofen- 
artige Mitleid, und biefes das Mitleid bei Offenfip 
und Defenfivallianz nennen. — Mitſcham ift fehr 
lauter. Man fühlt fie, wenn fih ein Mann, den man hoch⸗ 
ſchätzt, aus nit genugfamer Kenntniß derjenigen, vor denen 
er fich zeigen will, vor ihnen lächerlich macht. — Es gibt eine 
ganz unintereffirte Mitfreude. Ich habe fie bei &...8 Wie 
dergenefung im Jahre 1778 ganz lauter empfunden. Nämlich 
ich konnte in diefem Fall nad der genaueften Unterfuchung Fein 
anderes SInterefie finden, als biefes, daß ein Mann von ber 
größten Rechtſchaffenheit und einer Gelehrfamkeit, die täglich 
feltner wirb, der Welt, der Univerfität und feiner Familie wieder 
gegeben worden war, nachdem man fehon, ihn nicht etwa tobt 
gefagt, fondern die Unmöglichkeit feiner Wiedergenefung medicinifch 
demonftrirt hatte. 


Wenn jemand in der Welt fih eine Sittenlehre mit Hülfe 
von Nabelflihen und Scießpulver auf die Hand wollte ägen 
laffen, jo wollte ich wohl bie dazu vorfchlagen, die ich in irgend 
einem Stüde bed Zuſchauers einmal gelefen habe: The whole 
man must move together. Die Vergehungen bagegen find uns 
zählbar, und der Schaben, der daraus entfteht, groß und öfters 


141 


unerfeglih. Zum Menfchen rechne ich Kopf und Herz, Mund 
‚und Hände; es ift eine Meifterfunft, biefe durch Wind und 
Wetter ungertrennt bi8 an das Ende zu treiben, wo alle Be 
mwegung aufhört. 


Daß die Menfchen Alles aus Intereffe thun, ift dem Philo⸗ 
fophen nüglich zu wiffen, er muß nur nicht darnach handeln, 
fondern feine Handlungen nah dem Weltgebrauch einrichten. 
So wie ein guter Schriftfteller nicht von dem gewöhnlichen Ge: 
brauch der Wörter abgeht, fo muß auch ein guter Bürger nicht 
gleih von dem Handlungsgebrauch abgehen, wenn er ſchon 
Bieles gegen Beides einzumenden bat. Ich bin fo ficher über: 
zeugt, daß der Menfch Alles feines Bortheild wegen (dieſes Wort 
gehörig verftanden) thut, daß ich glaube, es ift zur Erhaltung 
der Welt fo nöthig, als die Empfindlichkeit zur Erhaltung bes 
Körpers. Genug daß unfer Bortbeil fo fehr oft nicht erhalten 
werden kann, ohne Tauſend glücklich zu machen, und unfere 
erfte Urfadhe das Intereffe eines Theil fo weislih mit dem 
Intereffe vieler Andern zu verbinden gewußt bat. 


Sich recht anfchauend vorftellen zu lernen, baß niemand 
volfommen glücklich ift, ift vielleicht der nächfte Weg, vollkom⸗ 
‚men glüdli zu werden. Es ift freilich niemand ganz glück⸗ 
lid, aber es gibt fehr viele Stufen. in unfern Leiden; und das 
ift das Übel. 





142 


Weil die Menfchen fehr geneigt zum Auffchieben und zur 
Zangfamkeit find, und gemeinigli das, twa8 um 5 Uhr bes 
Morgens vor fi) geben fol ‚ aft um 6 Uhr gefchieht, fo kann 
man ficher darauf rechnen, daß man die Oberhand in einer 
Sade behält, wenn man Alles ohne den geringften Verzug un: 
ternimmt. 


Die Schwachheiten großer Leute befannt zu machen, ift 
eine Art von Pflicht; man richtet damit Laufende auf, ohne 
jenen zu fchaben. ‚Der Brief von d'Alembert über Rouſſeau 
im Mercure de France, Sept. 1779. verdient bekannter zu ſein. 


Alle Tugend aus Vorſatz taugt nicht viel. Ber ober 
Gewohnheit je das Ding. ’ 


Man fol Riemanden in feiner Profeſſion erlic; machen, 
er kann badurch unglücklich werden. 


Das respice — i einer weit ſruchtdarem Geflärung 
fähig, als man ihm gewöhnlich gibt. Der Menfh, der den 
Himmel erfunden bat, rechnet aufs Künftige. Wer bei jeder 
Handlung den Einfluß bebenft, den fie auf fein Künftiges haben 
kann, und fie nicht unternimmt, wenn fie ihm nicht im Künfe 
tigen Bortbeil bringt, wird gewiß glüdlich Ieben. Alle großen 
Leute haben bloß bed Künftigen wegen das Gegenmwärtige unters 
nommen, und fohledhte Menfchen haben immer, wie bie Xhiere, 


143 


bloß da8 Gegenwärtige vor Augen; ja fie erniebrigen ſich unter 
bie. Thiere, weil. biefe aus: Inftinet Manches fürs Künftige thun, 
und aljo die Natur gewiffermaßen ihre Befeelung über fih nimmt. 


Ich glaube auch an den Helvetiusfhen Sat: Man fann, 
was man will, aber niht Alles, was man ſich ruhig 
wünfht zu Lönnen, will man. Die Art zu wollen, 
bie Helvetius meint, ift unwiberftehliche Begierde, bie faft nie 
ohne die erforderliche Fähigkeit ift. . i 


Es ift gewiß ein ficheres Seien, baß man befier ‚geworben 
ift, wenn man Schulden fo gerne bezahlt, als man Geld ein: 
nimmt. ' 


Es gibt eine gewiffe Iungferfchaft der Seele bei den Mäb- 
hen, und eine moraliſche Entjungferung; dieſe findet bei vielen 
ſchon fehr frühzeitig Statt. 


Ih bin völlig überzeugt, daß der Menfch alle die Kennt: 
niffe befigt, die nöthig find, ihn glüdlich zu machen. Aber es 
ift mir auch wahrſcheinlich, daß biefe menschliche Glüdfeligkeit, 
als folche, ‚wenig zum Wohlfein des Ganzen beiträgt. Was 
der Menſch zum Wohlfein.. des Ganzen beiträgt, ift ſchwerlich 
feiner Willkür unterworfen. Was überfieht er davon? Nützt 
er, felbft mit Ausübungen feiner Willkür, :fo ift felbft feine 
Willkür eine Mafchine, und man ftreitet über Wer. Bu 


144 


wilfürlih zum Vortheil des Ganzen wirkt, muß das Ganze 
überfehen. Diefes kann ber Menfch nicht, alfo iſt hier in Ab⸗ 
fiht des Ganzen an Freiheit nicht zu gedenken. Unumſchränkte 
Freiheit ift bier ein Widerſpruch. Hat er bloß Freiheit erhalten 
für einen gewiſſen Geſichtskreis, fo ift auch dieſes wieder Ma- 
fhinerie, und es ift immer bie Freiheit eines Menfchen, ber 
das Rad eines Krahns tritt. Ich glaube, da wo ber Menſch 
fih an bie große Kette anfchließt, iſt er nicht frei; er weiß wohl 
gar nicht einmal, daß er wirft. 


Wenn ich je eine Predigt drucken laſſe, fo ift es über 
base Bermögen Gutes. zu thun, daß jeber befikt. Der 
Henker bole unfer Dafein bienieden, wenn nur der Kaifer Gutes 
thun könnte. Jeder ift ein Kaifer in feiner Lage. 


Das Wort Gottesbienft follte verlegt, und nicht mehr 
vom Kirchengehen, fonbern bloß von guten Handlungen gebraudyt 
werben. 


Woher mag wohl bie entfegliche Abneigung des Menfchen 
herrühren, fi) zu zeigen, wie er ift, in feiner Schlaftammer, 
wie in feinen geheimften Gedanken? In der Körperwelt iſt Alles 
wechfelfeitig, das, was es fich fein kann, und zugleich fehr aufe 
richtig. Nach unfern Begriffen find bie Dinge gegen einander 
alles Mögliche, was fie fein können, und der Menſch ift es 
nicht. Er fcheint mehr Das zu fein, was er nicht fein follte, 


145 
Die Kunft fih zu verbergen, ober ber Wibertwille, fich geiftlich 


oder moralifh nadenb fehen zu laffen, geht bis zum Erſtau⸗ 
nen weit. 


Ich glaube, ſehr viele Menſchen vergeſſen über ihrer Erzie⸗ 
bung für den Himmel, die für die. Erde. Ich ſollte denken, 
ber Menſch handelte am meifeften, wenn er erflere ganz an 
- ihren Ort geftellt fein liege. Denn wenn wir von einem weifen 
MWefen an biefe Stelle gefeßt worden find, woran fein Zweifel 
ift, fo laßt uns das Beite in biefer- Station tun, und uns nicht 
durch Offenbarungen blenden. Was ber Menfch zu feiner Glück—⸗ 
feligfeit zu wiflen nöthig bat, das weiß er gewiß ohne alle an- 
dere Offenbarung, als die, bie er feinem Wefen nad) befigt. 


Die Superklugheit iſt eine der serien Arten von 
Unklugheit. 


Der Glaube an einen Gott iſt Inſtinct, er iſt dem Men⸗ 
ſchen natürlich, ſo wie das Gehen auf zwei Beinen; modificirt 
wird er freilich bei Manchen, bei Manchen gar erſtickt; aber in 
ber Regel ift er da, und iſt zur innern Wohlgeſtalt bes Erkennt⸗ 
nißvermögens unentbehrlid. 





Die Menfhen, die die Vergebung der Sünden durch latei- 
nifhe Formeln erfunden haben, find an dem größten Berberben 
in der Welt Schuld. 

I. — X 


146 


Eine der fhwerften Künfte für den Menfchen ift wohl bie, 
fih Muth zu geben. Diejenigen, benen er fehlt, finden ihn am 
erften unter dem mächtigen Schuß eines, ber ihn befikt, und 
ber uns bann helfen fann, wenn Alles fehlt. Da es nun fo 
viele Leiden in ber Welt gibt, denen mit Muth entgegen zu ge: 
hen, kein menſchliches Wefen einem Schwachen Kraft genug ger 
ben kann, fo ift die Religion vortrefflih. Sie iſt eigentlich bie 
Kunft, fi durch ben Gedanken an Gott, ohme andere weitere 
Mittel, Troſt und Muth im Leiden zu verfchaffen, und Kraft, 
bemfelben entgegen gu arbeiten. Ich babe Menſchen gekannt, 
denen ihr Glück ihr Gott war. Sie glaubten an ein Glück, 
und ber Glaube gab ihnen Muth, Muth gab ihnen Glüd, und 
Glück Muth. Es ift ein großer Verluſt für ben Menfchen, 
wenn er bie Überzeugung von einem weifen, bie Welt lenkenden 
Weſen verloren hat. Ich glaube, es ift diefes eine nothwendige 
Folge alles Stubiums ber Philofophie und der Natur. Man 
verliert zwar den Glauben an einen Gott nicht, aber es ift nicht 
mehr der bülfreiche Gott unferer Kindheit; es iſt ein Wefen, 
befien Wege nicht unfere Wege, und beffen Gedanken nicht un⸗ 


fere Gedanken find, und bamit ift dem Hülflofen nicht fonber- 
{ich viel gedient. 


Es ift eine goldene Regel, daß man die Menfchen nicht 
nah ihren Meinungen beurtheilen müffe, fondern nad bem, 
was diefe Meinungen aus ihnen machen. 


147 


Den redlihen Mann zu erkennen, ift in vielen Fällen leicht, 
aber nicht in allen. Es ift bier wie bei den Mineralien: einige 
laffen fi) äußerlich Teicht erkennen, bei andern ift chemifche Ber: 
legung nöthig. Aber wer gibt fich bei Charakteren mit chemi« 
fher Berlegung ab, ober wie Biele haben die Fähigkeit dazu? 
Das fchnelle Aburtheln ift größtentheild dem Faulheitstriebe der 
Menfhen zuzufchreiben; das mühfame chemifche Syftem findet 
in Prari wenig Anhänger. 


Es ift für des Menfchen Rechtfertigung hinreichend, wenn 
er fo gelebt hat, daß er feiner Tugenden wegen Vergebung für 
feine Fehler verdient. 


Man fchreibt wider den Selbftmord mit Gründen, bie un- 
fere Vernunft in dem Eritifchen Augenblide bewegen follen. Die: 
fe ift aber Alles vergeblih, fo lange man fi) diefe Gründe 
nicht felbft erfunden bat, das heißt, fobald fie nicht die Früchte, 
das Refultat unferer ganzen Erkenntniß und unfers erworbenen 
Weſens find. Alfo Alles ruft uns zu: bemühe dich täglih um 
Wahrheit, lerne die Welt Eennen, befleißige dich ded Umgangs 
mit rechtfchaffenen Menſchen, fo wirft dis jederzeit hanbeln, wie 
dirs am zuträglichften if. Findeſt du dann bereinft ben Selbſt- 
mord für zuträglich, das beißt, find alle deine Gründe nicht zu= 
reichend, dich abzuhalten, ff.» ....... | 


Ordnung führet zu allen Zugenden! aber was führet zur 
Ordnung? 





40° 


148 


Ze größer der Mann ift, deſto ftrafbarer iſt er, wenn er 
Fehler Anderer ausplaudert, die er erkennt. Wenn Gott bie 
Heimlichkeiten der Menfchen befannt machte, fo könnte die Welt 
nicht beftehen. Es wäre, als wenn man die Gedanken Anderer 
ſehen könnte. Wohl dem Menfchen, der Leinen Ausplauberer 
bat, der ihm an Kenntniffen überlegen ift ! 


Es gibt eine Menge Lleiner moralifcher Falfchheiten, die 
‚man übt, ohne zu glauben, daß es fchädlich fei;z fo wie man 
etwa aus ähnlicher Gleichgültigkeit gegen feine Geſundheit Tabad 
raucht. 


Der Stolz, eine edle Leidenſchaft, iſt nicht blind gegen 
eigene Fehler, aber der Hoch muth iſt es. 


Viele, die über Ablaßkrämerei in der katholiſchen Kirche 
lachen, üben ſie doch täglich ſelbſt. Wie mancher Mann von 
ſchlechtem Herzen glaubt ſich mit dem Himmel ausgeſöhnt, wenn 
er Almoſen gibt! Ich habe ſelbſt die boshafteſten Menſchen, 
die frevelhafteſten Unterdrücker des Verdienſtes und der Unſchuld 
damit rechtfertigen hören: ſie thäten den Armen Gutes. Aber 
das war nicht vitae lenor, das war nur Flickwerk. Ein Paar 
Spiegelfheiben machen noch feinen Palaſt. Cs hat aud) etwas 
Ähnliches mit den Berehrungen unter dem Galgen. 


Wenn doch nur der zehnte Theil der Religion und Moral, 


149 


die in Büchern fteht, in den Herzen fände! Aber fu geht es 
foft durchaus: der größte Theil von menfchlicher Weisheit wird 
bald nach feiner Erzeugung auf den Repofitorien zur Ruhe 
gebradt. Daher einmal Jemand biefed Wort nicht vom latei⸗ 
nifchen reponere, fondern unmittelbar vom franzöfifchen repos 
berleiten wollte. 


Ein Gelübde zu thun ift eine größere Sünde, als «8 
zu brechen.. 


Was die wahre Freundfhaft, und noch mehr das glüdliche 
Band der Ehe fo entzüdend macht, ift, die Erweiterung feines 
Ichs und zwar über ein- Feld binaus, das fi im einzelnen 
Menfhen durch Feine Kunft fchaffen. läßt. Zwei Seelen, die 
fi) vereinigen, vereinigen fi) doch.nie fo ganz, baß nicht immer 
noch der beiden fo vortheilhafte Unterfchied bliebe, der bie Mit: 
theilung fo angenehm madt. Wer fich fein eigenes Leiden Elagt, 
klagt es ficherlich vergeblich; wer e8 der Frau klagt, klagt e8 
einem Selbft, das helfen kann, und fchon durch die Theilnahme 
hilft. Und wer gern fein. Verbienft gerühmt hört, findet eben« 
falls in ihr ein Publikum, gegen welches er fih rühmen Fann, 
ohne Gefahr, fich lächerlich zu machen. 


Diele Menſchen ſetzen die Tugend mehr im Bereuen ber 
Fehler, als-im Vermeiden berfelben. 


— —— — — 


150 


Nachtrag 
zu den moraliſchen Bemerkungen. 


Schwachheiten ſchaden uns nicht mehr, ſobald wir ſie kennen. 


Man wird in manchen Fällen aus dem Grunde nicht ge⸗ 
firaft, oder es fieht vielmehr fo aus, als ob man nicht geftraft 
würbe, weil man bie Strafe an ſich felbft bezahlt. Das was 
ausgezahlt wird, wird oft einem Theile genommen und dem an- 
dem entrichtet. Einer kann an dem Ruhme, ein witziger Schrift« 
fteller zu fein, zunehmen, während ber Grebit, ben er als ehr: 
fiher Mann hatte, abnimmt. 


Die Welt ift in ihrem Urtheile in der Regel zu gütig, oder 
zu unbillig. 


Sich an einem Tage nicht von feinem Imwede ableiten Taffen, 
ift auch ein Mittel, die Zeit zu verlängern, und ein fehr fiheres, 
aber ſchwer zu gebrauchen. 


Wenn bu die Gefchichte eines großen Verbrechers licfeft, fo 
danke immer, ehe bu ihn verdammft, dem gütigen Simmel, 
daß er dich mit deinem ehrlichen Gefichte nicht an ben Anfang 
einer folchen Reihe von Umftänden geftellt hat. | 


151 


Wenn wir die Aufmerffamteit auf ſchwache Empfindungen 
vernehmen lernen, fo fünnen fie uns den Dienft von ftarken thun. 


So wie zu ben nieberträdhtigften und lafterhafteften Thaten 
Geift und Talent erfordert wird, fo ift felbft bei den größten 
eine gewiffe Unempfindlichkeit nöthig, die man bei anderen Ge: 
legenheiten Dummheit nennt. 


Es ift wirklich nichts abfcheulicher, als wenn fich felbft 
zugezogene Strafgerichte noch einlaufen, nachdem man fchon länge 
angefangen bat, fich zu beffern. 


Der Geldgeiz der beim Ehrgeiz fleht, verbiente allemal ein 
befieres Wort. 


Die Helden ber alten Dichter find fehr von denen im Mil: 
ton 3. B. verfhieden. Sie find tapfer, Elug und weife, aber 
felten nach unferen Sitten liebenswürdig und barmherzig. Mils 
ton bat die feinigen aus der Bibel entnommen. Sollte viel: 
leicht unfere chriftlihe Moral ihren Grund in einer gewiſſen 
Schwachheit haben, in einer jüdifchen Feigheit, da fidh bie ans 
dere auf Stärke gründet? Allgemeine Verträglichkeit ift vielleicht 
ein fchönes Hirngefpinft und was ſich nie wird erreichen laſſen. 


Sympathie ift ein fchlechtes Almofen. 


152 


Seinen Neigungen ſchlechtweg entgegen zu handeln führt gewiß 
am Ende zu etwas Beflerem. So 3.8. daß ich bei Tiſche nicht trinke. 


Es ift ſehr fhlimm, daß heutzutage bie Wahrheit ihre Sache 
durch Fiction, Roman und Kabel führen laſſen muß. 


Ehe man tabelt, follte man immer erft verfuchen, ob man 
nicht entfehuldigen kann. 


Es ift ein großer Unterfchieb, in einem ſchlechten Zuftande 
immer gelebt zu haben oder nun in denfelben erſt abwärts ge 
fommen zu fein. Im lekten Galle wird man von zwei Kräften 
getrieben, die in.der einfachen Richtung noch. immer als verfchie- 
ben gefühlt werden, hingegen im erften nicht, da man-fie für eine 
einzige, einfache hält. Diefes erſtreckt ſich noch über mehrere Dinge. 


Man fängt feine Teflamente gewöhnlihd damit an, baß 
man feine Seele Gott empfiehlt. Ich unterlaffe diefes mit Fleiß, 
weil ich glaube, daß ſolche Recommandationen wenig fruchten, wenn 
fie nicht durch das ganze Leben porausgegangen find. Solche Recom⸗ 
mandationen find Galgenbefehrungen; eben fo leicht als unwirkſam. 


Es gibt jegt der Vorfchriften, was man fein fol, fo man- 
herlei Arten, daß es fein Wunder wäre, wenn die Menge auf 
den Gedanken geriethe, zu bleiben, was fie ift. 





153 


un 
- Beobachtungen über den. Menfchen. 


Der fehmeichlerifche Elende, ich möchte faſt fagen der Feig- 
berzige, der unter jedem Streich des Schickſals winfelt, der fi 
mit bemüthigen Gebehrden naht, Brot fordert, und fih auf 
Gnade und Ungnade feinem Wohlthäter ergibt, ift leicht erfannt; 
ber Jagdjunker im Vorbeifprengen verſteht Mienenfprachg genug, 
ihn zu kennen. Der andere, ftille, nur für ein paar Stationen 
geſchaffene Mann, deffen Elend nicht geſchwätzig ift, der mehr 
benft, und wo er auf) immer an ber gemeinen LZaft angefpannt 
wird, beſſer ziebt,. ift fehmerer gu: kennen. Es gehört ein- ge 
übted Auge dazu, feine. ungefünftelte. Befcheidenheit- vom heim 
lihen Stolz und feine Kürze in Allem vom Troß zu unterfcheiden. 

Die gemeinften Menſchen, ob fie's gleich nicht der Mühe 
werth achten, nieberzufchreiben, ‚was fie. fehen, fehen und fühlen 
boch Alles, was des Niederfchreibens werth geweſen wäre, unb 
ber Unterfchied zwifchen dem Pöbel und dem Gelehrten befteht 
oft bloß in einer Art von Apperseption..oder in der Kunſt, zu 
Buch zu bringen. 


154 


Diefer Mann theilte Alles fehr gern mit, was ihn nichts 
Eoftete, unter Allen am meiften Complimente; beleidigte Nies 
manden, wenigſtens wußte man es nicht; hatte allezeit eine 
liebreiche Miene, und feine Befcheidenheit war fo groß, daß fie 
in ber Stimme fogar an das Kläglihe grenzte; er paffirte bei 
vielen Zeuten für tugendhaft, und bei den Meiften für demüthig; 
furz, er war von ber Art Leute, die man fo ziemlich häufig 
antrifft, und die man in England mit dem Namen sneaking 
rascals zu bechren pflegt. 


Es gibt eine gewiſſe Art Menfchen, bie mit jedermann leicht 
Zreundfchaft machen, ihn eben fo bald wieder haſſen und wieber 
lieben. Stellt man fi) das menfchliche Geſchlecht als ein Ganzes 
vor, wo jeder Theil in feine Stelle paßt, fo werden dergleichen 
Menfchen zu ſolchen Ausfülletheilen, die man überall binwerfen 
kann. Man findet unter biefer Art von Leuten felten große 
Genies, ohnerachtet fie am leichteften dafür gehalten werden. 


Aus den Träumen der Menfchen, wenn fie diefelben genau 
erzählten, ließe fich vielleicht Vieles auf ihren Charakter fchließen. 
Es gehörte aber bazu nicht etwa einer, fondern eine ziemliche 
Menge von Träumen. 


Heftigen Ehrgeiz und Mißtrauen babe ih noch allemal 
beifammen gefeben. 


155 


Zeute, bie nicht die feine Verſtellungskunſt völlig inne 
haben, und Andere mit Fleiß bintergehen wollen, entbeden uns 
gemeiniglich das Generelle ihrer ganzen Denkungsart bei ber 
erften Bufammentunft. Wer alfo ber Neigung eines Anbern 
ſchmeicheln, und fih in biefelbe ſchicken lernen will, der muß 
bei der erften Zuſammenkunft genau Achtung geben; bort findet 
man gemeiniglih die beflimmenden Punkte ber ganzen Den: 
fungsart vereinigt. 

Es gibt Menfhen, bie fogar in ihren Worten und Aus: 
brüden etwas Eigenes haben, (die meiften haben menigftens 
etwas, das ihnen eigen ift,) ba boch Redensarten durch eine 
lange Mode fo und nicht anders find. Solche Menfchen find 
immer einer Aufmerkſamkeit würdig; es gehört viel Selbftgefühl 
und Unabhängigkeit der Seele dazu, bis man fo weit kommt. 
Mancher fühlt neu, und der Ausdrud, womit er dieſes Gefühl 
Andern deutlich machen will, ift alt. 





Es ift zum Erflaunen, wie wenig oft dasjenige von uns 
gethan wird, was wir für nüglid halten und was auch leicht 
zu thun wäre. Die Begierde, geſchwind viel wiflen zu wollen, 
binbert oft die genauen Unterfuchungen; allein es ift felbft dem 
Menfchen, ber diefes weiß, fehr ſchwer, etwas genau zu prüfen, 
wenn er gleich überzeugt ift, er komme, ohne Prüfung, auch 
nit zu feinem Endzweck, viel zu lernen. 


156 


Wenn man gern wiſſen will, was anbere Leute über eine 
gewiffe Sache denken, bie einen felbft angeht, To benfe man 
nur, was man unter gleichen Umftänben von ihnen benfen 
würde. Man halte Niemanden für moralifch beffer in biefem 
Stück, als man ſelbſt ift, und Niemanben für einfältiger. Die 
Zeute "merken Öfterer, als man glaubt, folde Dinge, die wir 
vor ihnen mit Kunft verftedt zu haben meinen, — Bon biefer 
Bemerfung ift mehr ald die Hälfte wahr, und das ift allemal 
viel für eine Marime, die jemand in feinem breißigften Jahre 


foftfeßt, wie ich biefe. 


Die Äußerungen der Großmuth find heutzutage mehr ein 
Wert der L2ertüre, ald ber. Gefinnungen;, das beißt, man ift 
mehr großmüthig, um Lectüre zu zeigen, als Güte bes Herzens. 
Leute, die es von Ratur find, merken felten, daß e8 etwas ift, 
großmüthig zu fein. - 


Die higigften Vertheidiger einer Wiffenfchaft, die nicht den 
geringfien fcheelen Geitenblid auf biefelbe vertragen können, find 
gemeiniglich ſolche Perfonen, bie es nicht fehr ‚weit in bderfelben 
gebracht haben, und fich diefes Mangels heimlic) bewußt find. 





Kluge Leute glauben zu machen, man fei, was man nidt 
it, ift in den meiften Fällen ſchwerer, als wirklich zu werben, 
was man fcheinen mil. 


157 


In ben böfliden Städtchen ift e8 unmöglich, etwas in ber 
Weltkenntniß zu thun. Alles ift da fo höflich ehrlich, fo höflich 
grob, und fo höflich betrügeriih, daß man felten böfe genug 
werden fann, um eine Satire zu fehreiben. Die Leute verbdies 
nen immer Mitleiden. Kurz es fehlt Allem die Stärke. 


Kein Charakter ift gemeiner, als der von Philipp IT. von 
Spanien: Langfam ohne Klugheit, falfch ohne jemanden zu 
bintergehen, und fein ohne die geringfte wahre Beurtheilung. 
So fhildert ihn Hume. 


Es ift ein wahres Vergnügen, eine Coquette zu fehen, wie 
fie fih firäubt und bäumt und wendet, und nicht über bie Linie 
binüber will, bie bie alte Srau von ber jungen ſcheidet. Sie 
arbeiten mit Reiben und Wafchen, mit Schönpfläfterden und 
Pug immer dem Alter entgegen, das fie binübderziehen will, bis 
fe endlich, wenn fie fehben, daß man zu glauben anfängt, fie 
wären-fchon hinüber, wirklich nachgeben und hinübergehen. 


Der Umgang mit vernünftigen Leuten iſt deßwegen jeder: 
mann fo fehr anzurathen, weil ein Dummkopf auf biefe Art 
buch Rachahmen Elug handeln lernen kann; denn bie größten 
Dummköpfe können nadahmen, ſelbſt die Affen, Yubelhunde 
und Elephanten können es. ’ 


Kaufleute, die täglich oft ganz entgegengefegte Moden rüds 


158 


men hören, und das von Leuten, bie fie übrigens hochachten, 
befommen einen fo gemifchten Gefhmad, daß ihnen endlich 
Alles gefüllt. Sie fagen alfo mit Recht: „das bat biefer oder 
jener Mann gewählt,” anſtatt zu fagen, das ift- fchön und 
das nicht. 


Wahrhaftes, unaffectirtes Mißtrauen gegen menfchliche Kräfte 
in allen Stüden, ift das fiherfte Zeichen von Geiftesftärke. 


Es gibt Leute, bie werben mit einem böfen Gewiſſen ges 
boren — mit einem rothen Strich (Strid) um den Hals. 


Leibnitz bat die chriftliche Religion vertbeibigt. Daraus ge⸗ 
rade weg zu fehließen, wie bie Theologen thun, er fei ein guter 
Chriſt gewefen, verräth fehr wenig Weltfenntniß. Eitelkeit, et= 
was Befferes zu fagen, ald die Leute von Profeffion, iſt bei ei⸗ 
nem folden Manne, wie Leibnig,..dver wenig Feſtes hatte, eine 
weit wahrfcheinlichere Triebfeder, fo etwas zu thun, als Religion. 
Man greife doch mehr in feinen eigenen Bufen, und man wird 
finden, wie wenig ſich etwas von Anbern behaupten läßt. Ja, 
ich getraue mir zu beweifen, daß man zuweilen glaubt, man 
glaube etwas, und glaubt es doch nicht. Nichts ift unergründ⸗ 
licher, ald das Syſtem von Triebfedern unferer Handlungen. 


Mir ift ein Kleinthuer weit unausftehlicher, als ein Groß⸗ 
thuer. Denn einmal verftehen fo Wenige das Kleinthun, weil e8 





159 


eine Kunſt if, da Großthun aus ber Natur entfpringt; und 
born läßt der Großtäuer jedem feinen Werth, ber Kleinthuer 
hingegen veradhtet offenbar den, gegen welchen er es il. Ich 
babe Einige gekannt, bie von ihrem geringen Verdienſt mit fo 
viel pietiftifcher Dünnigkeit zu fprechen wußten, als wenn fie 
fürchteten, man möchte fhmelzen, wenn fie fih in ihrem gan» 
zen Lichte zeigten. Sch babe mir aber angewühnt, über folche 
Leute zu lachen, und feit ber Zeit fehe und böre ich fie gern. 


Ih glaube, daß die Quelle bed meiften menfhlihen Elends 
in Indolenz und Weichlichleit liegt. Die Nation, bie bie meilte 
Spannfraft hatte, war auch allezeit bie freiefte und glüdlichfte. 
Die Indolenz rädt nichts, fondern läßt ih den größten Schimpf 
und bie größte Unterdrüdung abfaufen. 


Verſtändigen Perfonen werben nicht allein ſchöne Leute ohne 
Verſtand verbaßt, fondern auch die äußerfte Dienfifertigkeit bei 
Leuten verliert ohne Gaben des Geiſtes ihren Wert. 


Die meiften Gelehrten find abergläubifcher, als fie ſelbſt 
fagen, ja als fie felb glauben. Man kann üble Gewohnheiten 
nicht fo Teicht ganz los werden; fie vor der Welt verbergen, unb 
bie fehäblichen Folgen hindern, das kann man. 


Ich bin überzeugt, man liebt ſich wicht bloß in Audern, 
fondern baßt fi aud in Andern, 


160 


Der Menfch hat einen unmiderftehlichen Irieb, zu glauben, 
man fähe ihn nicht, wenn er .nichts fiebt — wie bie Kinder, 
die bie Augen zuhalten, um nicht gefehen zu werden. 


Ich kann nur die ‚Oberfläche ber Leute auf meine Seite 
bringen, ihr Herz erhält man nur mit ihrem finnlichen Ber: 
gnügen — davon bin ich fo überzeugt, als ich lebe. 


Es gibt Leute von unfchädfiher Gemüthsart, aber doch 
dabei eitel, die immer von ihrer Ehrlichkeit reden und bie Sache 
faft wie eine Profeffion treiben, und .mit einer fo prahlenden 
Befcheidenheit von ihrem Berdienft zu wimmern wiſſen, baß 
einem die Geduld über den immer mahnenden Gläubiger ausgeht. 


Deffen, was wir mit Gefühl beurtheilen können, ift fehr 
wenig, das Andere ift Alles Vorurtheil und Gefälligkeit. 


Men would be angels, angels. would be Gods. Man 
bält immer das für verdienftlicher, was einem fauer wird. Die: 
ſes fließt aus der Verachtung feines gegenwärtigen Zuſtandes; 
daher Eommen die vielen Stümper. Der Schnallengießer will 
die Meereslänge erfinden. — Thue das, mas dir. leicht wird, 
wovon du gern immer fprächeft, wozu bu gern jedermann bräd;- 
teft, wenn du fönnteft, wovon bu bir deine eigenen Vorftellun: 
gen machſt, die andern Leuten zumeilen nicht in ben Kopf wol: 
len, und bie fie fremd und feltfam finden. Weiter muß man 








161 


geben, allerdings, aber es muß ſich gleihfam von feldft geben, 
man muß glauben, immer bafielbe zu thun, und zur Berwuns 
berung anderer Leute fehr viel mehr thun. Es ift ein Unglüd, 
wenn ein Mann von Fähigkeiten buch Empfehlungen von Mäns 
nern, deren Begriffe von ihm etwas zu groß find, in ein Amt 
fommt, wo man etwas Außerorbentliches von ihm erwartet, das 
er noch nicht Teiften kann. Es ift immer befier, daß ein Amt 
geringer ift, al& bie Fähigkeiten. Wer oft baffelbe thut, kommt 
darin weiter, aber nicht der, der fi) vornimmt, Dinge zu thun, 
bie von feinen gegenwärtigen Berrichtungen verſchieden find. 
Diefes Fünnte mit der Einleitung gefagt werden, bab man 
aus Erfahrungen reden müffe, wenn man lehren wolle. Sein 
eignes Leben auf biefe Art befchrieben fruchtet mehr für Andere, 
als hundert Kaiferhiftorien. — Wenn man fagt, "man müffe 
Geſchichtbücher Iefen, um bie Menfchen kennen zu lernen, fo 
muß man nicht glauben, man verftehe jene feinen, ins Ber: 
ſchlagene fallenden Künfte darunter; bie lernt man wohl allein 
in ber Gefelfchaft, und gewiß fichrer und ſchneller. 

Sch habe bemerkt, baß zwar jeht eine gewiſſe Freigeifterei 
unter jungen Leuten einreißt, bie mit ber Seit üble Folgen ha⸗ 
ben kann; aber fo viel ift gewiß, es bat fih doch ein gewiffes 
Wohlwollen unter eben biefen Leuten ausgebreitet. Man findet 
viel Mitleiden,, Befcheidenheit u. f. w. unter ihnen ”). 


) Im Jahr 1774 geſchtieben. 
I. 1 


162 


Es ift dem Menfchen ſehr natürlih, wenn er verliebt ift, 
Ähnlichkeiten zwifchen feinem Namen und feiner Geliebten Ra 
men, ja fogar zwifchen den Geburtstagen und Geburtsorten zu 
finden. So fand ein Berliebter es merfwürbig, daß er den 4, 
November, und feine Geliebte ben 4. December geboren war; 
ein anderer, baß fein Geburtstag auf den 1. Julius, und ber 
feines Mädchens auf ben 1. Jänner fiel. 


Ich wollte lieber das Wort ſuperklug gemadt haben, 
al8 irgend eines; es macht feinem Zuſammenſetzer zuverläffig 
Ehre. Es gibt Leute, die fi) angewöhnt haben, über Alles 
Reflexionen anzuftellen, nicht weil ihnen die Saden natürlich 
einfallen, fondern weil fie e8 erfünfteln — ein Verfahren, das 


der Philofophie nicht das Geringfte nügt. Es find fo zu reden 


Wunder in der Welt der Ideen, auf die man nicht rechnen fann. 
Da dergleichen Leute immer Urfachen angeben, weil fie es für 
ihre Pflicht anfehen, ober für ſchön halten, fo verfehlen fie faft 
allemal das Natürliche, denn das Schwere, Weithergeholte ſchmei⸗ 
chelt dem Stolze, aus welchem fie es thun, mehr als das Na⸗ 
türliche. Hierin Tiegt auch der Grund davon, baß uns bie 
großen Entdedungen fo leicht zu machen fcheinen, wenn fie ge- 
macht find. Der eigentlich Berftändige Bingegen, ber nicht fo 
viel lebhaften Wiß hat, oder ihm wenigftens nicht gleich traut, 
fließt fo, weil er hohe Urfache bat, fo zu fehließen: durch Ähn⸗ 
lichkeiten ſind mir Tauſende verwandt, durch nahe Blutsfreund⸗ 
[haft nur Wenige. Verſteht ihr mich? Daher urtheilen Frauen⸗ 


163 


zimmer fo vernünftig — (wenn fie erft einmal beffer werben 
erzogen werben, fo wird es ſchon anders werben) — das haben 
unfere Vorfahren eingefeben, und fie bei wichtigen Angelegen- 
heiten zu Rathe gezogen. Die Gallier glaubten fogar, es fei 
etwas Göttliches in ihnen. Ihr Gefühl für das wahre Schöne 
bängt mit jenem zufammen, fo wie das Superfluge mit einem 
Bergnügen am Sonderbaren verbunden if. Der Kluge wirb 
nie fuperflug, hingegen kann ber Superkluge, wenn er aufhört, 
aus dem Erfinden ein Geſchäft zu machen, und viel vernünftige 
Sachen lieft, wofern er ſich nicht gar zu fehr verfiiegen bat, am 
Ende Plug werden. 


Die Kunft, fih durch ein von almofenfuchender Demüthis 
gung weit entfernte Dünnethun ein Gewicht zu geben, hat 
vieleicht nie jemand ftärfer in feiner Gewalt gehabt, ale — 


Wenn ihn bie Welt ganz kennte, fo wie ich ihn kenne, 
meine Herren, fie würde den Fuchs und das Shamäleon in ih⸗ 
ren Sleichniffen gegen ihn vertaufchen. 


Es gibt Leute, die zuweilen ihre Offenberzigkeit rühmen; 
fie folten aber bedenken, baß bie Offenherzigkeit aus dem Cha⸗ 
rakter fließen muß, fonft muß fie felbft der als eine Grobbeit 
anfeben, ber fie ba, wo fie echt iſt, hochfchägt. 


Wenn man etwas ernftlich fürchtet, fo bringen die entfern- 
11° 


156 


Wenn man gern wiſſen will, was anbere Leute Über eine 
gewiffe Sache benfen, bie einen felbft angeht, fo benfe man 
nur, was man unter gleichen Umftänben von ihnen denken 
würde. Man halte Niemanden für moralifch befjer in biefem 
Stüd, als man felbft ift, und Niemanben für einfältiger. Die 
Leute "merken Öfterer, als man glaubt, folde Dinge, die wir 
vor ihnen mit Kunft verftedt zu haben meinen, — Bon biefer 
Bemerkung ift mehr als die Hälfte wahr, und das ift allemal 
viel für eine Marime, die jemand in feinem breifigften Jahre 


feſtſetzt, wie ich biefe. 


Die Äußerungen der Großmuth find heutzutage mehr. ein 
Werk der Lectüre, ald ber. Gefinnungen, das beißt, man ift 
mehr großmüthig, um Lectüre zu zeigen, als Güte bes Herzens. 
Leute, bie es von Ratur find, merken felten, daß es etwas ift, 
großmüthig zu fein. - nt 


Die bitigften Vertheidiger einer Wiffenfchaft, die nicht ben 
geringften fcheelen Seitenblid auf biefelbe vertragen können, find 
gemeiniglich folche Perfonen, bie e8 nicht fehr ‚weit in-berfelben 
gebracht haben, und fich dieſes Mangels heimlich bewußt find. 


Kluge Leute glauben: zu machen, man fei, was man nicht 
ift, ift in ben meiften Fällen ſchwerer, als wirklich zu werben, 
was man feheinen will. 


157 


In den böflihen Städtchen ift e8 unmöglich, etwas in ber 
Weltkenntniß zu thun. Alles ift da fo höflich ehrlich, fo höflich 
grob, und fo höflich betrügerifh, daß man felten böfe genug 
werden fann, um eine Satire zu fohreiben. Die Leute verdies 
nen immer Mitleiden. Kurz e8 fehlt Allem die Stärfe. 


Kein Charakter ift gemeiner, als der von Philipp IT. von 
Spanien: Langfam ohne Klugheit, falſch ohne jemanden zu 
bintergeden, und fein ohne die geringfte wahre Beurtheilung. 
So fchildert ihn Hume. 


Es ift ein wahres Vergnügen, eine Coquette zu fehen, wie 
fie fich firäubt und bäumt und wendet, und ‚nicht über bie Linie 
binüber will, die die alte Frau von ber jungen ſcheidet. Sie 
arbeiten mit Reiben und Wafchen, mit Schönpfläfterdhen und 
Yus immer dem Alter. entgegen, da8 fie binüberziehen will, bis 
fie endlich, wenn fie fehen, daß man zu glauben anfängt, fie 
wären-fchon hinüber, wirklich nachgeben und binübergeben. 


Der Umgang mit ‚vernünftigen Leuten ift deßwegen jeder: 
mann fo fehr anzurathen,. weil ein Dummkopf auf. diefe Art 
durch Nahahmen Elug handeln fernen kann; denn die größten 
Dummköpfe können nahahmen, felbit die Affen, Pudelhunde 
und Elenhanten fünnen es. ’ 





Kaufleute, die täglich oft ganz entgegengefegte Moben rüh—⸗ 


158 


men bören, unb das von Leuten, bie fie übrigens hochachten, 
befommen einen fo gemifchten Gefhmad, daß ihnen enblid 
Alles gefält. Sie fagen alfo mit Recht: »das bat biefer ober 
jener Mann gewählt,“ anftatt zu fagen, das ift- fhön und 
das nicht. 


Wahrhaftes, unaffectirtes Mißtrauen gegen menſchliche Kräfte 
in allen Stüden, ift das fiherfte Zeichen von Geiſtesſtärke. 


Es gibt Leute, die werben mit einem böfen Gewiſſen ge 
boren — mit einem rothen Strich (Strid) um den Hals. 


Leibnitz bat die chriftliche Religion vertheibigt. Daraus ges 
rabe weg zu fließen, wie die Theologen thun, er fei ein guter 
Chrift gewefen, verräth fehr wenig Weltkenntniß. Eitelkeit, et= 
was Beſſeres zu fagen, al& die Leute von Profeffion, ift bei ei⸗ 
nem folden Manne, wie Leibnig, der wenig Feſtes hatte, eine 
weit wahrfcheinlichere Triebfeder, fo etwas zu thun, als Religion. 
Man greife doch mehr in feinen eigenen Bufen, und man wird 
finden, wie wenig fi) etwas von Andern behaupten läßt. Ja, 
ich getraue mir zu beweifen, daß man zuweilen glaubt, man 
glaube etwas, und glaubt e8 doch nicht. Nichts iſt unergründs 
licher, ald das Syſtem von Triebfedern unferer Handlungen. 


Mir ift ein Kleinthuer weit unausftehlicher, als ein Große 
thuer. Denn einmal verftehen fo Wenige das Kleinthun, weil es 


159 


eine Kunft iſt, da Großthun aus ber Natur entfpringt; und 
bann läßt der Großthuer jedem feinen Werth, ber Kleinthuer 
hingegen verachtet offenbar den, gegen welchen er es il. Ich 
babe Einige gekannt, bie von ihrem geringen Berbienft mit fo 
viel pietiftifcher Dünnigfeit zu fprehen wußten, als wenn fie 
fürdteten, man möchte fhmelzen, wenn fie fih in ihrem gans 
zen Lichte zeigten. Ich habe mir aber angewühnt, über foldye 
Leute zu lachen, und feit ber Zeit fehe und höre ich fie gern. 


Ich glaube, daß die Quelle des meiften menfchlichen Elends 
in Inbolenz und Weichlichkeit liegt. Die Nation, bie bie meifte 
Spannfraft hatte, war auch allezeit die freiefte und glüdlichfte. 
Die Indolenz rächt nichts, fondern läßt fi) den größten Schimpf 
und bie größte Unterdrüdung abfaufen. 


Berftändigen Perfonen werden nicht allein ſchöne Leute ohne 
Verſtand verhaßt, fondern auch bie äußerfte Dienftfertigkeit bei 
Leuten verliert ohne Gaben des Geiftes ihren Werth. 


Die meiften Gelehrten find abergläubifcher, als fie felbft 
fagen, ja als fie felbft glauben. Man kann üble Gewohnheiten 
nicht fo leicht ganz los werden; fie vor der Welt verbergen, und 
bie fchäblichen Folgen hindern, das kann man. 


Ich bin überzeugt, man liebt ich nicht bloß in Andern, 
fondern haßt ſich auch in Andern. 


160 


Der Menfch hat einen unwiderftehlihen Trieb, zu glauben, 
man fähe ihn nidt, wenn er nichts fieht — wie bie Kinder, 
die die Augen zuhalten, um nicht gefehen zu werben. 


Ich kann mur die Oberfläche ber Leute auf meine Seite 
bringen, ihr Herz erhält man nur mit ihrem finnlichen Ber. 
gnügen — bavon bin ich fo überzeugt, als ich lebe. 


Es gibt Leute von unfchädlicher Gemütbsart, aber doch 
dabei eitel, die immer von ihrer Ehrlichkeit reden und bie Sache 
faft wie eine Profeffion treiben, und .mit einer fo prahlenden 
Befcheidenheit von ihrem Berbienft zu wimmern wiflen, baß 
einem die Geduld über ben immer .mahnenden Gläubiger ausgeht. 


Deffen, was mir mit Gefühl beurtheilen können, ift fehr 
wenig, das Andere ift Alles Vorurtheil und Gefälligkeit. 


Men would be angels, angels would be Gode Man 
hält immer das für verbienftlicher, was einem fauer wird. Die- 
fe8 fließt aus der Verachtung feines gegenwärtigen Zuſtandes; 
daher fommen bie vielen Stümper. Der Schnallengießer will 
die Meereslänge erfinden. — Thue das, was bir.leicht wirb, 
wovon du gern immer fprächeft, wozu du gern jedermann bräd- 
teft, wenn du könnteſt, wovon bu bir deine eigenen Vorſtellun⸗ 
gen macht, die andern Leuten zuweilen nicht in den Kopf wol: 
len, und bie fie fremd und feltfam finden. Weiter muß man 


161 


gehen, allerdings, aber es muß fih gleihfam von felbft geben, 
man muß glauben, immer bafjelbe zu thun, und zur Verwun⸗ 
berung anderer Leute fehr viel mehr thun. Es ift ein Unglüd, 
wenn ein Mann von Fähigkeiten burch Empfehlungen von Mäns 
nern, deren Begriffe von ihm etwas zu groß find, in ein Amt 
fommt, wo man etwas Außerordentliche von ihm erwartet, das 
er noch nicht leiften kann. Es ift immer beffer, daß ein Amt 
geringer ift, als die Fähigkeiten. Wer oft dafjelbe thut, kommt 
darin weiter, aber nicht der, ber fidy vornimmt, Dinge zu thun, 
die von feinen gegenwärtigen Berrichtungen verfchieden find. 
Diefes Fünnte mit ber Einleitung gefagt werden, daß man 
aus Erfahrungen reben müffe, wenn man lehren wolle. Sein 
eignes Leben auf biefe Art befchrieben fruchtet mehr für Andere, 
als Hundert Kaiferhiftorien. — Wenn man fagt, "man müſſe 
Gefchichtbücher Iefen, um die Menſchen Pennen zu lernen, fo 
muß man nicht glauben, man verftehe jene feinen, ins Ber: 
fchlagene fallenden Künfte darunter; die lernt man wohl allein 
in der Gefelfchaft, und gewiß fichrer und ſchneller. 


Sch babe bemerkt, daß zwar jebt eine gewiſſe Freigeifterei 
unter jungen Leuten einreißt, die mit ber Zeit üble Kolgen ba- 
ben kann; aber fo viel ift gewiß, es bat fich doch ein gewiffes 
Wohlwollen unter eben biefen Leuten ausgebreitet. Man findet 
viel Mitleiden, Befcheidenheit u. f. w. unter ihnen °). 


*) Im Jahr 1774 gefchrieben. 
l. AN 


Es if dem Renſchen ſehr natürlich, wenn er verlicht iM, 
Ähnlichkeiten zwiſchen feinem Namen und feiner Geliebten Ra- 
men, fa fogar zwiſchen den Beburtstagen und GBeburtsorten zu 
finden. &o fand ein Berliebter e8 merkwürdig, daß er ben 4, 
November, und feine Beliebte den 4. December geboren war; 
ein anderer, dab fein Beburtstag auf den 1. Julius, und der 
feines Mädchens auf den 1. Jänner fiel. 


Ich wollte lieber da8 Wort ſuperklug gemacht haben, 
ale irgend eines; es macht feinem Bufammenfeker zuverläfflg 
Ehre. Es gibt Leute, die fih angewöhnt haben, über Alles 
Meflerionen anzuftellen, nicht weil ihnen bie Sachen natürlich 
einfallen, fondern weil fie e8 erfünfteln — ein Berfahren, das 
ber Philoſophie nicht das Geringfte nügt. Es find fo zu reden 
Runder In der Melt der Ideen, auf bie man nicht rechnen fann. 
Da dergleichen Leute immer Urfachen angeben, weil fie es für 
ihre Pflicht anfehen, oder für fchön halten, fo verfehlen fie faft 
allemal das Natürliche, denn das Schwere, Weithergeholte ſchmei⸗ 
(belt dem Stolze, aus welchem fie es thun, mehr als das Na- 
tuͤrliche. Hierin Liegt auch der Grund davon, daß uns bie 
großen Entdeckungen fo leicht zu machen feheinen, wenn fie ge: 
macht find. Der eigentlich Verſtändige hingegen, ber nicht fo 
viel lebbaften Wid bat, oder ihm wenigftens nicht gleich traut, 
fidlieht fo, weil er hohe Urſache bat, fo zu ſchließen: durch Ihm- 
lichkeiten And mir Tauſende verwandt, durch nabe Blutsfreund⸗ 
(wart nur Wenige, Verſteht ihr mich? Daher urtheilen Srauen- 


163 


zimmer fo vernünftig — (wenn fie erft einmal beffer werben 
erzogen werben, fo wirb es ſchon anders werden) — das haben 
unfere Vorfahren eingefehen, und fie bei wichtigen Angelegen⸗ 
beiten zu Rathe gezogen. Die Gallier glaubten fogar, es fei 
etwas Göttliches in ihnen. Ihr Gefühl für das wahre Schöne 
hängt mit jenem zufammen, fo wie da8 Superfluge mit einem 
Vergnügen am Sonberbaren verbunden if. Der Kluge wirb 
nie fuperffug, hingegen kann ber Superfluge, wenn er aufbört, 
aus dem Erfinden ein Gefchäft zu machen, und viel vernünftige 
Sachen lieft, wofern er ſich nicht gar zu fehr verftiegen bat, am 
Ende Plug werden. 


Die Kunft, fi duch ein von almofenfuchender Demüthis 
gung weit entfernte® Dünnethun ein Gewicht zu geben, Bat 
vielleicht nie jemand ftärker in feiner Gewalt gehabt, als —. 


Wenn ihn die Welt ganz Fennte, fo wie ich ihn Eenne, 
meine Herren, fie würde den Fuchs und das Chamäleon in ih: 
ren Gleichniffen gegen ihn vertaufchen. 


Es gibt Leute, die zuweilen ihre Offenberzigkeit rühmen; 
fie follten aber bedenken, daß die Offenherzigfeit aus dem Cha» 
rakter fließen muß, fonft muß fie felbft der als eine Grobheit 
anfeben, ber fie da, wo fie echt ift, hochſchätzt. 


Wenn man etwas ernftlich fürchtet, fo bringen bie entferu- 
AL” 


164 


teften Dinge uns den Gegenſtand in den Sinn. Für einen, 
der am Hofe Iebt, kann die geringfte Bewegung im Geficht ‚nicht 
des Fürften felbft, fondern fogar feiner Diener, glauben machen, 
man fei in Ungnade gefallen. Doch machen bie Gharaftere 
hierin einen großen Unterfchied, und wer eine Zeichnung machen 
will, bat fehr darauf zu achten. 


Er war fonft ein Menfh, wie wir, nur mußte er flärder 
gebrüdt werden, um zu fehreien; er mußte zweimal fehen, wa 
er bemerken, zweimal hören, was er behalten follte, und was 
Andere nach einer einzigen Obrfeige unterlaffen, unterließ er erft 
nach ber zweiten. 


Die Marime von Rodhefoucault: dans l’adversit6 de 
nos meilleurs amis nous trouvons toujours quelque chose, 
qui ne nous deplait pas, £lingt allerdings fonberbar; wer aber 
die Wahrheit derfelben leugnet, verfteht fie entweder nicht, oder 
kennt fich felbft nicht. 


Keine Leute find eingebildeter, als die Befchreiber ihrer 
Empfindungen, zumal wenn fie dabei etwas Profe zu comman⸗ 
diren haben. 


Für alle Bemerkungen eines Mannes, ber 3. E. baarfuß 
nach Nom laufen könnte, um fih dem vatifanifhen Apoll zu 
Füßen zu werfen, gebe ich Beinen Pfennig. Diefe Leute fprechen 


165 


nur von fih, wenn fie von andern Dingen zu reden glauben, 
und bie Wahrheit kann nicht leicht in üblere Hände gerathen. 


Man fuche feinen Entbhufiaften Behutfamkeit lehren zu wols 
len. Solche Leute fagen, fie wollen behutfam fein, glauben 
auch, fie wären es, und find die unbehutjamften Menfchen auf 
der Welt, 


Ein gemeiner Charakter ift folgender: Es gibt Leute, bie 
3.3. wenn fie zeichnen, fein Fältchen im Ermel leiden können; 
fie haben für jedes Glied, das fie zeichnen, einen befonbderen 
DBleiftift, müffen eigene Stühle haben, ihre Fenſter müffen be- 
fonders liegen, und wenn fie anfangen zu zeichnen, zeichnen fie 
doch herzlich ſchlecht. Diefer Charakter findet fich nicht bloß bei 
Künftlern, fondern auch ſonſt. Man muß aber nicht glauben, 
als fagte ich e8 zur Erläuterung des Parturiunt montes etc. — 
nicht8 weniger; benn es ift ein Aufwand und feine Prablerei. 


Habe Peine zu künſtliche Idee vom Menfchen, fundern ur: 
theile natürlich von ihm; halte ihn weber für zu gut, noch für 
zu böfe. 


Jeder Menfch bat auch feine moralifche backside, bie er 
nicht ohne Noth zeigt, und die er fo lange als möglich mit den 
Hofen des guten Anftandes zubedt. 


166 — 


Der Stolz der Menſchen iſt ein ſeltſames Ding, es läßt 
ſich nicht ſo leicht unterdrücken, und guckt, wenn man das Loch 
A zugeſtopft bat, ehe man fich's verſteht, zu einem andern Loch 
B wieber heraus, und hält man dieſes zu, fo ftebt es binter 
dem Loch C u. f. w. 


In jedes Menfchen Charakter figt etwas, das ſich nicht bres 
hen läßt — das Knochengebäude bes Charakters; und 
biefes ändern wollen, beißt immer, ein Schaf das Apportiren 
lehren. 


Man kennt mandhmal einen Menfchen genauer, ald man 
fagen kann, ober wenigftens als man fagt. Worte, Grad ber 
Munterkeit, Laune, Bequemlichkeit, Wit, Intereſſe — Alles 
brüdt und leitet zur Falſchheit. & 


Wo Mäßigung ein Fehler ift, da ift Gleichgültigkeit ein 
Verbrechen. 


Ih Eenne die Miene ber affectirten Aufmerkſamkeit, es ift 
der niedrigfte Grab von Zerftreuung. 


Ih bin überzeugt, daß ber Zank Homerifcher Helden man: 
hen Bank im Parlamente bervorgebradt hat. Mancher, ber 
gegen Lord North ſprach, dachte, er rebete gegen ben Agamem⸗ 
non. Es ift ber menfchlihen Natur fehr angemeffen. 


167 


Den Menfchen fo zu machen, wie ihn bie Religion haben 
will, gleiht bem Unternehmen ber Stoiker; es ift nur eine 
andere Stufe des Unmöglicdhen. 


Es war wohl niemals ein Mann von irgend einigem Werth, 
auf ben fein Pasquill gemacht worden wäre, und nicht leicht 
eine fchlechte Seele, bie eins auf irgend einen Mann von Ber: 
dienſt gemacht hätte. 


über nichts wird flüchtiger geurtheilt, als über die Charak⸗ 
tere der Menſchen, und doch ſollte man in nichts behutſamer 
ſein. Bei keiner Sache wartete man weniger das Ganze ab, 
das doch eigentlich den Charakter ausmacht, als hier. Ich habe 
immer gefunden, die ſo genannten ſchlechten Leute gewinnen, 
wenn man fie genauer kennen lernt, und bie guten verlieren. 


Wer fi) nur etwas Mühe geben will, wird leicht bemerken, 
daß es eine gewiſſe Menfchentenntniß, eine Philofophie und eine 
Theorie des Lebens gibt, die, ohne weiter unterfucht zu werben, 
bob Bielen zum Leitfaden im Handeln ſowohl als Sprechen 
dient. Es gibt fogar berühmte Leute, die weiter nichts vorzuwei⸗ 
fen haben. &o hält man in mittelmäßig großen Städten immer 
ben Profeffor für einen Pedanten; ja fogar das Univerfitätsmä- 
‚Bige hat da bie Bedeutung von Steifigkeit. Der Lanbjunker ift 
auch ein bekannter Charakter, und doc, find die meiften Land⸗ 
junter das gar nit. Schwache Köpfe find in biefer Philofophie 


168 


gemeinigli fehr zu Haufe. Man muß zuweilen wieder bie 
Wörter unterfuchen, benn bie Welt kann wegrüden, und bie 
Wörter bleiben ftehen. Alfo immer Sahen und feine Wör—⸗ 
ter! Denn fogar die Wörter unendblidh, ewig, immer 
haben ja ihre Bedeutung verloren. 


Man irrt fih gar fehr, wenn man aus dem, was ein 
Mann in Geſellſchaft fagt oder auch thut, auf feinen Charakter 
oder Meinungen fchließen wid. Man fpriht und handelt ja 
nicht immer vor Weltweifen; das Vergnügen eines Abends kann 
an einer Sophifterei hängen. Beurtheilt ja aud fein Bernünfs 
tiger Cicero's Philofophie aus feinen Neben. 


Man follte nicht glauben, daß ber unnatürliche Berftanb fo 
fehr weit gehen könnte, baß fich Beute beim infteigen in bie 
Zrauerfutfhe complimentiren fünnten. 





Es ift fonderbar, daß diejenigen Leute, bie bas Gelb am 
liebften haben und am beften zu Ratbe halten, gerne im Dimi⸗ 
nutivo davon ſprechen. „Da kann ich doch meine 600 Thä- 
lerchen babei verdienen“ — „ein hübfhes Sümmden! — 
Wer fo fagt, ſchenkt nicht leicht ein halbes Thälerchen weg. 


Er wunderte fich, daß ben Kagen gerade an ber Stelle zwei 
Löcher in ben Pelz gefchnitten wären, wo fie die Augen hätten. 


169 


Die kecht guten offenberzigen Leute muß man nie unter den 
Phraſesdrechslern ſuchen, wie Sterne. 


Manche Menfchen äußern fchon eine Gabe, fih dumm zu 
ftellen, ehe fie klug find; die Mädchen haben dieſe Gabe fehr oft. 


Wenn bie Menfchen fagen, fie wollen nichts gefchenkt haben, 
fo ift es gemeiniglich ein Zeichen, daß fie etwas geſchenkt haben 
wollen. 


Der Menfh liebt die Gefelfchaft, und ſollte es auch nur 
die von einem brennenden Rauchkerzchen fein. 

Man muß keinem Menfchen trauen, ber bei feinen Verſi⸗ 
herungen bie Hand auf das Herz legt. 


Die Dienftmädchen Lüffen die Kinder und fehütteln fie mit 
Heftigkeit, wenn fie von einer Mannsperfon beobachtet werden; 
bingegen präfentiren fie fie in der Stile, wenn FZrauenzimmer 


auf fie ſehen. 


Sch Habe das fhon mehr bemerkt, die Leute von Profeffion 
wiffen oft das Beſte nicht. 


Wie glülli würde Mancher leben, wenn er fi) um andes 
rer Leute Sachen fo wenig -befümmerte, als um feine eigenen. 


170 ” 


In jedem Menfchen ift etwas von allen Menſchen. Ich 
glaube dieſen Satz ſchon fehr lange; ben vollftänbigen Beweis 
davon kann man freilich erft von ber aufrichtigen Beſchreibung 
feiner feloft erwarten, nämlich, wenn fie von Bielen unternom⸗ 
men wird. Diefes, was man von Allen bat, mit geböriger 
Genauigkeit zu foheiden, iſt eine Kunft, die gemeiniglich bie 
größten Schriftfteller verftanden haben. Man braucht nicht viel 
von jedem Menfchen zu befiten. Es gibt geſchickte Leute, bie 
ihre chymifchen Verſuche im Kleinen anftelen, und richtigere 
Sachen berausbringen, als andere, bie fehr viel Geld darauf zu 
verwenden haben. 


Jedes Gebrehen im menfchlichen Körper erwedt bei bem, 
ber darunter leidet, ein Bemühen, zu zeigen, daß es ihn nicht 
drüdt: der Taube will gut hören, ber Klumpfuß über raube 
Wege zu Fuß gehen, ber Schwache feine Stärke zeigen, u. f. w. 
So verhält es fih in mehreren Dingen. Diefes ift für ben 
Schriftſteller ein unerfchöpflicher Quell von Wahrheiten, bie An⸗ 
dere erfhüttern, und von Mitteln, einer Menge in die Seele zu 
reden. 


Der Menſch ift der größten Werke alsdann fähig, - wenn 
feine Geiftesfräfte fihon wieder abnehmen, fo wie e8 im Julius 
und um 2 Uhr bes Nachmittags, da die Sonne ſchon wieder zu⸗ 
rückweicht und finkt, heißer ift, al8 im Junius und um 12 Uhr. 


171 


Es ift wahr, alle Menfchen fchieben auf, und bereuen ben 
Auffhub. Ich glaube aber, auch der Thätigfte findet fo viel 
zu bereuen, als ber Faulſte; denn wer mehr thut, fieht auch 
mehr und deutlicher, was hätte getban werden können. 


Es gibt Leute, die können Alles glauben, was fie wollen; 
das find glüdliche Geſchöpfe! 


Ein Mädchen, bie fi ihrem Freund nach Leib und Seele 
entdedt, entbedit bie Heimlichkeiten bes ganzen weiblichen Ge⸗ 
ſchlechts; ein jedes Mädchen ift die Vermwalterin ber weiblichen 
Mofterien. Es gibt Stellen, wo Bauernmäbchen ausfehen wie 
die Königinnen, das gilt von Leib und Seele. 


Er Hat bloß Feinheit genug, fich verbaßt zu machen, aber 
nicht genug, fi) zu empfehlen. 


Es gibt wirklich fehr viele Menfchen, die bloß lefen, damit 
fle nicht denken dürfen. 


Leber Menſch hat feinen individuellen Aberglauben, ber ihn 
bald im Scherz, bald im Ernft leitet. Ich bin auf eine lächer⸗ 
liche Weife öfters fein Spiel, ober vielmehr ich fpiele mit ihm. 
Die pofitiven Religionen find feine Benukungen jenes Hanges 
im Menfchen. Die Menfchen haben alle etwas davon, wenn fie 
nicht deutlich denken, und es ift gewiß noch nie ein fo vollkom⸗ 


172 


mener Deift gewefen, als er im Gompenbio ſteht; das ift un- 
möglid. 


Der Menich, der fi) vieles Glücks und feiner Schwäche be 
mußt ift, wird abergläubifch, flüchtet zum Gebet, und bergl. mehr. 


Das Höchſte, wozu ſich ein ſchwacher Kopf von Erfaßrung 
erheben kann, ift die Fertigkeit, die Schwächen beſſerer Menfchen 
auszufinden. 


Es gibt in Rüdficht auf den Körper gewiß wo nicht mehr, 
doch eben fo viele Kranke in ber Einbildung, als wirkliche Kranke; 
in Rüdfiht auf den Verſtand eben fo viele, wo nicht fehr viel 
mehr Gefunde in ber Einbildung, als wirklich Gefunbe. 


Bon dem Nuhbme ber berühmteften Menfchen gehört immer 
etwas ber Blöbfichtigkeit ber Bewunberer zu; und ich bin über: 
zeugt, daß folchen Menfchen das Bewußtfein, daß fie von Eini⸗ 
gen, die weniger Ruhm, aber mehr Geift haben, burchgefehen 
werden, ihren ganzen Ruhm vergält. Cigentlich ruhiger Genuß 
des Lebens kann nur bei Wahrheit beftehen. Newton, Fränk— 
lin, das waren Menfchen, bie beneidenswerth find. 


Es ift Fein tüdifcheres und boöhafteres Gefchöpf unter ber 
Sonne, als eine H.., wenn fie Alters wegen ſich genöthigt 
fiebt, eine Betſchweſter zu werden. 


173 


Wenn man von ber wenigen Übereinflimmung, die das Ins 
nere eines Menfchen mit feinem Außern hat (ich meine hier ben 
efoterifchen Menfchen mit dem eroterifchen), auf etwas Ahnliches 
in den Werfen der Natur ſchließen bürfte, fo wäre das ein fchlecdhs 
ter Troſt. Denn wie wenige $reunde würden Freunde bleiben, 
wenn einer bie Gefinnungen des andern im Ganzen fehen könnte! 


Es gibt große Krankheiten, an benen man fterben kann; es 
gibt ferner welche, die fih, ob man gleich nicht eben daran 
ftirbt, doch ohne vieles Studium bemerken und fühlen laffen ; 
endlich gibt e8 aber auch welche, die man ohne Mifroftop faum 
erkennt. Dadurch nehmen fie fi) aber ganz abfcheulich aus; und 
diefes Mifroftop ift — Hypohonbrie. Sch glaube, wenn -fich 
die Menfchen recht darauf legen wollten, bie mitroffopifchen 
Krankheiten zu fubiren, fie würden bie Satisfaction haben, alle 
Tage krank zu fein. | 


Man ift verloren, wenn man zu viel Beit-befommt an 
fi) zu denken, vorausgeſetzt, daß man ſich nicht als ein Object 
ber Beobachtung, wie ein Präparat, anſieht, fondern immer 
als Alles, was man jest. if. Man wird fo viel Trauriges ges 
wahr, daß über dem Anblid alle Luft verfliegt, es zu ordnen 
oder zufammenzubalten. 





| 
Die Natur hat die Srauenzimmer fo gefchaffen, daß fie nicht 
nad Principien, fondern nah Empfindung handeln follen. 


174 


Leute, bie ihre Briefe mit grünem Siegellad ſiegeln, find 
alle von einer eigenen Art, gewöhnlich gute Köpfe, die fich felbft 
zuweilen mit chemifchen Arbeiten befchäftigen, und wiſſen, baß 
es fchwer ift, grünes Siegellad zu machen. 


Man gibt falfhe Meinungen, die man von Menfchen ge 
faßt hat, nicht gern auf, fobald man dabei auf fubtile Anwen» 
dung von Menfchenkenntniß fi) etwas zu gute thun zu Pönnen 
glaubt, und fih einbildet, folche Blide in das Herz des Andern 
fönnten nur Gingeweihete thun. Es gibt daher wenige Fächer 
ber menfchlichen Erkenntniß, worin das Halbwiſſen eröperen 
Schaden thun kann, al dieſes. 


Es könnte gar wohl fein, baß eine gewiffe Generation, in 
linea recta ascendente et descendente, ein Ganzes ausmachte, 
das fich entweder vervollkommnet ober verfhlimmert. Daß z. B. 
ber Sohn des berühmten Howard völlig toll geworden ift, 
könnte mit dem Genie des Baters Bufammenhang haben. Denn 
ohne bei wahrhaften Menfchenkennern in den Verdacht zu kom⸗ 
men, ald wollte man biefen großen Mann verkleinern oder feine 
Tugend verbädtig machen, kann man behaupten, daß er Mans 
bes nicht würde unternommen haben, wenn er nicht bereits 
einen kleinen Hieb gehabt hätte, und wenigftens entfernte An⸗ 
lagen zu dem, was nachher fein Sohn wirklich geworben ift. 


Es gibt wohl Leinen Menfchen in ber Welt, der nicht, 


175 


wenn er um taufend Thaler willen zum Spigbuben wird, fies 
ber um ‘das halbe Geld ein ehrlicher Mann geblieben wäre. 


Wer fagt, er haſſe alle Arten von Schmeicdheleien, und es 
im Ernſt fagt, der hat gewiß noch nicht alle Arten Eennen ge 
lernt, theils ber Materie, theild ber Form nad). 

Leute von Berftand haſſen allerdings die gewöhnliche 
Schmeidelei, weil fie fih nothwendig durch die Leichtgläus 
bigfeit erniedrigt finden müffen, bie ihnen ber fchmeichelnde 
Tropf zutraut. Sie haſſen alfo bie gewöhnliche Schmeichelei 
bloß deßwegen, weil fie für fie feine if. Ich glaube nad) 
meiner Erfahrung ſchlechterdings an feinen großen Unterfchieb 
unter den Menfchen. Es ift Alles bloß Überfegung. in jeder ” 
bat feine eigene Münze, mit ber er bezahlt fein wil. Man ers 
innere ſich an bie eifernen Nägel in Otaheite; unfere Schönen 
müßten rafenb fein, wenn fie die eifernen Nägel in folgem 
Werthe halten wollten. Wir haben andere Nägel, Es iſt eben: 
falls bloß menſchliche Erfindung, zu glauben, daß Die Menſchen 
ſo ſehr unterſchieden ſind; es iſt der Stolz, der dieſe Unterſchei⸗ 
dung unterſtützt. Seelenadel iſt gerade ſo ein Ding wie der 
Geburtsadel. — (Etwas gemildert muß dieſes Alles werden.) 


Die Menſchen nutzen wahrhaftig ihr Leben zu wenig; es iſt 
alfo Fein Wunder, daß es noch fo einfältig in ber Welt agfieht. 
Womit bringt man fein Alter bin? Mit Bertbeibigung von 
Meinungen; nicht weil man glaubt, baß fie wahr find, ſonde 


176 


weil man einmal öffentlich gefagt hat, daß man fie für wahr 
halte. Mein Gott, wenn die Alten ihre Zeit doch Fieber auf 
Warnung verwenden wollten! Zreilich, die Menfchen werben 
alt, aber das Geſchlecht ift noch jung. Es ift wirkli ein Be: 
weis, daß die Welt noch nicht alt ift, daß man hierin noch fo 
zurüd iſt. Wenn doch die Alten mehr fagen wollten, was man 
vermeiden muß, und was fie hätten thun müflen, um nod 
größer zu werden, als fie geworben find! 


Ich habe fehr häufig gefunden, baß gemeine Leute, die nicht 
raudten, an Orten, wo das Rauchen gewöhnlich ift, immer 
fehr gute und thätige Menfchen waren. Bei bem gemeinen 
Mann ift e8 leicht zu erflären; es verräth bei dieſer Glafje vor⸗ 
züglih ſchon etwas Gutes, fi von einer folden Mode nit 
binreißen zu laffen, oder überhaupt etwas zu unterlaffen, was 
wenigftens von Anfang nicht behagt. Auch muß ich geitehen, 
daß ˖ von allen ben Gelehrten, bie ich in meinem Leben babe Een: 
nen gelernt Sund bie ich eigentlich Genies nennen möchte, Bein 
einziger geraucht hat. — Hat wohl Leffing geraudt? 


Es ift für die Vervollkommnung unferes Geiftes gefährlich, 
Beifall durch Werke zu erhalten, die nicht unfere ganze Kraft 
erfordern. Man fteht alddann gewöhnlich flille. Rochefoucault 
glautg daher, es babe noch nie ein Menfch alles das gethan, 
was er babe thun können; ich halte dafür, daß diefes größten: 
theils wahr ift. Jede menſchliche Secle hat eine Portion Indos 


177 


lenz, wodurch fie geneigt wird, das vorzüglich zu thun, was ihr 
leicht wird. 


Einer der größten und zugleich gemeinſten Fehler der Men⸗ 
ſchen iſt, daß fie glauben, andere Menſchen kennten ihre Schwä- 
chen nicht, weil ſie nicht davon plaudern hören, oder nichts da⸗ 
von gebrud® leſen. Ich glaube aber, daß die meiſten Menſchen 
beffer von andern gefannt werben, als fie ſich felbft Fennen. Ich 
weiß, daß berühmte Schriftfieller, die aber im Grunde feichte 
Köpfe waren (mas fi) in Deutfchland leicht beifammen findet), 
bei allem ihrem Eigendünfel von den beften Köpfen, die ich be+ 
fragen Eonnte, für feichte Köpfe gehalten worden find. 


Wenn man felbft anfängt alt zu werden, fo hält man Au— 
dere von gleichem Alter für jünger, als man in frühern Jahren 
Leute von eben dem Alter hielt. So halte ich z. B. den go 
ſchmied K.., den ih ſchon vor 30 Jahren gefannt habe, für 
einen jungen N Mar, ob er gleich gewiß fchon einig® 9 Jahre älter 
ift, als fein Vater war, da ih ihn zum erfienmal fah, den ich 
damals gewiß für feinen jungen Mann mehr hielt. Mit andern 
Worten: wir halten uns felbft und Andere noch in denen Jah⸗ 
ren für jung, in welden wir, al8 wir nod) jünger waren, Ans 
dere fihon für alt hielten. 

| Ä —. & 

Es gibt Leute, die zu keinem Entfhluß kommen fünnen, fie 

müſſen ſich denn erft über bie Sache befchlafen haben: Dos K 
l. \R% 


178 


ganz gut, nur kann es Fälle geben, wo man riskirt, mit fammt 
der Bettlade gefangen zu werben. 


Wird man wohl vor Scham roth im Dunkeln? Daß man 
vor Schreden im Dunkeln bleich wird, glaube ih, aber das Er- 
flere nicht. Denn bleih wird man feiner felbft, roth ſeiner ſelbſt 
und Anderer wegen. — Die Frage, ob Frauenzimmzr im Duns 
keln roth werden, ift eine fehr fhwere Frage; wenigften® eine, 
bie ſich nicht bei Licht ausmachen läßt. 


Es gibt nicht leicht eine größere Schwachheit, als die großen 
oder wenigſtens glänzenden Thaten mancher Menſchen aus ge⸗ 
wiſſen Engelsanlagen und einer Größe der Seele zu erklären. 
Es mag wohl einmal unter Tauſenden wahr ſein; wer aber den 
Menſchen etwas ſtudirt hat, wird bie Urſachen ſolcher Thaten 
gemeiniglich ganz in der Nähe finden. Es beißt ſchriftſtelleriſch 


vornchm thun, wenn man Alles fo tief ſucht. 
oe 


Ich glaude nicht, daß bie fo genannten wahrhaft Frommen Zeute 
gut find, weil fie fromm.find, fonbern fromm, weil fie gut find. 
Es gibt gewiſſe Charaktere, denen e8 Natur ift, fi in- alle 
häuslichen und bürgerlichen Verhältniſſe zu finden, und ſich das 
gefallen zu laffen, wovon fie theild den Nugen, theils die Un⸗ 
möglichkeit einfehen, es beffer zu haben. Alſo das der Religion 
zuzufßpreiben, Fönnte gar wohl eine fallacia causae fein. 


Ih habe durch mein ganzes Leben gefunden, daß fich ber 


179 


Charakter eines Menfchen- aus nichts fo ficher erfennen läßt, 
wenn alle Mittel fehlen, als aus einem Scherz, den er übel nimmt. 


Wer ift unter.uns allen, der nicht Einmal im Jahre närrifch 
ift, das ift, wenn er ſich affein befindet; ſich eine aridere' Welt, 
andere Glüdsumftänbe denkt, als die wirdlihen? Die Vernunft 
befteht nur: darin, fi) fogleih wieder zu finden, fobald bie 
Scene vorüber ift, und aus ber Komdbie nach Haufe zu gehen. 


Man hat in ben finftern Zeiten oft fehr große Männer ges 
fehen. Dort fonnte nur groß werben, wen bie Natur befonders 
zum großen Manme geftempelt hatte. Dept, ba der Unterricht 
fo feiht ift, richtet man die Menfhen ab zum: Großwerden, wie 
bie Hunde zum Apportiren. Dadurch hat man:'eine neue Art 
bon Genie entdeckt, nämlich. die große NAbrihtungsfähigkfeitz 
und dieſes find bie Menfchen., die uns den Handel hauptſächlich 
verderben; fie können oft das eigentliche Genie verrunkeln- oder 
wenigſtens hindern, gehorig emporzukommen. 





Wenn zwei Perſonen, bie Fi jung gefannt- hatten, alt zus 
fammen fommen, fo müffen tauſend Gefühle entftehen. Eines 
der unangenehmften mag fein, daß fle nun fih in fo Manchem 
betrogen finden, was fie bei ihren: doffanngeſpielen ehemals als 
gewiß berechnet hatten. rn Er Zu 





Selbſt die ſanfteſten, befcheidenften und beſten — NE 
IQ” 


180 


immer fanfter, befcheidener und beffer, wenn fie ſich vor bem 
Spiegel fhöner gefunden haben. 


Es ift angenehm, bei jedem Menfchen eine gewiſſe Gleich⸗ 
förmigfeit der Gefinnungen in Rüdfiht auf ihre Temperatur zu 
bemerken. Bei Johnſon nahm Alles eine gewiſſe Härte any 
was bei ihm einmal gemwurzelt hatte, das konnte nicht wieber 
heraus geriffen werden; baber auch fein Z love a good hater. 
Härte und Weiche erftredt fi gemeiniglich in jedem Menfchen 
über Alles. 


Man rühmt fih im Alter nod einer Empfindfamkeit ber 
Jugend, die man nie befefien hat. So entfchulbigt fogar das 
Alter die Jugendfünden, und verbefiert jene Seiten durch Nach⸗ 
beifen. Sp erzählte mir in biefen Tagen ein alter Mann, er 
könne fi) Feine größere Freude denken, als im Sommer Mor 
gend um 5 Uhr oder noch früher durch das Korn zu fahren, 
oder zu gehen, oder zu reiten; er habe in feiner Jugend ba recht 
fo feine Andadt in Bewunderung feines Schöpferd gehabt. — 
Bon alle bem war gewiß fein Wort wahr. Er fuhr und ritt 
durch dad Kom und vergnügte fih; aber die Vergnügungen 
waren nit anbädtig, fondern gewiß fehr weltlich, Entwürfe 
zu Bällen u. dergl. Jetzt corrigirt er die Zeiten, und glaubt 
damals empfunden zu haben, was er jet vielleicht empfinben 
würde, oder wenigftens empfinden follte, nad feinem jeßigen 
Nervenz, Knochen und Muskelſyſtem. — Iſt das nicht fon- 


181 


derbar? In ber That ift es in dem Horagifchen: laudator tem- 
poris acti etc. enthalten, nur mit Nüance. 





Wenn man jung ift, fo weiß man faum, daß man lebt. 
Das Gefühl von Gefunbheit erwirbt man fi) nur durd Krank: 
beit. Daß uns bie Erde anzieht, merken wir, wenn wir in die 
Höhe fpringen, und dur Stoß beim Fallen. Wenn fi) das 
Alter einftellt, fo wirb der Buftand der Krankheit eine Art von 
Sefundheit, und man merkt nicht mehr, daß man krank ift. 
Bliebe die Erinnerung bes Bergangenen nit, fo würde man 
die Anderung wenig merken. Ich glaube daher auch, daß die 
Thiere nur in unfern Augen alt werden. Ein Eichhörnchen, 
das an feinem Sterbetage ein Aufterleben führt, ift nicht uns 
glüclicher als bie Aufter. Aber ber Menfch, der an drei Stel« 
len lebt, im Bergangenen, im Gegenwärtigen und in der Bus 
kunft, kann unglüdlich fein, wenn eine von diefen dreien nichts 
taugt. Die Religion bat fogar noch eine vierte hinzugefügt — 
die Ewigkeit. 


Es gibt Leute, die fo wenig Herz haben, etwas zu behaup: 
ten, baß fie fi nicht getrauen, zu fagen, ed wehe ein ?alter 
Wind, fo fehr fie ihn auch fühlen mögen, wenn fie nicht vors 
ber gehört haben, daß es andere Leute gefagt haben. 


Bei den meiften Menfchen gründet fi) der Unglanbe in 
einer Sache auf blinden Glauben in einer andern. 


| pp —— ——— — — —— — — 
* 


184 


Ich muß mich immer freuen, wenn die guten Seelen, die 
den Sterne mit Thränen des Entzückens in den Augen leſen, 
glauben, der Mann ſpiegele ſich in ſeinem Buche. Die Sterniſche 
Einfalt der Sitten, ſein warmes gefühlvolles Herz, ſeine mit 
Allem, was edel und gut iſt, ſympathifirende Seele, und wie 
die Phrafen alle beißen, und ber Seufjer alas poor Yorick! 
ber Alles zugleih fagt, find unter uns Deutfchen zum Sprüch⸗ 
wort geworden. Man bat dieß vermuthlich einem Manne, ber 
mehr Geſchmack ald Kenntniß der Welt hatte, nacdhgefagt, ohne 
bie Sache weiter zu unterfudhen. Denn bie, bie Sternen am 
meiften im Munde führen, find eben nicht die, die einen äußerſt 
wigigen, fchlauen und biegfamen Kenner ber Welt zu beurtbeilen 
im Stande find. Man kann den Eindrud von zehn Sprüdy 
wörtern auf einen Kopf leichter auslöfchen ‚ als ben von einem 
einzigen auf da8 Herz, und neulich hat man ihm fogar ben 
redlihen Asmus nachgefeht. Das geht zu weit. Die nicht bloß 
aus Schriften, fondern aus Ihaten bekannte rechtfchaffene Seele 
bes Wandsbeders fol Sternen nachſtehen, weil uns ein falfcher 
Spiegel ein angenehmes Bild von biefem zurüdwirft, oder zu⸗ 
rüdzumwerfen foheint? Ein Buch kann die ganze Seele feines 
Berfaffers zurüdwerfen, aber es verräth eine große Unbefannt« 
fhaft mit der Welt und dem menfhlihen Herzen, wenn man 
diefes von Yorids Schriften glaubt. Yorid war ein kriechender 
Schmaroger, ein Schmeidhler ver Großen, und eine unausftehliche 
Klette am Kleide derer, die er zu befchmaujen ſich vorgenommen 
hatte. Er Fam uneingeladen zum Frühftüd, und wenn man 


‘185 


ausging, um ihn loszuwerden, fo ging er mit aus, umb rhit 
in andere Gefellfehaft, weil er glaubte, er könne nirgends un⸗ 
angenehm fein. Ging man nad) Haufe, fo ging er wieder mit, 
und feste fih endlich zu Tifh, wo er gern allein und von ſich 
ſelbſt fpradh. —Ein gelehrter und fehr rechtfchaffener Mann in 
England fragte mich einmal: was halten fie in Deutfchland von 
unferem Yorid? Ich fagte, er würbe von einer großen Menge 
angebetet, und Kenner biefer Art Schriften, die ihn eben nicht 
anbeteten, hielten ihn doch alle für einen außerorbentlichen und 
einzigen Mann in feiner Art; ich fände nicht, daß man in Eng- 
land fo von ihm bädte. — „Um Berzeihung, war die Ant- 
wort, man denkt in England eben fo von ihm; nur weil wir 
ihn näher kennen, fo wird das Lob durch die Häßlichkeit feines 
perſönlichen Charakters fehr gemildert; denn er war ein Mann, 
ber feine außerorbentlihen Talente größtentheild anwandte, nieber: 
trächtige Streiche zu fpielen.« — Ic weiß, viele, vielleicht die 
meiſten meiner Lefer ‚werben biefes für wahre Läfterung halten. 
Iſt es nicht eine Schande, werben fie fagen, Neſſeln auf das 
Grab besjenigen zu pflanzen, ber fie fo liebevoll von Lorenzo's 
Grab ausrig? Aber nicht ausgeriffen haben würde, möchte ich 
antworten, wenn ihn ein Herzog eingeladen hätte, ober Neffeln 
ausreißen dem unerreichbar angenehmen Schwäger und Maler 
von Empfindungen nicht fo vortrefflich geflungen hätte. Mit 
Wis, verbunden mit Weltkenntniß, biegfamen Fibern und 
einem burch etwas Interefje geſtärkten Vorſatz, eigen zu fcheinen, 
läßt fich viel fonderbares Zeug in der Welt anfangen, wenn man 


186 


ſchwach genug ift, e8 zu wollen, unbelannt mit wahrem Ruhm 
es ſchön zu finden, und müßig genug, ed auszuführen. 





Nachtrag 
zu den Beobachtungen über den Menſchen. 


Die Vorurtheile find, fo zu ſagen, bie Kunſttriebe der Men⸗ 
ſchen. Sie thun daburch Vieles, das ihnen zu ſchwer werden 
würde bis zum Entſchluß durchzudenken, ohne alle Mühe. 


Auch die gemeinſten Dinge würde jedermann anders aus⸗ 
drücken, wenn er ſeinem eignen individuellen Gefühle folgen 
wollte. Dieſes geſchieht aber ſelten vor einem gewiſſen reifern 
Alter, da man merkt, daß man ſo gut ein Menſch iſt, als 
Newton, oder als der Prediger im Dorfe, oder der Amtmann 
und alle unſere Vorfahren. Shakeſpeare iſt eine Probe davon. 


Man muß nie den Menſchen nach dem beurtheilen, was er 
geſchrieben hat, ſondern nach dem, was er in Geſellſchaft von 
Männern, die ihm gewachſen find, ſpricht. 


Große Leute fehlen auch, und manche darunter ſo oft, daß 
man faſt in Verſuchung geräth, ſie für kleine zu halten. 


187 


Wenn Jemand auf bie Ärzte, auf Advocaten, ober bie 
elenden Philoſophen loszieht, fo lachen die Bernünftigen unter 
benfelben mit. Wllein wenn man auf einen ſchlechten Geift- 
lihen etwas fagt, beren e8 doch auch gibt, fo werfen felbft 
gute Männer unter ihnen mit Eifer und Verfolgung um fid. 
Was ift davon wohl bie Urfache ? 





Die Gabe, den Menfchen ihre Heimlichkeiten fagen gu kön⸗ 
nen, ift e8, was man bei einem Schriftfteller oft Menſchen- 
fenntniß nennt. Ein Burſch dünkt ſich gleich mehr, wenn er 
ben Hut heruntergefhlagen, u. f. w. Iebermann bat feinen 
guten Grad von Menfchenkenntniß, bie Leute wiffen nur nicht, 
bag man eben das fagen muß, um für einen Menſchenkenner 
gehalten zu werden. 


Jeder Menſch bat etwas Eignes. Die Feigen und Bieg— 
ſamen wiſſen es nur nach Anderen zu modeln. Der Wagen: 
meifter gebt, benft und fpridht, wie e8 fein Knochen⸗ und Ge 
dankenſyſtem mit ſich bringt; wer ihn ausladht, ben. lacht er 
wieder einmal aus, oder, wenn er an- der Gelegenheit dazu 
verzweifelt, fchlägt ihm hinter bie Ohren. 





Ich kenne bie Leute wohl, bie ihr meint, fie find bloß 
Geift und Theorie und können fi) Leinen Knopf. annäben. 





Leute, die fehr viel gelefen Haben, machen felten große 


188 


Gntdedungen. Ich fage diefes nit zur Gntfchuldigung ber 
Faulheit, denn Erfinden fegt eine weitläufige Selbftbetrachtung 
der Dinge voraus. Man muß aber mehr fehen als fich fagen 
laſſen. 


Wenn die feinen Weltleute fragen: Gott weiß, warum? 
o ift es immer ein ficheres Zeichen, daß fie außer bem lieben 
Gott noch einen großen Mann kennen, ber es auch weiß. 


Es gibt Schwärmer ohne Fähigkeit, und dann ſind fie wirk 
lich gefährliche Leute. 


Die Enthuſiaſten, die ich kennen gelernt, haben alle den 
entſetzlichen Fehler, daß ſie bei dem geringſten Funken, der auf 
fie fällt, allemal wie ein lange vorbereitetes Feuerwerk abbren⸗ 
nen, immer in berfelben Form und mit bemfelben Getöfe, 
während bei dem vernünftigen Manne die Empfindung immer 
dem Eindruck proportionirt if. Der Leichtfinnige raifonnirt nady 
dem erften Eindruck Faltfinnig fort, da ber vernünftige Mann 
immer einmal umkehrt und fieht, was ber Inftinet bazu fagt. 


Die Gemiffen der Menfhen find, fo wie ihre Leiber, nicht 
allein nicht gleich zart, fondern auch bei einem Menfchen zart, 
wo fie bei bem andern eine fehweinsledermäßige Dide haben. 
Sp habe ich Leute gefannt, deren Gewiſſen fo zart war, baß 
fie nicht glauben wollten, die Sonne ftände ftil, und um Vieles 


nicht auf ein. Städchen Brot getreten Hätten, und bie hingegen 
mit bem Eigenthbum der Wittwen und Waiſen fchalteten wie mit 
ihrem eigenen. 


Tauſend ſehen den Nonſens eines Satzes ein, ohne im 
Stande zu ſein oder die Fähigkeit zu beſtten, ihn ſormlich zu 
widerlegen. 


Kleine Fehler zu entdecken, iſt von jeher die Eigenſchaft 
ſolcher Köpfe geweſen, die wenig oder gar nicht über bie mittel⸗ 
mäßigen erhaben waren. Die merklich erhabenen ſchweigen fill 
ober fagen nur etwas gegen ba8 Ganze, und bie großen Geiſter 
ſchaffen um, ohne zu tadeln. 

Von dem, was der Menſth ſein ſollte, wiſſen auch die 
Beſten nicht viel Zuverläſſiges; von dem, was er iſt, kann man 
aus jedem etwas lernen. 


Keine Claſſe von Menſchen urtheilt billiger von der andern, 
als die Denker von den Denkern, und keine unbilliger, als die 
Literatoren von den Literatoren. Die erſten ſehen Alles im 
wahrſten Lichte, erkennen und verzeihen, die anderen meſſen 
anderer Leute Fleiß nach ihrem eignen und richten fie darnach. 


So wie es Mechaniker von Genie gibt, bie mit wenigen 
und ſchlechten Inſtrumenten vortrefflich arbeiten, fo gibt es au 


190 


Leute, bie ihre wenige Belefenbeit fo zu gebrauchen und ibren- 
Srfahrungen eine folche Extenfion zu geben wiflen, daß faum 
ein fogenannter Gelehrter gegen fie aufkommen kann. 


Daß die Menfchen fo oft falfche Urtheile fällen, rührt gewiß 
nicht allein aus einem Mangel an Einfiht und Ideen, fonbern 
hauptſächlich davon her, baß fie nicht jeden Punkt im Sage 
unter das Mifroftop bringen und bedenken. 


Beute, bie viel auf ber Strafe leſen, iin gerneiniglich 
nicht viel zu Haufe. 


Auch felbft den weiſeſten unter den Menfchen find die Beute, 
bie Gelb bringen, mehr willlommen, als bie, die welches bolen. 


Die Menfhen haben immer Wig genug, wenn fie nur 
feinen baben wollen. 


Es iſt ja doch nun einmal nicht anders: die meiflen Men⸗ 
fhen leben mehr nad der Mode als nad) der Vernunft. 


Manden Perſonen muß man fehr nahe fommen, um ben 


Reiz zu ſehen, den ihnen das gute, gefüllige Gemüth gibt. Kann 
es nicht eben deßwegen bei Manchen ganz untenntlidy fein ? 


Die edle Einfalt in den Werfen ber Ratur bat nur gar 


191 


zu oft ihren Grund in ber edeln Kurzfichtigkeit befien, ber fie 
beobachtet; 


Gr war einer von benen, bie Alles beffer machen wollen, 
al8 man es verlangt. Diefes ift eine abfcheulihe Eigenſchaft in 
einem Bedienten. 


Zu überzeugen ift ber Pöbel nicht, oder fehr felten. Durch 
liftige Lenkung feines Uberglaubens kann er body noch zuweilen 
zu guten Handlungen gebradht werden. Wir fohreden ja bie 
Kinder, bie wir nicht Überzeugen Bönnen, auch mit dem ſchwar⸗ 
zen Manne und mit Schornfteinfegern. Der heilige Januarius 
zu Neapel ift nichts weiter, Hier ift mieder die Reihe, deren 
äußerfte Glieder gar nicht mehr zufammen zu gehören fcheinen. 


Gewiß ift die Anbetung der Sonne zu verzeihen. Jeder⸗ 
mann fieht fhon unwillfürlih nad einem hellen led. Das 
thun auch die Thiere, und was bei Kagen, Hunben unwillfürs 
liches Starren, ift bei den Menſchen Anbetung. 


Iren ift auch in fo fen menſchlich, als die Xhiere 
wenig ober gar nicht irren, wenigftens nur bie Plügften unter ihnen. 


Die gefundeften und fchönften, regelmäßigft gebauten Leute 
find die, die fich Alles gefallen laſſen. Sobald einer-sin Ge: 
brechen bat, fo bat er feine eigne Meinung.: 


192 


Die Seiftlihen machen einen Lärm, wenn fie einen Mann 
fehen, der frei dentt, wie Hennen, bie unter ihren Jungen ein 
Entchen haben, melches in das Wafler gebt. Sie bedenken 
nicht, daß Leute in dieſem Elemente eben fo fidher leben, als 
fie im Trocknen. 


Es ift zum Erftaunen, mie weit ein gefunder Menfchen- 
verftand reiht. Es ift auch bier, wie im gemeinen Leben, 
der gemeine Mann gebt bin, wohin ber Bornehme mit 
Sehfen fährt. 


Feder gute Kopf iſt ein matbematifcher Wilder, ber filh 
fein Boot mit fümmerlihen Werkzeugen baut, aber in vielem 
ſchweren Zälen, durch individuelle Geſchicklichkeit und Übung, 
oft Dinge ausrichtet, die jener nicht ausrichten kann. 


Ein großes Genie wirb felten feine -Entbedungen auf 
ber Bahn Anderer mahen. Wenn es Sachen entbedt, fo ent⸗ 
dedt e8 auch gewöhnlich die Mittel dazu. 


Bon bem feltfamen Gefchmade ber Menfchen zeugt auch 
dieſes, baß bei belagerten Stäbten Leute ſowohl heraus als 
binein befertiren. 


Nichts zeigt fo Fräftig, wie fehr man fi) durch die Gewohn⸗ 
beit über Alles wegfegen lernt, als bie Yerüden, die felbft Geiſt⸗ 


193 


liche in einer von dem natürlichen Haarwuchs fo fehr abweichen: 
ben Form tragen, ohne dadurch Tächerlich zu werben. 


Es gibt Zeichnenmeifter, die für Jedes, Bleiftift, Röthel, 
ſchwarze und weiße Kreide, ein eigned Zebermeffer in einer eignen 
Abtheilung der Schublade halten, Portraitmaler, bie mit Rich: 
tung und Stimmung bes Lichts und ber Fenfterladen vor Son: 
nenuntergang nicht fertig werden, bie Armel ewig einftreichen, 
den Stuhl rüden u. f. w. Diefe zeichnen und malen gemeinig- 
ih am fchledteften. Die ärmfte Unfähigkeit ift immer reich an 
Nebenbereitungen, durch alle Verrichtungen und alle Stände, 
felbft bis auf die feichten Schriftfteller, bie immer in Einleituns 
gen glänzen. | 


Der Dachdecker ftärkt ſich vielleiht durch ein Morgengebet 
zu ben größten Gefahren. Das find glüdlide Menſchen, bie 
das können. Bielleicht aber audy durch eine Doſis von gebrann« 
tem Kakenhirn. O, wenn man body manchmal wüßte, was ben 
Leuten Muth gibt ! 


Jedermann ift fehr begierig, durch Schaden Flug zu werben, 
wenn nur ber erfte Schaden, ber dieſes lehrt, wieder erjegt wäre. 





Auf die Blüthe folgt die unreife Frucht, die Blüthe ift in 
fi eine Vollkommenheit. Eben fo ift e8 mit dem Menfchen. 
Der Jüngling wird für vollfommener gehalten als ber Manu 

J. I 


194 


von 30, 40 Jahren, und dann kommt erſt wicder ein vollenbeter 
Buftand, bie Keife. 


Wenn ih auch nit im Stande bin, dad: es werbe, 
über todten Stoff auszufpredhen, um ihn bamit zu befeelen, fo 
kann ich doch vielleicht in die Trompete ber Erweckung ftoßen, 
um zu fehben, ob ſich unter den Erfchlagenen noch etwas rührt. 


Der verftorbene M., welcher eine Fatholifche Aufmärterin 
batte, fagte einmal ganz bona fide zu mir: bie Perfon ift zwar 
katholiſch, das ift wahr, aber ih kann Dich verfihern, es ift 
eine ehrliche gute Haut, fie hat neulich mir zu Liebe fogar einen 
falfhen Eid gefchworen. 


In der Gabe, alle Borfälle bes Lebens zu feinem und fei« 
ner Wiffenfchaft Vortheil zu nügen, darin befteht ein großer 
Iheil des Genies. 


Gr hieß dieſes: mit ftillthätiger Geduld abwarten. Diefes 
ift eine große Regel. Die Menfchen ändern fi) von ſelbſt, wenn 
man fie nicht ausbrüdlich ändern will, fondern ihnen nur un» 
merklich die Gelegenheit macht, zu fehen und zu hören. BBiele 
Unternehmungen mißlingen bloß, weil man die Früchte davon 
noch gern erleben wollte. . 


Man lat, und mit Recht, über den Verſuch jenes Men: 


195 


fen, ber feinem Pferde das Freſſen abgemwöhnen wollte. Es 
ftarb aber leider! gerade an dem Tage, ba bie größte Hoffnung 
war, ihm bie Kunft endlich beizubringen. Mit dem Klugmer: 
ben geht das nicht bloß den Schwaben fo, fonbern ben meiften 
Menfchen. 


Die Perfonen, die am aufgelegteften find, ſich mit prakti⸗ 
fhen Dingen zu befchäftigen, ober, was man in ber gelehrten 
. Welt jest arbeiten nennt, find bie, die am wenigften Unterhal⸗ 
tung in fich felbft finden. Bei ihnen ift immer ber Stoß von 
außen nöthig. 


Bei einem Menfchen, ber mit Gottesfurdt prahlt, muß 
man nie eigentliche chriftliche Gefinnungen fuchen. 


Sehr viele und vielleicht bie meiften Menfchen müffen, um 
etwas zu finden, erft wiffen, daß es da ift. 


Der gemeine Mann hält. bei feinem SKirchengehen unb 
Bibellefen die Mittel für den Zwei. Ein fehr gewöhnlicher 
Irrthum. 


Wenn ich mit Jemandem rede, ſo bemerke ich gleich, ob 
er Elaſticität hat, oder ob er jedem Drucke nachgibt. Die Bar⸗ 
biere find alle weich. Käſtner ift hart. Meiſter war slaftifch. 


3° 


196 


Bon.Allem, was in ber Welt ausgerechnet wird, gefcheien 
2/, gedankenlos. 


Die Menfchen gehen eigentlich nicht felbft in Gefellfchaft, 
fondern fie fchiden eine angeBleidete Puppe ftatt ihrer bin, bie fie 
ausfleiden, wie fie wollen. 





Rouffeau, glaube ich, hat gefagt: ein Kind, bas nur feine 
Eltern kennt, kennt auch die nicht recht. Diefer Gedanke läßt 
fi) auch auf viele andere Kenntniffe, ja auf alle anwenden, bie 
nicht ganz reiner Natur find. Wer nichts ale Chemie verfteht, 
verſteht auch bie nicht recht. 


Was doch eigentlid ben Armen den Himmel fo angenehm 
madt, ift der Gedanke an bie dortige größere Gleichheit ber 
Stänbe. | 


Bei vielen Menfchen ift das Verſemachen eine Entwidelungs- 
krankheit bes menfchlichen Geiſtes. 


Thue ed ihm nach wer kann. 

Hupazoli Iebte in 3 Jahrhunderten. Er warb ben 15ten 
März 1587 zu Cafale geboren und ftarb den 27ten Januar 1702. 
Er beirathete 5 Frauen, mit denen er 24 Kinder zeugte, und 
außer diefen zählte er noch 25 Baftarde. Er trank nur Waffer, 
tauchte nie Tabad und aß wenig aber gut, befonders Wildpret 


197 


und Früchte Er wohnte nie einer Schmauferei bei, um allzeit 
früh zu Abend zu effen, und eine halbe Stunde nachher zu Bette 
gehen zu können. Er hinterließ 22 Bände, worin Alles aufgee 
fhrieben war, was er verrichtet hatte. 

Ich habe mehrere folcher Buchhalter gefannt. Sie werden 
gewöhnlich alt. Die Diät biefer Menfchen nachzuahmen hilft 
nit viel... Die Nachahmer thun es durch den Kopf, durch ver: 
nünftigen Entſchluß, und das hilft fo wenig als fi der Mangey 
bes Genies durch Regeln erfegen läßt. Man hält bier für bie 
Wirkung, was eigentlich die Urfache if: Die Männer nad der 
Uhr werden gewöhnlich alt, denn die Fähigkeit, alt zu werben, 
madt fie zu folhen. Der Nachahmer weiß filh bei fich felbft 
fhon zu groß, ber Triumph über feine Neigungen felbft ift ein 
Nervenfpiel, das fi) nicht-mit einent langen Leben verträgt. 


Cultur verfchlingt die Gaftfreundfchaft. 

Wer recht fehen will, was der Menfh thun könnte, wenn 
er wollte, darf nur an bie Perfonen gebenfen, bie fih aus Ges 
fängniffen gerettet haben oder haben retten wollen. Sie haben 
mit einem einzelnen Nagel fo viel getban, wie mit einem Mau⸗ 
erbrecher. 


Die Leute, bie niemals Zeit haben, thun am wenigften. 


Man wird grämlich, wenn man alt wird, oder wenn Liekbs. 


| 200 


Ich babe mich öfters bes Lächelns nicht erwehren können 
wenn ih auf meinem Garten die Reiſenden vorbeifahren Toy. 
Die Morgens um 5 Uhr paffirten, waren bie, welche um 3 Uhr 
reifen wollten, um 6 Uhr famen bie um 4 bie Pferde befellt 
hatten, und dann endlih um 7 oder 8 Uhr, bie den Weg noch 
in der angenehmen Kühle machen wollten. 


Einige Leute berathfchlagen fi) aus Scherz, was fie anfan⸗ 
gen jollten, wenn fie das große 2008 gewünnen. Zwei barunter 
haben ein 2008 in Compagnie. Sie fallen auf allerlei Arten 
von Handel, den fie anfangen wollten, ed wird von Anderen 
mit Gründen eingefproden, warum diefer Hanbel nicht gienge, 
enblich vergißt man, baß das Ganze eine Vorausfegung ift. Es 
wirb geftritten, al8 ob die Sache wirklich wäre, und mit einem 
folden Eifer, daß e8 darüber zu Schlägen kommt. Die Schläge 
abgerechnet, babe ich fo etwas einigemal erlebt, nit ohne Ber: 
gnügen und herzliches Lachen der Geſellſchaft, indeffen hatten ſich 
bod Einige fo weit dabei erhitzt, daß fie nicht mitlachten, wel« 
ches das Vergnügen ber Andern nicht wenig erhöhete. 


Was für ein Unterfchieb zwifchen den Jahren, wo man bie 
Borfehung überall, und denen, wo man Beurtheiler fieht! 


Erft müffen mir glauben, und dann glauben wir. 


Die Könige glauben oft, das was ihre Generale und Abs 


201 


mirale thun, fei Yatriotismus und Eifer für ihre eigne Chre. 
 Ofters ift die ganze Triebfeder großer Thaten ein Mädchen, wel— 
ches die Zeitung lieft. 


Die Menfchen haben ihre befonderen Manieren zu fehlen, 
zumal liegen die Fehler häufig in- einer falfchen Art don Ge- 
nauigfeit. . 

Man ſpricht viel von Aufklärung und wünſcht mehr Licht. 
Mein Gott, was hilft aber alles Licht, wenn die Leute entwe⸗ 
der Leine Augen haben oder die, welche fie haben, vorfäglich 
verjchließen ! 0 


202 


5. 
Phyfiognomiſche und pathognomifche Be: 
obachtungen und Bemerfungen. 


Menogenes, ber Koch bes großen Pompejus, fah wie ber 
große Pompejus felbft aus. &. Plin. Hist. nat. VII. 17. 


Wir können uns beim Anblid einer Sache nicht enthalten, 
wenigftens etwas barüber zu urtheilen; diefes thun wir auch bei 
Menſchen, darauf hat Einer eine Phyſiognomik gebaut. 


Ich babe einmal in Stade eine Ruhe mit einem heimlichen 
Lächeln in dem Gefichte eines Kerls erblidt, der feine Schweine 
glüklih in eine Schwemme gebracht hatte, worein fie fonft un⸗ 
gern gingen, dergleichen ich nachher nie wieder geſehen habe. 





In 9. logirte ih einmal fo, daß meine Fenfter auf eine 
enge Straße gingen, woburd die Communication zwijchen zwei 
großen erhalten wurde. Es war fehr angenehm, zu fehen, wie bie 
Leute ihre Gefichter veränderten, wenn fie in bie kleine Straße 
Famen, wo fie weniger gefehen zu fein glaubten. So wie Einer 
bier fein Waſſer abfhlug, ber Andere dort fih die Strümpfe 


203 


band, fo lachte der Eine heimlich, und der Andere fchüttelte den 
Kopf. Mädchen dachten mit einem Lächeln an bie vorige Nacht, 
und legten ihre Bänder zu Eroberungen auf ber nächſten großen 
Straße zuredt. | 


Sch bemerkte wirklich auf feinem Gefichte den Nebel, der 
allezeit während des Wonnegefühls aufzufteigen pflegt, dad man 
empfindet, wenn man fi über Andere erhaben zu fein glaubt. 


Wir haben Peine deutliche Vorfielung vom menſchlichen Gefidht, 
und das macht e8 fo fchwer, Phyfiognomif zu lehren. Die Regeln 
enthalten immer nur Beziehungen einzelner Theile auf den Charak⸗ 
ter. Das Gefiht eines Mannes, ber mich einmal betrogen bat, 
Penne ich fo genau, ſehe es fo bdeutlih vor mir, daß ich in 
einem andern ihm ähnlichen Gefichte die geringfte Abweichung 
fo fchnell bemerfe, als wären fie ganz verfchieden, ob ich gleich 
nit im Stande bin, mit Worten auszubrüden, wo es liegt, 
und noch weniger, e8 zu zeichnen; und doch werde ich auß ber 
größern oder geringern Ähnlichkeit, bie andere Leute mit jenem 
haben, auf ihren Charakter ſchließen, weil fich die Vorftellung 
ber Betrügerei mit jener Senfation affocürt hat. Ein Zug im 
Geſicht wird fih nicht fo leicht mit ber Vorfchrift, als mit der 
Hanblung afforiiren. Ich habe immer gefunden, daß ed Leute 
von mittelmäßiger Weltfenntniß waren, die ſich am meiften von 
einer ?ünftlichen Phyſiognomik verſprachen; Leute von großer 
Weltfenntniß find die beften Phnflognomen, und bie, die am 


204 
wenigften von ben Regeln erwarten. Die Urfade ift Teicht eine 
zufehen. 


Das Thorheitsfältchen findet fi gemeiniglich bei Leuten, 
die mit einem albernen, nicht verfehwindenden Lächeln Alles be= 
wundern, und nichts verftehen. 


Der völlige Idiot, ber vernünftige gangbare Mann, und 
ber Rafenbe haben überhaupt ihre Zeichen, woran man fie Teicht 
ertennt, aber die Gradationen und Nüancen bierin zu beftimmen 
(da8 eigentliche Fach der Phyfiognomik), ift fehr fchiwer. 


Es gibt Leute, deren Lippen mit gleicher Breite um ben 
ganzen Mund berumgehen, der dadurch das Anfehen von einem 
Seuerftahl erhält; mit diefen ift felten viel anzufangen. 


Große Heinlichkeit ohne Gederei und ohne daß man merkt, 
daß fie gefucht wird, Nachgibigfeit und unaffectirte Befcheibenheit 
und Wohlwollen ohne Zwang kann zur Schönheit werden, we⸗ 
nigffens Liebe gewinnen. 


Wenn’ die Phyfiognomik das wird, was Lavater von ihr er: 
wartet, fo wird man bie. Kinder aufhängen, ehe fie die Thaten 
gethban haben, die ben Galgen verdienen. Es wird alfo eine 
neue Art von Firmelung jedes Jahr vorgenommen werden miüfe 
fen — ein phyſiognomiſches Auto da Fe. 


205 


Wenn ich no ein Beichen des Berftandes angeben foll, das 
mich felten betrogen bat, fo ift es dieſes, daß Leute, bie fehr 
viel älter find, als fie fcheinen, felten viel Verftand haben; und 
umgekehrt, junge Leute, die alt ausfehen, ſich auch bem Ber- 
flande des Alters nähern. Man wird mich verftehen, und nicht 
etwa glauben, baß ich unter jung ausfehen, Gefundheit und 
frifche Farbe, und unter Anfchein des Alters, Zalten und Bläffe 
verſtehe. | 


Es iſt etwas Beſonderes, und ich habe es nie ohne Lächeln 
bemerkt, daß Lavater mehr auf den Naſen unſerer jetzigen Schrift⸗ 
ſteller findet, als die vernünftige Welt in ihren Schriften. 


Die Hand, bie Einer ſchreibt, aus ber Form der phufifchen 
Hand beurtheilen wollen, ift Phyfiognomil. 


Sobald man weiß, baß Iemand blind ift, fo glaubt man, 
man ?önnte e8 ihm von binten anfehen. 


Es gibt wahrhaftig eine Art zurüdhaltender und empfind⸗ 
licher Menjchen, die, wenn fie fidh freuen, ausfehen, wie Ans 
bere, wenn fie weinen. Wer das noch nicht gefehen bat und 
nit weiß, muß fi nicht unterftehen, ein Wort über Phy⸗ 
fiognomif zn fagen. 


Niemanb ift aufgelegter, zu glauben, feine Bemerkungen 


206 


hätten etwas unbefchreibli Xieffinniges, und was Taufenden 
von Menfchen zu fehen verfagt fei, als ber Yhyfiognomift. Ich 
babe mich ehemals fehr damit abgegeben, und mir nicht wenig 
darauf zu Bute gethban. Die meiften waren fo fein, baß es mir 
gar nicht ſchwer wurde, zu glauben und einzufehen, daß fie nicht 
leicht Jemand anders machen könne, ald Ih. Man barf aber 
nur Acht geben, tie veränberlih und fchwimmend bie Grenzli⸗ 
nien jeder gemachten Beihnung find, und wie oft man andere 
ziehen muß; das Beftänbige ift gering, und zu Papier gebradht 
nur demjenigen recht verftänblich, der es ſich ſchon vorher felbft 
gefunden bat, dem Adepten. Nunmehr bin ich überzeugt, daß 
e8 hundert andern Leuten, zumal Stubenfigern, eben fo gegan⸗ 
gen ift, wie mir. Nachrichten aus dem Cabinet ber Seele find 
unterrichtender, als die, bie in allen Compenbien ſtehen; baber 
babe ich die gegenwärtige aus dem Cabinet ber meinigen fehr 
gern befannt gemacht. 





Das Suftem bed Hefvetius, daß die Menfchen an Anlagen . 
alle einander glei wären, flößt alle Phyfiognomif über ben 
Haufen. Moher kommt es doch, daß man bei ähnlichen Ge- 
Achtern fo oft ähnliche Gefinnungen findet ? 


Es gibt Leute, die fo fette Gefichter haben, daß fie unter 
dem Sped laden können, baß ber größte phyfiognomifche 
Zauberer nichts davon gewahr wird, da wir arme wind» 
dünne Gefchöpfe, denen die Seele unmittelbar unter ber 


207 


Epidermis fist, immer die Sprache fpreden, worin man nicht 
lügen ann. \ 

Der Verſtand feheint das Band zu fein, woburcd wir mit 
der Welt überhaupt und mit ihren Abfichten zufammenhängen, 
nicht unfer Gefühl allein. Wenigftens muß ber Berfland vor 
her erkannt haben, und dann Fönnen fich feine Schlüffe endlich, 
zur Klarheit berabgefiimmt, mit andern Gefühlen durch Affos 
ciation verbinden. Schlüffe von Schönheit auf Vollkommenheit 
zu maden, ift nicht beffer, als von den Conpulfionen und Ge⸗ 
fihtöverzerrungen eines Sterbenden auf feine fihredfichen Em⸗ 
pfindungen zu ſchließen. Er Bann gerade in einer Art von 
mwollüftigem Gefühl Liegen, wie der Mann, von dem in den 
Pariſer Memoiren (für das Jahr 1773) erzählt wird, ber einen 
in mephitifcher Luft erftidten Menfchen zu Hülfe eilen wollte, 
und jelbft ohne Empfindung hinfiel, und nur durch bie forg: 
fältige und anhaltende Bemühung einiger Ärzte ins Leben zurüd: 
gebracht wurde. Hier heißt es in dem Berichte: 

«Entre le moment de son entrée dans cette cave et 
celui, oü il perdit connoissance, il ne s’ &coula qu’ environ 
deux minutes, Pendant cet espace de tems il ne’ ressentit 
ni douleur, ni oppression, et l’instant, qu’il perdit connois- 
sance, il eprouva une sensalion des plus voluptueuses, un 
delire inexprimable; il goütoit avec plaisir, à la porte du 
tombeau, une satisfaction delicieuse, absolument exemte des 
horreurs, que l’on a ordinairement de la mort. II perdit 


‘208 


enfin tout mouvement, tout sentiment, et resta dans celte 
situation environ une heure et demie au pied de l’escalier 
de la care, oü il &toit tombé etc.» 


Es ift eine alte Regel: Ein Unverfhämter kann befcheiden 
ausfehen, wenn er will, aber kein Befcheidener unverſchämt. 


Den Streih, ben Parrhaſius dem Zeuris, und Beuris ben 
Bögeln fpielte, fpielen täglih Tauſende ihren Nebenmenfchen 
mit ihren Gefichtern. 


Sch gebe zu, daß bie ganz großen, und bie ganz ‚fchlechten 
Menfchen gezeichnet fein mögen — iſt das aber zu einer Phy⸗ 
fiognomit genug? Die meiften und minder monftröfen Men⸗ 
fhen liegen gewiß in ber Mitte, und erfi die Gelegenheit und 
ber Zufall wirft fie in eine von beiden Claſſen. 


Ein aufgeblafener Menfh kann fehr fehwindfüdhtig aus: 
fehen. — Die Hoffnung, die man fih von Phyſiognomik macht, 
bat fehr viel mit den Träumen Fontenelles gemein, ber von 
bem Fliegen in ber Luft auf das Fliegen nach dem Monde fällt. 
Die Damen glaubten ihm aud). 


Bon Allem, was ich über Phyſiognomik gefchrieben babe, 
wünfchte ich bloß, daß zwei Bemerkungen auf bie Nachwelt 
fümen. Es find ganz einfältige Gedanfen, und Niemand wird 


209 


mic) darum beneiden. Der eine, baß ich die Ähnlichkeit zwi⸗ 
[hen Phyfiognomie und, Prophetik erkannt habe; der andere, 
daß ich überzeugt gewefen bin, bie Phyſiognomik werde in ihrem 
eigenen Fette erfliden. 


Wenn bie Podeninoculation allgemeiner wird, fo werden 
wir um eine ganze Claffe von Gefichtern fommen. Überhaupt, 
wenn Krankheiten ausftürben, fo würden viele Gefichtsgefchlech- 
ter untergehen. 


Fragment. 


Phyſiognomiſche Miſſionsberichte, oder Nachrichten 
von dem Z3uſtande und Fortgang der Phyſiognomik 
zu Sranquebar. 


Es wird unfern Lefern noch aus ben Erlanger Zeitungen 
im Andenten liegen, daß um die Mitte bed Jahre 1778 das 
Sdiff la Divineuse, unter Führung des Capitains Sebaftian 
Brand, geladen mit Storchfcehnäbeln, Stirnmeſſern und fünf: 
hundert Ballen Silhouetten, aus dem Xerel nad Oftindien ab- 
gegangen, um das Licht der Phyſiognomik in jenen finftern 
Gegenden zu verbreiten. Am Bord beffelben befanden fich drei 
Eingeweihete; nämlid: Don Zebra Bombaft, eigentlich 
ein geborner Spanier, der aber in Deutfchland erzogen iſt; ein 
Mann von edlem hohen Sinn, in Gang und Stil von recht 


trönungsmäßigem Wefen. Bon der Wahrheit der Phyfiognomie 
1. \& 


210 


überzeugt, oder doch fo gut als überzeugt, achtete er Feine Ein⸗ 
würfe mehr. Hr. Lavater hätte auf feinen würbdigeren Mann 
verfallen können; hauptfächlich weil er mit bem utili nicht allein 
das dulce, fondern auch ba8 amarum zu verbinden weiß. 

Der zweite war Peter Kraft, ein auserwählter phyfiogno- 
mifcher Gläubiger, ber burh Hrn. Lavaters Stil überzeugt 
worden war, weil er glaubte, in folder Begeifterung könne 
man feine Unwabhrbeiten reden. Der kaltblütige Menſch allein 
irre eigentlih nur, weil Kälte, Erde und Irrtümer Synonyma 
wären; bingegen fei der warme Menſch gottesbefefien, fei 
Planzug bed Ganzen, ohne freien Willen, und alfo offenbar 
Triebwerk des Weltzweds. Weiffagungen aus Überlegung wären 
ipso facto feine. Nur allein Gott weiffage aus Raifonnement, 
das Gefhöpf nur durch ihn; und das gefchehe allemal, wenn 
e8 koche. 

Don Zebra und Peter Kraft waren die beften Freunde, 
und bewegen von Hrn. Lavater gewählt worden. Es war auch 
nicht leicht möglich, daß fie hätten Zeinde werden können; benn 
in ber Überzeugung von ber Wahrheit der Phyfiognomit waren 
fie ſchon eins, und hatten alfo nicht nöthig, fi) auf die Gründe 
einzulaffen; daher fie die meifte Zeit nur in flarfen, zuweilen 
twigigen Ausdrüden wider die Gegner der Phyſiognomik fprachen. 

Der britte Friedrich Weiß aus Berlin, ebenfalls ein 
Bertheidiger der Phyſtognomik, wiewohl Fein warmer. Nach 
einem einflimmigen Zeugniß Aller, die bie Reiſegeſellſchaft ges 
kannt haben, war er ber befte Kopf unter ihnen. Er batte in 


211 


ber That über Phyfiognomit nachgedacht. Hr. Lavater hatte 
ihn, obne ed fih merken zu laſſen, gewählt, um Leute zu 
überzeugen, in denen bie Gnabe nicht wirken wollte; bingegen 
Don Zebra und Peter Kraft, biejenigen zu überzeugen, ' die 
ohne Überzeugung glauben. 





Nachtrag 
zu ben phufisgnomifchen und pathognomifchen Beobach⸗ 
tungen und Bemerkungen. 


Es ift bie Pflicht jedes Weltweifen, den König in einem 
Schubflider zu erfennen, um bem Berdienfte zu bezahlen, was 
des Verdienſtes ift, und nicht Größe der Seele, Talent und 
Fähigkeit nach dem lärmmachenden Effert zu fhägen. Wenn 
die Phyſiognomik dazu etwas beitragen kann, fo ift fie aller: 
dings eine verehrungswürbige Wiffenfhaft und Schuldigkeit fie 
zu flubdiren. 


Die unterhaltendfte Fläche auf der Erde für uns iſt die des 
menſchlichen Gefichts, 


Die gemeinen Leute find herrlich zu gebrauchen, manche 
Bemerkungen zu machen, wenn. man ihre Mienen beobachtet. 
14* 


212 


Man kann fie benutzen wie die Hunde, bie abgerichtet-find, Hühner 
und Trüffeln zu finden, welche man felbft nicht riechen kann. 


Mir können gar nichts von ber Seele fehen, wenn fie nicht 
in den Mienen fitt. Die Gefichter einer großen Berfammlung 
von Menfchen könnte man eine Gefchhichte der menſchlichen Seele 
nennen, mit einer Art von chinefifhen Beichen gefchrieben. Die 
Seele legt, wie der Magnet den Zeilftaub, fo das Gefiht um 
fih) herum, und bie Verſchiedenheit ber Lage bdiefer Theile be: 
ſtimmt die Verſchiedenheit befien, das fie ihnen gegeben hat. 
ge länger man Gefidhter beobadhtet, deſto mehr wird man an 
den fogenannten nichtöbedeutenden Gefigtern Dinge wahrneh- 
men, bie e8 individuell machen. 


Gefiht und Seele find wie Sylbenmaaß und Gedanken. 


Es gibt wenig Menfchen, die ein gefcheutes Gefiht machen 
können, wenn fie nad) ber Sonne fehen. 


Se größer die Veränderung von ber Ruhe zum Lachen ober 
von der Ruhe zum Weinen im Gefiht ift, deſto empfindlicher 
it es. Ich babe in meinem Leben Leine folche Veränderung 
gefehen, als in bem Gefichte meines älteften Jungen, wenn er 
lähelt und wenn er weint. Im erſten Falle babe ich nicht 
leicht ein himmlifcheres Geficht gefehen, und wenn er weint, fo 
befommt er eine Art von 80jährigem Geficht, das ganz vieredig 


mwird, da das andere fonft rund iſt. Sch babe ihn daher ben 
Wagenmeifter genannt, weil ber fel. Bruns, unfer vierfehrötiger 
Wagenmeifter, ungefähr ein folche® Geficht hatte. 


Es gibt Gefihter in ber Welt, wider die man ſchlechter⸗ 
dings nicht Du ſagen kann. 


Den Leuten, die ausgewachſene Schienbeine haben, kann 
man dieß gemeiniglich an dem Unterkinn anſehen. 


6, - 
Pädagogiſche Bemerkungen. 


Es wäre ber Mühe werth, zu unterfuchen, ob es nicht 
ſchädlich ift, zu ſehr an der Kinderzuucht zu poliren. Wir kennen 
ben Menfchen noch nicht genug, um dem Zufall, wenn ich fo 
reden darf, dieſe Verrichtung ganz abzunehmen. Ich glaube, 
wenn unfern Pädagogen ihre Abficht gelingt, ich meine, wenn 
fie e8 dahin bringen können, daß fi) die Kinder ganz unter 
ihrem Einfluß bilden, fo werden wir feinen einzigen recht großen 
Mann mehr befommen. Das Braudhbarfte in unferm Leben 
bat uns gemeiniglich niemand gelehrt. Auf öffentlihen Schu⸗ 
len, wo viele Kinder nicht allein zufammen lernen, ſondern 
auch Muthwillen treiben, werden freilich nicht fo viel fromme 
Schlafmügen gezogen, Mancher geht ganz verloren, ben meiften 
aber fiebt man ihre Überlegenheit an. Betwahre Gott, daß ber 
Menfh, deffen Lehrmeifterin die ganze Natur ift, ein Wachs⸗ 
klumpen werden fol, worin ein Profeffor fein erhabenes Bildniß 
abdrudt. 


Nachdem die Welt fchon fo lange geftanden hat, feheint es 
faft unnöthig, am Menfchen weiter zu fünften. Man laſſe 


215 


die Kinder fo viel als möglih thun, und halte fie immer 
zu ältern, als fie felbft find; man ſchwatze ihnen nicht 
viel von großen Männern vor, fondern balte fie wo möglich) 
an, Andere zu übertreffen. Wer immer angehalten wird, feine 
Spieltameraden zu übertreffen, ber wirb im vierzigften Jahre 
alle feine Collegen übertreffen. Aus ber Schule von Eton und 
Weftminfter Fommen Leute, bie alles Andre lieber thun, als 
ſchwatzen. Wenn ich mir ein Vergnügen machen will, fo denke 
ih mir einen von unfern funfzehnjährigen gelehrten Knaben in 
die Gefellfehaft eines funfzehnjährigen Engländers, der aus ber 
Schule von Eton zurüdfommt; ben erften im Haarbeutel, ge— 
pubert, bemüthig und gefpannt, auf den mindeften Drud mit 
einer Menge Gelehrfamkeit Ioszubrechen, in feinen Meinungen 
fhlechterdings nichts Anderes, als ber Feine fehlecht copirte Papa 
oder Präceptor, ein bloßer Wiederfchein, bewundert bis ins 
fechözehnte Jahr, im ftebzehnten, achtzehnten, neunzehnten, zwan- 
zigften mit Erwartung und Stille angefehen, da indeffen das 
auf hohlen Grund aufgeführte Gebäude zu finfen anfängt, im 
zwei und zwanzigften, drei und zwanzigften u. f. w. ein mittel- 
mäßiger Kopf, und fo bi8 ans Ende. Der Engländer hingegen 
bat fein reines Todiges Haar um bie Ohren und Stirne hängen, 
die Miene blühend, die Hände zerkfragt und auf jebem Knöchel 
eine Wunde; Horaz, Homer und Birgil find ibm immer gegen 
mwärtig, in feinen Meinungen ift er beftimmt und eigen, irrt 
fih taufend Mal, aber verbeffert fich felbft u. f. w. 


218 


gefunde Kinder zu ziehen. In wie weit flimmt dieſes mit 
unferer Methode überein? Unfer Einbläuen ber Geographie 
foheint Feines von allen Dingen fonderlich zu befördern. Es kann 
einer in feinem zwanzigften Jahre noch glauben, daß das Kö- 
nigreich Preußen eine Infel fei, und deßwegen doch ein in allem 
Betracht trefflicher Menfch fein. Ich habe einen foldhen gekannt. 
Man foll zwar immer bei der Erziehung auf bie conventionellen 
Schönheiten des Geiftes Rüdfiht nehmen, aber e8 find doch 
bie letzten. “ 


Kinder zu kuppeln, wie die Hunde oder die Schweine in 
England. Es wird in der Welt nicht eher gut geben, bis man 
die Kinder Puppelt. | 


Es ift in der That verkehrt, wenn man unfern Kindern 
Alles mit Liebe beibringen will, da in dem höheren Leben, wenn 
wir älter werden, uns das Wenigfte zu Gefallen geht, und wir 
und immer unter einen Plan demüthigen müffen, ben wir nicht 
überfeben. Alſo je eher je lieber zu jenem, Fünftigen Leben 
gewöhnt! 


Ih wünſchte ein Kind zu haben, das ich mir ganz eigen 
machen könnte; ich mollte e8 zu Allem anhalten, wovon ich jeßt 
zu fpät einfehe, daß ich es verfäumt habe. Die Eltern halten 
ihre Kinder nicht genug zu dem an, was fie nun erkennen müf: 
fen verfäumt zu haben. Überhaupt glaube ich, daß es fehr we- 


219 


nige Lehrer gibt, bie fo unterrichten, baß fie das vermeiden zu 
lehren, was fie felbft, wenn fie bei jetzigem Berftande jung wä- 
ren, vermeiden würden zu lernen. 


Es war ein vortreffliher Junge, als er kaum ſechs Jahr 
alt war, konnte er fhon das Vater Unfer rückwärts berbeten. 


Man follte alle Menfchen gewöhnen, von Kindheit an in 
große Bücher zu fehreiben, alle ihre Erercitia, Auffäge u. f. w. 
und bie Bücher in Schmweinsleber binden. Da fi Fein Gefek 
daraus machen läßt, fo muß man die Eltern darum bitten, we- 
nigftens bei Kindern, bie zum Studiren beftimmt find, bieß zu 
beobachten. Wenn man jett Newtons Schreibbücher hätte! Wenn 
ih einen Sohn hätte, fo müßte er gar ein Papier unter Händen 
befommen, als eingebunbenes. Serriſſe oder befubelte er es, fo würde 
ich mit väterlicher Dinte babei fehreiben: Dieß hat mein Sohn 
anno .. den ... befudelt, Man läßt den Körper und bie Seele, 
da8 punctum saliens der Mafchine fortwachfen, und verfchweigt 
und vergißt e8. Die Schönheit wandelt auf den Straßen; warım 
ſollten nit in dem Familienarchiv die Probucte, oder vielmehr 
bie Signaturen ber Fortfchritte bes Geiftes niedergelegt bleiben, 
und der Wachsthum dort eben fo fihtbar aufbewahrt liegen 
können? Der Rand müßte gebrochen, und auf einer Seite immer 
die Umftände, und zwar fehr unparteiifch, gefchrieben werben. 
Was für ein Vergnügen würde es mir fein, jegt meine Schreib: 
bücher alle zu überfehen! Seine eigene Naturgefhichtel Manu 


\ 


220 


fieht jeßt immer, was man ift, und fehr ſchwach, was man 
war. Man müßte dem eigentlichen Gegenftande ber Sammlung 
diefe nicht zu oft fehen laſſen; vieleicht nur erft fpätz das Übrige 
müßte er bloß aus Relationen kennen. Man hebt die Kinder: 
bäubchen auf, und ich babe öfters felbft den Bufammenkünften 
mit beigewohnt, da man einem großen, befoldeten und anfehn- 
lihen Kopf fein Kinderhäubchen wieß. Warum nicht eben fo 
mit Werfen bes Geiftes? Die Eltern könnten eine ſolche Samm⸗ 
lung von Bänden eben fo aufbewahren, wie ihr Kind, benn es 
ift der Spiegel beffelben. Wie fie feinen Leib zu bilden haben, 
lehrt fie ihr Auge; wie feinen Geift, der Anblid biefer Bände. 
Vom vierten Jahre, glaube ih, könnte man anfangen. Kein 
Band müßte verloren werden; denn das Papier muß boch bezahlt 
werben, und das Aufbewahren macht keine Schwierigkeiten. Ich 
wüßte nicht, welches angenehmer und nüglicher wäre, bie Bewe⸗ 
gung aller Planeten zu Eennen, oder biefe Annalen einiger vor 
züglihen Menfchen. Die Welt würde dadurch fehr gewinnen. 


Man muß bie Kinder in einen Korb fperren, aber ihnen 
ben Korb fo angenehm maden, ald möglich; das heißt, wer ein 
großer Biolinfpieler werben fol, muß täglich 8 Stunden geigen, 
bon der 3eit an, ba er eine Bioline halten Bann, u.f.w. Das 
ift der Korb, aus dem er nicht darf, allein barin muß ihm Alles 
fehr erleichtert werben. 


Ein Lehrer auf Schulen und Univerfitäten kann Peine In⸗ 


bividuen erziehen, er- erzieht bloß Gattungen. Gin Gedanke, 
ber fehr viel Beherzigung und Auseinanberfegung verdient. 


Es wird gewiß von unferer Jugend jebt viel zu viel gelefen, 
und man follte dagegen fehreiben, wie gegen die Selbftbefledung, 
nämlidy gegen eine gewiffe Art von Lectüre. Es ift angenehm, 
aber fo fhäblih, al8 immer nur das Branntweintrinten. 


Sa einmal recht gründlich zu unterfuchen, warum das Blüs 
ben ohne Früchte zu tragen fo fehr gemein ift, nicht bloß an 
den Obſtbäumen. Bei unfern gelehrten Kindern ift e8 eben fo: 
fie blühen vortrefflih, und tragen Feine Früchte. 


Vielleicht iſt noch nie ein Vater geweſen, ber nicht irgend 
einmal fein Kind für etwas ganz Originelles gehalten bat. Doc 
glaube ich, find die gelehrten Väter diefem zärtlichen Irrthum 
mehr ausgeſetzt, als irgend eine andere Klaffe von Vätern. 


Wenn man nur bie Kinder bahin erziehen könnte, daß ihnen 
alles Undeutliche völlig unverftändlich wäre. 


Ich bin überzeugt, daß die vermeinte Grünblichfeit beim 
Bortrage ber Anfangsgründe fehr ſchadet. Es ift gar nicht 
nötbig, daß ein Lehrer bem Anfänger die Sache gründlich vor⸗ 
trägt; aber ber Lehrer, ber dieſen Vortrag wählt, muß fie gründ⸗ 
lich verftehen; alddann ift gewiß für den Anfänger geforgt. 


222 


Wenn das Ungefähr nicht mit feiner gefhidten Hanb in 
unfer Erziehungswefen bineinarbeitete, was würde aus unferer 
Welt geworden fein? 


Berminderung ber Bebürfniffe follte wohl das fein, was 
man ber Jugend durchaus einzufchärfen, und wozu man fie zu 
ftärfen fuhen müßte. Je weniger Bedürfniffe, befto 
glüdlidher, ift eine alte, aber fehr verfannte Wahrheit. 

Es ift gut, wenn junge Leute in gewifjen Jahren vom 
poetifchen Übel befallen werden; aber inoculiren muß man es 
ihnen ums Himmelswillen nicht laffen. 

Die Muttermilch für ben Leib macht die Natur; für den 
Geiſt wollen unfere Pädagogen fie machen. 


- 





Nachtrag 
zu ben pädagogiſchen Bemerkungen, 


Es ift ein Fehler in unferen Erziehungen, daß wir gewiſſe 
Wiffenfchaften zu früh anfangen. Sie verwacfen fo zu fagen 
in unfern Berftand, und ber Weg zum Neuen wirb gehemmt. 
Es wäre die Frage, ob nicht bie Seelenkräfte fich ftärfen ließen, 
ohne fie auf eine Wiffenfchaft anzumenben. 


223 


Sie hatten: bei dem jungen Menſchen die eigentliche Propf⸗ 
zeit vorbeiſtreichen laſſen und es wollte nichts mehr auf dem 
wilden Stamme einwachſen. 


Es gibt keine wichtigere Lebensregel in ber Welt, als bie: 
halte dich, fo viel du kannſt, zu Leuten, bie gefhidter find als 
du, aber doch nicht fo fehr von bir unterfchieden find, daß du: 
fie nicht begreifi. Das Erheben wird deinem Chrgeiz burch 
Snftinet Teichter werden, als dem Allzugroßen das Herablaſſen 
aus Palter Entſchließung. 


Bücher, bie man junge Leute will leſen madyen, muß man 
ihnen nicht ſowohl felbft anempfehlen, als in ihrer ‚Gegenwart 
loben. Sie finden fie hernach von ſelbſt. So ift es mir ge 
gangen. 


Wie perfectibel der Menſch ift und wie nöthig Unterricht, 
fieht man fchon daraus, baß er jekt in 60 Jahren eine Gultur 
annimmt, worüber das ganze Gefchlecht 5000 Jahre zugebradht 
hat. Ein- Züngling von 18 Jahren kann die Weisheit ganzer 
Zeitalter in fi) faffen. Wenn ich den Sag lerne: die Kraft, 
bie im geriebenen Bernftein zieht, ift Diefelbe, die 
in den Wolfen dbonnert, welches ſehr bald gejihehen Bann, 
fo babe ich etwas gelernt, deffen Erfindung den Menfchen einige 
Zaufend Jahre gekoftet hat. 


224 


rüber Unterricht gewährt eine Beitlang ben Anfchein des 
Genies, erhält fi) aber nicht. Die Stillſtände erfolgen bald 
früher bald fpäter. 


Ich babe immer gefagt, die Mathematiker gebeihen am 
beften, wenn man fie auf junge Stämme von Uhrmachern pfropft. 


Man läßt die Kinder im 14ten Jahr confirmiren; man follte 
fie im 25ften confirmiren, oder wenigftens neu bewerfen laſſen, 
wie die Häufer in Göttingen. — Man muß feine Philofophie 
alle 10 Jahre neu bewerfen laſſen. 


Es ift ein fehlechter Lohn, wenn ein Junge, auf ben man 
etwas verwandt hat, am Ende ein Poet wird. Ein Biertels 
ſtündchen Nahtmufit für einen jahrelangen Dienft. Eltern, 
bie bemerfen, baß ihr Junge ein Poet von Profeffion werden 
will, follten ihn fo lange peitfchen, bis er das Verſemachen auf: 
gibt, ober bis er ein großer Dichter wird. 


Ich fürdte, unfere allzuforgfältige Erziehung liefert uns 
Zwergobſt. 


225 


7. 
Politiſche Bemerkungen. 


Die Lüftung der Nation kommt mir zur Aufklärung ber: 
felben unumgänglich nöthig vor. Denn was find_die Menfchen 
anders als alte Kleider? Der Wind muß burdhfirdcdhen. Es 
kann fi Jedermann bie Sache vorftellen, wie er will; allein 
ih fiele mir jeden Staat wie einen Kleiderſchrank vor, und bie 
Menſchen als bie Kleider beffelben. Die Potentaten find bie 
Herren, bie fie tragen, und zuweilen bürften und auskfopfen, 
und wenn fie fie abgetragen haben, die Treffen ausbrennen und 
das Beug -wegjchmeißen. Aber bie Lüftung fehlt; ich meine, 
daß man fie auf den Boden hängt. Wenn der Kaifer einmal 
feine ungarifhen Schafe auf den Sand in der Mark triebe, 
und der König von Preußen die feinigen in Ungarn weiden n ließe, 
was würde da nicht bie Welt gewinnen | 


Wenn man auf einer entfernten Inſel einmal ein Bolt 
anträfe, bei dem alle Häufer mit fcharf geladenem Gewehr be: 
hängt wären und man beftändig des Nachts Wache hielte, was 
würde ein Reifender anders denken können, als daß die ganze 
Infel von Räubern bewohnt wäre? Iſt e8 aber mit ben euro: 

l. WD 


226 . 


päifchen Reichen andere? Man fieht hieraus, von wie wenigem 
Einfluß die Religion überhaupt auf Menſchen ift, bie fonft 
fein Geſetz über ſich erkennen, oder mwenigftend, mie weit mir 
noch von einer wahren Religion entfernt find. Daß die Reli- 
gion feldft Kriege veranlaßt bat, tft abfcheulich, und die Erfinder 
ber Syfteme werben gewiß bafür büßen müffen. Wenn bie 
Großen und ihre Minifter wahre Religion, und die Unterthanen 
vernünftige Gefege und ein Syſtem hätten, fo wäre Allen geholfen. 





Das GEinreißen bei gewöhnlichen Anftalten if ein großes 
Berderben, vorzüglich in der -Politif, Ökonomie und Religion. 
Das Neue ift dem Projectmacher fo angenehm, aber denen, Die 
ed ‚betrifft, gemeiniglich fehr unangenehm, Der erite bedenkt 
dabei nicht, daß er ed mit Menfchen zu thun bat, die mit 
Güte unvermerdt geleitet fein wollen, und daß man dadurch 
fehr viel mehr ausrichtet, als mit einer Umſchaffung, beren 
Werth denn borh erft durch bie Erfahrung entfchiehen werden 
muß. Bern man boch nur das Lektere bedenken wolte! Man 
ſchneide die Glieder nicht ab, die man nod heilen fann, wenn 
fie auch gleich etwas verftümmelt bleiben; ber Menſch könnte 
über der Operation flerben. Und man reiße nicht gleich ein 
Gebäude ein, bad etwas unbequem ift, und ftede ſich dadurch 
in größere Unbequemlichkeitn. Man made kleine Verbeffe- 
rungen. 


Dr, Forſter fagt, bie Vielmweiberei bringe mehr Mädchen 


227 


als Knaben hervor. Diefe Behauptung (in wie weit fie ge 
gründet ift, weiß ich nicht) beftätigt eine alte Meinung von 
mir, daß es fi) mit dem menſchlichen Gefchlecht verbafte, wie 
mit bem einzelnen Menfhen. Es bequemt ſich zu Allem. Dieß 
ift wiederum eine ‘Folge feiner Perfectibilität. Vielleicht würde 
Vielmännerei mehrere Knaben erzeugen, weil ba die Reihe an 
einen befto feltener käme. Es verfieht fi) von felbft, wenn 
der Mann eine Untreue beginge, fo wäre biefes nicht mehr 
Vielmännerei. Wozu ließe fi) nicht das menſchliche Geflecht 
bringen ! 


Es ift freilich nöthig, daß, wenn die nügliche, arbeitende 
Claffe in Kenntniffen erhoben werden fol, die höhere fehr viel 
weiter fein muß, um fie nachzufchleppen. Allein dieſes ſehr 
viel weiter ift relativ. Wenn unfere Gelehrten fo fort 
arbeiten, fo werden fie fi immer mehr von der gemeinen Men: 
fhenclaffe entfernen, und ber Eifer, jene nad fi zu ziehen, 
wird immer größer, aber auch die Verachtung größer werden, 
womit man jene Menſchen anfleht. Der Katholif ift in diefer 
Rückſicht billiger, al8 wir: er gibt das nach, was wir verlan- 
gen, baß ber Niedrigere zugeben fol. Er fegelt langfamer, 
um bie fihledhten Segler bei fi) zu behalten; wir gehen mit 
vollen Segeln, und hoffen, was kaum zu ermarten ift, baß 
uns die Kleinen nachkommen follen. 


Man erleichtert fich, habe ih irgendwo gelefen, bie Be— 
5 * 


228 


trachtung über die Staaten, wenn man fie ſich als einzelne 
Menfchen gedenkt. Sie find alfo auch Kinder, und fo lange fie 
diefes find, mögen fie monarchiſch am beften fein. Wenn aber die 
Kinder groß werden, fo laſſen fie fi nicht mehr fo behandeln, 
benn fie werden alsdann wirklich nicht felten klüger, als der Vater. 


Wenn e8 noch ein Thier gäbe, ba8 dem Menfchen an 
Kräften überlegen wäre, und ſich zuweilen ein Vergnügen daraus 
machte, mit ihm zu fpielen, wie bie Kinder mit Maifäfern, 
oder fie in Cabinetten auffpießte, wie Schmetterlinge; fo würde 
es wohl am Ende ausgerottet werden, zumal wenn es nicht an 
Geiftesfräften dem Menfchen fehr weit überlegen wäre. Cs 
würde ihm unmöglich fein, ſich gegen die Menſchen zu halten; 
es müßte ihn benn verhindern, feine Kräfte im mindeften zu 
üben. Gin ſolches Thier ift aber wirklich der Despotismus, 
und doch hält er fih noch an fo vielen Orten. Bei der &e- 
fhichte des Thieres muß aber auch angenommen werden, daß 
ed den Menfchen nicht wohl entbehren kann. 


Wenn die Hunde, die Wespen und die Horniffen mit 
menfchlicher Vernunft begabt wären, fo fünnten fie ſich vielleicht 
ber Welt bemäcdhtigen. 


Es ift eine Frage, ob wir nicht, wenn wir einen Mörber 
rädern, gerade in ben Fehler des Kindes verfallen, das ben 
Stuhl Schlägt, an ben es fich ftößt. 


229 


Darf ein Bol feine Staatöverfaffung ändern, wenn es 
win? Über diefe Frage ift fehr viel Gutes und Schlechtes 
gefagt worden. Ich glaube, die befte Antwort barauf ift: 
Wer will e8 ihm wehren, wenn es dazıı entfchloffen ift? 
Allgemein geworbenen Orundfäßen gemäß handeln, ift natür- 
lich; der Berfuh kann falfh ausfallen, allein es ift num 
einmal zum Verſuch gefommen. . Ihm vorzubeugen müßten 
die MWeifeften die Oberhand haben, und diefe Weifelten müß⸗ 
ten eine Menge ber MWeifeften oder ber Unweiſeſten, gleich 
viel, commanbiren fönnen, um bie Bernunft der Beffern und 
den Gehorfam ber Schlechtern immer nad) berfelben Seite zu 
lenken. 


Die Gegner der Franzöfifchen Republik fprechen immer, daß 
fie da8 Werk einiger wenigen aufrührerifchen Köpfe fei. Hier 
kann man frei fragen: was ift je bei großen Begebenheiten das 
Werk von Bielen zugleich gewefen? Oft war es nur das 
Wert eines Einzigen. Unb mas find denn unfere Potens 
tatenPriege je ander8 gewefen, als das Werk von Wenigen? — 
König und Minifter. Es ift ein elendes Kaifonnement. Es 
müffen und können immer nur Wenige fein, wenn etwas 
Großes ausgeführt werden fol. Die Übrigen, bie Menge, 
müffen alfemal berüber gebradht werden, man mag das nun 
Überzeugung oder Verführung nennen, das ift gleich viel. Auch 
fpricht man fo verädhtlic von Bierbrauern, Parfümeurs u. dgl., 
die jebt große Rollen fpielen. Es gehört ja aber dazu nichts 


230 


als gerader Menfchenverfiand, Muth und Ehrgeiz, ben biefe 
Leute fo gut, als Andere befigen fünnen. 


Ich möchte wohl wiffen, was gefchehen würde, wenn ein- 
mal die Nachricht vom Himmel füme, daß ber liebe Gott ehe: 
ftend eine Commiſſion von bevollmädtigten Engeln berabfchiden 
würde, in Europa herum zu reifen, fo wie die Richter in 
England, um bie großen Prozeſſe abzuthun, worüber es bienie- 
den feinen andern Richter gibt, als das Recht bes. Stärfern ? 
Wie mander Minifter würde dann lieber um gnäbigften Urlaub 
anfuchen, einem Wallfiſchfang beisumohnen, ober die reine Caps 
Horn: Luft zu atmen, als in feiner Stelle bleiben ! 


Ich fehe nicht ein, was e8 fhaden kann, dem Yatriotismus, 
für ben nicht ale Menſchen Gefühl ‚haben, Liebe des Könige 
unterzufieben, wenn ber König fo berrfht, daß er bie 
Liebe und Treue feiner Untertbanen verdient. Liebe und Treue 
gegen einen rechtfchaffenen Mann ift. dem Menfchen viel ver: 
ländlicher, als die gegen das beite Geſez. Was für eine Macht 
haben nicht die Lehren ber Tugend, wenn fie aus bem Munde 
rechtfchaffener Eltern fommen! Gott bat gefagt: du folft 
nicht tödten, du follft Vater und Mutter ehren u.f.w. Das 
verfteht Jedermann. Der Beweis aus dem Recht der Natur ift 
nicht fo einleuchtend. Jene Worte find deßwegen fein Betrug, 
denn ed ift die Stimme ber Natur und Gottes, 


231 


Ich möchte wohl wiffen, ob Alle, die wider bie Gleichheit 
der Stände fihreiben und diefelbe lächerlich finden, recht willen, 
was fie jagen. Eine völlige Gleichheit aller Menfchen, fo wie 
etwa aller Maifäfer, läßt fi) gar nicht denken; fo können es 
alfo auch die Franzofen nicht verftanden haben, benn fie reden 
ja überall von den Reichen. — Unter den Stubenten auf lint- 
verfitäten findet eine ähnliche Gleichheit, wie die franzöfifche, 
Statt: der ärmſte Student dünkt fi) fo viel wie der Graf, 
und gibt diefem nichts vor, und das ift recht; ob er gleich 
gerne zugibt, daß er im Collegio an einem befondern Tiſche 
fit, und beffere Kleider trägt. Nur muß biefer, als Graf, 
feine Vorzüge prätendiren; bie ihm bewilligten läßt ihm 
Sedermann gerne. Wollte er welche prätendiren, fo wäre das 
ber Weg, zu bewirken, daß man ibm alle verfagte. Nur bie 
ſtolzen Prätenfionen find es, was ber freie Menfch nicht vertra- 
gen kann; übrigens ift er gar fehr geneigt, wenn man ihn 
gehen läßt, Jedem bie Vorzüge zu bewilligen, die er verdient; 
und welches diefe find, das zu beflimmen, bat er gewöhnlich ein 
fehr richtiges Maaß. Jede Achtung ift ein Gefchen?, das nicht 
erzwungen werden darf und kann. Bewilligt das Volk durch 
Decrete gewiſſe Vorzüge, ſo iſt dieſes eine Abgabe, und kein 
Geſchenk des Einzelnen, und dieſe koͤnnen prätendirt werden. 
Von der Art find die VBorrechte der Magiftratsperfonen im Dienft. 
Jedermann denke doch an die Bürger feiner Baterfiadt. Wenn 
ber reichfte Kaufmann einen Vorzug vor dem ärmſten Schufter 
oder Schreiber prätenbirte, fo möchte er übel anfommen. „Du 


232 


haft mir nichts zu befehlen“« — ift bie Antwort. Prätendirt er 
ihn nicht und ift fonft ein ehrlicher Mann, fo wird ihm jener 
den Borzug nie verfagen. 


Unter die Mißverftänbniffe oder die faljchen Darftellungen 
bei der franzöfifchen Revolution gehört auch die, daß, man glaubt, 
die Nation werde von einigen Böfewichtern geleitet. Sollten 
nicht vielmehr biefe Böjewichter fi die Stimmung der Nation 
zu Nupe machen ? 


In Frankreich gährt ed; ob Wein oder Efjig daraus wer» 
‚den wird, ift ungewiß. 


Durch bie Ermordung Ludwigs XVI. wurden Leite gegen 
bie Grunbfäge jener fränkifhen Vandalen empfindlid, die es 
vorher nicht waren. Jene Ihat war die Sprade, wodurch fie 
ihnen verfländlich wurden; und fie zu rächen, thut jet Mancher, 
was er fonft nicht würde gethban haben. So werben bie größten 
Dinge verrichtet, und eben fo ift e8 bei taufend Menfchen mit 
ber Liebe gegen den König. Der Untertban thut oft für einen 
guten König, was er für die eherne Bildfäule des Geſetzes nicht 
würbe getban haben. Ein guter Regent ift die Kraft bed Ge» 
feßes, die freilich meiftens nur zum Strafen gebraudit wird, 
aber wenig zum DBelohnen. Der Menfch unterläßt viel leichter 
etwas aus Furcht vor dem Haß des Regenten, als er es aus 
Liebe für ihn thut. Was für eine große Kunft wäre ed, zu 


233 


maden, baß ber Menjch Dinge thäte, ohne daß er e8 müßte! 
fo wie ber, ber bie Jagd liebt, feinem Körper eine beilfame 
Bewegung verfchafftz oder der, der den Hunger ftillt, für die 
Nahrung feines Körpers forgt, ober fein Gefchlecht fortpflanzt, 
indem er eigentlidy nur feinem Vergnügen nachgeht. Der Himmel 
bat fo wenig auf unfern Berftand anfommen laffen, und wir 
wollen Alles damit treiben. Das Gefep ift ein gar Palter Körper. 


Die Welt fo zu erfchaffen, wie Epikur, Demokrit, le Sage, 
ift freilich Werwegenheit. Es kann ganz anders zugegangen 
fein. Ullein das ift dad leider nur allzu gemeine argumentum 
indoleniiae. Wir find Theile dieſer Welt, Mitbewohner, und 
der Gedanke, der in uns lebt und webt, gehört ja auch mit 
dazu. Da wir nun einmal für allemal in des lieben Gottes 
Unterhauſe ſitzen, und er ſelbſt uns Sitz und Stimme aufge⸗ 
tragen hat, ſollen wir unſere Meinung nicht ſagen? Wenn 
wir ſie nicht ſagen ſollten, und nicht ſagen dürften, ſo würden 
wir ſie nicht ſagen können. Ich glaube, wozu der menſchliche 
Geiſt Hang fühlt, da ſoll man ihn ja gewähren laſſen. Es 
unterbleibt nicht, und darf und kann auch nicht unterbleiben. 
Daß eine vernünftige Religionspolizei hierüber etwas waltet, iſt, 
wie ich glaube, recht gut. Nur muß dieſes nicht durch ge⸗ 
druckte Befehle im Detail geſchehen; das iſt eine abſcheuliche 
Sache. Denn der Befehl, wenn er auch noch ſo gut abgefaßt 
iſt, kann ſich nicht in das Detail einlaſſen; und ſo lange er 
dieß nicht kann, fo kann er ja eben fo einfältig gedeutet wer: 


x 


234 


den, als das, dem er Einhalt thun will. Die Sprache ber 
Mandate und Edicte kann bei ſolchen Gewifjensangelegenheiten 
unmöglich burdhaus beftimmt fein. Lange Mandate werden 
nicht gelefen, oder wenn fie gelefen werden, nicht behalten. 
Man follte aber nicht deßwegen genauere Beobachter niederfeker, 
fondern die, welche die allgemeinen (generifchen) Befehle 
geben, follten die daraus entftehenden ſpecifiſchen zu mobe 
riren wiſſen. Was würde wohl daraus werden, wenn ber liebe 
Gott einmal bie Gefchöpfe nad) dem Linneifhen Syftem be: 
handeln und füttern wollte? — Die Menfhen, fo fehr fie auch 
im Beihenbuche einander ähnlich fehen, find unter fi) unendlich 
verfchieden; und da die Größe überhaupt etwas Relatives ift, fo 
ift bier eine unendliche Werfchiedenheit; und wenn wir die Ge 
finnungen der Menfchen fehen Fünnten, wir würden eine Ber- 
fhiedenheit antreffen, bie für das höchfte forfchende Auge un⸗ 
endlih fein würde, wir möchten nun das nennen, wie wir 
wollten. — Alfo, jede Religionspolizei ſollte ſich fo allgemein, 
als möglih, in ihren Gefegen ausprüden und privatim corris 
giren. Du ſollſt nit tödten; Du follft nit fleb: 
len; das ift recht gut geboten; das follte man nachahmen. 


Was Lönnten nicht NRegenten ausrichten, zumal in Beinen 
Staaten, wenn fie fih ihren Unterthanen öfters zeigten, pre: 
digten u. f.w.! Sie würden fo die Seele des Geſetzes, beffen 
Körper für fih wenig Heiz bat. — Die beften Gefeke- kann 
man bloß refpectiren und fürdten, aber nicht lieben. Gute 


235 


Regenten refpectirt, fürchtet und liebt man. Was für mächtige 
Quellen von Slüd für ein Volk! 


Se größer und weitausfehender der Pan ift, in den eine 
Revolution bineingehört, .defto mehr Leiden verurfucht fie denen, 
die darunter begriffen. find; indem es nicht Jedermanns Sache 
ift, felbft wenn er es überfieht, fi durch ben Berftand mit 
Geduld zu ftärken, und dieſes um fo weniger, je ungemiffer es 
ift, ob er nod die Früchte davon genießen werde. Uber eben 
diefelbe Kurzfichtigfeit, die den Menfchen unfähig macht, bie 
großen Plane der Vorfehung zu überfchauen, verftattet audy ben 
weifeften Regierungen nicht, auf dem fanften Wege, ben fie 
mit Recht einfchlagen, große Bwede zu erreihen. Ja, ba ed 
natürliche YHflicht ift, immer nur das zu wählen, was uns gut: 
dünkt, fo ift es unmöglich, zum Bortheil ber Welt Einen Weg 
einzufchlagen,, ber Millionen fürs Gegenwärtige unglücklich madıt. 
Der Menſch ift nur da, die Oberfläche der Erde zu bauen; ben 
Bau und die Reparaturen, bie mehr in die Tiefe gehen, behält 
fih die Natur felbft vor. Erdbeben, die Städte umkehren, 
kann er nicht machen, und wenn er fie fönnte, würde er fie 
gewiß am unrecdhten Orte anbringen. Ich bin fehr geneigt, zu 
glauben, daß es mit unferen ..arcdhieen und „.Eratieen eben 
jo gehe. Was ber Pflug und die Art thun kann, das ift für 
uns, aber nicht was. den Erdbeben, Überſchwemmungen und 
Orkanen zugehört, und vermuthlih, ja gewiß eben fo nützzlich 
und nöthig if. Wenn am Ende das Glück des ganzen Ge: 


236 


fchlechts in einer .. Pratie befteht, wovon wir das erfie Wort 
ber Zufammenfeßung gar nicht Fennen, und bad man nad Ge 
brauch der Mathematiker etwa durch xOEratie bezeihnen könnte, 
wer will biefes x beflimmen? Gin Freund las Chriftolratie, 
und aus dem Innerften meiner Seele gefprochen, ich babe gegen 
biefen Werth von x nichts einzuwenden, wenn man nur erfl 
über die Bedeutung bed Wort Chriftus recht eins wäre, ober 
die ſo deutliche Bedeutung nicht muthwillig verfennen wollte. 
Es ift aber zu fürchten, daß auch dieſes Verſtändniß nur durch 
Reformationdrebolutionen und breißigjährige Kriege wird bewirkt 
werden können. 


Mun wird, wenn man Acht geben will, bei dem Deuts 
fhen die Nahahmung überall finden, freilich bald mehr, bald 
weniger verftedt. Selbft unfer Fechten für Bezahlung ifi Nach⸗ 
ahmung ber Bertheidigung des Vaterlandes. Eigentlih kann 
wahre Bertheidigung feines eigenen Herde, feines Weibes und 
feiner Kinder mit dem Dienfte ber Soldaten nicht verglichen 
werben; und doch geſchieht es fehr häufig. Es find Dinge ganz 
verfhiedener Art, und fo unterfchieden, wie wahre Freund⸗ 
fhaft halten von [hmarogen. 





Weiffagungen finden fih in fehr alten Büchern auch ſchon 
deßwegen, weil einem bie Begebenheiten, bie die Beranlafjung 
dazu waren, nicht immer einfallen. Denn wer bat, wenn er 
auch Geſchichte weiß, Alles fo fonchroniftifch gegenwärtig, daß 


237 


er willen kann, was bamals bie Tiſchdiscurſe der Gefellfchaft 
waren? Begebenheiten der Zeit verleiten zu einem Traum; 
ähnliche Begebenheiten ereignen fiy wieder, und ber Traum 
trifft ein. So habe ich felöft den Tod Ludwigs XVI. lange 
vorher geweiffagt, und gewiß mehrere Menfchen haben bafjelbe 
gedacht. Was bie franzöfifche Revolution für Folgen haben 
wird, läßt fi) auch dunkel vorausfehen. Johann Huß wurde 
verbrannt, Luther nicht; es entſtand ein breißigjähriger Krieg, 
und nun fleht die Reformation da. 


Bei ber jegigen Anardie in Frankreich und ber Uneinigfeit 
im Nationalconvent folte man immer fragen: wie viel gehört 
wohl davon ben Gmigranten zu? und wie viel dem Einfluß 
fremder Höfe? Gewiß wird nicht bloß mit Armeen von letzteren 
gefochten. ' 


In Peiner Streitigkeit, deren ich mich erinnere, find je, 
glaube ih, die Begriffe fo verftellt worden, als in ber gegen- 
wärtigen über Zreibeit und Gleichheit. Gebt, ruft die eine 
Partei, hin nah Paris, da feht ihr’ bie Früchtchen der Gleich⸗ 
heit! Und es iſt betrübt, zu ſehen, daß ſogar berühmte Schrift⸗ 
ſteller in dieſen Ton mit einſftimmen. Eben fo könnte ich rufen: 
ihr, die ihr ein ſo großes Glück im Umgange mit dem andern 
Geſchlecht und in der Liebe findet, ſeht dort die Hospitäler der 
Naſenloſen! oder ihr, die ihr von dem Labſal ſprecht, das euch 
beim Genuß ber Freundſchaft der Wein gewährt, ſeht dat Six 


- 238 


Trunkenbolde in ben Klauen der Schwindfucht im Kreife ber: 
bungernder Kinder langfam dahin fterben! Ihr Ihoren, möchte 
ich fagen, fo lernt uns doch verfiehen! O ich glaube au, ihr 
verfiehbt uns nur allzu wohl, ihr beraifonnirt nur defwegen fo, 
weil ihr fürchtet, bie Welt möchte uns verftehen. Die Gleich⸗ 
beit, die wir verlangen, ift der erträglichfie Grad von Ungleich⸗ 
beit. So vielerlei Arten von Gleichheit e8 gibt, worunter es 
fürdterliche gibt, eben fo gibt es verfchiebene Grabe ber Un» 
gleichheit, und darunter welche, bie eben fo fürchterlich find. 
Bon beiden Seiten ift Verderben. Ich bin daher überzeugt, daß 
die Bernünftigen beider Parteien. nicht fo weit von einander lies 
gen, als man glaubt; und daß bie Gleichheit der einen Partei, 
und die Ungleichheit der andern wohl gar am Ende biefelbigen 
Dinge mit verſchiedenen Namen ſein könnten. Allein was hilft 
da alles Philoſophiren? Dieſes Mittel muß erkämpft werden, 
und wird die übermacht von einer Partei zu groß, zumal wenn 
der Muthwille der andern unbändig war, ſo kann es auch ſehr 
viel ſchlimmer werden. Es iſt aber nur zu befürchten, daß jene 
mittlere Gleichheit oder Ungleichheit (wie man will) von beiden 
Parteien gleich ſtark verabfcheut wird. Sie muß alfo wohl mit 
Gewalt eingeführt werden; und ba ift e8 denn dem Einführen» 
den nicht zu verdenfen, wenn er ſich einen etwas flarfen Aus- 
fhlag gibt. Hierin liegt überhaupt ein allgemeiner Grund von 
der Seltenheit guter Mittelzuftänbe. 


Wenn ber goldene Mittelzuftand durch den Streit der Ber: 


239 


theidiger beider Ertreme erfochten werden fol; jo ift es eine gar 
mißlihe Sade. Nichts als völlige Entkräftung beider Theile 
wird fie geneigt dazu machen, und in biefem Falle bemädhtigt 
fi) leicht ein Dritter beider Parteien. 


Sieyes ift feit 17883 wahrfcheinlicher Weiſe bie Iriebfeder 
aller großen Begebenheiten in Frankreich. (Im Jahr 1793 ge: 
fhrieben.) 


Es find immer gefährliche Zeiten, wo ber Menfch fehr lebhaft 
erkennt, wie wichtig er ift, und was er vermag. Es ift immer 
gut, wenn er in Rüdfiht auf feine politifchen Rechte, Kräfte 
und Anlagen ein bißchen fchläft, fo wie die Pferde nicht bei 
jeder Gelegenheit Gebrauch von ihren Kräften maden dürfen. 


Wenn Freiheit, wie man jagt, bem Menfchen natürlich ift, 
ift es ihm denn minder natürlich, fi) dem Schuge eines Anbern 
zu unterwerfen, wenn er nicht Stärke ober nicht IThätigkeit 
genug hat? Da man fi über Könige weggefegt bat, wird es 
nit immer Menfchen geben, die fi) über Geſetze wegſetzen? 
Tugend in allen Ständen ift die Hauptfadhe; wo 
die nicht ift, da ift Alles nichts, und Wechfel wird flets Statt 
finden. Alles, wofür ein Staat zu forgen bat, ift, richtige 
Begriffe von Gott und der Natur in Umlauf zu bringen. Man 
bat ſich über Könige weggeſetzt, nicht weil fie Tyrannen waren; 
fondern man nannte fie fo, weil man ſich über fie wegſetzen 


240 


wollte. Und wie, wern e8 nun nie an Ehrgeizigen fehlen wird, 
bie die Gefege für Tyrannen halten ? 


Es ſcheint faſt, als wenn es mit ber Erfenntniß gewiffer 
Wahrheiten und ihrer Anwendung im Leben ginge, wie mit 
Pflanzen: wenn fie einen gewiffen Grab von Höhe erreicht 
haben, fo werden fie abgefchnitten, um wieder von vorme ans 
zufangen. Der höchſte Grad von politifcher Freiheit liegt un⸗ 
mittelbar am Despotismus an, Wie fchön ift e8 nicht bei der 
englifchen Gonftitution, daß fie republifanifche Freiheit mit ber 
Monarchie ſchon vorläufig gemifht bat, um den völligen Um⸗ 
fhlag aus einer Demokratie in reine Monarchie oder Despotis⸗ 
mus zu verhindern ! | 


Das Traurigfte, was bie franzöfifhe Revolution für uns 
bewirkt hat, ift unftreitig das, baß man jede vernünftige und 
von Gott und Rechtöwegen zu verlangende Forderung, als einen 
. Keim von Empörung anfehen wird. 


Es kommt nicht darauf an, ob die Sonne in eined Mo—⸗ 
narchen Staaten nicht untergeht, wie fih Spanien ehedem 
rühmte; fondern was fie während ihres Laufes in biefen Staa: 
ten zu fehen bekommt. 


Man fpricht viel von guten Königen, die do im Grunde 
nichts weniger waren, als gute Könige, aber gute Leute. Es 


241 


ift diefes eine Hödhft ungereimte Verwirrung ber Begriffe. Man 
kann ein fehr guter Mann und doch Eein guter König fein, fo 
gut ald man ein ebrliher Mann und dabei Fein guter Bereiter 
fein Bann. Dieß ift wahrhaftig ber Kal mit Ludwig XVL 
Was halfen feine guten Gefinnungen? Dadurch konnte fein 
Volt unmöglih glüdlih werden. Man fagt nit, baß er 
nicht vergleichungsweife gut geweſen ſei. Er war gewiß fehr 
viel beſſer, als mande feiner Vorgänger. 


Eine Gleichheit und Freiheit feftfegen, fo wie fie fich jest 
viele Menfchen gedenken, das bieße ein eilftes Gebot eben, 
wodurch die übrigen zehn aufgehoben würden. 


Wenn ber größte Lehrer des Menfchengefchlehts käme und 
eine Schule anlegte, vollkommene Menfhen zu -bilden, und alle 
Schulmeifter rottirten ſich zuſammen, aus Furcht ihre Kunden 
zu verlieren, fchrieben gegen ihn, fuchten. feine Kinder zu ver 
führen, fihieten ihm mit Fleiß verworfene Gefchöpfe zu, ja 
mitunter .verfleidete Mädchen mit venerifchen Krankheiten, ließen 
ihnen Branntwein und wohlſchmeckende Gifte zufhiden u. f. w. 
— wie würde ein folches Inftitut beftehen künnen? Wenn nun 
Alles darin, wirklich darunter und darüber ginge, was für Recht 
hätten nun bie neidifchen Schulmeifter, in die Welt zu fihreiben: 
quid dignum tanto tuljf hie promissor .hiatu? — Sem Plan 
hatte nicht. Schuld, Ionen. fie, die Schulmeiſter, mit ihren 
Gegenarbeiten. 

I. \G 


242 


Sonft fuht man bei Belehrungen die Meinung wegzus 
fhaffen, ohne den Kopf anzutaften ; in Frankreich verfährt man 
jegt fürzer: man nimmt die Meinung mit fammt dem Kopf weg. 


Was die Großen jest zu bedenken haben, ift, daß fie ihre 
Untertbanen gewiß nicht leicht ärger drüden können, als fie 
in Sranfreich gebrüdt wurden; und diefe doch ihrem ‚Könige ben 
Kopf abgefchlagen haben. 


Es find jest Deutfche, Engländer, Franzofen, Yiernontefer, 
Spanier, Portugiefen, Neapolitaner und Holländer, die das 
heilige Grab der franzöfifhen Monardie zu erobern 
tradhten; ob es ihnen wohl gelingen wird? 


Es ift eine große Frage, wodurch in der Welt mehr ift 
ausgerichtet worden: durch das gründlich Gefagte, ober durch 
das bloß ſchön Geſagte. Etwas zugleich fehr gründlich und fehr 
fhön zu fagen, ift ſchwer; wenigftens wird in dem Augenblick, 
da die Schönheit empfunden wird, die Gründlichfeit nicht ganz 
erkannt. Man tadelt das feichte Gefhwät, das jest in Frank⸗ 
reich in politifchen Dingen gebrudt wird. Ich glaube, biefer 
Tadel ift felbfi etwas feicht, und zeigt, baß bloß das Syſtem, 
aber nicht die Kenntniß menfchlicher Natur die Feder geführt hat. 
Denn diefe Bücher werden ja nicht für das Menfchengefchlecht 
und die abſtracte Vernunft gefchrieben, fondern für concrete 
Menſchen von einer gerwiffen Partei; und erreichen gewiß ihren 


243 


Zweck fiderer, als alle Werke, die für ben abftracten Menfchen 
berechnet find, den ed nody nicht gegeben bat, und n’e geben wird. 


Ich fehe darin nichts fo fehr Arges, daß man in Frankreich 
ber chriftlihen Religion entfagt bat. Das find ja Alles nur 
Pleine Winkelzüge. Wie wenn das Bolt nun ohne allen 
äußern Z3wang in ihren Schoos zurüdkehrt, weil ohne fie 
fein Glück wäre? Welches Beifpiel für bie Nachwelt, und 
welches koſtbare Erperiment, dad man wahrlidy nicht alle Tage 
anftelt! Ja, vielleicht war es nöthig, fie einmal ganz aufzu: 
heben, um fie gereinigt wieder einzuführen. 


Es ift, glaube ich, Peine Frage, daß, bei aller Ungleichheit 
der Stände, die Menfchen alle gleich glücklich fein können; 
man fuche nur jeden fo glücklich als möglich zu machen. 


Milton, der zwar nicht unter die Königsmörder felbft ge: 
bört, die Carl I. auf das Schafstt brachten, aber fie doch nady 
ber befanntlich vertbeidigte, lehrte: a popular government was 
the most frugal; for the troppings of a monarchy would set 
up an ordinary common wealth., Diefes ift eiri zu unferer 
Zeit fehr gewöhnliches Raifonnement. Wir müffen, fagen fie, 
fo viel bezahlen, bloß um den Hofſtaat zu unterhalten; dieſen 
brauchen wir nit. — Diefe Art zu frhließen ift aber, fo vielen 
Shein fie auch für fih Hat, nichts defto weniger fehr grundlos. 
Erftlich fegt es voruus, daß, um glädlih zu eben, won 

ar 


244 


nichts weiter nöthig bat, als Gelb: Ruhe und innerer Friede 
kommt babei nich in Betracht. Die Leute glauben, das bißchen 
Geld, das fie mehr haben, würden fie alsdann eben fo rubig 
verzehren fönnen, als in der Monardie; aber das iſt Berblen- 
dung. Wir ertragen ed ganz wohl, daß uns eine Familie bes 
herrſcht, die wir über uns erhaben glauben. Aber wenn fich 
ein Böſewicht, der dem Range nad nicht mehr ift, als ich, 
burch Gelb und 2ik bei den Wahlen emporfhwingt; ein Mann, 
dem ich mich an reellem Berdienſt überlegen fühle — das Präntt. 
Auch wenn ich nicht gewählt werde, und bie Frau fagt: „aber, 
lieber Mann, warum wählen fie denn dich nicht? . wenn wir 
doch nur ein einzigesmal das Glück hätten! unfere Kinder wer⸗ 
den gar nicht fo angefehen, als wie ber Frau N... ihrer — 
das ſchneidet fehr tief und verbittert das Leben, und verleitet 
felbft manden Mann, der in einer Monarchie ehrlich. geblieben 
wäre, zu Gabalen. Bei einer foldhen Hintanfegung verliert 
Alles feinen Werth. Schon ber frhönfte Landfik in England 
wirb feinem Beliger zur Wüfte, wenn er bei einer Parlaments⸗ 
wahl ausgefallen iſt. Hingegen in einer Monarchie vernachläffigt 
zu werden, das fchreibt man mehr dem Schiefale zu, und dünkt 
fih wohl noch gar in dem Leiden groß, und wird auch mehr 
beklagt. Jeder mir benachbarte Bauer, der feine Stimme wider 
mich gegeben bat, fieht fih als meinen Herrn an, und rühmt 
fih in ber Schente, mich gedemüthigt zu haben. — 
Bweitens, ift denn das Geld, das dem Hofe gezahlt 
wird, meggemworfen? ober wird es in eiferue Kiften vergraben ? 


245 


Kommt es nicht vielmehr fehneller in Umlauf, als jebed andere 
Geld? . Fragt einmal die Hoflieferanten, oder den Schufter und 
Schneider, der für den Hof bes Hoflieferanten arbeitet; dieſe 
werben anders urtbeilen. Der Hof bat feine Höfe unter fid, 
die wieder. die ihrigen haben, und fo erfiredt es ſich mit ufıs 
zäbligen Ramificationen bis zur unterften Claſſe. 

Drittens unterfuche- man einmal unparteiifch, was eigent- 
li der Grunbtrieb des Republikanismus ifl. Bei den Meiften 
wenigftens ein Haß gegen die Großen. Denn man ift ge 
wöhnlich immer befto. weniger republifanifch gefinnt, je höher 
ber Rang ift, den man felbft in ber Welt beffeidet. Auch ift 
ed fhon hundertmal gefagt worden, daß die Bertheidiger der 
Gleichheit eigentlich) nichts wünſchen, als Alles höher zu ihrem 
Horizont hinauf, aber nicht fich felbft zu einem tiefern herab 
gebracht zu fehen. Die berühmte Mıs. Macaulay, eine große 
Gleihmaderin, konnte e8 dem Dr. Johnſon nie vergeffen, 
daß er fie nach einem folhen Dispüt, als man fih zu Tiſch 
feste, fragte, ob fie nicht ihren Kammerd'ener miteffen laffen 
wollte. oo 

Biertens wird man häufig finden, daß bie Vertheidi⸗ 
ger ber Freiheit nicht felten ‚bie größten Tyrannen in ihrem 
Haufe find. In England erzählt man, daß ber Herzog von 
Richmond, der ehemalige große Bertheidiger der amerifanifchen 
Freiheit nicht felten feine Berwalter durdhprügeln fol. Ja 
Milton, ber große Freiheitsredner, hatte drei Weiber nach 
einander und drei Töchter, aber ſolche erniedrigende Bearike 


246 


vom weiblichen Gefchlechte, daß er glaubte, fie wären bloß zum 
Gehorchen da. Diefes ging bei ihm fo weit, daß er fogar 
feine eigenen Töchter nicht fihreiben Icrnen ließ. Ich glaube, 
es müßte eine fehr unterhaltende Lectüre fein, bie Reden eines 
ſolchen Freiheitsritters mit ber Gefchichte des Pleinen monardji« 
fhen Staates verglichen zu fehen, an deffen Spige er felbft ſteht. 


Es wäre vortrefflich, wenn fi) ein Katechismus, oder eigent- 
li ein Studienplan erfinden ließe, wodurch die Menfchen vom 
dritten Stande in eine Art von Biber verwandelt werden könn⸗ 
ten. Ich kenne fein befjeres Thier auf Gottes Erdboden: es 
beißt nur, wenn c8 gefangen wirb, ift arbeitfam, äußerſt matri« 
monial, kunſtreich und bat ein vortreffliches Fell. 


Ih möchte was darum geben, genau zu wiffen ‚ für wen 
eigentlich die Thaten gethan worden find, von denen man öffent« 
li fagt, fie wären für das Baterland gethan worden. 


Ich kann freilih nicht fagen, ob es beſſer werben wird 
wenn es anders wird; aber fo viel kann ich fagen, es muß 
anders werben, wenn e8 gut werben foll. 


Es gibt Länder, wo es nichts Ungewöhnliches ift, daß man 
Officiere, die im Kriege treu gedient haben, beim Frieden redu⸗ 
eirt. Wäre es nicht gut, bei gewiflen Departements ber Staats: 
verwaltung bie Einrichtung zu treffen, daß die bazu gehörigen 


247 
Bedienten, oder einige von ihnen, rebucirt würden, fobalb es 


Krieg wird? Es wäre auch fihon genug, wenn fie auf halbe 
Bejoldung gefegt würden. 


Wer bat denn die Frangofen genötbigt, ihr Heil auf Um: 
wegen zu fuhen? Die jekige Berfaffung (1796) ift jo wenig 
ber Zweck, ald Robespierre's Iyrannei war. Auf biefem Wege, 
glaube ih, muß die Sache gefunden werden. Kommen fie am 
Ende zu einer monardifchen Regierung zurüd, gut, fo ift es 
ein neuer und zwar ſehr Präftiger Beweis, daß große Staaten 
nicht anders beherrſcht werden können. 


Wenn die Gleichheit der Stände, über bie man jet fo viel 
fchreibt und fpricht, etwas Wünfchenwerthes ift, fo muß fie 
nothwendig etwas jener Gleichheit Analoges haben, bie man 
nah Aufhebung des Rechts des Stärkern durch weiſe Geſetze 
eingeführt bat. Es ift daher ein gar fonderbares Argument, 
das man zur Vertheidigung der Ungleichheit beibringt, wenn 
man fagt, die Menfhen würden mit ungleichen Kräften ges 
boren. Denn hierauf kann man antworten: eben deßwegen, 
weil die Menjchen mit ungleiden Kräften geboren werben, und 
der Stärkere den Schwädern verfchlingen würde, hat man fidh 
in Geſellſchaften vereinigt, und durch Geſetze eine größere Gleich: 
beit eingeführt. Iſt das fo genannte Gleichgewicht von Europa 
etwas Anderes? Überhaupt wäre e8 wohl befier, zu fagen: 
Gleihgewidt ber Stände, als: Gleichheit. 


248 


Ich babe das Buch: ber politifhe Thierfreis. ober 
bie Zeichen der Zeit. gelefen. Es ift gut gefchrieben, und 
enthält theil® eigen, theils aus andern ercerpirt, das Befte, was 
fi) gegen die Großen und bie Monardieen jagen läßt. Einiges 
mag auch wohl unwiberleglich fein. Allein man laffe einmal 
die Volföregierungen überall eintreten, fo werden vermutblich 
andere Umftände folgen, bie bie Bernunft eben fo wenig billigen 
fann, als die jegigen. "Denn daß das republitanifche Syſtem 
ganz frei von allem Unheil fein follte, ift ein Traum, eine 

foße Idee. Sch glaube, ohne deßwegen richten zu wollen, man 
wird ewig und ewig durch Revofutionen von einem Syſtem in das 
andere ftürzen, und die Dauer eines jeden wird von der tem= 
porellen Güte der Subjerte abhängen. Nah Amerika 
läßt fich noch nichts beurtheilen, weil e8 zu weit von den Län⸗ 
dern entfernt ift, wo man anders denft, und die anders Den⸗ 
enden auf jener Seite der Welt nicht Unterftügung gemug haben. 
Die eingefchräntte Monarchie feheint am Ende die Afympfote zu 
fein, der die Staaten immer näher zu fommen fuchen müffen ; 
aber auch da wird ed immer und ewig auf die Güte ber Sub: 
jecte anfommen. - _ 

Große Eroberer werden immer angeftaunt werben, und bie 
Univerfalbiftorie wird ihre Perioden nad) ihnen zufehneiden. Das 
ift traurig; es liegt aber in ber menfchlichen Natur. Gegen 
ben großen und ftarfen Körper felbft eines Dummkopfs wird 
immer der Eleine des größeften Geiftes, und ſonach ber große 


249 
Geift felbft, veräcdhtlich erfcheinen, ‚wenigftens für ben größten 
Theil der Welt, und das fo lang Menfhen Menjchen find. 
Den großen Geift im Heinen Körper vorzuziehen, bazu gehört 
Überlegung, zu der fich die wenigften Menjchen erheben. 


Es fol in einem gewiffen Lande Sitte fein, daß bei einem 
Kriege der Regent fowohl. al& feine Räthe über einer Pulvertonne 
ſchlafen müffen, fo fange der Krieg dauert, und zwar in befons 
dern Zimmern des Schloffes, wo Jedermann frei hinſehen fann, 
um zu beurtheilen, ob das Nachtlicht auch jedesmal brennt. 
Die Tonne ift nicht allein mit dem Siegel der Volksdeputirten 
verfiegelt, fondern auch mit Riemen an ben Fußboden befeftigt, 
die wieder gehörig verfiegelt find. Alle Abend und alle Morgen 
werben bie Siegel unterfucdht. Man fagt, baß feit geraumer 
Beit die Kriege in jener Gegend ganz aufgehört hätten. 


Der jekige Krieg bat gewiffe Begriffe allgemein in Gang 
gebradt. Man kann nicht fagen, daß dieſes fchon oft gefchehen 
fei. Nein, niemals fo! nad Erfindung ber Buchdruderei, nach 
der Reformation, nad dem Gtabliffement fo vieler Zeitungen 
und Sournale, nad fo vielen Leihbibliorthefen, und nad ber 
entitandenen Lefefucht, die gewiß nie fo allgemein war. Es 
fommt fo Bieles zufammen, was nie vorher beifammen war, 
und nit beifammen: fein fonnte, was unfere Zeiten zu ben 
merkwürdigſten macht, die je gewejen find. 


250 


Ich möchte wohl das Berhältniß der Zahlen wifien, die aus— 
drüdten, wie oft das Wort Revolution in ben 8 Jahren 
von 1781 bis 89 und den 8 Jahren von 1789 bis 97 in Europa 
ausgefproden und gedrudt worden if. Schwerlich würbe das 
Berbältniß geringer fein, als 1 : 1000000. 


Iſt es nicht fonberbar, daß man, um dem Gouvernement 
und namentlih dem Directorium in Frankreich Reſpect zu ver 
fhaffen, ein Coſtum, eine Kleidertracht eingeführt bat? Das 
fhönfte Coſtum wäre unftreitig die Erblichkeit der Regierung. 
Keine Tracht, Fein Anzug wird je erfunden werben, der bem 
gleiht. Es liegt im Menfchen ein Princip, das diefen Ans 
zug fchneidert, den man jetzt geradeweg ber Schneibergilde über⸗ 
läßt. Sollte fi nit ein Mittel finden lafjen, bier einen Mit: 
teliweg zu finden? Es ift Demokratie in dem aus Kopf und 
Herz beftehenden Menfchen, was die Monardie ber reinen 
Bernunft verwirft, und die politifchen Demokraten ftügen ‚fich 
auf Monarchie ber Bernunft. Sie erfennen eine Monardjie 
zur Bertheidigung einer Demofratie — Suchet einmal in der 
Welt fertig zu werben mit einem Gott, den bie Bernunft allein 
auf den Thron geſetzt hat. Ihr werdet finden, es ift unmög⸗ 
lih. Ich fage biefes, fo fehr ih au einfehe, daß es billig 
wäre; aber biefe größere Billigkeit ift gerade die Stimme ber 
Bernunft, bie jenes will, alfo parteiifh. Befraget bad Herz, 
und ihr werbet finden, daß, fo wie bie Kleider Leute, fo bie 
Geburt Regenten madt. Das Gleihniß führt, ich geftehe es, 


— 


251 


auf etwas LXächerliches, aber bloß für den Lacher, den erbärm- 
lichſten Menſchen, den ich fenne. Sch werbe gewiß von benen 
verftanden, von denen ich verſtanden fein will, und biefes über: 
bebt nich der Mühe, bier präcifer in den Ausdrüden zu fein. Ich 
bin davon fo fehr überzeugt, daß, wenn mir die Wahl gelafjen 
würde, welches Ortapblatt von mir auf die Nachwelt fommen 
follte, ich getroft fagen würde: dieſes. — Sind denn bie 
Kleidertrahten auch Vernunft? Warum ift ein Rewbell 
dur den Schneider mehr werth, als durch bie Natur? Ihr 
imponirt der Einbildungöfraft und dem Herzen von einer Seite, 
wo die Belehrung: von feinem Irrthum viel leichter ift, als da, 
wo e8 auf Vorrechte und Geburt antommt. Geht mir weg mit 
euren neuen Schneidereien, bie weit hinter den unfrigen liegen! 
Selbſt in eurer Livree liegt etwas von bem ignoto Deo. Das 
Herz und das Auge wollen was haben. 


Die Polizeianſtalten in einer gewiffen Stadt laſſen fi) füg- 
lih mit den Klappermühlen auf den Kirfhbäumen vergleichen: 
fie ftehen flil, wenn das Klappern am nöthigften wäre, und 
maden einen fürchterlihen Lärm, wenn wegen bes heftigen 
Windes gar Fein Sperling fommt. 


Die Corps Invaliden bei den Soldaten bienen body wahrlid) 
beutlich zu zeigen, was bereinft aus ben Baliden werben wird. 
Es wäre gut, wenn man aud in andern Ständen den Jüngern 
eine folche Pafiionsgefchichte vorhalten könnte. Andere Claſſen 


252 


von Gefhäftsmännern fehen die Erempel nicht fo beifammen. 
Man muß fie fi) durd Überlegung und Phantafle zufammen 
bringen, und das vermindert ben Totaleindrud fehr. - 


Man will wiffen, daß im ganzen Sande feit 500 Jahren 
Niemand vor Freuden geftorben wäre, 


Wenn Heirathen Frieden ftiften können, fo follte man ben 
Großen die Bielmeiberei erlauben. 


Die an den Untertbanen meiftern wollen, wollen die Fir 
fterne um die Erde drehen, bloß damit die Erbe rube, 


Die Großen mit ihren langen Armen ſchaden fe weniger, 
al8 ihre Kammerbdiener mit ben kurzen. 





Nachtrag 
zu den politiſchen Bemerkungen. 


In den Worten: Vox populi vox Dei ſteckt mehr Weis: 
beit, al8 man heutzutage in vier Worte zu ſtecken pflegt. 


Polybius diftinguirt zroifchen Urfache, Vorwand und Anfang 


253 


eincd Krieges. Die beiden legteren werben gemeiniglich nur 
allein befannt. So geht e8 auch in anderen Dingen. 


Das Land, wo bie Kirchen fhön und die Häufer verfallen 
find, ift fo gut verloren, als das, wo bie Kirchen verfallen und 
die Häuſer Schlöffer werden. 


Es iſt auch Population, wenn man Mafchinen flatt der 
Menfchen gebraudt, Bandmühlen, Dampfmafdinen. 


Unfer Weltſyſtem ift ein monardifher Staat. Die Sonne 
bat ihren Hofftaat, fie hält aber doch die Großen etwas entfernt. 
Sie erlaubt ihnen aber ihre Nebenplaneten. Hieraus ließe fich 
vielleicht eine Fabel machen, die auf bie jegigen (1791) politie 
fhen Revolutionen paßte. Die Satelliten rebeliren und wollen 
gerade um die Sonne laufen. | 


Eine Repubfit zu bauen aus den Materialien einer nieder: 
geriffenen Monarchie, ift freilich ein fchmweres Problem. Es geht 
nicht, ohne bis erſt jeder Stein anders gehauen ift, und bazu 
gehört Zeit. 


Wir wollen nun ſehen, was aus ber franzöfifchen Kepublif 
wird (1796), wenn die Geſetze ausgefchlafen haben. W 





254 


8. 
Ziterärifche Bemerkungen. 


Was find unfere gelehrten Zeitungen und unfere meiften 
Sournale? Sie find allerdings vom bloßen Meßkatalog unter 
fhieden, aber was fie von dieſem unterfcheidet, ift gerade daß, 
was da macht, daß fie faft Niemand mehr lieft. 


Mit Phlegma ſchreibt fihs Leine Satire gegen Phlegma, 
denn darin befteht eben feine Natur, daß es fi nicht felbft 
ftört. Wir ahmen immer die Satire der Engländer und Fran» 
zojen na, und bedenken nicht, daß wir mit ganz andern Fels 
len zu thun baben. 


Unfere-Yorife haben fi nun allmälig verloren; der Fluch 
fhien immer mit den Generationen zuzunehmen. j 


Diejenigen unter den Gelehrten, denen es an Menfchenver: 


ftand fehlt, lernen gemeiniglich mehr als fie brauchen, und bie 
Bernünftigen unter ihnen fönnen nie genug lernen. 


In den Bügomer Prit. Sammlungen, wo man die Qumifche 


N 


255 


Gefhichte nicht undeutlich der Häberlinifchen nachſetzt, vergißt 
man offenbar einen Hauptumftand: Wer nämlich Humiſche Ges 
ſchichte ſchäzt, verwirft deßwegen nicht Häberlinifhe. Die eine 
läßt fih gar nicht mit der andern vergleihen, Die eigentlichen 
Gefhichtklauber, die, um eine Jahrzahl zu berichtigen, Folians 
ten langfam durchblättern und ganze Zrühlinge verfigen, find 
überhaupt ein murrendes, alles andere verachtendes Bolk, und 
können fich fehr erbittern, wenn man ihnen irgend ein Werf 
vorzieht, das mit Leichtigkeit gefchrieben zu fein fcheint. „Das 
fteht in dem trodenen Annaliften Alles weit genauer« — aber 
fie bedenken nit, daß, fo wenig ald dem Menfchen äußerfte 
Genauigkeit möglich ift, fie eben fo wenig ihm auch überall nös 
tbig iſt. Wer den Ausdrud der Muskeln an dem farnefifchen 
Herfules bewundert, dem muß ber Phnfiolog nicht verächtlich 
zurufen: sim Albinus und Gowper fteht das Alles weit genauer.“ 
Jedes nah feiner Art, iſt eine Regel, die den Kritiker 
überall leiten fol. 


Daß Garve aufgehört bat zu fhreiben, ift ein fo großer 
Berluft für unfere Literatur, als daß Lavater angefangen bat. 


IH kann nicht leugnen, mein Mißtrauen gegen den Ges 
ſchmack unferer Zeit ift bei mir vielleicht zu einer tadelnswürdis 
gen Höhe geftiegen. Täglich zu fehen, wie Leute zum Namen 
Genie kommen, wie die Kellerefel zum Namen Taufendfuß, nicht 
weil fie fo viel Füße haben, fondern weil die Meiften nicht bis 


256 


auf 14 zählen wollen, hat gemadt, baß ich feinem mehr. ohne 
Prüfung glaube. oo. 


Aus dem jehigen Zuſtande ber Gelehrſamkeit, da fi Nützlich⸗ 
keit, Gründlichfeit und Tändelei wie 1, 3 und 5 verhalten, gleich 
auf einen Verfall der Wiſſenſchaften fehließen wollen, beißt bie 
Sache mit gar zu mifroffopifchen Augen betrachten. Diefes Zidzad 
wird im Allgemeinen doch nur ein fteter Weg; ob er. zur Auf 
nahme oder zum Verfall führt, läßt fi fo geſchwind nicht beur⸗ 
theilen. Funfzig Jahre Kleinmeifterei und Tändelei nehmen fich 
“ für das lebende Zeitalter traurig aus, im Ganzen find es un« 
merkliche Krümmungen in bem großen Zuge. Wenn man nahe 
ift, fo fieht e8 aus, als böge er ſich zurück. — Wenn ein Volt 
fih einmal aus der edeln Einfalt in das mehr Schimmernde 
verloren bat, fo geht, wie ich glaube, der Weg nach der Ein» 
falt zurück, durch das höchſt Affeetirte, das mit bem Ekel enbigt. 


Wenn unfere jetzt im Schwange gehende regifterartige Ge— 
lehrſamkeit nicht bald zu ihrem Winterftilifiand fommt, fo ift 
allerdings viel zu befürchten. Der Menfch lebt allein, um fein 
und feiner Mitmenfchen Wohl fo fehr zu befürdern, al® es feine 
Kräfte und feine Lage erlauben. Hierin fürzer zu ſeinem End» 
zweck zu gelangen, nügt er bie Verſuche feiner Vorfahren. Er. 
ftudirt. Ohne jene Abficht ſtudiren, bloß um fagen zu können, 
was Andere gethan haben, das heißt bie lehte der Wiffenfchaften 
treiben. Solche Leute find fo wenig eigentliche Gelehrte, als 


257 


Regifter Bücher find. Nicht bloß wiffen, fondern auch für die 
Nachwelt thun, was bie Vorwelt für uns gethan bat, heißt ein 
Menſch fen. Sol ih, um nichts noch einmal zu erfinden, 
was ſchon erfunden ift, mein Leben über der Gelehrten Ge- 
[dichte zubringen? Sagt man doch Dinge vorfäglich zweimal, 
und man nimmt ed einem nicht übel, wenn nur bie Einklei⸗ 
bung neu ift. Huf du felbft gedacht, fo wird deine Erfindung 
einer fihon erfundenen Sache gewiß allemal das Zeichen des 
Eigenthümlichen an ſich tragen. 


Es haben ſich in dieſem Jahre eine Art von gelehrten Wit« 
terungsgefprächen in unfere Gefellfehaften eingejchlichen, fo daß 
man faft das eigentliche Wetter barüber vergißt. Anftatt zu 
“fügen, e8 geht ein fcharfer Wind, fagt man, das neuefle Stüd 
der alfgemeinen deutfchen Bibliothek ift nun angefommen. Statt 
von ſchmutzigem Wetter zu fprechen, fpriht man von der Frank⸗ 
furter Zeitung und man Plagt jegt nicht mehr über ſchwüle Luft 
ober Froft, fondern faft allein über Recenfentenunfug. Es fol 
auch fogar ein franzöſiſcher Spottvogel in einer neuen Auflage 
feiner Grammaire ein Geſpräch zwifchen einem Herren und einem 
Schneider eingefchaltet haben, wo diefer unmittelbar nach der Frage: 
Befehlen der Herr goldene Knicbänder oder cameelhanrne? feinen 
Kunden fragt: Haben der Herr die Frankfurter Zeitung gelefen? 


Die Engländer werden es duch Überfegung unferer Schrif— 
ten dahin bringen, daß wir fie gar nicht mehr überfegen. 
J. 1 \ı 


258 


Einige Leute wollen das Studiren ber Künfte lächerlich 
maden, indem fie fagen, man ſchreibe Bücher über Bildchen. 
Was find aber unfere Gefpräche und unfere Bücher anders, als 
Befchreibungen von Bildchen auf unferer Netzhaut oder in unferm 
Kopf? 


In der Republik der Gelehrten will jeder berrfchen, es gibt 
ba keine Aldermänner, das ift übel. Ieber General muß, fo 
zu reden, ben Plan entwerfen, Schildwache fiehen, bie Wacht⸗ 
ftube fegen, und Wafler holen; es will Peiner ben andern in 
bie Hände arbeiten. 


In Deutfhland haben wir eine Menge Gelehrten, die fidh 
gefchwinde, wie man gu fagen pflegt, in ein Fach hineinwerfen 
koͤnnen. Diefe Leute wunbern: fi) heimlich über ſich felbft, daß 
fie fo bald im Stande find, über eine Materie zu fchreiben. 
Sie werben Polygraphen, ehe fie fi) befjen verfehen, und erlan⸗ 
gem einen Ruhm; allein faft immer werben fie nur von Unwiſ⸗ 
fenden und SHalberfahrnen angeftaunt. Der eigentlide Mann 
des Yaches lächelt bei ihren Arbeiten, die der Wiffenfchaft felbft 
nicht einem Pfennig eintragen. Sie gegentheils find blöbfinnig 
genug, biefen ihnen verfagten Beifall des Kenners für Neid zu 
halten. Unſere meiften Schriftfteller find von der Art, man 
darf es kühn behaupten. Sie find vortrefflih, um von ihnen 
zu fpreden — benn auch unter biefen berporzuragen, ift eine 
Ehre, wenigftens in dem Lande, wo es Mobe ift, auf biefe Art 


259 


gelehrt zu fein — aber Bortheil bringen fie ber Wiffenfchaft 
fiherlih nit. Um in einer Wiffenfhaft fo zu fehreiben, daß 
man nicht bloß die Menge ftaunen macht, fondern ben Beifall 
bes Kenners erhält und ber Wiffenfchaft felbft etwas zulegt, muß 
man fih ihr allein widmen, und zu gewiſſen Beiten felbft nur 
einzelne kleine Theile berfelbern bearbeiten. Unfere Gelehrten 
werben gewiß von andern ähnlichen wieder verdrängt, fie ſter⸗ 
ben am Abend be Tages, da fie in ber Sonne fdhimmerten 
und fpielten, zu Xaufenden dahin und werben vergefien. — 
Man kann fi feldft His zum Erflaunen in einer 
Sache Genüge leiften, und der Erfahrne lacht über 
unfer Werk. 


Lord Chefterfielb Hat gewiß nie gedacht, daß feine Briefe 
im Druck erfcheinen würden. Hätte er einen Trartat über bie 
Erziehung befannt gemacht, fo läßt fich gewiffermaßen aus bes 
Lords Charakter, den er fehr pünktlich vor der Welt zu behaup⸗ 
ten fuchte, fchließen, daß er ganz anders ausgefallen fein würbe, 
als ein folcher Erziehungsplan, den man aus feinen Briefen 
entiverfen koͤnnte. Das Meifte ift darin, wie billig, ben inbivi- 
duellen Umftänden des jungen Stanhope angemeffen, unb ba, 
wo er beffen Natur wibderfpenftig findet, fucht er manchen fei: 
ner Regeln ein Gewicht zu geben, das fie in einem allgemeinen 
Syſtem nicht haben dürften. Gr bringt freilich als Hofmann 
auf Grazie und Anftand bei einem jungen Menfchen, ben er 
zum Hofmann machen will, aber daß er es auf eine ſolche Art 

17° 


260. 


thut, wie wir in feinen Briefen fehen, wo er fo oft vom Tanz» 
meifter, vom Berfchneiden und Nägelabfchneiden fpricht, und 
immer the graces, the graces im Munde führt, bad muß aus 
dem befondern Charakter ded jungen Stanbope erklärt werben. 
Vielleicht kann Folgendes dazu beitragen, was ich von guter 
Hand babe. Ich las Cheſterfield's Briefe auf Lord Bofton’s 
Landhauſe, wo fi damals eine gewifje jchottifhe Dame, Mrs. 
Walkingfhbaw, ebenfalls zum Beſuch aufhielt, die nicht allein 
den jungen Stanhope fehr gut gefannt bat, fondern auch noch 
jest vielen Umgang mit feiner Mutter hat. Nach der Befchrei- 
bung biefer Dame war Mr. Stanhope ein guter, fetter, bequemer 
Junge, ber viel gelernt hatte, aber wenig von bem Stolz und 
brennenden Ghrgeiz befaß, den ihm fein Water zwanzig Jahre, 
nachdem er ihn gezeugt hatte, noch einflößen wollte; nichts von 
Bolingbrof’s wirfender Kraft, deſſen Ihaten ibm zum Mufter 
vorgeftellt waren, obgleich vielleicht mehr gründliche Gelehrfame 
keit in einem geringern Alter. Gr hätte fi) vielleicht gut geſchickt, 
wie ich merke, ald Privatmann ein paar Auctoren oder Acla 
pacis herauszugeben, und einen guten Ehemann und Bater zu 
machen. Dabei war er im höchften Grade unreinlich, wie viele 
Bücdermänner, uud pflegte oft in Gefelifchaft mit dem linken 
Fuß auf dem rechten zu fliehen. Bon feiner wenigen Lebensart 
zeugt bie befannte Gefhichte von feiner Aufführung bei einem 
Gaſtmahl, bas fein Vater in der Abficht angeftellt hatte, ihn in 
die Welt einzuführen und ihm Verbindungen zu verſchaffen. 
Endlich heirathete er noch wider des Vaters Willen, aber ein 


261 


vortreffliches Frauenzimmer, die Herausgeberin der Briefe, mit 
der er gewiß glüdficher gelebt hat, ald wenn ihm fein Vater, wie 
gewiß am Ende gefchehen fein würde, feine ea am politifchen 
Himmel gefhloffen hätte. 


Es gibt wohl wenige Namen, bie fo fehr verdienen in dem 
Tempel bed guten Geſchmacks aufgeftellt zu werden, während 
fie der Henker mit gleihem Recht an ben Galgen ſchlägt, als 
der Name bes Engländer Junius. &o viel Bosheit bei fo 
viel attiſchem Wigz; verabfcheuungswürdige Beleidigung der Ma: 
jeftät in einem beneibenswerthen Ausdrucke; Kenntniß bed Men⸗ 
fhen, auf die ruchlofefte Art zur Kränkung ihrer Rechte gemiß- 
braudt; alle Zaubereien der Beredſamkeit aufgeboten, ein Ges 
fpenft feiner Vorftelungen, den Despotismus, zu verbannenz; ein 
Eifer für die Conftitution, der, wenn er allgemein werden follte, 
ihren Untergang unvermeidlich maden würde — biefes charalte- 
rifirt die Briefe diefes in allem Betracht außerordentlichen Mannes. 


Man wundert fich oft, mie ein Mann, wie Mahomeb, 
feine Leute fo habe hintergehen, und mit feinen Fähigkeiten, fie 
mögen nun Plein ober groß gemwefen fein, ein Auffehen in ber 
Welt maden fünnen, das gar Fein Verhältniß zu ihnen hatte. 
Man wundert fih, und fiebt es boch alle Tage, wiewohl in 
einem geringern Grabe vor fih. Es gibt in ber gelehrten Res 
publif Männer, die ohne das geringfte wahre Verdienſt ein fehr 
großes Auffehen machen; Wenige unterfuichen ven Werth berfel- 


262 


ben, und bie, bie ihn Zennen, würde man für Läfterer halten, 
wenn fie ihre Meinung öffentlich fagten. Die Urſache ift, der 
eigentlich große Mann bat Eigenfchaften, bie .nur der große 
Mann zu fhägen weiß; der andere foldhe, welche der Menge ge 
fallen, die hernach die Bernünftigen überflimmt. 


Ich glaube, es ift Feine Wiffenfchaft, worin ein Mann mit 
größerer Allgemeinheit von Unterhaltung mehr nügen, und fidh 
felbft mehr zeigen kann, als die Geſchichte. Freilih muß 
das Manchem feltfam vorfommen, meil biefes Wort faft ganz 
feine Bedeutung im Deutfchen verloren bat. Die Deutfchen 
haben, fo viel mir bekannt ift, bis jeht noch feinen Geſchicht⸗ 
fchreiber gehabt, und werden auch vielleicht noch nicht fo bald 
einen befommen. Sie haben nicht bie Gelegenheit, alle Ser 
lenfräfte fo auszubilden, ale Männer, bie. in großen und 
geichen Städten leben, wo Pracht und Üüppigkeit auf das 
böchfte geftiegen find. Sie bearbeiten meiftens nur Cine 
Geiftesfraft, und das Phlegma bed Grüblers ift felten bei 
ihnen. mit dem Witz unb ber Philoſophie verbunden, die 
nöthig ift, die Sachen zufammen zu.bringen, und dann ſtark 
und gut zu fagen. Ferner findet fi bei ihnen eine gewiſſe 
Tory'ſche Gefälligkeit gegen bie Großen, bie macht, baß fie 
das Meifte mit einer einfchläfernden Unmaßgeblichkeit und feis 
gen Unvorgreiflichkeit fagen. Ihre Sprade ift noch nidt in 
dem Buftande, daß bie Sprache ber guten Gefellfchaft die von 
Büchern abgeben könnte. Der gute Schriftftelleer muß daher fich 


263 


eine Sprache fchaffen, wenn er fi) fo ausbrüden will, baß er 
Ausländern gefallen fol. 


Nichts iſt mehr zu wünſchen, als baß Deutfchland gute 
Sefchichtfchreiber haben möge; fie allein können machen, daß 
fi bie Ausländer mehr um uns befümmern. Es müffen aber 
ja feine Begebenheitöberichtiger fein, oder fie müflen uns bie Mühe 
in dem Werke nicht fehen laſſen; fie müffen Selbftverleugnung 
genug befiten, das Reſultat von einer monatlangen Unterfuchung 
in 'einer 3eile binzuwerfen, fo baß ed unter Zaufenden kaum 
Einer für fo Eoftbar hält. Es wird dennoch gewiß gefunden, 
und wenn jest nicht, fo nach taufend Jahren. Es muß überall 
Rückſicht auf. Gefhichte des Menfchen, Geift der Gefege genom⸗ 
men werden, nicht prahlbaft, und aus eben dem Grunde nicht 
einmal in einer Modewendung und noch viel weniger in einer 
Pointe. Die runde Form ift bie, die am wahrfcheinlichfien ganz 
auf bie Nachwelt kommt, wenn ‚die Materie fonft gut iſt; ich 
wollte daher faft anrathen, wenigfiens in ben Betrachtungen, 
lieber von Seiten der Kürze zu fehlen; wenn bie Nachwelt wei: 
fer wird, fo bringt fie, wie Sterne fagt, mehr als die Hälfte 
bes Buchs ohnehin mit. Sie kann vermuthlich gefchwinder Iefen. 
Ich wünfchte aber wohl zu wiſſen, in wie ferne ber Deutjche 
jegt zu einer ſolchen Gejchichte fühig ift; ich fage meine Meinung. 
mit einiger Furcht. Der eigentliche Profefjor, oder Stubenfiger 
ſollte ich vielmehr fagen, ift der Mann, der unter Allen am we⸗ 
nigften fähig ift, ein großer Gefchichtfchreiber zus werben. Gr 


264 


kann dem Andern vorarbeiten, er kann Differtationen fchreiben, 
damit der Andere ein Wort fprechen kann, und kann in fo fern 
ein fehr nügliher Mann werden. Allein es ift gewiß, daß fid) 
am Ende diefe fehweren Berichtigungen alle nach 4 bie 500 ober 
1000 Jahren verlieren werben, wo die Nachwelt noch bes Mans 
nes Buch lefen wird, der Zurz, bündig und mit männliddem 
Ernſt — ber für größtmögliche Unterfuhung Bürge wirb, fo 
wie ein gefeßtes Geſicht und fimple reinliche Tracht für einen 
männlichen Charakter — die Begebenheiten erzählt, und ohne 
zu predigen, Anmerkungen einftreut, aus denen man Predigten 
maden Fünnte. Ich fage, der Stubenfiker ift nicht der Mann, 
der bierzu taugt, weil e8 faum möglich ift, ohne Umgang mit 
ber Welt und mit Leuten, bie einem an Erfahrung überlegen 
find, und von allerlei Stand, fi) da8 Gefühl zu erwerben, das 
uns faft ohne nachzudenken von Begebenheiten urtbeilen, ober 
wenigftens am rechten Orte fuchen,, ober nach ber rechten Rich⸗ 
tung verfolgen lehrt. Bücher würden diefen Mangel völlig ere 
fegen, wenn alle Bücher von Menfchenfennern gefchrieben wären; 
allein felbft der Mann, ber Erfahrung bat, im gemeinen Leben 
barnach verfährt, fie am Tifh und Spaziergängen äußert, wirb 
fie oft nicht in fein Buch bringen, nicht weil er fie für Arcana 
bält, behüte der Himmel, fonbern weil er glaubt, fie ſchicken 
fih nicht für ein Bud. Denn es ift nur allzugemein, baß 
kluge Leute beim WBücherfchreiben ihren Geift in eine Form 
zwingen, bie von einer gewiffen Idee, bie fie vom Stil haben, 
beftimmt wird, eben fo wie fle Gefichter annehmen, wenn fie 


265 


ſich malen laffen. Langer Aufenthalt in großen Handelsſtädten, 
nicht weit von einem Hof, ober noch befier, in einiger Verbin⸗ 
dung mit ihm, Aufmerkſamkeit auf bie gleichzeitigen Begeben- 
beiten und ihre Verbindung, Lefung bes Tacitus, Robertfon und 
einiger wenigen andern, Philofophie, Naturlehre und Mathe: 
matif, beftändige Aufmerkſamkeit auf das, wovon gerebet wird, 
wenn man in Gefellichaft ift, find Dinge, die überhaupt Bieles 
beitragen, ben vernünftigen Mann zu bilden, und b haupt: 
ſächlich den Geſchichtſchreiber. 


Mich dünkt, der Deutſche hat feine Stärke vorzüglich in Ori⸗ 
ginalwerfen, worin ihm fchon ein fonberbarer Kopf vorgearbeitet 
hat; oder mit andern Worten: er befigt die Kunft, durch Nachah⸗ 
men original zu werben, in ber größten Vollkommenheit. Er befigt 
eine Empfindlichkeit, augenblidlich die Formen zu haſchen, und 
fann fein Murfi aus allen Tönen fpielen, die ihm ein ausläns« 
bifcher Originaltopf angibt. 


Gewiß kann in Deutfchland nichts der Aufmerkfamkeit eines 
fatirifhen Kopfes würdiger fein, als ber jegt fo allgemein ge 
mworbene Jächerlihe Eifer, Original zu fein. Es geben über 
biefem Bemühen die beſten Köpfe zu Grunde, und ber Deutſche 
vernachläffigt diejenigen Wiffenfchaften, wozu ihn bie Natur 
hauptſächlich beſtimmt zu haben fcheint: das Klarmachen in ber 
Philofophie und ber höhern Geſchichte. 


266 


Ich glaube, daß von funfzig,. bie ben Homer ſchön finden, 
ihn kaum Einer verfteht. Sie haben ihn nie tadeln hören, unb 
fo Fann fie feine Lectüre ergögen; allein es. gehört viel dazu, 
ihn eigentlich zu verfiehen. Ein Bud, bad man im zwanzig⸗ 
ften ganz überfieht und ganz verfteht, gefällt nicht leicht mehr, 
wenn man breißig alt it. Daher kommen bie elenben Nachah⸗ 
mungen ber Alten, die wir von jungen Leuten lefen. Sie haben 
3. E. den Horaz, ben Shakefpear nachgeahmt, den fie fahen, 
gewiß, davon bin ich ficher überzeugt; aber nicht ben Horaz unb 
Shafefpear , den ber erfahrnere, klügere und weifere Mann in 
ihnen finder. Der Eine klebt bloß an dem Ausbrud und ber 
Manier, bie er nicht erreicht; ber Zweite gibt uns faft in ber 
Manier Sachen, bie gerade denen ähnlich find, die mar aus 
bein Original wegwünſchen könnte; ein ‘Dritter weiß. ben Aus- 
druck zwar zu treffen, allein er hat nichts in ber Welt gefehen 
und erfahren, und fagt und Dinge, bie wir fihon auswenbig 
wiffen, u.f. w. Ein fidhres Beihen von einem guten Buche 
ift, wenn ed einem immer beffer gefällt, je älter man wirb. 
Ein junger Menfh von 18 Jahren, der fagen wollte, fagen 
dürfte, und vornehmlich fagen könnte, was er empfindet, 
würde vom Tacitus etwa ‚folgendes Urtheil fällen: „Es iſt 
ein ſchwerer Schriftfteller, der gute Charaktere zeichnet, und vor⸗ 
trefflich zumeilen malt, allein er affectirt Dunkelheit, und kommt 
oft mit Anmerkungen in bie Erzählung ber Begebenheiten herein, 
die nicht viel erläutern. Man muß viel Latein wifjen, um ihn 
zu verftehen.n — Im 2öften Jahre, vorausgefegt, daß er mehr 


267 


getban hat, als gelefen, wird er vielleicht fagen: „Tacitus ift 
der dunkle Schriftfteller nicht, für den ich ihn ehemals gehalten, 
ich finde aber, daß Latein nicht das Einzige ift, was man wiſſen 
muß, um ihn zu verfteben, man muß fehr viel felbft. mitbrin. 
gen; und im 40ften, wenn er die Welt bat kennen lernen, 
wird er fagen: ⸗Tacitus ift einer ber’ erſten este, bie je 
gelebt haben.“ 


Daß die Plagiarii fo verächtlich find, Fommt daher, weil 
fie ihr Plagium im Kleinen und heimlich ausüben. Sie follten 
es machen, wie bie Eroberer, bie man nunmehr unter bie 
bonnetten Leute rechnet: fie follten platterbings ganze Werke 
fremder Leute unter ihrem Namen bruden laffen, und wenn 
ſich Jemand dagegen in loco felbft regt, ihm binter die Obren 
fhlagen, baß ihm das Blut zu Maul und Nafe berausfprügte; 
auswärtige .aber:in Beitungen Spisbuben, Cabalenſchmiede und 
dergleichen fchelten,, fie zum — weifen, ober. fagen, daß fie das 
Wetter erfchlagen folle. Auf diefe Art wollte id) meinem Va⸗ 
terlande weiß miachen, daß ich den Sebaldus Nothanker geſchrie 
ben hätte. 


Es gibt eine gewiffe Art von Büchern, vergleichen wir in 
Deutfchland in großer Menge haben, die zwar nicht vom 2efen 
abjchreden, nicht plötzlich einſchläfern, oder mürrifch machen, 
aber in Zeit von einer Stunde ben Geiſt in eine gewiſſe Mat- 
tigfeit verfegen, die zu allen Zeiten einige Ähnlichkeit mit derje⸗ 


268 


nigen bat, ‚die man kurz vor einem Gewitter verfpürt. Legt 
man das Buch weg, fo fühlt man fi) zu nichts aufgelegt; fängt 
man an zu fehreiben, fo fehreibt man eben fo; felbft gute Schrif⸗ 
ten fcheinen diefe laue Gefhmadlofigkeit anzunehmen, wenn man 
fie zu leſen anfängt. Ich weiß aus eigener Grfahrung, daß 
gegen diefen traurigen Buftand nichts geſchwinder hilft, als eine 
Taſſe Kaffee mit einer Pfeife Varinas. 


Winkelmann, Hagedorn und Leffing haben unfern beutfchen 
Kritikern einen neuen Geift mitgetheiltl. Ehemals fagte man 
von einem ſchlechten Kupferftih: Der Kupferftich ift fchlechtz jetzt 
haben bie Beurtheilungen mehr Feuer. Bon einer Coeurdame 
3. 8. mürben fie fo urtbeilen: Das Gefiht bat zu viel Locales, 
die Augen haben von ben Augen ber Juno, die ber Kartenmadher zu 
erreichen gefucht hat, nichts als die Größe; nicht von dem ftillen 
Feuer, da8 den Paris wanken madıte, nichts von bem Himmel 
an ihnen, der fich mit ihnen auf» und mit ihnen zufchließt. Go 
idealifh auch der Mund ſcheint, fo franzöfifeh find die Locken; 
fie fpielen nicht neidifh um bie volle Wange, fondern mit rei- 
cher Pomade in eine gewiffe Stellung gefteift, fcheinen fie wenig 
befümmert zu fein, ob fie zu wenig ober zu viel verbergen. In 
ihrem Wuchs ift nichts Griechifches ; dem Serer könnte fie gefallen. 
Man vermiffet mit Unwillen die ſchlanke Biegung bes Körper, 
die uns dadurch, daß fie das Geficht mwegzieht, ben warmen. elas 
ſtiſchen Bufen anzubieten ſcheint. Pie Hände find wie von ber 
englifhen Krankheit verdreht und ſcheinen angefet. Bas Co 


269 


Iorit ift das Golprit-- eines ſchlechten Malers, ber auf frifchen 
Gips malt, und der, um einer Stelle fanften Schmelz mitzu⸗ 
theilen, fieben andere ganz abgefchnitten figen läßt. Kurz in 
der ganzen Goeurdame finden wir auch ‚nicht die flüchtigſte Spur 
des Genies, das durch einen einzigen Bug uns nöthigt, Leine 
wand für unfern Nächten zu-balten, feinen ſtummen Seufzern 
und entgegen zu erbarmen, und bei feinen gemalten Thränen, 
das höchfte Gefchen? des gefühlvollen Menfchen, lebendige Thrä⸗ 
nen zu einen. 


Da, wo einen die Leute nicht mehr können denken hören, 
da muß man fpredden; fobald man aber bahin fommt, mo man 
wieder Gedanken vorausfegen kann, bie mit unfern einerlei find, 
fo muß man aufhören zu ſprechen. Ein folhes Buch ift 
Sterne's Reife; aber die. meiften Bücher enthalten zwijchen 
äweien merkwürdigen Punkten nichts, als den allergemeinften 
Menfchenverftand — eine ſtark audgezogene Linie, wo eine 
punftirte zugereicht hätte. Alsdann ift es erlaubt, bad Ge: 
dachte auszudrüden, wenn es auf eine befondre Art ausgebrüdt 
wird, doc biefes ift ſchon mit unter der exften Anmerkung be 
griffen. 


Der beftändige Umgang, den 8... mit Büchern von als 
lerlei Art hatte, die Titel, bie er las, und über welche er ſpre⸗ 
chen hörte, Hatten in. feinem Kopf eine Art von allgemeiner En- 
eyPlopädie erzeugt, welche gedrudt zu fehen vielleicht des größ⸗ 


270 


ten Betrachtungenſammlers nicht unwürbig wäre. Weil ich mich 
öfter mit ihm über mathematifche Bücher unterhalten habe, fo 
kenne ich ihn von biefer Seite etwas genauer. Seine Begriffe 
formirten ſich ungefähr fo: Er fah Käftner’s Ruhm und Beſol⸗ 
bung — erfier Schluß: alfo durch Mathematit kann man 
zu Ruhm und Brot kommen. Er fah eine Sprache in den mas 
thematifchen Büchern, die fih von allen andern, chriftlichen und 
beibnifhen, Sprachen unterfhied — zweiter Schluß: bie 
Mathematid ift erfchredlich fchwer. Einige Bücher gingen ihm 
befländig ab, ambere blieben ihm ſtehen, und beinahe ewig 
ſtehen — dritter Schluß: einige Theile der Mathematik | 
müffen alfo wohl Brot eintragen, allein fie wirb doch nicht ganz 
mit gleihem Eifer getrieben. Er ſah die Finfterniffe vorausſa⸗ 
gen, und zwar, baß, wie er felbft fagte, die Kalendermacher ſel⸗ 
ten ſich um ein paar Baterunfer lang irrten — vierter 
Schluß: das ift etwas Außerorbentliches um die Mathematik. 
Bufammengenommen ſah feine Definition ungefähr fo aus: 

"Die Mathematik ift eine Profeffion, wobei ein ehrlicher 
Mann alle feine fünf Sinne nöthig bat, die Ehre und auch 
Brot einbringt, aber nicht viel getrieben wird; einige heile 
davon müſſen faft fo brauchbar fein, al8 die Pandekten; fie 
lehrt Fünftige Dinge vorberfagen, und das auf eine erlaubte Art; 
die Mathematifer wiffen vermutblih, wenn unfer einer ftirbt, 
aber fie thun wohl, daß fie e8 uns vorenthalten, und Gott 
gebe, daß die Landesobrigkeit es ihnen niemals erlaube, etwas 
davon auszuplaudern ·. 


Ä | 371. 


So viel ich hören und fchließen konnte, fo war feine Tafel 


ver menſchlichen Erfenntniß fo getheilt: 
BWiffenfhaften bringen 


Fu 
Brot und fein Brot u. Ehre und Brot und 


Ehre feine Ehre fein Brot feine Ehte 
Turiopludentia Metaphysica Pocsia Advocaltia 
Medicin« Logica Belles Let- Oeconomia 
Theologia Critica tres  Anatomia 
Analysis. infi- Mathesis Kechnen und 

nitor. Philosophia Schreiben. 





Die Yoriks find die Obfervatoren bei der philofophifchen 
Facultät diefer Welt, bie man eben fo nöthig bat, al& bie bei 
Sternwarten. Sie brauchen die großen Kunftgriffe, allgemeine 
Lehrſätze zu ziehen, nicht zu verftehen; nur genau obferviren 
müffen fie fönnen. Was würde man von einem Obfervator far 
gen, ber ein folches Diarium bdruden ließe: „Den 12ten habe 
ih den Mond gefehn, den 13ten darauf die Sonne, fehr ſchön; 
bie folgende Nacht Fonnte man erfehredlich viele Sterne fehen « 
u. f. w., oder ber die Phafen einer Sonnenfinfterniß nad) Ba- 
terunferslängen beflimmte? Aber unfere meiften Schriftiteller 
find weiter nichts, als ſolche moralifche Obfervatoren, bie einem 
Kenner eben fo abſcheulich zu lefen find, als e8 ein folches Dias 
rium einem Aftronomen wäre. 


272 


\ 


Das Studium ber Naturgefchichte ift nun in Deuftſchland 
bis zur Raſerei geftiegen. Es ift freilich immer befier, als 
firogende Freiheitsoden zu verfertigen, oder das Dukendb Ideen 
unferer fo genannten großen Dichter bald in drei⸗ bald in fech8» 
zollige Zeilen in erftimulirter Begeifterung zu mifchen. Allein 
obgleich vor Gott das Infect fo viel gilt, als ber Menſch, fo 
ift ed für unfern Nervenknaul doch nicht fo. Gütiger Himmel, 
wie viel bat der Menſch in Ordnung zu bringen, bis er auf 
Bögel und Schmetterlinge kommt! Lerne deinen Körper kennen, 
und was bu von deiner Seele wifjen kannſt; gemöhne deinen 
Verſtand zum Iweifel und bein Herz zur Verträglichkeit. Lerne 
den Menfchen Eennen, und waffne dich mit Muth, zum Vor⸗ 
theil deines Nebenmenfchen die Wahrheit zu reden. Schärfe dei: 
nen Berfland durch Mathematit, wenn bu fonft feinen Gegen- 
ftand findeft, Hüte dich aber vor Namenregiftern von Würment. 
wovon eine flüchtige Kenntniß nichts nügt, und eine genaue ins 
Unendlide führt. — „Uber Gott ifi unendlich im Infert, wie 
in der Sonne.« DO ich geftehe dieſes gern zu; er ift auch im 
. Sande ded Meeres unermeßlich, den noch fein Linne nad feinen 
Geftalten geordnet hat. Wenn du nicht befondern Beruf haft, 
in jenen Gegenden nad Perlen zu fifchen, ſo bfeibe hier und 
baue deinen Ader, er erfordert deinen ganzen Fleiß, und be- 
denke, daß die Zahl der Fibern deines Gehirns und ihrer Fal⸗ 
ten und Brüche endlich iſt. Wo eine Schmetterlingshiftorie ftebt, 
wäre Plag für Plutarchs Biographien gewefen, die doch zu großen 
Thaten angefeuert hätten. Iſt nicht Geſchichte der Künfte noth: 


273 


wenbiger und nüglicher® Ich wollte lieber wiſſen, was in ber 
Gefhihte der Handwerke und Künfte ſteht, als Alles, 
was Linne je gebacht und gefchrieben, weiß, wußte und wieder 
vergeffen hat. Allein das ift das Loos ber Deutfchen, jeden 
großen Ausländer, der nichts Anderes tbun Ponnte, ald was er 
that, ber ben ausbrüdlichen Befehl der Natur hatte, in biefem 
und feinem andern Sache groß zu werben, ich fage, es ift das 
2008 ber Deutfchen, einen ſolchen Mann nachzuahmen, nicht 
allein ohne Befehl der Natur, fondern felbfi wider ihren 
Willen, 


Die Aftronomie ift vielleicht diejenige Wiffenfhaft, worin 
das Wenigfte durch den Zufall entdeckt worben ift, mo der menſch⸗ 
Ihe Berftand in feiner ganzen Größe erfcheint, und wo ber 
Menſch am beften fennen lernen kann, wie Blein er ift. 


Ob nicht eine flehende Macht von Recenfenten gut wäre, 
die die Streitigkeiten ber übrigen Gelehrten führten, und bie 
Gerechtſame und Vorzüge der Nation darthäten? Diefe Leute 
müßten eben fo viel Gelehrſamkeit und: Beredfamkeit befigen, 
als die Soldaten Tapferkeit. 


Daß man fo viel wider die Religion und bie Bibel fchreibt, 
gefchieht mehr aus Haß gegen eine gewiſſe Claſſe von Menfchen. 
Wenn Philologen anfangen follten zu herrſchen ‚fo könnte leicht 
den alten Clafſikern Homer, Birgil, Horaz und andern eine 

1. AR 


274 


ähnliche Ehre mit größerem Vortheil mwiberfahren. Wir dürften 
nur einmal einen pbilologifhen Pabft bekommen. 


Über nichts Fönnte fi die Satire mit glüdlicherem Erfolge 
ausbreiten, als über das abfcheuliche Überfegen zu unferer Zeit. 
Die meiften beutfchen Gelehrten find die Dolmetfcher der Müf: 
figgänger und die Mäffer der Buchhändler. Man überfekt, um; 
wie man fagt, nützliche Kenntniffe gemeiner zu madhen, und 
die Kenntniffe werden gemeiner, ohne nüplidh zu fein. Ewig 
Mittel gefammelt und kein Endzweck erreiht! Cs ift zum Er: 
ftaunen, wie mande Gelehrte in Deutfchland Kenntniffe anhäu- 
fen, bloß um fie vorzuseigen. 


In den ganz alten Werken der Bibel, in griechifcdhen und 
lateinifhen Schriftftellern findet man eine Menge von Tugend: 
lehren, fo viele feelenftärkende Sentenzen, die von den erleuch» 
tetften Köpfen aus ber Erfahrung gefammelt, und mit dem 
Zug einer ganzen Lebensbahn verglichen, endlich in biefen 
Schatz niedergelegt worden find. Im Salomo fliehen eine 
Menge vortrefflicher Lehren, die wohl nicht von ihm find — 
Eingebungen; vielleicht Hefte, die ihm feine Lehrmeifter dictirt 
haben. Eben bdiefer Verſtand der Alten, die Gabe, bie fie 
haben, einem Beobachter feiner felbft ins Herz zu reden, ift 
ed, was mir bie Lefung der Bibel fo angenehm macht. Es 
find die Grundzüge zu einer Welttenntnig und Philoſophie 
des Lebens, und bie feinfte Bemerkung der Neuern ift ges 


275 


meiniglih nichts als eine mehr inbividuclifirte Bemerkung 
jener Alten. 


Ein Mann von Weltfenntniß und Berftand belehrt oder 
unterhält mic) immer, wenn ed auch glei mandmal nicht ge- 
rade von: der beften Seite gefchehen follte. Bei einer Schladit. 
zwifchen Engeln und Zeufeln bat Milton mehr Schönes gefagt, 
ald Andere bei ihrem Sonnenwagen. Lamberts Abhandlung 
über Dinte und Papier ift für mich unterhaftender, als Zim⸗ 
mermanns ganzer Nationalftolz. 


Durch unfer vieled Xefen gewöhnen wir uns nicht allein 
Dinge für wahr zu halten, die e8 nicht find, ſondern unfere 
Beweiſe befommen aud eine Form, die oft nicht fowohl bie 
Natur der Suche mit fih bringt, als unfer unvermerfter Ans 
hang an die Mode, Mir beweifen aus den Alten, was wir 
mit Beifpielen aus unferm Ort eben fo Präftig unterflügen fönn- 
ten; auch werden Sentengen citirt, bie nicht beweifen, und 
Süße, aus denen man nichts Neues lernt. Es ift fehr fchwer, 
eine Sache neu anzufeben, nicht durch das Medium der Mode, 
oder mit Rüdficht auf unfer Modeſyſtem. Cs wird immer Anz 
jehen gebraucht, wo man Gründe brauchen follte, immer ge: 
fhredt, wo man belehren follte, und Götter werben zu Hülfe 
genommen, wo Menfchen binreichend wären. 


Garrick dankte fehr weisfih ab, um nidt das Schickſal 
18° 


276 


bes Schaufpieler8 Aefopus zu haben, der noch bei Einweihung 
des Theaters des Pompejus agiren wollte. Die Stimme fehlte 
ihm, und man weiß noch jegt, daß man wünſchte, er wäre 
weggeblieben. Middleton Tom. I. pag. 470. 


Unter den Gelehrten find gemeiniglidy biejenigen die größten 
Verächter aller übrigen, bie aus einer mühſamen Bergleihung 
unzäbliger Schriftfteller enblich eine gewiffe Meinung über einen 
Punkt feftgefegt haben. Auch diefed muß freilich gefchehen, und 
fie verdienen deſto aufrichtigern Dank, je mehr ed ausgemacht 
ift, daß wir an ihrer Stelle eben das thun und denken würben. 
Bieles Wachen und Lefen, denkt man, verdient den Lohn bes 
Ruhms. Allein diefe Leute müffen auch bedenken, daß gerade 
mit eigenen Augen in bie Welt bineinfehen, auch ein Stubium 
ift, wozu fie nicht aufgelegt find. Denn ob ich Bemerkungen 
hinter dem Buche, oder hinter ben Fenfterfcheiben made, ift 
wohl gleichviel. Nehmet Alles mit Dank an, und veradhtet kei⸗ 
nen. Es ift Alles gut, und Alles kann zu einem großen End⸗ 
zweck genugt werben. In Büchern nah ben Menfchen fuchen, 
ſollte ich deß wegen für eine fchlechtere Arbeit halten, als felbft 
beobadıten, weil die Wenigften im Stande find, den Menfchen, 
fo wie er ift, zu Buch zu bringen; und daffelbe Geiftesgebrechen, 
welches macht, daß man den Menfchen falſch beobachtet, macht, 
daß man ihn aud falſch im Buche erkennt; alſo iſt bei dem 
letztern Studium die Wahrſcheinlichkeit zu fehlen doppelt ſo groß, 
als bei dem erſtern. 


277 


Alles was unfere Schriftfteller noch zu fchilbern vermögen, 
ift etwas Liebe; und auch dieſe wifjen fie nicht in bie etwas ent⸗ 
fernten Berrichtungen des menfhlichen Lebens zu verfolgen. Be⸗ 
merfungen in einem Roman anzubringen, bie fi) auf bie längfte 
Erfahrung und tieffinnigften Betrachtungen gründen, fol fi 
fein- Menfch fcheuen, der ſolche Bemerkungen vorräthig bat. 
Sie werden gewiß audgefundenz durch fie nähern fih bie Werke 
des Witzes ben Werken der Natur. Ein Baum gibt nicht bloß 
Schatten für jeden Wanberer, fonbdern bie Blätter vertragen 
auch noch das Mikroffop. Ein Buch, das dem Weltweifen ger 
fällt, kann deßwegen auch noch dem Pöbel gefallen. Der lebte 
braucht nicht Alles zu ſehen; aber es muß ba fein, wenn etwa 
Jemand kommen follte, ber das fcharfe Geficht hätte. 


Die traurigfte Art Schriften ift die, bie weder Raifonnes 
ment genug enthalten, um zu überzeugen, noch Wiß genug, um 
zu ergötzen; dahin gehören einige Schriften bed Hrn. Leibmebdicus 
3immermann in Hannover. 


Wenn einem die Meinungen ber Bellen über eine Sache 
alle befannt geworden find, fo läßt fih mit bloßer Schlauigfeit 
oder wenigftens fehr geringer Fähigkeit noch etwas darüber fagen, 
was die Welt in Erftaunen ſetzt. Bloßer Vorſatz, etwas zu fagen, 
fann da ſchon viel thun. 


Es ift jeder Zeit eine fehr traurige Betrachtung für mic) 


278 


gewefen, daß in den meiften Wiſſenſchaften auf Univerfitäten fo 
Vieles vorgetragen wird, das zu nichts dient, als junge Leute 
dahin zu bringen, daß fie ed wieder lehren können. Griechifch 
wird gelehrt, auf daß man es wieder lehren könne; und fo gebt 
ed vom Lehrer zum Schüler, ber, wenn-er gut einfchlägt, höch⸗ 
tens wieder Lehrer wird und wieber Lehrer zieht. Bergmanns 
vortreffliche Terminologie, die man nit annehmen will, unb 
nimmt man fie an, doch mit ber alten verbinden muß, gehört 


bierber. 


Mir ift e8 immer borgefommen, als wenn man ben Werth 
der Neuern gegen bie Alten auf einer fehr falfhen Wage wäge, 
und ben legtern Borzüge einräumte, bie fie nicht verdienen. Die 
Alten fehrieben zu einer Zeit, ba die große Kunft, fchlecht zu 
fhreiben, noch nicht erfunden war, und bloß fchreiben bieh 
gut Threiben. Sie fchrieben wahr, wie die Kinder wahr 
reben. SHeutzutag finden wir und, wenn wir im fechzehnten 
Jahre zu uns felbft fommen, ſchon, möcht ich fagen, von einem 
böſen Geift befeffen; und bdiefen erft burch eigene Beobachtung 
und Streit gegen Anfehen und Borurtheil und gegen die Macht 
einer vierzehnjährigen Erziehung auszutreiben, und dann nod 
wieder bie eigene Haushaltung ber Natur anzufangen, erfor 
dert ficherlih mehr Kraft, als in den erften Zeiten ber Welt, 
natürlih zu ſchreiben, jetzt da natürlich fchreiben, möcht ic 
fagen, faft unnatürlih if. Homer bat gewiß nicht gewußt, 
daß er gut fehrieb, fo wenig wie Shafefpear. Lnfere heutigen 


279 


guten Schriftfteller müffen alle die fatale Kunft lernen: zu wif: 
fen, baß fie gut fhreiben. 


Es gibt Peine Art von Gelehrfamkeit, und Feine Art Tite: 
rärifcher Befchäftigung, die man nicht mit irgend einem Hand» 
wer? ober fonft einer Handarbeit vergleichen Fünnte Wir haben 
im Reiche der Gelehrſamkeit Wegeverbefferer, ein fehr nügliches Ge: 
fchäfte, das wenig einbringt; Sclaven, bie mit blutigem Schweiß 
Buder preffen und fieden, den andere Leute verſchmauſen; Leute, 
die griechifche Münzen einfchmelzen, um modernes Beug baraus zu 
gießen; Oaffenreiniger; Bettelvögte; Ausrufer; Bader, bie fich 
für Wundärzte ausgeben, u. a. m. Allein ich babe nie eine Sat» 
tung finden können, die fo viel mit dem Keffelflider gemein hätte, 
als die Leute, die unter dem Schein, ein nüpliches Handwerk zu 
treiben, herumziehen, um bie Leute zu betriegen und zu beftehlen. 


Ich babe immer gefunden, je weniger ein Schriftfteller in 
ber Naturlehre im Stande ift, in feinem Werke feine eigene 
Größe zu beweifen, befto geneigter ift er, befländig bie Größe 
Gottes zu zeigen. Und die fromme Welt findet fih von ihrer 
Seele wiederum geneigter beim Letztern, als beim Erftern ben 
guten Willen für die That anzunehmen. 


Es iſt fehr gut, bie von Andern bundertmal gelefenen 
Bücher immer noch Einmal zu leſen, denn obgleich das Ob⸗ 
jeet einerlei bleibt, fo ift doch das Subject verfchieben. 


280 


Es wäre gewiß fehr nüglich, der Welt bie Schriftfteller an⸗ 
zuzeigen, bie mit Kenntniß anderer, bie vor ihnen gewefen find, 
aus ſich felbft allein gefhöpft haben. Durch biefe allein lernt 
man, und es find ihrer gewiß fehr wenige, die alfo Sedermann 
leicht Tefen Fünnte. Die andern prägen nah und find im eigent» 
lihen Berftande Falſchmünzer. 


Swift Eleibet bie Kinder feiner Ybantafle freilich oft felt- 
fam genug heraus, daß man fie faum von Hanswurſten und 
Luftfpringern unterfcheibet; allein Zeuge, Borten und Steine, 
bie er barauf verwenbet, finb immer echt. 


Der Gemeinfprud, daß bad Leben eined Gelehrten in feis 
nen Schriften beftehe, verbient fehr eingefchränft zu werben. - 


Das Stümpern in höhern Wiffenfchaften ift, wenn es mit 
einigem Witz und einer gewiſſen Duplicität bes Ausdruds ge⸗ 
fhieht, das, was niebere Clafjen für hohe Weisheit halten; ber 
Mann, ber von bem Fade ift, worin bier geftümpert wird, 
lächelt über die Thorbeit. H. in feinen 3. 3. G. d. M. ift-ein 
Stümper an vielen Stellen. 


Wie man alte Bücher ftudirt, in ber Abfiht Wahrheit zu 
ſuchen, fo kann man wohl zumeilen eine Ausbeute erhalten, bie 
Andern entgangen ift, allein man risfirt auch zumeilen, die beite 
Beit feines Lebens zu verkuren. 


281 


Simmermanne Buch, und auch viele Menfhen, bie nur 
die Formen der Philofophie haben, gleichen einem Gebäude mit 
gemalten Fenſtern; man glaubt Wunder was fie für Licht hät- 
ten, fie find aber deſſenungeachtet fehr dunkel; ober gegen Ein 
Senfter, das ein bißchen Licht ins Haus bringt, find allemal 
zehn gemalte. 


Es gibt wenige Gelehrte, die nit Einmal gebacht haben, 
fih reich zu fchreiben. Das Glück ift nur wenigen befdhieben. 
Unter den Büchern, die gefchrieben werben, machen wenige ihr 
Glück, wenn fie leben bleiben; und bie meiflen werben tobt 
geboren. 


Es ift leider in Deutfchland der allgemeine Glaube, doch 
nur Gottlob} unter den eigentlih Unmündigen, daß Jemand 
von bemjenigen viel verftehen müffe, worüber er viel gefchrieben 
bat. Gerade das Gegentheill Die Leute, die Leine Denker find, 
und bloß fehreiben, um zu fehreiben und im Meßkatalogus zu 
ftehen, verftehen oft 14 Tage nachher weniger von dem, was fie 
gefchrieben haben, als der erbärmlichfte ihrer Leſer. Gott bes 
wahre alle Menfchen vor biefer Art von Schriftftellerei! es ift 
aber leider die gemeinfte. 


Die Mathematit hat die großen Fortfchritte, die man in ihr 
gemacht hat, ihrer Unabhängigkeit von Allem, was nicht bloß 
- Größe ift, allein zu danken. Alfo Alles, was nicht Größe ift, 


282 


it ihr vößig fremd... Da fie alfo Seiner fremben Hülfe be- 
barf, fondern nur allein Entwidelung der Gefege des menfch: 
lihen Geiftes ift, fo ift fie nicht allein die gewiſſeſte und zuver⸗ 
läffigfte aller menſchlichen Wiffenfchaften, fondern auch gewiß 
die leichtefte.. Alles was zu ihrer Erweiterung bienen kann, ift 
im Menfchen ſelbſt; die Natur rüftet jeden Elugen Menfchen mit 
dem vollftändigen Apparat dazu aus, wir befommen ihn zur 
Ausfteuer mit. Eben dadurch wird fie bie leichtefte aller Wiffen- 
fhaften, und wir bürfen in feiner andern hoffen, fo weit gehen 
zu können. Denn der, ber ben ATften Satz im erfien Buch des 
Euklides beweifen kann, ift doch ſchon fehr viel weiter in ber 
Entwidelung biefer Gefege des menfchlichen Geiftes, ald man 
irgend in der Phyſik gekommen ift. 

Ich glaube,. daß einige der größten Geilter,. die je gelebt 
haben, nicht halb fo viel gelefen hatten, und bei weitem nicht 
fo viel mußten, als manche unferer mittelmäßigen Gelehrten. ' 
Und mander unferer fehr mittelmäßigen Gelehrten hätte ein größe⸗ 
rer Mann werden können, wenn er nicht fo viel gelefen hätte. 


Was dem Ruhm und ber Unfterblichfeit manches Schrift- 
ftellers ein größeres Hinderniß in den Weg legt, als der Neid 
und die Bosheit aller Eritifchen Journale und Zeitungen zufam: 
mengenommen, ift ber fatale Umftand, daß fie ihre Werke auf 
einen Stoff müffen bruden laſſen, ber zugleich auch zu Gewürz⸗ 
duten gebraucht werden kann. 


283 

Was mir an der Art, Gefchichte zu behandeln, nicht gefällt, 
ift, baß man in allen Handlungen Abfichten ſieht, und alle Vor⸗ 
fälle aus Abfichten berleitet. Das ift aber wahrlich ganz falfch. 
Die größten Begebenheiten ereignen ſich ohne alle Abficht; ber 
Zufall macht Fchler gut, und erweitert das Flügft angelegte Un. 
ternehmen. Die großen Begebenheiten in der Welt werden nicht 
gemacht, fondern finden fid. 


Leben von Johnſon durch Boswell.— Johnſon 
ift mir ein höchſt unangenehmer, ungefchliffener Patron. Aber 
das find gerade die Menfchen, aus denen man bie Menfchen 
fennen lernen muß — Kroftallifation, bie fi durch kein Ab» 
ſchleifen verkennen läßt. Was helfen mir die gefchliffenen Steine 


Eine feltfamere Baare, ale Bücher, gibt e8 wohl fchwer: 
li in ber Welt. Bon Leuten gedrudt, die fie nicht verftehen; 
von Leuten verkauft, die fie nicht verſtehen; gebunden, vecenfirt 
und gelefen von Leuten , bie fie nicht verfiehen; und nun gar 
gefchrieben von Leuten, die fie nicht verftehen. 


Biele Priefter der Minerva haben, außer mandyer Ähnlich: 
Peit mit der Göttin felbft, aud die mit dem berühmten Vogel 
berfelben, baß fie zwar im Dunkeln Mäufe fangen, aber am 
Tagedlicht den Kirchthurm nicht eher ſehen, als bis is ſie fich die 
Köpfe daran entzwei ſtoßen. 





284 


Wenn England eine vorzügliche Stärke in Rennpferden 
bat, fo haben wir bie unfrige in Rennfedern. Ich babe 
welche gefannt, die mit einem einzigen Sag über bie höchften 
Helen und breiteften Gräben ber Kritit und gefunden Vernunft 
binüberfesten, al& wären e8 Strohhalmen. 


Iſt es nicht fonderbar, daß man das Yublitum, da® uns 
lobt, immer für einen competenten Richter hält; aber fobald 
es uns tabelt, es für unfähig erklärt, über Werke bes Geiftes zu 
urteilen ? 


Wer mit Einemmal überfehen will, wie bie Menfchen Ge: 
f&hichte fchreiben, ber muß fi) mit der Gefchichte der Religions: 
ftifter befannt maden, weil das der Fall ift, wo man die Sache 
am beutlichften fieht. In der Naturlehre iſt e8 eine fehr bekannte 
Regel, daß man bie günftigften Umftände abpaffen muß. Die 
eine Partei glaubt gewöhnlich fehr viel mehr, und bie anbere 
fehr viel weniger, als wahr if. Was bier im höchſten Grabe 
erfcheint, zeigt fih minder merflih in andern Relationen; if 
aber immer ba. 


Ich glaube, daß man felbft bei. abnehmendem Gedächtniß 
und finkender Geiftesfraft überhaupt noch immer gut fchreiben 
fann, wenn man nur nicht zu viel auf den Augenblid ankom⸗ 
men läßt, fondern bei feiner Lectüre oder feinen Mebitationen 
immer nieberfchreibt, zu Fünftigem Gebrauch. Auch ber abge: 


285 
lebteſte Mann bat Augenblide, wo er, durch Umſtände fo gut 
wie burh Wein angefpornt, fiebt, was fein Anderer gefehen. 
Diefes muß gehörig aufgefammelt werden. Denn das, was der 
Augenblid ber Ausarbeitung zu geben vermag, gibt er tod. 
So find gewiß alle großen Schriftfteller verfahren. 


Sollte ed nicht fehr viel befjer um das menschliche Gefchlecht 
ſtehen, wenn wir gar feine Gefhichte, wenigftens Feine politifche 
mehr hätten? Der Menſch würde mehr nad ben jebesmaligen 
Kräften handeln, die er hat; da jekt bier und da das Erempel, 
gegen einen, den es beffert, Tauſende ſchlimmer macht. — Alles 
biefe8 für den proprium locum. 

Es gibt eine bleibende menſchliche Natur, Regungen des 
Herzens, die ſich jetzt noch bei eben den Veranlaſſungen einſtel⸗ 
len, auf die ſie ehemals in Athen, Rom und Jeruſalem gefolgt 
find. Schriftſteller, bie dieſen Menſchen in ihren Werken ſchil⸗ 
dern, geben zugleich den Commentar dazu, und werden geleſen 
werden, fo lange Menſchen find, zumal wenn fie durch Abwech—⸗ 
felung zu unterhalten wiffen ; denn Vergnügen an Beränberung 
ift dem Menfchen bleibend eigen. Allein diefe Anlagen verhin- 
dern nicht, daß der Menſch nicht felbft in gewiſſen Grenzen 
follte fehr veränberlich fein können. Der Stolz zeigt fich unter 
taufendfadher Form, fo gut wie die Neigung zum Puk. Der 
Mond bewegt fi) in einer Elipfe um bie Erbe, aber es finden 
fih viele Anomalieen. : Monben gehen und kommen wieder. 


286 


Much diefe Menfchen kann man ſchildern; es ift menfchliche Na⸗ 
tur, mobifleirt durch Umftände, die dem Wechjel unterworfen 
find. Diefen Menfchen bat fi vorzüglid Hogarth gewählt; 
aber folche Werke verlieren viel mit der Zeit. — 


Es gibt Pein größeres Hinderniß bes Fortgangs in den Wij- 
fenfihaften, al8 das Verlangen, ben Erfolg davon zu früh ver- 
fpüren zu wollen. Diefes ift munteren Charakteren fehr eigen; 
barum leiſten fie auch felten viel; denn fie laffen nad und 
werden niedergefchlagen, fobalb fie merken, baß fie nicht forte 
rüden. Sie würden aber fortgerüdt fein, wenn fie geringe 
Kraft mit vieler Beit gebraucht hätten. 


Unter allen Kapiteln, die uns ber angenehme Schwätzer 
Mountuigne binterlaffen bat, bat mir immer das dom Xobe, 
der vielen vortrefflichen Gedanken ungeachtet, am wenigften ges 
falten, Es ift das 19te im erften Buche. Man fieht durch Alles 
bindurch,, daß ich der wadere Philofoph fehr vor bem Tode ger 
fürchtet, und durch die gewaltfame Ängſtlichkeit, womit er ben 
Gedanken wendet, und felbft zu Wortjpielen dreht, ein fehr übe- 
les Beiſpiel gegeben bat. Wer fi vor dem Tode wirklich nicht 
fürchtet, wird fhwerlid davon mit fo vielen kleinlichen Troſt⸗ 
gründen gegen ibn zu reden wiffen, als bier Montaigne beibringt. 


Eine traurige Betrachtung für dic alte Geſchichte Liefert uns 
bie neue ſranzöſtſche. Wie vicl iſt nicht darüber geſchtieben wor⸗ 


287 


ben! Wer dünkt ſich gleichwohl jekt weife genug, etwas barüber 
zu ſchreiben, was nur einigermaßen der Wahrheit nahe kommt? 
Nun ift freilich bei den Alten nicht fo viel gefchrieben, und folg« 
Lich gelefen worden; aber gewiß gefchehen ift wohl eben fo viel; 
ja was das Schlimmfte ift, fo mußte man fich bort mehr auf 
Erzählung und Tradition verlaffen. 


Es ſchadet bei manchen Unterfuchungen nicht, fie erft bei 
einem Räuſchchen durchzudenken und dabei aufzufchreiben; herz 
nach aber Alles bei kaltem Blute und ruhiger Überlegung zu 
vollenden. Eine Bleine Erhebung durch Wein ift den Sprüngen 
der Erfindung und dem Ausdrud günftig; der Ordnung und 
Planmäßigkeit aber bloß die ruhige Vernunft. 


Die Deutfihen mögen auch fagen, was fie wollen, fo kann 
nicht geleugnet werden, daß unfere Gelchrfamkeit mehr darin 
befteht, recht gut inne zu haben, was zu einer Wiffenfchaft ge- 
hört, und zumal beutlich angeben zu können, was diefer und 
jener darin gethan bat, als felbft auf Erweiterung zu denken. 
Selbft unter unfern größten Schriftftelern gibt es welche, bie 
eigentlich nur das, was man fehon wußte, gut geordnet wieder 
bruden laffen, bier und da mit einer Erläuterung, die fie ent« 
weder wieder an einem andern Ort aufgefangen haben, ober bie 
ſich fonft leicht. machen läßt. Wie viele Kante, Euler, 
Klaprothe haben wir denn? Die Engländer befümmern fich 
wenig darum, mas Andere mögen gewußt baben,. und- fuchen 


288 


immer weiter zu geben, als das allgemein Bekannte reicht, und 
fteben fich dabei recht gut, und, möchte ich faft binzufeken, wir 
uns auh — nämlidy bei ben Erfindungen ber Engländer. 


Ich glaube, daß ed mit: bem Studiren gerabe fo geht, wie 
in der Gärtnerei: es hilft weber ber da pflanzt, noch der ba be⸗ 
geußt etwas, fondern Gott, ber das Gebeihen gibt. Ih will 
mich erklären. Wir thun ficherlih eine Menge von Dingen, 
von denen wir glauben, daß wir fie mit Wiſſen thäten, und 
bie wir boch thun, ohne es zu wiffen. Es ift fo was in 
unferm Gemüthe wie Sonnenfhein und Witterung, das nicht 
von uns abhängt. Wenn ich über etwas fchreibe, fo kommt 
mir das Befte immer fo zu, daß ich nicht fagen kann woher. 
Merkwürbige Beobachtungen, wie viel man thut, ohne e8 zu 
wiffen, enthält Montaigne im 3. Th. ©. 105 ff. 


Der einzige Fehler, ben bie recht guten Schriften haben, ift 
ber, daß fie gewöhnlich bie Urfache von fehr vielen ſchlechten 
ober mittelmäßigen find. 


Die Mathematik ift eine gar herrliche Wiffenfchaft, aber 
die Mathematiker taugen oft den Henker nit. Es ift faft mit 
ber Mathematik, wie mit der Theologie. So wie bie ber letztern 
Befliffenen, zumal wenn fie in Ämtern ftehen, Anſpruch auf 
einen befondern Credit von Heiligkeit und eine nähere Verwandt: 
haft mit Gott machen, obgleich fehr Viele darımter wahre Tau« 


289 


genichtfe find, fo verlangt fehr oft der fo genannte Mathematiker 
für einen tiefen Denker gehalten zu werben, ob e8 gleich darunter 
die. größten Plunderköpfe gibt, die man nur finden kann, untaug- 
lich zu irgend einem Gefchäft, das Nachdenken erfordert, wenn es 
nicht unmittelbar durch jene leichte Verbindung von Zeichen gefches 
ben kann, die mehr das Werk der Routine, als des Denkens find. 


Das neue Teftament ift ein auctor classicus, das befte 
Noth⸗ und Hülfsbüchlein, das je gefchrieben worden ift; daher 
man jest auf jedem Dorfe der Chriftenheit mit Hecht einen Pro- 
feffor angefegt hat, biefen Auctor zu erklären. Daß es viele 
unter dieſen Profefforen gibt, bie ihn nicht verftehen, hat biefer 
Auctor mit anderen Auctoren gemein. Aber dadurch unterfchei: 
det fi) das Buch gar fehr von anderen, daß man Schuiker in 
ber Erklärung deſſelben fogar geheiligt hat. 


Der Mann, ber nicht aus dem Stegreif über Materien feis 
nes Faches zu raifonniren weiß, ber erft in feine Excerpten bliden, 
oder in feine Bibliothek fteigen muß, ift gewiß ein Artefact. 
Man hat heut zu Tage eine Kunft, berühmt zu werben, die ben 
Alten unbekannt war. Diefe wurden e8 durch Genie; die mei« 
ften von unfern berühmten Gelehrten aber find Paften, feine 
Edelſteine. Sehr weit wird es freilich auch mit ihrem Ruhm 
nicht gehen. Ihre Werke werden vergeffen werden, wie die Poefie 
des Cicero, bie fogar durch eine der Ewigkeit entgegengebenvde 
Profe nicht zu erhalten war. 


I. 19 


290 


Es fagte einmal jemand von Tobias Mayer: er habe 
felbfi night gewußt, daß er fo viel wiffe — und barin 
ftedt gewiß etwas fehr Wahres. Diefes ift die eigentliche Art, 
es in der Welt weit zu bringen. Die gewöhnlichen Gelehrten 
treiben die Wiffenfchaften al8 einen Iwed und fehen das, was 
fie noch nicht wiſſen, ſchon mwenigftens in den Titeln voraus; 
das ift niederfchlagend. Mayer fuchte immer ſelbſt, und Alles, 
was er lernte, war ihm Bedürfniß — fo konnte er es in feiner 
Wiffenfchaft weit bringen.- Jetzt lernt man gerade umgekehrt: 
man gibt ſich mit Integrationen ab, die man nie brauchen wird, 
und mit einer Menge von unnügen Dingen, ob fie gleich fehr 
finnreih find. Franklin foheint mir ein ähnlicher Gelehrter 
gewejen zu fein; Meifter hatte Vieles davon; auch Cook. 
Der Lebtere fagte: Der Teufel hole alle Gelehrfamkeit, unb er 
date und lernte und ftudirte beftändig, und war vermuthlich 
ein größerer Gelehrter, als viele von den Leuten, die er unb 
die ganze Welt fo nannten. Doch auch in biefer Diftinction 
liegt etwas Wahre. Der Gelehrte könnte derjenige Mann fein, - 
ber eine Menge von Kenntniffen in feinem Kopf aufgehäuft 
bat, bie ihm nicht weiter nügen, als daß er fie Andern wieber 
mittheilen kann. Wenn aber Jemand fi für ein einziges Fach 
ausbildet, und ber ganze Menſch dahin zufammenftimmt, und 
er nur in fo fern Menſch ift, als er biefes ift, dann ift er kein 
Gelehrter. 


Simmermanns Sragmente über Friedrich II. enthalten mans 


291 


ches gute Korn; allein das Bud muß erft gedrofchen, dann ge: 
fihtet und geworfelt werben; ober eigentlich der Verfaſſer erft 
gedrofchen, und dann das Buch gefichtet und geworfelt werben. 


Man kann von feinem Gelehrten verlangen, fih in Ge- 
felfchaft überall al8 Gelehrten zu zeigen; allein ber ganze Ton 
muß den Denker verrathen; man muß immer von ihm lernen; 
feine Art zu urtheilen muß auch in ben Fleinften Dingen von 
ber Befchaffenheit fein, daß man fehen kann, was baraud wer: 
den würde, wenn ber Mann mit Rube und in fi) gefammelt 
wiffenfohaftlihen Gebrauch von biefer Kraft machte. 


Sn den Schriften berühmter Schriftfteller, aber mittelmäßi« 
ger Köpfe, findet man immer höchftens das, was fie einem zei- 
gen wollen; hingegen flieht man in den Schriften bes ſyſtemati⸗ 
fhen Denkers, der Alles mit feinem Geifte umfaßt, immer das 
Ganze und wie jedes zufammenhängt. rftere fuchen und fin 
den ihre Nadel bei dem Lichte eines Schwefelhölzchend, das nur 
an ber Stelle fümmerlich leuchtet, wo es fich befindet, ba bie 
Andern ein Licht anzünden, das fich über Alles verbreitet. 


Nichts beweifet mir fo deutlich, wie e8 in der gelehrten 
Welt bergeht, als der Umftand, daß man ben Spinoza fo lange 
für einen böfen nichtswürdigen Menfchen, und feine Meinungen 
für gefährlich gehalten hat. So geht es ebenfalls mit dem Ruhm 
fo vieler Andern. 

9° 


292 


Die meiften Glaubenslehrer vertheidigen ihre Säge nicht: 
nicht, weil fie von ber Wahrheit derſelben überzeugt find, fon 
dern weil fie die Wahrheit derfelben einmal behauptet haben. 


Da Herr Profeffor Witte in Roftod erwiefen bat, baß 
die ägyptiſchen Pyramiden und die Ruinen von Perfepolis das 
Werd von Vulcanen find, fo wäre es einmal der Mühe wertb, 
zu ermweifen, daß ber Chimboraffo und der Montblanc von Men: 
fhenhänden aufgeführt worben find. Es ift wenigftens einmal 
ein Berfuh. Die Oranitwaden auf den Darmftäbter Feldern 
find Glicker), mit welchen bie Rieſenkinder fpielten. Herr Nies 
bubr bat Herrn Witte's Hypotheſe vortrefflich beleuchtet im Mu: 
feum 1790 Der: Es ift eine Abhandlung, die man auch gegen 
die gebraudhen kann, die die Welt für das Werk des Zufalls 
halten. — Ih glaube, Herr Witte nimmt das Wort Bulcan 
in einem andern Sinn, ba es fo viel al8 Künftler überhaupt 
bedeutet; denn fürwahr! wer ben Schild des Achilles fchmieben 
kann, dem find doch ein Paar perfifche Infchriften eine Klei⸗ 
nigfeit. 


Es gibt ſo genannte Mathematiker, die ſich gerne eben ſo 
für Geſandte der Weisheit gehalten wiſſen möchten, als manche 


) So heißen in ben Rheingegenden die kleinen Kugeln von 
Stein, womit bie Kinder fpielen. In Thüringen beißen- fie 
Schüſſe. 


293 


Theologen für Gefanbte Gottes, und eben fo bad Volk mit al- 
gebraifhem Geſchwätz, das fie Mathematik nennen, bintergehen, 
ald jene mit einem Kauberwelfh, dem fie den Namen biblifch 
beilegen. 


Ich fehe die Recenfionen als eine Art von Kinberkrankheit 
an, die bie neugebornen Bücher mehr ober weniger befült. Man 
hat Erempel, baß die gefundeften daran fterben, und bie ſchwäch⸗ 
lichen oft durchkommen. Manche befommen fie gar nicht. Man 
bat oft verfucht, ihnen durch Amulete von Vorrede und Debi- 
cation vorzubeugen , ober fie gar durch eigene Urtheile zu macu⸗ 
liren; e8 bilft aber nicht immer. 


Man Plagt über die entfehlihe Menge fchlechter Schriften, 
bie jede Mefje herauskommen; ich fehe das fchlechterbings nicht 
ein. Warum fagen die Kritifer, man foll der Natur nachah⸗ 
men? Die fhlechten Schriftftellee abmen der Natur nah, fie 
folgen ihrem Triebe fo gut, wie die großen; umd ich möchte nur 
wiffen, was irgend ein organifches Wefen mehr thun Fünne, als 
feinem Triebe folgen? Ich fage: fehet die Bäume an, wie viel 
werben von ihren Früchten reif? nicht ber funfzigfte Theil; bie 
andern fallen unreif ab. Wenn nun bie Bäume Maculatur 
bruden, wer will e8 ben Menfchen wehren, bie doch befier find 
als die Bäume? Ja, was fage ich die Bäume; wißt ihr nicht, 
baß von den Menfchen, bie das procreirende Publikum jährlich 
herausgibt, mehr als ein Drittbeil ftirbt, ehe es 2 Jahr alt 


294 


wird? Wie die Menfchen, fo die Bücher, die von ihnen ge- 
‚Schrieben werden. Anftatt mich alfo über die überhand nehmenbe 
Schriftftellerei zu beklagen, bete ich vielmehr bie hohe Ordnung 
der Natur an, bie e8 überall will, daß von Allem, was gebo- 
ren wird, ein großer Theil zu — Dünger wird und zu Macu⸗ 
latur, welches eine Art von Dünger iſt; die Gärtner, ich meine 
die Buchhändler, mögen auch fagen, was fie wollen. 


Ich babe lange nicht begreifen können, woher e8 fommt, 
daß es einem fo entfeglich ſchwer fällt, in den Büchern mandyer 
berühmten Polygraphen zu leſen; aber endlich merkte ih mir bie 
Sade ab: es rührt daher, daß diefe Menfchen fonft in Vergleich 
mit wahrhaft großen Männern fo unbedeutend find, daß es einen 
gar nicht reizen kann, zu wiflen, waß fie wiſſen. 


Man lieft jest fo viele Abhandlungen über bad Genie, baß 
jeber glaubt, er fei eines. Der Menfch ift verloren, der filh 
früb für ein Genie hält. 


Eine alle Denkkräfte ſchmelzende Befchäftigung ift bei ben 
meiften Menfchen das Gompiliren und Ercerptenfammeln. Man 
bemer?t auch täglich, daß Männer, die in ihrer Jugend viel Er- 
weiterung in ben Wiffenfchaften hoffen ließen, in reifern Jahren, 
bloß um häufig im Meßfatalog zu glänzen, oder auch fich zu 
bereihern, Compilatoren geworben find, zumal ba fie bemerf: 
ten, daß man in Deutfchland bei literärifhem Ruhm gemeinig- 


295 


Ti eben nicht fehr genau biftinguirt. Ich glaube, daß es ein 
Berdienft ift, was in hundert Büchern flieht, unter einen ge: 
wiſſen Gefihispunft in eines zu bringen; allein man muß e8 
fehr von dem Berbienft des Mannes unterfheiden, ber die Wif 
fenfchaft erweitert und ihre Grenzen fortrüdt. Ubrenfchöpfer 
waren Hugenius, Hoof, Harrifon, und biefe find felten; 
Uhrmacher gibt e8 überall, ich meine Bäume, woran Uhren 
wadhfen, Spinnen, die Uhren weben. 


Es ift traurig, daß die meiften Bücher von Leuten gefchrie: 
ben werden, bie fi zu dem Gefhäft erheben, anftatt daß 
fie fi) dazu berablaffen folten. Hätte z. B. Leffing ein Ba- 
demecum für luftige Leute herausgeben wollen, ich glaube, man 
hätte es in alle Spraden ber Welt überfeht. Aber fo fchreibt 
Jedermann gern über Dinge, worin er fidh noch felbit gefällt, 
und man gefällt fich felten in Dingen, bie man fo inne hat 
und überfieht, wie etwa das Einmaleind. Wer, wenn er 
fhreibt, um fi) Genüge zu thun, Alles fagt, was er weiß, 
fohreibt gewiß ſchlecht. Hingegen wer anhalten muß, um nidt 
zu viel zu fagen, kann fi) eher Beifall verfprechen. 


.., Prediger zu . ., ift derartige Mann, ber das Klatſch⸗ 
magazin über Schulen und Univerfitäten anlegen will. Ein Pre⸗ 
biger follte fi) f[hämen, ‘fo etwas anzufündigen. Gr will aud) 
Liften liefern von studiosis non studentibus, wenn anders, wie 
er fagt, auf dem Papier fih Raum dazu findet, und, hätte er 


296 


binzufegen können, auf feinem Budel Raum für bie gerechten 
Büdtigungen, bie er bewegen erhalten wird. 


Ih glaube, man treibt in unfern Tagen die Gefchichte 
ber Wiffenfchaften zu minutiös, zum großen Nachtheil der Wife 
fenfchaft feld. Man lieft e8 gerne, aber wahrlich es läßt ben 
Kopf zwar nicht Teer, aber ohne eigentliche Kraft; eben weil es 
ihn fo voll macht. Wer je ben Trieb in fich gefühlt bat, feinen 
Kopf nit anzufüllen, fendern zu flärfen, bie Kräfte und Ans 
lagen zu entwideln, fi) auszubreiten, der wird gefunden haben, 
baß es nichts Kraftloferes gibt, als bie Unterredung mit einem 
fo genannten Literator in der Wiffenfchaft, in ber er nicht felbft 
gedacht hat, aber taufend hiftorifch » literärifche Umftändchen weiß. 
Es ift faft als wie Vorlefung aus einem Kochbuch, wenn man 
bungert. Ich glaube auch, daß unter denfenden, ihren eigenen 
und ber eigentlihen Wiffenfhaft Werth fühlenden Menſchen bie 
fo genannte Literärgefhichte nie ihr Glück machen wird. Diefe 
Menfchen raifonniren mehr, als fie fih darum befümmern, zu 
wiflen, wie andere Menfchen raifonnirt haben. Was das Trau⸗ 
rigfte bei der Sache ift, fo findet man, daß, fo wie die Neigung 
an literärifcehen Unterfuchungen in einer Wiffenfchaft wächſt, bie 
Kraft zur Erweiterung ber Wiſſenſchaft felbft abnimmt, allein 
ber Stolz auf den Befit ber Wiffenfchaft zunimmt. Solche Leute 
glauben fih mehr im Beſitz ber Wiffenfchaft felbft zu fein, als 
die eigentlichen Befiger. Es ift gewiß eine fehr gegründete Be— 
merkung, daß wahre Wiffenfchaft ihren Beſitzer nie ftolz macht, 


- 297 


fondern bloß die von Stolz fi aufblähen laffen, die aus Unfä- 
bigkeit, die Wiffenfchaft felbft zu erweitern, fih mit Aufklärung 
ihrer dunkeln Gefchichte abgeben, oder Alles herzuerzählen wiſſen, 
was Andere gethban haben, weil fie dieſe größtentheils mechaniſche 
Beſchäftigung für übung der Wiſſenſchaft ſelbſt halten. Ich 
könnte dieſes mit Exempeln belegen, aber das ſind odiöſe Dinge. 


Es müßte eine ganz entſetzlich elende überſetzung ſein, die 
ein gutes Buch für einen Mann von Geiſt, der ins Große lieſt 
und nicht über Ausdrücken und Sentenzen hängt, verderben könnte. 
Ein Buch, das nicht einen ſolchen Charakter hat, den ſelbſt der 
ſchlechteſte überſezer kaum für den Mann von Geiſt verderben 
kann, ift gewiß nicht für die Nachwelt gefchrieben. 


Es ift gewiß fehr fchwer, ein Werk zu fchreiben, das ben 
Beifall derer erhält, bie bei Genie die Materie, worein die Sache 
einfchlägt, zum Studio ihres ganzen Lebens gemacht haben. Ich 
babe gefunden, daß, wenn ich eine gewiffe Materie in ber Phyſik, 
von nicht fehr großem Umfange, 8 bis 14 Tage lang zum Haupt: 
gegenftand meiner Unterfudhungen machte, mir alle Schriftfieller, 
bie darüber gefchrieben hatten, feicht vorgefommen find. 


Wenn doch große Männer ihre Art zu ftudiren befannt machen 
wollten, eigentlich die Art, wie fie ihre Meifterwerke verfertigt 
haben. Der Anfang biefer Werke war ficherlich nicht der An: 
fang des Schreibens. Es wäre möglich, daß von einem großen 


‚298 ” 


Werk des Genied der Anfang das wäre, was zulegt gefchrieben 
worben ifl. Der Anfang wird ficherer gemacht, wo man ſich 
vorher fehon ber Güte der Mitte und bes Endes bewußt ift. 
Man fand in Sterne's Nachlaß eine Menge flüchtiger Bes 
merkungen; fie wurden fogar trivial genannt; aber das waren’ 
Einfälle, die ihren Werth erſt durch die Stelle erhielten. Hier 
werben Farben gerieben, hätte Sterne auf den Titel feis 
ner Collectaneen fegen müffen. — Man verliert ja durch biefe 
Vorbereitung nicht bie Kraft, um bei der wirklichen Compofition 
noch immer hinzu zu erfinden, oder das anzubringen, was: auch 
alsdann noch ber Zufall gibt. Bei Butlern fanb man eben 
das; und Johnſon, felbft ein Mann dieſer Art, aber freilich, 
wie man aus feinen aufgezeichneten Unterrebungen merft, ein 
großer Erfinder aus dem Stegreif, fagt dabei: such is the la- 
bour of those, who write for immortality. 


Se weifer man felbft wird, deſto mehr fiehbt man in den 
Werfen ber Natur; warum follte nicht auch in manchem unfes 
rer Gedanken fehr viel mehr enthalten fein, al8 wir zuweilen 
bemerken? es find ja auch Producte der menfchlidhen Natur. 
Jeder Gedanke ift an ſich was, ber falfche fo gut als der wahre. 
Der falfche ift nur das Unkraut, das wir in unferer Hausbal- 
tung nicht gebrauchen können. So läßt ſich Manches entfchul- 
digen, was ich dem Hogarth angebichtet babe. Er konnte 
das Alles inftinetmäßig bingeworfen haben, ohne es zu wiffen. 


299 


Das Populärmaden follte immer fo getrieben werden, daß 
man bie Menfchen damit heraufzöge. Wenn man fidh herab: 
läßt, fo follte man immer daran benfen, aud bie Menfchen, 
zu benen man fich herabgelaſſen hat, ein wenig zu heben. 


Jean Paul Friedrich Richter hat ſehr viel geſchrie⸗ 
ben. Ein Verzeichniß ſeiner Schriften ſteht im deutſchen Maga⸗ 
zin. Altona, 1798. Febr. Dieſer Aufſatz enthält auch noch 

einige andere Nachrichten von dieſem außerordentlichen Kopfe. 

Ein Urtheil über Jean Pauls Romane in ber Gothai- 
fchen gelehrten Zeitung 1798 Nr. 74. S. 659 ift vortrefflid. 
Man kann nichts Befjeres und Grünbdlicheres über dieſen fonber: 
baren Schriftfteller fagen. „Das Intereſſe, heißt e8 da, das er 
erregt, ift nicht ſowohl ein Intereffe an feinen Perfonen und 
deren Gefchichte, als vielmehr an ihm und feinem Geifte und 
feinen Erfindungen, wie fie fib in ver Erzählung offenbaren. 
Statt daß wir fonft den Verfaffer über feinen Erzählungen ver: 
geffen, ift es bier umgekehrt; wir vergefjen bie Perfonen und 
bie ganze Gefchichte über dem Berfaffer.“ 

Sean Paul ift auch zuweilen faum erträglid), und wirb 
es noch weniger werden, wenn er nicht bald dahin gelangt, wo 
er ruhen muß. Er würzt Alles mit cayennifchem Pfeffer, und 
es wird ihm begegnen, was ich einft S... weifjagete: er wir, 
um fi Falten Braten fchmadhaft zu machen, gefhmolzenes Blei 
ober glühende Kohlen dazu effen müſſen. Wenn er wieder von 
vorne anfängt, wirb er groß werben. 


300 


Sean Paul ſucht den Beifall ſeiner Leſer mehr durch einen 
coup de main, als durch planmäßige Attake zu erobern. 


Ich habe wohl hundertmal bemerkt, und zweifle nicht, 
daß viele meiner Leſer hundert und ein ober zweimal 
bemerft haben mögen, daß Bücher mit einem fehr einnehmen: 
den, gut erfundenen Titel felten etwas taugen. Vermuthlich ift 
er vor bem Buche felbft erfunden, vieleicht oft von einem Andern. 


Es it Schade, daß man bei Schriftitellern bie gelehrten 
Eingeweide nicht fehen kann, um zu erforfchen, was fie gegef- 
fen haben. " 


Ih bin überzeugt, wenigftens nach ben Begriffen, die ich 
mir don den Kräften des menfchlichen Geiftes habe machen müfs 
fen, daß es felbft mit allen den Approrimationen in unferer 
Analyfis bereinft beffer gehen wird. Das Verbeffern der einge 
fhlagenen Wege ift es, was bie Fortfchritte des Geiſtes aufhält. 
Neue Wege! — fo muß man fchreiben, wenn bie Nachwelt von 
einem glauben fol, man babe dieß Alles fchon vorausgefehen. 


Es ift heutzutage nicht felten, daß einer Blumenkörbchen 
anfündigt, und Kartoffelfädchen liefert. 


Sind wohl die ungeheuren und Poftbaren Anftalten, bie 
man jet an verfchiedenen Orten für bie Aftronomie macht, zu 


301 


loben? Iſt nicht ſchon durch die Anftaften ber Engländer, Frans 
zofen, einiger italienifchen Staaten u. f. w. binlänglich für diefe 
Wiffenfhaft geforgt* Wenigftens müßte man andere Wege ver: 
fuchen. Herfchel fuchte den Weg der Vergrößerung. und erlangte 
dadurch Unfterblichfeit. Müßte man nicht Obfervatoria in gro» 
gen Höhen, auf dem Montblanc und Montrofe errichten? oder 
an andern Seiten ber Erbe, ob da bie Schwere vielleicht anders 
wirft, ober fi fonft etwas Neues zeigt? Iſt es wenigftens 
weisli gehandelt, diefe Anftalten zu machen, da noch andere 
Wiffenfchaften im Staube liegen? 


Bor allen Dingen etwas gegen bie jetzige Art, die Aftronomie 
zu behandeln; es gebt in der That zu weit. Ich frage, ob fo 
‚viel daran liegt, einen Ort eine Biertelmeile falfch zu fegen? bu 
gerechter Gott! um wie viel Grade mögen unfere Staatöverwal: 
tungen falfch liegen! und wie Bieles mag noch nicht in den Städten 
berichtigt fein, deren geographifche Lage man berichtigt hat! Der 
Koflenaufwand auf Obfervatoria ift groß; wie viel würde nicht 
eine Schulanftalt bei gleihem Aufwande bewirken können! 





Nachtrag 


zu den Titerärifchen Bemerkungen. 


Ehemals, wenn man ein fehlechtes Buch ſchrieb, hatte man 
es auf feinem Gewiffen, wenn jemand verführt oder angeführt 


302 


"wurde. Sebt bei den vielen gelehrten Zeitungen darf man fich 
nicht mehr fo ſehr feheuen. 


Bücher werden aus Büchern gefchrieben, und unfere Dich» 
ter werden meiftentheild Dichter durch Dichterlefen. Gelehrte 
ſollten fich mehr darauf legen, Empfindungen und Beobachtun⸗ 
gen zu Buch zu bringen. - 


Es läßt fi ohne fonderlich viel Wit fo fchreiben, daß ein 
Anderer fehr_vielen haben muß, e8 zu verſtehen. 


Wenn wir mehr felbft dächten, fo würden wir fehr viel 
mehr fchlechte und fehr viel mehr gute Bücher haben, 


Es gibt fein fichereres Kriterion von einem großen Schrift« 
ſteller, als wenn fi) aus feinen Anmerfungen en passant Bü- 
cher machen laffen. Tacitus und Sterne find jeder in feiner Art 
Mufter hiervon. 

Die Menſchen find oft fo einfältig nicht, ale fie zuweilen 
ſchreiben. Mancher hat eine beffere Phyſiognomik und eine beffere 
Theorie der Künfte im Kopfe als in feinem Buche. Die Kunft 
ift nur, feine Empfindung unverfälfht zu Buche zu bringen. 
Aber das foll Alles ſchön und der Stil ftaatsmäßig fein. Es geht 
ihnen mit dem Bortrage, wie gewiffen gemeinen Leuten, bie unter 
fih Tempel, Treppe, und bei Bornehmen Tempfel und Trepfe fagen. 


_ 303 


Die alten Dichter haben doch noch den NRugen, wenn fie 
auch fonft einen hätten, daß wir bie Meinungen bes gemeinen 
Volks bier und da aus ihnen kennen lernen, bie fonft nicht auf: 
gezeichnet find. Auch den haben unfere Genies nicht einmal. 
Denn unfere Volkslieder find oft voll von einer Mythologie, die 
niemand im Städtchen kennt, als der Narr, ber das Volkslied 


gemadt hat. 


Es ift fein fiherer Weg, fih einen Namen zu maden, als 
wenn man über Dinge fchreibt, die einen Anfchein von Wichtig: 
feit haben, die ſich aber nicht leicht ein vernünftiger Mann die - 
Zeit nimmt zu unterfuchen. 


Die bunteften Vögel fingen am ſchlechteſten, gilt oft auch 
vom Menſchen. In einem Pradtftil muß man nicht immer tiefe 
Gedanken fuchen. 


Ein aufmerkfamer Denker wird in den Spieljchriften großer 
Männer oft mehr Lehrreiches und Feines finden, als in ihren 
ernfihaften Werfen. Das Formelle, Conventionelle, Etiquetten- 
mäßige in diefen fällt ba gemeiniglich weg. Die meiften Schrift: 
fieller nehmen dort eine Miene an, wie manche Leute, wenn fie 
ſich malen laffen. 


Es fieht mit ber Bücherfritit zuweilen aus, ald ob man bie 
Recenfionen buch Waiſenknaben hätte mifchen und ziehen laffen. 


304 


Man bat griechifche und lateiniſche Bücher eingeführt, fo 
wie die arabifchen Hengfte in England. Man Pünnte ben 
Stammbaum mandes Buchs fo angeben, wie die Engländer 
bie von ihren Pferden. \ 


Die Menfchen müffen, um gut von einer Sache zu benfen, 
nicht Alles ſehen, fondern immer nocd einen Theil zur Muth⸗ 
maßung verftedt behalten. SYoriden bat bdiefes feine Empfin- 
dung gelehrt. Wieland und Göthe waren ganz andere Menfchen, 
ehe der eine fih in Farcen und der andere in Mercurabhanblun- 
gen entkleidete. Es find wenige Menfchen, die, wie 3.8. Lam: 
bert, Möfer und Zeffing, diefe Entkleidung vertragen können. 
So befommt man in den meiften Fällen nach dem 10ten Buche, 
das ein Mann fehreibt, oft eine fehlechtere Ipee von ihm, als 
man von bem erften batte, nicht weil er ſich berunterfchreibt, 
fondern weil man alsdann gegebene Punkte genug bat, bie 
ganze Lebenslinie defjelben zu ziehen. Überhaupt, gut gezeigter 
Borrath gefällt beffer als Aufwand. 


Man lat Über Rabeners Noten ohne Tert, aber Lavater 
ift in der That noch viel weiter gegangen, ber bat uns Noten 
gegeben, wozu ber Tert ber Gommentar fein muß. Das ift bie 
wahre Sprache der Seher, die man erft verfteht, wenn fi} bie 
Begebenheiten ereignet haben, bie fie ankündigen. 


Bor einigen Tagen meldete fich bei mir ein Mann in Böt« 


305 


tingen, ber aus zwei Paar alten feidenen Strümpfen ein Paar 
neue machen konnte und feine Dienfte offerirte. So verfichen 
wir die Kunſt, aus ein paar alten Büchern ein neues zu machen. 


Was oft ben Polygraphen macht, ift nicht das Bielwiffen, 
fondern jenes glückliche Verhältniß feiner Kräfte zu feinem Ge 
fhmade, vermöge beffen ber leßtere immer gut beißt, was durch 
bie erfteren hervorgebracht wird. 


Die ſchönſte Stelle im Werther ift die, wo er ben Haſen⸗ 
fuß erfchießt. 


Man wiberfpricht fi niemald, wenn man fi) mit einer 
feften Meinung zum Schreiben nieberfegt, allein bei ber fefte 
fin Meinung kann man ben Gegenftand flüchtig behandeln, 
und, wenn man mit bemfelben allzu befannt ift, fo daß man 
zu glauben anfängt, jedermann müſſe es verfiehen, Worte ge 
brauchen, die der, den man erft belehren will, zmweibeutig findet. 
Ich vergebe e8 Hrn Lavater, daß er fo viele Wibderfprüde in 
meiner Abhandlung findet, er.war nicht der Erfte, ber fie darin 
zu finden glaubte, und einer ber größten Denker, bie mir je 
vorgefommen find, bat mir geftanden, er babe meine Meinung 
erft bei der zweiten Durchlefung verftanden, und fei nun völlig 
mit mir eind. Das ift ein großer. Sehler von einer Schrift, ich 
leugne e8 nicht, und es foll mir eine Warnung fein, Fünftig Alles 
was ih druden.lafie, wie Moliere, erſt meiner Köchin vorzulefen. 

I. EN 


306 


Bei manchem Werke eines berühmten Mannes möchte ich 
lieber lefen, was er weggeftrichen bat, als was er hat flehen laſ⸗ 
fen. Belehrung findet man öfters in der Welt ald Troſt. 


Hopulairer Vortrag beißt heutzutage nur zu oft ber, wo⸗ 
durch die Menge in den Stand gefegt wird , von etwas zu fpre= 
hen, ohne es zu verfteben. 


Es ift wie bie tägliche Erfahrung lehrt, fehr wenig An- 
ftrengung nöthig, etwas zu fagen, das eine ganz beträchtliche 
erfordert, ed zu verfiehen. Hingegen erfordert e8 außerordentlich 
viel Talent, einem vernünftigen Manne etwas Neues und Wich: 
tiges fo leicht vorzutragen, daß er fich freut, es jegt zu willen, 
und ſich fhämt, es nicht felbft bemerkt zu haben. Lezteres ift 
ein fo charakteriftifches Beichen von einem großen Schriftiteller, 
daß wenige folcher Bemerfungen einen ganzen Band alltäglicher 
Dinge veredeln können. 


Die fimple Schreibart ift fchon deßhalb zu empfehlen, weil 
fein rechtfgaffener Mann an feinen Wusdrüden- fünftelt und 
klügelt. 


Ein Volk kann in ſeinen Schriften vernünftiger ſcheinen, 
als es iſt, denn es kann noch lange die Sprache ſeiner Väter 
ſchreiben, wenn ihm ſchon ihr Geiſt zu mangeln anfängt. Die 
Metaphern in unſerer Sprache entſtanden alle durch Witz, und 











307 


jeht gebraucht fie der Unwitzigſte. Die Morgenländer denken bei 
ihren vielen Bildern nicht mehr ale wir. Co faffen au oft 
Leute das Äußere der Eitten rechtfchaffener Leute, ohne daß fie 
es wiſſen. Die bilderreihfle Spradhe muß mit ber Zeit das 
Bildliche verlieren, und bloß zu Beichen erfalten, bie ben 
wilfürlichen nahe Eommen. So kann Sprachkenntniß fehr 
nüglich werben. 


Es ift faft durchaus der Fehler unferer Schriftfteller, daß 
fie ih aus anderen Schriften bilden, und bloß zufammenfeßen. 
Die Gradus ad Parnassum » Methode habe ich ed genannt. Gie 
lefen nach, che fie über eine Sache nachgedacht haben, und fo 
wird endlich ihre ganze Wiffenfchaft die Kenntniß deſſen, was 
Andere gewußt haben. 


Ihre Kritik iſt bloß experimental, fie bewundern, was fie 
haben bewundern hören. 


Es ift nur Schade, daß Leute bie an Höfen und in großen 
Städten leben, nicht wenigftens ein paar Tage in der Woche der 
Auslegung alter Weltweifen und Schriftfteller überhaupt widmen. 
Ich glaube, fie würden alle Schulfüchfe auf einmal niederfchlas 
gen können. 


Ich Habe in meinen Univerfitätsjahren und nachher enthufla- 


ftifche Bewunderer von Haller und welche von Klopfliod gekannt, 
20 * 


306 


Bei manchem Werke eines berühmten Mannes möchte ich 
lieber lefen, was er weggeftrichen hat, als was er hat flehen laſ⸗ 
fen. Belehrung findet man öfters in der Welt ald Troft. 


Hopulairer Vortrag beißt heutzutage nur zu oft ber, wo⸗ 
burch die Menge in ben Stand gefegt wird , von etwas zu ſpre⸗ 
chen, ohne es zu verſtehen. 


Es iſt wie die tägliche Erfahrung lehrt, ſehr wenig An- 
ſtrengung nöthig, etwas zu fagen, das eine ganz beträchtliche 
erfordert, e8 zu verfiehen. Hingegen erfordert e8 außerordentlich 
viel Talent, einem vernünftigen Manne etwas Neued und Wid)- 
tiges fo leicht vorzutragen, daß er fi) freut, es jegt zu willen, 
und fich fhämt, es nicht felbft bemerkt zu haben. Lebteres ift 
ein fo charakteriftifches Zeichen von einem großen Schriftfteller, 
dad wenige folcher Bemerfungen einen ganzen Band altaglicher 
Dinge veredeln koͤnnen. 


Die ſimple Schreibart iſt ſchon deßhalb zu empfehlen, weil 
kein rechtſchaffener Mann an feinen Wusdrüden: künſtelt und 
Plügelt. 


Ein Bolt kann in feinen Schriften vernünftiger fcheinen, 
als es ift, denn es kann noch lange die Sprache feiner Väter 
ſchreiben, wenn ihm ſchon ihr Geift zu mangeln anfängt. Die 
Metaphern in unferer Sprache entitanden alle durch Wis, und 





307 


jest gebraucht fie der Unwitzigſte. Die Morgenländer denken bei 
ihren vielen Bildern nicht mehr ald wir. Eo faffen auch oft 
Leute das Äußere ber Eitten rechtfchaffener Leute, ohne daß fie 
es wiſſen. Die bilderreichfte Sprahe muß mit der Zeit das 
Bildlihe verlieren, und bloß zu Beihen erfalten, die ben 
willfürliden nahe kommen. So kann Spradkenntniß ſehr 
nüsglich werben. 


Es ift fait durchaus der Fehler unferer Schriftiteler, daß 
fie ih aus anderen Schriften bilden, und bloß zufammenfegen. 
Die Gradus ad Parnassum » Methode habe ich e8 genannt. Gie 
lefen nah, che fie über eine Sache nachgedacht haben, und fo 
wird endlich ihre ganze Wiffenfchaft die Kenntniß deſſen, was 
Andere gewußt haben. 

Ihre Kritik iſt bIoß-erperimental, fie bewundern, was fie 
baben bewundern hören. 


Es ift nur Schade, daß Leute die an Höfen und in großen 
Städten leben, nicht mwenigftens ein paar Tage in der Woche der 
Auslegung alter Weltweifen und Schriftfteller überhaupt widmen. 
Ich glaube, fie würden alle Schulfüchfe auf einmal niederfchlas 
gen fünnen. 


Ich Habe in meinen Univerfitätsjahren und nachher enthufla- 
ftifche Bewunderer von Haller und welche von Klopflod gekannt, 


20° 


308 


Die von Haller, ich rede bier bloß von dem Dichter, waren ges 
meiniglid Leute von Geift und Nachdenken, die ihre Brotwiffen- 
fhaft nie vernadpläffigten. Hingegen mit Klopſtocks enthuſta⸗ 
ſtiſchen Bewunderern verhielt es fi) gerade umgekehrt. Die 
meiften waren unausftehliche Pinfel, denen vor den Wiffenfchafs 
ten, bie fie eigentlich erlernen follten, efelte. Muſenalmanache 
waren eine Kauptlectüre für fie. Waren ed Juriften, fo lernten 
fie nichts, waren e8 Theologen, To wurden e8 frühzeitige Pre: 
biger, und bie famen noch am beften fort. Mebiriner, bie en- 
thufiaftifch für Klopftod eingenommen gewefen wären, babe ich 
nicht gefannt. Mir ift nicht bewußt, daß ein beclarirter Be 
wunderer von Haller und ber feine Gedichte mit vorzüglichem 
Bergnügen gelefen, hernach etwas frappant Einfältiges gefchrie- 
ben hätte, hingegen ift e8 eine ganz befannte Sache, baß unter 
Klopftods eifrigften Bewunderern einige ber größten Flachköpfe 
der Nation find. Das Factum ift wahr. Erklären kann ich es 
felbft nicht. 


In einem Lande, wo ber zuletzt Schreibenbe bei den Meiften 
Recht behält, muß man nicht antworten, fobald man fi eini« 
ges Übergewichts bewußt ift. Diejenigen, für die der Mann von 
Verftand allein fehreibt, haben ohnehin entfchieden, ehe die Du⸗ 
plik erfcheint. So babe ich bei der Phyſiognomik gedacht. 


Wenn man fi) einmal einen Gebanfen eines Andern ein 
wenig zu Nuge macht, fo fehreien alle Recenfenten: halt den 


309 


\ 


Dieb. Diefes fommt mir vor, als wie, wenn fi) ein Knabe 
hinten auf eine Kutfche fekt, fo rufen alle anderen, bie die Freude 
nicht haben können, dem Kutfcher zu: es fipt einer hinten auf. 


Ich mag immer den Mann mehr lieben, ber fo ſchreibt, wie 
e8 Mode werben kann, als den, ber fo fchreibt, wie e8 Mode ift. 


Anderer Leute Wein auf Bouteillen ziehen und ſich dabei 
ein bißchen benebeln, daß man glaubt, er gehöre ihm. So etwas 
thun die meiften deutſchen Schriftfteller. 


E83 wagen fich viele Leute in Fächer, in denen man nichts 
von ihnen erwartet, theils, weil die Verwunderung bes Yublis 
kums es felbft etwas blind gegen Mängel madt, und bann, weil 
bie Leute felbfi bie Schwierigkeiten eines ſolchen Faches nicht fo 
gut Pennen, als das, worin fie ſich befchäftigt haben. 


Ein Noth: und Hülfsbüchlein für Schriftfteller könnte gut 
werden. 


Obgleich ih weiß, daß fehr viele Necenfenten bie Bücher 
nicht leſen, die fie fo mufterhaft recenſiren, fo ſehe ich doch nicht 
ein, was es ſchaden kann, wenn man das Buch lieſet, das man 
recenſiren fol. 


Das deutſche Genie iſt ſehr geneigt, in wiſſenſchaftliches 


310 


Dingen ftatt der; Sache felbft an bie Literatur fi) zu halten. 
Das deutfche Publikum, das felbft ſchon nad) der Seite geftimmt 
it, ift auch daher geneigt, dieſe Literatoren mit dem Ruhme zu 
frönen, ber eigentlich dem Denfer und dem Grweiterer ber Wif- 
fenfhaft allein gebührt. 


Jemand überfpringt bei VBorlefung der Meffiade immer eine 
Zeile, und die Stelle wird doch bewunbert. 


" &8 fommt fo außerordentlih viel darauf an, wie etwas 
gefagt wird, daß ich glaube, die gemeinften Dinge laffen fich 
fo fagen, daß ein Anderer glauben müßte, ber Teufel hatte es 
einem eingegeben. 


Der Ton ſtimmt oft die Behauptung, ſtatt daß die Be 
bauptung den Ton angeben ſollte. Selbſt gute Schriftfteller, 
wenn fie auch gern ſchön fprechen, finden fi) unvermerft zuwei⸗ 
fen ba, wo fie eigentlich nicht bin wollten. 


Das Berdienft von Raffineurs von Zuder, den andere Na: 
tionen gepflanzt und gefotten haben, ift dad Verdienſt ber mei⸗ 
ſten deutſchen Schriftfteller. 


Die unnützeſten Schriften in unſeren Tagen ſcheinen bie mo⸗ 
ralifchen zu fein, nachdem wir die Bibel haben. Man möchte 
faft den Ausfpruch des Kalifen Omar bei dem Brande ber Alerans 


311 


driniſchen Bibliothek gebrauchen: Entweder ſie enthalten was in 
der Bibel ſteht, und dann find ſie unnütz, oder fie find darwider, 
und dann muß man fie verbrennen. Unfere meiften moralifchen 
Schriften find wirklih nur fhöne Rahmen um bie zehn Gebote- 


Die Leichenpredigten auf Bücher unterfcheiden ſich gar fehr 
von denen auf Menfchen. Die letzteren werben gewöhnlich über 
Verdienſt gelobt und bie erfteren ausgefchimpft. 


Viele fogenannte berühmte Schriftfteller, in Deutfchland 
mwenigftens, find fehr wenig bedeutende Menfchen in Gefellfchaft. 
Es find bloß ihre Bücher, die Achtung verdienen, nicht fie felbft. 
Denn fie find meiftens fehr wenig wirklich. Sie müffen ſich 
immer erft durch Nachſchlagen zu etwas machen, und dann ift 
es immer wieder das Papier, das fie gefchrieben haben. Sie 
find elende Rathgeber und feichte Lehrer dem, ber fie befragt. 


Ich möchte wohl wiffen, wie e8 um unfere beutfche Litera: 
tur in manchen Fächern ftehen würde, wenn wir Peine Englän- 
ber und Franzoſen gehabt hätten. Denn felbft zum beffern Ber: 
ſtändniß der Alten find wir durch fie angeführt worden. Selbſt 
die Frivolität Mancher unter ihnen hat Manchen die Augen für 
ben Werth ber Alten geöffnet. 


Es hält nicht ſchwer, eine Sade zu Papier zu bringen, 
wenn man fie einmal in ber Feber hat. 


312 


Es war vor einiger Zeit Mode, und ift es vielleicht noch, 
auf die Titel der Romane zu fegen: eine wahre Geſchichte. 
Das ift nun eine kleine unfchuldige Betrügerei, aber daß man 
auf manchen neueren Gefhichtsbücdhern die Worte: ein Roman, 
wegläßt, das ift Feine fo unfchuldige. 


Bielleicht Teiftet manches ſchlechte Buch, das jegt verachtet 
wird, bdereinft einem guten eben ben Dienft, ben bie elenden 
Schaufpiele den Shakefpearifchen geleiftet haben, mit deſſen Wer: 
Een fie gleichzeitig waren. So fommt auch dem ſchlechten Schrift- 
fteller der Troft zu Statten, baß die Nachwelt bereinft fein Bers 
dienft erfennen wirb. : 


Um über gewiffe Gegenftände mit Dreifligkeit zu fihreiben, 
ift fat nothwendig, daß man nicht viel davon verſteht. Auch 
geht es gut an, wo ber Gegenſtand noch wenig bekannt ift. 
Unftreitig hat man fehr viel mehr vom Vielfraß zu erzählen 
gewußt, da er noch wenig gekannt war, als jekt, da man ihn 
Pennt. 


Der adernde Staatsbürger. Welches find die adernden Staats» 
bürger im Gelehrtenfache? Die Bergleichung ließe fih, glaube 
ih, weit treiben, vom Adermann bis auf bie Buderbäder und 
Conditors, die Dichter. 


° Die Nege ber Kritifer, womit fie nach Fehlern in Werken 


313 


fiſchen, follten von fo weiten Mafchen fein, daß fie Fehler von 
einer gewiffen Größe burchließen und nicht Alles auffingen. Das 
häßliche Filtriren. 


Die Vorreden zu manchen Büchern find deßwegen dfter& fo 
feltfam gefchrieben, weil fie gewöhnlich noch im gelehrten Kind⸗ 
bettfieber verfertigt find. 


Es find zuverläffig in Deutfchland mehr Schrififteller, als 
alle vier Welttheile überhaupt zu ihrer Wohlfahrt nöthig haben. 





314 


9. 


Bemerkungen über Sprache und 
Srtbograpbie. 


Ich werde das in Ewigkeit nicht vergefien, ift ein falfcher 
Yusdrud. 


Es ift ein ganz unvermeiblicher Fehler aller Sprachen, baß 
fie nur genera von Begriffen ausdrüden, unb felten das hin- 
länglich ſagen, was fie fagen wollen. Denn wenn wir unfere 
Mörter mit den Sachen vergleichen, fo werben wir finden, baß 
bie legtern in einer ganz andern Reihe fortgeben, als die erftern. 
Die Eigenfchaften, bie wir an unferer Seele bemerken, hängen 
fo zufammen, daß fi) wohl nicht leicht eine Grenze zwifchen 
zweien wird angeben lafien. Die Wörter hingegen, womit wir 
fie bezeichnen, find nicht fo befchaffen, und zwei auf einander 
folgende und verwandte Eigenfchaften werden durch Zeichen aus⸗ 
gebrüdt, bie uns Feine Verwandtfchaft zu erfennen geben. Man 
follte die Wörter philofophifch beeliniren, das ift, ihre Verwandt⸗ 
fhaft von ber Seite durch Veränderungen angeben fünnen. In 
der Analyfi8 nennt man einer Linie a unbeflimmtes Stüd x, 
dad andere nicht y, wie im gemeinen Leben, fondern a —x. 


315 


Daher hat die mathematifhe Sprache fo große Vorzüge vor ber 
gemeinen. 


Sauerampfer ift ein Pleonasmus, Ampfer beißt fchon 
fauer und ift das bollänbifche amper. 


Man kann ficher glauben, daß man in einer Sache eine 
gute Strede vorgerüdt ift, wenn man Kunfiwörter darin ge: 
braudt. Die offenfive Kritif hat wirklich ihre Kunftwörter im 
Deutfchen: einen herumnehmen, einem ben Bart wafchen, 
einen verfoblen, bürften, fämmen, ftriegeln, burd 
bie Hechel ziehen u.f. w. 


Homocentriſch habe ich in dem moyen de parvenir ”) 
gelefen — fein übler Ausdruck. Antbropocentrifch wäre 
beifer, obgleich centrum auch ein lateinifches Wort iſt. Es war 
aber bem kurzweiligen Verfaſſer vermutblich zu lang, ob er 
gleich ein guter Grieche gewefen fein foll. 





Die Tebendigen Sprachen find für die Ausländer, bie nicht 
unter dem Volke gelebt haben, größtentheils tobt. Wie ſchwer 
ift e8, alle die Pleinen Beziehungen zu erlernen, die gewiſſe Aus» 
drüde, und Redensarten in fich faffen! und fat unmöglich ift 
e8, wenn man einmal bei Jahren ift. 


*) Einem berühmten Buche von Franzischus Bervaldus. 


> 


316 


Borfucceffor, wie bie gemeinen Leute im Osnabrüdi- 
fhen einen Borgänger nennen, ift nicht viel fehlechter, als 
Nachfolger, da einem ja niemand vorfolgen kann. 


Im Wort Gelehrter fledt nur der Begriff, daß einem 
Vieles gelehrt ift, aber nicht, daß man auch etwas gelernt bat; 
baher fagen bie Franzoſen finnreich, wie Alles, was von biefem 
Volke kommt, nicht les enseignes, fondern les savans. und bie 
Engländer nicht the taught ones, fonbern the learned. 


Es iſt eine vortrefflihe Bemertung von Hartley, daß dur 
bie VBerfchiedenheit der Spraden falfche Urtheile verbeffert wer: 
ben; weil wir in Worten denken. Es verdient fehr überlegt zu 
werden, in wie fern die Erlernung fremder Sprachen uns bie 
Begriffe in unferer eigenen aufklärt. 


Wir bewundern zuweilen bie Kräftigfeit der Sprachen un» 
ausgebildeter Nationen; die unfrige ift nicht weniger kräftig; 
unfere gemeinften Ausbrüde find oft fehr poetifch; aber das Poe⸗ 
tifche eined Ausdrucks verliert fi), wenn er und gemein wird. 
Der Laut bringt den Begriff hervor, und das Bild, das vorber 
das Mittel war, verfchwindet, und mit ihnen zugleich alle Neben: 
ideen, bie e8 in fich ſchloß. 


Was heißt ſchwätzen? Es heißt, mit einer unbefthreib- 
lihen Gefchäftigkeit von ben gemeinften Dingen, bie entweber 


[ 


317 


fhon jedermann weiß, ober niemand wiffen will, fo mweitläuftig 
ſprechen, baß niemand barüber zum Worte fommen kann, und 
jedermann Seit und Weile lang wird. Die beutfhe Sprade ift 
fehr arm an Wörtern für Handlungen, bie fih fo zu andern 
Handlungen bes vernünftigen Mannes verhalten, wie Geſchwät 
zur zwedmäßigen vernünftigen Unterrebung. So fehlt e8 uns 
an einem folhen Wort für rehnen. 

Ein Menſch wählt fi) ein Thema, beleuchtet e8 mit feinem 
Lichtchen, fo gut ers hat, und fchreibt alddann in einem gewiffen 
erträglichen Mobeftil feine Alltagsbemerfungen, bergleichen jeder 
Secundaner auch hätte machen, aber nicht fo faßlich ausdrüden 
können. Für diefe Art zu fchreiben, welches die Lieblingsart 
ber mittelmäßigen und untermittelmäßigen Köpfe ift, wovon es 
in allen Ländern wimmelt, babe ich ?ein befferes Wort, ale 
Gandidatenprofe, finden können. Es wirb höchſtens das 
ausgeführt, mas bie Bernünftigen fchon bei bem bloßen Wort 
gebacht haben. 


Je mehr man in einer Sprache dur Vernunft unterſchei⸗ 
den lernt, deſto fchwerer wirb einem das Sprechen berfelben. 
Sm Fertigfpredhen ift viel Inftinctartiges; durch Vernunft Täßt 
es fi nicht erreichen. Gewiſſe Dinge müffen in ber Jugend er: 
lernt werden, fagt man; diefes ift von Menſchen wahr, bie ihre 
Vernunft zum Nachtheil aller übrigen Kräfte cultiviren. 


318 


Es donnert, beult, brüllt, zifcht, pfeift, brauft, fauft, 
fummet, brummet, rumpelt, quäkt, ächzt, fingt, rappelt, 
. praffelt, raſſelt, Tnallt, Eniftert, Elappert, knurret, poltert, 
winfelt, wimmert, raufht, murmelt, kracht, gludfet, röchelt, 
Elingt, klingelt, bläfet, ſchnarcht, klatſcht, lispelt, Leucht, 
ſchreiet, weinet, ſchluchzet, krächzet, ſtottert, lallt, girret, haucht, 
klirret, blökt, wiehert, ſchnarrt, ſcharrt, ſprudelt. — 

Dieſe Wörter und noch andere, welche Töne ausdrücken, 
find nicht bloße Zeichen, ſondern eine Art von Bilderſchrift für 
das Ohr. 


Um eine fremde Sprache recht gut fprechen zu lernen, und 
wirklid in Gefellihaft zu ſprechen, mit dem eigentlichen Accent 
bes Volks, muß man nit allein Gedächtniß und Ohr haben, 
fondern ud) in gewiffen Grad ein Pleiner Geck fein. 


Sit heimſuchen wirklid fo viel als firafen, oder ift es 
fo viel ald das Herz unterfudhen? Wir müffen mehr Ge- 
brauch von dem Wort heim machen, es ift fehr ftarl. Heim 
reden ift, im die Seele reden, höchfte Überzeugung verbunden 
mit der Schaam fie zu geftehen bewirken. " 


Das englifche kurze u hat wirklich viel Ähnliches mit dem 
franzöfifchen o in l’on a, bonne, ich meine das reine Parififche 
0, und nicht dad o refugie. In Befchreibung ber englifchen 
Ausfprahe durch das Deutjche ift man noch lange nicht weit 


319 


genug gegangen; man bat Faum ben vierten Theil von dem 
barin gethban, was man thun könnte. Man irrt, wenn man 
glaubt, daß das Ih ber ſchwerſte Laut für den Deutfchen wäre. 
Da wo es gelifpelt wird, ift e8 dem Deutfchen fehr leicht, wenn 
man ihm nur bie Zunge führt; aber vorfagen beißt nicht bie 
Bunge führen. Jeder Deutfche bat es gewiß einmal in feinem 
Leben ausgefprochen , vielleicht mehr vor dem 16 Jahr als nach⸗ 
ber. Es ift das f mit ber Zunge zwifchen ben Zähnen ausge: 
fprohen; je weniger man auf bie Zunge beißt, und je Bleiner 
das Stüdchen berfelben ift, das zwifchen den Zähnen ift, befto 
wahrer und feiner wird ed. Dieß gilt von dem th, wenn es 
gelifpelt wird, wie in three, through, both, wrath, ihew, thin, 
thing etc. Die Engländer Iifpeln es aber nicht immer, und 
dann ift es ungleich ſchwerer zu befchreiben und auszufprechen. 
Es ift nur der Anfang zu jenem, die Zunge legt fill nur, ale 
wenn fie jenes ausfprechen wollte, fpricht aber gleich die folgen- 
ben Buchſtaben aus; fo klingt es in that. Beim f bleibt die 
Spitze der Zunge hinter ben Zähnen, und beim th ift fie vor den⸗ 
felben oder zwifchen inne. In that, mother, father , together, 
gather und zwifchen Bocalen überhaupt, ift es bloß der Anfang 
zum 3ifhen, ohne das Zifchen felbft, von dem man nichts hören 
muß. Die Gaffenjungen am Oberrhein fprehen Feder eben fo 
aus, wie die Engländer ihr feather, und das d in bem Wort 
wie das ungelipelte th. 

Die verfchiedenen Selbftlauter ließen fi durch eine ähnliche 
Einrihtung, wie Mayers Zarbentriangel darftelen. Der Eng: 


* 


320 


länder ihr kurzes in much, such, but hat etwas vom e und 
vom 0; es ift nicht metſch und nidht motſch, ſondern befteht 
aus zwei Theilen e und einem Theil o, rein genommen, das 
beißt, fo wie wir fie im ABC ausfprebher. — Man kann ja 
taub und ſtumm Geborne reden lehren, wie viel mehr Leute, 
bie eine unendliche Menge von Lauten zu commanbiren haben. 


Shakeſpear ift meiftens ſchwer ganz zu verftehen, und feine 
gelehrten Sommmentatoren haben ihn oft nicht verftanden. Ihn 
gut zu liberfegen, ift an vielen Stellen ganz unmöglich, wegen 
feiner an Nebenibeen reichhaltigen Metaphern, wovon .ber befte 
Überfeger uns doch immer nur einige geben kann. Außer einer 
tiefen Kenntniß der englifhen Spradhe, bie nur wenige Auss 
länder fich verfchaffen können, wirb eine noch ſchwerer zu er⸗ 
reichende Kenntniß ber Sitten bes Volks erfordert. Um nur eine 
anzuführen, fo wünfchte ich wohl, daß ein Deutfcher, der feine 
Nation und die englifhe gut kennt, uns ein Werkchen über 
Shakeſpear's Flüche gäbe, und fie uns durch Ähnliche, 5. €. für 
Oberſachſen, überfegte (dern für Deutfchland überhaupt müffen 
wir nicht rechnen, weil wir fein London ober Paris haben). 
&o wie fie gemeiniglich überfeßt werben, ift es abfcheulich, und 
brüden Shakeſpear's Sinn gar nit aus. Das Weiß Gott 
unſers Pöbels, geſchwind gefprochen, erweckt bei uns weiter 
nichts als die Idee einer Ungezogenheit; dem Engländer mürbe 
es bie Idee vor Feierlichfeit, und wenn e8 oft Fäme, von Ruch⸗ 
/ofigFeit, zumal am Anfange der Rebe, erwecken, ungefähr wie 


321 


bei uns, wenn man fagte: Das weiß Gott, baß ıc. Co 
haben wir (ich fpreche als Oberheſſe) nichts, das dem englifchen 
damn it entfpräde. Potz Wetter kommt ihm nahe, ift aber 
zu läppiſch. God damn it wird in Deutfchland oft durch Gott 
verdamme überfekt, jo abfcheulih, daß man kaum Ärger 
fehlen fönnte, wenn man e8 durch der Herr fegne überfegte. 
In England ift es mehr pöbelhaft als ruchlos, fo zu ſchwö⸗ 
ren, zumal wenn es gefhwind geiproden wird. Ja e8 kann fo 
gefehwind gefprochen werden, daß es einen Anfchein von Artig⸗ 
feit bei der vornehmen Jugend gib. Wenn Shafefpear's 
Perſonen fluchen, fo verfehlt e8 bei uns feinen Endzwed; was 
bei ihm eine Schattirung fein follte, wird bei uns Hauptfigur. 
Der Engländer flucht caeteris paribus zehnmal mehr, als ber 
Deutfche, weil bie fluchende Claſſe der Menfchen (die Seeleute) 
diefem Staat feine Reichthümer verfchafft, und feinen Schuß 
gewährt, und ed unter ihnen Männer gibt, die bie Achtung 
biefer Welt und der künftigen verdienen. 


Conrab Photorins (p. t. Fotorins) Sendfchreiben an bie 
Heraudgeber ded Magazins, bie Abfchaffung der Hofen betreffend. 

Ew. Wohlgeboren rühmlihft bekannter Eifer für unfere 
neue Orthographie oder, wie fie fte jest ſchicklicher nennen, 
Cäno⸗ oder Kainographie, um fie nicht mit ber alten fo genann, 
ten Ortbographie zu verwecfeln, bat mich aufgemuntert, Des 
nenjelben einen Plan zur Bekanntmachung vorzulegen, ber wir 
dem Kainographifchen viel Ahnfichkeit hat, wanlih, Tr Bim- 

1 AA 


322 


Pleider abzuſchaffen; und follte biefer Ihren erwünfchten Beifall 
erhalten, fo follen Diefelben ein Werk von mir befommen, wos 
von ich Ihnen jekt nichts weiter fagen fan, als daß es eine 
Reformation ber beutfchen Sprache ift, und unfere Gänograpbie 
mußte nothwendig barauf leiten. Denn welches ift thörichter, 
der zu fchreiben, und dähr zu lefen, ober zu fagen, ich drehe, 
ih drehete; ich ſtehe, ih ftand; ich ſehe, ih ſahz id 
gebe, ih ging? Diefes macht ben Ausländern und Kindern un« 
enbliche Mühe. Daher auch die Juden, die zwar ein unterbrüdtes 
Bolt find, aber boch zuweilen über uns aufrechtftehend wegfehen, 
manchmal fagen: e8 fehete unvergleihlich aus; e8 wäre 
ambefte, ergebete hin ꝛc. Ih muß Ew. Wohlgeb. gehorfamft 
um Bergebung bitten, daß ich mic) ber Gänographie in meinem 
Briefe nicht bediene. Mein Geift ift zwar ſtark, allein aber 
das Fleiſch ift ſchwach. Ich bin nit mehr jung, unb ver: 
fhreibe mich jeben Augenblid; auch weiß ich zwar immer, wie 
ich ſpreche, allein ich weiß es nicht immer zu fchreiben. 3.8. 
recht darf ich nicht ‚ und rächt kann ich nicht fehreiben, benn 
es wird ja nicht gefprochen wie Hecht, u. f. w. 


Forſchlach Fünftig feine Bainflaider mer zu 
tragen. 

Der fchönfte Theil bes menfchlichen Geſchlechts trägt Peine, 
fo wenig als ber zartefte, nämlich das weibliche Gefchlecht und 
bie Kinder. Die größten Menfchen haben. Feine getragen, weder 
die Erzbäter, noch ber pius Aeneas, noch Tullus und Ancus. 


u. 
323 2 


Cicero, Pompejus und Cäſar trugen keine, auch hat ver: 
mutblih Sokrates Feine getragen. Ja bie gefünbeften Bölfer, 
ich meine die ungefitteten, tragen bis auf biefe Stunde Peine; 
auch bie gefitteten Bergfchotten nit. Daß es einem auffallend 
fein würde, jetzt einen Minifter oder General ohne Beinkleider 
berumgeben zu fehen, das ift bloß die Ungewohnheit, lächerliches 
Borurtheil. ES HE nicht mehr, als flatt des einfältigen der 
und phyſiſch jest där und füfifch zu fhreiben, welches 
recht ift. Ohne Beinkleider zu geben, fol Leuten fehr bienlich 
fein, bie fi) verändern wollen, indem es ein gelindes Faltes 
Bad ift. Das beftändige Auf» und Zuknöpfen ift wirklich fehr 
befhwerlih. Wer an einer Kirche wohnt, barf nur die Leute 
beobadıten, bie am Tage bie einwärtögehenden Winkel berfelben 
ftehend einnehmen; was das oft für Umftänbe fegt, einige müffen 
fogar den Stod wegftelen, und beide Hände brauchen. Ich 
riethe eine Art Bleiner Schürze, bie rund herum ginge, fo wie 
bie Bederfhürzen am Rhein ıc. 


Was die Engländer in der Füſik, die Franzoſen in ber 
Metafüfit find, find die Deutfchen unftreitig in der Ortofrafi. 
Das Süftem, das uns 9. 8... hierüber gegeben bat, ift vor- 
treflich. Fürz gleich nicht überall Überzeugung bei fih, fo fürz 
body auf Einigkeit, und hilfz nichz, fo ſchatz doch auch nichz. 
Borzügli Dank ferdint Hr. Mülius in Berlin, ber auch in 
feinem zerbeutfchten Gil Blas Hüpofrates fchreibt, und alfo 


us 


auch vermuthlih Filüppus und Hipyvie\e \gräleen wir. 


23% 


U ı 
324 


— — Neulich entftand bei einem Teſtament ein entfeglicher und 
faft fcandalöfer Streit über folgende Worte: „Auch vermade 
ih da8 Heu von meinen Wiefen ben jebesmaligen drei Stabt« 
farren zu O...« Es wurde nämlich geftritten, ob Zeftator 
die Prediger des Orts, oder die Bullen gemeint habe; und weil 
bie lektern einen beſſern Advocaten erhielten, al8 die erftern, fo 
fiel da8 Heu dem Bullenftal zu. Der Advockt für bie Prediger 
mußte nichts beizubringen, als daß man einem unvernünftigen 
Vieh nichts vermachen könne; nur fei befanntlih Teftator ein 
Anhänger von Hrn. 8... und befien profaifchen Werfen gewe⸗ 
fen, und babe daher farren flatt pfarrern gefchrieben. Da: 
gegen erwies der Advocat für die Bullen mit unmwiberfprechlichen 
Beugniffen, Xeftator fei zwar ein eifriger K— ianer, aber, ba 
er felbft Pfeiffer geheißen, aud ein bartnädiger Vertheidiger 
bes Pf gewefen, weßbalb er wohl oft Klopfſtock und Trepfe 
gefagt, aber fih nie Feiffer unterzeichnet babe. Die Sache 
wäre alfo klar. Überdieß habe der Selige bekanntlich nicht viel 
auf die bafigen Herren Prediger gehalten, und da die Wiefen 
gegen 300 Thaler abwerfen, fo wäre ed gar nicht wahrſcheinlich 
daß er ſie gemeint hätte, u. ſ. w. 


Iſt es nicht ſonderbar, daß eine wörtliche überſetzung faſt 
immer eine ſchlechte iſt? und doch läßt fi) Alles gut überſeten. 
Man fieht hieraus, wie viel e8 fagen will, eine Sprache ganz 
verfiehen ; es heißt, das Volk ganz kennen, das fie fpricht. 


[ 


325 * 


Kurzſichtig fein und weit ſehen werden im meta: 
phorifchen Verſtande von Geiftesgaben falſch gebraucht. Ein 
Kurzfichtiger heißt da ein Blinder; es ift aber Elar, baß Kurz: 
fihtige auch Dinge fehen, bie andere Leute nicht fehen. 


Der Teufel ift wohl heutzutage, in unferen aufgeklärten %. 
Zeiten, ein re Fmer Teufel. Woher mag überhaupt die 
Redensart: armer Teufel fommen? Sie findet ſich aud in 
anderen Sprachen: poor devil, pauvre diable. 





Daß bie Berwechfelung von lehren und lernen, bie bei 
uns, zumal in der Sprade bed Umgangs gemeiner ift, als man 
denen follte, von etwas Tieferm herrührt, als bloß von der Ähn⸗ 
lichkeit des Lautes, kann man daraus abnehmen, daß die Schott- 
länder häufig to learn mit to teach verwechfeln, die boch nicht 
verfchiedener Elingen können. Hingegen verwechlelt.der Englän: 
der häufig 2o lie liegen, und to lay legen, welches auch ber 
unftudirtefte Deutfche nicht thut, da doch die Ähnlichkeit des 
Lauts und der Relation in ben Begriffen, bie fie ausdrüden, 
bei beiden gleich groß ift. Wer Tiegt, ber bat ſich gelegt; und 
wer fich lehrt, ber lernt; ober, wer “gelegt wird, liegt, und wer 
gelehrt wird, Iernt. 


Unfere Inverfionen in ber Sprache haben das Nachtheilige, 
bag wir dem Ausländer oft fade vorkommen müſſen, der fe ux- 
möglich alle verftehen Fan, ba fe bei dem Wpite Ah lurnt 


nn 
326 


werden müſſen. Es wäre beſſer, wir ſprächen weniger in In⸗ 
verfionen. 

Wenn man viel felbft denkt, fo findet man viele Weisheit 
in die Sprache eingetragen. Es ift wohl nicht wahrfcheinlich, 
daß man Alles felbft hineinträgt; fonbern es liegt wirklich viel 
Weisheit darin, fo wie in ben Sprühwöggfie 

—— bu 

Es ift zum Erflaunen, wie fehr das Wort unendlich ge- 
mißbraucht wird; Alles ift unendlich ſchön, unenblid 
beffer u.f.w. Der Begriff muß.etwa® Angenehmes haben, 
fonft hätte der Mißbrauch nit fo allgemein werben können. 
Mas haben die Alten bavon ? 


Im gemeinen Leben heißt oft die Epilepfie das böſe 
Wefen. Was wäre das gute Wefen? Jemand meinte, 
man könnte ben epileptifhen Budungen im Paroxyomus ber ge- 
krönten Liebe biefen Namen geben. 





Nachtrag | 
zu den Bemerkungen über Sprache und Orthographie. 


Despaviladdra heißt eine Lichtpuge auf Spaniſch. Man 
ſollte glauben, es bieße wenigftens ein kaiſerlicher Generalfeld: 
marfchalllieutenant. 


Pe 0 
% 
Es gibt eine wahre und eine fürmliche Orthographie. 


Deu Eine hat eine falfhe Rechtfhreibung und der Andere 
eine rechte Kalfchfchreibung. 


Ich glaube, es Fünnte einer Sprache gar nicht fchaben, wenn 
man viele a und Grärismen übertrüge. So würden 
gewiß bie Alten« enigftens verftändlich werben. In meinen 
Schuljahren, we das Wort populär no nicht fo Mode war 
wie jest, glaubten wir, e8 hieße pöbelhaft oder fo etwas. 





Auffchieben beißt, feinem Hehirne eine größere Extenfion 
‚ geben. 


. 

Das ift ein närrifcher Einfall, fagt man von einer gewiffen 
Art Einfälle, die nichts weniger ald unklug find, auch, das Ding 
ift doch närrifh. Gewiß hat ber erfie Mann, ber die Redensart 
gebraudte, etwas dabei gedacht. Es kann dag Unermwartete 
und das Seltfame in der Verbindung ber Ideen bezeichnen, 
das Ülberfpringende, dergleichen man bei närrifchen Leuten vieles 
findet. 


Man muß künftig bloß Shafspere fchreiben mit W. Malone. 
Denn es ift ausgemacht, daß er fich felbft fo gefchrieben hat, 
und in ben Kirchenbücdhern von Stratford ſteht bei Kindtaufen, 
Copulation und Todesfällen der Name beftändig fo. 


% 


R 
De: 


\ 
So wie es vielfylbige Wörter gibt, bie fehr wenig fagen, 
fo gibt ed auch einfylbige von unenblicher Bedeutung. 





® 
Das Wort: Entbindung ift zweidentig; ed kann auch ben 
x Tod bedeuten. " 






| Der Deutfche liebt bie fcharfen reg Barum nicht: 
Hoch, höher, höchft Ebelgeborener, Wohl, DEM , Beitgeborener 
Her? u " " 





Georg Chriſtop h Fichtenberg’s 
Bermifchte Schriften. 





Neue vermehrte, 
von deſſen Söhnen veranftaltete 
Original - Ausgabe. 





Mit dem Portrait, Facſimile und einer Anficht des 
Geburtshaufes des Verfaſſers. 


Zweiter Band. 


——ı ZZ He — 


Göttingen, 
Berlag ber Dieterihfhen Buchhandlung. 
1844, 





14. 


inhalt 


bes zweiten Bandes. 


Bemerkungen vermifdhten Inhalts. 


. Üftgetifche Bemerdunden . . . . 


Nachtrag zu ben äfthetifchen Bemerkungen .. * 


Witzige und ſatyriſche Einfälle und Bemerkungen 
Nachtrag zu den witzigen und ſatyriſchen Einſällen 


und Bemerkungenn. — 


Witzige und komiſche Ausdrücke und Vergleichungen 
Nachtrag zu den witzigen und komiſchen Ausdrücken 
und Vergleichungennn. 


Urtheile und Bemerkungen über den Charakter ver⸗ 
ſchiedener Völlr . . ... re. 
Nachtrag zu ben Urtheilen und Bemerkungen über 
bern Charakter verfchiedener Böllr -. . . . . 


Zum Andenken von Berfiordbnn . -. . » 


— 102 


— 109 


— 118 


7. 


IV 


Gute Ratbihläge und Marimen . -. . » . . &.17 
Nachtrag zu den guten Rathſchlägen und Marimen — 135 
Borfchläge . . 0 0 0 . . o 0 0 0 0 — 138 
Nachtrag zu den Vorſchlägen. —14 


. Allerband + + . . . 0 . . . . + . — 147 


Nachtrag zu Alerband -. » »o 2 2 20.2. —189 
Fragmente. 
Lorenz Eſchenheimers empfindſame Reiſe nach Laputa — 199 


. Beiträge zur Geſchichte des... —203 


Parakletor oder Troſtgründe für die Unglücklichen, 
bie keine Originalgenies ind..... -— 207 


Über den deutſchen Roman. > ed 
Die Bittfchrift deB Wahnfinnigen . - -. » ». . —- 2 


. Das Baftmahl der Ioumalifin . . . » .. — 32 


Über die Macht der Liebe > > 2 2 2 0000 294 


I. 


Bermifchte Schriften. 


— — — 


Zweiter Theil. 


. 
u) 
* 
‚re 
“ 
.. 
. 
.s 
» 
m... 





10. 
Aſthetiſche Bemerkungen. 





Was kann bie Abficht des geiftlichen Heldengebichts fein? 
Erbauung,. Belehrung und Vergnügen. Der Unterfchieb zwifchen 
Erbauung und Belehrung liegt, dünkt mid, barin, baß jene 
in dem Vergnügen beftehbt, das ich empfinde, wenn ich mein 
Thun mit ben Vorfohriften der Religion, von beren Nuken ich 
überzeugt werde, übereinflimmend, ober mich durch biefe Über 
zeugung in meinen Entfchlüffen geflärkt ſehe. Belehrt binge- 
gen werde ih, wenn ich Dinge höre, bie ich vorher entiweder 
gar nicht, oder falfh gewußt habe. Einige nennen auch jede 
geiftliche Belehrung Erbauung. Wird das Wort Erbauung im 
erfien Sinne genommen, fo kann das geiſtliche Heldengedicht 
"nügen. Es kann mir die Vorfihriften ber Religion lebhafter 
vorfielen und tiefer einprägen; eine erdichtete Folge von ihrer 
Übertretung kann mich erinnern, daß in meinem Haufe, in meiz 
nem Birkel von Freunden fi) fo etwas zutragen Fünne, und 
fann meinem Entſchluß mehr Kraft geben. ben fo kann es 
mich belehren, und alfo auch ergögen; aber Feine chriftliche Göt- 
terbiftorie muß hineinkommen. Unfere allerheiligfte Religion ift 
ein Gegenftand, den man immer vorzeigen foll, wie er ift; man 

1* 


4 . 


fol nits mit ihm unternehmen, wovon ber Ausgang zweifel- 
baft ift, und ein weifer Mann nicht einmal etwas, von dem 
er gute Folgen erwartet, benn er könnte fi) irren. Diefer Theil 
erbaut nicht, belehrt nicht, und kann auch nicht ergögen, wohl- 
verftanden, in fo fern nicht ergögen, als e8 Hiftorie aus unferer 
Religion ift, als Erdichtung freilich allein betrachtet. 


So wie wir eine Meffiade und ein verlornes Parabies 
haben, wo alles Göttliche menfhlich zugeht, fo könnte ein Bauer 
eine Henriabe fchreiben, wo Alles wie in feinem Dorfe, nur ideas 
liſirt, vorginge. 


Einen Roman zu fchreiben ift deßwegen vorzüglich angenehm, 
meil man zu allen Meinungen, bie man gern einmal in bie 
Welt laufen laffen will, allemal einen Mann finden ann, ber 
fie als die feinigen vorträgt. 


Ein Ihema zu einem poetifhen Briefe ift in folgenden 
Worten ber Argenis) &. 293 enthalten: Reges sumus suppli— 
eibus; rursusque rex nobis, in cujus est manu quod pelimus. 


Wieland erzählt fo viel Gutes vom Agathon und feheint 


) So beißt befanntfich der berühmte politifche Roman von 
Johann Barklay, der zu Ende bes fechszehnten und zu An- 
fange des fiebzehnten Jahrhunderts lebte. 


5 


alle feine feinen Beobachtungen des Menfchen zu erfchöpfen, uns 
biefen Menfchen fonderbar und groß vorzuftellen; er fpricht aber 
felbft fo wenig, baß uns alles biefes nur Teſtimonia zu fein 
feinen, und als ſolche wirfen. Ich kann es unmöglich glau⸗ 
ben, daß ein fo fehwärmerifcher delphiſcher Jefuitenfchüler Athen 
nur eine Stunde beberrfhen kann; ja es wirb mir bange, wenn 
ich höre, daß er ſich dazu entfchließt. Leute, wie Agathon in 
Delphi, entfchließen fich felten oder niemals Beherrfcher zu wer: 
ben, und taugen auch nicht dazu. Ich bin durch das ganze 
Stüd dem Agathon nicht recht gut gewefen; ich möchte faft fagen, 
ih mißgönne e8 dem belphifchen Sefuitenfchüler, daß fih ein fo 
großer Mann wie Wieland für ihn intereffirt, und jede feiner 
Altagdempfindungen durch fo feine Theorien zu adeln fucht. 


Das Gute ift bewegen fo fihwer in allen Wifjenfchaften 
und Künften zu erreichen, weil ein: gewiffer feitgefegter Punkt 
erreicht werben fol. Etwas nad) einer vorgefegten Regel fchlecht 
zu maden, wäre eben fo fehwer, wenn e8 anders alsdann nod) 
den Namen des Schlechten verdiente. 


Man glaube nicht, daß eine Bemerkung für ein Schaufpiel . 
zu fein oder zu tief fei. Was der Kenner in ber Natur zu fin- 
den im Stande ift, entdedt er auch bier wieder. Bielleicht wäre 
es nicht gut, einen gar zu fubtilen Sag zum Hauptgegenſtand 
bes Stücks zu machen; aber ben Hauptfak zu ſtützen, ift alles 
Wahre gut; und ift es fehr tief, fo dient e8 dem Stüd noch zu 


6 


einer Stütze und, wenn ich fo reden darf, zu einem Nothpfen« 
nig, wenn bie wisigen Einfälle und bie Situationen Tängft nicht 


mehr haften wollen. 


Es ift ein Fehler, den der bloß wisige Schriftfteller mit 
bem ganz fihlechten gemein hat, daß er gemeiniglich feinen Ge 
genftand eigentlich nicht erleuchtet, fondern ihn nur dazu braucht, 
fich felbft zu zeigen. Man lernt den Schriftfteller Eennen und 
fonft nichts. So ſchwer e8 auch zuweilen eingehen follte, eine 
wihige Periode wegzulaffen, fo muß es duch gefhehen, wenn fe 
nicht nothwendig aus ber Sache fließt. Diefe Kreuzigung ges 
möhnt allmälig den Witz an bie Bügel, bie ihm bie Bernunft 
anlegen muß, wenn fie beide mit Ehren austommen follen. 


Schlechte Schriftfteller find hauptfächlich diejenigen, die ihre 
einfältigen Gedanken mit Worten der guten zu fagen traten; 
könnten fie, mas fie denken, mit angemefjcenen Worten fügen, 
fo würden fie allezeit zum Beten des Ganzen etwas beitragen 
und für den Beobachter mertwürbig fein. 


Die Entfehuldigungen, die man bei ſich felbft madıt, wenn 
man etwas unternehmen will, find ein vortrefflicher Stoff zu Mos 
nologen; benn fie werden felten anber8 gemacht, ald wenn man 
allein ift, und fehr oft laut. 





Der Beim ift etwas, das mehr ben nörblichen Ländern 


7 


eigen ift, fo wie das Sylbenmaaß mehr in ben füblichern ver: 
ehret wurde. Bei diefen ift Alles Muſik, ba bei jenen nur zu⸗ 
weilen, aber befto ftärker die Kunft und die Harmonie ſichtbar 
wird, Ich zweifle nicht, daß bie Griehen und Römer nicht bis: 
weilen auf Reime verfallen fein follten, e8 war aber biefes Künft: 
liche ihnen allzufühlbar und daher verhaßt, fo wie uns bie Heime 
fhmetterte und kletterte; bahingegen ihr zarteres Ohr 
fhon eher Füße zählen Fonnte, als das unfrige, das fi) daher 
ein fühlbares Sylbenmaaß, den Reim, erfand. Die alten deut: 
fhen Verſe haben oft nur Reime und faft gar fein Metrum. 


Es ift eine richtige Beobadhtung, wenn man fagt, baß 
Leute, bie zu viel nachahmen, ihre eigene Erfindungskraft ſchwä⸗ 
hen. Diefes ift bie Urfache bes Verfalls der italienifchen Bau⸗ 
kunſt. Wer nahahmt und die Gründe ber Nachahmung nicht 
einfiebt, fehlt gemeiniglich, fobald ihn die Hand verläßt, bie 
ihn führte, . 


In Werfen bes Gefhmads ift es fehr fchwer, weiter zu 
kommen, wenn man fchon einigermaßen weit ift, weil hierin 
ein gewiffer Grab von Vollkommenheit leicht unfer Vergnügen 
werben kann, fo daß wir nur diefen Grad, ber unfern ganzen 
Geſchmack ausfüllt, zum Endzweck unferer Bemühungen maden. 
In andern Stüden, bie nit bloß auf das Vergnügen gehen, 
verhält e8 fich ganz anders. Daher haben wir es in ben leßtern 
ben Alten weit zuvorgethan; in den eriiern ober ab wait u 


8 

tief unter ihnen, ohnerachtet wir fogar Mufter von ihnen vor 
uns haben. Dieſes kommt baber, weil das Gefühl des neuern 
Künftlers nicht fharf genug iſt; es geht nur bis auf bie körper⸗ 
lihen Schönheiten feines Mufters, nicht auf die moralifhen, wenn 
ih fo fagen darf. Man Bann das Gefiht eines reblichen Men: 
fhen fehen, man kann e8 aber auch gewiffermaßen fühlen. Das 
“ Lebtere ift das Erftere, verbunden mit einer Rüdficht auf bad Mo⸗ 
ralifhgute, womit wir in ihm oft bie Miene begleitet fahen. 
Was ich hier fagen will, wirb wohl jeber verftehen, für den ich 
eigentlich ſchreibe. So lange ber Künftler nur bloß nad ben 
Augen zeichnet, wirb er nie einen Laokoon herausbringen, ber 
etwas mebr als Zeichnung bat, der mit Gefühl verfertigt ift. 
Diefes Gefühl ift dem Künftler unumgänglich nöthig; aber wo 
fol er e8 fernen und wie? Unfere Afthetiten find bei weiten 
noch nicht praßtifch genug. 


NRouffeau nennt mit Recht ben Accent bie Seele ber Rebe 
(Emile T. I. p. 96). Leute werben von uns oft für bumm an: 
gefehen, und wenn wir e8 unterfuchen, fo ift e8 bloß ber ein⸗ 
fache Ton in ihren Reben, ber ihnen biefes Anfehen vor Dumm» 
beit gibt. Weil nun ber Accent bei den Schriften wegfällt, fo 
muß der 2efer darauf geführt werben, dadurch, daß man deut⸗ 
licher durch die Wendung anzeigt, two ber Ton hingehört, und 
biefes ift e8, was bie Rede im gemeinen Leben vom Brief uns» 
terfcheidet, und was auch eine bloß gebrudte Rebe von berjenis 
gen unterfcheiden follte, bie man wirklich hält. 


9 


Die Bersart den Gedanken anzumefien, ift eine fehr fchwere 
Kunft, und eine Bernadläffigung derfelben ift ein wichtiger Theil 
des Lächerlihen. Sie verhalten fi) beide zufammen wie im ge 
meinen Leben Lebensart und Amt. 


Sn ben Werken unferer Kunft werben befländig Dinge ver 
ſchwendet; Alles muß bei uns ftärfer gemadt werben, als es 
ber Gebrauch erfordert, weil wir nicht alle Umftände überfehen 
fünnen. Bei unfern Kleidern, Schränken, Stühlen, Häufern 
müffen wir allegeit in die wahre Gleichung der Dinge noch eine 
unbeflimmte Größe hinzufeßen, die wir nad) Gefallen verändern 
fünnen. Wenn ab hinreichend wäre, etwas zu erreidhen, ohne 
daß man das Geringfte davon nehmen Fönnte, fo müffen wir 
dafür ab-x nehmen, da die Natur allemal ab+d fegt, und 
auf einmal Alles beftimmt. Dur die Veränderung dieſes d 
madt die Natur Varietäten, und befördert bie gänzliche Verän⸗ 
derung, wenn es negativ wird. 


Den Männern haben mir fo viel feltfame Erfindungen in 


ber Dihtfunft zu danken, bie alle ihren Grund in dem Erzeu⸗ 


gungstrieb haben, 3.3. die Ideale von Mädchen. Es ift Schade, 
daß die feurigen Mädchen nicht von ben fchönen Jünglingen 
fihreiben dürfen, wie fie wohl könnten, wenn e8 erlaubt wäre, 
So ift die männliche Schönheit noch nicht von denjenigen Hän⸗ 
ben gezeichnet, die fie allein recht mit Feuer zeichnen könnten. 
Es ift wahrfcheinlih, daß das Geiftige, was ein paar bezauberte 


— — 


10 


Yugen in einem Körper erbliden, ber fie bezaubert hat, fich 
ganz auf eine andere Art dem Mäbchen im männlidhen Körper 
zeigt, als es fih dem Sünglinge im weiblichen entbedt. 


Gerade das Gegentheil thun, ift auch eine Nahahmung, 
und die Definition ber Nachahmung müßte von Rechtswegen 
Beibes unter fi begreifen. Diefes follten unfere großen nach⸗ 
ahmenden Driginalföpfe in Deutfchland beberzigen. 


„Unfere Profe, fagt man, ginge fo: ftolz, und unfere Poefte 
fo demüthig einher « — ift denn das etwas fo gar Abſcheuliches? 
Die Profe ift Tange genug zu Fuße gegangen (pedestris oratio), 
und mich dünkt es wäre nun einmak Zeit -für die Poefle, abzu⸗ 
fteigen, um bie Profe reiten zu laffen. 


Was für ein Werk ließe fich nicht über Shafefpear, Hogarth 
und Garrif fchreiben! Es ift etwas hnliches in. ihrem Genie: 
anfchauende Kenntniß des Menfchen in allen Ständen, Andern 
buch Worte, den Grabftichel und Geberden verftändlich ge= 
macht. 


Beim Robinſon Cruſoe iſt die Deutung der bibliſchen Stellen 
bei jeder Gelegenheit auf ſich ſehr ſchön und natürlich. Es iſt 
dieſes allezeit das Zeichen eines guten und bedrängten Herzens 
und für den Kenner ſehr rührend. 


11 


Der Iheatermenfch, ber Romanenmenfh, bas find Tauter 
eonventionelle Gefchöpfe, die ihren Werth haben, sicut nummi: 
und fi) ohne Rüdfiht auf den natürliden Menfchen idealifiren 
laſſen. Allein der Zufchauer ift felten fo verborben, daß er nicht 
den natürlihen Menfchen mit Vergnügen erkennen follte, fobald 
er auf die Bühne tritt. 





Die erfte Hegel bei Romanen fowohl als Schaufpielen ift, 
daß man die verfehiedenen Charaktere gleihfam wie die Steine 
im Schadfpiel betrachtet, und fein Spiel nicht durch Beränbes 
rung der Gefege zu gewinnen ſucht, nad) welchen ſich dieſe 
Steine richten müffen; alfo nicht den Springer wie einen Bauern 
zieht und dergleihen; 2) muß man biefe Charaftere genau bes 
fiimmen, und fie nicht außer Activität fegen, um feinen Ends 
zweck zu erreihen, fondern nur durch die Wirkfamfeit berfelben 
gewinnen wollen. Das nicht thun, beißt Wunder thun wollen, 
die immer unnatürlich find. 


Wenn man bie Gefchlechter nicht an den Kleidungen erfens 
nen Zönnte, ja überhaupt die VBerfchiedenheit des Gefchlechts er- 
rathen müßte, fo würde eine neue Welt von Liebe entftehen. 
Diefes verdiente in einem Roman mit Weiöheit und Kenntniß 
ber Welt behandelt zu werden. 


Es gibt, wie ich oft bemerft babe, ein untrügliches Zeichen, 
od der Mann, ber eine rührende Stelle ſchrieb, wirklich dabei 


12 


gefühlt hat, ober ob er aus einer genauen Kenntniß des menſch⸗ 
lihen Herzens bloß durch Berftand und fehlaue- Wahl rührender 
Züge uns Thränen abgelodt hat. Im erftien Kal wird er nie, 
nachdem die Stelle vorüber ift, feinen Sieg plötzlich aufgeben. 
So wie bei ihm ſich bie Leidenfchaft fühlt, kühlt fie fi) auch 
bei uns, und er bringt uns ab, ohne daß wir es wiffen. Hin⸗ 
gegen im legtern Fall nimmt er fih felten die Mühe, ſich feines 
Sieges zu bedienen, fondern wirft ben Lefer oft, mehr zur Bes 
mwunberung feiner Kunft, als feines Herzens, in eine andere Art 
von Berfaffung hinein, bie ihn felbft nichts koſtet, als Witz, 
ben Lefer aber faft um Alles bringt, was er vorher gewonnen 
hatte. Mich bünft, von ber Iektern Art ift Sterne. Die 
Ausdrüde, womit er Beifall vor einem andern Richterſtuhl er- 
balten will, vertragen fich fehr oft nicht mit dem Sieg, den er 
fo eben vor dem einen erhalten hatte. 


Sterne und Fielding. 


Sterne ſteht nicht auf einer fehr hohen Staffel, nit auf , 


dem ebelften Wege. Fielding fteht nicht ganz fo hoch, auf 
einem weit edlern Wege. Es ift der Weg, ben derjenige betres 
ten wird, der einmal ber größte Schrififteller der Welt wird, 
und fein Fündling ift gewiß eines ber beften Werke, bie je 
gefchrieben worden find. Hätte er uns ein Plein wenig mehr 
für feine Sophie einzunehmen gewußt, und wäre er da, wo wir 
nur ihn bören, oft kürzer gewefen, fo wäre vielleicht gar kein 
Werft darüber. 





\ 13 


. ’ 

Eine glüdliche Situation in einem Stüd ausgefunden, macht 
die übrige Arbeit leicht; die, die eine Sade bloß mit Einfällen 
verfhönern wollen, haben eine Höllenarbeit. 


Die Dichter find vielleicht eben nie bie weifelten unter ben 
Menfchen geweſen; allein es ift mehr al8 wahrfcheinlidh, daß fie 
und da8 Beſte ihres Umgangs und ihrer Gefellfchaft Liefern. 
Da Horaz uns fo viel Vortreffliches binterlaffen bat, fo denke 
>» ih immer, wie viel Bortrefflide® mag nicht in den Gefellfihaf- 
ten gefprochen worden fein; benn fchwerlich haben bie Wahrhei⸗ 
ten den Dichtern mehr als das Kleid zu banken. Das fehöne 
Rectiu; vives, Licini, etc. ift das Medio tutissimus ibis der 


Geſellſchaft. 


Man muß fi ja vorſehen, wenn man von einem geſetzten, 
rechtfchaffenen Manne etwas Empfindfames erzählt, daß es nicht 
mit vielen Worten geſchieht; man muß es ſo in der Erzählung 
unterdrücken, wie es der Mann in Gegenwart Anderer thun 
würde. Es iſt nun einmal in der Welt fo, daß die äußere Be: 
jeugung eines innern Gefühls durch Geberden und Mienen, die 
uns nicht Poften und daher auch oft nachgemacht werden, felten 
für anftändig und immer für unmännlich gehalten werden. Nun 
verfallen aber unfere dramatifchen Dichter und Romanenfchreiber 
gerade in dad Gegentheil. Nichts ale Empfindungsbezeugungen 
erzählen fie uns. Debwegen baffen wir bie Gefellfehaft ihrer 
Helden, wie die von Schulknaben. 


14 


3% glaube, ber ſchlechteſte Gedanke kann fo gefggt wer- 
ben, daß er bie Wirkung bes beften thut, follte auch" das letzte 
Mittel diefes fein, ihn einem ſchlechten Kerl in einem Roman 
ober einer Komödie in ben Mund zu legen. 


Man muß feinem Werd, bauptfählid Feiner Schrift bie 
Mühe anfehen, die fie gefoftet hat. Ein Scriftfieller, ber noch 
von ber Nachwelt gelefen fein will, muß es fich nicht verdrießen 
laſſen, Winfe zu ganzen Bühern, Gedanken zu Disputationen 
in irgend einen Winfel eines Kapitel hbinzumwerfen, daß man 
glauben muß, er habe fie zu Taufenden wegzuwerfen. 


Es gibt eine Art von Ironie, bie wohl einmal. eines Ver⸗ 
fuhs wert) wäre. Man müßte nämlich die Zweifel, die man 
gegen eine Sache bat, mit einem gewiffen ftarfen Anfchein von 
Güte des Herzens und von der Nichtigkeit ber Meinung, bie 
man beftreitet, vortragen. Ich will mich Durch ein Beifpiel beut« 
licher erklären. Es könnte einer über die Genugthuung an Hrn 
2... ober fonft jemand fo fchreiben: Ich babe unmaßgeblich 
gedacht, da der liebe Gott nichts an den Pflanzen und Thieren 
zu ändern gefunden, fondern fie fo gelaffen hat, wie fie anfüng» 
lich waren, fo wäre ed, meiner einfältigen Einficht nach, doch 
ganz fonderbar, daß er an dem Menfchen, den er body nad 
feinem Bilde gemacht bat, fchon nach Verlauf von ein paar 
tauſend Jahren cine Reparation nöthig gefunden haben follte, 
und noch dazu von ber Art, baß er etwas thun mußte, was 


15 


die Nachwelt faum glauben kann, nämlich feinen Sohn von 
Himmel berabfhiden. Wollen Em. Wohlgeboren gütigft bemer⸗ 
ten, daß die große Abweichung bes Menfchen von feinem erftern 
volltommenern Zuſtande eine Folge ber in ihn gelegten Freiheit 
war, daß ihn aber fein Hang zur Veränderlichkeit endlich von 
jelbft wieder zurggegebracht haben würde? u.f. mw. 


Was hilft das Lefen der Alten, fobald ein Menfch einmal 
den Stand ber Unſchuld verloren bat, und wo er hinfieht, überall 
fein Syftem micder findet? Daher urtheilt der mittelmäßige 
Kopf, es fei leicht, wie Horaz zu ſchreiben, weil er es für leicht 
hält, befier zu fehreiben, und weil dieſes beffer zum Unglüd 
ſchlechter ift. Se älter man wird (vorausgefegt, daß man mit 
dem Alter weifer werbe), defto mehr verliert man die Hoffnung, 
beſſer zu fihreiben, als die Alten. Am Ende fieht man, daß 
das Eichmaaß alles Schönen und Richtigen die Natur ift, daß 
wir dieſes Maaß alle in uns tragen, aber nur fo überroftet von 
Vorurtheilen, von Wörtern, wozu die Begriffe fehlen, und von 
falfchen Begriffen, baß fi} nichts mehr damit mefjen läßt. 


Bielleiht wird bald eine Zeit fommen, wo wir fehen wer: 
den, daß wir in mandhen Stüden über den Alten find, in denen 
wir uns jegt unter benfelben glauben. In der Bildhauerkunft 
und Malerei ift diefes nur allzu klar. Winkelmann war ein 
Enthufiaft, ein Mann, der für die Alten eingenommen wär, 
und fih felig pries, als er ben claffifchen Boden betrat; ber 


16 


feinen Gefhmad nah den Muftern bildete, die er richten follte. 
Bacon's Venus in der Exhibition in Pal-Mall könnte allemal, 
glaube ih, neben ber mebiceifchen ftehen. Es gehört fchon viel 
bazu, nad fo vielem Lärm, ſich in diefer Kunft hervorzuthun, 
ohne ben Entfhluß, nah Rom zu geben, fi) dem vaticanifchen 
Apoll zu Füßen zu werfen. Ale reifen hin, „J der Abficht ihn 
anzubeten, aber Peiner, feine Gottheit zu unterfuchen. 


Es gibt einem Ausdruck eine große Stärke, wenn ein Wort 
eine Beziehung auf mehrere folgende bat, bie an ſich nicht 
ſchlechtweg unter eine Claſſe gehören. Go fügt 3. B. der Ber: 
faffer eines Briefed gegen die (amerikaniſchen) Colonieen: Their 
distance from Britain, and, as ihey conceived, from cha- 
stisement, not a little forwarded this disposilion etc. Dieſes 
dient nur, meinen Gedanken zu erläutern. Solde Berbindun« 
‚ gen von Worten fommen im Gefpräd) felten vor, weil man ba 
nicht Zeit bat fie anzupaffen, und find deßwegen für gefchries 
bene Profe vornehmlich ſchicklich, als ein Unterfheidungszeichen. 
Denn, ganz abgezogen von Sachen und Inhalt, hat die Profe 
ihre eigenen mannichfaltigen Verbindungen, bie oft nicht leicht 
find und Schwierigfeiten haben, wie ber Reim und das Sylben⸗ 
maaß in ber Poefie. Man findet fie häufig in guten Schrift 
fielen. Junius bat fie fehr oft. In dem Gefpräh kommen 
fie zumweilen vor, fo wie die halben Alerandriner ober bie Reime 
in ungebundener Rede. Aber von der münblichen Rebe ift bie 
gejchriebene Profe, die eigentlich fo genannte Profe, ganz vers 


17 


ſchieden, und in fo fern hatte der bourgeois gentilhomme im 
Moliere reht, wenn er ſich mwunberte, baß er beftändig Profe 
gefproden. — Man wird bei allen Menfchen von Geift eine 
Neigung finden, ſich kurz auszubrüden, gefhwind zu fagen, 
was gefagt werben fol. Die Sprachen geben baber keine ſchwa⸗ 
chen Kennzeiheiepon dem Geift einer Nation ab. Wie fchwer 
ift es nicht einem Deutfchen,. den Tacitus zu überfeen! Die 
Engländer find. fhon coneifer, als wir; ich meine ihre guten 
Schriftſteller. Sie haben einen großen Vorzug darin vor uns, 
daß fie befondere Wörter für bie Species haben, wo wir oft 
das genus mit einer Limitation gebraudhen, weldes Weitläufe 
tigkeit macht. Es könnte nicht ſchaden, wenn man in jeber 
Periode die Worte zählte, und fie jedesmal mit ben wenigften 

auszubrüden fuchte. | 


Um wisig zu fohreiben, muß man fi mit ben eigentlichen 
Kunftausprüden aller Stände gut befannt machen. Ein Haupt: 
wer? in jedem, nur flüchtig gelefen, ift hinlänglid; denn was 
ernfthaft feicht ift, kann wigig tief fein. 


Ein Unterfchied zwifchen unfern Dichtern und benjenigen 
alten, die ich kenne, und einigen Engländern, ber einem gleich 
in die Augen fällt, ift ber, daß biefe felbft in ihren Oben Dinge 
gefagt haben, die nachher bie Philofophen brauchen fünnen; bas 
gegen felbft diejenigen unter uns, bie großes Auffehen unter 
der Jugend und einigen bejahrten Bornehmen gemacht haben, 

II. 2 


18 


nichts zu Stande bringen, das weiter zu gebrauchen wäre. Die 
Sprache ber alten Dichter ift die Sprache der Natur, ſchon in 
‚ eine menfchlihe überſetzt; unfere neuern fprechen bie Sprache 
der Dichter unabhängig yon. Empfindung, das heißt, eine ver 
rüdte; was fie fagen, bat fcheinbaren Zufammenhang, und ift 
oft zufälliger Weife richtig. Die Urfache ift, bilden fich nicht 
durch Beobachtung, fondern durch Leſen, und man kann ja 
nicht verſtehen, wovon man keinen Begriff bat. Sie glauben, 
die gerühmten Alten wären das, wofür fie fie anfehen, und 
ahmen fie als folhe nad. Horaz hat gewiß nicht für Leute ges 
fhrieben, bie von einer Stabtfchule auf Univerfitäten gehen; 
nicht einmal für die Lehrer folcher Zeutez er konnte nicht für 
fie fchreiben, nachdem er an dem erften Hofe der Welt gelebt 
hatte. Jedermann ſchreibt am leichteften für die Claſſe von 
Menſchen, unter die er gehört, wobei ich nicht die meine, unter 
die er in der Welt laut gerechnet wird. Wenn wir das hätten, 
was Horaz als Primaner gefchrieben hat, das möchte vielleicht 
einem Primaner ganz verſtäudlich fein, wenigftens einem römi⸗ 
fhen. Ich fage nicht, daB ein Dichter Tauter Schönheiten haben 
fol, die nur dem Weltkenner verftändlich find. Nein, ſie follen 
auch bierin ber Natur folgen, die für das bewaffnete und un: 
bewaffnete Auge, ja felbft für den Blinden ihre Schönheiten bat. 

Viele, die biefes Tefen, werben ſich oft heimlich gefagt has 
ben, daß ihnen die Alten nicht fo fchmeden, als manche Neuere. 
IH muß bekennen, es ift mir felbft fo gegangen; ich habe manche 
bewundert, ehe fie mir gefallen haben; hingegen haben mir auch 


19 


manche gefallen, ehe ich fie verftanden babe. Und ich bin über 
zeugt, es geht manchen Perfonen fo, die Commentarien über 
diefe Werke fchreiben. Ich babe den Horaz lange vorher bewun⸗ 
dert, ehe er mir gefallen bat; ich mußte es thun, fo wie man 
in Wien niederfallen muß, wenn ba8 kommt, was man bort 
das Benerabile munt. Und Milton und Birgil haben mir eher 
gefallen, ehe ich fie verftanden babe. Nachdem ich bekannter 
mit der Welt geworben bin, nachdem ich angefangen habe, felbft 
Bemerkungen über den Menfhen zu mahen — nicht niederzu: 
fchreiben, fondern nur aufmerffam zu fein — und mid dann, 
wenn ich diefe Schriftfteller Tad, meiner Bemerkungen wieder zu 
erinnern, da fand id, daß das, was ich in jenen Dichtern als 
unbrauchbares Geftein weggemworfen hatte, gerade das Erz war. 
Ih verfuchte e8 nun mit andern Stellen, mit benen meine Bes 
merfungen noch nicht zufammengetroffen waren; fie machten mich 
im gemeinen Leben aufmerffam, und feit der Zeit (ich befenne 
gern, daß e8 noch nicht lange if) wächſt meine Bewunderung 
jener Männer täglih, und ich fchäge mich glücklich, daß ich 
von Grund meines Herzens überzeugt bin, daß fie die Unſterb⸗ 
lichkeit verdienen, bie fie erhalten haben. 

Wer fih in diefer Art die Alten zu lefen etwas geübt bat, 
der gehe nun einmal zu ben Neuern über. Gr wird nit allein 
feine Beſchäftigung finden, fondern wird oft einen geheimen 
Unwillen verfpüren, wenn gr fiebt, was für einen Ruhm biefe 
Leute erhalten haben, und baß e8 einem für Unverftand ausge⸗ 
legt werden würde, wenn man es Öffentlich bekennen wollte. 

2* 


20 


Allein ich denke, laßt fie geben; fie gehen gewiß nicht durch das 
feine Sieb, womit die Zeit unfere Werke der Ewigkeit zufichten 
wird. Kein Buch kann auf die Nachwelt gehen, das nicht die 
Unterfuchung bes vernünftigen und erfahrnen Weltkenners aus—⸗ 
hält. Selbit bie Zarce, bie Schnurre muß Ergösgung für biefen 
Mann enthalten, und fie kann es, wenn fie zur Ewigkeit gehen 
fol. Gefchieht es zumeilen, daß ſolche Dinger ohne innern 
Werth doch fortbauern, fo ift e8 mehr den meffingenen Krams 
pen zuzufchreiben. Der Beifall der Primaner und der Beitungs: 
fihreiber ift, fo wie ihr Tadel, in Abficht des Ruhms eines 
Werks, was ein Tropfen im Weltmeer ift. Ihren gerechten 
Tadel wirb ber Feld ber Vergeſſenheit, ber fchon hängt, um 
fi) über alles Elende zu wälzen, mit dem Werke zugleich be- 
beden; und mit ihrem ungerechten können fie fo wenig eis 
nem Werk den Weg zur Unfterblichfeit verfperren, als bie eins 
tretende Fluth mit einem Kartenblatt zurüdfächeln. Dem Ber 
faffer können fie allerdings fchaden ; den Leib können fie töbten, 
aber die Seele nicht. In den taufend und einer Radıt ift mehr 
gejunde Vernunft, als viele von den Leuten glauben, die Aras 
biſch lernen, fonft hätten wir vermuthlich fchon Überfegungen 
von ben übrigen Bänpen.*). 


) Bekanntlich ift feitdem wirklich eine Fortfegung diefer une 
terhaltenden Erzählungen ſowohl franzöfifch als deutſch erfchie: 
nen. Das arabifhe Original brachte ein eingeborner Araber, 
Don Chavis (Charis) in die ehemals Fönigliche Bibliothet nach 


21 


Ich glaube, daß fi) Zeberreime fchreiben laffen, die, ohne 
ben Regeln biefer erhabenen Dichtungsart im geringften zu nahe 
zu treten, dem Weiſen felbft fo viel Vergnügen machen könnten, 
als eine Stelle aus bem Homer. Das Präbicat: Poffen fommt 
einem Wer? des menfchlichen Witzes vorzugsweiſe zu, allein ein 
armer Tropf fchreibt Poffen in allen Claſſen ber Wifjenfchaften. 


Ein guter Ausdrud ift fo viel werth, als ein guter Gedanke, 
weil es faft unmöglich ift, fi) gut auszuprüden, ohne das Aus- 
gebrüdte von einer guten Seite zu zeigen. 


Unfere neuen Kritifer preifen uns im Stil die edle und un⸗ 
gekünftelte Einfalt an, ohne uns dur ihr Beifpiel auf biefe 
edle Einfalt zu führen. Alles, was fie zu fagen wiffen, ift, baß 
fie uns.auf die Alten verweifen — in ber That eine Art zu ver: 
fahren, bie nichts anders al8 gefährlich fein kann. Nicht jeber, 
der edeleinfältig fehreiben ſoll, kann die Alten lefen — Bas wäre 
fürwahr zu viel verlangt; von dem aber, ber eine folche Forde⸗ 
rung thut, kann man mit Recht mehr verlangen. Er muß fi 
erklären. Der meifte ‘Theil der Menfchen, deren Stil als nicht 


Paris und überſetzte e8 wörtlich ins Franzöfifche. Diefe Über: 
fegung bildete Cazotte um, und gab fie zu Genf in vier 
Bünden (unter dem Titel: Suite des mille et une Nuits etc. 
1788. 1789) heraus; und nach diefer wurde die deutſche über— 
fegung in ber Blauen Bibliothek gemadt, von ber fie 
den fünften bis achten Band einnimmt. 


22 


fimpel genug getabelt worden ift, hat, wenn er fchrieb, immer 
eine gewiſſe Spannung bei fi) ver'pürt, eine gewifje Aufmerk: 
ſamkeit, nichts zubringen zu lafien, was fchleht wäre; nım 
wollen fie ganz edel und fihlechtweg ſchreiben, laſſen von biefer 
&pannung nah, und nun dringt alles Gemeine zu. Simpel 
und edelfimpel zu fchreiben, erfordert vielleicht bie größte Span« 
nung ber Kräfte, weil, bei einem allgemeinen Beftreben unferer 
Seelenträfte, gefallen zu wollen, fi nichts fo leicht einfchleicht, 
ale das Geſuchte. Es wird außerdem eine ganz eigene Art dazu 
erfordert, bie Dinge in ber Welt zu betrachten, bie eher das 
Werk eines nicht fehr belefenen ſchönen Geiftes, als eines Stu⸗ 
diums bes Altertbums if. Wenigftens glaube ich, fol man bie 
Simplicität nie aus anderen Schriften zuerft kennen lernen wol⸗ 
In. Wer fo viel Latein verfteht, bag er ben Horaz ohne An⸗ 
ftand Iefen Fann, und nicht bloß an einigen Sentenzen beffelben 
Bergnügen findet, fondern fpürt, daß, troß einer oft überrafchen« 
den Schönheit, dennoch fein Gefühl immer mit dem Horazifchen 
gleich gebt, der kann bernach ben Horaz zu feinem Unterricht 
lefen, und wird das, was in ibm Schönes liegt, alddann noch 
mehr entwideln. Wer aber gehört hat, Horaz fei ſchön, Tieft 
ihn, ohne ihn wirklich feiner Empfindung barmonifch zu finden, 
merft fi einige Züge und ahmt ihn nach; der muß entmweber 
ein fehr feiner Betrüger fein, ober es wird allemal unglücklich 
ausfallen. Ein folder Echriftfteller wird allemal glauben, er 
habe ibn übertroffen, fo oft er eine Zeile niederfchreibt, und dieß 
zwar befmwegen, weil er die Schönheiten des Horaz als abfolut 


u 23 


für fich beſtehend anfieht, und nicht bedenkt, daß fie in einem 
gewiffen Verhältniß mit ber menfchlichen Natur ftehen, das er 
nicht Pennt, alfo nicht weiß, wo ber Punkt ift, unter welchem 
feine Schönheit, und über welchem Feine Simplicität mehr flatt: 
findet. - 


Nicht Jedermann ift ed gegeben, fo zu fehreiben, wie e8 dem 
Menfhen in abstracto zu allen Zeiten und in allen Weltaltern 
gefallen muß. In einer Berfaffung der Welt, wie die jekige, 
gehört viel Kraft dazu, um immer im Wefentlichen zu wachfen, 
und fehr viel Ballaft, um nicht, wenn Alles ſchwankt, auch mit 
zu ſchwanken. Auf diefe Art natürlich zu ſchreiben, erforbert 
unftreitig bie meiſte Kunft, jeko da wir meiftens.tünftlihe Men» 
hen find. Wir müffen, fo zu reben, dad Coſtume des natürs 
lihen Menfchen erft fiudiren, wenn wir natürlich fehreiben wol« 
len. Philoſophie, Beobachtung feiner felbft, und zwar genauere 
Maturlehre des Herzens und der Seele überhaupt, allein, und 
in allen ihren Verbindungen, biefe muß berjenige flubdiren, der 
für alle Zeiten fchreiben will. Das ift der feite Punkt, wo fich 
gewiß bie Menfchen einmal wieder begegnen, es gefchehe auch 
wenn e8 wolle. Iſt ein folder Gefhmad der herrfchenbe, fo ift 
der Werth des menfchlihen Gefchlehts, mit ben Mathematikern 
zu reden, ein Größtes, und Fein Gott kann es höher bringen. 
Wer nur für etliche Jahre, nur für eine Meffe, oder nur für eine 
Woche fchreibt, fommt mit Wenigerm aus. Er barf nut neuere 
Schriftfteller Iefen, die Gefellfchaften feiner Beit befuchen, fo 


24 


gibt fih, wofern er nur ein Menfh ift, wie man ihn in bie 
Haushaltung braucht, das Übrige von ſelbſt. Der Gebanke, daß 
es fo außerordentlich leicht ift, Schlecht zu fehreiben, bat mid) 
daher oft befchäftig. Ich meine nicht, baß es leicht fei, etwas 
Schlechtes zu fchreiben, das man felbft für fehlecht hielt, nein! 
fondern, daß es fo leicht ift, etwas Schlechtes zu fchreiben, das 
man für fehr fchön hält. Hierin liegt das Demüthigende. Ich 
zeichne eine gerade Linie, und die ganze Welt fügt: „das ift 
eine frumme» — ich zeichne noch eine, diefe wird gewiß gerade 
fein, vente ih; und man fagt gar: „o! biefe ift noch Erummer.«“ 
Was ift da zu thun? Das. Befte ift, Feine gerade Linie mehr 
gezeichnet, und dafür anderer Leute gerade Linien betrachtet, oder 
felbft nachgedacht. | 


Es ift ein großer Rednerkunſtgriff, die Leute zumeilen bloß 
zu überreden, wo man fie überzeugen könnte; fie halten ſich 
alsdann oft da für überzeugt, wo man fie bloß überreben kann. 


Mir ift nichts abgefhmadter in unfern Schaufpielen, als 
die wohlgeſetzten Neben, die auf ben Knieen gehalten werden. 
Man wird nach und nach auch fo fehr daran gewöhnt, daß es 
nicht viel größern Eindrud macht, Jemanden auf den Knieen 
zu frhen, al8 wenn er die Arme kreuzt. Wenn mich mein eiges 
nes Gefühl nicht betrügt, fo kniet man nicht leicht vor einem 
Menjchen, und nicht eher als bis die Sprache zu falen anfängt. 
Wer mit feinem Knieen fo fertig ift, und feine Betheurungen fo 


25 


regelmäßig herſagt, der iſt ohne Zweifel ein Betrüger. Ich for⸗ 
dere die Herzen aller derjenigen auf, die irgend einmal in der 
Welt einen Menſchen vor einem Menſchen aus Affect haben knieen 
ſehen, oder ſelbſt einmal gekniet haben; und frage, ob es billig 
iſt, mit dieſem größten und ehrwürdigſten Zeichen des innerſten 
Affects, das bie menfchlice Natur bat, jede Eleine vorübergehende 
Wallung des Blutd zu bezeichnen? Sch babe ein einzigesmal 
einen Mann im Ernft Enieen fehen, und als er binfiel, fo war 
es mir, als entginge mir der Athem. 


Eine Stodhausfeene foll- fi) vortrefflich auf dem Theater 
ausnehmen. Es müßten ba die Spigbuben über Freiheit und 
Ehrlichkeit mit einander bisputiren. 


Sich erfi eine Abfiht zu wählen und einen Endzweck feſt⸗ 
zufegen, und dann Alles, auch fogar das Geringfte in der Welt 
diefer Abficht unterwürfig zu machen, ift der Charakter des vers 
nünftigen und großen Mannes und großen Schrififtellers. In 
einem Wer? muß jede tiefinnige Bemerkung, fo gut wie jeder 
Scherz dazu dienen, die Hauptabfiht ficher zu erhalten. Auch 
wenn ber Zefer vergnügt werden fol, vergnüge man ihn fo, daß 
die Hauptabficht dadurch erreicht wird. 


Die feinfte Satire ift unftreitig die, deren Epott mit fo 
weniger Bosheit und fo .vieler Überzengung verbunden ift, daß 
er felbft: Diejenigen zum Lächeln nöthigt, bie er trifft. So fpradh 


26 


Lord Chefterfield im Oberhauſe. Dr. Maty fagt von dieſem 
großen Redner: «Ele reasoned best, when he appeared not witty; 
and while he gained the affections of his hearers, he turned 
the laugh on his opposers, and often forced them to join in it.» 


Es ift eine fehr fhöne Bemerkung von Prieftley, daß ber 
bifderreichfte Stil eben fo natürlich ift, als der einfachſte, ber 
nur die gemeinften Worte gebraudt; denn wenn bie Seele in 
der gehörigen Lage ift, fo fommen jene Bilder ihr eben fo na 
türlich vor, als diefe fimpeln Ausdrüde. 


Ein guter Charakter für eine Komödie ober einen Roman 
ift der, der Alles zu fein verfteht, weil er ein gutes Gewiſſen 
bat, und Alles deutet und zu feinem Schaden nupt. 


Gin guter Scriftfteller hat nit allein Witz nöthig, bie 
Ähnlichkeiten auszufinden, wodurch er ſeinem Ausdruck Anmuth 
verſchaffen kann, ſondern auch die zu vermeiden, die dem Leſer 
zum gänzlichen Verderben deſſelben einfallen können. Zu oft iſt 
nicht ſowohl das, was der Autor ſagt, dem Eindrud, ben er 
maden will, nadıtheilig, als das, was bem Lefer, deſſen Ges 
danfen minder ängftlich fortgehen, dabei einfällt, und woran er 
felbft nicht gedacht bat. 


Bei einem Roman follte hauptfächlicy darauf gefehen wer: 
den, die Irrthümer ſowohl, als die Betrügereien aller 


Stände und aller menfchlichen Alter zu zeigen. Hierbei Fönnte 
fehr viel Menfchentenntniß angebracht werben. 


Nichts erwedt bie Neugierde der Jugend mehr, als Frag: 
mente nüglicher Kenntniffe in angenehme Gedichte eingewebt. 
Thomſons Jahrszeiten find ein Meifterftüd hierin, und haben 
wohl in manchem Engländer bie Liebe zur Natur erweckt. 


Wer, wie Boileau, den zweiten Vers zuerft madt, und 
ibm ale möglide Geſchwindigkeit und Fluß ertheilt, wird ges 
funden haben, wie ſchwer es ift, dem erften foldhe Füße zu ges 
ben, daß er nachkommen kann. Doch ift e8 immer beſſer, als 
dem erften eine Geſchwindigkeit zu geben, womit er den zweiten 
über den Haufen rennt, und beide zufammen flürzen. 


Es wäre eine rührende Situation, Jemanden vorzuftellen, 
ber des Nachts plöglic” blind würde, und glaubte, die Nacht 
dauerte fort. Er nimmt fein Feuerzeug und fchlägt, und kann 
feine Funken berausbringen, und dergl. m. 


Der wahre Wit weiß ganz von ber Sache entfernte Dinge 
fo zu feinem Vortheil zu nugen, baß ber Lefer denken muß, ber 
Schriftſteller babe fich nicht nach der Sache, fondern bie Sache 
nad ihm gerichtet. 


N 


An Werthern gefällt mir das Lefen feines Homers nicht. 


28 


Es ift fubtile Prahlerei, daß der Mann etwas Griechiſches leſen 
fonnte, während anbere Leute etwas Deutfches leſen müſſen. 
Daß deutſche Schriftſteller ſo oft ihre Helden mit einem Grie— 
hen in ber Hand fpazieren laſſen, ift deutfche Prahlerei, Zei- 
tungs » und Sournalenleferei. Literärifches Verdienſt ift in 
Deutfchland leider der Maaßſtab von wahrem Werth geworden, 
weil Schulfüchſe den Thron des Gefhmads ufurpiren. Anftatt 
einen Helden immer in feinem Homer lejen zu laffen, wollte 
ic ihn lieber in das Buch fehen laffen, aus dem Homer feldft 
lernte; das wir ganz ohne Barlanten, ohne Dialekte vor uns 
haben. Es ift von bdiefen tiefen Kennern des Geſchmacks gar 
nicht ſchön, baß fie eine Kopie ſtuditen, während‘ fe das Origi⸗ 
nal vor ſich haben. 


Es iſt mit den Sinngedichten, wie mit den Erfindungen 
überhaupt: die beſten ſind ebenfalls diejenigen, wobei man ſich 
ärgert, den Gedanken nicht ſelbſt gehabt zu haben. Das iſt es 
wohl, was die Leute meinen, wenn ſie ſagen, der Gedanke müſſe 
natürlich ſein. 


Was eigentlich den Schriftſteller für den Menſchen ausmacht, 
iſt, beſtändig zu ſagen, was der größte Theil der Menſchen denkt 
oder fühlt, ohne es zu wiſſen. Der mittelmäßige Schrift: 
fteller fagt nur, was Jeder würde gefagt haben. Hierin bes 
fteht ein großer Vortheil zumal der dramatifchen und Romanen: 
dichter. 


29 


Es fol Menfchen gegeben haben, die, wenn fie einen Ges 
danken nieberfehrieben, auch fogleich. die befte Form dafür ges 
troffen haben folen. Ich glaube wenig davon. Es bleibt alle 
mal bie Frage, ob ber Ausdrud nicht befjer geworben wäre, 
wenn fie den Gedanken mehr gewandt hätten; ob nicht Pürzere 
Wendungen möglich gewefen wären; ob nicht manches Wort 
hätte wegbleiben fünnen, u. dergl. — Gleich auf den erften 
Wurf jo zu fihreiben, wie 3. B. Taritus, liegt nicht in ber 
menfchlichen Natur. Um einen Gebanfen recht rein barzuftellen, 
bazu gehört vieles Abmwafchen und Abfüßen, fo wie einen Körper 
rein darzuftellen. Um fi} biervon zu überzeugen, vergleiche man 
nur bie erften Ausgaben der Reflexions von Rochefoucauft mit 
den fpätern. Man fehe die Ausgabe des Abbe Brotier (Paris 
1789), fo wird man finden, was ich gefagt habe. Wenigftens wird 
es kaum möglich fein, gleich das erftemal fo zu fehreiben, baß man 
eine Schrift öfters wieder lieft, und immer mit neuem Bergnü- 
gen. Brotier drüdt fih in eben diefer Ausgabe vortrefflich hier: 
über aus. Er fagt: Corneille, Bossuet, Bourdaloue, la 
Fontaine et la Rochefoucault ont pense et nous pensons avec 
cux, et nous ne cessons de penser, et tous les jours ils nous 
fournissent des pensees nouvelles; que nous lisons Racine, 
Flechier, Neuville, Voltaire, ils ont beaucoup: pense, mais 
ils nous laissent peu à penser apres eux. Tels sont dans 
les arts Raphael et Michel Ange, qui ont anime et animent 
encore tous les arlistes, tandisque Guido et le Berain plai- 
sent, sans qu'il sorte de leurs ouvrages presque aucune 6tin- 


30 
celle de ce feu, quı porte la lumiere et la chaleur.» — Aud 
verliert fi bei öfterm Hin⸗ und Herwenden bed Gedankens ber 


Kiel zu glänzen, und man ftreicht weg, was bloß des Glan» 
zes wegen daſteht. 


Die Vorſchriften, wie man Verſe machen ſoll, mögen wohl 
an ſich gut ſein und Kenntniſſe verrathen, aber mir kommen ſie 
immer vor, wie das ſonſt vortreffliche Sir Digby Recept Krebſe 
zu machen: man nehme einige alte Krebſe, ſtoße ſie klein und 
gieße Waſſer darüber. 


Die deutſchen Geſellſchaften fegen Preiſe auf das beſte 
Trauerſpiel; unſer Vaterland ſcheint nicht das Land der Trauer⸗ 
ſpiele zu ſin. Warum ſetzen ſie nicht einmal einen Preis auf 
ein philoſophiſches Gedicht, wie das des Lucrez, oder auch nur 
eines über die Elektricität in dem Geſchmack? Ich glaube, daß 
dieſe Lehre der größten und erhabenſten Darſtellung fähig wäre; 
da könnte man wagen, was man in einem philoſophiſchen Trac⸗ 
tat nicht wagen dürfte. 


Das, wad man wahr empfindet, auch wahr auszubrüden, 
da8 heißt, mit jenen Bleinen Beglaubigungszügen der Selbſtem⸗ 
pfindung, macht eigentlich den großen Schriftfteller; die gemei⸗ 
nen bedienen fich immer ber Redensarten, das immer Kleider 
vom Trödelmarkt find. 


31 


Ein großer Griff in ber Berfification ift es, verwickelte Con» 
ſtructionen, dergleichen man in Profa macht, aud im Vers an⸗ 
zubringen, und doch fich herauszumideln, ohne weder dem Einn, 
noch dem Reim Gewalt anzuthun. Ich verftehe mich bier felbft 
fehr wohl, finde aber, duß ich mich nicht für Andere deutlich 
ausdrücke. Thümmel in feinen Heifen nad bem ſüdlichen 
Frankreich hat fih in dem, was ich meine, hauptfädhlich als 
einen großen Meifter bewiefen. 


Wir haben eigentlih nur Ableger von Romanen und 
Komödien; aus dem Samen werden wenige gezogen. 





B. befitt großes Dichtertalent; aber es ift bei ihm in eine 
fremde Materie gefaßt, fo wie bei den Bleiftiften das Reisblei 
in Holz; wenn er fich zu fpigen vergißt, fo glaubt er zuweilen, 
er fchriebe, wenn er bloß mit dem Holze Erikelt. 


Wenn ein wigiger Gedanke frappiren fol, fo muß die Ähn⸗ 
lichkeit nicht bloß einleuchtend fein, das iſt noch das GSeringite, 
ob es gleich unumgänglich nöthig iſt; fondern fie muß auch von 
Andern noch nicht gefunden worden fein, und doch muß Alles, 
was dazu gehört, jedem fo nahe liegen, daß es ihn Wunder 
nimmt, daß er fie noch nicht audgefunden hat. Das ift bie 
Hauptfade. Hat man die Bemerkung ſchon bunfel gemacht, 
fo wohl die eigentliche, als die, womit bie Bergleihung ange: 
ftellt wird, aber noch nie deutlich gedacht, fo fleigt das Ver⸗ 


32 


gnügen aufs höchſte. Die Menfchen fehen täglich eine Menge 
bon Dingen, bie fie zur Regel erheben Fönnten, es :gefchieht 
aber nicht; fie bringen fie nicht zu Buch, und das nd die rechte 
Fundgrube des Witzes. 


In jedem Menſchen liegen eine Menge von richtigen Be 
merfungen; allein die Kunft ift, fie gehörig fagen gu lernen — 
das ift fehr ſchwer, wenigftens viel ſchwerer, als Mancher glaubt; 
und gewiß fommen alle fchledhte Schriftfteller darin mit einan- 
ber überein, baß fie von allem dem, was in ihnen liegt, nur 
das fagen, was Jedermann fagte, und was baber, um gejagt 
zu werden, nicht einmal in einem zu liegen braudt. 


Um gut verfificiren zu können, ſcheint e8 unumgänglich 
nötbig, daß man: dad Metrum und den Numerus in bemfelben 
leife hört, ohne noch bie Worte zu vernehmen, die e8 füllen 
folen. Die Form des Gedankens muß dem Dichter fhon vor: 
ſchweben, ehe der Gedanke felbft erfcheint. 


Eine gute Bemerfung über das fehr Bekannte ift es ei- 
gentlich, was den wahren Wis ausmadt. ine Bemerkung 
über das weniger Bekannte, wenn fie auch fehr gut ift, frape 
pirt bei weitem nicht fo, theild weil bie Sache felbft nicht 
Jedermann geläufig ift, und theils weil es leichter ift, über 
eine Sache etwas Gutes zu fügen, worüber noch nicht viel 
gefagt iſt. Man bezeichnet auch daher diefe Art von Eimfällen 


33 


im gemeinen Leben durch die Ausbrüde: geſucht und weit 
bergebolt. 


Mich wundert, daß no niemand eine Bibliogenie ges 
fehrieben bat, ein Lehrgedicht, worin bie Entſtehung nicht fos 
wohl ber Bücher, ald des Buchs befchrieben würde — vom Lein- 
famen an, bis e8 enbli auf dem Hepofitorio rubt. Es Pönnte 
gewiß babei viel Unterhaltendes und zugleich Lehrreiches gejagt 
werden. Bon Entfiehung ber Lumpen; Verfertigung bes Pa—⸗ 
piers; Entſtehung des Maculaturs; mitunter bie Druderei; wie 
ein- Buchftabe heute hier, morgen bort dient. Alsdann wie die 
Bücher gefehrieben werden. Hier Fönnte viel Satyre angebracht 
werben. Der Buchbinder; hauptſächlich die Büchertitel und zu- 
legt die Pfefferduten. Jede Verrichtung könnte einen Gefang 
ausmachen, und bei jedem könnte der Geift eines Mannes ans 
gerufen werben, 


Ih glaube, die Beit des deutſchen Hexameters kommt erft 
durch Gewohnheit. Wenn man erfi recht viel Gutes in beut- 
fhen Herametern zu leſen haben wird, fo wirb er fi durch 
Affoeiation empfehlen. Diefe Zeit ift noch nicht da. Beſſer 
wäre es unftreitig, durch liebliches Sylbenmaaß felbft dem mit: 
telmäßigften Gedanfen Anmuth zu verfhaffen, als einem wis 
drigen Sylbenmaaß durch Größe ber Gedanken aufhelfen zu wol 
len. Es ift etwas Verkehrtes in der Abfiht. Warum haben 
Engländer und Franzofen Leine berühmten Hexameter? uUnbe⸗ 

II. 3 


34 

rühmte mögen fie wohl genug haben; ich babe felbft dergleichen 
gefehen; fie ſchienen mir abfheulih, und ich babe Urfache zır 
glauben, daß es unzähligen Andern nicht beffer damit gehen 
würde. Warum halten biefe Nationen nichts darauf? Ich 
fürchte, der Grund davon liegt fehr tiefe Bewahre Gott, daß 
fo etwas eine Regel für Deutfche werben follte, aber ein Wink 
ift e8 allemal. Mit Raifonnement muß man nidt fommen; 
Gefühl geht hier darüber, und nur dieſes hat ein Recht, zu ent 
fheiden. Warum will man etwas einführen, das dem Gefühl 
erft durch Affociation von Begriffen erträglich wird? Bei ben 
Engländern befümmert man fih nicht um Raiſonnement, - wo 
e8 auf Gefühl anfommt. Ein wohlflingender Herameter ift ja 
deßwegen noch nicht ein wohlklingender Verd überhaupt. Was 

den Griehen und Römern gefallen bat, muß uns befmwegen 
| nicht auch gefallen. Indeſſen verdienen diejenigen unter unfern 
Dichtern, bie etwas Schönes in fhönen Herametern gefagt has 
ben, Dont, indem fie dadurch vermuthlich der Ergögung unferer 
Nachkommen ein größeres Feld verfchafft haben. 


Ich glaube, daß ein Gedicht auf ben leeren Raum einer 
großen Erhabenbeit fähig wäre. Ich glaube wenigftens fo, nad 
Allem, was ich bisher gelefen habe; vielleicht trägt aber auch 
meine eigene Dispofition etwas bazu bei. 


Es ift etwas, was, bünft mich, unfere beften Romanendichs 
ter von den großen Männern ber Ausländer in biefem Fach un: 


35 


terfcheidet (auch ber größte Theil unferer dramatifchen Schrift» 
fteller gehört mit dahin), daß man, um ihren Werth umd bie 
Schwierigkeit, fo zu fohreiben, ganz zu fühlen, Lectüre haben 
muß. Sie ſollten aber ihre Charaktere fo entwerfen, daß man 
glaubte, man fünde fi) unter Lebendigen, und ginge mit ihnen 
um, und lebte mit ihnen. Es fcheint, al8 wenn ber Fleiß auch 
fogar den Dichter bei den Deutfchen machte und machen müßte. 
Es ift, glaube ich, eine gute Erinnerung für unfere Landsleute, 
wenn fie auf Eminenz Anſpruch machen wollen, fich Fächer zu 
wählen, wo bloß Fleiß und Urtbeilstraft den Werth des Werks 
ausmachen, und lieber da wegzubleiben, wo ein Senfkorn 
von Genie bie vierzigjährige Arbeit bes flubirten Nachahmers 
verdunfeln Parnn. Das Fliegen muß man den Vögeln über: 
lafien. 


Die Verſe, die in Deutfchland bei gewiſſen Gelegenheiten 
gemacht werden, theilen fi) in zwei Claſſen, das Garmen 
und das Gedicht. Dus Carmen befteht aus grüßtentheils be⸗ 
drudten Seiten in Folio, wovon eine dem Titel, die andern 
dem Inhalt gewidmet find. Der Inhalt befteht aus gereimten 
Beilen, und ber Titel ift die Hauptfahe. Wenn bie Beilen ges 
reimt find, fo ift das Übrige von geringer Bedeutung. Man 
bat bei Verfertigung eines Carmens nur die Regel zu beobad): 
ten, bie Wolf den Kalendermachern beim Wetter gibt: man 
muß im Winter Feine Donnerwetter, und im Sommer ?einen 
Schnee prophezeihen. — Bel dem Gedicht ift der Titel nicht 

| 3 


36 


die Hauptfache; es ift daher fehr oft in Quarto oder in. Octavo 
gebrudt, und ber Reim ift eine conditio sine qua non. 
Manche Arten find gar nicht leicht zu machen, und das ift bie 
Urſache, daß fie jet ziemlich felten find. Man macht baber jept 
fehr häufig Garmina in Quarto und in Octavo. 


Wer nicht fo fchreiben fann, daß bie Philofophen Regeln 
davon abftrahiren müſſen, der laffe es. Iſt wohl je ein Dice 
ter_durch Regeln geworden? Was helfen ber Neſſel die Regeln 
für die Ceder? Die Philofophen, die Äfthetiker, kann man als 
Phyſiologen anfehen. So wenig bie höchſte Kenntniß befien, 
was zu einem volllommenen Menfchen gehört, ben Befiker bie: 
fer Kenntniffe in den Stand fekt, einen volllommenen Men- 
fhen zu maden, fo wenig werden auch bie Regeln einen ‚Did 
ter maden. Für Philofophie und Kenntniß der menfchlichen 
Natur find diefe Unterfuhungen in hohem Grabe wichtig, wer 
wird das leugnen? 


Es ift faft nicht möglih, etwas Gutes zu fehreiben, obne 
daß man fi) dabei Jemanden, oder auch eine gewiffe Auswahl 
bon Menfchen denkt, die man anredet. Es erleichtert wenigftens 
den Vortrag fehr in taufend Fällen gegen Einen. 


Die Künfte üben die Empfindung und Phantafie, und vers 
feinern fie. Diefe Fähigkeiten aber und ihre Vervollkommnung 
find zur Erreihung des Zwecks menfchlicher Natur unentbehrlich, 


37 


wir mögen nun biefe in die Glüdfeligkeit, ober in bie Aus« 
übung ber Tugenb fegen. 


Die beiden erſten Menfchen hat man betrachtet; ich wünſchte, 
die Dichter möchten e8 einmal mit ben letzten beiben verfuchen. 





— 


Nachtrag 
zu den äſthetiſchen Bemerkungen. 


x 


Die Genies. brechen die Bahnen, und bie fchönen Beier 
ebnen und verfchönern fie. 


Die Komödie befjert nicht unmittelbar, vielleicht auch die 
Satyre nit, ich meine, man legt die Lafter nicht ab, bie fie 
lächerlich machen. Aber fie vergrößern unfern Gefichtöfreis und 
vermehren die Anzahl der feften Punkte, aus benen wir und in 
allen Borfällen des Lebens geſchwinder orientiren können. 


Es iſt mit dem Witz, wie mit der Muſik. Je mehr man 
hört, befto feinere Verhältniffe verlangt man. 


Eine Hauptregel für Schriftfteller, zumal foldhe, bie ihre 
eigenen Empfindungen befchreiben wollen, ift: Ja nicht zu glau- 


38 


ben, daß, weil fie folches thun, biefes bei ihnen eine befonbere 
Anlage ber Natur anzeige. Andere können folches vielleicht eben 
fo gut al8 Du, fie maden nur kein Gejchäft daraus, weil «8 
ihnen einfältig vorfommt, ſolche Dinge bekannt zu machen. 


Ich Iefe die: Tauſend und eine Nacht, und den Robinfon 
Crufoe, ben Gilblas, den Zündling, taufendmal lieber, als bie 
Meffiade, und wollte zwei Meffiaden für einen Pleinen Theil bes 
Robinfon Crufoe hingeben. Unfere meiften Dichter haben, ich 
will nicht fagen nicht Genie genug, ſondern nit Verſtand 
genug, einen Robinfon Crufoe zu fchreiben. 


Das umgekehrte parturiunt montes gefällt ben Menfchen 
fehr, und der Schriftfteller muß es zu beobachten fachen. 

Mie kommt ed, daß unfere Dichter von unferen vernünfti= 
gen Leuten von Stande nicht mit Vergnügen gelefen werden? 
Der Fehler kann unmöglich in unferm Yublitum liegen, er liegt 
fiherlich in ynferen Dichtern, meift junge ober alte Knaben, bie 
im Kreife unerfabrener Bewunberer aufgewacfen find, und da» 
ber nicht zunehmen fünnen. Wer nicht in gewiffen Jahren oft 
in Gefelfchaft war, wo er nicht die erfte Rolle fpielte, und feine 
Kräfte ftet8 in Epannung fein mußten, um nidht eine üble 
Meinung von fi zu erweden, wird gewiß ein Tropf werben, 
und das find viele unferer gerühmten Dichter, Der Mann ber 
Welt kann nichts von ihnen lernen, er überfieht fi. So wie 


39 


das handlungsvollſte Schaufpiel auch noch Bemerkungen ent- 
halten muß, die felbft den Denker bei der Lampe müffen be: 
fhäftigen können, fo kann felbft die Ode, indem fie die Eins 
bildung “mit Bildern binreißt, wie das Licht einen, dem ber - 
Staar audgezogen worden, tiefe Bemerkungen enthalten, die den 
Mann von Überlegung, wenn ber Raufch verfliegt, befchäftigen 
Pünnen. 


Empfindfam zu fchreiben, dazu ift mehr nöthig, als Thrä- 
nen und Mondſchein. 


Eine Rebe muß nicht gebrudt werben, Dan bat gute Re: 
den gehabt in ben Zeiten, da man vermuthlich ſchlecht fehrieb, 
und etwas, das ſich gut Iefen läßt, muß man nicht berfagen 
bören. Es find ganz verfchiedene Dinge. Ein Gemälde gehört 
nicht ımter das Mikroſkop. Das follten fi) unfere bramatifchen 
Dichter merken. 


Wenn man Rape of the Lock durch „Lockenraub⸗ über: 
feßt, fo ift ſchon die Hälfte des Wiged verloren. Was mag 
nicht erft im Gedichte felbft verloren gegangen fein! 


Unftreitig ift, wie ich ſchon früher einmal bemerkt habe, die 
männliche Schönheit noch nicht genug von den Händen gezeich⸗ 
net worden, bie fie allein zeichnen könnten, ben weiblichen. 
Mir ift es allemal angenehm, wenn ich von ein mwura Di: 


40 


terin höre. Wenn fie fih nur nicht nad ben Gedichten ber 
Männer bildeten, was könnte da nicht entdeckt werben ! 


Die Nachtigallen fingen und wiffen wohl babei nicht, was 
für Lärm die Verliebten und Dichter aus ihren Gefängen ma- 
hen und baß es eine Gefellfchaft höherer Wefen gibt, bie fi 
ganz mit Philomelen und ihren Klagen unterhalten. Vielleicht 
bält ein böberes Gefchledht von Seiftern unfere Dichter wie wir 
bie Nachtigallen und Canarienvögel; ihr Gefang gefällt ihnen 
eben bewegen, weil fie feinen Berftand barin finden. 


Bon ben meiften Widerfahern des Reims gilt wohl, was 
Dryden von Milton fagt, fie befiten die Talente zum Rei⸗ 
men nicht. 


Fünf Komödien von Ginem Act zu fchreiben, ift nicht halb 
fo ſchwer, als eine einzige von fünf Acten. 


Die Briefe eines Plugen Mannes enthalten immer ben 
Charakter ber Leute, an die er fchreibt. Diefes kann in einem 
Roman in Briefen fehr fchön gezeigt werden. 





Es ift die Redekunſt, die vor ber Überzeugung einhertritt, 
und ihren Pfad mit Blumen betreut. .. 


In allen Werken Hogarths findet fi) kein Eſel ange: 


bracht, womit fonft bie fatyrifchen Künftler fo fehr freigebig 
find. 


Wenn e8 doch in Sahen bes Geihmads ober der Kritik 
überhaupt ein Oberappellationsgericht gäbe!! 


Der Gedanke bat in dem Ausdrucke noch zu viel Spiel» 
raum; ich babe mit dem Stodfnopfe hingewieſen, wo ich mit 
ber Nadelſpitze hätte binweifen follen. 


42 


11. 


Witzige und fatyrifche Einfälle und 
Bemerkungen. 





Barrere erzählt in feinem Werk über Guiana, daß die Wil 
ven einen in ihre Gefelfhaft aufnehmen, bevor er nicht eine 
Menge harter Proben ausgeftanden und fi) tüchtig gezeigt. hat, 
Hunger und Durft zu leiden, fi) von großen Ameifen, Weöpen, 
liegen und anderm Ungeziefer auf das beftigfte flehen, und 
fih an verfchiedenen Stellen Schnitte in den Leib machen zu 
laſſen; kurz, bie empfindlichiten Schmerzen mit der größten 
Standhaftigfeit und Geduld zu ertragen. — Das ift doch mehr 
als da8 Magifterwerben bei uns. 


Gefpräd. 
A. Ja die Nonnen baben fi nicht allein durch ein firen- 
ges Gelübde ber Keufchheit, fondern auch noch durch flarfe Git⸗ 
ter vor ihren Fenſtern verwahrt: 
B. O durch das Gelübde wollten wir wohl kommen, wenn 
wir nur durch die Gitter wären. 


Die Regeln der Grammatif find bloße: Menfchenfagungen ; 
daher auch der Teufel felbft, wenn er aus befeffenen Leuten ges 


. rebet, ſchlecht Latein geredet, wie man das in ber Geſchichte 
bes Urban Granbier in Yitavals merkwürbigen Rechte: 
bänbeln mit mehrerem nadhlefen ann. 


Das Bekehren der Miffethäter vor ihrer Hinrichtung läßt 
fi) mit einer Art von Mäftung vergleihen: man macht fie geift- 
lich fett, und ſchneidet ihnen bernady bie e Kehle ab, bamit fie 
nicht wieder abfallen. 


Du fragft mich, Freund, welches befjer ift: von einem böfen 
Gewifjen genagt zu werden, ober ganz ruhig am Galgen zu 
hängen ? 


Bu ©. babe ih einen Epifuräer gekannt, es war ein 
Kerl von 61, Fuß, und von einer ungewöhnlichen Leibesftärke. 
Es ging damals in das fechöte Jahr, daß er in der Karre ging, 
wozu er Zeitlebens verdammt ar. 


Man bat fo viele Anweifungen,, den Wein recht zu bauen, 
und noch feine, ihn recht zu trinken. Gr wählt nur gut unter 
dem Schuß eines fanften Himmels, und ähnliche Seelen müffen 
diejenigen haben, die ihn am beften trinken. Derjenige, ber mehr 
als eine Bouteille trinkt, ohne entweder franzöfifh, oder von 
feinem Mädchen zu fprehen, ohne mich feiner Freundfchaft zu 
verfihern, ohne zu fingen, ohne irgend ein kleines Geheimniß 
zu verratben u. f. w., und ber, ber beim vierten Glas mid 


44 


bigig fragt, ob ich ihn nicht für einen braven Kerl balte, 
alle Pleinen Scherze krittlich abwägt, kurz ber Unglüdlide, der 
beim Wein immer Schläge haben will, und fehr oft auch be: 
kommt, thäten beide weifer, wenn fie Waſſer tränken. 

Es wäre vielleicht gut, wenn Redner fi Einen hohen Ab- 
fag am Schuh machen ließen, um im Fall der Roth fi auf 
einmal viel größer zu maden. Dieje Figur müßte, zur rechten 
Zeit gebraudht, von unglaublicher Wirkung fein. 


Kein Wunder, daß ſich Stutzer fo gern im Spiegel fehen: 
fie ſehen fih ganz. Wenn ber Philofoph einen Spiegel hätte, 
in welchem er fi, fo wie jene, ganz fehen Fönnte, er würde 
nie bavon weg kommen. 


Der liebe Gott muß uns doch recht lieb haben, daß er 


immer in fo ſchlechtem Wetter zu uns fommt. 


Bertheidigung eines fchlechten Autors. 
Darf man Schaufpiele fchreiben, die nicht zum Schauen find, 
fo möchte ich fehen, wer mir wehren wollte, ein Bud zu fchrei- 
ben, das nicht zum Leſen ift. 


Über die Horaziſche Regel: 
Nonum prematur in annum. 
Ih fehe nicht, warum, da ber Autor felbft nur neun Mo: 


— — © —— — ⏑⏑ 
— — — —— 


nate im Mutterleibe gelegen bat, fein Buch neun Jahre im 
Yulte liegen fol? Ober, werben bie Gedanken befier, wenn fie 
lange liegen? Man kann fi) nichts Einfältigeres denten. Mich 
wundert e8 gar nicht, wenn ein Staat mit foldhen Geſetzen 
nicht beftehen fann. Gottlob kenne ich auch Feine Provinz in 
Deutfchland, wo bie Gelehrten ihre Werke neun Jahre liegen 
ließen; doch find mir Beifpiele befannt, wo Richter die Hora- 
zifche Hegel befolgt haben: fie ließen nämlich die Prozeſſe neun 
Jahre lang liegen, aber am Ende wurben fie gemeiniglich fchlech- 
ter entfchieden, al8 in ben Ländern, wo man fie aus bem Steg⸗ 
reife entfcheibet. 

Jeder arme Teufel follte wenigftens zwei ehrliche Ramen 
haben, bamit er ben einen baran wagen könnte, um ben an 
bern ins Brot zu bringen. So haben Schrififieller anonymiſch 
gefchrieben. Man könnte fill} dann mit bem einen noch wehren, 
wenn ber andere abgejchnitten wäre. 


Sch habe Leute gekannt, bie haben heimlidy getrunfen, und } 


find öffentlich befoffen geweſen. 


Sie flreihen bie Poſtwagen roth an, als die Farbe des 
Schmerzens und ber Marter, und bedecken fie mit Wachslinnen, 
nit, wie man glaubt, um bie Neifenden gegen Sonne und 
Regen zu fihügen,, (denn die Reifenden haben ihren Feind unter 
fih, das find bie Wege und ber Poltwagen,) fondern aus ber- 


46 


felben Urfahe, warum man denen, bie gehenkt werben follen, 
eine Mütze über das Geficht zieht, damit nämlich die Umfte 
benden bie gräßlichen Gefichter nicht fehen mögen, bie jene 
ſchneiden. 


Er läſe ſo gern, wie er ſagte, Abhandlungen vom Genie, 
weil er ſich immer ſtark darnach fühlte. 


Wenn man manche Hiſtörchen genau unterſucht, ſo wird 
man immer finden, daß etwas Wahres darunter ſteckt, und zu⸗ 
weilen etwas ganz Anderes, als man fich anfangs vorſtellte. 
So find z. B. die Hexen, die man ehemals fo ſehr mit Feuer 
und Waffer verfolgt bat, gar die Gefchöpfe nit gewefen, bie 
man fich gemeiniglich einbildet; auch bat man das Verbrennen 
derfelben ein wenig zu früh eingeftellt. Ich habe an die 150 
Stellen gefammelt, woraus ich beweifen kann, baß bie Heren 
der vorigen Welt eigentlich die fo genannten Kaffeefhwe 
ftern der jegigen find. Unter dem Namen Kaffeefchweitern vers 
ftehe ich alle alten Frauensperfonen, bie in ihrer Jugend fo viel 
gelernt haben, daß fie die Bibel, bis auf einige Nomina pros 
pria im alten Teftament, ziemlich fertig weglefen, und alle Zah⸗ 
len ausfprechen können, wenn fie mit Worten gefchrieben find; 
bie, nächft den biblijchen Gefchichten, ſich hauptſächlich auf bie 
Privatgefhichte aller Familien in ihrem Städtchen gelegt haben, 
und über Schwangerfchaften, Eheverlöbniſſe, Hochzeittage und 
Kopfzeuge Regifter halten; die in jeder Krankheit eines jungen 


Mädchens, den Baftard reifen fehen, unb den Mann und ben 
Ball errathen, ber bie Urſach und ‚bie Gelegenheit dazu war; 
die bypothetifchen Ehen zwifchen ledigen Perfonen, und nicht 
felten reelle Ehefcheidungen mit ihrem Gefhwäg ftiften, kurz alle 
unverftändigen, plappernden, befuchen gehenden, alten Weiber, 
bie eben fo fehr bie Pet und das Verderben ber guten Geſell⸗ 
fhaft, als die verfländigen Matronen und ehrwürdigen Mütter 
die Zierde berfelben find. Die Hern ſchwammen auf bem 
Waſſer iſt ein bloß figürlicher Ausdruck, und foll nur fo viel 
heißen, daß eigentlich Thee und Kaffee ihr Element fei, und id 
"glaube im Ernft, daß unfere neuen Hexen im Kaffee nicht er- 
fäuft werden können, denn ich babe felbft einmal eine 24 Taffen 
trinten ſehen, ba bie frifcheften weftphälifchen Viehmägde an 
vieren fterben. Daß fie am 1. Mai auf einem Befen reiten, 
bat mir von Anfang an am meiften zu fchaffen gemacht, denn 
ich babe zwar öfters in meinem Leben Birkenbefen und Kaffee 
fhweftern beifammen gefehen, aber allemal ritt das Birkenholz 
auf der Kaffeefchwefter. Berner, da im mittlern Latein ein 
Buſch oder Befen Boessonus heißt, fo hätte e8 leicht fein kön⸗ 
nen, baß jemand den Böfen, als weldhes ben Teufel bebeus 
tet, mit dem allerdings die Hexen fowohl als bie Kaffeefchwe: 
ftern viel zu thun haben, mit dem Befen verwecfelt. Aber 
fo wahrfcheinlich auch dieſes Manchem fcheinen möchte, fo wird 
boch ber Denker auch bier die Schwierigkeit finden, die wir vors 
bin bei dem Birkenholz fanden. Denn nad biefer Erklärung 
hätten bie Hexen zwar ben Teufel geritten, aber fie fünnten als» 


48 


dann umfere Kaffeefhweftern nicht fein, benn bie reitet um- 
gelehrt der Teufel. Sonſt heißt ja bekanntlich bie großbär 
tige Schwalbe, bie Biegenmelkerin, wegen ihrer Reigung zum 
Trinken, in manchen Ländern die Hexe; was war alfo natürlicher, 
ale daß man bie Melkerinnen ber Kaffeefannen eben fo nannte? 


Es iſt nicht zu leugnen, daß ein Quartant, ber fo bil, als 
breit iſt, die herrlichfte und fchönfte Bücherform bat: erftlich er⸗ 
weckt die Gleichheit der Dimenfionen bie Idee von Fülle und 
Solipität, dann flebt er dem berühmten Altar bes Apolls ähn⸗ 
ih, und das zeigt gleihfam das praesens numen. 


Eine einzige Seele war für feinen Leib zu wenig, er haͤtte 
zwelen genug gu thun geben können. 


Auf einer Charte von Weſtphalen könnten bie gefährlichen 
Stellen mit %, von einem Rade oder einem Todtenkopf angege⸗ 
ben werden: & oder 2 . Der Vorſchlag paßt noch auf 
manche andere Gegenden Deutſchlands. 


Auf die Frühlingsdichter. 
Es iſt mit ihren Verſen, wie mit ben Krebſen, fie taugen 
nur in den Monaten, in deren Ramen feinste ift. 


Der große Geiſt. 
Gr hatte die Eigenſchaſten der größten Maͤnner in ſich ver- 


einigt; er trug ben Kopf fchief, wie Alerander, hatte immer 
etwas in den Haaren zu nifteln, wie Cäfar, konnte Kaffee trin« 
fen, wie Leibnig, und wenn er einmal recht in feinem Lebne 
ſtuhl ſaß, fo vergaß er Eſſen und Trinken darüber, wie New— 
ton, und man mußte ihn, wie dieſen, wecken; ſeine Perücke 
trug er wie Dr. Johnſon, und ein Hoſenknopf ſtand ihm 


7 offen, wie dem Cervantes. 
„Die Wälder werden immer kleiner, das Holz nimmt ab, 


mas wollen wir anfangen?« O wenn die Wälder ausgehauen 
find, können wir fidherlic fo lange Bücher brennen, bis neuer 
Vorrath angewachſen ift. 


Der Vorſchlag, Bücher zu brennen, und dadurch wieder in 
Hanf und Flachs zu verwandeln, iſt aller Aufmerkſamkeit eines 
Patrioten würdig. Eigentlich werden doch nie Kriege gegen Bücher 
geführt, denn die Scharmützel der Gewürzkrämer vermindern die 
Bevölkerung gar nicht. Man.follte Bücher einliefern laſſen, wie 
Sperlingsföpfe an manden Orten. 


Wenn ber Menfd feinen Körper ändern könnte, wie feine 
Kleider, was würde ba aus ihm werben! ober wenn aus ben- 
Kleidungsftüden der Frauenzimmer immer das würde, was fie 
fi) ftatt derfelben, hätten kaufen follen ! 


Verſuch über bie Nachtwächter, 
Ich ſelbſt bin ein Nachtwächter, meine Herren, zwar nicht 
II. 4 


50 


von SProfefion, fondern ein Dilettante; ich kann nämlich des 
Nachts nicht fchlafen, und babe es darin, fo wie Dilettanten 
gemeiniglich, ohne Prablerei zu reden, weiter gebracht, als die 
meiften von SProfeffion. 


Es ift ald ob unfere Sprachen verwirrt wären: wenn. wir 
einen Gedanken haben wollen, fo bringen fie uns ein Wort, 
wenn wir ein Wort fordern, einen Strih, und wo wir einen 
Strid erwarteten, fteht eine Zote. 


Eine luſtige Situation wäre folgende zwifchen zweien Come 
plimentenmachern; fie müffen zugleich fprechen, fie verftehen fich 
nicht, und jeder will dem andern zu Gefallen reden: 

A. Ich dächte, biefes wäre fehr nöthig 

B. Ich dächte, diefes wäre fehr unnöthig 

A. Erlauben Sie gütigft, ich wollte fagen 

unnötig 

B. Verzeihen Sie gütigft, ich wollte fagen 

nöthig u.f.w. 


beide zugleich 


wieder zugleich 


Eine Scene aus bem Duodrama zweier Awillinge 
im Mutterleibe, 
U. Haft dur geftern gehört, was die Hebamme gefagt bat? 
B. Nein, ich babe gefchlafen. Was fagte fie denn? 
4. Es würde nun nicht über acht Tage währen, fo follte 
ber Pleine Junge heraus. 


B. Horch, ich höre wieder Mufif, wenn nur bie Mutter 
nicht tanzt! Ich babe mir bei dem letzten Ball bier die Hüfte 
verrenft, das thut mir abfcheulich weh. 

A. Und ich ſtieß mir die Nafe aufs Knie, daß ich fie gar 
nicht mehr finden kann; und der Himmel weiß, was die Mut- 
ter getrunten bat, höre Bruber, ich war Pudel did. Du kannſt 
gar nicht glauben, was mir da feltfam ward. Die Kugeln zu 
beiden Seiten ber Nafe find auch Ohren, Bruder, ich hörte 
Worte damit, bie ich nicht fprechen kann, denn wenn id) fie 
fprehen will, jo höre ich fie nur mit den Seitenohren. 

B. O das babe ich oft, ich ſtieß mich neulich an eines der 
Vorderohren, da hörte ich ein Wort, das Plang wie fpik. 


Bergleihung unfers neuern Stils mit den engli:- 
ſchen Gärten 

Jedermann muß wiffen, wenn er e8 auch nicht fühlt, daß 
die englifhen Gärten bie vortrefflichften find, fo daß ich über: 
zeugt bin, die Natur bat es ſchon hundertmal bereut, daß fie 
den Schaffbaufer Wafferfal nicht gerade den Ruinen von Pal⸗ 
myra gegenüber, und den Montblanc auf die Lüneburger Heide 
gejest hat, woburd nicht allein jene ganze Gegend, fondern auch 
hauptſächlich der Profpert vom Baumbaufe zu Hamburg gewon⸗ 
nen baben würde. Nun aber betrachte man einmal die engli« 
fhen Gärten: da fohlängelt fih ein angenehmer Weg von einer 
Biertelmeile nach einem Gartenhaufe hin, da8 Faum einen Büch— 
fenfhuß vor uns liegt; eben fo führen uns unierr Suuhtüütt 

L* 


52 


nach ihrem Gegenftande hin — fo wie dort zu beiden Seiten bie 
berrlichften Zorbeerbäume, das mit Trotteln behangene Liburnum, 
ber reizende Tulpenbaum und die fehöne Acaria unter ber beut- 
fhen Eiche ftebt, fo wandelt bier Herz und Ohr durch bie fanf: 
teften Sentenzenmifhungen in angenehmer Ungewißheit dahin, 
ob wir den polirten Bögling von Verfailles oder einen von Her: 
manns Abdjutanten fprechen hören; es ftehen ba ionifche Wörter 
neben altbrittifhen, und Lemgo und Rom umarmen ſich. - 
Dort fieht man hinter Brombeeren und ausländifchem Unkraut ben . 
Wolfen fpornenden Obeliff emporfteigen, gerade fo wie bier, unter 
dem angenehmften verworrenen Raifonnement, fich die afiatifche Pe⸗ 
riode in einen Schluß erhebt, den man da nicht fuchen follte. Und - 
fo wie dort die fchönften übergoldeten Bafen aus Holz, die ſchönſten 
Götterftatuen bei muthwilligen Saunen ftehen, fo fteht bier die rei« 
zendfte Prachtmoral, umarmt von ber lieblichften Bote, u. f. w. 


Das Wort Laune wird heutzutage faft in einem fo weit: 
läuftigen Sinne gebraudht, als das Wort Butterbrot. 


Die Zeitungsfchreiber haben fich ein hölzernes Kapellchen er: 
baut, das fie auch den Tempel des Ruhms nennen, worin fie 
den ganzen Tag Portraits anfchlagen und abnehmen, und ein 
Gehämmer machen, daß man fein eigenes Wort nicht hört. 


Zu Zezu*) gibt e8 eine Art Puppen, die in ältern Zeiten 
) Der Name einer erdichteten Infel, deren Gefchichte zu 


gemacht worden find, wogegen Baucanfons ‚Ente unb Ylötenfpie 
ler bloße Nürnberger Waare if. Die Kunft dergleichen zu ver 
fertigen, verſtehen die Einwohner nicht mehr, ſeitdem ſie ſich 
ſehr ſtark bemühen, hiſtoriſch genau zu wiſſen, was die Alten 
gewußt haben, ohne fich um die Erwerbung eben des Geiſtes 
der Alten ſonderlich zu bekümmern. Ich habe ſie öfters auf der 
Straße gehen ſehen, und allemal, ehe ich es wußte, und noch 
oft nachher, für wahre Menſchen gehalten. Die Verehrung gegen 
dieſe Puppen geht ſo weit, daß man einigen ſogar Ehrentitel 
gegeben hat. So hatte z. B. eine, die ſehr leſerlich ſchreiben 
konnte: es lebe der Fürſt, ben Titel eines geheimen Gabi» 
netſecretärs bekommen; und eine andere, die eine kleine Elektri⸗ 
ſirmaſchine beſtändig feierte, hieß: Profeſſor der Phyfik und Mit: 
glied der Akademie der Wiſſenſchaften. 





Ein Philoſoph auf ber Inſel Zezu hatte bie Frage aufge⸗ 
worfen: Wenn ſich ein Menſch in einen Ochſen verwandeln 
könnte, ob das als ein Selbſtmord anzuſehen, und der Ochſe 
ſtraffällig wäre? 


Hercules wird mit einer Löwenhaut gemalt, um ſeine Tha⸗ 
ten anzudeuten; unſere Jäger müßte man mit einem Haſenfell 
über dem Kopf malen, und unſere kritiſchen Herculeſſe mit dem 


ſchreiben ber Verfaſſer einmal Willens geweſen fein mag; wenig: 
ftens finden ſich verfehiedene Beiträge dazu in feinen Papieren. 


54 


Felle eines armen Dichter, dem man, um es kenntlich zu ma⸗ 
chen, noch einige Zorbeerblätter um ben Kopf, und eine Yeber 
hinter dem Ohr laffen könnte. 


Die Bewegungsgründe, woraus man etwas thut, könnten 
fo wie die 32 Winde georbnet, und ihre Namen auf eine ähn- 
lihe Art formirt werden, 3. B. Brot:Brot:-Ruhm, ober 
Ruhbm-Ruhbm:Brot. 


Es madt ben Deutfchen nicht viel Ehre, daß einen an füh⸗ 
ren (was fonft mit anleiten ſynonym ift) fo viel heißt, als 
einen betrügen. Sollte bas nicht ein Hebraismus fein? 


Sch weiß gar nicht, was ihr Leute wollt; ich bin gar nicht 
einmal Willens, ein großer Mann zu werden, unb das hättet 
ihr mich mwenigftens vor der Hand erft fragen müſſen. Meint 
ihr denn, um einem Sünber mit ber Geißel über den Wirbel 
zu hauen, müffe man eine Löwenſtärke beſitzen? Man braucht 
fein großer Mann zu fein, um jemanden die Wahrheit zu fagen, 
und ein Glück für uns, daß auch ber arme Teufel Wahrheiten 
fagen fann. j 


Der Mann hatte fo viel Berftanb, daß er faft zu nichts 
mehr in der Welt zu gebrauchen war. 


Genera poelarum — ein Nebenkapitel in einem Bud). 


Diefes ift eine Theorie, die meines Erachtens in ber Pſycho⸗ 
logie eben das vorftellt, was eine.fehr bekannte in der Phyſik 
ift, die das Norblicht durch den Glanz der Häringe erklärt. 


In England find jetzt bie fo. genannten papier mache - Ber- 
zierungen fo eingeriffen, baß man, glaube ich, endlid Denk: 
mäler in Weftminfterabtei davon maden wird. Überhaupt wäre 
ed nicht übel, wenn mandyer Gelehrter fein verfertigtes Maculatur 
ſtampfen und feine Büfte daraus verfertigen ließe. 


Wir find fo albern, daß wir immer auf das Natürliche 
bringen, andere Nationen find klüger. In London heißt he is 
a natural nit ein Haar weniger ald, er ift ein dummer 
Teufel, und wer weiß nicht, daß natürlicher Sohn fo 
viel ift als ehrlofer Baſtard, und daß dergleichen Menfchen in 
vielen Ländern Deutfchlands von allen Ehrenftellen ausgefchloffen 
find, wozu nur die unnatürlichen gelangen können? 





Daß die Arbeiten bed Geiſtes auch ben Körper angreifen, 
pflegte Zener zu fagen, könne er beutlich daran fpüren, daß, 
wenn er Nepperifche Stäbe zufchnitte, er oft fo müde mwürbe, 
als wenn er Stangen für feine Baumfcdule fpikte. 


In ben glüdlichen Zeiten ber ‚Barbarei, da hatte man doch 
noch Hoffung, einmal mit ber Zeit ein guter Chrift zu werben. 
Man durfte nur regelmäßig in die Kirche gehen, und bem lie: 


- 


56 | 


ben Gott von Allem, was er einem gab, wieder etwas zurück⸗ 
geben, deſſen Bejorgung noch bazu die Geiftlichfeit übernahm. 
Aber heutzutage ift e8 faum mehr möglich, biefen Titel zu er⸗ 
langen. 

In eben diefem goldenen Alter war e8, wo man nod et 
was auf ein Buch hielt. Kine Gräfin von Anjou bezahlte für 
ein Homiliarium bes Bifhofs Haimo zu Halberftabt zweihun: 
dert Schaafe, fünf Malter Waizen, und, glaube ich, eben fo 
viel Malter Roden und Hirfen. — 8weihundert Schaafe für 
einen Band Homilien, das Plingt doch noch wie ein pro labore. 
Aber fragt einmal jet einen Halberftädtifhen Domberrn, was 
man für feine empfindfamen Predigten kriegt? Keine Ham⸗ 
melskeule. | 


Was? man müßte bie Sache verftehen, wenn man bar: 
über bisputiren wollte? Ich behaupte, daß zu einem Dispüt noth⸗ 
wendig ift, daß wenigftens einer die Sache nicht verſtehe, wor: 
über geſprochen wird; und in dem fo genannten lebendigen 
Dispüt in feiner höchften Vollkommenheit dürfen beide Parteien 
nichts don der Sache verftehen, ja fie müſſen nicht einmal wif: 
fen, mas fie felbft fagen. Das ift Lully's ganze Kunft *): es 
iſt kein Arcanum, fondern ein Räthſel; er hatte die Welt zum 
Beiten, wie mancher Philofoph vor und nah ihm. Wir bes 

) Ars Lulliana, die Kunft, von allen Dingen finnlos zu 


ſchwatzen, ift eine Erfindung von Raymundus Zullus, einem 
berüchtigten Scholaftiker des dreizehnten Jahrhunderts. 


figen alle biefe Kunſt, und fie ift offenbar in der Kunft, Profe 
zu reden, fchon mitbegriffen. Als ich in Gngland war, dispu⸗ 
tirte man auf allen Bierbaͤnken, Kaffeehäufern, Kreuzwegen und 
Landkutſchen über die Amerikaner nach ben Regeln des lebendis 
gen Dispüts; und felbft in bem Rath der Aldermänner, an befe 
fen Spige Wilkes fand, wurde nach biefen Regeln bisputirt. 
Ja, ale einmal ein einfältiger Tropf auffland, und zu bebenten 
gab, ob es nicht einigermaßen gut wäre, die Sade ernftlich zu 
prüfen, ebe man einen Entfchluß faßte, fo antwortete ein ans 
- terer Mann ausdrüdlih, daß, ba dieſes zu weit führen würde 
und mübfam wäre, ber Entſchluß ohne weitere Unterſuchung ge 
faßt werben müßte — welches auch bamals, weil es faft Eſſens⸗ 
zeit war, genehmigt wurbe. 


Bertheibigung unferer Obenfänger. 

Menſchenverſtand ift eine herrliche Sade, allein das unbe. 
bolfenfte, unbrauchbarfie Ding von ber Welt bei foldhen Gele 
genheiten, wo man ihn nicht nöthig hat. Wer fagt euch denn, 
daß ihr ihn brauchen follt, wenn ihr eine Ode lefen wollt? Sie 
find bei fhlummerndem Menfchenverftand gefchrieben, und ihr 
beurtheilt fie bei wachendem. Mit einem Wort, das rechte Wert 
ift da, aber ihr bringt ben rechten Kopf nicht mit. »Horaz, 
fagt ihr, hätte ganz andere Oben gefchrieben, ed wären Beilen 
darin, bie bewundere man immer mehr, je älter man würde, 
unb je öfterer man fie lefe, ba hingegen bie meiften beutfchen 
Oden immer einfältiger Elängen, je öfterer man fle wieder: 


— 


58 


holte./ — Kann man ſich eine maliciöſere, Liſcoviſchere Art 
ſich zu erklären ausſnnen? Ich glaube, einem ſteinernen Apo⸗ 
ſtel müßte die Geduld ablaufen. Ihr Haubenſtöcke, wer ſagt 
euch denn, daß ihr unſere Odenſänger mit dem Horaz verglei⸗ 
. hen ſollt? Was? Horaz lebte an einem ber erſten Höfe der 
Welt, und in einer Stadt, bie das Herz bes menſchlichen Ge⸗ 
fihlecht8 genannt werben könnte, da konnten die Gaffenbuben 
dad Quicquid agunt homines auf jedem Kirchhof oder hinter 
jeder Mauer fehen, wenn fie nur bie Augen aufthun wollten. 
Da war «8 freilich eine gewaltige Kunft, ben Menfchen zu tens 
nen. Wahrheiten, bei deren Erforfhung wir jegt alle unfere 
Phyſiognomik aufbieten, und bei beren Bewunderung uns bie 
Augen über und bie Nafenlöcher aufgehen — wißt ihr, was bie 
in Rom waren? SKaffeebiscourfe, nichts weiter; Dinge, über bie 
jeder Betrüger noch funfzig Staffeln hinausgehen mußte, wenn 
er feine Künfte fpielen wollte. Ich hätte faft Luft, bie feinen 
Herren, bie unfere Almanachsſänger mit dem Boraz meſſen kön⸗ 
nen, und gewiß mit mehrerm Recht, mit gewiſſen Originalföp: 
fen zu vergleihen, die in Celle in einem gewiſſen Haufe einge- 
ſchloſſen firen. Einfältige Streiche I Unfere Odendichter find meie . 
ftens junge, unſchuldige Tröpfe, die in Pleinen Städten leben 
und fingen, wo alle Einwohner einerlei hoffen, einerlei fürchten, 
einerlei hören und einerlei denfen; wo zwanzig Köpfe in einer 
Gefelfhaft immer für Einen gelten; Leute, bie aus Dichter: 
lefen Dichter werden, fo wie man aus Büchern fhwimmen, 
oder aus Rugenda's Bataillen bie Kriegskunſt lernt; unerfahrne 


Menfchen, davon jeber etwa ein Dugend’eigene und zwei Dutzend 
geborgte Ideen baar liegen. bat — ba läßt. fih :damit über die 
Welt handeln. — Außerbem gibt es ja zweierlei Oden: ge 
lehrte, für Geift und Chr, und ungelehrte, für das Ohr 
allein, und zu den letztern braudt man Baum einmal vom 
Weibe geboren zu fein. Wenn man etwas Sylbenmaß in ben 
Ohren hat, und dabei zwanzig bis breißig Oben als Stimulantia 
lieft, fo möchte ich das Gefiht von dem Sterblichen fehen, ber 
nit eine Ode wiederhallen könnte, die jeden poetifchen Prima⸗ 
ner zur Bewunderung binriffe. Kurz, foldye Compofitionen muß 
man gar nicht mit dem Maßftabe mefien, mit dem man Hage: 
dorns, Utzens und Ramlerd Oben mißt; fie gehören zu einer ' 
ganz andern Claſſe von Gompofition, und find das in der Poeſte, 
was Jakob Böhme unfterblihde Werke in’ Profe find, eine Art 
von Pidenid, wobei der Verfaſſer die Worte, und: ber Lefer 
ben Sinn ftelen. Will diefer nicht, oder kann er nicht, gut, 
fo Täßt ers bleiben; zu einem ſolchen Kränzchen finden fi 
immer Leute. — 


Zragment. 

Witzige Schriften wollten fie. Da regnete, bliste und ha⸗ 
gelte ed Epigrammen. Wißt. ihr, was die Antwort war? . Die 
alte abgedrofchene Sentenz: e8 gäbe hunbert Wigige gegen Einen, 
ber Verftand hätte. Wer Fonnte es alsdann den Spottpögeln 
verdenfen, von benen es in Deutihlanb wimmelt, wenn fie bie 
Welt mit verftändigen Schriften anfüllten, ich meine mit folchen, 


60 


in denen fein Gran von Witz anzutreffen ift* Daher nahm bie 
verftändige Komödie, bie verftändige Farce, unfere verſtändige Sa- 
tore ihren Urſprung; ja man machte fogar verftändige Wortfpiele. 

Ich kann nicht unterlaffen, den Lefern, oder vielmehr ben 
Berlegern zu melden, daß ich enblih, nad einer faft funfzehn- 
jährigen Lectüre des größten Schriftfteller8, ben wir haben, ich 
- meine Jakob Böhme, einige Paragraphen in ihm fo verftehe, 
als wenn ich fie heute felbft gefchrieben hätte. Es find offenbar 
Weifjagungen, und wer fi) nur etwas im Zukünftigen umge: 
fehen bat, wirb eingeftehen müffen, daß fie auf die fürchterlichen 
drei 7 gehen, die wir jekt in unferer Jahrzahl (1777) haben, 
und feit taufend Jahren nicht gehabt und erft in taufend Jah⸗ 
ren wieber haben werden. War nicht 1555 der Religionßfriebe, 
und brannte nicht 1666 London ab? Ich werde aber bie Ickte 
Hand nicht eher an das Werk Iegen, als bis fi) die Begeben⸗ 
beiten felbft werben ereignet haben. 


Ich habe auf Schulen junge Geſchöpfe, die ausfahen, als 
Pönnten fie gar nicht, oder doch wenigſtens gar nichts fprechen, 
fogar bebräifch fprechen hören, fo daß den Zuhörern die Haare 
zu Berge, und bie Augenachfen parallel fanden. Ich erinnere 
mich nie ein ähnliches Erempel bei andern Rationen gelefen zu 
baben, ein einziges ausgenommen, bad, wo ich nicht irre, zu 
Bileams Beiten vorgefallen ift. 


Es ift keine Kunft, etwas kurz zu fagen, wenn man etwas 
zu fagen bat, wie Tacitus. Wein wenn man nichts zu fagen 
hat, und fchreibt dennoch ein Buch, und madt gleihfam die 
Wahrheit felbft mit ihrem ex nihilo nihil fit zur Zügnerin, das 
beiße ich Verdienſt. 


Auf einer meiner Reifen wurde ich in ein Gabinet von 
Büften und Statüen geführt. Mir gefiel, troß ber vielen alten 
theuren Köpfe, die Büfte eines Demofrits, der etwa 50 bis 60 
Jahr alt fein mochte, mehr als Allee. Allein um mid nicht 
von der Frau, die das Cabinet zeigte, auslachen zu laffen, fiel 
mein Lob auf einen alten Caligula, ber bie Zeichen der Aufer: 
ftehung, römifche Gartenerde, noch hinter den Ohren hatte, und 
die Frau fagte, ich müßte ein Herr von Gefchmad fein. 


Nachdem wir nun die Natur durchaus kennen, fo fieht ein 
Kind ein, daß ein Verſuch weiter nichts ift, als ein Compli⸗ 
ment, das man ihr no madt. Es ift eine bloße Ceremonie; 
wir wiffen ihre Antworten fhon vorher. Wir fragen bie Natur 
um ihren Conſens, wie bie großen Herren bie Landſtände. 


⸗ „Wie gehts?« fragte ein Blinder einen Lahmen. „Wie 
Sie fehen,“ antwortete der Lahme, „ganz paſſabel.“ 





Wenn ich die Genealogie ber Dame Wiſſenſchaft recht 
Benne, fo ift die Unwiffenbeit ihre ältere Schwefter; und 


62 


ift denn das etwas fo Himmelfchreiendes, bie ältere Schweſter 
zu nehmen, wenn einem bie Jüngere auch zu Befehl ſteht? Bon 
Allen, die fie gekannt haben, habe ich gehört, daß die ältefte 
ihre eigenen Reize habe; daß fie ein fettes, guted Mädchen fei, 
die eben deßwegen, weil fie mehr fchläft, als wacht, eine vor: 
treffliche Gattin abgibt. 


Sp ſchreiben, wie H..., ift undriftlic gegen die Nach⸗ 
welt; denn nun werden neidifche Wortklauber mande fpätern 
Erfindungen ſchon in biefen Schriften finden wollen, obgleid 
ber ehrliche Mann mit Feiner Sylbe daran gedacht hat. 


Prophetiſche Blide in einen Meßkatalog vom 
Jahr 1868 *); 

Abbt vom Berdienfte. Paris 1867. 

Abhandlung von ben im vorigen Jahrhundert üblichen fo 
genannten Deutfhen Geſellſchaften, und ob in Jena 
eine geweſen, welches geleugnet wird. 

Abhandlung von ber Art zu Fritifiren, vor und nad) dem 
großen Krieg, militärifches Verfahren ber Beitungsfchreiber 
und der fo genannten Offenfivfritifer überhaupt. 

Gleims ſämmtliche Werke mit Kupfern, von ben beften Mei: 
ftern in und außer Deutfchland. Wien 1868. 

Geſchichte der ökonomiſchen Gefelfchaften des vorigen Jahr: 


) Im Jahr 1768 gefchrieben. 


bunbertS, bes daraus entftandenen Verfalls bed Aderbaues, 
der Hungersnoth der Scribenten, und daher erfolgten Über: 
fegungsgeiftes in Deutfchland. 

I. 38. €. Schuhmachers in Augfpurg, Vorfchlag, die Schuhfoh: 
len nad ber Rablinie zu krümmen, nebft einem Anbang, 
worin gegen Winkelmann behauptet wird, baß ber Batica: 
nifche Apoll Peinen guten Stiefelfuß gehabt habe. 

Bon den Schimpfwörtern der alten Deutfhen, Antichriſt und 
Antifritifus. Erfurt 1860. 


Leute werden oft Gelehrte, fo wie mande Soldaten wer- 
ben, bloß weil fie zu Peinem andern Stand taugen. Ihre rechte 
Hand muß ihnen Brot fchaffenz fie legen ſich, kann man fagen, 
wie die Bären im Winter bin, und faugen aus der Tage. 





Die Barbarei ift eine Sündfluth über die Wiffenfchaften 
gewefen, welche der wigelnde Frevel einiger römifchen beaux 
esprits über biefelben gebracht hat; fie ift in beinahe zweitaufend 
Zahren noch nicht ganz vertrodnet, felbft in Deutfchland ftehen 
bier und da noch ſtarke Pfügen, wie Seen, wo gewiß feine 
Taube ein Ölblatt finden würde. 


Nahahmung der englifhen Cross-readings ). 
Geftern disputirte unter dem Vorſitz des Hrn. Leibmedicus — 
Ein Hengftfüllen mit einem weißen Pleß vor dem Kopf. 


* Man muß fi) vorftellen, das Lefen. gefhehe in einem 


64 


Eine Jungfer von gutem Herkommen wünſcht ald Kammer: 
mädchen anzukommen — 
Hinten fteht bie Jahrzahl 1719. 





Es wird eine Köchin gefucht, die mit Backwerk umzugehen weiß — 
Zu zwei Perfonen eingerichtet, nebft etwas Kellerraum. 


| Ein junger ftarfer Kerl, ber ſchon als Reitknecht gedient — 
Bertreibt Vapeurs und Mutterzufälle in Burzer Zeit. 


| Heute wurde Frau N... von Zwillingen entbunden — 
Wer auf zehne pränumerirt, Priegt eines umfonft. 


Dem Förfterr u WW... if geftern ein junges Rind von ber 
Weide entlaufen — 
Um fünftigen Sonntag feine Antrittsprebigt zu halten. 
Neulich gab der Churfürft dem Capitel ein fplendides Diner — 
Drei Perfonen wurden gerettet, bie Übrigen erfoffen. 


( Die drei Damen, beren geftern Erwähnung gefhehen — 
Können immer eine Stunde vor der Auction befihtigt werben. 


° Öffentlichen Blatte, worin fowohl politifche, als gelehrte Neuig: 
feiten, Avertiffements von allerlei Art, u. f. w. anzutreffen find: 
der Drud jeder Seite fei in zwei oder mehrere Golumnen ges 
theilt, und man leſe die Eeiten queer durch, aus einer Co: 
lumne in die andere. 


Am 13. diefes flug ber Blitz in die hieſige Kreuzkirche — 
Und feßte Tages darauf feine Reife weiter fort. 


Die Vermählung des Grafen v. 9... ift glücklich vollzogen | 
worden — 
Er bat aber Gottlob! nicht gezünbet. 


Den 12ten ftarb ein Mann in feinem 104ten Jahre — 
Und befam in der Taufe die Namen Friderica Sophia. 


Die neue Oalanteriefrämerin am Marfte verkauft — 
Schnupfen, Kopfweh und andere Zufälle, 


Gefpräh zwifhen mir und dem franzöfifdhen 
Spradmeifter L..., ber ein verfleinertes 
Gehirn gefunden haben wollte. 

Der Spradhm. Hier, Herr Profefjor, habe ich ein ver- 
fteinertes Menfchengehirn auf dem Haynberge gefunden; daß ift 
wirklich eine große Seltenheit. | 

Ich. Ja, fo wie überhaupt Berfleinerungen von Dingen, 
die leicht faulen; allein die Menfchen, bie dergleichen gefunden 
haben wollen, find gar Feine Seltenheit. Ic babe fogar Je: 
manden gekannt, der einen verfteinerten Butterwed gefunden 
haben wollte. 

Der Spradm. Wollen Sie mir biefed rare Stück nicht 
abfaufen? Vous l’aurez pour un ducat, 

II. 5 


66 

Ich. Mein lieber Herr L..., folgen Sie meinem Rathe, 
und werfen Sie ben Stein weg, es ifl ein gemeiner, im Waffer 
abgerundeter Stein. 

Der Sprachm. DO Sie find ſchon fo oft fo gütig gegen 
mich gewefen — Vous l’aurez pour un &cu. Je n’ai pas un sou. 

Ich. Hier haben Sie einen halben Gulden, ben ſchenke 
ich Ihnen, aber nehmen Sie den Stein mit. 

Der Spradm. O Sie fennen ja ben Hrn.-Hofrath 9... 
gut, empfehlen Sie mich doch, vielleicht wird dieſes pretiöfe Stüd 
für das Cabinet gekauft. 

(Hier ging mir bie Gebulb aus). 

Ich (Heftig). Hören Sie, laſſen Sie mi mit Frieben; 
wenn Sie aber fagen wollen, das, was Sie hier in ber Hand 
balten, fei Ihr eigenes Gehirn, fo will ich ſehen, was ich 
für Sie thun kann, denn fo Blingt doch die Sache noch plaufi⸗ 
bel. (Hier machte ich die Thür auf). 


Ein Paar Fabeln. 
Der Schuh und der Pantoffel. 


. Ein Schub mit einer Schnalle redete einen Pantoffel, der 
neben ihm ftand, alfo an: Lieber Freund, warum fchaffft du 
dir nicht auch eine Schnalle an? es ift eine vortreffliche Sache. 
Ich weiß in Wahrheit nicht einmal, wozu die Schnallen eigent: 
li nügen, verfegte ber Pantoffel. Die Schnallen! rief der Schuh 
hitzig aus, wozu die Schnallen nügen? Das weißt bu nicht ? 


Ei, mein Himmel, wir würben ja gleich im erſten Moraſt ſtecken 
bleiben. Ja, liebfter Freund, antwortete ber Pantoffel, ich gebe 
nit in den Moraft. 

%. Sie müffen fih notwendig Sramers Er und über 
ihn anfchaffen, es ift ein unentbehrlidhes Bud). 

B. Barum unentbehrlich ? 

A. Ei, mein Gott! Sie verfiehen ohne baffelbe nicht eine 
Beile in Klopftods Oben. 

B. Ia, mein Freund, ich leſe Klopfiods Oben nidt. 


Das Spradhrohr und der Mund. 

Man würde dich gewiß nicht auf fünfhundert Schritte hö⸗ 
ren, fagte dad Spradrohr zum Munde, wenn ich nicht ben 
Schal zufammenbielte. 

Und dich würde man nirgends hören, berfehte ber Munb, 
wenn ich nicht ſpräche. 


Ihr Gefchichtfchreiber, rüdt den Helden nicht auf, baß ohne 
euch ihre glänzendften Thaten nach hundert Jahren vergefien fein 
würden, benn ohne biefe glänzenden Thaten hätte man nie et- 
was von euch erfahren. 


Tobesanzeige 
Am fünften Ianuar verblich, 


Im fechzigften, Herr Paflor Jürgens. 
5 « 


68 


Was er gefchrieben, findet fi 
In Meufels Deutfchland, und fonft — nirgends. 


Em etwas vorfchnippifcher Philofoph, ich glaube Hamlet, 
Prinz von Dänemarf, hat gefagt, e8 gäbe eine Menge Dinge 
im Himmel und auf der Erde, wovon nichts in unfern Com: 
penbien ftände. Hat ber einfältige Menfch, der bekanntlich nicht 
recht bei Troft war, damit auf unfere Gompenbien ber Phyſik ge 
ftihelt, fo fann man ihm getroft antworten: gut, aber dafür ftehen 
auch wieder eine Menge von Dingen in unfern Gompendien, wo: 
von weder im Himmel noch auf der Erde etwas vorkommt. 


Er Hatte ein paar Warzen auf feiner Nafe, die fo faßen, 
daß man fie leicht für die Köpfe ber Nägel hätte hatten Fömen, 
womit fie am Geficht angeheftet war. 


Ein Ball en Masque zum Beften der Armen. 


Hodzeiten gehören unter bie Fleifchfpeifen, da fie in ben 
Faſten verboten find. 


Die metallifchen Alter der Welt find jet verkalcht. 
Geheimer Ausrufer — eine neue Hofcharge — näms 


lich, der heimlich verbreitet, was man gern verbreitet hätte, und 
doch nicht Taut verbreiten barf. 


Wenn bie Menfchen nicht nach ben Uhren geben, fo fan« 
gen endlich die Uhren an nad) den Menfchen zu gehen. 


Da flieht er, wie Niobe, unter den Kindern feines Witzes, 
und muß feben, wie ihm Apol eines nad) dem andern über den 


Haufen ſchießt. 


yon Buch, das in der Welt am erſten verboten zu werden 
erdiente, wäre ein Katalogus von verbotenen Büchern. 


Seht, da wir Buchbrudereien haben, brauchen wir fein 
ftehendes Heer von Abfchreibern, Mönche, zu halten. 


Die Bücher in einen Hofftaat zu ordnen: La Lande wäre 
mein Premierminifter, Robinfon mein Kammerbiener, gelebhrte 
Zeitungen bie Sagbhunde u. f. w. 


Bon einem, ber nur immer auf das Gegenwärtige denkt, 
Eönnte man fagen, er bat die Unfterblikfeit ber Seele _ 
nicht erfunden. 


Es war nur Schade, wenn er aud ein noch fo niebliches 
Kleid trug, fo machte fein öfonomifches, fubmifjes Gefiht, daß 


man immer glaubte, es fei fein einziges. 


In einem Lande, wo den Leuten, wenn fie verliebt find, 


70 
bie Augen im Dunkeln leuchteten, brauchte man bes Abends 
feine Laternen. . 


Weil er feine eigenen Pflichten immer vernadhläffigte, fo 
behielt er Zeit genug übrig, zu fehen, wer von feinen Mitbürgern 
feine Pflichten vernadhläffigte, und es ber Obrigkeit anzuzeigen. 


Harlequin will fich felbft ermorden, und nachdem er gegen 
jede Todesart etwas einzuwenden findet, entfchließt er fich end» 
lich, fich tobt zu kitzeln. 


Es ift Fein Iufligerer Charafter, al8 der von einem Univer⸗ 
falpatron ohne Kenntniffe. | 


Andere lachen zu maden, ift £eine fchwere Kunft, fo lang 
ed einem gleich gilt, ob e8 über unfern Wi ift, ober über uns 
felbft. 


Man macht jest fo junge Dortoren, baß Doctor und Ma⸗ 
oifter faft zur Würde ber Taufnamen gediehen find. - Auch bee 
fommen die, denen biefe Würden ertheilt werben, fie oft wie 
bie Taufnamen, ohne zu wiflen wie. 


Das Werkchen ift bei aller feiner Dicke fo leer, daß man es 
faft für Fein Buch, fondern für ein Zutteral halten follte. — 
Ghartefe fo viel ald Chartae Theca. 


— — — — 
— zz — 


Diefer Mann arbeitete an einem Syſtem ber Raturgefchichte, 
worin er bie Thiere nach der Form ber Ercremente geordnet 
hatte. Er hatte drei Claffen gemadt: die eylindrifchen, fphäri: 
fhen und kuchenförmigen. 


Es ift doch nichts als eine bloße Berwechfelung vom Mein 
und Dein bei beiden, beim ehrlichen Manne fowohl, als bei 
dem Spigbuben. Der eine fieht jenes an, als wäre e8 biefes, 
und ber andere hält biefes für jenes, 


Die Gelehrten haben feit jeher ihre Hypochondrie ober ihre 
Augenkrankheit Lieber befchrieben, als bie Krankheiten bes innern 
Kopfes. 


Man follte Katharr ſchreiben, wenn er bloß im Halſe, 
und Katharrh, wenn er auf der Bruſt fikt. 


Man follte, wenn man bie Titel anfiehbt, wie fie ihren 
Werth verlieren, faſt glauben, es wäre mehr Ehre in die Welt 
gekommen; fo wie der Werth des Geldes fällt, wenn bed Gol⸗ 
des zu viel wirb. 


Manche Leute behaupten eine philofophifche Unparteilichkeit 
über gewiffe Dinge, weil fie nichts davon verfteben. 


Wenn einmal jemand dem größten Schelm in Deutihlanb 


12 


100000 Louisd'or vermachte, wie viele Prätendenten zur Erb: 
fhaft würden fi nicht finden! 


Warum follte das herrliche Sprüdhwort nicht fo gut vom 
geiftlihen al8 vom Teiblihen Vermögen gelten: Mit Bielem 
bält man Haus, mit®enigem fommt man aud aus? 


Die menfchliche Haut if ein Boben, worauf Haare wachfen ; 

[ mich wunderts daß man noch Fein Mittel ausfindig gemacht hat, 
ihn mit Wolle zu befüen, um bie Leute zu fcheeren. 

Conbamine fol in Amerifa einige Affen gefehen haben, die 

feine Operationen nahmadıten: nad) einer Uhr liefen, dann nad) 

einem Serfpectiv, dann thaten, als fchrieben fie etwas auf, 
u. bergl. m. — Solcher Philofophen gibt es viele. 


Bahrdt im Ketzeralmanach und ber Verfaffer des Alma: 
nachs für Belletriften fagen freilich öfter bie Wahrheit, aber doch 
thun fie e8 in ben meiften Fällen wie bie Narren und bie Kinber. 


Ich fehe immer einen Soldaten mit feinem Bajonette als 
ein Argument an, und eine Revüe als eine logiſche Übung, 
Menſchen zu überzeugen, was fie find. 


Die Wilden haben biefes im Gebrauch, und die Zahmen 
in manchen Gegenden Deutſchlands auch. 


Wenn fich Yrügel fchreiben ließen, ſchricb einmal ein Vater 
an ſeinen Sohn, ſo ſollteſt du mir gewiß dieſes mit dem Rücken 
leſen, Spitzbube! 


Der Vater. Mein Töchterchen, du weißt, Salomon 
- fagt: wenn dich die böſen Buben locken, fo folge ihnen nicht. 
Die Tochter, Aber, Papa, was muß ih dann thun, 
wenn mich die guten Buben loden ?. 


Ja, der Hr. Leibarzt war ein vortrefflicher Mann, er befuchte 
SZedermann, er mochte vornehm ober gering fein, und wenn es 
um Mitternacht gewefen wäre. Man konnte mit Recht von ihm 
fagen, was. Horaz von bed Kaifer Augufis Leibarzt fagt: aequo' 
pulsat pede pauperum tabernas regumque turres. 


Unter bie größten Entdeckungen, auf bie der menfchliche 
Berftand in ben neueften Zeiten gefallen ift, gehört meiner Mei⸗ 
nung nad) wohl die Kunſt, Bücher zu beurtbeilen, ohne fie ger 
lefen zu haben. 


Das alte Weib Pönnte eine vortreffliche politifche Mo: 
natsjchrift werben. 


„Die Antwort wird verbeten„ — was man fo häu—⸗ 
fig unter die Irauerbriefe fekt, wäre unter ben Recenfionen recht 


ſchicklich. 


74 


Die fehönen Weiber werben heutzutage mit unter bie Ta⸗ 
Iente ihrer Männer gerechnet. 


Während man über geheime Sünden öffentlich fchreibt, habe 
ich mir vorgenommen, über Öffentliche Sünden heimlich zu fchreiben. 


Wenn auch einmal: einer lebendig begraben wird, fo blei« 
ben dafür hundert andere über der Erbe hängen, die tobt find. 


A. Hat das Mädchen nicht einen herrlichen Bufen! B. Ja 
wohl, dasift recht was Horaz ein bene praeparatum pectus nennt. 


All hail, Macbeth! 'überfegte einmal jemand buch: „Alle 
Hagel, Macbeth!“ 


Die Hühner verfhluden Steine, wenn fie verbauen wollen. 
Die Seele ſcheint bei Verdauung der Gedanken etwas Ahnliches 
nöthig zu finden, inbem fie. befanntlid immer Steine in ber 
Birbeldrüfe bat. 


— 


Die Braut war pockengrübig, und ber Bräutigam finnig. 
Spötter fagten, wenn das Pärchen nur erft zufammengefchmies 
bet wäre, fo gäben ihre Gefichter ein treffliches Waffeleifen. 

Was ift für ein Unterfchieb zwiſchen einem Daher und 
einem Arzt ? 


#* 


Antwort: Der Yaftor baut den Acker Gottes, und ber 
Arzt den Gottesacker. 





Sch babe öfters gefehen, dab fi Kräben auf Schweine 
fegen und Acht geben, wenn biefe einen Wurm aufwühlen, damn 
berabfliegen , ihn holen, und fi darauf wieder an ihre alte 
Stelle ſetzen. Ein herrliches Sinnbild von dem Sompilator, der 
aufmühlt, und dem ſchlauen Schriftfieller, der es ohne viele 
Mühe zu feinem Bortheil verwendet, 


Er war damals Hoffhaggräber und grub eine Menge Schätze 
am Hofe für fih, ohne jemals. einen außer bemfelben für ben 
Hof zu graben. 


Ein Bater fagt: ber verfluchte Junge macht e8 gerade fo 
wie ih, ich will ihn prügeln, baß er bed Teufels wird. 


Nachdem wir über anderthalb Stunden gegangen waren, 
befanden wir uns an ber nämlichen Stelle, von welcher wir 
audgegangen waren. Das ift eine verzweifelte petitio principii, 
rief ih auß, 


Bei Ramsden ſollen jegt die Pofaunen für ben jüngften 
Tag geftellt fein, und man glaubt, daß, wenn ihm Gott Leben 
und Gefunbheit bis dahin gibt, fie zur rechten Zeit fertig \ wer 
den follen. 


76 


Bilb eines Polygrapben. 

Wenn er eigene Meditationen fehrieb, fo hielt er ſich ordent⸗ 
ih in feinem Schlafro@ mit langen Ermeln, wie bie meiften 
Menfhen; wenn er aber Excerpte aus Reifebefchreibungen machte, 
über die Gebräuche bei verfchiebenen Bölkern, fo fchrieb er wie ein 
Becker⸗ oder Mebgerfnecht, in einer Wefte ohne Ermel, mit bem 
Hemd über die Ellenbogen aufgeftreift. Es fah vortrefflich aus. 


Es gibt manche Leute, bie nicht eher hören, als bis man 
ihnen die Ohren abfchneibet. 


Aus Galvani's Entdedung wirb es begreiflih, warum 
die Menfchen ihre Hände fo gern nach Gold ausfireden; denn 
das Ausftreden gehört mit unter bie Zuckungen. Man flieht alfo, 
daß bierin nicht Alles moralifh, fondern auch Manches phufifch 
if. Die Hände find Wünfchelrutben, die immer nad) Metall 
fchlagen. 


Die Menfchen verfprechen fich jekt fo viel von Amerifa und 
befien politifchem Zuftande, daß man fagen fünnte, die Wünſche, 
wenigftens bie heimlichen, aller aufgeklärten Guropäer hätten 
eine weſtliche Abweichung, wie unfere Magnetnabeln. 


Wenn es gegründet iſt, mas ein vortreffliher Kopf, ber 
Abbe Lechevalier, muthmaßte, baß der König Lubwig XVI. 
durch den Einfluß der Royaliften hingerichtet fei, weil man dieß 


— _ — 


für das ficherfte Mittel gehalten hätte, wieder einen König zu 
befommen; fo könnte man nicht unfhidlich fagen, der König 
fei in usum Delphini hingerichtet worden. 


Ich ſchätze Leute glülih, bie einen Vornamen mit einem 
M haben, weil fie gleihfam natürlihe Magiftri find. 


Der berrfehende Gefhmad an Halbromanen zeigt fi fogar 
jest in unferen politifchen Zeitungen. 


Guter Rath. 
A. Sagen Sie mir, fol ich heirathen oder nicht? 
B. Ih dädte, Sie machten es wie Ihre Frau Mutter, 
und beiratheten in Ihrem Leben nicht. 


Bergleihung zwifhen einem Prediger und einem 
Schloſſer. 
Der erſte ſagt: du ſollſt nicht ſtehlen wollen; und der 
andere: dus ſollſt nicht ſtehlen fönnen.' 


Er kann die Dinte nicht halten, und wenn es ihm anfommt, 
jemand zu befubeln, fo befubelt er fi) gemeiniglich am meiften. 


A. Dieß ift wohl Ihre Frau Liebſte? 
B. Um Bergebung, es ift meine Frau. 


— Bee — * 


78 


Nachtrag 


zu ben witigen und fatyrifhen Einfällen und 
Demerfungen, 


Daß ber Barometer öfters fällt, wenn es trübe wirb, daran 
find die Wolken eben fo wenıg Urſache, ald an manden Orten 
die Jahrmärkte, daß ed regnet. 


Bei einem Eleinen Werfen denke ich immer, das ift nur 
ein Spähbüchelchen, woburd der Berfafier Ankergrund für ein 
größeres fuchen läßt. 


Die großen Medaillen Gellert, Hagedorn u. f. w. bat bie 
Natur eingefhmolzen, und feheint fie uns nun in kleinen Cou⸗ 
rantforten wiederzugeben. 

, Acht Bände hat er gefchrieben. Er hätte gewiß beſſer ge- 
‘than, er hätte acht Bäume gepflanzt, oder acht Kinder erzeugt. 


Da faß nun der große Mann und fah jeinen jungen Kagen zu. 


Er bat den Galgen nit auf dem Budel, aber in ben 
Augen. 


Er war ein fo. aufmerkffamer Grübler, daß er ein Sanbforn 
immer eber fah als ein Haus. j - 


Der Mann hatte Bieles bei wachender Gelehrfamkeit und 
fhlafendem Menfchenverftande ausgehedt. 


Seit wann ft denn: ſchlecht und recht und recht fchlecht 
einerlei ? 


Die Natur bat bie Menfhen durch bie Bruft verbunden, 
und die Profefjores hätten fie gern mit bem Kopfe zufammen. 


Sein Dintefaß war ein wahrhafter Janustempel. Wenns 
jugepfropft war, fo wars in ber ganzen Welt Friebe, 


Eine von den Convenienzen ber Ehe ift aud bie, einen 
Befuh, den man nicht ausftehen Bann, zu feiner Frau zu weifen, 
Das Kompliment: Sind Sie geftern glücklich nah Haufe 
gefommen? zeugt noch von unfern ehemaligen Sitten und Stein: 


pflafter. 


Eine Wegebefjerung in. ven Wiffenfchaften wäre anzurathen, 
um deſto befjer von ber einen zu ber andern kommen zu können. 





Außer ſeiner geiſtlichen Heerde, welcher er, wenn er konnte, 


80 


etwas abnahm, hatte er noch 200 Etüd auf ber Weide gehen, 
bie er regelmäßig fchor. 


E 2 


Wenn eine Betfchwefter einen Betbruber heirathet, fo gibt 
- 1 das nicht immer ein betendes Ehepaar. 


Der Verleger bat ihn in efligie vor feinem Werke aufhän- 
gen laffen. 


Der Hund ift bas wachſamſte Thier, und doch ſchläft es 
den ganzen Tag. 


Man ſollte Crocodille in den Stadtgräben ziehen, um ihnen 
mehr Feſtigkeit zu geben. 


Von dem Manne könnte man ſagen, daß die Satyriker ihn 
ſich gleichſam zu ihrem Ambos gewählt hatten. 


Etwas Witziges läßt ſich wider Alles ſagen und für Alles. 
Hiergegen könnte ein witziger Mann wieder etwas ſagen, das 


mich vielleicht dieſe Behauptung bereuen machen könnte. 


| Es ift Schade, daß es keine Sünde iſt, Waſſer zu trinken, 
„rief ein Italiener, wie gut würde es ſchmecken! 


Eine jede Sache hat ihre Werktags⸗ und ihre Sonntagsfeite. 


si 


Das Mädchen ift ganz gut, man muß nur einen andern 
Rahmen darum maden laſſen. 


Man könnte dad Gewiſſen unſerer Empfindſamen ein poeti⸗ 
ſches Gewiſſen nennen. 


In Göttingen wird ber Mann, der ben Kopf von außen zu: 
ftugt, von den Burſchen eines größern Vertrauens gewirdigt, 
als der ihn von innen zu verbeſſern unternimmt. * 


Die Wege werden immer breiter und Kine; je: näher man 
biefer Höle (London) kommt. 


Sie hätten ein Octavbanbchen nad Göttingen geſchickt, und 
an Leib und Seele einen Quaͤrtanten wieder bekonmen. 


Aus dem Blöfen des Kindes ift Sprache fo geworben, wie 
aus dem Zeigenblatte ein franzöfifches Gallakleid. 


Bei Prophezeihungen ift der -Ausleger oft ein wichtigerer 
Mann als der Prophet. 


Er liebte bauptfächli die Wörter, bie meht in Wörterbü⸗ 
chern vorzukommen pllegen. — 





Es wird noch auftommen, Biftentarteni ‚int ben Collegi⸗ 
II. 6 


82 


zurüdzulaffen ; noch beffer bei den Kirchen. Man geht hin, wenn 
feine Kirche ift, und läßt eine Karte ba, etwa beim Küfter, 


Der Dreifuß, den bier und ba die Galgen formiren, hat 
gewiß mehr Wahrheit wo nicht gelehrt, doch eingefchärft, als 
ber zu Delphi. 





...;&e verfchludte viel Weisheit, e8 war aber, als wenn ihm 
Alles in die unrechte Kehle gekommen fei. 


Bei ben geiftlihen Schafen in ber Gemeinde fo gut, wie 
bei den weltlichen auf dem Felde ift die Wolle immer bie Hauptſache. 


..... Es gibt Predigten, die man opne Thränen zu weinen nicht 
anbören , und ohne welche zu lachen nicht leſen kann. 


Wenn er ſprach, ſo fielen in der ganzen Nachbarſchaft die 
Mauſefallen zu. 


Wer ein Gewitter, und nur ein paar hunderttauſend Hor⸗ 
niſſe teuͤmmandiren könnte, ber koönnte mehr thun als Alexander, 
oder auch nur eine halbe Million Menſchen. | 


. Die Leute, bie dad y fo gern aus dem ABC verbannen 
wollen, kann ich wenigftens fo viel verfihen, daß, als. in ben 
Sahren funfzig die Worte: Seid fromm! am Himmel ftanden, 
das Wort feid mit einem y gefchrieben war. 


Wenn uns ber liebe Bött ferner Leben und Geſundheit fchenkt, 
fo hoffe ich follen wir alle hier begraben werden. Rebe in einem 
Samilienbegräbniffe. 


Das Fauftreht iſt Heutzutage verſchwunden bis auf bie 
Freiheit, jedem eine Fauſt in ber Tafche zu machen. 


Die feltfamften Ideen fchwärmten feinem Kopfe zu, als 
wenn ihre Königin barin fäße, und bas war auch wahr, 


Es ift immer befjer, einem ſchlechten Schriftfteller gleich den 
Onabenftoß zu geben, ale ihn ſo lebendig von unten herauf zu 
recenfiren. 


Geſtern Nachmittag 33/, Uhr iſt meine Taſchenuhr ganz fanft 
verftorben. Sie hatte fchon feit drei Monaten gefräntelt. 


Gr excerpirte beftändig, und Alles, was er las, ging aus 
einem Buche neben dem Kopfe vorbei in ein anderes. 


63 wäre fein Wunder, wenn bie Zeit ſolchen Leuten das 
Stundengla8 an ben Kopf fohmiffe. 


Um biejes Gebäude gehörig aufzuführen, muß vor allen Din 
genein guter Grund gelegt werden, und ba weiß ich feinen feflern, 
als wenn man über riede Schicht pro gleich eine Schicht contra aufträgt. 

6 “ 


84 


Der Ameritaner,:ber ben Columbus s zuerſt entbedte, ', machte 
eine böfe Entdedung. 


Unter allen den Guriofitäten, die er in feinem Haufe auf: 
gehäuft hatte, war er felbft am Ende immer bie größte, 


Es ift faſt unmöglid, bie Fackel der Wahrheit durch ein 
Gedränge zu tragen, ohne Jemandem den Bart zu ſengen. 


Er erfand Alles etwa fo, wie bie wilden Schweine und bie 
Jagdhunde die Salzquellen und Geſundbrunnen. 





Das Außerordentlichſte bei bieſem Gedanken er unſteitig 
dieſes, daß, wenn er ihn eine halbe Minute ſpäter gehabt hätte, 
ſo hätte er ihn nach ſeinem Tode gehabt. 


Er las immer Agamemnon ſtatt „angenommen“, fo ſehr 
hatte er den Homer geleſen. 


So wie es Thiere gibt, bie mit dem Schwanze greifen, ſo 
gibt es auch welche, die mit der Hand ſchwänzeln. 


Er hatte gar keinen Charakter, ſondern wenn er einen haben 
wollte, ſo mußte er immer erſt einen annehmen. 


Es ſcheint, wir haben jetzt nur noch Sugochſen, Aueroch ſen 
gibt es nicht mehr. Wir haben jetzt nur Zugdichter, die eigent⸗ 
lichen Auerdichter gibt es nicht mehr. 


Man bat Beifpiele von Geburten, ‚die 44 Jahre im Mut⸗ 


terleibe zugebracht haben, und am Ende ift doch nichts-daraus 
geworben. 





Daß am Menfchen nicht viel Sonderliches ift, beweiſt haupt 
fählih die Weitläuftigkeit der Jurisprudenz. 





Ob er am Herzen befchnitten war, weiß ih nicht, aber 
baß er verdient hätte, es an den Ohren zu fein, ba8 weiß id). 





Der Mann sans la lettre war beffer, als nachdem man 
den Titel darunter geflochen hat. 


Bom Stolziren bes welfchen Hahns. Ich möchte wohl wife 
fen, was die Natur damit will. Er felbft kann nichts bamit 
wollen. 


So wie man anderen Leuten Piftolen und Degen wegthun 
muß, wenn fie betrunfen find, fo mußte man ihm ben Gelb: 
beutel wegnehmen, damit er nicht zu viel Gutes that. 


Es gibt Familien, in denen die Leute ſchon bei jungen 
Jahren die Schneidezähne verlieren. Es find das Feine ſonder⸗ 
liche Leute. u 


Was das Glodenläuten zur Ruhe ber Verftorbenen beitra- 


86 


gen mag, will ich nicht entfcheiden; ben Lebendigen in es ab⸗ 
ſcheulich. 


So wie die Leibärzte der Ochſen Menſchen ſind, ſo hat man 
[. auch oft gefunden, daß bie Leibärzte ber Menfchen Ochſen find. 





Er hatte fi) wenigftens feit 6 Wochen nur in Gedanken ge- 
wafchen. 


Einer will fi) erfäufen, allein fein greßer Hund, der ihm 
nachgelaufen, apportirt ihn allemal wieber. 


Einer zeugt ben Gedanken, ber Andere bebt ihn aus ber 
Taufe, ber Dritte zeugt Kinder mit ibm, ber Zierte beſucht ihn 
am Sterbebette, und der Fünfte begräbt ihn. 


Er glaubte nicht allein Feine Geſpenſter, ſondern er fürch— 
tete fi) nicht einmal bavor. 


Er konnte das Wort „ſucculent⸗ ſo ausſprechen, daß, wenn 
man es hörte, man glaubte, man biſſe in einen reifen Pfirſich. 


Die Natur hatte bei dem Bau dieſes Menſchen ihren Plan 
auf 90 Jahre angelegt, er felbft aber fand für befjer, ihn nad 
einem zu bearbeiten, bei welchem nicht völlig das Drittel von 
jenem herauskam. 


Was den Weg zum Himmel betrifft, fo mögen wohl, auf 
und ab, Religionen gleich gut fein, allein der Weg auf ber 
Erde, das ift ber Henker. 


Das Buch bebarf noch des Aalfaterns, die Riſſe auszu⸗ 
ſlopſen. 


Er hatte immer ſo viel mit den Geiſtlichen zu ſchaffen, daß 
ſich endlich die Leiblichen der Sache annahmen, und ihn aus 
ber Stadt fchafften. 


Da liegen nun die Kartoffeln , und ſchlafen ihrer Auferſte⸗ 
hung entgegen. 





Er mochte in Proſa untertauchen ‚ ober in Poefie ſich erhe⸗ 
ben, ſo war immer ein Heer von Recenſenten hinter ihm her. 
Es ging dem armen Teufel wie den fliegenden Fiſchen, die von 
ihren Feinden verfolgt werben, fie mögen untertauchen oder 


fliegen. 


Die Suppe fehmedte fo abfheulih, daß, um zu glauben, 
es fei auf eine Vergiftung abgefehen, man nur nöthig gehabt 
hätte, ein großer General oder ein König zu fein. 


- In einem Auffake, worin ein neuer Brunnencurort empfohlen 
wird, wird auch angezeigt, daß ein fchöner geräumiger Kirchhof da fei. 


88 
Wir freffen einander: nicht, wir ſchlachten uns / bloß. 


Er ſchlief in x feiner gewöhnlichen Unthätigfeit einmal ſpo 
lange auf der Fenſterbank, daß ihm die Schwalben hinter die 
Ohren bauten. 


Man ftattete ihm ſehr heißen, etwas verbrannten, Dank ab. 





Gr bing noch auf ber r bortigen Univerftät, wie ein fchöner 
Kronleuchter, auf dem aber feit zwanzig Jahren Fein Licht mehr 
gebrannt hatte, 


[ Ein Kerl, ber einmal feine 100000 Thaler geftohlen hat, 
kann bernach ehrlich durch -die Welt kommen. 


Bu ben jährlichen Sterbeliften follten noch folgende Rubrifen 
Binzufommen: In ben Hinimel find gefommen 33; zum Teu⸗ 
fel find gefahren 717; zweifelhaft 883. Mit ſolchen Zetteln 
könnten die Theologen ſich Geld verdienen. 


Er hatte ein paar Augen, aus denen man, ſelbſt wenn fie 
ſtill fanden, feinen Geift und Wit fo erkennen onnte, wie bei 
einem ftillftehenden Windhunde die Fertigfeit im Laufen. 


Bon einem Juben: er ftarb den Tten September, nachdem 
er bereits den 6ten ejusdem, wie biefes bei bem Volke Gottes 
gebräuchlich ift, war begraben worben. 


89 
Ich habe Thon lange gedacht, bie Philofophie wird ſich 


noch felbft freffen. Die Metaphyſik bat diefes zum Theil ſchon 
gethan. 


Die Barbierer und Haarſchneider tragen .bie kleinen Stadt: 
neuigfeiten in bie großen Käufer, fo wie bie Bögel den Samen 
von Bäumen auf bie Kirchthürme. Beide keimen ba oft zum 
Schaden, nur ift die. Pflanzungsart verfhieben. Jene fprechen 
fie, und dieſe übertragen fle auf bem entgegengejegten Wege. 


Nah einem. breißigjährigen Kriege mit. fich felbft, Fam es 
endlich zu einem Vergleich, aber die Zeit war verloren. 


Man kann wirflih nicht wiſſen, ob man nicht jekt im 
Tollhauſe ſitzt. RW 


Die Fliege, die nicht geklappt ſein will, ſetzt ſich am ſicher⸗ 
ſten auf die Klappe ſelbſt. 


Ich lobe mir die Leute, welche Nerven haben wie 4: Pfen- 
nigöftride. 


Wenn auch das Gehen auf zwei Beinen dem Menfchen nicht 
natürlich ift, fo ift es doch gewiß eine Erfindung, die ihm Ehre 
macht. 


90 


Seine Bücher waren alle ſehr nett; fie hatten auch fonft 
wenig zu thun. 


Hinten hatte er einen falfchen Zopf eingebunden, und vorne 
ein frommes Geſicht, das nicht viel ächter war, auch zuweilen 
wie jener bei heftigen Bewesungen ausfiel. 


.. Man hat Nachtſtühle, die wie aufeinander gelegte Folian⸗ 
ten ausſehen. Einige Schriftſteller ſcheinen Gefallen an der um⸗ 
gekehrten Methode zu finden, und Bücher zu ſchreiben, die ſich 
wie Nachtſtühle präſentiren. 


Geſpräch. 

Ich. Warum weint ſie denn? 

Die Gartenfrau. Ach, mein Mann geht heute zum 
Nachtmahl nach Bovenden. 

Ich. Nun, iſt denn da zu weinen? Das in ja gut, daß 
er ſo fromm iſt. 

Die Frau. Ach ja, fromm, wenn er zum Nachtmahl ge⸗ 
weſen, ſo betrinkt er ſich, und da krieg ich allemal Schläge. 


Ich verkaufte, wie Eſau, mein Geburtsrecht in die Facul⸗ 
tät zu treten gegen etwas Ruhe. 


Ein Mechanikus (Seyde) beurtheilte Bürgers Gedicht auf 
Michaelis, mit der Bemerkung, es wäre Schwung darin. Es 


mar eine Luft, ben Dann von einer Ode urtbeilen zu bören 
wie von einer Zeuerfprügße. 


Die Entfhuldigungen feiner Fehler nehmen fich zum Theil 
gut aus: fie tragen aber zur Beſſerung ſeines Fehlwurfs gemei⸗ 
nigli fo wenig bei, al8 beim Kegeln das Nachhelfen mit Kopf, 
Schultern, Armen und Beinen, wenn bie Kugel fhon aus der 
Hand ift. Es ift mehr Wunſch ale Einwirkung. 


Man kann wirklich, wenn man in einem ſchlechten Wagen 
fit, ein folches Gefiht machen, baß ber ganze Wagen gut aus- 
ſieht. Auch vom Pferde gilt das, 


Es hilft freilich, aber man muß immer bebenten, es if 
ein Schritt, der mit dem viele Ähnlichkeit hat, da man fi zur 
Heilung ber Schwindſucht in den Kuhſtall einmiethet. 


Branntewein aus Sperlingen brennen, würde fie bald zer« 
ftören. 


Ein canadifher Wilder, dem man alle Herrlichkeiten von 
Paris gezeigt hatte, wurde am Ende gefragt, was ibm am be 
ften gefallen babe. Die Metzgerläden, antwortete er. 


Die Frage ift, mas man in jener Welt dazu fagen wird, 
wo man vermutblich anders benft, als bier zu Lande. 


92 


Um fortzufommen, bediente er’ ſich des befannten vierfüßigen 
Thiers, das noch in keinem zoologifchen Werke befchrieben ift, 
und dad unter dem Namen von Portehaife in allen großen 
Btäbten häufig berumfchleiht. Man Pönnte e8 als ſchwanger 
betrachten, und mit dem trojaniſchen Pferde vergleichen. 
Man: gibt ü über . Iorifen Gedichten oft die Versart on: 

- oo. [—o—-.e|j|=-oo0| ufm 
Wenn man bie Gedanken darin mit Eins und den Nonfens 
mit Null anzeigte, fo würbe «8 zumeilen fo ausfehen: 

-—-"000|000|000|- 


Wenn fie auf dem Leihhauſe Menfhen annähmen, fo 
möchte ich wohl wiffen, wie viel ih auf mich geborgt befäme. 
&o find die Schuldthürme eigentlich Leihhäufer, in welchen 
man nicht fowohl auf Meublen, als auf bie Beſitzer felbft 
Geld leiht. 

Es 8 fehlt nicht viel, fo ordnet man die Menfchen in Rüdficht 
auf Geiftesfähigkeiten fo wie bie Mineralien nach ihrer Härte, 
ober eigentlih nach der. Gabe, bie eines beſitt, das andere zu 
ſchneiden und zu Fragen. J 


Die Chr begießen das vnaniden- und bie Juden bes 
fihneiden ee. 


%. De Mann bat viele Kinder. B. Ja, aber ich glaube, 
bei ben meiften bat er bloß bie Gorrectur beforgt.. 


Die Degen, welde bie größten Sroberungen machen, find 
die mit Demanten befeten. 


Der Januarius ift ber Monat, da man feinen guten Freun⸗ 
den Wünfche darbringt, und die übrigen bie, worin fie nicht 
erfüllt werben. 


In England wurde bei einem politiſchen Ftauenzimmerclub 
feſtgeſetzt, daß bei wichtigen Borfällen außer ber Präfidentin 
nur noch zwei. Perfonen zu gleicher Zeit. reden follten. 


Im Adrefkalender ſtehen die Profefforen offenbar nach ber 
Zandmiliz. 


Herr N pflegte ſich und feinen Kindern jo viel Circenses 
zu geben, daß es endlich beiden am pane zu fehlen anfing. 


Die Vermählung des Dogen mit dem abriätifhen Meere 
könnte genügt wärden. Der Bürgermeifter zu ...., das wegen 
feines Biers berühmt iſt, vermählt fi) jährli mit einem Braus 
keſſel. N. vermählte fi alle Jahre wenigftens Einmal mit ber 
Goſſe, nur mit dem Unterfchiebd von dem Dogen zu Venedig, 
baß diefer nur einen Ring ins Waſſer wirft, jener aber mit 
fehr viel größerer Herzlichkeit ſich felbft hineinlegte. - 


94 


S. that felten Unrecht, aber was er that, gemeiniglich zur 
unrechten Zeit. 


Er Hatte im Prügeln eine Art von Gefchlechtötrieb ; er prüs 
gelte immer nur feine Frau. 


Die beiden Hohenliederdichter Salomon und Bürger haben 
in puncto puncti nie ſonderlich viel getaugt. 


Es gibt eigentlich zwei Arten, eine Sache zu unterfuchen, 
eine Faltblütige und eine warmblütige, | 
Der Correetor verbeffert Drudfehler noch zu rechter Zeit; 

ber Krititer gebructe Zehler, wenn «8 Teider zu fpät iſt. 


Es wäre freilich gut, wenn es keine Selbſtmorde gäbe. 
Aber man richte nicht zu voreilig. Wie in aller Welt wollte 
man z. B. in Trauerſpielen bie unnügen Perfonen wegſchaffen? 
Sie durch andere ermorden zu laffen, ift gefährlih. Alles ift 
weislich georbnet. 


Man kann ſich nicht leicht eine fchlauere Here benken. Die 
Schlange hatte wie ben Vater, fo auch feine beiden Söhne bes 
ſtrickt. Wahrli eine wahre Gruppe des Laofoon. 

* . 
So gehts an ber Leine, an der Elbe und am Rhein, und 
wird wohl am Jordan eben fo gegangen fein. : 








» 


Er ſchickte mir ein fehr ſchlecht gebrudktes und gefchriebenes 
Troſtgedicht, gerade als wenn man Thränen mit Löſchpapier 
trocknen könnte. 


Er war nicht ſowohl Eigenthümer als Pächter der Wiſſen⸗ 
haften, die er vortrug. Denn es gehörte ihm nicht ein Fleck⸗ 
chen davon. 


Es gibt heutzutage fo viele Genies, daß man recht froh 
fein ſoll, wenn einem einmal ber Himmel ein Kind befcheert, 
das feines ift. 


Man hatte ihm fein Buch zu Schanden recenfirt, und ex 
fagte felbft, wenn er es auf ben Schranke flehen fähe, fo ver« 
arge es in ihm das Gefühl, wie der Anblid bes verfchloffenen 
Zadend eines Kaufmannes, der banferot geworben: ift. 


Gefpräd.. 
A. Ja, die bat ihr Köpfchen. 
B. Und ich habe mein Prügelchen. 


Er hatte fi) fogar eine Conſtitution entworfen,.. um ſich 
zum Handeln zu bringen, und eigentliche Minifter erwählt, Mäs 
figfeit, fogar den Geiz einmal. Sie wurden her immer wie 
ber beruntergeworfen. 


96: 


-. Mit ber ehriftlichen Religion Läßt fi): Staat mahen, aber 
wahrlich mit. den Chriften ſehr wenig. 


Man wäfht am Gründonnerstag 12 Männern ober Wei: 
bern bie Füße, und bafür das ganze Jahr hindurch e allen übri⸗ 
gen Unterthanen die Köpfe. 


Ob der Mond bewohnt iſt, weiß der Aſtronom ungefähr 
mit der Zuverläſſigkeit, mit. der er weiß, wer fein Vater war, 
aber nit mit der, womit er weiß, wer feine Mutter gewefen:ift. 


Wenn die Nachwelt einmal einen ganz aufgetrennten Das 
menanzug fände (vielmehr ftatt der Nachwelt, eine andere: Claffe 
vernünftiger Wefen) und wollte -baraus die Figur ber. Dame 
beftimmen, die. damit überzogen geweſen wäre, was würde. da 
für eine Figur herauskommen? “ FE 


Doß in den Kirchen geprebigt‘ wird, macht behtwegen die 
Blikableiter auf ihnen nicht unnöthig. 





Man hat heutzutage mehr Magifter ber Rehtſhoſenhet 
als rechtſchaffene Menſchen. 


% 


Es it eing ganz befannte Sache, baß bie e Bieelkünd 
Ken größer find, als die Viertel ftunden. 


Die Buchhändler follten Leinenlumpen und Papierfchnigeln 
zur Bezahlung nehmen, fo könnte ſich noch mancher ehrliche 
Mann ein Werken anfdyaffen. 


Ih hatte mich auf K’8 Anrathen damals entfeglich dar⸗ 
über geärgert. 


Wenn er philofophirt, fo wirft er gewöhnlich ein angeneh⸗ 
mes Mondlicht über bie Gegenflände, das im Ganzen gefällt, 
aber nicht einen einzigen Gegenftand deutlich zeigt. 


Daß wir bie Sperlinge noch nidt ganz von unfern Erb: 
fenfeldern adhalten fünnen, ift ein Zeichen, daß wir bie Natur 
der Sperlinge noch nicht genug kennen. Wan verfährt gegen 
fie, wie gegen Spigbuben, das ift wie gegen Menfchen, und 
das find fie doch offenbar nicht. Ich wollte alfo auf alle Weife 
zur unmenfchlichen Behandlung rathen. 


Jemand ftirbt ftoifh, an einem Gefhwür am Rüden, man 
begreift nicht, warum ber Mann fo tieffinnig ift, findet aber 
nad feinem Tode, daß ihm der Galgen auf ben Rüden ge: 
brannt war. 


Kein Wort im Evangelio ift mehr in unferen Tagen befolgt 
worden, als das: Werdet wie die Kindlein. 


II. 7 


98 


Wo alle Leute fo früh als möglich Fommen wollen, da muß 
- nothwendig bei weiten ber größte Theil zu fpät Fommen. - 


Ein Stoß auf den Magen raubt alles Bemwußtfein nicht 
dem Magen, fondern dem Kopfe felbft. Überhaupt wird immer 
von Kopf und Herz geredet, und viel zu wenig vom Magen, 
vermutblih, weil er in den Souterrains logirt ift, aber bie 
Alten verftanden es beffer. Perſius creirte ihn bekanntlich fchon 
zum Magister Artium, und feitdem ann er dod) wohl etwas 
binzugelernt haben. 


Bekanntlich ift Boltaire zweimal getauft worden, es bat 
aber nicht viel gefruchtet, und vielleicht wäre es beffer für ihn 
und bie Welt gewefen, wenn man, ſtatt das Pflänzchen zwei: 
mal zu begießen, e8 zweimal befchnitten hätte. 


Bei diefer Gelegenheit mwurben einige Guartbänbe in den 
FSoliantenftand erhoben, und e8 wurbe ihnen erlaubt, Xitelblät: 
tet in folio zu führen, die aber eingefchlagen getragen werden 
mußten. 


"x 


Es ift möglih, Iemandem die Baden fo zu ftreiheln, daß 


ed einem Dritten ſcheint, als hätte man ihm eine Obrfeige ges 
gebeii. . 


Im ganzen Sirkel von Liebe zur Veränderung, die das 


— ——— —— — o⏑ 


weibliche Gefchlecht befikt, ift wohl bie zur Veranderung des 
Namens die vorzüglichfte. 


Sch habe ihm Lieber gefungen, gereimte und ungereimte, 
aber er hörte fie an, wie der Maifäfer ben Gefang ber er Kinber, 
und that nur bloß was ihm gefiel. 


Das Niefen ift eine Operation, wodurch große Übel entſte⸗ 
ben können, Taubheit, Blindheit, Aberkröpfe, ja felbft der Tod. 
Diefes ift die Urfache, warum man Profit fagt, Gott gebe, daß 
bir dieſes nicht fihaden möge. Man Eönnte das Profit bei 
manchen anderen Dingen fagen, beim erften Verſemachen, Heis 
rathen u. f. w. 


Er hatte fo viel über die Sache gedacht, wenigſtens geſchrie⸗ 
ben, daß man damit, wo nicht ein Pferdihen, doch ein mäßiges 
Efelchen hätte belaften Pönnen. 


Er war ein unerfhöpflicher Erzähler, und höchſt unterhal- 
tender Mann. Das Licht feines Wiges leuchtete über Tafeln 
von 50 Couverts. Es mußte aber jemand da fein, der das 
Licht zuweilen putzte, fonft fing e8 an dunkel zu brennen, und 
verlofh wohl gar. Es mit ber LXirhtfcheere auszuthun, war 
unmöglid. j D) 


Sept ſucht man überall Weisheit auszubreiten, wer weiß, 
7 * 


100 J 


ob es nicht in ein paar Hundert Jahren Univerfitäten gibt, bie 
alte Unwiſſenheit wieder berzuftellen. 


Ab, was wollten wir anfangen, fagte das mänden, wenn 
ver liebe Gott nicht wäre ! 


Wenn dieſes Philofophie ift, fo ift e8 mwenigften® eine, bie 
nicht recht bei Troſt ift. 


Jemand, ber bie Größe eines Fledens befchreiben wollte, 
fagte: er war von der Größe eined gewöhnlichen Dintenfleds. 


Frage: Was ift leicht und was ift fchwer? Antw.: Solche 
Fragen zu thun ift leicht; fle zu beantworten ift ſchwer. 


Die großen Zeldherren wollten wir gern entbehren, wenn 


wir nur dafür defto mehr große Stadt» und Lanbesherren bes 
fämen. 


Als er am Kirchhofe vorbeiging, fagte er: Die da Fännen 
nun ſicher fein, baß fie nicht mehr gehenkt werden; das können 
wir nidt. 


Gr fagte Alles mit fo wenig Worten, als follte er fie fi 
eindbrennen laffen, 


- — —— — |U[|444‚ 
ln — — — — — — — 


Wenn irgend ein Phöbus feinen feurigen Wagen zur Er: 
feuchtung und Berberrlihung der Welt an dem Firmamente hin- 
führt, fo fann man ficher auf ein Dupend Phaetone rechnen, 
bie in ihren Gabrioletchen und Halbchaischen hinterbrein purzeln. 


Er fhliff immer an fih, und wurde am Enbe ftumpf, ehe 
er fcharf war, 


Wäre ed nicht gut, bie Theologie etwa mit dem Jahre 1800 
für gefchloffen anzunehmen und ben Theologen zu verbieten, 
fernere Entdedungen zu machen? 


Ich bin längſt von dem Satze überzeugt gemwefen, daß es 
in den Familien, die 3. & aus Mann und Frau, 4 bis 8 Kin⸗ 
dern, einer Kammerjungfer, ein Paar Mägbden, ein Paar Bes 
dienten, Kutfiher ıc. beftehen, und auch Eleineren, zumal wenn 
noh ein paar Frau Bafen wenigftens tolerirt werden, gerade 
fo zugeht, wie mut. mut. in den größten Staaten. Es gibt da 
Verträge, Kriege, Zriedensfchlüffe, Minifterwechfel, Lettres de 
Cachet, Reformation, Revolution u. f. w. 


Um an etwas zu zweifeln, ift freilich oft bloß nöthig, baß 
man es nicht verfteht. Diefen Sa wollten einige Herren gar 
zu gern umkehren, indem fie behaupten, man verftehe ihren 
Satz niht, wenn man ihn bezweifelt. 





102 


12. 


Witzige und Fomifche Ausdrücke und 
Vergleichungen. 


Diefer Satz gehört mit unter die officinellen. 


Er kann fi) den ganzen Tag in einer warmen Borftellung 
fonnen. 


Sie find fo fehr unterfehieden, als ſchwarz von weiß; alfo 
fo fehr als ein Peruquenmader von einem Schornfteinfeger. 


Er fpeit Geheimniffe und Wein. 


Herr 9... hat diefe Meffe ein Wer? vom Stapel laufen 
laſſen. 


Er mäanderte wohl dreimal um die Stelle herum. 


Er ſpeiſte ſo herrlich, daß hundert Menſchen ihr: Unſer 
tägliches Brot gib uns heute davon hätte erfüllt werden 
können. 


Seit urbar machen. 


Gr war das bei ber Sadhe, was ber Schwanzmeifter bei 
der Ramme iſt: er commanbdirte, führte den dickſten Strid, und 
arbeitete am wenigſten. 


Va fpriht mit dem Maule wie ber Franzoſe, mit Hanb- 
dungen wie der Engländer, mit ben Achfeln wie ber Italiener, 
oder mit allen dreien wie der Deutſche. 


- 


Man könnte ihn den Saunkönig der Schriftfteller nennen. 


Wenn fein Wagen fuhr, fo glaubte man inımer, e8 füme 
eine Feuerfprige, wohlverflanden, eine in- ber Richtung von der 
Brandftätte nach dem Sprigenhaufe. 





- 


Zwei auf einem Pferde bei einer Prügelei ein ſchönes Sinns- 
bild für eine Staatöverfaffung. 


Bon dem Birfenbaum gilt oft mehr, ald von ben Küns 
ften, da8 Opidianifche Emollit mores nee sinit esse feros. 


Professor Philosophiae extraordinariae. 


Das Doctorwerden ift eine Confirmation bed Geiſtes. 





104 


Blitztrunkene Wolken, Spotttrunßen. 


Es regnete fo ftark, daß ale Schweine rein, und alle Men: 
fhen dredig wurden, 


Die Störde und Kraniche können kaum fo rar in England 
fein, als die Louisd'or bei ihm. Bumeilen ließ fih ein halber 
Gulden fo wie eine Märzfchwalbe fehen, verſchwand aber bald 
wieder. 


Sie ift am furore Wertherino geftorben. 


Er war ein Zwillingskopf, das ift, er hatte, ohne 
eine Mißgeburt zu fein, bie Kopflräfte von zweien. 


Er ift jegt in Paris, und compilirt Krankheiten und Nar: 
renspoſſen. 


$ 
F Gine zweifhläfrige Frau. 
Eine einfchläfriger Kirchftuhl. 


Dortor der Ihanatologie. 


Mit dem Band, das ihre Herzen binden follte, haben fie 
ihren Zrieden ftrangulitt. 


Die Shetis, ‚ bie der Bacchus umarmt, wäre ein berrliches 
Schild für unfere Weinfchenten. 


Eine Vorrede könnte Fliegen wedel, und eine Dedica⸗ 
tion Klingelbeutel betitelt werden. 


Das hat ihm ſicherlich ſein diabolus familiaris- eingegeben. 
Der Sap muß noch mit einem Bruch multiplicirt werben. 


Ein Schulmeifter fohreibt an einen andern: ba heißt es recht : 
Nitimur in foetidum. . 


Den Hintern mit dem Birkenpinfel roth malen. 


Der Herbft zählt der Erbe die Blätter wieder zu, bie fie 
dem Sommer geliehen bat. 


Nicht Alle, die Wohlgeboren find, find Wohlgeſtor⸗ 
ben, ober im Reiche der Todten Hochedelgeſtorben. 


Wir haben mehr Titulärpbilofophen, als wirkliche. 


Wir von Gottes Ungnabden Taglöhner, Xeibeigene, Neger, 
Frohnknechte ꝛc. 


106 


Ein Menfh, der mit einem Fluch Añdern die Herzhaftig: 
keit nimmt und fi) gibt — ein Straßenräuber. 


- 


Kirchthürme, umgekehrte Trichter, das Gebet in den Himmel 
zu leiten. 


. Die Zonfur ber Zeit und die Corona civica ber Debauche 
um bie Schläfe. " 


Königlicher dofblitableiter — ein Titel. 


Er war nicht ſowohl Vater des Vatetlandes, als deſſen 
Generalquartiermeiſter. 


Ein Mannsfriſeur, der auch allenfalls mit Frauenzimmern 
fertig werden kann. 


Wenn man ſeinen Stammbaum und die hoffnungsvolle 
Jugend anſah, ſo mußte man geſtehen, daß die Familie ein 
wahrhaftes perpetuum nobile wäre. 


Gr befam die Hauptprügel, der Andere nur bad accessit. 


Sein jüngerer Bruder Priegte feined befondern Kopfes wegen 
eine Pleine Stelle beim Theatro anatomico zu G... Nämlich er 
fam todt auf die Welt, und wird jegt dort in Spiritus aufbewahrt. 


Die Frauenzimmer mit Paradießyogeln verglichen, weil fie 
feine Beine haben. 


Er ftieß ihn mit dem Kopf gegen bie Erde, ald wenn er 
ihn da aufftelen wollte, wie Columbus das Ei. 


Seine Bebienten waren noch fo ziemlih weihmäulig, 
fie famen beim zweiten Klingelzug allemal. 


Er hatte einige Jahre mit ihr im Stande ber unbeiligen 
Che gelebt. 


Die Schulen — gelehrte Rafpelhäufer. — Er rafpelte bie 
auclores classicos feine ganze Lebenszeit durch. 


Statt Quod erat demonstrandum, KUQIE Elton! unter 
eine pfochologifche Demonftration. ' 


Er faß zwifchen feinen jungen Hünblein, und nannte fich 
Daniel in der Löwengrube. 


Er feßte der Wade einen Louisd'or auf bie Bruft, und fo 
entkam er ofüdlih. 


Gr bielt fehr viel vom Lernen auf ber Stube, und war 
alfo gänzlich für bie gelehrte Stalfütterung. 


108 


Der Efel kommt mir vor wie ein Pferd ind Holländifche 
überfekt. 


Die gefhärfte Sokratifhe Methode — ich meine bie 
Tortur. 


Ein Fiſch, der in der Luft ertrunken war. 


Der Gang der Jahreszeiten iſt ein Uhrwerk, wo ein Guck⸗ 
guck ruft, wenn es Frühling iſt. 


Der berühmte Schwein- und nachherige Seelenhirt Sixtus V. 


Vom Wahrſagen läßt ſich wohl feben in der Welt, aber 
nicht vom Wahrheit ſagen. | 


Eine Ausgabe auf papier velin, und eine auf papier vilain. 
Mein Aide be Camp — Melungs Wörterbuch. 


Die Geſundheit fieht e8 lieber, wenn der Körper tanzt, ald 
wenn er fchreibt. 

Etwas aus Ultracrepidamie thun. 

Ich bin nicht der Meinung, die Erde zum Hofpitalplaneten 


zu maden. 


Bankerotwaſſer — der Kaffee. 





109 
Nachtrag 


zu ben wißigen und fomifchen Ausdrücken und 
Bergleichungen. 


ARE bie Livree bes Hungers und bed Elends. 
Gott, ber unfere Sonnenuhren aufziebt. 
Eine Mondfinfterniß, die Silhouette der Erbe. 


Nah dem neuen Griechenland reifen, um das Grab ber 
fhönen Künfte zu befuchen. 


Eine Schraube ohne Anfang; fo könnte man wohl eine 
lahme nennen. 


Das Geftirn des Unheils war über ihm aufgegangen. 
Gr ift in eigenhänbdiger Perfon binaufgeftiegen. 


M Ein Mittagsmahl überſetzte ein Franzoſe: mal de midi. 
So find in Göttingen öfters wahre maux de midi. 


Wären nur bie Herren Weiber beffer, mit ben Drau Che 
männern ginge c8 wohl noch hin. 


110 


Abhandlung von merkwürdigen Ochſen⸗ und Cfelsföpfen, 
bie nahe bei N. und in der anliegenden Gegend über der Erbe 
gefunden worden. 


Bon dem Erziehungsbuche bis zum Erziehungsbefen. 


Eine Efelin, bie felbft nöthig gehabt hätte, erft die Eſels— 
mild zu trinken. 


Augen wie ein Stilet. 
Eine Jungfer Hausfrau, ober eine Frau Haudjungfer. 
Profit, wenn's fein Schnupftabad ift. 


Stanflin, der Erfinder der Disharmonica zwifchen England 
und der neuen Welt. 


An die Univerfitätögaleere angeſchmiedet. 
Lieber Gott, ich bitte dich um taufend Gotteswillen. 


Als unfere felige Kuh noch lebte, fagte einmal eine Frau 
in Oöttingen. 


Er ftand fo erbärmlich. da, wie ein ausgebranntes Räucher⸗ 
kerzchen. 


Es gibt eine Art von Proſa, bie man bie Staatsperuque 
nennen könnte. 


Der Menfh der alten Zeit verhält fih zur neuen, wie. 
ein Bratenwenber zu einer Repetiruhr. 


Das neue Teftament, von neuem aus bem Griedifchen 
überfeßt, vermehrt und verbeffert u. f. w. 


Eine Scelendocolade, deren Gebrauh zum ewigen Leben 
führt. on 


Er trieb einen Pleinen Finfternißhanbel. 





Verse der Preffe und der Kaffeemühle. 
Der Franke fichtz der Emigrirte gehet fechten. 


Die Herren vom Berge, ich meine vom Parnaß. (1796 ge⸗ 
fchrieben). " 


Schon lange vor ber franzöfifhen Revolution "hatte er bie 
dreifarbige Nafe aufgeftedt. 


Es war mir auf dem Garten immer eine Freude, bes Sonns 
tags fo die fchönen Leinathenienferinnen vorbeigehen zu fehen. 


— 





112 


Ein wahres Stedbriefgeficht. 


Er ſchien eher Tifchlerarbeit zu fein, als ein wirklich menſch⸗ 
liches Gefchöpf. 


Flüche für Kinder, Seeleute, Militairperfonen ır. 


Ein großes Licht war der Mann eben nicht, aber ein großer 
bequemer Leuchter. Er handelt mit anderer Leute Meinungen. 


Er handelte mit anderer Leute Meinungen. Er war Pros 
feffor der Philofophie. 


Die Geehrten und die Gelehrten. 


Er ftieg langſam und ſtolz wie ein Gerameter voran unb 
feine Frau trippelte wie ein Pentameterchen hinter brein. 


Auf den Fenftern der Aufklärung ruht in... nod eine 
ſchwere Zare. 


Die Stadtuhr hat wieder rheumatifche Zufälle, 


Gr hatte von feiner Frau ein Kind, welches Einige für 
apokryphiſch halten wollten. 


Er hatte ein paar Stückchen auf der Metaphyſik ſpielen gelernt. 
Das Grenabiercabinet Sriehr. Wilhelm bes Sehen. 

— Bäber heilen gut. 
Das Berbrechen ber befeidigten Philoſophie. 
Eine. Menagerie von Spisbuben. | u 
Der Papagei fpradh noch bloß feine Mutterſprache. 
Jungfern, davon drei auf ein Säculum gehen. 


Die weißen Federn der Damen ſind weiße Fahnen, die ſie 
aufſtecken zum Zeichen der Capitulation. 


Zwölflöthiger Rheinwein. 
Hinlänglicher Stoff zum Stillſchweigen. 


⸗ Wenn der Schlaf ein Stiefbruder des Todes iſt, ſo iſt der 
Tod ein Stiefbruder des Teufels. 


Er ſchrieb und dachte friſch von der Leber weg, ohne Alles 
erſt durch das Filtrum der Gonvenien; laufen zu laſſen. 


IL i 8 


114 


Ein Pfaffe auf ber Canzel. Er war did, breit, hatte einen 
furzen Hals, und fein Gefiht öfters unter einem Winkel von 
459 aufwärts gerichtet, fo daß er förmlich einem geifllihen Con- 
troversbombenmörſer glih. Zuweilen wurde fein Rüden faft 
borizontal und da fpie er, wie eine Drehbaſſe, Fluch, Freuden: 
und Segenfeuer durch einanber. 





Die Nafe machte mit den beiden Augenknochen eine Art von 
fpanifhem Reuter, daß man fe nicht einmal hätte küffen kön⸗ 
nen, wenn man gewollt hätte, 


Wir wohnen in Göttingen in Sqheiterhaufen, , bie mit Thür 
ren und Fenſtern verfehen: find. 


©ie afen ein Te Deum laudamus.. ...: 


Er war Anekdotenfpebiteur und > Sofmebi bei dem Fürs: 
ſten zu NR. 


Seine Stirn verdient das glühende Eiſen bes Geſchicht⸗ 
ſchreibers. 


Ein Sorgenmeſſer; mensura curarum. Mein-Geſicht iſt 
eines. 


DOffenfiver und defenfwer: Stolz. — 


Sie zog eine. Diebe und Leibrente. -— , te 
Der felig zerplakte B., ſagte dieſen Morgen mein Zrifeur. 


Dem Büchelchen die Pocken einveuliren, das tft, fi bie 
Recenfenten durdy Bitten zu Freunden machen. 


D. follte auf fein Maculaturmagazin ‚die Aufſchrift ſetzen 
laſſen: Piperariis et Apollii; oder auch: Musis et Piperi. 


Das ift die Wetterfeite meiner moralifchen Sonftitution, da 
Fann ich etwas außhalten. i 


Neujahrswünſche, für deren Güte der Verkäufer rinfteht. 
Sie fünnen, wenn ne nicht einſchlagen, ‚ wieder zurückgegeben 
werden. 


Die ganze Halsgerichtsordnung der Canzel. 


" Diefen meinen Secundaverweis« fchreibt ein Kaufınann 
an feinen Sonn. 


ICH 


Ein Haus, worin bie Körper nach ahgeſchiedener Serum 
einen Wittwenfig erhalten. 


‚Bi ift zwar noch nicht verheirathet., Bat: aber promovirt. 
8 vw 


116 


Gr war ber Ausrufer bed Evangelii, denn Prediger konnte 
man ihn nicht nennen. 


Ih habe gehört, er fol zuweilen nüchtern fein. 
Der Hunger und das Elend liegen ba gleichfam in Garniſon. 


Er war ber wahre Serunbenzeiger bes Anſtandes ‚bet Ber: 
nunft und des guten Gefhmads. 


Gr hatte mehrere Krankheiten, allein feine Hauptflärke befaß 
er im aſthmatiſchen Face. 


Er war damals die Spadille ber Gefellfhaft. 
Der gute Ton fteht dort um eine Octave niedriger. 


Das Mufenbrot ift an manden Orten noch fehwärzer als 
das Commisbrot. 





Er glich gewiffen Blumenblättern, die man nie gerade bies 
gen Bann, fie bleiben immer nad) ber einen oder der andern 
Seite hohl. 


Das Wort Haldgeriht Fünnte zumeilen von einem concilio 
medico gebraucht werben. 


117 


Er hatte eben einige lateinifhe Wörter apportiren gelernt. 


Man fagt: das Adlerauge der Kritif. In vielen Fällen 
wäre es befjer, zu fagen: die Hundsnaſe der Kritik, 


Borrede ſollte heißen Borf pann ‚ denn bas find manche 
Borreben. 


Es ließen fih ganz artige Bemerkungen über die vielen auf 
dem großen Profpert in M. in die Augen fallenden Kirchfpiken 
maden. Sie find eine Art fpanifcher Reuter gegen den Teufel 
und fein Heer, SKriegableiter u. f. w. 





Yen Mädchen, faum zwölf Moden alt. . 


118 


. 133. | oo | 
Urtheile und Bemerkungen über den 
Charakter verſchiedener Völker. 


Die Osnabrücker find ganz gute Leute, aber fie braudyen 
doch auf drei Tage, um einen Windofen zu ſehen. 


In Athen berrfchte meit weniger gefunde Vernunft, als in 
Lacedämon. Die erfte Stadt war äußerft wanfelmüthig; fie ließ 
ihre Generale binrichten, und bereute es; fie vergiftete den So⸗ 
Prates, beftrafte feine Feinde, und errichtete ihm Ehrenfäulen. 


Im Jahr 1774 Tas ich in irgend einer von Hume's Schrife 

ten, die Engländer hätten. gar feinen Charafter. 

„Ich konnte damals nicht begreifen, wie ein ſolcher Mann ſo 

y etwas fagen Fonnte, für das fich einen Tag Credit erwarten 

ließ. Nun, nachdem ich etwa 16 Wochen unter biefem Volke 

gelebt habe, glaube ich mit Überzeugung, daß Hume recht hat. 

Ich will bamit nicht fagen, daß es wahr ift, allein mir fommt 

es nun fo vor, was ich voriged Jahr für gänzlich unmöglid ges 
halten hatte, 


Wenn fi etwas Beftimmtes von dem Charakter der Eng: 


% 


länder fagen läßt, fo iſt es biefes, daß ihre Meven, wie man 
zu fagen pflegt, fehr fein find. Sie unterſcheiden Wieles, wo 
Andere nur Eins fehen, und werben leicht durch den gegenwärs 
tigen Eindrud hingeriſſen. Daher fieht: man, wie ihre Wankel⸗ 
müthigfeit mit ihrem Genie zuſammenhängt. Wenn fie fi 
porfäglich einer einzigen Bade überlaffen,, fo müffen fie e8 auf 
biefe Art fehr weit bringen, 


Sn England findet man mehr Originalcharaktere in Gefell- 
[haften und unter dem gemeinen Volk, als man aus ihren 
Schriften Fennt. Wir hingegen haben eine Menge. im Meßka⸗ 
talog, wenige in Geſellſchaft und im gemeinen Leben, und uns 
ter den Galgen gar keine. 


Sagt, ift noch ein 1 Ban außer Deifötan, wo man bie 
Nafe eher rümpfen lernt, als putzen? 


ꝰ Der Charakter der Deutſchen in zwei Worten: patriam 
fugimus. Virg. 


Die Engländer folgen ihrem Gefühl mehr, als andere Men⸗ 
ſchen, daher find fie fo geneigt, neue Sinnen anzunehmen, z. B. 
sense of trulh, sense of moral, sense of heauty. 


Die Deutfchen Iefen zu viel. Darüber, daß fie nichts zum 
zweitenmal erfinden wollen, lernen fie Alles fo anfehen, wie 


120 


ed ihre Vorfahren angefehben haben. Der zweite Fehler ift aber 
gewiß fchlimmer, als ber erfte. 


Selbft aus den taufend und einer Naht kann man bie 
Indolenz ber Indianer ertennen. Aladins Lampe, womit er 
ſich Alles verſchaffen kann, das Pferb, dad vermittelft eines 
Bapfens hinführt, wohin man will, find unwiderſprechliche Kenn: 
zeichen des Charakters. Haben nicht thätigere Nationen auch in 
ihren Fabeln mehr Thätigkeit ? 


Keine Ration fühlt fo fehr, als bie beutfche, ben Werth 
von andern Nationen, und mwirb leider! von ben meiften wenig 
geachtet, eben wegen biefer Biegfamleit. Mich dünkt, bie an« 
dern Nationen haben redht: eine Nation, bie Allen gefallen 
will, verdient von Allen verachtet zu werden. Die Deutfchen 
find e8 auch wirklich fo ziemlihd. Die Ausnahmen find bekannt, 
und fommen nit in Betracht, wie alle Ausnahmen. 

’ 


Ich glaube doch, daß, in Vergleich mit bem Gnglänber, 
bie Vernunft bei dem Deutfchen mehr vertuſcht, was eigentlich 
gar nicht einmal Statt finden follte. Der Deutfhe lacht 3. €. 
bei mancher Gelegenheit nicht, weil er weiß, daß es unſchicklich 
ift, wobei dem Engländer dad Lachen gar nicht einfällt. 


Wo die gemeinen Leute Vergnügen an WBortfpielen finden, 
und häufig felbft welche machen, ba kann man immer darauf 


rechnen, ‚daß bie Ration auf einer ſehr hoben Staffel von. Cul⸗ 
tur flieht. Die Calenberger Bauern machen Feine. . 





Nachtrag 
zu den Wrtheilen und Bemerkungen über den Charakter 
verfchienener Völker. 


Die engliſchen Genies gehen. vor der Mode ber, und bie 
deutſchen hinter drein. 


Die Griechen beſaßen eine Menſchenkenntniß, die wir, ohne 
durch den ſtärkenden Winterſchlaf einer neuen Barbarei durchzu⸗ 
gehen, kaum erreichen zu können ſcheinen. 


Wenn man den Ländern ihre Namen von den Worten 
gäbe, die man zuerſt hört, fo müßte England damn it heißen. 


Ich möchte einmal wiffen, was gefchehen würde, wenn 
man in Zondon bie zehn Gebote fo lange aufhöbe, als es 12 fchlägt. 


Wir kennen noch zur Zeit die Spisbuben der Engländer 
beſſer, al8 fie unfere Gelehrten. 


122 


Warum gibt fih nicht leicht irgend jemand, ber e8 nicht 
ift, für einen Deutſchen aus, fondern gemeiniglich, wenn er ſich 
für etwas ausgeben will, für einen Zranzofen oder Engländer? 
Das ift in diefer Welt ausgemadht. Aber das find Hafenfüße. 
Gut, aber warum gibt es Feine Hafenfüße unter andern Natio⸗ 
nen, bie fi für Deutfche ausgeben? Cs ift ſeltſam. Es ift 
ein Irrthum. Aber Irrthum von, Nationen, wer wil:ihn rich 
ten? Es werben Kriege. geführt über. Urfachen, bie im gemeinen 
Leben den Galgen verdienen. Aber wer will richten ? 


Der deutfche Gelehrte hält die Bücher zu lange offen, und 
ber Engländer madt fie zu früh zu. Beides bat indefien in 
der Welt feinen Nupen. | 


Die Hannoveraner haben ben Fehler, daß fie zu früh klug 
werden. J 


| 14, 
Zum Andenken von Verſtorbenen. 


Große Männer follten ihren Beifall Öffentlich nicht bloß 
den Helden geben, nicht bloß dem Manne, der von einer Bor« 
ftelung begeiftert eine Ode ſtammelt, fondern auch bem gerech- 
ten und firengen Richter, bem gelehrten und gewiſſenhaften Ad⸗ 
. vocaten, dem finnreihen und emfigen Handwerker. Fürchtet 
nicht, daß eure Geſchichtbücher mit Namen üÜberſchwemmt wer⸗ 
den würden. Sie ſind ſo ſelten und ſeltner, als die Helden, 
je geringer der Lohn iſt, den ſie aus den Händen des Ruhms 
erwarten. Ich weiß nicht, ob bie Geſchichtſchreiber des ſieben⸗ 
jährigen Krieges den Generalanbiteur Sriefebacd nennen wers 
den; wenn ein Livius darunter ift, fo vergißt er ihn nicht. Ein 
Dann, der feinem Könige fo getreu, wie feinem Gott war; 
‘der, wenn er bie Gerechtigkeit und das Geſetz für ſich hatte, 
nichts fcheute, was fonft Menfchen zu fürchten pflegen, burd 
nicht8 beftechlih, was die Welt geben Bann; Purz der Mann, 
deſſen Tugend Ferdinand bewundert, und bei deſſen Tode 
Zimmermann geſagt hat: 

Der Mann, der von der Bahn der Tugend niemals wich, 

Der an Gerechtigkeit den Höllenrichtern glich, 


124 


Den Fürftengunft vergebens wanken madte, 
Der als ein Gott bei jeder Handlung badhte, 
Der ftirbt! — ad nur zu früh für Baterland und Freund ıc. 
Die Namen folder Männer müffen nicht etwa unter dem 
Titel: Leben gewiffenbafter Rihter unb Abpocaten 
— der Nachwelt zugeftellt werden wollen, bie fie gewiß unter 
diefer Addreffe nicht erhält. Man muß ihnen nicht einen Lei« 
henftein auf einem Stadtkirchhof errichten, fondern man muß 
fie unter die Könige begraben. j 


Den 12. September 1769 ftarb in Göttingen Hr. Rolten, 
ein Büchfenmacher und ein fehr ehrliher Mann. Gr hatte es 
in feiner Kunft fehr weit gebraht, und war zugleich ein treff⸗ 
liher Schütze. Er ſchoß einmal aus freier Hand 13 mal nad 
einander auf 250 Schritt ins Schwarze, und beinahe immer auf 
benfelben Fled. Bei folennen Sceibenfchießen hat er öfters ben 
Yunft aus ber Scheibe geſchoſſen. Gr liegt in ber Albaner 
Kirche begraben, wo ber große Mayer ebenfalls liegt. Gr war 
mein guter Freund, und batte ein vortreffliches Herz, daher 
lächele ich nicht bei ber Verbindung der beiden Ramen, Mayer 
und Nolten. 


Am 18. December 1788, ftarb mein vortreffliher Meifter‘), 


*) Albreht Ludw. Friebr. Meifter, geb. 1724, zu Weider 
beim im Hohenlohifchen, Prof. ber Philofophie in Göttingen. 


125 


- 


allein erft ven 23. ward er, nach feiner- Verordnung, begrabett. 
Hieraus Teuchtet bed guten Mannes Furcht hervor, die ihn fonft 
gegen das Ende feiner Tage verlaffen zu haben ſchien. Ich babe 
ihn fehr genau gekannt, nicht bloß, weil ich viel mit ihm umging, 
— denn man kann ſehr viel mit einem Manne umgehen, und ihn 
boch nicht Eennen lernen, — fonbern weil id) in einer Berbin- 
dung mit ihm ſtand, wobei man fi nicht bloß an einander 
anfchließt, fondern auch fo unter einander öffnet, baß-Alles in’ 
beiden Gefäßen bis zum horizontalen Stand zuſammenfließt. 
Er war ein Mann von den größten Fähigkeiten, und einem 
Scharffinn, der nicht leicht ſeines Gleichen hat. Mathematiſcher 
Calcul war deßwegen nicht das, was Reize für ihn hatte; er 
dachte ſehr gering davon, wie von den Leuten, die ihren ganzen 
Ruhm darin allein fuchen., Schriftſtelleriſchen Stolz hatte er 
gar nicht; er hätte fonft gewiß leicht feine Herren Collegen” über: 
troffen. Ganz gekannt bat ihn indeffen die Welt gar nicht, 
auch feinem Charakter nad. Es ift gar fonderbar, wie viel der 
vernünftigfte und rechtſchaffenſte Mann nöthig bat, nicht mit 
dem Mifroffop betrachtet zu werden. Ich möchte wohl zumei« 
len wiffen, wo alle8 ba8 hinaus will, und wo man die Linie 
zu ziehen bat. Das Mädchen im Stand ber Natur paart fi 
willig mit dem Manne, ber Stärke und Geſundheit und Thä⸗ 
tigkeit verräth. Nach der Hand findet fie, daß fein Athem nicht 
der reinfte ift, daß er ihr wirklich nicht immer Genüge leiſtet 
n.f.w. So geht e8 überall. Meifter war ein höchſt feiner und 
ſcharffinniger Kopf, und wirklich ein großer Mann, von uner- 


= 


126 


ſchütterlicher Rechtfcehaffenheit im Handel und Wandel, und dod 
batte er fo unzählige Schwachheiten, wo man ihn ganz ſah. — — 

Petron und Apulejus waren immer feine Lieblingsfchriftfiel- 
ler; obgleich er gegen edle Simplicität nit unempfindlich war, 
Un Auflöfung einer verwidelten Synthefe fand er befonderes 
Bergnügen. 


127 


— 15. | 
Gute Hathichläge und Marimen. 


Wenn bu in einer gewiffen Art von Schriften groß werben 
wilft, fo lies mehr, als die Schriften biefer Art. Wenn du 
auch ſchon deine Äſte nicht Über ein großes Stüd Feld ausbrei⸗ 
ten willſt, fo ift es deiner Aruchtbarfeit immer gutraslich, deine 
Wurzeln weit ausgebreitet zu haben. 


Ein gutes Mittel, gefunden Menſchenverſtand zu erlangen, 
ift ein beſtändiges Beftreben nach deutlichen Begriffen, -und zwar 
nicht bloß aus VBefchreibungen Anderer, ſondern fo viel möglich 
durch eigenes Anfchauen. Man muß die Sachen oft in der Ab» 
fiht anfehen, etwas daran zu finden, was Andere noch nicht 
gefeben haben; von jedem Wort muß man fi) wenigftens Eins 
mal eine Erklärung gemacht haben, ‚ und- keines. brauchen, dad 
man. nicht verſteht. on: = 


Es ijt fehr gut, Alles, was man denkt, rechnet u. dergl., in 
befondere Bücher zu fehreiben: dieß macht den Wachstum merk: 
lich, unterhält den Be und gibt einen 1 Rebenbenegunghgrund, 
aufmerkfam zu fein. --. on, ner 


128 


Man muß nie denken, biefer Sa ift mir zu fohwer, ber 
gehört für große Gelehrte, ih will mich mit den andern bier 
befchäftigen; das ift eine Schwacdhheit, bie leicht in eine völlige 
Unthätigkeit ausarten kann. Man muß fi) für nichts zu gering 


balten. u 


So zu leſen und zu ftudiren, daß es fi) immer anfekt, 
kann ich rathen, obgleih die Welt nit an mir ben Nupen 
diefes Rathes fieht. Ich gebe ihn nicht, weil ich ihn durch häu⸗ 
fige Erfahrung nützlich befunden babe, fondern weil ich ihn jept 
fehr deutlich fehe, daß ich ihn hätte befolgen follen. Aus dieſem 
Geſichtspunkte follte man überhaupt Vorſchriften betrachten. 


Bei Abſichten muß man bei der Lectüre beftändig vor Augen 
haben, wenn fie vernünftig fein fol: einmal, die Saden zu 
behalten und fie mit feinem Syftem zu vereinigen, und dann 
vornehmlich fi die Art eigen zu machen, wie jene Leute bie 
Sachen angefehen haben. Das ift die Urfadhe, warum man es 
bermann warnen follte, Peine Bücher von Stümpern zu leſen. 
zumal wo fie ihr eigenes Raifonnement eingemifcht haben. - Man 
fann Saden aus ihren Compilationen lernen, allein was einem 
Philofophen eben fo wichtig, wo nicht wichtiger ift, feiner Den- 
Fungsart eine gute Form zu geben, lernt er nicht. 


Hüte dich, daß du nicht durch Zufälle in eine Stelle kommſt, 
ber du nicht gewachfen bift, damit du nicht feheinen mußt, was 


129 


du nicht biſt. Nichts ift gefährlicher, und töbtet alle innere 
Ruhe mehr, ja ift aller Rechtfchaffenheit mehr nadıtheilig, ale 
biefes, und endigt gemeiniglich mit einem gänzlichen Verluſt 
des Grebits, 


Übe beine Kräfte, was dich jegt Mühe Eoftet, wird bir end» 
lich mafchinenmäßig werben. 


Was man fieht, tzut oder lieſt, ſuche man immer auf den 
Grab der Deutlichkeit zurückzubringen, daß man wenigſtens 
die gemeinſten Einwürfe dagegen beantworten kann; alsdann 
läßt es ſich zu dem errichteten Fond unſerer Wiſſenſchaft ſchlagen. 
Kein ſtreitiges Vermögen muß je darunter gerechnet werden. 
Will ſich etwas allgemein Angenommenes nicht mit unſerm 
Syſtem vertragen, ſo fehlen uns vielleicht noch Grundideen; und 
Erlernung ſolcher iſt ein großer Gewinn. — 


Man muß nicht zu viel in Büchern blättern über Wiſ— 
fenfchaften, die man noch zu erlernen hat. 8 fehlägt oft nieder. 
Immer nur das Gegenwärtige weggearbeitet ! 


Durch eine fricte Aufmerkſamkeit auf feine eigenen Gedan⸗ 
fen und Empfindungen, und durch bie färkflindividualifirende 
Ausdrückung berfelben, durch forgfältig gewählte Worte, die man 
gleich niederfchreibt, kann man in kurzer Zeit einen Borrath von 
Bemerkungen erhalten, beffen Nutzen fehr mannichfaltig ift. 

I. 9 


130 


Wir lernen uns felbft fennen, geben unferm Gedankenſyſtem 
Feftigkeit und Zuſammenhang; unfere Reden in Geſellſchaften er: 
balten eine gewiſſe Eigenheit wie bie Gefichter, welches bei bem 
Kenner fehr empfiehlt, und deffen Mangel eine böfe Wirkung thut. 
Man bekommt einen Schatz, ber bei Fünftigen Ausarbeitungen ge 
nügt werden kann, formt zugleich feinen Stil, und flärft ben in- 
nern Sinn und die Aufmerkſamkeit auf Alles. Nicht alle Reichen 
find es durdy Glück geworden, fonbern viele durch Eparfamteit. 
&o kann Aufmerkſamkeit, Öfonomie der Gedanfen und Übung 
ben Mangel an Genie erfegen. - 


Man Fann nicht leicht über zu vielerlei benfen, aber man 
kann über zu vielerlei Iefen. Über je mehrere Gegenftände ich 
denfe, das heißt, fie mit meinen Erfahrungen und meinem Ges 
dankenfyftem in Berbindung zu bringen fuche, befto mehr Kraft 
gewinne ih. Mit dem Lefen ift es umgekehrt: ich breite mid) 
aus, ohne mich zu flärken. Merke ich bei meinem Denken 
Lücken, bie ich nicht ausfüllen, und Schwierigkeiten, bie ich 
nicht überwinden kann, fo muß ich nacdhfchlagen und Iefen. Ent: 
weder dieſes ift das Mittel, ein brauchbarer Mann zu werben, 
oder e8 gibt gar Feines.” 


O, wenn man bie Bücher und die Gollectaneen ſähe, aus 
denen oft die unfterblichen Werke erwacfen find — (ich habe 
die Geftändniffe einiger vertrauten Schrifrfteller für mich, die 
nicht wenig Aufſehen gemacht haben) — es würde gewiß Tau⸗ 


- — — 2 


fenden den größten Zrofl gewähren! Da nun biefes nicht leicht 
gefchehen kann, fo muß man lernen durch fi) in Andere hinein 
fehen. Man muß Niemanden für zu groß halten, und mit 
Überzeugung glauben, daß alle Werfe für die Ewigkeit die Frucht 
des Fleißes und einer angeftrengten Aufmerkſamkeit gewefen find. 


Laß dich deine Lectüre nicht beberrfchen, fondern berrfche 
über fie. 


Ängftli zu finnen und zu denken, was man hätte thun 
können, ift das Übelfte, was man thun Pann. 





Von den jedermann bekannten Büchern , muß man nur 
die allerbeften Iefen, und dann lauter folche, die fat niemand 
ennt, deren Berfaffer aber fonft Männer von Geift find. - 


Jeden Augenblick des Lebens, er falle, aus welcher Hand bes 
Schickſals er wolle, und zu, den günfligen, fo wie den ungünfti- 
gen, zum beftmöglichen zu machen, barin befteht die Kunft bes 
Lebens, und das eigentliche Vorrecht eines vernünftigen Wefens, 


Zur Auferwedung bes in jedem Menfchen fchlafenden Sy: 
ftems, ift das Schreiben vortrefflih; und jeder, ber je geſchrie— 
ben hat, wirb gefunden haben, daß Schreiben immer etwas er: 
wedt, was man vorher nicht deutlich erfannte, ob es gleich in 
uns lag. 

9* 


132 


Sich der unvermutheten Vorfälle im Leben fo zu feinem 
Bortheil zu bedienen wiffen, daß bie Leute glauben, man babe 
fie vorher gefehen und gewünfcht, heißt oft Glück, und madıt 
ven Mann in der Welt. Ja, biefe Regel bloß zu mwiffen unb 
immer im Geift zu haben, ift ſchon eine Stärfung. Nach Ro— 
chefoucault's Urtheil, fol der Cardinal de Reg biefe Eigenfchaft 
in einem hoben Grade befeffen haben. 


Wer weniger hat, als er begehrt, muß wiffen, daß er mehr 
bat, als er werth ift. 


„Es gibt fehr viele Menſchen, die unglüdlider 
find, als bus — gewährt zwar Fein Dad, darunter zu woh—⸗ 
sen, allein fih bei einem Negenfchauer darunter zu retiriren, 
ift das Säschen gut genug. 


Man follte fi nicht fchlafen Iegen, ohne fagen zu können, 
daß man an dem Tage etwas gelernt hätte. Ich verftehe bar- 
unter nit etwa ein Wort, dad man vorher noch nicht gewußt 
bat; fo etwas ift nichts; will es jemand thun, ich habe nichts 
dagegen; allenfalls kurz vor dem Lichtauslöfchen. Nein, was 
ich unter dem Lernen verftehe, ift Fortrüden der Grenzen unfe: 
rer wifjenfchaftlichen oder fonft nüglichen Erkenntniß; Berbeſſe⸗ 
rung eines Irrthums, in bem wir uns fange befunden haben; 
Gewißheit in’ manden Dingen, worüber wir lange ungewiß 
waren; beutlih Begriffe von dem’, was uns undeutlich war; 


Erfenntniß von Wahrheiten, bie fich fehr weit erſtrecken u. f. w. 
Was dieſes Beſtreben nüglih macht, ift, daß man bie Sache 
nicht flüchtig vor dem Lichtausblafen abthun kann, fondern daß 
die Befchäftigungen des ganzen Tages dahin abzweden müffen. 
Selbft das Wollen ift bei dergleichen Entſchließungen wichtig, ich 
meine bier das beftändige Beftreben ber Borfchrift Gnüge zu leiſten. 


Unternimm nie etwas, wozu du nicht das Herz haft, dir 
den Segen bed Himmels zu erbitten! 


Ad, ih habe fo oft felbft erfahren, wie viel die Regel 
gilt: Vermeidet den Schein des Böfen fogar! Denn wenn man 
auch noch fo gut handelt, fo gibt man doch irgend einmal Je 
manden Gelegenheit, uns eine Schuld aufzubürben, wobei fein 
Mund nicht einmal zu lügen Urfache hätte, fo fehr auch fein 
Herz ihn der Falfchheit ziehe. 


Rath am Ende bes Lebens: Man hüte fi, wo mög: 
ih, vor allen Schriften der Compilatoren und der allzu literäs 
rifhen Schriftfteller! Sie find nit ein Menfch, fondern viele 
Menfhen, die man nie unter einen Kopf bringen Bann, ohne 
fi) zu verwirren; und e8 gebt oft viele Zeit verloren, eine folche 
muftvifche Arbeit unter einen guten Geſichtspunkt zu bringen. 
Ein Mann, der Alles zufammen gebacht hat, für ſich, verdient allein 
gelefen zu werben, weil ein Geift nur einen Geiſt faffen kann. 


136 “ 


Manche Leute wiſſen Alles fo, wie man ein Räthfel meiß, 
deſſen Auflöfung man gelefen bat, oder einem gefagt worden iſt, 
und das ift die fchlechtefte Art von Wiffenfchaft, die ber Menfch 
am wenigften fi erwerben follte. Er follte vielmehr darauf ber 
dacht fein, ſich diejenigen Kenntniffe zu erwerben, bie ihn in 
ben Stand ſetzen, Vieles felbft im Kal der Noth zu entbeden, 
was Andere lefen oder hören müffen, um e8 zu wiffen. 


Man fol feinem Gefühle folgen, und ben erften Eindrud, 
ben eine Sache auf uns madht, zu Wort bringen. Nicht ale 
wenn ich Wahrheit fo zu fuchen riethe, fondern weil es bie uns 
verfälfchte Stimme unferer Erfahrung if, das Reſultat unferer 
beften Bemerkungen, da wir leicht in pflichtmäßiges Gewäſch 
verfallen, wenn wir erſt nacdfinnen. 


— 





Große Dinge gefeben zu haben, 3. B. einen großen Sturm, 
muß unftreitig bem ganzen Gehirn eine andere Stimmung geben, 
und man Pann fi) daher nicht genug in foldhe Lagen bringen. 
Man fammelt auf biefe Art, ohne zu wiſſen. 


Sweifle an Allem wenigftens Einmal, und wäre e8 auch) 
der Sag: zweimal 2 ift 4. 


In die Welt zu gehen, ift deßwegen für einen Schriftfteller 
nöthig, nicht fowohl, damit er viele Situatignen fehe, ſondern 
felbft in viele komme. 


ein Glied ausmacht. Jedes Ding gehört in.eine folche Heibe, 
beren äußerſte Glieder gar nicht mehr zufammen zu gehören 
fcheinen. 


Nicht eher an bie Ausarbeitung zu gehen, ale bis man mit 
der ganzen Anlage zufrieden if, das gibt Muth und erleichtert 
die Arbeit. 


Es ift eine große Stärfung beim Studiren, wenigftens für 
mich, Alles. was man Tiefet, fo deutlich zu faffen, daß man 
eigne Anwendungen bavon, ober gar Zufähe dazu machen 
kann. Man wird dann am Enbe geneigt, zu glauben, man 
babe Alles felbft erfinden fünnen, und fo etwas macht Muth, fo 
wie nichts mehr abfchredt, als Gefühl von Superiorität im Bud). 





Nachtrag 
zu den guten Rathſchlägen und. Marimen. 


Wig und Laune müffen wie alle corrofive Sachen mit Sorg: 
falt gebraucht werben. 


Man ift nur gar zu fehr geneigt, zu glauben, wenn man 
etwas Talent befißt, Arbeiten müffen einem leicht werden. Greife 
Dih immer an, wenn Du etwas Großes thun willſt. 


136 “ 


Mandye Leute wifjen Alles fo, wie man ein NRäthfel meiß, 
deſſen Auflöfung man gelefen bat, oder einem gefagt worben ift, 
und das ift die fchlechtefte Art von Wiffenichaft, die der Menfch 
am wenigften fich erwerben follte. Er follte vielmehr darauf ber 
dacht fein, ſich diejenigen Kenntniffe zu erwerben, bie ihn in 
den Stand fegen, Vieles felbft im Fall ber Noth zu entdeden, 
was Andere lefen oder hören müſſen, um es zu wiffen. 


Man fol feinem Gefühle folgen, und ben erften Eindruck, 
ben eine Sade auf uns madt, zu Wort bringen. Nicht ale 
wenn ich Wahrheit fo zu fuchen riethe, fondern weil e8 die uns 
verfälfchte Stimme unferer Erfahrung ift, das Refultat unferer 
beften Bemerkungen, da wir leicht in pflichtimäßiges Gewäſch 
verfallen, wenn wir erft nachfinnen. 


— — 





Große Dinge geſehen zu haben, z. B. einen großen Sturm, 
muß unſtreitig dem ganzen Gehirn eine andere Stimmung geben, 
und man kann ſich daher nicht genug in ſolche Lagen bringen. 
Man ſammelt auf dieſe Art, ohne zu wiſſen. 


Zweifle an Allem wenigſtens Einmal, und wäre es auch 
der Satz: zweimal 2 ift 4. 


In die Welt zu gehen, ift deßwegen für einen Schriftfteller 
nötbig, nicht fowohl, damit er viele Situatignen fehe, ſondern 
jelbft in viele komme. 


Man muß fih hüten, manche Dinge nicht befannt zu nen- 
nen, weil man gerade zuweilen baraus fiebt, baß fie einem 
unbelannt waren. 


Keine Unterfuhung muß für zu ſchwer gehalten werben, 
und feine Sache für zu fehr ausgemadt. 


Ich glaube, diejenigen Gelehrten, bie Alles fhägen zu kön⸗ 
nen glauben, haben doch nicht recht den Werth eines jeden ihrer 
Mitbrübder fchägen gelernt. Es kommt wahrhaftig in dem Fortgange 
ber Wifienfchaften nicht darauf an, ob einer etwas in dem, was 
fonft groß genannt wird, getban bat. Wenn nur jeder thäte 
was er könnte, ben Theil von Kenntnifjen verarbeitete, befien er 
mädtig ift, und in welchem er fchärfer ſieht als tauſend Andere. 


Man kann das Streben nad Entdedung bem Bogelfchießen 
vergleihen. Wer die Krone abfchießt, muß bedenken, daß bie 
Schüffe feiner Vorgänger auch etwas dazu beigetragen haben, 
daß er einen Flügel abEriegt, oder gar die Krone. 


Nichts verloren gehen zu laffen, ift eine Hauptregel, Pas 
pierfchnigel fo wenig, als Zeit. 


16, 
Borfchläge. 


Es wäre ein guter Plan, wenn einmal ein Kind ein Bud 
für einen Alten fohriebe, da jest Alles für Kinder fchreibt. Die 
Sade ift ſchwer, wenn man nicht aus dem Charakter gehen will. 


Jede Univerfität follte einen Ambafjadeur auf ben übrigen 
Univerfitäten haben, zu zwedmäßiger Unterhaltung fowohl ber 
Freundſchaften, als der Feinbfchaften. 


Eine Statiftid der Religion wäre wohl ein Werf, daß, von 
einem Kerner gefchrieben, großes Auffehen machen Fünnte. 


Der Pas de Calais follte künftig Pas de Blanchard heißen. 


Wir glauben für die Nachwelt zu forgen, wenn wir unfere 
Gedanken auf Lumpenpapier abdruden lafien, die dann bie Nachs 
welt, das heißt, die Leute, die und Urgroßväter nennen, wieder 
auf Lumpenpapier copiren. Aber, mein Gott! was wird aus 
allem Lumpenpapier und unferer Wiffenfchaft werben, wenn wir 
wieder einmal Boden des Meered werden? Die ägyptifchen 
Pyramiden waren ein gefcheuter Gedanke. Jene Leute verftans 


ben ſich auch auf das Papiermachen, aber fie vergaßen, etwas bars 
auf zu druden. Wir follten auf einer Stelle in ber Schweiz, bie 
be Lüc, Sauffüre, Sennebier angeben müßten, ein fol 
ches Denkmal errichten, und Europa müßte fubferibiren. Ich 
gebe meinen Louisd'or. Aber welche Hieroglyphe würde dazu 
gewählt werden müſſen? Welches find die Zeichen, wodurch 
man fi) einem künftigen Menfchengefchlechte wieder veritändlich 
machen fünnte? Es müßte eine Sprade fein, die Kinder und 
Philofophen verbände. Die Hieroglyphen Fünnten alfo ſehr wich⸗ 
tig fein. O wenn boch Beiden auf ben Pyramiden fländen ! 
Bielleiht hat jemand ben Gedanken vor mir gehabt, und bie 
Hieroglyphen oder Myſterien finb das, was ich meine. 


Ein fehr ſchönes Süjet für einen Maler wären einige Eleine 
unfchuldige Mädchen, die neugierig in einen Brunnen guden, 
aus dem, ihrer Meinung nach, die Kinder geholt werden. Es 
könnte allenfalls nur eines bineinfehen, während die anderen 
warten, bis die Stelle frei wirb. 


Särge von Korbwerk könnten wohlfeil und doc ſchön 
gemacht werden; man könnte fie ſchwarz und weiß anftreichen. 
Sie hätten den Vortheil, daß fie leicht verfaulten. 


Ein Sournal des Lurus und der Moden für Ärzte; auch 
für mehrere Stände ließe ſich ſo etwas wohl ſchreiben, ſelbſt Phi⸗ 
loſophie nicht ausgeſchloſſen. 


140 


Da ber politiſche Pabſt gefallen if, umb ber geifiliche balı 
nadfulgen wird, fo wäre bie Frage, ob man nicht einen merkt 
einsfdhen wählen ſollte; ih meine eine Art von Delay Lama, 
Der durch Lioßes Werlihren und durch Überfenbung feiner Ab⸗ 
und Ausmlsfe Arankheiten heilte. Ich glaube, ein ſolcher Mann 
fonnte wnnklich durch das bloße: ih binder Herr euer Do« 
tur -- Rrankheiten bannen. Bu einem folhen Pabſt ſchickte 
lb Ummermann. 

Ach möchte zum Weichen für Aufflärung das bekannte Zeis 
chen dea FJeuers (‚\) vorſchlagen. Das Feuer gibt Licht und 
Rurıne, und iſt zum Wachethum und Portfchreiten alles befien, 
wag lebt, unentbehrlichz aber unvorfichtig gebraucht, brennt es 
auch und zerſtört. 

Es verdiente wohl, daß man am Ende des Jahres ein Ge: 
richt über die politiſchen Jeitungen hielte; vielleicht machte dieß 
die Sehreiber derſelben behutſamer. Da die Zeitungsſchreiber 
ſeldſt delogen werden, fo müßte man billig verfahren, um nicht 
rede an thun. Man müßte zwei oder mehrere entgegenge⸗ 
ſedte Miileer mit einander, und mit dem Lauf ber Begebenhei⸗ 
ten vernleichen fo Tiefe ib am Ende etwas über ihren Werth 
und CEdaruakter ſeſtſeden. 

“a min wodl der Müde werth, einmal das BerlsSumben 
im Kur alt ein Kartenſhiel verzuftclien, me immer Gimer 


ben Andern fticht. Pope's Lodenraub Pönnte hierbei zum Mufter 
genommen werben. 


Es wäre gewiß ein verdienſtliches, wenn gleich nicht leich⸗ 
tes, Unternehmen, das Leben eines Menfchen doppelt oder breis 
fah zu befchreiben, einmal, als ein allzu warmer Freund, 
dann als ein Feind, und dann fo wie e8 die Wahrheit felbft 
fhreiben würde. 


Sch denke, über alte Seitungen, 3. B. jest (1797) über 
die von 1792 an, müßte fih ein herrliches Collegium leſen 
laſſen, nicht in biftorifcher, fondern in pfochologifcher Rüdficht. 
Dus wäre etwas! Was in der Welt kann unterhaltender fein, 
als die vermeintliche Gefchichte der Beit mit der wahren zu vers 
gleichen ? 


Über den Wberglauben ließe fich gewiß etwas fehr Gutes 
fohreiben, nämlich zu feiner Bertheidigung. Jedermann ift aber: 
gläubifh. Ich mit meinen Lichtern; ich glaube an biefe Dinge 
nit, aber es ift mir doch angenehm, wenn fie nicht wibrig 
ausfallen. 


Warum gibt man nidht manchen Meubeln ober Gefäßen 
paffendere Formen, wie e8 die Alten 3.8. bei ihren Lanzen ges 
tban haben? — Wenn man wüßte, wie bie Büchſe der Pan« 
dora audgefehen hätte, fo wäre fie wohl zu Dintenfäffern, Lot⸗ 


144 


Nachtrag 
zu den Vorſchlägen. 


Die Menjhen nah ben Häufern zu orbnen, worin fie woh⸗ 
nen, wie die Schneden. 


IH denfe, wenn man etwas in bie Luft bauen will, fo 
find e8 immer beffer Schlüffer als Kartenhäufer. 


Hat nicht unfere Gefangbuchverbefferung viel Ähnlichkeit 
mit dem Ausweißen ber alten gothiſchen Kirchen, bie dadurch 
gefhändet werden? Man foll verhindern, daß fie nicht einftür- 
zen und den Boden reinlich halten. ine ausgeweißte Abtei 
von Weftminfter wäre abfcheulich. 


—— 


Es ift fein übler Gedanke, die Ruthe hinter den Spiegel 
zu ſtecken, daß fie dem, ber bineinfieht, gleihfam auf ben 
Rücken gebunden erfcheint, der Gedanke hat mehr brauchbare 
Seiten, könnte auch zu einer Titelvignette, oder zur Auffchrift 
über ein Kapitel gebraucht werden. 





Man Lönnte bie menfchliche Gefellfhaft in drei Glaffen 
theilen, in bie: 
1. nequce ora neque labora, 
2. ora et non labora, und 
3. ora et labora. 


145 


Was man von dem Vortheile und Schaden ber Aufklä— 
rung fagt, ließe fi) gewiß gut in einer Zabel vom Feuer bar: 
ftellen. Es ift die Seele der unorganifhen Natur, fein mäßiger 
Gebrauch macht und das Leben angenehm, es erwärmt unfere 
Winter und erleuchtet unfere Nächte. Aber das müſſen Lichter 
und Fadeln fein, die Straßenerleuchtung durch angezündete Häus 
fer ift eine fehr böfe Erleuchtung. Auch muß man Kinder nicht 
damit fpielen laffen. 


Es liege ſich vielleicht ein ganz guter Aufſatz über bie Na- 
men von Hunden ſchreiben. Melac nennt man Hunde, nad 
ben befannten privilegirten Morbbrenner. Vielleicht gibt es 
nad der franzöfifchen Staatsumwälzung auh Namenumwäl- 
zung unter ben Hunden. Güftine wäre ein herrlicher Name für 
einen, ber viel beilt und nicht beißt, wenigftens nicht wo er 
fol. Kogebue müßte nothwendig einer heißen. Ehrliche Leute, 
die noch fo beißen, kann e8 fo wenig verdrießen, wie ben tür: 
kiſchen Kaifer, daß fo viele Hunde Sultan beißen. | 


In jeder Farultät follte wenigftens Ein recht tüchtiger Mann 
fein. Wenn die Charniere von gutem Metall find, fo kann 
das Übrige von Holz fein. 


Einmal bie fogenannten natürlichen Dinge aufzuzählen; 
natürliche Kinder, natürliche Religion, natürliche Tugend. 
Es ſteckt in dieſen AÄußerungen ber natürlichen Philoſophie fehr 
Vieles, was fich die unnatürlihe nicht immer träumen läßt. 

11. 10 


146 


Man adjungirt alten Leuten junge. Ich glaube, es wäre 
in vielen Källen beffer, wenn man manden jungen Leuten alte 
adjungirte. 


Sollten ſich nicht manche Verordnungen, z. E. Feuerord⸗ 
nungen, unmittelbar, vermittelſt leichter Transpoſitionen auf 
andere Gegenſtände, z. E. Erziehung der Kinder, mut. mut. an⸗ 
wenden laſſen? Die Wörter: Waſſer, Spritze, Schläuche, 
Spritzenmeiſter u. ſ. w. dürften nur gehörig überſetzt werden. 
Ein Verſuch, eine Inſtruction für einen Spritzenmeiſter zugleich 
für einen Schulrector einzurichten, könnte ſehr lehrreich werden. 


Wie möchte es in den Wiſſenſchaften ausſehen, wenn die 
Menſchen erſt im 15ten Jahre ſehen, und im 20ten etwa erſt 
bören und folglich fprechen lernten? Co etwas verdiente mit 
Philofophie und Menfchentenntniß burchgefegt zu erben. 


Ehemals taufte man bie Glocken, jetzt follte man bie Dru⸗ 
derprefien taufen. 


Wir find Alle Blätter an einem Baum ‚ keines dem an⸗ 
bern ähnlich, das eine fommetrifh, das andere nicht, und doch 
gleich wichtig bem Ganzen, Diefe Allegorie koͤnnte durchgeführt 
werden, . " 





147 


17, 
Allerhand. 











ere Gelehrten verfallen in den Fehler der Krämer in 
en Stäbten, fie kaufen nicht an der Stelle, wo es wächſt, 
Ben laſſen es ſich lieber erſt von einem Engländer oder Fran⸗ 
ıberbeifchaffen. Das ewige „unſern Landsleuten be 
mt mahenio Warum ſuchen wir unfern Landsleuten 
‚ben Geift einzuprägen, felbft zu verfuchen, und immer auf 
Beffermachen zu denken? 


efhreibung eines fondberbaren Bettvorhangs. 
Im Sabre 1769 gerieth id auf den Gedanken, allerlei Ges 
ier auf einem Bogen Papier neben einander zu zeichnen, die 
ſtens etwas Lächerliches an ſich hatten. Wenige Perſonen, 
ich das Papier vorlegte, konnten ſich des Lachens enthal⸗ 
ij durch kein Buch hätte ſich dieß fo bald erreichen laſſen. 
5 hatte aber noch nicht vierzig Köpfe gezeichnet, als ich mich 
n erfchöpft fühlte. Die Zuſätze Famen nur felten. Im fols 
ſenden Sabre Iegte mich ein kleines Flußfieber in ein Bette, das 
men fchrägen Himmel hatte, durch deſſen nicht gar dichtes Ge⸗ 
bebe „ das noch dazu aus ziemlich ungleichen Fäden beftand, bie 


an» 


148 


weiße Wand durdfchien. Hier zeigte fich eine unzählkare Menge 
ber feltfamften und brolligften Gefichter. Ich konnte in einer 
Fläche, die faum fo groß als ein Quartblatt wär, über hun: 
dert berauöbringen, und jedes hatte mehr Ausdrud und Eigen— 
thümlichkeit, als fonft in den gezeichneten Gefihtern anzutreffen 
ift, die unverbefjerlihen Köpfe von Hogarth ausgenommen, mit 
denen fie viel Ähnliches hatten. Wenn ich einen Kopf hatte, fo 
nahm ich feinen Mund zum Auge, und ben Augenblid ftand 
ein neuer ba, ber mich bald anlädhelte, bald anfletfchte; ein 
dritter lachte mich aus, und ein vierter blidte mich höhniſch an. 
Es ift unmöglih, alle die huſtenden, niefenden und gähnenden 
Stellungen zu befchreiben, bie fi) mir vorftellten. Hätte ich fie 
mit eben der Kraft zeichnen können, ‚mit welcher fie fi) meinem 
Auge und meiner Einbildungskraft.darftellten, ich würbe gewiß 
biefen Vorhang verewigen. — onardo da Vinci foll biefe 
Befhäftigung jungen Malern empfehlen. 


Im Jahr 1711 ereignete fi) ‚ein großer Unfall in Lyon: 
ein muthwilliger Feldwebel, Namens Welair, ließ am Tage bed 
heil. Dionyfius, ba eine Menge Menfchen über bie fchmale Rho⸗ 
nebrüde nad einem Dorfmarkt gegangen waren,. den Zapfen: 
ftreih zum Thorſchluß eine Stunde früher: ald gewöhnlich fchla: 
gen. Das Thor befindet ſich mitten auf der Brüde. Als bie 
Zeute unterwegs dad Trommeln hörten, eilten fie, um nicht ge: 
nötbigt zu werben, vor der Stadt zu fihlafen; fie drängten fi 
auf der Brüde, einige ließ ber Feldwebel gegen ein Trinkgeld 


dur, und andere beraubte er mit feinem Complott. Das Ge- 
dränge wurbe aber fo heftig, daß zweihunbert Leute babei ums 
Leben kamen, diejenigen nicht gerechnet, bie einige Tage barauf 
an ihren Wunden farben. Belair wurde unter den ärgften 
Berwünfchungen des Volks geräbert. ©. Pitaval Causes cèlè- 
bres. Tom. X. — In Göttingen, wo bie Kühe ded Sommers 
um Mittagszeit auch nach ber Stabt getrieben werben, ereignete 
fih im Jahr 1765 ein ähnlicher Zufall, aber body nur unter 
den Kühen. Sie hatten bei der großen Hike diefed Jahres immer 
bie Gewohnheit, wenn fie nahe an ba8 Thor kamen, zu lau« 
fen, weil fie fi) nad dem Fühlen Gang unter bem Thor durch 
den Wall fehnten. An dem, traurigen Tage befand fich zum 
Unglüd ein Bauersfneht mit einem Wagen unter dem Thor, 
als die Kühe angerennt Pong Die Pferde am Wagen fiengen 
an auf das fi) vorbeidrängende Vieh auszufchlagen, unb ſchlu⸗ 
gen einige Stüd nieder; über biefe ftürzten die hintern, und fo 
fort, daß in weniget:MRinuten der ganze Thorweg von unten 
bis oben mit tobten Kuhd angefüht war. Sie wurden bernady 
von dem Henkersfnecht tweggeräumt, unb längs ber Straße hin 
gelegt, da man fand, daß fih ihre Anzahl auf etliche und fie- 
benzig belief, auch diejenigen nicht gerechnet, bie noch hernach 
in den Ställen flarben. Ich babe fie felbft Tiegen fehen. 


Als der brave Mann todt war, fp trug biefer den Hut, ber 
den Degen, fo wie er; biefer ließ fih fo frifiren, jener ging, 
wie er; aber der redlihe Mann, wie er, wollte feiner fein. 


150 


Bu einer Vorrede. 
Geſpräch zwifhen einem Lefer und dem Berfaffer. 

Der Saft. Was haben Sie Gutes, Herr Wirth? 

Der Wirth. Nichts als was Sie bier fehen, was auf 
bem Küchenzettel fieht, den Sie fo eben in der Hand batten. 

Der Saft. Und ift das Alles? . 

Der Wirth. Alles, mein Ser. 

Der Saft. Uber fagen Sie mir um aller Welt willen, 
fonnten Sie fi nicht auf etwas Beſſeres gefaßt machen ? 

Der Wirth. Ja, was heißen Sie befjer, mein Her? 
ift das nicht gut ? 

Der Gaſt. Nein, fo etwas, was mehr wiberält. Sauern 
Kohl und Sped, ober fo etwas. 

Der Wirth. Das habe ihenichtz wenn ich gewußt hätte, 
daß ich die Ehre von Ihnen haben würbe, unb daß Sie fauern Kohl 
und Sped liebten, fo bätte ich mic vorgeſehen; aber es kom⸗ 
men der Perſonen ſo viel, und jede vekdangt etwas Anderes, ſo 
daß ein armer Wirth nicht weiß, wan anſchaffen ſoll. Dieſes 
Gericht fand geſtern Beifall. 

Der Gaſt. Daß Sie doch keinen ſauern Kohl haben! — 
Doch, wenn es nicht anders iſt, ſo geben Sie her. 

Der Wirth. Ich hoffe, Sie ſollen zufrieden ſein, es iſt 
zwar nur ein ſchlechtes Gericht, aber ich weiß es auf eine eigne 
Art zurecht zu machen; ich werfe allerlei daran, was einem 
hungrigen Magen bekommt. Belieben Sie näher zu treten, mein 


Herr. 


151 


Gin Mädchen, 150 Bücher, ein paar Freunde und ein Pros 
fpect von etwa einer beutfchen Meile im Durchmeſſer, war bie 
Welt für ihn. 


Die Zeiten, wo man anfängt, die Regeln zu flubiren, wie 
e8 andere Seiten gemacht haben, daß fie es fo weit brachten, 
find böfe Beiten. Die beften Köpfe werben entjeklich belefene, 
bleihe, ſchwindſüchtige Stubenfiger, anftatt gut verbauende, 
frifhe Erfinder zu fein. 


Wenn die wilden Schweine dem armen Manne feine Felder 
verderben, fo rechnet man es ihm unter dem Namen Wildfchas 
den für göttlihe Schidung an. 


Es kann nicht Alles ganz richtig fein in der Welt, weil bie 
Menfchen noch mit Betrügereien regiert werben müſſen. 

wi: .: — 

Eine Sprache, a allemal die Verwandtſchaft der Dinge 
zugleih ausbrüdte, wäre für den Staat nüglidher, als Leib. 
nigens Charakteriftil. Ich meine eine folde, wo man 3. B. 
Seelforger flatt Prediger, Dummkopf flatt Stuper, 
Waſſertrinker fiatt anakreontiſcher Dichter fagte. 


Es ift in der That ein fehr blindes und unfern aufgeklär⸗ 
ten Zeiten fehr unanftänbiges Vorurtheil, daß wir die Geogra⸗ 
phie und die römifche Gefchichte eher lernen, als bie Phyſiologie 


152 


und Anatomie, ja bie beibnifche Kabellehre eher, als Liefe für 
Menfchen beinahe fo unentbehrlihe Wiffenfchaft, daß fe nächſt 
der Religion folte gelehrt werben. Ich glaube, daß einem hö⸗ 
bern Geſchöpfe, als wir Menfchen find, dieſes das reigenbfte 
Schaufpiel fein muß, wenn er einen großen heil des menfchlichen 
Gefchlechts ein paar taufend Jahre ſtarr hinter einander herziehen 
fieht, die aufs ungewiffe und unter dem Zreibriefe, Regeln für 
die Welt aufzufuchen, bingehen und fih und ber Welt unnüg 
fterben, ohne ihren Körper, der doch ihr vornehmfter Theil war, 
gefannt zu haben, da ein Blick auf ihn, fie, ihre Kinder, ihren 
Nächſten, ihre Nachkommen hätte glüdlic machen können. 


Es wäre zu unterfuchen, was man zum allgemeinen Maß» 
ftabe der Bedienungen in ber Welt annehmen fol, um gleich 
einer Nation begreiflich zu machen, wie hoch ein 'gewiffer Mann 
anzufehen ſei. Es fragt ſich alfo: gibt e8 Leute, die ſolche Ver⸗ 
richtungen haben, bie bei allen Nationen nöthig find, und bei 
allen gleich hoch gefchägt werden? Die Priefter laffen fih wohl 
nit dazu annehmen; biefer Maßſtab ift fehr ungewiß und in 
vielen Ländern zu Plein. Ein Mädchen ginge noch eher an; 
biefe werden ziemlich gleihfürmig, in Europa wenigftens, ges 
liebt, fo daß ich glaube, der Ausdruck: er liebte ihn wie 
fein Mädchen, ift bedeutender, als ber: er liebte ihn, 
wie feinen Vater, 


Wenn man einen guten Gedanken lieft, fo kann man pro» 


153 


biren, ob fi) etwas Ähnliches bei einer andern Materie denken 
und fagen laſſe. Man nimmt bier gleihfam an, baß in ber 
andern Materie etwas biefem Ähnliches enthalten fei. Diefes 
iſt eine Art von Analyfis der Gedanken, bie vielleicht mancher 
Gelehrte braucht, ohne e8 zu fagen. 


Ein allgemeines Map für das Verdienſt oder für bie Wich⸗ 
tigkeit einer Verrichtung, das allen Ständen ſogleich die wahre 
Größe einer That angäbe, wäre eine Erfindung, bie eines mo⸗ 
ralifden Newtons würdig wäre. -3. €. eine Gompagnie vor 
des Commandanten Haus zu erereiren, ift gewiß nicht fo ſchwer, 
als en paar Schub zu fohlen, (ich weiß es freilich, daß bie Ehre 
eine Befoldung iſt; fie auszuzahlen, Tegt der Fürſt eine Steuer 
auf die Hüte und den Nacken ber Untertanen. Wenn ein 
Handwerksburſche vor dem Officier den Hut zieht, To denke 
ih immer, biefer Burfche ift eine Art von SKriegszahlmeifter; 
und wie unartig find bie Officiere, bie Bie Zahlung ohne Quit⸗ 
tung annehmen, ich meine, die nicht wieder an den Hut greis 
fm!) und ich behaupte, ein Kleid zu fehneiden, ift zuverläf- 
fig ſchwerer, als Hofcavalier zu fein — ich meine ben Hof: 
cavalier in Abſtracto. ine ſolche Rangortnung, bie aber 
gewiß dem Berfaffer und dem Verleger den Kopf often würde, 
wünfchte ich gebrudt zu fehen z fe eriftirt gewiß in dem Kopfe 
jedes rechtfchaffenen Mannes, Man künnte zu einem ſolchen 
Maß das Balanciren auf dn, Kalt nehmen, weil diefed un⸗ 
gefähr alle Menfchen mit NR. er Sugroindint (nm, und 


152 


und Anatomie, ja bie beidnifche Fabellehre eher, als dieſe für 
Menfchen beinahe fo unentbehrlihe Wiffenfhaft, daß ſie nächſt 
der Religion folte gelehrt werden. Ich glaube, daß einem bö» 
bern Gefchöpfe, als wir Menfchen find, dieſes das reizenbfte 
Schaufpiel fein muß, wenn er einen großen Theil des menfchlichen 
Gefchlechts ein paar taufend Jahre ſtarr hinter einander berziehen 
fieht, bie aufs ungewiffe und unter dem Freibriefe, Regeln für 
bie Welt aufzufuchen, bingeben und fih und ber Welt unnüg 
fterben,, ohne ihren Körper, der doch ihr vornehmfter Theil war, 
gekannt zu haben, da ein Blick auf ihn, fie, ihre Kinder, ihren 
Nächſten, ihre Nachkommen hätte glücklich machen können. 


Es wäre zu unterſuchen, was man zum allgemeinen Maß—⸗ 
ftabe ber Bebienungen in ber Welt annehmen fol, um glei 
einer Nation begreiflich zu machen, wie hoch ein gewiffer Mann 
anzufehen ſei. Es fragt ſich alfo: gibt e8 Leute, die ſolche Ber: 
richtungen haben, bie bei allen Nationen:gihig find, und bei 
allen gleich hoch gefchägt werden? Die Weſter laſſen ſich wohl 
nicht dazu annehmen; biefer Maßſtab iſt fehr ungewiß und in 
vielen Ländern zu Plein. Ein Mädchen ginge noch eher an; 
biefe werben ziemlich gleihfürmig, in Europa wenigftens, ger 
liebt, fo daß ich glaube, ber Ausdrud: er liebte ihn wie 
fein Mädchen, ift bedeutender, al8 ber: er liebte ihn, 
wie feinen Bater. 


Wenn man einen guten Gedanken lieft, fo fann man pro: 


- 


biren, ob fi) etwas Ähnliches bei einer andern Materie denken 
und fagen laffe. Man nimmt bier gleihfam an, daß in ber 
andern Materie etwas biefem Ähnliches enthalten fei. Diefes 
ift eine Art von Analyfis der Gedanken, bie vielleicht mancher 
Gelehrte braudt, ohne es zu fagen. 


Ein allgemeines Maß für das Verbienft oder für bie Wich⸗ 
tigkeit einer Verrichtung, das allen Ständen fogleidh die wahre 
Größe einer That angäbe, wäre eine Erfindung, die eines mo⸗ 
ralifhen Newtons würbig wäre. -3.@. eine Compagnie vor 
des Commandanten Haus zu erereiren, ift gewiß nicht fo ſchwer, 
als ein paar Schuh zu fohlen, (ich weiß es freilich, daß bie Ehre 
eine Befoldung iſt; fie auszuzahlen, legt der Zürft eine Steuer 
auf die Hüte und den Nacken ber Untertfanen. Wenn ein 
Handwerksburſche vor dem Officier ben Hut zieht, fo denke 
ih immer, biefer Burfhe ift eine Art von SKriegszahlmeifter; 
und wie unartig ſiicn Ale Officiere, die Sie Zahlung ohne Quit⸗ 
tung annehmen, id ei, die nicht wieder an den Hut greis 
fen!) und ich behaupte, ein Kleid zu fchneiden, ift zuverläfs 
fig fchwerer, als Hofcavalier zu fein — ich meine ben Hof- 
cavalier in Abſtracto. Eine folde Rangordnung, bie aber 
gewiß dem Berfaffer und dem Berleger ben Kopf koſten mwürbe, 
wünfchte ich gebrudt zu fehen ; fie eriftirt gewiß in dem Kopfe 
jedes rechtfchaffenen Mannes. Man Lönnte zu einem folchen 
Maß das Balanciren auf der Nafe nehmen, weil biefes un: 
gefähr alle Menfchen mit gleicher Gefchwindigfeit lernen, und 


154 


durch die Länge ber Tabakspfeife in Bollen, bie Grabe ber 
Schwierigkeit meffen. 


Der Streit über bedeuten und fein, der in ber Religion 
fo viel Unheil angeftiftet Hat, wäre vieleicht heilfamer gewefen, 
wenn man ihn über andere Gegenftände geführt hätte; denn es 
ift eine allgemeine Quelle unfers Unglüds, baß wir glauben, 
die Dinge wären das wirklich, was fie doch nur bedeuten. 


Der Aberglaube gemeiner Leute rührt von ihrem frühen 
und allzueifrigen Unterricht in der Religion ber. Sie hören 
von Geheimniffen, Wundern, Wirfungen des Teufels, und bals 
ten e8 für fehr mwabrfcheinlich, daß dergleichen Saden überall 
in allen Dingen gefchehen können. Hingegen, wenn man ihnen 
erft die Natur felbft zeigte, fo würden fie leichter das Überna⸗ 
türlihe und Geheimnißvolle der Religion. mit Ehrfurcht betrach⸗ 
ten, anftatt daß fie es jekt für. etwas iBemeines anfehen. 
Ich glaube, wenn man ihnen fagte QNuren heute ſechs Engel 
über die Straße gegangen, fie würden es für nichts Beſonderes 
anſehen. Auch die Bilder in der Bibel taugen nicht für Kinder. 


Man folte in ber Woche wenigſtens einmal biätetifche Pre⸗ 
digten in ber Kirche halten, und wenn bie Diätetit von unfern 
Geiftlihen erlernt würde, fo könnten fie geiftliche Betrachtun⸗ 
gen einfledhten, bie fih bier gewiß fehr gut anbringen ließen. 
Denn es ift nicht zu zweifeln, daß geiftliche Betrachtungen, mit 


etwas Phyſik vermifcht, die Leute aufmerkfamer erhalten ,,- und 
ihnen erbaulichere Vorftelungen von Gott geben würden, als 
bie oft übel angebrachten Beifpiele feines Zorns. 


Gin langes Glück verliert ſchon bloß durch feine Dauer. 
Lefen beißt borgen, baraus erfinden, abtragen. 


Mit elektriſchen Ketten ließen fi) Signale geben, Längen nicht 
weit entlegener Orter beflimmen u. f. w. Es ließen fi) vieleicht 
Ströme dazu gebrauchen, wenigftens auf eine gewiffe Strede. 


Sobald man anfängt Alles in Allem zu fehen, wird man 
gemeiniglich dunkel im Ausdruck. Man fängt an, mit Gngel- 
gungen zu reden. 


Leſſings Geſtübniß daß er für ſeinen geſunden Verſtand 
faſt zu viel geleſen habe, beweiſt, wie geſund ſein Verſtand war. 


Ein Mittel, ſich Ruhm zu erwerben, iſt, wenn man mit 
einer gewiſſen Zuverſicht in eine dunkle, unbekannte Materie 
hineingeht, wohin es niemand der Mühe werth achtet, einem 
zu folgen, und darüber mit ſcheinbarem Bufamnienhange 
raifonnirt. 


Wenn ich ein beutfches Buch mit Tateinifchen Buchſtaben 


158 


Gedanken. Auf biefe Art kann Jakob Böhms Buch Manchem 
fo nüglich fein, als das Buch ber Natur.” 
— — — 

Es iſt allemal ein gutes Beiden, wenn Künftler oft von 
Kleinigkeiten gehindert werben können, ihre Kunft gehörig aus 
zuüben. 5... ftedte feine Singer in Herenmehl, wenn er auf 
dem Glaviere fpielen wollte, und ein anderer großer Klavierfpies 
ler konnte nie zum Spielen gebracht werden, wenn er fidy bie 
Nägel nicht lange vorher abgefchnitten hatte. Den mittelmäßigen 
Kopf hindern foldhe Sachen nicht, weil feine Unterfcheidungsfraft 
überhaupt nicht fo weit geht; er führt gleihfam ein grobes Sieb. 


Alles reformirt ih: Mufit war ehemals Lärm, Satyre war 
Yasauill, und da, wo man heutzutage fagt: erlauben Sie güs 
tigft, fhlug man einem vor Alters inter bie Ohren. 

Ein Louisd'or in der Taſche ift beffer, als zehn auf bem 
Bücherbrett. ' 


Wenn ein toller Kopf ded Teufels Beug anfängt, ift e8 deß⸗ 
wegen eine Folge, baß ein Collegium von zwölf folchen Leuten 
eben folches Beug anfangen würde? Keinesweges; ich bin viels 
mebr überzeugt, daß zwölf tolle Köpfe etwas befchließen könn⸗ 
ten, das ausfehen müßte, als käme es von zwölf Plugen. Und 
fagt, was ift der Menfch anders, als ein kleiner Staat, ber 
von Tollköpfen beberrfcht wirb?- - 


yo 


159 


In den barbarifchen Beiten, wenn das fo genannte Eſels⸗ 
feft zum Andenken der Flucht nad Agypten gefeiert wurde, 
ſchrie der Prieſter, anſtatt den Segen zu ſprechen, dreimal wie 
ein Eſel, und die Gemeine ſprach ihm dieſe verſtändlichen Worte 
treulich nach, der Eine gut, der Andere ſchlecht, je nachdem er 
ein guter oder ſchlechter Eſel war. Dieß ſollte kein Spaß ſein, 
ſondern war eine ſehr heilige Handlung. Bergl. Du Cange, 
voc. Festum. . u 


ur 


Bu Heinrich& des VIII. Beiten fpeifte man in England um 
10 Uhr bes Morgens zu Mittag’ und um 4 Uhr zu Abend; jegt 
fpeift man um 5 Uhr zu Mittag und um Mitternacht zu Abend. 
Fortrüdung. der Nachtgleichen und ber Effenszeit. Die Iehtere 
zu unterfuchen ift fo wichtig für ben Moraliften, als die erftere 
für den Aftronomen. 


Das Buch hatte die Wirkung, die gemeiniglich gute Bücher 
haben: e8 machte die Einfältigen einfältiger, die Klugen Flügen, 
und die übrigen taufende blieben ungeändert. 


‚ Die beweifen, wo nichts zu beweifen if. Es gibt eine Art 
von feerem Gefhwäg, dem man burch Meuigfeit bed Ausdrucks 
und unerwartete Metaphern das Anſehen von Küle gibt. KR... 
und 2... find Meifter barin. Im Fön geht es an, im Ernft 
ift es underzeihlich. 


160 


Wenn die Menfhen plöglich tugendhaft würben, fo müßten 
viele taufende verhungern. 


In einem Stüd find wir allerdings unendlich weit unter 
den Engländern, und das ift in ber Kunft, Avertiffements zu 
maden. Es ift faft unmöglich, ſich des Kaufens zu enthalten, 
auch wenn man weiß, daß es nicht wahr if. Man meint, man 
glaubt ed nicht, und glaubt es doch. Ich habe oft ber Sadıe 
nachgedacht, und man wirb leicht fehen, worin es liegt. Um 
mich beutlih zu erklären, will ich nur ein Beifpiel von den 
Quadjalbern geben. Dieſe maden eine Befchreibung von ber 
Krankheit, gegen bie ihre Arznei gerichtet ift, nicht etwa in all 
gemeinen Ausbrüden und kurzweg, fondern fie wiffen, baß der 
Menfch lieber Detail hat. Sie befchreiben daher bie Symptomen 
genau, und was fie fagen, geht oft beim — bie große Kunft 
aller großen Schriftfteller. So erinnere ic mich einer Bekannt: 
madung eines Mitteld gegen Zahnweh, die ungefähr fo Tautete: 
„Überall, wo man jest hinfommt, hört man Perfonen über 
Schmerzen Elagen, bie fie Zahnſchmerzen nennen, fie find aber 
ganz verfchieden. Denn viele Perfonen, die ſich bie Zähne haben 
ausziehen laſſen, haben fich eher fchlimmer darnady befunben. 
Zunge, gefunbe Perfonen find ihnen am meiften ausgeſetzt; fie 
fhlafen wenig, getrauen fi) nichts Feftes zu effen, aus Furdt 
den Schmerz zu erweden, und fallen baber ganz von Fleiſch 
und werben elend. Ich muß befennen, baß, meiner großen und 
langen Erfahrung ungeachtet, mid; dieſes Übel lange getäufcht 


161 


bat, indem ich weder durch Ausziehen, noch. Schröpfen, noch 
durch meinen bekannten vortrefflihen Zahnbalſam, der fonft gar 
nicht trügt, etwas audgerichtet habe; bis ich endlich meine in 
bem großen Schnupfenjahr 1740 mit dem größten Gegen ge 
braudten bimmlifhen Tropfen, (diefen Namen geben ihuen 
faft wider meinen Willen einige meiner Patienten, wegen ber 
wohlthätigen und fchnellen Wirfung,) bie bisher nicht viel helfen 
wollten, bervorgefucht habe; fie. heilen fait augenblidlih, und 
ih babe wahre Wunder damit gethan.“ : 


Daß alle fcherzhaften Sachen Poffen find, wird wohl am 
meiften von alten Theologen oder alten Profefforen ber Rechte 
behauptet. Sie glauben, Alles wäre ernfihaft, was mit einem 
ernfthaften Gefiht oder in einem ernfthaften slilo gefagt wird, 
ba ed doch ausgemacht ift, daß von hundert Pofjen gewiß neun: 
zig ernfthaft vorgetragen werden. Aus ben luſtigen Schriften 
kluger Köpfe läßt fich fehr oft mehr lernen, als aus fehr. vie 
len ernfthaften. Sie tragen Manches mit einer lachenden Miene 
vor, mas fie im Ernft meinen, was aber noch nicht unterfucht 
genug ift, um einen ernfthaften zu Pleiden. Andere Leute kön⸗ 
nen e8 gar wohl im Ernſt nügen. 


Der Pöbel ruinirt ſich durch das Fleifh, das wider den 
Geift, und ber Gelehrte durch den Geiſt, ben zu. fehr wider ben 
Leib gelüftet. 





II. 11 


162 


Ter eigentliche Menſch ßeht wie eine Zwiebel mit vielem 
tauſend Röurzeln aus; die Nerven empfinden allein in ibm, bad 
Andere dient, diefe Wurzeln zu halten und bequemer fortzufchaffen; 
was wir fehen, ift alfo nur ber Topf, in welchem der Menſch 
(tie Herden) gepflanzt iſt. 


Iinfere Kunſtkammern find voll von elfenbeinernen Bechern 
ein Beweis von ber Favoritneigung unferer lieben Voreltern: 
ein Stück Elfenbein, woraus ber Grieche einen Apoll gefchnigt 
bitte, ſchnitten fie zum Becher. 


Als ich Im Jahr 1769 einen Engländer zu dem Profeſſor 
#. . . führte, ber damals Prorertor war, fo bielt diefer mit 
vieler Gravität und rbetorifcher Genauigkeit eine lateinifche Rebe 
an Ihn, und als er völlig ausgeredet hatte (denn ich wollte 
ihn nicht in die Rede fallen), fagte ich zu ihn: Ihr Magnifi: 
eng, die Engländer verftehen unſer Latein nicht. Gr fchien 
aber nicht fehr betreten darüber. 


Man gibt oft Regeln Über Dinge, wo fie unftreitig mehr 
Schaden ald Nuden bringen, Was ich bier meine, will ich mit 
einem Artikel ans einer Feuerordnung erläutern; die Anwendung 
wird ſich ein jeder in feiner Wiſſenſchaft zu muchen wiffen : 

„Wenn ein Haus brennt, fo muß man vor allen Dingen 
die rechte Wand des zur Linken fichenten Haufes, und hingegen 
die ine Wand des zur echten fichenden zu decken ſuchen. 


163 


Die Urfache ift Teicht einzufehen. Denn, wenn man z. €. bie 
linke Wand des zur Linken ftehenden Haufes decken wollte, fo 
liegt ja bie rechte Wand bed Haufes der linken Wand zur Rech: 
ten, und folglih, da das Feuer auch diefer Wand und ber redh- 
ten Wand zur Rechten liegt, (benn wir haben ja angenommen, 
daß dad Haus dem Feuer zur Linken liege,) fo liegt die rechte 
Wand bem Feuer näher, als die linke; das ift, bie rechte Wand 
bed Haufes könnte abbrennen, wenn fie nicht gedeckt würde, ehe 
dad Feuer an die linde, die gebedt wird, käme; folglich könnte 
etwas abbrennen, das man nicht beit, und zwar eher., als etwas 
Anderes abbrennen würde, aud wenn man es nicht deckte; 
folglich muß man biefes laffen und jenes beden. Um fi bie 
Sade zu imprimiren, barf man nur merken, wenn das Haus 
dem Zeuer zur Rechten liegt, fo ift es die Iinfe Wand, und 
liegt das Haus zur Linken, fo ift e8 die rechte Wand.» 


Daraus, daß bie Kinder ihren Eltern zuweilen fo fehr glei« 
hen, fiebt man offenbar, daß es ein gewiſſes Naturgeſet ift, 
baß Kinder ihren Eltern gleichen follen. Allein wie viele Fälle 
gibt es deffenungeadhtet nicht, wo fie ihnen nicht gleihen? Ber 
muthlich find daran gewiſſe Collifionen Schuld, ebenfalls wie bei 
ben Phyfiognomieen. 


Es ift fehr reizend, ein ausländifches Frauenzimmer unfere 
Sprache fprehen und mit ſchönen Lippen Fehler mahen zu 
hören. Bei Männern ift e8 nicht fo. 

11° 


164 


Ih kann mir eine Beit denken, welcher unfere teligiöfen 
Begriffe fo fonderbar vortommen werben, als ber unfrigen ber 
Nittergeift. 


Es klingt lächerlich, aber es ift wahr: wenn man eiwas 
Gutes ſchreiben will, fo muß man eine gute Feder haben, haupt⸗ 
fächlich eine, die, ohne baß man viel brüdt, leichtweg fchreibt. 


Ein großer Nuken bed Schreibens ift auch der, daß die 
Meinung Eines Menjchen und das, was er fagt, unverfälfcht 
auf die Nachmelt fommen kann. Die Tradition nimmt etwas 
von jedem Munde an, burd den fie läuft, und kann endlich 
eine Sache fo vorftellen, daß fie unfenntlid wird. Es ift alle 
mal eine Überfehung. 


Sie ſprechen für ihre Religion nicht mit der Mäßigung und 
Verträglichkeit, die ihnen ihr großer Lehrer mit Ihat und Wor« 
ten predigte, fondern mit dem zwedwibrigen Eifer philofophifcher 
Sectirer, und mit einer Hike, als wenn fie Unrecht hätten. 
Es find Peine Chriſten, fondern Chriftianer. 


Herr Camper erzählte, daß eine Gemeinde Grönlänber, als 
ein Miffionair ihnen die Flammen ber Hölle recht fürchterlich 
malte, und viel von ihrer Hitze fprach, fih alle nach ber Hölle 
zu fehnen angefangen hätten. 





165 


Mit wenigen Worten viel fagen beißt nicht, erft 

_ einen Auffag maden, und dann bie Perioden abkürzen; fondern 
vielmehr, die Sache erſt überbenfen, und aus dem Überbachten 
das Beſte fo fagen, baß der vernünftige Lefer wohl merkt, was 
man weggelaffen hat. Wigentlich heißt es, mit den wenigften 
Worten zu erkennen geben, daß man viel gedacht habe. 


Die Rolle des Pajazzo, die allerdings etwas fehr Sonderba⸗ 
res bat, könnte in andern Dingen nadhgeahmt werben. Die 
Nachahmer Sterne's find gleichfam die Yajazzi deffelben‘, und 
fo it Zimmermann Lavaters Pafazzo. 


Das Ja mit dem Kopffehütteln, und das Nein mit bem 
Kopfniden wird einem fehr fchwer, befommt aber doch nachher 
eine eigene Bedeutung, wenn man es kann. 


Twiß hatte ſich mit ſeiner Tour through Ireland ſo verhaßt 
gemacht, daß man ſein Portrait auf dem Boden der Nachttöpfe 
mit offenem Munde und Augen vorſtellte mit der Umſchrift: 

Come let us piss 
On Mr. Twiss. 


Könnte man nicht vierteljährige Kalender herausgeben, ober 
gar für jeden Monat einen, mit einer niedlichen Vignette, Nach⸗ 
richten und Gebichten, geziert? 





166 


Er batte ben Brief erft mit Oblaten, und oben barauf mit 
Lad gefiegelt, aus einer Ähnlichen Abfiht, wie Mercur bie 
Grundfäge ber Geometrie auf Säulen aus Thon und Erz grub. 
Denn warb ber Brief zu nahe an ben Ofen gelegt, fo hielt ihn 
die Oblate zu, und fiel er ins Waſſer, das Lad. 


Warum fehielen die Thiere nicht? Dieß ift auch ein Vor: 
zug der menſchlichen Natur. 


Die meiften Leute halten bie Augen gu, wenn fie rafirt 
werben. Es wäre ein Glüd, wenn man bie Ohren unb andern 
Sinne fo verfhließen Fönnte, wie bie Augen. 


Wenn man einem vernünftigen Manne einen Hieb geben 
fann, baß er toll wird, fo fehe ich nicht ein, warum man einem 
tollen nicht einen follte geben können, daß er Elug wird. 


Wenn eine Gefchichte eined Königs nieht verbrannt worden 
ift, fo mag ich fie nicht leſen. 


Iſt es nicht fonderbar, daß die Beherrfcher des menfchlichen 
Geſchlechts den Lehrern befjelben fo fehr an Rang überlegen 
find? Hieraus fiebt man, was für ein frlavifches Thier der 
Menſch ift. 


Es war eine Zeit in Rom, da man bie Zifche beffer erzog, 


167 | 


als die Kinder. Wir erziehen bie Pferde beſſer. Es ift boch 
feltfam genug, daß der Mann, der am. Hofe die Pferde zureitet, 
Zaufende von Ihalern zur Befoldung bat, und bie, die demſel⸗ 
ben die Unterthanen 'zureiten, bie Schulmeifter, hungern müffen. 


Swift ging einmal mit Dr. Sheridan verkleidet auf 
eine Bettlerhochzeitz Letzterer ftellte einen blinden Mufitanten vor, 
und Swift war fein Hanbleiter. Da fanden fie das größte 
Wohlleben, fie befamen Geld und Wein im Überfluß. Tags 
darauf ging Swift auf ber Landſtraße fpazieren, und fand ba 
Blinde, die auf der Hochzeit recht gut geſehen, und Lahme, die - 
recht gut getanzt hatten; Cr fchentte ihnen das auf der Hoch⸗ 
zeit erworbene Geld, fagte ihnen aber zugleich, wenn er fie noch 
einmal bier, ober irgendwo in biefem Gewerbe anträfe, fo würbe 
er fie insgefammt einftedlen laſſen; worauf fie alle eiligft.davon 
liefen. — Co wurden die Blinden fehend, und bie. Lahmen 
gehend. 


Als e8 den Gothen und Vandalen einfiel, bie große Tour 
durch Europa in Gefellfhaft zu machen, fo wurden die Wirthe: 
bäufer in Stalien fo befegt, daß faft gar nicht unterzufonmen 
geweſen fein fol. Zuweilen Elingelten drei, vier auf Einmal. 


Daß wir unfere Augen fo leicht, und unfere Obren fo ſchwer 
verfchließen können, wenigftens nicht anders, als wenn mir 
unfere Hände davor bringen, zeigt unmwiberfprechli, baß ber 


168 


Himmel mehr für die Erhaltung ber Werkzeuge, als für das 
Bergnügen der Seele geforgt bat. Doc find die Ohren nd 
unfere beiten Wächter im Schlaf. Was für eine Wohlthat 
wäre es nicht, bie Obren fo leicht verfchliegen und Öffnen zu 
können, als die Augen | 


Sm Deutfchen reimt fh Geld auf Welt; e iſt faum 
möglich, daß e8 einen vernünftigern Reim gebe; ich biete allen 
Sprachen Trogz 


Wenn jemand alle glücklichen Einfälle ſeines Lebens. bicht 
zufammen famnmelte, fo würde ein gute Werk daraus werben. 
Sebermann ift wenigfiend ded Jahre Einmal ein Genie. Die 
eigentlih fo genannten Genies haben nur die guten Ginfälle 
dichter. Man fiebt alfo, wie viel darauf ankommt, Alles aufzus 
fohreiben. 


Sn Genua barf fih ein Mann bei feiner Frau auf ber 
Straße oder ſonſt öffentlih bliden lafjenz der Cicisbeat hat ba 
die größte Höhe erreicht, und ein Mann, ber nicht darauf achten 
wollte, würde verfpottet werben und ſich den. größten Inſulten 
des Pöbels ausfegen. Man tadelt diefen Gebrauch vielleicht mit 
Recht, aber es ift doch etwas in dem Gefühl, was ihn entfchul: 
big. Es gibt doch zu fonderbaren Gedanken Anlaß, einen Mann 
bei feiner Frau zu fehen. Sie werden ausgemeſſen, und allerlei 
dabei gedacht, was man nicht benft, wenn man jedes allein 


169 


fiebt. Einen Erzbifhof von Canterbury mit feiner rau einher 
geben zu fehen, würbe wenigftens ba® bifchöflihe Anfehen nicht 
fefter gründen, das ift gewiß. In jedem menſchlichen, von eis 
nem ganzen Staat gebilligten Gebrauch, liegt immer etwas zum 
Grunde, was ih, wo nicht rechtfertigen, boch entjchulbigen läßt. 


Ah! beim Tabackrauchen bedenkt ber Statiflifer nur den 
Taback. Aber, gerechter Gott! das Bergnügen, nach bes Tages 
getragener Laft und Arbeit, in feiner Familie ruhig und vorbe⸗ 
reitend zum Purzen Schlaf und ber fi) morgen wieder erneuern» 
den ſchweren Arbeit, das Kraut abbrennen zu ſehen, das Ge⸗ 
fhäft des Ausfpudens, und den Erſatz durch theuer erfauften 
Trunf, die ausrubende Beichäftigung — o großer Gott! das 
Alles bebenft niemand. Laßt ed bem Armen, ber es einmal 
bat, ihr, die ihr Alles habt, was ihr wollt, und wechfeln könnt, 
wie es euch gefällt. 


Wenn man einmal Nahrichten von Patienten gäbe, benen 
gewiffe Bäder und Gefundheitbrunnen nicht geholfen haben, 
und zwar, mit eben ber Sorgfalt, womit man das Gegentheil 
thut, e8 würde niemand mehr hingehen, wenigftens fein Kranker, 


Wenn jemand etwas ſchlecht macht, das man gut erwar⸗ 
tete, fo. ſagt man: nun ja, fo kann ichs auch. Es gibt 
wenige Redensarten, die ſo viel Beſcheidenheit verrathen. 


170 


Wenn bei Meinen Perfonen Alles gehörig ſtark und gut ift, 
fo find fie gewöhnlich Tebhafter, als andere Menfchen, weil bei 
gleiher Bluterzeugung weniger Maſſe zu verforgen ift. 8werge 
und Rieſen find gemeiniglic gleih dumm, weil bei erftern bie 
Kräfte fehlen, und bei letztern zu viel zu beftreiten ift. Vielleicht 
fommt e8 noch dahin, daß man die Menfchen verftümmelt, fo 
wie die Bäume, um befto beffere Früchte bes Geiftes zu tragen. 
Das Gaftriren zum Singen gehört fehon hierher. Die Frage if: 
ob fih nicht Maler und Poeten eben fo fehneiden ließen ? 





Ich babe einmal, wo ih nicht irre, in Rouffeau’s Emil 
gelefen, daß ein Mann, ber täglih mit der Sonne aufftanb 
und mit Untergang berfelben zu Bette ging, über hundert Jahr 
alt geworden fein fol. Ich glaube aber, wo man eine folde 
Ordnung in einem Manne antrifft, da find auch mehrere zu 
vermuthen, und diefe mögen denn die Urfache des Alters gewes 
fen fein, 


Das Alter macht Elug, das ift wahr; dieſes heißt aber 
nichts weiter als Erfahrung madht Plug Hingegen: 
Klugheit macht alt, das heißt, Reue, Ehrgeiz, Ärger macht 
bie Baden einfallen und die Haare grau und ausfallen — das 
ift nicht minder wahr. Diefe täglichen Lehren mit Büchtigung 
zwar nicht auf den 9. . ., aber an gefahrlichern Theilen einge⸗ 
ſchärft, find ein wahres Gift. 


Es müßte fehr artig laſſen, wenn man eine ganze Stabt 
auf eine Wage bauen könnte, das beftändige Schwanfen zu ‚bes 
merken. . . 


Ich glaube nicht, daß es ganz unmöglich wäre, baß ein 
Menih ewig leben könne; denn immer abnehmen f&ließt 
den Begriff von aufhören nicht nothwendig in fich, . 


Das Künftliche aus dem Sinne fchlagen, ift bei weiten 
nicht fo viel werth und fo Fräftig wirkend zur Gefundheit, als 
das Natürliche; denn wirklich ift Erfteres ſchon eine Art von 
Anftrengung. 


Le Baillant bemerft in feinen Reifen in das Innere 
von Afrifa, daß die Adler auch Aas frefien, und bittet bie Dich» 
ter der alten und ber neuern Seit um Bergebung, daß er den 
ftolgen Vogel Jupiter fo ſehr erniedrigt; doch merkt er an, 
daß er ed nur im Notbfall thue, und was thut man nicht in ber 
Noth! Der Adler thut alfo, was feine Dichter im Nothfall auch 
thun würden, er ſchickt fi) in bie Beit. Ja, Jupiter felbft buhlte 
um Europens Beifall unter einer Maske, in welcher er nichts 
von. feiner vorigen Pracht beibehielt ald — die Hörner. Unter 
derfelben Maske buhlt jetzt ein ſtolzer Schriftftellee (3.......n) 
um den Beifall Germaniens, und es fcheint ihm zu gelingen. 


Gin Pabſt (Zacharias, glaube ich) that bie Leute in den 


172 


Bann, bie an Mntipoden glaubten; und jebt könnte ber Fall 
leicht Tommen, baß einer feiner Nachfolger die Antipoben in 
ben Bann thäte, wenn fie nicht an die Infallibilität des römi- 
fhen Stuhls glauben wollten. Wenigftens haben bie Päbſte 
die Länder von Leuten verfchentt, beren Beine zwar keinen 
Winkel von 180 Grad, aber doch ſchon einen beträchtlich ſtum⸗ 
pfen mit ben unfrigen machen. Das ift body auch ein Kortfchritt. 


Sihern Nachrichten zu Zolge, wurden im Jul. 1790 Steine 
von der Baſtille auf ben Straßen von London Pfundweiſe vers 
Fauft. Das Pfund koſtete mehr, als das beſte Rindfleiſch. 


Keine Claffe von Stümpern wird von ben Menfchen mit 
größerer Nachſicht behandelt, als bie propbetifhen. Wer ſollte 
wohl benten, daß man ben Kalendern noch glauben könnte, ba 
fie taufendmal irren, unb es befamnt ift, daß fie bloß aus dem 
Kopfe, oder allenfalls nad) einem Mobell von einigen borberge 
benden Jahren bingefchrieben werben? und doch geſchieht es. 


Ein 2008 in ber bannöverifchen Lotterie Loftet 18 Thaler, 
und 30 Grofchen Einfchreibegeld; biefes beträgt täglich eine Auß 
lage von etwas mehr als 14 Pfennigen; fo viel verfchnapfen 
manche Menfchen täglich. Wer fi) alfo gewöhnt, Hoffnung zu 
fhnapfen, und wem biefed gut bekommt, dem wollte ih auf 
alle Fälle rathen, in bie Lotterie zu feken. 


Die befte Art, Lebende und Verfischene zu loben, iſt, ihre 
Schwadheiten zu entfehuldigen und babei alle mögliche Menſchen⸗ 
tenntniß anzuwenden. Nur Beine Tugenden angedichtet, - bie fie 
nicht befeffen haben! das verdirbt Alles, und macht felbft das 
Wahre verdächtig. Entfhuldigung von Fehlern empfiehlt den 
Lobenden. 


Theoſophie, Aftrologie und eine gewiffe Meteorologie. haben 
nicht bloß da8 gemein, daß man bei ihrem Studium ſowohl, 
als ihrer Ausübung die Augen nad) dem Himmel richtet, fondern 
auh, daß ihre Berehrer immer mehr fehen wollen, als Andere. 


Mir thut e8 allemal weh, wenn ein Mann von Talent 
ftirbt, denn bie Welt bat dergleichen nöthiger, als der Himmel. 


Es iſt eine fehr weislihe Kinrihtung in unferer Ratur, 
daß wir fo viele Außerft gefährliche Krankheiten gar nicht füh⸗ 
len. Könnte man ben Sclagfluß von feiner erfien Wurzel an 
verfpüren, er würde mit unter bie chroniſchen Krankheiten ge 
rechnet werben. ‚ 

Wie wenig Ehre es einem Maler macht, Thiere durd feine 
Gemälde zu täufchen, davon :hatte ich einmal einen auffallen⸗ 
den Beweis: mein Nothfehlchen hielt das Schlüſſelloch einer 
Commode für eine Kliege, flog einigemal darnach und ſtieß ng 
beinahe den Kopf darüber ein. 


174 


Seitdem er die Obrfeige befommen batte, dachte er immer, 
wenn er ein Wort mit einem O fah, ald Obrigkeit, es heiße 
Ohrfeige. 


Das Pulver, wovon in einer Stelle aus dem Morhof 
in Leſſing's Collertaneen (Th.1. S. 89) unter dem Artikel 
Petrus Arlensis de Scudalupis gerebet wird, und das Leffingen 
an das bölifche Feuer erinnert, ift wohl gewiß das Knallgold 
geweſen. 

Schlecht disputiren iſt immer beſſer als gar nicht. Selbſt 
Kannengießern macht die Leute weiſer, wenn gleich nicht in der 
Politik, doch in anderen Dingen; das bedenkt man nicht genug. 


Wenn jemand in Cochinchina fagt: Doji (mich hungerthh, 
fo laufen bie Zeute, als wenn es brennte, ihm etwas zu eſſen 
zu geben. In manden Provinzen Deutfchlands könnte ein 
Dürftiger fagen: mi hungert, und es würbe gerade fo viel 
beifen, als wenn er fagte: Doji. 


Bei dem Verluſt von Perſonen, bie uns lieb waren, gibt 
es feine Linderung, als bie Zeit und forgfältig gewählte 3er: 
ftreuungen, wobei uns unfer Herz Feine Vorwürfe machen kann. 





Die Urfadhe der Seekrankheit fol, wie Briſſot de War—⸗ 
pille fagt, noch nicht recht befannt fein. Ich glaube, fie rührt 


von ber zufanmengefekten Bewegung bed Blutes ber, an bie 
man fich erfti gewöhnen muß. Denn ich babe allegeit bemerkt, 
daß die unangenehmfte Bewegung bie ift, dba man nad) einem 
fahften Auffteigen des Schiffes wieder zu finfen anfängt, wo 
denn unftreitig nicht bloß das Blut nad) dem Kopfe, fondern 
au ber Kopf dem Blute entgegen gebt. 


Es ift doch beſonders, daß e8 in nalen Ländern fo viele 
Menfchen gibt, die Weltmafchinen verfertigen. Auch in Bofton 
fand fi, wie Briffot erzählt, ein gewifler Pope, ber über 10 Jahre 
an einer zugebradht hatte. Eine unnügere Arbeit läßt fih wohl 
sicht gedenken. Vaucanſons Flötenfpieler, der die Flöte wirklich 
bläft, geht weit darüber. Einen läppifchern Gebrauch kann wohl 
ber Menfch von feinen Seelenträften nicht machen, als wenn .er die 
Weltmafchine durch ein Räderwerk darzuftellen ſucht, das immer 
zur Familie der Bratenwender gehört und daran erinnert. Schon 
eine vergoldete Sonne, die auf einem Zapfen ruht, ift etwas Ab⸗ 
fcheuliches; und die Schwere durch Stangen zu repräfentiren, an 
die man die Planeten fpießt, hat viel Ähnlichkeit mit dem Ginfal 
bes Shakefpear, den Mondſchein durch einen Kerl vorzuftellen. 
Wenn die großen Herren, die body nur allein dergleichen Poffen bes 
zahlen konnen, fo etwas fehen wollen, fo können fie auf einem 
freien Platz die Sache dur ihre Hofleute und Hoflafaien bar» 
ftellen laſſen, und bie Rolle der Sonne felbft Übernehmen. 


Ich glaube, der befte Copiſt und Zeichner würde einen Kopf 


176 


oder eine Figur nicht gut treffen Eönnen, wenn. fie ihm verkehrt 
vorgelegt würde, unb unter ber Bedingung, weber das Original, 
noch feine Copie während ber Arbeit, gerade vor ſich hinzulegen. 
Man fieht alfo, was ber Künftler thut, ber ein Geficht copitt: 
er lieft beftändig im Ganzen, und mit dem Geifte dieſes Gans 
zen vor Augen, thut er manden Strid in der augenblidlicdhen 
Begeifterung, wenn ich fo reden darf, wovon er nichts weiß, 
und ſo wird die Copie ähnlich. Man wird finden, daß dieſes 
Leſen im Ganzen, dieſes Zuſammenfaſſen bei jedem Unternehmen 
nöthig iſt, und dem Mann von Genie von dem gemeinen Kopfe 
unterſcheidet. So ſind bei dem Commando von Armeen, bei 
Anlegung großer mechaniſcher Werke, bei großen Finanzopera⸗ 
tionen oft die tiefſten Theoretiker die elendeſten Ausführer. Sie 
haben immer das Detail zu ſehr vor Augen, und dad Unge— 
meine, das neu Entdedte und Schwere, und vergefien 
darüber das Leichte, Alltäglihe, das immer, ober boch in den 
meiften Fällen das Hauptfählichite ift. «Hier fällt mir der Mas 
thematifer ein, ber gegen eine Mafchine, bie ben Weg bes Schiffee 
auf der See zeichnen follte, nichts einzumenden hatte, als daß 
die Beichnung wegen der Ausdehnung des Papiers trügen könne. 


Sich durch plögliche Umänderung ohne Erklärung gegen bie, 
die es eigentlich angeht, ein gewiffes Air von Wichtigkeit zu 
geben, ift ein fehr gemeines Verfahren im Cheftande, Jammer 
und Elend, wo e8 in Regierungen Statt findet } 


- 


1277 


Gewiſſen Menſchen iſt ein Mann von Kopf ein fataleres 
Geſchöpf, als der declarirteſte Schurke. 


Ich habe mir die Zeitungen vom vorigen Jahre binden laſſen, 
es iſt unbeſchreiblich, was für eine Lectüre dieſes iſt: 80 Theile 
falſche Hoffnung, 47 Theile falſche Prophezeihung und 3 Theile 
Wahrheit. Dieſe Lectüre hat bei mir die Zeitungen von dieſem 
Jahre ſehr herabgeſetzt, denn ich denke: was dieſe ſind, das waren 
jene auch. 


Wenn bie Fiſche ſtumm find, fo find dafür ihre Verkäufe⸗ 
rinnen befto berebdter. 


Wir leben in einer Welt, worin ein Narr viele Rarren, 
aber ein weifer Mann nur wenige Weiſe macht. 


Pantheon ber Deutfchen. 

Sch babe au vor Newtons Grabmal in Weflminiter« 
abtei geftanden; ih habe Shakeſpears Denkmal, vermifcht 
mit denen von großen Helden angefehen; allein ic muß befen- 
nen, vielleicht zu meiner Schande, baß ber Eindrud fehr ges 
-mifcht und eigen war. Ich konnte mich unmöglich überzeugen, 
daß Newton und Shakefpear dadurdy geehrt würden, fonbern, 
wenn ich mich in ber Erklärung meines Gefidhts nit irre, fo 
war e8 mir, als fländen dieſe Denkmäler da, bie übrigen zu 
ehren, und bem Plaß Ehre zu verfchaffen. Es war mir unmög« 

u. 12 


178 


lid, mid von biefem Gefühl los zu machen. — Was könnte 
es helfen, jetzt Lutbern in einem beutfchen Pantheon aufzu⸗ 
ftellen? Sol das zur Ehre Luthers fein? Unmöglih, es ift 
zur Ehre des Pantheons. Wenn ja eine folche Anftalt nützen 
fol, fo müffen Männer aufgeftellt werben, deren Thaten ohne 
Slanz groß waren; Männer, bie fich bloß durch Handeln um 
Baterland und Nebenmenfchen verdient gemacht haben — ein 
Scriftfteller, als folder. Ein Schriftfteller, ber zu feiner Ber: 
ewigung eine Bildfäule nöthig bat, ift auch dieſer nicht werth. 


Wenn ber Menfch die Nägel nicht abfchnitte, fo würden fie 
unftreitig fehr fang wachſen, und er dadurdy zu allerlei Verrich⸗ 
tungen ungefchidt werden, bie ihm jest Ehre machen. Diefe 
Berftümmelung ift alfo unftreitig von großem Nutzen geweſen. 
Sch babe daher immer das Nägelabfauen als einen Inftinct bes 
trachtet, fih auszubilden. Daher faut man an den Nägeln bei 
einer epinöfen Frage oder überhaupt bei einem ſchweren Problem. 
Wenn ſchon dadurch nidht viel ausgerichtet wird, fo wird doch Per- 
feetibilitätstrieb geübt; nun wirft fih die gefammelte Kraft, wenn 
fie ih an einem Ende zu ſchwach fühlt, auf einen andern Theil. 


Der Gehalt, das ſpecifiſche Gewicht des Geiftes und ber 
Talente eines Menſchen ift deſſen abfoluter Werth, multiplicirt 
mit der mittlern Wahrfcheinlichkeit feiner Lebensdauer ober fei« 
ner Entfernung vom gewöhnlichen Stillftand der Fortfchritte. — 
Sehr verſtändlich, für mich. wenigftens. 


179 


In England warb vorgefchlagen, die Diebe zu caftriren. 
Der Vorſchlag ift nicht Übel: die Strafe ift fehr hart, fie macht 
bie Leute verächtlih, und doch noch zu Gefchäften fähig; und 
wenn Steblen erblich ift, fo erbt e8 nicht fort. Auch legt der 
Muth fh, und ba ber Gefchlechtstrieb fo häufig gu Diebereien 
verleitet, fo fällt auch biefe Beranlafjung weg. Muthwillig bloß 
ift die Bemerfung, daß bie Weiber ihre Männer deſto eifriger 
vom Stehlen abhalten würden; denn fo wie die Sachen jetzt 
ſtehen, riskiren ſie ja, fie ganz zu verlieren. 





Die Jahre ber zweiten Minorennität, das find böfe Deiten, 
wenn fie anfommen. Bei Schriftftellern übernimmt das Pub⸗ 
likum alsdann gemeiniglih die Vormundſchaft. Abnahme des 
Gedächtniſſes, graue Haare, Wegfchleihen der Zähne, und Lob 
der Zeiten, wo das Fleifch noch weicher gekocht wurbe, find die 
ficheren Kennzeichen, daß fie eingetreten find. Wohl dem alsdann, 
der auf guten Grund gebaut hat. 





j Gartefius fagt in einem Briefe an Balzel (European Maga- 
zine Febr. 1795 p. 85.), daß man bie Einfamkeit. in großen 
Städten fuchen müffe, und er lobt fi) dazu Amfterdam, von 
wo ber Brief datirt if. Ich fehe auch wirklich nicht ein, warum 
nicht Börfengefumfe eben fo angenehm fein fol, als das Raus 
fchen des Eichenwaldes; zumal für einen Philoſophen, der Feine 
Handelsgeſchäfte macht, und zwifchen Kaufleuten wandeln kann, 
wie zwiſchen Eichbäumen, da die Kaufleute ihrerſeits bei ihren 


190 Wu; 


180 


Gängen und Gefchäften fih fo wenig um den müffigen Wand⸗ 
ler befümmern, als die Eihbäume um den Dichter. 


Seit der Erfindung der Schreibefunft haben bie Bitten 
viel von ihrer Kraft verloren, die Befehle hingegen gewonnen. 
Das ift eine böfe Bilanz. Gefchriebene Bitten find leichter ab⸗ 
geſchlagen, und gefchriebene Befehle leichter gegeben, al® münd« 
liche. Bu beiden ift ein Herz erforderlich, das oft fehlt, wenn 
der Mund der Sprecher fein foll. 


Es ift doch fo ganz modern, einen Afchentrug oben über 
ein Grab zu fegen, während der Körper unten in einem Kaften 
fault. Und diefer Afchentrug ift wieder ein bloßes Beichen eines 
Aſchenkruges; es ift bloß der Leichenftein eines Aſchenkruges. 

Nach dem Menfchen kommt in dem Syſtem ber Boologen 
ber Affe, nach siner unermeßliden Kluft. Wenn aber einmal 
ein Linne die Thiere nad ihrer Glüdfeligkeit, oder Behaglichkeit 
ihres Zuſtandes ordnen wollte, fo kämen doch offenbar manche 
Menſchen unter die Müllerefel und die Jagbhunde zu fleben. 


Es macht allemal einen fonderbaren Eindrud auf mid, wenn 
ih einen großen Gelehrten, oder fonft einen wichtigen Mann 
febe, dabei zu denken, daß doch einmal eine Zeit war, ba et 
den Maikäfern ein Liebehen fang, um fie zum Auffliegen zu er: 
muntern, 


Aus dem Bittern, wenn man fchwad wird, follte man faft 
glauben, die Wirkung unfers Willens auf unfern Körper ges 
fhähe ftoßweife, und bie Stetigkeit in ben Bewegungen verbalte 
fih zum Bittern, wie ber Kreis ober die Prumme Linie zum 
Polygon. Man kann in jedem Alter, glaube ich, wigig fein, 
nur geht ed nicht immer in einem fo fleten Strom, wie in ber 
Jugend; man zittert ba. Sammelt man aber die Bemerkun: 
gen, und nimmt bie Zwifchenräume meg, fo kann ber Lefer bie 
Abnahme der Kräfte nicht bemerken. Ich mag thun, was ich 
will, fo kann ich e8 nicht ohne Zwiſchenräume — ich zittere 
überall. Zittern ift Anfirengung und Ausruben in fchnellen Ab» 
wechfelungen verbunden. 


Bor einigen Tagen. las id, baß ein Prediger im Lüttichi= 
fen, wo ich nicht irre, ber. 125 Jahr alt war, von feinem 
Biſchofe gefragt worben wäre, wie er ed angefangen hätte, fo 
alt zu werben. Ich habe mich, war die Antwort, des Weins, 
ber Weiber und bes Zorns enthalten. Hier ift nun, wie mid 
dünkt, die große Frage: wurde ber Mann fo alt, weil er fi 
jener Gifte enthielt, ober weil er ein Temperament befaß, das 
es ihm möglich machte, ſich jener Gifte zu enthalten ? Ich glaube, 
es ift unmöglich, nicht für das Letzte zu flimmen. Daß ſich mit 
jenen Giften jemand das Leben verkürzen kann, und zwar fehr 
ftarf, ift Bein Beweis, daß man fi) das Leben verlängert, wenu 
man fich ihrem Gebrauch entzieht. Wer bas Temperament nicht 
bat, würde, wenn er ſich des andern Geſchlechts enthielte, ges 


182 


wiß fein Leben damit nicht verlängern. — Eben fo iſt e8 mit 
der Sage, baß bie wahren Ghriften immer rechtfchaffene Leute 
find. Es bat lange rechtfchaffene Menfchen gegeben, ehe Chri⸗ 
fien waren, und gibt Gottlob! auch da noch welche, wo Feine 
Chriſten find. Es wäre alfo gar wohl möglich,. daß bie Leute gute 
Chriften find, weil das wahre Chriftentbum basjenige von ihnen 
fordert, wa8 fie auch ohne baffelbe gethban haben würden. So⸗ 
Prates wäre gewiß ein fehr guter Chrift geworden. 


Wenn ein Prediger merkt, daß feine Zuhörer nicht aufs 
merkfam find, fo müßte er es machen, wie ein gewifjer Dr. 
Alymer, Bifhof von London. Als diefer fand, daß ber größte 
Theil feiner Verſammlung fchlief, fing er auf einmal laut an 
in einer bebräifchen Tafchenbibel zu leſen, bie er bei fi) hatte. 
Sogleich wurde Alles aufmerffam. Da fing ee an: „waß feib 
ihr doch für feine Leute! ihr feid aufmerffam, wenn ich euch 
etwas vorlefe, wovon ihr Fein Wort verfteht, und fchlaft, wenn ich 
mit euch in eurer Mutterfprache. von. Dingen rebe, auf denen das 
Heil eurer Seele beruht. (Universal Magaz. Oct. 1797. p. 284.) 


Iſt e8 nicht abfcheulih, daß fi der Menſch gewöhnt hat, 
zur Nahrung oder zur Befriedigung feiner Leckerhaftigkeit Dinge 
zu wählen, die von feiner eigenen Gartenmauer an gerechnet, ein 
Paar taufend Meilen entfernt wahfen? Warum tractiren reiche 
Juden bei ihren Tractamenten nidt mit Wafler aus dem Jordan, 
oder mit dem Honig und ber Milch, die in ihrem. Baterlande flieht ? 


183 


Das größte Geheimniß, das fo viele Menfchen erfahren haben, 
und noch fo viele beiderlei Gefchlechts erfahren werben, das man 
gewöhnlih an öffentlihen Plägen erfährt, das aber noch nie 
jemand ausgeplaubert hat, noch je ausplaubern wirb — bie 
Empfindung, wenneinember Kopfabgehbauenmwirb. 


Wie viel .in der Welt auf Vortrag ankommt, kann man 
fhon daraus fehen, daß Kaffee aus Weingläfern getrunken, ein 
ſehr elendes Getränk iftz ober Fleiſch bei Tifche mit ber Schere 
gefchnitten, oder gar, wie ich einmal gefehben habe, Butterbrot 
mit einem alten, wiewohl fehr reinen, Schermeffer geſchmiert — 
wen würde das wohl bebagen? - 


Sch weiß von guter Hand, baß feit ber evolution ber re⸗ 
ligiöfe Sfepticismus gar. nit mehr unter ben Menfchen von 
Rang und Familie in Frankreich Statt finden fol, worin er 
ehemals berrfchte. Man bat beten gelernt. Diele Damen, bie 
fonft nichts davon wiffen wollten, find nun ganz pour la reli- 
gion de nos peres. Man glaubt aber doch auch, daß fie etwas 
mehr dabei gedacht, und auch das gouvernement de nos peres 
gemeint hätten. 


Hat wohl jemand je den Einfall gehabt, die Afopifchen 
Gabeln durch Ihiermarionetten vorzuftelen? Wenn die Thiere 
gut gezeichnet wären, fo könnte es wohl eine herumziehende 
Truppe ernähren. 


184 


Das große 2008 in ber Erfindungslotterie dee Menfchen ift 
Gottlob ! noch nicht gezogen. Wer ed gewinnen wird, läßt fi 
freilich nicht fagen; aber fo viel feheint gewiß zu fein, baß es 
fein Compilator und aftronomifcher Conflabler gewinnen wird. 


In Nr. 372 des Reichsanzeigers von 1798 ſteht wieder et⸗ 
was von ber — — ) Hermetifchen Gefellfchaft. Ein rechtes 
Mufter von Dummheit, Stolz und an Wahnfinn grängendem 
Mangel an Menfchenkenntniß und Philofopbie. 


Es erleichtert die Correfpondenz, wenn man weiß, baß ber 
Correfponbent eine fhöne Frau hat. 


Ich habe in meinem Leben eine ganz beträchtlihe Menge 
fehr alter Perfonen gefehben, kann mich aber nicht erinnern, je 
eine gefehen zu baben, bie fiar® podengrübig gewefen wäre. 
Was ift die Urfache? Unſtreitig wirb es eine von folgenden 
breien fein müfjen. Entweder ſolche Leute erreichen Bein hohes 
Alter; oder durch das Sufammenfchrumpfen der Haut verlieren 
fih die Podengruben größtentheild; oder enblih, ba überhaupt 
nicht febr viele Menfchen fehr alt, und ebenfall8 nur wenige 
ſtark von den Poden gezeichnet werden, fo könnte es leicht fein, 


*) Hier ftand im Mfpt. ein fehr derbes Epitbeton, das wir, 
nicht aus Schonung für die faubere Gefellfhaft, fonbern für 
und felbft ausgelafien haben. 


185 
baß biefe zwiefache Seltenheit bie Urſache wäre, warum es einem 
Menfchen von 50 bis 60 Jahren begegnen könnte, Peinen poden- 
grübigen Alten gefehen zu haben. Diefe britte Urfache fcheint 
mir bie wahrſcheinlichſte. Indeſſen follten mehrere Menſchen 
eine ähnliche Bemerkung gemacht haben, fo verdiente doch bie 
Sache vieleiht Aufmerkfamteit. 


So angenehm bie Muſik dem Ohre ift, wenn es fie 
bört, fo unangenehm ift fie ihm oft, wenn man ihm bavon 


vorſpricht. 


Spielen iſt ein ſehr unbeſtimmtes Wort, oft wird etwas 
eine Spielerei durch den ſchlechten Gebrauch, den man von einer 
Sache macht. Es gibt Leute, die ſogar mit den allerheiligſten 
Dingen ſpielen. 


Die geſchnitzten Heiligen haben in ber Welt mehr ausgerich⸗ 
tet, als die lebendigen. 





Die verfchiebenen Arten von Yulfen, ihrer Geſchwindigkeit 
fowohl, als ihrer Härte nah, müßte ſich durch eine Mafchine, 
buch fchwingenbe Darmfaiten von verfihiebener Dide und Span⸗ 
nung deutlich ‚machen laffen. So etwas ließe fi in Collegien 
gebrauchen. 


Mus was für Urſachen werben bie Hechte von heißem Eſſig 


186 


blau, die Krebſe im Kochen roth, das grüne Wacheuch unter 
Vaſſer bel u. ſ. w.? 


Sollten ſich Gerüche mot durch dohiwpiegel concentriren 
laſſen? 


Würde ein Öltropfen auf unſere Erdkugel fallen, wenn fie 
sarız aus Waſſer beftände ? 


Könnten nicht in den Hirnhöhlen durch Zerſetzung ber Dämpfe, 
die nothwendig bisweilen Statt finden muß, allerlei Ungemäd« 
lichkeiten entftehen: Gewitter, Regen, Thau? fo etwas wäre 
wirklich möglid; find ja Dämpfe auch die Urſache ber Erdbeben. 


Wie hängt eine bekannte Erfahrung, daß Leute in ber 
Dämmerung befjer fehen, ald am Tage, mit einer andern zu⸗ 
fammen, daß manche Taube befjer im Lärm hören? 


Hat man Beifpiele von taubgebornen Thieren? Taubge⸗ 
borne Hunde möchten wohl ſchwerlich ſtumm fein. 


Hat man wohl je unterfuht, warum bie Nafen gefunder 
Hunde fo kalt find? Cs könnte leicht die Abfiht haben, baf 
fi! manche Gerüche leichter darauf niederfchlügen. 


Sat man wohl präcife Berfuche darüber, daß Mil bei 


187 


einem Donnerwetter gerinnt? und ift biefes ber Fall, mie wird 
es am natürlichften erflärt ? 





’ Ob wohl ein Hund Eönnte abgerichtet werben, einen mag. 

netifchen Stahl von einem anbern zu unterfheiden? Der Ge 
braud von ber Hundesnaſe ift wohl noch nit ganz gemarht 
worden, ber fi) davon machen ließe. Erdbebenpropheten find 
die Hunde, wie auch einige andere Thiere. 


Sollte ed wohl in Abſicht auf das ganze Weltfgfiem ober 
felbft die Firfterne fo etwas gehen, wie Wetter, Witterung, 
Wetterſeite? 


Ich bin manchmal faſt geneigt, zu fragen: gibt es in der 
Welt noch etwas Anderes, als Waſſer? J— 


Wozu ift das Stroh.gut? 
Iſt es wohl wahr, was ich oft gehört habe, daß die Hunde 
nicht ſchwizen; und wenn es wahr iſt, was läßt ſich für ein 


phyfiologiſcher Grund angeben? 


Was würde eine Nachtigall machen, der man um die 
Schlagezeit die Ohren zuklebte? 


Iſt es nicht ſonderbar, daß man die Geometrie mit einem 


188 


befondern Falle anfängt, mit ber Lage ber Linien auf Ebenen? 
Leicht mag dieſes fein, ob es aber wiſſenſchaftlich iR, ift eine 
andere Frage. Es müßte doch fürwahr bie Möglichkeit einer 
Ebene erwiefen werben. Ich fürdte nur, wenn man bie Phi⸗ 
loſophie der Nathematik zu weit treibt und fie zu weit von dem 
gemeinen Menfchenverfiand wegrüdt, fe wirb fie im Ganzen 
verlieren. 





Ob die Muſik bie Pflanzen wachſen mache, ober ob es unter 
den Pflanzen welche gebe, die muſtkaliſch find ? 





Bir können ein Hirſenkorn ungeheuer vergrößern; aber 
eine Sekunde Zeit fönnen wir zu Feiner Minute und zu Peiner 
Biertelftunde machen. Das wäre vortreffiih, wern man das 
Fönnte! Allein man ſucht mehr die Zeit zu verkleinern, fo 
follte man fagen, flatt verfürzen. 


Es ift fehr weife, daß die Fifche ſtumm find ; denn ba das 
Waſſer den Schall fo außerorbentlich fortpflanzt, fo würden fie 
ihr eigenes: Wort nicht hören. Ich glaube, eines der größten 
Unglüde, das bie Welt befallen Pünnte, wäre biefe®, daß die 
Luft den Schall ungefhwädht zwanzig Meilen weit fortpflanzte. 





189 
Nachtrag 
zu Allerband. 


Die Efel haben bie traurige Situation, worin fie jet in 
der Welt Ieben, vielleicht nur dem witzigen Ginfalle eines lofen 
Menfchen zu danken. Diefer ift Schufd, daß fie zu dem ver- 
achtetften Thiere geworben find, und biefes auch wohl bleiben 
werden, und gewiß gehen viele Eſeltreiber nur deßwegen mit 
ihren Eleven ſo fürchterlich um, weil es Eſel, nicht weil es 
träge und langſame Thiere find. 


Wenn man einmal in der Welt anfangen wollte, nur das 
Nötbige zu thun, fo müßten Millionen Hungers fterben. 


Gin paar Dusend Millionen Minıften machen ein Leben 
von 45 Jahren, und etwas darüber. 


Eine Uhr, die ihrem Befiter immer um %, zuruft: Du...; 
um balb: Du bift..; um %: Du bift ein.; und wenn e8 
vol fhlägt: Du bift ein Menfd. 


Wie werden einmal unfere Namen hinter bem Grfinder des 
liegend und dergl. vergeffen werden! 


190 
Die Sympathieen ſind gewiß nicht alle zu verwerfen. Viel⸗ 
leicht finden wir einmal bie Urſachen dazu. Sie find vielleicht. 
Reſte von den verlorenen Wiffenfchaften einer andern Generation 
Menfchen. 


Gelegenheit macht nicht Diebe allein, fie macht auch be 
fiebte Leute, Menfchenfreunde, Helden. Bon bem Ginfalle, 
ben ein Witiger hat, gehört mehr als die Hälfte dem Dumme 
Popfe zu, ben e? traf. 





Wie nahe wohl zumeilen unfere Gedanken an einer großen 
Entdeckung hinſtreichen mögen. 


Die Orakel haben nicht ſowohl aufgehört zu reden, als 
vielmehr die Menfchen ihnen zuzubören. 


Wer eine Wiffenfchaft noch nicht fo ‚inne hat, daß er. jeden 
Berftoß dagegen fühlt, wie einen grammaticalifhen Fehler in 
feiner Mutterfprache, der bat noch viel zu lernen. 


In ben Bibelerflärungen kommt mir Bieles vor, wie in 
den Erklärungen der Figuren in der Baumannshöhle.. Man hat 
da betende Jungfrauen, Taufſteine, Pathen, Mönche, Rinds⸗ 
zungen, Säulen, Eierftüde, Himmelfahrt Chrifti, Pauken u. |. w. 
Man muß aber gemeiniglich fhon wiffen, was e8 fein foll, 
um e8 darin zu erfennen. 


Sch babe einmal in einem ökonomischen Schriftſteller fol 
genden Einfall gelefen, der fehr artig if, und auch auf menſch⸗ 
lihen Umgang angewandt werden könnte. Unter allen Vögeln, 
fagt der Berfaffer, feheinen bie Sperlinge die größten Vertrau⸗ 
ten ber Bauern zu fein, und feine Art wird von Bauern fo 
fehr gehaßt als dieſe. 


Der Schwarze Mann ber Kinder gehört mit in bie Klafie 
von Erfindungen, worin die Höllenftrafen fiehen. Es ift, glaube 
ich, nicht möglich, den Aberglauben auszurotten. 


Die Neigung der Menfchen, Eleine Dinge für wichtig zu 
balten, bat fehr viel Großes hervorgebracht. 


Einer glaubt genauen Umgang mit Käftner gehabt zu haben, 
und am Ende mars ber Waifenhauspräceptor Keftuer zu Göt— 
tingen. 


Warum fann jedermann ohne Vorwurf von Stolz fügen: 
ih bin ein ehrlicher Mann, aber nicht: ich bin ein Mann von 
Genie, oder ein wißiger Kopf? Iſt etwa jenes weniger, oder 
ſchimpft das Wort Spigbube nicht fo viel als Dummkopf? Und 
doch dürfen Necenjenten ed den Leuten nicht allein in das Geficht 
fogen, daß fie Dummköpfe jind, fondern e8 ihnen fogar auch beweiſen. 


Es gibt Leute, die das r wie ein mw audfprechen, fie find 


192 


mir unerträglih. 3.9. Fwiction, Swage, Bweite, flatt Fric⸗ 
tion, Zrage, Breite. 





Eo viel iR audgemadt, die chriſtliche Religion wirb mehr 
von ſolchen Leuten verfodten, bie ihr Brot von ihr haben, 
als folden, die von ihrer Wahrheit überzeugt fund. Man muß 
bier nicht auf gebrudte Bücher fehen, das if dad Wenigſte, bie 
belommen Tauſende nicht zu lefen, ſondern auf bie Perſonen, 
die täglich an ihrer Aufrechterbaltung fchnigeln und ſtümpern, 
und auf Univerfitäten vom Freitifde an dazu erzogen und ver 
zogen werben. “ 


Es ift doch fonderbar, daß wir fo viele Mittel kennen, eine 
Krankheit zu befördern, und fo wenige, fie zu heilen. 





Den Efel macht feine Ähnlichkeit mit dem Pferde nur 
defto lächerliher, aber das Pferd wirb nicht lächerlich durch 
den Eſel. 





Ein Geſchöpf höherer Art läßt bie ganze Geſchichte der Welt 
repeticen, fo wie man bie Uhren repetiren läßt. 





Es mag ein Einfall noch fo einfältig fein, er regulirt immer 
etwas und berrfcht irgendwo. Das Gefiht im Monde herrfcht 
in unjern Kalenderzeichen. 


are 


Die Leihenöffnungen können biejenigen Fehler nicht ent» 
decken, die mit dem Tode aufhören. 


Es wird gewiß in England des Jahre noch einmal fo viel 
Portwein getrunken, als in Portugal wächſt. 


Die Luſtbarkeiten, wobei man in bie Höhe fehen muß, find 
immer angenehmer, ald eine, wobei man geradeaus fiebt. Or. 
Blanchard ſollte Muſikanten mit in die Höhe nehmen. 


Man wirft ben Corporationen ber City of London vor, 
daß fie aus Leuten befteben, die meiftens als Individuen fehr 
würdige Männer find, aber in corpore gewöhnlich fehr einfäl⸗ 
tige Streiche machen. Gerade wie unfere Aheologen. 


Die Welt jenfeit der gefchliffenen Gläſer ift wichtiger, als 
die jenfeit der Meere, und wird vieleicht nur von ber jenfeit 
bes Grabes übertroffen. 


—n — 1 
Ih möchte wohl ben Titel des lekten Buches wiſſen, das 
gedrudt werden wird, Original verfteht fi), nicht Auflage. 


Was man fehr prädtig Sonnenfläubdhen nennt, find bo 
eigentlih Dredftäubchen. 





— 


Wenn der Menſch, nachdem er 100 Jahre alt geworden, 
II. 13 


194 


wieder umgewendet werben könnte, tie eine Sanbuhr, und fo 
wieder jünger würbe, immer mit der gewöhnlichen Gefahr, zu 
fitrben; wie würde e8 da in ber Welt ausfehen ? 


Ein untrügliches Mittel wider das Sahntmweh zu erfinden, 
wodurch es in einem Augenbli& gehoben würde, möchte wohl 
fo viel werth fein und mehr, als noch einen Planeten zu ent: 
beden. | | 


Jedes Zeitalter hat eine Menge Eigenheiten, bie die Nach⸗ 
welt mit Vergnügen aufgezeichnet fehen würde, und bie viel zu 
fein für den Gefchichtfchreiber find, die immer wechfelnden Thor: 
beiten der Beit ıc. Für diefe ift Hogarths Grabſtichel das befte 
Medium fie aufzubewahren. Wer in aller Welt kann einen 
Parlamentswahlfhmaus, oder eine Midnight conversation fo 
fhildern, wie er gethban bat, und wie lehrreidy kann nicht eine 
ſolche Schilderung gemacht werden ! 


Wie viele Menfhen mag mohl bie Bibel ernährt haben, 
Commentatoren, Buchdruder und Buchbinder? 


In England wird ein Mann der Bigamie wegen ange 
FMagt, und von feinem Advoraten badurch gerettet, baß er be: 


wies, fein Client babe drei Weiber. 


Es iſt ein Glück, daß die Gedankenleerheit keine ſolche 


195 


Folge bat, wie bie Luftleerheit, denn fonf würden manche 
Köpfe, bie fi an die Lefung von Werken wagen, welde fe 
nicht verftehen, zufammengebrüdt werben. 


Man wirft oft den Großen vor, daß fie fehr viel Gutes 
hätten thun können, das fie nicht getban haben. Sie könnten 
antworten: Bedenkt einmal das Böfe, das wir hätten thun 
fönnen, und nicht gethan haben. 


Die Buchdruckerkunſt ift doch fürwahr eine Art von Mef: 
ſias unter den Erfindungen. 


Wenn Noth die Mutter des Zleißes oder der Erfindung ift, 
. fo ift e8 eine Frage, wer ber Vater, oder die Großmutter, oder 
die Mutter der Noth ift. 


Jeder Menfch erhält bei feiner Geburt ein Loos in der gros 
gen Lotterie der Erfindungen, in welcher wohl gewiß am Ende 
des Jahrs 1798 das größte Loos noch nicht gezogen war. ' 


Als am Sten Ortober 1796 die Stadt Andreasberg auf dem 
Harze durch den Blig größtentheild abbrannte, wollten bie Leute 
dem Mann, in deffen Haufe der Blig eingefhhlagen hatte, Fein 
Obdach geben, weil er ein Böfewicht fein müffe, indem Gott 
feinen Zorn zuerft über ihn ausgelaffen babe. 


13 * 


496 - 


Man führt gegen den Wein nur bie böfen Thaten an, zu 
denen er verleitet, allein er verleitet auch zu Hundert guten ,. bie 
nicht fo bekannt werden. Der Wein reist zur Wirkſamkeit, bie 
Guten im Guten, und die Böfen im Böfen. 


rag mente 


1. 


Lorenz Efchenbeimers 
empfindfame Reife nah Laputa. 


Schreiben 
des Hrn, Vxs-4 dxs ddy Trullrub, 
Älteſten der Akademie zu Lagoda, 
das Empfindſame im Reiſen zu Waſſer und zu Lande 
und im zu Hauſe Sitzen betreffend. 
Aus dem Hochbalnibarbiſchen überſetzt 


von 


M. S. 


Vorrede bes Überfegers. 
Die gelebrte Welt bat es bekanntermaßen fchon längft und 
mit Recht bedauert, daß ber berühmte Lemuel Gulliver bei feis 
nem Aufenthalt in Laputa und Lagoda ſich nicht mehr bemüht 


200 


bat, eine genauere Verbindung zwifchen ber bafigen Akademie 
und irgend einer europäifchen zu fliften, da er die vortrefflichite 
Gelegenheit dazu hatte. Anderer Vortheile zu gefchweigen, will 
ih jest nur bie einzige Univerfallurbelmethobe er: 
wähnen, die durch bie neuern Bemühungen einiger beutfchen 
Gelehrten viel gefhwinder zur Vollkommenheit hätte gehracht 
werden können, babingegen unfer bereitö eingeführter Infular- 
univerfalismus wieber durch jene geiwonnen haben würde. Defto 
größer ift, glaube ih, alfo ber Dienft, den ich ber gelehrten 
Welt erzeige, indem ich ihr die Nadıricht ertheilen Fan, baß 
wirklich unlängft etlihe @remplare Transartionen ber 
Akademie zu Laputa von bem Häringsfiiher Hans Puyt 
in Amfterdam, ber bahin verfhlagen worden, aufgekauft und 
nad Europa gebracht worden find, wovon ich mir mit vieler 
Mühe endlich eines verſchafft habe. Der Leſer witd kaum glau⸗ 
ben, was für Muͤht es mid gekoſtet hat, alle die Sachen zu 
entziffern, da mir außer den wenigen Worten, die uns Gulli⸗ 
ver erklärt hat, und einiger andern, die eine Ähnlichkeit mit 
dem Japaniſchen haben, welche Sprache ich verftehe, fonft nichts 
befannt war. Unterdeſſen And Ainmehr alle Schwierigkeiten 
gehoben, und ich werde nächſte Iubilatemefje im Stande fein, 
einen Band bavon in beutfcher Sprache zu liefern. Sch babe 
bier eine Probe mit folgender Abhandlung machen wollen, nicht 
weil fe mir vorzüglich gefallen Hat, fondern weil fie noch vor 
Michaelis abgedrudt werden Tonnte, und außerdem zeigt, wie 
jene Männer and in einer Sache ſchon vor einigen Jahren ges 


201 


dacht haben, woron bie Engländer fih für bie Erfinder, und 
die Deutfchen für die Berbeſſerer ausgeben. 

Ehe ich fchliefe, muß ich mich noch über bie vielleicht zu 
freie Überſezung einiger Wörter erklären. Hauptſächlich habe 
ich die Worte Vtzocknu lomnar? immer dur‘ empfindfame 
Reife überſezt. Das Wort tzoc heißt eigentlih: fich mit 
Gewalt zum Bredhen zwingen oder mit Gewalt und 
aufeine unnatürlide Weiſe etwas von ſich geben. 
Wenn es aber mit dem Wurzelzeichen fleht, fu wird es allezeit 
im moralifhen Berftande genommen. So beißt zef ein küh— 
ler Wind, Vzef ein Schmeichlerz lull ein Chamäleon, 
Vlull 2ebensart; zomn ein Bär, V zomn ein Kriticus, 
viele andere zu gefchweigen. Ich kehre nun wieder zu meinem 
Wort Vtzocknu zurüd: knu heißt überhaupt Alles, was eine 
Wirkung der Seele ift, als Betradhtungen und bergleichen. 
Lomnar bedeuten Reifen, und die Bedeutung des kleinen Er: 
ponenten am Ende wird Holgendes erläutern können. Es ift 
befannt, baß ber balnibarbifhe Hof nicht eigentlich in Balni- 
barbi, fondern auf Zaputa (der fliegenden Infel) iſt. Die Sprache 
ber Infel ſtimmt mit der Sprache in Balnibarbi meiftentheifs 
überein, nur daß jene feiner iſt. Ich babe fie deßwegen auf 
bem Titel zum Unterfchiede die hoch balnibarbiſche genannt. 
Etlihe Wörter aber haben demungeadhtet am Hofe und auf ber 
Infel eine andere Bedeutung als in Balnibarbi. Daher pflegt 
man eine Pleine an das Ende des Worts zu fegen, wenn man 
zwar hochbalnibarbifch fehreibt, aber ein gemiffes Wort in der 


202 


nieberlänbifhen Bedeutung bes gemeinen Volks genommen haben 
will. Es ift zum Erflaunen, wie verfchieben zumeilen bie Be 
beutungen ber Wörter find. 8. 8. zorr heißt ein artiges 
$rauenzimmer, und zorr® eine Hure; molom ein Ge 
lebrter, molom® ein Schwätzer. 


203 


2. 
Beiträge zur Gefchichte des *** 


Gegen das Ende des erſten Jahrhunderts wurde mitten 
in dem Sitze des guten Geſchmacks und der Gelehrſamkeit (die 
Studenten der damaligen Zeit nannten e8 Tiber-Athen) ein 
Geſchöpf geboren, das ausjah wie andere Menfhen. So viel 
uns auch die Gefchichtfchreiber bier und da von feinen Gemüths⸗ 
gaben fagen, fo ift doch Alles, was fi aus ihren Nachrichten 
von bem Geſchlechte deffelben fchließen läßt, fehr unſicher und 
widerfprechend.. Man müßte benn daraus, daß ed in fpätern 
Jahren einen weiblichen Ramen annahm, fehließen wollen, daß 
es zum ſchoͤnen Geflecht gehört hätte, welches aber durch ans 
bere männliche Berrichtungen, bie e8 nach bem Zeugniß einiger 
Schriftſteller unternahm, wieder unwahrfcheinlid gemacht wird, 
wenn ich nur die beiden anführen will, daß es fechten Eonnte 
und flubirt hatte. Man wird mir alfo verzeihen, wenn id, um 
fo unparteiifh als möglich zu fein, immer mit Es von diefer 
Merfon rebe, einem Wort, das doch fonft keinen Nugen bat, 
als etwa einen befcheidenen Schriftfteller aus einer Verlegenheit 
zu ziehen, wie bie, in ber ich mich fo eben noch befunden habe. 

Bas in feinen jüngern Jahren ſchon von ihm in die Augen 
fid, war ein ungewöhnlich einnehmendes Wefen, eine Fähigkeit 


204 


und Begierde zu mandherlei Dingen, nebfl einem unwiderſteh⸗ 
lichen Triebe, alle diefe mannichfaltigen Begierden zu befriedigen. 
Auf Univerfitäten machte ed auch einen Verſuch dazu; es ging 
in der That von einer Sache zur andetn, und gab. allezeit bei 
ber letzten ſich die heimliche Verſicherung, bei dem zweiten Be⸗ 
ſuch mehr zu thun. So kam es in der Arithmetik bis in die 
Brühe, und in der Geometrie bis zu der Diſection des Win⸗ 
kels; es ſprach fehr fertig über daB summum bonum, über Raumı 
und Beit, beurtheilte bie Werke der Kunſt, wußtte yon Titus 
Feldzügen zu ſprechen, und machte Verſe. Es las fehr..vief, 
doch ohne viel zu lernen ober zu wiſſen, fo wie manche Leute 
viel effen,. und dennoch, oder vielleicht eben deßwegen auszeh⸗ 
ren. Sp wie aber überhaupt. das, was nicht figert bleibe, durch 
irgend einen andern Weg wieder: fortgeht, fo hatte. es eine. Babe, 
fehr viel über vielerlei mit Beifall zu fprechen weiche Auslee⸗ 
rung zum Etſtannen der. Umftehenden zuwrilen mehrere Stun⸗ 
ben nad) ‚einander anhielt. Nun ift befannt, daß, was: ein 
fehr gefunder Verſtand ſeinem Befiger vielleicht wit ber-Beit: ver⸗ 
ſchafft, Vertheidiger, Bewunderer, Nachahmer, eine ſehr ge 
ſunde Figur dem ihrigen gewiß und in kurzer Weit  verfihafft. 
Dieß geſchah auch bier: die Nachahmumg und Bewunderung 
verbreitete ſich erſt über Die! ſchönen Körper, und. ſtieg dann 
immer weiter bis auf die ſchönen Geiſter. Dieſe brachten bie 
Wiſſenſchaft, den Kopf. in Geſellſchaft mit Anftand und fo aus⸗ 
zuleeren, daß es amsflcht, als bliebe er noch voll, ſo weit in ein 
Syſtem, als ſie ſich dazu bringen laͤßt. Hier findet ſich bie 


205 


erfie Spur der Tafchenmwörterbücher, und bie Art zu fludiren, 
die für die Erlernung ber Wahrheit eben das ift, was die bes 
rühmte Kurbelmethode bed Doctors zu Lagoba für die Erfindung 
berfelben wäre, ich meine unfere fo berühmte Inſularmethode. 
Man fchrieb und las, fintt Bücher, Recenſionen, und fpradh 
nur, anflatt zu wifien und zu denken, unb Gedächtniß fing 
an, bie Haushaltung für Vernunft und Gefhmad zu führen. 
Unfer Gefhöpf hatte das Vergnügen, in feinen beften Jahren 
Perſonen vom Lehrftand unter feine Nachahmer zu zählen, obs 
gleich dieſe es nicht für ihr Original hielten. Ich kann bier 
nicht verfchweigen, daß es bamals hier und da einige Leute gab, 
die ihm den Namen die Halbköpfigen beilegten, und zwar, 
wie man glaubt, aus einem ähnlichen Grunde, weßwegen bie 
Portugiefen dem fcharfiinnigen Ton Diego be Mendoza den 
Namen des Siebenköpfigen gaben, nidt ſowohl wegen 
einer befondern Stärke oder Form des Kopfes, als vielmehr 
bedjenigen unfichtbaren Wejens, das fi), der gemeinen Meinung 
nad, in bemfelben aufhält. 

As fh bei unferm Subject diejenige Neigung zu regen 
anfing, bie fih in unfern beiten Jahren am heftigften regt, 
und von welcher fo viel Unheil in der Welt berrührt, ich meine 
die Reigung Bücher zu fihreiben, fo fand es ſich in der größ- 
ten Berlegenheit. Es hatte Wis, das heißt, Fühigkeit, etwas 
gut zu fagen, wenn ed etwas zu jagen gehabt hätte; allein 
biefe Fähigkeit fand etwa ein paar hundert Ideen, bie nad 
allen möglichen Gombinationen und mit dem Bande ber flüchtigs 


206 

ften Ähnlichkeit zufammengenüpft, body noch immer feinen großen 
Gedanken, und noch weniger ein Buch machen fonnten. Diefes 
mußte ich nothwendig erinnern, ehe ich fagen Eonnte, daß es um 
diefe Zeit anfing — — Liederhen zu fohreiben. Und nun 
ſchrieb ganz Xiber« Athen Liederhen aus Nahahmung, und größ- 
tentheil8 auch aus gleicher Befchaffenheit ihrer Seelenkräfte und 
Seelenſchwächen. Wer ein Mädchen hatte , ſchrieb auch gewiß 

Der muntern Kleinen holde Briefchen 

Bol Liebe und — — Diminutivchen. 

So wie dieſer Geſchmack allgemeiner wurde, fing die Ver⸗ 
nunft an im Gehalt zu fallen, daß die wahre endlich ſo ſelten 
wurde, daß ſelbſt die Yameos bie ihrige mit Profit hätten abs 
fegen können. &8 ging Wörtern, womit man fonft ganz 
leichte Dinge bezeichnete, wie heutzutage den Wörtern Algebra, 
Nachtgedanken oder Griechiſch, es lief den Leuten dabei 
wie kaltes Waffer den Rüden hinunter. Ja, Einige geflanden, 
baß es ihnen, wenn fie ihre Vernunft gebrauchen follten, wäre, 
als wenn fie mit ber linten Hand arbeiten, ober etwas Geſchrie⸗ 
benes im Spiegel leſen wollten. Und doch wurde viel gefchrie- 
ben und biöputirt, weil man aber einander nicht verftand, To 
entftand ein folches Schreiben omnium contra omnes, daß nie 
mand fiher war. Was ward aber aus unferm Befhöpf? Es 
Iebte fehr Tang, ging endlih im Alter in ein Klofter, lehrte 
ariftotelifche Philofophie, und ftopfte fih mit Philofophie, anftatt 
ſich damit zu nähren, und verlor endlich unter dem "Namen 
Barbarei in einem fehr hohen Alter Ehre und Leben. 





207 


3. 
Parakletor 


oder 
Troſtgründe für die Unglücklichen, die feine 
| Driginalgenies find. 


Deutfchland bat fo lange nad Originalköpfen gefeufzt, und 
jest, da fie allein am Mufenalmanad) zu Dugenben fiten, klagt 
man überall über die Originalköpfe. Keine Meffe ginge mehr 
wie unter Franz I, der Eine hinkte, der Andere affectirte ein 
fteifes Knie, der Dritte fchlüge ein Rad, der Vierte Purzelbäume, 
ber Fünfte ginge auf Stelzen, der Sechfte machte ben Hafentanz, 
ber Siebente hüpfte auf einem Bein, der Achte rollte, der Neunte 
ritte fein fpanifches Rohr, der Zehnte ginge auf den Knien, der 
Eilfte kröche, und der Zwölfte rutfchte. Ich hätte es den Origi- 
naltöpfen vorher fagen wollen, und ich rathe es allen denen, 
die e8 werben wollen, fo zu bleiben, wie fie find; denn ich habe 
immer gemerft, daß man fo mit unferm einfältigen Yublitum 
am weitefien kommt. Ich wollte einmal fehen, wer mir etwas 
fagen will, wenn id bin, was ih bin? Aber wenn ibr ori« 
ginell fchreibt, 3. B. in fonfopifchen Sentenzen, fludht und 
fhimpft wie Shaßefpeare, leiret wie Sterne, fengt und brennt 
mie Swift, oder pofaunet wie Pindar — meint ihr, daß ihr 


208 


damit Dan? verdienen würdet *_ Sch will nicht fagen, was bie 
Leute thun würden, wenn ihr wirklich jchreibt, wie Shafefpeare, 
Sterne, Swift und Pindar — denn da fände fi wohl noch 
bier und da ein ehrlicher Mann, ber ein Einjehen hätte — aber 
mit Fluchen, Schimpfen, Leiern, Sengen, Brennen und Poſau⸗ 
nen richtet ihr nichts aus. 

Ich weiß nicht 2 ob ich lebhafter empfinde, als andere Men 
fhen, oder ob ich weniger Unrecht leiden kann, ober ob ich 
meiner furzen Statur wegen, ba das Blut noch ganz heiß ift, 
wenn es vom Kerzen nah dem Kopfe fommt, gejchwinber 
Schlüſſe ziehe, aber mich bünft, es ift um alle beutfche Auto: 
renfreiheit fchlechterbings und unmwieberbringlich gefchehen, wenn 
wir noch zwei Meſſen bem .zügellojen, wiberfinnigen Gefchrei des 
beutfchen Yublitumd Gehör ‚geben. Bor der Schlacht bei Rob 
bad) fehlte es den Faullenzern an Romanen; wir lefen die eng⸗ 
liſchen Romane, fo daß wir alle Straßen in London wiſſen, 
und den Galgen zu Tyburn ſo gut, als ben unfrigen kennen, 
wir äugeln im Park, und treiben, Gott. weiß was, in Co: 
ventgarden, unb. fo geben wir ihnen einen Roman. Nun bat 
das Kind einen Roman, „Wir wollen deutſche Driginalcha- 
xaktere hinein, « fchreien fie. Originalcharaktere? Gebt hin 
— ic hätte bald etwas gefagt — geht bin, fagt das erſt den 
Zeuten, bie bie Kinder geugen, unb denen, bie fie beherr- 
fen, wenn fie groß find, und nicht uns. „Run gut, fo 
gebt uns Gedichte. Wir geben einen Boll breite und ſechs⸗ 
zoͤllige, wie fie fie haben wollen, zu Zentnen. Die Bud: 


209 


Raben wollen ihnen nicht gefallen; gut, wir nehmen lateinifche, 
unb einige Spottuögel nehmen fogar blaue und rothe Farbe, 
Was that das Yublitum, war es zufrieden? O in Ewigkeit 
niht! Es wurde nur gröber unb ausfchweifender in feinen 
Zorberungen, und dachte mit einer einzigen unferer Republif 
auf einmal bie Bank zu fprengen. Es verlangte nämlih — 
Driginalgenies und Originalwerke. Aber das war 
gerade ber Punkt, auf dem wir es erwarteten, und es ift ein 
betrübter Beweis, wie unerfahren der beutfche Lefer in ber Kennt» 
niß feines eigenen Landes ift; immer die Augen jenfeit bes Rheins 
ober jenfeit bed Canals gerichtet, fieht er nicht, warauf er tritt. 
Ich habe von jeher geglaubt, daß unter allen Nationen in Deutfch» 
land bie Originalgenies marfchfertig lägen, weil fie aber nicht 
verlangt wurden, fo lebten und fchrieben fie fo fort, wie wir 
gemeinen Schriftfteller, von ber Linken zur Rechten, und gingen 
von Empfindung und Gedanken zum Ausdbrud immer in ber 
fürzgeften Linie. Aber kaum war bie Lofung gegeben: wer 
original [reiben kann, ber werfe feine bisherige 
Feder weg, als die Federn flogen, wie Blätter im SHerbfte. 
Es war eine Luft anzufehen, breißig Yoride ritten auf ihren 
Stedenpferdben in Spiralen um ein Biel herum, das fie ben 
Tag zuvor in einem Schritt erreicht hätten; und ber, ber fonft 
beim Anblick bes Meeres oder bes geflirnten Himmels nichts den⸗ 
ten konnte, ſchrieb Andachten über eine Schnupftabacksdoſe. 
Shakefpeare fanden zu Dutzenden auf, mo nit allemal in 
einem Trauerſpiel, doch in einer Recenfion; da wurden Ideen 
II. 14 


210 


in Sreundfchaft gebradht, bie dh außer Beblam nie gefehen 
batten; Raum und Zeit in einen Kirfchkern geklappt und in 
die Ewigkeit verſchoſſen; es hieß: eins, zwei, drei, ba geſchahen 
tiefe Blicke in das menſchliche Herz, man: fagte feine Heimlich⸗ 
keiten, unb fo ward Menſchenkenntniß. Selbſt draußen in 
Böotien fand ein Shafefpeare auf, der wie Nebutadnezar, Gras 
ftatt Frankfurter Milhbrot aß, und durch Prunkſchnitzer fogar 
bie Sprache originell machte. Niederfuchfen ſummte feine Oben, 
fang mit offenen Najenlöchern und voller Gurgel Patriotismus 
und Eprace und ein Baterlanb‘; das die Sänger zum Teufel 
wünfht. Da erklangen Lieder und Romanzen, die e8 mehr 
Mühe Poftete zu verftehen, als zu machen. Kurz, die Originale 
waren da; und das Publikum — was fagte dad? Anfangs 
befchämt über die unerwartete Menge flugte es, dann aber er: 
klärte es feierlich: das wären feine Originale, das wären Dich⸗ 
ter aus Dichtern, und nicht Dichter aus Natur, durch fie würde 
das Capital nicht vermehrt, fonbern nur bie Sorten vermwechfelt, 
bald Silber in Kupfer, bald Gold in Silber umgefekt, u. f. w. 
Da haben wird, meine Freunde! Mid dünkt, unjere Sache 
ift jept zu klar, ale baß es nöthig wäre, lange zu überlegen, 
was zu thun fei. Geſetzt auch, wir gehorcdhten ibm, unfere 
DOriginalfhrififteller ließen diefe: Originalküpfe fahren, und ver: 
fuchtens mit Nr. 2., fo würben-wir biefelbe Antwort erhalten ; 
und gejeht, fie träfen’s, fo wären unterdeffen die Herren müde 
und wollten wieber etwas Neues. Kurz, heut gebroden ift bef- 
fer, als morgen. Es ift Mar, fie wollen uns nur berumziehen, 


211 


wie bie Boſtonianer das Parlament, bis bei jchwächern Nudh 
kommen bie jegt noch biegfame Gewohnheit zu einem Gefeg 
verbärtet, das uns Schriftſteller zu Hofnarren des deutſchen 
Yublitums madt. Alſo jegt nicht weiter. Ich fage, ihr habt 
Driginalköpfe verlangt, da find fie zu Taufenden; es wimmelt. 
Ihr erkennt fle nicht, und ich fpreche mit freier tim, id er: 
kenne fie dafür, mein Wort ift: „erft mich, dann fie,“ und 
num trete auf ben Eand, wer will. — — 


Ihr wollt haben, wir follen fchreiben, wie bie Griechen, 
und ihr mit eurer Bezahlung wollt immer alte Deutfche bleiben. 
Macht ihr den Anfang, und fest uns Ehrenfäulen, fo wollen 
wir mit unfern Iliaden fchon zu feiner Zeit berausrüden. Aber 
immer fordern, immer auf Rechnung, und immer die Bezab- 
fung aufgefhoben, das ſchmeckt freili vortrefflich. Hätte ich 
aber etwas zu fagen, fo wüßte ich wohl, was ich thäte: bei 
jeder Meffe müßte gegen einen Bullen Bücher, den wir der Welt 
liefern, bie Welt angehalten werben, uns eine Ehrenſäule ab- 
zuliefern, und hätte man beren eine Quantität beifammen, fo 
würden fie auf dem Landtage ausgefpielt, und dann vom Stein: 
bauer gehörig belettert, beziffert und gefegt. Dieß wäre das 
befte, wo nicht daß einzige Mittel, fo wie wir und ihr jest ein: 
ander gegenüberfiehen, uns wicder zu vereinigen und dem Streit 
ein Ende zu machen. Ihr folltet nur einmal bie englifchen Ge: 
Ichrten ſehen, wie die es machen und ſichs maden lafien! Ba 
fiten fie am Tiſch fo fett und fo rund, effen und trinken fi 


212 


einen Weſtenknopf na bem anbern ans dem Knopfloch, und 
wenn fie das lange genug getrieben haben, fo fireden fie ſich in 
Räefiminfterabtei auf ein marmornes Poſtament, mitten unter 
die Kbnige bin, und laſſen das Yublitum, über das fie fih 
noch dazu im Leben meiftens luſtig gemacht haben, für die Un 
Poflen forgen. Und das ift recht; denn wer feib ihr? fagt! wer 
flempelt denn die meiſten Entreebillets zum Ewigkeit, wir ober 
ihr? Am Ende, daß ichs gerabe herausfage, wenn ihr nicht 
wollt, fo brauchen wir auch nicht, und fahren fort wie bisher, 
und geben ohne euer Buthun in bie Ewigkeit. Das müßte nicht 
rechtlich gugeben, wenn ein Buch, das gut gefchrieben ift, ein 
paar Dutzend neuer und nüslicher Wahrheiten enthält, in mef- 
fingene Eden und Krampen gebunden, und alle Monat einmal 
gelüftet wird, nicht fo weit reichen follte, als eure Klingelbagen 
oder eure Blankenburger. — — 


Ich kann in der Welt nicht begreifen, was wir bavon 
baben, den Witen fo bei jeder Gelegenheit ben Bart zu ftreicheln. 
Danken können fie ed uns nicht, und aus ben breiten und nie: 
drigen Stirnen und den trogigen Gefichtern zu ſchließen, wor: 
über ich jeder deutſche Pitſchierſtecher aufhält, würden fie es 
nit einmal, wenn fic es koͤnnten. Es if fürwahr eine mächtige 
Ehre für uns, daß 08 vor zwei tauſend Jahren Leute gegeben 
at, Me geſcheuter waren, ald wir. Meint ihr vielleicht, wu 
Ihren nach ın den Zeiten, wo ie größte Weisheit in tem Be 
wahren dedand, daß man michts wife? Muf das Gapual 


213 


borgt man euch keinen Magiftertitel, fo wenig als auf den 
Reichthum, der in ber Armuth beftebt, einen Srofchen. Nein, 
Freunde, bie Beiten find vorbei. Solche Süpe find heuzutage 
nichts weiter als fchöne Nefter von ausgeflogenen Wahrheiten ; 
in den philoſophiſchen Kunſtkammern gehen fie mit, in bie Haus⸗ 
haltung taugen fie nicht einen Schuß Pulver. ine berrliche 
Ehre, heutzutage überzeugt zu fein, daß man nichts wiffe! 
Wollte Bott, es wäre bierin noch fo wie fonft! dann wären 
eure Klagen über die jegigen Zeiten unnüß; denn ihr werdet 
nicht Icugnen, daß wir Leute genug haben, bie nichts wiffen, 
und die einfältige Überzeugung davon ließe fi) ihmen bald bei« 
bringen. — — 


Nachdem die Theorie von der Nothwendigkeit eines Man: 
geld an Symmetrie, um original zu fein, ift gegeben worten, 
fo ann gefagt werden: Ich bielte daher für ratbfam, daß man 
ben neugebornen Kindern einen fanften Schlag mit geballter 
Fauſt auf den Kopf gäbe, ber, ohne ihnen zu fchaben, die Sym⸗ 
metrie de8 Gehirns etwas verrüdte. Ich riethe ihn ja nicht ges 
rade auf bie Stirn, ober oben oder hinten hinzugeben, auch 
nicht auf die Seite, weil biefes bie Symmetrie Feineswegs affici- 
ren würde. Denn in ben drei erften Fällen werden beide Sei» 
ten gleich ſtark unmittelbar getroffen, und in dem lekten würde 
bie Reaction ber gegenüberftehenben Seite flatt eines Schlages 
fein. Ich riethe alfo unmaßgeblih den Schlag gerade über 
einem ber beiden äußern Augenwintel anzubringen; denn da 


214 


alsdaun Iheile von einer ganz andern Structur umd Lage in 
Heaction gebracht werben, fo Bann e8 nicht anders fein, ald daß 
dadurch die ſchönſte Afyımmetrie des Gehirns erhalten wire. Sch 
babe deßwegen oft mit Verdruß bemerft, daß die Schläge auf 
ben Kopf, oder die fo genannten Chrfeigen in unfen Edulen 
ablommen, und nur in ber großen Gefellihaft, wo fie ganz 
umſonſt angebradt werben, weil bie Köpfe alsdann gewöhnlich 
fon in das Holz gegangen find, Mode find. Man hat Erem: 
pel, daß Leute, die auf den Kopf gefallen, ober mit einem 
Prügel darauf gefchlagen find, zuweilen angefangen haben zu 
weiffagen, und ander von ben Dingen in ber Welt zu denken, 
als andre Menfchen. Diefes hieß nun freilich, des Guten zu 
viel thun, und ich erkläre noch Alles hierin aus einer fommetri- 
fen Berrüttung des Gehirns; allein Fein Menfh kann Icug: 
nen, baß der beneidenswürdigfte Kopf in biefer Welt derjenige 
wäre, ben man vergöttern würde, wenn er bie eine Seite ‚nicht 
hätte, und ben man in Beblam einfperren müßte, wenn bie 
andere nicht wäre; das find bie großen Seelen, bie Affe und 
Angel zugleich find, und die freilich zumeilen die Täppifchen 
Ideen des erfiern mir dem tranfcendentalen Periodenklang bes 
Intern, oder bie fonnenhellen Ideen bed Iegtern mit ben uns 
verftändlichen Beichen bes erfiern ausbrüden. — Weiter: warum 
fdlagen fih die Menſchen an ben Kopf, wenn fie etwas nicht 
wiffen, was fie hätten wiſſen ſollen? ein Gebraud, der ten 
Menſchen natürlich if. — — 


. a nn 


213 


4. 
Über den Deutfchen NRoman. 


-, Mnfere Lebensart it nun fo fimpel geworben, und alle ans 
fere Gebräuche fo wenig myſtiſch; unfere Städte find meiftens 
fo klein, das Banb fo offen, Alles ift fich fo einfältig tren, daß 
ein Mann, ber einen beutihen Roman ſchreiben will, faft nicht 
weiß, wie er Leute zufammenbringen, oder Knoten ſchürzen foll. 
Denn da bie Eltern jet in Deutfchland burchaus ihre Kinder 
felbft .jüugen, fo fallen bie Kindervertaufhungen weg, und ein 
Sanell von Erfindung ift verfiopft, der nicht mit Geld zu bezah⸗ 
Im war. Mollte ih ein Mädchen in Mannskleidern herumge⸗ 
ben laſſen, das käme gleich heraus, und bie Bebienten verrie⸗ 
tben es, noch ehe fie aus dem Haufe wäre; außerdem werden 
uufere Srauenzimmer fo weibijch erzogen, baß fie gar nicht das 
Herz haben, fo etwas zu thun. Nein, fein bei der Mama zu 
figen, gu kochen und zu nüben, und felbfi eine Koch« und Näh⸗ 
mama zu werden, das ift ihre Sache. Es iſt freilich bequem 
für fie, aber eine Schande fürs Vaterland, und ein unüber⸗ 
winbdliches Hinderniß für den Romanenfchreiber. 

In England glaubt man, baß, wenn zwei Perſonen von 
einertei ‚Gefihlecht in .demfelben Zimmer fchlafen, ein Kerker⸗ 


216 


fieber unvermeidlich fei; deßwegen find bie Perfonen in einem 
Haufe des Nachts am meiften getrennt, und ein Schriftteller 
darf nur forgen, wie er die Hausthüre offen Eriegt, fo kann er 
in das Haus laffen, wen er will, und barf nicht forgen, daß 
jemand eber- aufwacht, als er. es haben wid. 

Ferner da in England die Schornfleine nicht bloß Rauch: 
canäle, fondern hauptſächlich die Luftröhren der Schlaffammern 
find, fo geben fie zugleich einen vortrefflichen Weg ab, Ummit: 
telbar und ganz ungehört im jede beliebige Stube des Hauſes 
ju kommen, und der ift fo bequem, baß ich mir babe fagen 
laſſen, daß, wer einmal einen Schornſtein auf» und abgeftiegen 
fei, ihn felbft einer Xreppe vorzöͤge. Im Deutfchland käme ein 
Liebhaber Ihön an, wenn er einen Schornftein hinabklettern 
wollte. Ja, wenn er Luft hätte, auf einen Feuerheerd, oder in 
einen Waſchkeſſel mit Lauge, oder in die Antihambre von zwei 
bis drei Ofen zu fallen, die man wohl gar von innen nicht ein⸗ 
mal aufmachen kann. Unb gefegt, man wollte die Liebhaber 
fo in die Küche fpringen lafien, fo ift die Krage, wie bringt 
man ihn aufs Dach? . Die Kater in Deutfchland können diefen 
Weg wohl zu ihren Geliebten nehmen, aber die Menfchen nicht. 
Hingegen in England formiren die Dächer eine Art von Straße, 
die zuweilen beffer ift, als die auf der Erbe; und wenn man 
auf einem ift, fo Eoftet es nicht mehr Mühe auf das andere zu 
kommen, als über eine Dorfgoffe im Winter zu fpringen. Man 
will zwar fagen, man babe biefe Einrichtung wegen Feuersge⸗ 
fahr getroffen; ba aber dieſe fi kaum alle 150 Jahre in einem 


217 


Haufe ereignet, fo flelle ich mir vor, daß man e8 vielmehr zum 
Xroft bebrängter Berliebten und Spigbuben für nüsglich befun- 
ben Bat, die fehr oft biefen Weg nehmen, wenn fle gleich noch 
andere wählen tünnten, und gewiß allemal, wenn die Retirade 
in ber Gil geſchehen muß, gerade fo wie etiwa die Heren und 
der Teufel in Deutfchlanb zu thun pflegen. 

Endlich ein rechtes Hinderniß von Intriguen ift der fonft 
feine und fobenswürbige Einfall der Poftdirectoren in Deutſch⸗ 
land, durch ben eine unzählige Wenge von Tugenden bes Jahre 
erhaliten werben, baß fe flatt ber englifchen Poſtkutſchen und 
Mafchinen, in denen ſich eine ſchwangere Prinzeffin weder fürch⸗ 
ten noch fchämen bürfte zu reifen, bie fo beliebten offenen Rum: 
pelwagen eingeführt haben. Denn was bie bequemen Kutfchen 
in England und bie dortigen vortrefflihen Wege für Schaden 
thun, ift mit Worten nicht auszubrüden. 

Fürs erfle, wenn ein Mädchen mit ihrem Liebhaber aus 
London bed Abends durchgeht, fo kann fie in Frankreich fein, 
ehe ber Bater aufwacht, oder in Schottland, ehe er mit feinen 
Berwanbten zum Schluß kommt; daher ein Schriftfteller weder 
Seen, noch Zauberer, noch Talismane nöthig hat, um bie Ber: 
liebten in Sicherheit zu bringen; denn wenn er fie nur bis nach 
Gharingeroß oder Hydepark⸗Corner bringen kann, fo find fie fo 
fiher, ale wenn fie in des Weber Meleks Kaften waren”). 


) Bom Weber Melek und feinem Kaften fiehe die perfifchen 
Märchen, dritter Tag. 


218 


Hingegen in Deutſchland, wenn auch der Bater den Berluft 
feiner Toter erft ben britten Tag gewahr würde, wenn cr nur 
weiß, daß fie mit ber Poft gegangen ift, fo kann er fie zu 
Pferde immer noch auf ber dritten Station wieder kriegen. 

Ein anderer übler Umftand find bie leider nur allzuguten 
GSefellfhaften in den bequemen Poſtkutſchen in England, bie 
immer voll fchöner, wohlgekleibeter Frauenzimmer fleden, und 
wo, welches das Parlament nicht feiden follte,; bie Paffagiere 
fo figen, baß fie einander anfehen müſſen; wodurd nicht allein 
eine höchſt gefährliche Verwirrung ber Augen, fondern zuweilen 
eine. höchſt ſchändliche zum Lächeln von beiden Seiten reizende 
Berwirrung der Beine, und daraus enblid eine oft nicht mehr 
aufsulöfende Verwirrung ber Eeelen. und Gedanken entſtanden 
iſt; fo daß mancher ehrliche junge Menfch, ber von London nad) 
Orford reifen wollte, flatt. beffen zum Teufel .gereift iſt. So 
etwas ift nun, bem Himmel fti Dank, auf..unfern Poſtwagen 
nicht möglich. Denn erfilich können artige Brauenzimmer ſich 
unmöglich auf einen folchen Wagen fegen, wenn fie ſich nicht 
in ber Jugend etwas im Zaunbeklettern, Elſterneſterſtechen, Aüp⸗ 
felabneymen und Rüſſeprügein umgeſehen haben; denn ber 
Schwung: über die Seitenleiter erfordert eine befondete Gewandt⸗ 
beit, ımb wenige Frauenzimmer können ihn thun, ohne den 
untenftehenden Wagenmeifter und die Stullfnechte zum Lachen 
zu bringen. Für das zweite, fo fit man, wenn man endlich 
fist, fo, das man fi nicht in das Geſicht ſieht, und in diefer 
Stellung fünnen, was man auch fonft dagegen fagen mag, we⸗ 


219 


nigftend Intrigen nicht gut. angefangen werden. Die Erzäh—⸗ 
ung verliert ihre gange Würze, und man kann höchſtens nur 
verſtehen, was men. fagt,. aber nicht was man fagen will. 
Endlich hat ˖ man auf den beutfhen Poſtwagen ganz andere 
Sachen zu thun, als zu plaudern; man muß fidh feit halten, 
wenn bie: Zöcher Pouımen, ober in ben ſchlimmen Fällen fi ge 
börig zum Sprung fpannen; muß auf die Afte acht geben, und 
ſich zus gehorigen Zeit Duden, damit ber Hut oder Kopf figen 
bleibt;  bie- Windfeite wierken, und immer bie Kleidung an ber 
Seite verfiärken, von wo ber Angriff gefchiehtz und regnet es 
gar, Fo hat befanntlid ber Menfch die Kigenfchaft mit andern 
Ihieren gemein, bie nicht in oder auf dem Waſſer leben, daß 
er file wird, wenn. er naß wird; da ftodt alfo bie Unter 
rebung ganz. Kommt man entlih in ein Wirthshaus, fo 
gebt -bie Zeit mit andern Dingen bin: der eine trodnet fid, 
ber andere ſchüttelt fih, der eine kaut feine Bruſtkuchen, und 
ber: andere bäht fi den Barden und was dergleichen Kindereien 
mebr find. 

Hierbei kommt noch ein Umftand in Betradytung, ber 
auch alle freundfchaftlihe Miſchung der Gefellfehaft unmöglich 
macht. Nämlich weil die Poftwagenreifen mit fo vielen Trüb⸗ 
falen verbunden find, fo bat man bafür geforgt, baß die 
Wirthshäuſer noch um fo viel fchlechter find, als nöthig ift, 
um. ben Poflmagen wieder angenehm zu madhen. Ja man 
kann fih nicht vorftellen, was das für eine Wirkung thut, 
Ich babe Leute, die zerſtoßen und zerfchlagen. waren und 


220 


nad Rube feufzten, als fie das Wirthshaus fahen, wo fie fich 
erquiden follten, fi mit einem Heldenmuth entfchließen fehen 
weiter zu reifen, ber wirklich etwas Ähnliches mit jenem 
Muth bed Regulus hatte, der ihn nad Garthago zurüdzuge- 
ben trieb, ob er glei wußte, daß man ihn bort in eine Art 
von deutfchem Poſtwagen fehen, und fo ben Berg herunter rol⸗ 
len laffen würde. 

Alfo fallen die Poftkutfchen » Intriguen mit den Poftkutfchen 
felhft, den rechten Treibhäufern für Epifoben und Entdelungen, 
fhlechterbings weg. Aber im Hannöverifhen, wird man fagen, 
it ja nun eine Poſtkutſche. Gut, ich weiß ed, und zwar eine, 
bie immer fo gut ift, als eine englifhe. Alſo foll man alle 
Romane auf dem Wege zwifhen Haarburg und Münden an: 
fangen laffen, den man jebt fo geſchwind zurüdlegt, daß man 
kaum 3eit bat recht befannt zu werden? Alles was ja bie 
Fremden thun, ift, daß fie in das Lob bed Königs ausbrecdhen, 
ber dieſes fo georbniet bat, oder fchlafen. Denn fie find gemei- 
niglich, ehe fie in dieſe Kutfche kommen, fo abgemattet, daß fie 
nun glauben, fie wären zu Haufe ober lägen im Bette. Das 
find aber in der That bie rechten Gegenftände für einen Roman, 
fünf fchlafende Kaufleute fchnarchend einzuführen, vber ein Ka⸗ 
pitel mit dem Lobe des Königs anzufüllen. Das Erftere ift ſchlech⸗ 
terbings gar Fein Gegenſtand für ein Buch, und das Lehtere 
für feinen Roman. Aber ich bin durch diefen unnügen Einwurf 
nur von meiner Sache abgefommen. Ja wenn nicht noch zu⸗ 
weilen ein Klofter wäre, wo man ein verlichte® Paar untere 


221 


bringen Pönnte, fo wüßte ich mir keinen eigentlich beutfchen 
Roman bis auf die dritte Seite zu fpielen; und wenn es ein: 
mal eine Klöfter mehr gibt, fo it das Stündchen der beutfchen 
Romane gefommen. — — 


” 222 


5. 
Die Bittfchrift der Wahnfinnigen. 


Die Bittfchrift der Wahnfiunigen zu Celle Eönnte eine gute 
Satyre abgeben. Sie fünnten um eine Bibliothef anfuchen, und 
vorher über den Werth der Bücher mit einander bisputiren. Das 
Letztere könnte eine vortreffliche Perfiflage auf die NRecenfenten in 
Deutfchland werden. Es müßte vorgeftellt werben, wie mancher den 
Nachttopf nach ven Büchern göſſe. 3.8. Einer, der ganz nadend 
da faß, und von feinem geiftlihen Ornat nichts am Leibe hatte, 
als einen alten Kragen, ben er bei jeder Gelegenheit herum: 
zaufte, und fih und Andere öfters damit firanguliren wollte, 
griff bei dem Wort Timorus”) nah feinem Nachttopf, um 
ihn über das Buch audzuleeren; er war aber zum Glüd ganz 
leer, welches bei Einigen ein berzliches Lachen erregte. 

Nun wird weiter gelefen: M... vom Steinfheiden:e. 
Den! den! o den! fihrie ein alter melandolifher Mann mit 
einem langen Bart. M... bat mich in meiner legten Schwan« 
gerfchaft touchirt. — 


) Dieß ift eine kleine ſatyriſche Schrift des Werfafferd, die 
im Jahr 1773 unter dem erdidhteten Namen von Conrad 
Photorin erfhienen ift. 


223 


Die Einleitung zu ber Gefchichte könnte ebenfalls fehr tref- 
fend eingerichtet werden. Daß die Regierung eine ſolche Bitt: 
fchtift angenommen, kann ich ihr im geringften nicht verbenten. 
Eine Bittfchrift muß gewöhnlich durch vier Linien brechen, ehe 
fie den von dem Bittenden gewünſchten Endzweck erreicht: fie 
muß angenommen, gelefen, in Betrachtung gezogen 
und befolgt werden. Diefe werben ben Regeln einer gefunden 
Befefligungsfunft gemäß immer fefter, je .näber fie dem End» 
zwed liegen. In diefer Kunſt haben die Deutfchen und Fran⸗ 
zojen ed unglaublidy weit gebracht. Es hat vornehme Herren 
gegeben, bei benen fchon bie britte faft unübermwindlich war. 
Alfo mit dem -einfältigen Annehmen vergibt man fich gar nichts; 
in einem Schloß gibt «8 viele Winkel, aus denen ein Stüdchen 
Papier fo wenig wieder ganz herauskommt, als aus ber Schmie: 
deeſſe. — — 


— — Einer ſchreibt Fidibus und Tapeten, oder nannte 
vielmehr ſein Buch zuerſt ſo; denn im Vorbeigehen muß ich 
dem guten Mann ſagen, daß er nicht der Erſte iſt, der Fidibus 
geſchrieben hat. Viele vortreffliche Männer aus allen vier Fa⸗ 
eultäten nicht zu gedenken, fo kann ich von meiner Wenigfeit 
verfihern,, daß ih Fidibus, Pfefferduten, Papier zu Unterlagen 
und anderm Gebrauch in ber baushaltung geſchrieben habe, ehe 
man an ihn dachte. 

Der Himmel gebe euch Kopf, rufen fie hinten drein. Und 
ich wünſche, er hätte euch zwei gegeben, fo fäßet ihr jet viel- 


224 


leicht in Spiritus bis über eure vier Ohren, anftatt baß ihr 
jebt mit einem Paar, aus dem man,viere fchneiben könnte, her⸗ 
umfchleicht, und ben Leuten griechifche Ideen in ihre beutfchen 
Köpfe feht. 

Ja, der Lefegeift ift dem Deutfchen fo angeboren, daß er 
ihn nicht einmal verläßt, wenn die Bernunft fort ift. Hiervon 
kann ich meinen Lefern ein Beifpiel mittheilen, bas vielleicht in 
der Geſchichte des menſchlichen Gefchlechts feines Gleichen noch 
nicht gehabt hat. In einem gewifjen deutfchen Narrenhauſe 
haben die Patienten bei ber Landesregierung um bie gnäbdigfte 
Berwilligung einer öffentlichen Bibliothet im Rarrenhaufe un: 
terthänigft angehalten. Bugleih haben fie ein Berzeichniß ein- 
geſchickt, was fie eigentlich für Bücher verlangten, und ich kann 
mit Vergnügen melden, baß eine Copie ſowohl von ber Bitt- 
fhrift, al8 von dem Bücherverzeichniß in meinen Händen ift. 
Die erfte ift ein wahrhaftes Meifterftüd, und ber Stil ift in 
manchen Perioden bem von einigen unferer frei herumgehenden 
Schhrififteller fo ähnlich, baß eines von beiden gewiß wahr ift: 
entweder man bat vernünftige Leute fchändlicher Weife ins Toll⸗ 
haus geſperrt; oder eine ganze Menge beraudgelaffen. Die Bitts 
ſchrift feße ich ber, allein ich habe meine Urſachen, warum ich 
das Bücherverzeichniß noch für dießmal zurüdhalte. Es leben 
nämlich noch eine Menge von ben Perfonen, und zum Theil in 
hohen Ämtern in der Kirche und im Staat, auf deren Schriften 
die Wahl gefallen ift, und diefe könnte es verbrießen, daß man 
ihre Bücher in einem Narrenhaufe aufftellte, gleichfam als Re: 


225 


präfentanten ihrer Autoren. Ja, id wunderte mich nicht wenig, 
als ih ein Büchelchen von mir darunter erblidte, um fo viel 
mehr, ba das Bud, ausdrücklich gegen bie Narren gerichtet ift. 
Allein ich erfuhr bald bie Urfahe. Ich hatte jenes Werkchen 
ironice adgefaßt, und bie armen Teufel glaubten, wie der Frank⸗ 
furter Recenfent, es wäre Ernſt. 


Bittfhrift ber Narren. 
MY Lords, 

Wir Enbesunterfehriebene haben mit Beiftand und auf An⸗ 
rathen der unter uns befindlichen Barden und Druiden unferer 
Abficht zu entfprechen geglaubt, wenn wir eine unfern Köpfen 
entfprechenbe oder entfagende Bibliothed hätten. Wir haben 
Originale und hohe Genies unter uns. Hier in ber Gwigfeit, 
bort in ber Ewigkeit, dort, bort, dort iſts noch wie ein meißer 
Punkt, immer Eleiner, immer grauer, immer fpiger — — bo, 
bo — nun ifts fort. O wenn wir Worte hätten! ein Buch ein 
Wort, ein Wort ein Buch, aber hoher Genius, und euer Deutfch, 
eure Grammatif! gudt, gudt, Golofjus babet fih in einem 
Fingerhut! Großer Fochender Gedankenſchwall hebt fi und hebt 
ſich und hebt fich in mir, erft wie das Raufchen bes Eichenwaldes 
in dem Ohr des furchtfamen Wanbererd um Mitternadt, dann 
kochts deutlicher, deutlicher, wie das flürmende Weltmeer in ber 
Gerne, und dann horch! faft wie ein niefendes Regiment. Nun 
iſts gut Shakefpeare, fo, fol nun ifts gut! Aber, hochzueh⸗ 
rende Herren, wir alle waren Kinder, und Ihr Fünnt es wieder 

II. 15 


226 


werden, wenn bart weich, und weich hart bei Eu) wird. Sam: 
melt Shr nicht und leſet Jhr nicht? Gut. Wir in dieſem 
Haufe find nicht immer Kinder. Iwanzigmal de Tags, weh ! 
weh! wie fchredlich! die hellen Augenblide find die fchlimmiten ; 
ihr bedauert und wegen der unrechten. Der Himmel ftraft bie 
Bernünftigen mit Narıheit, und die Narren mit den kurzen 
Viſiten einer treulos gewordenen Vernunft. Was! Was! Was! 

Gabs'n, wolt's n’t freffn. Siehſt's Genie? wie's 'n Wolk'n 
webt? Ob d's Genie ſiehſt? Wenn d's nit ſiehſt, hoſt d'n 
Noſen nit 's Genie z' riechen ). 


Deutſchland hat man unſtreitig eine ber erſten Entdeckun⸗ 
gen dieſes Jahrhunderts zu danken, bie, wie alle deutſchen Ent: 
dedungen, bei ber Nachwelt in feliger Erinnerung bleiben wird, 
fie mag nun zu lauter Kopf, oder zu lauter Herz werden. Näm— 


) Aus diefen im böotifhen Dialekt gefchriebenen Zeilen 
ſollte ich faft vermuthen, daß das Concept von einem gewiffen 
Mann gemacht worden fei, ber, wie mir gefagt worden, noch 
fürzli bei einem Eritifchen Gericht auf ber ungelehrten Bank 
geſeſſen, jett aber in dieſem Haufe auf der gelehrten fit. Ich 
gedenfe ihm künftig die Unfterblichkeit zu verſchaffen, ſobald ich 
mit meiner eigenen erft ins reine bin. Iſt es diefer Mann, fo 
muß ber Leſer merken, daß, weil er nie etwas Kfuges gefagt 
bat, er vermuthlich die vernünftig fcheinenden Zeilen, bie vor 
dem Böotifchen hergeben, in einem Anfall von Raferei, binge 
gen die böotifhen und andern bei einer Wiederfehr feiner Ver: 
nunft gefchrieben haben muß. 


227 


li wir haben zuerft gelehrt, wie man die Berrüdten und Ras 
ſenden gebrauchen könne, bie man bisher als das Kehricht ber 
Geſellſchaft weggeworfen hat. Sie werden bekanntermaßen ſchon 
an vielen Orten in Deutſchland gebraucht, den gemeinen Men⸗ 
ſchenverſtand in das mit Recht beliebte Halbgahre und Unbe⸗ 
greifliche zu überfegen. Denn dba man in Deutfchland endlich 
babin gekommen ift, daß man glaubt, ein’ Mann habe gar kei⸗ 
nen Kopf, wenn er nicht zuweilen darauf geht, das ift, feinen 
originellen, und doch mancher Mann, der Weib und Kinder zu 
ernähren bat, und unter ber ftrengen Difciplin bes planen Men⸗ 
fchenverftandes ftebt, fich nicht hinfegen und noch ein Originals 
kopf werben kann, fo kann ich nunmehr melden, daß fich einige 
unglüdfelige Bewohner dieſes Haufes erboten haben, biefe Mühe 
für fie zu übernehmen. Man beliebe nur fein Werkchen in ganz 
gemeiner Profe abzufaflen, 3. B. 2 mal 4 ift 8 und 3 davon 
abgezogen, bleiben 5; ober: es läßt fih zumeilen aus der Nafe, 
ben Lippen, der Stirn und ben Augen auf bie Seele des Man⸗ 
nes Schließen, in deſſen Befitz fie find, zumal wenn ber Mann 
in dem Volke lebt, wo man feine Bemerkungen über ihn früh 
angefangen bat zu fammeln; oder: es ift angenehm, wohl zu 
thun, ja ein Vergnügen, davon zu lefen, das zuweilen Freuden⸗ 
thränen bei guten Leuten erwedt. Alles biefes werben unfere 
Köpfe ins Unbegreifliche überfegen. Buteilen werden fie einer 
bekannten alten guten Bemerfung etwas von bem Menſchenver⸗ 
ſtand benehmen, der darin liegt, und die Lücke mit dem ihrigen 
ausfüllen, ſo daß man glauben ſollte, es wäre dreimal mehr 
15* 


228 


dahinter. Diefes ift eine vortrefflihe Erfindung, und wir haben 
die Ehre zu melden, daß einige angefehene Männer, die wir bie 
erften Philofophen von Deutfchland nicht nennen wollen, ihre Bü- 
chelchen in unferm Haufe haben beftreichen laffen (denn fo wird 
ed genannt), und viel Auffehen damit in ber Welt gemacht haben. 
Serner dba es vernünftigen Leuten ſchwer wird, fi) einen 

neuen Stil zu fhaffen, worin hingegen bie Narren eine ganz 
eigene Gabe haben, fo hat man an bie 150 Arten, die größ- 
tentheils noch nie gebraucht find, verfertigen laſſen, und Proben 
davon vorräthig, bie die größte Satisfaction geben werden. 
Einige darumter find zum Entzüden artig, und andere zum 
Grepiren drollicht. Man bat ihnen der Berftändlichkeit wegen 
Namen gegeben, bie zwar zum Theil von Salatfamen berge: 
nommen, aber allemal fo gewählt worden find, baß fie die Na- 
tur bed. Stils beffer ausbrüden, als e8 in einer breimal fo 
langen Definition möglich gewefen wäre. Wir haben fie in 
Claſſen von fieben abgetheilt, darunter die pretiöfefte folgende 
it — im Geſchlecht ber launichten (genere lunaticorum) übers 
trifft fie fchlechterbings nichts. 

1. Groß Shakefpearifh Nonpareille. 

. Englifch geſchachter Hanswurft. 

3. Sachſenhäuſer Steinkopf, bunt. 

4. Ditto, ſchlicht. 

5. Bunter Prabler, mit und ohne Vorik. 

6. Großer Mogul. 

7.  Gefprengter Prinzenkopf. 


229 


Ich bin einmal auf ben Einfall gefommen, ob nicht Saturn, 
der mehr wie ein zerbrochenes Orrery ausfieht, als wie ein Planet, 
wohl gar das Modell von unferm Syſtem gewefen fein koͤnnte, 
welches nun, da e8 nichts mehr nükt, bei Seite getworfen worben 
if. Diefe Muthmaßung wurde bei mir zur Gewißbeit, als ich. 
bebadhte, daß Saturn fünf Trabanten hat, und gerabe fo viel 
Hauptiplaneten find, wenn man ben Saturn nicht mit rechnet. Der 
Ring ift weiter nichts, als eine dem Horizont an unfern aflro« 
nomifhen Rechenmaſchinen ähnliche Vorrichtung, vermuthlich 
um Problemata aufzulöfen. Ja Short bat ſogar die Sirkel ge 
ſehen, die darauf verzeichnet find. Diefe meine Entdedung einer 
fo alten Urkunde für die Aftronomen, wodurch man nunmehr 
die Tychonianer durch den Augenfchein widerlegen kann, und 
bie von dem größten Nutzen für die Aftronomie fein wird, fobalb 
bie Berngläfer einmal zu der Güte gediehen find, daß man die 
Charaktere auf dem Ring wird leſen önnen, machte mir eine 
ungemeine Freude. Ich wurde auch von Freunden aufgemuns 
tert, den Gedanken bekannt zu machen; weil ich mich aber im 
Erfindungss und Genieftil niemals viel geübt babe, fo fehlugen 
fie mir vor, den Auffag ganz fimpel zu machen, und nichts hin⸗ 
ein zu bringen, als was nöthig ift, und fo gearbeitet ihn nach 
einem befannten Tollhaufe zu ſchicken, und ihn dort für ein Ges 
ringes beftreihen zu laffen. Diefes babe ich gethan, und ich 
muß befennen, ic) babe mein Wer? nicht mehr gekannt, ale 
ed zurüdfam, fo wenig als bie Leute ihre Schweine, wenn fie 
aus ber Maft kommen. Wo vorher das Gerippe beleidigend 


230 


hervorſah, da war nun eine fanfte Wölbung von Sped, und 
was fich vorher wie ein Würfel anfühlte, fühlte nun die Hand 
angenehm, wie eine Kugel; durchaus berrfchte ein gewiffer gro- 
Ber weifjagender Ton, einige Gedanken wurben kühn gefagt, 
und anbere kühn verfcehwiegen; das Weggelafjene ift fo wegge⸗ 
laſſen, daß man glaubt e8 wäre befjer, als das SHergefehte, fo 
daß, wenn man es oft lieft, man endlich glaubt, man fchwebe 
auf ber Xiefe, und könnte den Plato mit Einem Wort ausfpres 
hen, und im Gedankenſchwindel fi) befier, als alles was ift, 
in Ewigkeit ohne Efel nad) Gottes Zweck auf einmal genießen. 
Ich feke eine Probe daraus ber: 

Dort hängt es, binausgerüdt über bie Kernfchußweite bes 
Lichts, wie groß! wie weggeworfen das Model — Rumpelkam⸗ 
mer dem Schöpfer, unerfchöpflichee Mufeum für dich, Menſch! 
das Model einer Welt, felbft Welt! felbft vielleicht als Model 
bewohnt — nicht Pappbedel, nicht Meffing, fondern Model 
Gottes! Satum — welche Hieroglyphe! Coelus, Coelius — 
den Griehen Uranus, Uranie, Urarie, Orrery — Alles Elar, 
nicht Wink, fondern Fingerzeig, Worthall in die Ceele, dem 
Menfhen Licht vom Schöpfer aufgeftedt, und vom Menfchen 
in Kathedernacht eingehült! Philoſophiren fünnen fie alle, fehen 
feiner. 

Primus ab aethereo venit Saturnus Olympo. 
Primus Planeta, nidt ultimus, erftes Model, Probe — zeigt 
Jupiter und mit wen? vermählt — mit ber Logika oder Arith: 
metita? Nein! mit der Ops, baber Optif, Aftronomie, Er: 


231 

kenntniß des Allmächtigen. Bermählt Ops mit bem Satum, 
und der Himmel fleht euch offen. An ein Sandkorn Gefchmie: 
deter, wenn du etwas haft, fag, was haft du? ieh hin alfo, 
fiehb und flarre mit entftaartem Auge. Saturn! unter ihm bie 
goldenen Beitn — morgenländifche Philoſophie — Bücher in 
Einem ®ort. Der Tod ift das Leben, ehe bie Zeit war, war 
die güldene Beitz; fein Jammerthal, feine Kopfiteuer, kein Zahn» 
weh! Guldene Beit, Leine Zeit, wie harmoniſch und boch wie 
wahr! wie finnig und doch wie ſtark! Jungfräuliche, unges 
fhänbete Bernunft vermähblt mit gefundem Ausdrud, noch nicht 
durch den Pöbel und Peine Akademie abgenukt: Letzter "Planet, 
Model, Mikrofoften, letztes Gefchöpf, Menſch, Ebenbild Gottes, 
Mitrotosmus — wo ift Analogie, wenn bier keine ift? — 


232 


6, 
Das Gaſtmahl der Iournaliften. 


Gleich nad Zubilate voriged Jahr wurde mir von einem 
Freunde gemeldet, daß zu Flarchheim, einem kleinen Dorfe auf 


ber Seite von Langenfalza, eine merkwürdige Zuſammenkunft | 


fein würbe, bie wohl verdiente, von jemanden, ber fo viel Neu: 
gierbe hätte, und, wie er fi) ausdrüdte, ben Seelen fo gern 
in die Gefihter gudte, ald ih, gefehen zu werden. Es wären 
einige ber wichtigften Gelehrten, Zeitungsfchreiber und Journa⸗ 
liften von Deutfchland, wie er felbfi von einem unter ihnen 
wiffe, entfchloffen, an diefem Ort zufammen zu fommen, fi 
perfünlich Fennen zu lernen, und ein paar Tage zu fchmaufen. 
Er glaubte, daß vielleicht wichtige Sachen vorgenommen werden 
würden, wenigftens hätte ihm dieß berfelbe Mann zu verftehen 
gegeben; vermuthlich eine kleine Veränderung mit der Litteratur. 
möchte wohl ber Gegenftand fein. 

Ich war über diefe Nachricht faft außer mir. Denn was 
muß das nicht für ein Anbli fein, dachte ich, bdiefen Zirkel 
von xalorg xuyasors beifammen zu fehen, die ehrwürdigen Glie⸗ 
ber des Gerichts, das Leinen zeitlichen Richter erkennt, bdiefe 
Bewahrer jenes großen Siegeld, womit die Patente des Ruhms 


233 


geftempelt werben, unb bie endlich allein das Jus praesentandi 
bei der Rachwelt aus ben Händen der Welt empfangen haben. 
Man bat längfi bemerkt, daß, je undeutlicher die Begriffe find, 
die man von ber Größe eines Mannes bat, fie defto mehr auf 
das Blut wirken, und bie Bewunderung befto enthufiaftifcher 
wird. Himmel, fagte ih, made mid fo glüdlich, diefes An⸗ 
blicks zu genießen, die Leute zu ſehen, gegen bie alle Weifen 
der Erde das find, was fie gegen dich find! Und in dem Aus 
genblid Fam es mir vor, als wenn ich die Gefellfchaft fähe, 
jeden mit einem Heiligenfchein um ben Kopf. Ob ich gleich 
nicht deutlich weiß, daß ich einen Journaliften mit einem Apo⸗ 
fiel verglichen Hätte, fo fchien e8 boch faft, als wenn ich es ein» 
mal dunkel getban haben müßte, denn fie fchienen mir in dem 
augenblidlihen Gefihte da zu fiten, wie bie Eilfe auf einem 
Kupferftich, den ich in meiner Kindheit öfters angefehen hatte. — — 





234 


7. 
Über die Macht der Liebe. 


Mittwoch. Morgens 8 Uhr 
den 19. Febr. 1777. 

So wie ich vorgeſtern angefangen hatte, kann und mag ich 
nicht fortfahren. Ich lege alſo ein kleineres Fundament für ein 
kleineres Gebäude, für Sie zum — umblaſen. Jedoch aus 
einer geheimen Ahnung zu urtheilen, wird auch dieſer Brief 
nicht ſo ganz klein ausfallen; ſeltſam ausfallen wird er gewiß. 
Ich wage viel damit, wenn ich je viel bei Ihnen gegolten habe, 
denn ich wage Alles zu verlieren. Sie ſollen nicht allein meine 
Gedanken über Verlieben und Macht bes Frauenzim— 
mers hier in einem Auszuge ſehen, ſondern ich will Ihnen 
auch einen kurzen Entwurf meiner Methode zu philoſophiren 
geben, um mir bei Ihnen nicht ſowohl die Überzeugung wegen 
bes erfteren zu erleichtern, als die Vergebung. Ich werde Alles 
in den gerabeften Ausdrüden fagen, bie mir vorfommen, und 
muß deßwegen um zwei Dinge bitten: einmal, baß Sie denken, 
ich fchriebe weder an Mann noch Weib, fonbern bloß an eine 
vernünftige Seele, und baß, weil biefe Vorftelung manchem 
nicht fo geläufig fein möchte, als Ihnen, Sie mir diefen Brief, 


235 


fobald Sie ihn gelefen haben, wieder verfiegelt zurück ſchicken. 
Ich fehe jeht erfi, eine biefer Bitten gebt an Ihren Berftand, 
bie andere an Ihr. Herz, ih muß alfo noch eine dritte binzufü« 
gen, daß die Gewährung biefer Bitten nit von ber Beſchäfti⸗ 
gung abhängen möge, die Herz und Berftand in diefem Wirr: 
warr finden, benn es Bönnte fein, baß fie ganz leer audgiengen. 

Trotz meiner großen Armut an Kennmiſſen (morunter ich 
nicht Alles verfiehe, mas ich weiß, fondern nur was ich auch 
zweckmäßig zufammengebacht habe), finde ich mich oft nicht we: 
nig durch den Gedanken berubigt, baß ich das durch taufenbfa« 
ches Interefie gefpaltene und taufendfach ſich ſelbſt betrügende 
menfchlihe Herz zu bem Grab babe kennen lernen, daß ich an 
einer Sache zweifeln fann, und wenn fie in taufend Büchern 
bejaht ſtünde, taufend Jahre durch geglaubt worden, und als 
untrüglih von ſchönen und häßlichen Lippen verfündigt worben 
wäre. Ich habe mir zur unverbrüdlidhen Regel gemacht, aus 
Refpect ſchlechterdings nichts zu glauben, bemohngeachtet aber, vor 
wie nah, fortzufahren, aus Reſpect am gehörigen Ort oft zu 
thun und zu fagen, was ich nicht glaube und nit glauben 
fann. Der Men ift ein ſolches Wunder von Seltfamkeit, daß 
ih überzeügt bin, es gibt Leute, bie oft meinen, fie glaubten 
etwas und glaubens body nicht, bie ſich felbjt belügen, ohne es 


zu wiſſen, und Dinge einem Andern nacdhzumeinen und nadzu> 


fühlen glauben, bie fie ihm bloß nachſprechen. Daß das wahr 
ift, davon, fage ich, bin ich ficher überzeugt, denn ich habe 
mid ehemals felbft darüber ertappt. Diefes bat mich fehr 


- 


236 


mißtrauifch gegen mich felbft und noch mehr gegen die Verfiche: 
sungen Anderer gemacht, deren Interefie, Gattung von Eigen: 
liebe und Berftandesfräfte ich nicht ?enne, und von benen ich 
alfo nicht weiß, ob fie ein Botum haben, ober ob fie bloß He 
rolde find. Wir find nur gar zu geneigt zu glauben, das fei 
wahr, was wir oft bejahen bören und was Viele glauben, und 
bedenfen nit, daß ber Schein, ber zehn betrügt, Millionen 
betrügen kann. Neun Sehntheile des menfchlichen Gefchlechts 
glauben, die Erbe ftünde ftill, und es ift doch nicht wahr. Wir 
bedenken nit, daß, wenn Einer halb aus Intereffe etwas bes 
jabt, e8 Taufende ganz aus Intereffe nadhfagen, und zehntaufend, 
weil fie doch was fagen müffen, und gar feine Meinung haben, 
ober bloß Anderer ihre. Das ift ber größte Theil der Menfchen. 
Es ift daher Sammer Schabe, baß wir fo oft die Stimmen 
nur zählen können. Wo man fie wägen fann, ſoll man es nie 
verfäumen. Ich kann daher nicht leugnen, daß mir die Leute 
vorzüglid angenehm find, die ohne Affertation zuweilen die eviden⸗ 
teften Säge bezweifeln, oder Leute zu entfchuldigen fuchen, bie fie 
bezweifelt haben, fo wie neulich 8... von D..., ber behauptet 
hatte, 3 mit O0 multiplicirt wäre 3, oder mit andern Worten 
breimal nichts wäre drei. Ohne im geringften folchen abfurden 
Sweifeln, wie biefe, eben angeführt, das Wort zu reden, glaube 
ih auch, daß es feine größere Verſtandsſtärkung gibt, als Miße 
trauen gegen alle Meinungen ber Menge. Man kann fi immer 
fiher zurufen: das ift nicht wahr, und wenn man auch 
gleih am Ende findet, daß man fih geirrt hat; fo wird man 


237 


diefen Irrtum nie ohne Gewinn von Geiten des Syſtems von 
Kenntniffen entdeden, bie man bat, und beffen Fefligkeit boch 
eigentlich ausmacht, was wir Seelenftärke nennen. Sagen ober 
gar predigen muß man biefe Zweifel eben nicht immer. In 
Religionsfachen ift es das fichere Zeichen eines ſchwachen Kopfe. 
Denn was ift wahr an biefen Dingen, das nicht fein Wahreres 
haben kann? Und wo es auf zeitlihe Ruhe und Glüdfeligkeit 
ankommt, muß man, meiner Meinung nad), allgemein anges 
nommene Säge fo wenig ohne große Urfache änbern, als einen 
geprüften guten Minifter mit einem andern vertaufchen, von 
beffen Geſchicklichkeit man fih mehr bloß verfpridht. In ber 
Frage, worüber ich jest fehreibe, könnte die muthwilligfte öffent: 
lie Unterfuhung feinen Schaben fliften, ja nugen würde fie, 
weil bierin das Eleinfte Theilchen, dem Baum anzulegen ober 
bem Sporn abzunehmen, ein gutes Werk thun beißt, es müßte 
dann fein, daß man fo fehriebe, baß man gerade das Gegen- 
tbeil würfte, fo wie jemand von &... 8 Abhandlung vom Selbſt⸗ 
mord gefagt hat: Er müßte nicht, feitdem er das Büchelchen 
gelefen hätte, käme ihn zumeilen ber Kitel an, fich felbft zu er: 
morden. — Sehen Sie nun, warum ich meinen Brief zurüd 
verlange? Doch zur Sache. 

Die Frage: If die Macht ber Liebe unwiderſtehlich, 
oder kann der Reiz einer Perfon fo ftar auf uns wirken, baß 
wir dadburh unvermeidlich in einen elenden Zuſtand geras 
then müffen, aus welchem uns nichts als ber ausfchließende Beſitz 
diefer Perfon zu ziehen im Stande ift? habe ich in meinem Leben 


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unzählige Mal bejahen hören von Alt und Jung, und oft mit 
aufgefchlagenen Augen und über das Herz gefaltenen Händen, den 
Zeichen ber innerften Überzeugung und ber fich auf Discretion erges 
benden Natur. Ich könnte fie auch bejahen, nichts ift mwohlfeiler 
und leichter, ich werde fie auch fünftig aus Gefälligkeit wieder 
bejaben, oder auch, wenn Pünftige Erfahrungen das Gabinet berei- 
chern, aus bem ich jett herausphilofophire, im Ernft, woran ich aber 
deßwegen fehr zweifle, weil ein paar Beifpiele, die gehörig ins Licht 
gefeht für mich fireiten, binlänglich find, den ganzen Sa auf ewig 
zu leugnen. Ich babe, fage ich, den Sas unzählige Mal bejahen 
bören und bejaht gelefen in Profe und in Berfen. Aber wie 
viel Menfchen waren barunter, die bie Frage ernſtlich unterfucht 
hatten? Bewußt wenigftens ift e8 mir von feinem, daß er fie 
unterfucht hätte, und vielleicht hatte fie auch wirklich Feiner un: 
terfucht; denn wer wird eine Sade unterfuchen, von beren 
Wahrheit der Guckuk und die Nachtigall, die Zurteltaube und 
ber Bogel Greif einftimmig zeugen, wenigitens, wenn man ben 
füßen und bittern Barden aller Zeiten glauben barf, über beren 
Philofophie aber zum Glück der Philoſoph fo jehr lacht, als das 
vernünftige Mäbchen über ihre Liebe. Ich glaube, ich habe 
die Frage binlänglich unterfucht, lange vor Hrn. Prof. Meiners, 
deffen Ülbereinflimmung mit meiner Meinung in der Haupt: 
fache nicht wenig dazu beigetragen hat, daß ih den Mann 
jest Liebe, deſſen Kopf ich längft verehrt habe. Nach biefer Un— 
terfuchung behaupte ich mit völliger Überzeugung: die unwider— 
Beblihe Gewalt der Liebe, uns durch einen Gegenftand entwe: 


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der höchſt glücklich oder höchſt unglücklich zu machen, ijt poeti⸗ 
ſche Faſelei junger Leute, bei denen der Kopf noch im Wachſen 
begriffen iſt, die im Rath der Menſchen über Wahrheit noch 
keine Stimme haben, und meiſtens fo beſchaffen find, daß fie 
feine befommen können. Sch erkläre bier noch einmal, ob es 
fi) gleich wohl von felbft verfteht, daß ich den Zeugungstrieb 
nicht meine; der, glaube ich, kann unwiderftehlich werden, allein 
fiherlich hat ihn die Natur uns nicht eingeprägt, uns höchſt uns 
glüdli oder böchft glüdlich zu machen. Bus Erite zu glauben 
macht Gott zu einem Tyrannen, und das Letztere ben Dienfchen 
zum Vieh. Und doch rührt die ganze Verwirrung in bdiefem 
Streit aus nicht genugfamer Unterfheidung eben biefes Tries 
bes, der fih unter fehr verfchiedener Geftalt zeigt, und ber 
fhwärmenden Liebe ber. Man vertheidigt Liebe und verwirft 
Liebe, und eine Partei verfteht dieſes und tie andere etwas 
Anderes. So weit diefen Morgen. 


Donnerstag. 9 Uhr. 

Die guten Mädchen haben die Ausprüde Himmel auf 
der Welt, Seligkeit, womit mande Dichter die glücklichſte 
Liebe belegten, al8 ewige unwandelbare Wahrheit angefeben, 
und mädchenmäßige Jünglinge haben es ihnen nachgeglaubt, da 
e8 doch nur weichliches Geſchwätz junger Schwärmer ift, bie 
weder mußten, was Himmel, noch was Welt war. Die Bes 
nennungen find nur in fo fern wahr, in fo fern e8 wahr ift, daß 
Mädchen Göttinnen find, Die Griehen, nicht allein das weis 


fefte und tapferfte, :fondern auch das wollüftigfte Volk auf der 
Welt, bielten wahrlich die Mädchen nicht für Göttinnen, ober 
ben Umgang mit ihnen für Paradies oder ihre Liebe für unwi⸗ 
derſtehlich. Sie erzeigten ihnen nicht einmal die Achtung, bie 
man wenigftes von einem freien Volk, ich will nicht fagen von 
einem gefühlvollen, gegen ein ſchwaches Gefchleht hätte er- 
warten follen. Sie braudten fie, bie organifirten Fleiſchmaſſen 
zu zeugen, aus benen fie felbft nachher Helden, Weife und 
Dichter formten, und ließen fie übrigens gehen. Sie wohnten 
im Innerften des Haufes, kamen nicht in Männergefellfchaften, 
wodurch ihnen benn freilih aller Weg abgefchnitten ward, fi 
für fo kluge Köpfe gehörig auszubilden, baher fie immer fchledy- 
ter und verächtlicher werden mußten. Daß ihnen wahrhaftig 
große Männer courten, biefe Achtung mußten fie fih erſt durch 
befondere auszeichnende Geiftesgaben erwerben, und biefe Be- 
ſuche waren nit von der verliebten Art. Das Vermögen, das 
ihnen bie Natur gegeben bat, ein bdringendes Verlangen auf 
eine angenehme und nützliche Art zu befriedigen, rechneten fie 
ihnen für kein Verdienſt an, und, wie mich bünft, mit großem 
Recht; denn es ift ein Handel, wobei beide Parteien gewin- 
nen. Die Ausdrüde Herz verfhenfen, Gunft verſchen— 
fen, find wieder poetifhe Blümchen. Kein Mädchen fchenkt 
ihr Herz weg, fie verkauft e8 entweder für Gelb oder Ehre, oder 
vertaufcht ed gegen ein anderes, wobei fie Vortheil hat, oder 
doch zu haben glaubt. Aber was führe ich Ihnen die Griechen 
an? Gibt e8 nicht heutzutag ein fehr vernünftiges Volk, das 


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von ber beides lächerlichen und dabei müffiggängerifchen Schwärl" 
merei ber Liebe frei ift, ein Volk, bem wir allein den Fort⸗ 
gang in nüglichen Wiffenfhaften, Beſſerung bes Menfchen und 
alle großen Thaten zu danken haben. Wiffen Sie, was ich für 
ein Bolt meine? Gewiß Sie Pennen es. Es ift die Gemeinde 
ber activen, vernünftigen, ſtarken Seelen, bie man über die 
ganze Erbe ausgebreitet findet, obgleich manches Städtchen leer 
ausgehen möchte; ber gefunde, nügliche glüdliche Landmann, 
den unfere albernen Dichter (wie überhaupt die Natur) befingen 
und bewundern, ohne ihn zu kennen, fi fein Glück wünſchten, 
ohne doch ben Weg dazu wählen zu wollen. Mir läuft die 
Galle über, wenn ich unfere Barden das Glück bed Landmanns 
beneiden höre. Du willſt, möchte ich immer fagen, glücklich 
fein wie er, und dabei ein Ged fein wie Du, das geht freilich 
nicht. Arbeite wie er, und wo beine Glieder zu zart find zum 
Pflug, fo arbeite in ben Tiefen der Wiffenfchaft, fies Eulern 
oder Hallen ſtatt & ..., und ben ſtärkenden Plutarch ftatt bes 
entnervenben Siegwarts, und enblich Ierne bein braune Mäd⸗ 
chen genießen, wie bein braunes Brot — von Hunger verflärt 
und gewürzt, tie bein Landmann thut, fo wirft bu glüdlich 
fein wie er. Nicht Adel der Seele, nicht Empfindfamteit, ſon⸗ 
bern Müffigang, oder doch Arbeit bei ber ber Geift müffig bleibt, 
und Unbefanntfhaft mit ben großen Reizen der Wiflenfchaft, 
worin fhlechterbings nichts von Lieb’ und Wein vortommt, 
ift die Quelle jener gefährlichen Leidenfchaft, bie (ich getraue es 
allgemein zu behaupten) ſich noch niemals einer wahrhaft männ⸗ 
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