Google
This ıs a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before ıt was carefully scanned by Google as part of a project
to make the world’s books discoverable online.
It has survived long enough for the copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject
to copyright or whose legal copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books
are our gateways to the past, representing a wealth of history, culture and knowledge that’s often difficult to discover.
Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book’s long Journey from the
publisher to a library and finally to you.
Usage guidelines
Google ıs proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work 1s expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken steps to
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying.
We also ask that you:
+ Make non-commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for
personal, non-commercial purposes.
+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google’s system: If you are conducting research on machine
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text ıs helpful, please contact us. We encourage the
use of public domain materials for these purposes and may be able to help.
+ Maintain attribution The Google “watermark” you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it.
+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users ın other
countries. Whether a book is still in copyright varies from country to country, and we can’t offer guidance on whether any specific use of
any specific book is allowed. Please do not assume that a book’s appearance in Google Book Search means it can be used in any manner
anywhere in the world. Copyright infringement liability can be quite severe.
About Google Book Search
Google’s mission is to organıze the world’s information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers
discover the world’s books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the full text of this book on the web
athtto://books.qoogle.com/
Google
Über dieses Buch
Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun Öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ıst. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei — eine Erin-
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.
Nutzungsrichtlinien
Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen
nützlich ıst, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen
unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sıe das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein,
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern Öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.
Über Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen.
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|lhttp: //books.google.comldurchsuchen.
mue
"OF THE
[I
LI
;
[3
4
®
Li
#
Li
L}
[}
[I
LI
Li
LI
i
Tite, À NY)
VAL AIS PENIMSULAM AMDE
L = 1 =. pe eh
&
= = = = Tree
Merteljahrsehrift
73 za
Weial- Wirt © ©. hichte
—
Unter ständiger Mitwirkung
vou
Dr. GeorGEs EsrinAs (Paris), Prof. Dr. HENRI PIRENNE (Gent),
Prof. Dr. Gius. SALVIOLI (Neapel), Prof. P. VINOGRADOFF (Oxford)
herausgegeben
von
Prof, Dr, ST. BAUER Prof, Dr. G. von BELowW
in Basel in Freiburg i. Br.
Dr. L. M, HARTMANN
in Wien
Hedaktionssekretär: Dr. Kurr KASER in Wien
IV. Band
Verlag von W. Kohlhammer
Bertin W. 35 Stuttgart Leipzig
Defingerstrasse 16 Urbanatrasse 14 Rossplatz 16
1906
_ Alle Rechte vorbehalten.
Druck von W. Kohlhammer in Stuttgart.
Inhalt des vierten Bandes.
L Abhandlungen.
Wirricu. W., Altfreiheit und Dienstbarkeit des Tradels in Nieder-
sachsen .
CARCOPINO, JÉRÔME, La Sicile Agricole au dernier Siècle de la Répu-
blique Romaine . .
BissE, ALEXANDER, Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen
Mittelalter und die Bedeutung der Wikinger für die Entwicklung
des europäischen Handels und der europäischen Schiffahrt . .
KET!GEN, F., Hansische Handelsgesellschaften, vornehmlich des 14. Jahr-
hundert-_ ee ee
PuEeNNE, HENRI, Note sur la fabrication des tapisseries en Flandre
au XVIe siècle .
Bu,wexop, G.. Gand et la Circulation des Grains « en Flandre, ‘du XIVe au
XV IIIe siècle .
Kr: toEN, F., Hansische Handelsgesellschatten, vornehmlich des 14. Jahr-
| bunderts (Forts.)
TELE, OTTOMAR, Dr. Francois Quesnay und die Agrarkrisis den Ancien
regime
ARriroEN, F. Hansise he Handelsgevellschaften, vornehmlich des 14. Jahr-
huuderts (Fortsetzung und Schluß) .
Tii:ELE. OTTOMAR, Dr., François Quesnay und die Aurarkrisie im Ancien
R:-gime (Fortsetzung und Schluß)
II. Miszellen.
A'XHNE. Karl. Der .faber publice probatur® der Lex Alam. LXXIV 5
WorrxEr, H. Freie und unfreie Leihen
HARTMANN. Li po M., Bemerkungen zur italienischen und "fränkischen
Precaria
nr. PH. Die kleinen Grundbesitzer der brevium exemplu
BE: Kk. PH. Die neue Hantgemaltheorie Wittichs .
_HAKLETY, S. La vie économique de Lyon sous Napoléon .
FARBAGHALLO, CORKADO, Tl prezzo del frumento in Ispagna, in Africa
+ ın Oriente durante l'età imperiale romana
MusiwELL. R. J. Au early Bill of Lading and Charter-party
IH. Literatur.
BEI“ HEIL. SIEGFRIED, Das Burggrafenamt und die hohe Gerichts-
barkeit in den deutschen Bischofsstädten während des früheren
Mittelalters. Besprochen von HEINRICH VON LiescH .
196
IV Inhalt des vierten Bandes.
V. SOMMERFELD, W., Beiträge zur Verfassungs- und Ständegeschichte
der Mark Brandenburg im Mittelalter. 1. Teil. Besprochen von
HANS FEHR 0000
1. ESCHENBURG, B., Das Liegenschaftswesen im lübeckischen Staats-
gebiet.
2. REHME, P., Die Lübecker Grundhauern.
3. FEHL ING, E. F., Lübeckische Stadtgüter, Bd. I. li. Besprochen von
Carl. MONO. rn
BirrERAUF, THEODOR, Die Traditionen des Hochstifts Freising, I. Ra.
(744 —996). Besprochen von SIEGFRIED RIETSCHEL
RIEZLER, SIGMUNXD, Nachtselden und Jägergeld in Bayern. Im Anhang:
„Jägerbücher des Herzogs Ludwig im Bart von Bayern“. Be-
sprochen von SIEGFRIED RIETSCHEL .
FLAMM, HERMANN, Der wirtschaftliche Niedergang Freiburgs i. Br. und
die Lage des städtischen Grundeigentums im 14. und 15. Jahrhundert.
Besprochen von F. KEUTGEX.
Ernst, Die direkten Staatssteuern in der Grafschaft Wirtemberg. Be-
sprochen von Lipwıs BITtNER.
v. VOoLrELINI, HANS, Die ältesten Pfandleihbanken und Lombarden-
privilegien Tirols. Besprochen von FEHOR SCHNEIDER
DAHLMANN-WArrz, Quellenkunde der deutschen Geschichte. Besprochen
von G. v. BELOW .
DEMANGEON, ALBERT, La Picardie et les régions voisines, Artois- Cam-
brésis-Beau vaisis. Besprochen von ÉTIENNE CLouzor .
Pıvaxo, S., 1 contratti agrari in Italia nell’alto melio evo. Torino 1904.
XV und 338 SS.
SCHUPFER, F., Precarie e livelli nei documenti e nelle leggi dell’alto
medio evo. Torino 1906. 116 SS. (Estr. dalla Rivista italiana
per-le scienze giuridiche vol. XL fasc. 1—IIJ).
Leichte, P. S., Livellario nomine. Össervazioni ad alcune carte Ami-
atine del secolo nono. Torino 1905. 69 SS. (Estr. dagli Studi
Senesi in onore di Luigi Moriani.) Besprochen von L. M. Harman
YvER, GEORGES, De Guadagnis (Les Gadaigne) mercatoribus florentinis
Lugduni, XVI‘ p. Chr. n. saeculo, commorantibus. Parisiis 1902,
Cerf, 111 p. in-8".
YvER, GEORGES, Le commerce et les marchands dans l’Italie méridionale
au XITIe et au XIVe siècle (Bibliothèque des écoles françaises
d'Athènes et de Rome, fasc. 88). Paris 1903, Fontemoing, 489 p.
gr. in-8°, 12 fres. Resprochen von P. HUVELIX .
Untersuchungen zur Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, heraus-
gegeben von Dr. Oro GIERKE, Professor der Rechte an der Uni-
versität Berlin. 84. Heft. Das spätwittelalterliche Niedergericht
auf dem platten Lande am Mittelrhein von Dr. GEORG GROSCH.
Breslau, Verlag von M. & H. Marcus, 1906. Preis 3 Mark. Be-
sprochen von Dr. WIiLHELM FABRICIUS V. . .
Anhang.
Bibliographie der Social- und Wirtschaftsgeschichte für die Monate April
bis September 1906. Bearbeitet vom Internationalen Institut für
Social-Bibliographie in Berlin . . .
Nachruf.
BRESSLAU, H., Theodor Ludwig
204
210
380
382
383
389
391
393
563
68%
695
1—30
221
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen.
Von
W. Wittich (Straßburg).
8 1. Die bischöflich hildesheimische Dienstmann-
schaft im 11. und 12. Jahrhundert.
Im Mittelpunkt des niedersächsischen Landes liegt das altbe-
rühmte Bistum Hildesheim, dessen reiche Urkundenschätze in den
letzten Jahren in musterhafter Weise publiziert worden sind !).
Wir beginnen daher die Untersuchung unseres Problems in
diesem Gebiete.
Die Ministerialität der Bischöfe von Hildesheim war eine Ge-
nossenschaft persönlich unfreier Personen und Geschlechter, die
sich dadurch vor den übrigen Hörigen auszeichneten, daß sie be-
sondere, ehrenvolle Dienste am Hof des Bischofs verrichteten.
Die Genossenschaft der Ministerialen besaß bestimmte Vorrechte
vor den übrigen Hörigen, die alle in dem sogenannten Dienst-
recht aufgezeichnet waren. Das Dienstrecht stellte zunächst weit-
gehende Milderungen der Hörigkeit fest, grenzte ihre Dienst-
verpflichtungen genau ab, bestimmte ihre Ansprüche dem Bischof
gegenüber, besonders auf die ihnen von diesem verliehenen Hof-
lehen, und verbürgte ihnen das Recht, in dienstrechtlichen Sachen
von ihren Genossen gerichtet zu werden. Schon die älteste
Urkunde, die sich mit den Ministerialen beschäftigt, zeigt deren
hervorragende Stellung ‘*). Im Jahr 1073 hatten sich die hildes-
heimischen Ministerialen gegen ihren Herrn, den Bischof Hezilo,
empört. Zur Entscheidung dieser Streitigkeiten zwischen beiden
Parteien hielt der Bischof von Halberstadt ein marchiale collo-
quium, wohl ein Gericht seiner Dienstleute, ab, vor dem die
hildesheimischen Dienstleute erscheinen sollten. Bischof Udo gab
im Jahr 1092 seinen Ministerialen und ihren Töchtern unbeschränkte
Heiratsfreiheit innerhalb und außerhalb der Genossenschaft und
Vierteljabrschr. f. Bocial- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 1
2 W. Wittich
bestätigte ihre althergebrachte Freiheit von der bumiete genannten
Heiratsabgabe?).. In beiden Urkunden tritt uns also schon zu
Ende des 11. Jahrhunderts die Ministerialität als eine hochberech-
tigte und angesehene Korporation entgegen, der der Bischof nur
mit Mühe Herr werden konnte.
Dig Anzahl dieser Diensimannenfamilien scheint ureprüng-
lich nicht ‘sehr bedeutend ‚gewesen zu sein‘) In der Ür-
kunde des Bischofs Udo vom Jahr 1092 über die Heiratsfreiheit
nur acht mit ihren Vornamen bezeichnete Dienstmannen als
Zeugen. Immerhin ist anzunehmen, daß bei dieser Verhandlung
dienst, besonders den Dienst zu Roß, für
gtatietische Hindernisse. „Aie Zahl der Ministerialen ist, soweit
ungere Nachrichten reichen, von Anbeginn an unverhältnismäßig
größer Sowohl Warrz wie auch Heck 'bleipen einen
quellenmäßigen Beyeis ihrer Auffassung schuldig. Eine Stafistik
der Ministerialen irgend eines Herrn besitzen wir aus der Frühzeit
Er ee Zu - à : Dr 7) 8 » . ‘3588 ee . 1, ara
wenigstens nicht. Dagesen befonen die ältesten und wichtigsten
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 3
Dienstrechte, wie das Bamberger und Kölner Ministerialenpecht,
übereinstimmend mit dem Sachsenspiegel, daß sämtliche Dienst-
manpsgeschlechter zu einem der vier oder fünf Hofämter geboren
und ye flichtet, zur Leistung anderer Dienste aber nicht ver-
bunden seien ®). Diese auffallende und durch ihre Allgemeinheit
in den süd- und norddeutschen Dienstrechten doppelt bemerkens-
werte Bestimmung kann meines Erachtens nur durch die An-
nahme erklärt werden, daß ‘die Ministerialität als bevorzugte
Klasse der Hörigen aus den vier Hofämtern hervorgegangen ist.
HECK behauptet gerade das Gegenteil und sagt mit besonderer
Beziehung auf den Satz des Sachsens iegels: „Nach dem Spiegler
ist die Zugehörigkeit zu einem | Hausamt Folge und nicht Grund-
lage ‘der Dienstmannschaft. Die eventuelle Bekleidung eines
Hausamtes ist Standespflicht“. Es ist meines Erachtens ganz
unmöglich, der unten“) im Wortlaut angeführten Stelle diesen
Sinn unterzulegen. Sie Bagt nicht, wie HEck will, der Ministerial
muß eventuell ein Hausamt bekleiden, sondern, alle Dienstleute
sind geborene Truchsessen, Schenken, Marschälle oder Kämmerer.
Hofamt und Dienstbarkeit sind untrennbar. Die Dienstmann-
schaft besteht auch nach dem Sachsenspieg gel, wenigstens formell,
aus den zu den vier (fünf) Hofämtern geborenen Geschlechtern.
Damit aber weist die Stelle wie alle andern deutlich auf die Ent-
stebung der Ministerialität aus den Hof- und Hausämtern bin.
Welchen Familien diese Dienstleute der frühesten Periode an-
gehörten, ist nur bei den allerwenigsten festzustellen, da sie nur
mit dem Vornamen aufgeführt werden. Bis zum Jahre 1130
lassen sich drei Familien mit Sicherheit unter den aufge-
zählten Vornamen ermitteln’). Am frühsten erscheinen die
Familie von Tossem mit dem Kämmerer Ekbert und die Familie
der Truchsessen wit dem Dapifer Ernst. Die Truchsessen ge-
hören höchstwahrscheinlich der Familie von Ochtersum an ®), Der
als Ernst yon Ochtersum erscheinende Ministerial ist w: ahrschein-
lich mit dem Truchseß Ernst identisch. Es sind also zwei der
zroßen Amtsgeschlechter, die uns zuerst mit Deutlichkeit unter
den Ministerialen erkennbar werden. Die dritte Familie endlich,
die in so früher Zeit in der hildesheimischen Ministerialität er-
scheint, ist die Familie von Eilstrenge. Bereits im Jahr 1125
4 W. Wittich
werden die drei Brüder Volcoldus, Eizo und Ruthericus als Zeu-
gen in der Stiftungsurkunde des Klosters Marienrode aufgeführt.
Jedoch erst 25 Jahre später, im Jahr 1150, treten sie mit ihrem
Geschlechtsnamen auf. Nur wenige Jahre später als die Familie
von Eilstrenge wird mit dem Vogt Liutoldus’) der erste An-
gehörige der hochangesehenen Familie der Herren von Altenmarkt,
die auch Herren vom Werder (insula) oder Vögte von Hildesheim
heißen, erwähnt. Zu gleicher Zeit taucht die Familie der Herren
von Altendorf (de veteri villa), der ersten Inhaber des Schenken-
amts, auf”). Jedoch erscheinen neben diesen beiden Amts-
geschlechtern schon eine ganze Anzahl von Ministerialgeschlechtern,
wie die Herren von Lengede (ao. 1131), von Mehle (Midelen),
Machtigoshusen, Rössing, Hottenem (Hotteln), wohl Ministerialen
des Klosters St. Michael, Elvede (Elbe), Milenheym, Malerde,
Alesburg, Gilide (ao. 1132—1141)!°). Die Zahl mehrt sich dann
so, daß bis zum Jahr 1182, also im Zeitraum von 50 Jahren,
etwa 75 Ministerialenfamilien urkundlich erwähnt werden. Nun
ist es allerdings nicht sicher, ob alle durch besondere Ortsbezeich-
nung (de X) hervorgehobenen Persönlichkeiten auch einem be-
sonderen Geschlecht angehörten. Bei einigen läßt sich die
Familienzusammengehörigkeit der nach verschiedenen Orten sich
nennenden Personen unzweifelhaft nachweisen. Ein Beispiel
unter vielen bietet die Familie der Vögte, deren Angehörige bald
unter dem Namen von Altenmarkt, bald als Herren de insula,
bald als advocati de Hildesheim, bald als advocati montis er-
scheinen. Trotzdem ist die Zahl der als solche unterscheidbaren
Familien noch immer sehr beträchtlich.
Für unsere Untersuchung kommt nun zunächst die Frage
nach dem Ursprung dieser hildesheimischen Ministerialität in Be-
tracht. Es kann meines Erachtens keinem Zweifel unterliegen,
daß die Ministerialität aus der Hörigkeit hervorgegangen ist.
Wie das Institut selbst sich an die Formen der Hörigkeit an-
lehnt, ja eigentlich eine besondere, allerdings sehr gemilderte
Hörigkeit darstellt, so sind auch die Familien, die den Grund-
stock und ältesten Bestandteil der Dienstmannschaft gebildet
haben, ursprünglich Hörige des Bischofs gewesen !). Diese all-
gemein anerkannte Tatsache braucht für die hildesheimischen
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 5
Verhältnisse nicht besonders erwiesen zu werden. Ich will
nur einige bezeichnende Hinweise der Quellen hervorheben. So
nennt Bischof Hezilo in seinem Brief an Bischof Burchard II.
von Halberstadt seine aufrührerischen Ministerialen (servientes)
mancipia'!), und erst Bischof Udo, Hezilos Nachfolger, gibt
den bischöflichen Ministerialen und ihren Töchtern vollkom-
mene Heiratsfreiheit und erläßt ihnen die alte Hörigkeitsab-
gabe der bumiete, die sie bisher bei ihrer Verheiratung zu
zahlen verpflichtet waren'?). Allerdings sagt der Bischof aus-
drücklich, daß die Abgabe früher nicht bestanden habe und von
seinen Vorgängern zu Unrecht auferlegt worden sei. Aber ab-
gesehen davon, daß neue Privilegien häufig in der Form von
Wiederverleihung alter Rechte erteilt wurden, läßt der Umstand,
daß die Abgabe überhaupt einmal erhoben wurde, einen ziemlich
sicheren Schluß auf ihre ursprüngliche Existenz und damit ver-
knüpfte Freiheitsbeschränkung zu. Endlich sehen wir, daß auch
in späterer Zeit Hörige durch einen Akt des Herrn, allerdings
wohl nur mit Zustimmung der übrigen Dienstmannen, in die
Ministerialität aufgenommeu wurden!?), Alle diese Umstände
erweisen deutlich die älteste Natur des Instituts und die Herkunft
seiner ersten Angehörigen.
& 2. Urkundliche Überlieferung über den Eintritt
Freier in die Ministerialität.
So wenig nun ein Zweifel über die Hörigkeit des Grund-
stocks der Dienstmannschaft bestehen kann, ebenso sicher ist,
daß die Ministerialität des Hildesheimer Bischofs im Laufe des
12. Jahrhunderts und wohl auch schon in früherer Zeit durch
Ergebung altfreier Geschlechter in das Dienstverhältnis einen
sehr beträchtlichen Zuwachs erfahren hat. Über das quantitative
Verhältnis dieses Zuwachses zum altministerialischen Grundstock
soll erst später gesprochen werden. Wir müssen zunächst auf
die bisher nur in ihren Hauptzügen bekannte Erscheinung
als solche näher eingehen. Die positive Überlieferung ist
sehr spärlich; immerhin geben die erhaltenen Urkunden ein
ziemlich deutliches Bild des Vorgangs'*). Aus dem Gebiet
des Bistums Hildesheim sind uns drei Ergebungen sicher be-
6 W. Wittich
4 #38
beiden Dörfern, drei Mühlen ünd drei Hüfen mit drei Hörigen
daselbst, weitere Güter in benachbarten Dörfern und endlich die
Vogtei über den ganzen Besitz, alles ebenfalls als Lehen für sich:
und: seine Erben. Ich habe den Inhalt dieser Urkunde ausführ-
lich wiedergegeben, weil sie ein typisches Beispiel einer solchen
Ergebungsurkunde darstellt und vor allem die Gründe für den
Eintritt freier Herren in die Dienstmannschaft eines reichen
Kirchenfürsten deutlich hervortreten läßt. Für die Hingabe
von Person und Erbe erhält der neue Ministerial den Güter-
bestand des Erbes reich vermehrt, vielleicht verdoppelt als
Hof- oder Ministerialenlehen wieder zurück. In späterer Zeit
wurde wahrscheinlich nicht einmal die Aufgabe des Eigentums-
rechts am Erbe mehr gefordert ?). Der Ministerial blieb, allerdings
gewissen Beschränkungen unterworfener, Eigentümer seines Erb-
sutes und nahm nur die neu verliehenen Güter als Hoflehen '°).
Auch aus dem 13. Jahrhundert sind uns noch verschiedene Er-
rebungen in die Ministerialität Bekannt, jedoch scheint die Haupt-
masse der Ergebungen in das 12. Jahrhündert zu fallen. Diese
Annahme kann allerdings nicht aus der positiven Überlieferung
geschöpft werden. Die wenigen uns erhaltenen Ergebungsurkunden
verteilen sich ziemlich gleiehmäßig auf das 12. und 13. Jahrhundert.
Altfreibeit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 7
. Eine der tn de reichere Quelle bilden die Standeäbezeich-
ver "rt
Freie und am Schluß dië Ministerialen. In diesen ru AE 5 sehen
wir nun zahlreiche Einzelpersonen und Familien in wechselnder
Stellung auftreten. In den älteren Urkunden erscheinen sie unter
den Freien oder werden ausdrücklich als solche bezeichnet, in
den späteren Urkunden werden die gleichen Personen oder un-
zweifelhafte Mitglieder ihres Geschlechts als Ministerialen aufgeführt.
Wenn die Identität der Person oder bei mehreren Personen die
Gleichheit der Familie zu erweisen ist, so muß aus dem Wechsel
der Standesbezeichnung auf den Eintritt der betreffenden Person
oder Fämilie in die Ministerialität geschlossen werden. Ein
solcher Eintritt konnte erfolgen durch Ergebung oder durch Ge-
burt von einer ministerialischen Mutter!”). Den ersten Fall haben
wir bereits erörtert, nicht minder wichtig aber ist der zweite Fall.
Nach altem Hörigkeitsrecht folgt das Kind der Mutter, d. h. bei
ungleichen Ehen kam die ganze Nachkommenschaft unter die
Dienstmannsghaft des Herrn ‚der Mutter. Mochte ein Freier oder
ein fremder Ministeriale eine Ministerialin des Hildesheimer Bischofs
heiraten, die ganze Nachkommenschaft ging in die stiftische
Dienstmannschaft über. So konnte eine ministerialische Heirat
einen ganzen Zweig eines freien Geschlechts dienstmännisch
machen '"). Welche Art des Eintritts die meisten Freien der
Dienstinännschaft zuführte, ob Ergebüng oder Heirat, diese Frage
ist natlirlich schwer zu beantworten. Jedoch möchte ich anhehmen,
dad ‚zuerst ‚die Ergebüngen vorketrschten, die Heiräten. aber ent-
wätel!®). Ih späterer Zeit, als die Ministerialität durch wachäen.
deh Reichtum uiid Einfluß, besonders aber durch Aufnähine zahl-
reichör ältfrelet Geschlechter, nahezu eine soziale Gleichstellung
it den Freien Riltern erläigt hätte, mögen die Heiraten Freier
mit Töchtern reicher Ministerialen so Häufig gewesen sein, daß
8 W. Wittich
die meisten Freiengeschlechter auf diesem Wege in die Dienst-
mannschaft eintraten. Für unsere Betrachtungen kommt der
Unterschied des Übergangs nur wenig in Betracht. Dieser Über-
gang aus der Freiheit in die Ministerialität läßt sich nun bei
etwa 32 stiftischen Dienstmannsgeschlechtern entweder bestimmt
erweisen oder wenigstens sehr wahrscheinlich machen. Die bischöf-
lichen Ministerialenfamilien, deren Altfreiheit auf diese Weise mit
Sicherheit zu erweisen ist, sind die folgenden:
Lengede !?®), Rhüden °F),
Heere ?), Heckenbeck 1°!)
Lewe !?°), Holthusen !?=) (Wrisbergholzen),
Cantelsheim !?4), Flöthe !?»),
Dalem °°), (in ihrer welfischen | Mahner !?°),
Abzweigung Vögte von Braun- | Piscina!?P) (Dike),
schweig genannt) Werre !?«a) (Wehre),
Tidekesheim !?f) (Tidexen), Haringen '?),
Bornum-Eimessem !?e), Burgdorf?) (ob bischôfliche P,
Saldern !®b), sicher welfische Dienstleute),
Garbolzum !9), Schwanebeck 1!°t),
Es sind im ganzen 19 Geschlechter. Höchst wahrscheinlich
als altfrei zu bezeichnen sind die Dienstmannsgeschlechter
Merdorp *°®), Volkersem ?°e) (Völksen),
Geitelde *°+), Ohlum-Hohenhameln *°?),
Dingelstedt *°°), Vögte von Gandersheim ?°'),
Bönnien ?°4), Rössing °F),
Hachem ?°®), Altenmarkt-Escherde ?°'),
Freden ?°?),
Weiterhin wäre dazuzurechnen die Familie von Schiltberg °°),
die jedoch nur in der welfischen Ministerialität erscheint,
und die Familie von Remstede (Reinstede)*°"), deren An-
gehörige freie Lehnsleute der Bischöfe von Hildesheim waren.
Jedoch scheint das letztere Geschlecht, dessen Stammsitz außer-
halb des Stiftsgebietes lag, unter eine fremde Dienstherrschaft ge-
- kommen zu sein. Der Zeitpunkt, in dem diese Geschlechter in
die Ministerialität eingetreten sind, läßt sich natürlich nur bei den
wenigsten mit Sicherheit bestimmen. Während der hundert Jahre,
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 9
vom Beginn des 12. Jahrhunderts bis zum Beginn des 13. Jahr-
hunderts, fanden die Übertritte statt, die meisten wohl in der
ersten Hälfte des Jahrhunderts. Obwohl die Zahl der so mit
völliger oder annähernder Sicherheit als altfrei zu erweisenden
Ministerialengeschlechter nicht klein ist, so lassen sich doch sicher
längst nicht alle altfreien Ministerialengeschlechter auf diesem
Wege als solche erweisen; denn der Nachweis der Altfreiheit
hängt in der Hauptsache von der Erwähnung eines unzweifelhaft
zur nachmaligen Dienstmannsfamilie gehörigen Mitgliedes unter
der Zahl der Freien ab. Diese Erwähnung muß aber entsprechend
der Beschaffenheit der überlieferten Nachrichten in der Regel in
einer bischöflichen Urkunde stattfinden. Nun erscheinen die
Freienfamilien nur dann als Zeugen bei Geschäften des Bischofs,
wenn sie von ihm belehnt waren oder eine hervorragende Stellung
innehatten ?’). Diese Eigenschaften fehlten gerade den zahl-
reichen kleinen Freienfamilien, und daher werden diese in den
älteren Urkunden überhaupt nicht aufgeführt. Erst nach ihrem
Eintritt in die Dienstmannschaft erscheinen auch sie in den
Zeugenreihen der bischöflichen Urkunden. Wir lernen sie daher
nur als Ministerialen kennen, über ihre frühere Standeszugehörig-
keit können wir nichts aussagen. Obwohl so die Überlieferung
gerade für die Beantwortung der uns beschäftigenden Frage sehr
ungünstig beschaffen ist, so lassen sich doch eine Reihe von Merk-
malen feststellen, die die Altfreiheit zahlreicher, sonst nicht als
frei erwähnter Dienstmannsfamilien ziemlich sicher erscheinen
lassen. Zur Bestimmung dieser Merkmale müssen wir zunächst
einen Blick auf die Verbreitung der Altfreiheit im Gebiete des
Bistums etwa zu Ende des 12. Jahrhunderts werfen.
$ 3. Die landrechtliche Verfassung und die Ver-
breitung der Freiheit im Gebiete des Bistums.
Noch war die alte landrechtliche Verfassung, die uns der
Sachsenspiegel überliefert hat, in ihren Grundzügen erhalten.
Diese landrechtliche Verfassung hatte zwei Grundpfeiler, auf
denen sie ruhte, und mit deren allmählichem Verschwinden sie
ebenfalls langsam in sich zusammensank. Diese Grundpfeiler
waren die freien Grundeigentümer und das Grafengericht, das
10 | W. Witlich
eclite Ding des Gates oder Grafschaftsbèzirks. Betrachten Wir
zuhächst dés Grafeñgericht. Es ist bekannt, daß gerade im
Diözesangebiet des Hildesheimer Bischofs zählreiche Gaue mit
allen däzugehörigen Rechten dürch kaiserliche Schenkung in das
Eigentum der Kirche „fibergegangen \ waren #). Diese Grafenrechte
behièlt,. der Bischöf zum Teil in uhlittelbarem Besitz und eigener
Verwaltuig, zum Teil gab er sie den angesehenen Edelherren
der Umgegend zü Lehen. Außerdetni befanden sich im Gebiet,
d. hi. in der Diözese, auch fremde Gäue, sei es, daß der Käider
sie den Fürsten oder Grafen zu Lehen geseben, sei es, daß er
sie den benachbarten Kirchen gesöheiik ki häîte*). Auch diese
Kirchen gaben ihre Komitäle an Große zu Lehèh: So finden wir
im ‚Sprengel der Hildesheiiner Kirche zunächst uïter der un-
mittelbaren Verwaltung des Bischofs stehiende Gebiete, kurz
bischöfliche Grafschaftsbezirke. Ferner gab es vom Bischof zu
L‘öhen gehende, Grafschäften und schliefilich Gräfschaften, die
entweder vom Kaiser oder aber von einer aliswärtigen Kirche ver-
liehen waren. Besonders im südlichen Teil der Diözese, wo die
Reichsabtei Gandersheim zählreiche Komitate kraft käißerlicher
Schenkuhiz besaß, gab es zahlreiche Uräfschaften, die zu dem
Hildesheimer Bischof in keiner Beziehung standen 2), Die
spätere Ehtwicklung wat die; daß der Bischof die sämtlichen
innerhalb seiner Diözese belegeneii Grafschaftsrechte in seiner
Händ vereinigte, und damit sein weltliches Herrschaftsgebiet
bis zu den Gtenzen seines kirchlichen Bezirks ausdehnte. Zur
Zeit unserer Betrachtung, also am Ende des 12. Jahrhunderts,
wär diese Entwicklung erst in ihren Anfängen. Überall im
Stiftagebiet war die weltliche Herrschaft des Bischofs durch seine
eigenen oder fremde Lehnsgrafen unterbrochen. Betrachten
wir sie jetzt einzeln.
Von Osten angefangen war es zunächst die Grafschaft Schladen
im Leragau, die sich im Besitz eines Grafengeschlechtes gleichen
Näinens befand, däs höchist wahrscheinlich mit den Edelherren von
Dörstädt eihes Stammes war 9). Im Westen und Süden der Graf-
schaft Schidtien lagen die ümfangreichen Grafschaften Wöltingerode
und Wolätüberg i im Besitz des mächtigen Grafengeschlechtà von
Woldènberg*i). Sie umfaßten eine Reihe von Gauen, nämlich dei
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 1}
südlichen Teil des Leragaues, Salzgau, Densigau, Ambergau und
mindestens einen Teil des Gaues Flenithi*). Die meisten dieser
Grafschaftsbezirke der Woldenberger waren, Lehen der Abtei
Gandersheim‘). Jedoch gehörten sie zur Diözese Hildesheim
und wurden auch später sämtlich von den Hildesheimer Bischöfen
für das Bistum erworben*). Noch im Gau Flenithi lag die
Grafschäft Bodenburg, die ein gleichnamiges Geschlecht wohl
ebenfalls als hildesheimisches Lehen. innehatte ®). Im Südwesten
der Diözese ist hauptsächlich die Grafschaft Homburg *) zu nennen;
die übrigen Grafschäften dieser Gegend, besonders Winzenburg
und Poppenburg, sind als Gräfengerichtsbezirke unter eigenen
Grafen nicht bekannt). Die kleinen Gaue im Westen und
Südwesten, wie Äringau, Gudingau, Valothungen und Scotelingen,
die das Bistum durch königliche Schenkung erworben hatte,
blieben zum größten Teil unverliehen *”). Im Norden der Stadt
Hildesheim dehnte sich fast über die ganze Breite der Diözese
der umfangreiche Gau Astlala oder Ostfalon (äuch Valen genannt)
aus?®). Auch dieser Gau, in dem die Stadt Hildesheim selbst
lag, war dem Bischof durch königliche Schenkung zugefallen **).
Der größte Teil dieses Gaues verblieb unter der unmittelbaren
Herrschaft des Bischofs; nur im Norden die sogenännte gtoße,
östlich davon die sogenannte kleine Grafschaft waren bischöfliche
Lehen der Grafen von Lauenrode®®), ferner im Nordosten die
Grafschaft Peine, ein bischöfliches Lehen des gleichnamigen
Grafengeschlechts #), und schließlich lag ebenfalls im Nordosten
eine Grafschaft am Ris°°), die die Grafen von Woldenberg vom
Bischof zu Lehen trugen. Auch diese Grafschaften wurden gämt-
lich bis auf die große Grafschaft der Grafen von Lauenrode im
Laufe des 13. Jahrhunderts von den Bischöfen zurückgekauft.
Die Grafschaftsbezirke Helen selten mit den alten Gauen zusam-
men, vielfach umfaßten sie mehrere Gauë, sehr häufig nur Teile
von, solchen. Innerhalb dieser Grafschaften hielt nun der Graf
als Richter und Vorsitzer an altherkômmilichen Dingstätten (unter
der Linde, uilter der Eiche, auf bestimmten Bergen oder Hügeln
oder an Brücken) das sogenannte echte Ding oder Grafengericht ab.
Dieses fand an jeder Dingstätte dreimal im Jahre äls sogenanntes
ungebotenes Ding statt. Da jede Grafschaft mindestens drei
12 W. Wittich
echte Dingstätten hatte, so wurde alle sechs Wochen etwa ein
echtes Ding abgehalten, das für den ganzen Bezirk der Grafschaft
zuständig war. Das echte Ding war das ordentliche Gericht für
alle Prozesse und Auflassungen über Eigengüter ohne Rücksicht
auf die Größe des Objekts und den Stand des Besitzers, soweit
diese Güter im Bezirk der Grafschaft gelegen waren. Alle freien
Grundeigentümer des Grafschaftsbezirks waren berechtigt, bei
dem echten Ding zu erscheinen, und aus ihrer Zahl wurden
die Urteilsfinder, die Schöffen, genommen. Wie weit sich die
Pflicht, beim Gericht zu erscheinen, die sogenannte Dingpflicht,
erstreckte, ist streitig”). Die freien Grundeigentümer bildeten
in doppelter Weise die Existenzbedingung für das echte Ding
oder Grafengerichtt. Zunächst erschöpfte sich die Kompe-
tenz des Grafengerichts so gut wie völlig in der Rechtsprechung
über ihr freies Grundeigentum°*), Ferner lieferten sie die
Schöffen, den wichtigsten Bestandteil des echten Dings. Aus
sämtlichen Teilen unseres Untersuchungsgebietes sind uns nun
Nachrichten überliefert, die das Bestehen dieser Grafschaftsver-
fassung unzweifelhaft erscheinen lassen. Der höchst verdienstvolle
Geschichtsforscher LÜNTZEL hat in seinem für die Zeit muster-
gültigen Werk „Die ältere Diözese Hildesheim“ die alte Gau-
verfassung im ganzen Stiftsgebiet in allen Einzelheiten nach-
gewiesen. Für unsere Betrachtung ist nur der Nachweis noch
zu führen, daß im 12. Jahrhundert überall die Zahl der freien
Grundeigentümer, obwohl schon beträchtlich zusammengeschmolzen,
doch noch immer erheblich war ‘).
Beginnen wir wieder mit dem Osten, so scheinen besonders in
dem Herrschaftsgebiet der Grafen von Woldenberg und der Grafen
von Schladen die freien Eigentümer sehr zahlreich gewesen zu
sein. Diese Grafschaftsgebiete umfaßten, soweit das Bistum Hildes-
heim in Betracht kommt, die alten Gaue Leragau, Saltgau, Den-
sigau und Ambergau. So hören wir aus dem östlichen Teil dieses
Gebietes von den umfangreichen Eigengütern der später dienst-
männischen Familie von Burgdorf zu Thiedwardingerode, Lewe,
Eilenrode und Dörnten (beide bei Goslar) und zu Goslar).
In Dorstadt lagen, abgesehen von den umfangreichen Eigengütern
der Grafenfamilien von Dorstadt-Schladen, zahlreiche Eigengüter
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 13
kleinerer Freier°®). Wir erfahren dies aus zwei Urkunden des
Bischofs Adelog von 1174 und 1175, die das Begräbnisrecht der
verschiedenen, an diesem Ort befindlichen Kirchen ordneten. Die
Familie des Edelherrn Arnold von Dorstadt hatte eine der hei-
ligen Cäcilie geweihte Kirche daselbst errichtet. Die am Ort
wobnenden Freien kauften sich von dem Begräbniszwang der
Mitterkirche durch Hingabe einer halben Hufe Landes los und
erhielten das Recht, sich gleich dem Geschlecht des Arnold in
der Cacilienkirche begraben zu lassen. In der zweiten Urkunde
wird den Freien das gleiche Recht bestätigt; zugleich fügt der
Bischof bei, daß an den Freigütern (libera bona), die etwa eigen
(propria facta fuerint) geworden seien, also wohl durch Ergebung
des Eigentümers in die Hörigkeit oder Ministerialität das Recht
der Freigüter verloren hatten, die Kirche der heiligen Cäcilie ihr
Becht behalten solle. Auf eine Interpretation dieser höchst merk-
würdigen Urkunde können wir hier nicht eingehen. Sicher ist,
das zahlreiche Freie mit Freigütern vorhanden gewesen scin
müssen, deren Zahl allerdings durch Ergebungen sich fortwährend
verminderte.
Ein Ort mit starkem Freigutsbesitz war ferner das Dorstadt
benachbarte Flôthe*) (Groß- und Kleinflüthe). Hier lag das
Stammgut und sonstiger umfangreicher Eigenbesitz der an-
zesehenen altfreien Familie von Flöthe-Covot (Kuhfuß); ferner
waren hier begütert die Freiengeschlechter von Glinde und de
Piacina (von dem Dike). Die Herren von Flöthe und von Piscina
traten später°”) in die hildesheimische Dienstmannschaft ein; die
lerren von Glinde, deren Heimat in der Grafschaft Mühlingen
lar, wurden Ministerialen des Erzstifts Magdeburg °”). Über ein
Mitglied der F amilie von Flöthe ıst uns eine urkundliche Nach-
richt erhalten, die mit seltener Dentlichkeit das Rechtsverhältnis
der altfreien Familien einer Grafschaft zum Grafen und den
Übergang dieser Familien aus der Freiheit in die Ministerialität
iarstell. Die Familie von Flöthe gehörte zu den freien und
«hüffenbaren Familien der Grafschaft Woldenberg. Zwischen
330 und 1240 beurkundete nun Graf Heinrich von Woldenberg
!n Tausch oder Wechsel zweier Frauen, von denen die eine,
jatta von Flötlie, als Sproß des alten Freiengeschlechts zu den
14 W. Wittich
Freien seiner (trafschaft gehörte, die andere aber eine Ministerialin
war! A Er nahm nun die Freie Jutta als Ministerjalin an mit
ihrer ganzen vorhandenen und zukünftigen Nachkommenschaft,
der Ministerialin und ‘ihren Kindern aber gestattete er, die Frei-
heit, die scepenbar genannt wird, zu genießen. Voraussetzung
dieser Ordnung der Rechtsverhältnisse waren zweifellos zwei
Heiraten. Die Freie hatte wohl einen gräflichen Dienstmann, die
Ministerialin einen schöffenbar freien Mann aus der Grafschaft
Woldenberg geheiratet. Zweifelhaft bleibt, ob die Ministerialin
zur Dienstmannschaft des ‚Grafen oder eines fremden Herrn ge-
hörte. Jedoch ist das erstere wahrscheinlich. Der Standes-
wechsel erfolgte zweifellos, um den Kindern aus den beiderseitigen
Ehen das Erbrecht in die väterlichen Hoflehen und Eigengüter
zu verschaffen, dessen sie, solange die Eltern ungleichen Standes
waren, nicht teilhaftig werden "konnten. Wir sehen, wie unbe-
denklich ‘die Freiheit mit der Dienstbarkeit vertauscht wurde,
da die Freiheit eine starke Abhängigkeit yon dem Herrn der
alten Hörigkeit ganz verloren hatte. Freiheit und dienstmännische
Stellung scheinen sich sozial gleichzustehen, für die Wahl des
einen oder anderen Standes sind nur Gründe wirtschaftlicher
Zweckmäligkeit maßgebend.
Wenden wir uns von dieser Südostecke unseres Unter-
suchungsgebietes nach Norden, d. b. also in den Osten und
Nordosten des Bistums, so finden wir in den Annalen des
Klosters Steterburg eine Quelle, die gerade über die Ver-
hältnisse der Freigutsbesitzer dieser Gegend ein helles Licht
verbreitet. Dieses im Tal der Oker zwischen Braunschweig
und Wolfenbüttel belegene Kloster erhielt im Jahr 1163 den
Propst Gerhard zum Vorsteher #). Er war der eifrigste Mehrer
des Klostergutes, und aus den genauen Aufzeichnungep über
seine Erwerbungen erhalten wir einen Begriff von der großen
Verbreitung des freien Eigentums in jener Gegend*”). So erwarb
das Kloster im Gebiet der benachbarten Grafschaft Peine zahl-
reiche Freiengüter, z. B. vier Hufen in Kleinen-Schwülper von
dem Freien Reinold, fünf Hufen zu Lafferde von zwei Brüdern,
Dietrich und Gerhard, und weiteren Grundbesitz am selben Ort
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 7
a4.
dienstmännischen nie von Lewe. Das De Großen-Mahper
suchte ‘der Propgt gänzlich anfzukaufen, hanptsächlich deshalb,
quia pene tota (se. villa) ad liberos pertinebat. Die Bedeutung
dieser Ausdruckgweige ist nicht ganz klar. Wahrscheinlich soll
damit nur gesagt sein, daß die Güter sich sämtlich noch in un-
mittelbarem Besitz der freien Eigentümer befanden und nicht als
Lehen ansgetan waren. Denn der mehrfach abgeleitete ] Lebens-
besitz machte den Erwerb solcher Güter für geistliche Anstalten
sehr schwierig. Es ist also hier der Gegensatz gemeint zwischen
Gütern, die sich noch in der ersten Hand des Eigentümers be-
finden, und solchen Güfern, die in die dritte oder vierte Hand
des Aftervasallen gekommen sind. So kaufte er im Jahr 1187
yon den Grafen von Poppenburg, Vater und Sohn, zwei "Hpfen
und zwei Hausplätze, ferner von dem Edelherrn Rudolf yon
Mahner eine Hufe aus dessen patrimonium zu Großen-Mahner tt).
Weiterhin 'erwarb er von dem Freien Dietrich eine Hufe und von
den Freien Di ietrich ynd Rikmann ebenfalls eine Hufe. Von zwei
Hörigen ges Edeiherrn Rudolf von Mahner erstand er mit dessen
Erlaubnis einen Hausplatz und sieben Joch Ackerlandes, endlich
von der Witwe des Johannes von Mahper, eines Bruders des
Rudolf, und ihren Söhnen einen Mansyg und zwei Hauspläfze.
Alle diese Verkäufe wurden in dem echten Ding des Grafen
Lndolf v von Woldenherg, wozu diese Güter gehörten, vollzogen.
Dies sind die ausdrücklich namhaft gemachten Erwerbungen des
Klosters i in Mahner, jedoch müssen noch weitere, nicht einzeln anf-
geführte seitens des Propstes gemacht worden sein. Denn im
Jahr iigi bestäfigte Bischof Berno dem Kloster pnter großer
Anerkennung seines Vorstehers das Eigentum von 14 Hufen und
15 Hausplätzen zu Mahner!). So gab es also am Ende des
12. Jahrhunderts noch ganze Dörfer, in denen sämtlicher Grund-
besitz freies Eigentum persönlich freier Leute war. Allerdings
können wir unter digsen freien Eigentümern keine freien Bauern,
die ihre Güter mit eigener Hand bestellten, beobachten. Wir
16 W. Wittich
lesen nur von Grafen, Edelherren, Stadtbürgern und vielle:
auch von nichtritterlichen Besitzern, die sämtlich ihre Freigi
durch Hörige oder freie Meier bewirtschaften ließen. Ich :
damit das Vorhandensein freier Bauern unter den freien Eig
tümern keineswegs in Abrede stellen. Ich will nur HECK geg
über, der neuerdings jeden nicht näher qualifizierten freien Eig
tümer für seine bäuerlichen Schöffenbaren beansprucht, ausdrü
lich betonen, daß die freien Eigentümer, deren Stand gena
wird, sämtlich den höheren Ständen angehören, und daß
irgendeine sichere Überlieferung über bäuerliche Grafscha
freie dem bisher geschilderten Quellenkreis nicht entnehr
können.
Nicht minder häufig, als im Südosten, Osten und Nordos
des Bistums, waren die freien Eigentümer im Norden und Nc
westen, dem Land östlich der Leine, dem alten Gau Astfalon o
Astfala. Er umfaßte den größten Teil des Bistums, auch
Stadt Hildesheim lag darin. In seiner weitesten Ausdehnı
erstreckte er sich wahrscheinlich bis zur Oker und umfaßte
Grafschaft Peine und welfisches Gebiet, dessen Dingstätte s
zu Bettmar befand. Der westliche Teil des Gaues enthielt
Südwesten das unmittelbar dem Bischof verbliebene Gebiet,
dieser durch seinen Vogt die Grafenrechte ausübte; im Nor:
und Nordosten dieses Teils lagen die große und die kleine G:
schaft, die Lehen der Grafen von Lauenrode‘?). Betrachten
zunächst das dem Bischof bezw. seinem Vogt unmittelbar un:
worfene Gebiet des Ostfalengaues, so finden wir hier umfa
reichen Eigenbesitz des edlen Geschlechts von Depenau *°). Hau
sächlich in dem Dorf Hotteln, wo wahrscheinlich das Stamm
des Geschlechtes lag, und ferner zu Giesen war die Familie re
begütert. Weiterhin war die wohl sicher altfreie Ministerialenfam
der Vögte von Hildesheim zu Heisede und Förste mit Eig
gütern angesessen “). Ebenso hatten die von Saldern wahrschc
lich Erbgüter zu Sarstedt‘°).
Wir kommen nun zu demjenigen Gebiet, wo das fr
Eigen und die Freien am stärksten vertreten waren, :
sogenannten großen und kleinen Grafschaft im Nordwes
des Gaues Astfalon“). Zu Ende des 12. Jahrhunderts wa
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 17
noch beide Grafschaften im Lehnsbesitz der Grafen von Lauen-
rode. Erst zwischen 1230—1236 fanden die Verhandlungen
zwischen dem Bischof von Hildesheim als dem Lehnsherrn und
den Grafen von Laüenrode statt, die schließlich zum Übergang
der kleinen Grafschaft an das Bistum Hildesheim und zum
definitiven Lehnsbesitz der ganzen gräflichen Familie an der
sroßen Grafschaft führten’), In beiden Grafschaften finden wir
schon früh einen sehr bedeutenden Eigenbesitz hochangesehener
Grafen- und Edelherrengeschlechter. In erster Linie steht da
der Graf Adelbert von Haimar, der Stammvater der Grafen von
Wernigerode*). Dieses Geschlecht, das wohl in der großen Graf-
schaft seinen Stammsitz hatte und erst später in den Harz kam,
verfügte in zahlreichen Dörfern, die nachweislich zur großen oder
kleinen Grafschaft gehörten, und in der weiteren Umgebung über den
reichsten Grundbesitz. Einzelne Dörfer, wie Evern, in der großen
Grafschaft, und Bründeln, wahrscheinlich in der kleinen Grafschaft
belegen, gehörten ihm ganz“). Große Eigengüter hatte ferner
die Familie der Edelherren von Wassel in der großen Grafschaft,
wo auch ihr Stammsitz, das Dorf Wassel, lag”). Diesem Ge-
schlecht gehörten die vicedomini des Bistums Hildesheim an.
Die wahrscheinlich aus dieser Familie stammende Edelfrau Friderun
von Scharzfeld schenkte in Jahr 1187 einen Hof mit vier Hufen
Eigen zu Sehnde in der großen Grafschaft an das Kloster
Steterburg‘°). In der kleinen Grafschaft lag das große Allod
des mächtigen Grafengeschlechts von Assel. Gräfin Adelheid
von Schaumburg, die Tochter des letzten Grafen von Assel,
schenkte 1186 aus diesem Allod 18 Hufen und eine Mühle, be-
legen zu Udelen (Oedelum) in der kleinen Grafschaft, an das
Kloster Loccum®®). Weiterhin erscheinen, allerdings in späterer
Zeit, die Grafen von Dassel als Eigentümer beträchtlicher Güter
in der großen Grafschaft?’).,. Endlich sind auch die Edelherren
von Depenau und von Dorstadt als Eigentümer in der großen
Grafschaft zu erwähnen°?). Dieses umfangreiche Eigentum be-
hielten die erwähnten Edelherren nur zum kleineren Teil in
eigenem Besitz und eigener Nutzung, zum größeren Teil gaben
sie es an bischöfliche und sonstige Dienstleute zu Lehen. Da-
her finden wir in beiden Grafschaften zahlreiche Ministerialen mit
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 2
18 W. Wittich
Lehngütern angéséssen. Besonders die Grafen von Wernigerode
hatten viele Vassallen in diesem Gebiet°?).
So eingehende Nachrichten wir über den umfangreichen Eigen-
gutsbesitz der großen Adelsgeschlechter in beiden Grafschaften haben,
so mangelhaft sind wir über die kleineren freien Grundeigentümer,
die Freien im gewöhnlichen Sinn des Wortes, informiert. Zwar
missen sie in nicht geringer Zahl vorhanden gewesen sein. Denn in
den Verhandlungen zwischen dem Bischof von Hildesheim und
dem Grafen von Lauenrode über den Rückkauf der kleinen
Grafschaft wird ihrer sehr häufig Erwähnung getan. Aber nur
höchst selten erfahren wir einen Namen, der uns gestattet, die
soziale Stellung dieser Freien näher kennen zu lernen. Soviel
ich sehe, treten nur in einer Urkunde Persönlichkeiten als Zeugen
auf, die nach ihrer ganzen Qualifikation diesem Freienstand
angehört haben müssen. Im Jahr 1178 erbauen die Bewohner
der zur großen Grafschaft gehörigen Dörfer Ost- und Nordlopke
eine Kirche zu Ostlopke und lösen die neue Gemeinde von der
Mutterkirche Lühnde durch Hingabe einer Hufe in Ostlopke
an die Mütterkirche°‘). Außerdem schenken sie zur Ausstattung
ihrer neuen Kirche zwei Hufen. Zeugen bei diesem Geschäft
sind nach zahlreichen Geistlichen, Gerardus et Fridericus liberi
homines; Bruno de Kemme, Liuderus, Haoldus, Johannes, Bat-
hardus, Adelbertus, Isoi, Bruninghus, Bernardus, Ido et ceteri
parochiani. Da die nicht genannten Zeugen als ceteri parochiani
zusammengefaßt werden, so müssen die vorher namentlich ge-
nahnten mindestens zum Teil angesehene parochiani der Gemeinde
und damit angesehene Bewohner der Dörfer gewesen sein. Die
angesehensten Bewohner der Dörfer waren aber nach den
späteren Darlegungen (pag. 19—26) freie Leute (Grafschaftsfreie).
Daher können wir annehmen, daß die parochiani der Urkunde
sämtlich oder zum größten Teil dem Stand der Grafschaftsfreien
angehörten. Welche von den Urkundenzeugen sind nun mit an-
nähernder Sicherheit als parochiani zu betrachten? Zunächst sind
Gerardus et Fridericus liberi homines unzweifelhaft Angehörige
des Edelherrengeschlechts de Novali’*). Nach ihnen folgt Bruno
von Kemme, ein bekannter bischöflicher Dienstmann‘*). Es ist
möglich aber nicht wahrscheinlich, daß diese drei Personen
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 19
parochiami der Dörfer waren, zu den Grafschaftsfreien gehörten
sie sicher nieht. Die ilinen nachstehenden heun, nur mit Vor-
name# genannten Personen mögen sowohl parochiani der Dörfer
ıs auch Grafschaftsfreie gewesen sein) Es ist hun sehr
wabrscheialich, daß mindestens ein Teil von ihnen dem später
dienstmännischen Geschlecht der Herren von Lopke angehörte.
Denk wir finden in dieser Familie die Vornamen Luder°®)
und Adaïbert*} wieder, und ätßerdem war sie auch in Lopke
begütert°®). Die einzige Urkunde, die eine genauere Identifizierung
der Grafschaftsfreien gestattet, weist also mit größter Entschieden-
keit auf enen Familiewzusammeñhañg wenigstens einiger dieser
Persoéem mit bischöflichen Dienstmannsgeschlechtern Kin.
Wenden wir uns jetzt zu den Nachrichten, die die Verhandlungen
nische Bischof Konrad von Hildesheim und dem Grafen Konrad
von Eatexrode über die Freie enthalten. Diese Verhandlungen,
die in den Jahren 1230 bis 1236 stattfanden, drehten sich in
der Baiptsache um die Rückerwerbung der als hildesheimisches
Leben in der Hand des Gräfen von Lawenrode befittdlichen kleinen
Grafschaft seitens des Bischofs. Zunächst verpfändete im Jahr 1235
der Graf die kleine Grafschaft an den Bischof für die Dauer von
fünf Jahren gegen ein Darlehen von 130 Hildesheimer Pfund *?).
Über de Bewohnerscliaft beider Grafschaften wurde folgende
Verabredung getroffen: Insuper fuit adieétum quod si de comicia
maïori ad minorem vel e converso aliquos homines transire contingat,
Mi domino ad quem' pertinet ea comicia, de qua recesserunt, debite
servitutis obsequio sicut antea maneant obligati. Hier wird also
der Grundsatz der Personalität ausgesprochen, d. h. die Unter-
tanen«chaft bestimmt sich nicht nach dem augenblicklichen Wohn-
tz. sondern nach dem Ort der Geburt, der Heimat der be-
treffenden Person. Im Jahr 1236 veräußerte der Graf endgültig
die kleine Grafschaft an den Bischof und erhielt dafür für sich
und seine männlichen und weiblichen Verwandten die Belehnung
mit der großen Grafschaft’®). Die Rechtsverhältnisse der Unter-
tanen wurden folgendermaßen geregelt. Frauen gehen durch ihre
Verheiratung mit einem Manne der fremden Grafschaft ipso iure
in die Angehörigkeit zur Grafschaft des Ehegatten über. Grund-
bitzer, die in beiden Grafichaften Güter haben, müssen beiden
20 | W. Wittich
Herren dienen. Geben sie die Güter in der einen Grafschaft
auf, so bleiben sie dem Grafschaftsherrn, in dessen Gebiet ihr
zurückbehaltener Besitz belegen ist, untertan. Die nicht mit
Grundbesitz versehenen Personen, die zu deutsch ungehovede
genannt werden, bleiben dem Herrn untertan, in dessen Gebiet
sie zur Zeit des Vertragsabschlusses sich aufhielten. Gehen sie
später in die fremde Grafschaft, so kann der Herr sie zurück-
fordern. Wer von ihnen zur Zeit des Vertragsabschlusses außer
Landes weilte, kann bei seiner Rückkehr den Wohnsitz und da-
mit die Grafschaftszugehörigkeit wählen.
Der Grundsatz, daß der Ort der Geburt für die Grafschafts-
angehörigkeit entscheiden soll, ist hier aufgegeben. Die Frau
geht durch die Heirat in die Grafschaftsangehörigkeit des Mannes
über, sie behält also nicht ihre angeborene Grafschaftsangehörig-
keit. Für die Untertanenschaft der Grundbesitzer ist entschei-
dend die Lage des Grundbesitzes. Sie können, wenn sie in
beiden Grafschaften begütert sind, eine doppelte Grafschafts-
angehörigkeit besitzen. Das Bestreben der Grafschaftsherren
scheint dahin zu gehen, sie zur Aufgabe des Grundbesitzes in
einer der beiden Grafschaften zu bewegen. Für die Grundbesitz-
losen entscheidet der Wohnsitz zur Zeit des Vertragsschlusses.
Zu diesen Verhandlungen tritt nun noch eine Urkunde
aus der Zeit zwischen 1230 und 1236°°), in der Bischof
Konrad von Hildesheim auch die große Grafschaft von dem
Grafen von Lauenrode zurückerwirbt, quod (sc. comes) in
comicia maiore, quam de manu nostra tenebat, et sita est
circa silvam, que dicitur Northwalt, affligeret nostros liberos
homines ad ecclesiam nostram maiorem pertinentes et angariis et
perangariis nimis inhumane tractaret, diversos tractatus habuimus
cum ipso de pace facienda eisdem pauperibus. Das hier er-
wähnte Geschäft hat wahrscheinlich niemals stattgefunden; denn
die große Grafschaft blieb im Besitz der Grafen von Lauenrode,
bis sie an die Herzoge von Braunschweig-Lüneburg überging ®°).
Jedoch ist dies für unsere Betrachtungen ohne Belang, da die
Echtheit, d. h. die Abfassung des Dokuments in dieser Zeit,
zweifellos ist. Hier werden die Freien der großen Grafschaft
ausdrücklich erwähnt; sie sind Freie der maior ecclesia und wer-
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 21
den von dem Grafen mit Fronden belastet. In den Verhand-
lungen über die kleine Grafschaft werden die Freien ausdrück-
lich nicht erwähnt. Jedoch sagt das Chronicon Hildesheimense
bei der Aufzählung der Taten des Bischofs Konrad von Hildes-
heim: videns etiam angarias et oppressiones liberorum minoris
comitie iuxta Nortwolt emit eandem a comite Conrado de Lewenrod
trescentis octoginta libris monetae Hildensemensis®!). Es lagen
also die Verhältnisse in beiden Grafschaften ziemlich gleichartig.
Auch in der kleinen Grafschaft bedrückte der Graf die Freien
mit Fronden und dergleichen Lasten, und hier fand der bei der
großen Grafschaft wohl nur geplante Rückkauf tatsächlich statt.
Die Vereinbarungen über die Grafschaftsangehörigkeit müssen
daher in erster Linie auf die Freien bezogen werden. Denn deren
Verhältnisse sollten ja geordnet und gebessert werden. Allerdings
ist nieht ausgeschlossen, daß auch die übrigen Bewohner der
Grafschaften einbegriffen waren.
Unter der Annahme, daß die Vorschriften über die Graf-
schaftszugehörigkeit in erster Linie für die Freien berechnet
waren, ergibt sich über deren soziale und rechtliche Ver-
hältnisse folgendes Bild. Es gab verschiedene Arten von Freien,
die sich hauptsächlich durch die Größe ihres Grundbesitzes
unterschieden. Ein Teil besaß Güter an verschiedenen Orten,
ja sogar in den beiden Grafschaften. Natürlich begriff dieser
Teil die sozial am höchsten stehenden Freien in sich. Ein
anderer Teil war nur an einem Ort begütert, ein dritter war
ganz grundbesitzlos. Seine Angehörigen hießen im Gegensatz zu
den freien Hofbesitzern die „Ungehoveden“. Alle Freien befanden
sich schon damals in einer strengen Abhängigkeit vom Grafen,
die nach der Art der Hörigkeit oder Ministerialität gestaltet war.
Ihre landreehtliche Freiheit und Zugehörigkeit zum Grafschafts-
gericht und Verband hatte sich in eine Art Grafschaftshörigkeit
verwandelt. Sowohl persönlich wie hinsichtlich ihres Grund-
eigentums waren sie dem Grafen abgaben- und dienstpflichtig.
Der Inbegriff ihrer Verpflichtungen dem Grafen gegenüber wird
obsequium debite servitutis genannt‘®). An ihren Freigütern be-
ensprucht der Graf ein Obereigentum°®®), das wahrscheinlich in
éinem Heimfallrecht an den Grafen beim Aussterben der Freien-
29 W. Wittich
familie zum Ausdruck kam°). Veräuferangen von Freigütern
waren nur innerhalb des Kreiges der Freien der betreffenden
Grafschaft unbeschränkt gestattet. Bei Veräußerungen an Fremde,
wozu auch Kirchen, Grafen, Edelleute u. s. w. zählten, war dje
Erlaubnis des Grafen erforderlich**), da das Land dann meistens
aus dem Verband der Grafschaft ausschied. Überhaupt spielten
die Freigüter bei der ganzen Grafschaftsyerfassung eine sehr be-
deutsame, wahracheinlich schon damals die wichtigste Rolle.
Die Nachrichten über diese Froigüter sind ebenso apärlich als
die über die Freien selbst, aber immerhin ausreichend, um fine Ver-
stellung von der Wichtigkeit dieser Freigüter für das ganze nelt-
same Verfassungagehilde zu bekommen. Im Jahr 1958 erwerh
das Kloster Loceum in dem Dorf Udeln (Odelym) der kleinen
Grafschaft zwei Hufen“). Davon war eine Hufe Lehen des
hildesheimischen Ministeriglen Bathard von Ugelg vom Bigchof.
Die andere Hufe, qui vulgariter vrikove dicitur, gehörte in die
kleine Grafschaft, die der Bischof vom Grafen erwerben hatte.
Diese Hufe hatten Christianus und Johannes vom Birchpf (a nobis)
ianegehabt (tenuergpt), und diese resignierten dem Bischof die
Hufe zur Übertragung an das Klogter. Nehmen yir an, daß es
sich bei der Freihufe nicht ebenfalls um ein Lehnsrerhältuig,
sondern um Eigentum der beiflen Besitzer an der Hufe gehandelt
hat, go war dieses Eigentum schon völlig in ein lebnpartigps
Besitzrecht umgebildet worden, untersebied sieh also: nur nprh
formell, aber nicht mehr materiell von dem Lebpyecht deg
Ministerialen. Pie Hufe als golche war grafschaftspfliehtie, nicht
weil ihr angpablicklicher Jahaber ein freier Eigentümer war,
sondern weil ein solches Rechtsverhälinis vor Zeiten einmal ap
der Hpfe bestanden, und der Grafschaftskerr vermöge dessen
hestimmte Rechte an der Hufe erlangt hatte. Es war also die
Rechtsqualität des Inhaherg zn einer Rechtsanglität des Grand-
stückg geworden. Die wahre Grundlage des Grafsshaftsverhandes
waren nieht mehr wie früher freie Menschen, sondern freie Hüter.
Aus diesem Grund schieden auch die Grnndstücke, wenn sie iq
die Hand von außerhalb des Grafschaftgverhandeg stehenden Per-
sonen gelangten, nicht mehr aus dem Grafurkaftsyerhand aus,
Ja selbst das Besitzrecht an freien Gütern brauchte nicht wehr
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 23
Eigentum oder, besser gesagt, Grafschaftsbesitzrecht zu sein”),
Im Jahr 1270 befreite der Bischof Otto von Hildesheim den Hof
des Maria-Magdalena-Klosters zu Farmsen auf zehn Jahre à iure
placiteram, que liberi homineg nostri eidem ceurie raeione quorun-
dm bonorum liberorum gdhibere procnrant‘®). Also die Zu-
gebörigkeit der klösterlicehen Güter zur Grafschaft bleibt grund-
sstzlich bestehen, nur vorübergehend wird die Pflicht sistiert.
Schon zur Zeit des Übergangs der kleinen Grafsehaft aus der
Hand der Grafen von Lauenrode an den Bisehof von Hildesheim
mässen diese Rechtsverhältnisse der Freigüter bestanden haben.
Dean nur unter ihrer Annahme wird eine bisher ganz dnnkle
Stelle verständlich. In der Urkunde vom Jahr 1236 (II. 16)
verbüret sich der Graf von Lauenrode dem Bischof dafür, daß
niemand in der kleinen Grafschaft sieh irgendein Recht anmaße,
sußer auf sechs Hufen, die der Bischof weiterverleihen will
(gas porrigemus), d. h. deren Lehnsbesitzer der Bischof in
ihrem Besitz bestätigen will”). Von diesen Hufen hat der hildes-
heimische Marschall (Konrad von Emmerke) zwei zu Eilstrenge,
Burkhard von Saldera zwai in Schwiecheldt, Dietrich von Promen
swei ebenfalls in Eilstrenge. Außer diesen erkennt der Graf
keinem ein Recht oder eine potestas in der kleinen Grafschaft
ss. Es ist nun völlig ausgeschlossen, daß in der kleinen Graf-
schaft keine andern Lehns- und Ejgentumerechte von Klöstern,
Kirehen, Grafen, Edelherren und Ministerialen an Höfen, Huten
me Grundstücken bestanden haben sollen. Wir besitzen zahl-
reiche Urkunden, die das Bestehen solcher Rechte zu dieser Zeit
ia der kleinen Grafschaft außer allen Zweifel setgen. Die Ur-
kunde besagt also nicht, was men leicht annehmen könnte: in
der kleinen Grafschaft bestehen außer den Lehnsrechten der
dr; Ministerialen an sechs Hufen lauter Eigentumsrechte graf-
sehaftspfliehtiger Fraier, sondern sie will sagen: in der kleinen
Grafsghaft sind vom grafscheftsphichtigen Freignt nur sechs Hufen
a» ritterliehe Lente zu Lehen gegeben. Nur diese Interpretation
et einen mit dep übrigen Nachrichten vereinharen Sinn. Die
Selle sieht also von dem ührigen Grundbesitz in der kleinen
wefschaft völlig ab. Sie hat nur das freie Grafschaftegut im
kage. Dieses Koll nicht an Ritter verliehen werden, weil es als
24 = W. Wittich
Lehen rittermäßiger Leute leicht der Grafschaftslast entfremdet
werden kann.
Fassen wir alle diese Nachrichten zusammen, so kann es
wohl kaum zweifelhaft sein, daß die grafschaftspflichtigen Freien
in der kleinen und großen Grafschaft schon zu Beginn des
13. Jahrhunderts wirtschaftlich, sozial und rechtlich, wenigstens
ihrer Masse nach, zum Bauernstand gehörten. Sie hatten in der
Regel nur einen Hof, den sie selbst bewirtschafteten, und von
dem sie Fronden und Abgaben an den Grafen leisteten. Die
Nachrichten über ihre Bedrückung durch den Grafen und die
Ausdrucksweise der Urkunde, die sie als pauperes (arme Leute,
eine Art terminus technicus für Bauern) bezeichnet, deuten diese
soziale Stellung an. Nicht leicht ist die Frage zu beantworten, ob
diese Freien der großen und der kleinen Grafschaft nach der
Terminologie des Sachsenspiegels Schöffenbare oder Pfleghafte
waren. Wir lassen sie einstweilen offen, da ihre Entscheidung
für die uns beschäftigenden Probleme nicht wichtig ist und da-
bei auf die neuerdings von HECK ausgesprochenen Ansichten
ausführlich eingegangen werden müßte. Aber diese bäuerliche
Lebensweise und Stellung war nicht allen Grafschaftspflichtigen
von Uranfang gemeinsam und eigentümlich. Darauf deutet noch
die Urkunde vom Jahr 1236 (II. 16), die grafschaftspflichtige
Freie mit Grundbesitz in beiden Grafschaften kennt. Anderer-
seits war die Entwicklung der Grafschaftsverfassung mit Ver-
wandlung des freien Eigentümers in einen zins- und dienst-
pflichtigen Grafschaftsbauer nicht abgeschlossen. Der nächste
Schritt war der, daß Kirchen und Edelleute die Freigüter teils
zu Eigen, teils zu Lehen erwarben, den Grafschaftsbauer also
auch seines Untereigentums entkleideten ’°). Aber die Grafschafts-
verfassung war stärker als das Recht der alten Freien an ihren
Gütern. Der Graf erzwang die fortdauernde Zugehörigkeit der
Freigüter zur Grafschaft. Soweit die Freigüter dergestalt in
die Hand größerer Grundherren kamen, setzten diese neuen
Herren bäuerliche Meier auf die Höfe, die ihren Meierzins zahlten
und dem Grafen gegenüber die Pflichten der Freien erfüllten und
deren Rechte wahrnahmen. Sie wurden schließlich selbst als Freie
bezeiehnet, obwohl das wichtigste Merkmal der Freiheit, das
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 95
Grafschaftseigentum an ihren Gütern, ihnen in jeder Hinsicht
fehlte. Nur die äußere Form war erhalten geblieben, der Inhalt,
das Wesen der alten Verfassung war längst verschwunden. Je-
doch führt diese Entwicklung weit über die in Rede stehende
Periode hinaus.
Für unsere Betrachtung wesentlich ist nur der Umstand,
daß zu Beginn des 13. Jahrhunderts in der kleinen und
großen Grafschaft im Nordwesten des Bistums Hildesheim freie
Eigentümer in bedeutender Zahl vorhanden waren. Aber diese
freien Eigentümer zeigten in ihrer wirtschaftlichen, sozialen und
rechtlichen Stellung die denkbar größten Gegensätze. Ein Teil
dieser Freien bestand aus hochangesehenen Edelherren, die sogar
zumeist die Grafenwürde erlangt hatten, ein anderer Teil aus
Freibauern, deren ursprünglich freies Eigentum vom Grafen mit
Zins und Diensten belastet war, und deren persönliche Stellung
sich ebenfalls in eine eigentümliche Grafschaftshörigkeit verwan-
delt hatte. Ein gemeinsamer Ursprung war trotz dieser Gegen-
sätze unverkennbar, die alte Form der Freiheit war beiden ebenso
gemein, wie sich der Inhalt dieses Rechtes geändert hatte. Beide
hießen gleichmäßig Freie, das Recht an den Gütern hieß echtes
Eigen bei Grafen und Bauern, beider Güter gehörten vor das
gleiche Grafengericht; auch das Eigen der Edelherren scheint
ursprünglich mit Leistungsverpflichtungen dem Grafen gegenüber
beschwert gewesen zu sein’!), Aber im Beginn des 13. Jahr-
hunderts besteht der schroffste Gegensatz, der denkbar wei-
teste Abstand zwischen beiden, die verbindenden Zwischen-
glieder einer mittleren Klasse fehlen. Der Stand freier kleinerer
Grundherren, den wir im Osten des Bistums in überaus charakte-
ristischen Vertretern angetroffen haben, scheint hier nicht vor-
handen zu sein. Reste finden sich allerdings und auch An-
deutungen, daß er früher in größerer Zahl vorhanden war, aber
zu Beginn des 13. Jahrhunderts besteht er nicht mehr; gräfliche
Edelherren und Grafschaftsbauern sind die freien Eigentümer
in diesen Gebieten. |
Das Freigut der Edelherren ist wirkliches freies Eigen-
tum, d. h. es ist frei. veräußerlich und Abgaben oder son-
stigen Leistungsverpflichtungen an den Grafen nicht mehr unter-
26 W. Witich
worfen. Jedoch müssen alle Geschäfte und Verfügungen über
dasselbe im echten Ding des Grafen vorgenommen werden,
Das Freigut der Grafschaftefreien ist zins- nnd dienstpflichtig;
es hestehen gewisse Veräußerungsbeschränkungen nnd ein
Heimfallsrecht des Grafen an demselben. Die Eigenschaft als
Grafschaftsgut, d. h. der Inbegriff der Rechte und Pfliehten der
Grafschaftsfreien hinsicht}ich ihrer Güter, heftet sich nun wie eine
Reallast (oder Realrecht) auf bestimmte Güter, Die Güter be-
halten diese Rechte und Pflichten, auch wenn sie aus dem Eigen-
tnm der Grafschaftafreien etwa durch -Heimfall in die Hand des
Grafen oder durch Kauf in die Hand von Kirchen oder Kdel-
leuten übergehen. Der Graf kann sie dann zu Lehen geben,
die Kirche oder der Ritter kann sie zu freiem Eigen innehaben.
Aber die Pflicht gegenüber dem Grafschaftshern muß erfüllt
werden. So kann ein Edelherr alten, völlig freien Eigen hesitsen
und anderprseita grafschaftspflichtiges Gut ehenfalls an Kigentum
haben, von dem er die Leistungen des ehemaligen Grafschafts-
frejen schuldet,
Wir haben sn die weite Verbreitung und Häufigkeit des freieg
Eigentums und der Freien in allen Teilen des Stiftagebietes fest-
gertellt. Allerdings sind die sozialen und rechtlichen Verhältniene
dieser Frejen ynd ihres Grundeigens zu Anfang des 13. Jahr«
hnnderts durchaus verschiedenartig ; der ursprüngliche einheitliche
Stand ist in soharf getrennte Klassen gespalten, aber die allen
gemeinsame Grafschaftaverfassung besteht noch; der wichtigste
Vereipigungspunkt int das eshte Ding, das Grafengerieht, in dem
alle Geschäfte über Freigüter vollzogen werden müssen.
$ 4 Die Ministerialen im Grafengericht und
ihr Erbeigen.
Betrachten wir nun die Beziehungen der Ministerislitéé zu
dieser Grafschaftaverfassung, zu den Freien und ihren Gütern
«y Ende des 12. und zu Beginn des 18, Jahrhunderte. Zunliehet
ist klar, daß der Ministerial als solcher keine Beziehung zur
Grafsehaft haben kann. Ministerialität und Grafsohafteverfaagung
bilden ja gerade den größten Gegensstz. Der Ministerial ist per-
sönlieh upfrei, er steht außerhalb des Landrechts ; sein Recht ist
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 27
das Dienstrecht, das seine Standes- und Besitzrerhältpisse be-
sümmt. Er hat sein Gut zu Hoflehen, seinen Gerichtsstand im
Hofgericht. Der Besitz yon Freigut ist mit der Freiheit eng
verbunden. Der Ministerial als Unfreier ist echten Eigens nicht
fahig; er kann als handelnde Partej in dem echten Ding nicht
aufiseten, geschweige das Schüffenamt bekleiden”’). Alle diese
Sätze sind in der Natur der Sache begründet, Wenn die Graf-
schaßteyeriassung eine Verfassung der Freien ist, so kaan ein
Unfzeier nicht daran teilhaben. Aber die Praxis entspricht
keinaswegs diesen Prinzipien, wir finden im Gegenteil die aller-
engste Verbindung zwischen Dienstleyten und Freies, zwischen
Ninisterig)ität und (srafschaftsverfassung. Beginnen wir mit der
Gerichtgverfassung, und zwar dem echten Ding, dem Grafen
eenight.
Aus allen Teilen unseres Untersuchungsgebietes ist uns
die Toilaabme der Ministerialen am pehten Ping in zahlreichen
Urkunden bezengt. Sphon im 18. Jahrhundert treten sie im
Grafengaricht auf. So erfolgt eine Anflassung von Eigengut in
magno pigeito episcopi zu Bodenburg im Jahr 1182. Anwegend
waren als Zeugen eine große Anzahl yon Edelherren und fere
ompes Hildensomenses ministeriales ’#). Allerdings bephachten wir
in dieser früheren Zeit noch ein starkes Vorwiegen freier Herren
auter den Teilnehmern des echten Dings. So sind die Gerichts-
wilachmer im Jahr 1187 hei der Übertragung der Güter zu
Mabner im echten Ping des Grafen Ludolf von Woldenberg zum
eröfsen Teil Edelberren und nur in ihrer Minderzahl nachweisbar
alteeie Ministerialeg 4). Aher in den aus den 90er Jahren des
12. Jshrhunderts stammenden Gerichtsurkunden der Woldenberger
Grafen überwiegen wieder die Ministeriglen in den Zeugenreihen °°).
Bei der wichtigen Übertragung des Erbes der Familie von Assel
aa das Bistum Hildesheim, die im echten Ding der Grafen von
Woldeaberg zu Holle stattfand), werden nur zwei bekannte hildes-
beimische Ministerialen ale Zeugen anfgeführt'®. Im 13. Jahr-
kandert bilden die Ninisterialen den wichtigsten und zahlreichsten
Bestandteil der Teilnehmer am echten Ding ; unzweifelhaft werden
ass ihrer Mitte aueh die Schöffen genommen. Neben den Mini-
seriglen treten die Kdelherren vüllig zurück, nur Stadthürger
28 W. Wittich
und vielleicht hie und da auch Grafschaftsfreie kommen noch
als Echtedingsteilnehmer in Betracht. Diese Verhältnisse sind
in allen Teilen unseres Untersuchungsgebietes ziemlich gleich-
artig mit der Ausnahme, daß im Osten die Zahl der freien Ge-
richtsteilnehmer entsprechend der schon früher dort beobachteten
größeren Verbreitung der freien Edelherrengeschlechter ebenfalls
eine größere. ist als im Westen, wo die Ministerialen mit Stadt-
bürgern die weit überwiegende Mehrheit der Gerichtsversamm-
lung bildeten. Da die unten angeführten Urkunden den Nach-
weis für die verschiedenen Gebiete des Bistums erbringen ’®), wollen
wir hier nur einen Bezirk, der uns besonders interessiert, näher
betrachten, nämlich das bischöfliche Ostfalen, d. h. den in un-
mittelbarem Besitz des Bischofs verbliebenen Teil des Gaues
Astfalon 7), und ferner die Grafschaft der Grafen von Lauenrode
im gleichen Gau.
Im 12. und 13. Jahrhundert wurde der bischöfliche Teil
des Gaues Astfalon von ministerialischen Vögten aus dem Ge-
schlecht der Herren von Altenmarkt verwaltet”®),, Insbeson-
dere hielt der Vogt im Namen des Bischofs das echte Ding
für das bischöfliche Herrschaftsgebiet ab. Das Verhältnis des
Vogts zum Bischof war ursprünglich ein Beamtenverhältnis, und
auch in späterer Zeit übernahm der Bischof selbst gelegentlich
den Vorsitz im Gericht?®). Jedoch hatte sich, wie alle Ämter,
so auch diese Vogtei zu Ende des 12. Jahrhunderts in ein Lehen
verwandelt; der Vogt machte ein eigenes vererbliches, teilbares,
ja sogar veräußerliches Recht darauf mit Erfolg geltend. Leider
sind uns nur wenige Auflassungsverhandlungen, die vor diesem
Gericht vollzogen wurden, ausführlich überliefert. Immerhin geben
sie hinreichenden Aufschluß über die Standeszugehörigkeit von
Schöffen und Dinggenossen.
Die älteste Urkunde betrifft die Übertragung des Eigen-
gutes des Heinrich de Insula zu Förste an den Bischof °®).
Sie fand statt im Jahr 1189 am Ort ad piscinas, wohl in
nächster Nähe der Stadt Hildesheim. Dieser Heinrich von
Insula war der Bruder des Vogts Hugo von Altenmarkt.
Vorsitzer des Gerichts war unzweifelhaft dieser unter den Zeugen
an erster Stelle genanute Vogt Hugo. Weiterhin werden als
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 29
Zeugen genannt Lippold von Escherde, ein naher Verwandter
und wohl Geschlechtsgenosse der Familie von Altenmarkt, : ferner
Lippold, der Sohn des Vogts, Eberhard von Emmerke, Matheus
von Barem, Luder und Konrad von Sutherem (Sorsum), Alle.
diese Zeugen gehören bekannten hildesheimischen Dienstmanns-
familien an. Unter ihnen sind wohl auch die Schöffen des Ge-
nchts zu suchen. Wir haben also ein ganz mit Ministerialen
besetztes echtes Ding vor uns. Gerichtshalter, Dinggenossen und
Schöffen und endlich auch die eine der handelnden Parteien ge-
bôren sämtlich dem dienstmännischen Stand an. Von der nächsten
wkundlich überlieferten Eigentumsübertragung ist es nicht sicher,
sondern nur wahrscheinlich, daß sie vor dem echten Ding statt-
gefanden hat. Im Jahr 1219 übertragen die Brüder von Ysissem
Eigengüter zu Wennerde bei Sarstedt an das Kloster Escherde °°),
Wir gehen auf die unten angeführten Zeugen nicht näher ein.
Sie bestehen ebenfalls zum weitaus größten Teil aus bischöflichen
Ministerialen, zum kleineren Teil aus Bürgern der Stadt Hildes-
heim. Von der Familie von Altenmarkt erscheint nur Lippold,
der spätestens seit 1204 das Vogteiamt bekleidete®®), Auch hier
treten. wie in der vorhergehenden Verhandlung, Angehörige der
Familie von Emmerke und von Sorsum als Zeugen auf.
Die beiden wichtigsten Urkunden bekunden den Verkauf der
Erbgüter des Edelherrn von Depenau zu Giesen an das Kloster
St (sodehard®”). Bei der ersten Verhandlung, die im Jahr 1235 in
eomicio, quod vulgariter dicitur greveding, stattfand, vollzog der Edel-
berr Dietrich mit seinen Erben, außer seinem Sohn Volrad, im
deichen Jahr am 4. Juli dieser Volrad die Auflassung. In
beiden Verhandlungen führte Bertold, Vogt des Moritzstiftes und
des Bischofs, der Sohn des obengenannten Vogts Lippold, den
Vorsitz.
Diese beiden Verhandlungen sind deshalb so wichtig, weil
bei ihnen die Schöffen von den übrigen Gerichtsteilnehmern
cnterschieden und mit Namen genannt werden. Allerdings be-
æiehnet die Urkunde sie nicht als scabini, sondern in der ersten
Verhandlung schlechtweg als liberi, in der zweiten als liberi et
eiusdem placiti procuratores. Es ist jedoch nicht zweifelhaft, daß
arınter die Schöffen verstanden werden. In der ersten Ver-
30 W. Wittioh
handhmg treten vier Schöffen auf, davon einer aus der bischöf-
lichéx Ministerialenfamilie von Emmerke, zwei ae der bekanriten
Dienstmanäsfamilie von Rössing und endlich Dietrich de oivitate,
zweifellos ein Hildesheimer Bürger. In der zweiten sind acht
Schöffen tätig, darunter wieder drei von Rössing, feriier Hermann
und Gottschalk von Covingen ünd drei von Barthesñem.
Gottschalk von Covingen wird bei der Eigentumsäbertragäng
zu Wennerde ebenfalls unter den Zeugen aufgeführt und ist
nach seiner dorfigen Stellung unter Ministerialen und Stadt-
bürgern entweder dem einen oder andern dieser Stände zuzu-
rechnen. Ein Geschlecht dieses Namens wird außer in diesen
beiden Urkunden nirgends erwähnt?!), Obwohl die Stefteng
Gottschalks von Coviägen in der Urkunde vom Jahr 1219 eher
für eine minisférialische oder stadtbürgerliche Stellung seines
Geschlechts spricht, so möchte ich doch diesen Gottschalk für
einen der sonsf so selten erwähnten schöffenbaren Grafschafts-
freien ansehen. Es: sind hauptsächlich zwei Gründe für diese
Annahme bestimmend, nämlich erstens das völlige Schweigen
aller Urkunden über eine städtische oder ritterliche Familie dieses
Namens und zweitens das‘ Auftreten Gottschatks ausschließlich
in zwei Grafengerichtsurkunden. Wir haben in diesem Gottschalk
von Covingen meines Erachtens einen der Schöffenbaren
zu sehen, die zu Beginn des 13. Jahrkunderts weder stadtbürger-
lich noch dienstmännisch geworden waren. Über seine wirt-
schaftliche Stellung (bäuerliche oder grundherrliche Lebensweise)
läßt sich nichts: Bestimmtes aussagen.
Auch ein Geschlecht von Barthenem ist so wenig bekannt
wie ein Ort dieses Namens. Dagegen liegt südlich von Sar-
stedt das sicher zum echten Ding des bischöfliehen Ost-
falengaues gehörige Dorf Barnten (Bernethen) in nächster
Nachbarschaft des Dorfes Covingen®‘), Ein Theodericus de
Bernethen steht als Zeuge is der Urkunde von 1219 direkt
vor Gottschalk von Covingen. Ein ritterliches Geschlecht von
Barnten ist nicht bekannt. Dagegen erscheint im 14. und 15. Jahr-
hundert eine Bürgerfamilie von Barnten in Hildesheim und
Hannover #?). Da nun die Zeugesreihe der Urküwde von 1219
bischöfliche Ministerialen und hildesheimische Bürger in bunter
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 31
Reihe aufführt, so ist dieser Theodericus de Bernethen mit Sicher-
beit als Angehöriger dieses Geschlechts und demgemäß als Hildes-
beimer Bürger zu betrachten. Wahrscheinlich mit ihm identisch
ut der in der Urkunde von 1235 (TI. Nr. 416) als Schöffe er-
wähnte Theodericus de civitate, also der (Bürger) Dietrich von
Hildesheim. Es ist also wohl kaum zu bezweifeln, daß das
Bürgergeschlecht der von Barnten im echten Ding des bischöf-
ichen Ostfalengaues schöffenbar war. Daß nun ein Ort Barthenem
im ganzen Bistum völlig unbekannt ist, und ebensowenig eine
Familie dieses Namens, außer in der einen Urkunde, je erwähnt
wird, so ist die Annahme wohl gestattet, für Barthenem Bar-
netken oder Bernethen zu lesen und die drei Schöffen Jordan,
Jodolfas und Thetmarus von Barthenem für Angehörige des Ge-
«ehloehts von Barnten zu erklären.
Wie dem auch sei, die beiden Urkunden zeigen mit
Destlichkeit, daß im echten Ding des Bischofs die Ministe-
rialen schöffenbar®’) waren und gemeinsam mit Stadtbürgern,
falls die letztere Annahme zutreffen sollte, aber auch gemein-
sam mit Grafschaftsfreien die Schöffenbank besetzten. Fer-
se scheinen einzelne Ministerialenfamilien vorzugsweise die
Ssehöffen oder Dinggenossen zu den Grafschaftsgerichten ge-
liefert zu haben. So treten, abgesehen von der Familie von
Altenmarkt, Angehörige des Geschlechts von Emmerke in drei,
der Familien von Sorsum und Rössing in zwei von den vier be-
kannten Urkunden auf. Auch die von Covingen und Barnten,
die sonst ganz unbekannt sind, erscheinen zweimal.
Die letzte der hier zu besprechenden Gerichtsurkunden betrifit
eine Auflassung desselben Dietrich von Depenau von Gütern zu
Alrermissen an das Kloster St. Godeliard vor dem echten Ding
des Grafen von Lauenrode°‘), Als Zeugen fungieren die beiden
Grafen Konrad und Heinrich von Lauenrode, ferner zehn Mini-
sterialen und zehn Bürger von Hannover (Lauenrode). Die Mini-
sterislen sind bis auf drei nur als bischöfliche Dienstleute nach-
weiabare Personen bekannte Dienstmannen der Grafen von
Lssenrode. Unter den Bürgern befinden sich einige, deren
Fanilien auch in der bischöflichen oder gräflichen Dienstmann-
schaft nachw ‘isbar sind. Personen, die niöglicherweise einzelnen
32 | W. Wittich
dieser Bürgerfamilien angehôrt haben, erscheinen zu Ende des
12. Jahrhunderts als Zeugen bei Eigentumsübertragungen im
bischöflichen Ostfalengau *). Die angeführten Urkunden erweisen
wohl zur Genüge, daß zu Ende des 12. und zu Beginn des
13. Jahrhunderts im Bistum Hildesheim die Ministerialität von
dem echten Ding nicht nur nicht ausgeschlossen war, sondern
sogar einen bedeutsamen Träger dieses wichtigsten Instituts der
Grafschaftsverfassung bildete.
Das Recht und die Pflicht, als Dinggenosse im Grafen-
sericht zu erscheinen und erst recht die Fähigkeit zum Schöf-
fenamt war nun seit alters für Edelherren, Stadtbürger und
Grafschaftsfreie an zwei Voraussetzungen geknüpft: persön-
liche Freiheit und Eigen im Gau oder Grafschaftsbezirk.
Die Anknüpfung des Schöffenamts an ein besonders quali-
fiziertes Eigen, das Hantgemal, hat sich nach ZALLINGER
als eine unhaltbare Fiktion des Verfassers des Sachsenspiegels
erwiesen ©), Wir werden auf diesen Punkt noch später ausführ-
lich zu reden kommen®®). Jedoch auch ZALLINGER gibt zu, daß
Eigentum im Gau eine notwendige Voraussetzung für die Ding-
pflicht und die Ausübung des Schöffenamtes bildete. Wir haben
nun gesehen, daß die eine dieser Bedingungen, die persönliche
Freiheit, für die Ministerialität wegfiel. Der Ministerial war per-
sönlich nicht frei und doch dingpflichtig und schöffenbar im
echten Ding. Wie stand es nun mit der anderen Bedingung der
Dingpflicht und Schöffenbarkeit, dem echten Eigen der Ministerialen
im Gau oder Grafschaftsbezirk ?
Prinzipiell, d. h. altem, strengem Recht nach war der
Ministerial des echten Eigens nicht fähig, er war nur kraft
Hof- und Dienstrechts Besitzer seiner Güter®”). In der älte-
sten Zeit gab auch der Freie, der in die Ministerialität
eintrat, sein echtes Eigen an den Herrn und empfing es als
Dienstlehen wieder zurück®’). Dieser in den älteren Ergebungs-
urkunden regelmäßige Vorgang ist ein deutlicher Beweis dafür,
daß der sich ergebende Ministerial aus dem Rechtskreis des
Landrechts auch hinsichtlich seiner Güter austreten mußte. Aber
die Urkunden seit der Mitte des 12. Jahrhunderts ergeben ein
von diesem Rechtszustand völlig abweichendes Bild. Fast alle
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 33
bekannteren Ministerialengeschlechter haben meist in sehr früher
Zeit echtes Eigen.
Abgesehen von Pfand- oder Zinsgut waren es vier Besitz-
rechte, kraft deren der Ministerial seine Güter innehaben konnte.
Zunächst gab es zwei scharf geschiedene Arten von Eigen-
tam, dann das Dienst- oder Hoflehen, das eigentliche Ministe-
. nalenbesitzrecht, das durch seinen Stand bedingt und auf die
Genossenschaft beschränkt war, und endlich das freie Lehen,
das beneficium iure liberorum oder beneficium racione hominii,
also das Lehen mit Mannschaft, das wahre Lehen. Das Hof-
lehen, auch beneficium hereditarium ®) genannt, konnte seinem
Wesen nach vom Herrn nur an Ministerialen verliehen werden ®°).
An diesem Dienstgut bestand ein sehr weitgehendes Erbrecht
aller Angehörigen des Ministerialen, soweit diese in der Dienst-
mannschaft des Herrn verblieben °). Das freie Lehen hatte der
Dienstmann regelmäßig von einem fremden Herrn), Die Erb-
folge war die gewöhnliche Lehnserbfolge, also besonders durch
den Ausschluß der weiblichen Angehörigen gegenüber dem Erbrecht
am Hoflehen beschränkt *®?).
Das Eigentum schied sich in ererbtes und erkauftes Eigen.
In der Verfügungsfreiheit über das ererbte Eigentum war
der Eigentümer durch Beispruchsrechte seiner Erben und son-
stiger Verwandter sehr beschränkt), über das erkaufte Eigen-
tum hatte er ziemlich freie Dispositionsbefugnis®), Nur be-
dingte das Ministerialenverhältnis als solches, wenigstens in
früherer Zeit, auch Rechte des Herrn und der Genossen am
Eigentum des Ministerialen. So mußte der Dienstmann, der
das Eigengut veräußern wollte, dieses zuerst dem Herrn und
dann seinen Genossen zum Kauf anbieten. In späterer Zeit,
d. h. im 13. Jahrhundert, ist von diesem Beispruchsrecht von
Herren und Genossen bei Verfügungen über dienstmännisches
Eigengut nicht mehr die Rede”). Die Bezeichnungen für das
dienstmännische Eigentum sind verschiedenartig, bald heißt es
proprietas, bald hereditas, bald patrimonium, bald allodium °°).
Die Belegstellen für das echte Eigen der Ministerialen zählen
naeh Hunderten, die Steterburger Annalen wie auch die bischöf-
liehen Urkunden sind voll von Beispielen. Sachlich bestanden
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 3
34 W. Wittich
diese Eigengüter regelmäßig in Hufen mit dazugehörigen Haus-
stellen und Höfen, ferner in einzelnen Äckern und Wiesen, sehr
häufig auch in kleinen Wäldern und Gehölzen ®). Dagegen waren
Zehnten und Vogteirechte ausnahmslos Lehen °?”).
Sehr häufig, fast regelmäßig lagen nun diese Eigengüter der
Ministerialengeschlechter in dem Dorf, nach dem das betreffende
Ministerialengeschlecht sich benannte, oder wenigstens in dessen
nächster Nachbarschaft. Natürlich ist dies nicht so zu verstehen, als
ob sämtliche Eigengüter einer Familie am Ort des Namens vereinigt
gewesen seien, und dort kein anderes Geschlecht Eigen oder Lehen
hätte haben können. Die Geschlechter besaßen nicht selten ihr
Eigen an einem anderen Ort und am Ort des Namens nur Lehngut.
Auch erscheinen ganz regelmäßig am Ort des Namens eines
Dienstmannsgeschlechts andere Familien mit Eigen oder Lehen
angesessen. Aber die Regel ist fraglos die, daß die Familie
bezw. ihre einzelnen Angehörigen, am Ort des Namens vorzugs-
weise ererbtes Eigengut besitzen ®). Dieser Umstand rechtfertigt
meines Erachtens die Annahme, daß ein Zusammenhang zwischen
dem Namen des Geschlechts und dem Eigengut besteht, daß das
Geschlecht sich regelmäßig nach dem Ort genannt hat, an dem
seine Eigengüter gelegen waren. Es ist also nicht, wie LÜNTZEL
glaubt, der Ort des Dienstgutes, der der Familie den Namen
gibt, sondern der Ort des Eigengutes®). Natürlich bezieht sich
diese Behauptung nur auf solche Geschlechter, die sich überhaupt
nach Dörfern benannten. Diejenigen Familien, die Amtstitel als
Familiennamen führten oder sich nach Lehns- oder Eigen-
burgen benannten, kommen hier nicht in Frage. Jedoch treten
sie an Zahl gegenüber den nach Dörfern heißenden Geschlechtern
völlig zurück, vielfach läßt sich auch für sie eine dörfliche Hei-
mat oder gar der alte Geschlechtsname feststellen 1°). Dieser Zu-
sammenhang zwischen Eigengut und Geschlechtsname weist ein-
mal auf das hohe Alter des Eigengutes in den betreffenden
Familien und ferner auf die Bedeutung, die man wenigstens in
früherer Zeit dem Eigengut beilegte. Der nach der herrschenden
Ansicht aus niedriger Hörigkeit hervorgegangene Ministerial heißt
nicht nach dem Ort, wo das seinem Stand allein angemessene
und eigentümliche und darum ursprüngliche Dienstgut lag, son-
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 35
dern nach dem Ort seines Eigengutes, das er nach der herrschen-
den Ansicht in früherer Zeit kraft Landrechts innezuhaben über-
haupt nicht fähig war.
85. Das Hantgemal der Ministerialen und der
Schluß auf ihre altfreie Herkunft.
Wir kommen jetzt zu der wichtigen Frage: in welcher
Beziehung stand das Eigen der Ministerialen zu ihrer Ding-
pflicht und Schöffenbarkeit im echten Ding? Die früher herr-
schende Ansicht hat auf Grund der Autorität des Sachsen-
spiegels behauptet, daß der Schöffenstuhl, d. h. das Schöffen-
amt, in den dazu berufenen Familien sich nach den Grund-
sätzen der Individualsukzession vererbt habe, daß also nur einer
von allen Geschlechtsgenossen Schöffe gewesen sei!"'). Ferner
habe jede Familie nur in dem Gericht die Schöffenbarkeit be-
sessen, in dem ihr besonders qualifiziertes Eigengut, das Hant-
gemal, lag. ZALLINGER hat diese Anschauung dahin richtig ge-
stellt, daß nicht ein Mitglied, sondern alle Männer eines schöffenbaren
Geschlechts zur Ausübung des Schöffenamts berechtigt waren,
und ferner, daß diese Schöffenbarkeit sich nicht auf das Gericht
des Hantgemals beschränkte, sondern daß die Schöffenbaren in
allen Grafschaften Schöffen sein konnten, in denen sie oder ihr
Geschlecht Grundeigentum hatten. Die Schöffenbarkeit war also
prinzipiell weder auf einen Vertreter des schöffenbaren Geschlechts
beschränkt, noch auf das Gericht, in dessen Bezirk das Stamm-
gut und die Heimat des Geschlechts lag 7). Jedoch gibt ZALLINGER
zu, daß tatsächlich die Schöffen in der Regel aus den altein-
heimischen Familien des Gerichtsbezirks entnommen wurden !°?).
Nach unserem, allerdings nicht sehr reichhaltigem Material ist
auch hinsichtlich der ministerialischen Schöffenbaren die An-
schauung ZALLINGERS nur zu bestätigen. Die wenigen über-
lieferten Schöffenlisten enthalten mehrere Mitglieder eines Ge-
sehlechts!"®). Die Schöffen gehören allerdings der Regel nach
den eingesessenen Familien des Gerichtsbezirks an, aber An-
gehörige dieser z. B. im bischöflichen Ostfalen beheimateten
seschlechter erscheinen als Gerichtszeugen und. wohl auch als
Schöffen in fremden Grafschaften, in denen dann auch meist
36 W. Wittich
Eigengut des Geschlechts nachzuweisen ist **). So sehr man nun
ZALLINGER darin zustimmen kann, daß die faktische Ausübung
Familie und nicht auf den Gerichtsbezirk des Hantgemals be-
schränkt war, so entschieden muß die Bedeutung des Hantgemals
für die Schöffenbarkeit und Dingpflicht, überhaupt für alle Freien-
rechte, hervorgehoben werden. Da das Hantgemal auch für die
schöffenbaren Ministerialengeschlechter sehr wichtig ist, so muß
hier kurz auf dieses dunkle und vielfach falsch beurteilte Institnt
eingegangen werden 106),
HoMEYER definiert in seiner grundlegenden Abhandlung
über die Heimat nach altdeutschem Recht das Hantgemal als
das freie, mit einem etwa wehrhaften Wohnsitze versehene
Grundstück eines Vollfreien, welches als Haupt- und Stamm-
gut des Geschlechtes ungeteilt auf den Ältesten der Schwertseite
sich vererbt 106), Wenn auch der Besitz des Gutes dem Âltesten
zufällt, so stehen doch alle anderen Glieder des Geschlechts in
rechtlicher Beziehung zu dem Hantgemal. Die rechtliche Wir-
kung des Hantgemals für alle Mitglieder des Geschlechts besteht
darin, daß durch seinen Besitz die Freiheit des Geschlechts und
des einzelnen erwiesen wird; es ist, wie sich eine bayerische
Urkunde bezeichnend ausdrückt, das praedium libertatis eines
Geschlechts "7. Ferner bestimmt die Lage des Hantgemals die
Heimat im Rechtssinn des Geschlechts und seiner einzelnen An-
gehörigen. Diese Heimat im Rechtssinn ist entscheidend für den
Gerichtsstand des Freien in gewissen Kapitalsachen und ferner
für die Entscheidung der Frage, nach welchem Recht er lebt und
beurteilt wird. Nach dem Sachsenspiegel antwortet der schöffen-
bar freie Mann zu Kampfe, d. h. er unterwirft sich dem Urteil
des gerichtlichen Zweikampfes, dem Gottesurteil, in dem Gericht,
da sein Hantgemal inneliegt!®). Die Dingpflicht des Schöffen-
barfreien, d. h. seine aktive Teilnahme am echten Ding, findet
nach dem Sachsenspiegel nur dann am Gericht des Hantgemals
statt, wenn er daselbst seinen Schöffenstuhl hat, d. h. das nach
der Anschauung des Rechtsbuchs nur dem Ältesten des Geschlechts
zukommende Schöffenamt ausübt. Die Dingpflicht der übrigen
Geschlechtsgenossen richtet sich nach dem Ort des Wohnsitzes.
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 37
Nun hat ZALLINGÉR den Nachweis erbracht, daß die Beschränkung
des Schöffenamts auf den Ältesten eines Geschlechts ebensowenig
dem wahren Rechtszuständ in Ostfalen entspricht wie die Be-
schränkung der Ausübung des Schöffenamts auf den einzelnen
Gerichtsbezirk. Alle Männer eines schöffenbaren Geschlechts
waren in allen Grafschaften schöffenbar, in denen sie Grundbesitz
hatten). Es muß also die Schöffenbarkeit im Sinne der tat-
sächlichen Ausübung des Schöffenamts an die gleichen Voraus-
setzimgen geknüpft gewesen sein wie die Dingpflicht, nämlich
Freiheit, bezw. bei Schöffenbaren, Abstammung aus einer schöffen-
baren Familie, und ferner Eigengut im Gerichtsbezirk. Das
Hantgemal kann also zu der Zeit, d. h. etwa zu Ende des 12.
und Anfang des 13. Jahrhunderts, nicht die Bedeutung gehabt
haben, daß es direkt die aktive Teilnahme der Schöffenbaren an
dem Gericht des Bezirks bedingte oder bestimmte. Dagegen
hatte es einen mittelbaren Einfluß von allerhöchster Wichtigkeit.
Es war das wichtigste äußere Merkmal für die Schöffenbarkeit
eines Geschlechts. Natürlich ist der Begriff der Schöffenbarkeit
nicht durch das Hantgemal bestimmt. Die schöffenbaren Familien
einer Grafschaft waren diejenigen hervorragenden Freiengeschlechter
de: Bezirks, die zunächst tatsächlich, d. h. für gewöhnlich und
berkümmlich, die Schöffenbank des echten Dings besetzten und
shließlich diese Auszeichnung als ein ausschließliches Recht für
ihre Angehörigen in Anspruch nahmen. Es bildete sich so ein
geschlossener Kreis von Geschlechtern aus, die sich durch das
Recht auf das Schöffenamt von den übrigen Freienfamilien ab-
«nderten und ähnlich wie die ratsfähigen Familien in den Städten
eine durch das Recht auf das öffentliche Amt gekennzeichnete
Aristokratie darstellten. Das äußere Kennzeichen dieser Schöffen-
barkeit aber war für das ganze Geschlecht wie für den einzelnen
Geschlechtsgenossen das Hantgemal. Der Sachsenspiegel sagt
ausdrücklich, wer sich einem Schöffenbarfreien als ebenbürtig,
d.h. ebenfalls als Schöffenbarfreien erweisen will, der muß nach-
weisen seine vier Ahnen (d. h. seine schöffenbarfreie Abstam-
mung von Vater- und Mutterseite) und sein Hantgemal''"). Es
mußte also zu dem Nachweis der Abstammung der Nachweis des
&reb diese Abstammung notwendig bedingten Grundbesitzes
38 W. Wittich
treten. Es war also in Sachsen ganz wie in Bayern das Hant-
gemal, das praedium libertatis, aber nicht der gemeinen Freiheit
schlechtweg, sondern der ausgezeichneten Freiheit des schöffen-
baren Mannes. Das Hantgemal bestimmte nicht, wenigstens nicht
mehr zu Ende des 12. Jahrhunderts, für den einzelnen Schöffen-
baren den Bezirk, wo er dingpflichtig war oder das Schöffenamt
bekleiden konnte, aber es war noch immer die wichtigste Vor-
aussetzung und das wichtigste Kennzeichen seines landrechtlichen
Standes, der selbst wieder für alle übrigen Rechte die Bedingung
bildete. Weil so das Hantgemal die wichtigste Voraussetzung
und das äußere Kennzeichen des schöffenbarfreien Standes bildete,
hatte der nicht im Besitz befindliche Schöffenbarfreie das Prozeß-
privileg, sein Recht auf das Hantgemal mit dem Eineid zu er-
weisen !!!), Wohl als Rest des früheren Rechtszustandes erscheint
die Bestimmung, daß der Schöffenbare den gerichtlichen Zwei-
kampf vor dem Gericht, in dessen Bezirk sein Hantgemal ge-
legen war, ausfechten mußte !!}).
Es erhebt sich nun die Frage nach der Beschaffenheit des
Hantgemals. Die herrschende Ansicht, die im wesentlichen
von HoMEYER begründet worden ist, erklärt es für das un-
teilbare, jeweils vom Âltesten eines Geschlechts besessene
und benützte Stammgut einer Familie. Jedoch hatten auch alle
übrigen Geschlechtsgenossen insofern daran teil, als es auch
für sie das Kennzeichen des Standes bildete !'?), Diese An-
schauung ist einer bayerischen Urkunde vom Jahr 1180 ent-
nommen, die allerdings eine andere Deutung nicht zuläßt ''?). Da-
mals bezeichnete nämlich der Graf Sigbot von Falkenstein eine
Hufe (nobilis viri mansus) apud Geiselbach als sein Hantgemal.
Jedoch ist es nicht nur sein Hantgemal, sondern auch das seiner
Bruderssöhne und zweier Nebenlinien des Geschlechts, der
Hunsberger und der Bruchberger. Dieses praedium libertatis
sue erstritt er sich im Prozeß, weil er der Älteste des Geschlechts
war (quod senior in generatione illa videatur). Es kann also kein
Zweifel bestehen, daß bei den bayerischen Grafenfamilien des
12. Jahrhunderts das Hantgemal diese Beschaffenheit gehabt hat.
Nun aber besitzen wir drei Salzburger Urkunden aus dem
10. Jahrhundert, in denen es uns in ganz anderer Gestalt ent-
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 39
gegentritt '%*). Etwa im Jahr 935 gibt Odalhard an den Bischof
7 Hufen zu Ergeltesbach . .. exceptis in una quaque parte quam
Celga vocamus iugeribus tribus et uno curtili loco ad occidentalem
partem, quod vulgo Hantkimahili vocamus. Cetera omnia
tradidit ... Es gibt also der Schenker sein ganzes Erbgut an
diesem Ort mit Ausnahme von drei Joch in jeder Zelge, d. h.
in jedem der drei Felder der nach der Dreifelderwirtschaft ein-
geteilten Feldflur, und eines Hausplatzes. Im Jahr 925 gab ein
nobilis vir Gaganhard sein ganzes Eigentum an zwei Orten, nahm
aber aus (premisit = praetermisit) sibi particulam proprietatis, quod
Hantkirnahili (Hantkimahili) vulgo dieitur. Endlich tradierte im
Jahr 927 die nobilissima femina Rihni Eigengüter cum manu
advocati sui ... excepta lege sua, quod vulgus hantigimali vocat.
In diesen Urkunden erscheint das Hantgemal keineswegs als das
unvertretbare, nur dem Ältesten zustehende Freiheitsgut des Ge-
schlechts, sondern als eine jedem Geschlechtsgenossen, ja sogar
der Frau gehörige particula proprietatis. Der Umfang kann bis
zum Mindestmaß der bäuerlichen Betriebsgröße herabgehen, ja
es ist sehr wahrscheinlich, daß es überhaupt kein als Hantgemal
fest bestimmtes Gut gab, sondern daß das Erbgut jedes Freien
auch sein Hantgemal darstellte, und daß er erst bei Veräußerungen
dieses Erbguts einen beliebigen sehr kleinen Bestandteil desselben
als Hantgemal heraushob und zurückbehielt. So sagt eine bayerische
Urkunde unzweifelhaft im Hinblick auf das Hantgemal !'°): Liudolf
quidam nobilis vir tradidit Frid ... tale praedium quale habuit
in loco Uticha ... et dempsit partem unam pro libertate tuenda.
Das Hantgemal war also in Bayern 250 Jahre früher nicht das
konkret bestimmte, unteilbare, jeweils dem Ältesten des Ge-
schlechts zustehende Familiengut, sondern ein beliebiger Teil
eines Erbgutes, das der einzelne Freie als Zeichen der Freiheit
unter allen Umständen in unmittelbarem Besitz behalten mußte.
Beiden Arten des Hantgemals gemeinsam war die Rechtswirkung
für den Besitzer oder Mitberechtigten als Kennzeichen der Freiheit.
Welche Beschaffenheit hatte nun das Hantgemal des nieder-
sächsischen Schöffenbaren im 12. Jahrhundert; war es ein unteil-
bares Familiengut und Besitz des Ältesten oder die particula
proprietatis, die jeder Schöffenbarfreie im unmittelbaren Besitz,
40 W. Wittteh
haben mußte? Zumäâehst ist zw betomen, daß das Wort selbst
den Urkunden fremd ist. Ieh habe keine Urkunde gefunden, die
ein Gut ausdrücklich als Hanigemal bezeichnet. Jedoeh kann
dies Schweigen nur auf Zufall beruhen. Der Heliand, das älteste
sächsische Sprachdenkmal, kennt die Bezeichnung ebensogut wie
der Sachsenspiegel und wendet sie in dem bekannten Sinn am 11).
Bei der Schätzung unter Augustus suchen alle Pflchtigew il
odil (Erbgut), die Männer ihr handmazhal. In Bethlehem: hegt
das hamdmahal von Joseph und Mariz, Jerusalem ist das handmahat
und die Hofstätte (hobistedi) der Juden. Es ist also kom Zweifel,
daß das Wort wie der Begriff auch dem sächsischen Stamm seit
den ältesten Zeiten geläufig war. Für die Entscheidung der
Frage, vom welcher Beschaffenheit das Mantgemal war, ist vor
allem der Sachsenspiegel wichtig. Drei Stellen sind indifferens;
sie können sowohl: auf das unteilbare Stammgut im Besitz des
Ältesten wie auf die particula proprietatis bezogen werden: !),
Der Schöffenbare muß seine vier Ahnen und sein Hantgemel be-
weisen, wenn er einen Standesgenossen zum Kampf anspricht,
sonst braucht er diesen Nachweis seines Standes niemals zu
führen; der Schöffenbare antwortet nur in dem Gericht zu Kampfe,
in dem sein Hantgemal liegt. Dagegen sagt eine weitere Stelle:
„Die man mut sik wol to sime hantgemale mit sineme eide tiem,
al ne hebbe he’s under ime nicht“ !!”). Der nicht im Besitz seines
Hantgemals befindliche Schöffenbarfreie kann sein Recht daran
ohne Eidhelfer mit seinem alleinigen Eide beschwören. Diese
Stelle setzt meines Erachtens unter allen Umständen voraus, daß
mindestens’ jeder männliche Angehörige eines schöffenbar freien
Geschlechts ein besonderes Hantgemal für sich besessen hat.
„Unter sich haben“ kann hier nur den körperlichen Besitz be-
deuten ''%). Dieser fehlt aber, wenn man das Hantgemal als un-
teilbares Stammgut und Besitztum des Ältesten ansieht, allen
nachgeborenen Schöffenbarfreien. Auch kann man die Stelle
nicht: wohl bloß auf diejenigen Schöffenbarfreien: beziehen;: die
als Geschlechtsälteste den: Besitz des: Stammgutes beanspruchen
konnten. Der erste Satz des Paragrafen hat unzweifelllaft alle
Schöffenbarfreien im Auge, wenn er sagt, daß sie nur dänn: ihr
Hantgemal und ihre vier Ahnen: zu beweisen brauchen, wenn! sie
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 41
zum Kampf angesprochen werden. Darauf folgt unmittelbar der
Satz über das Beweisreeht des nicht im Besitz befindfichen
Schöffenbarfreien. Aus diesem Zusammenhang geht mit Sicher-
Reit hervor, daß der körperliche Besitz des Hantgemals für alle
männliehen Sehöffenbaren als Regel vorausgesetzt wird. Auch
die übrigen Stellen des Rechtsbuches sprechen niemals vom Hant-
gomal des Geschlechts, sondér” nur vom Hantgemal der einzelnen
Person, „seinem“ Hantgemal.
However kat in seiner mehrfach erwähnten Abhañdtung
über die Heimat nach altdeutschem Recht in sehr klaren Worten
den Unterschied zwischen der Dingpflicht und der Gerichts-
(hôrigkeit)pflicht gekennzeichnet"). Dingpflicht ist diejenige
Pflicht, die wir heute Gerichtsdienst nennen, nämlich das Recht
und die Pflieht, dem Richter Rechtens zu: helfen, mit ihm das
Gerieht zw bilden. Gerichts(-hörigkeit)pflich? ist der Gerichts-
stand der Personen als Parteien, ihre Pflicht, vor einem be-
stimmten Gericht Recht zu nehmen oder, wie der Sachsenspiegel
sagt, dem Richter Rechtens zu pflegen. Das Hantgemal involviert
nun für den schöffenbarfreien Besitzer direkt keine Dingpflicht.
Denn die Dingpflicht richtet sich ja in der Ffauptsäche nach dem
Wohnsitz. Nur indirekt hat es eine Wirkung auf die Dingpflicht
insofern, als es den Stand des Schöffenbarfreien bestimmt. Dagegen
bestimmt das Hantgemal direkt den wichtigsten Gerichtsstäid
des Schöffenbaren, nämlich das forum duelli:. HoMEYER weist
nach, daß dieses forum das echte Forum des Schöffenbarfreien
war; alle anderen Gerichte waren im Gegensatz zum Gericht des
Hantgemals auswendige (ütwendige) Gerichte'!?%). Der Schöffen-
Barfreie mußte also in der wichtigsten, seine Person betreffenden
Sache dem Richter über den Bezirk, in dem sein Hantgemal be-
legen war, Rechtens pflegen.
Nüu spricht der Sachsenspiegel in einer bisher wenig be-
achteten Stelle ganz allgemein über den Zusammenhang zwi-
schen: Eigen und Gerichtspflicht(-hörigkeit) '?)., Ein freier Mann
kann ohne des Richters Erlaubnis, aber mit Zustimmung
seiner Erben sein Eigen vergeben. Jedoch soll er zurütkbehal-
ten eine halbe Mufe und eine Word (d. hi: eitten Hausplatz),
auf der man’ einen Wagen wenden kann. Davoti, d. h. von
42 | W. Wittich
dem zurückbehaltenen Grundbesitz, soll er dem Richter seines
Rechtes pflegen. HOMEYER meint, diese Bestimmung habe all-
gemein für alle Freien, also auch für die Pfleghaften, gegolten.
Auf jeden Fall bezog sie sich auf die Schöffenbarfreien. Wir
erfahren also hier unmittelbar, wie der Besitz beschaffen sein
mußte, von dem Rechtes gepflegt wurde. Er betrug im Minimum
eine halbe Hufe mit einer Word und hatte die größte Ähnlichkeit
mit dem altbayerischen Hantgemal der Urkunden, das wohl
ebenfalls nur in der äußerst noch gestatteten Mindestgröße uns
überliefert ist. Nun ist das sächsische Hantgemal nur eine
spezielle Art von solchem die Gerichtspflicht bestimmenden Grund-
eigentum. Es liegt daher sehr nahe, für dieses dieselbe Be-
schaffenheit anzunehmen, die für Eigentum solcher Art im all-
gemeinen ausgesprochen wird. Läßt man diese Annahme aber
gelten, so war das Hantgemal kein unteilbares Stammgut im
Besitz des Ältesten, sondern ein minimales Bauerngütchen im
Besitz jedes Geschlechtsgenossen. So gehen die Angaben des
Sachsenspiegels übereinstimmend dahin, daß das Hantgemal, das
er meint, gleich dem altbayerischen Hantgemal eine particula
proprietatis darstellte, die jeder Schöffenbarfreie zur Erhaltung
seines Standesrechts körperlich besitzen mußte.
Sehen wir nun zu, ob nicht die gleichzeitigen Urkunden einige
Anhaltspunkte zur Entscheidung dieser Frage geben. Zunächst
sind uns zwei Urkunden überliefert, die unzweifelhaft auf das Hant-
gemal Bezug nehmen. Beide Urkunden betreffen die Gründung von
Familienklöstern seitens hochangesehener Grafengeschlechter. Die
älteste Urkunde enthält den Stiftungsbericht über die Gründung
des Klosters Reinhausen durch die Grafen von Reinhausen und
stammt aus den Jahren 1153—1156 '?!), Die entscheidende Stelle
hat folgenden Wortlaut: „His tribus fratribus comitibus et Ma-
thildi communicato consilio placuit, ut locum suum principalem
unde originem duxerant, domino deo ... deputarent“. „Der
locus principalis, unde originem duxerant“ kann nur das Hant-
gemal sein'®*). Die zweite Urkunde handelt von der Gründung
des Klosters Wöltingerode durch die Grafen von Woldenberg.
Tres nobiles ac comites ... germani fratres divine pietatis in-
epiratione contacti domum ac locum nativitatis sue, qui Wal-
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 43
tingeroth dicitur ... nullo sibi proprietatis iure retento consensu
heredum suorum contulerunt'**). Auch hier ist wohl kein Zweifel,
daß das Hantgemal gemeint ist. In beiden Fällen ist nun von
einem unteilbaren, in der Hand des Ältesten befindlichen Stamm-
gut keine Rede. Allerdings ist das Gut zur Zeit der Schenkung
ungeteiltes Gesamteigentum der Schenker, aber nichts berechtigt
zur Annahme, daß es unteilbar gewesen sei, und daß der Älteste
ein Vorrecht auf den Besitz gehabt habe. Nur soviel läßt sich
zugeben, daß vielfach der als Hantgemal geltende Grundbesitz
etwa mit einem Haupthof von sehr nahen Miterben gemeinsam
und ungeteilt besessen wurde. Aber dies war ein rein tatsäch-
licher, durch das Recht in keiner Weise gebotener Zustand, der
daher jeder Zeit geändert, das Gesamteigentum also durch Teilung
aufgelöst werden konnte #).
Während so für die Annahme, das Hantgemal sei unteil-
bares Stammgut des Geschlechts gewesen, kein Anhaltspunkt
vorliegt, finden wir in den Urkunden zahlreiche Hinweise
auf eine Beschaffenheit des Hantgemals, wie sie auch der
Sachsenspiegel unzweifelhaft im Auge hat. So übergibt im
Jahr 1232 der Graf Heinrich von Schladen, der wohl sicher
aus dem Geschlecht der Edelherren von Dorstadt stammte,
seine curia. domestica in Dorstadt, die gewöhnlich sethelhof
genannt wird, mit der zugehörigen Pfarrkirche und mit drei
Joch Eigenlandes daselbst an das Kloster Dorstadt'?). So.
schenken ferner in den Jahren 1182—1184 die Brüder Bodo und
Ludolf, damals noch Edelherren von Saldern, jeder je 18 iugera
und eine Hofstätte im Dorf Lafferde (Lefforde) an das Kloster
Steterburg!‘‘). Im Jahr 1203 begründete der hildesheimische
Ministerial Luppold von Escherde auf seinem Eigengut zu Escherde
ein Kloster und stattete es mit vier allodialen Hausplätzen zu
Escherde aus'?‘). In der Folgezeit beobachten wir zahlreiche
Mitglieder des Geschlechts im Verkehr mit dem Kloster; bald
schenken sie, bald verkaufen sie ihm Grundstücke!*). Alle
männlichen Angehörigen der Familie haben Eigengut in Escherde,
teils in unmittelbarem Besitz, teils zu Lehen gegeben. Das Maß
des Grundeigentums, das einer allein oder mehrere gemeinsam
besitzen, sinkt niemals unter eine halbe Hufe, meist ist es größer,
44 WW. Wittich
jedoch übersteigt es niemals drei Hufen. Man hat völlig den
Eindruck, als ob jedes Familienmitglied eitweder allein oder '
gemeinsam mit etwaigen Miterben eine particula des alten Familien-
besitzes besessen Habe. Soweit din solcher Besitz als Parzelle
eine wirtschaftliche Bedeutung nicht beanspruchen konnte, hatte
er sicher die rechtliche des Hantgemals; aber auch’ die größerei
[4
Eigengüter bildeten für ihre Eigentiimer aus dém Geschledht der °
von Escherde die praedia libertatis. Auch den 9 Morgen Landes,
wie in Bayern, begegnen wir. So schenkt Lippold von Alter: °
markt, der Vogt des Mütitzstifts, in sehr feierlicher Weise dem :
Kreuzstift 9 Morgen‘ Eigenlandes zu Nordstemmen, deni‘ alter
Familiengut und der walirscheinlichen Heimat dieses Zweiges
des Geschlechts"; Im Jahr 1311 verkauften die Knappeh
Bertold und Gerhard von Giesen 9 iugera in Bevelte, que ad
nos cum omni iure et pioprietate a retroactis temporibus per-
tinebant !?°). Bevelte oder Beuelte lag nahe bei Großgiesen, wo
schon in der Mitte des 13. Jahrhunderts Eigengüter des Ge-
schlechts vorkommen !).
Jedoch werden nicht nur kleine Eigengüter am Ort des
Namens erwähnt, die mit Wahrscheinlichkeit als Hatitgemale
anzusprechen sind, sondern die rechtliche Bedeutung solcher
wirtschaftlich ganz wertloser Grundstücke offenbart sich auch
in der Art und Weise, wie die Besitzer über diese Güter
disponieren. Sehr häufig werden bei Veräußerung größeren
Grundbesitzes am Ort einige Morgen zurückbehalten. So
hatte Werner von Bethmar vor dem Jahr 1240 fünf Hufen
Eigen zu Bethmar an das Kreuzstift verkauft #1), Nachträglich
erhob er Anspruch auf 31/2 iugera daselbst und behauptete, diese
seien nicht mitverkauft worden. Sein Anspruch scheint aner-
kannt worden zu sein, denn er erhielt durch Schiedsrichter eine
hohe Entschädigung zugebilligt. Die dienstmännische Familie
von Holle verkaufte um das Jahr 1219 ihre Eigengüter zü
Luttrum bei Holle an das Kreuzstift Hildesheim '**). Zwei Brüder,
Dietrich und Arnold von Holle, behaupteten ein besonderes Recht
auf 9 Morgen Landes in Luttrum, konnten aber mit ihrem An-
spruch nicht durchdringen. Jedoch wird noch aus dem Jahr 1261’
berichtet, daß Dietrich von Holle und seine Söhne daselbst eine
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 45
wea mit drei Morgen Eigenland besafen !*?) Im Jahr 1103
schenkte die Tochter des Grafen Heinrich von Reinhausen und
Nichte Bischofs Udo von Hildesbeim, Eilika, ihre umfangreichen
Allodialgüter an die Hildesheimer Kirche, behielt sich aber sechs
Hufen mit den daraufsitzenden Laten zu Schlenstedt als freies
Eigen zurück '°*). Eine wirtschaftliche Bedeutung kann dieser
m Vergleich zu der gewaltigen Schenkung ganz geringfügige
Vorbehalt nicht gehabt haben, denn der Bischof gab das Ganze,
ni Ausnahme der Ministerialen und ihrer Lehen, der Schenkerin
ds Prekaria auf Lebenszeit wieder. Es müssen diese sechs
Hafen ein vorbehaltenes praedium libertatis gewesen sein. Im
Jahr 1152 begründete ein reicher Ministerial Heinrichs des Löwen
mens Liemmar das Kloster Bokeln. Er dotierte das Kloster
uit vier ganzen Dörfern, behjelt sich aber 6 Hufen im Dorf
Bokeln vor'*). Zum Schluß möchte ich noch ein Zeugnis aus
Westfalen anführen, in dem wahrscheinlich unmittelbar auf das
Hantgemal Bezug genommen wird. Im Jahr 1299 verkaufte der
Knappe Hermann Hunt von Holzhausen mit Zustimmung seiner
Erben seine Güter zu Holzhausen bei Gudensberg, que ibidem
minima appellantur'°®). Die rätselhafte Bezeichnung der Güter
als minima erklärt sich spielend, wenn wir sie als Hantgemal
a unserem Sinn, d. h. als kleinstes, nach rechtserhebliches
Freiheitagut, auffassen.
So geben auch die sächsischen und besonders die west-
fälischen Urkunden, soweit sie überhaupt auf diese Verhält-
ice eingehen, kein anderes Bild als der Sachsenspiegel und
die älteren bayerischen Urkunden. Nirgends finden wir einen
Anhaltspunkt für die Annahme HoMmEYERS, daß es ein Hant-
semal im Sinn eines unteilharen Stammgutes der Familie im
Besitz des Altesten gegeben habe. Die Vorstellung HoMEYERS
is der falkensteiner Urkunde vom Jahr 1180 entnommen. Hier
zit sie unzweifelhaft zu. Aber ich halte diese Beschaffenheit
es Hantzemals für eine singuläre Entwicklung bei den hoch-
‚ieligen Familien des Südens, die schon früh das aus dem Staats-
“er Lehnrecht entnommene Prinzip der Primogenitur und Un-
+Ibarkeit auf ihre Allodialgüter ausdehnten. Dem deutschen
\lodialerbrecht aller Stämme entspricht allein die Beschaffenheit
48 W. Wittich
deutung des Hantgemals kann diese leicht erklärliche Abweichung
vom alten Rechte nicht bilden. Sie zeigt nur, wie schon zu
Ende des 12. Jahrhunderts gerade bei den vornehmsten Ge-
schlechtern der alte Rechtszustand seine Bedeutung verlor, weil
die neue Macht sie weit über dieses Recht hinausgeführt hatte.
Suchen wir uns nun ein Bild von der Entstehung des Hant-
gemals in der für das 13. Jahrhundert ermittelten Bedeutung
zu machen. Sicher ist es ursprünglich identisch mit der Quote
des einzelnen Geschlechtsgenossen an dem Erbeigen des Geschlechts.
Jedes altfreie Geschlecht hat einen locus originis oder nati-
vitatis. Dieser locus originis ist das Dorf, nach dem das Ge-
schlecht gewöhnlich den Namen führt. In diesem Dorf und
dessen Feldmark, wohl auch den nächstgelegenen Dorfgemar-
kungen, liegen die Erbgüter des Geschlechts. Jeder Geschlechts-
genosse hat kraft seiner Zugehörigkeit zum Geschlecht eine
portio, einen Anteil an diesen Erbgütern. Diese portio ist das
ursprüngliche Hantgemal, an das sich alle rechtlichen Wirkungen
anknüpfen. Bei wiederholten Teilungen verkleinert sich diese
portio sehr; es wird daher eine Mindestgrüße festgesetzt, unter
die die portio nicht sinken soll. Die Größe dieses Minimums
ist schwankend, der Sachsenspiegel nennt eine halbe Hufe; nach
den Urkunden scheint es schließlich bis auf 3—9 Morgen gesunken
zu sein. Auch wenn der Geschlechtsgenosse sein Erbeigen ver-
äußerte, behielt er sich ein solches Minimum zurück pro liber-
tate tuenda. Aus dem Gesagten geht hervor, daß das Hantgemal
nicht von Anfang an mit einem solchen Minimum gleichbedeutend
war, sondern daß ein solches Minimum nur die Grenze dar-
stellte, unter die eine portio nicht sinken durfte, ohne ihre Rechte
zu verlieren. Die meisten Hantgemale waren aber größer alg
das Minimum. Mit den fortschreitenden Teilungen und zu-
nehmenden Veräußerungen des echten Eigens reduzierten sich die
meisten Hantgemale tatsächlich auf das Minimum, und es wurde
üblich, unter Hantgemal nicht die ganze portiu, sondern nur das
Minimum zu verstehen. Da eine wirtschaftliche Bedeutung der
stark zusammengeschmolzenen portio nicht mehr zukam, die
rechtliche Wirkung aber auch der Besitz des Minimums ge-
währte, so legte man nur noch auf dieses Wert und bezeichnete
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 47
Allodialgüter ausspricht. Da wir dieselben Dispositionen in den
bayerischen Urkunden beobachten, und dort die Vorbehaltsgrund-
stücke ausdrücklich als Hantgemal bezeichnet werden, so liegt
es nahe, auch in den sächsischen Vorbehaltsgütern Hantgemale
zu sehen. So deuten auch die Angaben der sächsischen Ur-
kunden übereinstimmend auf die Existenz des Hantgemals in
der tatsächliehen Beschaffenheit und rechtlichen Bedeutung, die
wir aus den älteren bayerischen Urkunden und aus dem Sachsen-
spiegel mit Sicherheit erschlossen haben. Wir nehmen daher an,
daß das Rechtsbuch und die erwähnten (mit zahlreichen nicht
erwähnten) Urkunden immer das Gleiche meinen, nämlich das
Hantgemal als particula proprietatis und praedium libertatis.
Allerdings war es wohl schon zu Beginn des 13. Jahrhunderts
ein veraltetes und nicht mehr lebendiges Rechtsinstitut. Der
Sachsenspiegel schildert es uns zwar noch mit großer Bestimmt-
heit in seiner alten Bedeutung. Aber es ist ja bekannt, daß
der Spiegler altes, außer Übung gekommenes Recht als in voller
Geltung stehend darzustellen liebte 1%). Durch diese Annahme löst
sich wohl der von HECK erhobene Einwand, daß in zahlreichen
Fällen die vornehmsten Geschlechter ihre Stammgüter am Ort
des Namens veräußerten und doch ihren Stand behielten !). So
schenkten die Herren von Wöltingerode ihr ganzes Stammgut
dieses Namens an das von ihnen gestiftete Kloster am gleichen
Ort. Trotzdem nannten sie sich noch kurze Zeit nach ihrem
Hantgemal; jedoch wenige Jahre später heißen sie nach ihren
Burgen, Grafen von Woldenberg, Harzburg oder Werder. Meines
Erachtens ist dieser Vorgang nicht ein Argument gegen die
rechtliche Bedeutuug des Hantgemals, sondern einfach ein deut-
licher Beweis dafür, daß die neuere Entwicklung den alten
Rechtszustand zerstört hatte. Das mächtige Grafengeschlecht,
das zahlreiche Grafschaften erworben hatte, bedurfte der Legi-
timation durch das Hantgemal nicht mehr. Es war über den
Stand des Hantgemals längst hinausgewachsen. Daher verwandte
es das alte Gut der Freiheit im heimatlichen Dorf zu einer
frommen Stiftung und tührte seinen Namen bald nach den Burgen,
die seinen Wohnsitz und die Grundlage seiner Macht bildeten.
Irgendein stichhaltiges Argument gegen die ursprüngliche Be-
48 W. Wittich
deutung des Hantgemals kann diese leicht erklärliche Abweichung
vom alten Rechte nicht bilden. Sie zeigt nur, wie schon zu
Ende des 12. Jahrhunderts gerade bei den vornehmsten Ge-
schlechtern der alte Rechtszustand seine Bedeutung verlor, weil
die neue Macht sie weit über dieses Recht hinausgeführt hatte.
Suchen wir uns nun ein Bild von der Entstehung des Hant-
gemals in der für das 13. Jahrhundert ermittelten Bedeutung
zu machen. Sicher ist es ursprünglich identisch mit der Quote
des einzelnen Geschlechtsgenossen an dem Erbeigen des Geschlechts.
Jedes altfreie Geschlecht hat einen locus originis oder nati-
vitatis. Dieser locus originis ist das Dorf, nach dem das Ge-
schlecht gewöhnlich den Namen führt. In diesem Dorf und
dessen Feldmark, wohl auch den nächstgelegenen Dorfgemar-
kungen, liegen die Erbgüter des Geschlechts. Jeder Geschlechts-
genosse hat kraft seiner Zugehörigkeit zum Geschlecht eine
portio, einen Anteil an diesen Erbgütern. Diese portio ist das
ursprüngliche Hantgemal, an das sich alle rechtlichen Wirkungen
anknüpfen. Bei wiederholten Teilungen verkleinert sich diese
portio sehr; es wird daher eine Mindestgrüße festgesetzt, unter
die die portio nicht sinken soll. Die Größe dieses Minimums
ist schwankend, der Sachsenspiegel nennt eine halbe Hufe; nach
den Urkunden scheint es schließlich bis auf 3—9 Morgen gesunken
zu sein. Auch wenn der Geschlechtsgenosse sein Erbeigen ver-
äußerte, hehielt er sich ein solches Minimum zurück pro liher-
tate tuenda. Aus dem Gesagten geht hervor, daß das Hantgemal
nicht von Anfang an mit einem solchen Minimum gleichbedeutend
war, sondern daß ein solches Minimum nur die Grenze dar-
stellte, unter die eine portio nicht sinken durfte, ohne ihre Rechte
zu verlieren. Die meisten Hantgemale waren aber größer alg
das Minimum. Mit den fortschreitenden Teilungen und zu-
nehmenden Veräußerungen des echten Eigens reduzierten sich die
meisten Hantgemale tatsächlich auf das Minimum, und es wurde
üblich, unter Hantgemal nicht die ganze portiu, sondern nur das .
Minimum zu verstehen. Da eine wirtschaftliche Bedeutung der
stark zusammengeschmolzenen portio nicht mehr zukam, die
rechtliche Wirkung aber auch der Besitz des Minimyms ge-
währte, so legte man nur noch anf dieses Wert und bezeichmete
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 49
es als Hantgemal im engeren oder prägnanten Sinn. Jeder Ge-
schlechtsgenosse mußte ein solches Minimum als Hantgemal be-
sitzen. Aber selbst wenn er mehr besaß, so schied er aus der
portio ein Minimum aus und bezeichnete dieses als sein Hant-
gemal, d. h. sein persönliches Freiheitszeichen. Fin solches
Freiheitsgütchen hatte, wenn die Erben des Besitzers die portio
bekamen, für diese nur noch einen geringen Wert. Daher widmete
der Besitzer häufig dieses sein wirtschaftlich wertlosestes, recht-
lich aber bedeutungsvollstes Eigengut gegen Ende seines Lebens
einem Kloster und opferte damit gewissermaßen seine weltliche
Freiheit auf dem Altar !*?).
So war das Hantgemal schließlich zum bloßen Symbol ge-
worden. Es war das Symbol dafür, daß der einzelne noch
einen Anteil an dem Erbeigen seines Geschlechts hatte. Tat-
sächlich konnte dieser Anteil viel größer sein, rechtserheb-
lich war nur die particula proprietats. Die Rechtswirkung
der particula aber bestand vor allem in dem Nachweis der
Schöffenbarkeit, der durch ihren rechtmäßigen Besitz geführt
wurde, und ferner darin, daß sie für ihren Inhaber eine Hei-
mat im Rechtssinn begründete. Eine große Bedeutung hatte
diese Heimat im Rechtssinn nur noch für den Gerichtsstand des
Schöffenbaren in Kapitalsachen. Dagegen wurde der Gerichtsstand
in allen übrigen Sachen und ferner die Dingpflicht und die tat-
sächliche Ausübung des Schöffenamts nicht mehr durch die Heimat
im Rechtssinn, sondern durch den Wohnsitz und das Grundeigentum
im Gerichtsbezirk begründet’). Wie überall, so mußte auch
hier das Recht der tatsächlichen Entwicklung folgen; je mehr
sich die Geschlechter und Geschlechtsgenossen von der alten
Heimat trennten und den Hof des Bischofs, die Burg des Grafen,
anderweitig erworbenes Eigen, Lehn- oder Dienstgut bewohnten,
desto mehr mußte dieser neue Wohnsitz für alle ihre rechtlichen
Beziehungen entscheidend werden. Aber noch immer entschied
das Hantgemal über den Stand des Schôffenbaren, wie das Ge-
richt der alten Heimat das Kampfgericht war.
Wir haben uns bei der Frage des Hantgemals sehr lange aufge-
halten, einmal wegen ihrer großen Wichtigkeit für das Verständnis
der uns beschäftigenden Institutionen, dann aber auch, weil sie mit
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 4
50 W. Wittich
unserer Hauptfrage, nämlich der nach der Altfreiheit der Ministe-
rialen, im engsten Zusammenhang steht. Das Hantgemal war
ein Beweisstück für die Vollfreiheite. Der Edelherr, der freie
Stadtbürger, der Grafschaftsfreie, sie alle bewiesen damit ihre
Zugehörigkeit zu einer altfreien, schöffenbaren Sippe. Nun finden
wir das Hantgemal ebenso häufig im Besitze dienstmännischer
Geschlechter (vgl. pag. 32—34). Welche Bedeutung konnte das
alte Freiheitszeichen für den unfreien Dienstmann haben? —
Die Antwort auf diese Frage kann nur lauten: nicht gegen-
wärtige sondern ehemalige Freiheit bedeutet das Hantgemal im
Besitz des Ministerialengeschlechts. So sicher wie kein anderes
Merkmal weist dieses auf die Altfreiheit des urkundlich nur
im Stand der Dienstbarkeit auftretenden Geschlechter. Zu-
nächst ist es klar, daß wir alle diejenigen Ministerialenge-
schlechter, deren Angehörige solche particulae proprietatis, be-
sonders am Ort des Namens, im Besitz haben, als altfrei an-
sprechen können. Die Zahl der ministerialischen Geschlechter,
deren Altfreiheit aus diesem Grund erwiesen wird, ist nicht
unbeträchtlich. Aber die Annahme der Altfreiheit braucht sich
jetzt nicht mehr auf die Familien zu beschränken, deren Mit-
glieder solche rechtserhebliche particulae proprietatis besitzen. Wir
können mit größter Wahrscheinlichkeit annehmen, daß alle Ge-
schlechter, die ihren Namen nach dem Ort des Eigengutes führen,
altfreier Abstammung sind. Wir haben die Häufigkeit dieser
Tatsache festgestellt, ohne eine befriedigende Erklärung geben
zu können"). Die Erklärung scheint mir darin zu liegen, daß
der Ort des Eigens auch der Ort des Hantgemals war. Dadurch,
daß cin Geschlecht sich nach dem Ort des Eigens benannte,
wies es unmittelbar auf das wichtigste Merkmal der altfreien
und schöffenbaren Herkunft, das Hantgemal. Gerade für ein
altfreies Dienstmannsgeschlecht war aber dieser Hinweis von
höchster Wichtigkeit. Denn seine Schöffenbarkeit beruhte nicht
mehr auf der gegenwärtigen Freiheit, sondern auf der Abstammung
von einem freien und schöffenbaren Geschlecht. Für diesen
Nachweis aber war der Besitz des Hantgemals entscheidend, und
daher nannte sich gerade die dienstmännische Familie mit Vorliebe
nach dem Ort des Hantgemals.
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 51
Ich behaupte also folgendes: in allen den Fällen, in denen
eine dienstmännische Familie ihren Namen nach dem Dorfe
führte, in dem nachweisbar altes Erbeigen des Geschlechts
gelegen war, in allen diesen Fällen war das alte Erbeigen
für diese Familie, resp. seine einzelnen particulae für die ein-
zelnen Geschlechtsgenossen, das Hantgemal. Mit dem Nach-
weis der Existenz eines Hantgemals für ein Ministerialenge-
schlecht ist der Nachweis der Altfreiheit dieses Geschlechts er-
bracht. Da nun wahrscheinlich die Mehrzahl der hildesheimischen
Dienstmannsgeschlechter ihren Namen vom Ort des Erbeigens
führte und demgemäß dort ihr Hantgemal hatte, sd weist auch
dieser Umstand auf die Altfreiheit dieser Geschlechter.
Wir haben so die engen Beziehungen zwischen der hildesheimi-
schen Ministerialität und den Schöffenbarfreien festgestellt. Wie
die Schöffenbarfreien sind auch die Ministerialen schöffenbar und
dirspflichtig im echten Ding, wie diese haben sie freies Eigen,
von dem sie dem Richter Rechtens pflegen, wie diese endlich
sind sie Eigentümer von Hantgemal, nach dem sie offenbar auch
ihre Namen führen. Alle diese Umstände weisen auf die Alt-
freiheit des größten Teils der hildesheimischen Dienstmannschaft
bin. die sich ja für eine Minderzahl von Familien unmittelbar
erweisen lässt.
Wir haben nun schon früher die Beobachtung gemacht, daß
die Mehrzahl der urkundlich noch als altfrei auftretenden Ge-
schlechter dem Osten des Bistums angehört. Hauptsächlich in
dem mehrere Gaue umfassenden Herrschaftsgebiet der Grafen
von Woldenberg sitzen die zahlreichen kleinen Edelherrenfamilien,
d-ren Ubergang in die Ministerialität wir unmittelbar beobach-
“+n können '*). Dagegen im Herrschaftsgebiet des Bischofs
and (denjenigen Grafschaften, die schon früh unter seine unmittel-
nare (rewalt kamen, wie Bodenburg und Winzenburg, sind diese
kleinen freien Vassallen verhältnismäßig selten. Wir beobachten
hier einerseits nur größere Edelherren, die erst spät, meist über-
haupt nicht dienstmännisch wurden, und andererseits Ministerialen
jes Bischofs. Für einzelne dieser bischöflichen Dienstmannsge-
„hlechter, wie die von Garbolzum, Ohlum-Hohenhameln, Alten-
L -kt-Escherde, Rôssing, ist die Altfreiheit mit einer an Sicherheit
52 W. Wittich
grenzenden Wahrscheinlichkeit zu erweisen, aber urkundlich treten
sie uns, mit Ausnahme vielleicht der von Garbolzum und von Mer-
dorf, als Ministerialen entgegen “%). Das hierfür charakteristischste
Gebiet ist der bischöfliche Ostfalengau, besonders die große und
die kleine Grafschaft. Hier liegt der gewaltige Allodialbesitz
der großen Grafengeschlechter von Wernigerode und von Assel,
der großen Edelherrenfamilien der Vicedomini von Wassel und
der Herren von Depenau, dagegen fehlen mittlere Edelherren
fast völlig''). Den großen, niemals dienstmännisch gewordenen
Edelherren gegenüber stehen die bäuerlichen Grafschaftsfreien 7.
Ein verbindender Mittelstand fehlt, wenn man nicht die ganz
unbestimmt in den Verhandlungen zwischen dem Bischof und
dem Grafen von Lauenrode angedeuteten Eigentümer freier Güter
in beiden Grafschaften dafür halten will. |
Nun finden wir eine Reihe alter, hochangesehener hildesheimi-
scher Ministerialengeschlechter, die ihre Familiennamen von Ort-
schaften der kleinen und der großen Grafschaft führten. Die Mehr-
zahl der Dörfer, die nachweisbar zu einer der beiden Grafschaften
gehörte, hat je einem Dienstmannsgeschlecht seinen Namen gegeben.
So sind als sicher zur kleinen Grafschaft gehörig die Dörfer Eil-
strenge, Odelum und Schwiecheldt bekannt '**). Nach diesen Dör-
fern nennen sich die drei gleichnamigen Geschlechter '*°), von denen
die Eilstrenge zu den ältesten überhaupt bekannten Dienstmanns-
familien zählen, die Schwiecheldt noch heute in der gräflichen
Familie dieses Namens blühen. Beschränken wir uns bei der
sroßen Grafschaft auf die 14 Dörfer der nachmaligen großen
Freien, Ilten, Ahlten, Bilm, Höver, Anderten, Lehrte, Sehnde,
Gretenberg, Rethmar, Haimar, Dolgen, Harber, Evern, Klein-
Lopke'?’), so haben mindestens acht dieser Ortschaften, nämlich
Ilten, Ahlten, Bilm, Höver, Sehnde, Dolgen, Harber, Klein-Lopke,
ebensovielen Ministerialengeschlechtern ihren Namen gegeben 151).
Nach Anderten nennt sich zwar keine Ministerialen-, wohl aber
eine sehr angesehene hannoversche Bürgerfamilie’’). Haimar
und Evern waren vollständig Allod der Grafen von Wernigerode ?°®);
in Rethmar hatte die benachbarte bischöfliche Ministerialen-
familie von Rautenberg umfangreichen Allodialbesitz '°'); über
Lehrte und Gretenberg ist nichts Näheres bekannt.
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 53
Es liegt nun die Annahme sehr nahe, daß diese Ministerialen-
geschlechter die altfreien Schöffenbaren der großen und kleinen
Grafschaft darstellen, die verhältnismäßig früh, d. h. vor der Mitte
des 12. Jahrhunderts, in die Dienstmannschaft des Bischofs von
Hildesheim eingetreten sind. Ihre Namen führen sie der allgemei-
nen Übung entsprechend nach dem Ort des Hantgemals. Damit
wäre die Lücke ausgefüllt, die in historischer Zeit auffallenderweise
in der ständischen Gliederung dieser Gebiete besteht. Die Ur-
sache, daß gerade die mittelfreien Geschlechter dieser Gegend in
so früher Zeit sämtlich dem Bischof sich ergaben, wäre wohl in
der verhältnismäßigen Nähe der bischöflichen Residenz, vielleicht
auch in geringerer Wohlhabenheit dieser Familien zu suchen.
Dagegen wäre nur ein Argument anzuführen. Man könnte ein-
wenden, daß diese Ministerialengeschlechter ihre Namen nicht
deshalb nach den Dörfern der großen und kleinen Grafschaft
geführt hätten, weil dort ihr Erbeigen gelegen habe, sondern
weil sie mit dem Allod der großen Grafen- und Edelherren-
geschlechter belehnt worden seien. Gegen diesen Einwand spricht,
von allgemeinen Gründen abgesehen, folgendes. Wenn wir auch
in einigen Fällen beobachten, daß der Ministerial sich nach dem
Ort seines Dienstgutes nennt, so ist es durchaus ungewöhnlich,
daß er nach dem ihm von einem dritten Herrn verliehenen freien
Lehngut den Namen führt. Dieser Fall kann höchstens dann
eintreten, wenn dieses Lehngut eine Burg ist. Da von Burgen
in dieser Gegend nirgends die Rede sein kann, so ist schon aus
diesem Grund der Einwand hinfällig.
Ferner haben wir gerade in den beiden Ortschaften Haimar
und Evern den Beweis gegen diesen Einwand. Sie waren
höchst wahrscheinlich völlig Allod der Grafen von Wernige-
rode!°®) und wurden von diesen zu Lehen gegeben, z. B.
an die von Saldern'!?) und andere. Aus diesem Grund, d. h.
weil sie ausschließlich aus Lehngut bestanden, nannte sich auch
kein Geschlecht nach ihnen. Es ist daher so gut wie ausgeschlossen,
daß die übrigen Geschlechter nach den in diesen Ortschaften ge-
legenen freien Lehngütern ihren Namen führten. Während so dieser
Einwand gegen unsere Annahme nicht stichhaltig erscheint, sprechen
eine Reihe schwerwiegender Umstände entschieden dafür.
54 W. Wittich
Zunächst finden wir, daß die Mehrzahl der in Frage stehen-
den Geschlechter, nämlich die von Ilten, Alten, Sehnde, Lopke,
Harber, Schwiecheldt, sowohl der Dienstmannschaft des Hil-
desheimer Bischofs wie auch derjenigen der Grafen von Lauen-
rode angehören !"*). Entweder fand diese Zugehörigkeit eines.
Geschlechts zu verschiedenen Dienstmannschaften gleichzeitig
statt, so daß einzelne Angehörige der Familie bischöfliche, andere
gräfliche Dienstmannen waren, oder die ganze Familie trat aus
der bischôflicnen Ministerialität aus und in die gräfliche ein.
Wie dem auch war, die an sich ungewöhnliche Erscheinung zeigt
einen engen Zusammenhang dieser Geschlechter mit dem Graf-
schaftsherrn des Gebietes, die am einfachsten auf deren alte
Schöffenbarkeit in diesem Bezirk zurückzuführen ist. Dafür
spricht ferner die Tatsache, daß Angehörige dieser Geschlechter
als Dinggenossen und wohl auch als Schöffen bei Echtedings-
verhandlungen im bischöflichen Ostfalengau und im Grafengericht
der Grafen von Lauenrode auftreten. So erscheinen Ulrich von
Ilten und Eberhard von Alten im comicium der Grafen von Lauen-
rode '°’), Johannes von Sehnde und der gleichfalls der großen
(rafschaft entstammende Konrad von Wassel bei der Eigentums-
übertragung von Gütern zu Wennerde'°?), und schließlich außer-
halb des bischöflichen Ostfalens tritt Heinrich von Udeln
(Ödelum) im echten Ding des Ambergaus als Dinggenosse auf 197),
Endlich ist auch Besitz dieser Familien am Ort ihres Namens
nachweisbar. So haben die von Lopke, Harber und besonders
die von Ödelum Lehngüter an den gleichnamigen Orten ’5®), bei
den Ilten, Alten und Schwiecheldt wird neben Lehngut auch
Eigen am Ort des Namens erwähnt 1°),
Eine Familie ist besonders hervorzuheben, bei der ein enger
Zusammenhang mit den Ort des Namens nachzuweisen ist. Diese
ist das Geschlecht von Schwiecheldt. Die erste Erwähnung dieser
Familie geschieht im Jahr 1160, wo Immika, die Schwester des
Dietrich von Goltern, eines hildesheimischen Dienstmanns, mit ihren
zwei Söhnen zu einer Veräußerung von zwei Hufen zu Schwie-
cheldt durch ihren Bruder an St. Godehard ihre Zustimmung gibt !*")..
Em Jahr 1169 kaufte das gleiche Kloster St. Godehard von.
Immika und deren Söhnen Heinrich und Burchard 13 Hufen in
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 55
Schwiecheldt, teils Eigen-, teils Lehngut '®'). Da schon im Jahr
1181 ein Heinrich von Schwiecheldt unter den bischöflichen
Dienstleuten erscheint!®?) und der Name Heinrich für die Folge
der Hauptname des Geschlechts ist!‘), so unterliegt es wohl
keinem Zweifel, daß wir in diesen Brüdern und ihrer Mutter
Angehörige der Dienstmannsfamilie von Schwiecheldt vor uns
haben. Auch für die Folgezeit bleibt die Familie ihrer Heimat
eng verbunden. So treten im Jahr 1215 bei einem Geschäft
zwischen den Klöstern Backenrode und St. Godehard über einen
Zehnten in Schwiecheldt als Zeugen auf, Luderus miles de
Swelethe cum omnibus eiusdam ville civibus !%). Eine Variante
dieser Urkunde sagt: erant eo tempore, quo haec cambitio facta
est, in bonis iam dictis villici, in Swelethe Henricus *) ete. Wir
sehen also dieses Geschlecht schon um die Mitte des 12. Jahr-
hunderts am Ort seines Namens mit bedeutendem Eigengut an-
gesessen. Wahrscheinlich veräußerte es an St. Godehard nur
einen Teil seines Eigengutes, blieb daher in der Heimat ansässig
und übernahm später auch das Klostergut am Ort in seine Ver-
waltung. Die Bodenständigkeit dieser Familie am Ort ihres
Namens liegt klar zutage, andererseits kennen wir sie nur als
hildesheimische Ministerialen. Ich wüßte nicht, wie dieser Gegen-
satz anders zu versöhnen ist als durch die Annahme, daß die
Familie, altfrei und mit Eigen angesessen zu Schwiecheldt, später
durch Heirat oder Ergebung in die bischöfliche Ministerialität
gekommen ist.
Über die Beziehungen des hildesheimischen Dienstmanns-
geschlechts von Lopke zu den Dörfern Groß- und Klein-Lopke
haben wir bereits gesprochen. Der Besitz der Familie in Lopke
ist sicher. Im Jahr 1228 gab der Ritter Albert von Lopke bei
seinem Eintritt in das Kloster St. Michael 18 Morgen bischöf-
lichen Dienstgutes an dieses Kloster!‘). Im Jahr 1178 finden
wir unter den parochiani der neuen Kirchengemeinde zu Lopke
Persönlichkeiten, deren Vornamen mit Entschiedenheit auf ihre Zu-
gehörigkeit zu dem Ministerialengeschlecht hinweisen ‘%). Es ist
also auch hier die Altfreiheit des Ministerialengeschlechts im
höchsten Grade wahrscheinlich.
Nehmen wir alle diese Argumente zusammen, so erscheint
56 | W. Wittich
es so gut wie sicher, daß die zahlreichen, nach Dörfern der
großen und der kleinen Grafschaft benannten hildesheimischen
und lauenrodischen Ministerialenfamilien altfreien Geschlechtern
dieser Gebiete entstammen. Es hat sich hier, vielleicht aus den
oben angeführten Gründen, in verhältnismäßig früher Zeit und
besonders großem Umfang der Übertritt aller irgend erheblicher
Freiengeschlechter des Gebietes in die Dienstmannschaft des
Hildesheimer Bischofs oder des Grafschaftsherrn, des Grafen von
Lauenrode, vollzogen. Frei sind hier nur, abgesehen von den
großen Edelherren, die Grafschaftsbauern geblieben, die in den
Urkunden niemals als Subjekte, sondern nur als Objekte der
Verhandlungen auftreten. Aus diesem Grund ist uns auch kein
Name irgend eines solchen Grafschaftsfreien sicher überliefert.
Wir stehlen am Ende unserer Untersuchung und formulieren
noch einmal kurz die Ergebnisse derselben. Die Dienstmann-
schaft des Bischofs von Hildesheim besteht um die Wende des
12. Jahrhunderts ihrer großen Mehrzahl nach aus altfreien Ge-
schlechtern, die im Laufe des 12. Jahrhunderts oder schon früher
entweder durch Heirat oder durch Ergebung dienstmännisch
geworden sind. Die ganze Natur des Instituts bedingt allerdings
einen Grundstock altministerialischer Familien, die nicht durch
Ergebung aus der Freiheit, sondern durch Aufsteigen aus der
niederen Hörigkeit die dienstmännische Stellung erlangt haben.
Jedoch war höchstwahrscheinlich die Zahl dieser Familien von
Anfang an nicht bedeutend. Am Ende des 12. und zu Beginn
des 13. Jahrhunderts traten diese altdienstmännischen Geschlechter
an Zahl sicher völlig hinter den altfreien Ministerialenfamilien
zurück. Auf diese Zusammensetzung der bischöflichen Dienst-
mannschaft weisen zunächst die zahlreichen Übertritte altfreier
Geschlechter in die Ministerialität, die wir mit Sicherheit fest-
stellen können. Ferner steht die bischöfliche Ministerialität in
engster Beziehung zur Freien- und Grafschaftsverfassung. Sie
ist dingpflichtig und schöffenbar im echten Ding, sie hat echtes
Eigen und führt auch zumeist den Geschlechtsnamen nach dem
Ort, in dem ihr echtes Eigen belegen ist. Da für einige
Ministerialengeschlechter rechtserhebliche particulae proprietatis
nachweisbar sind, die nur Hantgemale gewesen sein können, 80
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 57
liegt die Annahme nahe, daß die Dienstmannsgeschlechter sich
deshalb nach dem Ort ihres Erbeigens genannt haben, weil dieses
ihr Hantgemal bildete, und damit schon im Namen die für sie
besonders wichtige schôffenbarfreie Abstammung ausgedrückt
wurde. Wir können also mit besonderer Wahrscheinlichkeit die
Altfreiheit der zahlreichen Geschlechter annehmen, die sich nach
dem Dorf ihres Erbeigens benennen. Zum Schluß endlich haben
wir gesehen, wie gerade im Gebiet der kleinen und der großen
Grafschaft, aus dem uns mittlere Edelherrenfamilien urkundlich
nicht überliefert sind, zahlreiche Dienstmannsgeschlechter auf-
treten, bei denen alle Merkmale der Altfreiheit in besonders aus-
geprägtem Maße vertreten sind. Unsere Annahme findet in
diesem besonderen Fall eine deutliche Bestätigung und erklärt
ihrerseits wieder in befriedigender Weise die abnorme Standes-
gliederung dieses Gebietes.
86. Analogieen aus benachbarten Gebieten.
Als letzte Aufgabe bleibt, die hier gefundenen Resultate mit
den Ergebnissen der Forschungen über die Standesverhältnisse
benachbarter Gebiete zu vergleichen. Hier stehen an erster
Stelle die epochemachenden Untersuchungen OTTO v. ZALLINGERS
über die Schöffenbarfreien des Sachsenspiegels, die dieser auf
Grund ostfälischer Urkunden aus dem Entstehungsgebiet des
Sachsenspiegels angestellt hat. ZALLINGERS Untersuchungsgebiet
ist also das Land im Osten des späteren Herzogtums Braun-
schweig- Wolfenbüttel, und zwar die Grafschaften Seehausen,
Aschersleben, Mühlingen und der Gau Serimunt, die Heimat des
EIKE v. REpgow, des Verfassers des Sachsenspiegels'‘®). In der
Hauptsache liegen diese Grafschaften in den alten Volksgauen
Nordthüringgau und Schwabengau, die von der Elbe und Saale
im Osten und Südosten begrenzt wurden. Nur der Gau Seri-
munt liegt östlich der Saale im Kolonisationsgebiet. Zeitlich
erstrecken sich die Untersuchungen ZALLINGERS auf die hundert
Jahre von der Mitte des 12. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts !°°).
Für alle Teile seines Untersuchungsgebietes hat nun ZALLINGER
urkundlich festgestellt, daß die Zahl der freien Ritter um die
Mitte des 12. Jahrhunderts außerordentlich groß gewesen ist, daß
58 W. Wittich
überhaupt die ritterlichen Geschlechter in ihrer Masse noch Nobiles,
d. h. Freie, waren'!‘®). Er meint, der Schluß dürfte berechtigt
sein, daß ihre Stärke in früherer Zeit noch größer war. „Denn“,
so fährt er fors, „es ist ersichtlich, wie sie auch weiterhin (d. h.
seit dieser Zeit) fortschreitend abnimmt, bis gegen Ende des
13. Jahrhunderts nur mehr relativ wenige Edelherren übrig sind.
Was die Reihen derselben zunehmend lichtete, war aber in erster
Linie nicht das Aussterben der Familien, sondern der Eintritt
in die Dienstmannschaft der Fürsten. Wir haben diese Bewegung
in den Urkunden zurückverfolgen können bis in den Anfang des
12. Jahrhunderts. Seit der Mitte desselben gewann sie, wie
sich deutlich erkennen läßt, immer größere Dimensionen, und nicht
viel nach der Mitte des 13. war bereits der ganze ehemals freie
ostfälische Adel mit wenigen Ausnahmen dienstmännisch ge-
worden“ 166),
Wir sehen also im östlichsten Ostfalen die gleiche Entwickelung,
die wir aus den hildesheimischen Urkunden erschlossen haben,
im vollen Lichte einer reichen urkundlichen Überlieferung vor sich
gehen. Während wir aus den Urkunden des 12. und beginnenden
13. Jahrhunderts nur eine Minderzahl von Übertritten unmittelbar
entnehmen konnten und für die Masse der nur als dienstmännisch
bekannten Geschlechter die Altfreiheit aus den ihnen anklebenden
Freiheitsresten erschließen mußten, hat ZALLINGER aus seinem
Urkundenmaterial die Altfreiheit und die Übertritte unmittelbar
feststellen können. Die Ursache dieser Verschiedenheit liegt, ab-
vcsehen von dem vielleicht reicheren Urkundenmaterial, das
ZALLINGER zu Gebote stand, in erster Linie in der Verschieden-
heit des Zeitpunktes, in dem die Masse der Übertritte vor sich
sing. In beiden Untersuchungsgebieten beginnt die wirklich
reichliche urkundliche Überlieferung mit der Mitte des 12. Jahr-
hunderts. Damals waren im westlichen Ostfalen die meisten
freien Rittergeschlechter schon dienstmännisch geworden, während
sie im östlichen Ostfalen noch frei waren, die Übertrittsbewegung
also erst später ihre volle Stärke erreichte. Aus diesem Grunde
konnte ZALLINGER sie unmittelbar beobachten, während wir auf
‚rund schwerwiegender Argumente nur annehmen konnten, daß
sie stattgefunden haben mußte. Auch die Verschiedenheiten in
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 39
den Rechtsverhältnissen des ZALLINGERsehen und unseres Unter-
swchungsgebietes erklären sich aus dieser zeitlichen Differenz der
Entwiekelung. So ist die ganze Grafschafts- und Freienverfassung
dort ungleich viel lebenskräftiger und reicher ausgebildet; sie
macht den Eindruck eines in voller Wirksamkeit befindlichen
Instituts. Aus allen seinen Grafschaften sind landgerichtliche
Verhandlungen in großer Zahl überliefert. Scharf sind die zur
Besetzung des Gerichts gehörigen Personen in den Urkunden ge-
kennzeichnet und unterschieden. Graf, Schultheiß, Schöffen und
Fronbote treten in ihren Kompetenzen deutlich hervor; auch die
Parteien gehören sehr häufig dem Stand der freien Ritter an.
Im Vergleich mit diesen Urkunden ist das hildesheimische
Material sehr spärlich; die einzelnen Urkunden sind ungenau und
zeben gerade über die wichtigste Frage der Besetzung des Ge-
bts nur unsichere Auskunft. Es waren eben dort die wahren
Trager des echten Dings und der ganzen Grafschaftsverfassung,
die freien Rittergeschlechter, in großer Zahl vorhanden, während
hier der Zersetzungsprozeß der Grafschaftsverfassung viel weitere
Fortschritte geinacht hatte, weil diese ehemals freien Ritter-
se:chlechter ihren Schwerpunkt nicht mehr im Landrecht, sondern
m Dienstrecht fanden, die Dinggenossenschaft im echten Ding
or noch ein Ehrenrecht für sie war, und die Zuständigkeit des
Landgerichts immer mehr zusammenschrumpfte.
Ferner ist ZALLINGER der durch gute Gründe unterstützten An-
srht. dass der freie Ritter mit der Ergebung zwar sein Erbeigen
hielt. aber ursprünglich wenigstens die Schöffenbarkeit mit der
Freil;e-it einbüsste '*). Erst gegen Ende des 12. Jahrhunderts, als
“+ Zahl der freien Herren immer stärker und rascher zusammen-
sl vand. dass sie zur Besetzung des Gerichts nicht mehr aus-
ben mochten, behielten die übertretenden Altfreien auch
dieses Recht, und schließlich kam das Schöffenamt ausschließlich
't die Hände von Mitgliedern des Ministerialenstandes 7). Wir
taben einen Unterschied zwischen schöffenbaren und nicht
höffenbaren altfreien Dienstmannen nicht beobachtet, sondern
mn Gegenteil festgestellt, daß gerade die schon früh übergetretenen
Ministerialen, wie z.B. die von Rössing, ebenfalls das Schöffen-
antansübten. Auch dieser Unterschied erklärt sich leicht, wenn
60 W. Wittich
man bedenkt, daf dieser Mangel an freien Schôffenbaren im
Bistum Hildesheim entsprechend dem früheren Verlauf der ganzen
Entwickelung ebenfalls früher eingetreten ist, und daß demgemäß
die übergetretenen Ministerialen auch viel früher die Schöffen-
barkeit im echten Ding erlangt haben. Daher erscheinen in den
hildesheimischen Urkunden sämtliche als altfrei erweisbare
Ministerialen als schöffenbar, womit natürlich das frühere Bestehen
eines solchen Unterschiedes auch in Hildesheim nicht in Abrede
gestellt wird. Wir sehen also, wie das westliche Gebiet dem
östlichen in der Entwickelung weit vorausgeeilt ist, wie aber
diese Entwickelung selbst sich hier wie dort in ganz derselben
Weise vollzogen hat. Gewiß aber gibt diese auffallende Analogie
der dort unmittelbar feststellbaren Entwickelung mit der von uns
für das Bistum Hildesheim angenommenen dieser unserer An-
nalıme eine weitere, sehr wichtige Stütze.
Über die Ursachen der zeitlichen Verschiedenheit in der
Entwickelung bei der Gebiete lassen sich einstweilen nur Ver-
mutungen aussprechen; wir wollen daher, und weil sie für die
uns beschäftigende Frage ohne größere Bedeutung sind, nicht
weiter darauf eingehen. Ebenso wenig kann hier die interes-
sante Frage erörtert werden, welche Anhaltspunkte die von
uns gewonnenen Resultate zur Beurteilung der Lehre des Sach-
senspiegels von den Schöffenbarfreien und der ZALLINGERschen
Kritik dieser Lehre geben. Es müßte dabei ausführlich auf die
neuerdings von HECK aufgestellten Anschauungen und besonders
auf dessen Kritik ZALLINGERS !°®) eingegangen werden, was den
Rahmen und das Ziel dieser Arbeit weit überschreiten würde.
Dagegen wollen wir die Entwickelung der Standesverhältnisse in
den nächsten Nachbargebieten des Bistums Hildesheim an be-
sonders charakteristischen Beispielen genauer betrachten.
Aus dem welfischen Gebiet zwischen dem Bistum Hildes-
heim und dem von ZALLINGER untersuchten ôstlichsten Ost-
falen, also aus dem späteren Herzogtum Braunschweig-Wolfen-
büttel, sind uns sehr wichtige Nachrichten über die Freien
der Grafschaft Biewende erhalten. Diese Grafschaft lag südlich
von Wolfenbüttel und umfaßte wahrscheinlich nur ein kleines
Gebiet, das im Westen von der Oker begrenzt wurde. Als
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 61
Grafschaftsherren erscheinen in der ersten Hälfte des 13. Jahr-
hunderts die Edlen von Biewende, die jedoch in keiner Urkunde
den Grafentitel führen ’'®). In der zweiten Hälfte des 13. Jahr-
hunderts (etwa seit 1253) kam die Grafschaft Biewende, vielleicht
als herzogliches Lehen, in den Besitz der mächtigen herzoglichen
Ministerialenfamilie von open re ete Die älteste
and wichtigste Gerichtsurkunde dieser Grafschaft stammt aus dem
Jahr 1228 (VII. 12)!7°). In derselben bekundet Halt, illustris
miles de Biwinde, dass der Propst Walter von Dorstadt mit
sinem Willen von Teodericus Tosewulle 14 Morgen Landes in
der Gemarkung Klein- oder Crut-Neindorf erworben habe. Für
die Zustimmung erhielten der Grafschaftsherr und die Erben des
Verkäufers vom Käufer Geldabfindungen. Die letzteren waren
bei der Verhandlung, die im Dorf Ostbiewende stattfand und
ausdrücklich als comitia bezeichnet wird, anwesend. Zeugen der
Verhandlung waren der Sohn des Grafschaftsherrn, acht Ritter,
meist Dienstleute der Edlen von Biewende, darunter der Gograf
und ein Schultheiß, ferner der Fronbote (preco) und ein Pfarrer 7).
Abgesehen von dem Grafschaftsherrn und dessen Sohn war das
Grafengericht ganz mit Ministerialen besetzt, unter denen un-
zweifelhaft auch die Schöffen zu suchen sind '’'). Ganz dasselbe
Bild bieten alle übrigen uns erhaltenen Gerichtsurkunden dieser
(rafschaft !77). Neben vereinzelten Edlen und fremden Mini-
*erialen bilden die Ministerialen des Grafschaftsherrn den Haupt-
bestandteil der Dinggenossenschaft. Dazu kommt in einem Fall
ein Bürger von Braunschweig '’®) und ferner in zwei Urkunden
ı*hrere Personen, von denen es ungewiß bleibt, ob sie Bürger
er Bauern waren ''%). Jedoch ist ihre bäuerliche Stellung am
wahrscheinlichsten. Die Dinggenossenschaft und Schöffenbarkeit
der Ministerialen ist auch hier wie im übrigen Ostfalen auf ihre
Altfreiheit zurückzuführen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die
„anze kleine Dienstmannschaft der Edlen von Biewende altfreien
eschlechtern der Grafschaft entstammte.
Wenden wir uns jetzt zu dem in der erwähnten Urkunde
as Verkäufer von Grafschaftseigen auftretenden (Dietrich) Teo-
“erieus Tosewulle. Er ist unzweifelhaft identisch mit dem
venige Jahre später ebenfalls als Eigentümer in der Graf-
62 W. Wittich
schaft erwähnten Dietrich von Kissenbrück !7}. Das Ge-
schlecht von Kissenbrück war eine der ältesten, angesehensten
und reichsten Bürgerfamilien der Stadt Braunschweig!‘%). Auch
in der späteren Zeit erscheint sie an einem Orte der Grafschaft
Biewende reich begütert '””). Als Zeuge bei einem Kauf des
Bürgers Dietrich von Kissenbrück. zu Westerbiewende tritt der
Ritter Heinrich von Kissenbrück auf!’”). Da er auch als Ding-
genosse in einer Grafengerichtsverhandlung zu Kissenbrück :®)
erscheint, so ist seine Zugehörigkeit zu einem altfreien Ge-
schlecht der Grafschaft sicher und seine Verwandtschaft mit
der braunschweigischen Patrizierfamilie sehr wahrscheinlich.
Er scheint Dienstmann der Grafen von Woldenberg gewesen zu
sein!) Im 14. Jahrhundert endlich finden wir eine Familie
von Kissenbrück wohnhaft zu Kissenbrück #"}, Nach ihren
in den Urkunden angedeuteten Lehnsverhältnissen zu ur-
teilen, war sie ritterlich oder bürgerlich '®’), gehörte also ent-
weder der Patrizierfamilie oder dem Geschlecht des Ritters
Heinrich an. Wir lernen so ein braunschweigisches Patrizier-
seschlecht und ein Rittergeschlecht von Kissenbrück kennen, die
beide unzweifelhaft zu den Altfreien der Grafschaft zählen, und
endlich hören wir von einem zu Kissenbrück wohnhaften Ge-
schlecht des Namens, das ritterlichen oder bürgerlichen Standes
gewesen sein muß. Da auch andere Umstände auf den agnati-
schen Zusammenhang der drei Familien hinweisen !?!), so ist die
Annahme berechtigt, daß sie alle drei dem gleichen Geschlecht
angehörten. Wir haben in dem Geschlecht von Kissenbrück eine
altfreie Sippe der Grafschaft Biewende vor uns, die zum Teil in
die Bürgerschaft der Stadt Braunschweig, zum Teil in die
Dienstmannschaft benachbarter Grafen und damit in die Ritter-
schaft übergegangen war.
Außer der Familie von Kissenbrück wird noch ein anderes,
sicher altfreies Geschlecht urkundlich erwähnt, das sich nach
dem Dorf Westerbiewende nannte und daselbst Eigengut be-
saß!) Im Jahr 1300 verkaufen Herr Eggelinus, Kanonikus
zu Schöningen, Herr Widekind von Biewende, Bürger zu Braun-
schweig, und Herrn Widekinds Bruder, ein Bauer zu Bie-
wende (bur tho Bywende), mit Zustimmung aller ihrer Erben
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 63
eine Hufe zu Westerbiewende an die Küsterin des Klosters
Dorstadt '*#). Die agnatische Verwandtschaft der drei Miteigen-
tümer liegt klar zutage. Ein Glied des altfreien Geschlechts
ist geistlich, eines bürgerlich, eines endlich bäuerlich. Ich bin
der festen Überzeugung, daß diese Einzelfälle typisch sind, und
daß wir in ihnen die Grundlinien der ständischen Entwickelung
der altfreien Geschlechter vor uns haben. Ein Teil wird ritter-
lich und dienstmännisch, ein Teil geht in die Bürgerschaft be-
nachbarter Städte über, ein Teil endlich bleibt frei auf der
heimatlichen Scholle sitzen und wird bäuerlich. Nach den Ge-
richtsurkunden der Grafschaft aber sind hier wenigstens weitaus
die meisten Altfreien ritterlich und dienstmännisch geworden.
Wenden wir uns nun vom Bistum Hildesheim nach Norden,
ko kommt da zunächst das Herzogtum Lüneburg und dann auch
das Bistum Bremen in Betracht. In beiden Gebieten ist die
Überlieferung aus der älteren Zeit weit weniger reich als im
Bistum Hildesheim und im östlichen Ostfalen. Es lassen sich
daher dort weitaus nicht so wertvolle Analogien wie aus dem
ostfälischen Sachsen gewinnen. Immerhin deuten alle Über-
lieferungen auf die gleichen Verhältnisse, wie wir sie im Bistum
Hildesheim kennen gelernt haben. Der beste Kenner der älteren
Verfassungsgeschichte des Fürstentums Lüneburg, der Freiherr
von Hammerstein-Loxten !#°), nimmt ebenfalls die Altfreiheit der
meisten lüneburgischen Ministerialenfamilien an. Auch er weist
das freie Eigen derselben in einzelnen Beispielen nach. Er hat
ferner beobachtet, daß in den sehr eingehenden Lehnsregistern
der welfischen Fürsten aus dem 14. Jahrhundert der Ansitz der
Dienstmannsfamilien, der Hof ihres Namens und ihres Wohnsitzes,
niemals als lehnbar erwähnt wird. Er zieht daraus den Schluß,
daß der Ansitz in der Regel freieigen gewesen sei!#), ein ar-
gumentum silentio, das gerade hier im Mittelpunkt der welfischen
Allodien, wo sonstige Lehnsherren kaum vorkommen, berechtigt
erscheint. Sollte diese Annahme zutreffen, so wäre damit die
Altfreiheit der lüneburgischen Dienstmannen ebenfalls so gut
wie sicher.
Aus dem Bistum Bremen besitzen wir noch aus dem
13. Jahrhundert eine schöne Ergebungsurkunde eines altfreien
64 W. Wittich
Geschlechts #1), und DEuio berichtet iu seiner Geschichte des
Erzbistums Bremen von zahlreichen Übertritten freier Ritter in
die Dienstmannschaft des Erzbischofs !°?).
Im Westen und Südwesten grenzte an unser Untersuchungsge-
biet das engersche Sachsen. Beginnen wir mit dem Südwesten, so
ist hier vor allem der sächsische Hessengau interessant. Dieser
Gau lag direkt nördlich von Kassel auf dem linken Ufer der Weser
und umfaßte ziemlich genau das Stromgebiet der in die Weser
fließenden Diemel. Im 13. Jahrhrhundert teilten sich die Grafen
von Everstein, von Dassel und von Waldeck in die Grafschafts-
rechte in diesem Bezirk !%). Für uns kommen nur die beiden erst-
senannten Grafen in Betracht. Die eversteinsche Grafschaft lag im
Westen des Gaus. Ihre Hauptmalstatt war der Donnersberg bei
Warburg. Daher hieß sie auch die Grafschaft am Donnersberg !*).
In dem viel kleineren östlichen Teil herrschten die Grafen von
Dassel. Mittelpunkt ihres Gebietes war die Stadt Hofgeismar.
Aus diesen Gebieten sind uns nun Nachrichten über Freie und
Freigerichtsverfassung in größter Fülle überliefert. Zunächst be-
sitzen wir eine Reihe von Gerichtsurkunden aus dem everstein-
schen Gebiet, die uns über die Standesverhältnisse der Schöffen
und Freien Auskunft geben '!?’).. Das Resultat einer eingehenden
Untersuchung dieser Verhältnisse ist in der Hauptsache folgendes.
Zunächst gehören die als scabini und liberi unterschiedenen Freien
„u der gleichen sozialen Klasse, ja häufig zu den gleichen Geschlech-
tern. Eine Differenzierung des landrechtlichen Standes, auf die
die Urkunden durch die Scheidung in scabini und alii qui liberi
dicuntur hinzuweisen scheinen, ist, bei den erwähnten Dinggenossen
wenigstens, nicht vorhanden. Sie sind also landrechtlich sämtlich
als Altfreie (Schöffenbarfreie) zu betrachten. Ihrer sozialen
Stellung nach gehören sie mit wenigen Ausnahmen Ritter- oder
Bürgerfamilien an. Die Mehrzahl der erwälnten Schöffen und
Freien sind Bürger der Städte Warburg, Hofgeismar, Fritzlar,
Bodenwerder und Paderborn. Jedoch sind diese Bürgergeschlechter
wahrscheinlich zum größeren Teil gleichen Stammes mit gräf-
lichen, paderbornischen und korveyschen Dienstmannen. Ein
xroßer Teil, besonders der Schöffen, besteht aus Personen, die
unmittelbar als eversteinsche Ministerialen zu erweisen sind. Es
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 65
kann keinem Zweifel unterliegen, daß die nicht beträchtliche
Dienstmannschaft der Grafen von Everstein ganz oder zum weit-
aus größten Teil aus den Freien der Grafschaft zum Donnersberg
hervorgegangen ist.
Ein kleiner Bruchteil der genannten Dinggenossen ist zwar
nicht mit Sicherheit, aber doch mit größter Wahrscheinlichkeit
als bäuerlich zu betrachten. Es sind also unter den Grafschafts-
freien der eversteinschen Grafschaft im 13. Jahrhundert alle
Stände im späteren Sinn des Wortes vertreten. Aber das Mi-
schungsverhältnis ist durchaus ungleich. An erster Stelle stehen
die Stadtbürger, ihnen folgen in geringem Abstand die Ministe-
rialen. Die Bauern sind höchst wahrscheinlich ebenfalls vorhanden,
aber ihre Zahl ist verschwindend klein.
Wenden wir uns nun zu dem dasselschen Teil des sächsischen
Hessengaus, so können wir die eben geschilderte Dreiteilung hier
bei emem einzelnen Geschlecht mit seltener Genauigkeit verfolgen.
Das Geschlecht von Kalden.
Direkt südlich von Hofgeismar, etwa in der Mitte zwischen
dieser Stadt und der Stadt Kassel, liegt das Dorf Kalden. Das
Dorf gehörte zum sächsischen Hessengau, in dessen ôstlichem Teil
später die Grafen von Dassel die Grafschaftsrechte innehatten :28).
Kalden lag an der Grenze des landgräflichen und dasselschen
Herrschaftsgebietes. Jedoch ist mit Sicherheit anzunehmen, daß
es noch zur Grafschaft Dassel gehörte!‘®). Nach diesem Dorf
nennt sich nun ein Rittergeschlecht, das zuerst mit Albert von
Kalden in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts auftritt !*®).
Wahrscheinlich die früheste Erwähnung findet sich in einer Ur-
kunde des Abts Hermann von Korvey, die zwischen 1223 und
1254 ausgestellt wurde. Hier steht Albert als letzter in einer
Reihe von Korveyer Ministerialen. Man wird annehmen dürfen,
daß er selbst damals Dienstmann des Abts war!*) Jedoch
schon im Jahr 1240 erscheint er als Zeuge in einem Geschäft
des Grafen Adolf von Dassel '”), und von dieser Zeit an finden
wir ihn so häufig als Zeuge bei Geschäften der Grafen und ihrer
nächsten Verwandten und zum Teil inmitten notorisch gräflieher
Dienstleute, daß seine spätere Zugehörigkeit zur gräflichen Dienst-
Vierteljahrechr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV, 5
66 W. Wittich
mannschaft sicher ist!%). Er war außer vom Grafen von Dassel
auch vom Mainzer Erzbischof mit Gütern bei Geismar belehnt ??')
und tritt häufig als Zeuge in Geschäften, die zu Hofgeismar ab-
geschlossen wurden, auf'°?}. Kurz vor 1258 muß er verstorben
sein. Denn in diesem Jahr wurde ein Streit über seine Hinter-
lassenschaft zwischen seinem Bruder, dem Ritter Bertold, dessen
Sohn Albert und dem Kloster Hardehausen geschlichtet !9°). Unter
den Zeugen dieses Vergleichs erscheint der Ratsherr Johann von
Kalden zu Hofgeismar !°°). Wahrscheinlich Abkömmlinge, sicher
nahe Verwandte dieser Brüder von Kalden sind die Knappen
Johannes, Druchtlevus, Heinrich und Engelhard von Kalden, die
seit dem Jahr 1262 urkundlich erwähnt werden’). Auch sie
erscheinen immer in Urkunden der Grafen von Dassel bezw. des
zur gräflichen Familie gehörigen Edelherrn Konrad von Schön-
berg”). Ihre Stellung als dasselsche Ministerialen und ihre
Zugehörigkeit zum Geschlecht der Brüder Albert und Bertold
kann daher keinem Zweifel unterliegen.
Im Jahr 1290 erscheint nun ein weiterer Johann von Kalden mit
seiner Gattin Kunigunde !?®). Der Edelherr Konrad von Schönberg
beurkundet, daß Johann, der Sohn des Rether, den Zins für die
Nutzung einer Hufe, die er vom Kloster Helmarshausen innehatte,
10 Jahre lang nicht bezahlt habe. Nun besitze dieser Johann in
Kalden eine (freieigene) von niemand lehnbare halbe Hufe mit
einem Hof. Er habe sich mit dem Abt dahin geeinigt, daß er und
seine Gattin zeitlebens beide Güter frei besitzen sollten, daß aber
nach ihrem Ableben das freieigene Gut als Ersatz für den ver-
sessenen Zins zugleich mit der Zinshufe dem Kloster zufallen
solle. Als Zeugen dieses Geschäfts erscheinen die Brüder Jo-
hannes, Druchtlevus und Heinrich, Knappen von Kalden. Für
die Zugehörigkeit dieser ausdrücklich Johannes de Colden ge-
nannten Persönlichkeit zur dasselschen Ministerialenfamilie spricht
1. der Vorname Johann; 2. die Bezeichnung seiner Freihufe als
mansus a nullo infeodatus, die auf eine ritterbürtige Stellung
schließen läßt; 3. das Auftreten der drei Brüder von Kalden als
Zeugen bei seinem Geschäft mit dem Abt von Helmarshausen.
Vermutlich gaben sie als Erben der Freihufe ihre Zustimmung
zu deren Veräußerung. Ich halte es für sehr wahrscheinlich,
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 67
daß auch dieser, offenbar in bedrängter wirtschaftlicher Lage be-
findliche Johann von Kalden zur Ritterfamilie gehört hat.
Im Jahr 1258 tritt nun ein Johann von Kalden als Konsul,
also Ratsherr, der Stadt Hofgeismar auf!?”). Als solcher bezeugt
er mit dem Schultheiß und einem anderen Ratsherrn den Ver-
gleich des Ritters Bertold von Kalden mit dem Kloster Helmars-
hausen !”). Im Jahr 1259 wird er zum letztenmal erwähnt’).
Weiterhin erscheint schon früher (1240) in einer dasselschen Ur-
kunde und 1245 in einer eversteinschen Urkunde neben dem
Ritter Albert von Kalden ein Johannes scultetus de Gesmaria !°®®).
Auch diese Persönlichkeit. kann mit dem Geismarer Ratsherrn
identisch sein. Auf jeden Fall gibt es eine Bürgerfamilie zu
Hofgeismar, die sich wie die Ritterfamilie von Kalden nennt, mit
dieser den Vornamen Johann gemeinsam hat und endlich bei
einem Geschäft dieser Ritterfamilie in einem ihrer Angehörigen
als Zeuge tätig ist. Ich halte den verwandtschaftlichen Zusam-
menhang zwischen beiden Geschlechtern für sicher.
In demselben Jahr 1258 erscheint nun eine Freienfamilie, die
sich ebenfalls von Kalden nennt'”®), Die homines libere con-
ditionis Gerold und Johann von Kalden verkaufen mit Zustim-
mung ihrer Erben, nämlich der Kunegunde, Gattin des Gerold,
und beider Kinder (Rüdenger, Johann und Gerold, Helmburgis
und Berteidis) und der Kinder des Johann (Dietrich Konrad,
Gerold und Kunegunde), ihre Güter zu Adebrachtshausen für
3 Mark an das Kloster Hardehausen. Die Zeugen dieses Ge-
schäfts zerfallen in drei Gruppen. Zunächst vier Ritter, darunter
Bertold von Kalden, dann Schultheiß und zwei Ratsherren zu
Hofgeismar, darunter Johann von Kalden, und endlich vier rustiei
zu Kalden. Kurze Zeit vorher (IX. 15. 1258) beurkundete der
Abt Heinrich von Hersfeld und Fulda dieses Geschäft und be-
merkte, daß eine Rente von 15 Denaren an die Kirche zu Fron-
hausen vorbehalten worden sei!?’). Im Jahr 1259 verzichteten
die Ritter von Wolfershausen und von Rengshausen auf die Vogtei
über diese Güter ?°®).
Es kann meines Erachtens keinem Zweifel unterliegen, daß
diese Freien mit den Rittern und Bürgern von Kalden einer
Familie angehören. Dafür spricht erstens der auch hier so häu-
68 W. Wittich
fige Vorname Johann, ferner die Zeugenschaft des Ritters Bertold
und des Ratsherrn Johann bei dem Verkauf der Güter zu Ade-
brachtshausen und endlich der Umstand, daß der sicher zur Ritter-
familie gehörige Johann, Sohn des Rether, eine Freihufe zu
Kalden sein Eigen nennt. Es fragt sich nun, welchem Stand
gehörten diese homines liberae conditionis an, wie war ihre
wirtschaftliche und soziale Stellung.
Die Bezeichnung homo liberae conditionis wird gebraucht für
Ritter, Stadtbürger und Bauern ?°!), Jedoch werden Ritter und
Stadtbürger nur in Gerichtsurkunden bei Verhandlungen vor dem
Grafengericht so genannt. Sie heißen deshalb Freie, weil sie im
Besitz von Freidingsgütern sich befinden und meist aus altfreien
Familien stammen. Bei allen übrigen Anlässen überwiegt ihre
neuere Rechtsstellung als Ritter oder Stadtbürger, die andere mehr
auf die Vergangenheit bezügliche Bezeichnung. Die Bauern dage-
gen, die keine so ehrenvolle Stellung wie Ritter oder Stadtbürger
errungen haben und mitten unter hörigen oder minderfreien
Bauern wohnen, bewahren die stolze auszeichnende Benennung
als Freie mit Sorgfalt und bezeichnen sich bei allen Gelegenheiten
als homines liberae conditionis. Nun ist die Urkunde, in der
die Freien von Kalden ihre Güter zu Adebrachtshausen verkaufen,
keine Gerichtsurkunde, denn sie wird von Geistlichen ausgestellt.
Ferner sind die Güter, die sie verkaufen, keine Freidingsgüter,
denn es besteht ja eine Vogtei an ihnen, während die Freidings-
güter eben nur dem Grafen unterstehen. Die Freien von Kalden
besitzen sicher Freidingsgüter, aber nicht zu Adebrachtshausen,
sondern wohl zu Kalden selbst, wie ihr Verwandter aus dem
Rittergeschlecht. Dazu kommt die Zeugenschaft der vier rustici
in Kalden. ‚Sie können nur als Nachbarn und Standesgenossen
der Verkäufer bei dem Geschäft mitgewirkt haben. Die aus-
drückliche Nennung ihres Wohnorts, Kalden, schließt meines Er-
achtens aus, daß sie etwa als Nachbarn und Anlieger der ver-
äußerten Güter in dem von Kalden ziemlich weit entfernten
Adebrachtshausen das Geschäft bezeugt hätten. Außerdem weist
der Umstand, daß wir die Namen dieser rustici in der Bürger-
schaft benachbarter Städte wiederfinden ?”?), mit größter Wahr-
scheinlichkeit auf ihre libera conditio hin. Wir nehmen also an,
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 69
daß die Freien Gerold und Johann von Kalden als Bauern zu
Kalden lebten. Trotzdem war ihre wirtschaftliche Stellung nicht
ganz mit der eines heutigen Bauern gleichartig. Außer ihren
Freigütern zu Kalden hatten sie nicht unbeträchtliche Eigengüter
in dem Dorf Adebrachtshausen. Dieses nahe bei Kassel belegene
Dorf wurde damals von den Cisterziensern des Klosters Helmars-
hausen vollständig ausgekauft und in eine Grangia, einen Guts-
betrieb, verwandelt, der noch heute den bezeichnenden Namen
Mönchehof führt?®). Überhaupt ist es auffallend, daß wir über
die ländlichen Wirtschafts- und Rechtsverhältnisse des Mittelalters
gerade aus den Urkunden der Cisterzienserklöster die meiste
Aufklärung erhalten. Es hängt dies damit zusammen, daß diese
ackerbauenden Klöster die Güter nicht wie alle anderen mittel-
alterlichen Erwerber als Rentenquellen, sondern zur Selbstbewirt-
schaftung erwarben und dabei die das Gut wie Zwiebelschalen
umgebenden Rechtsverhältnisse eines nach dem andern bis zum
letzten und innersten, dem bäuerlichen, ablösen mußten. Wir
müssen nun annehmen, daß die Freien von Kalden ihre Güter
zu Adebrachtshausen nicht selbst bewirtschafteten, sondern zu.
Zins ausgetan hatten. Sie hatten also neben ihrer Eigenwirtschaft
auf ihren Freigütern zu Kalden auch noch Zinsgüter, die aller-
dings nicht sehr bedeutend waren. Auch kam gerade diesen
Freien von ihren Zinsgütern eines nach dem andern abhanden,
und sie hatten nicht wie Ritter und Bürger die Gelegenheit, ihre
Grundherrschaft durch Lehen oder bürgerlichen Erwerb wieder
zu vergrößern. So beschränkte sich durch Veräußerungen und
Verluste aller Art der Besitz dieser Freien allmählich auf das
von ihnen unmittelbar besessene Freigut; dieses bewirtschafteten
sic selbst; es bildete nicht mehr ihre wichtigste, sondern
ihre einzige Existenzgrundlage. Erst damit waren sie wirkliche
Bauern geworden. Aber diese rein bäuerliche Lebensweise hatten
sie nicht immer geführt; unsere Stelle weist deutlich auf eine
frühere, mehr grundherrliche Stellung auch der im Dorf ansässig
gebliebenen Glieder des Freiengeschlechts von Kalden.
Über die Frage, ob das Freiengeschlecht von Kalden in
seinen bäuerlichen Vertretern nach der Terminologie des Sachsen-
spiegels zu den Schöffenbarfreien oder zu den Pfleghaften zu
70 W. Wittich
rechnen ist, wollen wir hier keine Betrachtung anstellen. Jedoch
halte ich es für sicher, daß das Geschlecht ursprünglich vollfrei
und schöffenbar war, und daß es seine Schöffenbarkeit, wenn
überhaupt, so doch erst später verloren hat.
Da die Zugehörigkeit der in so verschiedenen Stellungen be-
findlichen Personen zu einem Geschlecht unzweifelhaft feststeht,
so bésitzen wir hier ein typisches Beispiel für die von mir be-
hauptete Entwickelung des altfreien Standes in Sachsen und für
die gleichfalls von mir angenommene altfreie Herkunft der Mini-
sterialen.. Der ursprüngliche Stand des Geschlechts ist die
Vollfreiheit. Es wohnt an seinem Stammsitz zu Kalden; wahr-
scheinlich führt es eine grundherrliche Lebensweise. Diese
Vollfreienfamilie spaltet sich nun entsprechend der sozialen Ent-
wickelung ihrer Mitglieder in drei Zweige mit durchaus ver-
schiedener Standeszugehörigkeit. Ein Teil des Geschlechts wird:
ritterlich. Ob diese Linie noch Freiheit und Ritterwürde ver-
einigte, oder ob sie die Ritterwürde erst mit und durch den
Eintritt in die Ministerialität erlangte, muß dahingestellt bleiben.
Urkundlich erscheint die ritterliche Linie zum erstenmal in der
Dienstmannschaft des Abts von Korvey, um bald in die der
Grafen von Dassel überzugehen. Ihre altfreie Abstammung aber
ist sicher. Ein anderer Teil des Geschlechts tritt in die Bürger-
schaft der benachbarten Stadt Hofgeismar ein und erlangt dort
eine angesehene, sicher patrizische Stellung. Die dritte Linie
endlich verbleibt im alten Stand und in der alten Heimat; sie
hleibt vollfrei, wird aber entsprechend der Stagnation ihrer Ver-
mögensverhältnisse bäuerlich. Wahrscheinlich beobachten wir
sie gerade beim Übergang zu einer rein bäuerlichen Lebens-
führung. Die Geschichte des Geschlechts von Kalden zeigt uns so:
dasselbe Bild, das wir den Gerichtsurkunden der eversteinschen
Grafschaft am Donnersberg entnommen haben.
Die so festgestellte ständische Entwickelung in Engern deckt
sich völlig mit der ostfälischen, die wir am Beispiel der Grafschaft:
Biewende beobachten konnten. Immer ist es dieselbe dreifache:
Verzweigung des Standes der Vollfreien in ministerialische Ritter,
Stadtbürger und Freibauern. Dabei fehlt in vielen Fällen die eine-
oder andere Verzweigung, am häufigsten die bäuerliche. Ich bin fest
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 71
überzeugt, daß sie relativ selten stattgefunden hat, daß die meisten
altfreien Geschlechter sich nur in eine ritterliche (ministerialische)
und eine bürgerliche Linie gespalten haben.
Im Westen endlich grenzte an das Bistum Hildesheim die
engersche Diözese Minden, aus deren Verfassungsgeschichte nur
eine merkwürdige Analogie mit den hildesheimischen Verhält-
nissen hervorgehoben werden soll. Im Norden des Bistums
Minden lagen die Grafschaften Bordere und Stemwede (Stein-
wede)**). Ursprünglich herzoglich sächsisches, seit 1254 Reichs-
lehen der mindenschen Kirche, waren sie an benachbarte Grafen-
häusern, wie Holstein, Oldenburg und Hoya, weiterverliehen
worden. In diesen Grafschaften gab es, ganz wie in der großen
und kleinen Grafschaft der Grafen von Lauenrode, eine Freicn-
bevölkerung, die dem Grafschaftsherrn zu Leistungen aller Art
verpflichtet war. Wahrscheinlich wegen Bedrückung dieser Freien
durch die Grafen, also aus ganz demselben Grunde, wie im Bis-
tum Hildesheim, brachte der Mindener Bischof in den Jahren
1258—1261 die Grafschaften durch Kauf in seinen unmittelbaren
Besitz. So weit war die Entwickelung ganz analog der hildes-
heimischen verlaufen. Nun aber kommt ein weiteres Stadium, das
wir in Hildesheim nicht beobachtet haben.
Im Jahr 1258 traten sämtliche Freie der Grafschaft Bor-
dere, im Jahr 1263 (18. I.) die sämtlichen Freien der Graf-
schaft Steinwede in die Ministerialität des Bischofs von Minden
ein. Sie ergaben sich mit ihren Gattinnen und freien Gütern
unter Zustimmung ihrer Erben an den Bischof, und dieser sicherte
ihnen die Wiederverleihung ihrer Güter zum Recht der Mini-
sterialen der Kirche Minden ohne alle Beschwerung zu. Den
Freien von Steinwede wurde der spätere Erlaß der Grafschafts-
abgabe ausdrücklich versprochen. Jedoch scheint die Zinspflicht
weiterbestanden zu haben. Denn die Freien, d. h. wohl ihre
Abgaben, wurden später wieder verpfändet, und im Jahr 1330
erscheinen diese altfreien Ministerialen als Korporation unter der
Bezeichnung universi ministeriales censuales ecclesiae Mindensis
in Stenwehde. Wie man deutlich sieht, haben diese Altfreien,
ihrer sozialen Stellung entsprechend, bei ihrem späten Übertritt
nicht mehr das volle Recht der ritterlichen Ministerialität erlangt.
72 W. Wittich
Sie kamen in eine Schutzhörigkeit, die sie vielleicht vor fremden
Bedrückungen, aber wohl kaum vor denen des neuen Herm
sicherte. Aber formell war ihr Verhältnis zum Bischof unbestreit-
bar Dienstmannschaft. Sie wurden ihrer sozialen Stellung ent-
sprechend bäuerliche Dienstmannen, wie ihre glücklicheren
Standesgenossen, die sich 100 oder 200 Jahre früher ergeben
hatten, ritterliche Dienstmannen geworden waren. Wir kennen
einige mindensche Ministerialenfamilien, wie die Geschlechter
Proyt?°) und von Schinna ?°®), die unzweifelhaft ursprünglich zu
den Freien der Grafschaft Bordere gehört haben. Jedoch sind
diese Familien schon viel früher dienstmännisch geworden und
haben damit die ritterliche Eigenschaft erlangt oder aber bewahrt.
Wenn wir so das östliche Ostfalen, das Bistum Hildesheim und
das engersche Bistum Minden miteinander vergleichen, so haben
wir drei Entwickelungsstadien vor uns, von denen das westlichere
immer um eine Stufe dem ôstlicheren voransteht. Im östlichen
Ostfalen sehen wir die Masse der freien Rittergeschlechter noch
frei, im Bistum Hildesheim sind die Rittergeschlechter bei ihrem
Eintritt in die Geschichte ihrer Masse nach schon dienstmännisch ;
die Freibauern dagegen sind noch frei und bleiben es auch bis
ins 19. Jahrhundert. Im Bistum Minden endlich ist die freie
Ritterschaft noch früher dienstmännisch geworden; am Ende der
Entwickelung gelingt es auch der Freibauernschaft, in corpore in
ein allerdings minder ehrenvolles Dienstverhältnis einzutreten.
Wo die Entwickelung früh genug einsetzt, um sich völlig auszu-
leben, geht alle alte Freiheit in der Dienstmannschaft auf.
Man sieht deutlich, daß auch die Geschichte der Standesver-
hältnisse in den Nachbargebieten nicht im Widerspruch steht mit
unserer Annahme von der Altfreiheit der hildesheimischen Dienst-
mannschaft. Im Gegenteil gewinnt diese Annalıme durch den
Vergleich mit der Entwickelung der Nachbargebiete eine bedeu-
tende Stütze. Denn im äußersten Ostfalen können wir einen
unserer Annahme entsprechenden Verlauf unmittelbar beobachten;
in den nächstgelegenen ostfälischen und engerschen Grenzgauen
ist die Fülle der Indizien für unsere Annahmen viel reicher ala
im Bistum Hildesheim selbst; in dem weniger bekannten Norden
deuten alle vorhandenen Überlieferungen auf eine mit der hildes-
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 73
beimischen gleichartige und auch wohl gleichzeitige ständische
Entwickelung. Im Bistum Minden endlich beobachten wir eine
Konsequenz, zu der es in keinem der übrigen Gebiete gekommen
it. Auch sie erklärt sich am besten, wenn eine langwirkende,
sarke Tendenz zum Übertritt aller Freien in die Dienstbarkeit
soranagesetzt wird, die hier wohl einen noch früheren Übertritt
der freien ritterlichen Geschlechter als in Hildesheim veranlaßt
taben muß. So ordnet sich auch dieser auffallende Vorgang
mühelos in unsere Annahme ein, die es uns ermöglicht, ein ge-
schlossenes und lückenloses Bild der älteren ständischen Ent-
wiekelung in ganz Niedersachsen zu gewinnen.
$7. Die Bedeutung der Altfreiheit der Ministerialen
für die Sozialgeschichte des sächsischen Stammes.
Welche Konsequenzen ergeben sich nun aus unseren Unter-
suchungen für die Sozialgeschichte des sächsischen Stammes?
Zunächst wird durch den Nachweis der Altfreiheit der nieder-
sächsischen Ministerialität der Ursprung des niederen Uradels in
ein völliges neues Licht gerückt. Die maßgebenden Rechts-
historiker haben zwar den Nachweis ZALLINGERS von der Alt-
freiheit der ostfälischen Ministerialen anstandslos akzeptiert, dabei
aber die herrschende Ansicht von dem hörigen Ursprung der
Masse der Dienstmannsgeschlechter ruhig aufrechterhalten. An-
:eichts der Ausdehnung der von ZALLINGER gewonnenen Er-
bnisse auf ganz Niedersachsen ist die herrschende Ansicht
ıllig unhaltbar geworden. Der Ursprung der zahllosen Dienst-
üannseeschlechter des 12. und 13. Jahrhunderts kann nicht in
&n wenigen Stall-, Küchen- und Kammerknechten der Fürsten
and Bischöfe zur Zeit der Karolinger und Sachsenkaiser gesucht
wrden. Am Hof des Herrn entstand die Form des dienst-
männischen Verhältnisses, aber nur die wenigsten der urkundlich
ıuitretenden Dienstmannsgeschlechter gehen auf den aus niederer
Hörigkeit entstiegenen Grundstock zurück. Weitaus die meisten
tesehlechter sind altfrei; sie sind äußerer Vorteile halber in das
Dienstverhältnis eingetreten, und sie haben der Ministerialität
'iren wahren Inhalt und ihre spätere Bedeutung gegeben. Der
b-itige niedere Uradel ist also in der Hauptsache nicht hörigen,
74 W. Wittich
sondern freien Ursprungs; seine Ahnen sind nicht Roßknechte,
Köche und Kammerdiener, sondern freie Grundherren, größtenteils
ritterlichen Standes. Er ist eingetreten in ein Dienstverhältnis,
das ursprünglich für Leute hörigen Standes bestimmt war und
daher die Form der Hörigkeit auch weiterhin bewahrte. Er ist
in dieses Dienstverhältnis eingetreten. als es Vorteile bot, die
den Verlust der Freiheit weit überwogen und die ohne die Auf-
gabe der Freiheit nicht zu erlangen waren. Dabei wurden
natürlich einige Geschlechter niederen Ursprungs mit in die Höhe
gezogen, aber in der Blütezeit der Ministerialität verschwinden
sie völlig gegenüber der Masse der altfreien Familien.
Wir besitzen eine Analogie zu dieser Entwickelung in den Vor-
gängen bei der Ausbildung des Staatsdienertums, die 300 Jahre
später an denselben Höfen erfolgte. Auch hier sind es Personen
niederen Standes, Bürger, landfremde Ritter und Doktoren, mit
denen der Fürst das neue Institut ausbildet. Als es aber ge-
schaffen war und Ehre, Macht und Reichtum verhieß, da be-
mächtigte sich die eingeborene Ritterschaft aller einflußreichen
Stellungen im neuen Beamtenstaat und hielt sie jahrhunderte-
lang fest, bis sie den veränderten Zeitverhältnissen entsprechend
aus einem Teil derselben weichen mußte. Auch hier bilden
einige durch den Staatsdienst in die Höhe gekommenen Familien
einen dauernden Bestandteil des Beamtentums; aber wer wollte
behaupten, daß z. B. das preußische Beamtentum des 17. und
18. Jahrhunderts in der Hauptsache aus solchen emporgekommenen
Familien bestanden hätte?
Es ist also mit Sicherheit anzunehmen, daß der niedersächsische
Uradel in seiner Hauptmasse nicht hörigen, sondern altfreien
Ursprungs ist.
Außerdem aber lernen wir auch die Herkunft und den Stand der
Altbürger oder Patrizier in den niedersächsischen Städten kennen.
Auch sie sind sicher ihrer Hauptmasse nach Altfreie. Sie sind vom
Land aus ihren Heimatsdörfern in die Stadt gezogen wie ihre Standes-
oder gar Geschlechtsgenossen an den Hof des Grafen, Fürsten oder
Bischofs. Aber sie hielten ihren Besitz in der Heimat, ihre Be-
ziehungen zum Freigericht und endlich ihre alte Freiheit sorg-
fältig aufrecht. Die freiheitliche Gestaltung der Stadtverfassung,
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 15
ihr Ursprung aus dem Landrecht erklärt sich einfach daraus,
daß die Begründer und maßgebenden Mitglieder der neuen Ge-
meinwesen kraft ihrer Herkunft des höchsten Maßes landrecht-
licher Freiheit teilhaftig waren. Die höchstberechtigten Bürger
der Städte waren also nicht etwa „Pfleghafte“, sondern nach der
Terminologie des Sachsenspiegels schöffenbarfreie Leute. End-
lich erscheinen auch die vielgenannten niedersächsischen und
westfälischen Freibauern in schärferen Umrissen. Zunächst muß
ich HECK darin beistimmen, daß die bäuerlichen Freien der
großen und der kleinen Grafschaft, der Grafschaften Bordere
und Steinwede, des sächsischen Hessengaus und der Grafschaft
Biewende ursprünglich wenigstens vollfrei und schöffenbar waren,
also keineswegs eben bloß wegen ihrer bäuerlichen Lebensweise
als minderfrei bezeichnet und der Klasse der Pfleghaften zuge-
rechnet werden dürfen. Diese freien Bauern waren ja vielfach
eines Stammes mit schöffenbaren Stadtbürgern und Rittern; wir
finden sie als Dinggenossen und Schöffen im echten Ding; ihre
Vollfreiheit noch im 13. Jahrhundert kann wohl nicht bezweifelt
werden. Aber wo wir diese schöffenbaren Bauern genauer kennen
lernen, finden wir Züge in ihrer wirtschaftlichen Stellung, die
mit einer rein bäuerlichen Lebensweise nicht vereinbar sind. So
haben die Freien der Grafen von Lauenrode zum Teil Güter in
beiden Grafschaften, und die Freien aus dem Geschlecht von
Kalden besitzen außer ihren Freigütern zu Kalden Eigengüter in
einem benachbarten Dorf. Diese Umstände beweisen meines Er-
achtens mit Sicherheit, daß noch in historischer Zeit ein Teil der
Freien keine rein bäuerliche, sondern eine mehr grundherrliche
Stellung gehabt hat. Endlich glaube ich sicher, daß das nume-
rische Zurücktreten der Bauern in den Gerichtsurkunden gegenüber
Rittern und Stadtbürgern nicht nur auf ihr geringeres Ansehen,
sondern auch auf ihre verhältnismäßig geringe Zahl zurückzu-
führen ist. Die Freibauern bildeten unter den Bauern eine ver-
schwindende Minorität, aber auch im Stand der Vollfreien waren
sie weit weniger zahlreich als die anderen Klassen.
HECK hat in seinem neuesten Werk die Seltenheit und ge-
ringe soziale und wirtschaftliche Bedeutung dieser bäuerlichen
Vollfreien in der Zeit des Sachsenspiegels zugegeben ?””). Trotz-
76 W. Wittich
dem glaubt er, dass sie innerhalb des Standes der Vollfreien
gegenüber Fürsten, Herren und freien Rittern die Majorität
gebildet hätten. Unter der Voraussetzung, daß der Stand
der Vollfreien keine sonstigen Bestandteile enthielt, ist dies
ohne weiteres zuzugeben. Aber wir wissen jetzt, daß Stadt-
bürger und Ministerialen gerade den Kern des Standes der Voll-
freien bildeten oder gebildet hatten. Nehmen wir sie hinzu, so
sinken die Bauern in die Minorität zurück; die Lücke, die in
der Zusammensetzung des Standes nach HEcK zwischen freien
Rittern und freien Bauern klafft, wird ‚ausgefüllt, und wir er-
halten damit eine numerische und soziale Bedeutung dieses
Standes, die seiner rechtlichen Stellung als Träger und Haupt-
objekt der landrechtlichen Verfassung allein entspricht.
Unsere Untersuchung gibt uns aber nicht nur einen Aufschluß
über den Ursprung der späteren Ständebildungen, sondern sie
wirft auch ein Licht auf die noch dunklen und bestrittenen
ständischen Verhältnisse der sächsischen Urzeit. Ich habe ge-
meinsam mit Heck die von diesem aufgestellte Hypothese ver-
teidigt, daß der Sachsenstamm in karolingischer Zeit keinen Adel
gehabt hat, sondern daß der in der lex Saxonum als nobiles
bezeichnete Stand das allein vollfreie Volk darstellte, während
alle anderen Stände Minderfreie oder Hörige waren ?”®). Diese
Annahme hat durch alle neueren Untersuchungen insofern eine
Bestätigung erfahren, als ZALLINGER sowohl, wie neuerdings
Heck und ich, für die Zeit des Sachsenspiegels jede landrecht-
liche Verschiedenheit innerhalb des Standes der Vollfreien be- .
seitigt haben. Die ständische Gliederung zur Zeit des Sachsen-
spiegels, d.h. im 12. und 13. Jahrhundert, stimmt also völlig
mit dem von HECK angenommenen Zustand in der Stammes-
periode überein. Es findet sich schon damals keine Spur von
einem gegenwärtigen oder früher vorhandenen landrechtlichen
Adel. Wie nach HEcks Annahme in der Stammeszeit, so be-
herrscht auch im Zeitalter des Sachsenspiegels der vollfreie Stand
das ganze Rechts- und Verfassungsleben. Wie damals sind alle
anderen Stände minderfrei, teils schutzpflichtige Freie, teils Frei-
gelassene, teils endlich hörige Laten. Ich glaube, daß diese zum
Teil ganz unabhängig von HECK für den frühmittelalterlichen
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 77
Zustand gewonnenen Anhaltspunkte eine wesentliche Stütze für seine
Hypothese der Stammeszeit darstellen.
Außerdem habe ich allein im Gegensatz zu allen übrigen
Forschern und insbesondere auch zu HECK die Behauptung auf-
gestellt, daß die vollfreien Sachsen in der Stammeszeit und im
frühen Mittelalter (die nobiles oder Edelinge nach Heck) nicht
als Bauern sich ernährten, das heißt eine Hufe mit eigener
Hand bestellten, sondern daß sie kleine Grundherren waren,
die in der Hauptsache von den Abgaben ihrer auf wenigen
Hufen angesiedelten Hörigen lebten ?®). Bei der Veränderung
der Wehrverfassung ging ein Teil dieser kleinen Grundherren,
und zwar der wohlhabendste, in den Ritterstand über; sie
wurden freie ritterliche Grundherren, ergänzten ihre Eigengüter
durch Lehen und widmeten sich völlig dem Waffenhandwerk.
Der minder wohlhabende, wohl kleinere Teil dieser altfreien
Grundherren wollte oder konnte den ritterlichen Beruf nicht
ergreifen; er erhielt keine Lehen, blieb auf seine Eigengüter
beschränkt und sank langsam zu bäuerlicher Lebensweise und
Stellung herab.
Ich glaube, daß diese Annahme in allen Hauptpunkten
durch die bisherigen Untersuchungen bestätigt wird. Mit dem
Nachweis der Altfreiheit der Ministerialität verwandelt sich das
Bild, das die herrschende Ansicht von dem Ursprung der
Dienstmannen zu entwerfen pflegt, völlig. Nicht einem zahl-
reichen Hofgesinde am Herrensitz, in der Stadt, in der Burg des
Bisehofs oder des Fürsten sind die Ministerialen entsprossen,
sondern die Ahnen der Dienstleute sitzen überall im Land um-
her auf kleinen, unbefestigten Herrenhôfen. Wie Tausende von
Urkunden bezeugen, sind sie kleine Grundherren, die mitten
in den Dörfern unter ihren Hörigen hausen. In ganz Nieder-
sachsen gibt es kaum ein Derf, das nicht einem Ministerialen-
geschlecht den Namen gegeben hätte. Dabei kennen wir doch
uur die zufällig in den Urkunden erwähnten Dienstmannenge-
schlechter. Wenn eine Verhandlung über ein Gut in abgelegener
Gegend stattfindet, so tauchen ganz neue Namen auf.
So haben wir mit der Altfreiheit der Dienstmannen den zahl-
reichen Stand kleiner freier Grundherren nachgewiesen, den ich
78 W. Wittich
in meiner Hypothese über die ältesten ständischen und sozialen
Verhältnisse des Sachsenvolkes annehmen mußte. In historischer
Zeit ist er ritterlich, aber zum größten Teil nicht mehr vollfrei,
sondern in der ehrenvollen Unfreiheit der Dienstbarkeit. Aber
tausend Fäden verbinden ihn noch mit der alten Freiheit, die er nur
der Form nach verloren hat.
Aber nicht nur den Teil des vollfreien Sachsenvolkes lernen :
wir kennen, der grundherrlich blieb und die Ritterwürde er- :
langte, sondern auch die Minderzahl, die zur bäuerlichen Stel- -
lung herabsinkenden Altfreien. Sie sind nicht nur gleichen :
Standes, sondern sogar vielfach gleichen Geschlechts mit den :
ritterlich gewordenen Altfreien. Schon daraus, aber auch aus
sonstigen Anzeichen ergibt sich ihre ehemals grundherrliche
Stellung. Ihre bäuerliche Lebensweise und Beschäftigung trennt
sie schon damals scharf von ihren ritterlichen und bürger-
lichen Standes- und Geschlechtsgenossen. Aber noch haben sie
mit diesen den gemeinsamen Vereinigungspunkt im Grafengericht,
noch sind die alten Familienbeziehungen lebendig. Bald aber
scheiden Ritter und Bürger völlig aus dem Grafengericht aus;
das echte Ding wird zum bäuerlichen Freiding, wo nur die bäuer-
lichen Freien die kaum verstandene Form bewahren; die alten
Familienbeziehungen verklingen, und die bäuerlich gewordenen
Vollfreien gesellen sich sozial und rechtlich den Bauern der Urzeit,
den Hörigen und Kolonen.
Heute sind von den drei Verzweigungen der Vollfreien zwei
ziemlich verschwunden oder unkenntlich geworden. Die alten
Bürgergeschlechter der niedersächsischen Städte sind entweder
ausgestorben oder in den Territorialadel übergegangen. Manche
der alten Freihofbauerngeschlechter sitzen seit Jahrhunderten auf
ihren Höfen. Aber ein genealogischer Zusammenhang dieser
Familien mit den vollfreien Bauern des 13. Jahrhunderts wird
sich wohl in keinem einzigen Fall mit Sicherheit erweisen lassen.
Nur der dritte Zweig, die Dienstmannschaft, die Ministerialität,
ist in dem Uradel Norddeutschlands in der Hauptsache erhalten
seblieben. Denn der Grundstock des niederdeutschen Uradels
von Westfalen bis Esthland entstammt ja bekanntlich den alten
westfälischen und niedersächsichen Dienstmannsgeschlechtern.
mi.
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 79
Gleichen Ursprungs scheint endlich auch der niedere Adel Eng-
lands, die sogenannte gentry, zu sein, die ja auch in ihrer Haupt-
masse sächsischer Abstammung gewesen sein muß.
So verbindet das Band des gleichen Stammes und des
gleichen Standes die Eroberer Englands, die Sachsen, gegen die
Karl der Große und Heinrich IV. zu Felde zogen, die Berater
der Welfen und Hohenstaufen und endlich die Eroberer und Kolo-
nisatoren des deutschen Nordostens. Damit gehen aber auch
die beiden wichtigsten Aristokratieen der Gegenwart, der eng-
lische niedere Adel (die gentry) uud das nordostdeutsche Junker-
tum, auf einen gemeinsamen Ursprung zurück, sie entstammen
beide den sächsischen Edelingen.
Anmerkungön zu der Abhandlung von W. Wittich:
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen.
1) Urkundenbuch des Hochstifts Hildesheim und seiner Bischöfe, heraus-
gegeben von K. JANICKE, I. Leipzig 1896; II. und III. bearbeitet von
Dr. H. HoogEwEs, Hannover und Leipzig 1901 und 1908; zitiert als Hildes-
heimer Urkundenbuch.
la) Hildesh. Urkb. I. Nr. 132 (ca. ao. 1073).
2) Hildesh. Urkb. I. Nr. 150 (ao. 1092 V. 10).
3) Hildesh. Urkb. I. Nr. 150 (ao. 1092): Bischof Udo gibt seinen Mini-
sterialen Heiratsfreiheit, 8 ministerialische Zeugen. Nr. 158 (ao. 1103): Zeugen
4 Grafen, 18 Freie, 5 Dienstleute. Nr. 169 (ao. 1110): Zeugen 14 ministri
ecclesie. Nr. 173 (ao. 1113 X. 8): Zeugen Benico advocatus, Eckerbertus came-
rarius, Ernest dapifer et ceteri complures. Nr. 174 (ao. 1117 V. 11): 8 Zeugen,
ob Dienstleute? Nr. 183 (ao. 1125 V. 22): ministeriales Hekbertus (von Tossem)
Volcoldus, Eizo Ruthericus (sämtlich von Eilstrenge), drei weitere Vornamen.
Nr. 190 (ao. 1130—1153) Volcoldus Eizo, Reinzo, Hugoldus ministeriales.
Nr. 194 (ao. 1131 V. 9) und Nr. 195 (ao. 1131 V. 5): Ekebertus, Volcoldus, Eizo.
Nr. 196 (ao. 1131 VI. 12): Ulrich, Sohn des Asbert von Lengede. Nr. 200
(ao. 1182 ca.): Siegfried von Mehle (Midelen). Erstes Auftreten der v. Eil-
strenge mit ihrem Geschlechtsnamen Nr. 268 (ao. 1150 V. 8).
4) LÜNTZEL, Geschichte der Diözese und Stadt Hildesheim, II. p. 96 nach
Mirakula Sancti Bernwardi Nr.3. Monumenta Germaniae historica ed. PERTZ,
SS. IV. p. 783. Fuit in civitate nostra (Hildesheim) miles quidam ministerialis
habitans (Anfang des 12. Jahrhunderts).
5) Wartz, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. V. 2. Aufl. ed. ZEUMER,
p. 822 ff. Über Ministerialen, p. 332 Anm. 3. Nach Waıtz legt v. FÜRTH
zu sehr alles Gewicht auf den Hofdienst. p. 382: „Der Dienst allgemein ist
der Ausgangspunkt; in der näheren Beziehung zu dem Hofdienst erhält die
Sache ihren Abschluß, ihre formelle Ordnung; die materielle Grundlage aber
bildet die... Teilnahme am Kriegsdienst, insonderheit dem Rossedienst, die
jeden, der ihn leistete, über die alten (tenossen zu höherer Ehre und su
besserem Recht erhob.“
Heck, Der Sachsenspiegel und die Stände der Freien, Halle 1906, p. 718ff.
6) ALTMANNX und BERNHEIM, Urkunden zur deutschen Verfassungs-
geschichte, 3. Aufl. 1904, p. 156 (ao. 1057—1064): A domino suo non con-
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 81
stringantur nisi ad quinque ministeria, hoc est aut dapiferi sunt, aut pincer-
nae, aut marchalli aut venatores (dazu zu ergänzen wohl camerarii); nach
ALTMANN etc. p. 156 zw. pincernae et marescalchi cubicularii einzusehalten.
v. FÜRTH, Die Ministerialen, 1836, p. 516 (Kölner Dienstrecht, ca. ao. 1154).
Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln, Hett II. pag. 1 ff., $ 33, dasselbe
ed. Frensdorff.
$ 10: Item singuli et omnes Ministeriales ad certa officia curiae nati et
deputati sunt. Officia quinque sunt; in hiis ofliciis servire solummodo debent
Ministeriales beati Petri et specialiter illi, qui inter eos seniores inveniantur.
Sächsisches Lehnrecht Art. 68 $ 1: Na hoverechte sal jewelk dienstman
geboren druzste sin oder schenke oder marscalk oder Kemerere.
Codex diplomaticus Westfaliae ed. Erhard IL Nr. 405 (ao. 1179). Bischof
Siegfried von Paderborn nimmt einen freien Ritter zum Ministerialen an,
hac videlicet conditione, ut iure ministerialium inter dapiferos, cum res
exposceret, episcopo deserviret.
Hildesh. Urkb. I. Nr. 169 (ao. 1110). Bei der großen Schenkung des Edel-
herrn Aicho von Dorstedt an das Bistum Hildesheim befinden sich 4 mini-
steriales.
7) Vgl. oben Anm. 3.
8) Dapiferi de Hildesheim, vgl. Hildesh. Urkb. I. p.769. Sie
heißen Ernst, Sohn des Ernst Johann, Sohn des Johann, Ernst, vgl. Nr. 655
(ao. 1212 IV.27). Wahrscheinlich gehören sie der Familie von Ochtersum
an. Hier finden sich etwa zu gleicher Zeit die Vornamen Ernst und
Johann (vgl. p. 791) und Konrad. Dazu Nr. 442 (ao. 1186 X. 16): Ernestus
dapifer, Olricus dapifer et filius eius Conradus. Auch stehen. Ernst von
Ochtersum und der dapifer Ernst niemals zusammen, und ersterer nimmt
in den Urkunden etwa den Platz des. letzteren ein. Vgl. Nr. 241 (ao. 1146
VIII. 3): Ernestus, Conradus frater eius, Heinricus de Ochtersheim, Arnoldus
meracalcus. Dasu oben Ernestus dapifer, Arnoldus marscalcus. Nr. 281
(ao. 1148 IV. 9), Nr. 276 (ao. 1151), Nr. 286 (ao. 1156 X. 18), Nr. 320
(ao. ca. 1160), Nr. 342 (ao. 1167), Nr. 348 (ao. 1169 XII. 21), Nr. 421 (ao. 1183
III. 12): Ernestus de Ochtersim, Bernhardus de Gese, Olricus dapifer. Nr. 428
(ao. 1184 IH. 12), Nr. 178 (ao. 1113 X. 8): Geschäft in Lützingevorden,
ganz nahe bei Ochtersheim und Tossem, Zeugen: Eckebertus camerarius,
Ernest dapifer.
Hildesh. Urkb. I. Nr. 160 (ao. 1226 V. 26): Kaiser Friedrich II. bestätigt
den Kauf des Truchsessenamts durch Bischof Konrad von dem dapifer Ernst
für 150 Mark.
Die Familie von Ochtersum scheint ausgestorben; Nr. 292 (ao. 1280):
Conredus de Ochtersum, der letzte.
9) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 200 (ao. 1182 ca.): Liutoldus advo-
catus etc.
Nr. 201 (ao. 1182—1141): Conone de Aldendorp.
Über die verschiedenen Namen des Geschlechts der Vögte vgl. Hildesh.
Vierteljabrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 6
82 W. Wittich
Urkb. I. p. 769, 810, 812. II. p. 645 (wo sie fälschlich als nobiles bezeichnet
werden), 672.
10) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 196 (ao. 1131), 200 (ao. 1132), 201 (ao. 1132
bis 1141).
11) Gegenüber Hrck (Sachsenspiegel und die Stände der Freien, 1906,
p. 709—733), der den Ursprung der Ministerialität aus der Hörigkeit bestreitet
verweise ich zunächst auf die ältesten Hofrechte, die sämtlich das Mini-
sterialenverhältnis als den auszeichnenden aber rein tatsächlichen Dienst der
Hörigen in einem Hofamt darstellen.
Hofrecht des Bischofs Burchard von Worms (av. 1023—10256), S 29 Lex
erit: si episcopus fiscalem hominem ad servitium suum assumere voluerit, ut
ad alium servitium eum ponere non debeat nisi ad camerarium aut ad pincer-
nam vel ad infertorem vel ad agasonem vel ad ministerialem, et, si eum ad
tale servitium facere noluerit, quatuor denarios persolvat ad regale servitium
et 6 ad expeditionem et tria iniussa placita querat in anno et serviat cui-
cumque voluerit.
Recht der Limburger Klosterleute (ao. 1035 I. 17), $ 4: Si vero abbas
queupiam prescriptorum in suo obsequio habere voluerit, faciens eum dapi-
ferum aut pincernam sive militen suum et aliquod beneficium illi prestiterit,
quamdiu erga abbatem bene egerit, cum eo sit, cum non, ius quod ante
habuit, habeat. Vgl. ALTMANN und BERNHEIM, Urkunden zur deutschen
Verfassungsgeschichte, 3. Aufl. 1904, p. 151—158.
Ferner nennt der Bischof von Hildesheim in der Urkunde von 1078 (vgl.
Anm. 1) die Ministerialen ausdrücklich mancipia. In einer Osnabrücker Ur-
kunde (Osnabr. Urkb. ed. PnıLLırei, I. Nr. 139 ao. 1037—1062) ergibt sich
der libertus miles Werinbreht unzweifelhaft in das Ministerialenverhältnis.
Er bezeichnet sich dann aber als proprius liddo.
Für die Unfreiheit bezw. das alte Latenverhältnis entscheidet meines
Erachtens die Gleichstellung der Ministerialen und Laten im Sachsenspiegel,
vgl. S. Ld. R. I. 52 $ 1: Dienstleute werden ohne Gericht gewechselt.
I. 16 $ 1: Niemand kann erwerben ander Recht, als ihm angeboren ist,
Sunder der egene man, den man vri let, die behalt vrier lantseten recht.
III. 80 $ 2: Let die koning oder en ander herre sinen dinstmann oder
sinen egenen man vri, de behalt vrier lantseten recht.
Auch II. Art. 42 $$ 2 und 3 werden Unfreiheit und Dienstbarkeit als
durchaus gleichartig behandelt.
12) Heck (Sachsenspiegel etc., p. 717 Anm. 1) sieht in dieser Freiheit
der Ministerialen von der bumiete einen Beweis für die Staudesverschiedenheit
zwischen Dienstleuten und Laten und damit für die „Libertinenqualität“ des
Ministerialenrechts. Die Urkunde selbst begründet die Freiheit von dieser
Hörigkeitsabgabe keineswegs in dieser Weise, sondern als besonderes Privileg,
das die hildesheimischen servientes mit den Reichsdienstleuten und den
mainzischen Ministerialen gemeinsam haben.
18) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 151 (ao. 1093 IV. 25): St. Michael, Nr. 286
,
ur w -
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen, 83
(w.1145 IX. 15): St. Godehard, Nr. 480 (ao. 1190—1197): St. Michael. II. Nr. 34
(0.1221— 1246): Formular für die Erhebung eines Liten zum Stiftsministerialen.
14) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 242 (ao. 1146): Ergebung des Freien Ekbert
a Großoldendorf bei Benstorf in die Ministerialität des Bischofs. Nr. 274
(ao. 1151 VIII. 16): Ergebung des Freien Bertold (wohl von Meredorp) zu
Ministerialenrecht an das Kloster St. Godehard. Nr. 369 (ao. 1175): der
Passus „Si vero aliqua de liberis bonis aliquo modo propria facta fuerint*
bezieht sich auch auf Ergebungen. II. Nr. 818 (ao. 1230—1240): der Graf
ron Woldenberg nimmt die Freie Jutta de Vlotede als Ministerialin an.
II. Nr. 81 (ao. 1264): Ergebung des Freien Herbord an das Kloster Escherde.
Nr. 1265 (ao. 1300 V.10): Ergebung des nobilis von Meinersen in die Mini-
sterialität des Hildesheimer Bischofs (Regest, ob richtig ?).
Annales Stederburgenses (PERTZ, Monumenta Germaniae historica SS.
Bd. XVI. p. 217), 12. Jahrhundert. Ergebung der Freienfamilie Lewe oder
Lewedhe an Heinrich den Löwen, später hildesheimische Ministerialen.
Beispiele aus benachbarten Gebieten.
Urkundenbuch des Hochstifts Halberstadt und seiner Bischöfe, ed. SCHMIDT
1883 L Nr. 123 (ao. 1106): Ergebung dreier Freier im Harzgau an das Kloster
Korvey, ut mererentur accipere beneficium et aedificia patris sui.
SUDENDORF, Urkb. Bd. IX. p. 210 (ao. 1257 V.): Ergebung der fratres
de Barmestede an den Erzbischof von Bremen. Calenb. Urkb. III. (Loccum)
Nr. 3 (ao. 1173): Ergebung des liber Hameco de Merctorp an den Abt
von Marienmünster bei der Feste Schwalenberg.
Codex diplomaticus Westfaliae ed. ERHARD, II. Nr. 405 (ao. 1179):
Bischof Siegfried von Paderborn beurkundet, quod Poppo miles quidam libere
conditionis se et sua ecclesie nostre contradidit hac videlicet conditione, ut
iure ministeralium inter dapiferos, cum res exposceret, episcopo deserviret.
Predium autem suum circiter IV. mansus et mancipia circiter L de manu
nostra successorumque nostrorum beneficio reciperet et post obitum suum
si superviveret uxor ipsius eadem bona dum viveret, licet non in beneficio,
integra tamen possideret et retineret. Wenn sie ohne Kinder sterben, er-
halten die Söhne der Schwester des Poppo, die ebenfalls Ministerialen der
Kirche geworden sind, die Güter zu Lehen. Weiter verpflichtet sich der
Bischof, dem Poppo und seinen Erben alljährlich aus der bischöflichen Kammer
eine halbe Mark oder Einkünfte in dieser Höhe zu geben. Wenn einer
seiner Nachfolger die Zahlung dieser Rente oder deren Wert in Einkünften
verweigern würde, so soll der ganze Vertrag hinfällig werden, id est predicti
homines in libertatem pristinam redirent, et que prius in beneficio tenuerant
iure predii libere possiderent.
15) S. Ld. R. DI. Art. 81 $ 2: Dinstmann ervet unde nemet erve alse
vri lüde na lantrechte, wen allene dat sie buten irs herren gewalt nicht ne
ervet noch erve ne memet.
L Art. 38 $ 2: Dienest manne egen ne mach in de Koningliken gewalt
nicht komen, noch buten irs herren gewalt, of se sik verwerket an irme rechte.
84 W. Wittich
16) Die Nachweise für das Folgende ergeben sich teils aus den allgemein
anerkannten Ausführungen von ZALLINGERS in dessen Schöffenbarfreien,
teils aus den speziellen Belegen für die Altfreiheit der hildesheimjschen
Ministerialengeschlechter.
17) Vgl. v. FÜrTH, Die Ministerialen, Cöln 1886, p. 298 ff., besonders
p. 808; v. ZALLINGER, Die Schöffenbarfreien des Sachsenspiegels, Innsbruck
1887, p. 269 Anm. 2. Vgl. Sächsisches Landrecht III. Art. 73 $ 2(HomEvEr,
Sachsenspiegel 8. Ausgabe, Berlin 1861, p. 369), Nach dem Reichsweistum
von 1208 sind die Kinder aus Ehen der Ministerialen der Kirchen mit
freien Frauen Ministerialen des Herrn des Vaters, vgl. Origines Guelficae
III. p. 789 Nr. 295 (ao. 1208).
17a) Vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 452 (ao. 1236 V. 3): Die Gattin des Freien
Steppo von Mahner ist die bildesheimische Ministerialin Eilika von Adenstedt,
daher sind die Kinder bischöfliche Ministerialen.
18) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 230 (ao. 1142—1159) über die Bedeutung
des Standesunterschiedes in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. „Sibertus
senior (ein Edelherr von Dorstadt) matrimonium contraxerat sed sue conditioni
dissimile, quia ipse libertate pollebat, uxor vero de familia sancte Marie in
Hildenesheim extitit, ex qua genuerat filium unum nomine Rotgerum et filiolas
duas, sed secundum leges liberorum Saxonum idem filius propter dissimilitudinem
conditionis ei succedere in heredem non potuit.“
19a) Familie von Lengede. Es gibt zwei Lengede, eines im Amt
Peine und ein Dorf Lengede im Kreis Goslar. Nach dem letzteren
heißen alle unter diesem Namen auftretenden Personen.
Hildesh. Urkb. I. Nr. 196 (ao. 1181 VI. 12): Ulrich von L., Sohn des
Asbert, hildesheimischer Ministerial, resigniert Grundstücke des wüsten Dorfes
Bardenhausen bei Goslar dem Bischof zur Übertragung an das
St. Georgenkloster. Nr. 263 (ao. 1150 V. 8): Bernhard unter hildesheimischen
Ministerialen. Nr. 614 (ao. 1206 IX. 21): Hardwicus de Lengede, Zeuge eines
Geschäfts zu Doringeroth bei Goslar. Nr. 453 (ao. 1187): Conrat, Zeuge
in einem Geschäft zu Stederburg. Derselbe mit Henricus de Lengethe unter
hildesheimischen Ministerialen Zeuge eines Geschäfts zu Alvessem bei Goslar:
Nr. 701 (ao. 1217). Nr. 768 (ao. 1221): Luderus, Zeuge in einem Geschäft
zu Dornethe, (Dörnten bei Goslar). Diese gehören sämtlich der bischöflichen
Ministerialenfamilie an.
Guncelin vir de nobiliori genere hat 4 hufen in Solschen (Eigen) ver-
äußert: Nr. 393 (ao. 1179 XII. 7). Nr. 722 (ao. 1219 IV. 2): Guncelinus et
Heinricus fratres de L. Nr. 784 (ca. ao. 1219). Nr. 754 (ca. ao. 1220).
Chronicon Stederburgense ao. 1187, Guntzelin de Lengede Ernst de eodem
Bertolt de eodem als Zeugen bei einer Grafengerichtsverhandlung über Güter
zu Mahner.
Wernerus de Lengede Nr. 667 (ao. 1213 XI. 13), Geschäft zu Hogeringeroth.
Später Ministerial des Herzogs: Nr. 711 (ao. 1218 V. 18). Nr. 748 (ao. 1220):
hier ausdrücklich.
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 85
Hildesh. Urkb. IH. Nr. 363: Die Brüder Ulrich und Dietrich von Lengde
schenken zwei vom Bischof von Hildesheim lehnbare Hufen in Lengede ah
das Kloster Riechenderg. Zeuge: Burchardus de L. etc. Nr. 433 (ca. ao. 1288):
L. de Lengede, Vorsitzender des Grafengerichts zu Burchdorp (bei Lengede,
Goslar), bestätigt in comecia ein Geschäft über Güter zu Flöthe; unter den
Zeugen (Beisitzern) Hermann und Burchard fratres de Lengede, Hermann de
Lengede, Bertoldus de Alvessem etc. Nr. 486 (ao. 1237 IX. 7): Burchard
de L. verkauft den Zehnten zu Klein-Schladen, der von Hildesheim lehnbar
ist, an das Kloster Neuwerk bei Goslar. Nr. 555 (ao. 1240 III. 8): Burchardus
de L. Zeuge bei einem Geschäft zu Mahner unter hildesheimischen Mini-
sterialen. Nr. 772 (ao. 1246 XII. 23): Burchardus de L. Zeuge bei Geschäft
des Klosters Neuwerk bei Goslar. Nr. 1115 (ao. 1259 VIIL 22): desgl.
Nr. 815 (ao. 1249 IV. 25), 822 (ao. 1249): Guncelinus de L. dominus Zeuge
bei Geschäften zu Dorstadt. Nr. 869 (ao. 1251 VII. 17): Thidericus miles
de Lengede, fidelis des Bischofs, verkauft einen Zehnten in Groß-Lengede für
135 Mark an das Kloster Wöltingerode. Sein Bruder Ulrich.
II. Nr. 159 (ao. 1267 VI. 21): Heinricus de Lenghede, Ministerial des
Herzogs von Braunschweig, resigniert Güter zu L. zu gunsten des Klosters
Wültiagerode.
Die Ministerialenfamilie von Lengede führt ihren Namen nach dem L. bei
Goslar. Hier ist sie auch begütert, und bei Verhandlungen über Güter in
dieser Gegend wird sie erwähnt. Die Freienfamilie von Lengede tritt mit
einer Ausnahme ebenfalls nur in dieser Gegend auf. Der Name Heinrich
findet sich in beiden Familien, ebenso wahrscheinlich der Name Luderus.
Die Nachkommen der Freienfamilie, zu denen sicher Hermann und Burchard
gehören, sind in der Mitte des 13. Jahrhunderts ebenfalls in der bischöflichen
Dienstmannschaft. Daraus ergibt sich, daß sie sämtlich einer Familie an-
gehören, deren einzelne Mitglieder zu gleicher Zeit teils frei waren, teils in
der herzoglichen, teils in der bischöflichen Dienstmannschaft standen.
19b) Familie der Herren von Heere (Kreis Marienburg) (Herre).
Nach v. ALTEN in der Zeitschrift des Historischen Vereins für Niedersachsen
1868 p. 100 gehört dieser Familie Dietrich, Hugolds Sohn, Vogt von Riechen-
berg, an.
Hildesh. Urkb. I. Nr. 202 (ao. 1133 XI. 5) laici liberi ... Theodericus
filins Hugoldi advocatus Richenbergensis; ministeriales ... Nr. 269 (ao. 1150
bis 1153 ca.): der Zehnte in Hahndorf wird von Riechenberg gekauft. Er
war vom Bischof von Hildesheim an den Grafen von Bodenburg und von
diesem an die v. Heere verliehen worden. Es verzichten darauf illustris vir
Thiedelinus de Herre und die Söhne des Thidericus barbatus Bürgers zu
‚Goslar. Ekbert, Sohn des Thiedelinus verzichtet darauf auf Zureden seines
Bruders Liudolf, Nachfolgers des prepositus Gerhard von Riechenberg.
Nr. 288 (ao. 1154 VI. 3): Volcmarus de Herre unter Ministerialen Hein-
richs des Löwen, Herzogs von Sachsen, bei einem Riechenberger Geschäft.
Nr. 364 (ao. 1173 IX. 13): Riechenberger Geschäft, Volcmar advocatus Gos-
86 W. Wittich
lariensis, Tidericus advocatus Richenbergensis. Nr. 386 (ao. 1178 VII. 24):
Liudoldus de Herre, Liuppoldus de Stockem, Volcmar, Vogt von Goslar,
Thiederich, Vogt von Riechenberg. Liudoldus und Wernerus de Herre unter
hildesheimischen Ministerialen, vgl. z. B. Nr. 447 (ao. 1186—1190), Nr. 458
(ao. 1188 I. 16).
19c) Familie von Lewe oder Levedhe (nördlich von Goslar). Annales
Stederburgenses (PERTZ, Monumenta Germaniae historica SS. Bd. XVI. p. 217),
12. Jahrhundert. Ein homo liberae conditionis Wernerus de Levedhe hatte
sich mit seinen zwei Brüdern und seinem Gut in Levedhe Herzog Heinrich
dem Löwen zu Ministerialenrecht ergeben. Dazu Asseburger Urkundenbuch
ed. Graf BOCHOLZ-ASSEBURG, I. Nr. 243 (ao. 1247 I. 9): fratres de Levede
unter welfischen Ministerialen. Nr. 23 (ao. 1187 aus den Stederburger Annalen):
Gerlach de Levedhe unter den Gerichtszeugen des Grafen Ludolf (v. Woldenberg).
Nr. 106 (ao. 1220 ca.): Gerardus de Levethe, Zeuge des Grafen Hermann von
Woldenberg. Hildesh. Urkb. I. Nr. 369 (ao. 1175 IV. 18): Gerhardus de Levethe,
Zeuge bei dem Begräbnisstreit in Dorstadt unter Hildesheimer und welfischen
Ministerialen. Nr. 701 (ao. 1217): Gerardus de Levethe unter hildesheimischen
Ministerialen. Nr. 734 (ao. 1219 ca.): derselbe und sein Sohn Gerhardus
unter hildesheimischen Ministerialen. II. Nr. 337 (ao. 1232 VII. 16): Gerhardus
unter hildesheimischen Ministerialen. Nr. 408 (ao. 1235 II. 22): Bischof
Konrad nennt den Gerhard de Levede fidelis noster. Dieser resigniert Zehnter
an Woldenberg.
194) Familie von Cantelsheim (wüst zwischen Derneburg und
Hockelen).
Arnold und Gerhard, liberi, zuletzt als solche erwähnt Hildesh. Urkb. L
Nr. 484 (ao. 1191): Gerardus de Cantelshem unter nobiles. Nr. 473 (ao. 1189):
(rerhardus et frater cius Arnoldus de Cantelshem unter liberi. Nr. 537
(ao. 1198 X. 23): Arnoldus de Cantelshem, nach Lippoldus de
Escherte bekanntem Dienstmann, vgl. Nr. 484 (ao. 1191). Es folgen
Theodericus de Aleten (Ministerial), Theodericus de Vlotethe, dieser schon
Dienstmann, vgl. Nr. 504 (ao. 1194 vor X. 28).
Nr. 601 (ao. 1205 IV. 14): Zeugen einer Schenkung des Bischofs Hart-
bert an Lamspringe: Basilius magnus de Stoufenberc, welfischer Ministerial,
vgl. Nr. 288 (ao. 1154 VI. 3), Marwardus de Wineden, (Ministerial Schrau-
dolf de Winethe, Nr. 428 ao. 1184 III. 12) Arnoldus de Redinceshusen;
Theodericus de Sulinge (Nr. 734 ao. 1219 ca.: Heinricus de Sulinge unter
Ministerialen), Rodolfus de Dalem et filii eius Ministerial des Bischofs Nr. 522
(ao. 1196), Arnoldus de Kantelsem, Esquinus de Luthere (Nr. 567
ao. 1201: derselbe unter bischöflichen Ministerialen), Lupoldus de Stochem
et filius eius Johannes dapifer.
Nr. 613 (ao. 1206 IX. 16): Urkunde des Bischofs Hartbert für Amelung»--
burn, Zeugen laici Waltherus de Vorsade qui cognominatur monachus; (dieser
ist ein bischöflicher Ministerial, vgl. Nr. 530 ao. 1197), Johannes de
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 87
Cantelsem, Sifridus de Novali etc. Nr. 646 (ao. 1211 V. 28): Johannes
sacerdos de Cantelshem.
Hildesh. Urkb. II. erwähnt nur den Dietrich von Kantelsheim (Nr. 237
ao. 1227 VIIL 16 etc.), gegen dessen dienstmäunische Stellung keine Urkunde
spricht. Die Familie ist also zwischen den Jahren 1191 und 1198 in die
bischöfliche Ministerialität eingetreten.
19e) Familie von Dalem (Dahlum oder Königsdahlum südlich von
Bockenem). Älteste Erwähnung des sächsischen Ministerialen Liudolfus de
Dalem im Hildesh. Urkb. I. Nr. 189 (ao. 1129 VI. 17) und Nr. 192 (ao. 1131
I. 7); die beiden Urkunden wahrscheinlich gefälscht. Nr. 347 (ao. 1169
IV. 20) Urkunde Heinrichs des Löwen: Rodolfus de Dalem mit Arnoldus de
Cantelsheim unter welfischen Ministerialen ...
Asseburger Urkundenbuch I. Nr. 11 (ao. 1160): Iggelbertus de Dalehem,
Liudolfus advocatus nach Edelherren.
Hildesh. Urkb. I. Nr. 475 (ao. 1190 II. 26): Rodolfus de Dalem letzter
nobilis; ministeriales hi ... — Nr. 507 (ao. 1194 nach X. 28): nobiles . ..
Rotholfus de Daleheim, Ludolfus et Ludegerus van dheme Hagen, mini-
steriales ... Nr. 522 (ao. 1196) Eustachius advocatus ecclesie nostre, Ro-
dolfus de Dalem, ... ministeriales sancte Marie. In den folgenden Urkunden
Stellung zweifelhaft bis Nr. 601 (ao. 1206 IV. 14): Rodolfus de Dalem et
filii eius unter Ministerialen. Nr. 631 (ao. 1214 XI. 8): Rodolfus de Dalem
frater episcopi (Hartbert) et III. filii sui Eggelbertus, Liuppoldus, Rodolfus
unter Ministerialen. Nr. 698 (ao. 1217): Derselbe schenkt durch seinen Sohn
Engelbert 5 Hufen in Sillium an Lamspringe. Vögte von Braunschweig
aus dem Geschlecht der Herren von Dalem, welfische Ministerialen. Asseburger
Urkundenbuch 1876 I. Nr. 7a (ao. 1130 VI. 13): Liudolfus advocatus de
Brunsuic et duo filii eius Baldewinus et Fridericus unter Ministerialen. Nr. 10
(ao. 1154 VI. 3): Liudolfus filius Baldewini (de Bruneswic). Nr. 11 (ao. 1160):
Iggelbertus de Dalehem, Liudolfus advocatus. Nr. 12 (ao. 1164 VII. 12):
Liudolfus advocatus de Bruneswic. Nr. 14 (ao. 1167): Derselbe. Nr. 16:
Arnoldus de Cantelsheim, Rodolfus de Dalem. Nr. 16 (ao. 1170 XI. 12):
Liudolfus advocatus de Bruneswic. Nr. 26 (ao. 1188 VIII. 28): Rodolfus de
Dalheim unter burgenses Goslarienses. Nr. 27 (ao. 1192): Abfall des Vogts
Ludolf von Herzog Heinrich und Belagerung desselben durch den Herzog
in Dalem. Nr. 29 (ao. 1200 nach VIL): Balduinus de Dalem . .. Ludolfus ad-
vocatus. Nr. 33 (ao. 1204 X. 22) Baldewinus advocatus. Nr. 34 (ao. 1204):
Derselbe. Nr. 91 (ao. 1218 I. 15): Kaiser Otto IV. gibt die Gattin des hildes-
heimischen Marschalls Conrad (von Emmerke), filiam Ludolfi quondam advocati
de Dahlhem, an den Bischof von Hildesheim mit ihrem Sohn.
19f) Familie von Tidexen. Berengar quidam nobilis vir
de Tidekesheim, vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 222 (ao. 1140): der Ort ist
Tidexen bei Salzdetfurt, er ist wüst. Nr. 619 (ao. 1207 XI. 13): Verhand-
lung über die Kirche Salzdetfurt, Zeuge Ludolfus de Thidekesem nach Her-
mann dem Schenk also schon Ministerial.
88 W. Witioh
IT. Nr. 462 (ao. 1336 V.3): Eylica von Adenstedhe, ihr erster Gatte Bernardus
miles de Thidessen. SUDENDORF, Urkundenbuch I. Nr. 265 (ao. 1315 IV. 99):
Kigengüter des Balduin von Wenden zu Thiedexen.
19g) Familie von Bornum (8. von Bockenem), Hildesh. Urkb. I. Nr. 281
(ao. 1143 IV. 9): Haoldus de Burnem et Arnoldus frater eius et Johannes
fiilius eius unter liberi. Johannes, Sohn des Haold, Nr. 288 (ao. 1145 VL 8).
Nr. 282 (ao. 1153): Haoldus et Arnoldus fratres. Nr. 838 (ao. 1162): Eigen
der Brüder Thiedolfus, Richmannas et Johannes de Burnem in Wakdeshausen.
Nr. 398 (ao. 1180 XI. 30): Burchardus de Bornem (nobilis). Nr. 478 (ao. 1189):
Burchardus de Kimesseim et frater eius Hermannus de Burmem. Nr. 475 ı
(ao. 1190. IIL 26): Burchardus Johannes et Haoldus filii eius de Kimessem.
Die Herren von Eimsen und von Bornum sind also eines Stammes. Nr. 709
(ao. 1218 V. 18): Johannes de Bornem, Nr. 711 (ao. 1218 V. 18): desgl. als
Ministerial Ottos IV. II. Nr. 220 (ao. 1227 IV. 28): Johannes de Bornem, mini-
sterialis des Pfalzgrafen, hat Hufen zu Bornum bei Kissenbrück sa Lehen.
Diese Ministerialenfamilie nennt sich nach Bornum in Braunschweig. Nr. 686
(ao. 1248): dominus Ludolfus de Bornem, welfischer Ministerial.
Hildesbeimische Ministerialen von Bornum, vgl. Heinrions de Bornem,
Hildesh. Urkb. IL Nr. 217 (ao. 1227 IV. 11). Nr. 919 (ao. 1253 VI. 15). Nr. 982
(ao. 1258 VI. 15). Nr 1141 (ao. 1260 V. 28): Methilde vidua de Bornkem
et Conradus filius eius haben einen mansus in Sorsum von denen von Stochem
zu Lehen. Dasu I. ed. JANICKE, Nr. 333 (ao. 1162): Die Brüder von Bornem
(nobiles) erhalten 2 Hufen zu Sorsum.
Hildesheimische Ministerialen von Kimessem (Eimsen, Kreis Alfeld), Hildes-
heimer Urkundenbuch I. Nr. 681 (ao. 1214 XI. 1 und 8): Heinricus et Con-
radus fratres de Immessem, Nr. 663 (ao. 1213 IV. 18 Lamspringe): Conradus
de Ymessem, derselbe Nr. 664 (ao. 1213 IV. 20 Lamspringe): sämtlich Hildes-
heimische Ministerialen.
Die welfische Ministerialenfamilie scheint mit der Freienfamilie von
Bornum nicht verwandt zu sein. Dagegen finden sich in der hildesheimischen
Ministerialenfamilie von Bornum und der hildesheimischen Ministerialenfamilie
von Eimsen die Vornamen Heinrich und Konrad als Regel. Außerdem hat
Konrad von Bornum Lehen in Sorsam, wo die Freien von Bornum ebenfalls
Besitz haben. Desgl. bestehen bei beiden (ieschlechtern Beziehungen zu
Lamspringe. Die Abstammung beider Familien von der Freienfamilie Boraum-
Eimsen ist also sehr wahrscheinlich.
19h) Familie von Saldern. Hildesh. Urkb. I. Nr. 328 (ao. 1161 oder
1159): Thidericus de Saldere unter nobiles layci. Nr. 347 (ao. 1169 IV. 20):
Stellung unsicher. Nr. 447 (ao. 1186—1190): Ludolfus advocatus de Bruneswie,
Ernestus de Hochtersem, Ludoldus de Heren (sämtlich Ministerialen), Tidericus
de Saldere et frater suus Burchardus. Nr. 635 (ao. 1210 V. 6): Die Vogtei
über Steterburg tragen die von Saldern vom Edelherrn Ludolfus de Indagine
zu Lehen.
19i) Familie von Garbolzum (Dorf Garbolzum bei Hohen-Eggelsen,
. = j u
Altfreibeit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 89
nıwrdöstlich von Hildesheim im Kreis Marienburg). Hildesh. Urkb. I. Nr. 200
ta0o. 1192): Ascolfus, Bodo de Wichbike (dieser in Nr. 348 [ao. 1167]
nobilis). Nr. 201 (ao. 1182 —1141): Bodo, Aseolfus. Ekbertus (wohl von
Tossem). Nr. 202 (ao. 1188 XI. 3): laici liberi Ascholfus et Helmoldus,
Cene de Hotienem et frater eius Widekindus, Theodericus Alius Hugokdi
advosatus Richenbergensis. Auch JANICKE hält diesen Ascholfus für identisch
mit dem Ascolfeus von Garbolzum (vgl. p. 726). Diese Annahme ist durchaus
gerechtfertigt, da der Name Ascholfus sonst in keiner Familie dieser Zeit und
Gegend vorkommt. Nr. 447 (ao. 1186—1180): Ascolfus de Gerboldessem unter
kädesheimischen Ministerialen. Nr. 451 (ao. 1187): Johannes de Gerboldes-
keim, Ascolfus, (satte der Tochter des Konrad von Linnethe (Westerlinde).
Dieser ist hildesheimischer Ministerial, vgl. Nr. 458 (ao. 1187) und Nr. 460
120. 1188 V. 12).
Nr. 484 (ao. 1191): Bischof Berno von Hildesheim bestätigt, daß mini-
«erialis nester Escolf de Gerboldeshem drei Hufen in Soischen (Eigen) an
Riédagshansen verkauft hat. Seine Frau Gertrud, sein Bruder Heinrich,
sein consobrinus Ludolf und seine minderjährige Tochter Eufemia stimmen zu.
19k) Familie von Rhüden (Rhüden, Kreis Marienburg). Hildesh. Urkb. I.
Nr. 281 (ao. 1143 IV. 9): Haoldus et Geruggus de Riudim unter laici liberi.
Nr. 988 (ao. 1154 VI. 8): Eggelbertus filius Haoldi de Riudim
uater Edelherren. Nr. 577 (a0.12031.28): Engelbertus de Ruden nach bischüf-
Eichen Ministerialen, jedoch von diesen geschieden Bertholdus de Hukeneın.
Hildebrandus, Johannes milites, Engelbertus de Ruden (Knappe?). II. Nr. 390
‘w. 1234 VL 9): Engelbertus et Rodolfus fratres de Ruden unter
bwhsftichen Ministerialen.
191, Familie von Heckenbeck, nordwestlich von Giandersheim. Hil-
db. Urkb. II. Nr. 289 (ao. 1230 XII. 5): Heinricus et Ludegerus fratres dicti de
Hikenbeke. Nr. 291 (ao. 1230): Theodericus liber, Ludegerus de Hakenbeke,
Benardus de Diseldissem ff. Ministerialen. Nr. 458 (ao. 1236 VII. 17): Lude-
prus de Hakenbeke nach Edelherren. Nr. 508 (ao. 1238 VI. 18): nobilis
Ledmger von Heckenbeck. Nr. 575 (ao. 1240 IX. 6): Ludingerus de
Haıkenbeke unter Ministerialen. Nr. 1064 (ao. 1258 V. 18), nobilis Robert
m H. L ed. JaxtexrF, Nr. 458 (ao. 1188 I. 16): Robertus de Hakenbike
ktzter nobilis? Nr. 703 (ao. 1217): Ludegerus de Hakenbeche unter Mini-
&rislen. Asseburger Urkundenbuch I. Nr. 248 (ao. 1247 I. 9): Ludigerus
& Hakenbec nach Edelherren vor Gunzelinus dapifer. Nr. 244 (die gleiche
Urkunde nach Kopialbuch): derselbe unter Hildesheimer Ministerialen.
19m; Familie von Holthusen (Wrisbergholzen). Hildesh. Urkb. I.
M. 2% ıao. 1146 IIL 11): Theodericus de Holthusen unter nobiles. Nr. 480
w. 1190 bis 1197): nobilis Theodericus de Holthusen. II. Nr. 239 (ao. 1227
wIX.): Tidericus et Hugo de Holthusen fratres unter Ministerialen. Nr. 262
#, 1298 VIII. 20): Theodericus de Holthusen unter nostri (des Bischofs von
Kitesheins) ministeriales. Geschäft über Güter zu Wrisbergholzen.
192) Familie von Flöthe (Flöthe, Kreis Liebenburg zwischen Salzgitter
88 W. Witioh
IT. Nr. 452 (ao. 1936 V. 3): Eylica von Adenstedhe, ihr erster Gatte Bernardus
miles de Thidessen. SUDENDORF, Urkundenbuch I. Nr. 265 (ao. 1315 IV. 29):
Kigengüter des Balduin von Wenden zu Thiedexen.
19g) Familie von Bornum (e. von Bockenem), Hildesh. Urkb. I. Nr. 281
(ao. 1148 IV. 9): Haoldus de Burnem et Arnoldus frater eius et Johannes
fiilius eius unter liberi. Johannes, Sohn des Haold, Nr. 288 (ao. 1145 VL. 8).
Nr. 282 (ao. 1153): Haoldus et Arnoldus fratres. Nr. 838 (ao. 1162): Eigen
der Brüder Thiedolfus, Richmannus et Johannes de Burnem in Waldeshausen.
Nr. 398 (ao. 1180 XI. 30): Burchardus de Bornem (nobilis). Nr. 478 (eo. 1189):
Burchardus de Kimesseim et frater eins Hermannus de Bumem. Nr. 475
(ao. 1190. IIL 26): Burchardus Johannes et Haoldus filii eius de Kimessem.
Die Herren von Eimsen und von Bornum sind also eines Stammes. Nr. 709
(ao. 1218 V. 18): Johannes de Bornem, Nr. 711 (ao. 1218 V. 18): desgl. als
Ministerial Ottos IV. II. Nr. 220 (ao. 1227 IV. 28): Johannes de Bornem, mini-
sterialis des Pfalzgrafen, hat Hufen zu Bormum bei Kissenbrück sa Lehen.
Diese Ministerialenfamilie nennt sich nach Bornum in Braunschweig. Nr. 685
(ao. 1248): dominus Ludolfus de Bornem, welfischer Ministerial.
Hildesheimische Ministerialen von Bornum, vgl. Heinricus de Bornem,
Hildesh. Urkb. IL Nr. 217 (ao. 1227 IV. 11). Nr. 919 (ao. 1253 VI. 15). Nr. 082
(ao. 1258 VI. 15). Nr 1141 (ao. 1260 V. 28): Methilde vidua de Bornhem
et C'onradus filius eius haben einen mansus in Sorsum von denen von Stochem
zu Lehen. Dasu I. ed. JANICKE, Nr. 333 (ao. 1162): Die Brüder von Bornem
(nobiles) erhalten 2 Hufen zu Sorsum.
Hildesheimische Ministerialen von Kimessem (Eimsen, Kreis Alfeld), Hildes-
heimer Urkundenbuch I. Nr. 681 (ao. 1214 XI. 1 und 8): Heinricas et Coa-
radus fratres de Immessem, Nr. 663 (ao. 1213 IV. 18 Lamspringe): Couradus
de Ymessem, derselbe Nr. 664 (ao. 1213 IV. 20 Lamspringe): sämtlich Hildes-
heimische Ministerialen.
Die welfische Ministerialenfamilie scheint mit der Freienfamilie von
Bornum nicht verwandt zu sein. Dagegen finden sich in der hildesheimischen
Ministerialenfamilie von Bornum und der hildesheimischen Ministerialenfamilie
von Eimsen die Vornamen Heinrich und Konrad als Regel. Außerdem hat
Konrad von Bornum Lehen in Sorsam, wo die Freien von Bornum ebenfalls
Besitz haben. Desgl. bestehen bei beiden (Geschlechtern Beziehungen zu
Lamspringe. Die Abstammung beider Familien von der Freienfamilie Boraum-
Eimsen ist also sehr wahrscheinlich.
19h) Familie von Saldern. Hildesh. Urkb. I. Nr. 328 (ao. 1161 oder
11569): Thiderious de Saldere unter nobiles layci. Nr. 347 (ao. 1169 IV. 20):
Stellung unsicher. Nr. 447 (ao. 1186—1190): Ludolfus advocatus de Bruneswie,
Ernestus de Hochtersem, Ludoldus de Heren (sämtlich Ministerialen), Tidericus
de Saldere et frater suus Burchardus. Nr. 635 (ao. 1210 V. 6): Die Vogtei
über Steterburg tragen die von Saldern vom Edelherrn Ludolfus de Indagine
zu Lehen.
19i) Familie von Garbolzum (Dorf Garbolzum bei Hohen-Eggelsea,
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 91
120. 1220 III. 9): Rodolfus de Mandare zwischen Henricus de Sladen und
Ludegerus de Indagine, Hermannus de Meinersem. Nr. 767 (ao. 1221 vor VII):
Rodolfus de Mandere nach comes Fridericus de Poppenborch. Steppo von
Mahner, seine Frau Eilika von Adenstedt. Er vielleicht noch Edelherr, sie
aue hildesheimischer Ministerialenfamilie. Daher die Kinder bischöfliche
Ministerialen. Vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 452 (ao. 1236 V. 8). Asseburger
Trkundenbuch I. Nr. 180°? (a0.1143 ca.): Luthardo nobili viro Rudolfi
filio de Mandere. Nr. 250 (ao. 1248): Dietrich von Mandere, sein
Sehwager Dieterich von Saldern verkaufen Hufen in Lebenstedt an Riddags-
hausen. Nr. 306 (ao. 1261 I. 31): Dominus Theodericus de Mandere an
erster Stelle vor Ministerialen. Nr. 332 (ao. 1264): desgl. Nr. 332 (ao. 1267
XII. 31): Geschäft des Grafen von Woldenberg. Zeugen Arnoldus Krose miles,
Wernerus miles de Dholghen, Dienstmann, [vgl. Nr. 360 (ao. 1259 V. 3)]
Thidericus miles de Mandere. Hildesh. Urkb. II. Nr. 217 (ao. 1227 IV. 11):
Steppo de Mandere nach Theodericus de Selethe (Ministerial). Nr. 237
iao. 1227 VIII. 16): derselbe unter hildesheimischen Ministerialen. Nr. 248
‘0. 1227). In beiden Urkunden nach Andreas de Selede et filius eius Lup-
poldus. Nr. 555 (ao. 1240 III. 8): Steppo von Mahner gibt 71}: Hufen Eigen in
Mabner, 1'!’s Hufen Eigen in Bockenem, 3 Hufen Eigen in Haverlo und sein
Recht an der Kirche in Mahner mit Zustimmung seines Bruders Aschwin, vice-
dominus in Goslar, unter der Bedingung an den Bischof von Hildesheim,
daB sein Sohn Dietrich und nach dessen Tod seine Töchter (des Steppo)
damit belehnt werden.
19pı Familie de Piscina. Asseburger Urkundenbuch I. Nr. 40 (ao. 1208
\}. 15:: Conradum de Dicka...nobiles viros. Urkundenbuch des Hochstifts
Haïberstadt ed. SCHMIDT, I. Nr. 719 (80.1242): Conradus de Piscina unter
nobiles. Nr. 1698 (ao. 1300 IX. 21): Conradus de Piscina ausdrücklich
als nobilis vir bezeichnet. Nr. 1700 (ao. 1300 XII. 21): desgl. Hildesh. Urkb.
L Nr. 351 ıao. 1171 IX. 26): Odelricus de Piscina nach Ministerialen. Nr. 365
a. 1173 XII. 4): desgl. Nr. 504 (ao. 1194 X. 28): Erwerbungen von Dorstadt
vobl im Grafengericht), Zeuge Olricus de Piscina zweimal.
IL Nr. 91 (ao. 1223): Olricus de Piscina vor dem Vogt von Goslar. Nr. 229
».1227 VI. 8): Geschäft über die Vogtei an Gütern des Stifts (reorgenberg
cr schwanebeck (Halberstadt), Zeugen: (riselbertus advocatus et frater suus
éminua Volcmarus, Olricus Longus, Olricus iuvenis de Piscina, Otto de
schranebecke (dieser nobilis vgl. Nr. 402 und 403). Nr. 270 (ao. 1229), 271
VII. 15 a0. 1229): Conradus, Sohn des Olricus.
| Nr. 772 (ao. 1246 XI. 23): Conradus de Piscina advocatus Goslariensis.
‘piter sicher ministeriales des Bistums Hildesheim. Nr. 578 (ao. 1240 X. 31).
UL Nr. 1373 (ao. 1362 VI. 23): Gebrüder Philipp und Dietrich de Pis-
ana übertragen Güter bei Flöthe in Grevendhing an das Kloster Neuwerk.
19a) Familie von Werre oder Wehre (nördlich von Goslar). Hildesh.
Crkb. L Nr. 368 (ao. 1174 X. 19, 21): Thietlevus de Werre, letzter der nobiles viri.
imgl. Nr. 369 (ao. 1175 IV. 18). Nr. 701 (ao. 1217): Thetlevus de Werre,
92 W. Wittich
sein Bruder Dietrich, Schwester Gertrud von Borsem. II. Nr. 624 (ao. 1240
bis 120): Theoderieus de Werre unter hildesheimischen Ministerialen.
19r) Familie von Haringen (nördlich von Goslar).
Hildesh. Urkb. I. Nr. 281 (ao. 1148 IV. 9): Waltherus de Heriggen
unter laici liberi... Simon et filii eius Fridericus et Hermannus, Lodewigus
de Heriggen et filius eius Conradus unter Ministerialen. Nr. 286 (ao. 1145
IX. 15): Waltherus de Heriggen nach Hermannus de Volkersem und vor
Ekbertus camerarius. Nr. 348 (a0. 1169 VII. 21): Walthere de Herigge vor
Unarg und Eilmar (Edelherren). Widego de Heringo, Nr. 866 (ao. 1174
VI. 2), 401 (ao. 1181 IV. 20): vor Ministerialen, wohl Edelherr. Nr. 6%
(ao. 1209 III. 11): Simon und Hermann Brüder, Walther ihr Enkel, ihre
Söhne Bertold und Eschwin von Heringen resignieren Hufen in Bredelem.
Nr. 699 (ao. 1217): Bodo, Sohn des Walther von Heringen. Nr. 667 (ao. 1218
XI. 13) II. Nr. 408 und 409 (ao. 1235 II. 22): Waltherus de Heringe unter
bischöflichen Ministerialen.
19s) Familie von Burgdorf, nördlich von Schladen. Hildesh. Urkb.].
Nr.229 (ao. 1142 VI. 30): Arnoldus de Burchdorp, Vogt des Klosters St. Georgen-
berg bei Goslar. Sein Sohn Adelhard, Nr. 272 (ao. 11561 III. 14): ebenfalls
Vogt. Nr. 288 (ao. 1154 VI. 3): unter laici liberi.
Nr. 297 (ao. vor 1156 II. 16): Adelhard nach Liudolfus advocatus de
Hildenesheim und Guncelinus de Horneburch. Nr. 375 (ao. 1176 XL 98):
derselbe und sein Sohn Arnold unter welfischen Ministerialen. Letzte Er-
wähnung dieses Adelhard Nr. 384 (ao. 1178 vor V. 30). Nr. 279 (ao. 1152
V.9): Sein Oheim Ludeger, Bruder des Arnold I., von Kaiser Friedrich I. als
ministerialis noster bezeichnet.
Nr. 468 (ao. 1188 XI. 22): Arnoldus II. von Friedrich I. als ministerialis
noster bezeichnet. Nr. 477: derselbe von den Grafen zu Hallermund mit
Zehnten in Mahner belehnt. Nr. 627 (ao. 1209 V. 22): Alardus de Burchtorp
nach Edelherren.
Nr. 687 (ao. 1213 XI. 13): derselbe vor hildesheimischen Ministerialen.
Nr. 711 (ao. 1218 V. 18): Alardus de Borhthorp unter welfischen Mini-
sterialen. II. Nr. 337 (ao. 1232 VII. 16): Alardus de Borchtorp unter hildes-
heimischen Ministerialen.
19t) Familie von Schwanebeck.
Hildesh. Urkb. II. Nr. 402 (ao. 1234) und 403 (ao. 1234): Der Edelherr
Otto von Schwanebeck hat zur Gattin die domina Gisla, die entweder aus
der Familie von Escherde-Altenmarkt oder aus der Familie von Rautenberg
stammt. Über die Verwandtschaft mit Rautenberg vgl. III. Nr. 5 (ca. ao. 1260),
198 (ao. 1268 IV. 1).
Auf jeden Fall ist Gisla hildesheimische Ministerialin. Dementsprechend
müssen die Söhne aus dieser Ehe auch hildesheimische Ministerialen sein.
Sie heißen Lippold, Otto, Dietrich, Everwin, Justazins (ao. 1240) II. Nr. 616.
II. Nr. 417 (ao. 1235 VII. 4): Zeugen beim echten Ding, Lippoldus inmior
de Escherte, Otto de Svanenbeke (ob senior oder iunior, wohl letzterer).
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 91
(ao. 1220 HI. 9): Rodolfus de Mandare zwischen Henricus de Sladen und
Ludegerus de Indagine, Hermannus de Meinersem. Nr. 767 (ao. 1221 vor VII):
Rodolfus de Mandere nach comes Fridericus de Poppenborch. Steppo von
Mahner, seine Frau Eilika von Adenstedt. Er vielleicht noch Edelherr, sie
aus hildesheimischer Ministerialenfamilie. Daher die Kinder bischöfliche
Ministerialen. Vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 452 (ao. 1286 V. 8). Asseburger
Urkundenbuch I. Nr. 180° (ao. 1143 ca.): Luthardo nobili viro Rudolfi
filio de Mandere. Nr. 250 (ao. 1248): Dietrich von Mandere, sein
Schwager Dieterich von Saldern verkaufen Hufen in Lebenstedt an Riddags-
hausen. Nr. 306 (ao. 1261 I. 31): Dominus Theodericus de Mandere an
erster Stelle vor Ministerialen. Nr. 332 (ao. 1264): desgl. Nr. 332 (ao. 1267
XII. 31): Geschäft des Grafen von Woldenberg. Zeugen Arnoldus Krose miles,
Wernerus miles de Dholghen, Dienstmann, [vgl. Nr. 360 (ao. 1259 V. 3)]
Thidericus miles de Mandere. Hildesh. Urkb. I. Nr. 217 (ao. 1227 IV. 11):
Steppo de Mandere nach Theodericus de Selethe (Ministerial. Nr. 237
(a0. 1227 VIII. 16): derselbe unter hildesheimischen Ministerialen. Nr. 243
(a0. 1227). In beiden Urkunden nach Andreas de Selede et filius eius Lup-
poldus. Nr. 555 (ao. 1240 III. 8): Steppo von Mahner gibt 71/2 Hufen Eigen in
Mahner, 1!/s Hufen Eigen in Bockenem, 3 Hufen Eigen in Haverlo und sein
Recht an der Kirche in Mahner mit Zustimmung seines Bruders Aschwin, vice-
dominus in Goslar, unter der Bedingung an den Bischof von Hildesheim,
daß sein Sohn Dietrich und nach dessen Tod seine Töchter (des Steppo)
damit belehnt werden. |
19p) Familie de Piscina. Asseburger Urkundenbuch I. Nr. 40 (ao. 1208
XI. 15): Conradum de Dicka ... nobiles viros. Urkundenbuch des Hochstifts
Halberstadt ed. SCHMIDT, I. Nr. 719 (a0. 1242): Conradus de Piscina unter
nobiles. Nr. 1698 (ao. 1300 IX. 21): Conradus de Piscina ausdrücklich
als nobilis vir bezeichnet. Nr. 1700 (ao. 1300 XII. 21): desgl. Hildesh. Urkb.
I. Nr. 351 (ao. 1171 IX. 26): Odelricus de Piscina nach Ministerialen. Nr. 365
(ao. 1173 XII. 4): desgl. Nr. 504 (ao. 1194 X. 28): Erwerbungen von Dorstadt
(wohl im Grafengericht), Zeuge Olricus de Piscina zweimal.
II. Nr. 91 (ao. 1223): Olricus de Piscina vor dem Vogt von Goslar. Nr. 229
(a0. 1227 VI. 8): Geschäft über die Vogtei an Gütern des Stifts Georgenberg
zu Schwanebeck (Halberstadt), Zeugen: Giselbertus advocatus et frater suus
dominus Volcmarus, Olricus Longus, Olricus iuvenis de Piscina, Otto de
Schwanebecke (dieser nobilis vgl. Nr. 402 und 403). Nr. 270 (ao. 1229), 271
(VIII. 15 ao. 1229): Conradus, Sohn des Olricus.
Nr. 772 (ao. 1246 XI. 23): Conradus de Piscina advocatus Goslariensis.
Später sicher ministeriales des Bistums Hildesheim. Nr. 578 (ao. 1240 X. 31).
IH. Nr. 1373 (ao. 1362 VI. 23): Gebrüder Philipp und Dietrich de Pis-
cina übertragen Güter bei Flöthe in Grevendhing an das Kloster Neuwerk.
194) Familie von Werre oder Welhre (nördlich von Goslar). Hildesh.
Urkb. I. Nr. 368 (ao. 1174 X. 19, 21): Thietlevus de Werre, letzter der nobiles viri.
Desgl. Nr. 869 (ao. 1175 IV. 18). Nr. 701 (ao. 1217): Thetlevus de Werre,
94 W. Wittich
Bischofs von Halberstadt. Hildesh. Urkb. I. Nr. 376 (ao. 1176 Guslar): Ge-
schäft in Abbenrode und Lochtum. Unter den Zeugen ministeriales Odelricus
de Thingilstide. Nr. 581 (ao. 1208): Everhard de Dingelstide unter
hildesheimischen Ministerialen. Nr. 615 (ao. 1206): desgl. u. 8. w.
2% d) Familie von Bönnien (Buniggen), Kreis Marienburg.
Hildesh. Urkb. I. Nr. 231 (ao. 1143 IV. 9): Herewiggus de Buniggen letzter
der liberi laici. Desgl. Nr. 236 (ao. 1145 IX. 15): derselbe unter liberi.
Nr. 620 (ao. 1208 IV. 29): Bodo de Boninge als letzter Ministerial.
Nr. 698 (ao. 1217): Schenkung zu Sillium an Lamspringe durch Rudolf
von Dalem, Zeugen: Geistliche, Ludolfus notarius, Bertoldus Bawarus, Ge
ringus de Boninge, Cono, Limmarus, Fredericus de Swalenberh, Mini-
sterialen des Bischofs. II. Nr. 119 (ao. 1225 IV. 15): Widekindus de Bonigge...
Bodo et frater eius Haoldus de Bonigge... Conrädus de Bonigge (et Ber-
toldus?) unter Ministerialen. Urkunde des Grafen Ludger vom Werder.
Nr. 198 (ao. 1226 X. 23): Gerungus de Buninge unter bischöflichen
Ministerialen. Nr. 681 (ao. 1240 XI. 29): Edelherr Gerung von Bönnien
(Regest). Gedruckt Döbner, Urkundenbuch der Stadt Hildesheim I. Nr. 102.
Familie von Bönnien, wohl Vögte vom Kloster Lamspringe.
Hildesh. Urkb. I. Nr. 333 (ao. 1162): Geschäft des Klosters, Zeugen:
Gerungus advocatus eiusdem ecclesie cum duobus filiis suis Cunrado et
Haoldo. Nr. 476 (ao. 1190 IX. 20): ... Haoldi advocati Lammes
pringensium ...
Nr. 698 (ao. 1217): vgl. oben.
I. Nr. 119 (ao. 1225 IV. 15): Privileg für die Güter des Klosters,
Zeugen: Widekindus de Bonigge, .... Bodo et frater eius Haoldus de Bonigge,
Conradus de Bonigge ...
20e) Familie von Hachem (Hachem wüst bei Bockenem).
Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 242 (ao. 1145): Wirnherus de Hachem Zeuge bei
der Ergebung Ekberts zu Altendorf unter laici et liberi; desgl. Ludolfus de
Hachen Nr. 447 (ao. 1186—1190): unter liberi. Nr. 664 (ao. 1218 IV. 30):
Engelbertus et Thidericus fratres de Achem.
U. Nr. 119 (ao. 1225 IV. 15): Urkunde des Grafen vom Werder d. d.
Bockenem, Zeugen: Eggelbertus de Hachim et Theodericus frater eius, ob
Ministerialen des Grafen? Nr. 509 (ao. 1238 VII. 23): Engelbertus, Zeuge des
Grafen von Woldenberg. Nr. 541 (ao. 1239 X): Engelbertus unter hildes-
heimischen Ministerialen.
Ul. Nr. 586 (ao. 1281): Engelbert, Lehnsherr zu Mahlum.
Nr. 664 (ao. 1283): dominus Eggelbertus de Hachem et Thidericus filius
eius, Zeugen des Grafen von Woldenberg. Nr. 819 (ao. 1289 I. 13): Theo-
dericus de Hachem verkauft Eigen zu Gross Rhüden und Mechtshausen
an Lamspringe (4 Hufen mit curia etc... Nr. 811 (ao. 1288 XI. 20), Nr. 812
(ao. 1288 XI. 20): Zustimmung seiner Schwestern zum Verkauf. Nr. 823
(ao. 1289 III. 21): Zehnte zu Rhüden Lehen von Hildesheim. Nr. 1078 (ao. 1296):
Altfreiheit u. Dieustbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 95
Verzicht der Schwestern des Theodericus auf Eigen zu Evensen, das zu Lehen
gezeben war.
9f, Familie von Freden oder Vreden (Freden im Tal der Leine
sädöstlich von Alfeld).
Hildesh. Urkb. I. Nr. 810 (ao. 1158 IV. 9): Walterus de Vreden
ministerialis noster (des Bischofs Bruno von Hildesheim) resigniert
3:: Hufen zu Erdeshusen (Erzhausen) zugunsten von Amelunxborn. Er
ersheint von ao. 1158 IV. 9—1190 III. 26 in Nr. 476.
Ekbert, Heinrich, Konrad von Vreden. Ekbert Nr. 577 (ao. 1203 I. 23)
"is Nr. 726 (ao. 1219 VI. 19). II. Nr. 262 (ao. 1228 VIII. 20): Ekbert als Mini-
sterial bezeichnet. Sein Sohn Walther Nr. 629 (ao. 1241 III. 28); dessen
Bruder Ekbert vgl. Nr. 562 (ao. 1240 V. 9): Ekbertus junior de Vreden. Nr. 665
20. 1242 XII. 6): servi Wolterus et Ecbertus fratres de Freden; dominus
Ekbertus de Freden et Basilius filius eius, wohl der Vater Ekbert.
Nr. 522 (ao. 1231 VIII. 16): Bischof Konrad bekundet, daß Ekbert von
Freden und seine Frau Gertrud ein Viertel des Waldes Pandelbeke
é-m Kloster Walkenried verkauft haben. Zustimmung der Freien (wohl
iberi — Kinder) Ekbert, Basil, Lippold, Jutta und Gertrud. Nr. 509 (ao. 1238
VIL 3}: Graf Hermann von Wohldenberg verkauft ebenfalls ein Viertel
dieses Waldes. Er besitzt es mit seinem Verwandten Konrad, Propst des
Moritzstiftes, gemeinsam.
Nr. 870 (ao. 1251 VII 21) (Regest): Basil und Lippold, Söhne des
Edeln Ekbert von Freden und der Gertrud, entsagen allen Ansprüchen an
cn Teil des Waldes Pandelbeke, der dem Kloster Walkenried gehört. Wo
Heibt die Zustimmung des Walter, vgl. III. Nr. 20 (ao. 1261 VI. 7): Egbertus
et Witherus frater suus de minori Vrethen.
Die Qualifikation des Ekbert des Älteren als nobilis ist für diese Zeit
sicher falsch. Jedoch deutet sie in Verbindung mit dem bedeutenden Wald-
eizentum der Familie auf altfreie Herkunft.
Zug) Familie von Volkersen (Völksen bei Springe).
Hildesh. Urkb. I. Nr. 236 (ao. 1145 IX. 15): Hermannus de Volkersem
al: vurletzter nobilis. Nr. 348 (ao. 1169 XII. 21): derselbe in gleicher Stellung.
Nr. 365 (ao. 1173 XII 4): Unargus de Volkersen als letzter nobilis.
Sast ebenfalls als letzter oder zweitletzter nobilis vor den Gebrüdern von
R.the erwähnt. Nr. 434 (ao. 1184—1185): Unargus mit dem Zehnten zu
Badelmessen (bei Bensdorf) vom Bischof von Hildesheim belehnt.
Hildesh. Urkb. IT. Nr. 803 (ao. 1248 IV. 2) und Nr. 857 (ao. 1251 I. 15):
‘oradus de Volkersem Ministerial des Grafen von Hallermund. Nr. 943
4, 1254 III. 24): Hermannus proprius villicus des Grafen von Hallermund
2 Volkerseym.
Hildesh. Urkb. OI. Nr. 1291 (ao. 1300): Johann de Volkersem famulus
»ı Geschäft der von Adensen. Nr. 1459 (ao. 1304 II. 22): drei Brüder,
-bannes Hinricus, Hermannus, verzichten mit Zustimmung ihrer Mutter,
“7 Domina Vredheke, auf einen mansus zu Volkersem zugunsten von
96 W. Wittich
St. Michael. Zeuge: Herm annus sacerdos plebanus in Volkersem und
Wicbrandus de Hareboldessen.
20h) Familie von Ohlum-Hohenhameln.
Hildesh. Urkundenbuch I., Nr. 311 (ao. 1158 V. 2): Dominus Fridericus
de Olem verkauft 3 Hufen in territorio Sowinche an das Domkapitel. Bürgen
für seine Erben sind Galterus de Bardunchen, Vater seiner Frau, Liuthardus
de Meinersen, Großvater seiner Frau, Ludolf und Hoger von Waltingherode,
Tedevus de Werre, soweit bekannt, nobiles.
Nr. 671 (ao. ca. 1213): Hermannus miles de Olem, seine beiden Söhne
Walter und Hermann, Ritter von Hohenhameln. Die Familie von Hohen-
hameln oder Hameln erscheint schon seit 1143 in der hildesheimischen Mini-
sterialität, vgl. Nr. 231 (ao. 1143 1V. 9): Emmel de Hamelen et frater eius
Hermannus.
20i) Familie der Vögte von Gandersheim.
Monumenta Germaniae Historica SS. XVI. ed. PERTZ, p. 215 (Steter-
burger Annalen ad. ao. 1182 VI. 18°): Zeugen bei dem magnum placitum
episcopi in Bodenburch ... bekannte Edelherren Cono de Depenowe, Engel-
mar, Unarg, Ropertus de Gandersheim, et fere omnes Hildensemenses mini-
steriales.
Hildesh. Urkb. I. Nr. 282 (ao. 1153 ca.): Geschäft des Bischofs Bruno
von Hildesheim über Güter in Klus bei Gandersheim. Zeugen: Fridericus,
abbas de sancto Godehardo, Rodigerus abbas de Ringelem, Waltherus ad-
vocatus de Ganderesheim, Wernherus advocatus de Ringelem, Volcmarus de
Herre, Ecbertus camerarius ...
Volcmarus de Herre Nr. 288 (ao. 1154 VI. 8): unter welfischen Ministerialen.
Nr. 567 (ao. 1201): Waltherus de Gandersheim unter hildesheimischen
und welfischen Ministerialen. Nr. 605 (ao. 1205): Walter, Vogt von Ganders-
heim, stiftet mit seiner Gattin Judith eine Kirche in Sack (Kreis Alfeld) und
hegabt sie mit 3 Hufen und 6 iugera. Nr. 785 (ao. 1219-1226): Walterus
de Gandersem Zeuge bei einem Geschäft des Pfalzgrafen Heinrich unter
welfischen Ministerialen.
Asseburger Urkundenbuch I. Nr. 32 (ao. 1204 vor VII. 12): Geschäft des.
Königs Otto IV. mit Riddagshausen, Waltherus de Gandersen unter welfischen
Ministerialen. Nr. 300 (ao. 1259 V. 3): Woltherus et Henricus, camerarius
de Gandersem, Zeugen bei einem Geschäft der Äbtissin Margaretha von
(Gandersheim.
Hildesh. Urkb. IL Nr. 164 (ao. 1226): Walterus de Ganders(b)em. Nr. 327
(ao. 1231): Die Brüder Walter und Hermann von Gandersheim resignieren
dem Bischof ein Haus in der Stadt Hildesheim. Nr. 415 (ao. 1286 VII, 8):
Hermannus de Gandersheim unter castellani nostri (des Bischofs Konrad
von Hildesheim). Nr. 591 (ao. 1240): derselbe unter hildesheimischen Mini-
sterialen. Nr. 629 (ao. 1241 111. 28): derselbe unter hildesheimischen
Ministerialen.
%k) Familie von Rössing (Rössing im Kreis Springe).
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 97
Hildesh. Urkb. I. Nr. 200 (ao. 1132): Ernest de Rothinge et fllius eius
Cono unter hildesheimischen Ministerialen. Nr. 201 (ao. 1182—1141): Ernest
de Rothinge in gleicher Stellung. Nr. 225 (ao. 1141): Erwerb des Gutes
in Heisede von Liudoldus von Altenmarkt seitens des Klosters St. Michael,
Zeugen 6 liberi, Ekbertus camerarius, Ernest de Rothinge, Liuppold und Hugo
von Altenmarkt. Nr. 231 (ao. 1148 II. 9): Gründung des Klosters Derneburg,
ministeriales Ernestus de Rottige, Liudolfus advocatus etc. Nr. 418 (ao. 1182):
Thidericus de Rotginghe, Bürge für Konrad und Ernst von Kemme.
IT. Nr. 416 (ao. 185 vor VII. 4): Huic placito preerant liberi Widoldus
de Embereke, Theodericus et Bertoldus de Rothinge, Theodericus de civitate.
Nr. 417 (ao. 1235 VII. 4): liberi etiam eiusdem placiti procuratores Hermannus
et Godescalcus de Covinge, Tidericus et Johannes et Eilardus de Rothinge,
Jordanus, Jodolfus et Tethmarus de Barthenem.
21) Familie von Altenmarkt oder vom Werder (deInsula).
Hildesh. Urkb. I. Nr. 3853 (ao. 1171—1190): Liuppoldus tam sancti
Michaelis quam civitatis advocatus ... — Erste Erwähnung der Familie mit
Liutoldus advocatus a. a. O. Nr. 200 (ca. ao. 1132): an der Spitze der stiftischen
Ministerialen. Weiterhin in Nr. 201 (ao. 1132 bis 1141): der gleiehe Liu-
toldus nostre ecclesie ministerialis illius autem cenobii advocatus (St. Michael).
Er hat vom Bischof einen Zehnten in Essem zu Lehen, den er einem Hart-
wigus zu Lehen gegeben hat. Sein Bruder Liuppoldus in der gleichen
Urkunde. Der in diesen beiden Urkunden erwähnte Cono advocatus eius
loci ist ein nobilis (ob aus der Familie Depenau oder Arberge?) und wahr-
scheinlieh Obervogt von St. Michael. Von ao. 1142 (II. 3) Nr. 227 an Liu-
toldus regelmäßig mit seinen zwei Brüdern Liuppoldus und Hugo erwähnt
als advocatus Hildenesheimensis. Der vorher erscheinende Vogt Benico, eben-
falls ein Ministerial des Bischofs, und sein Bruder Fastmarus stehen sicher in
keiner verwandtschaftlichen Beziehung zur Familie von Altenmarkt. Ebenso
kommen die üblichen Vornamen der Familie unter den ministerialischen Zeugen
der früheren Urkunden nicht vor. Die Vermutung liegt nahe, daß die Familie
erst ca. 1132 mit Liutoldus in die stiftische Ministerialität eingetreten ist.
Für die Altfreiheit der Familie spricht die sehr frühe Erwähnung von
Erbgut, predium hereditario iure possessum in villa Hesede (Heisede), a. a. O.
Nr. 225 (ao. 1141). Hildesh. Urkb. II. Nr. 390 (ao. 1234 V. 9): Lippoldus de
veteri foro consanguineus des Thidericus de Holthusen (nebilis).
Für die agnatischen Beziehungen zwischen den Geschlechtern Altenmarkt
und Escherde sprechen: 1. Gemeinsames Auftreten in den Zeugenreihen der
Urkunden. 2. Gegenseitige Bürgschaften. 8. Zahlreiche Vornamen gemein-
sam, vor allem Läppold und Ludold 4 Lebnsansprüche der v. Escherde
an der Vogtei in der Stadt Hildesheim, dem wichtigsten Lehen der von
Altenmarkt, vgl. Hildesk. Urkb. II. Nr. 121 (ao. 1225), 146 (ao. 1225-1247),
5. Eigen des Vogts Lippold von Altenmarkt zu Escherde, Nr. 1007 (ao. 1256
IH.), Nr. 540 (ao. 1280).
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftegeschichte. IV. 7
98 W. Wittich
20m) Familie von Schiltberg (Schloß dieses Namens). Hildesh.
Urkb. I. Nr. 248 (ao. 1148 VII. 13).
Asseburger Urkundenbuch I. Nr. 10 (ao. 1154 VI. 8): Geruggus de Scild-
berch unter nobiles, Urkunde Heinrichs des Löwen. Nr. 80 (ao. 1218 I. 27):
Basilius de Schiltberch unter welfischen Ministerialen. Nr. 81 (ao. 1218 I. 27):
derselbe in gleicher Stellung.
2On) Familie von Remstede (Reinstede, Rumstede), ob Beinstedt in
Anhalt oder Runstedt bei Helmstedt?
Hildesh. Urkb. I. Nr. 390 (1179 IV. 4), Nr. 422 (ao. 1183 IV. 28): Ger-
hardus de Rimestede und sein Bruder Ekgerius, letzte der Edelherren. Nr. 667
(ao. 1201): Gerhard in gleicher Stellung. Nr. 592 (ao. 1204), desgl. Nr. 614
(ao. 1206 X. 21), Nr. 620 (ao. 1208 IV. 29), Nr. 624 (ao. 1208), Nr. 625 (ao. 1209
III. 11): Eschewinus de Luthere, Gerbodo de Othfretsem, Gerhardus de
Remstede. Nr. 631 (a0. 1209 VII. 24): derselbe, letzter Edelherr; ao. 1209
XI. 8: derselbe unter Ministerialen. Nr. 639 (ao. 1210 VI. 22): derselbe an
der Spitze von Ministerialen.
Nr. 641 (ao. 1210 XII.6): derselbe unter Ministerialen. Nr. 642 (ao. 1210 XIL):
derselbe unter Ministerialen.
Nr. 654 (ao. 1212 IV. 30): derselbe nach Lupoldus senior de Eschert.
Nr. 664 (ao. 1213 IV. 30): derselbe als erster Edelherr.
Nr. 668 (ao. 1218): Gerhardus de Remstede homo nobilis.
Nr. 679 (ao. 1215 V. 1): Rodolf de Dalem, Gerhard de Remstede.
Nr. 681 (ao. 1215 VIII. 15): derselbe an der Spitze der Ministerialen.
II. Nr. 981 (ao. 1255): Graf Gebhard von Wernigerode bezeugt den
Verzicht des Ritters Geroldus senior de Runstedhe auf 6 iugera und 2 curtes
Eigen zu Dorstadt. Sein Sohn Gerold castellanus in Horneburc. Zallinger,
Schöffenbarfreie p. 94, Urkunde Aschersleben ao. 1155: Everhardus de Rein-
steden et alii liberi in eadem villa manentes. Ministerialen von Reinstedt
nachweisbar seit 1219, a. a. O. p. 111.
21) Vgl. z.B. Hildesh. Urkb. I. Nr. 263 (ao. 1150 V. 8): die in der Urkunde
als mittelbare Lehensleute der Kirche genannten Edelherren kehren sämtlich
als Zeugen wieder.
Nr. 422 (ao. 1183 IV. 21): die freien Zeugen werden als layci beneficiati
bezeichnet.
Vgl. Lüntzen, Geschichte der Diözese und Stadt Hildesheim, Hildes-
heim 1858 II. p. 90 und 91, wo die Stellen vereinigt sind.
22) Hildesh. Urkb. I. Nr. 60 (ao. 1013), 86 (ao. 1051), 96 (a0. 1057 VII. 3),
111 (ao. 1068 VIII. 5), 114 (ao. 1069 VIII. 15).
Über die Gandersheimer Grafschaften vgl. GÜNTHER, Ambergau p. 212 ff.
ebenda auch über die vom Reich lehnbaren Komitate, ferner LÜNTZEL, Ältere
Diözese Hildesheim 1837, p. 162.
28) Über die Edelherren von Dorstadt vgl. DÜRRE, Zeitschrift des Harz-
vereins 1869, Heft III- p. 138ff. Zeitschrift des Historischen Vereins für
Niedersachsen 1888, p. 42 ff.
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 99
Der agnatische Zusammenhang zwischen den Grafen von Schladen und
den Edelherren von Dorstadt ist meines Erachtens unzweifelhaft.
Hildesh. Urkb. I. Nr. 169 (ao. 1110): Belehnung des Edelherrn Aicho von
Dorstadt mit dem castrum Schladen. II. Nr. 855 (ao. 1232): curia domestica
(sethelhof) des Heinrich von Schladen in Dorstadt. Auch mehrere Vornamen
sind bei den Geschlechtern gemeinsam. Grafengericht der Grafen von Schla-
den zu Bocla II. Nr. 958 (ao. 1254).
24) Über die Grafschaft Woldenberg vgl. LUNTZEL, Die ältere Diözese
Hildesheim 1837, p. 154—157, 158—175. F. GÜNTHER, Der Ambergau Han-
nover 1887, bes. p. 212—216. Zeitschrift des Harzvereins für Geschichte und
Altertumskunde ed. JAcoBs, IV. pag. 367 ff. Nur der Salzgau scheint hildes-
heimisches Lehen gewesen zu sein, vgl. LÜnTzEL, Ältere Diöcese 1837, p. 166.
Hildesh. Urkb. I. Nr. 86 (ao. 1061 XI.).
25) Vgl. Hildesh. Urkb. I, Nr. 228 (ao. 1142 VI. 16): Schenkung einer
Area in Sehlem, die von freien Leuten erkauft war. Meinfridus comes de
Bodenburg, qui iurisdictionem de comecia nobis resignavit (dem Bischof).
Nach GÜNTHER, Ambergau p. 213, war die Grafschaft Bodenburg ein
Lehen von Gandersheim. Dem widerspricht die Ausdrucksweise obiger Ur-
kunde: iurisdictionem ... nobis resignavit.
26) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 268 (ao. 1150 V. 8): Belehnung des Grafen
Hermann mit der Winzenburg und Homburg. Nr. 422 (ao. 1183 IV. 21):
Belehnung der Brüder Grafen von Dassel mit dem Schloß Homburg. Nr. 263
...hec donatio in mallo comitis Bertholdi, in cuius comitia hoc castrum
(Winzenburg) situm est, banno regali ... nullo contra dicente confirmata est.
Nr. 343 (ao. 1167) zu Volcsen (Volchardessen): Schenkung an St. Gode-
hard. Graf Bodo von Homburg verzichtet auf das ius comitatus an diesen
Gütern.
Die Winzenburg fiel bekanntlich schon im Jahr 1152 (29 I.) nach der
Ermordung Hermanns II. von Winzenburg an das Bistum zurück und ver-
blieb in unmittelbarem Besitz des Bischofs (vgl. GÜNTHER, Ambergau p. 147).
27) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 111 (ao. 1068 VIII. 5): Heinrich IV. schenkt
die Grafschaft in den Gauen Valedungon, Aringe und Guttingon an das
Bistum Hildesheim. LüxtzeL, Ältere Diözese Hildesheim 1837, p. 128
(Scotelingen) bis 145.
28) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 86 (ao. 1051 XI.) und 96 (ao. 1067 VII. 3).
LixrzEL, Ältere Diözese Hildesheim 1837, p. 91—118.
29) Vgl. Chronicon Hildesheimense in PErTz, Monumenta Germaniae
historica SS. VII. p. 864. Zusammenstellung der Nachrichten über die Graf-
schaft Peine, vgl. Asseburger Urkundenbuch I., Nr. 180 p. 124—130.
4 80) LÜNTzEr, Diözese p. 117. GÜNTHER, Ambergau p. 215, behauptet,
die Grafschaft am Ris sei Reichslehen gewesen. Über den Rückkauf dieser
Grafschaften vgl. LÜNTZEL a. a. 0.
KA Die nördlich vom Gau Astfala gelegenen Gaue Flutwide, Moltbizi und
Muthiwide waren ebenfalls durch königliche Schenkung an das Bistum ge-
100 W. Wittich
kommen (vgl. über Flutwide Hildesh. Urkb. I. Nr. 60, ao. 1013: comitatus
quod pendet ad castellum Mundburg;; über Moltbizi, Nr. 86, ao. 1061 X.). Jedoch
scheinen sie frühzeitig in die Gewalt der welfischen Herzoge und damit
dem Bistum auf immer abhanden gekommen zu sein. Für unsere Unter-
suchung haben sie keine Bedeutung.
31) Vgl. R. SCHRÔDER, Die Gerichtsverfassung des Sachsenspiegels,
Weimar 1885, p. 3 ff. und p. 46. ZALLINGER, Schöffenbarfreie p. 286 Anm. 2.
82) Vgl. Heck, Der Sachsenspiegel und die Stände der Freien, Halle
1905, p. 157 ft.
In einer Halberstädter Urkunde vom Jahr 1257 wird die Zuständigkeit
des Grafengerichts zu Seehausen, das an den Erzbischof von Magdeburg
verkauft worden ist, auf die Auflassung von Freigütern (proprietatem dare
vel vendere) beschränkt.
83) HEcK hat in seinem neuesten Werk (Der Sachsenspiegel und die
Stände der Freien p. 342—869) eine ähnliche Übersicht über die freien Eigen-
tümer gegeben. Jedoch beschränkt er sich nur auf die „niederen Schöffen-
baren“, d. h. die Altfreien bäuerlichen Standes, und erschöpft auch die
hildesheimischen Quellen nicht völlig. Da für unsere Zwecke auch die nicht-
bäuerlichen Altfreien in Betracht kommen, so haben wir die größtenteils
auf den auch von HECK benützten Urkunden beruhende Übersicht beibehalten.
34) Vgl. Hildesh. Urk. I. Nr. 272 (ao. 1151 III. 14).
Nr. 273 (ao. 1152 III. 17).
35) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 367 (ao. 1174 VI. 23).
Nr. 369 (ao. 1175 IV. 18).
Die Freien Theodericus und Richolfus von Dorstadt gehören sicher auch
zu den erwähnten kleineren Freigutsbesitzern an diesem Ort. Da die Mit-
gabe der Tochter des Theodericus, die in das Kloster Dorstadt eintrat,
2!/s Hufen und einen Teil eines Hausplatzes betrug, so dürfen auch diese
im Gegensatz zur mächtigen Grafenfamilie von Dorstadt-Schladen kleinen
Freien keineswegs als Bauern angesehen werden. Vgl. Nr. 479 (ao. 1190,
1194) und Nr. 504 (ao. 1194 vor X. 28).
HECK (Sachsenspiegel etc. p. 350 ff.) geht in der Qualifikation der
Grafschaftsfreien als Bauern meines Erachtens entschieden zu weit. Ich
leugne keineswegs, daß unter ihnen zahlreiche Bauern gewesen sein mögen,
aber Hxc’k sucht mit ganz unzureichenden Gründen alle von ihm untersuchten
Schöffenbaren in eine bäuerliche Stellung zu bringen. So nimmt er an, die
Freien Tidericus liber und Ricolfus liber de Dorstadt seien Bauern gewesen:
1. wegen Fehlen des Zunamens und wegen ihrer Stellung nach Ministerialen.
In einer Urkunde des 12. Jahrhunderts kann das Fehlen des Zunamens un-
möglich als ausschlaggebendes indicium für die bäuerliche Stellung gelten.
Vgl. auch Urkunde Nr. 388 (ao. 1178 III. 20): Gerardus et Fridericus liberi
homines. Ich habe diese beiden Freien für Grafschaftsfreie der großen Graf-
schaft und Angehörige des Geschlechts von Lopke gehalten. Jedoch ist es
sicher, daß sie dem bekannten Edelherrngeschlecht de Novali angehören.
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 101
Vel Nr. 889 (ao. 1180 XII. 17): Zeugen Gerardus, Fridericus. Nr. 407
(ae. 1181): Fridericus de Novali, Gerhardus et Eckericus fratres. So wird
in der Urkunde Nr. 479 ausdrücklich ein Eucho miles erwähnt. Außerdem
stehen die beiden Freien von Dorstadt nur in Urkunde Nr. 369 nach Edel-
herren und Ministerialen. Dagegen steht in Urkunde Nr. 479 Richolfus liber
mi umiversi concives eius vor dem Ministerialen Eucho. Außerdem stehen
m der Zeugenreihe der Urkunde Nr. 504 Theodericus liber et Ricolfus vor
Jehannes de Rochele, der sicher der bekannten Ritterfamilie von Rocklum
angehörte (vgl. II. ed. HOOGEWEG, Nr. 114 ao. 1224 Jusarius miles de
Rekele und III. Nr. 199 Anno de Rokele unter Rittern).
3 Es wird in Urkunde Nr. 479 berichtet, daß die Tochter eines gewissen
Dietrich von Dorstadt von den cognati desselben nach dem Tod ihres Vaters
m das Kloster gegeben worden sei, und zwar mit 2'/s Hufen und einer halben
area. Dafür habe sich der Propst verpflichtet, von den Schulden des Vaters
3', Mark zu zahlen. HncK sagt nun über die Vermögensverhältnisse des
Vsters: „Er war Eigentümer von 2'/, Huben, die er selbst bebaute und hatte
Schulden, die sein sonstiges Gut um 3%, Mark überstiegen“. Außerdem
betrachtet HECK die Tochter als , Alleinerbin“ ihres Vaters. Jedoch erweist
«er Inhalt der Urkunde keine dieser Behauptungen. Wir wissen weder, daß
de Tochter die Alleinerbin war, noch daß Dietrich seinen Acker selbst be-
baute, noch daß er weiter keinen Besitz oder keine Schulden hatte. HECK
sat eben aus dem dürftigen Inbalt der Urkunde auf eine dürftige Stellung
seines Schöffenbaren geschlossen, was doch nicht angeht.
$6, Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 724 (ao. 1219 V. 17), II. Nr. 224 (ao. 1227
4 “li: Besitz der Familie Flöthe-Covot in Flôthe.
Über den Freigutsbesitz der Herren von Glinde vgl. Hildesh. Urkb. Il.
\r. 433 (ao. 1235), über die Freigüter der Herren de Piscina III. Nr. 1373
ıs0. 13682 V. 23).
Au» älterer Zeit Eigen der ingenua femina Hildeswit und ihrer Tochter
Walburg in Flöthe, vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 56 (ao. 1013 IIL.).
37, Über die Geschlechter Flöthe und Piscina vgl.oben Anm. 19n u. 19p.
Ine Familie de Piscina war eines Stammes mit den Ministerialen von Ebe-
ünzgerode. Im Dorf Ebelingerode lag ihre Heimat und ihr Hantgemal, vgl.
Hidesb. Urk. II. Nr. 270 (ao. 1229), Urkb. des Hist. Vereins f. Niedersachsen
il. (Walkenried) 857 (ao. 1263).
Über die Herren von Glinde, ihre Heimat und spätere dienstmännische
“-llung vgl v. ZALLINGER, Schöffenbarfreie, p. 87 u. 176.
88, Vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 313 (ao. 1230 — 1240).
Diese Urkunde bestätigt die Vermutung von ZALLINGERs, daß der Satz
+ Sechsenspiegels über die Freilassung der Ministerialen zu Landsassenrecht
rmigstens für die Entstehungszeit des Rechtsbuchs nicht mehr zutrifft.
leon hier wird ein Ministerial direkt zum Recht der Schöffenbaren freigelassen.
Vel. von ZALLINGER, Schöffenbarfreie, p. 238 S. Ld.R. (Sachsenspiegel ed.
8: wevEer Bd. I.) III. Art. 80 8 2.
102 W. Wittich
39) LÜXTZEL. Geschichte der Diözese und Stadt Hildesheim II. p. 202 ff.
40) Vgl. Annales Stederburgenses in Monumenta Germaniae Historica ed.
PERTZ SS. XVI. p. 197ff.; p. 207: Wahl des Propsts Gerhard II. ao. 1163;
p. 290 ao. 1166: Kauf von 4 Hufen zu Kleinen-Schwülper a Reinoldo quodam,
libero homine. Graf Ludolf von Peine bestätigt den Kauf; p. 210 ao. 1166:
Ervo de Tidhe verpfändet Güter zu Tidhe; p. 213 ao. 1175: Kauf in Lefforde
von Thidericus de... und Bruder Gerhard 5 Hufen; Der Graf Ludolf von
Peine bestätigt den Kauf mit dem Königsbann. p. 215 ao. 1182: homo nobilis
Bodo de Saldere schenkt 18 Morgen und einen Hausplatz in Lefforde, des-
gleichen sein Bruder Ludolfus dasselbe am selben Ort; p. 217 ao. 1186: Er-
werb der Freigüter der altfreien Ministerialen von Lewe (Levedhe) zu Lewe;
p. 217 ao. 1187: Erwerbungen in Großen-Mahner, quia pene tota ad liberos
pertinebat. Die liberi sind, Grafen von Poppenburg, Familie von Mahner,
Thidericus quidam, Thidericus et Ricmannus fratres; p. 219 ao. 1187: die
v. Saldern schenken Hufen zu Stedehem und Ardesheim.
41) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 483 (ao. 1191).
Das Eigentum der Edelherrenfamilie von Mahner in Mahner war viel
bedeutender. Im Jahr 1240 schenkt Steppo von Mahner, der mittlerweile
hildesheimischer Ministerial geworden war, 7'/; Hufen Eigen und sein Recht
an der Kirche zu Mahner nebst vielen anderen Gütern an den Bischof von
Hildesheim, der dafür Belehnung seines Sohnes mit diesen Gütern und drei
Pfund versprach. Vgl. Hildesh. Urkb. IH. Nr. 555 (ao. 1240 VIII. 3).
42) Vgl. auch Anm. 28. Vgl. LÜNTZEL, Ältere Diözese Hildesheim 1887,
p. 91—118, besonders p. 92 u. 107 ff.
Über die große und die kleine Grafschaft vgl. LÜNTZEL a. a. 0. WEBER,
Die Freien bei Hannover, Hannover und Leipzig 1898, p. 11 ff.
H. SUDENDORF, Urkundenbuch etc. I. p. XVI u. XVII.
43) Vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 416 (ao. 1285 vor VII. 4), Nr: 417 (ao. 1285
VII. 4), Nr. 586 (ao. 1239 IX. 25), Nr. 564 (ao. 1240 V. 22).
44) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 225 (ao. 1141), Nr. 474 (ao. 1189).
45) Vgl. SCUDENDORF, Urkundenbuch Bd. IX. p. 51 (ao. 1360 I. 8): Die
von Saldern verkaufen 11 Hufen Landes vor Sarstedt an das Stift Hildesheim.
Hildesh. Urkb. II. Nr. 650 (ao. 1241): Eigen der von Saldern, zwei Hufe»
und drei Hausstellen zu Barnten bei Sarstedt an das Maria-Magdalenakloster.
46) Die Abgrenzung der großen und der kleinen Grafschaft macht ziem-
liche Schwierigkeit. Beide lagen südlich des Nordwaldes (LONTZEL, Ältere
Diözese Hildesheim, p. 114). Den Umfang der großen Grafschaft kennen
wir ziemlich genau. Sie umfaßte sicher das spätere große und kleine Freie
und eine Reihe weiterer Dörfer im Süden, die alle ihre Dingstätte auf dem
Hassel bei Lühnde hatten. Weiterhin soll das Dorf Farmsen in der großen
(Grafschaft gelegen haben (Hildesh. Urkb. II. Nr. 714 (ao. 1244).
Von der kleinen Grafschaft wissen wir nur, daß ihr Schwiecheldt, Eil-
strenge und Ödelum angehört haben (LÜNTZEL a. a. O.). LÜNTZEL glaubt,
daß die Dingstätte der kleinen Grafschaft zu Hohenhameln gewesen sei
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 103
(p. 115, Ältere Diözese Hildesheim). Demnach müßte die kleine Grafschaft
einen schmalen Streifen im Osten der großen Grafschaft gebildet haben.
Über die Zugehörigkeit der im folgenden erwähnten Dörfer zur großen
und kleinen Grafschaft vgl. vor allem LÜNTZEL, Ältere Diözese, p. 110 ff.,
ferner WEBER, Freie, p. 11—22. Über Bründeln vgl. LENTZEL, Ältere Diözese,
p. 115, S30 Anm. 17.
47) Vgl. LCNTzEeL, Die ältere Diözese Hildesheim, p. 112 ff.
WEBER, Die Freien bei Hannover, p. 13 ff.
Die Verhandlungen zwischen dem Bischof von Hildesheim und dem
Grafen von Lauenrode finden sich jetzt vereinigt im Urkundenbuch des Bis-
tams Hildesheim II. Nr. 285 (ao. 1280 VI. 2), Nr. 414 (ao. 1285 VII. 1),
Nr. 445 (ao. 1236 II. 16), Nr. 812 (ohne Jahr). Die letzte Urkunde enthält
den Verkauf auch der großen Grafschaft an Hildesheim. Da dieser nie statt-
gefunden hat, so ist sie wohl nur als Formular anzusehen.
48) Vgl. Bone, Geschichte der Grafen von Wernigerode in der Zeitschrift
des Harzvereins für Geschichte und Altertumskunde IV. (1871) p. 1ff., be-
sonders p. 34 ff. Hildesh. Urkb. I. Nr. 174 (ao. 1117 V. 11), III. Nr. 1154
(20. 1297 IX. 3).
49, Vgl. LÜNTZEL, Geschichte der Diözese und Stadt Hildesheim 18858, II.
p. 15—19. WERER, Freie, p. 21. Schenkung der Friderun von Scharzfeld
vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 456 u. 457 (ao. 1187).
50) Vgl. LCNTZEL, Geschichte der Diözese und Stadt Hildesheim, I.
p. 468 ff. Kalenberger Urkundenbuch ed. v. HODENBERG, III. p. 10 ff. (Ur-
kunde von ao. 1186). Der größere Teil dieses gräflich asselschen Allods
mub allerdings im benachbarten Ambergau gelegen haben, weil die Auf-
assung der ganzen hereditas durch die Witwe des letzten Grafen, Salome,
.m «chten Ding des Ambergaues vor den Grafen von Woldenberg erfolgte.
51) Vgl. LÜxsTzEı, Ältere Diözese, Urkunde Nr. LXIII. (p. 422) ao. 1325
v. 17: Graf von Dassel schenkt an das Bartholomäikloster zur Sülte alle
«ine Güter im Gohgericht Lühnde, besonders zu Gödringen und Lühnde.
Auch im bischöflichen Teil des Ostfalengaues waren die Grafen von Dassel
zütert, vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 317 (ao. 1231 VI. 30): die Gräfin A. von
Inszel verkauft an das Johannesstift eine Hausstelle und eine Hufe von
4 Morgen zu Ahrbergen „situm liberum et immunem a iustitia et exactione
comitis et advocati et aliorum qui exercent secularem in rebus huiusmodi
potestatem*.
52) Vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 404 (ao. 1234): Dietrich von Depenau
äbergibt zwei Hufen zu Algermissen in comicio (der Grafen von Lauenrode)
an St. Godehard. III. Nr. 275 (ao. 1271 III. 22): 1 mansus derselben zu
roßlopke. Urkundenbuch der Stadt Hannover Nr. 244 (ao. 1846 XI. 26):
Edelherr Conrad von Dorstadt läßt vor dem Gografen zu dem Hassel das
Eigentum von Gütern zu Rethen auf zur Dotierung eines Altars in der
Kreuzkirche.
58, Über die Lehnsleute der Grafen von Wernigerode in der großen
104 W. Wittich
Grafschaft vgl. Bopr in der Zeitschrift des Harsvereins für Geschichte und
Altertumsirande, Bd. IV. (1871) :p. 84 ff.
Ferner Lehen der von Rosenthal zu Eilstrenge ven den Grafen von Wölpe,
Hildesh. Urkb. II. Nr. 90 (ao. 1223).
54) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 883 (ao. 1178 III. 20) Über Bruno von
Kemme vgl. Nr. 222 (ao. 1140): hier wohl Eigentümer von zwei Hufen in
Mehle (Midele). Nr. 348 (ao. 1169 VII. 21): Brun (de Zemme) et Conradus
filius eius unter bischöflich hildesheimischen Ministerialen, Zeuge für Geschäft
in Schwiecheldt und Eggersen. Nr. 868 (ao. 1174 X. 19 und 21): derselbe
unter Ministerialen des ‚Bischofs. |
Über Gerhardas .et Fridericus liberi homines vgl. oben Anm. Nr. 38.
Das Dorf 'Klein-Lopke kam erst im Jahr 1648 zum großen ‚Ereien,
d. h. zu dem lüneburgischeu Verwaltungsbezirk „Vogtei Ilten“, vgl. WEBER,
die Freien bei Hannover etc., p. 74ff. Jedoch ist die Zugehörigkeit des
Dorfes zur großen Grafschaft unzweifelhaft und ergibt sich schon aus der
kirchliehen Zugehörigkeit zum Bann Lühnde, vgl. WEBER a. a. 0. p. 15 und 10.
66) Unter den Zeugen findet sich ein Bathardus, ein Name, der sonst
völlig unbekannt ist. Nun schenkt im Jahr 1180 eine gewisse Ermen-
trud bei ihrem Eintritt in das Kloster Backenrode (dum converteretur) eine
Hufe in Kleinlopke mit Zustimmung ihres Bruders Rathardus. Es liegt nabe,
in unserer Urkunde statt Bathardus Rathardus zu lesen und beide als eine
Person anzusehen. Gibt man diese Annahme zu, so ist ein Eigengut eines
der Zeugen zu Lopke unzweifelhaft, und damit gewinnt die Annahme, daß
die sämtlichen 9 Zeugen Grafschaftsfreie gewesen seien, erheblich an Gewicht.
Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 396 (ao. 1180 III. 7).
656) Hildesh. Urkb. II. Nr. 265 (ao. 1228): Ritter Albertus de Lobeke
dictus gibt bei seinem Eintritt in das Kloster St. Michael diesem 18 Morgen
Land zu Lopke (Lehen vom Bischof). Nr. 522 (ao. 1289 III. 22): Luderus
(bischöflicher Dienstmann) miles de Lobbeke wird Ministerial von Korvey.
57) Vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 414 (ao. 1235 VII. 1).
58) Vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 445 (ao. 1236 II. 16). Vgl. jetzt auch
H::cK, Der Sachsenspiegel etc. p. 856—8359.
69) Vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 312. Die Urkunde trägt kein Datum und
keinen Ausstellungsort, auch sind die Zeugen nicht genannt. Sie stammt aus
dem Formelbuch des Ludolf von Hildesheim und ist sicher nur ein aicht
vollzogenes Formular. Jedoch stammt sie wie das ganze Formelbuch aus
der Mitte des 13. Jahrhunderts, vgl. Hildesh. Urkb. II. p. VI. (HovuEwr«“
im Vorwort).
60) Vgl. Supexpor:, Urkundenbuch zur Geschichte der Herzoge von
Braunschweig-Lüneburg und ihrer Lande Bd. I. p. XVI. u. XVII.
61) Vgl. das Chronicon Hildesheimense in Monumenta Germaniae Historica
ed. PERTZ, SS. Bd. VII. p. 861 (zu Bischof Konrad).
62) Vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 414 (ao. 1235 VI. 1).
63) Vgl. Kalenberger Urkundenb. III. ed. von HObENBERG, Nr. 188
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 105
{ao. 1258): Bischof Johann von Hildesheim über eine Hufe zu Oedelum ...
Alterum vero mansum, qui vulgariter „vrihoue“ dicitur ad cometiam nostram
minorem pertinentem ... Christianus et Johannes a nobis temuerunt. Es ist
bier ein Lehnrecht möglich, aber die nur mit Vornamen bezeichneten Be-
sitzer deuten mehr auf Grafschaftseigentum.
Vgl auch Westf. Urkb. IV. Nr. 221 (ao. 1288): der Oheim der Grafen
von Everstein, Conrad, hatte einen mansus in Overthe, quem Hermannus homo
libere conditionis, quod in vulgari scepenbere vocatur, und seine Brüder und
Erben iure libertatis de manu nostra (der Grafen) tenuerunt, für 6 Mark für
das Kloster Willebadessen gekauft.
64) Vgl. Sachsenspiegel ed. HOMEYER, I. p. 377 S. Ld.R. III. Art. 80
$ 1: Erbloses Eigen von einem Biergelden, drei Hufen oder weniger, fült
an den Schultheißen. Da diese Institution in unserem Untersuchungsgebiet
unbekannt ist, muß es an den Grafen gekommen sein.
65) Die Zustimmung des Grafen bei Veräußerungen von Freigut war
allgemein erforderlich, vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 475 (ao. 1190): Zwei Hufen
eines Freien Wicelo zu Liermund werden vom Kloster Lamspringe gekauft
requisito assensu eius (comitis). Die Klostergüter oft von der Grafschafts-
pflicht befreit, vgl. II. Nr. 119 (ao. 1225 IV. 15). Nr. 261 (ao. 1223): Zu-
stimmung des Grafschaftsherrn Halto von Biewende bei Veräußerungen zu
Klein-Neindorf. I. Nr. 228 (ao. 1142 VI. 16): die Kirche zu Sehlem wird
auf einer von Freien gekauften Area errichtet. Sie wird Eigentum von
St. Godehard. Zeuge der Graf Meinfridus de Bodenburg, qui iurisditionem
de comecia nobis resignavit (d. h. dem Bischof). Ähnlich I. Nr. 348 (ao. 1167)
und IU. Nr. 81 (um 1264): das Freigut scheidet bei Ergebung aus der Graf-
schaft aus.
66) Vgl. Kalenberger Urkundenbuch III. Nr. 193 (ao. 1258) und oben
Note 63.
67) Vgl. Hildesh. Urkb. III. Nr. 736 (ao. 1285): Kloster Riddagshausen
verkauft zu Farmsen an das Maria-Magdalenakloster 10 Hufen iure perpetuo
possidendos eorundem mansorum excepto iure liberorum, quod in eis habere
dicuntur.
68) Hildesh. Urkb. III. Nr. 252 (ao. 1270 VII. 28). SUDENDORF, Ur-
kundenbuch IX. p. 103.
60) Hildesh. Urkb. II. Nr. 445 (ao. 1236 II. 16): der marscalcus noster
ist Konrad von Eimmerke, vgl. II. p. 618. Derselbe hatte Lehngüter vom
Bischof zu Farmsen, vgl. II. Nr. 534 (ao. 1239 VIII. 9): ob Freigüter ?
70) Vgl. über diese Entwickelung WERER, Die Freien bei Hannover,
p. 39: „Auch diese Meier und Hintersassen wurden später größtenteils zu
den Freien gerechnet, aber sie hatten nicht das Recht dieser freien Verfügung
über ihren Grundbesitz“. MEITZEN, Siedelung und Agrarwesen der West-
germanen und Ostgermanen etc. 1895, Bd. III. p. 7 (Gretenberg) und 20
(Haimar) und 31 ff. (Laazen).
71) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 848 (ao. 1167): Die Witwe des nobilis de
106 W. Wittich
Wickbeke schenkt Eigengut in Volchardessen an das Kloster St. Godehard.
Der Graf Bodo von Homburg wurde bewogen, ut universo iure comitatus in
praediis illis habito sub proborum abundanti testimonio renunciaret.
12) Vgl. Sächsisches Landrecht (HOMEYER, Sachsenspiegel Bd. L.)I. Art. 262.
Sehr wichtig ist die von ZALLINGER erwähnte Urkunde von 1214 (Ur
kundenbuch des Historischen Vereins für Niedersachsen Bd. II. Walkenried
Nr. 83): der Graf von Klettenberg verzichtet dem Kloster Walkenried gegen-
über auf Ansprüche an zwei Hufen, quos mihi usurpabam forensi iure
quorundam hominum, qui in vulgari dicuntur „plaeccathte“, nachdem der Abt
dagegen eingewendet hatte, emisse supradictos duos mansos in Rodhagerode
ab Hecardo de Livenrode, qui insigni gaudebat libertatis titulo, et qui in
foro iuris erat unus scabinorum, qui eos liberos ab omni obsequio alicui
praestando ecclesiae vendidit, in qua libertate hactenus eos possedit.
Bei den Übertragungen des Eigens der Edelherren im 13. Jahrhundert
finden wir keine Erwähnung einer Grafschaftsabgabe, z. B. Hildesh. Urkb.
IT. Nr. 404 (ao. 1284), Nr. 416 (ao. 1235 vor VII. 3), Nr. 417 (ao. 1235 VII. 3)
73) Vgl. z. B. ALTMANN und BERNHEIM, Urkunden, III. Aufl. p. 150
(Hofrecht des Bischofs Burchard von Worms, $ 21).
Alle diese Sätze halte ich den neueren Anschauungen gegenüber (z. B.
Heck, Sachsenspiegel etc. $ 51 p. 550ff.) entschieden aufrecht. Gewiß war
der Ministerial im 12. und 13. Jahrhundert des echten Eigens fähig; aber
es muß eine Zeit gegeben haben, in der er im Landrecht keine Persönlich-
keit hatte und echten Eigens nicht fähig war. Auch die Urkunde Siberts
von Dorstadt (Hildesh. Urkb. I. Nr. 230) ist ohne die Annahme der ursprüng-
lichen Unfähigkeit der Dienstleute zum Erwerb echten Eigens nicht verständ-
lich. Auch die bei sämtlichen älteren Autotraditionen erfolgende Auftragung
des Eigens des Autotradenten an den Herrn weist auf diesen Rechtszustand
hin. Vgl. Anm. 14.
Endlich deutet auch die Stelle S. Ld.R. III. Art. 81 $ 1 auf die alte
Unfähigkeit der Dienstmannen zum Besitz echten Eigens. Wenn es an
Schöffen in einer Grafschaft mangelt, so soll der König Reichsministerialen
freilassen und ihnen Reichsgut zu eigen geben, jedem drei Hufen oder mehr,
damit sie „davon“ das Schöffenamt bekleiden können. Die tatsächlichen
Voraussetzungen dieser offenbar sehr alten Bestimmung waren schon im
12. Jahrhundert nicht mehr gegeben, denn alle Ministerialen hatten Eigen-
gut. Jedoch läßt sie einen sicheren Schluß auf eine Zeit zu, in der der
Dienstmann des echten Eigens regelmäßig oder ausnahmslos ermangelte.
HECK (Sachsenspiegel etc. p. 541 Anm. 2) sucht diese Erklärung dadurch zu
entkräften, daß er das Eigen des Dienstmanns als Godings- und nicht als
Grafschaftseigen ansieht. ler freigelassene Reichsdienstmann hätte eben
Grafschaftseigen zur Ausübung seiner Schöffenfunktion besitzen müssen.
Jedoch ist eine solche Unterscheidung der früheren Zeit ganz fremd. Es gab
bis ins 13. Jahrhundert nur eine Art echten Eigens, das Grafschaftseigen.
Erst im 14. Jahrhundert wird echtes Eigen häufiger im Goding übertragen.
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 107
74) Vgl. Monumenta Germaniae historica ed. PERTZ SS. Bd. XVI. p. 216,
Annales Stederburgenses ao. 1182 VI. 13. Verhandlung einer Auflassung
von Eigen in magno placito episcopi in Bodenburch; Zeugen, Edelherren et
fere omnes Hildensemenses ministeriales. p. 217 (ao. 1187): Übertragung der
Güter zu Mahner an Stederburg in placito comitis Ludolfi, Zeugen zumeist
Edelherren, jedoch eine Minderzahl altfreier Ministerialen. p. 216: magnum
placitum in Striedegen, Zeugen Ludeger uud Ludolf von Woldenberg, Ludolf
von Peine und 60 Ritter, wohl Ministerialen (ao. 1182—1183). p. 218: in
eodem placito (comitis Ludolfi) praesentibus multis tam liberis quam mini-
sterialibus.
75) Höchst wahrscheinlich landrechtliche Geschäfte, die im Grafen-
gericht des Grafen Ludeger von Woldenberg vollzogen wurden, sind die
Hildesh. Urkb. I. Nr. 479 (ao. 1190—1194, Nr. 504 (ao. 1194 vor X. 28), Nr. 514
(ao. 1195 XII. 3), Nr. 565 (ao. 1201 IX. 8) erwähnten Erwerbungen von Dor-
stadt in Nienrode, Dorstadt etc. Auch hier sind zahlreiche Ministerialen unter
den Zeugen. Vgl. über diesen Ludeger GÜNTHER, Der Ambergau, 1887,
p. 175 ff., außerdem Hildesh. Urkb. I. Nr. 447 (ao. 1186—1190), Nr. 475 (ao. 1190
III. 26), II. Nr. 93 (ao. 1228). Aus der letzteren Urkunde geht hervor, daß
Dorstadt und Nienrode im Grafschaftsbezirk des Grafen Ludeger von Wolden-
berg lagen.
16) Vgl. Kalenberger Urkundenbuch III. p. 16 (ao. 1186): Schenkung des
Erbes der v. Assel in pago Ambergo in mallo Hollen in comitatu comitis
Burchardi de Waldenburge ... Zeugen: Burcardus et Hogerus comites de
Waldenberge, Lippoldus de Escherte, Henricus de Udelen et alii quamplures.
Die beiden letzteren gehören hildesheimischen Ministerialenfamilien an, vgl.
Hildesh. Urkb. II. p. 614 und 657, I. Nr. 663 (ao. 1213 IV. 18).
Hildesh. Urkb. II. Nr. 261 (ao. 1228 VII. 12): Grafschaftsherr Halt de
Biewende bekundet Auflassung in Neindorf; Zeugen und Schöffen Ritter,
vgl. z. B. Heinricus Noretse ministerialis. Nr. 375 (ao. 1233), Nr. 433 (ca. ao. 1235):
Burchard von Glinde verläßt 12 Hufen, einen Wald zu Flöthe in comecia
cui bona...adiacent in villa Burchdorp... presente domino L. de Lengede,
qui iudicio presidet in eaden comicia ... presentibus Conrado filio Bernardi
de Dorstadt, Johanne advocato de Harlungeberg, Thegenhardo de Burchdorp,
Hermanno et Burchardo fratribus de Lengede, Hermanno de Lengede, Ber-
toldo de Alvessem. Sie sind, soweit bekannt, sämtlich Ministerialen außer
Conrad von Dorstadt, einem Edelherrn. HECK (Sachsenspiegel etc. p. 350)
führt nur die bäuerlichen Urkundenzeugen an, die scheinbar erst nachträglich
beigefügt wurden. Ich bestreite die Teilnahme der freien Bauern am Grafen-
gericht nicht, muß aber doch HECK gegenüber hervorheben, daß neben dem
dienstmännischen Gerichtshalter in erster Linie ritterliche und dienstmännische
Personen am Gericht beteiligt waren. Nr. 958 (ao. 1254): Graf Meiner von
Schladen bekundet, daß die Brüder Wulvinge ihre Erbgüter vom Vater her
coram nobis et indicibus, qui tunc presederunt in Bocla, Johanne de Beddinge
et Thetmaro de Werre et omni populo, qui convenerat ad placitum, penitus
108 W. Wittioh
renuatiarunt. Testes huius rei sunt ipsi iudices, Jusarius de Harlungeberg
et Michahel advocatus, Alexander de Werre, Fridericus Friso et Heinrieus
Friso, Ludolfus de Neindorp, Johannes de Rorsdorp. Von den iudices ist
Johannes de Beddingen nicht weiter bekannt. Auch scheint es eine Ministerialen-
familie dieses Namens nicht zu geben. Nur Nr. 911 (ao. 1952 VII. 20)
werden homines zu Beddingen erwähnt, die Ministerialen von Steterbarg
werden. Es ist dieser Johannes de Beddingen möglicherweise ein Graf-
schaftsfreier. Thethmar von Werre gehört sicher der bekannten Mini-
sterialenfamilie des Stifts an, in der der Name Detlevus häufig vorkommt,
vgl. III. Nr. 617 (ao. 1282 XI. 2): die Zeugen, unter denen Alexander de
Werre sicher ein Verwandter des obigen ist, sind sämtlich Ministerialen des
Grafen von Schladen, vgl. II. Nr. 855 (ao. 1232), Nr. 815 (ao. 1249 IV. 3),
Nr. 822 (a0. 1249). — II. Nr. 883 (ao. 1251): Renunciatio des miles Theodericus
de Holle auf Güter zu Luttrum zugunsten von St. Crucis apud Bethmere,
d. h. im echten Ding zu Bettmar, vgl. LüntzeL, Ältere Diözese Hildes-
beim, p. 116 u. 117. Anwesend waren Geistliche, Hugo de Vemelhusen item
milites dominus Hermannus de Westenem, Cesarius de Woledhe, Lodewicus de
Lyndethe, Winandus advocatus, Tydericus pater Bertoldi, sämtlich Ministerialen.
Urkb. des Hist. Vereins f. N.S. II. (Walkenried) Nr. 357 (ao. 1268), Nr. 464
{ao. 1281 XI. 1): Verkauf der Erbgüter der Familie de Piscina zu Ebelingerode
im Grafengericht der Grafen von Wernigerode. Zeugen sämtlich Ritter und
Stadtbürger.
77) Dieses bischöfliche Herrschaftsgebiet, dessen Hauptteil allerdings im
Gau Astfalon oder Ostfalen lag, umfaßte auch angrenzende kleine Gaue oder
deren Teile, soweit sie seit alters unter der unmittelbaren Herrschaft des
Bischofs standen. Dies war sicher der Fall für den ganzen kleinen Gau
Scotelingen (Scotelingo) und Teile der Gaue Valethoungon, Guddingo, Aringo
und vielleicht auch Flenithi. Für diesen ganzen bischöflichen Grafschafts-
bezirk war das echte Ding des bischöflichen Vogts, das gelegentlich wohl
auch an den alten Dingstätten dieser Gaue abgehalten wurde, zuständig.
Vgl. LÜNTZEL, Ältere Diözese, p. 128—156. LÜNTZEL, Geschichte der Stadt
und Diözese Hildesheim, II. p. 21.
18) Die Gratschaft im südwestlichen Teil des Bistums bleibt im unmittel-
baren Besitz des Bischofs, vgl. LÜNTzZEL, Ältere Diözese Hildesheim, p. 107
bis 110; DERSELBE, Geschichte der Stadt und Diözese Hildesheim 1858, II. p. 121.
Hildesh. Urkb. I. Nr. 517 (ao. 1195). In diesem Bezirk hält der bischöfliche
Vogt das echte Ding ab. Vgl. die vorstehende Urkunde: Duas areas in villa
Montis (Örtlichkeit nahe bei Hildesheim, LÜNTzEL, Geschichte etc. II. p. 176)
. comparavit et donavit . . . confirmante donationem eandem episcopo
Bernone in communi sinodo et advocato Luppoldo civili iure in placito
suo. II. Nr. 754 (ao. 1246 IV.19). DœBNER, Urkundenbuch der Stadt Hildes-
heim, I. Nr. 188: Conradus episcopus ... praesidentibus nobis iudioio et
Bertholdo advocato de antiquo foro residente pro tribunali. Vgl. auch unten
Anm. 80.
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 109
79) Vgl. LÜNTZEL, Geschichte der Diözese und Stadt Hildesheim, 1858,
II. p. 121. Andere Beispiele vgl. Hildesh. Urkb. I}. Nr. 296 (ea. ao. 1280),
Nr. 616 (ca. ao. 1240): Cum pro petitione canonicoram Montis Henede
presideremus (Conradus episcopus) cause.
80) Die älteste mir bekannte Gerichtsurkunde ist die Übertragung des
Eigengutes des Heinrich von Insula zu Förste, die am Ort ad piscinas statt-
fand, aus dem Jahr 1189. Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 474 (ao. 1189). Zeugen:
Hugo advocatus (der Bruder des Schenkers und wohl Gerichtshalter), Lippol-
dus de Eschere, Lippoldus filius advucati,
Everhardus de Embrike: ebenfalls bekannte Dienstmannsfamilie, vgl. Hildesh.
Urkb. I. p. 743.
Matheus de Barem, Luderus de Sutherem, Conradus de Sutherem: vgl. I.
Nr. 592 (ao. 1204): Conrad von Sorsum unter Ministerialen. I. Nr. 678
(ao. 1215 III. 24): Luderus miles de Sutherem.
Ferner Nr. 730 (ao. 1219). Die hier erwähnten Brüder Volcmar und
Ludolf von Ysissem gehören wahrscheinlich zur Familie von Itzum. Diese
erscheinen bis 1215 V. 1 (I. Nr. 679) als bischöfliche Dienstleute. Ein Vol-
marus de Issem ao. 1239 als Dienstmann der Grafen von Pyrmont (II. Nr. 550).
Die Brüder Volcmar und Ludolf von Ysissem übertragen ihr Eigen zu
Wennerden bei Sarstedt an das Kloster Escherde. Die Urkunde ist nicht
ausdrücklich als Gerichtsurkunde bezeichnet. Jedoch muß das Geschäft als
Eigentumsübertragung im echten Ding stattgefunden haben, und von den
Zeugen heißt es, presentes erant cum hec facerent:
Arnoldusde Vorenholte: Nr. 692 (ao. 1204) unter hildesheimischen Mini-
sterialen. II. Nr. 1116 (ao. 1259 IX. 14): Heinrich de Vorenholte, Lehns-
herr des Ritters Engelbert Surink. III. Nr. 651 (ao. 1288 X. 29):
Arnold und Brüder, Eigentümer einer Mühle zu Jeinsen. Nr. 1128
(ao. 1297 II. 8): Reiner de Vorenholt, Zeuge in einem Geschäft über
Güter in der großen und kleinen Grafschaft.
Henricus de Genhusen. Reinbertus de Jenhusen: Zeuge in comicio des
Grafen von Lauenrode, II. Nr. 404 (ao. 1234).
Lyppoldus de veteri foro: bekannter hildesheimischer Ministerial,
vielleicht Vogt und Gerichtshalter, seit 1204 (I. Nr. 589 XI. 7) als
iuvenis advocatus bezeichnet.
Arnoldus Covot: aus der Familie der Freien von Flöthe, damals Hildes-
heimer Ministerial, I. Nr. 674 (ao. 1214 V. 20).
Bernardus de Embereke: hildesheimischer Ministerial, vgl. II. Nr. 144
(a0. 1225—1227), Nr. 249 (a0. 1227), Nr. 294 (ao. 1230).
Ludolfus Colink: aus der Familie der Herren von Betheln, vgl. III. Nr. 81
(ao. 1264 ca.), hildesheimische Ministerialen.
Theodericus de Bernethen, (Baruten, südlich von Sarstedt), III.
Nr. 1412 (ao. 1808 IL. 22): Ludolf von Bernten, Lehnsmann des Ritters
Adolf von Holte. Vgl. Note Nr. 82.
110 W. Wittich
Godescalcus de Covinge. IT. Nr. 417 (ao. 1235 VII. 4): Hermannus et
Godescalcus de Covinge unter den liberi des greveding des Vogts
Bertold. Vgl. Note Nr. 81.
Johannes dapifer: aus der Familie von Sorsum (Sutherem), III. p. 817
(ao. 1244 IV. 9).
Volcmarus dives, Conradus Peutingus, Everhardus Galle,
Ludolfus filius Eckehardi Rufi: wohl hildesheimische Bürger,
die jedoch auch sonst als Echtedingszeugen vorkommen I. Nr. 649
(ao. 1211). Vgl. I. p. 762. Nr. 696 (ao. 1217 VII. 2).
Johannes de Senethe. I. Nr. 667 (ao. 1213 XI. 13): derselbe unter
hildesheimischen Ministerialen als servus, oder ist es der hildesheimische
Bürger gleichen Namens Nr. 638 (ao. 1210 VI. 2)? —
Arnoldus de Blikkenstede: hildesheimischer Ministerial I. Nr. 674
(ao. 1214 V. 20) oder ao. 1194.
Conradus de Wasle: in der gleichen Urkunde I. Nr. 674 unter hildes-
heimischen Ministerialen. —
Die wichtigsten Grafengerichtsurkunden aus dem bischöflichen Ostfalen
handeln über den Verkauf der Erbgüter der Edelherren von Depenau zu
Giesen an das Kloster St. Godehard; vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 416 (ao. 1235
vor VII. 4), Nr. 417 (ao. 1235 VII. 4). Nr. 416: Dehinc eadem bona in comicio,
quod vulgariter dicitur grevedincg . .. resignavi excepto filio meo Volrado,
qui presens esse non poterat ...
Bertoldus advocatus Montis, qui eidem presedit placito ...:
Bertold, Vogt des Moritzstifts aus der Familie von Altenmarkt, ist zugleich
Vogt des Bischofs im bischöflichen Ostfalen, vgl. DOEBNER, Urkundenbuch
der Stadt Hildesheim, I. Nr. 188 (ao. 1246 IV. 19).
Huic placito preerant liberi:
Widoldus de Embereke; der Name Widold ist sonst im Geschlecht
von Emmerke nicht bekannt. Jedoch ist die Zugehörigkeit des Widold zur
Ministerialenfamilie von Emmerke nicht zweifelhaft.
TheodericusetBertoldus deRothinge; diese beiden sind sicher
Mitglieder der angesehenen Familie der Dienstleute vom Rössing. Dietrich
wird oft erwähnt, vgl. II. p. 663. Bertold von Rössing (Beyer) IV. Nr. 861
(a0. 1317).
Theodericus de civitate ist höchst wahrscheinlich ein Bürger von
Hildesheim, vgl. IL. p. 609. Über seine Identität mit Theodericus de Ber-
nethen (Barthenem?) vgl. oben p. 30 u. 31.
Diese liberi sind unzweifelhaft die Grafschaftsschôffen; sie werden in
Nr. 417 liberi . .. eiusdem placiti procuratores genannt. Die folgenden Zeugen
zerfallen in Geistliche und Ministerialen. Unter den Ministerialen stehen
zuerst die Ritter (milites), dann die Knappen (servi). Die Dienstleute sind,
soweit ersichtlich, bischöflich. — |
Nr. 417 (Regest): Volrad von Depenowe gibt seine Zustimmung zur Ver-
üußerung seines Vaters Dietrich: subscriptis testium nominibus, qui fuit
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 111
Bertoldus advocatus, qui eidem presedit placito, . ..es folgen hildes-
heimische Ministerialen; ... liberi etiam eiusdem placiti procuratores:
Hermannus et Godescalcus de Covinge. Gottschalk von
Covingen nur I. Nr. 730 (ao. 1219), wohl ebenfalls als Grafschaftsschöffe
erwähnt. Es ist denkbar, daß er ein Grafschaftsfreier war.
Tidericus et Johannes etEilardus de Rotdinge gehören zur
Ministerialenfamilie von Rössing. Über Johannes vgl. I. Nr. 679 (ao. 1215 V. 1).
Jordanus, Jodolfus et Thetmarus de Barthenem. Sie
gehören höchstwahrscheinlich zu der I. Nr. 730 (ao. 1219) erwähnten Familie
von Barnten. Nur Ludolf von Barnten als Lehnsmann der v. Holte er-
wähnt. Er war möglicherweise Hildesheimer Bürger.
81) Das Dorf Covingen ist eine Wüstung bei Eldagsen. Es befand sich
dort eine Mühle des Moritzstifts (III. Nr. 1409, nach ao. 1302) und eine Mühle
und drei Hufen der Edelherren von Adenoys, die ao. 1304 V.6 an das Kloster
St. Michael in Hildesheim übergingen (III. Nr. 1473, ao. 1304 V. 6). Nach
der Urkunde Nr. 1409 (ao. 1302) gehörte Covingen zur Obedienz Barnten
des Moritzstifts, muß also unweit von Barnten zu suchen sein. Beide Dörfer,
Barnten und Covingen, lagen nahe beieinander im Gau Scotelingen, vgl.
LixTzeL, Ältere Diözese, p. 129 u. 130.
82) Urkb. d. Hist. Vereins f. N.S. IV. (Marienrode) Nr. 136 (ao. 1303 II. 22)-
Adolfus miles dictus de Holte bezeugt, daß das Kloster Marienrode a Ludolfo
de Berenten in Dammone iuxta Hidensem commorante ... quandam insulam
aput Leinam inter Berenten et Roddinge situm, que vulgariter Besenwerdere
dicitur, emptionis titulo comparasset. Ego quia ipsius ad me proprietas per-
tinebat recepta eius resignatione a predicto Ludolfo, qui eam a me in pheudo
tenuit, ipsam dicto monasterio .. . dedi.
Stadt Hildesh. Urkb. ed DÖBNER III. Nr. 395 (ao. 1409 IV. 2): Heineke
von Barnten. Nr. 487 (ao. 1411 IV. 21), Nr. 898 (ao. 1419 VII. 7) Nr. 998
(ao. 1422 IV. 25). p. 329 Cord von Barnten.
Urkb. d. S. Hannover, Anhang Bürgerbuch 1303—1369, ao. 1357 Henninc
de Bernten, ao. 1367 Bertold van Bernte.
83) HEcK (Der Sachsenspiegel und die Stände der Freien, p. 361 ff.) zweifelt
daran, daß die in den beiden bischöflichen Grafengerichtsurkunden vom Jahr
1235 als Schöffen auftretenden Widold von Emmerke und Dietrich, Bertold,
Johann und Eilard von Rössing Angehörige der gleichnamigen Ministerialen-
geschlechter gewesen seien. Sein Hauptbedenken gegen die Zuweisung be-
steht darin, daß in der Familie von Emmerke der Name Widold nicht vor-
kommt, und daß im Rittergeschlecht von Rössing nur die beiden häufigen
Namen Dietrich und Johannes sich finden. Außerdem meint er, daß die
Bezeichnung liberi für dienstmännische Schöffen sehr unwahrscheinlich sei.
In Ostfalen findet sich allerdings diese Bezeichnung nicht, dagegen ist
sie in Westfalen und schon in Engern sehr häufig, vgl. Wirricx, Grund-
herrschaft, p. 132 * (Anlagen) Anm. 2, und ferner Westfälisches Urkundenbuch IV.
(Paderborn) Nr. 2488 ao. 1298 . . . insuper liberis nostris hominibus . . . Johanne
112 W. Wittich
de Alvessen. Dieser ist ein ritterlicher Dienstmann (Nr. 1142 und 1161).
Für die Zugehörigkeit von Dietrich und Johannes von Rössing zum gleich-
namigen Ministerialengeschleeht entscheiden meines Erachtens die beiden
Vornamen, die sich zur selben Zeit in der Ritterfamilie von Rössing finden.
Für die Zugehörigkeit Widolds von Emmerke entscheidet die Tatsache, daß
in den beiden älteren Grafengerichtsurkunden von 1189 und 1219 Mitglieder
des Ministerialengeschlechts von Emmerke unzweifelhaft unter den Dinggenossen
auftreten, vgl. Anm. 80. Ich bin daher der festen Überzeugung, daß die
in den Urkunden von 1235 auftretenden Schöffen von Emmerke und Rössing
gleichen Stammes mit den Ministerialengeschlechtern dieses Namens waren.
Ich halte es auch für höchst wahrscheinlich, daß sie mit den gleichnamigen
Ministerialen identisch bezw. selbst dienstmännisch waren. Es ist jedoch
denkbar, daß sie selbst Grafschaftsfreie waren und so die freigebliebene
Linie eines in seinen übrigen Gliedern ministerialisch gewordenen Geschlechts
bildeten. Wir würden also hier einen ähnlichen Zusammenhang zwischen
(rafschaftsfreien und Ministerialen feststellen, wie wir es bereits bei der
Familie von Lopke (Anm. 56) getan haben. Jedoch halte ich die dienst-
männische Stellung der liberi für wahrscheinlicher.
84) Hildesh. Urkb. II. Nr. 404 (ao. 1234): Dietrich von Depenowe gibt
mit Zustimmung seiner Frau und seiner Söhne zwei Hufen in Algermissen
an St. Godehard: ... mansos ... presentibus comitibus Conrado scilieet
et Heinrico de Lowenroth ... in comicio resignavi. Es findet hier eine
Auflassung vor dem echten Ding der Grafschaft der Grafen von Lauenrode
statt. Wahrscheinlich gehörte Algermissen zur kleinen Grafschaft, de im
Jahr 1246 der bischöfliche Vogt in einer Streitsache über Güter zu Alger-
nissen das Urteil fällte. Denn inzwischen war die kleine Grafschaft an den
Bischof abgetreten worden. Vgl. oben p. 19 ff. — und DŒBKNER, Urkundenbuch
der Stadt Hildesheim I. Nr. 188 (ao. 1246 IV. 19).
lluius actionis testes sunt comites iam dicti et milites:
Olricus de Ilthenem: II. Nr. 146 (ao. 1225—1247) unter Hildesheimer
Ministerialen. Urkundenbuch der Stadt Hannover ed. GROTEFEND-
FIEDLER, Nr. 24 (ao. 1259 VII.): Derselbe unter Burgmannen der Burg
Lauenrode.
Everardus de Alten, Hildebrandus de Herberge: Ministerialen der
Grafen von Lauenrode, II. Nr. 414 (VI. 1 ao. 1235).
Vulcoldus de Hanese: Die Familie von Hahnensee ist spätestens 1248 (vgl.
II. Nr. 691 ao. 1243 XII. 22) in der welfischen Dienstmannschaft
II. Nr. 301 (ao. 1230): Zeuge bei Geschäft des Grafen von Poppen-
burg; ob dessen Ministerial? — Ein Thidericus de Hanense erseheint
schon 1196 (I. Nr. 522) in unsicherer Stellung, doch wohl als hildes-
heimischer Dienstmann. 1234 Volcoldus wohl lauenrodischer Dienstmans.
Volcoldus Clamator ist sicher lauenrodischer Dienstmann, vgl. IL Nr. 445
(a0. 1236 II. 16) u. Nr. 662 (ao. 1242 VII. 17).
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 113
Hinricus de Winninghusen: II. Nr. 452 (Hildesh. Urkb. ao. 1286 V. 3)
unter bischöflichen Ministerialen. Trotzdem scheint er ao. 1284 lauen-
rodischer Dienstmann zu sein, da er 1225 unter solchen erscheint, vgl.
Urkundenbuch der Stadt Hannover Nr. 4 (ao. 1225 ca.), auch Lehnsleute
der v. Depenau, vgl. a. a. O. Nr. 20 (ao. 1257 VI. 28): Conrad von
Winninghausen.
Bertoldus de Eiem (Eime). II. Nr. 684 (ao. 1241 VI. 6): Bertoldus de
Eihem unter servi des Hildesheimer Bischofs.
Winandus frater domini Bertrammi: Dieser Winandus ist nach Ur-
kundenbuch der Stadt Hannover ed. GROTEFEND-FIEDLER, p. 5, Anm. 3
der erste Vogt von Hannover, der urkundlich erwähnt wird. Er
gehört wahrscheinlich der Familie von Wagenzelle an und ist sicher
lauenrodischer Dienstmann.
Halto de Netthe, Bertrammus de Croppenstede: Beide er-
scheinen bei dem Geschäft der v. Depenau zu Giesen als Zeugen unter
hildesheimischen servi. Vgl. U. Nr. 416 (ao. 1235 vor VII. 4) u.
Nr. 417 (ao. 1235 VII. 4). Jedoch scheinen sie keine lauenrodischen
Ministerialen gewesen zu sein. Die de Nette erscheinen häufig bei
Geschäften der Grafen von Woldenberg, vgl. II. Nr. 398 (ao. 1234
X. 26) u. Nr. 797 (ao. 1247 bis 1252). Nr. 570 (ao. 1240 VI. 21): unter
servi; ob des Bischofs oder des Grafen von Woldenberg ?
Cives de Lowenroth, Eilardus, Symon Sutor et Bodo filius
suus, Johannes de Wilflede, Nandvicus Vitulus, Con-
radus de Rethen, Volcoldus de Emee, Waltherus filius
Esici, Albertus et Heinricus de Hottenem, Reinbertus
de Jenhusen, Ludolfus filius Eilardi Pollicis. Diese
Personen sind sämtlich hannoversche Bürger, vgl. Urkundenbuch der
Stadt Hannover, Nr. 4 (ao. 1234). Jedoch sind einige dieser Bürger
auch als Dienstleute oder vielleicht als Freischöffen nachweisbar. Vgl.
Anm. 86.
85) Conradus de Rethen, vgl. Urkundenbuch der Stadt Hannover
Nr. 3 (ao. 1215 wohl als Bürger), Nr. 17 (ao. 1255 ca.): dominus Conradus,
dominus Rabodo fratres de Rethem milites, Burgmannen der Lauenrode.
Hildesh. Urkb. II. Nr. 146 (ao. 1225—47): Conradus de Rethen unter Hildes-
heimer Ministerialen.
Volcoldus de Emne, Hildesh. Urkb. I. Nr. 522 (ao. 1196 ca.): Heinricus
de Emne Zeuge, wahrscheinlich bei Eigenübertragung. Nr. 526 (ao. 1196,
1197), Nr. 581 (ao. 1197): Constantinus und Fridericus de Emne, ebenfalls
Eigenübertragungen. Nr. 522 (ao. 1196): bischöfliche, St. Michaelsmini-
sterialen, dann als Zeugen Godescalcus de Osterode, Bernhardus de Tithe, Rein-
holdus de Hottenem, Fridericus, Constantinus, Heinricus de Emne, Thidericus
de Hanense.
Albertus et Heinricus de Hottenem, Hildesh. Urkb. I. Nr. 654
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtachaftsgrechichte. 1V. 8
114 W. Wittich
(ao. 1212 IV. 30), Heinricus unter Hildesheimer Ministerialen. Nr. 522, 596, 581
(ao. 1196—1197): Reinholdus de Hottenem mit Emne und Hanense.
Reinbertus de Jenhusen, Hildesh. Urkb. I. Nr. 668 (ao. 1218): Rein-
hardus miles de Jenhusen. Nr. 689 (ao. 1216): Ludeger de Geinhusen unter
Ministerialen der Grafen von Hallermund. Nr. 730 (ao. 1219): Henricus de
Genhusen unter bischöflichen Ministerialen, Eigentumsübertragung.
86) Vgl. S. Ld.R. lib. I. Art. 2882 u. 3. v. ZALLINGER, Schöffenbarfrese,
p. 227-287. p.237: alle Männer eines schöffenbaren Geschlechts . .. waren
in allen Grafschaften zur Ausübung des Schöffenamts berechtigt, wo das
Geschlecht bezw. die einzelnen Grundbesitz (Eigen) hatten. HFcK, Sachsen-
spiegel etc., p. 251—256. Vgl. unten p. 36 ff. ($ 5).
87) Vgl. oben Anm. 73 die Ergebung des Freien Ekbert an den Bischof
von Hildesheim. In der Ergebung der Herren von Barmstede an den Ers-
bischof Gerhard von Bremen ao. 1257 ist von Auftragung des Eigens keine
Rede mehr, vgl. SUDENDORF, Urkundenbuch Bd. IX, p. 210.
88) Hildesh. Urkb. I. Nr. 751 (ao. 1220 ca.): Filii Arnoldi Covoti Symon
et Arnoldus ... super quibusdam bonis in Flothede et in Wenethusen
diu moverunt questionem pro eo, quod sine consensu suo vendita esse dicebant,
patre suo respondente, quod tempore vendicionis bonorum illorum ambo innati
erant, preterea quod illa bona suum beneficium hereditarium non
erant, sed ea in beneficio racione hominii et non nostre (des Bischofs)
ministerialitatis habebat et unum mansorum in proprietatem emerat,
unde ei talia bona dimittere et mansum sic habitum vendere sine filiorum
suorum consensu, eciam si tunc nati fuissent, bene licebat. Entscheidung
im Kapitel, daß der Vater dies beschwören solle und dann die Söhne abzu-
weisen seien. Vgl auch I. Nr. 567 (ao. 1202).
89) Vgl. SCDENDORF, Urkb. IX. p. 188 (ao. 1203): Eine nobilis matrona
soll Güter iure ministerialis ecclesiae besitzen dürfen, non obstante titulo
libertatis.
Hildesh. Urkb. III. Nr. 662 (ao. 1283): Güter werden verliehen jure
feodali ministerialium, quod vulgo dicitur hovelen.
90) Erblichkeit der Hoflehen, auch Frauen erben, vgl. Hildesh. Urkb. I.
Nr. 201 (ao. 1132—1141): ... ministerialis ecclesie nostre Lamburg nomine
beneficium, quod illa a nobis paterna successione susceperat . .. — Vgl. auch I.
Nr. 751 (ao. 1220). Nr. 581 (ao. 1197). II. Nr. 262 (ao. 1228).
Auch Dienstrecht des Grafen O. von Teklenburg 8 9, Hildesheimer
Dienstrecht, bes. $$ 4 u. 6.
91) Nur ausnahmsweise gibt der Dienstherr der Ministerialen diesen Lehen
racione hominii (iure liberorum), vgl. Hildesh. Urkb. U. Nr. 5756. Die Regel
ist, freies Lehen hat der Dienstmann vom fremden Herrn, II. Nr. 689.
92) Hildesh. Urkb. I. Nr. 567 (ao. 1201).
98) Vgl. Note 88 u. Hildesh. Urkb. I. Nr. 200 (ao. 1182). III. Nr. 189
(ao. 1268 II. 26).
94) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 200 (ao. 1132), Nr. 487 (eo. 1198).
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 115
Cod. dipl. Anhalt. ed. v. HEINEMANN, I. Nr. 419 (ao. 1150).
Im 13. Jahrhundert wird dieses Beispruchsrecht nicht mehr erwähnt.
Hildesh. Urkb. I. Nr. 581 (ao. 1203), Nr. 589 (ao. 1204) III. Nr. 189
{ao. 1268). Ein Konsensrecht des Herrn scheint sich erhalten zu haben, vgl.
HECK, Sachsenspiegel etc., p. 552 Anm. 3 und III. Nr. 190.
95) Die gewöhnliche Bezeichnung ist proprietas (vgl. die in den vor-
stehenden Anmerkungen zitierten Urkunden).
Jedoch kommt auch hereditas bezw. hereditarius vor, z. B. Hildesh.
Urkb. I. Nr. 200, 222, 225, 348 (partim hereditario, partim benefleiali iure
possederant) u. 8. w.
Selten ist patrimonium, z. B. Annales Stederburgenses, ao. 1182 VI. 13
(M. G. h. SS. XVI. p.216). Hildesh. Urkb. II. Nr. 47 (oben Eigen?).
Ebenfalls selten ist allodium für proprietas. Jedoch kommt es vor, z.B.
Walkenrieder Urkundenbuch I. Nr. 175 (ao. 1231): Heinrich von Libenrode
gibt de suo allodio ... tantumdem in recompensationem feodi ... Danach ist
HECK, Sachsenspiegel etc., p. 552 ff. zu berichtigen.
96) Vgl. über die Beschaffenheit der Eigengüter die Beilage über die älteren
Standesverhältnisse der Herren von Alten, $ 3, daselbst p. 174 Anm. 1 auch
Nachweise über die Erbhölzer (Sundern).
97) Vgl. LüntzEL, Geschichte der Diözese und Stadt Hildesheim, 1868,
I. p. 294.
98) Die folgende Aufzählung der nach dem Ort des Eigens heißenden
Dienstmannsgeschlechter ist nicht erschöpfend, nur die bezeichnendsten Bei-
spiele sind aufgeführt. Vom Hildesheimer Urkundenbuch wird nur der Band
und die Urkundennummer zitirt.
Escherde I. 581. Altendorf I. 242. Hollenstedt I. 664. Rössing, SUDEN-
DORF II. 40. Gustedt, SCDENDORF I. 476. Dinklar III. 99, 208. Kemme
III. 98. 268. Sorsum II. 900. Mehle I. 200. Agersheim (Eggersen) I. 348.
Schwiecheldt I. 317.348. Bethmar I. 560. Rosenthal II.709. Giesen II. 800.
Rautenberg III. 189. Ebelingerode (Piscina) II. 270, ferner Urkb. Walken-
ried I. 516. Westerlinde (Linnethe), Annal. Stederburg. M. G. h. SS. XVI.
p. 219. Vimmelse, a. a. O. p. 216. Levedhe (Lewe), a. a. O. p. 217. Hemstide,
a. a. O., 229. Mahner II. 656. Garbolzum III. 876.
99) Vgl. LÜNTZEL, Geschichte der Diözese und Stadt Hildesheim, 1858,
II. p. 92.
100) So glaube ich bestimmt, daß die Vogtsfamilie von Altenmarkt mit
den Herren von Escherde eines Stammes ist, vgl. Anm. 201. Ebenso
gehören die Truchsessen im 12. Jahrhundert wahrscheinlich dem Geschlecht
von Ochtersum an, vgl. Anm. 8. Die Herren von Piscina sind eines Stammes
mit dem Geschlecht von Ebelingerode und haben in Ebelingerode ihre Eigen-
güter, vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 270 (ao. 1229). Urkb. d. S. Walkenried
Abt. 1 Nr. 357 (ao. 1263) u. 464 (ao. 1281).
101) Vgl. v. ZALLINGER, Schöffenbarfreie, p. 227 u. 228.
Gegen ZALLINGER jetzt HECK, Sachsenspiegel, p. 251 —-256. Ich glaube
116 W. Wittich
nicht, daß HECK die Haupteinwendungen ZALLINGERS gegen die Darstellung
des Sachsenspiegels entkräftet hat.
102) Vgl. v. ZALLINGER, Schöffenbarfreie, p. 233.
HECK, Sachsenspiegel etc., p. 253.
103) Vgl. oben Anm. 80.
104) So erscheint Luppold von Escherde, dessen Hantgemal sicher zu
Escherde im bischöflichen Ostfalengau lag, als Dinggenosse, wohl auch als
Schöffe in dem echten Ding des Grafen von Wohldenberg zu Holle im
Ambergau, vgl. Kalenberger Urkundenbuch ed. v. HODENBERG, IIL p. 16
(ao. 1186). Über Eigen der Familie v. Escherde zu Ammenhusen und Walden-
husen im Ambergau vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 421 (ao. 1183 III. 12).
Ebenso erscheint Luppoldus de Escherde in der Gerichtsurkunde der
Grafen von Woldenberg (a. a. O. Nr. 504 a. 1194 vor X. 28); unter den
Zeugen daselbst auch der in der großen Grafschaft beheimatete Dietrich
v. Alten, vgl. die Beilage, p. 132—138.
106) Hec'x (Sachsenspiegel etc., p. 500 —515) bestreitet jede ständische Be-
deutung des Hantgemals, ja er meint, daß für die Auslegung des Sachsen-
spiegels die Bedeutung Heimat im geschichtlichen Sinn, Ort der Herkunft,
vôllig ausreicht. Er verneint also, für den Sachsenspiegel wenigstens, sogar
die Bedeutung des Wortes als Grundbesitz besonderer Art. Seine Polemik
zegen die herrschende Ansicht ist insofern gerechtfertigt, als diese das Hant-
gemal fälschlich als das unteilbare Stammgut eines Geschlechts, an dem die
(teschlechtsrenossen nur Miteigentum oder Näherechte besitzen, ansieht. Wie
im folgenden gezeigt werden wird, hatte das sächsische Hantgemal eine ganz
andere tatsächliche und rechtliche Beschaffenheit. Im übrigen halte ich
meine Ansicht über das Hantgemal in allen Stücken aufrecht. Gegen HEcK
tällt entscheidend ins Gewicht die Stelle S. Ld. R. III. Art. 29 $ 1: Die man
mut sik wol to sime hantgemale mit sinem eide tien, al ne hebbe he’s under
ime nicht. Der Schöffenbare hat im Prozeß über das Hantgemal das Beweis-
recht mit dem Eineid, auch wenn er nicht im Besitz ist. Under ime hebben
heißt überall im Sachsenspiegel so viel wie detinere, in Gewahrsam halten,
vgl. HomEYERr, Sachsenspiegel, 8. A. I. p. 486. Es ist also der körperliche
Besitz des Hantgemals gemeint. Die bloß historische Beziehung auf einen
Ort: der Herkunft ist hier nicht ausreichend. Die Auslegung HECKS als
Heimat im geschichtlichen Sinn oder Ort der Herkunft scheitert also schon
an dieser Stelle. Eine eingehendere Auseinandersetzung mit der Anschauung
HECK<, die dieser selbst noch nicht abschließend begründet hat (p. 504), ist
mir leider an dieser Stelle nicht möglich. Ich gebe daher im folgenden
meine Ansicht über die Bedeutung des Hantgemals, die ich lange vor dem
Iirscheinen des Hi:ckschen Werkes niedergeschrieben hatte, unverändert
wieder. Ich glaube übrigens, daß wenigstens ein Teil der Bedenken Hxcks
gegen die ständische Bedeutung des Hantgemals durch meine Auffassung
“ehoben wird.
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 117
106) Vgl. HOMEYER, Über die Heimat nach altdeutschem Recht, insbesondere
über das Hantgemal, Berlin 1852, p. 43 u. 44.
107) Vgl. HOMEYER a. a. O., p. 45-68. Über die Urkunde p. 18 ff.
108) Vgl. S. Ld.R. lib. III. Art. 26 $ 2.
109) Vgl. v. ZALLINGER, Schöffenbarfreie, p. 237.
110) Vgl. S. Ld.R. I. Art. 51 $ 4: Svelk scepenbare vri man enen sinen
genot to kampe an sprikt, die bedarf to wetene sine vier anen unde sin
hantgemal unde die to benomene oder jene weigeret ime kampes mit rechte.
111) Vgl. S. Ld.R. III. Art. 298 1: Nen scepenbare man darf sin hant-
gemal bewisen noch sine vier anen benümen he ne spreke enen sinen genot
kampliken an. Die man mut sik wol to sime hantgemale mit sinem eide
tien, al ne hebbe he’s under ime nicht.
112) Vgl. HOMEYER, Heimat nach altdeutschem Recht, p. 48 u. 44.
ZALLINGER, Schöffenbarfreie, p. 227.
113) Vgl. Monumenta Boica, Bd. VII. p. 433—6503.
H. PETz, Drei bayrische Traditionsbücher aus dem 12. Jahrhundert, 1880.
Eine ähnliche Stelle findet sich Monumenta Boica, II. p. 173 ff., 12. Jahr-
hundert: „Fuit in Bavarie Provincia comes illustris prosapie Chuno vocatus ...
cuius genuinus et cognationis et posterorum eius postmodum communis locus
usque hodie Uranthenhausen nuncupatur.“
114) Vgl. HAUTHALER, Salzburger Traditionsurkunden, C. Od. 100a, 68,
44b. F. E. KLEINMAYERN, Nachrichten vom Zustande der Gegenden und
Stadt Juvavia, 1784, Anhang, p. 145, 155, 175 u. 194 (Urkunde... . et dempsit
partem unam pro libertate tuenda ao. 963—976).
115) Vgl. F. E. KLEINMAYERN, Juvavia, p. 194.
116) Vgl. Homevir, Die Heimat nach altdeutschem Recht, p. 24—29.
117) Indifferent sind S. Ld.R. I. 51 $ 4, III. 26 8 2, III. 29 $ 1 erster
Satz. Der zweite Satz über das Beweisrecht des Schöffenbaren mit Eineid
spricht für körperlichen Besitz des Hantgemals bei allen Schöffenbaren.
118) Vgl. HOMEYER, Sachsenspiegel, Bd. I. (3. Auflage, Berlin 1861)
p. 401 (unter Besitz) u. p. 485 (unter under).
119) Vgl. HosEYeEr, Heimat, p. 66; über das forum duelli als echtes forum
und die anderen Gerichtsstände als auswendige fora vgl. HOMEYER a. a. O.,
p. 54—61.
120) Vgl. S. Ld.R. I. 34 S 1. HOMEYER, Heimat, p. 4 Anm. 5. HECK
(Sachsenspiegel etc., p. 94—97) meint, die halbe Hufe sei nicht das Besitz-
minimum des Pfleghaften gewesen, sondern der Minimalbesitz, bei welcheiu
die Dingpflicht des Schöffenbaren gesichert erschien. Er bezieht die Stelle
überhaupt nicht auf Pfleghafte, sondern nur auf Schöffenbare.
121) Vgl.v. UsLAR, Geschichte der Grafen von Winzenburg, 1895, p. 309.
122) Genau mit denselben Worten bezeichnet in einer thüringischen Ur-
kunde vom Jahr 1122 der schöffenbarfreie Mann Heinrich von Bunrode sein
Stammgut. Henricus de Bunrode de parentibus natus liberis, judiciariae
dignitatis, cum non haberet filios hereditatis suae successores . . . . tradidit
118 "W. Wittich
ecclesiae . ... Reinartsbron... in ius proprium natalium suorum princi-
palem locum Bunrode dictum (HOMEYER, Heimat, p. 85). Er begründet
die VeräuBerung des Hantgemals mit seiner Kinderlosigkeit. Nur für seine
Söhne hatte das Hantgemal eine rechtliche Bedeutung. Die Mitglieder seiner
Sippe haben ihrerseits ihr Hantyemal, am Ort des Namens. Da er keine
Söhne hat, so hat das Hantgemal nur noch für ihn selbst eine Bedeutung,
und er schenkt aus frommer Gesinnung wohl in höherem Alter dieses Frei-
heitsgut an das Kloster.
123) Vgl. Hildesh. Urkh. I. Nr. 368 (ao. 1174 X. 19—21). Über diese Ur-
kunde und ihre Bedeutung vgl. HEcK, Sachsenspiegel, p. 510ff. Auch HEck
gibt zu, daß hier eine Übersetzuug von Hantgemal vorliegt. Seine sonstige
Würdigung weicht natürlich von unserer Auffassung völlig ab.
124) So ist das Stammgut der Grafen von Lauenrode wahrscheinlich im
Dorf Letter nahe bei ihrem Familienkloster Marienwerder zu suchen. Im
Dorf Letter haben alle Mitglieder des Geschlechts Eigengut, das sie an
Marienwerder schenken. Zeitschrift des H. V. f. N.S. 1858, p.1ff. Kalenb.
Urkb. VI., Hildesh. Urkb. III. Nr. 1561 (ao. 1806 I. 20).
125) Vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 355 (ao. 1232).
126) Vgl. Annales Stederburgenses (M. G. h. SS. XVII. p. 215) ao. 1182
bis 1184: Bodo von Saldern gibt 18 jugera und eine area; p. 216, sein Bruder
Ludolf gibt dasselbe, beides zu Lefforde.
127) Hildesh. Urkb. I. Nr. 581 (ao. 1208): ... quidam ecclesie nostre mi-
nisterialis Luppoldus de Escherthe... in proprietate sua Escherthe cenobium
fundare disponens.... Die Vogtei wird ihm und seinen Söhnen auf
Lebenszeit übertragen.
128) Hildesh. Urkb. II. Nr. 274 (ao. 1229): Die Brüder Lippold und Diet-
rich von Escherte sind Lehnsherrn über eine halbe Hufe zu Escherde.
Nr. 467 (ao. 1236): Dietrich von Escherde verkauft drei Hufen und1l area
zu Escherdc. Nr. 1007 (ao. 1256): Lippold (iunior) vom Altenmarkt Vogt
(wohl aus dem Geschlecht von Escherde) gibt 40 Morgen. und 1 Hofstätte
‚in Escherde an das Kloster Escherde, Lehen des Heinrich Westfal. Hildesh.
Urkb. III. Nr. 72 (ao. 1264 XI. 6): Johann von Escherde gibt seine Güter
zu Escherde an das Kloster Escherde. Nr. 81 (ao. 1264): Item et ipse
Lippoldus de Esherte et dominus Johannes et Jordanis dicti de Escherte
donaverunt nobis proprietatem super sedecim iugera et aream unam
in Escherte pro remedio anime sue et amicorum suorum in Christo defanct.
Nr. 219 (ao. 1268): Wohl das gleiche Geschäft. Nr. 700 (ao. 1285 Il):
dimidius mansus habens XVI iugera in Escherte. Nr. 789 (ao. 1288 II. 1):
Die von Bruggen von denen von Escherde mit 2 Hufen in Alt-Escherte
belehnt. Nr. 1121 (ao. 1296): Dietrich und Hugo v. Escherde Lehnsherren
über 40 Morgen und 1Hof zu Escherde. Nr. 540 (a. 1280): Jordan und
Ludold von Escherde, Lehnsherren über 2 Hufen und 1 Hof zu Escherde.
In ähnlicher Weise sind die Mitglieder der stammverwandten Familien
Piscina und Ebelingerode im Dorf Ebelingerode begütert, vgl. Anm. 87, 98 u. 100.
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 119
129) Hildesh. Urkb. II. Nr. 270 (s. a. ca. ao. 1229): Lippold vom Alten
Markt (de veteri foro), Vogt des Moritzstifte, schenkt dem Kreuzstift 9 Morgen
ia Nordstemmen. Nr. 271 (ao. 1229 VIII. 15): Bischof Konrad bestätigt die
Sehenkung mit seinem Bann nach Findung des Olricus de Berningeroth (wohl
sicher Eigentum). Dazu Hildesh. Urkb. I. Nr. 241 (ao. 1146 VIII. 3): Lin-
delfus advocatus hat 50 jugera und zwei Höfe daselbst zu Lehen. Dieser
Liudolfus gehört der Familie de Insula an, die mit denen von Altenmarkt
gleichen Stammes ist. Vgl. JANICKE a. a. O., p. 769, 810 u. 812. I. Nr. 225
(ao. 1141): Erbgut in Heisede des Vogts Liudoldus.
130) Urkb. des H. Vereins f. N.S. IV. (Marienrode) Nr. 182 (ao. 1311
VI. 29). Hildesh. Urkb. II Nr. 800 (no. 1247—64): Heinrich von Giesen
verzichtet auf zwei Hufen zu Giesen in curia nostra (des Kreusstifts) sicut
antea Holle (wohl im Grafengericht zu Holle).
131) Hildesh. Urkb. II. Nr. 560 (ao. 1240) u. Nr. 701 (ao. 1248—1216).
Der Stand des Werner von Bethmar ist unsicher. Er heißt Wernerus quidam
de Bethmere. Es ist möglich, daß er ein Grafschaftsfreier war. Ein naher
Verwandter, Johannes de Bethmar, erscheint als bischöflicher Knappe II. 660,
875, 989, III. 70, 1059. Andererseits erscheint im Jahr 1281 (III. 569) eine
Litonenfamilie des Kreuzstifts, deren Vornamen auf Verwandtschaft mit der
Familie des Werner deuten. Es ist denkbar, daß die Familie verarmte und
dann in die Hörigkeit des Klosters kam.
Ähnlicher Vorbehalt des Ritters Hermann von Betheln beim Verkauf von
Gütern zu Betheln, jedoch hier wahrscheinlich nicht Eigentum, Nr. 1089
(a0. 1259), Nr. 1099 (ao. s. d.), Nr. 1062 (ao. 1258).
132) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 734 (ca. ao. 1219). II. Nr. 883 (ao. 1251):
Theodericus miles de Holle habuit in villa Luttenem aream unam et tria
jugera. Einer seiner Söhne, Bertoldus, verzichtet apud Bethmere (im echten
Ding) darauf.
133) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 158 (ao. 1108).
134) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 280 (ao. 1152 X. 13).
Eine der vorbehaltenen Hufen war bischöfliches Lehen, die anderen
sicher Eigen des Gründers.
135) Westfälisches Urkb. IV. Nr. 2554 (ao. 1299 IV. 6).
136) Vgl. Anm. 106.
137) Vgl. Wırrıcan, Die Grundherrschaft in Nordwestdeutschland, 1896,
p. 117* (Anlagen).
HEcK, Altfriesische Gerichtsverfassung, 1894, p. 227, 242, 248.
138) Annales Laurissenses, ao. 777 (M. G. h. SS. I p. 158).
Vita Hludowici, cap. 24 (M. G. h. SS. II. p. 619).
139) HECX, Sachsenspiegel etc., p. 510 u. 611.
140) v. ZALLINGER, Schöffenbarfreie, p. 282.
141) Vgl. Heck, Sachsenspiegel etc., p. 510 u. 511. Daselbst auch die
folgenden Einzelheiten über die Herren von Wöltingerode. *
142) Vgl. Anm. 122, 126, 129.
120 W. Wittich
So erledigt sich auch der Einwand HEcKs (Sachsenspiegel etc. p. 508
u. 5ll), der gegen die Natur des Hantgemals als rechtlich erhebliches Eigen
die Tatsache anführt, daß bei Veräußerungen solcher Güter immer nur ein
enger Erbenkreis, nicht aber das ganze Geschlecht (die Sippe) konsentierte.
Das Hantgemal war eben kein unteilbares Stammgut, das die Freiheit eines
ganzen Geschlechts bedingte, sondern die im Sondereigentum befindliche par-
ticula proprietatis, an der nur die nächsten Erben ein Recht und ein
Interesse hatten.
143) Vgl. HOMEYER, Heimat, p. 67, 80-85.
144) Vgl. oben p. 34 und Anm. 98.
145) Vgl. oben p. 9—16 und Anm. 19.
146) Vgl. Anm. 20.
147) Vgl. oben p. 16—18 u. 26.
148) Vgl. LENTZEL, Ältere Diözese Hildesheim, 1837, p. 114.
149) Über die Familie v. Eilstrenge vgl. oben Anm. 8 und p. 3 u. 4.
Über die Familie v. Ödelum vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 444 (ao. 1186),
Nr. 665 (ao. 1213 IV. 18), Nr. 679 (ao. 1215 V. 1) Kalenb. Urkb. III. p. 16,
u. 8. W.
Über die v. Schwiecheldt vgl. p. 54 u. 66.
150) Vgl. WEBER, Die Freien bei Hannover, p. 2.
151) Iiten, hildesh. Ministerialen, Hildesh. Urkb. II. Nr. 244, lauenrodische
Dienstleute, II. Nr. 404.
Ahlten, vgl. die Beilage; hildesh. und lauenrodische Dienstleute.
Bilm, vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 380, hildesheimische Dienstleute.
Höver, Hildesheimische Ministerialen, Hildesh. Urkb. I. Nr. 681.
Sehnde, hildesh. Dienstleute, Hildesh. Urkb. I. Nr. 592, 638 (Bürger zu
Hildesheim), 730. Ministerialen der Grafen von Lauenrode, Urkb. d. Stadt
Hannover Nr. 4.
Dolgen, Hildesh. Urkb. II. 102, III. 211, wahrscheinlich woldenbergische
Dienstleute.
Harber, hildesh. Dienstleute, Hildesh. Urkb. II. 641. 445. Lauenrodische
Dienstleute, Hildesh. Urkb. III. 22 u. I. 649.
Lopke, vgl. oben p. 19 u. 55 als hildesheimische Dienstleute. Als lauenrodische
Dienstleute Hildesh. Urkb. II. Nr. 823 u. Urkb. d. St. Hannover Nr. 11a u. b.
152) Vgl. Urkb. der Stadt Hannover Nr. 165 (ao. 1329 IX. 29). Lehns-
leute der Herzoge 424 (ao. 1365 II. 3).
153) Vgl. Zeitschrift des Harzvereins für Geschichte ed. JACOBS IV. (1871)
p. 34 ff. Hildesh. Urkb. I. Nr. 174 (ao. 1117 V. 11).
154) Vgl. Hildesh. Urkb. III. Nr. 1113 (ao. 1296 XII. 4).
155) Vgl. oben Anm. 153.
SUDENDORF, Urkundenbuch etc., IX. p. 55 (ao. 1886 VI. 20): Die von Salder
verkaufen das ganze Dorf Evern vor dem (tografen zum Hassel an das Dom-
kapitel zu Hildesheim.
156) Vgl. Anm. 161.
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 121
Über die v. Schwiecheldt als hildesheimische Dienstmannen vgl. p. 54
u. 55. Als welfische Dienstleute z. B. Hildesh. Urkb. III. Nr. 22, 55. Die
welfischen Herzoge waren Herren des Geschlechts als Nachfolger der Grafen
von Lauenrode.
157) Hildesh. Urkb. I. Nr. 730 (ao. 1219). II. Nr. 404 (ao. 1234).
Kalenberger Urkundenbuch III. p. 16 (ao. 1186).
158) Über die Lopke vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 265 (ao. 1228): ob nicht
vielleicht Hantgemal und Eigen?
Über die v. Harber und ihre bischöflichen Lehngüter daselbst Hildesh.
Urkb. II. 641 (ao. 1241 XI. 24). Lehngüter des Geschlechts vom Grafen von
Lauenrode, Zeitschrift d. H. V. für N.S., 1887, p. 148, 149, 150.
Über den Lehnsbesitz der v. Ödelum zu Ödelum Hildesh. Urkb. I. Nr. 666,
II. 836.
159) Vgl. über Eigengüter der v. Ilten zu Ilten Altensches Urkundenbuch,
p. 53: Sattelhof zu Ilten.
Der v. Alten zu Ahlten vgl. die Beilage $ 3.
Der v. Schwiecheldt zu Schwiecheldt p. 54 u. 55 u. Anm. 161.
160) Hildesh. Urkb, I. Nr. 317 (ao. 1160 III. 7).
161) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 348 (ao. 1169 XII. 21): Abt Arnold von
St. Godehard kauft, um sich als guten Haushalter zu zeigen, alios tredecim
mansos in eadem villa... et (wohl de) duobus fratribus Heinrico et Burg-
hardo centum marcis consensu matris eorum Imika et sororum, quos partim
hereditario iure partim beneficiali iure possederant.
162) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 407 (ao. 1181), 447 (ao. 1186—1190).
Hildesh. Urkb. II. p. 666 (Index). IH. p. 907 (Index).
163) Hildesh. Urkb. I. Nr. 678 (ao. 1215 III. 24). Auch in dem wahrschein-
lich zur kleinen Grafschaft gehörigen Dorf Solsche war das Geschlecht von
Schwiecheldt mit Eigen angesessen, Asseburger Urkb. I. Nr. 180 (um 1284).
164) Vgl. oben p. 19 und Anm. 158.
165) Vgl. v. ZALLINGER, Die Schöffenbarfreien des Sachsenspiegels,
p. 27 u. 28. Dazu jetzt HECK, Sachsenspiegel etc., p. 302—323, 362—869.
166) v. ZALLINGER, Die Schöffenbarfreien des Sachsenspiegels, p. 259 und
260. p. 179: In der Grafschaft Mühlingen sind in der zweiten Hälfte des
12. Jahrhunderts die ritterlichen Geschlechter (dieses Bezirks) in ihrer Masse
noch Nobiles, d. h. Freie. Desgl. in der Grafschaft Seehausen, p. 91. Desgl.
für die Grafschaft Aschersleben, p. 128, 136. Desgl. für den Gau Serimunt
p. 152.
167) Vergl. v. ZALLINGER, Schöffenbarfreie, p. 128, 268, 269. Dazu HECK,
Sachsenspiegel, p. 549—579.
168) Vgl. Heck, Der Sachsenspiegel etc., p. 302—560.
169) Die erste Erwähnung des Halt von Biewende als Grafschaftsherr
finde ich Hildesh. Urkb. I. Nr. 766 (ao. 1220-1237 IV. 18). Halt trat 1258
in den Deutschen Orden, Hildesh. Urkb. II. Nr. 1069 (ao. 1258 V. 14). Seine
122 W. Wittich
Söhne Helmolt und Gunzelin 1259 noch als Lehnsherren erwähnt, I. Nr. 1111
(ao. 1259 VIII. 1).
Die Herren von Asseburg vielleicht schon 1253 im Besitz der Grafschaft,
Asseb. Urkb. I. Nr. 274 (ao. 1253 V. 8). Sicher Grafschaftsherren, Asseb.
Urkb. I. Nr. 334 (ao. 1268 IV. 2).
170) Hildesh. Urkb. II. Nr. 261 (ao. 1228 VII. 12): coram testibus sub-
scriptis Helmoldo filio meo, Alberto et Friderico fratribus de Winnimostede,
Heithinrico de Ummenem (?), Ludolfo milite, Marquardo gogravio, Heinrico
Noretse, Christiano de Esekenrothe, Sculteto Roperto, Rodolfo precone, Hen-
rico plebano.
Dazu Hildesh. Urkb. II. Nr. 375 (20. 1283): Heinricus Noretsen, Ministerial
des Edlen Halt von Biewende. Zeugen Christianus, Marquardus, Fridericus
milites et Albertus de Biwinde.
Die Brüder Albert und Friedrich von Winningstede sind sicher identisch
mit dem Ritter Friedrich und dem Albert von Biewende der Urkunde Nr. 375.
Die Lesung Heidenreich von Ummenem ist unsicher. Sie waren wohl
hildesheimische Dienstleute, Hildesh. Urkb. III. Nr. 179 (ao. 1267).
Der Ritter Ludolf ist wohl identisch mit Liudolfus de Honlinden, einem
welfischen Ministerialen, I. 504, 748, 756 (ao. 1220—1237 VI. 18).
Der Scultetus Ropertus ist sicher identisch mit dem prefectus Ropertus
de Dalem, I. 756 (ao. 1220—1237 VI. 18). Vgl. auch die Zeugenreihe dieser
Urkunde mit derjenigen von II. 261.
Es sind also 5 von den 8 Rittern mit Sicherheit als Ministerialen der
Edelherren von Biewende anzusehen.
171) Vgl. Heck, Sachsenspiegel, p. 350.
172) Hildesh. Urkb. I. Nr. 766 (ao. 1220—1237 VI. 18). Hildesh. Urkb. IL
Nr. 490 (ao. 1287 vor XI.) Asseb. Urkb. I. Nr. 384 (ao. 1268 IV. 9).
178) Vgl. Asseb. Urkb. I. Nr. 884 (ao. 1268 IV. 2): Johannes de Senstode
filius Hilleberti. Braunschweiger burgenses, Urkb. d. Stadt Braunschweig ed.
HÄNSELMANN, 1900, II. p. 480 (ao. 1818).
174) Hildesh. Urkb. II. Nr. 490 (ao. 1287 vor XI.): Albertus et Ekkehardus
cives et alii quamplures. HÄNSELMANN, Urkb. d. 8. Braunschweig, II. p. 54
hält sie für Bürger.
Asseb. Urkb. 1. Nr. 334 (ao. 1268 IV. 2): Fredericus Grifo, Teoderices
Tympo, Luderus iuxta vadum. Dazu Urkb. d. S. B. II. p. 580 u. 668.
175) Vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 261 u. 490. Für die Identität beider Per-
sonen spricht: 1. der gleiche Vorname, 2. das gleiche Objekt der Veräußerung:
14 iugera, 3. der gleiche Erwerber, der Propst von Dorstadt, 4. die Beziehung
der späteren Urkunde auf frühere Leistungen des Erwerbers, 6. entsehei-
dend: die Miterben sind in beiden Urkunden frater et filia des Ver&nßerers.
Vgl. auch HÂNSELMANN, Urkb. d. S. B., I. p. 540.
176) Vgl. Urkb. der Stadt Braunschweig ed. HANSELMANN, II. p. 264
(a0. 1802 IX. 21), 468 (ao. 1318), 540 u. s. w.
177) Vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 1111 (ao. 1969 VIII. 1).
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 123
178) Vgl. Asseb. Urkb. I. Nr. 334 (ao. 1268 IV. 2).
179) Hildesh. Urkb. II. Nr. 513 (ao. 1238 IX. 28): Heinrich von Kissen-
brück belehnt vom Grafen von Woldenberg. III. Nr. 169 (ao. 1267 vor X. 11),
Nr. 183 (ao. 1267). Eine Nonne Adelheid von Kissenbrück zu Dorstadt, II.
Nr. 867 (ao. 1251 V. 26). Die Tochter des Dietrich Tosewulle hieß Adel-
heid, II. 216 (ao. 1228 VII. 12).
180) Asseb. Urkb. II. Nr. 1390 (ao. 1391 XI. 14) u. 1391. Berta, Witwe
Hermanns von Kissenbrück, der daselbst in Kissenbrück gewohnt hatte, und
ihre Söhne Boldwin, Sywert und Hans zu Kissenbrück versetzen an die von
Asseburg den Zehnten zu Roden, Lehen von Wernigerode, das Leibgeding
der Berta, und 2 Hufen regensteinsches Gut.
181) Als solche betrachte ich die Zeugenschaft des Ritters Heinrich von
Kissenbrück bei dem Kauf des Bürgers Dietrich von Kissenbrück zu Wester-
biewende. Hildesh. Urkb. II. 1111.
Ferner heißt ein Sohn der Berta von Kissenbrück Hans, vgl. die vor-
stehende Anm. Hans heißt auch der Sohn des Bürgers Erembert von Kissen-
brück zu Braunschweig, Urkb. d. S. Braunschweig II. p. 468 (ao. 1818).
182) Vgl. Hildesh. Urkb. III. Nr. 1284 (ao. 1300 XII. 20). Dazu Asseb.
Urkb. II. Nr. 775 (ao. 1317 VI. 29), 911 (ao. 1328 V. 11), 912 (ao. 1328 V. 11).
183) Vgl. v. HAMMERSTEIN-LOXTEN, Der Bardengau, 1869, p. 497.
184) Vgl. oben Anm. 14, Ergebung der fratres de Barmestede an den Erz-
bischof von Bremen ao. 1257 V.
185) Vgl. Denıo, Geschichte des Erzbistums Bremen-Hamburg, Berlin 1877,
Bd. II. p. 80.
186) Vgl. v. SPiLCKER, Geschichte der Grafen von Everstein, Arolsen 1833,
p. 118ff. Derselbe im Archiv für Geschichte und Altertumskunde Westfalens
ed. WIGAND, I. (1823) Heft 1. R. SCHRÔDER, Die Gerichtsverfassung des
Sachsenspiegels, Weimar 1886, p. 32—886.
187) Ich will nur zwei der charakteristischsten Urkunden anführen und den
Stand der auftretenden Zeugen nachweisen. Westfälisches Urkundenbuch IV.
ed. HOOGEWEG, Nr. 2488 (ao. 1298 IV. 25): Graf Otto von Everstein ent-
bindet die Güter des Klosters Hardehausen in seiner Freigrafschaft, die
dieses von scabinis et hominibus liberis erworben hat, von der Grafschafts-
abgabe. Das (seschäft wurde vollzogen sub tilia in villa Louene astantibus
nostris scabinis liberis videlicet:
(NB. Die folgenden Nummern und Seiten sind die des Westf. Urkb. IV.)
Regenbodone de Ahusen: derselbe consul in Geigmar, p. 1218.
Hermanno de Alvessen: gehört zur Ritter- und Bürgerfamilie von A.,
vgl. p. 1216 und unten.
Herm. de Dasborch (fehlt im Original): gehört zur Bürgerfamilie von
D. von Warburg, p. 1254.
Conrado de Scherve: gehört der Bürgerfamilie zu Warburg an, p. 1598.
Hermanno Longo: Hermannus Longus, Lehnsmann des Bischofs von
Paderborn, resigniert diesem 2 Häuser in Louene, Nr. 2148 (ao. 1291 IV. 1).
124 W. Wittich
Insuper liberis nostris hominibus:
Heinrico de Dusele (Dössel): Bürgerfamilie zu Warburg, p. 1268.
Haroldo de Baddenhus: ob zur Ritterfamilie dieses Namens gehörig?
p. 1223.
Johanne de Alvessen: Ritter, vgl. Nr. 1142 u. 1151 (ao. 1268).
Helmico de Dosele: s. oben.
Heinrico de Louene, Goscalco fratre suo: bekannte Ritterfamilie,
p. 1341. v. SPILCKER, Everstein Nr. 28 (ao. 1206).
Udone de Alvessen: s. oben.
Hermanno de Dasborch: 3. oben.
Heinrico Tuike et Gos(vino?) Randenberch: wohl Bauern; die
Schwestern des G. Randenberch sind Wachszinsige, Nr. 1452 (ao. 1276) —
v. SPILCKER, Geschichte der Grafen von Everstein, 1833, Nr. 41 (ao. 1225):
Otto Graf von Everstein bestätigt dem Kloster Hardehausen den Besitz von
Freigütern in seiner Grafschaft, die dieses von Freien zu Lebzeiten seines
Vaters erworben hatte, distinguentes que a scabinis conquisita sunt et ab
aliis qui liberi dicuntur.
Dazu Westf. Urkb. IV. Nr. 289, Notizen über die gleichen Erwerbungen.
De Scabinis hec:
De Conrado et flio suo Siboldo (8'/s mans.); de Bertoldo fratre
Conradi et filiis suis conversis (3 mans. 4 iugera): nach 289
Familie von Vrekenhusen senst nicht bekannt.
De Regenhardo (2'!/, mans.): Wahrscheinlich Regenhard dictua Vriline,
Nr. 873 ein Johann Friling erwähnt, dessen Erben famuli sind. -
De Bertrammo (2'/s mans.)
De Ernesto et Tiderico de Ermwerdessen (l mans.): Familie von
Erwitzen, Bürger zu Brakel, p. 1268, dominus Fredericus de E., Nr. 2121.
Summa XIV mansi et dimidius. De aliis qui liberi dicuntur ista:
De Reinboldo, Olrico, Hermanno et Andrea filio Reinboldi
(2 mans. et 10 iugera), Nr. 289 a.
De Brunone, hermanno, Meinolfo, Heriberto (45 iugera), Nr. 289a.
De tribus fratribus Ludolfo, Eskelino, Tiderico (2 mans. 19 iugera),
Nr. 289 a.
De Sigebodone (4 mansos): dieser Nr. 289a nicht erwähnt.
De Dodone et filiis suis (40 iugera): desgl.
De Thetmaro et fratre suo Tiderico et filiis Thetmari (40 iugera),
Nr. 289a. Vielleicht Thetmar und Hermann de Nutlon, Bürger zu
Marsberg, p. 1364.
De Ludberto et filüs Rucen (1 mans.): Die Rucen sind eine Bürgerfamilie
zu Bodenwerder und Warburg, p. 1393, und eines Stammes mit der
Ritterfamilie Holthusen, p. 1316.
de vidua hildegardi (6 iugera).
Zeugen: De scabinis Bernhardus, Hermannus Bercule: Brüder aus
dem freien Rittergeschlecht Berkule, p. 1227.
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 125
Heinricus et suus frater Godefridus de Pikelssen: v. Peckelsheim,
Burgmannen zu Warburg, p. 1382. Gottfried, Schöffe, Nr. 221.
Hesceles de Lutwardessen: Lutwardessen, Bürger zu Wolfshagen,
p. 1345, vielleicht Luthardessen, Rittergeschlecht, p. 1345.
Tidericus de Wormlo: derselbe, Korveyer Dienstmann, Nr. 227 (ao. 1234
II. 8).
Bertrammus de Scerue: Bürgerfamilie in Warburg, vgl. auch die
Urkunde Nr. 2488.
Alii vero nonscabiniConradus plebanus de Wethen, Thidericus
noster dapifer, Gerold de Helmere: vgl. Nr. 5 (ao. 1202) u.
1286. Altfreie Ministerialen auch Bürger zu Geismar, p. 1302.
Udo de Weplethe: gehört zur Warburger Bürgerfamilie Wepelde, p. 1434.
Tidericus Salentin: Bürger zu Paderborn, p. 1896. Derselbe, Schöffe,
Nr. 221 (ao. 1233).
Arnoldus cognomento Guttherre: Bürger zu Warburg u. Fritzlar.
Guchterus, p. 1288. Arnoldus Guthere, Bürger zu Warburg, Nr. 577.
Vgl. ferner v. SPILCKER, Geschichte der Grafen von Everstein, Arolsen 1833,
Nr. 19 (ao. 1187, eversteinsche Gerichtsurkunde), 28 (a0. 1206), 35 (ao. 1219),
565 (ao. 1236), 56 (ao. 1236 XII. 8), 82 (ao. 1249), 238 (ao. 1290), 389 (ao.
1366 IX. 5), 390 (ao. 1370 II. 9).
Westfälisches Urkundenbuch IV. Nr. 169 (ao. 1229), 189 (ao. 1230), 221
(ao. 1233), 2120 (ao. 1290).
188) Vgl. v. SPILCKER, Geschichte der Grafen von Everstein, p. 119.
v. SPRUNER-MENKE, Historischer Handatlas, Gotha 1880 (3. Auflage),
Karte Nr. 39.
189) Westfälisches Urkundenbuch IV. (Paderborn) Nr. 119 (ao. 1223— 1254).
190) v. SPILCKER, Everstein, Nr. 67 (ao. 1240), 76a (ao. 1245 eversteinsche
Urkunde).
Westfäl. Urkb. IV. Nr. 376 (ao. 1246), 579 (ao. 1254: Hier zweifelhaft,
ob korveyer oder dasselscher Dienstmann, doch wohl für die letztere Dienst-
barkeit zu entscheiden).
191) Westf. Urkb. IV. Nr. 537 (ao. 1253).
192) Westf. Urkb. IV. Nr. 444, 484, 485, 579.
193) Westf. Urkb. IV. Nr. 755 (ao. 1258 VIII. 11).
194) Westf. Urkb. IV. Nr. 904 (ao. 1262 VI. 4), 969 (ao. 1263 XII. 3),
2096 (ao. 1290 IX. 3), 2124 (ao. 1290 ca.).
195) Westf. Urkb. IV. Nr. 719 (ao. 1257): Der Edelherr Konrad von
Schönenberg ist der nepos des Grafen Adolf von Dassel.
196) Westf. Urkb. IV. Nr. 2096 (ao. 1290 IX. 3).
197) Westf. Urkb. IV. Nr. 755 (ao. 1258 VIII. 11), 760 (ao. 1258 X. 9),
782 (ao. 1259 III. 7).
198a) v. SviLCKER, Everstein, Nr. 67 (ao. 1240), 76a (ao. 1245).
198b) Westf. Urkb. IV. Nr. 760 (ao. 1258 X. 9).
199, Westf. Urkb. IV. Nr. 767 (ao. 1258 IX. 15).
126 | W. Wittich
200) Westf. Urkb. IV. Nr. 797 (ao. 1259 V. 26).
201) Vgl. Westf. Urkb. IV. Nr. 189 (ao. 1280): Theodericus de Wurmiho
liber homo. Nr. 227 (ao. 1284): sicher Korveyer Dienstmann. IV. Nr. 221
(ao. 1233): Hermannus homo libere conditionis.
v. SPILCKER, Everstein, Nr. 49 (ao. 1288): Die hier erwähnten homines
liberae conditionis Gerold, Conradus etc. gehören der Familie von Helmern
an, vgl. Westf. Urkb. IV. Nr. 5 (ao. 1202). Diese sind Korveyer Dienstleute.
Cod. dipl. Westf. ed. ERHARDT, II. Nr. 382 (ao. 1177), 487 (ao. 1189).
v. SPILCKER, Everstein, Nr. 82 (ao. 1249).
Vgl. auch oben Anm. 187.
202) Henricus Burmester, vgl. Westfälisches Urkundenbuch IV. Nr. 148
(ao. 1226): Godescalcus Burmester unter paderbornischen Ministerialen.
Bernhardus Longus. Bernhardus Longus civis in Bodenwerdere. Nr. 2340
(a0. 1296): Everhardus Longus civis in Geismar. Hermann Freischöffe in der
Grafschaft der Grafen von Everstein, Nr. 2488 (ao. 1298).
Theodericus de Hengildirn (Henglarn), wahrscheinlich eine Bürger- und
Ministerialenfamilie zu Paderborn. Nr. 217 (ao. 1238 VII. 27) u. 2413 (ao. 1296).
203) Über Hadebrachtshausen oder Adebrachteshausen vgl. Westf. Urkb.
IV. Nr. 289a und Nr. 760 (ao. 1258 IX. 9) p. 408 Anm. zu Nr. 760.
204) Vgl. über das Folgende vor allem LÜNTzEı, Die ältere Diözese Hildes-
beim, Hildesheim 1837, p. 82—84.
WÜRDTWEIN, Subsidia diplomatica Bd. VI. Nr. 185 (ao. 1258): Ergebung
der Freien von Bordere. IX. Nr. 19 (ao. 1263 I. 18): Ergebung der Freien
von Stemwede.
HECK, Sachsenspiegel etc., p. 721, Anm. 2.
205) Vgl. Hoyer Urkundenbuch ed. v. HODENBERG, Abt. 2—8 (Bd. IL.)
Hannover 1855, Abt. 7 (Archiv Schinna) Nr. 72 (a0. 1312 XII. 26): Der Abt
von Schinna kauft die Proyteshufe in Bordere von seinem Vorgänger.
77 (ao. 1321): Der Knappe Albert Proyt verkauft an das Kloster Schinna
einen mansus dictus proyteshoue situm in Bordere, den er seinem Lehns
herrn, dem Bischof von Minden, zur Übertragung resigniert.
206) Der Kanonikus Arnold von Schinna unter den Zeugen bei der Er-
gebung der Freien von Bordere an den Bischof von Minden. WÜRDTWEIN,
Subs. dipl. IV. Nr. 185 (ao. 1268).
Hoyer Urkb. II. Abt. 7 Nr. 35 (ao. 1255): Canonicus Arnoldus de Schinna
schenkt libera bona in Almoltere und Schinna, nachdem er sie zuerst dem
Grafen von Hoya als dem „Patron“ der Güter, dann dem Johannes dictus
Vrilinch und allen seinen consanguinei angeboten hatte. Dieser Johannes
Vrilinch ist ein Knappe. Nr. 74 (ao. 1316 V. 2): er baut einen mansus in
Schinna. Nr. 99 (ao. 1338 IV. 25). Nr. 41 (ao. 1258 XII. 4): Bestätigung im
Freiding.
Weitere Schenkung Nr. 51 (ao. 1271 VII. 23): Lehnshufe zu Schinna
Nr. 53 u. 54 (ao. 1274 IV. 5): Bestätigung der ersten Schenkung 1?/, Hufen
zu Schinna und 1'!', Hufen zu Anemolter durch den Herzog von Sachsen.
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 127
207) Vgl. Heck, Der Sachsenspiegel etc., p. 300 u. 570.
208) Vgl. WrrricH, Die Grundherrschaft in Nordwestdeutschland, 1896,
p- 116* ff.
Wrrrich, Die Frage der Freibauern, Weimar 1901, p.22ff. (Auch in
der Zeitschrift der Savignystiftung für Rechtsgeschichte, Bd. XXII, germa-
nistische Abteilung, p. 264 ff.)
Die Anschauung ist von Heck (Altfriesische Gerichtsverfassung, Weimar
1894, p. 224, 225, 284) zuerst ausgesprochen worden.
Während des Druckes ist der vierte Band des Urkundenbuches des Hoch-
stifts Hildesheim und seiner Bischöfe, bearbeitet von Dr. H. HooaEwes,
Hannover und Leipzig 1905 (Urkunden d. d. 1310—1840), erschienen. Leider
konnte ich ihn nur an einer Stelle (Anm. 80) benützen.
La Sicile Agricole au dernier Siècle de la Répul
Romaine,
Par
Jérôme Carcopino (Rom).
La situation de la Sicile agricole au dernier siècle
République Romaine a été déjà l’objet de plusieurs tr
Dans son beau livre sur la population du monde Gréco-R
M. BELOCH en a marqué les traits essentiels !). Dans une br
sur les conditions de la Sicile au temps de Verrès, M. FRA?
a su habilement tirer parti des renseignements que lui fı
saient les Verrines sur les chiffres de la production à
époque”). Peut-être estimera-t-on cependant qu'il y a plac
une étude nouvelle, où le détail des choses soit examin
une précision qu'excluait le caractère général du liv
M. BELOCH, pour laquelle d’autres textes que le texte essenti
Verrines, et notamment les pages si instructives de Diopo
les guerres serviles, soient utilisés, et qui enfin se propose d’:
à la description des faits économiques l’analyse du milieu
1) BELOUH, Die Bevölkerung der griechisch-römischen Welt, 1 v
Leipzig 1886, p. 266—273.
2) FRANCHINA, Le condisioni economiche della Sicilia ai tempi d
1 vol. in-8°, Palermo 1897. Le livre de M. FRANCHINA est à la fc
étendu et plus restreint que le présent travail: plus étendu puisqu’
question non seulement de la culture des céréales, à laquelle nous nt
nerons ici, mais des autres cultures et des industries diverses du pa:
restreint puisque l’auteur s’y borne à donner une évaluation de la pro
Je ne parle pas de la brochure de PIETRO PAnpucct: Statistica eco
agraria dell’ Italia alla fine della Repubblica e nei primi secoli dell
1 vol., 74 p. in-8°, Montevarchi 1903. C'est une traduction sans criti
l'index mis par JAHN à l’édition de PLINE L’ANCIEX.
F
v
La Xicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 1929
qui les a eonditionnes? Le sujet présente de grandes difficultés :
celles d’abord auxquelles se heurte tout essai d'histoire écono-
mique appliquée à l'antiquité, par la faute des documents, et le
manque presque absolu de données statistiques; et celles qui
dérivent de la nature même de notre principale source: les dis-
cours de CICÉRON contre Verrès. Car si l’orateur, qui connait le
pays dont il parle pour avoir exercé à Lilybée les fonctions de
questeur!), et qui a étudié sa cause sur place pendant plusieurs
semaines *), abonde en renseignements, multiplie les exemples «t
les chiffres, ils est rare néanmoins qu’il nous mette directement en
contact avec la réalité; il faut, pour parvenir jusqu’à elle, fran-
chir toute une série de raisonnements, des illegalites de Verrès
inférer les dispositions de la loi qu'il a violée, de la loi remonter
aux faits qu'elle a pour but de régir, auxquels elle a bien dû
s'adapter et que, par conséquent, elle suppose. Mais ces ob-
stacles ne sont pas insurmontables; on peut compter les vaincre
avec beaucoup de prudence, en procédant lentement, par enquêtes
partielles et méticuleuses. Nous nous proposerons toute une
suite de petits problèmes, sur les méthodes de culture, les ren-
dements obtenus, les fluctuations des cours, la division de la
propriété, l’importance numérique de la classe agricole dans la
province; c’est seulement après avoir isolé ces questions et essayé
de les résoudre séparément qu’il nous sera permis de porter
un Jugement sur la situation de la Sicile antique, et de la com-
parer utilement à la Sicile d'aujourd'hui.
I. Caractère extensif de la culture Sicilienne.
Les agronomes latins admettaient tous que la terre ne peut
porter deux ans de suite la même culture. Ils ont distingué
entre deux systèmes: celui où la terre se repose d’une culture
par une ou plusieurs autres; et le système où la terre se repose
par l’absence de culture. Ils ont appelé le terrain où le premier
système — l’assolement — est en vigueur: ager restibilis, et le terrain
1) Cıc., Div. in Cuecil., 1, 2.
2) Exactement cinquante jours. Cf. Cıc., Verr., I, 2, 6.
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 9
130 Jérôme Carcopino
où le second — la jachère — est appliqué, s'appelle «ger no-
ealis!) ou novale?). |
L’ager restibilis réclame des fumures dont CATON préconise
l'usage *) et COLUMELLE détaille les variétés“). Les novaliı peuvent
très bien s’en passer. De ces deux systèmes lequel a jadis adopté
la Sicile? Aujourd'hui, en Sicile, la règle c’est la jachère, ou,
pour parler plus exactement la culture extensive, fondée sur
l'alternance des céréales, des pätures et de la jachère propre-
ment dite). Faut-il admettre qu’autrefois la culture était inten-
sive et que les procédés maintenant suivis sont inférieurs à
ceux des anciens? |
Nous croyons au contraire que les méthodes n’ont pas varié.
Il convient d’abord de noter que la culture extensive est
en quelque sorte imposée par les conditions météorologiques de
l’île. En effet l’assolement présuppose la fumure. On ne peut
d’autre part se procurer de l’engrais que si les bestiaux stationnent.
La stabulation est elle-même impossible si l’on ne peut assurer
aux bestiaux enfermés à l’&table une provision de foin suffisante.
Mais pour avoir des prairies donnant deux ou trois coupes an-
nuelles il faut de l’eau. Or la Sicile est un pays où le niveau
pluviométrique est très has°). La culture extensive de la Sicile
1) VARRON, L. L., V, 89: « Ager restibilis qui restitulur ac reseritur
quotannis : contra qui intermittitur a novando novalis».
2) PLine, N.H.. XVIII, 19 (49), 176: «Novale est quod alternis annis
seritur>.
8) CATON, De R. R., 61: «Quid est bene agrum colere? bene arare? quid
secundum ? arare? quid terlium? stercorare».
4) CoLuM., I, 14: « Tria igitur stercoris genera sunt praecipue : quod ex
uribus, quod ex hominibus, quod ex perudibus confits.
5) Dr Rupini, Terre incolte e latifondi (dans le Giornale degli Economisti
1895, X. p. 170): «La coltura dei cereali deve in Sicilia essere fatta di regola
estensiva: grami e allevamento di bovint sono due industrie gemelle.»
De même SaıvioLı, Le latifundium Sicilien dans le Devenir social
1895, p. 452: «La culture du blé alterne avec les prairies naturelles (pâtures)
et les jachères». La superticie totale des terres soumises à cette alternance
est d'environ un million et demi d’hectares; cf. sur ce point Paur, Giniw,
Notes sur l'Italie contemporaine, 1 vol. in-12°, Paris 1902, p. 86.
6) Cf. T. Fischer, La Penisola Italiana, 1 vol. in-4°, Turin 1902,
p. 353 -354 et la carte p. 360.
La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 131
est donc liée à la sécheresse de son climat’) et on ne peut
admettre que la Sicile ancienne ait pratiqué une culture intensive
sans supposer du même coup qu’elle avait un climat tout different
du climat d'aujourd'hui. L’hypothèse en soi n’est pas absurde.
Les quantités d'humidité utilement absorbées par la terre peuvent
se modifier, au cours des temps, sous l'influence continue de
causes purement humaines, du déboisement par exemple; mais
de ces variations légères, portant plus encore sur la régularité
des précipitations et leur répartition entre les différentes saisons
de l’année, que sur leur chiffre total, à un renversement complet
il y a loin, et les Verrines nous permettent de constater que le
changement de climat n’a pas été suffisant pour entraîner avec
lu un changement des méthodes culturales ?).
Nous y lisons en effet que les propriétaires ont à la fois un
vl'icus et des pastores, c’est à dire que leurs exploitations se
divisent — comme elles se partagent encore aujourd’hui —, en
champs de céréales et en pâturages. Ainsi la fortune d’Apollonius
de Panorme est constituée en immeubles et en biens mobiliers:
les biens mobiliers sont des créances; les immeubles se sub-
divisent en troupeaux et en fermes «pecore et villis»*). Il en
va de même pour C. Matrinius, chevalier Romain. Mais le
fait le plus caractéristique à cet égard, c’est la saisie à laquelle
les percepteurs des dimes procèdent sur les terres des trois frères
Numenius, Sostratus et Nymphodorus. «Apronius, nous dit CICÉRON,
enleva l'attirail, emmena les esclaves, poussa devant lui le trou-
1) C’est ce que montre très bien Di RUDINI, op. cit., p. 170—171: «Man-
cando gl’irrigui che permettono tre ed anche quattro tagli di fieno, manca
quindi la possibilità di quelle grandi provviste di foraggio che rendono utile
la stabulazione; mancano à concimi e mancando questi ne consegue la neces-
sità di quella rotasione per la quale si supplisce al difetto di concimi»,
2) Le climat Sicilien n’a pas varié dans ses conditions essentielles, suivant
THEOBALD FISCHER, Beiträge zur physischen Geoyraphie der Mittelmeer-
länder, besonders Siziliens, 1 vol. in-8°, Leipzig 1877, p. 166.
3) Cıc., Verr., U, V, 8, 20: « Praetermittam illud etiam, de quo ante dixi,
fFortunas ejus ita constitutas fuisse familia, pecore, villis, pecuniis creditis>.
4) Cic., Verr., IL, V, 7, 15: «Ab equite Romano C. Matrinio ..., quod
ejus villicos pastoresque tibi in suspicionem venisse dixeras, HS DC abstulisti».
132 Jérôme Carcopino
peau conne instrumentum diripuit, familiaın abduxit, pecus abegit»!).
On comprend bien que sur les terres où se faisait la moisson
il ait trouvé un attirail de culture (faux, faucilles, voitures de
transport); on comprend qu'il y ait trouvé les esclaves réunis:
la moisson est l’époque de l’année où la famwlia est rassemblée
et où sa force éclate à tous les yeux”). Mais comment expliquer
la présence de ce petit bétail que désigne le mot pecus? Elle
demeure inintelligible si l’on n’admet pas l’alternance, dans le
temps et l’espace, de la prairie naturelle et du guéret. Ainsi
les moutons étaient mis dans les champs où le blé venait d’être
fauché; le blé était semé dans les pâtures que les moutons
avaient fumées. Hier comme aujourd’hui les pâturages et les
cultures étaient en Sicile deux produits conjoints *).
Quelle durée doit-on attribuer aux phases de cette alternance ?
Aujourd'hui on ne saurait poser de loi à cet égard: la longueur
du repos accordé à la terre dépend de sa fécondité“). De même
dans lPantiquité la rotation des cultures n’a pas dû suivre un
type uniforme. Il est naturel qu’elle ait changé suivant les périodes,
les régions, la situation des cultivateurs. La loi sur les dimes
nous donne sur ce point une indication précieuse. Une de ses
dispositions contraignait les cultivateurs à déclarer chaque année
le chittre de jugères qu’ils avaient ensemencés®). Si l’alternance
avait été soumise à des règles fixes, il eût été facile de savoir
pour une année donnée le nombre de jugères emblavés, car le
même chiffre fût revenu tous les deux, ou tous les trois, ou tous
les quatre ans, suivant le coefficient de rotation des cultures, et
la prescription de la loi eût été au moins superflue. Ce qui la
1) Cıc., Verr., IL, 111, 23, 57.
2) Cic., Verr., U, V, 12, 29: «Cum in areis frumenla sunt, quod et familiue
congreyantur et magnitudo servilii perspicitur».
8) Cf. Vite COMBES DE LESTRADE, En Sicile (Guide du Touriste et du
Savant), 1 vol. in-12, Paris 1902, p. 336: «La culture des céréales se faisant
à laide de la jachère, il faut utiliser les herbes qui croissent spontanémen:
pendant la période de soi-disant repos. De là les pâturages, qui n’exi-
steraient plus, s’il élait possible de semer continuellement sur les mêmes terres.
4) Dr RUDINI, op. cit., p. 171: «accordando all: terre secondn + casi uno
e due anni di riposo».
5) Cic., Verr., TI, I, 15, 38 et 51, 120.
La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 133
justifie, c’est précisément le fait que l'étendue des emblavurex
par rapport à la superficie totale du domaine variait en une
même année d’une propriété à l’autre, et dans chaque exploitation
d’une année à l’autre. |
Pour calculer d’après la surface emblavée la surface totale
«un domaine, il faut en principe multiplier la surface emblavée
par le coefficient de rotation des cultures, par 2, si cette rotation
est biennale, par 3, si elle est triennale etc. Mais au milieu de ces
fluctuations quel coefficient adopter? — Aujourd’hui on doit le
fixer à 2,5 non seulement parce que ce chiffre est une moyenne
entre la rotation biennale et la rotation triennale dont nous
constatons la coexistence en Sicile, mais parce que le troisième
mode de fractionnement des terres du latifundium sicilien, et le
plus répandu, est le suivant: 2 parcelles en blé, 2 parcelles en
päture, une parcelle en jachère proprement dite (maggese)'), ce
qui précisement donne une coefficient de 2,5. Sans nous dissi-
ınuler la part d’arbitraire qui entre dans un pareil choix, et
parce que le silence des textes ne nous laisse pas d’autre parti,
c’est également au coefficient 2,5 que nous nous arreterons pour
l'antiquité.
II. Rapport de la récolte à la semence.
Aujourd’hui les semailles se font en Sicile après que les
grosses pluies d'automne ont rendu au sol brûlé par la chaleur
de l’été toute la force de ses principes vegetatifs; et comme les
plus hautes précipitations s’y produisent à une date assez avancée
de la saison, les semailles y sont plus tardives que dans le reste
de l'Italie: elles ne commencent guère en Sicile que le 20 novem-
bre; cette date est comprise dans la période que leur assignait
1) Damiant, Atti della Giunta per la Inchiesta Agraria e sulle condizioni
della classe agricole, in-4°, Rome 1885, XII, 2, p. 52: «I latifondi si divi-
dono in cinque porzioni: sopra due delle quali si semina il frumento, du:
si lasciann a pascolo ed uno a maggese: ovvero un terzo a frumento, un
terzo a pascolo ed un terso a maggese. E pure in uso la rotasione seguente
ma nei terreni piu ricchi: 1° anno, maggese, 2° e 3° anno, frumento; 4° ann
pascoln».
134 Jérôme Carcopino
déjà PALLADIUS, entre le 23 octobre et le 8 décembre!) A cet
égard, les choses se sont passées jadis comme elles se passent
aujourd’hui. Il n’en va pas de même pour la moisson. Au-
jourd’hui le blé est récolté en Sicile au commencement de juin?).
La moisson était bien plus tardive du temps de Verrès. C’est
seulement au milieu de l'été que les familiae d’esclaves sont
groupées pour la faire). Un édit de Verrès ordonne que le
cultivateur ait livré sa dime avant les kalendes de Sextilis, c’est
à dire à la date du premier août“) (C’est donc dans le mois
de juillet que les blés sont fauchés. Chose curieuse: la récolte
des Siciliens du temps de CICERON est d’un mois en retard sur
celle des Siciliens d’aujourd’hui?°).
Quel était le rapport de la récolte à la semence, et quelle la
productivn à l’hectare? CICERON nous renseigne pour Léontini
mais pour Léontini seulement. «Dans un jugere®) de Léontini,
1) PALLADIUS, XI, 1: «Justa satio est a decimo kalendas novembres
usque ad sextum idus Decembres».
2) NISSEN, Italische Landeskunde, 3 vol. in-8°, Leipzig 1880-1901,
I, p. 400.
8) Cıc., Verr., Il, V, 12, 29: «Cum vero aestas summa esse coeperat,
cum in areis frumenta sunt, quod et familiae congregantur>.
4) Cıc., Verr., I, III, 14, 36: «Ut ante kalendas Sextilis omnes decumas
ad uquam deportatas haberent».
5) Nissen, (op. cit., I, 400) donne de ce fait, qui n’est pas isolé, une
raison plausible: c’est, dit-il, que les températures en dessous de 7°, trop
basses pour permettre à la plante de germer, duraient alors vingt jours de
plus qu’aujourd’hui, ce qui retardait de 20 jours la maturité des épis.
6) Il va nous arriver, à tout instant, au cours de ces discussions, de parier
de jugères et de médimnes, de modii et de sesterces. Toutes les fois que
la clarté de l'exposition l’exigera nous donnerons les équivalents en hectares,
hectolitres et francs. Le jugère (cf. HuL'rscH, Römische Metrologie, 2me édit.
in-8°, Berlin 1882, p. 85—86 et 659, et BoucHÉ-LECLERCQ, Manuel d’Insti-
tutions Romaines, in-8°, Paris 1883, p. 572—574 et 580) vaut 25 ares 182;
le modius 8 litres 75; le médimne 52 litres 63, le sesterce 21 centimes. Pour
simplifier les calculs nous évaluerons toutes ces mesures en chiffres ronds,
le jugère au quart de l’hectare; le médimne au :/ hectolitre. Dans la fixation
du cours des grains à l’hectolitre nous supposerons qu’il n’y a que 10 modü
dans un hectolitre et par compensation nous élèverons le sesterce à 25 centimes.
Le procèdé est peu scientifique; comme ses chances d'erreur se neutralisent,
il nous conduira néanmoins à des résultats suffisamment approchés: 12 modii
La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 135
par une règle à peu près constante, on sème un médimne de
blé environ. La terre rend huit fois la semence quand l’année
est bonne, dix fois quand tous les dieux s’en mêlent.» «In jugero
Leontini agri medimnum fere tritici seritur perpetua atque aequabili
satione; ager efficit cum octavo, bene ut agatur; verum ut omnes
dii adjuvent, cum decumo»!). M. J. BELOCH adopte ces chiffres
sans l’ombre d’une hésitation ?). M. Hozm*) et M. FRANCHINA‘)
en contestent au contraire la véracité. (Comme eux, nous pen-
sons que CICÉRON, pour augmenter les sympathies dont ses
clients pouvaient être l’objet, a diminué le chiffre de leurs affaires
et masqué toute une part de leurs bénéfices.
Cet intérêt de CicÉRON est trop évident. Les exactions de
Verrès apparaîtront comme d'autant plus odieuses que les victimes
seront plus misérables, et, la condition des cultivateurs étant d'autant
plus mauvaise qu’ils sèment davantage pour récolter moins, il
y a fort à parier pour que CICÉRON ait grossi le chiffre de la
quantité semée, diminué la quantité récoltée à Léontini: c’est
ce dont nous allons nous rendre compte.
1° Le chiffre de la quantité semée a été grossi. En effet la
moyenne des semences fixée par les agronomes latins®) — cinq
modii — est d'un modius inférieure‘) au chiffre indiqué par
CicÉRON. Mais dira-t-on la quantité de semence varie suivant
les terrains, et il se pourrait que le sol de Léontini reclamät
une semence supérieure à la moyenne? Il se pourrait, mais il
n’en est rien. Léontini est tout le contraire d’un sol maigre
et pauvre. Or les sols riches sont ceux qui produisent la
plus grande quantité de grains avec la plus petite quantité de
— 106 litres x 21 centimes = 22 francs 05; 10 modii = 87 litres x 25 cen-
times = 21 francs 75; l’écart, on le voit, n’est pas très considérable.
1) Cıc., Verr., I, IU, 47, 112.
2) J. BELOCH, op. cit., p. 272.
3) Hozu, Geschichte Siziliens im Alterthum, 3 vol. in-8, Leipzig 1877
bis 1898, I, p. 36.
4) FRANCHINA, op. cil., p. 19.
5) VARRON, De KR. R., 1, 44: «Seruntur fabae modii IV in jugero, iri-
dick V». — PLixE, N. H., XVIIL 198: <Serere in jugera temperato solo justum
est tritici aut siliginis modiis Vi.
6) Un médimne vaut en effet six modiü, exactement.
136 Jérôme (‘'arcopino
semence !). COLUMELLE va jusqu’à soutenir que les terres me-
diocres seules exigent une semence de cinq modii; à son avis
les terres grasses doivent se contenter de quatre modii?), chiffre
de deux modii inférieur à celui donné par CICÉRON. Enfin si
l'on se reporte à la quantité semée aujourd’hui dans la région
de Sicile qui fut autrefois l’ager Leontinus, on constate qu'elle
est exactement égale à la quantité moyenne précitée. On y semait
en 1894, 1 hectolitre 75 par hectare”), ce qui fait exactement
43 litres 75 ou 5 modii par jugère. Pour toutes ces raisons nous
conclurons que CICÉRON a outrepasse la vérité dans l’appréciation
des semences.
Il s’est au contraire laissé distancer par elle dans l’appréciation
de la récolte. Cette récolte aurait été, d’après lui, de 8 médimnes
au jugère ou 16 hectolitres à l’hectare dans les bonnes années,
10 médimnes au jugère ou 20 hectolitres à l’hectare dans les
années excellentes. Ces chiffres en eux-mêmes seraient satisfaisants :
ce sont les chiffres des bonnes terres de France“). Néanmoins
ils sont inférieurs à ce que fut la réalité.
D'abord il est à noter que l’inexactitude par défaut que noux
venons de constater crée maintenant une présomption d’inexacti-
tude par excès, l’une et l’autre devant attirer à Verrès une plus
vive réprobation. Il est à remarquer ensuite que ces chiffres ne
correspondent ni avec l’idée que CICERON et d’autres encore
donnent par ailleurs de la fertilité de Léontini, ni avec les notions
que nous trouvons chez les agronomes anciens sur le rapport de
la récolte à la semence dans les sols riches. Il est entendu que
Léontini est situé dans la région de la Sicile la plus féconde
1) PuixE, N. H. XVIO, 199: « Pinguia arva ex uno semine frutierm
numerosum fundunt, densamque segetem ex raro semine emittunt».,
2) COLUMELLE, II, 9: eJugerum agri pinguis plerumque modios tritici
quatuor, mediocris quinque : si est lactum solum adorei novem, si mediocre
decem desiderat:.
3) Ce chiffre est donné par la Real-Encyklopädie de PAULY-WIESOWA,
l, p. 276, v° Ackerbau.
4) Cf. PAUL Guio, op. eit., p. 63. La production moyenne en Sicile est
actuellement de 11 hectolitres environ par hectare, en Angleterre de 31h. 6,
en France de 15 à 17 hl, en Autriche de 16 hl. en Hollande de 28 hl, en
Danemark de 27 hl, en Vénétie de 33 hl.
La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 137
«in uberrima Siciliae parte» ?). Léontini est à la tête de la pro-
duction: <caput est rei frumentariae» *); c’est le roi des cantons,
«principes rei frumentariae»°). Au dire de DioDoRe le blé poussait
à létat sauvage dans la terre de Léontini comme dans la terre
de toutes la meilleure“), et Héraclès, racontait la légende, en
voyant le pays, n'avait pu retenir un cri d’admiration®). D'autre
part il ressort d’un texte de VARRON qu’en Italie un grain de blé
produisait couramment dix grains). Si done CICERON nous
avait transmis des renseignements exacts, nous aurions à nous
demander comment il a pu nous célébrer comme supérieure la
fertilité d’un pays où la semence rend au maximum ce que l'Italie
rend en moyenne: 10 pour 1? Enfin les données de CICÉRON
sont contredites par les affirmations des géographes anciens ct
ne concordent pas mieux avec celles des géographes modernes.
PLINE rapporte scriensement que le blé rendait 100 grains pour
un dans la plaine de Leontini «cum centesimo quidem Leontini
Siciliae campi fundunt» '); et même si on considère cette fécondité
comme exceptionnelle, du moins est-on obligé de convenir qu'une
telle exception s'accorde mal avec la règle que CicÉRON voudrait
faire prévaloir. Les statistiques lui donnent tort aujourd'hui
encore. Assur&ment, en 1892, 1 hectolitre 75 de semence n’a
produit à l’hectare que 7 hectolitres 11 de récolte dans la plaine
de Léontini*). Assurément, dans les dernières années, la moyenne
générale de production du blé dans l'île n’a été que de 11 hec-
tolitres 31 à l’hectare*), la terre ne rend ainsi que six ou sept
1) Cic., Verr., II, III, 18, 47.
2) Cic., Verr., U, HI, 18, 47.
3) Cıc., Verr., IX, LI, 46, 109.
4) Diop., V, 2, 4-—6.
») Dion., IV, 24, 1.
6) Cf. Varkox, De R.R., I, 44, 9: « Ut ex eodem semine aliubi cum decimo
redeat, aliubi cum quinto decimo, ut in Etruria locis aliquot. In Italia in
Subaritano dicunt etiam cum centesimo redire solitum: in Syria ad Gadara
et in Africa ad Bysacium ilem ex modio nasci centum».
7) Pıme, N. H., XVII, 10, 9.
8) Ces chiffres sont donnés dans la Real- FEncyklopädie de PAULY -WISSOWA,
art. Ackerbau, I, 275.
9) PAUL GHIO, op. cit., loc. cit.: «La moyenne de ce rendement atteint lout
juste 11 lectolitres par hectare». Dans les dix dernières années le rendement
138 Jérôme Carcopino
fois plus de grains qu’on n’y en a semé. Mais le premier de
ces chiffres, relatif à la plaine même de Leontini, est emprunté à
une année qui a été la plus mauvaise d’une période de dépression
générale dans la production Sicilienne!). Quant à la moyenne
des dix dernières années, calculée sur l’île tout entière, elle ne
saurait valoir pour le canton de l’île le plus fertile. Et en
réalité des rendements beaucoup plus forts nous sont habituelle-
ment signalés dans cette région: 10 à 16 grains pour 1 dans
les années ordinaires, 28 grains pour 1 dans les années privi-
légiées, soit un rendement exceptionnel de 39 hectolitres à l’hectare
et un rendement moyen de 23 hectolitres 50 litres”). Est-il
donc admissible, quand les procédés de culture n’ont pas changé,
que la production antique ait été inférieure à la production mo-
derne? Est-ce admissible, quand on n’a jamais cessé depuis lors
de demander du blé à la terre, sans jamais la renouveler ni
l’enrichir? Est-ce admissible surtout quand les conditions elima-
tériques étaient plus favorables à la production autrefois qu’au-
Jourd’hui? La Sicile antique était un pays boisé. ATHENEE parle
des forêts qui couvraient l’Etna, et où Hiéron fit prendre le bois
dont il construisit les navires de sa flotte*). DIoDorE nous dresse
un tableau enchanteur des Montes Heraei avec leurs chênes
gigantesques, leurs vignes, leurs pommiers dont les fruits suf-
firent à nourrir toute une armée Carthaginoïise“). Aujourd'hui
tous ces arbres ont disparu. Ils n’exercent plus sur les pluies
leur action modératrice. (Certes, ainsi que le dit FiscHEr, ilya
trois mille ans comme aujourd’hui, il y avait une saison sèche et
une saison pluvieuse; mais elles étaient moins nettement séparées;
la première était moins longue et moins intense; la forêt con-
servait plus longtemps qu’aujourd’hui l’humidité et la fraîcheur.
a 666 de 11,31, cf. Bollettino di Legislazione e Statistica commerciale, ann.
1902, p. 1506.
1) Voici la moyenne de production de cette période en hectolitres et à
l’hectare. En 1891, 11 hi 74; en 1892, 6 hl 38; en 1893, 7 hl 55; en 1894,
9 hl 66. Cf. Gassetta Ufficiale du 24 mars 1896, n° 70 p. 7.
2) Cf. les chiffres donnés par Fıscien, op. cit., p. 158; Nissen, op. cit.
I, p. 361; HOLM, op. cit., ID, p. 161.
55) ATHENEE, V, 206.
4) Dionork, IV, 84, 1.
La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 139:
et, plus tard au printemps, plus tôt à l’automne, condensait en
pluie la vapeur d’eau charriée par les vents équatoriaux !).
Quelle vraisemblance que la terre ait alors produit moins qu’au-
jourd’hui, quand elle bénéficiait de pluies plus régulières et plus
également réparties ?
En contradiction avec les faits comme avec les textes, CICERON
nous a trompés sur les deux termes du rapport de la récolte à
la semence et l’a diminué volontairement. !
Essayons maintenant de déterminer le rapport véritable. Les
accusations de CICERON contre Apronius vont nous aider.
Apronius fut décimateur pour le canton de Léontini la troi-
sième année de la préture de Verrès, soit en 71. A en croire
l’orateur il poussa jusqu’à la perfection l’art d'exploiter les con-
tribuables, au point de réaliser sur une dîme affermée pourtant
beaucoup plus que son prix — 36000 médimnes — 18900 hec-
tolitres — un bénéfice personnel plus gros que la dime elle-
même, jusqu’à 400000 modii = 35000 hectolitres?). Il va de.
soi que plus le chiffre d’adjudication consenti par Apronius était
exagéré moins le gain était légitime. CICÉRON a donc tout par-
ticulièrement insisté sur l’exageration de l'enchère, 36000 mé-.
dimnes, une erreur ou plutôt une folie*), si l’enchérisseur avait
été honnête, et qui l’eût mené droit à la ruine s’il s'était con-
tenté, comme la loi lui en créait l’obligation, de demander à
chaque cultivateur le dixième de sa récolte et non sa récolte
tout entière. Et la preuve que l'enchère aurait été insensée si elle
n’eüt été criminelle, c’est qu'en évaluant selon les prévisions les
plus favorables le produit total de la récolte à Léontini, on ne:
pouvait dépasser une dime de 30000 médimnes —= 15 000 hecto-.
litres. Mais cette dernière assertion ne repose elle-même que
sur des chiffres dont nous contestons l’exactitude: chiffre de
l’ensemencement, un médimne par jugère, que nous avons démontré-
1) Cf. FISCHER, op. cit., p. 166.
2) Cıc., Verr., II, III, 46, 111.
8) Cıc., Verr., Il, DI, 47, 113: «In Leontino jugerum subscriptio ac-
professio non est plus XXX. Decumae XXXVI medimnum venierunt..
Erravit aut potius insanivit Apronius».
140 Jérôme Carcopino
supérieur à la réalité; chiffre du rapport de la récolte à la se-
mence, 8 ou 10 pour 1, que nous lui soupçonnons inférieur.
En effet un autre acquéreur, C. Minucius s’etait présenté devant
Verrès cette année là et avait offert de la dîme de Léontini un
chiffre beaucoup plus élevé. «Si je prouve, dit CicERoN à Verrès,
si je prouve que Verrès aurait pu vendre la dime beaucoup plus
cher, et qu’il n’a pas voulu l’adjuger à ceux qui mettaient des
enchères sur Apronius, et qu’il l’a adjugée à Apronius beaucoup
moins cher qu'il n'aurait pu la leur adjuger à eux mêmes, si je
le prouve, est-ce qu’Alba lui-même, Alba le plus ancien, je ne
dis pas de tes amis, mais de tes amants, pourra t’absoudre»!)?
CicÉRON a bien senti la contradiction: il a mis entre les deux
griefs une distance respectable. Il reproche a Apronius d’avoir
acheté cher la dime de Léontini aux chapitres 47 et 48; à Verrex
de la lui avoir vendue trop bon marché aux chapitres 63 et 64.
Il a eu soin encore d’ajouter que Minucius se fût bien gardé
d'offrir de la dime un prix supérieur à sa valeur reelle, s'il
n’avait su que les nouveaux édits prétoriens donnaient au déci-
mateur toute latitude de se rattraper aux dépens des contri-
buables?). Mais cette raison explique seulement pourquoi Minu-
cius a proposé 41000 médimnes de la dime de Léontini, au
lieu de son prix véritable; elle ne prouve pas que ce prix ait
été de 30000 médimnes, estimation de CICERON, plutôt que de
36000 médimnes, estimation d’Apronius.
La meilleure preuve qu’Apronins a dû payer la dime son prix,
mais rien que son prix, c’est qu'il n’a été dans l'affaire que
l'associé, le prête-nom de Verrès”). Si réel) qu'on suppose
1) Cic., Verr., IL Il, 63, 148: «Si doceo pluris aliquanto potuisse ven-
dere neque iis voluisse addicere, qui contra Apronium licerentur, et Apronio
multo minoris quam aliis potueris vendere, si hoc doceo, poteritne te ipse
Alba, tuus antiquissimus, non solum amicus sed etiam amator absolvere?:.
2) Cıc., Verr., II, Il, 64, 150: «Quia tuis novis edictis et iniquissimis
iastitutis plus aliquanto se quam dcumas ablaturum videbat, idcirco longius
progressus est:.
3) Cette association de Verrès et d’Apronius, CICÉRON ne se contente
pas de l’affirmer, il la prouve. Ce n’est pas un bruit forgé à Rome pour
les besoins de la cause. L’accusation est née en Sicile, il y a longtemps,
non de là haine d’un adversaire, mais de l'évidence des faits (Cıc., Verr.,
La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 141
son désir de conclure avec les fermiers de l’impôt des conventions
avantageuses pour l'Etat, et par conséquent pour lui-même, dont
elles accroissaient le prestige auprès de la plèbe romaine et des
comices électoraux, le préteur néanmoins n'avait aucun intérêt
à adjuger la dîme au delà de sa valeur; et puisqu'il était bien
décidé à l’adjuger à Apronius envers et contre tous, on ne voit
pas pourquoi il aurait laissé monter à son détriment les enchères
jusqu’à un prix déraisonnable.
Nous sommes donc autorisés à conclure que 36000 médimnes
représentaient l'évaluation tout au plus optimiste du dixième
de la récolte totale de Léontini pour l’année 71, ce qui porte
cette récolte totale à 360000 médimnes = 180000 hectolitres.
Or 30000 jugères = 7500 hectares seulement ont été ensemencés;
le rendement a donc été de 12 médimnes = 72 modiü au jugère,
soit 24 hectolitres à l’hectare. Et comme on sème à Léontini
une quantité constante de grains, environ 5 modii par jugère
(1 h! 75 à l’h°), la récolte de 71 fut à la semence comme 14 est
à 1. Mais il ne faut pas prendre pour rendement moyen de la
Sicile entière le rendement du seul canton de Léontini: on
tomberait dans l'erreur inverse de celle qu’a commise CICÉRON,
et les résultats, cette fois, pècheraient par excès.
Pouvons-nous connaître ce rendement moyen? Les chiffres
précités de CICÉRON vont nous en fournir indirectement une éva-
luation probable et approchée. CicÉRON, en effet, n’a pu tromper
ses lecteurs sur le rendement de Léontini qu’autant que leur
IL, I, 61, 141). Timarchides, un des appariteurs de Verrès, l'écrit dans une
luttre à Apronius (Cıc., Verr., II, III, 67, 157). Verrès l’a avoué lui-même
en travaillant d’abord à empêcher le scandale qu’aurait à coup sûr provoqué
la sponsio déposée par L. Rubrius sur le point de savoir «si Apronius n’avait
pas répété bien souvent qu’il était l’associé du préteur dans les dimes» (Cıc.,
Verr., OD, LU, 57, 132); et ensuite en contraignant sans jugement le chevalier
Romain P. Scandilius à verser 5000 sesterces, montant de la sponsio qu'il
avait déposée à son tour en des termes identiques (Cıc., Verr, U. TITI.
60, 135). Enfin le préteur qui a succédé à Verrès, L. Metellus, la reconnu
également, puisque il s’est opposé à ce que le sénateur L. Gallus intentât à
Apronius une action pour menaces et violences, sous le prétexte qu'une
condamnation prononcée contre l’ancien décimateur préjugerait la question
de la culpabilité de l’ancien préteur (Ci. Verr., IT. ITI. 65, 152).
4) Cf. Cic., Verr., II, II, 16, 40.
142 Jérôme Carcopino
ignorance le permettait. Or s’il était permis d'ignorer le chiffre
exact du rendement des terres de Léontini, quelques-uns pou-
vaient savoir à peu près ce que rapportaient dans leur ensemble
et en moyenne les terres de Sicile. CICERON ne pouvait guère
faire descendre le rendement de Léontini au-dessous du rende-
ment qui leur était généralement attribué. Aussi a-t-il dû se
contenter de ramener la récolte de Léontini à la moyenne des
récoltes. Sa supercherie aurait consisté, selon nous, à parler du
plus fertile des cantons de l’île comme d’un canton ordinaire, et
a réduire une production exceptionnelle au chiffre de la pro-
auction normale. Et nous n’avons qu’à appliquer au reste de
l'île les chiffres que CICÉRON nous a donnés pour Léontini, et
à conclure qu’en Sicile un jugère produisait 8 médimnes de blé
dans les années ordinaires (16 hectolitres à l’hectare) et dix
médimnes dans les années excellentes (20 hectolitres à l’hectare).
La moyenne de production serait donc soit le premier de ces
deux chiffres soit un chiffre à peine plus élevé: + 8 médimnes
— + 48 modii par jugère. Et comme la quantité de semence
employée gravitait chaque année autour de 5 modii par jugere
(1 u! 75 par h°), la récolte était à la scmence comme + 48 est
a 5, soit comme 10 est à 1.
III. Les cours des céréales.
Quel était le cours du blé en Sicile au temps de Cicéron?
Sons la préture de Verres, le blé valait à Petra 15 sesterces
le medimne, scum esset medimnum HS XV»!). On le payait
le même prix à Lipara. «Par les dieux immortels, s’écrie CıcErox.
Verres a-t-il done vendu si bas la dime de Lipara, que la cité
ait pu de son propre mouvement ajouter, séance tenante, 30000
sesterces aux 500 médimnes qui lui étaient déjà demandés, ce
qui fait 2000 medimnes en «us» ?)? (Chacun de ces 2000 mt-
1) Cıc., Verr., U, IT, 39, 90. ,
2) Cıc., Verr., Il, III, 37, 84: =/psi (Liparenses) accipere decumas el
numerare Valentio coguntur lucri HS XXX. Per Deos immortlales! Utrum
tibi sumes ad defensionem, tanione minoris te decumas vendidisse, wi ad
medimna DC HS X XX statim sua voluntate civitas adderet, hoc est tritici
medimnum II an...?». De même Cie, Verr., IL, III, 74, 173.
La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 143
dimnes était donc taxé à 15 sesterces, ce qui met le cours
à 6 francs 30 l’hectolitre (valeur intrinsèque). A Agyrium au contraire
quand Apronius vient réclamer en sus de la dime un bénéfice
personnel de 33000 médimnes, le blé vaut 18 sesterces le médimne.
CicérRox remarque en effet avec beaucoup de justesse que les
cultivateurs d’Agyrium eussent certainement mieux aimé, le jour
de l’adjudication, offrir de leur dîme 2000 médimnes de plus,
que de donner ainsi 600000 sesterces à Apronius!): 600000
sesterces constituent l’équivalent en argent des 33000 médimnes,
ce qui met le médimne à 18 sesterces *) et l’hectolitre à 7 francs 50.
Enfin il est arrivé sous la préture de Verrès que le blé s’est
vendu 12 sesterces le medimne, 5 francs l’hectolitre*). Mais ce
cours devait être assez rare puisque Verrès s’en vantait comme
d’un fait extraordinaire: egloriabatur». Ces trois cours sont diffé-
rents: cherchons par une autre voie le prix moyen du blé en
Sicile à cette époque.
Après la dîme qu'ils doivent acquitter sans que l’Etat les
indemnise, les cultivateurs des ccivifates decumanae» sont tenus
encore 1° de fournir une seconde dîme de blé, 2° de participer
à un impôt extraordinaire de 800000 modii, 3° de satisfaire à
toute les réquisitions du préteur approvisionnant sa cella.
Mais ces trois contributions sont remboursees par l'Etat, la
première à raison de 3 sesterces le modius, 18 sesterces le mé-
dimne, 7 francs 50 V’hectolitre?); la seconde à raison de 3 se-
sterces !/2 le modius, 21 sesterces le medimne, 8 francs 75 l’hecto-
litre); la troisième à raison de 4 sesterces le modius, 24 sesterces
1) Cıc., Verr., Il, UI, 30, 72: «Imperas ut Apronio dent lucri tritici
nedimnum AAXI. Profecto si pretium exquisisses diligenter, tum cum
vendebas, X ınedimnum potius addidissent quam HS DC. postea.
2) 600000 est un chiffre rond pour 594.000.
3) Crc., Verr., I, UI, 75, 174: «Modius fuit autem te praetore, ut tu
in multis epistulis ad amicos tuos gloriaris, HS II».
4) Cıc., Verr., U, IH, 70, 163: Pretium autem constitutum decumano
in modios sinqulos HS III.
5) Cic., Verr., II, LI, 70, 163: - Pretium autem ronstitutum . . . imperato
HS III S..
144 Jérôme Carcopino
le médimne, 10 francs l’hectolitre!} L’un de ces trois tarit
représente-t-il le cours moyen que nous voudrions connaître?
Le dernier tarif lui est supérieur: CicERON aceumule les épi-
thètes pour louer le Sénat de la munificence dont il fit preuve
en portant à ce taux de 4 sesterces l'estimation du modiu:
coptime ac benignissime egisset, large liberaliterque aestimasset» ).
Les deux autres tarifs semblent se rapprocher davantage de la
moyenne. Au lieu qu’un simple sénatus-consulte en décide comme
du précédent, ils ont été établis par une loi°), une fois pour toutes,
et par conséquent d’après les cours les plus habituels. Suivant
CiCÉRON le tarif de 3 sesterces ‘/2 le modius est supportable,
«{olerabiliss, en temps ordinaire“), ce qui laisse supposer quil
est calqué sur la moyenne même des cours. Mais, dans le même
passage, l’orateur est bien obligé de convenir que sous la préture
de Verrès ce fut une bonne aubaine pour les cultivateurs. Pent-
être même le mot folerabilis ne correspond-il pas à la réalité?
Peut-être CICERON représente-t-il comme simplement tolérables
des conditions dont les Siciliens étaient les premiers à se féli-
citer? Le tarif de la seconde dime, dont CICÉRON a moins parlt,
cadrerait mieux encore, selon nous, avec la notion d’un cours
moyen. Il est d’une application beaucoup plus étendue que le
précédent; nous en trouvons un exemple dans la préture de
Verrès où il coïncide précisément avec le plus haut prix que
CICÉRON nous ait signalé. Aussi, quand nous aurons à calculer
la valeur en argent d’une certaine quantité de blé, est-ce à raison
de 18 sesterces le médimne = 7 francs 50 l’hectolitre, que nous
effectuerons l'opération requise. Mais, à vrai dire, il n’y a pas
eu de cours moyen du blé dans la Sicile des deux derniers
siècles avant l’ère. De notre temps la multiplicité des centres
1) Cic., Verr., II, II, 81, 188: « Nam cum ex senatus consullo et ex
leyibus frumentum in cellam ei sumere liceret idque frumentum ita aest-
masset : IIS quaternis tritici modium».
2) Cic., Verr., Il, III, 88, 204.
3) Cic., Verr., II, III. 75, 174: <Est enim modius lege aestimatlus.
Ct. Ibid. TI, U], 70, 163.
4) Cie, Verr., I, Il, 75, 174: «Cum aeslimalio legis ejusmodi sit, ut
eeleris temporibus tolerabilis Sieulis, te praetore, etiam grata esse debuerits.
La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 145
de production, la rapidité des communications qui les unissent -
au reste de la terre, les savantes combinaisons des taxes doua-
nières règlent la production et égalisent les prix: ainsi de 1800
à 1890 le prix moyen du blé en France a été de 21 francs les
cent kilogrammes avec un maximum de 36 francs 16 en 1817
et un minimum de 14 francs 48 en 1860!) Les variations
étaient autrement considérables dans l'antiquité en général et
dans la Sicile Romaine en particulier. Comme aujourd'hui le
blé était d'autant moins cher que la récolte était plus abondante
(et c'est pourquoi Verres se glorifie dans une lettre à un ami
d’avoir vu sous sa préture le blé de Sicile tomber à 2 sesterces
le modius = 5 francs l’hectolitre; il se vendait alors d'autant mieux
qu’on en avait moins à vendre”); mais par suite du plus grand
isolement des centres producteurs on passait bien plus vite d’une
plus grosse mévente à une plus pauvre disette; et réciproque-
ment. La Sicile semble à première vue trop petite pour que
le blé ait été estimé a des prix très différents dans des ventes
faites en même temps sur différents points de son territoire. Et
CICERON déclare avec une belle assurance que tout cultivateur
de Sicile aurait, n'importe où dans l’île, trouvé à acheter du blé
au prix où il aurait vendu le sien sur place”). Mais d’un aveu
échappé à CICÉRON deux paragraphes plus bas, il ressort qu’à la
même date, certains cantons de Sicile vendaient leur blé cinq francs
soixante l’hectolitre, et certains autres neuf francs‘). On ne peut
pourtant pas regarder comme négligeable un écart de 35 °/,. Les cours
passent par les plus extraordinaires vicissitudes d’une année à l’autre.
Sex. Peducaeus gouverna la Sicile deux ans. La première année
1) GAROLA, Les Céréales, 1 vol. in-12°, Paris 1895, p. 25; moyenne 16 fr. 80
à l’hectolitre.
2) Cic., Verr., I, IL, 98, 227: « Annona porro pretium nisi in calamitute
fructuum non habet; si autem ubertas in percipiundis fructibus fuit, conse-
quitur vilitas in vendundis, ut aut male vendundum intellegas, si bene
processil, aut male perceptos fructus, si recte licet vendere».
8) Cic., Verr., II, II, 83, 192: «In Sicilia vero ... quo quisque vehere
jussus esset, ibi tantidem frumentum emeret, quanti domi vendidisset».
4) Cıc., Verr., Il, II, 84, 194: « Verum enim vero, cum esset HS binis
aut ciiam ternis, quibus vis in locis provinciae . . .».
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgesehichte. IV. 10
146 Jérôme Carcopino
le blé était à vil prix; la seconde il était hors de prix‘). Dans
une même année, d’une saison à l’autre, les variations sont stupé-
fiantes. Au mois de mars 74, C. Sacerdos arrive dans sa pro-
vince de Sicile, où d’ailleurs il ne resta qu'un an. Son premier
soin est d’approvisionner sa cella; mais les cultivateurs lui de-
mandent de bien vouloir exiger d’eux une contribution en argent
au lieu de l'impôt en nature, car ils auraient trop perdu à le
payer: le blé valait alors cinq deniers le modius, soit 50 franes
l’hectolitre*). La même année, eodem tempore, après la moisson,
«post messem», M. Antonius Creticus, revêtu de l’imperium
uequum, débarque dans l’île et exige à son tour du blé «in ce/-
lam> des cultivateurs Siciliens: mais cette fois ils offrent leur
blé pour rien; il est tombé en quatre mois à un prix dérisoire
esumma in tvilitite»®). Du reste, d'une manière générale, on peut
dire que le cours du blé se règle sur le cours des saisons‘).
Jadis comme aujourd’hui plus on s’eloignait des mois où l'on
fait la récolte, et plus le blé était cher. Mais les limites entre
lesquelles le cours du blé se déplace étaient jadis beaucoup plus
éloignées l’une de l’autre”). Nous manquons de données pre-
cises sur le cours de l’orge. Nous savons seulement que l'orge
tait comprise dans le frumentum in cellum; et que le Sénat, en
même temps qu'il avait fixé le prix du blé à 4 sesterces, avait
1) Cıc., Verr., Il, III, 93, 216: «Sex. Peducaeus biennium provincian
obtinutt. Cum alter annus in vilitate, alter in summa caritate fuerit ...»
2) Cıc., Verr., I, I, 92, 214: «Sacerdos ut in provinciam venit, fru-
mentum in cellam imperavit. Cum esset ante novum tritici modius denariis V,
peliverunt ab eo civitates ut aestumaret».
3) Cic., Verr., U, II, 92, 216: « Eodem tempore Antonius denarüs IL
austimavit post messem summa in vilitate, cum aratores frumentum dare
gratis mallent».
4) Cıc., Verr., U, II, 92, 215: «Quod nisi omnis frumenti ratio ex
temporibus esset et annona...» L’&cart entre le prix de Sacerdos et celui
de Creticus tient à ce que Creticus fit sa réquisition post messem, tandis que
Sacerdos y procéda ante novum.
5) L'année 1902—1903 a été en France une de celles où la différence
des cours suivant les saisons s’est fait le plus vivement sentir (il a même
été question de suspendre le droit de 7 francs par quintal métrique). Le
cours le plus bas a été de 14 francs: le cours le plus haut de 21 francs,
l’écart de 7 francs environ.
La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 147
estimé l'orge à 2 sesterces le modius, soit 5 francs l’hectolitre !).
Or nous avons constaté que le prix légal du blé requis in cellum
était supérieur à son prix vénal. Il est naturel par conséquent
de penser que l'orge requise in cellam était également surfaite.
Du moins le rapport du prix de l’orge au prix du blé !/s, est-
il à retenir, quels que soient du reste les termes de ce rapport.
Si dans nos calculs nous supposons que le prix ordinaire dn blé
est de 3 sesterces le modius, nous sommes donc tenus d’assigner
à l’orge un cours moyen de 1 sesterce ‘/1 le modius, soit 9 se-
sterces le médimne, soit 3 francs 75 l’hectolitre. Mais les raisons
qui ont fait subir tant de changements, et de si considérables,
aux prix du blé, subsistent pour l’orge, et nous admettons que
le cours en a varié tout autant. Les chiffres moyens auxquels,
au milieu de toutes ces fluctuations, nous nous sommes arrêtés,
sont très élevés, si on les compare à ceux, par exemple, que
nous donne POLYBE pour la Lusitanie et la Gaule cisalpine, en
des passages que M. CoRsETTI a analysés”). En Lusitanie le
cours du blé aurait été de 9 oboles le médimne, soit 3 francs
l’hectolitre; celui de l’orge de 1 drachme le médimne, soit 2 fr.
l’hectolitre *). En Gaule cisalpine le cours du blé aurait été
4 oboles le médimne soit 1 fr. 50 l’hectolitre et celui de l’orge
de 2 oboles le médimne, soit O fr. 75 l’hectolitre“). Cette supé-
riorite des cours Siciliens s'explique par la facilité de l’exporta-
tion qui empêchait les méventes locales. Elle n’est guère com-
patible avee une main d'œuvre à vil prix, et nous prépare déjà
à l’idée que la Sicile antique n’était le pays, ni des grands do-
mains en la possession d’un seul propriétaire, ni des multitudes
d'esclaves au service d’un seul maître.
IV. Production totale et superficie cultivée.
Les discours de CICÉRON vont également nous permettre de
déterminer, en partant du chiffre des dimes, le chiffre de la pro-
1) Cıc., Verr., Il, III, 81, 188: « Cum ... id frumentum senatus ita aestu-
masset: HS quaternis trilici modium, binis hordei».
2) CORSETTI, Sul prezzo dei grani nell’ antichità classica, dans les
Studi di Storia antica de BFLOCH, Rome 1893, fasc. 2 p. 88, 89.
3) POLYBE, XXXIV, 8, 7.
4) POrYBE, Il, 16, 1.
118 Jérôme Carcopino
duction totale du blé en Sicile pendant la préture de Verrèt.
Nous lisons au chapitre 70 du discours de re frumentaria que
chaque année le préteur était chargé d'acheter aux villes sou-
mises à la dîme une quantité de blé égale à celle qu’elles ve-
naient de fournir gratuitement de ce chef. Mais cette seconde
dîme était remboursée à raison de 3 sesterces le modius = 7 franc
50 l’hectolitre. A cet effet Verres reçut chaque année, pendant
les trois ans de sa préture, une somme d'environ 9 millions de
sesterces; c’est donc que les contribuables lui avaient livré
3 millions de modii ou 500000 médimnes. La récolte totale,
supérieure dix fois à ce nombre, s'élevait donc à cinq millions
de médimnes ou 2500000 hectolitres'). Mais l’inconvénient
de ce premier calcul est de reposer en dernière analyse sur un
chiffre rond dont CICÉRON avoue lui-même l’inexactitude et l'excès:
«fere ad nonagiens».
Nous pouvons approcher la vérité de plus près. En payant
les cultivateurs, le scribe retenait ‘/2: des sommes qu'il était
chargé de leur distribuer au nom du preteur?). Or Verrès avoua,
lors de son procès, que son scribe avait réalisé de la sorte, en
trois ans, un bénéfice de 1300000 sesterces*). En multipliant
cette somme par 25, nous obtenons le total des sesterces que le
scribe avait reçu mission de répartir entre les cultivateurs, de
l’année 74 à l’année 70, soit 32500000 sesterces. Il est vrai
qu'avec ces 32500000 sesterces le scribe n'avait pas seulement
remboursé la seconde dime mais encore une contribution sup-
plémentaire de 800000 modii, prelevés annuellement en dehors
de la seconde dime et remboursés au tarif de 3 sesterces !:
1) Cıc., Verr., IT, LIL, 70, 163: «Emundi duo yenera fuerunt, unum
decumanum, alterum quod praeterea civilatibus aequaliter esset distributun ;
illius decumani tantum, quantum ex primis decumis fuisset. Pretium auten
constitutum decumano in modios singulos HS III. Ita in annos singulos
Verri decernebatur, quod aratoribus solveret in alteras decumas [HS] fere ad
nonagiens».
2) Cic., Verr., II, III, 78, 181: «Scribue nomine de tota pecunia binae
quinquogesimae detrahebantur».
8) Cıc., Verr., U, DI, 80, 184: «Tu ex pecunia publica HS terdeciens
seribam tuum permissu tuo cum abstulisse fateare, reliquam tibi ullam defen-
tionem pulas esse P»
La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 149
le modius = 8 francs 75 l’hectolitre. Pour avoir le prix de la
seconde dime, il faut donc défalquer les 8400000 sesterces,
affectés pendant les trois ans au remboursement de cet impôt
extraordinaire, des 32500 000 sesterces précités. Restent exac-
tement 24100000 sesterces pour le payement pendant trois ans,
et par conséquent 8033333 sesterces pour le payement pen-
dant un an de la seconde dîme. A raison de 3 sesterces le
modius le montant de la dime s'élève à 447400 médimnes; et
nous avons une récolte totale de 4474000 médimnes, soit 2 237 000
hectolitres. — M. FRANCHINA prétend que ce chiffre est au dessous
de la vérité et que nous n’avons aucun moyen de savoir dans
quelle mesure il lui est inférieur!) En effet, selon M. FrAn-
CHINA, le gain du scribe qui sert de fondement à toutes ces
évaluations n’est que le gain avoué par Verres; et nul doute que le
preteur et Hortensius n’aient dissimulé aux yeux des juges quel-
ques parcelles de la vérité accusatrice. Mais Verrès n’a pas
cherché à cacher un seul sesterce des bénéfices réalisés par son
scribe, et cela parce qu'il n’a pas convenu de leur illegitimitc,
et que de l'effort même tenté par CICÉRON pour démontrer aux
juges que c'était là une pratique nouvelle, inouie, il résulte que
Verrès avait simplement invoqué l'autorité, dans l’occasion plus
ou moins décisive, de la coutume. Aussi, quoi qu'en pense
M. FRANCHINA, pouvons nous considérer 4474 000 médimnes comme
le chiffre de la production totale moyenne des années 73, 72 et
71 dans les cantons de la Sicile soumis à la dîme. C’est dans
cette restriction que réside toute la difficulté. Le chiffre que nous
venons d'établir si péniblement comprend tout le blé des cantons
edecumani», mais il ne comprend qu’une partie du blé des cantons
«immunes> celle qui fut récoltée sur des terres, qui, par suite de
cession à des propriétaires ou à des locataires étrangers à ces
cantons, ne participent plus à leur immunite?). Il ne comprend
pas un grain du blé récolté en terre franche. Il est impossible
dans ces conditions de l’étendre à la Sicile tout entière; et force
1) FRANCHINA, 0p. cit., p. 12—13.
2) Cf. mon article dans les Mélanges d’Arch. et d’Hist., année 1905, t.
XXV, p. 1.
150 Jérôme Carcopino
nous est de recourir à une troisième méthode dont les eonelusions
précédentes pourront toujours servir à contrôler les résultats.
Au cours du troisième livre des Verrines, CICÉRON nous indique
les prix auxquels furent adjugés les dimes des 8 cantons !):
1° Herbita 5130 médimnes Verr. II, IH, 32, 76 sq.
29 Acesta 830 » „ I, II, 36, 83.
3° Lipara 600 » » IL, II, 37, 84.
4° Amestratus 800 » » II, II, 39, 87.
5° Petra 3000 » „ II, III, 39, 90.
6° Thermae 8000 “ „ I), II, 42, 99.
7° Henna 8200 » » II, IH, 42, 100.
8" Leontini 36000 IT, IO, 48, 113.
Les huit dimes additionnées forment un bloc de 62560 mé-
dimnes = 31280 hectolitres. Chacune d’entre elles est done
évaluable, en moyenne, à 7820 médimnes — 3910 hectolitres.
Or nous avons le droit de considérer cette moyenne des dîmes
comme représentant bien le dixième des récoltes; en effet, si l’ane
d’entre elles, la dime d’Herbita, a été démesurément grossie ls
troisième année, — et nous avons atténué cette chance d'erreur
en prenant la moyenne des dîmes des trois années —; si une
autre, celle de Léontini, a pu être taxée d’exagération par CICÉRON
dont l’argumentation sur ce point ne nous a pas du reste con-
vaincu, il semble que toutes les autres aient été adjugées à leur
valeur par un magistrat qui les voulait assez hautes pour qu'on
ne pt l’accuser de trahir les intérêts de Rome, et assez basses
pour qu'il pût encore y ajouter un gain personnel par l’inter-
médiaire des décimateurs, et qui finalement se trouvait condait
à les vendre au juste prix. La moyenne des récoltes que nous
déduirons de cette dîme moyenne sera donc de 78200 mé-
dimnes = 39 100 hectolitres par canton. D'autre part nous avons
le droit de considérer ce dernier chiffre comme la moyenne des
récoltes non seulement pour les 8 cantons précités mais pour tous
les cantons de l’île; car, en premier lieu, rien ne nous autorise
à à établir une différence, au double point de vue de l'étendue,
1) Toutes ces dîmes, sauf celle d’Herbita, qui est une moyenne, se
rapportent à la troisième année de Verrès, soit à 71 av. J.-C. Au reste les
dimes ne semblent pas avoir varié beaucoup d’une année à l’autre.
La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 151
et de la productivité, entre les cantons soumis à la dîme et ceux
qui en sont exempts'); et ensuite, s’il est bien vrai que dans
la liste malheureusement trop courte que CICÉRON nous a permis
de dresser, il n’entre que 8 cantons, du moins appartiennent-ils
à toutes les classes et peut-on dire que tous les ordres de gran-
deur y sont représentés, depuis Lipara et Amestratus, minuscules
et misérables, jusqu’à Léontini, ecapnt re frumentariae», en passant
par Thermae et la plaine d’Henna, dont CiCÉRON nous a laissé
une si riante description?). Dès lors pour connaître la produc-
tion en blé de toute la Sicile, nous n'avons qu’à appliquer les
règles ordinaires de la statistique, et à multiplier par la moyenne
de production par canton le chiffre total des cantons. Or
nous avons démontré ailleurs) que la province de Sicile, au
temps de CICÉRON, comprenait 3 cantons relevant de cités fédérées,
5 cantons relevant de cités libres et exemptes, 57 cantons soumis
à la dime, en tout 65 cantons. D’oü il suit qu’en 71 av. J.-C.,
dernière année de la préture de Verrès, il a été récolté dans
toute la Sicile environ 5083 000 médimnes -:: 2 541 500 hectolitres
de blé. L’écart entre ce dernier chiffre et le chiffre auquel nous
étions parvenus par la méthode précédente représente la part
des cantons immunes dans la production totale. Et la pro-
duction était en 71 av. J.-C. moitié plus faible que la moyenne
de production des trois années 1896, 1897, 1898“).
D n’a été jusqu'ici question que du blé. Le mot frumentum
que CICERON emploie en parlant des secondes dimes est en
soi quelque peu ambigu. C’est la transcription exacte du mot
français grains, et il désigne indifféremment suivant les cas le blé
{triticum) ou l'orge (hordeum). Mais d’abord dans notre passage
il ne comporte que la première de ces deux acceptions’). D’autre
1) Léontini, le premier des cantons de Sicile par la richesse, est le dernier
par sa condition juridique d’ayer publicus. Cf. sur ce point mon article
loc. cit., p. 43 sq.
2) Cıc., Verr., IL III, 48, 107.
3) Cf. mon article des Mélanges d’Arch. et d’Hist., loc. cit., p. 3 sq.
4) Cette moyenne est évaluée à 5622494 hectolitres par l'Annuario
‚Stalistico Italiano de 1900, p. 396.
5) Quand il s’agit en effet du frumentum empium À 3 sesterces le modius,
CICÉRON (Verr., II, TU, 70, 163) n'indique jamais qu’un seul tarif. Or il
152 Jérôme Carcopino
part, sur les 8 dîmes qui nous ont servi à établir notre moyenne,
2 sont évaluées en médimnes sans autre spécification, celles de
Petra et Amestratus. Mais les six autres sont expressément
évaluées en médimnes de blé ftritici medimna). Cette déclaration
formelle ne laisse aucun doute sur leur nature, en même temps
qu’elle nous permet d'interpréter le silence de CICÉRON sur la
nature des deux premières. Pas n’était besoin d’insistance: toutes
ces dimes étaient citées ensemble (sauf celle de Léontini, on les
trouve toutes du chapitre 36 au chapitre 39 du discours de re
frumenturia). Implicitement ou explicitement les 8 dîmes sont
des dîmes de blé, et la production calculée sur leur moyenne
est la production en blé.
Pourtant la Sicile produisait une autre céréale au temps de
CicÉRox. L’orge y était cultivée aussi; et sur l’orge les Romains
ont fait peser une dîme également). Est-il possible d'évaluer
de façon approximative la production de l'orge?
À coup sûr elle était inférieure à celle du blé. En général
cette culture deplaisait aux Romains). Dans un jugère il fallait
en semer un modius de plus que de blé); on n’en récoltait
pas davantage pour cela‘). Elle ne rapportait presque rien et
le cultivateur de Sicile la vendait toujours moitié moins cher
que son blé?) Dans les Verrines l'orge disparaît, pour ainsi
dire. Et si la plupart des méfaits attribués par CICERON aux
décimateurs ont été commis dans la dime du blé, ce n’est point
parce que l'orge valant un moindre prix, les décimateurs négli-
n’est pas admissible que l’orge dont le prix sur le marché était de moitié
inférieur au prix du blé, dont la taxation légale dans le cas du frumentum
aestimatum était deux fois moins élevée que celle du blé (2 sesterces au lieu
de 4) ait bénéficié d’un tarif équivalent à celui du blé, supérieur de plus du
double à sa valeur réelle. Aussi bien frumentum a-t-il quelquefois le sens
restreint du grain par excellence, du blé, et peut on citer une phrase de
PLINE (N. H. XVII, 23, 192) où frumentum s'oppose à hordeum aussi nettement
que érilicum.
1) Cf. Cic., Verr., I, IH, 30, 72 et II, IL, 34, 78 sq-
2) Cf. MOMMSEN-MARQUARDT (trad. Humbert) XV, 86 (MARQUARDT, Vie
privée, II, 36).
3) VARRON, I, 44: «Serunturfabae modii IV'in juger, tritici V, ordei VI».
4) Pı.me, N. H., XVII, 10, 94: «Nihil est tritico fertilius».
5) Cf. supra, ce que nous avons dit A propos des cours.
w
154 Jérôme Carcopino
en argent, une première fois à Agyrium, une seconde fois à
Herbita. Comme dans les deux cantons les décimateurs viennent
de réaliser des bénéfices sur le blé, ne pourrait on comparer ces
bénéfices entre eux, et en conclure, la dime demeurant en prin-
cipe égale au dixième de la production totale, que là où le
bénéfice est le plus fort, là aussi la production est la plus forte,
et dans la même proportion ?
À Agyrium le gain du percepteur de la dîme du blé s'élève
a 30000 médimnes!). Le gain du percepteur de la dîme de
l’orge s'élève à 30000 sesterces, ce qui, à raison d’un sesterce
!/a par modius (3 francs 75 par hectolitre) fait un peu plus de
3300 médimnes. Suivant ce raisonnement le rapport de l’orge
au blé à Agyrium devait être cette année là de 1 à 10. A Herbita
le problème est plus complexe. CICÉRON nous donne bien pour
la troisième année de la préture de Verrès le gain des déci-
mateurs du blé et le gain des décimateurs de l’orge. Mais le
gain sur le blé, par suite de l'élévation incroyable et vexatoire
de la dîme, a été ramené par Verrès à la différence du prix de
l’adjudication, tel qu’il avait été primitivement fixé (soit 8100 me-
dimnes), et du prix auquel l’adjudication se trouva ultérieurement
réduite (soit 7500 médimnes). Le Zucrum du décimateur fut
donc cette année là de 600 médimnes. Mais on ne peut prendre
un bénéfice aussi extraordinairement bas pour un des termes de
la comparaison. Le plus sûr est encore de tabler sur un gain
moyen évalué d’après l'écart entre cette dime maxima de 8100
médimnes et 5130 médimnes, moyenne des dîmes d’Herbita
pendant les 3 années de la préture de Verrès. Le gain moyen
du décimateur de blé est donc de 2970 médimnes. D’autre
part le gain du deeimateur de l’orge s’est élevé en 71 à 12000
sesterces, c’est à dire à la valeur de 8000 modii = 1340 médimnes
d'orge. Herbita, selon cette méthode, n’aurait pas tout à fait
produit moitié moins d'orge que de blé.
Mais si elle est un peu plus rigoureuse que la précédente,
cette méthode est encore bien conjecturale et téméraire. On
suppose que la dîme reste constante, et un des rares exemples
D Cf Cıc, Verr, U, UI, 80, 72.
2) Cıc., Verr., IL ITI, 34 $ 78 sq.
La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. B6.
qu’on puisse choisir, la dîme d’Herbita, a constamment varié.
On suppose que le même décimateur compte pour des dîmes
égales des bénéfices égaux; on oublie que les décimateurs pour
le blé ne sont pas toujours les mêmes que les décimateurs pour
l'orge’). Si encore ette méthode conduisait à des résultats con-
cordants! Mais à Herbita nous trouvons 2 fois moins d'orge que
de blé, tout au plus; à Agyrium dix fois moins. Et deux cas ne
suffisent pas à qui veut établir une moyenne.
Faut-il donc nous résigner à l’ignorance entière, et n’avons--
nous rien à retenir des recherches auxquelles nous venons de
nous livrer? D'abord elles nous ont confirmé que la culture de
l’orge étais moins développée que celle du blé. Ensuite si elles
n’ont pu nous révéler la proportion exacte de cette inférioritt,
du moins se dégage-t-il de la considération des bénéfices réalisés
sur le blé à Herbita, où ils furent presque trois fois plus forts
que sur l’orge, et à Agyrium, où ils furent près de 11 fois plus
forts, l’impression très nette qu’on ne peut, sur de telles données,
évaluer la production de l’orge à plus de la moitié de la pro-
duction du blé, ni compter, par conséquent, pour l’année 71,
sur plus de 2541500 médimnes = 1270750 hectolitres d’orge?)..
Ce n’est d’ailleurs pas un chiffre que nous donnons; c’est une
limite que nous posons aux chiffres qu’on pourrait donner.
Tâchons en dernier lieu d'évaluer, grâce à tous ces résultats, la
superficie cultivée en céréales sous la préture de Verrès.
D’abord la superficie cultivée en blé. La récolte totale mon-
tait à 5083000 médimnes — 2548500 hectolitres. Nous avons
vu d’autre part que la terre de Sicile rapportait alors environ
1) Cf. à Herbita Docimus et Aeschrio.
2) De 1896 à 1898 la production du blé en Sicile a été en moyenne de
5622494. hectolitres (Annuario statistico Italiano 1900, p. 396). Pendant la
même période la production de l’orge a ét6 de 2958 000 hectolitres en moyenne
(Bollettino di legislagione e statistica commerciale, Decembre 1902, p. 1506).
Le rapport du blé à l’orge est égal à ?jı environ. Mais le rapport était
plus élevé encore dans la période quinquennale précédente. Moyenne de la
production du blé de 1890 à 1894: 6121737 hectolitres (Gazzetta ufficiale
1896, 24 mars, n° 70 p. 7). Moyenne de la production de l'orge pendant la
même période 1473085 hectolitres (Gazzetta ufficiale, I. cit., p. 10). Le rapport
du blé à l’orge est supérieur dans ce cas à ?lı.
156 Jérôme Carcopino
8 médimnes au jugère — 16 hectolitres à l’hectare. Cette récolte
a donc mûri sur 635375 jugères ou 158843 hectares. La
superficie de la Sicile, île et îlots, étant de 26600 kilomètres
carrés’), la culture du blé sous Verrès occupait 6,20 pour cent
de l’ensemble du territoire, c’est à dire trois fois moins qu'elle
n’en couvre de notre temps?).
En vertu d'opérations semblables*) le maximum d'orge
2 541 000 médimnes (chiffre rond) donnerait une superficie maxima
en orge de 317625 jugères — 79406 hectares. Le total des
emblavures au temps de Verrès n’a donc pu dépasser 238250
hectares; en le multipliant par 2,5, coefficient de jachère, on
trouverait que les terres susceptibles de culture, et alternativement
converties en pâture et ensemencées en céréales, couvraient au
plus 595625 hectares, les deux cinquièmes de l'étendue qu’elles
couvrent aujourd’hui“).
V. Les formes de la propriété.
Plus ou moins consciemment influencés par la vue du présent,
nous nous figurons d'ordinaire la Sicile antique — celle qu'a
connue CICÉRON — comme déjà soumise au régime des Zatifundia.
«Sicilia latifundüs civium komanorum tenebatur» écrit FLoRUS?)
avant de raconter les horreurs des guerres serviles. Et c’est en
effet le souvenir des guerres serviles qu'on invoque pour affirmer
l'existence des /atifundia dès l’époque de la République Romaine.
C’est précisément d’après l’histoire de ces guerres, telle qu’elle
nous est exposée, non chez FLorts, dont nous suspectons le
1) Exactement 25 631,5 kilomètres carrés suivant BELOCH.
2) De 1870 à 1874 NISSEN, op. cit., I, 445, évalue le pourcentage der
surfaces emblavées à 19,35.
3) Le rendement de l’orge est aujourd’hui du moins à peu près égal au
rendement du blé, avec une légère supériorité de l'orge (cf. Gasretta Ufficiale
du 24 mars 1896, n° 70 p. 7 et 10; les comparaisons, pour la période
yuinquennale 1890-1894).
4) 1500000 hectares, suivant M. Guio, op. cit. 2. cit.: C'est un résultat
analogue que donne en tenant compte de la jachère l’Annuario Statistico
de 1887--1888 pour l’année 1881, ou, pour être plus exact, pour les années
1879 1888 (ef. p. 710 711).
5) Fronux, LIL, 20.
La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 157
récit brillant mais vague et fantaisiste, mais par DIODORE, qui
s’inspira, en l’occurrence, de Posrponius, et dont les fragments,
que nous avons conservés présentent de cette période un tableau
minutieux et vivant), que nous nous efforcerons de montrer
1° que le latifundium, de la conquête romaine à la première
guerre servile, a consisté en pâturages; 2° que, dans le dernier
quart du second siècle avant l'ère, le latifundium s'est, en plus
d’un point, résolu en propriétés plus restreintes, et que la culture
des céréales a, en même temps, gagné du terrain sur les pâturages.
La première remarque qui vient à l’esprit, quand on lit DIODORE,
c'est que les esclaves qui se sont révoltés étaient des bergers
— exclusivement — vous. Si d'aventure on a lu le passage où
VARRON énumère les qualités d'endurance physique et d’énergie
morale qu'il exige des esclaves auxquels il confie la garde de
ses troupeaux”*), on ne s’etonnera point que des bergers aient
été les plus pressés de secouer le joug et les plus capables de
disputer la victoire aux armées Romaines. (Couverts de peaux
de loup ou d’une dépouille de sanglier, armés de piques, de
pieus et de massues, suivis de chiens énormes, d’ailleurs résolus
à tout, ils parcouraient la Sicile, terribles à voir, et donnant
toujours l'impression d’une armée en marche). Les esclaves
de Damophilos qui s’insurgèrent les premiers étaient des bergers
chargés de garder les immenses troupeaux de bœufs qu'il avait
dans la plaine d’Henna?). Cleon le Cilicien qui se joignit
bientôt à Eunous et s’empara d’Agrigente, gardait les chevaux
1) Sur les sources de DIODORE cf. PAULY-WissoWA, R. E. V' p. 690;
et WACHSMUTH, Einleitung in das Sludium der alten Geschichie, 1 vol.
in-8°, Leipzig 1895, p. 100 sq.; sur les sources de DIODORE sur les guerres
serviles, cf. Hoı.ır (d’après J. Lalumia), op. cit., III, 897—898.
2) VARRON, De R. R., I, 10.
3) DioporE, XXXIV, Exec. de virt. et vit. 699, Didot, I, 29—80: «Toïç
Dè vopsüctv dypavAlag yeysvnpévns xal axeufjg aTpattwtıxiic, sdAdywç Anavrag
Evenınnlövro ppovnnatos xal Ypdaoug. Ileptpépovtes Yap béralax xal Adyxac
al narabporag dEtoldyoug xai Sépuata Abıwv 7 avdypwv daxsracnävor T&
dœopata, XatanAnutixNv elxov mv rpécodiy xal rolsmady Epymv où réppo
xemuévnv. Kovüv ts dAxipwv &poroux ouvenépevoy £xdotp . . .».
4) Diop., XXXIV, De virt. et vit., 600, Didot, II, 34: «drı Aaupéproc
-..raurAndeic 88 Booxnuétwv dyélag xEexTNLÉVOG».
158 Jérôme Carcopino
de son maître). CICERON nous conte, dans cet ordre d'idées,
deux anecdotes significatives. M’. Aquilius avant de quitter la
Sicile, qu’il avait enfin pacifiée (100 av. J.-C.), interdit aux esclaves,
afin de prévenir leurs insurrections éventuelles, de porter une
arme sur eux. Quelques années plus tard, le préteur L. Domitius
apprend qu’un sanglier de dimensions extraordinaires a été tué:
il admire d’abord une aussi belle prise, puis demande qui l'a
faite; on lui répond que c’est un berger: il le fait venir et mettre
en croix?). Plus tard quand Verrès, désirant soutirer de l’argent
à Apollonius de Panorme, le menace de mettre à mort ses es-
claves pour cause de complot, il n’est pas embarrassé pour dé-
montrer au propriétaire l’existence de la conjuration: elle a été
concertée, affirme-t-il avec aplomb, par le chef des troupeaux”).
On ne craignait plus que les bergers au temps de Cicéros. Ik
avaient toujours été les seuls esclaves redoutables parce que sezk
ils avaient le nombre et l’organisation.
En effet ils appartenaient tous à de grands propriétaires.
Les maîtres d’Athenion possédaient 200 esclaves“). Damo-
philos en avait eu jusqu’à 400°). Or les agronomes latins
estimaient qu'un esclave suffisait pour 80 brebis, et qu’il n’était
pas besoin de plus de deux esclaves pour cinquante chevaux‘.
Dans ces conditions on demeure confondu du nombre des têtes
de bétail et de l’étendue des biens fonds. Rivalisant de mollesse
et de luxe‘), ces grands propriétaires se reposaient sur d'autres
m >
1) Dıov., XXXIV, De virt. et vit., p. 601, Didot, IL, 48: «KAdev ydp we
KiitE...xar& Tv ZixsAlav voneug Yayovag inxopopflowve.
2) Cıc., Verr., II, V, 3, 7: «Cum audisset pastorem cujusdam fuisss
eum vocari ad se jussisse ... statim deinde Jussu praetoris in crucem esst
sublatums.
8) Cic., Verr.. IE, V, 7, 17: «Nominat iste serrum quem magistrum pecoris
esse diceret, cum dicit conjurasse. ..».
4) Diop., XXXVI, Didot, IV, 1.
5) Diop., XXXIV, e Phui. erc. 521—529, Didot, IL 11.
6) VARRON, De R. R., II, 10—11: «Ego in ociogenas hirtas oves singulo:
pastores constitui, Atticus in cenlenas. Ad equarum gregem quinquageneriun
bini homins:s».
7) Diov., XXXIV, Exe. de virt. ei vitiie, 600, Didot, II, 34: «od pévor
NV Tpuphv tov xata Ztusliav ‘Italtxdy ECHAmosv>.
La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 159
du soin de gérer leurs biens. Damophilos, qui se faisait suivre
dans tous ses déplacements par une escorte en armes, menait un
train quasi royal), et persécutait ses esclaves au lieu de les
commander”). Athénion, l’un des chefs de la seconde guerre,
était l’intendant de ses propriétaires *). La hiérarchie, qu’impo-
sait aux familiae trop nombreuses l'incapacité de leurs maîtres,
formait les cadres de la révolte.
Il y avait parmi ces grands propriétaires des Siciliens comme
Damophilos; mais la majorité se composait de chevaliers Romains,
venus, après la conquête, occuper les terres en friche dont les
longues luttes avec Carthage avaient fait un désert, et livrer cet
«ger publicus que l'Etat leur abandonnait — plaine et mon-
tagne —, à leurs bergers, à leurs bouviers, aux gardiens de leurs
haras“). Ceux-ci pliaient à leurs intérêts la volonté des gou-
verneurs‘) Les uns et les autres faisaient cause commune‘)
contre les petits propriétaires et accablaient de tracasseries et de
mauvais traitements tous ceux qui n'étaient ni assez riches, ni
assez forts pour leur résister.
Il y avait en effet une autre classe de possédants, classe
tros inférieure au double point de vue de son recrutement et de
ses ressources, et dont DIODORE nous signale la présence: c’est
la classe des cultivateurs qui vont eux mêmes labourer leurs
champs et qui abritent dans des constructions en bois le grain
de leurs récoltes }. La conduite des éleveurs à leur égard fut
m ———
1) DIODORE, L. c.. «ini pèv yap tig Xopacs Innoug Te noluteleïg xai
tetpaxükxAous drhvag pet’ olxetiüv atpatimtixvy neptyeto' Tpög BE TOutotc
AT. À ...».
2) Cf. Drop., XXXIV, Didot, 1, 36 et 87.
3) Dron., XXX VI, 5, 1: «l'ivetar Dè Tobreev dpxnyoc Adnviwy dvona obtoc
olnovönoc &y duotv Adeipoiv.. .2.
4) STRABON, p. 273, VI, 2, 6: «ty odv dpnpiav xatavoñoavtss Poopaloı
xataxtnodpevor té te dpn xal tüv nedimv a nAslore Innopopßotz xal BouxdAotc
xai Hotuéot nap&dooav>.
6) Cf. la faiblesse du préteur Licinius Nerva Dion., XXXIV, 111, 8.
6) Drop., XXXIV, De virt. et v., 599: «xal yap tv Ztxeltwtv ol roAlodg
nAobtoug Xexrınnevor dinpalüvto rpös tas Tüv ‘Italtwrüy dnespnpavelac
ze xai rÂAsoveElags.
7) Diop., XXXIV, Eicc. Vatican, 102: «ol pèv änootätat obts Tag
160 Jérôme Carcopino
inqualifiable : il déplait aux éleveurs de nourrir et vêtir leur
bandes innombrables d'esclaves: ils les encouragent au vol et
à l'assassinat. Des esclaves de Damophilos s'étaient plaints à
lui d’être obligés d'aller tout nus et lui avaient demandé des
vêtements. «Et quoi, leur répondit Damophilos, est-ce que ceux
qui passent à pied dans le pays vont aussi tout nus? est-ce
qu'ils ne peuvent pas vous fournir tout de suite les vêtements
dont vous avez besoin»)? Et pour les punir de n’avoir pas
su mieux se tirer de la misère, Damophilos les fit attacher à
des colonnes et rouer de coups. Le conseil fut partout entendu.
Les pâtres nus, affamés, commencèrent par tuer les voyageurs
isolés sur les routes; puis envahissant la nuit les propriétés
des plus faibles, ils s’en emparèrent par la violence, faisant
main basse sur les provisions qui y étaient amassées, massacrant
les malheureux qui essayaient de résister*). Les gouverneurs
montrèrent quelque velléité de mettre fin à de telles scènes de
violence. Mais les maîtres des esclaves mirent les gouverneurs
à la raison. Le pillage n’était plus seulement permis aux bergers;
il leur était commandé par les grands de Sicile ®).
Ce qui fait mieux encore éclater cet antagonisme des deux classes
possédantes, mais inégalement possédantes, c’est l'attitude toute
différente des esclaves, lorsque, renonçant à ces prises médiocres,
ils se tournèrent contre leurs maîtres et s’approprièrent leur
énadAste ävsmöpıkov oùte Tac dv adrTalg xThosıg xal xaprëY
Anoykosig dAupatvovio, tüv 08 npög Ti;v Yewpylav Öppunxörwv dnelyovtor.
1) DIObORE, XXXIV, Exec. Vatican, 100—101, Didot, Il, 38: «ötı Axpépuos 6
"Evvaldg note rpocedévtwvy dut Tıvav olxstüv Yuıvav xal Ztalsyopévey bxip
éodñtog, ox Nv&axero nv Evraukıy, AA’ dınov» ti yép; ol dd tic xopac öder-
ropoövisg Yupvol Badilouot, xai ox étolpny rapéxovrtar Tv Xoprnyriav Ti
xpelay Exovorv iuatimv; rènétafe npoadTjoa. rois xlocı xal nÂmy&c éppophosc
dEanéoterlsy drepnpéveg». |
2) Drovorex, XXXIV, Lucerpt. de virt. et vit. 599, Didot, II, 28: «dr& 88 thv ti
zpopiig Ivdstav... Tö npütov &v Tolg Anıpavsordrog Ténotc Tobg xx” Eva zul
800 tac Ödornopiag rotounévoug épéveuov: dura Ent Tüc Tüv dobsvectéper
enabAsıg voxtés ddpéor auvrpsxovisg, dEñpouv Big Tabrag anal Tàs wrhoss
Sihpnafov nai tobs &vtotauévous dvipouve.
8) Cf. WALLON, Histoire de V’Esclavage dans l’Antiquité, 3 vol. in-$".
2me 6d. Paris 1879, II, 293 et 294.
La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine 161
richesses. Alors ils respectent les cultivateurs qui se rendent
à leur champ, ne touchent pas un grain de blé, ne commettent
ni pillage ni incendie!) Et ici les affirmations de CICERON
confirment celles de Diopore. Des cultivateurs, craignant de faire
une dépense inutile ont pu ne pas ensemencer; les mouvements des
troupes ont pu en empêcher d’autres de faire la moisson ces années-
là: toujours est-il que pas un des cultivateurs Siciliens n’a trouvé
la mort dans les guerres serviles. Verrès, à lui seul, leur a fait
plus de mal qu’Eunous et Athénion réunis).
Ainsi d’un premier examen des fragments de DioDoRe il résulte
que les éleveurs et les cultivateurs formaient, à l’époque de la
première guerre servile, deux classes de propriétaires différentes,
antagonistes. La comparaison des deux guerres serviles entre
elles va nous montrer la décadence des éleveurs et l’importance
croissante de la classe agricole. La première guerre a été conduite
par deux chefs entre autres, Eunous de Syrie, le plus puissant
de tous, et Cléon de Cilicie, qui seul pouvait lui disputer la
prééminence. Or la révolte d’Eunous a pris naissance à Henna
qui est au centre même de la Sicile*). Cléon est parti vrai-
semblablement d'un point plus occidental, puisque son premier
acte a été de mettre le siège devant Agrigente, et sa première
victoire de s’en emparer“). Ce n’est qu’ensuite, et après que
les effectifs des armées serviles se furent considérablement grossis,
que la guerre gagna la portion orientale de l’île, et, de proche
en proche, arriva jusqu'aux murs de Tauromenium. Primitivement
Vest de l’île était demeuré tranquille: ainsi, quand ïls eurent
1) Sur ce changement à vue, cf. DIODORK, XXXIV, Exc. Vatican., 102;
até supra p. 159 n. 7.
2) Cıc., Verr., IX, II, 54, 125: «Cum bellis Carthaginiensibus Sicilia
vexata est, et post nostra patrumque memoria cum bis in ea provincia
magnae fugilivorum copiae versatae sunt, tamen aratorum interiio facta
nulla est. Tum sementi prohibita aut messe amissa frucius annuus interibat,
tamen incolumis numerus manebat dominorum atque aratorum».
3) Drop. XXXIV, Excerpt. e Photio, 524-529, Didot, II, 6: Eunous chef
de la révolte était au service d’Antigöne d’Henna, et le premier noyau de
son armée fut constitué par la familia de Damophilos d’Henna.
4) DiopoRE, XXXIV, Excerpt. de virt. et vit., 601, Didot, II, 43: «KAdov
yép tic KE... xatétpexe Ty nölıy Tüv "Axpayavslvav.. .».
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 11
162 Jérôme Carcopino
massacré Damophilos et sa femme Mégallis, les premiers esclaves
en révolte, voulant témoigner à la fille unique de leurs maîtres toute
la gratitude qu’ils éprouvaient pour ses bienfaits, résolurent de
lui épargner la vue des horreurs que la guerre entraînerait
inévitablement, et la firent conduire sous la protection d’une
escorte, et avec toute sorte d’egards, à Catane où elle avait
encore des parents et où elle devait trouver la sécurité et la
paix'). Rupilius prit le chemin contraire; quand le consul eut
reconquis Tauromenium, il dut faire la route en sens inverse et
mettre le siège devant Henna. Quand Henna eut succombe à
son tour, il partit de cette ville pour purger le reste de l’île des
dernières bandes de «fugitivi»?). Le vent de la révolte avait
soufflé d’ouest en est, mais la tempête avait ébranlé la Sicile
entière. La seconde guerre fut moins terrible. Elle est née de
trois soulèvements distincts. La première bande de rebelles s'était
formée sous le commandement d’Oarios dans la région d’Halicye”).
Nous ne saurions dire exactement où s'était établi ce P. Clonius,
chevalier Romain, dont les 80 esclaves formèrent le premier noyau
de la seconde armée; mais le fait que Licinius Nerva, ayant traversé
le fleuve Alba pour les surprendre, était passé à côté d’eux sans
lex. voir‘), et s'étant replié sur Heracléa avait envoyé contre
eux Titinius avec six cents soldats de la garnison d’Henna®),
indique qu’ils venaient d’un point situé au nord d’Heracl£a et
à l’ouest du fleuve Alba, vraisemblablement dans la région com-
prise entre Triocala et Entella®). Quant au troisième groupe,
Athenion l’avait recruté entre Ségeste et Lilybée”). La première
1) DioDorE, XXXIV, De virt. et vit., 600, Didot, IX, 89: «npoyerpradusvo
2’ &E adt@v tobç évdétous Dv Sxtevéotatos NV 'Eppslac, Aschyayov sic Katévar
rpög Tttvag olxsloug>»,
2) Diop., XXXIV, Æ Photio, Didot, DI, 21: «’Exsidev int tv "Evver
éASwv napanınolug éroAtépust», et 23: «dvrsüdev “Pouriliog énitpéyev Sim
nv Zinsilav.... navrög adthv nAsuvdépwos Anstnpiovs.
3) Divp., XXXVI, Didot, I, 4.
4) Diop., XXXVI, Didot, IV, 2.
5) DiovorE, XXXVI, IV, 8.
6) On s’expliquerait ainsi l'intervention de la garnison d’Henna.
7) DiouoRE, XXXVI, E Phot., 629—536, Lidot, V, 1: exepl 83 ti
‚Arysoralov xal Atufaltuy xpav, Erı dè Tüv Amy TÜV rAnotoyéper,
La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 163
rmée fut taillée en pièces presque sur place. La seconde, vic-
yrieuse de Titinius, alla mettre le siège devant Murgentia et
at conduite par Salvius dans la plaine de Léontini. Mais Salvius
tait dépaysé dans la plaine orientale: il revint bientôt sur ses
as. Pendant ce temps Athénion, qui avait échoué devant Lilybée,
e subordonnait à Salvius. Les deux armées opéraient leur
onction devant Triocala!). Salvius, chef incontesté de tous
>s réfractaires, proclamé roi sous le nom de Tryphon, s’empare
e cette place, la fortifie, s’y enferme comme dans sa capitale.
ès lors tous les combats se livrent autour de Triocala. Trois
énéraux Romains y sont envoyés jusqu'à ce qu’enfin, Tryphon
tant mort de sa belle mort, et Athénion ayant été tué, leur
uccesseur Satyros se fut rendu à la discrétion d’Aquilius. Ainsi
1 révolte s'était retranchée cette fois derrière le fleuve Alba
u’Athénion n'avait jamais franchi, et que Salvius-Tryphon n'avait
ransgressé que pour le repasser bientôt après. La seconde
verre servile n’a été l’œuvre que des bergers de l’ouest, et c’est
ans l’ouest qu’elle s’est cantonnée.
Mais la révolte n’a pas seulement rétréci les limites de son
héâtre: elle a fortement réduit le chiffre de ses effectifs. Dans
a première guerre, le premier contingent fourni par la familia
.e Damophilos s'élevait à 400 esclaves ?); il en comprenait 6000
u bout de trois Jours grâce à l'alliance d’Eunous avec Achaios°).
‚e concours apporté par Cléon le Cilicien porte ce nombre à
0000). Enfin Rupilius se heurte à une masse formidable
.——— [m mn
woost TTpög Anöcracıy TA TANIG Toy olnsıwv. Tivsrar dE Toütwv Apxnyös
Admvlov Övopa».
1) Sur l’ordre de Salvius qui traite Athénion comme un roi son général,
f. DiovorE, XXXVI, E Phot., Didot, VII, 2: «Atavoobpsvog 88 Ta Tptéxæla
atalaBéotar xal xataoxebagar BaslAera, nenne [Tpipwv] xai rpèç "Adnvlove,
ETATEHTÖHEVOG abtov WE aTparyyöv Bacıleüg».
2) Dıov., XXXIV, E Phot., 524—529. Didot, Il, 11: «ebddç odv tstpa-
ogious av ÖpnodouAwv ouvndporoav»r.
3) Diop., XXXIV, E Phot., Didot, Il, 16: «@v ny ‘AXæôg xai Tobvone
at To yévos dvnp nal BouAÿ xai ystpi drapepwv, al Ev tptolv Apäpaıg rAslouç
&v ébaxtoxtAiwy . .. xadondlioag ...». Ces 6000 deviennent 10000: «ëyuv
Ên orpatıwrag ÜTÈP Toùg Luploug».
4) Dıon., XXXIV, Didot, II, 18: «<nAñdoc Ovtss Dtopdprots.
164 Jérôme Carcopino
de 200000 rebelles!) La seconde guerre éclate à Halicye
dans la familia de deux frères que DIODoRE nous représente
comme très riches: et cependant Oarios, chef des rebelles, n’a
que 30 esclaves sous ses ordres”). Après trois jours la troupe
d’Oarios n’est encore que de 230 combattants ®). Licinius Nerva
les écrase sans difficulté. Les esclaves de Clonius sont 80 au
début‘), mais grâce à l’activité et à la propagande de Salvius,
ee contingent grossit très vite: 6000 hommes, puis 22000 hommes
dont 20000 fantassins), enfin 30000 hommes‘) nombre que
l’armée de Salvius n’a jamais dépassé. Les hommes d’Athénion,
partis 200°), étaient 1000 après cinq jours‘), et atteignirent
un maximum de 10000°). — Récapitulons: dans la première guerre
200000 esclaves s’insurgent; dans la seconde, en additionnant
les trois groupes que nous venons d’énumérer nous n’obtenons
qu'un total d’un peu plus de 40000 hommes!°). La seconde
1) Diop., loc. cit.: «per’ où noAd di dSpoifstar to obotnpa abt®v sis
nuptädaçs elxocı».
2) Dıov., XXXVI, Didot, II, 4: «npütor tig dAsudsplag dvrsmaonvro
xatà ınv "Alıxvaimv xopav désAgüv dvolv psyaloniobtaov olxéta tTpté-
xovra, &v hysito "Odpıog Övonas>.
3) Diop., XXXVI, II, 4—5: «dv adtÿ t1ÿ vuxti ouvéBpauov nAsicog
av éxatoy Etuoot. Kai étépous Zoùlous wnAtouévouc öydonxovra:. Done 80
+ 120 + 80 — 230.
4) Drop., XXX VI, IV, 1: «llénAtov KAéyiov vivépevov innéa “Popalev ol
3oülot xatédpaEav 8yYohxovta Övieg».
5) Diop., XXXVI, IV, 5: «dv dAlyp xpéveo xatsoxsudodnoav Exxeic pèy
nisioug Tüv droyıliwv, rsboi dE obx EAdTTous Tüv Bropupleavs.
6) Dion., XXXVI, VO, 1: «Zaldutos . . . 7Yporosv ärıläxtong Evèpag oda
dAatrouc tv TpLanuplmv».
7) Diop., XXXVI, V, 1: “énetos T@v Gtxst@v npürov pèv tobc be’ demröv
<etæynévouc rspli Braxoclong Övracs.
8) Diop, loc. cit.: «Enarta toùç ysttmüvras bots évrévts fnépatc guvay Piveı
nisloug toüv Xıllav>.
9) Dıon., XXX VI, V, 3: «Téloç AYpolsa; brèp toùç poplouc Eröipmes ...
+0 AudBarov xoltopusive.
10) Nous n’avons pas de raison de révoquer en doute l'exactitude des
chiffres fournis par DioporE. La multiplicité et la précision des détails sont
autant de gages de leur authenticité. Sur ce point d’ailleurs, cf. BELoCH,
op. cü., p. 300.
La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romafne. 165
guerre servile a mis en ligne cinq fois moins d'hommes que la
première. Comment expliquer une telle disproportion ?
Est-ce par la différence des causes qui ont provoqué l’un et
l’autre soulèvement? Le premier a résulté de la cruauté d’un
seul maître, Damophilos d’Henna. Le second a été motivé par
le refus du preteur Nerva de se conformer plus longtemps à un
sénatus-consulte qui intéressait la presque totalité de la classe
servile de Sicile, puisqu'il ordonnait l'émancipation des esclaves,
originaires des nations alliées du peuple Romain, et qui, en
quelques jours d’application, avait déjà provoqué 800 affran-
chissements”). Ainsi la guerre la plus générale procède de la
cause la plus étroitement localisée, et les causes générales n’ont
entraîné que des soulèvements particuliers; quelle singulière con-
tradiction et comment la résoudre ?
En réalité, ce que nous prenons pour la cause de la guerre
de 133 n’a été que l’occasion qui révèle la cause. Car si la
mutinerie d'une familia s’est étendue à la Sicile entière, c'est
que les motifs de mécontentement qui l'avaient excitée, c’est que
les raisons qui lui avaient permis de s'organiser et de vaincre,
alors se retrouvaient partout, décisives, agissantes. Et de même
qu’il faut chercher dans le déplorable régime des latifindinr la
source de son extension et de sa gravité, de même, si l’on veut
savoir pourquoi la guerre de 101 ébranla la Sicile d’une moins
terrible secousse, il faut admettre que ce régime a, dans l’intervalle
qui la sépare de celle de 133, subi de très graves atteintes *).
Il ne faut pas oublier en effet que dans cet intervalle, en
133, Ti. Sempronius Gracchus avait fait passer sa loi agraire,
et qu’elle répondait à des nécessités si urgentes que les ennemis
les plus acharnés du tribun ne purent se dispenser de l’appliquer.
1) Licinius Nerva fut interrompu dans sa tâche pas les doléances des
publicaius propriétaires d'esclaves, dont l’exécution du sénatus-consulte
décimait les fumilias et contrariait les intérêts. Cf. Diopore, XXXVI, IU,
3: «ol 8’ èv dEwpaor cuvöpdpovreg Trapsxélouvy TOY GTpaTnYöv ÄTOCTTVaL
zadıng ns éntBolñc. ‘O 8’ elte yphpacı natodelc elte xdApırı doudeücag,
rc mèv TÜV xpırnpiwv Tobrwv onoudiig Andorn, xal Tobg npocrövrag änl To
tuxeiv tig Eleudsplag éminmAmttov slg Toüg löloug xuploug npogétattev Eravaa-
TPÉPELV».
2) Cf. Hors, op. ci#., DI, p. 113.
166 Jérôme Carcopinn
Dans une inscription qu’un adversaire de Ti. Gracchus, P.
Popilius Laenas consacrait à sa propre gloire, il se reconnaissait,
entre autres mérites, celui d’avoir contraint «les éleveurs à se retirer
de l’ager publicus devant les cultivateurs», et à leur profit: «primus
fecei ut de agro poplico — aratoribus cederent paastores» *). Comme
le montre MOMMSEN, dans la notice du Corpus qui accompagne l'in-
scription, c’est aux actes du consulat de Popilius Laenas que se rap-
portait l’éloge. Orce P. Popilius Laenas fut consul en 132, et il avait
pour collègue. P. Rupilius, le vainqueur d’Eunous et le pacificateur
de la Sicile. N’est-il pas probable que celui-ci a rempli dans
l’île une tâche analogue à celle de Popilius dans la péninsule?
Les textes ne nous disent point qu'il ait été question de la
Sicile dans la Lex Sempronia, mais cette éviction des «possessores>
qui s’opérait en vertu de la loi en Italie, où elle bouleversait
des droits plus anciennement acquis que partout ailleurs, n’a-
t-elle donc pu s’opérer parallèlement en Sicile en vertu des pouvoirs
que le Sénat avait conférés à P. Rupilius?)? Dans les quelques
textes — à la vérité trop brefs — où il nous est parlé de lui,
P. Rupilius nous apparait moins comme le général qui est venu
à bout d’une insurrection formidable que comme un législateur
dont le code était encore observé, soixante ans après, à l’époque
des Verrines?). CicÉRON nous a transmis le dispositif de quel-
ques unes des /eges Rupzliae, et Valère Maxime nous dit quil
fixa les droits des Siciliens: «eumdem (Rupilium) jura dantem
.. . (Siculi) viderunt» *#). Or Rupilius n'aurait pu faire œuvre
sérieuse de réorganisation s’il ne s'était pas attaqué tout d’abord
au problème agraire. La guerre servile avait révélé toute l’étendue
du mal. Elle avait fourni aux réformateurs de Rome le plus
décisif de leurs arguments”). Rupilius ne pouvait ni s’en dissi-
1) C. I. L., 1, p. 154, n° 551.
2) Cic., Verr., U, II, 16, 40.
3) Cıc., Verr., IT, II, 13, 32 et Cit., Verr., II, IL 16, 40 etc.
4) Var. Max., VI, 9. 8.
5) Cf. LANGE (Trad. Berthelot-Didier), Histoire intérieure de Rom
jusqu’à la Bataille d’Actium, 2 vol. in-8°, Paris 1888, II, p. 9: «Enfin pos
dessiller les yeux des nobles, Ti. Gracchus espérait donner comme exempl
et comme preuve de la nécessité d’une réforme Podieuse guerre que les esclave
de Sicile avaient suscitée en 133».
La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 167
ınuler les causes, ni ignorer le moyen d’en prévenir le retour.
Et il a dû hésiter d'autant moins à appliquer à la Sicile le
remède employé par Popilius en Italie que les possessions de
l'ager publicus Sicilien étaient relativement plus récentes et ne
remontaient pas plus haut que la fin de la première guerre
punique. Pour toutes ces raisons nous nous croyons en droit de
faire honneur à Rupilius également du mérite dont s’est vanté
son collègue de 132, P. Popilius Laenas ; et nous pensons qu’il fut
le premier, en Sicile, à procéder à des assignations de terres et
a remanier le cadastre de l’ager publicus. L’&chelonnement sur
plusieurs années de ces répartitions nouvelles expliquerait qu’elles
aient pu se faire sans provoquer des récriminations et des colères,
dont il eût été bien extraordinaire que l’histoire ne nous transmit
pas l’écho. Il expliquerait aussi que les textes qui nous parlent
de Rupilius aient laissé dans l’ombre la partie de son œuvre dont
il partage l’accomplissement avec quelques-uns de ses successeurs.
Quant aux répartitions elles-mêmes, elles nous expliquent non
seulement pourquoi nous avons vu, de la première à la seconde
guerre servile, diminuer l'importance des effectifs formés par les
pâtres en révolte, et se rétrécir sur la carte le champ de leur
action, mais encore pourquoi de la seconde guerre servile à
l’Empire la Sicile n’a cessé de jouir d’une entière sécurité.
CICERON nous dit bien que les esclaves sont encore dangereux
au moment où la moisson les rassemble dans les champs ?):
mais à parler franchement le péril d’un soulèvemeut est beaucoup
plus une réminiscence qu’une réalité. Il est question au Livre V
des Verrines d’un commencement de complot dans la fimilia de
Leonidas de Triocala?); mais on est fondé à suspecter la véracité
d’une délation dont Verrès sait tirer un si bon parti. Au surplus,
le préteur est coutumier du fait: il forge les conjurations d’esclaves
les plus invraisemblables pour faire chanter les maîtres; et sous
1) Cıc., Verr., Il, V, 12, 29: «Cum vero aestas summa esse coeperat,
quod tempus omnes Siciliae semper praetores in itineribus consumere con-
suerunt propterea quod tum putant obeundam esse maxime provinciam,
cum in areis frumenta sunt, quod et familiae congregantur et magnitudo
servilii perspicitur».
2) Cıc., Verr, I, V, 4 et 5.
168 Jérôme Carcopino
prétexte de rétablir l’ordre dans des régions qui n’ont jamais été
si calmes, il voudrait soutirer de l’argent à Apollonius Geminus
de Panorme!), et en soutire effectivement à Eumenidas d’Ha-
licye?). En réalité rien ne troublait la tranquillité du pays,
et comme CICÉRON le dit ailleurs, «aucune guerre domestique ne
pouvait alors surgir dans la province», <nullum est malum do-
mesticum quod ex ipsa provincia nasci possit»?). Cette sécurité
de la Sicile est d’autant plus significative qu’à la même époque,
en Italie des esclaves s’agitaient: CIicÉRON, nous dit le PsEupo-
ASCONIUS, CICERON (au retour de son enquête sur Verrès) dut, en
quittant la Sicile, prendre la voie de mer à partir de Vibo, et
cela autant pour éviter les esclaves fugitifs que pour échapper
à une attaque concertée par l’ex-préteur‘). La transition était
brusque et le contraste absolu: il est vrai qu’en Italie le mouve-
ment de concentration des fortunes terriennes, à peine arrêté par
les lois agraires, était perpétuellement allé depuis en s’acc&lerant;
les céréales s'étaient progressivement retirées devant la concurrenee
des blés provinciaux; et sur les immenses herbages des Zatifundia
les «families d'esclaves restaient menagantes.
C'est qu’en effet des formes de propriété différentes déter-
minaient alors des modes d'exploitation diftérents. Dans lin-
scription que nous citons plus haut les grands possessores d’ager
publicus sont désignés par le terme professionnel d’éleveurs, les
petits propriétaires auxquels on assigne 30 jugères sur l’excédant
des possessiones par celui des cultivateurs: «ut de agro poplico
«ratoribus cederent paastores». Les domaines parcellaires étaient
labourés, les latifundia laissés en pâture. Et sans doute les
translations de propriété et les assignations, dont nous considérons
Rupilius comme le promoteur, ont eu, en Sicile, pour inévitable
1) Cıc., Verr., U, V, 7, 16 sq.
2) Cıc., Verr., I, V, 7, 16.
3) Cıc., Verr., II, V, 4, 8: «Cumque haec a servorum bello pericula &
praeorum institutis et dominorum disciplina provisa sint, nullum est malum
domesticum quod ex provincia nasci possit».
4) Argumentum Ps. Asconii in C. Verrem Actio prima (ORELLI p. 126):
«(Cicero) quia pedestre iler ex Sicilia et propter ” fugtiinns et propter Verrie
insidias devitabat a Vibonc transiit.»
La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 169
corollaire, une extension des céréales au détriment des herbages ;
et jamais la culture du blé n’a dû être plus florissante en Sicile
que dans la période qui sépare la seconde guerre servile de la
préture de Verrès.
VI. La nature des exploitations agricoles.
Nous venons de réagir contre cette idée que les cultures de
Sicile étaient, au temps des Romains, soumises en majorité au
régime du latifundium, comme le sont aujourd'hui les terres à
céréales. Ce n’est pas à dire pour cela que les grandes exploitations
agricoles y aient été inconnues alors. Dans un canton au
moins elles devaient former la majorité: celui de Léontini. Nous
savons que le territoire emblavé de ce canton comprenait,
pendant la troisième année de la préture de Verrès, 30000 jugères
= 7500 hectares”), Nous savons d'autre part que pendant cette
même année ces 7500 hectares appartenaient à 32 cultivateurs
seulement *). Les emblavures occupaient donc en moyenne 937
jugères = 235 hectares par exploitation. Mais les emblavures
n'étaient qu’une partie de la propriété: il faut multiplier leur
étendue par le coefficient de rotation des cultures (2,5) pour
obtenir l’etendue totale de l'exploitation. (Chacun des cultivateurs
de Léontini possédait en moyenne 588 hectares. A coup sûr
cette moyenne ne signifie pas que les 32 domaines de Léontini
avaient tous ces dimensions, ou des dimensions à peu près
semblables; plusieurs parmi eux pouvaient demeurer bien en dega
des 588 hectares; mais plus on en admet qui soient au dessour
de ce niveau, plus ce niveau est dépassé par ceux qui sont au
dessus; et il n’en faut pas plus pour démontrer l'existence de
très grands domaines à Léontini”).
1) Cıc., Verr., D, III, 49, 116: «Professio est agri Leontini ad juge-
rum XXX».
2) Cıc., Verr., II, III, 51, 120. «Zecita tandem quot acceperit aratores
agri Leontini Verres— LXXXLILI— quot annotertio profiteantur — XXXII.
II et L aratores ita vid.o dejectos, ut iis ne vicarit quidem successerints,
3) Il se peut très bien qu'il y ait eu des petits domaines à Léontini;
ce seraient alors ceux des 52 cultivateurs qui de 73 à 71 abandonnèrent la
partie et firent le vide devant Verrès.
170 Jérôme Carcopino
Mais la situation de Léontini est exceptionnelle "), et il serait
imprudent de conclure de Léontini au reste de la Sicile. Il est
à remarquer d’abord que de tous les cantons dont le chiffre global
nous est donné, Léontini est celui dont la dime est la plus
ensuite que de tous les cantons dont le chiffre des cultivateurs
nous a été transmis par CICÉRON, Léontini est celui où la densité
de la population agricole est la plus faible*), 84 cultivateurs en 73,
32 en 71. Ces deux particularités contradictoires font de Léontini un
véritable cas limite; elles le placent à une des extrémités de
l'échelle des grandeurs domaniales: elles interdisent d’y chercher
la mesure ordinaire des propriétés de Sicile.
Il est un autre canton où nous pouvons obtenir la moyenne
des exploitations — avec moins de rigueur il est vrai: nous nous
assurerons qu'elle est tout autre qu’à Léontini dans le canton
d’Herbita*): malheureusement à Herbita, CICÉRON n'indique pas
le nombre des jugères ensemencés, et nous ne saurions l’atteindre
que par voie médiate, en partant du chiffre de la dîme. Mais
ici une nouvelle difficulté se greffe sur la première. Car les
dîmes indiquées par CICERON pour les trois années 73, 72, 71
étant d'autant plus fortes que le nombre des cultivateurs et par
conséquent des champs ensemencés est plus faible, et s’élevant
au fur et à mesure que celui-ci s’abaisse°), ont été certainement
adjugées par Verrès au dessous d’abord, au dessus ensuite de
leur valeur réelle®). Nous prendrons en conséquence pour base
1) Sur les causes de cette exception cf. mon art. dans les Mél]. d’archéol.
et d’hist., année 1905, t. XXV. p. 32.
2) Cf. Lipara (600 Médimnes), Herbita (5130 M.), Thermae (8000 M.);
cf. supra p. 160.
8) Léontini 84, Mutyca 187, Agyrium 250, Herbita 252.
4) Cf. Cıc., Verr., Act. IT, LIO, ch. 32 et 33.
5) La dime d’Herbita la première année = 3000 médimnes (II, III, 3,
75); = 7500 médimnes la troisième année (Cıc., Verr., I, IIL, 88, 77). La
première année Herbita compte 250 cultivateurs, 120 la troisième année (Cr.
Verr., Il, IH, 51, 120).
6) Cela est si vrai que la dernière année Verrès fut obligé de oasser
Padjudication et de ramener le prix de la dime de 8100 à 7500 médimmes
(Cic., Verr., U, II, 33, 77).
La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 171
de nos calculs la moyenne des trois dîmes, soit 5130 médimnes.
Une dîme de 5130 médimnes suppose une récolte totale de 51 300
médimnes. Et puisque 1 jugère produit environ 8 médimnes,
cette récolte a mûri sur une surface de 6412 jugères -- 1603 hec-
tares. Combien y avait-il de cultivateurs à se partager ces 1603.
hectares? 252 si l’on adopte le chiffre du recensement de 73,
120 si l’on adopte celui du recensement de 71'). Dans le.
premier cas chaque cultivateur a ensemencé 25 jugères 50 ou.
6 hectares 57 ares; dans le second cas 54 jugères environs ou
14 hectares. Mes ces calculs fondés sur la dîme du blé ne com-
prennent point la superficie cultivée en orge. En portant la pro-
duction totale de l’orge au maximum que nous lui avons assigné ?),
et en supposant que le rendement de l'orge au jugère est égal
au rendement du blé nous n’elevons pas les résultats précédem-
ment acquis, le premier à plus de 37 jugères 25, 9 hectares 31,
le second à plus de 81 jugères, 20 hectares, 25 ares. Ce n’est
pas tout: multiplions ces totaux par le coefficient de jachere: 2,5;
nous n’aurons jamais que 93 jugères, 23 hectares dans le premier
cas, et dans le second, 202 jugères ou 50 hectares 50 ares par
domaine. Or des moyennes aussi peu élevées, si elles n’excluent*)
pas la grande propriété, dénoncent la présence de petits domaines
et en multiplient le nombre d’autant plus qu’on arrondit davantage
la circonférence des /rtifundia voisins. Aussi bien trouvons nous
ailleurs qu'à Herbita des exploitations moyennes et des propriétés
parcellaires. C’est par exemple un domaine moyen que celui de
Polemarchus de Murgentia. L’annee où Apronius vint lui réclamer
1) Cf. Cıc., Verr., U, III, chap. 51, $ 120.
2) Nous avons établi qu’on ne saurait évaluer la production de l’orge
à plus de la moitié de la production du blé, cf. supra p. 155.
8) Nous avons cru devoir tirer du discours De re frumentaria ces
données statistiques que ni M BELOCH, ni M. FRANCHINA n’ont utilisées,
puisqu'ils se bornent, celui-ci à la détermination du chiffre de la production
totale du blé, celui-là à la détermination du chiffre de la population totale
de la Sicile. Nous ne sommes point d’ailleurs dupes de l'illusion qui con-
sisterait à accepter ces chiffres comme absolument conformes à la réalité. Ap-
pliquée à l’histoire ancienne, la statistique ne saurait préciser les traits de
cette réalité; elle ne peut que tracer les limites extrèmes entre lesquelles cette
réalité est contenue.
172 : Jérôme Carcopino
700 médimnes, Polemarchus n’avait ensemencé que 50 jugeres').
A supposer ce qui n’est point sür’), que cette superficie ne
contienne point les champs cultivés en orge, en multipliant le tout
par 2,5 coefficient de jachère, la propriété de Polemarchus ne dé-
passera pas néanmoins 47 hectares. Enfin ce sont des propriétés
parcellaires que celles des cultivateurs qui ne labourent qu’un
jugère à la fois. Si Verrès les a décimés, si, sous l’oppression
dont il les accablait, ils ont laissé là leur champ et leur charrue,
leur nombre avant Verrès était considérable, et ils formaient au
dire de CICÉRON une grande multitude: emrgnus numerus ac magna
multitudo»?). — Ainsi nous avons rencontré en Sicile des ex-
ploitations agricoles de toutes les dimensions, de 25 ares à 600
hectares comme à Léontini; mais des passages des Verrines que
nous venons d'étudier il résulte que les grands domaines étaient
l'exception et la petite minorité, les petits domaines la grande ma-
jorité et la règle.
Ces domaines étaient indistinctement exploités par les Siciliens
indigènes et les Romains immigrés après la conquête“). Toutefois
l’élément national semble avoir prévalu jusqu’à l’époque de Verrès.
Sans quoi on s’expliquerait malaisément la hâte que mirent les
villes sous ce préteur, à racheter la perception de leurs dîmes
aux décimateurs: elles n’eussent pas été aussi généreuses pour
leurs vainqueurs°). Les arr/orcs Siciliens l’emportent avec
Polemarchus de Murgentia®), Eubulidas ’), Sostratus, Numenius,
1) Cıc., Verr., Il, III, 25, 56: Polemarchus est Murgentinus vir bonu:
atque honestus. Ei cum pro Jugeribus quinquaginta medimna DCC decumur
smperarenturs.
2) Car CicERoN dit „medimna“ sans spécifier „medimna trilici“, et si la
dime de l’orge est adjugée à un autre décimateur que la dime du blé, les
deux dimes peuvent être acquises également par la même adjudicataire.
8) Cic., Verr., D. III, 11, 27: «Quid? qui singulis jugis arant, qui ab
upere ipsi non recedunt, quo in numero maynus ante le praetorem numcrus
ac magna multitudo Siculorum fuit, quid facient Pr.
4) Cf. Cıc., Verr., IT, II, 64, 155: «Modo aratorum honestissimorum et
Siculorum et civium Romanorum maximum numerum abs le ab alienasti:».
5) Cf. les exemples cités par Cıc., Verr., IT, II, 27, 68; 32, 75; 839, 88.
6) Cıc., Verr., II, II, 23, 56.
7) Cic., Verr., I, II, 23, 56.
_
La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 173.
Nymphodorus'), Xeno de Menae”), Nympho de Centuripae’).
Enfin CICÉRON nous apprend que la classe la plus nombreuse des
propriétaires était composée de Sieiliens*). Mais les Romains aussi
cultivent en Sicile’). Nous rencontrons à Léontini un simple
citoyen C. Matrinius®) et la femme du consulaire C. Cassius’”),
à Aetna un chevalier Q. Lollius®), à Ségeste un sénateur C.
Annaeus Brocchus?).
Les Siciliens exploitent en général des terres de moindre
étendue ‘°) que les Romains, qui ne seraient pas venus de Rome
pour un lopin de quelques jugères; et c’est ainsi que la femme
de C. Cassius et C. Matrinius, inscrits à Léontini, appartiennent
au canton par excellence de la grande propriété.
Chose curieuse, quand les Siciliens se trouvent en possession
le très grands domaines, c’est en qualité de locataires et non de
propriétaires. Ce sont des locataires que Nympho de Centuripae
et Dioclès de Panorme surnommé Phimès. Or la récolte totale
de Nympho s'élevait l’année où il eut maille à partir avec le
décimateur de Verrès à 7000 médimnes -. 3500 hectolitres !!),
1) Cıc., Verr., II, II, 28, 67.
2) Cıc., Verr., II, II, 22, 66.
3) Cıc., Verr., II, DI, 21, 53. Ajouter à cette liste Phimès de Panorme.
Cıc., Verr., U, 10, 40, 98.
4) Cıc., Verr., I, I, 11, 27: «qui singulis jugis arant, quo in nu--
mero ... magna multitudo Siculorum fuit».
5) Cıc., Verr., II, IH, 5, 11: «In hac causa frumentaria cognoscenda
haec vohis proponite, judices, vos de civium Romanorum qui arant
in Sicilia bonis cogniluros>».
6) Cıc., Verr., Il, III, 24, 60: «Qui C. Matrinium judices Leontinis -
ta publico biduum tenuit».
7) Cıc., Verr., U, II, 41, 97: «In C. Cussio, cum is eo ipso tempore
primo istius anno consul esset, tanta improbitate usus est, ut, cum ejus uxor,
femina primaria, paternas arationes haberet in Leontino ...».
8) Cıc., Verr., IX, IH, 29, 61: «Qui (Q. Lollius) cum araret in Aetnensi».
9) Cıc., Verr., IL, LI, 40, 93: «Huic eidem Symmacho (in agro Sege-
stano) C. Annaeus Brocchus senator homo eo splendore, ea virlute qua omnes
eristimalis, nummos praeler frumentum coactus est dare».
10) Cf. supra n. 4.
11) Cıc., Verr., IT, II, 21, 54: «Sic Apronius decumanus non decumam
debitam ... sed tritici VII milia medimnum ex Nymphonis arationibus:
tollit».
174 Jérôme Carcopino
ce qui avec une moyenne de production au jugere de 8 médimnes
donne une superficie emblavée de 875 jugères — 219 hectares.
Il est plus malaisé mais non pas impossible de trouver l’étendue
dn domaine de Phimès. CICERON nous dit en effet que Phimès,
bousculé par les décimateurs, dut consentir à leur remettre 16 000
sesterces - 4000 francs et 654 médimnes — 327 hectolitres de
grains!) Or ce dernier chiffre représente selon nous la dime de la
récolte. En effet il convient de remarquer tout d’abord que 654
médimnes ne font pas un chiffre rond. Ce nombre ne semble
pas avoir été imposé par l'arbitraire du décimateur à l’adhésion
du contribuable?) La complication du compte est un premier
indice qu’il a été fait directement sur le produit de la moisson
et qu'il équivaut à peu près au dixième de la récolte de Phimès.
Il faut noter ensuite que si l’on convertit les 654 médimnes en
une somme d'argent, à raison de 18 sesterces le médimne”), on
n’obtiendra que 11772 sesterces . 2943 francs, soit les deux
tiers des 16000 sesterces 4000 francs réclamés en sus de la
contribntion en nature. Par conséquent, si nous limitons à la
«somme des 16000 sesterces le bénéfice personnel du décimateur.
il est encore supérieur d’un tiers à la dîme elle-même et est
égal aux plus lucratifs que nous rencontrions au cours des Verrines;
et puisque CICERON n’a point souligné d’une mention spéciale
l’avidité du décimateur, nous n’avons pas lieu de croire quil
faille encore ajouter à ce gain déjà considérable toute une part
des médimnes exigés. Ce qui achève d'entraîner notre conviction.
c'est le passage que nous lisons quelques lignes plus bas dans
le même paragraphe du discours. Nous voyons que le même
décimateur auquel Phimès eut affaire, Symmachus, contraignit
1) Cic., Verr., II, III, 40, 93: «Arabat is (Phimes) agrum conductum
in Segeslano ... Pro decuma cum pulsatus a Venerio esset, decidit HS XVI
et medimnis DCLIIID.
2) Le plus compliqué des „lucra“ est celui exigé par Bariobal à Amestratus:
il demande 850 médimnes au lieu des 800 qui lui sont düs, plus 1500 ses-
terces (Cic., Verr., IX, II, 39, 89). Cf. au contraire des lucra de 2000 mé-
dimnes (Cıc., Verr., D, III, 37, 84 et II, III, 38, 86), de 88800 médimnes et
21000 médimnes (Cıc., Verr., II, II, 32, 75), de 3000 médimnes (Cıc., Verr.,
IT, III, 42, 100).
3) Sur les cours du blé cf. supra p. 142 sg.
La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 175
un voisin de Phimès dans le canton de Ségeste, le sénateur C.
Annaeus Brocchus à lui donner de l'argent en plus du grain
régulièrement perçu‘). Pourquoi donc vouloir que d’une ex-
ploitation à l’autre Symmachus ait varié ses procédés? Il est
bien plus vraisemblable d'admettre qu'il a usé auprès de Brocchus
de la tactique qui venait de lui réussir auprès de Phimès. S'il
en est ainsi, ler 16000 sesterces constituent le bénéfice extra-
légal et personnel de Symmachus et les 654 médimnes de grain
représentent la dime de la récolte de Phimès. Et cette récolte
d’environ 6540 medimnes : 3270 hectolitres suppose une super-
ficie emblavée de 817 jugères --: 205 hectares. Les fermes prises
à ferıne par Phimès et par Nympho étaient, on le voit de vastes
exploitations: magna: arationes conductas habebat, comme dit
CıcEron en parlant de ce dernier *).
Or Nympho est un richard*); Phimès appartient à une fa-
mille noble et illustre“). C’est l’habitude qu’en Sicile les hommes
riches louent de vastes étendues de terres pour les faire valoir°).
Les citoyens de la cité la plus opulente de l’île sont aussi ceux
qui ont contracté le plus grand nombre de baux et nous trou-
vons les habitants de Centuripae installés en fermiers, un pen
partout à la fois, sur le territoire d’Aetna comme sur celui de
Leontini‘). Il semble que le fait en lui-même ait frappé CICÉRON :
1) Cic., Verr., O, III, 40, 98: Cf. la comparaison des deux passages
Pro decuma cum pulsatus a Venerio | Annaeus Brocchus nummos praeter
esset, decidit HS XVI et medimnis | frumentum coactus est dare,
DCLIIN. (
2) Cf. Ci, Verr., IT, Il, ch. 21, 68: «Is (Nymph:) cum arationes
magnas conductas haberetr. Tout au plus pourrait ou soutenir que dans les
654 médimnes de la récolte de Phimès sont comprises les fernae quinqua-
gesimae que le décimateur prenait en plus de la dime: la dime proprement
dite ne serait alors que de 614 médimnes, ce qui d’ailleurs ne réduirait la
superficie emblavée que de 50 jugères et par conséquent ne modifierait pas
sensiblement nos conclusions.
3) Crc., Verr., H, IH, 21, 53: «Homines locupletes sicut ille est».
4) Cıc., Verr., II, III, 40, 93: « Diocles est Panhormitanus, Phimes cog-
nomine, homo illustris ac nobilis».
6) Cıc., Verr., Il, III, 21, 53: «Is cum arationes magnas haberet, quod
homines etiam locupletes in Sicilia facere consuerunt».
6) Cic., Verr., II, III, 45, 108: «Centuripini qui agri Aetnensis multo
176 Jérôme Carcopino
il l’a signalé à ses lecteurs, mais il nous a laissé le soin d'en
proposer une explication.
Le fait doit tenir, dans la plupart des cas, à la location
censorienne des terres composant, en Sicile, l’ager publicus populı
Romani. Les censeurs, en effet, avaient tout intérêt, pour sim-
plifier et en même temps pour assurer le recouvrement des rede
vances, à attribuer l’ager publicus, en quelques lots énormes
à un petit nombre de locataires, riches par ailleurs et présentan
des garanties; et il est à noter que le canton de Léontini dont tan
de cultivateurs sont citoyens de Centuripae, rentre précisémen
tout entier dans la catégorie des terres domaniales'). Comm:
nos capitalistes modernes recherchent des concessions dans le
pays neufs que l’État s’est appropriés, les capitalistes d’alor
obtenaient de l'État Romain des terres à défricher, et les met
taient en valeur, avec tous les moyens dont ils disposaient. Vue
à travers les Verrines, leurs exploitations apparaissent comm
parfaitement organisées, munies de tous les outils indispensables
peuplées de travailleurs. Nympho, par exemple, n’a reculé »
devant les frais, «magna impensr magnoque instrumento», ni de
vant la peine, car lui-même intelligent et actif veille à l’utili
sation des dépenses et à la coordination des efforts, «cum kom
gnarus et industrius . . . cas... tueretur» ?). Comme les con
cessions d'aujourd'hui, ces grandes fermes sont louées à bas prix
Ainsi Phimès a loué sa ferme six mille sesterces = 1500 francs”
La somme est dérisoire si l’on admet que le bail, à longue échéance
porte non seulement sur les terres emblavées (205 hectares) mai
encore sur les terres en jachères (512 hectares en tout): elle me
l’hectare à 2 francs 95. Elle est encore bien faible si la locatio:
annuelle ne porte que sur les terres ensemencées: dans ce ca
mazximam parlem possid.nt. Arant enim tota Sicilia fere Centuripinis. -
Ibid. 48, 114: «Centuripini qui numerus in agro Leontino mazimus est:
Sur la richesse de Centuripae cf. Verr., IL IV, 28, 50: «in civitate totiu
Siciliae mulio maxima et locupletissima».
1) Sur la situation de l’ager Leontinus, voir mon article de Afél. d’arcl
et dhist., loc. cit., p. 48 sq.
2) Cic., Verr., U, III, 21, 58. _
8) Cıc., Verr., I, DI, 40, 98: «Conductum habebat HS sex milibus:
La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 177
elle met l’hectare à 7 francs 35. Dans les deux cas la rede-
vance au propriétaire est inférieure de près de moitié à la rede-
vance au fisc. Et si Phimès doit acquitter 1500 francs ou 6000
> %
sesterces à celui-là, il doit acquitter à celui-ci 654 médimnes de
blé c’est-à-dire une somme de 11 772 sesterces ou 2943 francs).
VII. Recensement de la classe agricole.
M. DarEstE a déjà calculé le nombre des cultivateurs de Sicile
pendant la première année de la préture de Verr&s?). En 73
av. J.-C., il y avait à Léontini 84 cultivateurs; il y en avait
187 dans le canton de Mutyca, 252 dans celui d’Herbita, 250
dans celui d’Agyrium*). M. DARESTE a pris une moyenne de
200 cultivateurs par canton“) et multiplié cette moyenne par
1) Qui l’emportait dans la pratique du bail à court terme ou du bail à
longue échéance? Dans la pénurie de renseignements dont nous souffrons, nous
ne pouvons rien affirmer. Toutefois trois raisons militent en faveur de la
location annuelle. 1° Une raison de texte: les termes „araliones con-
ductas“ semblent exclure de la conductio tout a qui n’est pas „labours“ (il
est vrai que Phimès a loué „agrum“). 2° Une raison logique. Pourquoi le
locataire qui loue en vue de la culture des céréales tiendrait-il à ce que la
possession de terres improductives lui fût allouée? Avec des baux à court
terme il peut chaque année affermer une nouvelle exploitation et pour un
moindre sacrifice obtenir autant de bénéfices. 3° Une raison juridique: le
droit civil Romain (et il est probable que les Romains qu'il favorisait en
étendirent l'application à la Sicile) prévoit pour les biens ruraux deux caté-
gories de contrats de louage 1° des taux faits pour plusienrs années.
2°) des taux limités à l’année agricole. Or si dans le premier cas les mau-
vaises années sont censées trouver dans les bonnes une suffisante compensation,
dans le second le fermier a droit à une remise de fermage (remissio mercedis)
si la récolte n’a pu être perçue par suite d’un cas de force majeure (invasion,
inondation, grêle) (cf. P. F. Ginarn, Traité élém. de Droit Romain, in-8°,
Paris 1901, 3me éd., p. 567 n. 4). En Sicile comme partout ailleurs l'intérêt
du locataire est d’obtenir le second bail. Mais en Sicile il arrive que le loca-
taire est ordinairement plus fort, parce que plus riche, que le propriétaire.
Le second bail a donc dû prévaloir.
2) DARESTE, De conditione et forma Siciliae, 1 vol. in-8°, Paris 1860,
p. 30.
3) Cıc., Verr., II, UI, 51, 120.
4) Cette moyenne est en réalité supérieure de 8 unités à la moyenne
arithmétique réelle. Nous la conserverons néanmoins pour neutraliser les
chances d’erreur par défaut qu’introduit dans les calculs le canton de Léon-
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgesehichte. IV. 12
178 Jérôme Carcopino
le ehifire des cantons. Nous avons vu que la Sicile contemporaine
de CICÉRON ne comprenait pas plus de 65 cantons!) Combinde
avee cette estimation, la methode de M. DARESTE nous amène
done à fixer à 13000 environ le nombre des eultivateurs de
Sicile en l’année 78.
Que représente ce chiffre par rapport à l’ensemble de la po-
pulation? Bien peu de ehose, si Fon en croit M. DARESTE.
Qu'est-ce en effet que 200 cultivateurs par canton, alors que sur
le territoire de la seule cité de Centuripae, on eomptait, au temps
de CiCÉRON, 10000 citoyens *), ce qui donne à ce territoire une
population totale d’au moins 40000 habitants ?
Mais le raisonnement de M. DaresTE est plus spécieux que
convaincant; car s’il est bien vrai qu’au moment où CICERON rédige
les Verrines Centuripae comprend 10000 citoyens, il faut observer
d’une part que l’orateur fait de ce nombre un mérite exceptionnel
aux Centuripin:, et d'autre part que la moyenne de 200 par
canton à laquelle M. DARESTE s'est arrêté ne peut en aucune
manière représenter la part de Centuripae dans le recensement
total des cultivateurs. En effet, les C'uturipin:, à l’etroit dans
leurs frontières ont débordé sur les cantons voisins. Ils forment
la majorité des cultivateurs de Léontini*); ils détiennent la plus
rande partie du territoire d’Aetna “); ils labourent dans toutes
les parties de la Sicile à la fois®). Et peut-être, à eux seuls,
dirigent-ils un plus grand nombre d’exploitations que tous les
autres Siciliens réunis”). On ne saurait donc tirer de la compa-
tini, dont la population, concessionnaire de l’ager publicus, doit être très in-
férieure aux chiffres ordinaires.
1) Cf. supra p. 161.
2) Cıc., Verr., Il, II, 68, 163: </tecitarem decreta Centuripinorum, lau-
darem illam civitatem, id quod verissime possem, commemorarem X milia civium
ess: Centuripinorum fortissimorum fidehissimorumque sociorum . . .».
8) Cıc., Verr., Il, II, 48, 114: «Tum aratores Centuripini, qui numerus
in agro Leontino maximus est».
4) Cıc., Verr., II, IO, 45, 108: «Immo etium Centuripini qui agri
Actnensis multo macimam partem possident».
5) Cıc., Verr., loc. cit.: «Arant enim fere tota Sicilia Centuripini».
6) Cic., Verr., II, HI, 45, 108: « Ipsi aratores Centuripini qui numerus
ext in Sicilia marimus hominum honestissimorum et locupletissimorum».
La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 179
raison entre le chiffre de la population civique de Centuripae et
la moyenne des cultivateurs par canton les conclusions pessimistes
qu’en a déduites M. DARESTE; et c’est avec le chiffre de la po-
pulation totale de l’île qu’il convient de confronter le nombre des
cultivateurs.
La population de la Sicile est évaluée aujourd’hui !) à 3 604 191
habitants. Elle était bien plus faible autrefois ?). Au V?megidcleavant
l'ère la population de la Sicile était à peu près équivalente à celle
du Péloponnèse: «Les Athéniens, dit THUCYDIDE, faisant voile vers
la Sicile, ignoraient la grandeur de l’île et le nombre des habitants
Hellènes et Barbares, et ne se doutaient pas qu'ils se mettaient
sur les bras une guerre pas de beaucoup inférieure à celle qu'ils
faisaient contre le Peloponnese>°). Cette infériorité à peine
sensible. THUCYDIDE la déduit évidemment de la double compa-
raison des superficies et des populations des deux pays. Or la
superficie du Péloponnèse comprend 5400 kilomètres carrés des
moins que la Sicile“). Et alors de deux choses l’une: ou l’on
admet que THUCYDIDE s’est trompé dans l'appréciation des sur-
faces, mais alors il faut convenir de l’insignifiance de son erreur,
et on n’a pas le droit d'affirmer à priori qu’il s’est trompé da-
vantage dans l'appréciation des populations; ou l’on maintient
que THUCYDIDE n’a point commis d'erreur, et il faut conclure que
la Sicile était alors d'autant moins peuplée que le Péloponnèse
qu'elle est plus étendue. Dans le premier cas on devrait évaluer
la population de la Sicile à un chiffre supérieur à la population
du Péloponnèse mais proportionnel à la supériorité de sa super-
ficie, c’est à dire supérieur d’un cinquième ; et dans le second cas à un
1) C’est du moins le total de l’addition des chiffres fournis par le dernier
recensement des différentes provinces de la Sicile, cf. l’Almanach de Gotha,
1904, p. 931.
2) Sur cette question de la population de la Sicile, voir les deux opinions
contradictoires de HoLm, op. cit., II, p. 392—894, et de BELOCH, op. cit.,
p. 266—273. Nous nous rangeons à l’avis de M. BELOCH.
3) Tauc., VI, 1: «ini ZixsAlay nleboavıss xataotpépaodar, sl düvarvro,
&narpot ol noÂdoi Övrsg Tod peyédoug tig vhoou xal Tüy évorxoüvrwy TOD
nAndoug nai “EAlhvoy xai Bapñäpwv xal tt où noA1G tivi bnobéeotspov
néAeuov Avnpoövro 7) Töv npög Telornovvnaloug».
4! La superficie du Péloponnèse n’est que de 20148 Km’.
180 Jérôme Carcopino
chiffre inférieur de la même quantité. Le mieux consiste, à notre
avis, à ne point se faire illusion sur la rigueur des ces proportions,
et à conclure simplement, que pour THUCYDIDE, qui n’était armé
ni de mesures géodésiques ni de données statistiques exactes,
mais qui avait assez de clairvoyance pour qu'aujourd'hui nous
tenions compte encore de ses affirmations, les deux populations
étaient à peu près équivalentes. Or la population du Péloponnèse
à la fin du V"*siècle est justement évaluée à 706000 habitants
environ'). (C'est autour du même chiffre qu'à la même époque
nous ferons graviter la population de la Sicile.
Mais de l'expédition de Nicias à la préture de Verrès cette
population de Sicile n’a-t-elle point connu, à défaut d’une multipli-
cation rapide, la continuité d’une lente et graduelle croissance ?
Les luttes entre Syracuse et les Carthaginois, puis entre les
Carthaginois et les Romains l’ont au contraire affaiblie. Apres
la première guerre punique, les vainqueurs, au dire de STRABON,
durent installer leurs troupeaux dans de véritables déserts *). En
admettant que l’émigration Romaine ait comblé bien des vides,
il faut encore compter avec les pertes que firent subir à la po-
pulation servile les répressions de 132 et de 101. Aussi pouvons-
nous supposer qu'au temps de Verrès la population Sicilienne
n’est pas très différente de ce qu’elle était au V”® siècle; et cette
opinion est confirmée d’ailleurs par les chiffres de la consommation
à cette date’). La Sicile produisait alors 5083000 médimnes
de blé, et au maximum 25415000 médimnes d'orge‘). Or les
Siciliens devaient conserver au moins ‘+ de la récolte pour les
semences de l’année suivante, et ”/ı» pour l'exportation à Rome.
Il est donc impossible que les Siciliens aient consommé plus de
1) BELOCH, op. cit., p. 149.
2) Cf. SrrABON, p. 273, VI, 2, 6: «tv obv épnuiav xatavorjoavısg Popaîiors.
8) Cette méthode est bien incertaine: c’est la seule que nous permette
la pénurie des documents. Elle fut pour la première fois appliquée à la Sicile
par DUREAU DE LA MALLE, Économie Politique des Romains, 2 vol. in-8*®,
Paris 1840, II, p. 380. Parce qu’il ne fait aucune part à l’exportation, D. D:
A MALLE arrive à un total de 1190592 habitants, et parce qu'il croit que la
dime se limite à l'ancien royaume d’Hieron, il considère cette population
comme celle du royaume d’Hieron exclusivement.
4) Cf. supra, p. 158.
La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 181
60°; de la récolte, soit plus de 3049800 médimnes de blé et
1 524 900 médimnes d’orge. Or d'après les calculs de BæcKux!)
et de BELOCH*?) la consommation par tête et par an s'élève à
6 médimnes pour le blé, et 7 médimnes pour l'orge. A ce compte,
la consommation en blé suppose 508300 consommateurs; la
consommation précitée en orge en suppose 217847. Du chiffre
de la consommation totale nous déduisons une population totale
de 726147 habitants. Le chiffre est considérable et l’on se de-
mande seulement comment CICÉRON a pu faire de 13000 culti-
vateurs la classe prépondérante en Sicile*), alors qu’ils forment
à peine ‘/55 de la population totale (2 %/0).
C’est il convient de préciser la portée du mot aratures
dans les Verrines. Par là Cıckron entend designer non point
tous ceux qui vivent du travail de la terre, mais ceux-là seuls
qui, inscrits sur les registres des cités, dirigent une exploitation,
soit qu'ils la possèdent en propre, soit qu'ils l’aient à bail.
Ce que nous devons dire, pour être exact, c’est qu’il y avait
en Sicile, au temps de Verrès, 13000 domaines indépendants les
uns des autres. Or 1° même en faisant abstraction des domaines
compris dans l’ager publicus, même en defalquant les domaines
qui, appartenant à un même propriétaire, faisaient double et
triple emploi, le chiffre devait encore être énorme pour une
époque où l’on n’arrivait plus à trouver à Rome 2000 propriétaires
fonciers“). 2° si l’on compte en outre tous ceux qui à quelque
titre que ce fût concouraient à la mise en valeur du sol et par
suite à la richesse et à la force de la classe agricole sicilienne,
elle apparait vraiment considérable. Nous avons calculé que la
superficie des terres ensemencées s'élevait à 953000 jugeres?).
Or Saserna, cité par VARRON, évalue à 8 jugères la surface en
1) BOECKH, Sluutshaushaltung der Athener, me 6d. (Fränkel). 2 vol.
in-8°, Berlin 1886, T. I, p. 98.
2) BELOCH, op. cit., p. 83.
8) Cf. Cıc., Verr., II, IL, 97, 226: «Quid est enim Sicilia si agri-
cultionem sustuleris ac si aratorum nomen extinxeris Ps
4) Cıc., De of., Il, 21, 78: «Non esse in civitate duo milia hominum
qui rem haberent».
5) Cf. supra, p. 156.
182 Jérôme Carcopino
céréales pour la culture de laquelle suffit l’activité d’un seal
homme’). La superficie précitée suppose donc au moins 119125
travailleurs des champs. Si donc on englobe dans ce nombre
les 13000 chefs d'exploitation ?), si on admet qu'ils se font aider,
dans une tâche à laquelle ils mettent la main eux mêmes, par
106125 auxiliaires (que les détenteurs de grandes exploitations
salarient ou achètent suivant qu'ils s’adressent à la main d'œuvre
libre on servile, mais que les petits propriétaires recrutent dans
leur propre famille), on voit que les aratores et leurs subordonnés
— c'est à dire toute la population agricole de la Sicile —
forment le sixième environ — 17°/o — de sa population totale.
I est vrai que cette proportion est encore inférieure — mais
de deux douzitmes seulement — à la proportion actuelle”).
Conclusion.
Essayons maintenant de coordonner les résultats obtenus an
cours de cette enquête: ils ne laisseront pas, à première vue,
de nous surprendre.
Une classe agricole qui, par rapport à l’ensemble de la po-
pulation, a été, jadis, numériquement inférieure à ce qu’elle est
maintenant; une surface de terres en friche bien plus considérable
hier qu'aujourd'hui; un chiffre de production moins élevé dans
la Sicile ancienne que dans cette Sicile contemporaine, pourtant
si pauvre et si misérable dès qu'on a quitté la merveilleuse
floraison des eyrımi qui s’épanouit sur les flancs de l’Etna
pour s'engager dans les champs à blé de l'île occidentale:
voilà certes une conclusion que la lecture des anciens ne nous avait
mu mm nn 0 _
1) VARRON, De I. K., I, 18: «Saserna scribit satis esse ad jugera VIII
hominem unum».
2) II est injuste de les comprendre tous. Le sénateur C. Annaeus
Brocchus, par exemple, ne devait pas travailler à sa terre. Le chiffre que
nous donnons au total est donc un minimum.
3) Le dernier recensement par professions que nous ayons consulté
est celui de 1881. En 1881, sur une population totale de 2927 901 habitants
la Sicile comprenait 697728 cultivateur: ou employés agricoles, soit 1 culti-
vateur sur 4,2 Siciliens (28°). Cf. le Censimento della prpolasione del regne
d’Italia al 31 dicembre 1881, 4 vol. in-8°, Rome 1884, III, p. 661.
La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 188
mensongères les affirmations de CICÉRON, de Dıovork et de PL
quand ils nous vantent l’opulence, la fertilité, la prospérité Siciliennes?
Ce fameux grenier de la République Romaine, dont parle CATON '),
était-il vide? Et devons-nous terminer cette étude sur la coa-
statation à demi consolante*) que la triste réalité du présent
marque un progrès sur la réalité plus triste encore qui l’a précédée ?
Nous ne le pensons pas: bien loin d’infirmer la tradition lit-
téraire, nos calculs, à les examiner de plus près, la fortifient,
et c’est en faveur de l'antiquité qu’ils témoignent en fin de compte.
La Sicile antique a été la plus riche, puisque si elle pro-
duisait deux fois moins de céréales, c'était pour une population
cing fois moins nombreuse. La Sicile antique a été la plus
féconde puisque, si elle a produit denx fois moins de céréales,
c'était une surface trois fois moins étendue; et puisque de l’hectare
de terre elle obtenait seize hectolitres de blé au lieu des onz
qu'il rend aujourd'hui. Que l’agriculture Sicilienne soit tombée
dans une profonde décadence, la preuve est faite. Notre enquête
va nous dire pourquoi ?
Tout le monde admet aujourd’hui que l’abaissement de l’agri-
culture Sicilienne tient surtout à une division défectueuse de
la propriété. Mais les conservateurs opposent aux revendications
des laboureurs Siciliens l’inexorable immutabilité des lois na-
turelles”). A les entendre, en effet, ce n’est point le Zatifundium
qui a créé la culture extensive; c’est la culture extensive qui
nutricem plebis Romanae Siciliam rominabat».
2) Cf. l'expression de cette tendance optimiste dans l’intéressant article
de M. BARBAGALLO: «La produzione media relativa dei cereali e della vite
nella Grecia, nella Sicilia e nell Italia antica, dans la Rivista di storia
antica, VIII, 1903, p. 477—504. Cf. notamment le début: «I! mondo classico
e apparso a noi moderni come l’Eldorado della popolosità e della richerza,
e la voce wnanima degli siudiosi, contro tutte le norme della demografia,
lo hanno decantato di gran lunga piw popoloso del contemporaneo etc.
3) Cf. par ex. l’article déjà cité du Mis pr Rupint. Voir notamment ce
qu'il dit p. 162: «Per me il latifundo esiste dove s’impone la culiura
estentiva, il latifundo cessa dove comincia la cultura intensiva.» Et p. 170:
«Il latifundo dunque non e causa delle condisioni sociali e agrarie, che
abbiamo descritte. Esso ne è la consequensa logica, necessaria e inevitubile.e
184 Jérôme Carcopino
entraîne inévitablement la création du Zatifundium; or la culture
extensive est liée elle-même à la sécheresse du climat Sicilien;
en sorte que la misère des classes agricoles en Sicile procède,
de toute nécessité, des conditions géographiques de l’île. Ad-
mettrons-nous donc que la supériorité de la Sicile ancienne
s'explique uniquement par un changement de climat survenu
depuis lors, une diminution des chutes de pluie, ou tout au moins
une rupture, déterminée par le déboisement, dans l’équilibre de
leur répartition, et par les conséquences que cette modification
a entrainées ?
Qu'elle se soit produite, c’est possible, et nous n'y contre-
dirons point; mais quoi qu’il en soit, c’est la culture extensive
que la Sicile ancienne a pratiquée; et la culture extensive n'a
pas empêché, quand la loi agraire de Ti. Gracchus eut reçu
son application dans l’île, le morcellement des Zatifundia incultes
en plus petits domaines ensemencés de blé et d'orge.
Nous conclurons donc que par lui seul et en soi le changement
des formes de propriété a contribué à modifier la situation éco-
nomique de la Sicile. Les cultivateurs Siciliens étaient, par
rapport à la population totale, à peine moins nombreux naguère
qu’à présent, tandis qu'ils étaient établis sur une étendue de
terrain bien plus restreinte naguère qu’à présent. Chaque parcelle
de cette étendue pouvait donc être mieux cultivée; labourée, semée,
fauchée avec plus de soin. Et elle l'était en effet. Le gros
capitaliste de jadis, au lieu de se désintéresser comme maintenant
de ses domaines, d’en vivre éloigné, d’en affermer les parts à
de pauvres ouvriers sans ressources, qui parfois, plutôt que
d'attendre de leur travail un bénéfice aléatoire, dérobent pour
leur consommation personnelle tout ou partie du grain qu’on leur
donne à semer, le gros capitaliste contemporain de CicÉRon et
que molesta Verrès louait des terres et les faisait valoir en personne.
Et puis le gros capitaliste était à cette époque l’exception ; c’étaient
les petites propriétés qui dominaient. Les laboureurs Siciliens
travaillaient alors avec d'autant plus d’ardeur qu'ils travaillaient
pour leur compte.
Il n’est pas niable que la réalité économique, en relation
étroite avec les conditions géographiques, ne fagonne, dans une
La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 185
large mesure, l’ordre social, et ne l’adapte à ses successives
transformations. Mais il n’est pas non plus contestable que
l’ordre social, tel que les lois humaines le déterminent, ne réagisse
à son tour sur la réalité, et qu’à la meilleure répartition des forces
sociales correspondent toujours leur rendement le meilleur et
leur effet le plus utile. A défaut du simple bon sens, la lecture
des Verrines suffirait à nous en convaincre.
Miszellen.
Der „faber publice probatus“ der Lex Alam. LXXIV 5.
Von
Carl Koehne (Berlin).
Eine Stelle des Alamannischen Volksrechts, die sich auf die
unfreien Schmiede bezieht, hat bis in die neueste Zeit zu vielen Miß-
verständnissen Anlaß gegeben, welche auch zur Annahme solcher
gewerblicher Einrichtungen für das 8. Jahrhundert geführt haben,
die erst viel später entstanden sind. Eine richtige Erklärung jener
Quellenstelle ist auch noch nirgends veröffentlicht worden, so vielfach
man sich auch in jüngster Zeit mit den Anfängen des deutschen Hand-
werks beschäftigt hat. Lex Alam. LXXIV 5 lautet:
Faber aurifex aut spatarius, qui publice probati sunt, occidantur,
40 solidos componat,
beziehungsweise in der leichter verständlichen Form der meisten,
indes nach Ansicht des neuesten Herausgebers späteren Texte: si
oceidantur, 40 solidis componantur !).
Der erste Forscher, der sich mit dieser Quellenstelle beschäftigte,
GFRÖRER (Geschichte der d. Volksrechte II 1866 8. 144) übersetzte
das uns hier allein interessierende Sttick dieser Stelle mit „des Schmieds,
Goldarbeiters oder Schwertfegers, die öffentlich geprüft sind“. Er
meint, „mit klaren Worten“ werde „hier die öffentliche Prüfung von
Handwerkern, die Sklaven sind, erwähnt“. „Man“ müsse „demnach
den Schluß ziehen, daß in gewissen schwäbischen Orten, etwa zu
Straßburg, zu Konstanz oder Augsburg, Innungen von freien Meisters
bestanden, welche das Recht hatten, Zeugnisse tiber die Tüchtigkeit
von Handwerkern auszustellen.“
Diese Ausführungen GFRÖRERS wurden allerdings schon 1870 von
Wartz’)abgelelhnt. Indesmeint auch dieser Forscher, daßdamals „Knechte
und Hürige“ als Handwerker „wohl mit Genehmigung ihres Herr
und vielleicht gegen Abgaben anderer Art als die, welche Landbaners
1) MG. LL. V, in 4° p. 189.
21 VG. IL, in der zweiten Aufl. S. 211, ebenso II, 1 in der dritten Aufl.
(1852) 8, 972.
Der „faber publice probatus“ der Lex Alam. LXXIV 6. 187
zahlten, auch für Fremde arbeiteten“. Da Warrz dafür gerade auch
unsere Stelle der Lex Alam. zitiert, so muß dies seiner Ansicht nach
nicht nur in Burgund, wo es durch Lex Burg. XXI 2 bezeugt ist,
sondern auch im eigentlichen Deutschland, wenigstens in Alamannien,
der Fall gewesen sein.
Ebenso meint VON INAMA-STERNEGG (D. W.G. 18. 143), daß an jener
Stelle Leibeigene gemeint seien, „die ftir größere Kundschaft arbei-
teten“; sie seien „als Öffentlich erprobte Handwerker bezeichnet“, und
damit sei „ihre Eigenschaft als Gewerbetreibende besonders zum "Aus-
druck gebracht“:
Neuerdings hat nun Dann in dem 1902 erschienenen Bd. IX 1 der
„Könige der Germanen“ die Ansicht GFRÜRERS mit folgenden Worten
wenigstens teilweise wieder aufgenommen:
„Unfreie Zimmerleute (sic!), Gold- und Waffonschmiede werden
sogar öffentlich geprüft und erhalten dann für deren Herren ein Wer-
geld von 40 sol.“
Diese Ansicht teilt aber auch der neueste Herausgeber der Lex
Alam., indem er die wirtschaftlichen Zustände ihrer Entstehungszeit
wit den Worten schildert ’):
„Mannigfache Berufe von Sklaven werden aufgezählt, ja von einer
Art öffentlicher Approbation ist die Rede.“
Zunächst handelt es sich indes hier nicht um drei Arten von Hand-
werkern, wie GFRÖRER und DAHN annehmen, sondern nur um zwei, die
Gold- und die Waffenschmiede, welche sonst in dieser Zeit als Eisen-
schmiede bezeichnet werden. Nur die Verschiedenheit des Materials
hat zur Verteilung der Schmiedearbeit an zwei besondere Gruppen
von Unfreien geführt. Dies geht klar aus folgender Stelle des Pactus.
Alam. hervor:
III 27 Si faver ferrarius occisus fuerit, 40 solidos componat.
28 Si aurifex fuerit, 50 solidos componat ?).
Offenbar hat der Pactus hier wie an anderen Stellen 3) in der Lex
Alam. nur eine genauere Ausführung erhalten. Dies kann mit um so
größerer Sicherheit behauptet werden, als auch die Lex Salica €) von
den in Betracht kommenden Stoffbearbeitern nur den Eisen- und Gold-
schmidt, die Lex Burgund.5) den Goldschmidt, Silberschmidt, Eisen-
und Bronceschmidt, die lex Romana Burgundionum 5) den Goldschmidt
und Eisenschmidt, die lex Visigothorum 7) den Goldschmidt and Silber-
1) N. Arch. X, S. 496.
2) LL. V, in 4° p. 26.
3) Vgl. SCHROEDER, DRG. S. 245, vun AMrRA Grundr. d. germ. Rechte’,
S. 16.
4) XXXV, 6 (ed. HESSELS, Sp. 56): fabrum ferrarium aut aurifice.
5) tit. X (LL. IL, in 4° p. 50, 51): 2. Qui aurificem lectum occiderit, CC
solidos solvat. 3. Qui fabrum argentarium ... 4. Qui fabrum ferrarium ...
u. tit. XXI 2 (ibid. p. 60): Quicumque vero servum suum aurificem, argen-
tarium, ferrarium, fabrum aerarium .
6) I, 6 ar p. 127): pro aurifice electo C, pro fabro ferrario L .
7) VII, 6 1 (LL. I, in 4° p. 311): Aurifices aut argentarii vel quicumque
188 Carl Kohne: Miszelle.
schmidt, die lex Frisionum'} den Goldschmidt kennt, während die
übrigen Volksrechte überhaupt nichts auf diese Handwerke speziell
Bezügliches enthalten. Das Capitulare de villis nennt auch ausdrück-
lich als Schmiede die Eisenschmiede einerseits, die Gold- oder Silber-
schmiede andererseits?). Neben dem Schmidt (Grobschmidt) und dem
Goldschmidt noch einen besonderen „Schwertfeger“ anzunehmen oder
„fabri* an unserer Stelle mit Dann als „Zimmerleute“ zu fassen, liegt
also kein Grund vor). Andererseits darf man aber in dem spatarius
wohl auch nicht mit MERKEL *) den Waffenknecht gemeint finden, der
uns als „swertdrago armiger“ in einigen altdeutschen Glossen entgegen
tritt. Allerdings ließe sich dafür außer den Glossen von St. Peter im
Schwarzwalde und Admont, welche jener Gelehrte°) zitiert, auch eine
Trierer Glosse aus dem 12. Jahrhundert anftlihren, welche gerade dea
hier zu erklärenden Ausdruck „spatarius“ mit Schiltknecht gleich-
stellt®); bei dieser Auffassung würde auch der „spatarius“ eine Paral-
lele in dem „servus fiscalinus, qui ostem facit“ in den Zusätzen zum
Bayrischen Volksrechte finden, der offenbar mit dem „hiltiscalch“ iden-
tisch ist, welcher in dem Schenkungsbuche von St. Emmeran in Regens-
burg erwähnt wird’). Indes findet sich für spatarius in einem alten
Glossare auch die Bedeutung „Schwertmacher“ 8), und vor allem weist
die erwähnte Übereinstimmung mit dem Pactus darauf hin, daß wir
in dem spatarius einen Grobschmidt zu sehen haben, der nur von
seinem wichtigsten Arbeitsprodukte genannt ist.
Noch mehr als das Wort „spatarius“ bedarf der Ausdruck „pu-
blice probatus“ einer besseren Erklärung, als sie ihm bisher zuteil
geworden ist. In der Tat ist nämlich den Worten „publice probati
weder zu entnehmen, daß irgendwelche mit bestimmter Stoffbearbeitung
beschäftigten Hörigen Öffentlich geprüft wurden, noch daß sie für
andere Personen als für ihre Herren arbeiteten.
Was zunächst „probatus“ betrifft, so bedeutet dies Wort durchaus
nicht nur denjenigen, der eine bestimmte Prüfung bestanden hat,
artifices. Im Rubrum sind sie als „quorumcumque metallorum fabri“ zusam-
mengefaßt.
1) Judicia Wulemari 10 (LL. III, p. 699).
2) c. 45 (ed. BOR&TIUS p. 87): fabros ferrarios et aurifices vel argentarios
3) Daß bei den Römern Zimmerleute mitunter auch als „fabri tignarii®,
seltener „lignarii“, Fabrikanten von Fuhrwerken als „carpentarii fabri“ be-
zeichnet wurden (vgl. BLUEMNER, Technologie der Gewerbe bei Griechen und
Römern I, S. 241 u. 825 mit Note 4), kommt für uns um so weniger in Be
tracht, als im Römerreiche faber ohne näheren Zusatz „durchweg auch des
Metallarbeiter“ bezeichnet (ibid. II, S. 166).
4) In seiner Ausgabe der Lex Alam. (LL. III in fol., p. 78 Note 28).
5) À. a. 0.
6) Althochdeutsche Glossen hera. von AUG. HEINR. HOFFMANN (1898)
S. 12 Nr. VII: sciltknet — scutarius, scutifer, item armiger et spatarius.
7) S. Lex Baiuw. Add. I, 1 in LL. III, p. 450 mit Note 1.
8) 8. DiEFFENBACH, Glossarium Latino-Germ. (1857) p. 545: spatarim
achwert macher. Das Vokabular, das diese Angabe enthält, ist spätestens
1021 geschrieben, geht aber auf ältere Quellen zurück.
r „faber publice probatus“ der Lex Alam. LXXIV 5. 189
sondern auch ganz allgemein: anerkannt, vorzüglich, bewährt, ttichtig.
In dieser Bedeutung ist es nicht nur sowohl in den Briefen des älteren
und jtingeren Plinius') und im Corpus iuris Justinians?) mehrfach
bezeugt, sondern kommt auch in der Lex Alam. selbst vor. Tit. LXXVIII, 4
dieses Gesetzes sagt, von der Tötung fremder Hunde sprechend: Bonus
canis porcaritius ... componat; vel si veltrives, leborarius proba-
tus cum occiderit, cum 3 solidis componat, was dem Sinne nach
gleichbedeutend in anderen Texten mit:
Si veltrum leporalem probatum aliquis occiderit, cum 3 solidis
componat
gegeben wird).
Auch sonst werden in den Volksrechten Tötung und beziehungs-
weise auch Diebstahl zur Jagd abgerichteter Tiere dann mit einer
höheren Buße belegt, wenn sich diese Tiere bereits bewährt hatten‘).
Dies wird in der angeführten Stelle in Hinsicht auf den zur Hasenjagd
abgerichteten Hund mit „leporarius probatus“ gegeben. Dieselbe Be-
deutung hat „probatus“ auch in allen Glossaren, in denen es einfach
mit „bewert, gepruffet“, wie probare mit „beweren, erfarn, erkennen“
übersetzt wird5) Welches deutsche Wort aber dem „probatus“ in
unserer Stelle entsprochen hat, geht klar aus der Identität von
„wärian" und „gäwärian“ mit „probare“, von „daz piwarta“ mit
„probatum“ im Althochdeutschen hervor ®).
Wenden wir uns nun zur Bedeutung von „publice“. Dies Wort
hat hier wie „publicus“ auch sonst oft in derselben Zeit keinerlei Zu-
sammenhang mit der „res publica“, sondern heißt nur „vor der Öffent-
lichkeit“. So wird z. B. verboten, an Sonntagen vor der Öffentlich-
keit (in publico) gewisse Arbeiten vorzunehmen z. B. zu waschen’),
und die Münzer sollen stets „publice“, d. h. im vollen Lichte der
Öffentlichkeit, prägen *). Demnach ist der „aurifex publice probatus“
der lex Alamannorum im wesentlichen identisch mit dem „aurifex lectus“
1) S. die bei Forcellini s. v. probatus zitierten Stellen, namentlich operum
probatissimi artifices (Plin. ep. 9, 19).
2) S.1.38 4 Dig. de lib. exh. (XXII, 80): vir omnibus modis probatus,
L 17 $ 1 Dig. de testam. tut. (XXVI, 2): bene probati et idonei atque honesti
tutores, 1. 8 Cod. de professoribus (X, 53): a probatissimis approbati, 1.1181
Cod. Qi potiores (VIII 17): probatae atque integrae opinionis virorum.
L. V in 4°, p. 142, 143 vgl. Ro'rt, Gesch. des Forst- und Jagdwesens
1873) S. 61.
4) Vgl. Lex Sal. XXXIIL, 2,3, Lex Bai. XIX, 5 und zu letzterem WaGnrkr
in Germania, Zt. f. d. Altertmsk. 29 (1884), S. 118.
6) Vgl. DIEFFENBACH, a. à. 0. p. 460.
6) S. rar F, Althochdeutscher Sprachschatz I, Sp. 923, 924.
7) S. Karls des Gr. Admonitio generalis von 781 c. 81 (ed. "BORETIUS p. 61).
8) Capitul. de moneta c. 820 c. 2 (p. 299). Vgl. zu „publice* auch
Decretum Compendiense a. 757 c. 18 (Capitul. p. 39): alteram in publico (sc.
in matrimonium) accepit, Pippini Capit. Suessionense 744 p. 29 c. 2: haeresim
publiciter condempnaverunt, Lex Sal. XLVI, 6 (in Cod. 6 bei HESSELS Sp. 302):
publice festucam iactare u. ibid. 4: publice nominare, sowie meine Schrift
über das Recht der Mühlen bis zum Ende der Karolingerzeit (1904), S. 26.
190 H. Wopfner: Miszelle.
vder ,electus“ der beiden Burgundischeu Volksrechte ‘); mit dem
„öffentlich erprobten“ wie mit dem „ausgesuchten“ Goldschmiede ist
ein allgemein als solcher anerkannter, vorzüglicher Geldschmidt
emeint.
ö Nach dem Alamannisehen Volksrechte soll also den Schmieden
nur dann ein höherer Wert zuerkannt werden, wenn sie aieh bereits
ala solehe bewährt hatten. Sie konnten aber nichtedesto wenige
lediglich in der Wirtschaft ihres Eigentümers beschäftigt gewesen sein
Gewiß ist es kein Zufall, daß nur in den Gesetzen, welche die lediglich
auf römischem Kulturgebiete sich niederlassenden germanischen Völker
schaften, Burgunder und Westgoten, sich gaben, auch die Bestrafung
unfreier Goldschmiede behandelt ist, welche, für andere Personen als
ihre Herren arbeitend, Materialunterschlagungen begehen?). Sind doch
sonst die Deliktstatbestände des westgotischen Gesetzes mehıfach bei
Kodifikationen anderer Germanenstämme benutzt und nur mit abweï
chenden Straffolgen versehen worden’). Für jenen Deliktafall aber
fehlten auf deutschem Gebiete die wirtschaftlichen Voraussetzungen
So wenig wie sie sind aber auch öffentliche Prüfungen der Handwerker
irgendwie durch die erwähnte Stelle der Lex Alam. bezeugt.
Freie und unfreie Leihen.
von
H. Wopfner (Innsbruck).
in seinem Werke, betitelt „Die soziale und politische Bedeutung
er Grundberrschaft im früheren Mittelalter“, hat G. SEELIGER die
bisher meines Wissens allgemein von der Forschung beobachtete Schei-
dung der bäuerlichen Leihen in freie und hufrechtliche (unfreie) als
unberechtigt zu erweisen getrachtet. Da ich in meinen „Beiträgen
zur Geschichte der freien bäuerlichen Erbleihe Deutschtirols im Mittel-
alter“ 4) diese Scheidung als berechtigt vorausgesetzt hatte, suckte ich
den hier vertretenen Standpunkt gegenüber SEELIGER in einem Auf-
satze „Freie und unfreie Leihen im späteren Mittelalter“ 5) zu recht-
fertigen.
In Anbetracht des Umstandes, daß die freie bäuerliche Erbleihe in
Deutschtirol erst seit dem 13. Jahrhundert eine namhafte Rolle spielt
und erst in dieser Zeit deutlicher hervortritt, kam es mir vor allem
darauf an, die Berechtigung der Scheidung in freie und unfreie Leihen
1) S. die oben S. 187 Note 6 u. 7 zitierten Stellen.
2) Lex Burg. XXI, 2 (p. 60), Lex Visig. VII, 6, 4 (p. 311).
3) Vgl. BRUNNER, DRG. I 8. 300, 301 mit Note 4.
/ D ATRRKE, Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtageschichts.
67. Heft.
L Ho) Vierteljabrschrift für Social- und Wirtschaftsgeschichte, Jahrg. 1905,
. Heft.
Freie und unfreie Leihen. 191
für das spätere Mittelalter, also etwa für die Zeit des 1% bis 15. Jahr-
hunderts, zu erweisen.
Als frei bezeichnete ich in beiden Untersuchungen jene Leihen,
welche das Verhältnis zwischen Leiheherrn und Beliehenen rein sachen-
rechtlich ordneten, also keinerlei persönliche Abhängigkeit des Leihe-
manns vom Grundherrn herbeiführten. Während ich in meiner älteren
Arbeit, welche die Erbleihe Deutschtirols behandelte, die unfreie Leibe
mit der Leihe zu Hofrecht identifizierte, sah ich mich auf Grund der
Ausführungen SEELIGERs veranlaßt, diese Gleichstellung von „Leihe
zu Hofrecht“ und „unfreier Leihe“ nur mit bestimmten Einschränkungen
aufrecht zu erbalten!). Einmal hob ieh hervor, daß zu unterscheiden
sei zwischen einer Leihe nach strengerem und leichterem Hofreeht,
und daß nur die Leihe zu strengerem Hofrecht als unfrei bezeichnet
werden dürfe. Andererseits kam ich zum Ergebnis, daß im früheren
Mittelalter nicht jede unfreie Leihe eine Leihe nach Hofrecht sein muß.
Es wird sich also wohl zur Vermeidung von Irrtümern empfehlen, die
Bezeichnung der unfreien Leihen als Leihen zu Hofreeht lieber ganz
fallen zu lassen.
Da ich SEELIGERS Ausfübruugen in seiner „Untersuchung der so-
zialen und politischen Bedeutung der Grundherrschaft“?) in dem
Sinne verstanden hatte, daß er die Scheidung von freien und unfreien
Leibea überhaupt und nicht bloß hinsichtlich des früheren Mittelalters
verwerfe, suchte ich in meinem Aufsatz über freie und unfreie Leihen
direkte Belege für die Berechtigung dieser Scheidung beizubringen.
In seiner jüngeren Abhandlung beschränkt nun SEELIGER ausdrück-
lich seinen Widerspruch gegen die erwähnte Finteilung der Leihe-
verhältnisse auf das 10. und 11. Jahrhundert: „... entschieden leug-
nen mußte ich, daß im 10. und 11. Jahrhundert die bäuerliche
Leihe an sich zur Hörigkeit oder auch nur zur persönlichen
Abhängigkeit vom Herrschaftsgericht geftihrt, daß es Leihen gegeben
habe, die den Beliehenen kraft grundherrlicher Gewalt persönlich unter
die herrschaftliche Gerichtsbarkeit brachten. Hofrecht und hofreeht-
liche Leihen im Sinne der üblichen Ansicht begegnen nicht, können
nicht begegnen“).
Läßt sich aber in der Tat das Vorhandensein unfreier Leihen im
angegebenen Sinn für das 10. und 11. Jahrhundert nicht dartun? Das
eine, dinkt mich, steht fest: Wenn schon im 14. Jahrhundert unfreie
Leihen erweislich sind, bei welchen die Unfreiheit gleichsam als Real-
last auf dem Leihegute liegt, so daß jeder Übernehmer eines der-
artigen Leiheguts der Unfreiheit verfällt, so muß die Entstehung
der unfreien Leihe einer bedeutend früheren Zeit zugewiesen werden.
Eine derartige Gestaltung von Rechtsverhältnissen bedarf doch regel-
mäßig zu ihrer Entwicklung eines bedeutenden Zeitraumes und einer
lang vorhergehenden Übung, d. h. es mußten unfreie Leihen tatsäch-
1) Vierteljahrsehrift für Social- und Wirtschaftsgeschichte, II. 7.
2) S. 181 u. 191.
3) Histor. Vierteljahrschr. VILI. 321.
192 H. Wopfner: Miszelle.
lich schon lange in Übung gewesen sein, bevor jener Prozeß der Radi-
zierung zum Abschluß kam.
Ein direkter Nachweis des Bestandes solcher unfreier Leiheverhält-
nisse gestaltet sich freilich um so schwieriger, als wir Aufzeichnungen
über dieselben für die ältere Zeit nicht erwarten dürfen, da derartige
unfreie Leiheverhältnisse in älterer Zeit anscheinend nur ein kurz
fristiges Nutzungsrecht gewährten!). Kurzfristige Leiheverhältnisse
wurden aber in der Regel einer schriftlichen Fixierung unwert er-
achtet ?).
Wenn ferner, wie SEELIGER in Übereinstimmung mit andern Forschern
beobachtet hat, in zahlreichen Grundherrschaften nur unfreie grund-
herrschaftliche Hintersassen erscheinen), so findet eine solche Tat-
sache in der Annahme unfreier Leiheverliältnisse unstreitig die ein-
fachste Erklärung.
Was besagt endlich eine Urkunde von 9684), welche von einem
Innehaben grundherrlicher Güter seitens der Hintersassen „iure inge-
nuitatis“ spricht, anderes, als daß die Hintersassen ihre Leihegfter
ohne nachteilige Folgen für ihren Stand nutzen mögen. Hätte es nicht
Leiheverhältnisse gegeben, welche die standesrechtliche Stellung des
Leihemanns minderten, so hätte die Versicherung, daß die Güter zu
treiem Recht genutzt werden sollen, keinen Sinn.
Was nun die Entstehung der freien Erbleihe betrifft, 80 stimme
ich SEELIGER darin vollkommen bei, daß dieselbe nicht erst im 12.
und 13. Jahrhundert erfolgte). RIETSCHEL hat gleichfalls das Vor-
1) Vierteljahrschrift für Social- und Wirtschaftsgeschichte, IL 16.
2) Wie sehr man sich davor hüten muß, aus dem Fehlen von Aufseich-
nungen bestimmter Leiheverträge Schlüsse auf die Häufigkeit des Vorkom-
ınens der betreffenden Leiheverhältnisse zu ziehen, zeigen am besten die
Ausführungen DorscHs (Österreich. Urbare, I. Abteil. I. Band CXLIII) über
das „Freistiftrecht“, ein bäuerliches Besitzrecht, welches eine bloß einjährige
Nutzung gewährte. Obwohl dasselbe schon im 18. Jahrhundert im Herzog-
tum Österreich stark verbreitet war, schöpfen wir die Kunde über dasselbe
nicht aus etwa vorhandenen Leihebriefen, sondern verdanken dieselbe nur
dem Anlaß, daß es sich um die Ablösung eines besseren Besitzrechts durch
das Freistiftrecht oder die Konstaticrung handelte, daß in einem spesiellen
Fall ein Freistiftrecht und nicht ein besseres Besitzrecht vorgelegen sei
Vgl. Vierteljahrschrift für Social- und Wirtschaftsgeschichte, IT. 9 f.
8) SEFLIGER (Forschungen, i. d. Hist. Vierteljahrschr., Jahrg. 1905,
321 Anm. 1) bemerkt, in dieser Hinsicht habe es allerdi stets unfreie
Leihegüter gegeben, in fränkischer Zeit ebenso wie in nachfränkischer, doch
stellt er in Abrede, daß die bäuerliche Leihe im 10. und 11. Jahrhundert
allgemein zur Unfreiheit geführt habe. Es dürfte nun SEELIGER wohl ==
zugeben sein, daß die ältere bäuerliche Leihe von Rechts w keines-
wegs allgemein eine standesrechtliche Wirkung ausüben mußte Faktisch
muß sie diese Wirkung doch in sehr vielen Fällen geäußert haben, wie die
Tatsache zeigt, daß viele Grundherrschaften nur unfreie Hintersassen auf-
zuweisen haben.
4) Histoire de Metz 79. Zit. Warrz, Deutsche Verfassungsgesch. V',
300 Anm. 1.
5) Ich habe dementsprechend in meiner Untersuchung der freien bäuer-
Freie und unfreie Leihen. 193
kommen freier Erbleihen in früheren Jahrhunderten nicht in Abrede
gestellt!).. Wenn ich hier wie auch in meinen früheren Arbeiten zu-
gebe, daß die Entstehung der freien Leihen keineswegs erst dem
13. Jahrhundert angehört, so halte ich andererseits nach wie vor daran
fest, daß die Ausbreitung freier bäuerlicher Erbleihen erst seit
dem 11. und 12. Jahrhundert, in Tirol insbesondere erst seit dem
13. Jahrhundert, erfolgte. Über ein häufigeres Vorkommen der-
artiger Erbleiheverhältnisse in früherer Zeit müßten wir doch einiger-
maßen unterrichtet sein, da langfristige Leiheverträge naturgemäß der
Aufzeichnung bedurften und derselben auch teilbaftig wurden.
Obwohl ich gern bekenne, aus SEELIGERs Untersuchung viel ge-
lernt zu haben, so glaube ich doch gegenüber SEELIGER bemerken zu
müssen ?), daß zwischen seiner Auffassung von der Geschichte der
freien bäuerlichen Erbleihe und der meinen noch erhebliche Verschieden-
heiten bestehen. Wenn ich auf Grund der Ausführungen SEELIGERS
davon abging, die Identität von unfreier Leihe und Leihe zu Hofrecht
fernerhin aufrecht zu erhalten, und ebenso die Unterstellung unter das
grundherrliche Gericht nicht mehr als Kennzeichen der freien Leihe
erkenne, so gehen unsere Ansichten doch noch in wesentlichen Punkten
auseinander, vor allem in der Frage nach der Berechtigung der Schei-
dung in freie und unfreie Leihen.
SEELIGER findet es unvereinbar, daß ich in meinem Aufsatz über
treie und unfreie Leihen jene Meinung, welche im Hofrecht das Standes-
recht der Hörigen sieht, nicht als die herrschende ansehen will, während
ich doch in meiner Einleitung zur Geschichte der bäuerlichen Erbleihe
Deutschtirols von einer Ausgleichung der standesrechtlichen Verschieden-
heit unter den Mitgliedern der Hofgenossenschaft spreche. Demgegen-
über möchte ich folgendes bemerken: Wenn ich davon gesprochen habe,
daß seit dem Ausgang des Mittelalters die Mitglieder der Hofgenossen-
schaft zu dem einen Stand der Hörigen verschmolzen, sowie daß das
Eintreten in ein hofrechtliches Leiheverhältnis eine Minderung der
Freiheit mit sich gebracht habe, so ist damit noch nicht gesagt, daß
ich das Hofrecht als Standesrecht der Hörigen ansehe. Als Standes-
recht kann dasselbe nach HEUSLER?°), dem ich mich in genannter Ein-
leitung vielfach anschloß, nur dann angesehen werden, wenn das Hof-
recht Folge der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stande, etwa zum
unfreien Bauernstande, wäre. Dies ist aber nicht der Fall, da es auch
unfreie Bauern gibt, welche des Hofrechtes darben *).
lichen Erbleihe Deutschtirols nur von einer Ausbreitung, nicht von einer
Entstehung derselben im 13. u. 14. Jahrhundert gesprochen.
1) Zeitschr. f. Rechtsgesch. XXII., german. Abteil. 208 und 230.
2) SEELIGER behauptet (Histor. Vierteljahrschr. VIII. 3, 308 Anm.), daß
ich im wesentlichen seinen Standpunkt angenommen hätte.
3) Institutionen des deutschen Privatrechts, I. 89.
4) SEELIGER findet es merkwürdig, daß ich MAURER und GIERKE unter
jenen anführe, „welche schon die richtige Eigenschaft des Hofrechtes erkannt
haben, nämlich daß es nicht Recht der Hörigen sei“. Ich habe 9. 8 Anm. 5
meines Aufsatzes über freie und unfreie Leihen bemerkt: „Schon MAURER,
a. a. O. IV. 12, und GIERKE, a. a. O. I. 157, wiesen auf die innerhalb des
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtechaftsgeschichte. IV. 13
194 H. Wopfner: Miszelle. Freie und unfreie Leihen.
Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen der ISEELIGERschen
Auffassung von der Entwicklung der freien bäuerlichen Erbleihe und
der meinen besteht in der Bedeutung, welche wir der precaria für die
Ausbildung der freien bäuerlichen Leihe zuerkennen. Hierauf ist je-
doch SEELIGER in seinem jüngsten Aufsatze noch nicht eingegangen.
weiteren hofrechtlichen Verbandes auftretenden Sondergruppen von Hinter-
sassen verschiedenen Standes hin.
Ich wollte mich hiemit nur gegen die von SEELIGER (Bedeutung der
Grundberrschaft 179) vertretene Ansicht wenden, wonach er es als Grundirrtum
der üblichen Ansicht erklärt, „daß die Grundherrschaft uniformierend auf
dem Gebiete des Standesrechtes der Hintersassen gewirkt habe“. Er selbst
führt ja als Beweis gegen diesen Irrtum der üblichen Ansicht „die Ver-
schiedenheit des Personenrechtes der einzelnen Schichtungen der Unfreien“
an. Da nun schon MAURER wie GIERKE diese Verschiedenheit der Schich-
tung anerkannten, so kann ihnen, wie mir scheint, auch von BEELIGER
(a. a. O. 179) nicht die irrige Meinung von der uniformierenden Wirkung
des Hofrechtes zugeschrieben werden.
Literatur.
SIEGFRIED RIETSCHEL, Das Burggrafenamt und die hohe Gerichtsbar-
keit in den deutschen Bischofsstädten während des früheren Mittel-
alters. Leipzig, Veit & Comp., 1905. XI u. 344 S. 10 Mk.
Das mittelalterliche Burggrafenamt hat der Forschung bisher er-
hebliche Schwierigkeiten bereitet. Die Kompetenzen der Burggrafen
waren so verschiedenartig, daß es schwer gefallen ist, den ursprüng-
lichen Charakter des Amtes zu bestimmen. Zwar ist man einig dar-
über, daß weitaus die meisten „Burggrafen“ Burgkommandanten waren,
aber gerade die ältesten und wichtigsten Burggrafen schienen in erster
Linie Träger der hohen Gerichtsbarkeit, also wirkliche Grafen, zu sein.
Sprachlich konnte man die Burggrafen an sich ebensowohl als Stadt-
grafen wie als Burgkommandanten auffassen. So ist es verständlich,
daß die herrschende Meinung seit ARNOLD eigentliche und uneigentliche
Burggrafen unterschied. Erstere galten als wirkliche Stadtgrafen,
letztere sollten entweder die hohe Gerichtsbarkeit verloren haben oder
von vornherein nur Titularburggrafen gewesen sein.
In dem vorliegenden Buche wird die Untersuchung von neuem auf
der breitesten Grundlage aufgenommen. Für jede deutsche Landschaft
werden die über das Burggrafenamt vorliegenden Nachrichten gründlich
gesammelt und geprüft. Zur Aufklärung der gerichtlichen und mili-
tärischen Funktionen der städtischen Burggrafen wird die hohe Gerichts-
barkeit in den Bischofsstädten und das Alter der Stadtbefestigungen
in die Untersuchung einbezogen. Die Hauptergebnisse des Verfassers
sind m. E. unanfechtbar. Alle Burggrafen, auch die städtischen, sind
Burgkommandanten (Grafen im weiteren Sinne). Die Burggrafen als
solche haben mit der hohen Gerichtsbarkeit in den Bischofsstädten
nichts zu tun. Vielmehr fällt seit den ottonischen Privilegien in fast
allen Bischofsstädten die hohe Gerichtsbarkeit dem bischöflichen Vogte
zu. Nur in Köln übt sie der vom Bischof belehnte Gaugraf aus, in
Regensburg teilen sich der unabhängige Gaugraf und der bischöfliche
Vogt in die hohe Gerichtsbarkeit. Dieser Sachverhalt ist nur durch
den Umstand verdunkelt worden, daß weitaus die meisten städtischen
Burggrafen zugleich das Vogt- oder das Gaugrafenamt bekleideten.
Ferner weist RIETSCHEL nach, daß die städtischen Burggrafen bis
zum Anfang des 12. Jahrhunderts in lateinischer Sprache regelmäßig
praefectus urbis oder ähnlich genannt werden, nie comes urbis. Das
ist ein deutlicher Beweis, daß die Zeitgenossen die Burggrafen scharf
von den wirklichen Grafen unterschieden (8. 319).
Bis zum Ausgang des 12. Jahrhunderts waren die Burggrafen über
196 Referate.
das deutsche Sprachgebiet sehr ungleichmäßig verteilt. Zahlreich
kommen sie nur in Flandern, den nordöstlichen Marken und den Ost-
alpen vor. Je nach der Beschaffenheit ihrer Burg und den ihnen
überwiesenen Nebenfunktionen ist ihre Stellung sehr verschieden.
Auf die wichtigste Gruppe, die der Präfekten, deren Burg eine Stadt
war, gehe ich weiterlin näher ein. Für Flandern war schon bekannt.
daß das Land in Burggrafschaften eingeteilt war, in denen die Burg-
srafen zugleich gerichtliche Funktionen versahen. Dieselbe Organi-
sation weist jetzt RIETSCHEL für die Mark Meißen nach. Er führt
iiberzeugend aus, daß das dortige ursprünglich königliche, später mark-
gräfliche Burggrafenamt im Laufe des 11. Jahrhunderts geschaffen
worden ist. — In dem Korveyer Burggrafenamt sieht RIETSCHEL
(3. 275) nur eine durch Usurpation in der Mitte des 12. Jahrhunderts
vorübergehend eingeführte Einrichtung. Er hat übersehen, daß schon
im Jahre 1106 in einer Korveyer Urkunde Heriboldus urbanus pretor
zwischen dem Schenken und dem Truchseß als Zeuge erscheint (Warrz,
Urkunden zur deutschen Verfassungsgeschichte, Nr. 14). Die spätere
Usurpation bestand also darin, daß Rabano erbliche Ansprüche auf
das Burggrafenamt erhob und die Zuständigkeit desselben auszudehnen
suchte. Allerdings ist dieser in einer Klosterimmunität ausgetibte
Burgbann eine auffallende Erscheinung. Wir werden uns an die her-
vorragende militärische Bedeutung der Burg Korvey erinnern, deren
Burgbann im Jahre 940 sich auf die Bevölkerung von 4 Nachbargraf-
schaften erstreckte (M.G. DD. I, Otto I. 27). Den dem Abte verliehenen
Burgbann scheint schon damals ein Vertreter (wohl der spätere Burg-
wraf) ausgeübt zu haben.
Die weitaus grüßte rechtsgeschichtliche Bedeutung kommt der-
jenigen Burggrafen zu, welche Befehlshaber befestigter Städte wareı.
Solche Burggrafen, welche abweichend von den anderen regelmäßig
den Titel praefectus (urbis) führen, begegnen uns in 11 Städten:
Köln, Trier, Mainz, Worms, Speier, Würzburg, Regensburg, Magdeburg,
Utrecht, Straßburg, Augsburg. Eben diese 11 Städte sind nun nach
RIETSCHEL (3. 322) innerhalb des deutschen Sprachgebiets des Reichs
die einzigen, welche bis zum Ausgang des 11. Jahrhunderts ummauert
waren. Seine eingelienden Untersuchungen machen einen überzeugenden
Eindruck. Nur hinsichtlich Passaus halte ich es gegen RIETSCHEL
(8. 77) für völlig sicher, daß die Stadt im Jahre 976 befestigt war.
Was hätten die possessores der civitas Passau, deren Grundstücke is
der urbs lagen, mit der ihnen zum Lohn für ihre Treue vom Kaiser
gewährten Zollfreiheit auf allen Wasserstraßen des Reiches anf:
sollen, wenn sie nicht Kaufleute waren (M.G. DD. IL Otto IL 137)?
An die familia in der Domimmunität darf man gewiß nicht denken
(s0 RIETSCHEL, Markt und Stadt S. 135, Anm. 2). RIETSCHELS
gründe erledigen sich bei der Annahme, daß das suburbium vielleicht
der Ungarngefahr wegen im 10. Jahrhundert ummauert worden war.
Trotzdem ist es nicht befremdlich, dass in Passau kein Burggraf nach-
zuweisen ist. Wie weiterhin zu besprechen ist, sind die Stadtpräfek-
turen in den befestigten Städten, also vermutlich auch in Passau, vor
970 eingeführt worden. Schon 977 aber ließ der Kaiser die Befesti-
Referate. 197
gungen Passans schleifen (vgl. UnLırz, Jahrbücher des Deutschen Reichs
unter Otto II. und Otto III., Bd. I S. 100).
Von den städtischen Burggrafen wird der Regensburger um 970,
der Kölner 1032 zuerst erwähnt, die tibrigen tauchen allmählich bis
zum Beginn des 12. Jahrhunderts auf. Nirgends erfahren wir, in
welchem Zeitpunkt das Amt begründet wurde. Bei dieser Sachlage
1äßt es RIETSCHEL (S. 326) dahingestellt, ob alle diese Burggrafonämter
gleichzeitig entstanden oder nach dem Vorbild des Regensburger
Amtes die übrigen im 11. Jahrhundert geschaffen worden sind. Er
hat mehrere Urkunden nicht beachtet, auf welche gerade durch seine
Forschungen erst das rechte Licht fällt. Es sind die oft besprochenen
Diplome Ottos I. und seiner Nachfolger für St. Maximin (M.G. DD. I,
Otto I. 391, HI, Otto II. 42, Otto III. 62, III, Hear. II. 94). Nach der
Angabe der wahrscheinlich nicht vollzogenen, aber sicher gleichzeitigen
Urkunde von 970 gewährt Otto I. der in predicta Trevirorum urbe
aliisque imperii nostri civitatibus vel prefecturis wohnenden familia
des Klosters gewisse Vergünstigungen. Die 3 folgenden Urkunden von
973, 990 und 1005 gewähren ähnliche Rechte in singulis civitatibus
imperialibus (regalibus) vel prefectoriis. Schon ARNOLD und HEUSLER
haben erkannt, daß die praefecturae oder praefsctoriae civitates dieser
Urkunden die burggräfliehen Städte sind. Sie fallen mit den befestigten
Städten (civitates) des Reichs zusammen, wie das ja auch RIETSCHEL
für das 11. Jahrhundert, wenigstens für das deutsche Spraehgebiet,
festgestellt hat. M. E. wird man nicht mehr daran zweifeln können,
daß das Burggrafenamt um die Mitte des 10. Jahrhunderts in den
obengenannten Städten durch königliche Anordnung gleichzeitig ein-
geführt worden ist.
In einem Punkte scheinen die St. Maximiner Urkunden den Ergeb-
nissen RIETSCHELS zu widersprechen. In den Städten des französischen
Sprachgebiets des Reiches fehlt das deutsche Burggrafenamt; wahr-
scheinlich gilt dies auch für Metz (S. 192 ff... Dagegen ist mindestens
für eine dieser Städte, was RIETSCHEL nicht beachtet hat, eine Ein-
riehtung nachzuweisen, welehe die Einreihung auch dieser Städte unter
die praefectoriae civitates wohl rechtfertigen konnte. Die bischöfliche
Urkunde von 1069 tiber die Rechte des Touler Grafen (Wartz, Ur-
kunden, Nr. 8) bezeugt in ihrem Eingang, daß dessen Vorgänger (seit
dem Ende des 10. Jahrhunderts) hane urbem rexerunt et defensaverunt.
Da dem Grafen, wie RIETSCHEL mit Recht betont, die hohe Gerichts-
barkeit in Toul selbst nicht zusteht, kann die Stelle nur 80 gedeutet
werden, daß er, wie z. B. der Trierer Burggraf, der militärische Be-
fehlshaber und Verteidiger der Stadt war. Eine Bestätigung liefert
8 11. Das einzige Amt in der Stadt, bei dessen Besetzung der Graf
mitwirkt, ist ein militärisches: die eustodia portae. Wir dtirfen also
sagen, daß dem Grafen von Toul als solchem zugleich die Funktionen
eines Burggrafen zustehen. Ich vermute nun, daß das gleiche für die
Grafen von Verdun, Metz und Cambrai ursprünglich galt. So würde
sich die dem Metzer Grafen zugeschriebene Stadtpräfektur einfach
erklären. Höchst wahrscheinlich war der Touler Graf schon Stadt-
kommandant, ehe im 10. Jahrhundert die Grafschaft dem Bischof ver-
198 Referate.
liehen und die Stadt abgetrennt wurde; darum dürfte die lothringische
Einrichtung älter als die verwandte deutsche sein.
Sind nun, um zum deutschen Sprachgebiet zurückzukehren, die
ältesten Burggrafen königliche oder bischöfliche Beamte gewesen?
Der Regensburger war zweifellos königlich; RIETSCHEL (8. 326 f.
neigt dazu, für die übrigen das gleiche anzunehmen, und obige Er-
örterungen scheinen zunächst diese Auffassung zu bestätigen. Die
Frage ist um so weniger mit Sicherheit zu beantworten, als wir den
senauen Zeitpunkt der Einführung des Amtes nicht keunen und nur
mit RIETSCHEL vermuten können, daß er erst in die spätere Regie-
rungszeit Ottos I. fällt. Da das Amt offenbar vom König eingeführt
worden ist, wird man annelımen dürfen, daß die Burggrafen dem
König für Instandhaltung und Verteidigung ihrer Festung verantwortlich
waren. Dagegen ist es mir wahrscheinlich, daß, abgesehen von Regens-
burg, wo der Bischof die volle Stadtherrschaft nie erlangt hat, die
Ernennung der Burggrafen den Bischöfen von vornherein tiberlassen
wurde. In 7 Städten ist das Amt regelmäßig mit dem des bischöf-
lichen Vogts bezw. Grafen verbunden; RIETSCHEL selbst bemerkt (8. 329).
daß diese Verbindung ursprünglich zu sein scheint. Es ist auch w-
wahrscheinlich, daß in den weit auseinanderliegendeu Städten schon
im 11. Jahrhundert die Ernennung der Burggrafen so gleichmäßig auf
die Bischöfe übergegangen sein sollte. Speziell für Augsburg vgl
BERNERS beachtenswerte Ausführungen (Zur Verfassungsgeschichte der
Stadt Augsburg, 9. 38 ff.).
Naclı der trümmerhaften Überlieferung hat RIETSCHEL scharfsinnig
die Amtsstellung der städtischen Burggrafen im einzelnen rekonstruiert.
Treffend erscheinen mir z.B. die Ausführungen über das Recht, Über-
bauten zu brechen (8. 331f.). Nicht ganz befriedigen die Darlegungen
über die Weiterentwicklung des Amtes. Mit Recht stellt RIeTScHEL
(S. 329) fest, daß das Amt an Originalität früh Einbuße erlitten hat,
daß man vielfach die Funktionen des Burggrafenamts nicht mehr unter-
schied von denen anderer, mit ihm verbundener Amter. Den früh-
zeitigen Verlust der wichtigsten Funktionen hat RIETSCHEL d
nicht hervorgelioben. Wie die wenigen Nachrichten aus dem 11. Jahr-
hundert aus Regensburg und T'rier erkennen lassen (8. 330), war der
Burggraf vor allem Befehlshaber der in die Stadt gelegten Besatzung,
der milites'). Dasselbe dürfte noch 1105 bei dem Burggrafen von
Speier der Fall gewesen sein. Dagegen trage ich Bedenken, mit
RIETSCHEL (S. 330) in den 1000 Schilden, welche neben 500 Pfand
im Jahre 1117 die Ausstattung der Burggrafschaft Magdeburg bildeten,
die Besatzung dieser Stadt zu sehen. Dem Wortlaut der Nachricht
1) Über die älteren städtischen Besatzungen liegen wenig Nachrichten
vor. Ich darf wohl auf die Gasse der 110 stets mit Roß und Waffen ver-
sehenen Ritter in der nordfranzösischen Stadt St. Riquier aufmerksam machen.
Siehe das interessante, in Lors Ausgabe von HArıuLı', Chronique de l'abbaye
de St. Riquier, S. 306 ff., abgedruckte Abgabenverzeichnis. Es dürfte dem
11. oder 12. Jahrhundert angehören. Die herkömmliche, auch vom Hersor
geber S. XXVTIT übernommene Angabe, cs sei ein Bestandteil des Zineregisters
von 831, ist unglaubwürdig.
Referate. 199
nach ist eher an eine periodische Abgabe wirklicher Schilde zu denken,
welche ursprünglich für den Fall einer Belagerung aufbewahrt werden
sollten. Weiterhin verschwindet, obwohl die Quellen viel reichlicher
fließen, jede Spur davon, daß der Burggraf eine Besatzung befehligt.
Spätestens seit der Mitte des 12. Jahrhunderts, in Köln anscheinend
sogar schon 1074, jedenfalls 1106, liegt eben die Bewachung und Ver-
teidigung der hier besprochenen Städte, soweit nicht auswärtige Hilfe
herangezogen wird, ausschließlich in den Händen der Bürger. Von
den Ministerialen sind bekanntlich nur Hof- und Verwaltungsbeamte
und einzelne bald im Bürgertum aufgehende Elemente in den Städten
in verschiedenem Maße zurückgeblieben!). Dem Burggrafen ist besten-
falls noch ein Rest militärischer Amtspflichten geblieben. Den Straß-
burger Burggrafen des I. Stadtrechts kann man noch in einem abge-
schwächten Sinne als Stadtkommandanten bezeichnen. Er wacht noch
darüber, daß die Stadtmauer nicht beschädigt wird. Den Schmieden
aber, welche Schlösser und Ketten für die Stadttore anfertigen, liefert
die Stadtgemeinde Material und Beköstigung; die Bürgerschaft, nicht
mehr der erzbischöfliche Beamte, sorgte also offenbar für die Instand-
haltung der Befestigungen. Bei den tibrigen Burggrafen ist von mili-
tärischen Aufgaben nichts mehr zu entdecken, sie hielten nur manche
Einnahmequellen, die aus dem ehemaligen Amte herrührten, fest.
Die Mannigfaltigkeit des späteren städtischen Burggrafenamtes be-
wirkt, daß RIETSCHELS Darstellung auch in manche dem Thema an
sich ferner liegende Gebiete, wie die niedere Gerichtsbarkeit oder das
Zunftwesen, eingreift und auch hier viele Belehrung bietet. Im folgenden
gehe ich seinen Ausführungen über die Verfassnng einzelner Städte
näber nach.
Der Kölner Verfassungsgeschichte hat RIETSCHEL kürzlich einen
hervorragenden Dienst durch den Nachweis geleistet, daß die in dem
bekannten Schied Erzbischof Philipps dem Inhalt nach wiedergegebene
alte Rechtsaufzeichnung unzweifelhaft echt ist und spätestens dem be-
ginnenden 12. Jahrhundert angehört. Ich möchte noch darauf auf-
1) In Köln war anerkanntermaßen schon im 12. Jahrhundert die Ministe-
rialität bedeutungslos. Doch führt eine im sogenannten „deutschen Dienst-
recht“, einem Ministerialenweistum aus dem Ende des 12. Jahrhunderte,
aufgezeichuete Bestimmung ($ 11) wohl in eine Zeit zurück, in der noch
zahlreiche Ministerialen in Köln selbst wohnten. Die Häuser der Ministerialen
daselbst sollen, solange sie ihnen gehören, frei vom Hofzins sein. Da der
letztere im 12. Jahrhundert nur noch geringe Bedeutung hatte und von den
Erzbischöfen sehr früh zum Teil verschenkt worden ist, wird man den Ur-
sprung der Bestimmung viel früher suchen (siehe FRENSDORTF, Mitteilungen
aus dem Kölner Stadtarchiv, H. 2 S. 37 ff. Die beiden uns vorliegenden
Fassungen des Weistums sind, was der Herausgeber verkannt hat, von ein-
ander unabhängige Übersetzungen eines verlorenen lateinischen Originals.
Dies beweisen handgreifliche Übersetzungsfehler in $$ 9 und 11 und besonders
der Umstand, daß die beiden Fassungen einen wesentlich gleichen Inhalt
mit völlig verschiedenen Ausdrücken wiedergeben). — Auf die vielumstrittene
Frage nach der Natur des Kölner Hofzinses kann ich hier nicht näher ein-
gehen. Ich vermute, daß der Hofzins in der Römerstadt auf eine alte Grund-
steuer zurückgeht.
200 Refcrate.
merksam machen, daß hier (KEUTGEN, Urkunden, Nr. 17 & 15) schon
magistri scabinorum et civium Coloniensium erscheinen. Bisher war
das Btirgermeisteramt hier zuerst um 1180 nachzuweisen, während
Burmeister der Sondergemeinden etwa 50 Jahre früher auftretes.
Jetzt erhält die Priorität des Bürgermeisteramtes, für welehe auch
innere Gründe sprechen, eine &ußere Stütze. — Die Eigentümlichkeit
der Kölner Gerichtsverfassung hat RırTscHEL nach OPPERMANNS Vor-
gang darin erkannt, daß hier die bischöfliche Gerichtsgemeinde in der
gräflichen aufgegangen ist. Der Burggraf ist zugleich der vom Erz-
bischof belehnte Kölngaugraf. Nicht ganz richtig hat RIETSCHEL m.E.
die Stellung des Stadtvogts aufgefaßt. Die vorhin erwähnte alte Rechts
aufzeichnung nennt ihn scoltetus archiepiscopi und die neueste For
schung ist darin einig, daß seine Stellung im wesentlichen die eines
Schultheißen ist. Fraglich kann nur sein, ob er der Schultheiß der In-
munitätsgerichtsgemeinde oder der des Grafen war. RIETSCHEL (8. 164£.)
wirft diese Frage gar nicht auf; er faßt den Stadtvogt ohne Begriis-
dung als gräflichen Schultheiß auf. Da er sofort selbst schwerwiegende
Gegengrtinde geltend macht, sieht er sich zu der Annahme genötigt,
daß das Amt mit dem eines bischöflichen Vogts verschmolzen worden
ist (S. 164 f.). Die richtige I,ösung hat schon OPPERMANN gegeben
(Westdeutsche Zeitschrift XXI S. 19)'): Der Stadtvogt ist der Schuk-
heiß des bischöflichen Immunitätsgerichts. Wie seine Kollegen in den
meisten anderen Bischofsstädten, wird er vom Erzbischof ernannt und
ist auf die niedere Gerichtsbarkeit beschränkt. Während das Gericht
des Stiftsvogts in Köln weggefallen ist, ist das des Schultheißen mit
dem gräflichen Niedergericht verschmolzen worden. Daher ist in diesem
der Vorsitz zwischen Graf und Stadtvogt geteilt. Den Nachfolger des
gräflichen Schultheißen oder Centenars wird man in dem Untergrafea
zu sehen haben, .dem als Vertreter des auch in der erzbischöflichen
Verwaltung vielbeschäftigten Vogts ein Untervogt zur Seite tritt. Der
Vogtstitel des Kölner erzbischöflichen Schultheißen dürfte daher rühren,
daß ihm zugleich die Verwaltung eines Teils der erzbischöflichen Eis
künfte übertragen war und die Ein- und Absetzung der Schultheißen
auf 12 erzbischöflichen Höfen zustand.
Die dem Schiede Erzbischof Philipps zugrunde liegende ältere
Rechtsaufzeichnung weist dem Burggrafen außer in den echten Di
auch im iudicium de hereditatibus infra Coloniam sitis den alleini
Vorsitz zu. Die nächstliegende und m.E. richtige Deutung hat
ARNOLD gegeben: Für die Erledigung der städtischen Grundstücks
prozesse reichten die 3 echten Dinge nicht aus, sie mußten darum is
gebutenen Dingen verhandelt werden. Auch ohne Rücksicht auf unsere
Quellenstelle wäre kaum anzunehmen, daß der Burggraf jetzt den
Vorsitz in Kölner Grundsttickssachen und die mit ihm verbundegen
Einkünfte zur Hälfte an den Stadtvogt abgab. Diese Gerichtsbarkeit
blieb vielmehr gräflich, wenn auch vermutlich regelmäßig der Untergraf
——
1) Dagegen ist eine weitere Hypothese OPPERMANNS, die Existenz eines
besonderen Schöffenkollegr der Rheinvorstadt (ebenda S. BR ff), m. E. m
haltbar.
Referate. 201
den Vorsitz führte RIRTSCHEL (8. 153) leugnet, daß der Burggraf
„noeh im 12. oder gar 13. Jahrhundert“ auch nur beanspruchen konnte,
daß alle Grundstücksprozesse vor sein Forum gehörten. Er hat zu-
nächst übersehen, daß der Schied das iudieium de hereditatibus nur
aus der alten Rechtsaufzeichnung tibernimmt. Im Eingang der Urkunde
wird nur noch ein Streit über den Vorsitz im echten Ding und über
das Reclıt, Vorbauten zu brechen, erwähnt. Dem Vogte war es schon
im Laufe des 12. Jahrhunderts gelungen, das besondere iudicium de
hereditatibus zu beseitigen. Im übrigen sehe ich nicht ein, warum
der Burggraf, dem noch im 13. Jahrhundert der Vorsitz in allen Pro-
sessen wenigstens zur Hälfte zustand, in Grundsttickssachen nicht den
alleinigen Vorsitz haben konnte. RIETSCHELS eigene Deutung der
Stelle auf die „Wirkung des Königsfriedens über Grundstücke“ be-
friedigt um so weniger, als Friedewirkungen außerhalb des echten
Dings hier nicht nachgewiesen sind.
8. 166 läßt RıETScHEL die Frage offen, ob die Gerichte der Kölner
Vorstädte Oversburg (Airsbach) und Niederich alte Hundertschaften
sind. M. E. ist sie entschieden zu verneinen. Beide Gerichtsbezirke
sind viel kleiner als die Altstadt Kölns innerhalb ihrer Mauern, und
es fehlt jede Spur davon, daß sie ehemals wesentlich größer waren.
Daß die Dörfchen Overich und Niederich vor den Toren Kölns eigne
Hundertschaften bildeten, ist ganz unglaubhaft. Dagegen ist es höchst
wahrscheinlich, daß die Stadtumwallung von 1106, in welche diese
beiden Bezirke einbegriffen wurden, den Anlaß zur Bildung oder
Umgestaltung der in Frage stehenden Gerichte gab. Erst sie gab den
Bezirken die späteren Grenzen. So wenig sie auf alte Pfarrgrenzen
Rüeksicht nahm, wird sie den alten Gerichtsgrenzen entsprochen haben.
Siehe KEUSSEN, Westdeutsche Zeitschrift XX S. 64 ff. Die vorstädtische
Bevölkerung der durch die Umwallung geschaffenen Städte wurde nun
zu je einer einheitlichen Gerichtsgemeinde zusammengefaßt und nach
dem Muster der Altstadt organisierte. Daher finden sich hier wie
dort ein Untergraf und ein Untervogt als Stadtrichter. (OPPERMANN
(Westdeutsche Zeitschrift XXI 8. 32), der in diesen Gerichten eben-
falls Neubildungen sieht, hat den Zusammenhang mit der Stadtumwal-
lung wohl nur deshalb nicht erkannt, weil er mit anderen den Arnoldus
comes noster des Niedericher Weistums mit einem Burggrafen des
11. Jahrhunderts identifiziert. M. E. kann er nur ein Graf des Niede-
richs gewesen sein, sonst würden die Niedericher nicht von „unserem“
Grafen sprechen (siehe Hönıger, Kölner Schreinsurkunden II, 1
8. 52, $ 8 des Statuts; vgl. auch & 1).
Bei Straßburg sind zunächst einige Bemerkungen über die dor-
tigen Handwerksverbände zu berichtigen. Die pellifices sind zweifellos
hier wie überall Kürschner und nicht, wie RIETSCHEL (8. 26 Anm. 3)
behauptet, Gerber. Ich verweise nur darauf, daß die duodeeim inter
pellifices später als die Zwülfer der Kürschner auftreten (BRUCKER,
Straßburger Zunft- und Polizeiverordnungen, 8. 322). Die Gerber
(rintsutere, gerwere, cerdones) werden im I. Stadtrecht noch mit den
Sehuhmachern unter der Bezeichnung sutores zusammengefaßt, im Burg-
grafenrecht erscheinen beide Gewerbe als ein kombiniertes burggräf-
202 Referate.
liches Handwerk (S. U.B. IV,2 8.204 f.). Ferner bestreitet RIETSCHEL
(8.26 Anm. 4) mit Unrecht, daß das Burggrafenrecht die Rechte sämt-
licher damals noch burggräflicher Handwerke verzeichnet. Die im
I. Stadtrecht außerdem erwälnten Handwerke der Kürschner, Hand-
schuhmacher, Wirte und Obsthändler fehlen auch in dem sicher voll-
ständigen Verzeichnis von 1263. Die gegen DETTMERINGS Darstellung
gerichteten Einwürfe sind also unzutreffend.
Die Gewerbegerichtsbarkeit des Burggrafen und anderer bischöf-
licher Beamten leitet RIETSCHEL (S. 27) mit KEUTGEN aus der obrig-
keitlichen Marktaufsicht her. Nun unterstehen dem Schultheiß als
Stadtrichter die Fleischer, Würfelmacher, Weinrufer und Makler (8. U.B.
1V,2 8.192 ff). Von Sondergerichten dieser Gewerbetreibenden erfahr:n
wir nichts; es ist anzunehmen, daß tiber ihre Vergehungen hier wie
anderwärts im ordentlichen Gericht verhandelt wurde. Jene meist vom
Burggrafen geleiteten Sondergerichte stellen m. E. ein Privileg für die
Handwerker dar, welche von ihresgleichen, nicht von der gesamten
Straßburger Gerichtsgemeinde abgeurteilt zu werden wtinschen. Auch
im Straßburger Haudwerksgericht sind gemäß der alten deutschen
Gerichtsverfassung Richter uud Urteiler verschiedene Personen. Richter
sind der Burggraf (bezw. der Fischerobermeister) und der von ihm
ernannte Meister, in letzter Instanz der Bischof; Urteiler sind entweder
sämtliche Handwerksgenossen oder eine bestimmte Zahl hierfür eiv-
wesetzter Handwerker (Achter der Schuhmacher und Gerber, Zwölfer
der Kürschner, wahrscheinlich auch Vierer der Handschuhmacher).
Siehe namentlich das Burggrafenrecht. Weitere Bedenken gegen
KEUTGENS Amtertheorie habe ich in meiner Besprechung seines Buchs
„Ämter und Zünfte“ (Westdeutsche Zeitschrift XXIII 8. 72 ff.) vor
gebracht.
Weitaus die meisten, aber nicht alle diese Handwerksgerichte sind
dem Burggrafen zugewiesen. Gegen KEUTGEN stellt RIETSCHEL (8. 27)
mit Recht fest, daß das I. Stadtrecht nur fast alle Handwerke als
burggräflich bezeichnet. Im Anschluß an GOTHEM leitet RIETSCHEL
diese Funktion des Burggrafen aus seinem Amt als Stadtkommandant
her und beruft sich namentlich auf die militärische Bedeutung der
meisten burggräflichen Handwerke. Seine Gründe sind aber wenig
iiberzeugend. Für die Kürschner, Wirte und Böttcher fehlt jede Be-
ziehung zum Kommandantenamte. Aber auch die nachweislichen mili-
tärischen Leistungen der anderen Handwerker dienen nur in einem
Falle (bei den Schmieden) zum Teil der Befestigung oder Verteidigung
der Stadt, also dem Wirkungsbereich des Burggrafen. Zudem ist es
sehr zweifelhaft, ob der Burggraf noch Truppenbefehlshaber war, als
ihm die Handwerksgerichte übertragen wurden. Zwischen 1132—1118
ist das Amt wahrscheinlich längere Zeit unbesetzt geblieben; denn es
ist schwerlich ein Zufall, daß 9 Urkunden der Jahre 1137—1147 nur
den SchultheiB als Zeugen nennen, während vor- und nachher beide
Beamte zusammen aufzutreten pflegen. Seit der Wiederbesetzung der
Stelle genießt der Burggraf ein geringeres Ansehen (RIETSCHEL, 8. 23).
Ich möchte annehmen, daß dem neuen Burgyrafen außer den Resten
des alten Amtes mit den diesem zugewiesenen Einnahmen als Haupt-
Referate. 203.
beschäftigung die Gerichtsbarkeit über das organisierte Handwerk
übertragen wurde. Nur aus besonderen Grtinden werden einzelne
Handwerksgerichte anderen Beamten überwiesen. Für die Fischer war
der Truchseß, schon nach dem I. Stadtrecht Aufseher der bischöflichen
Fischgewässer, der gegebene Obermeister (S. U.B. IV,2 S.263). Ver-
mutlich waren die Bäcker des Bannbrots wegen ebenfalls einem Hotf-
beamten untergeordnet. Die Zimmerleute erhielten wolıl erst, als sie-
(vor 1263) dem Burggrafen untergeordnet wurden, ein eigenes Gericht.
Die Fleischer endlich, denen noch im 14. Jahrhundert der Zunftzwang
fehlt, unterstanden, wie schon bemerkt, dem ordentlichen Gericht
(8. U.B. IV, 2 S. 192 und 198).
Bei Augsburg verwirft RIETSCHEL mit Recht die verbreitete:
Annahme, der Burggraf habe ursprünglich die hohe Gerichtsbarkeit
ausgeübt. Versehentlich zählt er (8. 38 Anm. 3) auch BERNER (Zur
Verfassungsgeschichte der Stadt Augsburg, 8. 42) zu den Vertretern
der bekämpften Ansicht; dieser hat sich vielmehr schon in RIETSCHELS
Sinne geäußert. Mit Recht stellt RIETSCHEL (S. 40) fest, daß der
Augsburger Burggraf die Funktionen eines Schultheißen ausübt. Da.
eine spezifisch burggräfliche Amtstätigkeit diesem Beamten mindestens
seit der Mitte des 12. Jahrhuuderts abgeht, dürfen wir ihn trotz des
Burggrafentitels seit dieser Zeit geradezu als den SchultheiB von
Augsburg bezeichnen. RIETSCHEL (S. 41f.) freilich schreibt ihm da-
neben nach SCHRÜDERS Vorgang das Amt des Ortsvorstehers zu. Er
beruft sich auf die Gerichtsbarkeit des Burggrafen über unrecht Maß
und Gewicht, sodann auf die ihm zustehende Lebensmittelpolizei.
Hier ist zunächst zu bemerken, daß nach Artikel 64 f. des Stadtbuchs
tiber unrechtes Gewicht, sowie über die unrechten Wein- und Ge-
treidemaße des Großhandels der Vogt richte. Der von RIETSCHEL
allein zitierte Artikel 124 bezieht sich speziell auf die Handwerker
und Kleinhändler der Lebensmittelbranche. Aus der Aufsicht über
die letzteren ist offenbar auch das in Artikel 65 erwähnte Gericht
über die unrechten kleinen Maße entsprungen, die eben vornehmlich
beim Kleinverkauf von Lebensmitteln zur Anwendung kamen. Diese
Lebensmittelpolizei und -gerichtsbarkeit wird nun vor dem Auftreten
des Rats in deu süddeutschen Städten, auch in den älteren, ditchwe;
von herrschaftlichen Beamten, besonders den Stadtrichtern, ausgetibt.
Wohl finden sich in manchen rheinischen Städten Heimburgen. Ob
dieselben aber ursprünglich Ortsvorsteher waren, ist mindestens sehr
zweifelhaft; in den Quellen erscheinen sie nur als niedere Polizei-
organe, die mit den Gerichtsbütteln auf einer Stufe stehen. M.E. hat
der Augsburger „Burggraf“ einfach als Schultheiß den Lebensmittel-
verkehr zu beaufsichtigen.
In Regensburg haben nach RIETSCHEL (S. 298 f.) die gräfliche
Gerichtsgemeinde unter dem Burggrafen (später dem Herzog) und
seinem Schultheiß und die Immunitätsgerichtsgemeinde unter Vogt und
Propst gesondert fortbestanden. Ich halte diese Auffassung für un-
richtig. Nur der besondere Gerichtsstand der Stiftshörigen erhielt sich,
die Bürgerschaft wurde zu einer Gerichtsgemeinde vereinigt. Alle
Bürger hatten 3 Vogtsdinge und 3 Burggrafendinge zu besuchen,
204 Referate.
niederer Richter war allein der burggräfliehe Schultbeiß. Ich folge
hier GENGLERS Auslegung des Stadirechts von 1230 (KEUTGEN, Ur-
kunden, Nr. 160). In Regensburg übten Bischof und Burggraf (Herzog)
viele landesherrliche Rechte gemeinsam aus; ich nehme nun an, daß
bei der Begründung dieses Kondominats auch die Gerichtsverfassung
neu geregelt wurde. Bischof und Herzog waren Gerichtsherrn übe
alle Bürger (vgl. Stadtrecht von 1230 8 5).
Für Regensburg ist es besonders schwer, die Kompetenzen de
Burggrafen, des Gaugrafen und des Herzogs auseinander zu halten,
da diese Würden seit ca. 1200 sämtlich in einer Person vereini
waren, und wenig ältere Zeugnisse vorliegen. RIETSCHEL nimmt aue
hier die Scheidung mit Scharfsinn vor. Außer dem herzoglichen Palast
(S. 91) ist aber m, E. auch das in $ 9 des Stadtrechts von 123%
bezeugte Gericht als ursprünglich herzoglich anzusehen, da der
Herzog auch über die Ministerialen der Kirche richtet. Die Zunft-
hoheit des Herzogs rührt entschieden nicht, wie RIETSOHEL (8. W)
annimmt, aus seinem Burggrafenamte, sondern aus dem Gaugrafenamte
her, da der andere Gerichtsherr, der Bischof, an ihr teilnimmt. Die
Parallele mit dem Straßburger Burggrafen ist irreleitend. Dieser nimmt
nur die Rechte des Bischofs wahr, jener übt die anderwärts nur den
Bischöfen zustehenden Reclıte aus.
Ich habe in dieser Besprechung dem Widerspruch Außerlich mehr
Kaum gegeben als der Zustimmung und Bewunderung. Um so mehr
möchte ich am Schluß betonen, daß der Verfasser in der Hauptsache
über das Wesen des Burggrafenamtes und die hohe Gerichtsbarkeit
in den Bischofsstädten völlig überzeugende Anfklärung gebracht hat.
Da das vorliegende Buch den ersten Band von RIETSCHELS Unter
suchungen zur Geschichte der deutschen Stadtverfassung bildet, darf
man hoffen, daß wir bald auch mit der früher angekündigten Arbeit
über die schwierigen Probleme der Gemeindeverfassung der Römerstädte
beschenkt werden. HEINRICH VON Læscx.
W. voN SOMMERFELD, Privatdozent an der Universität Berlin. Beiträge
zur Verfassungs- und Ständegeschichte der Mark Brandenburg im
Mittelalter. 1. Teil. Erschienen in Veröffentlichungen des Vereins
für Geschichte der Mark Brandenburg. Leipzig 1904.
Die Studie SOMMERFELDS stellt zunächst an den Leser eine große
Zumutung. Der Verfasser erlaubt sich, seinem Büchlein von 168 Seiten
nicht weniger als 58 Berichtigungen und Zusätze vorauszuschicken,
worunter die Berichtigungen weitaus den größten Teil ausmachen.
Wenn man erwägt, daß z. B. in der ScHröDErschen Rechtsgeschichte
(4. Auflage) von 970 Seiten nur 37 Berichtigungen und Nachträge
verzeichnet sind, so dürfte man Herrn SOMMERFELD für seine späterea
Werke etwas mehr Sorgfalt in formaler Hinsicht empfehlen,
Die vorliegenden Beiträge sind wissenschaftlich sehr wertvoll.
Die vollständige Beherrschung des Stoffes und die sorgfältige Ams-
legung der Quellen springen sofort in dje Augen. Dabei ist SOMWER-
FELD vorsichtig. Er bringt keine Konstruktionen, wo dies die Quellen
nicht gestatten; er will nichts Sicheres geben, wo sich sichere Schlüsse
Referate. 205
nicht ziehen lassen. Leider ist der Stoff, namentlich für die ältere
Zeit, oft äußerst spärlich, und trotz einer weitgehenden Vergleichung
der brandenburgischen Verhältnisse mit den Verhältnissen anderer
Marken muß sich der Verfasser häufig mit Vermutungen oder rein
negativen Ergebnissen begnügen.
Die Arbeit ist in zwei Bücher geteilt, die sich historisch unge-
zwungen ergeben, in die voraskanische Epoche (von der Mitte des
10. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts) und in die askanische Epoche
(von der Mitte des 12. bis zum Anfang des 14. Jahrhunderts).
Im ersten Kapitel wird kurz die äußere Territorialbildung be-
sprochen. Dabei zeigt sich deutlich, welch große Schwankungen das
Markgebiet durchzumachen hatte. Eine kleine Karte wäre hier sehr
erwünscht, namentlich auch zur Klarlegung der spätern Verhältnisse
des eigentlichen Markgebietes zu den Grafschaften, welche nur in einer
zufälligen Verbindung mit der Mark standen (Seite 131).
Im zweiten Kapitel spricht der Verfasser die Vermutung aus, daß
der Boden der Altmark bereits in der Zeit vor der Eroberung durch
die Deutschen durchweg in grundherrlicher Abhängigkeit von prin-
cipes gestanden habe, so daß der einzelne Ackerbauer kein Eigentum
hatte (S. 20). Zur Begründung dieser Vermutung darf man aber
jedenfalls nicht die Abgabe heranziehen, welche wozop oder zipkorn
genannt wurde. Diese Getreideabgabe scheint einen Öffent-
lich rechtlichen, keinen grundherrlichen Charakter
gehabt zu haben. Die Quellen weisen auf einen engen Zusammen-
hang dieser Abgaben mit der Gerichtsbarkeit hin. In einer Urkunde
von 1154 (abgedruckt bei GAuTscH in Mitteilungen des Freiburger
Altertumsvereins, Heft 5 S. 489) heißt es, daß die Flamländer ver-
pflichtet werden, von 15 Hufen Landes in jedem Jahre, pro justitia
que zip vocatur, 30 nummos zu entrichten. In Urkunde von 1277
(ebenda) kaufte der Bischof von Merseburg das Gericht zu Eichsfeld
und dazu annonam quae zip vulgariter appellatur quam in eodem
districtu sive sede judiciali annis singulis colligi consuevit, nec non
et viginti et septem modios tritici et totidem avenae de zip quod
seniores ad judicium Horburg pertinentes colligere consueverunt. Auch
in der vom Verfasser (Seite 20 À, 4) angezogenen Urkunde von 1176
(Cod. Pomer. Dipl. Nr. 41) tritt der Zip in unmittelbarer Verbindung
mit dem Gerichte auf. Der Slawenherzog Kasimir I. bestimmt zu-
gunsten einer Kirche in Camin: Homines eciam ipsius ecclesie iure
ecclesiastico non iudicio subiaceant seculari eosque ab omni
exactione insuper Naraz, Oszep, Gaztitua ratione — — — ceteris
que serviciis et rebus dandis secundum morem gentis nostre penitus
esse volumus absolutos.
Die Wahrscheinlichkeit, daß die genannte Leistung eine Abgabe
war, welche auf Grund der Gerichtsgewalterhoben wurde,
wird bestärkt durch die spätere Entwicklung. SOMMERFELD sagt Seite 44,
daß das engere Markgebiet nach der Eroberung als Eigentum der Reichs-
gewalt angesehen wurde, daß es anderes Grundeigen in der Mark niclıt
gegeben habe. Die slawischen Principes hätten also im großen und
ganzen ihren Grundbesitz an den erobernden König abtreten müssen.
206 | Referate.
Ein Beweis hierfür liege darin —-: wenigstens was die Altmark betrifft —,
daß der Vertreter der Reichsgewalt einen Grundzins, Markrecht genannt,
erheben dürfe. Dieses Markrecht trage nicht „eigentlich einen öffent-
Jichrechtlichen Charakter, sondern beruhe auf dem gewissermaßen
privaten Besitztitel des Königs am gesamten Areal des unterworfenen
Siawenlandes“ (8. 62). Selbst wenn es richtig ist, ein solches Eigen-
tum des Königs anzunehmen, eine Frage, auf die ich hier nicht weiter
eingehen kann, so scheint es mir doch auch hier unrichtig, das Mark-
recht nicht als eine gerichtsherrliche Abgabe auzuseben. Die vom Ver-
fasser angezogene Stelle bei Warrz (V.G. VII. 391) führt unter anderen
eine Urkunde von 985 Sept. 30 an (M. G. Dipl. II 420). In dieser
Urkunde überweist Otto III. der bischöflichen Kirche zu Passau die
Abgaben, welche die auf den Gütern der Kirche in der Mark des
Grafen Luitbold angesiedelten freien Kolonen dem Fiskus zu entrichten
hatten, nämlich quicquid nostrae publicae exactioni iuditiaria
potestate deberent. Diese nicht näher bezeichnete Abgabe war
also sicher eine Gerichtsabgabe. Ferner heißt es bei RIEDEL (Cod.
Dipl. Brand. I 5, 21, SOMMERFELD S$. 44 A.1) in einer Urkunde von
1188, daß Markgraf Otto II. einer Kirche gegeben habe: in villa etiam
Garlip jus marchie, quod communi vocabulo marcrecht nuncupatur...
Auctoritatem, quam ... vmnibus in christo fidelibus et deo sacrificare
volentibus de mansis ad nostram jurisdictionem pertinen-
tibus prestantes, ut pretaxate aecclesie secure offerant et salutem
anime sue inde constituant. Ahnlich eine zweite Urkunde bei RIEDEL
(Cod. Dipl. Brand. Io, 25, SOMMERFELD 98. 44 A. 1) von 1190. Mark-
sraf Otto II. schenkt dem Stifte Stendal 20 Talente: ad computum
20 talentorum feodi nostri quod ad nostram pertinet jurisdie-
iionem et communi vocabulo margrecht nuncupatur praedictae
ecelesiae ... contra didimus. Es liegt kein Grund vor, dem Worte
jurisdictio hier eine andere Bedeutung als Gerichtsbarkeit beizulegen
und das Markrecht nicht als Ausfluß dieser Gerichtsbarkeit aufzo-
fassen.
Seite 61 belıauptet SOMMERFELD, das brandenburgische Markrecht
sci gleichbedeutend mit dem magdeburgischen census, der im 12. Jabr-
hundert überall 2 Schilling auf die Hufe betrug und deshalb als Re-
kognitionszins des königlichen Eigentums anzusehen sei. Aber diese
(Gleichstellung scheint nicht zuzutreffen. In einer Urkunde von 1164
(U.B. des Klosters U. L. F. zu Magdeburg (ed. HERTEL) Nr. 33 heißt
es: Talis est conventio scilicet ut annuatim solvant de quolibet manso
duos solidos in censu, duos modios siliginis et duo avenae ad id quod
more totius transalbine provincie wozzop nominatur et preterea om-
nium segetum seu fructuum plenariam decimationem. Es werde
also census, wozzop und decimatio deutlich voneinander geschieden.
Wenn in dieser Urkunde eine Abgabe dem Markrecht entsprochen hat,
so kann dies nur der wozzop gewesen sein. Da dieser aber dem
census scharf gegenübergestellt ist, so sind für eine Identität vos
brandenburgischem Markrecht und magdeburgischem census keine An-
haltspunkte gegeben.
Nach dem Gesagten ist es richtiger, den frühern wozop und das
Referate. 207
spätere Markrecht als öffentlich-rechtliche, aus der Gerichtsgewalt des
Königs bezw. des Markgrafen fließende Abgaben zu betrachten.
Bei Besprechung der Bistümer Brandenburg und Havelberg in
ihrem Verhältnis zur Mark weist der Verfasser nach, daß noch im
12. Jahrhundert von einer völligen Exemtion der Bistümer von der
markgräflichen Gewalt nicht gesprochen werden kann. Die Bisttimer
blieben dem markgräflichen Gebiete einverleibt. Selbst als im Jahre
1179 durch Privileg Markgraf Ottos I. das Brandenburger Domkapitel
eximiert wurde, geschah diese Exemtion nur excepta communi edifi-
catione urbis Brandenburg et justo bello pro patria (Seite 51), Auch
die altmärkischen Güter auswärtiger Klöster und Kirchen standen unter
dem Markgrafen. Selbst wo die Markgrafen die Vogtei nicht inne-
hatten, waren die Hintersassen zur Landesverteidigung und zum Burg-
bau und etwa noch zu andern Leistungen verpflichtet. Es ist voll-
ständig richtig, wenn der Verfasser diese Tatsachen mit den eigen-
tümlich märkischen Verhältnissen in Verbindung bringt. Sehr interessant
ist denn auch die Beobachtung, daß die märkischen Bauern bis ins
13., ja vielleicht bis ins 14. Jahrhundert hinein waffenfähig blieben
(8. 62). Wenn wir bedenken, daß in manchen Gegenden des Südens
der Bauer schon im 11. Jahrhundert als nicht mehr waffenfähig ange-
sehen wurde (vergl. Die Entstehung der Landeshoheit im Breisgau 1904
S. 47), so müssen wir die Ursache für die Verschiedenheit in der
speziellen Lage der östlichen Provinzen erblicken.
Im Kapitel Verwaltung und Gerichtswesen tritt SOMMERFELD für
Einheitlichkeit der Mark mit Rücksicht auf die Verwaltung ein. Den-
noch fehlte eine Einteilung der Mark nicht. Sie zerfiel in Burgwarde,
welche nicht nur militärische, sondern auch gerichtliche Bedeutung
hatten (S. 61. 79).
In den Ausführungen über das Gerichtswesen geht der Verfasser
auf die alten Streitfragen ein, warum in der Mark kein Königsbann
herrsche und was das „Dingen bei markgräflicher Huld“ bedeute.
Die Voraussetzung des Königsbannes ist nach SOMMERFELD das echte
Ding, welches wiederum zusammenhängt mit dem Stande der Schöffen-
barfreien, dem alten deutschen Stammesgebiet mit den echten Ding-
stätten und einer nach deutschem Rechte lebenden freien Stammes-
gemeinde. Da die Mark ein echtes Ding in diesem Sinne nicht kennt,
fehlt in ihr der Königsbann. Ob dieses Ergebnis den neuesten For-
schungen von HECK (Der Sachsenspiegel und die Stände der Freien,
S. 747 ff.) standhalten kann, ist sehr zweifelhaft. Heck faßt das
Problem tiefer und kommt daher zu einem ansprechenderen Resultate.
Zwar hat schon SOMMERFELD die richtige Erkenntnis gehabt, daß der
Königsbann den Charakter einer außerordentlichen, missatischen Gewalt
gehabt habe (8.65), und daß daher seine Delegierung in die Zeit falle,
in welcher das missatische Institut verschwand (8. 68). Ja er betont
sogar an einer Stelle ausdrücklich, daß der Königsbann nicht in die
verliehene allgemeine Amtsgewalt eingeschlossen sei (8. 65).
Aber die scharfen Konsequenzen aus diesem gewiss richtigen Gruud-
gedanken zieht er nicht. Der Ansicht von SOMMERFELD möchte ich
noch speziell entgegenhalten, daß auch im Sachsenspiegel das Gericht
208 Referate.
unter Königsbann nicht immer ein echtes Ding ist. Neben dem echten
Ding unter Königsbann, welches vom Grafen alle 18 Wochen ab
gehalten wurde, kennt das Rechtsbuch auch gebotene Gerichte
unter Königsbann. Diese wurden ausgelegt, wenn es die Notwendigkeit
erforderte. So kann z. B. das in IL 3 $ 2 genannte Kampfsgericht
ein gebotenes Gericht unter Königsbann sein. Den Beweis für diese
Behauptungen werde ich in meiner demnächst erscheinenden Studie
Fürst und Graf im Sachsenspiegel erbringen.
Daß das markgräfliche Ding im Gegensatz zum Grafengericht alle
6 Wochen stattfand, wie es Ssp. III 65 $ 1 verlangt, findet der Ver-
fasser nicht bestätigt in den Urkunden. Er irrt wohl nicht, wenn er
in der Bestimmung «des Rechtsbuches vornehmlich das Verbot sieht.
daß das Gericht öfter stattfinden dürfe. Neben dem österreichischen
Landrecht, das zur Begründung dieser Vermutung angeführt wird,
hätte er auch die Glosse zitieren können, welche vom Grafengerieht
sagt (zu Ssp. III 61 $ 1): do mitt will er bewaren, daz der greve
nicht stetiglichen dinge das her die landlute nicht vorterbe do mitte
und dor uff alezu vil gewette ginge uff das dy lantlute nicht arm
daruon wurden (Leipziger Codex v. 1474 8. 181). Diese Stelle unter-
stützt die vorgetragene Ansicht
In der Untersuchung über das Dingen bei markgräflicher Hull
wird von SOMMERFELD ausgeführt, daß Huld im Ssp. im Sinne von
Huldigung aufzufassen sei und daß die Worte Sep. IH 65 $ 1 be
deuten: bei der dem Markgrafen von der Gerichtsgemeinde geleisteten
Huldigung. Da die Kontrollnachrichten aber eine derartige Eidesleistung
als Kennzeichen der Marken nicht erwähnen, so wird schließlich nor
das negative Ergebnis festgehalten, daß das Dingen bei markgräflicher
Huld keine erhöhte Gerichtsgewalt oder gar eine Gerichtshoheit des
Markgrafen bedeute. Die markgräfliche Gerichtsbarkeit hatte im
(runde keinen andern Charakter als diejenige der andern Reichsbeamten;
denn auch der Markgraf hielt nicht aus eigener Machtvollkommenbeit
Gericht ab. In dieser Hinsicht stimmt HECK im oben genannten Buche
mit SOMMERFELD vollständig überein, so daß die Idee von einer Gerichts
barkeit des Markgrafen zu eigenem Rechte (im Gegensatz zum Lehen)
nun endgültig beseitigt sein dürfte. Daß wir in den Worten „bei mark-
sräflicher Huld“ einen eigenartigen Markgrafenbann zu suchen haben,
ist durch das Hscksche Werk höchst wahrscheinlich gemacht wordes.
Im Kapitel „Der Markgraf und das Reich“ wird die allmähliche
Umwandlung des Amtes in ein Lehen veranschaulicht und der Auf
fassung entgegengetreten, daß sich die Landeshoheit in den Marken
besonders früh entwickelt habe. Das Markt-, Münz- und Zollregal
wird, wie nachher im zweiten Buche (Kapitel 2) ausgeführt ist, wahr
scheinlich erst unter König Konrad IIL erworben (8. 120). Noch
später geht das Exemtionsrecht auf den Markgrafen über.
Daß das gerichtliche Exemtionsrecht für die landesherrliche
Stellung eines Dynasten recht eigentlich ausschlaggebend ist und daß
sich dieses Exemtionsrecht erst 1184 in der Hand des Markgrafes
nachweisen läßt (RIEDEL, Cod. Dipl. Brand. I 17, 1), ist vom Ver
fasser nicht genügend hervorgehoben worden (8. 120).
Referate. 209
Das zweite Buch, die askanische Epoche, wird eingeleitet mit all-
gemeinen Bemerkungen über die politischen Verhältnisse der Marken,
wobei ein feines Verständnis für die ganze Kolonisationsbewegung zu-
tage tritt. Die Bedeutung des ersten Kapitels („Die Erweiterung des
Markgebietes“) beruht darin, daß scharf unterschieden wird zwischen
jenen Gebieten, welche nach Erwerb durch den Markgrafen selbständig
blieben, welche also als eigene Gerichtsbezirke neben der Mark weiter-
bestanden, und jenen Gebieten, welche in den eigentlichen Markverband
aufgenommen wurden. Wie im übrigen Deutschland, so zeigt sich auch
hier kein gemeinsamer Rechtsgrund für die verschiedenen Erwerbungen
(S. 115). Im 3. Kapitel wird auf die innere Entwicklung der mär-
kischen Landesverwaltung näher eingegangen. Auch hier wird wieder
die richtige Unterscheidung gemacht zwischen den Grafschaften der
Markgrafen, welche auf altem Reichsboden lagen, und den altmärkischen
Vizegrafschaften, welche eine ganz andere Öffentlich-rechtliche Bedeu-
tung hatten. Auf diese Weise erklärt sich denn auch der scheinbare
Widerspruch, daß in der markgräflichen Grafschaft Billingshôhe unter
Königsbann Gericht gehalten wird, eine Tatsache, welche z. B. nach
der Auffassung von BORNHAK (SOMMERFELD 131 A. 3) keine Erklärung
finden konnte. Diese Vizegrafschaften sind aber Kometen am mär-
kischen Verfassungshimmel. Sie lassen sich erst seit der zweiten
Hälfte des 12. Jahrhunderts nachweisen und sind bis gegen die Mitte
des 13. Jabhrhunderts sämtlich verschwunden. Ihre Beseitigung ist
in der Hauptsache durch das markgräfliche Haus selbst veranlaßt
worden ($. 140).
Von den ständischen Verhältnissen werden im 4. Kapitel die
Ministerialität und der Ritterstand besprochen. Die bertihmte Ver-
schiebung in den Klassen der Edelfreien (SOMMERFELD klingt das Wort
Freiedle schöner) und der Ministerialen wird nach der Zeugenmethode
von VON ZALLINGER nachgewiesen, einer Methode, deren absolute Zuver-
lässigkeit freilich neuestens von HECK (a. a. O. 8. 304 ff.) bezweifelt
wird. — Im allgemeinen entspricht die märkische Entwicklung den
ostsächsischen Verhältnissen. Eigentümlich ist die Erscheinung, daß
gegen Ausgang der askanischen Periode die Klasse der Edelfreien
wieder verstärkt wird durch Leute, welche bisher Ministeriale oder
Ministerialgenossen gewesen waren (8. 153). Es wäre interessant,
näher zu untersuchen, auf welche Ursachen die Erhöhung dieser Ge-
schlechter zurückzuführen ist. Ebenso bedarf es noch einer eingehen-
den Prüfung, ob das Rechtsverhältnis zwischen den Dienstmannen und
dem Markgrafen in naclıaskanischer Periode wirklich jedes persönliche
Band eingebüßt hatte, so daß die Dienstverpflichtungen eine rein ding-
liche Nator annahmen und der Belehnte durch Aufgabe des Gutes sein
Dienstverhältnis einseitig lösen konnte.
Es ist zu wünschen, daß SOMMERFELD mit weiteren solchen Bei-
trägen die verfassungsgeschichtliche Literatur bereichere, und wenn
er seinen Plan durchführt, eine abgeschlossene „Verfassungs- und
Ständegeschichte der Mark Brandenburg im Mittelalter“ (siehe Vorwort)
zu geben, werden wir ihm sehr dankbar sein.
Leipzig. Hans FEHR.
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 14
210 Referate.
1. B. ESCHENBURG. Das Liegenschaftswesen im lübeckischen Staats-
gebiet. Historische und statistische Beiträge. 1904. Lübeck. Lüibeke
u. Nöhring. 95 8.
2. P. REHME. Die Lübecker Grundhauern. Ein Beitrag zur Rechts-
pure von den Reallasten. 1905. Halle a. d. S. Max Niemeyer.
8.
3. E. F. FEHLING. Lübeckische Stadtgüter Bd. L 1904. 192 8.
Bd. IL. 1905. 210 8. Lübeck. Lübcke u. Nöhring.
Diese 3 Bücher mögen wegen der nahen zeitlichen Folge, in der
sie erschienen sind, und wegen der inneren Beziehung, in der sie su-
einander stehen, hier gleichzeitig besprochen werden, soweit sie Beitr
zur Wirtschaftsgeschichte bieten. Man kann sagen, daß sie, jedes in
seiner Art, eine ganz wesentliche Bereicherung unserer Kenntnis
bringen.
Sie behandeln das Liegenschaftawesen und damit Material für die
Beurteilung des Bodenproblems im ltibeckischen Freistaat. Das Buch
ESCHENBURGs8 gibt in ganz vorzüiglicher knapper Weise eine Darstellung
derrechtlichen Bestimmungen für das Liegenschaftswesen seit dem Anfang
des 19. Jahrhunderts; REHME behandelt ein obsolet gewordenes, aber
dennoch praktische Bedeutung beanspruchendes Institut, eine Sonderart
von Grundzinsen in historischer und dogmatischer Darstellung; das
FEHLINGsche Buch beschäftigt sich in 2 Bänden mit einem besonderen
Problem des Liegenschaftswesens, der Verwaltung des im Staatseigen-
tum befindlichen, landwirtschaftlich genutzten Grund und Bodens, s0-
weit er nicht in der Form der bäuerlichen Pacht benutzt worden ist
oder heute benutzt wird, und zwar seit seiner Erwerbung durch die
Stadt oder den Staat bis in die neueste Zeit.
Bei ESCHENBURG tritt die formale Betrachtung der Verwaltung auf
juristischer Grundlage, bei REHME die historische Darstellung, bei
FEHLING die rein fiskalische, verwaltungsmäßige Anschauung der heu-
tigen und der vergangenen Zeiten je nach der Persönlichkeit der
Verfasser auch im einzelnen lebhaft hervor.
Alle 3 Bücher sind aus den Akten direkt herausgearbeitet und
bieten daher zuverlässiges Material; aber die Gesichtspunkte, aus denen
sie entstanden sind, waren durchaus verschieden, und die Autoren haben
ihren Schriften deutlich den Charakter der Tendenz aufgeprägt, die
sie an die Durcharbeitung ihres Stoffes herangedrängt hat. So sind
die Bücher ESCHENBURGS und FEHLINGs nicht im eigentlichen Sinne
wirtschafts-historische Darstellungen geworden; ESCHENBURG hat das
auch wohl nur in sehr beschränktem Maß gewollt, FEHLING macht in-
dessen diesen Anspruch.
ESCHENBURG hat in seinem Liegenschaftswesen die Resultate dar-
stellen wollen, die ihm bei der Bearbeitung der 1900 in Ltibeck ein-
gerichteten Grundakten publizistischer Darstellung würdig erschienen
sind. Lübeck besaß, wie ja durch PAULIS und REHMES Untersuchungen
bekannt ist, ein ausgebildetes, von den Zuständen im tübrigen Deutsch-
land abweichendes Grundbuchwesen, das in einzelnen seiner Formen,
in seinen Grundlazen zu nicht unwesentlichen Teilen auf das Recht
des 13. Jahrhunderts zurückging, wenn auch natürlich im Lauf der
Referate. 211
Jahrhunderte große Umbildungen stattgefunden haben. Dieser ganze
Bau mußte mit der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches und
der damit verbundenen Übertragung der Grundbuchführung von der
bisher funktionierenden Verwaltungsbehörde, dem Hypothekenamt, auf
eine Abteilung des Amtsgerichtes im großen und ganzen verschwinden,
völlig sogar, was die Form angeht; Reste des alten Grundbuchrechtes
sind dagegen partikularrechtlich erhalten geblieben. So war denn
jetzt die Zeit für einen Rückblick gekommen. ESCHENBURG geht nun
in seinen selbständigen historischen Darlegungen mit Rücksicht auf
die vorhandene Darstellung REHMEs nicht bis in die ältere Zeit zurück.
Er führt nach kurzer zustimmender Rekapitulation der Ergebnisse
REHMES den bisher nie dargestellten Zustand unter dem kurzen fran-
zösischen Regime in Lübeck (August 1811 bis Februar 1814) vor.
Die damals sofort eingeführte französische Verwaltungspraxis ist hier
im Gegensatz zu Elsaß-Lothringen, wo sie ja in der eingreifendsten
Weise, nicht weniger als in Frankreich selbst zur Geltung gelangt
ist, in Lübeck mit der französischen Herrschaft absolut, ohne eine
Spur zu hinterlassen, verschwunden. Eine rechtshistorische Bedeutung
für die Entwicklung des ganz eigenartigen Lübeker Grundbuchwesens
und damit für die deutsche Rechtsgeschichte hat diese Episode nicht
gehabt, da jedesmal nach der im März 1814 und Juni 1814 erfolgten
Abwerfung des französischen Joches der Senat die Geltung der alten
Grundbiicher, der Ober- und Niederstadtbücher, samt den Nebenbüchern,
sofort wieder hergestellt hat. Es ist bedauerlich, daß ESCHENBURG
es versäumt hat, an dieser Stelle auf die sohweren Bedenken einzu-
gehen, die dieses Vorgehen des Senats für die Praxis der späteren
Zeit hervorgerufen hat. Denn es steht fest, daß eine Reihe von Ein-
tragungen, die während der französischen Zeit erfolgt sind, erst nach
Jahrzehnten zu weiterer Verhandlung Anlaß gegeben haben, wo sie
dann verschiedenen Mißverständnissen preisgegeben waren.
ESCHENBURG hebt für diese kurze französische Periode mit Recht
hervor, daß offenbar die Rücksicht auf die finanziellen Ergebnisse des
französischen Enregistrementsytems, dessen Einführung objektiv einen
Bückschritt gegen das vorhandene Lübecker Verfahren bedeutet hat,
aeben der Idee der französischen Rechtsgleichheit aller Landesteile,
auch der neuerworbenen, Napoleon veraulaßt habe, das vorhandene
bessere System zu beseitigen. — Sodann wird die Neueinrichtung des
Grundbuches durch die neue Stadtbuchordnung vom 6. Juni 1818 be-
handelt. Durch sie ist die Einrichtung der Realfolien erfolgt, während
die bereits ausgebildeten Grundsätze des Liegenschaftsrechts der
früheren Periode tibernommen sind. Insofern geht die Entwicklung
des Lübecker Grundbuchwesens lückenlos bis zum Jahre 1900, wenn
auch eine Reihe von Anordnungen in der Zwischenzeit (1863, 1868,
1872, 1877, 1880, 1889) ergangen sind. Da die „Stadtbuchsordnung*
von 1818 nur für die im sog. Ober- und Niederstadtbuch eingetragenen
Grundstücke — ESCHENBURG spricht bedauerlicherweise an dieser
Stelle nicht von der Einordnung der in die Landwehr-Rente- und
Gartenbücher eingetragenen Grundstücke — galt, wurde schon am
22. März 1820 eine „Hypothekenordnung für das Stadtgebiet“
212 Referate.
(— Staatsgebiet) erlassen. Leider ist die durch diese Verordnung
begründete Reform nicht in einem Zuge durchgeführt, sondern die
Anlegung der Realfolien aus den alten Oberstadtbtichern, die nicht
sofort geschlossen sind, hat bis in die 60er Jahre des 19. Jahr-
hunderts gedauert. |
Gerade dadurch sind aber um die Wende des 19. und 20. Jahr-
hunderts eine Reihe von Streitigkeiten hervorgerufen, Denn auch für
das 19. Jahrhundert gilt die von REHME bereits für das Mittelalter
festgestellte Beobachtung, daß durch die individuelle Auffassung und
Protokollierung der buchführenden Beamten im wesentlichen Fortbil-
dungen des geltenden Rechtes herbeigeführt worden sind, unabhängig
von den vorhandenen Anordnungen. Nun lagen den Verwaltungsjuristen
besonders der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Durchschnitt jeden-
falls die Probleme des älteren deutschen Rechtes recht fern — die
Wissenschaft der deutschen Rechtsgeschichte befand sich doch noch
in ihren ersten Anfängen —, und so haben sie häufig durch Mißver-
ständnis ihnen obsolet erscheinender Rechtsinstitute, wie z. B. des Ober-
eigentums, schwere Eintragungsfehler Legangen. Die Darstellung
ESCHENBURGs übergeht das. Verschlimmert ist der damalige Zustand,
und damit die Sachlage für die heutige Praxis, was ESCHENBURG
ebenfalls nicht hervorhebt, dadurch, daß Lübeck weder die große
Reformzeit des beginnenden 19. Jahrhunderts noch die neue Gelegen-
heit von 1900 dazu benutzt hat, eine Ablösungsgesetzgebung für die
Reallasten zu schaffen. So haben sich in Lübeck mittelalterliche Ver-
hältuisse auf dem Gebiet der Reallasten bis heute erhalten.
Auf die juristischen Einzelheiten der vortrefilichen Darstellung
ESCHENBURGS kann hier nicht eingegangen werden. ESCHENBURG be
handelt in $ 2 die rechtliche Qualität der neuen Oberstadtbticher, in
3 3 die der neuen, 1900 angelegten Grundbticher. Ftir Ltibeck sind
durch die Reform von 1900 den alten, für die Wirtschaftsgeschichte
hervorragend wichtigen 74 Bänden der alten Oberstadtbticher, den
29 Bänden der französischen Zeit und den 47 Bänden neuer Stadt-
bticher 11787 neue Grundbuchbände hinzugefügt. In einem statistisch-
dogmatischen Teil gibt ESCHENBURG dann die Resultate seiner Unter-
suchung dieser neuen Bände, indem er die Zahl und die Arten der
Grundstücke, ihre Größenverhältnisse, die Zahl der zwischen 1900
und dem 1. April 1904 erfolgten Eigentumsveränderungen, die Noten
und Eigentumsbeschränkungen, Altenteile, Erbbaurecht und Vorkaufs-
recht, Kanon und Renten, Pfandposten, Hypotheken und Grundschuld
behandelt. Leider hat ESCHENBURG es, wie er im Vorwort sagt, ab-
sichtlich, versäumt, seinen Standpunkt gegentiber den drängenden Auf-
gaben des lübeckischen Staats im Liegenschaftswesen zum Ausdruck
zu bringen. Das Buch hätte durch Ausführungen über die noch vor-
handenen Wirkungen des Obereigentums, über Grundhauern, Renten,
Wortzinsen und die Ablösungsfrage bei Reallasten sowohl an histori-
schem Wert wie als Baustein für die praktische Bodenpolitik Lübecks
sehr gewonnen. Ich möchte die Hoffnung aussprechen, daß der Ver-
fasser in einer weiteren Auflage, die dem Buch mit seinem vortrefflich
bearbeiteten statistischen Material zu wünschen wäre, auch auf diese
Referate. 213
Seiten des Lübeckischen Liegenschaftsrechtes eingeht. Da es leider
keinem Zweifel melir unterliegen kann, daß durch das Fehlen einer
modernen Ablösungsgesetzgebung, in der alle jene Institute und Pro-
bleme zur Klarstellung und Entscheidung zu gelangen hätten, die
Bodenfrage und die Besiedlung im Lübecker Freistaat nicht allein
höchst unklar, sondern sogar volkswirtschaftlich höchst bedenklich
gestaltet worden sind, ist es notwendig, in wissenschaftlich einwand-
freier Begründung den unbedingt nötigen Übergang von den veralteten
Zuständen zu neuem Leben vorzubereiten).
1) Ein praktisches Beispiel aus den Akten möge die Richtigkeit dieser
Ansicht illustrieren. Das Protokoll des Bürgerausschusses vom 17. Januar 1906
lautet wie folgt:
14.
„Senatsdekret vom 6. Januar d. Js., lautend wie folgt:
Der Dampfbäckereibesitzer . . . ist grundbuchmäßiger Eigentümer der
... Grundstücke Nr. 59 und, 59a und hat durch Kaufvertrag die Nachbar-
grundstücke Artikel 1212 und ... Nr. 57 von dem grundbuchmäßigen
Eigentümer ... erworben. Auf den drei erstgenannten (Grundstücken ruht
zugunsten des Staates eine Grundhauer von Mk. 0,60 bezw. 0,75 bezw. 0,90.
Der Eigentümer... hat beim Finanzdeparteinent beantragt, in die Ablösung
dieser Grundhauer gegen Zahlung einer Ablösungssumme von Mk. 1500 zu
willigen. Das Finanzdepartement hat seinem Antrage zugestimmt unter der
Bedingung, daß er die ... etwa 50 bezw. 55 bezw. 95 qm großen Flächen
an den lübeckischen Staat abtritt. Dabei hat das Finanzdepartement an-
genommen, daß diese Flächen später zur Verbreiterung der ... Allee er-
forderlich würden. ... hat sich zu dieser Abtretung bereit erklärt und will
auch die durch die Umschrift entstehenden Kosten tragen.
Das Finanzdepartement hat beantragt, daß die Baudeputation ermächtigt
werde, diesen Grundstücksstreifen für den Staat zu erwerben.
Die Baudeputation, vom Senat hierüber gehört, hat ... dargelegt, daß
der jetzt geltende Bebauungsplan vom 22. Juni 1903, abweichend von dem
vom 16. Juli 1894, eine Verbreiterung der ... Allee an der Ostseite auf
dieser Strecke zwar nicht vorsehe, daß aber nichtsdestoweniger der gestellte
Antrag befürwortet werden müsse, da erhebliche Gründe dafür sprechen,
an dieser Stelle den früheren Bebauungsplan wieder herzustellen. Es kommt
insbesondere in Betracht, daß an beiden Seiten der Straße schon eine größere
Anzahl von Häusern in die nach dem Bebauungsplan von 1894 maßgebende
Baufluchtlinie eingerückt ist und daß von den Grundstücken an der
Ostseite mit Ausnahme eines einzigen, auf dem eine Grund-
hauer zugunsten des Staates nicht lastet, das für die
Straßenverbreiterung erforderliche Gelände kostenlos dem
Staate zufallen wird.
Der Senat hat diese Darlegungen als zutreffend anerkannt.
Der Bürgerausschuß erteilte die beantragte Mitgenehmigung“ (zum Erwerb).
Die Höhe der von dem Eigentümer angebotenen Ablösungssumme ent-
spricht einer Kapitalisierung mit ca. 670 °.
Man wird wohl sagen dürfen, daß ein derartiger Ablösungssatz bei
Vorhandensein einer gesetzlichen Regelung der Ablösung von Reallasten
undenkbar wäre. Hier wird eine derartige Kapitalzahlung einfach durch die
Notlage des Eigentümers erzwungen, weil ohne Ablösung der Staat die freie
Verfügung des Eigentümers über sein Grundstück verweigert. |
| In einem zweiten Fall, der im Herbst 1906 sich ereignet hat, betrug die
Kapitalisierung eines Zehnten von 10,60 Mk. sogar 20000 Mk. also ca. 2000 °/,
216 Referate.
Wenn wir diese Resultate REHMES nach ihrer praktischen Beden-
tung zusammenfassen, so läßt sich kurz sagen, daß REHME festgestellt
hat, daß weitaus die meisten Grundhauern Wortzinse und als solche
ablösbar sind, abgesehen von 3 ihm bekannt gewordenen andere
Grundhauern, so daß also die Wahrscheinlichkeit besteht, daß jede
Grundhauer alter Wortzins ist. Da es aber keine positive Vorschrift
gibt, nach der eine Grundhauer als Wortzins zu behandeln wäre, so
kann diese Wahrscheinlichkeit nicht die Kraft einer Vermutung im
Rechtssinn gewinnen. Falls aber eine solche Vermutnng zu erweisen
wäre, würde die grundsätzliche Ablösbarkeit aller Grundhauern zu
behaupten sein. Nach REHME bleibt also dem Grundhauerpflichtigen
die Last des Beweises über die Qualität der Reallast. Falls er den
Beweis, daß die Grundhauer alter Wortzins sei, nicht führen kann, ist
der Grundhauerberechtigte in der Lage, die Ablösung zu verweigern.
Die unter A 1, 2 und 4 angeführten Darlegungen REHMES halte ich
für völlig erwiesen. Anders die Behauptung REHMEs A3, daß keine
weiteren Ablösungsgesetze gegeben sind (REHME p. 67), sowie B 1 (p. 44),
B2 und B 3.
In Lübeck hat eine Gesetzgebung über die Ablösung der Real-
lasten stattgefunden. Das hat REHME übersehen. Ich habe bereits
1903 (in den Lübeckischen Blättern vom 7. Juni Nr. 23 p. 289 —294
in einem kurzen Aufsatz über Obereigentun und Grundhauer darauf
hingewiesen, daß im sog. Kevid. Statut von 1584 Lib. UL Tit. VID
Art. 12 die Bestimmungen des von REHME verwandten Cod. II vor
1294 über die Ablüsbarkeit der Grundzinsen zusammengefaßt sind.
Es heißt dort ganz allgemein: Wil Jemandt die Rente aus seinem
Hause oder andern stehenden Erben auslösen ete. — —
Das rev. Statnt hat nun ohne jeden Zweifel den gesamten 1584
vorhandenen Rechtsstoff kodifiziert. Man kann also gegen REHNE
ohne weiteres feststellen, daß die letzte, partikularrechtlich noch nieht
beseitigte Kodifikation des Lübecker Stadtrechts die Ablösbarkeit der
Grundhauern, die unter den allgemeinen Begriff Renten fallen, erhärtet
(vgl. REHME p. 42 über das bei l’AULI Wieboldsrenten p. 114 zitierte
Gutachten des Lübecker Syr.dikus BENEDIKT WINKLER von 1635).
Aber nicht allein das rev. Statut beweist die grundsätzliche Ablös-
barkeit der Grundhauern, sondern das Gewohnheitsrecht zeigt dasselbe.
In der bei REHME p. 36 zitierten Stelle (Nr. 28 1659) sagt der Buch-
führer selbst klar und deutlich: „grundhuer oft worzinse“. Er stellt
also ohne jeden Vorbehalt beide Institute einander gleich. Gewohs-
heitsrechtlich steht eben die Identität von Grundhauer und Wortzins,
und wit der Ablösbarkeit der letzteren auch die der ersteren durch-
aus fest.
Was dann die Behauptung REHMEs (p. 67, 68) angeht, daß der
Lübecker Staat sowohl in der ersten wie in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts nicht der Ansicht gewesen sei, daß die Grundhauern
grundsätzlich ablösbar seien, so dürften die angeführten beideu Beispiele
nicht das beweisen, was REHME in ihnen sieht. Der Grund daftr,
daß das Finanzdepartement an den Senat und dieser in einem Fall
sogar an die Bürgerschaft heraugetreten ist, um Beschlüsse über eine
Referate. 217
in Frage stehende Ablösung zu fassen, hat nicht darin gelegen, daß
man die grundsätzliche Ablösungsberechtigung des Grundhauerpflich-
tigen in Zweifel zog, sondern in der Sicherung der Behörden gegen
Angriffe wegen etwaiger zu niedriger Festsetzung der Ablösungsquote.
REHME geht mit seiner Interpretation zu weit. Auch darin scheint
mir REHME schon tiber das Ziel hinauszuschießen, wenn er aus der
Tatsache, daß er 3 Grundhauern gefunden hat, deren Entstehungs-
grund nicht die Vorbehaltung einer Grundabgabe bei Liegenschafts-
veräußerung gewesen ist, gegenüber den Tausenden anderer Grund-
hauern, deren Entstehungsgrund regelmäßig der Vorbehalt eines Wort-
zinses gewesen ist, ohne weiteres auf die Existenz einer 2. Gruppe
von Grundhauern schließt, deren rechtliche Qualität nun gerade in der
Ablösungsfrage grundsätzlich von der der sonst bekannten Grund-
hauern abweicht, ja allein darin sich unterscheidet. Weit näher dürfte
es doch liegen, für diese ganz seltenen Ausnahmen — es handelt sich
um Bestellung von Servituten — anzunehmen, daß es sich um die an sich
unberechtigte Übertragung des Namens Grundhauer auf ein rechtlich
an sich ganz anderes Vertragsverhältnis handelt!). Ich bin daher der
Meinung, daß REHME irrt, wenn er zwei verschiedene Arten von Grund-
hauern annimmt, von denen die eine ohne weiteres ablösbar, die andere,
für die er nur 3 Beispiele anführen kann, nicht ablösbar sei. Aus
den von REHME für die Ablösbarkeit der als Wortzinsen nachweisbaren
Grundhauern entwickelten Gründen in Verbindung mit der Vorschrift
des Revidierten Statuts glaube ich also die grundsätzliche Ablösbarkeit
aller Grundhauern annehmen zu müssen. Wenn auch die Frage nach
der Ablösbarkeit der Grundhauern der äußere Anlaß zu REHMES Schrift
gewesen ist und eine Hauptrolle spielt, finden sich in den systemati-
schen Darlegungen, die er in 3 Teile (1. Sprache, Gesetzgebung, Lite-
ratur, 2. Grundstückseintragungen, 3. Grund der Konstituierung der
einzelnen Grundhauern) zerlegt hat, eine Fülle wichtiger Beobachtungen
über das Lübecker Grundbuchwesen, für die wir dem Autor zu danken
allen Anlaß haben. Höchst interessant sind seine Ausführungen über
eine gänzlich isoliert stehende Grundhauereintragung, die in einem
Prozeß des kigentümers des Gutes Brandenbaum gegen den Lübecker
Staat umstritten gewesen ist.
Der Prozeß ist auf Grund der Feststellung REHMES, daß die Kon-
stituierung der Grundhauer als alter Wortzins nicht zu erweisen sei,
zugunsten des Lübecker Staats vom Hamburger Oberlandesgericht
1) Nebenbei sei hier darauf hingewiesen, daß sich in Lübcck eine etwas
abweichende Behandlung des Laudemiums entwickelt hat. Es ist nicht, wie
REHME S. 3 annimmt, identisch mit der „vorhure*. Diese ist allerdings, wie
REHME ganz richtig sagt, eine Abgabe, die der Erwerber eines Gutes an den
Gutsherrn zu zahlen hatte, das Laudemium dagegen ist eine Rekognitions-
gebühr des ein Gut Veräußernden an den Obereigentümer (s. auch FEILING,
tadtgüter, II p. 166). Sie wird noch heute teils in Verbindung mit Vor-
kaufsrecht des Obereigentümers, teils ohne solches verlangt und gezahlt.
Besonders häufig ist sie noch bei Ländereien, die sich im Besitz des Staates,
der Stiftungen und der Kaufmannschaft als Nachfolrerin der alten kormmer-
zierenden Kollegien befinden, vorhanden. ct:
218 Referate.
entschieden worden, eine höchst bemerkenswerte Illustration für die
große Bedeutung rechtshistorischer Untersuchungen und F'eststellungen
auch noch für die heutige Praxis.
Das dritte Buch über Liegenschaftsverhältnisse der freien und Hanse
stadt Lübeck weist einen grundlegenden Unterschied gegen die soeben
besprochenen Bücher auf.
FEHLING hat kein systematisches Buch schreiben wollen; er hat
nicht etwa eine Agrarpolitik Lübecks, soweit sie in der Verwaltung
seiner Stadtgüter zum Ausdruck gelangt ist, schreiben wollen, sondern
er behandelt isoliert voneinander die einzelnen Stadtgtiter, die sich
heute noch im Besitz der Stadt befinden, ohne ein Gesamtresultat seiner
Beobachtungen zu geben. Es wäre eine dankbare Aufgabe, das höchst
interessante Material, das FEHLING aus den Akten des Staatsarchivs,
besonders aber des Finanzdepartements, exzerpiert hat, nach großen
Gesichtspunkten zu sammeln und zu einer Darstellung und Kritik der
Lübecker Agrarpolitik zn verarbeiten. Denn bei dem großen Umfang,
den der Domanialbesitz dieser Hansestadt seit Jahrhunderten
hat, kann man sehr wohl Tendenzen der Verwaltung durch die Zeiten
hindurch verfolgen.
Neben dem großen wirtschaftshistorischen Wert, den das Buch
FEuLINnGs durch Erschließung neuen und bisher so gut wie unsugäng-
lichen Materials hat, liegt sein Hauptwert in der für die Bedürfnisse
der heutigen Verwaltung praktischen übersichtlichen Zusammenstellung
des jetzigen Zustandes.
FEHLING hat nicht alle Güter behandelt, die sieh im Besitz der
Stadt je befunden haben, sondern nur diejenigen, die sich noch heste
in ihrer Verwaltung befinden. Sein Zweck ist eben in erster Linie ein
praktischer. Man wird vielleicht zweifeln können, ob der Verfasser
nicht zu weit geht, wenn er sein Buch „die aus den Akten geschöpfie
Darstellung einer Wirtschaftsgeschichte der Lübecker Stadtgüiter“ nennt.
Aber in dem Sinn, daß uns mit diesen 2 Bänden eine Darstellung
der technischen Bewirtschaftung der jetzt noch im Besitz Liübecks
stehenden Landgüter gegeben sei, wird man sich dem Verfasser zu
großem Dank verpflichtet fühlen.
Infolge der Beschränkung, die sich FEHLING auferlegt hat, fehlen
die von WEHRMANN in der Zeitschrift des Vereins für Etibecker Ge-
sehichte und Altertumskunde VII p. 151 ff. gegebenen Berichte über
Stockelsdorf und Mori, Groß-Steinade, Eckhorst, Schönböcken, Krempels-
dorf, Niendorf, Reecke, Kastorf, Schrestaken und Bliestorf. FEHLINGs
Darstellung ist auf der andern Seite eine höchst erfreuliche Bereiche-
rung unseres Wissens über die auch von WEHRMANN behandelten Güter
Crumesse, Niemark, Cronsforde, Moisling, Roggenhorst und 8
da er die Darstellung bis in die neueste Zeit führt; sum
behandelt sind von FEHLING Ritzerau, Behlendorf, Albsfelde und
Karlshof. Die drei ersten sind schon seit tiber 300 Jahren im Besitz
Lübecks, Karlshof ist erst 1898 angekauft worden und steht somit,
da der gesamte sonstige Besitz Ltibecks an Stadtgtitern weit älter ist,
ganz für sich da. Der Grund für seinen Ankauf war auch ein gass
anderer als die Motive, die in früheren Zeiten zur Erwerbung von
Referate. 219
Landbesitz geführt haben. Die notwendige Anlage eines Fabrikviertels
in Verbindung mit dem Traveufer und die Tatsache, daß Grundstücks-
spekulanten das Gut anzukaufen beabsichtigten, war der Grund für
den 1898 erfolgten Ankauf; allerdings sind bisher keine öffentlich.
bekannt gewordenen Schritte getan, um dies Projekt zu realisieren,
und so ist Karlshof, trotz seiner ursprünglich anderen Zweckbestim-
mung, heute noch landwirtschaftlich genutzter Boden in der Verwal-
tung der Stadt.
Es kann natürlich nicht der Zweck dieser Anzeige sein, FEHLINGS
Darstellung der einzelnen Stadtgtiter zu analysieren. Es sollen nur
einige Beobachtungen hervorgehoben werden, die sich bei der Lekttire
des tiberaus fesselnd und anregend geschriebenen Buches aufdrängen.
FEHLING hat seinen Darstellungen dadurch ein ganz besonderes Interesse
verliehen, daß er die Erzählung der Schicksale der einzelnen Güter
bis auf das Jahr 1904 durchgeführt hat. Da mit großer, wirklich
bemerkenswerter Offenheit vom Standpunkt des heutigen Verwaltungs-
beamten sowohl an der Tätigkeit der Gutspächter wie an dem Ge-
baren der Herrschaft, hier der im Lauf der Jahrhunderte wechselnden
Behörden in Ltibeck, Kritik geübt ist, da ferner in vielleicht nicht ganz
einwandfreier Weise die Namen der Beteiligten bis in die neueste Zeit
genannt sind, auch wo kein historisches Interesse vorliegt, entbehrt
das Buch nicht eines gewissen pikanten Reizes. Es ist immer inter-
essant, ein Mitglied einer Behörde über die Tätigkeit seiner Vormänner
im Tone des Historikers berichten zu hören. Ob allerdings der alte
historische und in Lübeck als Inschrift der Eingangsthür zum jetzigen
Sitzungssaal des Senates tberlieferte Grundsatz, daß man vor der
Fällung einer Entscheidung immer beide Teile hören solle, in allen
Fällen bei der vorliegenden Erzählung zu vollem Recht gelangt sei,
möchte ich dahingestellt sein lassen. Jedenfalls berührt es höchst
auffallend, daß sich durch die ganze Darstellung FEHLINGs die Tat-
sache dem Leser immer wieder aufdrängt, daß die verpachtende Be-
hörde mit keinem Pächter zufrieden gewesen ist, der sich gegen ihre
Anordnungen nicht vollster Devotion befleißigt hat. Man muß nach
FEHLInGs Darstellung sagen: die Stadt Lübeck hat fast nur un-
brauchbare Pächter gehabt, denn die Stadt hat sich ewig fast mit
allen wegen ihrer ungerechtfertigten Ansprtiche und ihrer Unfähigkeit
herumschlagen müssen. Immer hat der Pächter schuld. Es gibt nur
wenig Ausuahmen, und für diese hebt der Verfasser regelmäßig her-
vor, daß sie verständnisvoll der höheren Einsicht der verpachtenden
Behörde gefolgt seien. Ich will nur beispielsweise, um den harten
Vorwurf zu belegen, für die 1. Klasse auf I p. 43, 44, 71, 73, 74,
95, 115, 117, 119, 128, II 21, 22, 23, 27, 28, 40, 80, für die 2. auf
I. p. 46, 83, 128, 130, II 10, 13, 32, 52, 53, 80 verweisen.
Viel Seide habeu die Pächter der Lübecker Stadtgüter offenbar
nicht gesponnen (vgl. I p. 34, 49, 50, 66, 121).
Sehr interessant ist das Buch für die Auffassung von ihrer herr-
schaftlichen Stellung, die die Stadt den Pächtern und den Untertanen
gegenüber geltend machte (s. L 37, 39).
Mit großem Bedauern ist zu bemerken, daß der Verfasser zu wenig
220 Referate.
auf die rechtliche Konstruktion der seitens der Stadt vorhandenen
Grundherrschaft, ihre Entwicklung und ihre Folgen eingegangen ist.
Die wenigen Notizen über Erbpachtverhältnisse, über die Frage, die
mehrfach aufgetaucht ist, ob die vorhandenen Erbpachten in Zeit-
pachten umzuwandeln seien, u.8. w. können nicht gentigen.
Von sehr großem Interesse ist schließlich das Studium des im
Anhang zu Bd. I mitgeteilten Pachtkontraktes, der heute noch regel-
mäßig von der Stadt Lübeck ihren Verpachtungen zugrunde gelegt
wird. Man staunt, wie sich hier in modernem Gewand aus ganz
mittelalterlichen, feudalen Gedankengängen heraus Reste überwundener
Zeiten konserviert haben. $ 8 lautet: „Ein Nachlaß am Pachtgelde
findet überall nicht, auch nicht bei denjenigen Unglücksfällen statt,
welche gesetzlich einen Anspruch auf Pachtnachlaß begrtinden“. Ich
will die Rechtsgültigkeit dieser Vereinbarung im Pachtvertrag nicht
direkt bestreiten, man wird sie aber wohl allgemein höchst bemerkens-
wert finden. $ 22 Abs. 1 lautet ferner: „Pächter hat die Gebäude
nebst Zubehör in demjenigen Stande ohne Erinnerung entgegen-
zunehmen, in welchem sie bei der Übergabe sich befinden“. Dieser
Ausschluß sonst allgemein anerkannten Rechtes, wie er sich auch
noch im $ 30 zeigt, dürfte in modernen Pachtkontrakten sonst kaum
vorkommen.
Diese Beispiele habeu ein bedeutendes Interesse daher, weil sie
als Symptome zeigen, wie sich gerade in neuester Zeit die Versuche
der Verwaltung mehren, den Charakter der Herrschaft über die Pacht-
güter stärker hervorzukehren. Es ist lehrreich, an der Hand der
FexziGschen Darstellung sich klar zu machen, wie auf eine Zeit
schärfster Geltendmachung der Herrschaftsrechte im 16. bis zum Ende
des 18. Jahrhunderts mit der Zeit der französischen Revolution die
mehr oder minder vollständige Aufhebung der persönlichen Dienste
der landwirtschafttreibenden Bevölkerung auch in Lübeck eine gewisse
Hebung bringt, und wie dann jetzt, unterstützt auch durch den Mangel
einer Ablösungsgesetzgebung, sich eine schärfere Auffassung der Be-
deutung der Gutsherrschaft der Stadt geltend macht.
Wenn das Material auch etwas einseitig bearbeitet ist, wird man
dem Verfasser für seine Veröffentlichung doch Dank wissen.
Tübingen. CARL MOLLWO.
Theodor Ludwig.
(Geb. 5. Mai 1868 zu Emmendingen, gest. 16. Oktober 1905 zu Straßburg.)
Von |
H. Bresslau.
Ein ungewöhnlich tragisches Geschick ist es gewesen, das im
Herbste des letzten Jahres einen der begabtesten und meist versprechen-
den unserer jüngeren Fachgenossen aus unserer Mitte abberufen hat.
In den Sommerferien hatte THEODOR LUDWIG Beinen Vater, der in
Baden von einem leichten Typhusanfall heimgesucht war, mit lieben-
der Sorge gepflegt und war nach dessen voller Genesung noch einige
Wochen um seiner eigenen Erholung willen in dem lieblichen Oos-
städtchen geblieben. Kurz vor dem Beginne des Semesters kehrte er
nach Straßburg zurück, anscheinend in gekräftigter Gesundheit und
froher Gedanken volle Er wußte, daß man an zwei süddeutschen
Universitäten ernstlich damit umging, ihn für eine ordentliche Pro-
fessur vorzuschlagen und ihm so eine reichere und selbständigere
Wirksamkeit als Lehrer zu eröffnen. In unserer letzten Unterredung
überlegte er noch mit der ihm eigenen Gewissenhaftigkeit, wie er die
Übungen des Proseminars im nächsten Winter einrichten wollte; aber
schon trug er den Keim derselben tückischen Krankheit in sich, von
der sein Vater genesen war: wenige Tage danach erlag er ihr. Wir
Straßburger hatten uns darauf gefaßt gemacht, daß er aus unserer
Mitte scheiden würde, aber niemand hatte daran gedacht, daß wir ihn
so verlieren könnten.
In glücklicher äußerer Lage, der einzige Sohn begüterter Eltern,
deren zärtliche Liebe er in kindlicher Dankbarkeit vergalt, hatte
LUDWIG seinen Studiengang ganz nach eigenem Ermessen und ohne
jede Rücksicht auf einen künftigen Erwerb gestalten können. Nach
zwei Freiburger Semestern kam er im Winter 1887 nach Berlin, wo
er ein und ein halbes Jahr blieb. Dann nötigte ihn ein schweres
Nervenleiden, seine Studien zu unterbrechen, die er erst im Winter
1889, noch nicht völlig hergestellt, in Freiburg wieder aufnahm, um
sie schließlich in vier Straßburger Semestern (Winter 1892 bis Sommer
1894) zu beenden. Er hat sich während dieser verhältnismäßig langen
Studienzeit in bemerkenswerter Weise zu konzentrieren gewußt. Philo-
sophische und philologische Kollegien haben ihn weniger zu interessieren
vermocht; aber fast in gleichem Maße, wie an den eigentlich historischen,
hat er an allen drei Universitäten, die er besuchte, an juristischen und.
222 H. BreBlau
staatswissenschaftlichen Vorlesungen teilgenommen. So hat er siel-
bewußt schon als Student die Doppelrichtung eingeschlagen, in der seine
literarische Tätigkeit sich bewegen sollte. Nach dem Abschluß seiner
Studien blieb Lupwıc unserem Straßburg getreu; hier hat er am
24. Juli 1894 promoviert, hier ist er im Juni 1897 Privatdozent und
im Juni 1902 auBerordentlicher Professor geworden.
Die Eigenart seiner Begabung tritt gleich in Lupwıgs Erstlings-
- a nF
arbeit, der zu einem stattlichen Bande angewachsenen Promotionsschrift :
„Die Konstanzer Geschichtschreibung bis zum 18. Jahrhundert‘
(Straßburg 1894) !) deutlich hervor. Den Ausgangspunkt seiner Unter-
suchung bildete eine Bemerkung W. ARNDTS aus dem Jahre 1879.
ARNDT hatte beobachtet, daß ein von ihm aufgefundener Brief .
Innocenz’ Il. in auffallender Weise gewisse Mitteilungen späterer Kon-
stanzer Geschichtschreiber bestätigte, die in gleichzeitigen Chroniken
nicht nachweisbar waren; er hatte daran die Frage geknüpft, ob
aicht in den jüngeren Konstanzer Bistumschroniken Spuren eines ver-
lorenen Geschichtswerkes des 11. und 12. Jahrhunderts auffindbar
seien. Auf diese Fragestellung hatte ich LUDWIG aufmerksam ge
macht; und wenn er sich darauf beschränkt hätte, lediglich dieser An-
regung nachzugehen, so würde er uns eine jener fleißigen und nicht
annützlichen quellenkritischen Dissertationen geliefert haben, von denen
zwölf auf ein Dutzend gehen. Dies aber war nicht Lupwics Art.
Ganz selbständig verallgemeinert er das Thema, und statt einer Unter-
suchung über eine einzelne Frage der Quellenkritik wagt er sich an
eine Gesamtgeschichte der Konstanzer Historiographie durch acht Jahr-
hunderte. Darin verbindet er mit exakter Handschriftenforschung und
scharfsinniger Kritik, die in verlorenen, aber rekonstruierbaren Quellen
Spuren anderer verlorener Werke aufdeckt und uns so aus dem 16.
bis 18. über das 14. in das 12. Jahrhundert zurückführt, feinsinnige
literarhistorische Ausftihrungen über die einzelnen Schriftsteller, in
denen das Persönliche und Individuelle ebenso zu seinem Rechte kommt,
wie der Zusammenhang, in dem das Leben des einzelnen mit der all-
gemeinen geschichtlichen Bewegung seiner Zeit steht. Und indem
nun dies alles in klarer und geschmackvoller, die Schwierigkeiten des
spröden Stoffes spielend überwindender Darstellung vorgetragen wird,
so ist daraus ein Buch entstandeu, das kaum noch irgendwo den An-
fänger verrät, und das nach Inhalt und Form ebensogut eine Habili-
tationsschrift wie eine Promotionsarbeit hätte darstellen können.
Nach nur zwei Jahren folgte auf diese quellenkritische und literar-
historische Arbeit das schöne Buch „Der badische Bauer im 18. Jahr-
hundert“ (Straßburg 1896), das Lupwıc mit einem Schlage einen ebren-
vollen Platz in der Reihe der deutschen Wirtschaftshistoriker verschafft
hat. Seine staatswissenschaftlichen Interessen waren in Straßburg
unter Knapps Leitung auf die Agrargeschichte gelenkt worden ?), und
1) Kleine _Nachträge dazu sind in der Zeitschrift für die Geschichte des
Oberrheins N. F. (Bd. X und XII) erschienen.
2) Ein Zeugnis davon ist die aus einem Vortrage in KNAPPs Seminar
erwachsene Abhandlung „Die Umwandlungen in der ländlichen Verfassung
Böhmens seit 1618“ in SCHMOLLERS Jahrbuch Bd. XX.
Theodor Ludwig. 293
es ist unverkennbar, daß insbesondere das grundlegende Buch WITTICHs
über die Grundherrschaft in Nordwestdeutschland einen starken Ein-
fluß auf ihn ausgelibt hat, dessen er selbst in der Vorrede zu seiner
eigenen Schrift dankbar gedenkt. Deren Anlage und Disposition schließt
sich eng an das von WITTICH gegebene Vorbild an: zuerst eine fein ge-
ordnete und durchsichtige Beschreibung der Lage der badischen Bauern
um die Mitte des 18. Jahrhunderts, dann eine rückwärtsschreitende
Darstellung der Verhältnisse seit dem Ausgang des Mittelalters (weiter
zurück ist LUDWIG mit gutem Grunde nicht gegangen), endlich eine
breit und fest fundamentierte Geschichte der Reformgesetzgebung in
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Soweit ist LUDWIG dem Vor-
bilde Wrrrichs gefolgt. Innerhalb dieses Rahmens aber geht er seine
eigenen Wege, die nur zum Teil durch die vom Nordwesten abweichen-
den Verhältnisse des badischen Territoriums oder, wie man sagen darf,
Südwestdeutschlands überhaupt bedingt sind, zum andern Teile aber
der eben Lupwia eigenttimlichen geistigen Richtung entsprechen. Diese
erkennen wir, wenn in dem letzten Abschnitt des Buches die Persönlich-
keiten der für die Reform maßgebenden Männer viel stärker hervor-
treten als bei WITTICH, wenn uns der Markgraf Karl Friedrich selbst
und seine Berater, Schlettwein, Schlosser und Edelsheim, in sorgfältig
gezeichneten, lebensvollen Bildern vor die Augen geführt werden. Im
ersten Abschnitte aber ist es die scharf und klar durchgeführte und
höchst fruchtbare Scheidung zwischen Grundherrschaft, Leibherrschaft
und Gerichtsherrschaft, die, wenn ich nicht irre, Lupwıgs Buch eine
besondere Bedeutung in der agrargeschichtlichen Literatur gibt. Gewiß
hat Lupwıe weder diese Begriffe zuerst definiert, noch die Ausdrücke
dafür geprägt; jedoch so bestimmt und präzis, wie bei ihm, ist, soviel
ich sehe, die Sonderung der aus diesen drei Wurzeln stammenden
Abhängigkeitsverhältnisse der ländlichen Bevölkerung unseres Gebietes
vorher nirgends als das für die Erkenntnis maßgebende Prinzip heraus-
gehoben worden. Aber seither ist in allen neueren Arbeiten diese
Scheidung jeder allgemeinen Schilderung der südwestdeutschen Land-
bevölkerung zugrunde gelegt worden, und wenn sie uns heute voll-
kommen geläufig ist, so wollen wir nicht vergessen, daß sie das zu
großem Teile erst durch Lupwıcs Verdienst geworden ist.
Wiederum nach zwei Jahren (Straßburg 1898) hat Lupwic ein
drittes Buch („Die deutschen Reichsstände im Elsaß und der Ausbruch
der Revolutionskriege“) erscheinen lassen, auf dessen Entstehung,
wenn ich mich recht erinnere, VARRENTRAPP einen gewissen Einfluß
ausgeübt hat. Im Mittelpunkt des Buches steht, wie es der Titel
anzeigt, eines der größten Probleme der politischen Geschichte der
Neuzeit; den Weg zu seiner Lösung hat Lupwıc umsichtig vorbereitet.
Er beginnt mit einer ganz ausgezeichneten, auf den grindlichsten
-Quellenstudien beruhenden Schilderung der Verfassung und Verwaltung
des Elsaß und seiner einzelnen Territorien im 18. Jahrhundert. An
diese Schilderung schließt sich eine eingehende Darstellung der poli-
tischen Verhandlungen zwischen den elsässischen Ständen, dem Reich,
‚dem Kaiser und Frankreich in den Jahren 1789—1791 und eine wohl-
‚durchdachte Analyse der darauf bezüglichen publizistischen Literatur
224 __ H. BreBlau
an; 68 ist LUDWIGS besonderes Verdienst, daß er dabei die bedeutende
Rolle, die der Fürstbischof August von Speyer in diesen Verhandlungen
und Erörterungen gespielt hat, ins hellste Licht gestellt hat; auch
bier weiß er uns nicht bloß für den Verlauf der Dinge, sondern auch
für die Männer, die diesen Verlauf beeinflußt haben, lebhaft zu interessieren.
Zu dem großen Problem selbst aber nimmt er inmitten der stark von-
einander abweichenden Anschauungen von RANKE, SYBEL, SOREL und
anderen eine selbständige Stellung. Sein fein abgewogenes und ein-
leuchtend begründetes Urteil, daß die Elsässersache für die Frage
nach dem Ursprung des Revolutionskriegs weder die große Bedeutung
gehabt habe, die ihr SOREL zuschrieb, noch eine 80 untergeordnete, wie
etwa GLAGAU augenommen hat, daß ihr Verlauf zwar schließlich durch
den allgemeinen Gang der Dinge bestimmt worden, aber darum doch
nicht ohne Einfluß auf diesen selbst gewesen sei, scheiut mir!) durch-
aus das richtige getroffen zu haben.
Seit diesem Buche hat LupwiG eine größere wissenschaftliche Ar-
beit nicht mehr veröffentlicht. Seine ganze Kraft widmete er den Vor-
arbeiten für ein umfassendes \Verk über die Entstehung des neuen
badischen Staates im Zeitalter Napoleons I. In eifrigster Tätigkeit
beutete er die Karlsruher und Pariser Akten aus; er hatte die Samn-
lung des Materials bereits abgeschlossen und manche Teilentwürfe
ausgearbeitet; er hoffte im Laufe dieses Jahres mit dem Drucke des
ersten Bandes beginnen zu können. Aber ehe er sich auf das Kranken-
bett legte, hat er selbst den Wunsch ausgesprochen, daß im Falle
seines Todes von diesen Entwürfen nichts veröffentlicht werden solle,
und man würde, wenn überhaupt, so doch gewiß nur dann das Recht
haben, diesem Wunsche zuwiderzuhandeln, wenn wirklich vollkommen
abgeschlossene Teile des Buches vorlägen, was nicht der Fall ist. 3o
wird von dieser letzten großen Arbeit LupwiGs der Wissenschaft nichts
zugute kommen, als das von ihm gesammelte Aktenmaterial, das auf
dem Karlsruher Staatsarchiv deponiert werden soll.
Um LupwiGs Bedeutung und seine Stellung in der Wissenschaft
zu würdigen, reichen aber die drei Bücher aus, die wir besprochen
haben. Er war ungewöhnlich gebildet, im besten Sinne des Wortes,
und ungemein kenntnisreich. Er besaß eine außerordentliche Viel-
seitigkeit des Interesses und des Verständnisses; Fragen der politisc!en
und der Literatur-, der Wirtschafts-, der Verfassungs- und Verwaltungs-
geschichte war seine Teilnahme gleichmäßig zugewandt. Er verstand
es, aus der verwirrenden Masse der Einzelheiten das Große und Be-
deutende hervortreten zu lassen, die leitenden Gedanken herauszuheben
und die maßgebenden Personen deutlich vorzustellen. Und mit dieser
Gelehrsamkeit und dieser Versatilität des Geistes verband er die Kunst
fesselnder und geschmackvoller Darstellung, die alle seine Schriften
so erfreulich macht; nicht bloß als Geschichtsforscher, sondern auch
als Geschichtschreiber berechtigte er zu frohen Erwartungen. Denn
noch war seine Entwickelung nicht abgeschlossen; sie bewegte sich in
1) Trotz Gr.agAUvs Widerspruch in der Historischen Zeitschrift 84, 496.
Theodor Ludwig. 225
aufsteigender Linie; und an dem Wachstum seiner Kräfte freuten sich
mit ihm selbst alle, die ihm nahe standen.
Deren waren nicht allzuviele; denn, liebenswürdig und freundlich
gegen jedermann, war Lupwie doch im Innersten seines Wesens zurtick-
haltend und erschloß sich nur wenigen ganz. Aber wem er sich gab,
der wußte, was er an ihm besaß. Ein vornehmer Mensch, von idealer
Gesinnung, den Blick stets auf das Höchste gerichtet und alles Kleine
und Niedrige weit von sich weisend —- so lebt THEonoR LUDWIG im
Gedächtnis seiner Freunde fort.
Bag Für die Redaktion bestimmte Mitteilungen und Manuskripte sind zu
richten an Dr. K. Kaser, Wien VIII, Feldgasse 28. Rezensionsexemplare
bittet man an die Verlagsbuchhandlung oder an Prof. Dr. G. v. Below,
Freiburg i. Br., Tivolistr. 12, zu senden.
Druck von W. Kohlhammer in Stuttgart.
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 15
Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittel-
alter und die Bedeutung der Wikinger für die Entwick-
lung des europäischen Handels und der europäischen
Schiffahrt.
Von
Alexander Bugge (Christiania).
Deutsche, französische und englische Geschichtsforscher künı-
mern sich nur wenig um die Geschichte der skandinavischen
Völker während der Zeit, da sie wie bei einer neuen Völker-
wanderung nach den Niederlanden, Frankreich, den britischen
Inseln und Rußland strömten, Städte und Klöster plünderten,
fremde Heere schlugen und neue Reiche und Niederlassungen
gründeten: in Irland, in England, in Frankreich (Normandie) und
in Osteuropa, wo das russische Reich von schwedischen Wikingern
in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts gegründet wurde).
Die Germanisten interessieren sich allerdings für die Eddagedichte,
diesen köstlichen Schatz der altgermanischen Poesie. Aber nur
wenige wissen, daß die verrufenen Normannen auch für die Ent-
wicklung der mittelalterlichen Kultur, des Handels und der Schiff-
fahrt Europas eine große Bedeutung gehabt haben.
Die nordischen Wikinger waren nicht nur wilde Seeräuber,
sie waren auch unternehmende Kaufleute, die in jeder Weise
Reichtum zu gewinnen suchten. Überall, wo sie hinkamen,
gründeten sie neue Städte und Handelsniederlassungen und
brachten weit entfernte Länder miteinander in Verbindung. Darin
liegt auch die große ökonomische Bedeutung der Wikingerzeit:
1) Der Anfang der Wikingerzüge wird um das Jahr 798 gesetzt, da die
Wikinger Lindisfarne, ein Kloster an der Küste Northumberlands, plünderten.
In der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts hören die Wikingerzüge auf.
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 16
228 Alexander Bugge
die Wikinger öffneten neue Verkehrswege und bereicherten die
westeuropäischen Märkte mit neuen Waren, neuen Erzeugnissen,
mit Pelzwerk aus dem nördlichen Norwegen und aus Rußland,
mit Stockfisch aus Norwegen, mit nordländischen Edelfalken und
mit russischem Wachs. Früher gelangten orientalische Erzeug-
nisse, wie Seidenstoffe, Gold- und Silberdraht und Spezereien, nur
über Italien, Spanien und Südfrankreich nach Mittel- und West-
europa. Die Wikinger eröffneten wieder die alten Verkehrswege aus
dem Schwarzen Meere über Rußland nach den Ostseeländern und
brachten dadurch Westenropa mit dem Orient in direkte Verbindung.
Die Norweger, Schweden und Dänen betrieben für einige Jahr-
hunderte den Großhandel in den Ländern an der Ostsee und Nordsee.
Obschon die Quellen für die Geschichte dieser Zeit sehr arm
sind, erschen wir doch aus ihnen, welche lebhafte Handelstätig-
keit im 9., 10. und 11. Jahrhundert überall in den nordischen
Ländern herrschte. Landschaften, die jetzt ganz außerhalb der
großen Verkehrsstraßen liegen, hatten damals eine große Be-
deutung. Eine der am meisten hervortretenden und reichsten
Provinzen des damaligen Norwegens war z. B. Hälogaland (jetzt
Nordland), die nördlichste Landschaft des Landes an der Küste
des Éismecres. Hier wohnten viele der größten norwegischen
(Geschlechter und mehrere große Dichter. Schon im 7. Jahr-
hundert machten halogische Könige Kriegsfahrten nach Jütland,
wo sie auch mit schwedischen Königen kämpften. Es ist sogar
möglich, daß die Einwohner von Halogaland schon im diesen
alten Zeiten die Orkneyinseln besuchten ').
In der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts „wohnte am nörd-
lichsten von allen Norwegern“ an der Grenze der Lappen ein
Häuptling namens Ottar (Ohtherce). Er ist. der erste Polar-
fahrer, den wir kennen; er umsegelte als der erste Norweger die
Küste Finmarkens und die Kolahalbinsel und entdeckte das Weiße
1) Die nördlichste Provinz des heutigen Norwegens, Finmarken, wurde
im Mittelalter nur von nomadisierenden Finnen oder Lappen bewohnt. Die
Städte Finmarkens sind nur ungefähr hundert Jahre alt. Die Festung Var
döhns stammt doch aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts. Von den alten
Fahrten der Könige von Häloraland erzählt das im 10. Jahrhundert verfaßte
Gedicht Häleygjatal. Vel. A. Buese, Vikingerne IL S. 38 £.
Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 999
Meer. Später kam er nach England und erzählte Alfred dem Großen
von seinen Reisen. Dieser hat in seiner Übersetzung des Geschichts-
schreibers Orosıus die Reise Ottars wiedererzählt. Ottar erzählt
auch von dem Reichtum der nordländischen Häuptlinge und sagt,
daß dieser hauptsächlich in den Abgaben der Lapländer bestehe:
„Diese Abgaben bestehen aus Tierfellen, Vogelfedern, Walfisch-
knochen und den Tauen, die aus Walfisch- und Seehundfellen
gemacht werden. Ein jeder bezahlt je nach seiner Geburt. Der
Vornehmste soll fünfzehn Marderfelle, fünf Renntierfelle, ein
Bärenfell, zehn „Amber“-Federn, ein Bären- oder Otterwams
und zwei 60 Ellen lange Schiffstaue aus Walfisch- oder Seehunds-
fellen bezahlen!).“ Später wurden diese Abgaben an den König
bezahlt; aber auch die königlichen Befehlshaber, die mit dem
Eintreiben der Steuern (der Finnferd) und mit dem Finnkaup
(Monopol des Handels mit den Finnen) belehnt wurden, erwarben
dadurch große Reichtümer?). Auch durch Handel und Raubzüge
nach dem Weißen Meere, wo die durch Pelzhandel reichgewordenen
Bjarmen wohnten, erhielten die nordländischen Großen viel köst-
liches Pelzwerk. Die Fahrt nach dem Lande der Bjarmen wurde
mit der Entdeckung Ottars eifrig betrieben. Der norwegische
König Harald Graafeld („Grauwams“) machte um das Jahr 870
einen Zug nach dem Weißen Meere und kämpfte mit den Bjarmen
am Gestade der Dwina, welcher Fluß in einem gleichzeitigen Ge-
dieht zum erstenmal erwähnt wird’). In der ersten Hälfte des
11. Jahrhunderts machte der nordländische Häuptling Thore Hund
ınit anderen Großen aus Hälogaland einen Zug nach dem Lande
Biarmen, wo sie viel Grauwerk, Biber und Zobel kauften und
1) ALFREDS Orosius, hg. v. SWEET, S. 18.
2) Die Egils Saga, Kap. X und XIV, erzählt z. B. von Thorolv Kvel-
dulfsson, der in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts von König Harald
mit der Finnferd belehnt wurde. Er zog mit 90 Mannen und viel Kauf-
ınannsgut nach Finmarken, handelte mit den Finnen und trieb die Steuern
ein. Mit dem Könige der Kwänen, der den nordischen Namen Faraviür
trägt, machte er auch einen Zug gegen die Kareler und machte reiche Beute
aus Biber-, Zobelfellen und Grauwerk.
3) SNORRE, HEIMSKRINGLA, Saga Haralds gräfelds, Kap. 14. Sowohl
SNuRRE als seine Quelle, der Dichter Glumr Geirason, erwähnen, daß Harald
„an der Dwina* (& Vinu bordi) kämpfte.
230 Alexander Bugge
später auch eine reiche Beute machten. Auf der Rückreise besuch-
ten sie einen Ort am nördlichsten in Finmarken, der Geirsver
(jetzt Gjesvær) genannt wird'). Aus diesem im 11. Jahrhundert
vorkommenden Namen, sowie aus anderen, sehr alten norwegischen
Ortsnamen an der Küste Finmarkens (z. B. dem Fjordnamen
Alten, aus an. allfr „ein Schwan“) ersehen wir, daß die Nor-
weger schon während der Wikingerzeit die Küste Finmarkens
und den Weg nach dem Weißen Meere regelmäßig benutzen, ja daß sie
vielleicht schon an der Küste Finmarkens Niederlassungen hatten.
Eine andere Einnahmequelle für Hälogaland waren die großen
Kabeljaufischereien, die noch heute den größten Reichtum des nörd-
lichen Norwegens ausmachen. Die Indogermanen haben es seit ur-
alter Zeit verstanden, Fische zu trocknen. Das Wort „Dorsch“ (an.
borsk) ist mit dem russischen treskà „Stockfisch“ urverwandt,
welch letzteres Wort ferner mit der Wurzel ters- „zu trocken“ in Zu-
sammenhang steht. Auch der norwegische Kabeljau wurde getrock-
net und weithin versandt. Das Zentrum des Kabeljaufangs, Vaagen in
Lofoten, war schon um das Jahr 1000 ein Hauptort des nördlichen
Norwegens. Während der Fischerzüge wurde dort ein Markt, Vags
stefna, gehalten, der aus dem ganzen nördlichen Norwegen besucht
wurde. Es war eineganze Flotte von Fischerbooten, diesich bei Vaagen
versammelte; die Sagas sprechen öfters von dem Vaga-floti?).
Sowohl Pelzwerk wie Stockfisch wurde schon um 900 nach
den britischen Inseln ausgeführt. Der nordländische Häuptling
Thorolv Kveldulvson, der um diese Zeit lebte, schickte, wie die
„Egils Saga“ (K. 17) erzählt, ein Schiff nach England mit Stock-
fisch, Häuten, Hermelin (ljös vara?), Grauwerk und anderen
Tierfellen, die er in Finmarken bekommen hatte; „und das war
außerordentlich viel Gut“. Gegen das Ende des 10. Jahr-
hunderts lebten zwei aus Halogaland gebürtige Kaufleute namens
Sigurd und Hauk; sie scheinen besonders nach England Handel
getrieben zu haben?). Auch der früher erwähnte Thore Hund
1) Heimskringla, Ölafs saga helga, K. 138.
2) Vgl. Heimskringla, Ölafs s. helga, K. 128, 189.
3) Heimskringla, Saga Ölafs Tryggvasonar, K. 74: Sigurdr er maër
nefndr, annarr Haukr, beir väru häleyskir ok hofdusk migk fi kaupferdum.
beir hofdu farit eitt sumar vestr til Englandz.
Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 231
(ca. 1020—1030) stand mit England in Verbindung und ver-
kaufte dort seine Pelzwaren. In der zweiten Hälfte des 11. Jahr-
hunderts hörte der selbständige Handel Hälogalands mehr und
mehr auf. Die westeuropäischen Länder bezogen jetzt das Pelz-
werk, das sie brauchten, aus Rußland über Nowgorod. Die
norwegische Stadt Bergen ward gegründet und wurde bald eine
der bedeutendsten Handelsstädte der skandinavischen Länder.
Die Einwohner Hälogalands zogen es vor, hieher mit ihren
Waren zu segeln, und nachher dauerte es nicht lange, ehe die
Kaufleute Bergens sich des ganzen nordländischen Handels
bemächtigt hatten. Hälogaland war schon im 15. Jahrhundert
eine der ärmsten Landschaften Norwegens.
Auch die Einwohner anderer norwegischen Landschaften trieben
einen ausgedehnten überseeischen Handel, und ihre Heimat wurde
von vielen fremden Kaufleuten besucht. Von der Landschaft
Viken (am heutigen Christianiafjord) heißt es im Anfange des
11. Jahrhunderts: „Das Land wurde sowohl winters als auch sommers
von vielen dänischen und sächsischen Kaufleuten besucht. Die
Einwohner von Viken machten auch selbst oft Kauffahrten nach
anderen Ländern, nach England, Sachsen, Flandern oder Däne-
mark“ '!). Viele Norweger trieben Handel nach Rußland, wie z. B.
„Gudleik der Russische“ (Gudleikr gerzki), der zur Zeit Olafs
des Heiligen lebte und von dem es heißt: „Er war ein großer
Seefahrer und Kaufmann und sehr reich und handelte nach ver-
schiedenen Ländern, er segelte oft nach Rußland und wurde
deßhalb Gudleik der russische genannt“). Ein anderer Kauf-
mann, der einen Markt an der Mündung des Göta-Elfs besuchte,
wird „Gille der Russische“ genannt. Die Einwohner von Dänemark
und Schweden trieben auch sehr früh einen bedeutenden über-
seeischen Handel; ihre Städte wurden von Einheimischen und
Fremden besucht und zählten mehrere reiche eingeborene Kauf-
leute. Schleswig hatte schon um 800 als dänische Grenzstadt
einige Bedeutung gewonnen. In den fränkischen Annalen wird
1) Heimskringla, Ölafs s. helga, K. 64.
2) Heimskr., Öl. s. h., K. 66.
232 Alexander Bugge
diese Stadt Sliestorp, „das Dorf an der Slie“, genannt!). Dies
scheint zu zeigen, daß Schleswig aus einen Dorf allmählich eine
Stadt geworden ist. Als der heilige Ansgar die Stadt besuchte,
wurde sie schon Sliaswich genannt und war ein bedeutender
Hafenplatz, der von Kaufleuten aus allen Gegenden besucht
wurde (ubi ex omni parteconventusfiebat mercatorum).
Viele von den Einwohnern waren in Hamburg oder Dorestat
getauft, und Kaufleute aus diesen Städten kamen nach Schleswig,
um allerlei Waren zu verkaufen?). Die Stadt hatte sogar ihren
eigenen Befehlshaber. RIMBERT nennt einen „comes praefati
vici, Sliaswich videlicet, nomine Hovi“°. In der
Nähe von Schleswig (am Haddebyer Nor) begann gegen das Ende
des 9. Jahrhunderts ein anderer Hafenplatz heranzuwachsen.
Er wurde anfangs æt Hæbum („auf den Heiden“) genannt und
war noch am Ende des 9. Jahrhunderts ein unbefestigter Ort
ohne größere Bedeutung‘). Um 900 setzte ein schwedischer
Häuptling Namens Olav sich hier fest und gründete ein selb-
ständiges Reich, das bis an die Mitte des Jahrhunderts seine
Unabhängigkeit behielt. Der Hafenplatz auf den Heiden ward
jetzt eine befestigte Stadt, die Heidabyr genannt wurde und
bald eine der bedeutendsten Städte des skandinavischen Nordens
ward).
Gegen 900 wurden die ersten nordischen Münzen geprägt.
Sie sind eine Nachahmung der von Karl dem Großen in Dor-
stat geprägten Münzen, welche auf dem Avers den Namen
Carolus — in zwei Zeilen — und auf dem Revers den Namen
Dor-stat tragen; die Münztypen sind aber auch von den alten
northumbrischen Münzen und von den Münzen Quentowics be-
einflußt. Es gibt viele verschiedene Typen; einige zeigen uns
ein bestimmt nordisches Gepräge und tragen Bilder, die wir auch
auf nordischen Bildsteinen aus der Wikingerzeit wiederfinden.
1) Einhardi Annales, ao. 804 und 808. König Godfred zieht sich zurück
„ad locum [ad portum], qui dicitur Sliestorp“.
2) RIMBERT, Vita S. Anskarii, c. 24 (PErTZ, Scriptores II, S. 709).
3) Vita S. Anskarii, c. 81 (PERTZ, II, 715).
4) ALFRED, Orosius, hg. SWEET, S. 19.
5) Soruus MÜLLER, Nordiske Fortidsminder I, 240 ff.
Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 9233
Der dänische Münzforscher HAUBERG hat nachgewiesen, daß diese
Münzen aus Dänemark stammen. Ich selbst glaube es wahr-
scheinlich gemacht zu haben, daß sie in Hedeby, der bedeutendsten
Stadt des damaligen Dänemarks, geprägt worden sind". Um
die Mitte des 10. Jahrhunderts fand ein neues Münzen statt,
und zwar, wie auch HAUBERG und HiLDEBRAND annehmen, in
Hedeby.
Man hat diese Münzen in Dänemark, in Norwegen, auf der
Insel Biörkö, in Mälaren und an der Südküste der Ostsee ge-
funden. Mit allen diesen Gegenden sowohl als mit Dorestadt,
Quentowie und Nordengland hat also Hedeby Handelsverbindungen
gepflegt.
Nach der Mitte des 10. Jahrhunderts ging es mit der Größe
Hedebys zurück. Die Stadt kam wieder an Dänemark, hatte
segen das Ende des Jahrhunderts neue große Kämpfe zu bestehen
und hörte in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts auf, zu
existieren. Schleswig wurde wieder die bedeutendste dänische
Stadt. Das alte Hedeby wurde bald vergessen und mit Schles-
wig, das jetzt auch den Namen Hedeby annahm, verwechselt.
ADAM V. BREMEN sagt zum Beispiel: „Sliaswig, quae et
Heidabi vocatur“, und erzählt, daß die Stadt einen bedeuten-
den Handel nach den wendischen Ländern, Schweden, Semland
und Rußland unterhielt. Aus Schleswig segelt man, sagt er,
nach Jumne und von dort weiter nach Rußland. Aus Ripen auf
der anderen Seite der jütischen Halbinsel segelte man nach Sachsen,
Friesland und England. Die Stadt Aarhus, weiter nördlich in Jüt-
land, stand zur Zeit Apams mit den dänischen Inseln, Schonen
und Norwegen in Verbindung?). Noch im 12. Jahrhundert war
1) HAUBERG, Myntforhold og Udmyntninger i Danmark indtil 1146 (Danske
Videnskabsselskabs Skıifter 1900), Mémoires du Congrès international de
Numismatique à Bruxelles. A. BuGGE, Vesterlandenes Indflydelse paa Nord-
boerne i Vikingetiden (Kristiania Videnskabsselskabs Skrifter 1904), S. 265 ff.
Der schwedische Archäologe HILDEBRAND meint, daß diese Münzen in Birka
geprägt seien.
2) ADAM v. BREMEN, Descriptio Insularum Aquilonis, c. 1: Sliaswig,
quae et Heidabi dicitur. ... Ex eo portu naves emitti solent in Sciavoniam
vel in Suediam vel ad Semlant usque in Graeciam [s. Rußland]. Alterum
fecit episcopatum in Ripa, quae civitas alio cingitur alveo, qui ab oceano
234 Alexander Bugge
Schleswig, wie bekannt, eine sehr bedeutende Stadt. Aus dem
alten Stadtrecht Schleswigs ersehen wir, daß die Stadt noch um
1200 von Fremden aus verschiedenen Ländern besucht wurde.
Das Stadtrecht erwähnt „hospites de ducatu Saxonie, de
Frysia, de Hyslandia [Island], de Burgendeholm [Borr-
holm] et aliunde!).
Schweden hatte um 800 eine bedeutende und weithin be-
kannte Handelsstadt namens Birka, die auf der kleinen Insel
Biörkö in Mälaren lag. Birka war freilich nie eine große Stadt.
Sie war aber — gleichwie Hedeby — von einem Ringwall um-
geben, und die Einwohner müssen fast ausschließlich von Handel
und Schiffahrt gelebt haben, denn die Insel Biörkö ist so klein,
daß die Einwohner Birkas unmöglich nur von Ackerbau gelebt
haben können. Birka ist also nicht nur eine der ältesten nord-
europäischen Städte, sondern auch die erste, deren Einwohner
ausschließlich von Handel und Schiffahrt lebten.
Es war kein Zufall, daß der heilige Ansgar Birka besuchte,
um den Schweden das Christentum zu predigen. Denn die Stadt
stand schon damals mit dem fränkischen Reiche in Verbindung.
Wo Birka früher lag, hat man in der Erde karolingische Münzen
aus dem 9. Jahrhundert und christliche Gegenstände (Amulette
u. 8. w.) eines deutlich fränkischen Ursprungs gefunden), und
RIMBERT erwähnt ausdrücklich, daß Birka um die Zeit Ansgar
influit, et per quem vela torquentur in Frisiam, aut certe in Angliam velin
nostram Saxoniam ... Arhusan, a qua navigatur in Funen aut Seelant, ave
in Sconiam, vel usque in Norwegiam. Vgl. Gesta Hammat. ecel. ep. L H,
c. 19: nam per navim ingrederis ab Sliaswig vel Aldinburc, ut pervenias sd
Jumne. Ab ipsa urbe vela tendens quartodecimo die ascendes ad Ostrogar
Ruzziae.
1) Hansisches Urkundenbuch I, S. 457. Aus dem Namen Burgende
holm, sowie daraus, daß die Einwohner Bornholms von ALFRED dEM GROSSEN
(Orosius) Burgendan genannt werden, schließe ich, daß die Ureinwohner
der Insel Burgunden waren. Der isländische Name der Insel, Borgus-
darhölmr, ist nur eine spätere Volksetymologie. Man nimmt js suc
gewöhnlich an, daß die Ureinwohner der Insel Gotland Goten waren. „Ger
land“ bedeutet „das Land der Goten“; „Bornholm“ bedeutet „die Felsenizsel
der Burgunden“.
2) MoxTELitvs, Les temps préhistoriques en Suède, S. 252; HILDEBRAND,
Sveriges medeltid I, 776.
Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 235
mit Dorestat in Verbindung stand‘). Birka wurde des Handels
wegen von Schiffen aus Norwegen, Dänemark, Wenden und
Samland besucht?). Man konnte nach Apam v. BREMEN in
fünf Tagen aus Schonen nach Birka und in anderen fünf Tagen
aus Birka nach Rußland segeln). Schon in der ersten Hälfte
des 9. Jahrhunderts besaß Birka viele reiche Kaufleute, einen
Überfluß an allerlei Gütern und einen großen Geldschatz‘).
Die Stadt hatte zur Zeit Ansgars ihren eigenen Befehlshaber,
der von RIMBERT praefectus Bircae genannt wird; wir
hören auch von Volksversammlungen, die in Birka abgehalten
wurden. Birka wurde besonders wegen seiner geschützten Lage
in Mälaren von so vielen Fremden besucht; die Einwohner such-
ten durch künstliche Mittel den Hafen noch mehr zu schützen,
indem sie durch große Steinblöcke den Seeräubern die Einfahrt
in Mälaren erschwerten®). Dies hinderte aber nicht, daß die
Stadt oft überfallen und geplündert wurde. Zuletzt muß Birka,
wahrscheinlich um die Mitte des 10. Jahrhunderts, niedergebrannt
worden sein. Zur Zeit ADAMS v. BREMEN existierte die Stadt
nicht mehr; die Einwohner waren nach dem naheliegenden Sig-
tuna übersiedelt. Sigtuna war im 11. und 12. Jahrhundert die
bedeutendste schwedische Stadt, wo sich die einzige Münzstätte
des Landes befand. Auch Sigtuna wurde — um 1187 — von
Seeräubern niedergebrannt, und die Stadt hat nie später ihre
frühere Blüte wiedererlangt. Stockholm wuchs heran, um später
die Hauptstadt Schwedens zu werden.
1) RIMBERT, Vita S. Anskarii, c. 20: Eine sterbende Frau bittet ihre
Tochter, nach Dorestat zu gehen, um ihr hinterlassenes Geld unter die Armen
dort zu verteilen: c. 27 werden auch Reisen nach Dorestat erwähnt: Ali-
quando nempe quidam ex nobis(s. von den Schweden) Dorestadum
adeuntes huius religionis normam...
2) ADAM v. BREMEN, Gesta Hammab. eccl. ep., I, c. 62: Ad quam statio-
nem, quia tutissima est in maritimis Sueoniae regionibus, solent omnes
Danorum vel Nortmannorum, itemque Sclavorum et Sembrorum naves, aliique
Scithiae populi pro diversis commerciorum necessitatibus sollempniter convenire.
8) ADAM v. BREMEN, Descriptio Insularum Aquilonis. c. 21, schol. 121.
4) Vita S. Anskarii: Proponebat enim eis vicum memoratum Birca,
quod ibi multi essent negotiatores divites, et abundantia totius boni, atque
pecunia thesaurorum multa.
5) ADAM, Gesta Hamm. eccl. ep., I, c. 62.
236 Alexander Bugge
Das bedeutendste Zentrum für Handel und Schiffahrt im
ganzen skandinavischen Norden war jedoch die Insel Gotland.
Die günstige Lage dieser Insel in der Mitte der Ostsee, ungefähr
gleich weit von Schweden und von Kurland entfernt, brachte es
mit sich, daß die Einwohner schon zur Zeit der Völkerwanderung
eine ausgedehnte Schiffahrt trieben und große Reichtümer besaßen.
Während der Wikingerzeit stieg die Bedeutung der Insel noch
mehr. Die auf Gotland um die Mitte des 13. Jahrhunderts in der
Landessprache verfaßte und auf alter Überlieferung beruhende
„Guta Saga“ (Historia Gotlandiae) sagt: „Als die Goten noch Heiden
waren, segelten und handelten sie nach allen Ländern, sowohl nach
denen der Christen wie der Heiden“). Wegen der Reichtümer, die
auf Gotland gesammelt waren, wurde die Insel oft von Feinden
heimgesucht. Mehrere schwedische Runeninschriften erzählen von
Leuten, die Gotland brandschatzten. So sagt z. B. eine Ein-
schrift von Torsätra, Upland: „Skule und Folke errichteten diesen
Stein nach [d. h. zum Andenken an] ihrem Bruder Husbiorn. Im
Auslande vermehrte er die Kleinodien, zur Zeit als sie auf Gotland
Schätze nahmen“). Die Guta Saga erzählt: „Während Gotland
heidnisch war, stritten viele Könige auf der Insel; die Guten
erhielten doch gewöhnlich den Sieg und wahrten ihre Rechte“.
Dies war wahrscheinlich die Ursache, warum die Gotländer sich
in den Schutz des schwedischen Königs gaben und sich ver-
pflichteten, ihm eine jährliche Abgabe zu bezahlen.
Ich werde im folgenden mehr von den auswärtigen Handels
beziehungen (rotlands sprechen. Hier will ich nur hervorheben,
wie außerordentlich reich die Insel in alten Zeiten gewesen sein
muß. Von Münzen, die aus dem 10. und 11. Jahrhundert stanı-
men, hat man auf Gotland allein 67000 Stück (auf 277 Funde
verteilt) gefunden’). Jedes Jahr macht man neue Münzfunde
| 1) Die Einwohner Gotlands wurden Gutar, d. h. Goten, und die Insel
G«utaland „das Land der (Goten“ genannt. Auch die ältesten Runen-
inschriften Gotlands scheinen es zu bezeugen, daß die Urbevölkerung Gotlands
toten waren; vgl. S. BUGGE, Norges Indskrifter med de ældre Runer I.
S. 148 ff.
2) E. BrartE und S. BUGGE, Runverser, S. 66 f.
3) HAUBERG, Myntforhold og Udmyntninger i Danmark indtil 1146;
(Danske Videnskabsselskabs Skrifter, Kopenhagen 1900).
Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter ete. 937
und findet wertvolle Goldringe und Schmucksachen. Diese Reich-
tümer sind nicht durch Kriegszüge nach Gotland gekommen.
Denn von den auf der Insel gefundenen Münzen stammen zwei
Drittel aus Westeuropa (aus Deutschland und England); die An-
nalen und Chroniken erwähnen aber nie, daß Gotländer an den
Wikingerzügen teilnahmen. Das auf Gotland gefundene Gold
muß also durch Handel und friedlichen Verkehr nach der Insel
gelangt sein.
Die größte Bedeutung der nordischen Völker für die Handels-
geschichte liegt doch darin, daß sie überall im Auslande, wo sie
im 9., 10. und 11. Jahrhundert als Eroberer hinkamen, Städte
und Handelsniederlassungen gründeten. Dadurch wurde dem
ganzen Verkehrsieben des nördlichen Europas neues Leben ein-
gehaucht und der Welthandel in neue Bahnen gelenkt. Einige
von diesen Niederlassungen — besonders am südlichen Gestade
der Ostsee — stammen sogar aus dem Ende des 8. Jahrhunderts.
An der Küste von Mecklenburg lag wahrscheinlich eine Hafen-
stadt, die nach EINHARD (Annales, ao. 809) „auf dänisch Reric
genannt wurde“ (lingua Danorum Rerie dicebatur). Die
Stadt stand um 800 unter dänischer Oberhoheit und war von
dänischen Kaufleuten bewohnt, wodurch der dänische König von
den entrichteten Zöllen ein großes Einkommen hatte.
Rerie wurde im Jahre 808 von König Godfred, den Gegner
Karls des Großen, zerstört; die dort wohnenden dänischen Kauf-
leute wurden nach Schleswig gebracht’). Die Stadt kann doch
nieht gänzlich zerstört worden sein, denn Thrasco, der Herzog
der Abodriten, wurde das folgende Jahr (809) „in emporio
1) PERTZ, Scriptores I, S. 195: Godefridus vero, priusquam reverteretur,
destructo emporio, quod in oceani litore constitutum, lingua Danorum Reric
dicebatur, et magnam regno illius commoditatem vectigalium solutione prae-
stabat, translatisque inde negotiatoribus, soluta classe ad portum, qui Sliestorp
dieitur, cum universo exercitu venit. Vgl. STEENSTRUP, De Danske og Ven-
derne, wo zuerst auf die Bedeutung Rerics aufmerksam gemacht ist. — Der
Name Reric ist nicht dänisch, sondern slawisch und steht mit Reregi,
dem Namen eines wendischen Stammes in Mecklenburg, in Zusammenhang.
Vgl. ADAM vox BREMEN, Gesta Hammab. eccl. ep., 1. II, c. 18: Deinde
secuntur Obodriti, qui nunc Reregi vocantur, et civitas eorum Magnopolis.
jetzt Mecklenburg, ein Ort in der Nähe von Wismar].
238 Alexander Bugge
Reric“ von den Leuten Godfreds getôtet!). Später ist doch die
Stadt ganz verschwunden.
Im 9. Jahrhundert trieben die Dänen, wie wir aus dem Reise-
-bericht WULFSTANS ersehen können, auf Truso Handel. Diese
Stadt lag an dem Sec gleichen Namens (jetzt Drausen), nicht
weit von der Mündung der Weichsel?). Ob es auch dort eine
‚dänische Handelsniederlassung gab, wissen wir aber nicht.
Die berühmteste Handelsstadt am südlichen Gestade der Ost-
see war iın 10. und 11. Jahrhundert Julin oder Jumne, die außer-
halb der Mündung der Oder auf der Insel Wollin lag. Hier
setzten die Dänen sich in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts
unter dem König Harald Gormsson, augenscheinlich des Handels
wegen, fest”). Unter den Dänen wurde Julin eine feste Burg;
zur selben Zeit wurde auch der Hafen befestigt; die Stadt wurde
«leshalb eine „Seeburg* (sæborg) genannt. Der Eingang zum
Hafen konnte durch Eisentür geschlossen werden und wurde
durch ein Kastell oder einen steinernen Turm verteidigt. Die ganze
Anlage ist in der ,Jomsvikingasaga“ ausführlich geschildert‘).
Ich bezweifle allerdings, daß die Einzelheiten dieser Schilderung
1) Per'rz I, S. 196, Einhardi Annales, ao. 809.
2) ALFRED, Orosius, hg. v. SwEET, S. 19f.: Wulfstan sæde bæt he
geföre of Hædum, bæt he ware on Truso on sufan dagum and nihtum...
bonne cymed Ufing [s. Elbing] eastan in Estmere [s. Frisches Haff] of dem
mere de Truso standed in stade.
3) Knytlingasaga, K. 1 (Fornmannasogur, B. 11): Haralds Gormsson var
tekinn til konungs i Danmork eptir fodur sinn, ...ok hafdi hann mikit
jarleriki i Vindlandi; hann lét bar gera Jörmborg ok setti bar herlid mikit,
hann setti beim mäla ok rétt, en beir urmu landit undir hann.
4) Jomsvikingasaga, K. 23: ok bar letr hann [d. h. der dänische
Häuptling Palnatoki] gera brätt i sinu riki sæfarborg eina mikla ok
rammgerva, b4â er Jérnsborg er kollud sidan. par lætr hann ok gers hofa
pâ uppi i borginni, at liggja mättu i 300 langskipa senn, svä at Pau von
oll lest innan borgar. par var um büit med mikilli vélfimni, er i var lagt
um i hofnina, ok bar var sem dyr væri gervar, en steinbogi mikill yfir uppi
en fyrir dyrunum voru järnhurdir, ok lestar innan 6r hofninni. En & stein
boganum uppi var gerr kastali einn mikill, ok bar valslongur i. Sumr blutr
borgarinnar stöd dt & sæinn, ok eru bar kalladar sæborgir, er svä eru gerrar,
ok af bvi var innan borgar hofnin.
Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter ete. 239.
korrekt sind. Jedenfalls wurde doch Julin unter den Dänen eine
feste Burg mit einer stark befestigten Flottenstation. Die Herr--
schaft der Dänen scheint in der ersten Hälfte des 11. Jahr-
hunderts verloren gegangen zu sein. Die Burg wurde 1043 von
König Magnus von Norwegen und Dänemark zerstört"). Doch
nennt noch ADAM v. BREMEN Jumne eine große Stadt: „Est
sane maxima omnium quas Europa claudit civitatum,
quam incolunt Sclavi cum aliis gentibus, Graecis
(s. Russen) et barbaris“?).
Vielleicht gab es auch an der Südküste der Ostsee andere
dänische Niederlassungen. Eine Insel an der Westküste von
Rügen, die durch eine Sturmflut im Jahre 1308 von dieser Insel
abgetrennt wurde, heißt noch jetzt Hiddensee. Die Insel, wo-
die dänischen Könige in alten Zeiten oft ihre Flotten sammelten,.
wird bei Saxo Grammaticus Hythini insula genannt; in den
eddischen Gedichten heißt sie Hedinsey. Der Name ist echt
nordisch, aus Hedinn, einem nordischen Namen, und ey
„Insel“°). Die südöstliche Spitze der Insel Rügen heißt in
einem norwegischen Gedichte aus dem Ende des 10. Jahr-
hunderts Staurr. Dieser Name ist auch nordisch und ist wohl
aus an. Staurr „Stab, Stock“ zu erklären‘). Beide Namen
zeugen von einer alten dänischen Niederlassung auf Rügen.
Andere wendische Namen sind von den skandinavischen Völkern
umgeändert worden und kommen in dieser Gestalt schon in den
eddischen Gedichten vor, z.B. Orvasund, d. h. Stralsund, der
schmale Sund, der die Insel Rügen vom festen Lande trennt
und wo die Stadt Stralsund jetzt liegt. Dieser Sund ist nach
der Insel Strala, jetzt Danholm, südwestlich von der Stadt
Stralsund, genannt. Daraus istOrvasund, „der Sund der Pfeile“
1) Knytlinga Saga, K. 22.
2) ADAMUS, Gesta, 1. II, c. 19.
3) Eine ältere deutsche Form des Namens ist Hiddensoe (Strals.
Stadtbuch 6, Nr. 89), wo die Endung -oe deutlich dem nordischen -ey ent-
spricht. |
4) Heimskringla, Olafs saga Tryggvasonar, K. 89:
„Styrir l6t at Stauri
stafnviggs hofud liggja“.
In der Prosa heißt es: „fyrir Staurinum“.
240 Alexander Bugge
eine Übersetzung. Diese Übersetzung lag nahe, denn das Wappen
der Stadt Stralsund war im Mittelalter ein Pfeil (strâl).
Andere Ortsnamen, die ebenfalls in den Gedichten von dem
dänischen König Helgi Hundingsbani und seinen Kriegszüge
nach der Ostsee vorkommen, sind: Varinsfiordr, d.h. der
Meerbusen am Ausflusse der Warnow bei Warnemünde), und
Svarinshaugr (der Hügel „Swarins“), d.h. Suerin, Sueri-
num, Schwerin im Lande des Abodriten®).. Die kleine Insel
Danholn bei Stralsund hat möglicherweise auch einen nordischen
Namen. Dieser Name, der im Mittelalter Daneholm geschrie-
ben wurde), entspricht an. Danahölmr („der Holm der Dänen‘).
Aus der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts (ca. 1066) stammt
die von einem Norweger verfaßte Dichtung von der Brävalls-
Schlacht, die wir aus dem isländischen Sogubrot und aus der
lateinischen Version des Saxo Grammaticus kennen‘). Im Ge
folge des Dänenkönigs Harald Hilditand sind als Hauptanführer
drei Schildjungfrauen, Vebjorg, Heidr und Visma. De
Vebjorg folgen Krieger aus Jütland, Angel und Friesland. Mit
Heidr komnit ein Mann aus Slien. Diese zwei Schildjungfrauen
sind die poetischen Repräsentanten der dänischen Städte Hedeby
(Heidabær) und Viborg (Vébjorg). Das Heer der Wenden
wird von Visma geführt; diese muß folglich der poetische Re-
präsentant eines wendischen Ortes sein. Dieser Ort ist meiner
Ansicht nach Wismar’). Zwar wurde die Hansestadt Wismar erst
1237 gegründet”). Es gab aber früher an derselben Stelle eine
11 Hier wohnten nach ADAM v. BREMEN und HELMOLD die Warnabi
(Warnavi); ihr Land hieB Warmouve. Die Namensformen Warin, Waris
kommen in Chron. cpisc. Merseb. vor (Scriptores rerum Germ. 10, 191, 3)
2) S. BUGGE, Helgedigtene, S. 130 ff. Der Name Zvarin kommt 1174
vor; Ann. Sfederb., Scriptores rerum Germ. 16, 211, 42; Leges 2, 211, 14
Zuarina civitas, ao. 1018 (TIHETMAR, Script. 3, 862, 20).
3) Stralse Stadtbuch 2, Nr. 146. Das Wort holm kommt doch auch in
Niederdeutschen vor.
4ı Vel. X. Bruiux, Norsk Sagafortellinz i Island (Norsk historiak Tid-
skrift. 19011, 8.79 ff: JES-EN. Undersögelser til nordisk Oldhistorie, S. 3 f:
AXEL OLkIK in Archiv für nordisk filologi X.
5) Nach den ungedruckten Aufzeichnungen Professor Sophus BuGGFs
6° ‘'ion. Slav., Lasperr. 107.
Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 241
dische Niederlassung. Ein Ort Wismer wird schon 840 er-
nt (Nordelb. Chron. 9f.).
Aus den isländischen Sagen ersehen wir, daß der Hafen
mars in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts von dänischen
iffen besucht wurde. Hier landeten z. B. die dänischen Könige
n Grathe und Knut Magnusson auf einem Zug nach Wenden ?).
lem slawischen Wismar hat wohl, wie in Julin und in dem
n Reric, eine Niederlassung von nordischen Kaufleuten exi-
+, und die Stadt hat in irgendeiner Weise mit Dänemark in
bindung gestanden. Sonst können wir es nicht verstehen,
um die Schildjungfrau Visma im Heere des Harald Hilditands
ıpf. Wismar war wahrscheinlich ursprünglich der Name
t der Stadt, sondern des Meerbusens bei Wismar (Vizmar
'n) und bedeutet vielleicht „das ruhige Meer“ (Wis-mari).
Nordischen gibt es ähnliche Fjordnamen, z. B. Grenmarr
Norwegen?). Der Name Wismar ist doch meiner Ansicht nach
ıt nordisch, sondern stammt aus der altgermanischen Zeit
ist von den Slawen beibehalten worden.
Wie die Dänen an der Südküste der Ostsee, so haben die
weden an der Küste der baltischen Länder sehr früh, viel-
at schon im 8. Jahrhundert, Niederlassungen gehabt.
RIMBERT erzählt in seiner Lebensbeschreibung des heiligen
gars, daß die Einwohner von Kurland lange unter schwedischer
rschaft standen. Als Ansgar im Jahre 853 nach Schweden
1, hatten sie sich aber schon längst wieder unabhängig ge-
ht. -— Die schwedische Herrschaft in Kurland gehört also
ırscheinlich dem 8. Jahrhundert an. — Später machten die
ıen einen Kriegszug nach Kurland; sie wurden aber geschla-
und entkamen mit genauer Not. Als der König der
weden dies hörte, wollte er es versuchen, die schwedische
rschaft in Kurland zu erneuern. Er sammelte eine große
te, kam unerwartet nach einer kurländischen Stadt namens
>burg, in welcher 7000 Krieger standen, und zerstörte und
1) Knytlingasaga, K. 108 (Fornmannasogur XI, S. 851): ok kom Knütr
ıngr fyrri med sinn her i Vizmar hofn, en Sveinn konungr kom med
bûum ok Sjélendingum ok Hallendingum ok Skänungum.
2) Nach einer Mitteilung Professor S. Buuers.
242 Alexander Bugge
plünderte sie". Zwar mißlang der Versuch, Kurland wiederz-
erobern. Die Erzählung ist aber dennoch sehr interessant und
wichtig. Das Merkwürdigste ist Seeburg als der Name einer kır-
ländischen Stadt. Seeburg ist kein litauischer oder slawischer,
sondern ein deutscher oder nordischer Name. Da aber die
Deutschen um 800 mit Kurland noch gar keine Verbindung
hatten, ist es, wie der dänische Forscher JOHANNES STEENSTREP
meint, der zuerst die Aufmerksamkeit auf diese Erzählung ge-
richtet hat?), viel wahrscheinlicher, daß Seeburg ein nordischer
Name ist und das altnordische Sæborg („befestigte Stadt mit
einem befestigten Hafen“) wiedergibt. Wie wir schon gehört
haben, wird ja auch Jomsborg eine sæborg genannt. Der Ver-
fasser der „Jomsvikingasaga“ schreibt sogar, daß eine besondere
Art von befestigten Städten oder Burgen diesen Namen gewöhn-
lich tragen (ok eru bær kalladar sæborgir, er svaeru
gjörvar). Wie Jomsborg, so ist wohl auch die kurländische
„Seeburg* des Handels und der Schiffahrt wegen von den
1) RimBERT, Vita S. Anskarii, c. 80 (PERTZ, Scriptores II, S. 718): Nec
praetereundum quoque videtur, qualiter Domini virtus post hanc profectionem
jam dictis Sueonibus patefacta est. Gens enim quaedam longe ab eis poaits.
Cori vocata, Sueonum principibus olim subiecta fuerat; sed iam tune din erat.
quod rebellando eis subiici dedignabantur. Denique Dani hoc scientes tempore
supradicto, quo dominus episcopus iam in partes Sueonum advenerat, navium
congregata multitudine ad eandem perrexerunt patriam, volentes et bons eorum
diripere, et eos sibi subiugare. Regnum vero ipsum quinque habebat civitates.
Populi atque inibi manentes, cognito eorum adventu, conglobati in unum,
coepere viriliter resistere et sua defendere. Dataque sibi victoria, medietate
populi Danorum caede prostrata, medias quoque naves eorum diripuerust.
auro et argento spoliisque multis ab eis acceptis. Quod audiens praedice
rex Olaf populusque Sueonum, volentes sibi nomen adquirere, quod facere
possent quae Dani non fecerint, et quia sibi etiam antea subiecti fueirnt,
innumerabili congregato exercitu, illas adierunt partes, et primo quidem
improvise ad quandam urbem regno ipsorum, vocatam Seeburg, in qua erant
septem milia pugnatorum, devenientes, penitus illam devastando et spoliando
succenderunt. Diese schwedische Expedition wird vielleicht auch in der
romantischen, „Ingvars saga vidförla“ [Antiquités russes, hg. v. Rarn IL 148]
erwähnt: „pä er beir frendr voru frumvaxta, Onundr ok Ingvarr, var #
bjod i missætti vid Ölaf konung, er Seimgalir heita, ok hofdu ekki skatt
soldit um hrid; bâ sendi Olafr konungr Onund at heimta skatt“.
2) J. STEENSTRUP, De Danske og Venderne.
Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 243
Schweden erbaut worden, und zwar wie Jomsborg an der Mün-
dung eines großen Flusses.
Ist die Mutmaßung zu kühn, daß Seeburg an der Mündung
der Düna in der Nähe von Riga lag? — Riga wurde später in
weiterem Sinne zuweilen zu Kurland gerechnet'). Auch später
trieben, wie wir aus den schwedischen Runeninschriften des 10.
und 11. Jahrhunderts ersehen können, die Schweden einen aus-
gedehnten Handel nach den baltischen Ländern.
Der am meisten benützte Weg ging um Kap Domesnäs, die
Nordspitze Kurlands, dessen Name nordischen Ursprungs ist?),
und weiter nach der Mündung der Düna, wo die Stadt Riga 1201
von Bischof Albert von Apeldern gegründet wurde. Diejenige
schwedische Landschaft, die bei dieser Fahrt besonders beteiligt
war, scheint Södermanland, südlich von Mälaren, gewesen zu
sein. Vier Runensteine aus Södermanland sprechen von Fahrten,
nach Semgallen (d. h. dem südlichsten Teil des Herzogtums Kur-
land), nach der Mündung der Düna und nach Samland (d. h. der
Halbinsel zwischen Deine, Pregel und dem Meer). Auf dem
einen heißt es: Si(g)rid let ræisa stæin benna at Svæin
sinn bönda. Hann oft siglt til Sæimgalla Iyrum
knarri um Dömisn&s, d. h. „Sigrid errichtete diesen Stein
zum Andenken an ihren Mann Svein. Er ist oft nach Semgallen
gesegelt mit kostbarem Handelsschiffe um Domesnäs“”).. Auf
dem zweiten lesen wir: „Roar, der Sohn von Gume, errichtete
diesen Stein zum Andenken an Andar, den Vater Slodes, und
an seinen Vater. Er verteilte Gold im Lande der Semgallen“ “).
Auf einem dritten Runenstein aus Södermanland heißt es: „Sumur
hieb [d. h. diese Runen] zum Andenken an Stein, der im Osten
1) Hansisches Urkundenbuch I, Nr. 240 A. 1, 246.
2) Die Endung -näs ist nordisch und bedeutet , Vorgebirge“. Auch
Dagô ist ein nordischer Name. Noch wird ja auf Dagö und Oesel schwedisch
gesprochen, nicht erst seit der Schwedenherrschaft im 17. Jahrhundert, sondern
seit uralten Zeiten.
3) E. BRATE u. 3. BUGGE, Runverser, S. 200. An. knyrr, Gen. knarrar
bedeutet „Schiff“, besonders „Handelsschiff“.
4) Runverser, 8. 214: Röanr Guma son ræisti at stæin pansa
Audar fadur Slöda ok œptr sinn fadur. Gulli hann & Sem-
gallum skifti.
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtechaftsgeschichte. IV. 17
944 Alexauder Bugge
an der Mündung der Düna gestorben ist“!). Auf einem vie
ist zum Andenken an den Verstorbenen geschrieben: fé oriSæ
„er zog nach Samland“?).
Auch die Insel Gotland war an diesem Handel vielfach
teiligt. Dies dürfen wir aus den ältesten Urkunden der S
Riga schließen. Die Einwohner Rigas genossen das jus G
landie; ihre Münze war diemarca Guttensis. DieGutten:
d. h. die Eingeborenen Gotlands, nicht die auf der Insel wohı
den Deutschen, genossen in Riga und in den übrigen „por
Livoniae“ seit 1211 Zollfreiheit und andere Vorrechte,
waren dem Bischof Albert von Riga, wie er selbst beurkun
bei der Einführung des Christentums in die baltischen Läı
besonders behilflich gewesen *).
Noch im Anfange des 12. Jahrhunderts gab es vielleich
Samland und Kurland nordische Handelsniederlassungen.
diese Zeit lebte in Samland ein reicher Kaufmann nam
Vidgautr, von dem die isländische „Knytlingasaga“ erzäh
Er trieb, wie wir aus der Saga ersehen, auf Kurland, Nowgo
(Holmgardr) und Schleswig Handel und war ursprünglich
Heide; erst später wurde er auf Veranlassung des Herzogs K
Lavared (} 1131) getauft. Das Merkwürdigste bei dieser
zäblung ist, daß der aus Samland gebürtige Kaufmann den ı
dischen Namen Vidgautr trägt. Er stammte folglich, obse
Heide, aus einer alten nordischen Niederlassung in Ostpreul
Denn wir können doch nicht annehmen, daß der isländis
Sagaschreiber diesen seltenen und auf Island und in Norwe
nicht gebräuchlichen Namen erfunden habe.
Seine große Bedeutung erlangte der nordische Handel
Osteuropa erst nach der Gründung des russischen Reiches du
1) Runverser, S. 183, vgl. S. 406: Sumu : hauka : stan : sumik : {1
austr : i : tuna : asu : (asu ist statt usa umgeschrieben).
2) Runverser, S. 215.
3) Hansisches Urkundenbuch I. Nr. 88, 194 A. 1, 240 A. 1.
4) Knytlingasaga, K. 87—90 (Formannasügur B. XI): „Vidgautr het m:
bann var ættadr af Sämlandi, hann var madr heidinn, hann var kaupı
ok vel mentr um marga hluti, han sigldi jafnan kaupferdir i Austr
but var ut sumar, er hann sigldi austan at Kürlandi ...“ Das Folgende
zählt von seinen Besuchen in Schleswig und Nowgorod.
Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 9245
schwedische „Russen“ um 8621). Die schwedischen Eroberer
Rußlands waren nicht nur große Krieger, sie waren auch unter-
nehmende Kaufleute. Als solche trieben sie nach den Ländern
am Schwarzen Meere und nach Konstantinopel einen ausgedehn-
ten Handel. 907 wurde der erste Handelsvertrag zwischen dem
Großfürsten der Russen Oleg (= an. Helgi) und dem oströmischen
Kaiser geschlossen). 912 und 945 wurden neue Handelsver-
träge zwischen den Russen und den Griechen geschlossen’).
945 schickte der russische Großfürst Igor (= an. Ingvarr) eine
zahlreiche Gesandtschaft nach Konstantinopel. Die verschiedenen
russischen Fürsten schickten jeder einen Gesandten, welche alle
nordische Namen tragen. Dann folgten auch 25 Kaufleute, von
welchen wenigstens 23 nordische Namen tragen und die laut des
Vertrags von dem russischen Großfürsten Igor ausgeschickt waren‘).
Diese russischen Kaufleute bildeten eine eigene Organisation ;
sie standen unter dem Schutz des Großfürsten und hatten silberne
Siegel, während die Gesandten goldene hatten. Sie werden bei
NESTOR gost) („Gäste“) genannt. Das Wort gostj, sowie das
urverwandte nordische gestr bedeuten auch „zureisender Kauf-
mann, angekommener Fremder“. In Norwegen war auch gestr
ein Titel, der von einigen mehr untergeordneten Hofbeamten,
welche im Dienste des Königs Reisen machten, benützt wurde.
1) Die „Russen“ oder „Waräger“, die unter Rurik (= Rörekr) das russische
Reich gründeten, stammten wahrscheinlich aus dem östlichen Schweden, wo
lie Küste von Upland noch jetzt Roßlagen genannt wird; die Schweden
werden von den Einwohnern Finnlands noch „Ruotselainen“ genannt.
Vgl. die Chronik NEstors, ao. 6370.
2) NESTOR, ao. 6415.
3) NESTOR, 80. 6420 und 6453.
4) Die Namen der Kaufleute sind: Adun = an. Audunn, Adulb
Audulfr, Ingivlad = Ingivaldr, Oljeb = Aleifr, Frutan =
Frosti(), Gomol=Gamall, Kuci=?,Emig=Hemingr, Turbid=
borfidr, Furstjen = Freysteinn, Bruny = Brüni, Roald =
Hröaldr, Gunastr=Gunnfastr, Frastjen=Freysteinn, Igeld=
Ingjaldr, Turbern=borbjvorn, Mony=Mäni, Ruald=Hröaldr,
Svjen=Sveinn, Stir=Styrr, Aldan =Halfdanr, Tirej= Tiuri
(schwedische Runeninschriften ?), Aspubran=Äsbrandr (?), Wuzljeb=
slaw. Wseslaw (?), Sin Korobié = an. Sveinki (?).
246 Alexander Bugge
Waren die russischen „Gäste“ in ähnlicher Weise an den (iroß-
fürsten geknüpft?
Laut des Handelsvertrags sollten die russischen Kaufleute
aus Kiew, Cernigow und Perejaslaws in Konstantinopel einen
monatlichen Unterhalt genießen. Sie durften aber nur durch ein
einziges Tor und ohne Waffen in die Stadt hineinkommen. Es
durften nicht mehr wie fünfzig Kaufleute auf einmal kommen,
und jeder von ihnen durfte nicht für mehr als fünfzig Gulden
Seidenstoffe kaufen. Es waren vornehmlich Seidenstoffe, gold-
gewirkte Stoffe und auch Wein, was die Russen in Konstantinopel
kauften. Von den Arabern bekamen sie kostbare Gewänder,
Stiefel aus Saffian und Gewürze. Selbst brachten sie den Griechen
und Arabern Pelzwerk, Wachs und Sklaven!), Der Pelzhandel
hatte schon im 10. Jahrhundert eine große Bedeutung, wie wir
aus vielen Stellen bei NESTOR ersehen können?). Die Stenern
wurden gewöhnlich in Fellen, besonders in Marderfellen, bezahlt,
und die Großfürsten besaßen in Pelzwerk große Reichtümer. Die
altrussische Mark (Grivna) bestand aus 50 Einheiten; eine Ein-
heit hieß Kuna („Marderfell“)°).
Nicht nur die früher erwähnten südrussischen Städte, wie Kiew,
sondern auch Nowgorod nahm an dem Handel mit Griechenland und
Konstantinopelteil. Unter den russischen Städten, die ihre Boote nach
Konstantinopel schickten, wird von KONSTANTIN PORPHYROGENNETOS
auch Nemogarda (s. Nowgorod) erwähnt‘), Der Handel mit
arabischen Kaufleuten, die mit ihren Waren pach Südrußland
kamen, hatte ebenfalls eine sehr große Bedeutung. Der arabische
Reisende ACHMED IBn FODHLAN, der im 10. Jahrhundert lebte,
hat, wie bekannt, die Sitten der russischen Kaufleute, die er hier
traf, geschildert. \Velche Reichtümer durch den arabischen Handel
1) tr. Nesron, Kap. XXVII (ao. 6453), wo cs erzählt wird, daß Igor
den byzantinischen Gesandten heim Abschiede Pelzwerk, Sklaven und Wachs
schenkte.
2) 7. B. Neston, Kap. AXXIV (ao. 6477) Vgl. KARAM&IN, (teschichte
des russischen Reiches I, S. 200, 384 f.
3) Hansisches Urkundenbuch I, Nr. 50, A. 1.
4) De administrando imperio, cap. 9: "Ort 1& dnö tic Em 'Pwoias pové-
Eva xatepxôpeva dv Kwvotavtivounédet elol pèv dAnö tou Nepoyapddo...
Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 247
ach Rußland und weiter nach dem skandinavischen Norden
amen, verstehen wir, wenn wir hören, daß in den nordischen
ändern zusammen 36188 arabische (sogenannte „kufische“)
ilbermünzen gefunden sind; von diesen stammen 22902 aus
sotland ').
Sowohl NESTOR wie KONSTANTIN PORPHYROGENNETOS (912-—959)
childern uns den Weg, welchen die russischen Kaufleute be-
ützten, wenn sie in ihren Booten nach Griechenland fuhren.
ie fuhren zuerst den Dnjepr hinab bis Cherson und ruderten
ann über das Schwarze Meer nach der Mündung der Donau.
ei den bekannten Stromschnellen in dem Dnjepr mußten sie,
ne Kaiser Konstantin erzählt, ihre Boote verlassen und sie über
‚and tragen. Diese Stromschnellen hatten nach KONSTANTIN
De administrando imperio, cap. 9) sowohl slawische wie russische
d. h. nordische) Namen. Die letzteren lassen sich beinahe alle
us dem Altnordischen erklären, obwohl die Übersetzungen des
elebrten Kaisers nicht immer ganz richtig sind. Der erste
Vasserfall wurde nach Konstantin sowohl von den Slawen wie
on den Russen Ecoouxñ (d. h. „schlafe nicht“) genannt. Dies
t nicht richtig; denn Essupi ist eine slawische Namensform
ne 8’pi). Der zweite Wasserfall wurde von den Russen OvAfopoi
enannt (= an. Holmfors oder Hulmfors, d. h. „der Wasser-
all der Insel“, nicht, wie es übersetzt wird, „die Insel des Wasser-
alle“). Der russische Name des dritten Wasserfalls soll T’eAxvöpt
ein, d.h. an. Gellandi oder Gjallandi, „der Schallende, der
rausende“; nach Kaiser KonNSTANTIN soll es „der Lärm des
Vasserfalls“ bedeuten. Der vierte Wasserfall soll im Russischen
Aceıpap heißen, d. h. Eiforr, „der stets Ungestüme“ (aus ei,
immer, stets“, und forr, ,ungestüm“). — Der Name dieses
Vasserfalls findet sich auch mit Runen geschrieben (Aifur) auf
em gotländischen Pilgaard-Stein. — Der fünfte Wasserfall hieß
m Russischen Bzpouwopos, d. h. an. Bärufors, „der Wasserfall der
Velle“ (aus bara, „Welle“, und fors, , Wasserfall“). Der sechste
1) Sogar Sachen aus Indien sind durch den arabischen Handel nach dem
lorden gekommen. Das Nationalmuseum zu Stockholm sowie das Gymnasium
u Wisby besitzen Muschelschalen, die aus dem indischen Ozean stammen
nd die in gotländischen Gräbern aus der Wikingerzeit gefunden sind.
248 Alexander Bugge
Wasserfall hieß im Russischen Aczvrı, d. h. an. Læjandi, „der
Lachende“ ; der Bezirk auf den beiden Seiten des Flusses Glom-
men in Norwegen oberhalb des Wasserfalls Sarpen (bei Sarps-
berg) wurde gleichfalls im Mittelalter Læiande genannt. Der
siebente Wasserfall wurde von den Russen Zroouxouv!) (in jüngeren
Handschriften Zpoufouv) genannt, d. h. „die Stromschnellen*
(? vgl. norw. Stryk, n. ,Stromschnelle“ und schwed. dial. struk,
n. „Strömung“). Wenn Strubun die richtige Namensform
ist, ist der Name aus an. straumr („Strom, Strömung“) abge-
leitet ?).
Wenn also die Stromschnellen im Dnjepr um die Mitte des
10. Jahrhunderts alle nordische Namen hatten, dann können wir
daraus schließen, wie häufig der Fluß von nordischen Kaufleuten
befahren wurde. Denn es können nur die Kaufleute gewesen
sein, welche den Stromschnellen ihre nordischen Namen gaben.
Es gab in der Nähe keine wohnhafte nordische Bevölkerung.
Nrstors Bericht (cap. IV) über die Dnjepr-Fahrt ist gleich-
falls sehr interessant. Er sagt u. a.:
„Es gab einen Weg von dem Lande der Waräger (d. h. von
der skandinavischen Halbinsel) nach Griechenland, und au
Griechenland auf dem Dnjepr bis zum Slowotj, aus dem Slowotj
bis in den großen Ilmersee; aus diesem See fließt der Wolchow
und fällt in den großen See Newo (Ladoga). Dieser See ver-
einigt sich bei seiner Mündung mit dem warägischen Meere, und
auf diesem Meere geht man bis nach Rom und aus Rom bis
nach Konstantinopel, und von daher kommt man in den Pontus:
in diesen fällt der Dnjepr, der, aus dem Okowischen Walde kom-
mend, gegen Süden fließt. Die Düna kommt aus demselben Walde
und fällt in das warägische Meer.“
Aus der Schilderung NESToRs ersehen wir deutlich, daß die
nordischen Völker auch an der Fahrt nach Konstantinopel teil-
nahmen. Er sagt ja: „Es gab einen Weg von dem Lande der
Waräger nach Griechenland“, und nennt die Ostsee „das wars
1) In Strukun ist vielleicht die Endung -un der an. bestimmte Artikel
für Neutr. Plur. -in.
2) Die Namen sind von V. THOMSEN, Det ryska rikets grundläggning
(Stockholm 1882), S. 60 ff. erklärt.
Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 249
gische Meer“. Aus mehreren Runeninschriften von Schweden
und der Insel Gotland können wir dasselbe schließen.
So heißt es z. B. auf einem Stein von Fjuckby, Upland:
„Dyir Steuermann errichtete diesen Stein zum Andenken an seine
drei Söhne. Der aber hieß Aki, der im Auslande umkam; Jufur
steuerte das Handelsschiff, kam an griechische Häfen, starb zu
Hause‘). Ingvar haute [die Runen ein].“ Auf einem anderen,
ebenfalls upländischen Stein heißt es: „Thorstein errichtete [dieses
Denkmal] zum Andenken an seinen Sohn Erinmund; er kaufte
dieses Gehöft und erwarb sich im Osten in Rußland Güter“ °).
Noch deutlicher sprechen gotländische Steine aus dem 11. Jahr-
hundert von Fahrten nach Südrußland und der Balkanhalbinsel.
Auf einem großen und prachtvoll geschmückten Stein von Sjonhem
(jetzt in Wisby) heißt es mit einem merkwürdigen Gemisch christ-
licher und heidnischer Gefühle’): ropuisl : auk : ropalf : Pau:
litu : raisa : staina : eftir : sünir : pria : pina : eftir : ropfos :
han : siku : blakumen : i : utfaru :
gub : hialbin : sial : robfosar :
gub : suiki : Pa : ar : han suku :
„Rodwisl und Rodelv, Mann und Weib, errichteten Steine zum
Andenken an ihre drei Söhne. Diesen [Stein errichteten sie]
zum Andenken an Rodfos. Ihn betrogen Walachen auf der Reise
im Auslande.
Gott helfe der Seele des Rodfos!
Gott betrüge diejenigen, die Rodfos betrogen!“
Auf dem jedoch schwer zu deutenden gotländischen Pilgaard-
Stein scheint von einer Fahrt nach Aifur die Rede zu sein“).
Aifur ist wahrscheinlich die früher erwähnte Stromschnelle in
dem Dnjepr, die von KONSTANTIN ’Asıpap genannt wird.
1) Runverser, 8. 38 f.: tuir : sturimapr riti : stain : pinsa : aftir
sanu : sina : sa hit : aki: sansuti furs : iufur sturpi hari [s. knari]:
! kuam || an krik. || hafnir: hauna tu || uh ikua.
2) Runverser, S. 340: Purtsain << kiarbiftiririnmunt >< sunsin-
aukaubti binsa bu auk >< aflapi x austr x i karbum. Gardariki oder
i Gardum waren die gewöhnlichen nordischen Namen für Rußland.
3) LILIEGREN, Runenurkunder Nr. 1592.
4) H. Pıryınc: in „Nordiska studier“; AboLr NOREEN zugeeignet [Upsala
1904], S. 175 ff.
950 Alexander Bugge
Auch die „Guta Saga“ spricht in dunkeln Worten von den
Fahrten gutnischer Männer nach Südrußland und Griechenland.
Das wichtigste Zeugnis von der Bedeutung dieses Handels
haben wir aber in den früher erwähnten, auf Gotland gefundenen
22900 arabischen Münzen. Diese stammen beinahe alle aus dem
Ende des 10. und dem Anfang des 11. Jahrhunderts.
Die meisten nordischen Kaufleute fuhren jedoch nicht den
weiten Weg nach dem Schwarzen Meere und Konstantinopel,
sondern zogen es vor, Nowgorod zu besuchen. Nowgorod wurde
bald die größte russische Handelsstadt und eine der bedeutendsten
Städte der nördlichen Europas. Die Stadt hatte eine merkwürdig
freie Verfassung, die sich wahrscheinlich unter skandinavischem
Einfluß entwickelt hatte. Überhaupt haben die nordischen Völker
für die Entwicklung des russischen Handels eine sehr große Be-
deutung gehabt, und besonders verdankt Nowgorod ihnen sehr
viel. Noch im 12. Jahrhundert war Nowgorod in den Augen
des aus Kiew gebürtigen Chronisten NESTOR eine warägische
Stadt!) Eine russische Urkunde nennt im Jahre 1199 die in
Nowgorod verkehrenden Gotländer „Waräger“ 2). — Das Wort
„Waräger (Bapark) existiert noch im Russischen; es bedeutet
aber jetzt „ein herumziehender Krämer, Hausierer, Ankäufer“).
Rußland selbst und mehrere russische Städte tragen in des
isländischen Sagas nordische Namen, 7. B. Gardar oder Garda-
riki „Rußland“. Holmgardr „Nowgorod“, Aldeigjuborg
.Altladoga“, Kenugardr „Kiew“, Surdalar „Susdal“, Sma-
lenskia „Smolensk“ und Palteskia.
Merkwürdiger ist es aber, daß Ortschaften an der Fahrstraße
nach Nowgorod in deutsch-lateinischen Urkunden aus dem
15. Jahrhundert nordische Namen tragen, z. B. Biörkö, „die
Birken-[nsel“ im Finnischen Meerbusen; Aldagen (= Aldeig-
juborg); Ritsagen auf der rechten Seite des Wolchows, ober-
halb Altladogas (russisch Veritin): Dhrelleborch bei Nowgorod
(= an. prelnborg, eine Übersetzung des russischen Cholopij
Lo Nuston, K. XV (ao. 6370).
2) Hansisches Urkundenbuch I, Nr. 50.
3) PAWLOWSKY, Russisch-Deutsches Wörterbuch (3. Aufl.), S. 108.
Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 251
ovrodok); Wolchowminne, „die Mündung des Wolchow“ (aus
n. mynni .Mündung“); Gestevelt, später Gostinopole am
echten Ufer des Wolchow (aus an. gesir „Gast, fremder Kauf-
yann“)').
Die Gotländer hatten schon um das Jahr 1000 in Nowgorod eine
ste Niederlassung. — In einer Urkunde aus dem Jahre 1023 betreffs
iner Brücke über den Wolchow werden Gotländer und Waräger
rwähnt?). Die Gotländer, welche Nowgorod besuchten, hatten
- gleich wie die nordischen Kaufleute in London — ihre eigene
irche und ihren Gildehof. Die Kirche war dem heiligen König
av von Norwegen geweiht. Der ursprüngliche Gildehof wurde
chon früh (um 1200) von den Gotländern verkauft’); später
atten sie einen anderen Hof. Die eingeborenen Gotländer (die
tutar) trieben noch im 13. Jahrhundert einen bedeutenden
[andel auf Nowgorod.
Fürst Alexander Newski erneuerte im Jahr 1259 die alten
jandelsverträige zwischen Nowgorod und der deutschen Gemeinde
af Gotland, Lübeck und den Goten. Der deutsche Bote [d. h.
as Wisby] hieß Shiword [Sivert], der lübeckische Dietrich und
er gotische Olsten, ein echt nordischer Name [= Holmsteinn],
er nicht, wie der gelehrte Herausgeber des Hansischen Ur-
undenbuchs es tut (I. Nr. 532), durch das deutsche Holste
iederzugeben ist‘).
Die Ausfuhr von l’elzwerk nach Westeuropa ging hauptsäch-
ch über Gotland und über Schleswig, wo die Einwohner in der
‚sten Hälfte des 12. Jahrhunderts und früher eine jährliche Ab-
abe von Marderfellen an den König bezahlten’), und wo die
1) Vgl. Hansisches Urkb. 1. Nr. 663.
2) KARAMSIN, Gesch. des russischen Reiches.
3) Lübeckisches Urkundenbuch I, S. 699 eine Urkunde, die wahrscheinlich
‚m Jahre 1231 ist: Item curiam gilde, quam iidem Gutenses
endiderunt, non tenentur renovatione pontis aliquatenus
rocurarc.
Vgl. Hanserezesse I, Einleitung S. XXIX.
4) Holmsteinn (geschrieben hulmstain) kommt auf schwedischen
uneninschriften öfters vor (Runverser, S. 158, 199, 328).
5) Hansisches Urkundenbuch I, S. 457 (Auszug aus dem alten Stadtrecht
hleswigs): Sciendum est preterea dominum Svenonem regem ... quatuor
259 Alexander Bugge
Gerber schon früh eine wichtige Rolle spielten. Wie grolse Reich-
tümer der einzelne Kaufmann durch den Pelzhandel erwerben
konnte, ersehen wir aus der Geschichte Vidgauts, der beim Ab-
schiede dem Herzog Knut Laward von Schleswig 200 Timber
(d. h. 8000 Felle) Grauwerk schenkte').
Noch in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts beherrschten
die skandinavischen Völker den Ostscehandel. NESTOR nennt ja
die Ostsee „das warägische Meer“. Als Kaiser Friedrich I. 1188
die Stadtgrenzen von Lübeck bestimmte, gewährte er allein unter
allen Fremden „den Russen ?), Gotländern, Normannen (s: Nor-
wegern) und den andern Völkern des Ostens“ freie Zu- und Ab-
fahrt bei Lübeck?). Später wurden die Nordländer überall von
den Deutschen verdrängt: in den baltischen Ländern wuchsen
deutsche Städte empor; die Lübecker lösten die Gotländer al
Herrscher im Kontor zu Nowgorod ab; der selbständige Handel
der Gotländer hörte allmählich auf; Schleswig hörte auf, die
wichtigste Stadt am südlichen Gestade der Ostsee zu sein und
mußte Lübeck den Vorrang einräumen. Es ist aber der Ruhn
der skandinavischen Völker, daß sie zuerst diejenigen Verkehr--
straßen eröffneten, welche die deutschen Städte an der Ostse
später reich und blühend machten. Die Hanseaten sind fast überall
in die Fußtapfen der nordischen Völker getreten.
Die Ausfuhr von russischen und norwegischen Pelzwaren, vut
Seidenstoffen und Goldstücken, die aus dem inneren Asien stamu-
ten, von dänischen Heringen®) und norwegischem Stockfisch.
petitiones Sleswicensium admisisse. Quarum prima est, ut ımardurinas
pellem non reddant.
1) Knytlinga saga, K. 88 [Fornmaunasogur XI, 3. 325): Sidan vor
büin ferd hans, ok ädr enn Vidgautr færi 4 burt, mælti hann til hertogs:
herra! ... per skulid piggja af mér 40 serkja grärra skinna en 5 tämber ern
ı serk hverjum, en 40 skinna i timbr.
2) Rutheni, d. h. die warjägischen Einwohner von Nowgorod, die not
im 12. Jahrhundert eine bedeutende Schiffahrt trieben.
8) Urkundenbuch der Stadt Lübeck I, Nr. 7: Rutheni, Gothi, Nor
manni et cetere gentes orientales absque theloneo etabsqu”
hansa ad civitatem sepius dictam ueniant et libere recedaut
4) Die Heringfischereien an der Küste von Schonen scheinen schop im
Jahr 1000 existiert zu haben. Man nimmt nämlich jetzt gewöhnlich a
Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 253
Iles dies verlieh dem Handel der Dänen, Schweden und Nor-
reger in jenen alten Zeiten eine viel größere Bedeutung als
eutzutage, obschon seit dem Ende des Mittelalters ein neuer
‚usfuhrartikel, norwegisches und schwedisches Holz, hinzugekom-
ıen ist.
Seit alters segelten dänische, norwegische und wohl auch
otländische Schiffe nach den altberühmten niederländischen Städten,
esonders nach Utrecht, Duerstede und Sluis. Des Handels wegen
uchten die Wikinger im 9. Jahrhundert sich öfters Duerstedes
der Dorestats dauernd zu bemächtigen. Zwischen 835 und 850
rurde Dorestat mindestens viermal von dänischen Wikingern ge-
lündert, während Quentowic 842 von ihnen heimgesucht wurde.
n der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts waren dänische Fürsten
ıehrmals vom Kaiser mit Dorestat, Friesland und Rustringen
elehnt').. Noch im 10. Jahrhundert gab es in Utrecht wie in
landern dänische Wikingerkolonien ?).
Schon im Anfange des 9. Jahrhunderts stand Dorestat mit
Jänemark in lebhaftem Handelsverkehr. Ein besuchter Verkehrs-
reg führte aus Dorestat und Friesland nach dem südlichen Jüt-
ind”). Als der heilige Ansgar Schleswig besuchte, gab es dort
iele Leute, die schon vorher in Dorestat oder Hamburg ge-
auft waren (Multi namque inibi erant christiani, qui
el in Dorestado vel in Hammaburg baptizati erant‘).
Ind als dann die erste Kirche in Schleswig errichtet wurde, gab
s eine große Freude unter den Kaufleuten aus Hamburg und
Jorestat, die jetzt ungehinderter als vorher die Stadt besuchen
lurften. Sogar zwischen Dorestat und dem fernen Birka in
fälaren bestand zur Zeit Ansgars ein Verkehr. RIMBERT erzählt
aß Halöre, wo ein bekannter, schon um diese Zeit in Flateyjarbök erwähnter
[arkt gehalten wurde, in der Nähe von Falsterbod und Skanör lag.
1) Vgl. PERTZ, Scriptores I (Rudolfi Fuldensis Annales, Prudentii Trecensis
‚nnales, Hincmari Remensis Annales).
2) STEEXSTRUP, Danske Kolonier i Flandern og Nederlandene (Dansk
istorisk Tidsskrift IV, R. VI, 494 ff.); Normannerne II, 55, 157 f.
3) RIMBERT, Vita 9. Anskarii, c. 8 (von dem vertriebenen dänischen
‚önige Herioldus, der in seine Heimat zurückkehrt): Inde egressi per Dore-
tatum, et vicina Fresonum transeuntes, ad confininia Danorum perverunt.
4) Vita S. Anskarii, c. 24.
254 Alexander Bugge
im seiner „Vita S. Anskarii“ (c. 20) von einer Frau in Birka,
die vor der Ankunft des heiligen Ansgar sterbend ihrer Tochter
auferlegte, mit ihrem hinterlassenen Gelde nach Dorestat zu
sehen, um es dort unter die Armen zu verteilen‘, Wir haben
schon von den bei Birka gefundenen fränkischen Sachen gehört.
Auch Norwegen scheint mit den Niederlanden einen ganz leb-
haften Verkehr unterhalten zu haben. Friesisches oder nord-
französischer Tuch war im 9. Jahrhundert bei den Königshöfen
bekannt?). Die norwegischen Häuptlinge trugen mit Vorliebe
Schwerter aus Flandern oder aus den Rheinlanden. In „Yng-
lingatal“, einem Gedichte des norwegischen Skalden Thiodolf
von Hwine (aus der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts), wird
für „Schwert“ das Wort flæmingr „Flamländer“ (d.h. ein fis-
misches Schwert) benützt). Die Gegner des norwegischen Königs
Harald härfagri waren in der Schlacht von Hafrsfjord (872) mit
englischen Speeren und fränkischen Schwertern bewaffnet (vigra
vestrenna ok valskra sverda)‘) Ein in Schweden in
der Nähe von Upsala gefundenes Schwert aus der Wikingerzeit
ırazt auf der Klinge den Namen des Verfertigers, Ingelrem
oder Ingebrant, mit lateinischen Buchstaben, nicht mit Runen,
geschrieben; dieser Name ist aber nicht nordisch, sondern deutsch
oder fränkisch. Die meisten in Norwegen gefundenen Wikinger-
schwerter tragen als Fabrikmarke den auch nicht nordischen,
sondern wahrscheinlich fränkischen Namen Ulfberht, der gleich-
falle mit lateinischen Buchstaben geschrieben wird’).
1) Vita S. Anskarü. c. 24: Factumque est gaudium magnum in ipso looo,
ita ut etiam gentis huius homines absque ullo pavore, quod antea non licebet,
et negotiatorer tam hinc, quan ex Dorestado, locum ipsum libere expeterent.
«t hoc occasione facultas totius boni ibi exuberaret.
2) In „Sigurdarkvida in skamma“ (Str. 66) wird die sterbende Brynhid
in valaript vel fäd (schön gefürbtes Tuch aus Valland oder Frankreich)
gewickelt. Valaript kann hier nicht „Totenkleid“, welches valript heißen
würde, bedeuten.
3) In Rigspula, einem der ältesten eddischen Gedichte, wird für „Speer
Jas Wort frakka (d. h. ein fränkisches Spees. aus Frakki „ein Franke:
benntzt.
4) So steht es in dem gleichzeitigen Gedicht des Skalden Thorbiorn Hornklofe.
5) A. BUsan, Vesterlandenes indflydelse pas Nordbærne i Vikingetides
-Kristiania Videnskabsselskaha Kkrifter, 1904]. S. 210 ft.
Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter ete. 255
Der Verkehr zwischen Norwegen und Dänemark und den
fiederlanden wurde auch nach der Wikingerzeit fortgesetzt. Laut
iner Urkunde vom Jahr 1122 waren die Norweger, die nach
trecht kamen, von allen Zollabgaben befreit. Von den Dänen,
ie um des Handels willen die Stadt besuchten, sollte jeder
chiffsführer (singuli, qui magistri dicuntur navium)
Denaren bezahlen‘). Im Jahre 1308 wurde in Brügge
in Handelstraktat auf fünf Jahre zwischen dem norwegischen
‚önig Hakon V. und dem Grafen Robert von Flandern ge-
ehlossen; die Norweger durften frei nach Flandern segeln.
m ihre Waren dort zu verkaufen und andere zu kaufen,
it Ausnahme von denen, die seit alters verboten waren. Keine
öheren Zölle als diejenigen, die seit alters entrichtet wurden,
urften von ihnen abgefordert werden?). Diese Bestimmungen
euten darauf, daß es schon ältere Handelsverträge zwischen
landern und Norwegen gab. Die Flamländer haben, wie be-
annt, nie einen eigenen Seeverkehr von größerer Bedeutung
nterhalten. Es müssen also die Norweger gewesen sein, die
ach Flandern segelten, nicht das Umgekehrte. Schon im
ahre 1308 kann man in Brügge eine „Straße der Norweger“
achweisen°), auch ein Zeugnis von der Bedeutung des nor-
'egischen Handels. Später hörte die norwegische Schiffahrt
ach Flandern ganz auf; die Norweger wurden von den Hanseaten
erdrängt.
Auch die Einwohner von Gotland, nicht nur die in Wisby
ngesiedelten Deutschen, haben jedenfalls um 1300 nach den
andrischen und niederländischen Städten Handel getrieben.
Eine noch größere Bedeutung hatte der Handelsverkehr zwischen
1) Hansisches Urkundenbuch, [, Nr. 8: Dani cum mercandi causa introie-
nt civitatem, «le capite suo singuli, qui magistri dicuntur navium, quatuor
enarios dent. Nortmannos ab omnimodo theloneo liberos esse cognoscimus.
2) Orig. im Archiv v. Lille, Nr. 4625: ... ita quod homines domini regis
ei [s. regis Norwegie] ad Flandriam et ipsius domini comitis ad Norwegiam
ım mercibus suis et rebus aliis libere valeant interim navigare, ibidem in
‘no morari secure, res suas vendere et alias aptas eisdem vendere, nisi
las que interdicte fuerant ab antiquo. Nec debet ab ipsis aliud theolonium
cigi vel custuma nisi qualia fuerant antiquitus exsoluta.
3) Hans. Urkb. III, Nr. 674 und Anm. 1.
956 Alexander Bugge
den nordischen Ländern und den britischen Inseln. Ich brauche
nur daran zu erinnern, welche Bedeutung die Dänen und Norweger
für das Aufblühen des Städtewesens, des Handels und der Schif-
fahrt gehabt haben. Städte, wie Grimsby (an. Grimsbÿr) und das
jetzt nicht mehr existierende Ravenser (an. Rafnseyrr), beide
an der Mündung der Humber, sind von ihnen gegründet.
Andere, wie Whitby (an. Hvitabyr) in Yorkshire und Derby
(an. Dyrabyr), haben ihre angelsächsischen Namen mit neuen
nordischen vertauscht. Erst nachdem die Wikinger in der zwei-
ten Hälfte des 9. Jahrhunderts Northumberland erobert hatten,
wurde York, wie in der Römerzeit, wieder eine volkreiche und
blühende Stadt. Die römischen Mauern wurden erneuert und
ein neues Kastell gebaut, das freilich schon aın Ende der 920er
Jahre von König Ethelstan niedergerissen wurde. Nach der zu
Anfang des 12. Jahrhunderts verfaßten Vita S. Oswaldi soll die
Stadt im 10. Jahrhundert nicht weniger als 30000 Einwohner
gehabt haben. Diese Zahl ist freilich übertrieben. Noch zur
Zeit Williams des Eroberers (um 1085) war doch York eine be-
deutende Stadt, und ihre Bedeutung muß, wie wir aus dem
„Domesday Book“ ersehen können, früher eine größere gewesen
sein. Es waren in der Stadt im ganzen 1247 bewohnte Häuser.
Zur Zeit Edwards des Confessors muß die Zahl eine größere gewesen
sein. Denn die Häuser der einen von den sieben sceyrae (engl
Shire), in welche die Stadt eingeteilt war, waren später nieder-
gerissen, um für neue Burganlagen Platz zu geben. Um die
Mitte des 11. Jahrhunderts muß York mindesten 1400 bewohnte
Häuser gehabt haben. Rechnen wir für jedes Haus fünf Eir-
wohner, so muß die Einwohnerzahl ungefähr 7000 betragen
haben'). Möglicherweise ist die Einwohnerzahl eine noch größere
gewesen; denn es sind vielleicht viele Hütten der Armen nicht
mitgerechnet. Auch Lincoln, Derby, Nottingham, Stamford und
1) Domesday, I, f. 298a: In Eboraco civitate Tempore Regis Edward
practer scyram archiepiscopi fuerunt VI scyrae. Vna ex his est uastets ia
castellis. In quinque fuerunt Mille & quadraginta & XVIII mansione
habitatae.
In scyra archiepiscopi fuerunt T. R. E. hospitatae ducentae mansione
undecim minus.
Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 257
Leicester, die sogenannten „fünf Burgen“, und Chester, welche
alle früher unter der Herrschaft der Dänen und Norweger ge-
standen hatten, gehörten noch zur Zeit Williams des Eroberers
zu den blühendsten Städten Englands und hatten eine eigen-
tümliche Selbstverwaltung.
Alle diese ehemals nordischen Städte hatten im 11. Jahr-
hundert eine eigentümliche, aus nordischen Verhältnissen ent-
wickelte Selbstverwaltung, an deren Spitze in jeder Stadt zwölf
lagmanni oder iudices standen. Das Wort lagmann ent-
spricht an. logmadr. Die englischen lagmanni waren jedoch
nicht, wie die späteren norwegischen und die schwedischen „Lag-
männer“, vom Volke oder vom König eingesetzte Richter und
Leiter der Volksversammlungen. Sie waren vielmehr Mitglieder
der Iogrétta (so wurde bei den nordischen Thingversammlungen
der engere Ausschuß genannt, der alle Sachen vorbereitete und
in der Wirklichkeit auch entschied, ehe sie dem Volke vorge-
bracht wurden). Ursprünglich gab es in England lagmanni
suwohl auf dem Lande wie in den Städten. Über ihre Wirk-
samkeit heißt es in „Leges Edwardi Confessoris“ (Gesetze der
Angelsachsen, hg. v. LIEBERMANN, I., S. 669): „Quodsialiquis
emerit, quod stulte emit perdat; et forisfacturam!
Et postea inquiret iusticia per lagemannos et per
meliores homines de burgo uel de hundredo uel uilla,
ubi emptor ipse manserit, de quali vita ipse est, et
si antea audierunt eum calumpniari de exlegalitate“.
Allmäblich wurden aber die lagmanni eine ausschließlich
städtische Obrigkeit; sie saßen nicht nur im Hundertgericht der
Stadt, sondern leiteten auch die Verwaltung. Das Amt, das
schon zur Zeit des „Domesday Book“ erblich geworden war und
dessen Inhaber zu den höchsten Spitzen der Gesellschaft gerech-
net wurden, existierte noch am Ende des 13. Jahrhunderts in
Stamford. Das Amt der lagmanni hat sich wohl in derselben
Weise wie das der Schöffen (scabini) entwickelt‘).
1) Über die lagmanni vgl. Domesday Book, (unter Chester, Cambridge
u. a. m.); I. STEENSTRUP, Normannerne IV; A. BUGGE, Vikingerne I, und II.
Über lagmanni in Stamford vgl. Rotuli Hundredorum; MaAtTI.AND, Domes-
day and Beyond.
258 Alexander Bugge
Das Geldsystem war in diesen Städten, wie wir aus dem
„Domesday Book“ ersehen können, noch am Ende des 11. Jabr-
hunderts überall das nordische. Die höchste Werteinheit war die
Mark (an mork, lat. marca), die von England aus auf dem
Festlande Eingang fand. Auch die speziell nordische halbe Mark
kommt als Werteinheit in angelsächsischen Urkunden vielfach
vor. Eine kleinere Werteinheit ist die ora (=an.eyrir, ‘/s mork).
Nach marca und ora wurde nach dem Domesday Book in York.
ın den „fünf Burgen“ und in Chester gerechnet.
Überall in den vormals nordischen Städten blühte im 11. Jahr-
hundert der Handel, besonders mit den nordischen Ländern und
mit den nordischen Niederlassungen in Irland. Nach der früher
erwähnten Vita S. Oswaldi war York am Ende des 10. Jahr-
hunderts „unglaublich voll von Waren, die Kaufleuten gehörten,
die von allen Seiten, aber besonders von den nordischen Völkern
kamen“ '). Ein anderer Geschichtschreiber des 12. Jahrhunderts,
der 1144 gestorbene WILLIAM VON MALMESBURY, spricht auch vou
dem Handel Yorks und sagt, daß die Stadt von Schiffen aus
Deutschland und Irland (d. h. aus den nordischen Städten Ir-
lands, Dublin und Waterford) besucht wird”). Eine bedeutende
Handelsstadt an der Ostküste Englands war auch Grimsby, das
im Anfange des 12. Jahrhunderts besondere von Schiffen aus
Norwegen, den Orkneyinseln, Schottland und den Hebriden be
sucht wurde’). Schon zur Zeit Heinrichs I. (1100—1135) wird
der Handel der Norweger auf Grimsby in Urkunden erwähnt‘).
1) Vita S. OswAunı 454 (vgl. STEENSTRUP, Normannerne III, 184): Est
civitas Eboraca metropolis totius gentis Northamhimbrorum ... quae tamen
gaudet de multitudine populorum, non minus virorum ac mulieräm, exceptis
parvulis et pubetinis, quam triginta millia cadem civitate numerati sunt;
quae in credibiliter est repleta, et mercatorum gazis locupletata, qui undique
adveniunt, maxime ex Danorum gente. Dani ist hier wie gewöhnlich m
der alten Literatur Englands ein Gesamtname der skandinavischen Völker;
vgl., daß die alten Norweger und Isländer ihre Sprache donsk tunga „dänische
Zunge“ nannten.
2) Gesta Pontificum 8 99 (Prologus libri III): Eboracum . . . includit medio
sinu sui naves a (rermania et Hibernia venientes.
3) Vgl. das isländische Flateyarbök II, S. 440 (Orkneyinga bâttr).
4) Die aus der Zeit Heinrichs II. stammende Urkunde, woraus wir dies
ersehen können, ist bei Gross, The Gild Merchant II, 377, gedruckt und
Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 259
Die bedeutendste Handelsstadt an der Westküste von England
war im 11. Jahrhundert unbestreitbar Chester an der Dee. Der
Verkehr zwischen dieser Stadt und den noch von den Nachkom-
men der Wikinger beherrschten Städten Irlands war besonders
lebhaft. So sagt z. B. WILLIAM von MALMESBURY (Gesta Ponti-
ficum $ 172): Transmittitur a Cestra Hiberniam reve-
hunturque civitati necessaria, ut quod minusnatura
soli habet labor negotiantium apportet. Aus dem
„Domesday Book“ ersehen wir, daß der Pelzhandel für Chester
eine sehr große Bedeutung hatte. Die Stadt bezahlte zur Zeit
Edward des Confessors eine jährliche Abgabe von Marderfellen
an den König (Civitas de Cestre ... Hæc civitas tune
reddebat de firma XLV libras II timbres pellium
martrinium). Für den Pelzhandel gab es in Chester genaue
Bestimmungen: Wenn ein Schiff Marderfelle in die Stadt führte,
durfte der Eigentümer sie nicht verkaufen, bevor er sie dem
Vogte des Königs gezeigt hatte (Si habentes matrinas pelles
juberet prepositus regis ut nulli venderent donec
sibe prius ostensas compararet!). Der König hatte also,
wie der norwegische König in gleichen Fällen, das Vorkaufsrecht.
Da Chester an der Westküste von England liegt, ist es nicht
wahrscheinlich, daß der Pelzhandel nach dieser Stadt durch Dänen,
Gotländer oder Deutsche getrieben wurde. Es liegt näher, an
die Norweger zu denken, unter deren Herrschaft Man, die Hebriden
und die Orkneyinseln standen. Wir wissen auch sonst, daß die
Norweger im 11. Jahrhundert nach der Westküste Englands Han-
del trieben. So bezahlte z. B. die Stadt Worcester jährlich an
den König einen norwegischen Falken (In civitate Wirecestre
. et adhuc redelebat X libras denariorum de XX
lautet: „Henricus [II] Rex Anglie et Dux Normannie et Aquitanie et Comes
Andegauie omnibus Norrensibus qui veniunt ad portum de Grymesby vel ad
alios portus meos de Lincolscire salutem. Precipio quod faciatis Prepositis
meis Lincolnie omnes rectitudines et consuetudines quas solebatis facere
tempore regis Henrici aui mei, Prepositis Lincolnie; et prohibeo ne quis
vestrum detineat eis theoloneum vel aliam consuetudinem iniuste superdicem
librarum foris facturam. Teste W. filio Johannis, apud Wirec. (Record Office,
Confirmation Roll, 2 Rich. 3, pars 2. mem. 8.)
1) Domesday Book I, fol. 262b.
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 18
260 Alexander Bugge
in ora aut accipitrem norrescem)!). Norwegische (und
isländische) Falken wurden überhaupt im 12. und 13. Jahrhundert
vielfach nach England eingeführt und werden immer in den
königlichen Rechnungen (Pipe Rolls) aus dieser Zeit erwähnt?)
Die norwegischen Falkenhändler sind wahrscheinlich nicht selbst
direkt nach Worcester gekommen, sondern mit ihren Schiffen
nach dem nicht weit entfernten Bristol gesegelt. Denn Bristol
wurde im Anfang des 12. Jahrhunderts von norwegischen Schiffen
häufig besucht. Die größte Bedeutung für Bristol hatte überhaupt
der Verkehr mit Norwegen und mit den nordischen Städten in
Irland. So sagt z. B. WILLIAM von MALMESBURY: In eadem
eivitate est vicus celeberrimus, Bristou nomine, in
quo est portus navium ab Hibernia et Noruegia et
ceteris transmarinis terris venientium?).
Eine Reihe nordischer Ortsnamen am Bristolkanal zeugen noch
von dem Handel und der Schiffahrt nordischer Völker, Namen wie
Bardsey (an. Bärdsey, eine Insel in der Nähe von der Südspitse
von Wales), Tenby'), Uxwich (an. Uxavik), Flatholm (an. Flat-
holm), Graßholm, Steepholm u. a. m. Daß wirklich in mehreren
Städten am Bristolkanal im Mittelalter Leute, und zwar Kauf-
leute, von nordischer Abstammung lebten, können wir aus alten
Urkunden ersehen. Nachdem die Engländer 1170 und 1171
Dublin erobert hatten, bekam diese Stadt eine zum größten Teil
neue Bevölkerung. Diese stammte, wie die Eroberer selbt, meistens
aus den englischen Niederlassungen in Südwales. Die Name
dieser Neubürger von Dublin sind noch bewahrt und zeiges
eben aus den oben erwähnten walisischen Städten viele nordisebe
Namen’). Aus Cardiff (de Cardif, de Kardif) waren die
1) Domesday Book I, fol. 172a.
2) Vel. Rotuli Chartarum, hg. v. Hırvy, L Pars 1, S. 106 (ao. 1209):
König Johann gibt Brianus de Therefeld ein Lehen gegen unum austurcum
Norensem jährlich.
3) Gesta Pontificum L. IV ($ 154). Unter Noruegia sind wohl auch
die norwegischen Besitzungen auf den britischen Inseln, d. h. die Insel Man,
die Hebriden und die Orkney- und Shetlandinseln, mit einbegriffen.
4) In Tenlıy, dem Namen einer kleinen Stadt an der Südküste von Wales
ist die Endung -by nordisch (= an. bÿr „Gehöft, Stadt“).
5) Die folgenden Namen finden sich alle in Chartulary of S. Mary (Berum
Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 961
folgenden gebürtig: Torkail (an. Porkell), Swein (an. Sveinn),
Juor (an. Ivarr), Salmund (an. Salmundr), Robertus filius
Sewardi (an. Sigurdr?), Robertus filius Turkildi (an. porkell),
Johannes Ithun (an. Jotunn?), Steiner (an. Steinarr). Aus
Swansea (de Sweinesea) waren: Godapridus (an. Gudfrodr)
und Ricardus filius Sigari (an. Sigarr). Aus Haverfordwest
(de Hauerford) waren: Fin (an. Finnr), Thurgot (an. bor-
gautr), Johannes Anfin (an. Arnfinnr) Aus Cardigan (de
Cardigan) stammte Sewale (an. Sigvaldi oder Sævaldi).
In Bristol, einer Stadt, die doch nie unter der Herrschaft der
Wikinger stand, muß es auch eine nordische Kolonie gegeben
haben, ganz wie man heutzutage in allen englischen Großstädten
Kolonien von Deutschen findet. Um 1200 waren die folgenden
Dubliner Neubürger aus Bristol (de Bristollo, de Bristowe)
gebürtig: Thurstinus (an. porsteinn) palmer, Ulf (an. Ulfr),
Johannes filius Thurstani draper (an. borsteinn), Willielmus
blundus (an. blundr, ein gewöhnlicher Beiname), Johannes
Wethfoten (an. vidfötrinn „Holzfuß“, d. h. „Stelzfuß“, aus
vidr „Holz“)'), Johannes Norensis (d. h. J. der Norweger) und
Hamundus (an. Hämundr).
An wichtigsten war jedoch die nordische Schiffahrt nach Lon-
don, der seit alters größten Handelsstadt Englands. Über den
Handel der skandinavischen Völker nach dieser Stadt im 9. und
10. Jahrhundert wissen wir leider nichts Genaueres. Die isländischen
Sagas erwähnen nur gelegentlich, daß Norweger und Isländer
London besuchten. Erst aus dem 11. und 12.- Jahrhundert be-
sitzen wir genauere Nachrichten. Schon um das Jahr 1040
hatten die dänischen Kaufleute und Seeleute, die London be-
suchten, ihre eigene Kirche und wahrscheinlich im Zusammen-
hang damit auch eine Kaufmannsgilde Ganz in der Mitte von
London, am Übergang zwischen dem Strand und Fleet, liegt eine
Britannicarum medii aevi script.) 1, S. 141, 160, und in Historical and
Municipal Documents of Ireland (Rer. Brit. script.), S. 5, 7, 10, 11, 12, 20,
25, 33, 38, 41, 42, 46, 139.
1) In der Sagazeit trugen mehrere Leute, die Stelzfuß hatten, den gleich-
bedeutenden Namen tr&fötr ,HolzfuB“, aus tré „Baum, Holz“ und fötr
„Fuß“.
269 Alexander Bugge
Kirche, die den Namen St. Clemens Danes führt. Diese
Kirche, in lateinischen Urkunden Ecelesia Sancti Clementis
Danorum genannt’), wird 1040 zum erstenmal erwähnt, als der
Sohn Knuts des Großen, König Harald mit dem Zunamen Harafod
(„Hasenfuß“), hier seine letzte Ruhe fand. Der heilige Clemens.
dem diese Kirche geweiht war, war der Schutzheilige der See-
fahrer und Kaufleute und hatte auch in dänischen und nor-
wegischen Hafenstädten Kirchen, die ihm geweiht waren. Wir
dürfen daraus schließen, daß die St. Clemens-Kirche vorzugsweise
eine Kirche für dänische und andere nordische Kaufleute, die
London besuchten, gewesen ist?).. Weniger bekannt ist es, daß
die Dänen in London eine Gildehalle hatten, die später von den
Kölnern gekauft wurde. Die Kölner besaßen, wie bekannt, in
London ein ,Gildehalle“ (gildhalla) genanntes Haus, das zum
erstenmal 1157 genannt wird. In diesem Jahre nahm König
Heinrich IT. die Kölner und deren Haus in London in seinen
Schutz und versprach ihnen, keine neue Abgabe aufzuerlegen
„nequede domo suaLondonensi (gildhalla sua) neque
de rebus neque de mercaturis suis aut aliquibus
aliis ad eos spectantibus“?°).
Über die Gildehalle der Kölner heißt es in einer Londoner
Aufzeichnung aus der zweiten Hälfte der 13. Jahrhunderts: De
la ferme des Coloniens, cestassavoir de la saille des
Deneis, est pris par an XL souls‘) Die Gildehalle der
Kölner wurde also la saille des Deneis „die Halle (s. die
tildehalle) der Dänen“ genannt. Dies ist wohl dahin zu verstehen,
daß die dänischen Kaufleute in London früher ihre Gilde und
1) Rotuli Chartarum I, Pars 1, S. 3 (ao. 1199): Ecclesiam Sci.
Clementis que dieiturDanorum extra civitatem London ilusem.
2) Vgl. WORSAAE, Minder om de Danske og Nordmaendene i England,
Skotland og Irland, S. 38 f.
3) Hans. Urkb. I, Nr. 14, vgl. Nr. 40.
4) Das Wort Gildhalla wurde gewöhnlich nur von den Engländern,
nicht von den Deutschen benutzt. In der ältesten Kopie von der Urkunde
von 1157 (aus 1326) fehlen nach: de domo sua Londonensi die zwei
Worte gildhalla sua. Über Gildhalla ist in einer Abschrift aus dem
15. Jahrhundert zugefügt: scilicet dat is de halle.
Liber Albus I, S. 229 (in Munimenta Gildhallae Londoniensis, hg. v. Ru.EY).
Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 963
ihre eigene Gildehalle in London hatten. Seit dem Aufhören
der Dänenherrschaft in England ging aber der dänische Handel
nach London mehr und mehr zurück; daher haben (im Anfang
des 11. Jahrhunderts) die Dänen ihr Haus an die Kölner ver-
kauft, ganz wie der hanseatische Stahlhof in London um die
Mitte des 19. Jahrhunderts verkauft wurde. Die Dänen genossen
(wohl seit der Zeit der Dänenherrschaft) in London verschiedene
Vorrechte. ‘Es heißt hierüber in einer Aufzeichnung aus dem
Anfang des 13. Jahrhunderts: Botsate Danorum. Ly Daneis
ount Botsate; ceo est a savoir, sojour lut lan; mes il
ount la lei de la citee de Londres, de aler par tuten
Engletere, a foire et a marche?). Die Dänen durften
sich also das ganze Jahr hindurch in London aufhalten und ge-
nossen das Recht der Londoner, alle auswärtigen Märkte und
Messen zu besuchen. Das Wort botsate ist nordisch (= isländ.
budseta, d. h. Aufenthalt in einer Bude oder in einem Kauf-
mannshaus) ?).
Die Dänen, die so große Vorrechte in London genossen, hatten
ihrerseits auch einige Verpflichtungen: sie sollten das Bischofs-
tor (Bishopesgate), das wichtige Tor, wodurch der Verkehr
von Norden her in die Stadt geleitet wurde, erhalten und daselbst
Wache halten. Als aber der dänische Handel nach London mehr
und mehr aufhörte, kam es dahin, daß die Dänen ihre Ver-
pflichtungen nicht mehr beobachteten. Die Deutschen (oder wohl
ursprünglich die Kölner) mußten die Verpflichtungen der Dänen
übernehmen; sie unterließen es aber auch, das Bischofstor zu
erhalten. Über das Verhältnis der Deutschen zu dem Bischofstor
heißt es im Jahre 1275 in einer Aussage von Geschworenen:
„Item jurati dicunt, quod Teutonici sunt liberi in
civitate sicut et cives eorum pro porta, que vocatur
Bissopesgate, quam sumptibus ipsi eorum in bono
statu et competenti sustentari deberent, et nichil
faciunt ad maximum dampnum et dedecus domini
regis et eivitatis. Item dieunt, quod Teutonici non
1) Liber Custumarum 1, S. 63 (in Munimenta Gildhallae Londoniensis).
2) Vgl. STEENSTRUP, Normannerne IV, 380.
964 Alexander Bugge
sustinent portam, que vocatur Bisshopesgate, quam
bene sustentare deberent, pro qua liberi sunt in
civitate ad grave dampnum civitatis. Item porta de
Bisshopesgate, quam gentes Danorum antiquitus
solebant sustinere et debebant pro libertate, quam
habebantincivitateLondoniensi, nunc per defectum
ipsorum velpotius ballivorum eivitatis fere corruitur
ad terram ad magnum periculum civitatis.
Es ging aber, wie wir schon gehört haben, mit dem Handel
der Dänen allmählich zurück. Noch im Anfange des 13. Jabr-
hunderts segelten jedoch einige dänische Schiffe nach England.
Dänische Kaufleute und dänische Schiffe in England werden in
Urkunden aus den Jahren 1207, 1208, 1215, 1220, 1224 und
1226 erwähnt”). Die großen dänischen Pferde, die noch jetzt
rühmlichst bekannt sind und aus Jütland vielfach ausgeführt
werden, wurden schon 1226 nach England eingeführt. Es heißt
in einer Urkunde aus diesem Jahre (Rotuli litterarum clausaram II.
S. 133): Rex Vicecomiti Norf. salutem. Precipimustibi
quod de equis qui venerunt apud Jernemutam et
Ludingeland deterra Regis Dacie venales: emi faciar
ad opus nostrum V. vel sex palefrenos de melioribus
ad opus nostrum.
Wie wir gehört haben, unterhielt Ripen in Jütland schon zur
Zeit ADams von BREMEN mit England einen lebhaften Verkehr.
Diese Stadt schickte noch im 13. Jahrhundert die meisten dänischen
Schiffe nach England. König Johann nahm 1208 Nikolanr
Marinellus, Burger aus Ripen, in seinen Schutz?). Ein anderer
1) Rotuli litterarum patentium I, 5.83 b, 85; Rotuli litterarum clausarum l,
S. 190, 198, 419; II, S. 81, 600b, 617b.
2) Rotuli litterarum patentium 1, pars 1, S. 85 [A. D. 1208]: Rex omni-
bus etc. Sciatis quod suscepimus in custodia et protectione nostra Nicolaum
Marinellum civem Ripensem et navem suam et omnes res et mercandisa:
suas. Et ideo vobis mandamus et firmiter precipimus quod ipsum Nicolaum
et navem suam et omnes res et mercandisas suas defendatis et custodiatir
et non faciatis vel fieri permittatis ei vel suis molestiaın aliquam vel gravamen.
Volumus et precipimus quod idem Nicolaus possit salvo et sine inpedimento
ire per totam terram nostram et redire cum rebus et mercandisis suis et
negociari, inde faciendo rectar et debitas consuetudines quamdiu nos et Rex
Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 265
Kaufmann aus Ripen, der um dieselbe Zeit lebte, war Riche-
winus de Rippa, mercator de Denemarch (Rotuli litt.
claus. I, S. 613). Um 1300 war Ripen wohl die einzige dänische
Stadt, die noch Schiffe nach England schickte. In den Jahren
1303—1323 wurde King’s Lynn von 6 Schiffen aus Ripen be-
sucht. Der Handel von Ripen kam aber mehr und mehr in die
Hände von Deutschen und Niederländern. Kaufleute, wie Pape
de Ripe und Maynkyn ffan Rypen, waren aus Geburt keine
Dänen. Dagegen tragen Osgen de Ripe, Falco de Ripe
und Reynerus de Ripe dänische Namen).
Wie die Dänen unterhielten auch die Norweger mit London
einen lebhaften Verkehr und genossen daselbst wichtige Vor-
rechte. Im Liber Custumarum, wo die Rechtsgewohnheiten Lon-
Denemarchie fuerimus amici. Et in huius rei testimonium has litteras nu. p.
ei iu fec. Teste me ipso apud Wudestok. VI die Julii anno regni nostri X°.
1) Public Record Office, London; Custom Rolls, King’s Lynn:
1303, 8 Juni: De Petro de Ripe pro heydukes et wadmol valoris 521,: £
in naui que vocatur Crilannd — Inde custuma — 1853.
De Osgen de Ripe pro cinerihus et wadmol val. 24 £ in eadem naui
-- eust. — 65.
De Pape de Ripe pro pice et wadmol val. 40s. in eadem naui
cust. — 6 d.
De predicto Petro pro bladis et aliis marcandisis val. 38 £ exeundo in
eadem naui — cust. — 98. 6 d.
Le predicto Osgen pro plumbo blado et aliis marcandisis val. 28 £ in
eadem naui — cust. — 68. 1 d. ob.
1305, 29 August: De Falcone de Ripe pro veteribus pannis val. 608.
intrando apud Blakeneye in naui que vocatur Wilfaire — cust. — 7 d. o.
1306, 23 Mai: De Nicholao de Ripe pro siligine val. 14 £ intrando apud
Blakeneye et pro sagmine val. 37s. in naui scilicet Lithfot — cust. — 3».
2 d. o. 9.
1306, 2 December: De Reynero de Ripe exeundo in Naui que vocatur
XX
.........
valoris 168. — Inde cust. — 78. 3d.
1323, 11 Mai: Nauis Maynkyn de Rypen intrauit xi di Maij.
Idem Maynkyn pro 14 lastis allecis val. 25 £ — 6s. 3d.
Idem Maynkyn pro 20 quarteriis ordei val. 4 £ — 12d.
Idem Maynkyn pro 6 barellis siliginis val. 208. — 3 d.
1323, 12 mai: Nauis Maynkyn ffan Rypen exiuit xij die Maij.
Idem Maynkyn pro 30 libris sterlingorum — 7s. 6d.
266 Alexander Bugge
dons im 13. Jahrhundert aufgezeichnet sind, heißt es (I, S. 63)
gerade nach dem Stück „Botsate Danorum“ über die Frei-
heiten der Norweger: „Botsate Norwegiorum. Ly Noreis
ount Botsate; ceo est asavoir, sejour tut lan; mes
ceo devez savoir, qe dehors la cite ne poent aler en
nul lieu pur marche faire“ Die Norweger durften sich
also wie die Dänen das ganze Jahr hindurch in London auf-
halten; sie genossen aber nicht das Recht der Londoner, andere
Märkte zu besuchen. Während der dänische Handel schon früh
seine Bedeutung verlor, segelten noch im Anfange des 14. Jahr-
hunderts jedes Jahr viele norwegische Schiffe nach den Hafen-
städten an der Ostküste Englands. Vom 5. Februar 1303 bis
19. Mai 1304 wurden z. B. Lynn und naheliegende Städte von
30 norwegischen Schiffen besucht!),. Im Laufe des Jahrhunderts
wurden die Norweger gänzlich von den Hanseaten verdrängt.
Das hanseatische Kontor in Bergen unterhielt aber fortwährend
einen sehr bedeutenden Handel mit England, besonders mit Boston
und Lynn.
Von großer Bedeutung war schon früh der Handel der Got-
länder nach England. Es ist möglich, daß die Goten oder „Gutar“,
wie sie sich selbst nennen, schon im 7. und 8. Jahrhundert einen
Verkehr mit den britischen Inseln unterhielten. Man hat nämlich
in Gotland mehrere Steine gefunden, die aus dieser Zeit stammen
und mit merkwürdigen Ornamenten geschmückt sind. Wir sehen
auf diesen Bildsteinen Sonnenräder, Spiralen und andere Orna-
mente, die mit den Ornamenten auf schottischen Bildsteinen aus
den ersten Jahrhunderten des Mittelalters eine merkwürdige Ähn-
lichkeit zeigen. Die vielen gotländischen Bildsteine aus dem 10.
und 11. Jahrhundert zeugen bestimmt davon, daß die angel-
sächsische und irische Kunst einen großen Einfluß auf die got-
ländische geübt haben. Dies können wir aber nur dadurch er-
klären, daß die Gotländer mit Irland und England friedliche
Beziehungen unterhalten haben. Dazu kommt, daß man in Gotland
1) Public Record Office, Exchequer Q. R. Customs N. W. 1889. Ve.
A. BUGGE, Studier over de norske Byers Handel og Selvstyre, S. 200 ff,
wo ein Auszug aus den „Custom Rolls“ gedruckt ist.
Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 267
ınehr als 14000 angelsächsische und irische Münzen gefunden hat,
die Hälfte dessen, was man im ganzen skandinavischen Norden
gefunden hat!). Daß das britische Gold meistens durch Handel
und nicht durch Kriegszüge nach Gotland gelangt ist, kann wohl
kaum bezweifelt werden. Die gotländischen Runeninschriften
erwähnen überhaupt sehr selten Wikingerfahrten der Goten.
Wisby war im 10. und 11. Jahrhundert noch ein unbedeuten-
der Ort und wurde zuerst durch die sich dort niederlassenden
Deutschen eine wirkliche Stadt. Die gotischen Kaufleute, die
Nowgorod und England besuchten, wohnten alle auf dem Lande
und waren Bauern. Nachdem Wisby emporwuchs und ein be-
deutendes Handelszentrum wurde, ging es, wie bekannt, mit dem
Handel der einheimischen Goten allmählich zurück. Wir müssen
dies aber nicht so verstehen, als ob die Deutschen sich des ganzen
gotländischen Handels bemächtigt hätten. Sowohl im 13. als im
14. Jahrhundert begegnen wir im Ausland vielen bedeutenden
sotländischen Kaufleuten, die echt nordische Namen tragen und
möglicherweise gar nicht Mitglieder des Hansebundes waren.
Besonders lehrreich ist es, zu verfolgen, wie der Handel der
Goten nach England auch nach der Wikingerzeit fortgesetzt wurde.
Die Gotländer besaßen, wie es scheint, ebenso früh wie die
Dänen und die Norweger in London wichtige Handelsprivilegien.
In einem von einem Londoner (um 1200?) verfaßten Zusatz zu
den sogenannten „Leges Edwardi Confessoris“ heißt es:
„Guti vero similiter cum veniunt, suscipi debent et
protegi in regno isto sicut coniurati fratres nostri
et sicut propinqui et proprii ciues regni nostri:
exierunt enim quondam de nobili sanguine Anglorum“?).
Der gelehrte Herausgeber, Professor Liebermann, versteht unter
Guti „Jüten als Vertreter der Dänen, die im 12. Jahrhundert
Londonern gleich standen“. Ich finde diese Vermutung nicht wahr-
scheinlich. Denn warum sollte der Schreiber Jüten anstatt Dänen
schreiben? Und zweitens bedeutet ja das Wort Guti sprachlich
1) Man hat in Norwegen, Schweden und Dänemark zusammen 30063
angels. Münzen gefunden; HAUBERG, Myntforhold i Danmark.
2) Gesetze der Angelsachsen, hg. v. LIEBERMANN I], S. 658.
268 Alexander Bugge
nicht Dänen, sondern Goten oder Gotländer (Gutar), Nact—
meiner Ansicht müssen wir unter Guti die eingeborenen got—
ländischen Kaufleute, die London besuchten, verstehen. Die
deutschen Kaufleute Gotlands können im 12. Jahrhundert noct—
keine Vorrechte in England gehabt haben.
Noch im 13. Jahrhundert waren es vorzugsweise die Goten selbst „
die mit England in Verbindung standen. König Heinrich III. vorm
England gestattete 1235 Peter Galve, Botulf Byrkin, Sigfried un?
Jakob de Albo, Kaufleuten aus Gotland, und ihren Genossen den
Handel in England auf drei Jahre). Von den hier genannten vier
Kaufleuten tragen jedenfalls Botulf Byrkin und Sigfried Bonde
entschieden nordische Namen; die zwei anderen Namen können
sowohl nordisch wie deutsch sein. Zwei Jahre später (1237)
verlieh König Heinrich allen Kaufleuten von Gotland (omnibu:
mercatoribus de Guthlandia) Zoll- und Abgabenfreiheit in
England?). Ich glaube, daß wir unter diesen mercatores de
Guthlandia nicht nur die deutschen Kaufleute Wisbys, sondern
überhaupt alle gotländischen Kaufleute verstehen müssen. In
demselben Jahre (1237) werden noch zwei Kaufleute von Got-
land (de Gutland) erwähnt; der eine ist der obengenannte
Botulf Byrkin, der andere ist ein Deutscher namens Gerhard.
Der gotländische Handel auf England muß ganz bedeutend
gewesen sein. Allein in den Jahren 1237, 1242, 1244, 1248.
1255 kaufte König Heinrich III. von England für 1216 Pfund
Sterling Pelzwerk und Wachs von gotländischen Kaufleuten °).
Noch im Anfange des 14. Jahrhunderts standen viele ein-
gchorene Goten mit England in Verbindung. Von Kaufleuten,
die 1304—1305 dem König von England Grauwerk verkauft
hatten, waren die folgenden aus Gotland: Augustinus, Es-
waldus, Nicholaus, Finder und Olavus*) Von diesen
tragen Finder (= an. Finn) und Olavus (= an. Ölatr) entschie-
den nordische Namen. Finder hat jedenfalls Gutnisch gesprochen ;
denn sein Name hat die altnordische Nominativendung-r. Die
1) Hans. Urkb. I, \r. 270.
2) Hans. Urkb. I, Nr. 281.
3) Hans. Urkb. I, Nr. 283, 322, 333, 359, 176.
4) Hanseakten aus England, Nr. 32.
Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 269
Namen Nicholaus (=an. Nikoläs) und Augustinus (=an. Eysteinn)
wurden auch in Schweden und Norwegen getragen. Nur Es-
waldus und Bodekinus sind deutsche Namen. Die hier genann-
ten Kaufleute besuchten die Märkte in London und St. Bothulfs
(Boston). Andere Kaufleute aus Gotland segelten in den Jahren
1303—1307 nach King’s Lynn, Kingston-upon-Hull und andereu
Städten an der Ostküste Englands. Von diesen tragen mehr als
die Hälfte nordische Namen '). Ein gotländischer Kaufmann hat
sich besonders hervorgetan, nämlich Sigleif oder Selef (Siglavus)
Susse?). Er hatte sein Hauptgeschäft in Lynn, stand aber mit
Gotland und mit Bergen in Norwegen in lebhafter Verbindung.
Zuletzt wurde er „Kaufmann des Königs und Bürger in Lynn“.
Ja, er wurde sogar im Jahre 1316 als Gesandter des Königs
von England nach Norwegen geschickt’). Sigleif Susse wird
in den ältesten Urkunden, wo sein Name vorkommt, mercator
de Gutlandia genannt. Er war aber nicht, wie die deutschen
Kaufleute in Wisby, Mitglied des hansischen Bundes. Er hatte
nämlich vor englischen Gerichten einen langjährigen Prozeß mit
zwei deutschen Kaufleuten, Hildebrand von Neuhofen (de Noua
Curia) und Hildebrand Sundermann, wegen etwas Kupfer, das
norwegische Räuber (depredatores de Norwagia) im Jahre 1307
aus der Gildehalle der Deutschen in London gestohlen hatten.
In den Urkunden, die diese Sache angehen, wird Sigleif Susse
immer mercator de Gutlandia genannt. Die zwei deutschen
Kaufleute waren dagegen „de societate illorum mercato-
rum de Allemannia qui habent domum in eiuitate
nostra Londoniensi que Gildhalle (!) Teutonicorum
vulgariter nuncupatur“*).
1) A. BUGGr, Gotlændingernes Handel paa England og Norge (Norsk
Historisk Tidsskrift 3 R. B. V) S. 19 ff.
2) Selef ist ein echt gotischer Name, = an. Sigleifr.
3) Patent Rolls, anno 9 Edward II. Er wird hier Siglawus Sussi
genannt.
4) Record Office London, Custom Rolls, Nr. 129, anno 25 Edward I.
Calendar of Close Rolls, Edward II, 1307---1318, S. 651, 569. Ancient Petitions,
Nr. 3662.
970 Alexander Bugge
Die Gotländer, die von alters her England besuchten, ge-
nossen, wie wir gesehen haben, schon im 12. Jahrhundert Vor-
rechte, wenn sie nach England kamen. Sie brauchten also nicht
Mitglieder des hansischen Bundes zu sein und waren es, wie es
scheint, auch nicht. Meiner Ansicht nach hat der hanseatische
Bund nie die ganze Insel Gotland, sondern nur die Stadt Wisby,
ja vielleicht sogar nur die daselbst wohnenden Deutschen in sich
geschlossen.
Auch aus der Sprache können wir die Bedeutung des Handels
zwischen England und den skandinavischen Ländern ersehen.
Das englische Wort für „Seide“ silk (angelsächsisch seole, seoloe)
scheint aus dem altnordischen silki entlehnt zu sein. Dieses
Wort steht, wie man annimmt, seinerseits mit dem gleichbeden-
tenden kirchenslawischen 3elku in Verbindung, welches letztere
Wort wieder aus dem mongolischen sirgek „Seide“ hergeleitet
ist. Wir können durch dieses Wort den Weg der orientalischen
Seidenstoffe aus Zentralasien durch Rußland und weiter über
den skandinavischen Norden nach England verfolgen. Ein anderes
Wort, das auch für die Handelsgeschichte interessant ist, ist
girfalco „Edelfalke“, dessen erster Teil aus dem altnordischen
geirr „Speer“ zu stammen scheint. Gerade die edelsten Falken
kamen ja, wie schon früher erwähnt, aus dem hohen Norden.
In dem alten Londoner Rechtsbuch, dem sogenannten „Liber
Albus“ (Munimenta Gildhalle Londoniensis I, S. 230), gibt es
einen Abschnitt über Zoll, den man von fremden Woll- und
Leinenwaren zu entrichten hatte. Unter diesen Tuchen werden
.leyne d'Espagne, wadmal, mercerie, canevas“ u. a. m.
genannt. Das Wort Wadmal ist nordisch (= an. vadmäl) und
bezeichnet ein grobes wollenes Tuch, das aus Norwegen oder
Island kam.
Auf der anderen Seite sind viele Worte, die für die Handels-
geschichte von Bedeutung sind, schon im 10. und 11. Jahrhundert
aus dem Angelsächsischen ins Nordische übergegangen, z. B.
mangari „Kleinhändler, Krämer“ (aus ags. mangere, engl.
monger), das schon in einem Gedichte des isländischen Skalden
Kormak (10. Jahrhundert) vorkommt, flür „Weizenmehl“ (= engl.
flour, aus lat. flos), kiædi „Tuch, Kleid“ (aus ags. clad,
Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 971
selten clæd, Dat. *clæde), næpa ,Rübe“ (ags. næp, aus lat.
napus), käl „Kohl“ (ags. cawel, aus lat. caulis)').
Gleich wie die schwedischen Eroberer, die das russische Reich
gründeten, haben auch die Norweger und Dänen, die in Irland
Reiche und Niederlassungen gründeten, das Verkehrsleben neu
belebt und den Handel in neue Bahnen gelenkt. In Irland gab
es ursprünglich keine von Mauern umgebenen Städte. Die Iren
wohnten in offenen Dörfern; sie trieben keinen Handel und keine
Schiffahrt nach fremden Ländern; keine Münzen wurden geprägt,
und keine fremden Kaufmannsschiffe besuchten die Insel. Die
ersten irischen Städte sind von den Wikingern im 9. und 10. Jahr-
hundert gegründet worden: Dublin ca. 840 von dem Norweger
Turgeis (borgestr), Waterford etwas später und Limerick und
Cork in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts?).. Bei Cork
hatten die Wikinger schon um 866 eine feste Burg (caistail
daingen)*) Dublin wird im Jahre 941 als eine starke, von
Wällen und Gräben umgebene Festung (dün trom) geschildert‘).
Von ihren befestigten Städten aus standen die Normannen oder
»Ostmänner“ (Ostmanni) schon früh mit fremden Ländern in
lebhafter Verbindung. Sie segelten nicht nur nach den nahe-
liegenden englischen Städten Bristol und Chester, von deren Ver-
bindung mit England wir schon gehört haben, sondern auch nach
dem südwestlichen Frankreich. Schon in der zweiten Hälfte des-
9. Jahrhunderts standen die Normannen von Waterford, Cork
und Limerick mit den reichen Weindistrikten des südwestlichen
Frankreichs in lebhafter Verbindung. Wir ersehen dies aus einer
Notiz in dem sogenannten „Cormacs Glossar“, das von König
Cormac von Münster (im südwestlichen Irland) um 900 geschrieben
1) Das nordangelsächsische cäl (noch jetzt kale, kail) ist wieder aus.
dem Nordischen entlehnt.
2) Dublin war, wie jetzt alle Forscher, auch Professor HEINRICIT ZIMMER,
einräumen, eine norwegische Niederlassung, ebenso Waterford ; Limerick und
Cork waren vielleicht dänische Niederlassungen.
3) Three Fragments, hg. v. O’DONOVAN, S. 166— 169.
4) Vgl. „The Circuit of Muirchertach“, ed. E. HoGan (Dublin 1901),
S. 20—21, ein gleichzeitiges Gedicht, das die Reise des Königs Muirchertach
rund Irland schildert.
272 Alexander Bugge
wurde. Es heißt in diesem alten Glossar: „Epseop fins in th
Sea-Laws, i. e. a vessel for measuring wine among (apud) the
merchants of the Norsemen (gen. pl. gall) and Franks“!). Aus
dieser merkwürdigen Notiz ersehen wir nicht nur, daß die noms
wegischen und dänischen Ansiedler im südwestlichen Irland, w—
Cormac lebte, nach Frankreich Schiffahrt trieben, um dort Wei_
zu kaufen, sondern auch, daß dieser Handel schon vor 900 eim æ
so große Bedeutung gewonnen hatte, daß ungeschriebene Gesetz e
(,Sea-Laws“) für den Verkehr der Franken und der „Ostmänner“
sich gebildet hatten. Für die Bedeutung des Weinhandels be-
sitzen wir auch mehrere späteren Belege. Es waren überhaupt die
nordischen Ansiedler, die den Iren den Wein, den sie brauchten,
verschafften. Der große irische König Brian Borumha, der 1014
in hohem Alter fiel, hatte einen Hofdichter namens Mac Liag,
von dem noch mehrere Gedichte erhalten sind. In einem von
diesen beschreibt der Dichter den Königssitz Brians in Kincora
am Shannon und die Steuern und Abgaben, die ihm von allen
irischen Königen und Stämmen entrichtet wurden: Als Tribut
von den Leuten von Ath Cliath (d. h. Dublin), von den Normannen
mit den braunen Schielden, sollte er 150 Fässer Wein haben;
als Tribut von den Leuten von Limerick, von dem Stamme des
eisernen Olavs, sollte er jeden Tag eine Tonne roten Wein
haben ?).
1) CoRMAC’s GLOSSARY, transl. by O’DoxovAN, ed. WHITLEY STOKER,
S. 67. Das Wort epscop (oder richtiger escop) scheint nach WHITLEY
STOKES aus lat. scyphus zu stammen; fina ist Gen. von fin „Wein“.
Gall „ein Fremder“ war der gewöhnliche irische Name für die Wikinger.
2) Das Gedicht, das in zwei Papierhandschriften in Royal Irish Academy,
23
Dublin, G8
riogh. Der Abschnitt von Dublin und Limerick lautet:
Ar g-cäin 6 lucht Atha Cliath
ö Dhanaruibh na doinnsciath
tri chaogad dabhach fiöna
do geibh mis no gnaith mhiolla.
Ar g-cäin 6 lucht Luimnigh luirc
6 clanna Amlaoi iarnuigh
tonna gach aonlä d’fion derg
6 na Gallaibh fa gnaith mhedhg.
und 9° aufbewahrt ist, beginnt: Boraimhe baile na
Die nordeuropäischen Verkchrswege im frühen Mittelalter ete. 273
Es ist sogar möglich, daß die nordischen Ansiedler in den
Städten Irlands im 10. Jahrhundert nach Spanien Schiffahrt
trieben. Limerick wurde im Jahr 968 von den Iren erobert.
Die alte irische Saga, die davon erzählt, beschreibt ausführlich
die reiche Beute, die die Iren bei dieser Gelegenheit machten.
Es heißt in der englischen Übersetzung von dieser Saga: „They
[d. h. die Iren] carried away their jewels and their best property,
and their saddles beautiful and foreign, their gold and their
silver; their beautiful woven clotlı of all colours and off all kinds;
their scarlet and silken cloth, pleasing and variegated, both
scarlet and green, and all sorts of cloth in the like manner“!
Woher bekamen die Einwohner Limericks ihre vielfarbigen
Seidenstoffe und „ihre schönen ausländischen Sättel“ (a sadlaiei
alli allmarda)? Sie können dieselben nur durch Handel mit
fremden Ländern bekommen haben, wahrscheinlich durch Ver-
binduug mit Spanien, wo die Mauren, wie bekannt, eine blühende
Seidenfabrikation hatten und dessen Lederindustrie in ganz
Europa berühmt war. Auch Dublin war schon um die Mitte des
10. Jahrhunderts eine durch Handel und Schiffahrt blühende
Stadt. Als der irische König Muirchertach im Winter 941—942
nach Dublin kam und sich vor der Stadt lagerte, bekam er als
Tribut viele Sachen, welche die Einwohner von Dublin nur durch
Handel mit England und Frankreich bekommen haben können.
Er heißt in einem gleichzeitigen Gedichte:
„A supply of his full store was given
to Muirchertach son of Niall
of bacon, of good and perfect wheat;
also was got a blood-debt of red gold.
Joints (of meat) and fine cheese (were given)
by the very good and very pure Queen,
ler Dichter nennt die Dubliner Danair „Dänen“, obschon sie norwegischen
Ursprungs waren, weilDanairin Munster ein Gesamtname der skandinavischen
Völker war.
1) Cogadh Gaedhel re Gallaibh („The War of the Gaedhel with the Gaill“),
he. v. Top (Rerum britann. medü aevi script.), S. 89. Die Sage ist früh im
11. Jahrhundert verfaßt.
974 Alexander Bugge
and then was given, (a thing) to hear,
a coloured mantle for each chieftain“ *).
Als in diesem Gedichte erwähnte fremde Erzeugnisse nenne
ich Weizenmehl, Käse und farbige Mäntel. Die Iren essen noch
heute keinen Käse und trieben im Mittelalter sehr wenig Acker-
bau. Die Mäntel heißen matal, ein Wort, das aus dem lateinischen
mantellum stammt, aber nicht direkt, sondern durch das gleich-
bedeutende nordische mottull ins Irische gekommen ist. Im
Jahre 1014 wurde, wie bekannt, bei Clontorf, in der Nähe von Dublin.
eine große Schlacht ausgefochten. Die irischen Chronisten, welche
diese Schlacht erwähnen, sprechen auch von den vielen fremden
Kaufleuten, welche zur Zeit der Schlacht in Dublin waren. Nor-
wegen und Island standen im 10. und 11. Jahrhundert mit Irland
in lebhaftem Verkehr. Ein Isländer im 9. Jahrhundert hieß Rafn
Limerickfahrer (Hrafn Hlymreksfari), weil er lange Zeit in
Limerick in Irland gelebt hatte (er lengi hafdi verit i
Hlymreki à Island, Landnamabök II, K. 22). Von anderen
Isländern, wie Torodd oder Gudleiv, dem Sohne Gudlaugs des
Reichen, wird es erzählt, daß sie als Kaufleute nach Dublin
segelten*). Ein Häuptling im westlichen Norwegen namens
Brynjulv gab um 900 seinem Sohne ein Kaufmannsschiff, um
damit nach Dublin zu segeln; „denn“, sagte er, „diese Fahst ist
jetzt die berühmteste“ (Sü ferd er nü frs»gst)’) Irisch-
nordische Kaufleute besuchten Island. So heißt es z. B. in
„Eyrbyggjasaga“ (K.50): „Denselben Sommer, als das Christen-
tum auf Irland durch Gesetz eingeführt wurde (d. h. Jahr 1000),
landete ein Schiff bei Snefellsnes (ein Vorgebirge im westlichen
Island); es war ein Dubliner Schiff; an Bord waren viele Leute
aus Irland und den Hebriden, dagegen nur wenige Norweger“.
Die Ladung des Schiffes bestand aus englischen Betttuchen,
Seidenstoffen und anderen Putzwaren. Ja bis nach Norwegen
und Rußland dehnten die Bewohner der nordischen Städte Ir-
1) The Circuit of Muirchertach (M6irthimchell Eirinn uile dorigne Muir-
chertach Mac Neill), hg. und übersetzt v. Hocan, S. 20 f.
2) Eyrbyggja Saga, K. 29 und 64.
3) Egils Saga, K. 22.
Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 975
lands ihre Handelsverbindungen aus. Der isländische Häuptling
Hoskuld besuchte um die Mitte des 10. Jahrhunderts die Brennö-
Inseln (Brenneyar) an der Mündung des Götaelfs, wo ein vom
ganzen Norden besuchter Markt gehalten wurde. Als Hoskuld
cines Tags mit seinen Freunden spazierte, um den Markt anzu-
sehen, sah er etwas abseits von den anderen Buden ein präch-
tiges Zelt. Hoskuld ging da hin und in das Zelt hinein. Beim
Eingange saß ein Mann, der in Purpur gekleidet war und einen
russischen Hut auf dem Kopf trug. Hoskuld fragte nach seinem
Namen. Er nannte sich Gilli. „Viele kennen mich aber,“ sagte
er, „wenn sie meinen Zunamen hören; ich bin Gille, der russische
(Gilli enn gerzki) genannt.“ Hoskuld antwortete, daß er oft
von ihm gehört hätte und daß er als einer der reichsten in der
Genossenschaft der Kaufleute gelte (kalladi hann heira
manna audgastan er verithofdu ikaupmannalogum)').
Gille war ein Sklavenhändler. In seinem Zelte saßen hinter
einem Vorhang zwölf Sklavinnen. Hoskuld kaufte eine, die, wie
es sich später zeigte, eine geborene Irin war, Melkorka hieß und
die Tochter des Irenkönigs Myrkjartan war (Melkorka Myr-
kjartansdöttir). Sie wurde später die Mutter des bekannten
isländischen Häuptlings Olav Paa (d. h. „der Pfau“). Diese Ge-
schichte muß wahr sein. Denn Merkorka ist ein echt irischer
Name, = Mael Curcaigh (die Dienerin des heiligen Curcach)?).
Myrkjartan ist wahrscheinlich das irische Muirchertach.
Auch der Name Gilli ist irisch, = ir. gilla, „junger Mann, Diener“.
Mit gilla- als erster Teil zusammengesetzte Namen waren in
Irland sehr häufig, Namen wie Gilla mac liac, Gilla mö
Chäidbeo u. a. m. Für die Wikinger lag es sehr nahe, in
solchen zusammengesetzten Namen Gilla als einen selbständigen
Namen aufzufassen. Die Folge war, daß Gilli*) in den nor-
dischen Ansiedlungen Irlands als Personenname benützt wurde,
während Gilla allein nie als irischer Name vorkommt. Ein in
1) Laxdela Saga, K. 12. Ich wage nicht, aus dem Ausdruck kaup-
mannalog zu schließen, daß die nordischen Kaufleute Vereine oder Gilden
hatten.
2) In der Aussprache wurde gh nicht gehört.
3) Das nordische Gilli heißt in Gen., Dat. und Acc. Gilla.
Vierteljabrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 19
976 Alexander Bugge
Irland geborener König von Norwegen hieß Haraldr Gill
Ein Bischof von Limerick in der ersten Hälfte des 12. Jah =
hunderts trug ebenso den namen Gilli. In Northumberland, vom
in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts norwegische Königs
aus dem Königshause von Dublin herrschten, kamen viele irisch—a
Namen in Gebrauch. Wir finden im „Domesday Book“ unter
diesen Namen auch solche, die mit gilla- zusammengesetzt sin«zä
z. B. Ghilebrid, Ghillemichel und Gillepatric; auch der
Name Ghille kommt vor. Der Kaufmann „Gille der russische“
war also in einer der nordischen Niederlassungen Irlands ge-
boren; er handelte mit irischen Sklaven, die überall sehr beliebt
waren, und mit anderen westeuropäischen Waren. Er stand vor-
zugsweise mit Rußland (d. h. mit Nowgorod) in Verbindung und
hatte dort sein Vermögen erworben; dies ersehen wir aus seinem
Zunamen „der russische“. Auf dem Wege nach Rußland mußte
er die Brennö-Inseln passieren. Weil dort eben Markt war, hat
er daselbst sein Zelt aufgeschlagen und seine Waren ausgestellt,
und Hoskuld hat die hübsche Irländerin gekauft.
Die Handelsgeschichte Nordeuropas während der Wikingerzeit
zeigt uns den großartigen Unternehmungsgeist der nordischen
Völker. Diese waren nicht nur kühne Seefahrer, die nach dem
Weißen Meer, nach Island, Grönland und Nordamerika segelten.
Sie eröffneten neue Verkehrswege und leiteten für längere Zeit
(bis zum Ende des 11. Jahrhunderts) einen nicht unbedeutenden
Teil der orientalischen und griechischen Ausfuhr über Rußland
und den skandinavischen Norden nach Westeuropa. Der be-
deutendste Pelzhandel (die Ausfuhr aus dem nördlichen Norwegen
wie aus Rußland) ging gleicherweise durch ihre Hände. Wir kön-
nen überhaupt sagen, daß sie es zuerst waren, die West- und
Osteuropa miteinander in direkte Verbindung brachten. Wie in
Osteuropa, so lenkten sie auch in Westeuropa Schiffahrt und
Handel in neue Bahnen. Für Irland und überhaupt für die
Küsten der irischen See hat ihre Wirksamkeit eine besonders
sroße Bedeutung gehabt. Aber auch für die Entwicklung des
norddeutschen Handels und des hanseatischen Bundes ist ihre
Wirksamkeit folgenreich gewesen. Wo früher nordische Nieder-
Jassungen lagen, bei Wismar, an der Mündung von Oder und
Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 277
Düna und an mehreren anderen Orten, sind im 12. und 13. Jahr-
hundert deutsche Städte emporgewachsen. Die Einwohner von
Gotland gründeten in Nowgorod den Hof, wo die Deutschen
später Herren wurden. Die in Wisby wohnhaften Deutschen be-
mächtigten sich allmählich des ganzen gotländischen Handels,
um später selbst von Lübeck verdrängt zu werden. Manche
sehen in Wisby die Wiege des hanseatischen Bundes. Es ist
jedenfalls der Erinnerung wert, daß nordische Kaufleute, die
Gotland besuchten, schon um die Mitte des 12. Jahrhunderts in
Gilden vereinigt waren. Eine der ältesten dänischen Gilden, die
wir kennen, war die Gilde der Seefahrer, welche Gotland be-
suchten. Diese Gilde wurde von Waldemar dem Großen be-
stätigt. Ist es auch ein Zufall, daß die dänische Gildehalle in
London von den Kölnern gekauft wurde? Überhaupt haben
meiner Ansicht nach die Hanseaten viel von den Verbindungen
und Gilden der ausländischen Kaufleute in London gelernt. Die
nordischen Völker waren nie zahlreich, und es fehlte ihnen an
Kapital. Das südliche Gestade der Ostsee wurde wieder, wie zur
Zeit des Tacıtus, ein deutsches Land. Deutsches Volkstum wurde
in den baltischen Ländern das herrschende. An der Mündung
der segelbaren Flüsse wuchsen deutsche Städte, wie Lübeck,
Danzig und Riga, empor, Städte, welche die natürlichen Be-
herrscherinnen des Ostseehandels wurden und bald auch den
eigenen Handel der Gotländer, Schweden, Dänen und Norweger
erobern sollten ?).
1) Diese Abhandlung ist während eines Aufenthalts in Freiburg i. Br.
geschrieben. Ich habe daher nicht alle meine Quellen genau angeben können.
Für gütige Hilfe bin ich Professor v. BELOW in Freiburg und Professor
F. LIEBERMANN in Berlin vielfach verpflichtet.
Hansische Handelsgesellschaften,
vornehmlich des 14 Jahrhunderts.
Von
F. Keutgen (Jena).
Einleitung:
Allgemeine handelsgeschichtliche (Gesichtspunkte.
Inhalt: Weitere Bedeutung eines begrenzten Stoffes 3. 278. — I. Grund-
fragen der Handelsgeschichte: Maßstäbe S. 280. — Hansischer Handel und
englische Staatseinkünfte S. 283. — I. Stadtwirtschaft S. 284. — IU. Groß-
handel S. 286. — IV. Handelsgewinn contra Grundrente 8. 288. — Landadel
S. 289. — Städtische Ursiedler: Lübeck, Hamburg, Konstanz S. 291. — An-
lage des Handelsgewinns S. 294. — V. Charakter der Händlerklasse: SOMBART
und BÜCHER contra BERTHOLD VON REGENSBURG $. 297. — VI. War Handek-
gewinn möglich ? S. 300. — S. Juetta S. 301. — LEONARDO PISANO S. 802 -
UzzAN0 S. 304. — Der Berufskaufmann von heute und früher S. 306. —
VII. Raubhandel und Gelegenheitshandel als Vorstufen S. 308. — VIII. Das
psychologische Problem und SOMBARTs Methode S. 309. — Abgrenzung des
Untersuchungsfeldes und Einheitlichkeit der germanischen Geschichte 8. 311.
-- IX. Der Erwerbstrieb bei unseren Vorfahren und die Klagen der Mora-
listen S. 315.
„Hansische Handelsgesellschaften, vornehmlich des 14. Jahr-
hunderts“: das scheint ein engbegrenzter Stoff, von Bedeutung
nur für wenige Spezialisten. Aus der Geschichte ein wirtschafts-
und rechtsgeschichtlicher Gegenstand, innerhalb der Gesamtwirt-
schaftsgeschichte einer aus der Geschichte des Handels. Auf
diesem schon umschriebenen Gebiete weitere Beschränkung auf
den deutschen Handel, vielmehr den norddeutschen, auf eine
Form deren er sich bediente, und endlich nur während rund
eines Jahrhunderts. Wie ist da Teilnahme in weiteren Kreisen
Hansische Handelsgesellschaften. 279
der Geschichtstorscher, der Volkswirtachafts- und Rechtslehrer
zu erhoffen ?
Allein, indem sich eine jede Wissenschaft aufbaut auf Einzel-
erkenntnissen, bemißt sich der Wert jedes von diesen nach der
Geltung, die ihm für die Ausgestaltung der Gesamterkenntis
innewohnt, die jene Wissenschaft anstrebt.
Auch eine scheinbar engbegrenzte Erkenntnisgruppe kann
daher, nach dem Licht, das sie über die allgemeinen Zusammen-
hänge der Wissenschaft verbreitet, in die sie sich einreiht, un-
vermutete Bedeutung besitzen. Ob diese dem, was über die
hansischen Handelsgesellschaften des 14. Jahrhunderts ein Histo-
riker zutage fördert, für die Nationalökonomie und die Juris-
prudenz zukommt, ist es nicht meines Amtes zu beurteilen.
Doch sei festzustellen gesucht, inwiefern sich die eigentlich
gesebichtliche Betrachtung von der juristisch-rechtshistorischen
und der nationalökonomisch-wirtschaftsgeschichtlichen Fruktifi-
zierung desselben Erkenntnisgegenstandes unterscheidet.
Den Juristen fesselt an den rechtsgeschichtlichen Erscheinungen
das Recht, den Nationalökonomen an den wirtschaftsgeschicht-
lichen die Wirtschaft. Sie sehen sie sich in erster Linie darauf-
hin an, wie sie sich in ihre allgemeinen Erkenntnisse einfügen,
ıhr besonderes wissenschaftliches System durch sie sich vertiefen
und bereichern laßt.
Den Historiker interessiert die Geschichte. Ihm sind, auch
wenn er sich vorzugsweise mit Rechts- und mit Wirtschafts-
geschichte beschäftigt, nicht Recht und Wirtschaft die eigentlichen
Ziele der Erkenntnis. Rechts- und Wirtschaftsgeschichte gelten
ibm nur als Strömungen in dem Bett der einen allgemeinen
Geschichte. Er will auch nicht etwa bloß mit ihrer Hilfe die
politischen Vorgänge sicherer würdigen lernen. Sondern sie
sind ihm schlechthin Seiten des allgemeinen Menschenlebens,
das er in allen seinen Auswirkungen und allen seinen ursäch-
lichen Verbindungen zu überblicken und zu verstehen strebt.
Sie helfen notwendig mit zur Rundung des Bildes der Vorzeit.
Er will zuletzt die Menschen selber kennen lernen, und als
Quelle dienen ihm alle Äußerungen ihres Lebens.
Dem tiefer Schauenden sind selbst die Formen der Handels-
280 F. Keutgen
gesellschaften Bausteine der Erkenntnis der Menschen selbst,
ihrer Denkweise, ihrer Fähigkeiten, ihres praktischen Können:.
Der Weg führt von dort unmittelbar zur Ausdehnung des Handels
und seiner Rolle im gesamten Wirtschaftsleben, wie zu einem
Einblick in die Begabung unserer Vorfahren für die selbständige
Ausgestaltung ihres Rechtes, und von da und da ist nur ein
Schritt zum Beispiel zu der Frage, wie weit sie es verstanden
haben, sich in Denken und Handeln einer alles anfressenden
geistlichen Bevormundung zu erwehren.
Doch auch umgekehrt läuft der Weg. Sollen die Formen
kaufmännischer Vergesellschaftung nicht bloß nach rein formalen,
juristischen, sondern nach allgemeineren geschichtlichen Gesichts-
punkten gewürdigt werden, so wird es nötig sein, zuvor über
einige Fragen der weiteren deutschen Handelsgeschichte Ver-
ständigung zu suchen: dem sollen die diesmal gebotenen Blätter
gewidmet sein. Indes darf die Erwartung ausgesprochen werden,
daß auch die reine Form von dem so gewonnenen Hintergrund
sich um so klarer abheben wird.
Auch das heutige Recht und die heutige Wirtschaft sind nur
unlösbare Glieder des gesamten Menschheitslebens, und der Jurist
nur und der Nationalökonom wird seine Wissenschaft für Mit-
und Nachwelt wirklich fruchtbar machen, der sie unter diesem
(resichtspunkte pflegt. Deshalb muß auch ihm zuletzt die rein
geschichtliche Betrachtung der rechtlichen und der wirtschaft-
lichen Dinge zugute kommen: gleicht doch die Anschauung des
Lebens der Menschen in der Vorzeit nur einem Blick aus der
Vogelperspektive, im einzelnen weniger deutlich, dafür mit um
so freierem Überblick über die Zusammenhänge.
l.
Ein wissenschaftlicher Betrieb der Handelsgeschichte, zumal
der deutschen, ist alles in allem so neu, steht so sehr noch in
den Anfängen, daß selbst über die Grundbegriffe und Kategorien
Unklarheit herrscht. Zu diesen darf man an erster Stelle den
Maßstab zählen. Eben der Umstand, daß über die Maßstäbe
die anzulegen sind, keine Einigkeit besteht, macht ja einen
guten Teil der Diskussion so unfruchtbar. Der eine sagt, der
Hansische Handelsgesellschaften. 281
leutsche Handel im ,Hochmittelalter“ war bedeutend, der andere
eugnet es.
Dieser nimmt zu seinem Maßstab den heutigen Handel.
sewiß kann es lehrreich sein, Früheres mit Heutigem zu ver-
Jleichen : aber was gibt uns die Berechtigung dieses als Norm
‚ufzustellen? Wie werden sich die Dinge in aber 500 Jahren
usnehmen? Bis jetzt sieht nur ein Teil aller Europäer sich
o gekleidet, untergebracht und genährt, wie er wünschte; neben
lem Verkehr in der City ist selbst der im Kanal „unbedeutend“;
ınd unsere Beherrschung der Naturkräfte fängt erst an. Der
Iistoriker zum mindesten sollte nicht in jenen Fehler verfallen.
Ich selbst habe mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß
eben den Massenumsätzen der zweiten Hälfte des 19. Jahr-
underts schlechthin aller frühere Handel fast verschwindet :).
ch betone das, da man gerade an mir es als singulär
otiert hat, daß ich den hansischen Handel in seiner Blütezeit
ls bedeutend hingestellt hatte. Aber will man früheren Handel
n heutigem messen, dann muß man über allen Handel vor
‚usnützung der Dampfkraft zur IIerstellung und Bewegung von
fassengütern den Stab brechen: auch die Fugger kannten nur
[and- und höchstens Wasserkraftbetrieb, Frachtwagen und kleine
chiffe. (Gegenüber der neuesten Entwicklung besteht zwischen
ırem Zeitalter und dem der Limburg und atte Wolde kein
resentlicher Unterschied. In der Handelsgeschichte also beginnt
ie Neuzeit mit dem Jahr 1830.
Für die historische Betrachtung weit richtiger wäre der Ver-
leich einer Vergangenheit mit einer früheren. Was ist im
eschichtlichen Verlauf geworden? darf des Geschichtsforschers
rage lauten. Bedeutendes: heute im Vergleich mit allem ehe-
aligen; so auch im 13. und 14. Jahrhundert neben allem von
yrdem. Im Vergleich mit dem im 10. und 11. Jahrhundert
rhandenen kann man die Entwicklung des Handels von damals
ır als außerordentlich bezeichnen; und es wäre berechtigt,
hon unter diesem Gesichtspunkte den Handel jener Zeit einen
:deutenden zu nennen.
1) Der „Gro ßhandel im Mittelalter“. Hansische Geschichtsblätter,
XIX. Jahrgang 1901, (Leipzig 1902) S. 68.
989 F. Keutgen
Allein, so kämen wir aus einer Relativität in die andere.
Für die historische Betrachtungsweise, in dem Sinne, wie ich
sie vorhin skizziert habe, gäbe erst den Ausschlag, ob wesent-
liche Einwirkungen des Handels auf den gesellschaftlichen Organis-
mus bestanden. Wir müssen suchen, den Maßstab aus der Zeit
selbst zu gewinnen. Im karolingischen, im ottonischen, noch im
salischen Zeitalter sind solche Einwirkungen gering, wenn sie
auch nicht übersehen werden dürfen, — wie gegenüber der Theorie
von der geschlossenen grundherrschaftlichen Wirtschaft immer
wieder betont werden muf.
Wer den deutschen Handel des 13. und 14. Jahrhunderts
als möglichst geringfügig hinzustellen sucht, übersieht, daß nur
durch ihn auch bei uns die vorherrschende Naturalwirtschaft
zurückgedrängt, der durch sie bestimmte Aufbau des Staates
verwandelt werden konnte. Auf welchem ersten Wege auch
immer die größeren Mengen an Edelmetall den Kassen des
Staates und der Großen zugeflossen sein mochten: wie sollte es
möglich sein, den öffentlichen Organismus umzugestalten, wenn
nicht der Handel das Geld durch alle seine Adern leitete?
Der geldwirtschaftliche Zustand verwirklichte sich von dem
Augenblicke an, wo der Staat anfing, seine Beamten und seine
Truppen bar zu besolden, und, soweit die Beamten noch auf
direkte Bezüge von den Untertanen angewiesen wurden, diese
Bezüge doch in der Hauptsache ebenfalls in barem Gelde be-
standen; wo der Staat anfing, ein Steuerwesen auszubilden und
eine zentrale Finanzverwaltung.
Was in aller Welt sollten Beamte und Truppen mit dem
Gelde anfangen, wenn sie nichts dafür kaufen konnten, ihre
Lebensbedürfnisse nicht wesentlich durch Barzahlungen zu be-
streiten waren? U'nd wie sollten die Untertanen Steuern zahlen,
wenn sie nicht für ihre Erzeugnisse, landwirtschaftliche oder
gewerbliche, einen ständigen Markt fanden?
Indessen brauchen wir, um uns zu überzeugen, daß auch der
hansische Handel in diesem Sinne bedeutend war, uns nicht
mit allgemeinen Reflexionen zu begnügen, noch mit dem Hinweis
auf die geldwirtschaftliche Organisation der Hansestädte. Wich-
tiger ist schon, was hansisches Geld für die Regierung des eng-
Hansische Handelsgesellschaften. 283
lischen Staates hieß: denn, wie man es fertig bringen will, den
hansischen Handel im Zeitalter der Eduarde für unbedeutend zu
erklären, wenn von hansischem Gelde die Weiterführung der
kriegerischen Politik jener Großmacht abhing, bleibt unerfindlich.
Allein unmittelbarer noch läßt sich die Größe des hansi-
schen Warenhandels, an dem uns besonders gelegen ist,
demonstrieren durch den Vergleich seiner Umsätze mit dem,
was sich sonst durch Geld damals erreichen ließ.
Lübecks Außenhandel zur See betrug im Jahre 1368 über
4!/2 Millionen Mark heutiger Währung, der Hamburgs 1371 über
3'/. Millionen, Stralsunds 1384 über 3 Millionen Mark!). Man
hat viel Wesens von der Kleinheit dieser Zahlen gemacht’).
Allein da gleichzeitig ganz England mit all seinen reichen Groß-
srundbesitzern an Steuern jeglicher Art höchstens 5 Millionen
Mark im Jahre aufzubringen vermochte?), so bleibt doch wohl
nichts übrig als unsern Seehandel von damals in der Tat als
reeht bedeutend anzuerkennen. Die Ausfuhr der preußischen
Städte und der vier wendischen, Lübeck, Rostock, Wismar und
Stralsund. sowie ihre Einfuhr aus nichthansischen Städten, zu-
sammen aber belief sieh in 1'/s Jahren 1368/69 auf heutige
1) STIRDA, Revaler Zollbücher und -Quittungen des 14. Jahrhunderte.
(Hans. Gesch.-Quellen, Bd. V) S. LVIf. Die Berechnung beruht auf dem
Pfundzoll, der in kriegerischen Jahren erhoben wurde und zwar von der
eigenen Ausfuhr, sowie von der Einfuhr aus bundesfremden Häfen. Es ist
daher durchaus nicht unwahrscheinlich, daß in Friedenszeiten der Handel
noch wesentlich höhere Zahlen erreichte.
2) SUMBART, Der moderne Kapitalismus. Bd. 1, S. 167.
3) Nach den Berechnungen von STUBBs, Constitutional History, vol. LI,
$ 282, betrug unter Eduard III. und Richard II. „the sum which under the
»reatest pressure the country could furnish“ etwa { 120,000 (nicht die „Durch-
schnittseinnahme des königlichen Haushalts“, wie SouBarr I, S. 242 über-
setzt). Nach STIEDA, Revaler Zollbücher, Inhalt S. XIl, war 1 © höchstens
gleich Mk. 37.50 heutiger Währung. Zur Sicherheit gehe ich etwas höher.
SOMBART. a. a. ()., nimmt einen Multiplikator von 60 bis 60 und hängt
außerdem eine Null zu viel an, so daß er auf 60—70 Millionen
Mark kommt! - - Daß er umgekehrt Kaiser Siegmunds Einkünfte mit
H. 13000.— um reichlich ebensoviel zu niedrig ansetzt, hat NuaLisch be-
merkt (Hti.bEBRANDs Jahrbücher III. F., Bd. 28 S. 243), der zugleich die
Unzuverlässigkeit einiger anderer seiner Zahlen vachweist.
284 F. Keutgen
Mark 23,252,320.—!), oder auf 1 Jahr reduziert = 15'/: Mil-
lionen Mark, oder mehr als dreimal soviel wie die gesamten eng-
lischen Staatseinnahmen! Um aber zum Vergleich das heutige
Verhältnis heranzuziehen so betrugen im Jahre 1903 die gesamte
deutsche Einfuhr und Ausfuhr über alle Grenzen nicht ganz
11?/» Milliarden, die britischen Staatseinnahmen im engeren Sinne
aber gleichzeitig nicht ganz 3 Milliarden Mark ?). Zieht man in
Betracht, daß oben nicht nur Hamburg, Bremen und die kleineren
wendischen Städte, sondern auch Köln und der ganze süddeutsche
Handel fehlen, so hat unser Außenhandel auch heute
noch nicht ein gleich günstiges Verhältnis wieder
erreicht. Gewiß ein überraschendes Ergebnis!?)
IL.
Als so erfreulich aber die Möglichkeit, in dieser Weise einen
unmittelbaren Maßstab anzulegen, auch zu begrüßen ist, so wird
darum die vorangehende kurze theoretische Erörterung nicht
überflüssig: es leuchtet ohne weiteres ein, wie eng sie mit der
Stellung zusammenhängen muß, die man zu dem Problem der
„Stadtwirtschaft“ einnimmt‘).
Glücklicherweise bricht sich in dieser Frage immer mehr die
allein richtige und für den Historiker annehmbare Erkenntnis
Bahn, daß man es auch hier nicht mit einem lange Jahrhunderte.
„das Mittelalter“, hindurch gleichen Zustande zu tun hat, sondern
mit einem Wachstum, einer Geschichte. Das stadtwirtschaftliche
System ist ein Erzeugnis der städtischen Entwicklung. Es ver-
1) STIEDA, a. a. O., S. XXXII.
2) Gothaischer Hofkalender, 1906, S. 517 und 8. 796.
8) Verdient durch ausführlichen Hinweis auf die Relativität der Maß-
stäbe hat sich neuerdings NUGLISCH gemacht: HıLbEenraxns Jahrbücher
a. à. O. S. 239 ff.
4) Hierüber im allgemeinen: v. Bkı.ow, „Über Theorien der wirt-
schaftlichen Entwicklung der Völker, mit besonderer Rücksicht auf die Stadt-
wirtschaft des deutschen Mittelalters“. Hist. Zeitschr. Bd. 86. — DERSELBE,
„Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft (über den Begriff der
Territorialwirtschaft)“. Hı.nenranns Jahrbücher IH. F. Bd. 21. — Ferner
H. SıievERING, „Die mittelalterliche Stadt“ (diese Vierteljahrschrift, Bd. Il.
S. 177—218).
Hansische Handelsgesellschaften. 285
steht sich daher von selbst, daß es nicht in den Anfängen der
Städtegeschichte schon fertig da stand. Denn — und das ist
der zweite Hauptpunkt, der nicht beständig genug berücksichtigt
worden ist — es handelt sich bei der „Stadtwirtschaft“ um die
Frucht einer bestimmten Wirtschaftspolitik, nicht um das Ergebnis
des freien Spiels wirtschaftlicher Kräfte. Die Sache liegt nicht
so, — der Urfehler der Anschauung, die man der Kürze halber
als die Büchersche bezeichnen kann — als ob die Anfänge
des Städtewesens beruhten auf einer großen Zahl kleiner Mittel-
punkte fast ausschließlich für den Orts- und Nachbarschaftsverkehr').
Sondern, wenn die Bedeutung der deutschen Frühstädte für
diesen auch groß war, so sind sie wirtschaftsgeschichtlich doch
noch wichtiger als Stationen des Fernhandels. Nach und nach
erst haben Motive verschiedener Art zu Ausgestaltung und Ver-
schärfung des Fremdenrechts geführt: Eifersucht der ortsansäßigen
Produzenten, väterliche Fürsorge der Obrigkeit für Produzenten
und Konsumenten — ähnlich wie in der Ausbildung des Zunft-
wesens. Gleichzeitig aber trat eine Differenzierung unter den
Städten ein. Die einen sanken immer tiefer als bloße Hand-
werker- oder gar Bauernstädte, während andere, günstiger ge-
legene oder glücklicher geleitete, zu Großhandelsstädten auf-
hlühten.
Aber auch wirtschaftspolitisch betrachtet ist der Begriff der
Stadtwirtschaft vielfach in einem zu engen Sinne gefaßt worden,
— in einem engeren als BÜCHER wohl selbst gewollt hat, wenn
auch wesentlich infolge seiner Schilderung städtischer Wirt-
schaftsverhältnisse. Wirtschaftspolitisch würde der Begriff der
Stadtwirtschaft bestehen können auch bei ausgedehntem inter-
lokalem und internationalem Handel der Bürger, vorausgesetzt
nur, daß dieser Handel durchweg polizentrischen Ordnungen
unterlag. Das träfe jedoch nur in beschränktem Maße zu: regel-
mäßig nur, soweit er sich mit dem Vertrieb bestimmter städtischer
1) Diesem Punkte ist neuerdings besondere kritische Aufmerksamkeit
gewidmet worden durch H. FLAMM, Der wirtschaftliche Niedergang Frei-
burgs i. Br. und die Lage des städtischen Grundeigentums im 14. u. 15. Jahr-
hundert. Karlsruhe 1905. Ich komme an anderer Stelle in dieser Zeitschrift
darauf zurück.
286 F. Keutgen
Industrieerzeugnisse, vorzugsweise der Tuche einer Stadt befaßte,
deren auswärts bekannte Güte im Interesse der städtischen Ar-
beiter- oder Handwerkerschaft unvermindert gehalten werden
sollte. Die gemeinsamen handelspolitischen Maßnahmen des Hanse-
bundes gehen über den stadtwirtschaftlichen Rahmen doch weit
hinaus.
IL.
Es ist ohne weiteres klar, daß mit der Vorstellung, die man
sich von der größeren oder geringeren Rolle des auswärtigen
Handels der Städte macht, auf das engste die von dem Vor-
handensein oder der Ausdehnung eines Großhandels zu-
sammenhängt.
Ich habe schon früher unumwunden die Bedeutung der Fest-
stellungen v. BELows in diesem Punkte anerkannt’). Allein
es ist eine Sache für sich, ob es im 13., 14., 15. Jahrhundert
einen Stand von Großhändlern gegeben hat, oder ob damals ein
Teil der Kaufmannschaft, sei es ausschließlich, sei es vorzugs-
weise dem Großhandel oblag.
Nachdem wir aber einmal dank v. BELows Forschung wissen,
daß die damalige Zeit den angedeuteten Standesunterschied nicht
kannte, oder erst zuletzt anzuerkennen anfing ?), — eine wesent-
lich verfassungsgeschichtliche Frage — scheint mir wirtschafts-
geschichtlich die Betonung der an zweiter Stelle angeführten
Tatsache von erster Wichtigkeit. Es kommt wenig darauf an,
ob die Männer, die gewohnheitsmäßig Großhandel trieben, ge-
legentlich auch einmal im kleinen verkauft haben: das Gegen-
teil wird sich ja, wie alles Negative, kaum je mit gegen alle
Einwände geschützter „Exaktheit“ beweisen lassen. Auch ist
der Grad der Beteiligung an beiden Arten des Handels bei ver-
schiedenen Männern ein verschieden starker gewesen.
Die Hauptsache bleibt doch — und daran wird man, glaube
ich, nicht mehr zweifeln können — daß in allen größeren
Handelsstädten eine nicht verächtliche Anzahl Männer gewohn-
heitsmäßig Großhandel trieb.
1) Mein „Großhandel“ (oben S. 281 Anm. 1) 3. 71f., S. 126.
2) Mein „Großhandel“ 8. 107, 8. 118ff., S. 123f.
Hansische Handelsgesellschaften. 2847
Ich weise noch einmal auf den Unterschied hin, der zwischen
Wittenborg und Geldersen nicht zu verkennen ist’). Auch
Geldersen importiert und exportiert; aber Notierungen über
Kleinverkäufe sind in seinem Journal häufig. Bei Wittenborg
dagegen trägt nicht nur das auswärtige Geschäft einen groß-
artigeren, vielverschlungeneren Charakter, sondern Kleinverkäufe
finden sich nur in ganz geringer Zahl und an Personen, die
ihm entweder nachweisbar oder wahrscheinlich nahe gestanden
haben, — gerade wie auch heute jeder Großhändler, sofern er
zum sofortigen Gebrauch geeignete Artikel führt, an Verwandte
und gute Freunde im kleinen gelegentlich davon abgibt. Man
kann nicht einwenden, daß nur Kreditverkäufe angeschrieben
wurden; denn bei Geldersen sehen wir ja, eine wie große
Rolle der Kredit gerade im Kleinverkehr gespielt hat.
Unter diesen Gesichtspunkten ist auch die Klage der Lüne-
burger Gewandschneider von 1387 so bedeutungsvoll, die
mir bei meinem Aufsatz in den Hansischen Geschichtsblättern
noch entgangen war:
Item umme de Engelandesvarere was en old wonheyt, dat
se ere want nicht en moten tosnyden mer, alse se dat ute dem
lande brochten. Also plegen se dat to vorkopende ganz in
helen stucken ”).
Unmöglich kann man da sehen wollen das „Bestreben der
Kaufleute, vor allem am Kleinhandel Anteil zu erhalten“)
Hätten die Lüneburger Englandfahrer in der Tat dieses Bestreben
gehabt, hätten sie regelmäßig die Tuche, die sie einführten,
auch zu verschneiden gewünscht, so wüßte ich nicht, was sie
gehindert haben sollte, der Gewandschneiderzunft beizutreten.
Was uns jene Stelle lehrt, ist also, daß um 1387 in Lüneburg
gewisse Leute ein regelmäßiges Geschäft daraus machten, Tuche
aus England einzuführen, die sie an die Gewandschneider in
ganzen Stücken absetzten. Gelegentlich aber mochte es ihnen,
1) „aroßhandel“, S. 117.
2) BODEMANN, Die älteren Zunfturkunden der Stadt Lüneburg. (Quellen
u. Darstellungen z. Gesch. Niedersachsens I. 1883) S. 75.
3) v. BELOW, „Die Entstehung des modernen Kapitalismus“ (Hist. Z. Bd. 91)
S. 4571,
288 F. Keutgen
oder einigen von ihnen, auch passen, einen Restbestand zu ver-
schneiden, aber zu selten, als daß es sich gelohnt hätte, die
Kosten der Mitgliedschaft in der Gewandschneiderzunft auf sich
zu nehmen. Wobei es immer noch möglich bleibt, daß es sich
nur, wie bei Wittenborg, um Abgabe an Nahestehende handelte,
und die Zunft schon das als einen Eingriff in ihre Rechte be-
trachtete.
Diese Auffassung wird weiter bestätigt durch die Jahrmarkt-
ordnung von um 1400, wonach „Bürger“, die nicht zu den
Gewandschneidern gehörten, die aber
hadde halet wand over see und over sand ut Vlanderen,
.es auf dem Markte ausschneiden durften‘), Diese Bürger wird
man zu den kleinen Leuten rechnen, von denen bekannt ist, daß
sie gelegentlich ein oder ein paar Stück Tuch sich mitbringen
jießen, eben um auf dem freien Jahrmarkt einen kleinen Profit
zu machen: „Englandsfahrer“ waren sie offenbar nicht.
Ähnlich: wenn die Hanse sich wiederholt für ihre Angehörigen
in England um das Recht des Kleinhandels bemüht hat, so folgt
daraus durchaus nicht, daß sämtlichen hansischen Kaufleuten
dort für ihre Person an dessen Ausübung gelegen war. Was
wir z. B. über die schon genannten großen Wollhändler wissen,
möchte für sie der Annahme widerstreben.
So reich und angesehen deshalb die Gewandschneider in
vielen Städten auch gewesen sind, so wird man doch nicht zu-
geben können, daß der ausgedehnte Großhandel jener Zeiten,
dessen Vorhandensein natürlich auch v. BELOW zugibt, in den
Händen von Kleinhändlern und etwa einigen „unfreiwilligen*
Großhändlern gelegen habe.
IV.
Mit allem diesen möchte nun bereits die Frage bis zu einem
gewissen Grade präjudiciert sein, die seit SomBArts Buch über
den „Modernen Kapitalismus“ (1902) zu lebhafter Debatte an-
geregt hat, — die Frage, ob vor Mitte des 15. Jahrhunderts in
Deutschland Vermögen durch Handelsgewinn erworben zu
werden pflegten und erworben werden konnten, oder ob das,
Hansische Handelsgesellschaften. 289
wie SOMBART beweisen will, wesentlich nur durch Anhäufung
von Grundrenten geschah. Denn, wenn in der Tat der
deutsche Handel bereits im 14. Jahrhundert so bedeutend war,
wie wir gesehen haben, wenn er sich nicht in der Hauptsache
auf Orts- und Nachbarschaftskleinverkehr beschränkte, und wenn
endlich die berufsmäßige Pflege des Großhandels weit verbreitet
war, so läßt das alles bereits auf die Unhaltbarkeit von SOMBARTS
These schließen. Dennoch und trotz allem, was inzwischen
darüber geschrieben worden ist, wird sie uns wegen ihrer Wichtig-
keit fürunser eigentliches Themaeingehenderzu beschäftigen haben ').
Von einer Seite des Problems können wir absehen: der
Kapitalanhäufung in den Städten aus ländlicher Grundrente.
Mit dem Nachweis der Herkunft eines wesentlichen Teiles
des städtischen Patriziats aus dem Landadel —
wenigstens soweit Deutschland in Frage kommt — hat SOMBART
es sich so leicht gemacht, daß eine Widerlegung sich für Alle,
die mit der älteren Geschichte der deutschen Städte und den
neueren Forschungen darüber vertraut sind, erübrigt. Er beruft
sich im wesentlichen auf unkritische, mindestens längst überholte
Werke, die hauptsächlich durch ihren Stoffreichtum die Vor-
stellung großer Anschaulichkeit erwecken. Ob gelegentlich auch
einmal der Nachkomme eines Ministerialen oder Landadligen
es durch Handel zu Reichtum gebracht hat, ist gleichgültig: —
wobei im Interesse von SOMBARTS Theorie noch der Nachweis
geführt werden müßte, daß jener das konnte dank einem aus
ee
1) Vgl. über SomBarr die oben S. 284 Anm. 4, S. 285 Anm. 1 u. 8. 287
Anm. 3 zitierten Arbeiten von SIEVEKRING, FLAMM und v. BELOW. Ferner
JAKOB STRIEDER, Zur Genesis des modernen Kapitalismus (1904); RUDOLF
HÄPKE, „Die Entstehung der großen bürgerlichen Vermögen im Mittelalter“
(SCHMOLLERS Jahrbuch, N. F. Bd. 29, (1905) S. 1051—1087); A. NuGLIScH, „Zur
Frage der Entstehung des modernen Kapitalismus* (HıLDEBRANDs Jahr-
bücher III. F. Bd. 28 (1904) S. 238—251l. G. BECKMANN, „Die Bedeutung
des Handels im Wirtschaftsleben des Mittelalters‘ (Beil. Allg. Ztg. 1904
Nr. 106—108). Andere Besprechungen, wie die von POHLE (HILDEBRANDS
Jahrbücher, II. F. Bd. 26), kommen für die augenblicklich interessierenden
Fragen weniger in Betracht. — Ich habe es nicht für nötig gehalten, im
folgenden jedesmal auf ergänzende oder verwandte Beobachtungen in den
genannten Arbeiten zu verweisen.
290 | F. Keutgen
Grandrente akkumulierten Kapital, und nicht etwa dieses Mit-
glied der Familie zu dem bürgerlichen Erwerbszweig gegriffen
hatte, weil es verarmt war und ein ritterliches Leben nicht fort-
setzen konnte’). Nicht in Betracht kommt ferner, daß in
späterer Zeit, nachdem die Gegensätze zwischen Bürgertum und
Adel an Schärfe.verloren hatten, wohlhabende Edelleute in der
Stadt sich niederließen, wenn auch mit dem Agregatreichtum
der Stadt dadurch vielleicht die Grundrente steigen mochte.
Weniger einfach und zugleich schwerwiegender ist das Pro-
blem, soweit städtische Grundrenten in Frage kommen.
So dankenswert von seiten mehrerer Kritiker Somparrs der
Nachweis der bürgerlichen Herkunft der einzelnen Patrizier-
geschlechter und ihrer Beteiligung am Handel ist, so wird damit
die Sache doch nicht erschöpft. SOMBART freilich hat sich auch
hier die Quellen- und Literaturbenutzung zu bequem gemacht,
indem er eine gewaltige Vorstellung davon zu erwecken sucht,
ein wie großer Teil des städtischen Grund und Bodens sich
von Anfang an in wenigen Händen vereinigt zu finden pflegte.
So beruft er sich auf MAURER, Geschichte der Städtever-
fassung I S. 101, dafür, daß in Zürich, Worms, Magde-
burg, Mainz, Soest, Speyer, Straßburg der Grundbesitz
1) So verhielt es sich doch auch mit Whittington nnd andern „younger
sons“. (SOMBART I, S. 310.) Sie wurden Kaufleute, nicht weil sie ein an-
gehäuftes Kapital möglichst gewinnbringend verwenden wollten, sondern weil
sie ihr Brot verdienen mußten. Durch Tüchtigkeit arbeiteten sie sich aus
ziemlicher Armut. zu Reichtum empor. Gelang das gerade manchen dieser
jungen Edelleute, so lag das daran, daß der ,gentleman“, persönliche Be-
gabung vorausgesetzt, seinen Beruf freier und kühner anpackte als ein
„roturier*. Deshalb haben auch „gentlemen“, „younger sons“ die englischen
Kolonien begründet, nicht „eity-clerks“. Vgl. Clive in Indien, oder „Gover-
nor* Pitt, den Großvater des „Great Commoner“: „Als Kind aus einer
kinderreichen Familie von jung an auf eigenen Erwerb angewiesen u. s. w.“
(SALOMON, William Pitt I, S. 2f). Hatte ein solcher es dann zu Vermögen
gebracht, so stand ihm auch eine reiche und standesgemäße Heirat offen.
(SOMBART a. a. O.). — Anders liegt die Sache, wenn in Italien der Land-
adel gezwungen worden war, sich in den Städten niederzulassen, wenngleich
man auch da zweifeln darf, ob die begüterten Familienhäupter und nicht viel-
mehr mittellose jüngere Söhne sich der Kaufmannschaft zuwandten. Za
meinem speziellen Thema steht das jedoch in keiner Beziehung.
Hansische Handelsgesellschaften. 291
der Vollbürger in den Anfängen so groß gewesen sei, „daß er
von Kolonen angebaut werden mußte“ '). Allein MAURER nennt
an der Stelle nicht „Vollbürger“, sondern geistliche und weltliche
Grundherren.
Ferner behauptet SomBarT „in den Kolonialgebieten“, „in
Lübeck wie in Hamburg sind es offenbar bäuerliche An-
wesen, Eigen oder Anteile in Hufengröße, die den dort siedeln-
den „Kaufleuten“ vor allem natürlich [!| zum Betrieb einer
Bauernwirtschaft [!] von dem Grundherrn überwiesen werden“ ?).
Er beruft sich dafür auf Paunı, Lübeck. Zustände I 42ff.,
und Hamburger UB. Nr. 285°). Von Hufen ist jedoch bei
PauLzr — „natürlich“ — nirgends die Rede und in der Ham-
burger Urkunde erst recht nicht. Freilich glaubt PauLı, daß
bei der Gründung Lübecks die ersten Ansiedler größere Grund-
stücke erhielten, die er als „Erben“ von den „areae“ mit je
einer „domus“ unterscheiden will. Aber diese „Erben“ sind bei
ihm noch lange keine Hufen, wohl aber jene Siedler „die ohne
Zweifel zum größeren Teil wohlhabenden Kaufleute“. Allein
mögen auch PAuLı und FRENSDORFF*) Recht und diese ersten
Siedler in der Tat größere Grundstücke erhalten haben, so kann
doch kein Zweifel sein, daß es von vornherein in der Absicht
2) S. 286.
8) = meine Urkunden zur städt. Verfassungsgeschichte Nr. 104 a.
4) Die Stadt- und Gerichtsverfassung Lübecks im XII. u. XIII. Jahr-
hundert (1861) S. 10. Vgl. auch Pauuı, Wieboldsrenten (Abhandlungen aus
dem Lübischen Recht, IV, 1865), und PAUL REHME, Das Lübecker Ober-
stadtbuch (1895), der den von PAULI angenommenen rechtlichen Unterschied
zwischen Erbe und area oder domus leugnet (S. 28). Die Wortzinsen sind
verschieden hoch, doch zu niedrig, als daß sie zu irgend einer Kapital-
anhäufung selbst bei ausgedehntem Grundbesitz hätten führen können. Auch
nicht nach den Erhöhungen, die vorkommen. Das eigentümliche der Gründung
Lübecks liegt darin, daß bei der Neugründung durch Heinrich den Löwen
die Bewohner der älteren Stadt nur aus der Nähe zurückzurufen waren,
man deshalb keines „locator“ bedurfte. Diese Urbürger mögen, im Gegensatz
zu den späterhin Zuströmenden, sogleich größere Grundstücke erworben haben,
je eine Mehrzahl von areae umfassend, und zwar zinsfrei und auf dem Wege
des Kaufes, wie es von dem Johanneskloster bald nach 1182 urkundlich über-
liefert ist (Lübecker Urkb. I Nr. 6; meine Urkunden Nr. 97).
Vierteljahrschr, f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV, 20
292 F. Keutgen
geschah, diese hier wie überall in ,areae“ zerteilt weiter zu
verleihen, schon deshalb, weil es bei einer Stadt auf zahlreiche
Bewohnerschaft ankommen mußte. Schon HELMOLD berichtet,
daß bald nach Neugründung der Stadt durch Heinrich den Löwen
Bischof Gerold die Verlegung seines Bischofssitzes von Alden-
burg nach Lübeck beantragt habe u. a.:
Eo quod civitas hec esset populosior').
Am meisten beweisend aber ist das Schicksal der größeren
Komplexe, die Heinrich eben an die geistlichen Institute ver-
gabt hatte: mit ihnen wurde sofort in der angegebenen Weise
verfahren, wobei aber — nebenbei bemerkt — die Größe des
verliehenen Grundstückes für die Abschätzung der an Private
überlassenen nicht verwandt werden darf. Mag aber auch die
Gründungsgeschichte Lübecks manche singulären Züge aufweisen:
die Hamburger Urkunde kennt jedenfalls nur „areae“, von
denen außerdem noch der Zins auf ewig erlassen wird ($ 5).
In den weitaus meisten Städten, daran wird man nach
namentlich RiETSCHELs Forschungen nicht mehr zweifeln, wurde
der Boden sogleich in mäßige Hausbauplätze von gleicher Größe
zerteilt den Ansiedlern zugewiesen. Dennoch ist SOMBART in soweit
Recht zu geben, als, wie im neuen Lübeck, so auch in einigen
der alten Städte die Uransiedler über etwas größeren Grund-
besitz verfügten, von dem sie in der städtischen Aufschwungs-
periode gerade so an zuströmende Neubürger ausgeliehen haben
werden, wie die Gründer der Städte „aus wilder Wurzel“ das
für diesen Zweck beiseite gesetzte „praedium“. Ich habe das bei
den ,Rômerstädten“ schon früher wahrscheinlich zu machen
gesucht‘). Neuerdings hat BEYERLE solche altfreien Grund-
eigentümer in Konstanz zum erstenmal des näheren in vollem
Umfange nachgewiesen’). Aber er hat doch auch gezeigt, daß
1) Slavenchronik I, c. 89.
2) Meine Untersuchungen über den Ursprung der deutschen Stadt-
verfassung, Kap. V.
3) Grundeigentumsverhältnisse und Bürgerrecht im mittelalterlichen
Konstanz. Bd. I. Einleitung u. S. 66ff. „Mit nichten befindet sich der
Grundbesitz von Konstanz in Händen einiger weniger Eigentümer, die denselben
als Zinseigen oder Zinslehen austaten, vielmehr bildet den Hauptkomplex der
Hansische Handelsgesellschaften. 293
ihre Zahl auf engem Raum keine geringe war, und daß sie jahr-
hundertelang auf das zäheste an ihrem Eigentum festhielten und
Weiterverleihung an Neubürger und Nichtbürger die Ausnahme
bildete.
Indessen ist das alles für die Frage, die uns beschäftigt nur
von sekundärer Wichtigkeit. Tatsache bleibt, daß wir im 13.
und 14. Jahrhundert in den Händen mancher Bürger mehr
Grundeigentum vereint sehen, als sie selbst verwohnten. Ob das
uralter Geschlechtsbesitz war, oder käuflich erworben, zusammen-
geheiratet oder zusammengeerbt, ist für den Kern der Frage
nebensächlich. Bürger haben Bauplätze ausgeliehen, Häuser,
Läden, Zimmer vermietet und beziehen Grundrenten. Daß ein
großer Teil der Einwohnerschaft dergestalt zur Miete wohnte,
bedarf weiter keines Nachweises. Das Vorhandensein einer zahl-
reichen Klasse minderbemittelter Städter, eines städtischen Prole-
tariats auf der einen, eines Patriziats auf der andern Seite,
dessen Machtstellung zum guten Teil auf der Eigenschaft seiner
Mitglieder als Mietsherrn und Hauseigentümer beruhte, darf als
altbekannte Tatsache bezeichnet werden. Es ist ferner zu er-
innern an die große Rolle, die die Grundrenten als Kapitalan-
lage im städtischen Leben gespielt haben. Was also soweit an
SOMBARTS Ausführungen abgelehnt werden mußte, trifft nur die
Außenwerke. Das eigentliche Problem fängt erst an.
Andererseits würde freilich auch für SOMBART noch nichts
wesentliches gewonnen sein, selbst wenn der positive Nachweis
geführt wäre, daß einzelne Bürger in der Tat ihre Grundrenten
zu einem Handelskapital zusammengespart hätten. Denn es
kann hier nur auf allgemeine Bewegungen ankommen, nicht auf
das, was einzelne fertig gebracht haben.
Was nun aber diese allgemeine Vermögensbewegung inner-
halb des Bürgertums betrifft, so lehrt alles, was bisher von der
Forschung darüber ans Tageslicht gebracht worden ist, das
Gegenteil des von SOMBART geforderten. Die Ausdrucksweise
Stadt freies Allod der Bürgerschaft“. (S. 6.) Ferner bes. 8. 6: ,... Alt-
geschlechter, nur vereinzelt haben einige von diesen ihren Besitz parzelliert
und in Zeiten empfindlichen Wohnungsmangels an Zugewanderte als Zins-
lehen ausgeliehen“.
294 F. Keutgen
der Quellen, alles was sie von „reichen Kaufleuten“ von den
frühesten Zeiten an zu erzählen wissen, läßt keinen Zweifel dar-
über, daß nach Ansicht der Zeitgenossen diese „Kaufleute“ ihren
Reichtum durch ihr Geschäft erworben hatten. Oder wir sehen,
daß in Städten wie Köln, Dortmund, Bremen, die Ge
wandschneider, Berufskaufleute wenn irgendwelche, einen
wichtigen Bestandteil der herrschenden Schicht abgeben'!). Wir
entnehmen ferner vielfachen Angaben, daß die Kaufleute als
gemachte Leute ihr Erworbenes in Grundbesitz und Renten an-
legen; daß sie sich vom Geschäft zurückziehen; daß ihre Nach-
kommen Ritter werden: ganz wie noch heute.
Und das gemahnt uns, daß es von vornherein mehr Wahr-
scheinlichkeit für sich hat, daß gerade Kaufleute ihren Grund-
besitz spekulativ ausnutzten als Siedler von ländlichem Habitus.
Sogar BÜCHER, der ja von dem Handel selbst des 15. Jahr-
hunderts eine äußerst geringe Meinung hat, muß mitteilen, daß
damals die Frankfurter Kapitalisten bei Abschluß eines Handels-
gesellschaftsvertrages sich vorzubehalten pflegten
die gewalt und macht nach eyner yeden Frankenforter messe
und beschehener rechenunge nach myner gelegenheit eyn somme
gulden myns gewynes us dem handel zu nemen und mir die
furter an gulten oder erbguttern anzulegen; doch das die achte-
dusend gulden hauptguts inne dem gewerbe ungemyndert von
uns ligen pliben sollen die gemelten funf iare lang”.
Der Fall ist von 1502, einem Zeitpunkt also, wo nach
SOMBART das umgekehrte Verfahren recht im Schwange sein
sollte.
Ganz natürlich: wer Renten hatte, wird mit ihnen, den gleich-
mäßig einlaufenden, die täglichen Ausgaben bestritten, dagegen
den außerordentlichen Gewinn aus dem Großhandel bald so, bald
so verwandt haben: wie ja auch in dem angetührten Beispiel die
Möglichkeit 1 im Auge behalten bleibt, den Gewinn zur Vergrößerung
DA Vgl. besonders meinen „Großhandel im Mittelalter“, Hans.
Gesch.-Blätter 1901 (1902) S. 74 ff.
2) Die Bevölkerung Frankfurts a. M. im 14. u. 15. Jahrhundert, Bd. I
S. 247, nach KRIEGK, Deutsches Bürgertum im Mittelalter, N. F. (1871)
S. 448f.
Hansische Handelsgesellschaften. 295
des ,Hauptguts“ im Geschäft zu lassen. Zu den ,Erbgütern“
aber gehôren auch die Landgüter und Dôrfer, die um jene Zeit
Bürger so vielfach — eben dank ihrem Handelsgewinn — er-
werben.
Genau so war indessen schon jener Regensburger Kauf-
mann Willihalm verfahren — ein Freigelassener, kein „Alt-
geschlechter“ oder Landadliger —, der im Jahre 983 seine
curtilia infra murum et extra praedictae urbis aedificiis sive .
aliter possessa et praedia huic adiacentia et Püchilinga et Eccol-
vinga cum mancipiis in pago Tüonahgowi in comitatu Paponis,
et Atasveld in pago Nordgewi in comitatu Heinrici, et Alpurc
et Perc in pago Tûonahgewi in comitatu Liudpoldi
der Abtei S. Emmeram vermachte !).
Da indes SOMBART an jedem aus den Quellen gewonnenen
Augenschein — dem ja doch keine durch statistische Vollständig-
keit erlangte Sicherheit innewohnt — wenig liegt, sofern er mit
der Theorie in Widerspruch steht, — SOMBART sagt in einem
andern Falle einmal: „Die ökonomische Ratio geht hier aus-
nahmsweise mit dem Quellenmaterial parallel“ *): — so wollen
wir ihm weiter auf dem theoretischen Felde nachgehen.
Hier würde die Sache zunächst, wie folgt, liegen.
Daß die ganze städtische Entwicklung eine Blüte von Handel
und Gewerbe zur Voraussetzung hat, gibt natürlich auch SOMBART
zu. Dann würde sich die Frage so stellen: Der städtische
Reichtum war also in erster Hand das Erzeugnis von Handel
und Gewerbe. Mußten indes etwa die Handel- und Gewerbe-
treibenden einen so großen Bruchteil ihrer Einnahmen für Miete
oder Bodenpacht an die Grundbesitzer abführen, daß diesen
allein aller Gewinn zufloß, von den „Kaufleuten“ aber keine
nennenswerte Anzahl etwas Erhebliches zurücklegen konnte?
Das würde vor allem voraussetzen, daß Grundeigentümer
und „Kaufleute“ zwei getrennte Klassen wären. Diese Voraus-
setzung aber trifft nicht zu. Die Kaufleute waren zugleich selbst
1) Meine Urkunden zur städt. Verfassungsgeschichte, Nr. 73. Dort
steht entsprechend der Vorlage „praedicta* statt dem „praedia* der Vor-
urkunde, MG. DO I 298.
2) 8. 177?.
296 F. Keutgen
Grundeigentümer. Für die meisten kam die Zahlung von Grund-
rente an Dritte gar nicht in Frage, abgesehen von einem rein
nominellen Arealzins an den Stadtherrn. Geradezu unglaublich
ist es, daß SOoMBART sie sich als Besitzlose mit den Zünften
gegen die Geschlechter erheben läßt ').
In den weiteren Kreisen der Gewerbetreibenden indes gab
es ebenfalls wohlhabende Haus- und Grundbesitzer neben be-
sitzlosen Proletariern. Es gab reiche und arme Gewerbe. Es
gab, trotz aller Zunftregulierungen, auch innerhalb desselben
Handwerks Groß und Klein: ein Umstand, der allein schon be-
weist, daß auch hier Ersparnisse möglich waren. Ich erinnere
an die Frankfurter Wollenweber, die 1432 für jede Messe je 4,
8, 10, 12, 16, 24 und 36 Tuche herstellen konnten und durften,
je nach dem Beitrage, den jeder zu Zunftzwecken zu zahlen im
Stande war?).
Überhaupt aber ist die ganze These widersinnig. Handel
und Gewerbe, die Städte, hätten gar nicht aufblühen können,
wenn es nicht möglich gewesen wäre, durch Handel und Ge-
werbe zu Wohlstand zu gelangen, mithin Vermögen zu akkumu-
lieren. Mir wenigstens scheint das weiter keines Beweises be-
dürftig. Für den Durchschnittsgewerbetreibenden könnte es nur
dann als ausgeschlossen erachtet werden, wenn die sämtlichen
Handwerker und Krämer als Heimarbeiter für Rechnung der
„Grundbesitzer“ als kapitalistischer Unternehmer gearbeitet hätten,
was natürlich nicht der Fall war und auch SoMBART in seine
These durchaus nicht passen würde. Freilich noch viel weniger,
daß wirklich in einer Reihe von Städten, Straßburg, Speyer,
Ulm, Köln, Frankfurt, bis zum 14. Jahrhundert von zu-
sammengehörigen Handwerken, wie Weber und Wollschläger,
je das es zu Wohlstand brachte, das es verstanden hatte, das
andere mit seinem Betriebe von sich abhängig zu machen. Und
zwar war das geschehen mit durchaus kapitalistischer Tendenz
durch Pflege der kaufmännischen Seite *).
1) S. 288.
2) Meine Urkunden zur städtischen Verfassungsgeschichte Nr. 286,
S. 387.
3) Mein „Großhandel“, S. 97 ff.
Hansische Handelsgesellschaften. 297
SOMBART aber möchte im Interesse seiner Hypothese die
Kaufleute zu Handwerkern und beide in ihrer Gesamtheit zu
möglichst proletarierhaften Existenzen herabdrücken.
Deshalb muß es nach ihm auch „in den mittelalterlichen
Städten, wenigstens soweit sie Handel trieben, von Händlern
und Handelshilfspersonen förmlich gewimmelt“ haben'). Die
„wimmelnde Schar kleiner und kleinster Händler“ wird mit
der verglichen, „wie sie auf den Jahrmärkten von Konitz und
Krotoschin uns heute begegnen“ ?).
Deshalb müssen Venediger Urkunden des 10. Jahrhunderts
herhalten, um zu beweisen, „daß nur wenige Kaufleute auch nur
ihren Namen unterschreiben konnten“*). Der Tuchhändler muß
„sich wohl auch einmal wieder hinter den Webstuhl“ gesetzt
haben‘): eine Verkennung einer der elementarsten Tatsachen
der Handels- und Gewerbegeschichte, durch die wir belehrt sind,
daß gerade Tuchhändler und Weber sich auf das schroffste
gegenüberstanden. In manchen Städten durften zwar die Weber
ihr eigenes Erzeugnis auch ellenweise verkaufen; in einigen
haben zwar nicht sie, aber die Wollschläger mit Erfolg sich so-
gar auf den Export geworfen. Jedoch nirgends haben die
Tuchhändler, die Gewandschneider, deren Hauptgeschäft in dem
Handel mit fremden Tuchen bestand, sich zu der mechanischen
Tätigkeit des Webens herabgelassen oder auch nur herablassen
dürfen °).
Man wird erinnert an BÜCHER, der einmal den bäurischen
Kleinhändler auf dem Wochenmarkt als Typus des „mittelalter-
lichen“ Kaufmanns hinstellt. Und warum? Weil in einer Frank-
furter Wochenmarktsordnung von 1420 die Händler als
Kaufleute bezeichnet werden‘). Daß „Kaufmann“ ein weiter Begriff
1) S. 169.
2) S. 174. Vgl. noch S. 227 Z. 5: „das wimmelnde Volk von Händlern“.
3) SOMBART, S. 178 nach Font. rer. Austr. XII. S. 22ff. u. 28 ff.
Woher weiß SOMBART übrigens, daß die Zeugen der beiden Urkunden, die
nur mit einem Kreuz unterschrieben, Kaufleute waren? Es müssen unter
den Zeugen auch andere gewesen sein, z. B. Schiffer.
4) SOMBART, S. 177.
5) Mein „Großhandel“ S. 92 ff.
6) Bücher, Die Entstehung der Volkswirtschaft, 3. Aufl. (1900) S. 139 ff. —
298 F. Keutgen
war, ist längst bekannt; für den Wochenmarkt aber konnten
doch die höheren Klassen der Händler nicht in Frage kommen.
In der Tat ein eigenartiges pars pro toto! Es ist nicht richtig,
daß sich an die Bewohner der Städte „der Name der Markt-
oder Kaufleute in dem Maße mehr“ anheftete, „als die Bedeutung
des Marktes für ihren Nahrungsstand zunahm“. Vielmehr finden
sich die Bezeichnungen „mercatores, negotiatores, emptores“
statt Bürger gerade in der Frühzeit der Städte, ehe die Berufs-
arten, in die sie sich schieden, schreibenden Klerikern deutlich
geworden waren. Und mag auch gelegentlich die ganze Menge
der auf dem Markte Handelnden als mercatores zusammengefaßt
werden — nicht deshalb werden sie Kaufleute genannt, weil
sie ihre Lebensbedürfnisse in größerem Umfange einzukaufen
gezwungen waren als die Bauern. Wenn die Bezeichnung für
den Stand „Kaufmann“ lautet und nicht „Verkaufmann“, trotz-
dem, wie BÜCHER sagt, sein „hervorstechendstes Merkmal ... in
seinem Verhältnis zum Publikum . . nicht seine Gewohnheit
zu kaufen, sondern zu verkaufen“ ist, so rührt das sehr einfach
daher, daß man ursprünglich die zweiseitige Handlung unter
dem einen Begriff des ,Kaufs“ zusammenfaßte: ganz natürlich,
denn beim Tausch von Ware gegen Ware gibt es zwischen
kaufen und verkaufen keinen Unterschied. Wollte man trotzdem
wie BÜCHER aus der Bevorzugung des einen Ausdrucks vor dem
andern einen Schluß ziehen, so müßte es doch der sein, daß
man unter einem Kaufmann ursprünglich gerade den Berufs-
Vgl. auch meine Untersuchungen über den Ursprung d. deutschen Stadt-
verfassung (1895) Kap. VIa und b. Ferner die oben S. 284 Anm. 4 zitierte
Abhandlung von SIEVEKING passim. BÜCHER behauptet, die neuere Literatur
über die Entstehung der deutschen Städteverfassung habe die sehr weite
Bedeutung des Wortes Kaufmann übersehen! Unrichtig ist auch, daß „1075
der Abt von Reichenau mit einem Federstrich die Bauern von Allensbach
und ihre Nachkommen in Kaufleute verwandeln kann“ (BÜCHER, 8. 139 Anm.).
Er gab ihnen nur die Erlaubnis, im Schutz bürgerlichen Rechts bürgerlichem
Erwerb nachzugehen. Aber das führte zu nichts. 25 Jahre später gründete
einer seiner Nachfolger deshalb Radolfzell und sorgte diesmal für Ansiedler
von auswärts, wie wieder 20 Jahre später Konrad von Zähringen in Frei-
burg.
Hansische Handelsgesellschaften. 299
kaufmann verstand, der erst kaufte, was er verkaufen wollte,
nicht den Handwerker und Hôker, der nur
vendiderit ...res, quas vel manibus suis fecerit vel que
creverint ei,
der schon in dem ältesten Straßburger Stadtrecht so schön von
dem mercator, der
res... causa lucri emerit
unterschieden wird ?.
Wenn man unterschied, war jedenfalls nur dieser der Kauf-
mann und galt als Typus des Kaufmanns: dafür bürgt die
Schilderung BERTHOLDS VON REGENSBURG, eines Mannes, der
nicht hinter Klostermauern schrieb, sondern das Leben kannte:
Wir möhten der koufliute niemer enbern, wan sie
füerent üz einem lande in daz ander daz wir bedürfen,
wan ez ist in einem lande daz wolveile, sö ist in einem andern
lande jenz wolveile; unde dävon sullent sie diz hin füeren und
jenz her?).
Die Herren von Krotoschin und Konitz kenne ich nicht.
Freilich, wollte man einwenden, daß nicht ihresgleichen die
Träger der großen städtischen Geschichte des 12. bis 15. Jahr-
hunderts gewesen sein, die Kriege der Hanse geführt und im
Rheinischen oder Schwäbischen Bunde sich Fürsten entgegen-
gestellt und mit Königen verhandelt haben können, so würde
SOMBART erwidern, daß nicht die Händler- sondern die Grund-
besitzerklasse diese Politik gemacht habe. Jene „handwerks-
mäßigen Händler“ aber, „die in der früheren Zeit“ [d. h. bis Ende
des 15. Jahrhunderts in den Ländern nördlich der Alpen, bis ins
14. Jahrhundert hinein in Italien]?) „allein da sind, aber natür-
1) Meine Urkunden zur städt. Verfassungsgeschichte Nr. 126 $ 52 u.
die vorangehenden $$.
2) BERTHOLD VON REGENSBURG. Vollständige Ausgabe seiner Predigten.
Von Franz PFEIFFER (Wien 1862) S. 18 f.
3) SOMBART 8. 164f. Ferner S. 188: „der berufsmäßige Handel des
Mittelalters, genauer gesprochen der Handel Italiens bis tief in das 14., der
des übrigen Europa(s) bis in das 16. Jahrhundert hinein, trägt das unverkenn-
bare Gepräge der Handwerkshaftigkeit*. Vgl. aber auch S. 399 und Nuc-
LISCH (oben S. 289 Anm. 1) S. 247. Ferner unten S. 301.
300 F. Keutgen
lich auch in späterer Zeit nicht verschwinden“, dürfen deshalb
„so gut wie gar keine Beziehungen zu dem reichen Kaufmanns-
stande haben, den wir am Ende des Mittelalters in den großen
Städten antreffen“; es darf „keine Brücke zwischen jenen beiden
Gruppen“ geben, „ja nach der ganzen Struktur der mittelalter-
lichen Gesellschaft nicht“ haben geben können; und der „Gegen-
satz zwischen Reichen und Armen“ darf bei Leibe nicht „das
Ergebnis eines Differenzierungsprozesses ursprünglich homogener
Elemente“ gewesen sein'). Es braucht kaum gesagt zu werden,
daß das nichts als petitio principii ist. Ebenso, wenn SOMBART
auch für die ältere Zeit die Existenz „weniger größerer . . .
Kaufleute“ neben der Masse der bloß handwerksmäßigen Händler
zwar zugibt, sie aber schlechtweg als „meist gar nicht berufs-
mäßig“ bezeichnet?). Oder wenn es heißt, daß das Vermögen
der Händler „ja noch [!] großenteils in Liegenschaften angelegt
war“). Oder daß in Augsburg Ende des 15. Jahrhunderts
von den „70 Personen, die ein Vermögen von je mehr als
6000 fl. . . . besitzen... ., sicher [!] nur ein kleiner Teil der
Berufshändlerkaste“ angehörte‘).
Über die Berufsmäßigkeit der größeren Händler später: erst
müssen wir dem Problem noch von einer andern Seite näher
treten.
VI.
Haben wir bisher aus der allgemeinen Sachlage geschlossen,
daß der städtische Reichtum notwendig das Erzeugnis von
Handel und Gewerbe gewesen, und daß von diesem Arbeitser-
trag nicht etwa der größte, oder überhaupt ein erheblicher Teil
aus den Händen der „Arbeiter“ in die einer Grundbesitzerklasse
übergegangen ist, so bleibt dennoch übrig, unabhängig davon
zu untersuchen, ob nach den damaligen Verhältnissen an sich
1) S. 284.
2) S. 174. HÄrKE bemerkt umgekehrt mit Recht, daß gerade die ganz
kleinen Geschäftsleute nicht alle berufsmäßige Händler waren. Am oben
S. 289 Anm. 1 a. 0. S. 1081.
8) S. 171. Es handelt sich um das Jahr 1429.
4)A.2.0.
Hansische Handelsgesellschaften. 301
ein beträchtlicherHandelsgewinn wahrscheinlich war.
Denn eben hieran ist für unsere besonderen Zwecke weit mehr:
gelegen als an der Beantwortung der Frage, ob sich allenfalls:
auch aus Grundrenten ein Vermögen ansammeln konnte.
Zunächst: stand in Deutschland im 13. oder 14. Jahrhundert
von einem bestimmten Kapital ein größerer Gewinn zu erwarten,
je nachdem man es in Grundrenten oder im Handel anlegte? _
Hierauf antwortet in klassischer Kürze eine der Handels-
geschichte seit langem bekannte Stelle der Vita 8. Juettae
(gest. 1228) verfaßt von ihrem Zeitgenossen HuGo, Kanonikus-
in Floreffe!): Als Witwe gestattet die Heilige aus Sorge für
ihre Kinder,
ut pecunia, quae sibi provenerat ex substantiola sua, publicis
negotiatoribus accommodaretur, ut supercrescentis lucri nego-
tiantium particeps esset, sicut multi et honesti secundum
saeculum idem facere consueverant.
SOMBART würde diese Stelle ohne Zweifel sehr willkommen
heißen, wenn sie von Zuständen des ausgehenden 15. Jahr-
hunderts spräche. Juetta lebte in Huy; ihr Vater, dessen Rat
sie in der Sache befolgte, war Kellerer des Bischofs von Lüttich.
Ich meine, man wird diese Gegenden doch wohl kaum zu dem
Flandern rechnen, wo SOMBART einmal neben Italien bereits-
seit dem 13. Jahrhundert und noch früher „in größerem Stile
Geld- und Handelsgeschäfte gemacht“ werden läßt”): es wäre
sonst nur noch ein Schritt, auch zugunsten Kölns, kurz aller am
Handel reger beteiligten Gebiete, eine Ausnahme zu konstatieren;
z.B. Medebach, wo es ja schon Mitte des 12. Jahrhunderts üblich
war, einem Mitbürger sein Geld zu geben „ut inde negotietur“ °).
Auch wird man nicht zweifeln dürfen, daß wirklich kein Fall
von „akkumulierter Grundrente“ vorliegt. Das Wesentliche ist
1) AA. SS. 13 Jan. I p. 868: Juetta, nicht Ivetta, wie sich in der
Literatur fast allgemein findet, der Bollandist aber nur mit den Capitalen
der Überschrift druckt.
2) SOMBART, S. 291. Um ein Geschäft „größeren Stils“ handelt es sich
hier natürlich auch nicht.
3) Stadtrecht von 1165 $ 15. Meine Urkunden zur städtischen Ver--
fassungsgeschichte Nr. 141.
‘302 F. Keutgen
doch, daß in einer mitteleuropäischen Landschaft Anfang des
13. Jahrhunderts ganz allgemein die Beteiligung am Handel für
gewinnbringender gegolten hat als die Anlage desselben Kapitals
in Grundrenten. Und noch dazu für „mündelsicher“.
Es konnte ja auch nicht anders sein: man braucht wiederum
nur einen Blick auf die wohlbekannten allgemeinen wirtschaft-
lichen Verhältnisse jener Zeit zu werfen: die tausendmal be-
schriebene Verarmung der kleineren Grundherren, ihr Haß auf
die „Pfeffersäcke“. Größeren Grundherrschaften, zahlreichen
Klöstern, erging es sogar noch schlimmer: sie verfielen dem Ruin,
wenn sie nicht — wie mehrfach geschildert — es verstanden,
rechtzeitig ihren Betrieb in rationellere, kaufmännischere Geleise
überzuführen !).
Später ist es wohl den Grundbesitzern wieder besser ge-
gangen — auch das ein vielfach behandeltes Thema — aber
doch eigentlich erst dann, als auch nach SOMBART es sich ge-
lohnt (sich zu lohnen angefangen) hätte, überschüssige Kapitalien
im Handel anzulegen. Und jetzt fingen auch sie, die — anders
als jene städtische Witwe — nach ihrer sozialen Stellung in
der Hauptsache doch einmal auf Grundrenten für ihren Lebens-
unterhalt angewiesen bleiben mußten, häufiger an, sich spekulativ
an Handelsunternehmen zu beteiligen; denn erst jetzt vermochten
sie das dazu nötige Geld, so wenig es war, zu erübrigen. —
Um die Geringfügigkeit des Handelsgewinns für den Durch-
schnittskaufmann recht drastisch zu erweisen, bedient sich Sou-
BART eines jener Blender, mit deren Hilfe er es liebt, die Lektüre
seines Buches schmackhafter zu machen.
Er zitiert ein Rechenexempel LEONARDO PısAanos, eines Rechen-
meisters aus dem Anfange des 13. Jahrhunderts:
Quidam pergens negotiando Lucam, fecit ibi duplum et expendit
inde d. 12. Qui egrediens inde, perrexit Florentiam fecitque
1) Statt aller: H. PIRENNE, le livre de l’Abb& Guillaume de Ryckel
1249—1272) Polyptique et comptes de l’abbaye de Saint-Trond. Gent 1896.
Unterbleiben der Reform mit folgendem Ruin in Werden: R. KÖTZScHKz,
Studien zur Verwaltungsgeschichte der Großgrundherrschaft Werden an der
Ruhr. 1901.
Hansische Handelsgesellschaften. 303:
ibi duplum et expendit d. 12. Cum rediret Pisas et ibi faceret
duplum et expenderet d. 12, nil ei proponitur remansisse').
Dieses Exempel, sagt SOMBART, habe ihm „wie mit einem
Blitzlicht die mittelalterlichen Handelsverhältnisse zu erhellen“
geschienen ?).
Nun ist aber auf den ersten Blick klar, daß es sich um kein
Beispiel aus der Praxis, sondern nur um ein witziges Mittel
handelt, den Witz der Leser, der Lernenden zu üben. Der ganze
Kunstgriff beruht auf der Annahme eines minimalen Anfangs--
kapitals, eines so kleinen, wie es in Wirklichkeit auch im.
13. Jahrhundert niemals ein Kaufmann auf die Handelsreise mit--
genommen hat — nämlich zehn und einen halben Pfennig!
Mit 10'/s Pf. „Kapital“ verließ der Quidam Pisa. In Lucca
verwertete er es mit 100°/, Gewinn, hatte aber 12 Pf. Aus-
lagen; so blieben ihm nur noch 9 Pf. Damit zog er nach
Florenz weiter, gewann wieder 100°/,, mußte aber auch wieder:
12 Pf. ausgeben. Mit den 6 Pf., die ihm jetzt noch übrig waren, .
kehrte er nach Pisa heim. Noch einmal gelang es ihm, sein
Kapital durch glücklichen Handel zu verdoppeln; da er aber‘
zum drittenmal 12 Pf. verbraucht hatte, so besaß er zuletzt
nichts.
Und das soll typisch für „mittelalterliche* Handelsverhält--
nisse sein! Wie konnte denn überhaupt irgend ein Handel
leben, auch nur in den bescheidensten Grenzen, wenn die Un-
kosten höher waren als das Kapital? Nein, schon wenn
unser pisanischer Freund statt mit 10!/» Pf. mit dem doppelten
„Betriebskapital“, mit 21 Pf., ausgezogen wäre, so würde es.
sich nach dem dreimaligen Umsatz vervierfacht haben (21 >< 2
= 42 — 12 = 30 x 2 = 60 — 12 = 48 x 2 = 96 — 12 = 84).
Und wenn er etwa gar 21 f& aufgewandt hätte, ein immer noch
kleiner, aber doch unter wirklichen Verhältnissen annehmbarer
Betrag, so würde ihm — denn warum sollten seine Spesen sich
dadurch erhöhen? — gelungen sein, es beinah zu verachtfachen
218 <2=-2 F — 12 Pf. = A1 1981 x 2-83
1) I, 8. 218; vgl. S. 191.
2) S. 226.
304 F. Keutgen
18 6 — 12 Pf. = 838817 x 2 = 167 8 14ß — 12 PL.
= 167 ff 13 ß. Fehlen an der Verachtfachung 7 ß).
Selbstredend beschränkt sich SOMBART nicht auf dieses „Bei-
-spiel“ und behauptet auch nicht, daß im 13. und 14. Jahr-
hundert alle geschäftlichen Unternehmungen so schlecht abge-
laufen seien. Er gibt vielmehr eine ganze Reihe höchst dankens-
werter Gewinnberechnungen nach Handlungsbüchern und andern
‚Quellen. Aber sein Hauptbeispiel einer detailierten Spesenbe-
rechnung nach Uzzano von 1442 für den englisch-florentinischen
Wollhandel krankt wieder an einem gerade SomBARTS Theorie
schädigenden Umstande ').
SOMBART rechnet bei einem enormen Preisaufschlage einen
mäßigen Gewinn von 5!1/—22°/o oder im Durchschnitt von
13*/1°/, heraus. In den Spesen aber steckt eine Seeversiche-
rungsprämie von 12—15°/, des Wertes. Fiele diese fort, so
würde sich also der Gewinn sehr wesentlich erhöhen. Mit
andern Worten: der Umstand, daß das Beispiel dem „Spätmittel-
alter“ angehört und Verhältnissen, „die schon eine hochent-
wickelte Organisation des Frachtverkehrs und der Seeassekuranz
aufweisen“, hat gerade dazu beigetragen den Verdienst nicht
höher, sondern niedriger zu gestalten, ganz nach dem wohlbe-
kannten Paradigma: je größer die Sicherheit, desto niedriger
der Gewinn. Für eine frühere Zeit, für primitivere Verhält-
nisse also kann man bei größerer Unsicherheit auf einen höheren
Gewinn rechnen. Wenn es gut abläuft!
Hieran aber hängt eine der allerwesentlichsten Folgerungen!
Schon bei dem Beispiel aus Uzzano muß die große Varia-
bilität des Gewinns auffallen. Nun aber behauptet ja niemand,
daß in jener Epoche alle Geschäfte großen Gewinn abgeworfen,
daß alles im Handel angelegte Kapital zu Akkumulationen ge-
führt habe, daß alle Kaufleute reich geworden seien.
Im Gegenteil! Bei der außerordentlichen Unsicherheit des
Verkehrs, bei den vielfachen Gefahren zu Wasser und zu Lande,
den Chikanen der Gewalthaber mancherlei Art ist ja mit einem
großen Prozentsatz von totalen Verlusten zu rechnen, auch Ver-
1) S. 221f.
Hansische Handelsgesellschaften. 305
lusten am Leben. Man kann nur staunen, allein schon nach
dem was man wieder und wieder vom Raubrittertum liest, daß
überhaupt ein ersprießlicher, einigermaßen regelmäßiger Handels-
verkehr möglich war. Man wundert sich schließlich, daß noch
Leute wagten, mit begehrenswerten Waren in die Welt hinaus-
zuziehen.
Dazu die Schrecknisse der Seefahrt, die Kriegsgefahren: es
kostet einen Aufwand von Vorstellungskraft, alle dem gegenüber
sich die Wirklichkeit einer Handelsblüte in irgend einem Sinne,
an deren Existenz ja freilich trotzdem nicht zu zweifeln ist, vor
Augen zu halten. Überhaupt eins der interessantesten Probleme,
das jedoch in den Geschichtsbüchern meist nur in einem schemen-
haften Hintergrunde zu bleiben pflegt: wie vereinigen sich zahl-
lose Gewalttaten mit dem im ganzen doch wohlgeordneten und
in beständiger Weiterbildung begriffenen Wirtschafts- und Rechts-
leben!)?
Wie zahlreiche Kaufleute also, von denen wir nichts wissen,
mögen auf ihren Fahrten zugrunde gegangen sein! Wie viele
mehr das eine Mal gewonnen, das andere Mal verloren haben.
Allein das läßt immer noch die Möglichkeit eines ansehnlichen
Überrestes von solchen, die regelmäßig Glück hatten, bald mehr,
bald weniger gewannen, und zuletzt sich ein Vermögen an-
sammelten. Mehr aber wird nicht verlangt!
Nur muß für den Durchschnitt doch noch einmal betont
werden, daß regelmäßig auf einen mäßigen Gewinn mit ziemlicher
Sicherheit gerechnet werden konnte. Nicht nur wäre sonst die
ganze städtische Entwicklung unmöglich gewesen; nicht nur
weist jene ,Mündelsicherheit“ im Falle der heiligen Juetta
‚darauf bin: sondern vor allem auch das System der Ver-
gesellschaftungen, das wir noch näher kennen lernen werden,
das ein Vorwiegen glücklicher Ausgänge zur Voraussetzung hat,
and bei dem wir auch an wiederholten Abschlüssen zwischen
denselben Teilhabern die nicht unbedeutende Höhe der Gewinne
erschließen können?).
1) Korrespondenzblatt des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und
Altertumsvereine 1904 Sp. 21.
2) Vgl. auch SOMBART, I. S. 228.
306 F. Keutgen
Ein grundsätzlicher, methodologischer Gesichtspunkt aber ist
folgender.
Durchschnitte mögen sehr belehrend sein bei Untersuchungen
über die Lage des Handwerks: der Handel, zumal der Grof-
handel, der Fernhandel ist dafür zu vielgestaltig. Immerhin
läßt sich dieses sagen: die große Mehrzahl auch der ihm ob-
liegenden Kaufleute bringt es keineswegs zu Reichtum. Sie
sind zufrieden, wenn sie sich schlecht und recht durchschlagen,
ihre Kinder unterbringen und bestenfalls an ihrem Lebensabend
ein bescheidenes Einkommen verzehren können. Gewöhnlich ist
der einzelne dann nicht viel weiter, als wo sein Vater aufgehört
hatte. Hat er gut „verdient“, so lange er noch regsam war, 80
pflegen bei zunehmendem Alter Geschäft und Verdienst oft genug
zurückzugehn, und er kann sich freuen, wenn nicht plötzliche
Veränderungen der großen Handelswege ihn schon zu unelastisch
treffen, sich ihnen anzupassen. So ist es heute und so wird es
von je gewesen sein.
Die große Mehrzahl der eigentlichen Kaufleute, der Grossisten
an den alten Sitzen des Großhandels, in England wie in Deutsch-
land, und vermutlich in Frankreich ebenso, lernt und betreibt
auch heute noch ihren Beruf in „empirisch-traditioneller“ Weise?).
Die, die dem Handel neue Bahnen weisen und Reichtümer
sammeln sind eine Minderzahl. Sie freilich erregen die Auf-
merksamkeit wie der Moralisten und Theologen im Zeitalter der
Fugger, so der Nationalökonomen heute. Die andern aber, die
große Masse mit ihrem mäßigen Gedeihen, liefern für Blüte und
Aufschwung des Handels den sichern Grund.
SOMBART begeht den Fehler und verfängt sich in dem Wider-
spruch, daß er zwar für heute die Großkapitalisten, einschließlich
der ,Mammuth“detaillisten wie Whiteley, Wanamaker, Field,
als die Typen des Kaufmanns behandelt und die große Masse
der normalen kleinen und mittleren Grossisten übersieht: mit
einem gewissen Recht, insofern jene die Bewegung „machen“,
die zu schildern seine Aufgabe ist. Ähnlich mit den Fuggern
1) Bis ans Zopfige Wehe dem jungen Manne an einem deutschen
Kontor, selbst im Auslande, dem es einfallen sollte, einen deutsehen Brief
mit „lateinischen“ Buchstaben zu schreiben!
Hansische Handelsgesellschaften. 307
und Welsern und einigen ihrer Zeitgenossen. Dagegen vordem
will er umgekehrt nur die Kleinen und Allerkleinsten als Typen,
ja überhaupt als Berufskaufleute gelten lassen; die Führer des
hansischen Handels aber werden zu Gelegenheitshändlern herab-
gesetzt, nur weil er nicht will, daß der regelmäßige Handel aur
sich es zu etwas gebracht haben könne.
In bezug auf den Berufscharakter der Wittenborg und
Geldersen als Kaufleute, die zugleich Ratherren und Grund-
besitzer waren — genau wie die, die heute im Bremer, Hau-
burger oder Lübecker Senat sitzen — darf ich auf das ver-
weisen, was ich in den Hansischen Geschichtsblättern gegen
Bücher ausgeführt habe. Um so mehr als auf BÜCHER, so un-
haltbar dessen Schlußfolgerungen gerade über den Frankfurter
Großhandel sind, auch SOMBART wiederum fußt?).
SOMBART findet in dem Handlungsbuche „eines solchen Rats-
herrn“ nur alle 14 Tage einen Eintrag und fragt: „was hätte
der arme Mann mit seiner Zeit anfangen sollen, wenn er wirk-
lich ... Berufskaufmann gewesen wäre“?)? Und was, wenn er
es nicht war? Sal er, wie der Rentner der „Fliegenden Blätter“,
den ganzen Tag und verdiente sauer sein Brot mit Couponab-
schneiden? Den Gewandschneider — und das war doch schließ-
lich auch Ratherr Geldersen — und den Krämer läßt SomBarr
„hinter dem Ladentisch stehen und Elle und Wage fleißig
führen“°). Ja, glaubt er, daß es bei dem ein- und ausge-
gangen ist wie bei Wertheim? Wie verbrachten die Menschen
damals überhaupt ihre Zeit?
Schon HäÄrkeE, der überhaupt eine erfreuliche (leider so
seltene!) Vertrautheit mit dem Wesen der Kaufmannschaft und
dem Leben des Kaufmannsstandes zeigt, hat betont, wie viel
mehr Zeit man sich ehemals zu allen Geschäften nahm‘). .Wie
1) Mein „Großhandel“, S. 111f. — Daß Büchers Einschätzung des
Frankfurter Großhandels im 15. Jahrhundert unrichtig war, ergibt sich auch
aus HUMMEL, „Die Mainzölle von Wertheim bis Mainz“. Westdeutsche
Zeitschrift Bd. XI (1892), bes. S. 330 ff., S. 335.
2) S. 293.
3) S. 177.
4) A. a. O. (oben S. 289 Anm. 1) S. 1086 f.
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 21
308 F. Keutgen
langsam wird man gedacht und gesprochen, wie gründlich die
angebotenen und erhaltenen Waren geprüft, die Verpackung und
Verladung beaufsichtigt haben! Daß aber, auch wenn man nur
auf die großen Züge, die Abschlüsse selbst sieht, gerade Wit-
tenborgs Handelsbetrieb die Aufmerksamkeit eines ganzen
Mannes erheischt hat, hoffe ich in dem Schlußkapitel meiner
Abhandlung darzutun.
SOMBART aber greift noch zu einer weiteren Hilfshypothese.
VIL.
Zwischen den bloßen Gütertausch durch die Produzenten
selbst und den berufsmäßigen Handel sollen sich als dessen
Vorstufen einschieben zwei andere Entwickelungsstufen:
der Raubhandel und der Gelegenheitshandel').
Er erklärt, daß die „dem einseitigen Handel zugrunde
liegende* Idee die „dem natürlichen Menschen allein verständ-
liche ist: daß nämlich der Erwerb der als Verkaufsobjekt dienen-
den Waren nicht auf dem Wege eines freihändigen Kaufs zu er-
folgen habe, sondern tunlichst durch entgeltlose oder entgelt-
niedrige Wegnahme der Waren“?). „Entgeltniedrig“, d.h. Ab-
nahme gegen ein Scheinentgelt, Elefantenzähne gegen Glas-
perlen. Nun mag es ja gewiß dem „natürlichen Menschen“ sehr
angenehm sein, wenn er die Dinge, die er um hohes Entgelt
zu verhandeln hofft, seinerseits so gut wie unentgeltlich erwerben
kann; allein, daß das der ihm „allein verständliche“ Modus sei,
ist wiederum nichts als „petitio prineipii“.
Sind auch Raubhandel und Gelegenheitshandel als interes-
sante Begleiterscheinungen ohne weiteres zuzugeben, so fehlt doch
jede Notwendigkeit für ihre Annahme als Vorstufen des berufs-
mäßigen Handels.
Das Gegenteil ergibt bereits eine sehr einfache Erwägung:
schon rein psychologisch bedarf der Übergang vom Gütertausch
der Produzenten zum berufsmäßigen zweiseitigen Handel durch-
aus keiner Zwischenstufen. Wenn es „natürlich“ und „verständ-
1) S. 162 ff.
2) S. 164.
Hansische Handelsgesellschaften. 309
lich“ schien, schwere Arbeit zu leisten, um Waren für den Ver-
kauf herzustellen — und zwar regelmäßig, also berufsmäßig —,
so war es ebenso natürlich und verständlich, sie gegen ein billiges
Entgelt mit der Absicht des Wiederverkaufs berufsmäßig zu er-
werben. Oder, nachdem anfangs die Produzenten gewißer Waren
sie selbst gewohnheitsmäßig zum Verkauf auf ferne Märkte ge-
tragen hatten'), bedeutete es nur einen Schritt, bis einzelne An-
gehörige des Hauses berufsmäßig allein den Vertrieb, andere
allein die fernere Herstellung übernahmen.
Der Fortschritt vom Gütertausche zum Handel ist also auf
dem Wege der Arbeitsteilung erfolgt. Raubhandel und Gelegen-
heitshandel sind daneben aufgetreten, wie sie ja bis in die
neueste Zeit neben dem berufsmäßigen Handel weiterbestehen.
Aber der wirtschaftsgeschichtliche Fortschritt ward nicht durch
sie gegeben. Es steht eben mit ihnen wie mit so manchen
„Wirtschaftsstufen“, bei deren Konstruktion man logische und
historische Folge verwechselt hat. Es leuchtet ja so ein: „Güter-
tausch die einfachste Form, einseitiger Handel; Raubhandel, im
Grunde auch noch einseitig, nähert sich doch schon dem reinen
Handel; Gelegenheitshandel, zweiseitig, aber noch nicht berufs-
mäßig; berufsmäßiger zweiseitiger Handel, höchste Stufe“. Das,
wie gesagt, ist die logische Abfolge, aber der historischen ent-
spricht sie nicht! Warum nicht auch Neger und Rothäute für
Vorstufen des Kaukasiers erklären?
VIIL.
Auf Psychologie läuft eben bei SoMBART überhaupt alles
hinaus. Die Theorie von der Kapitalakkumulation aus Grund-
renten freilich war wohl ein fertig mitgebrachtes Dogma; doch
davon abgesehen, liegt neben verschiedenen kleineren, wie wir
1) Vgl. O. SCHRADER über den hesiodeischen Bauer, der „selbst
sein Schiff sich zimmert und selbst die Überproduktion seiner Arbeit nach
auswärts verfährt“. Linguistisch-historische Forschungen zur Handelsgeschichte
und Warenkunde I., S. 69. Bei Schrader bildet dann aber der Seeraub keines-
wegs den Übergang von diesem „einseitigen Handel“ zum zweiseitigen, wie
man nach der von SOMBABT, 8. 189f., eingehaltenen Reihenfolge glauben
könnte! Eher umgekehrt.
310 | F. Keutgen
soeben eins betrachteten, ein großes psychologisches Pro-
blem bei ihm allem übrigen zugrunde. Überhaupt darf man
sich durch die Fülle seines Materials ja nicht täuschen lassen:
SOMBARTs Methode ist keineswegs die induktive. Er verfährt
durchaus deduktiv, und seine in der Tat erstaunliche Belesenheit
dient im Grunde nur dazu, seine auf deduktivem Wege ge-
wonnenen Schlüsse zu illustrieren.
So richtig und wesentlich es daher sein mag und wirklich
ist, die Falschheit dieser Schlüsse auf dem umgekehrten Wege,
also quellenmäßig, aufzudecken; so bleibt doch als Hauptsache
die Aufgabe, den Kernfehler der ganzen Deduktion selbst —
nachdem deren Ergebnisse sich einmal als verkehrt erwiesen —
in ihrem Ausgangspunkt zu zeigen.
Die Entstehung des modernen Kapitalismus wird von
SOMBART zurückgeführt auf die Geburt des „spiritus capitalis-
ticus“ oder, wie er es auch wohl ausdrückt, des „economical man“.
Der Kapitalismus konnte erst entstehen, nachdem in den Menschen
der kapitalistische Unternehmungsgeist geboren war. Das
ist der Angelpunkt des ganzen SomsArTschen Buches.
Dieser kapitalistische Geist muß also irgendwann einmal ge-
boren sein; es muß eine Zeit gegeben haben, wo er noch nicht
lebte. Das kann natürlich nur das „Mittelalter“ gewesen sein —
was vor dem liegt, interessiert für die Entstehung des modernen
Kapitalismus nicht: die Geburt muß in dessen Ende fallen.
Und so sind denn die ersten Partien des Buches dem Nachweis
gewidmet, daß in diesem „Mittelalter“ von kapitalistischem Geist
weit und breit keine Spur sich findet.
Nun wird man gerne zugeben: ohne kapitalistischen Unter-
nehmungsgeist kein Kapitalismus, einerlei ob man im übrigen
die „psychologische“ Methode der Erklärung geschichtlicher
Vorgänge für mehr oder weniger erschöpfend hält. Man wird
ferner als selbstverständlich anerkennen, daß in einer Epoche,
wo der Kapitalismus herrscht, der kapitalistische Geist weiter
verbreitet und intensiver ausgebildet ist, als zu Zeiten, wo der
Kapitalismus noch eine verhältnismäßig geringe Rolle spielte.
Allein, wenn man nach diesen Voraussetzungen eine Geburts-
stunde des kapitalistischen Geistes feststellen will, so wird man
Hansische Handelsgesellschaften. 311
veit weniger von vorgefaßten Meinungen ausgehen müssen, als
# in diesem Falle geschehen ist. —
Schon in seinem „Geleitwort“ springt dieser Gedanke der
xeburt des kapitalistischen Geistes zu einem bestimmten Zeit-
yunkt als der zentralwirksame heraus. SOMBART sucht nach
inem ordnenden Prinzip. Er verwirft — für seinen Zweck
nit Recht — das teleologische und hält sich an das kausale'):
nit der selbstverständlichen Einschränkung, daß auch der kausal
xruppierende „bestimmte Komplexe von Phänomenen“ stets „in
eleologische Gedankenreihen“ einzugliedern haben wird?). Als
etzte Ursachen aber, „auf die wir soziales Geschehen zurück-
ühren wollen“, erklärt er — natürlich nicht ohne weitere Be-
ründung — „die Motivation lebendiger Menschen“ an-
ehen zu wollen, „menschliches Handeln bezw. die Motive oder
‚weckreihen, unter denen es erfolgt“?).
Es liegt aber im Interesse der Einheitlichkeit der Erklärung,
enes „obersten Postulats theoretischen Denkens“*), daran,
mter den vielen zusammenwirkenden Motiven eines als das
ührende herauszugreifen. Wollte man jedoch „das gesamte
oziale Leben oder wenigstens das Wirtschaftsleben aus einer
inzigen Motivreihe“ ableiten, so hieße das „ganz gewiß den
heoretiker zu einem unerträglichen Banausentum verdammen“°).
fehr Aussicht auf einen befriedigenden Ausweg aus diesem
Jılemma bietet es dagegen, wenn es gelingen sollte, „je für
'estimmte, historisch abgrenzbare Wirtschafts-
‘erioden je verschiedene Theorien zu formulieren“.
Ind das Ziel lautet also: „einheitlich geordnete Erklärung
us den das Wirtschaftsleben einer bestimmten
‚poche prävalent beherrschenden Motivreihen der
ührenden Wirtschaftssubjekte“®).
Die Abgrenzung einer solchen Wirtschaftsperiode aber, die
312 F. Keutgen
Feststellung ihres Beginnes, erfolgt durch „kausalen Regressus“.
Den Punkt, „wo wir [!] die prävalenten Triebkräfte einer
Wirtschaftsperiode ihre Wirksamkeit beginnen lassen“ [!],
finden wir durch Rückverfolgung der wirtschaftlichen Erschei-
nungen nach Wirkung und Ursache bis dahin, wo „eine Reihe
von Umständen sich als vorhanden ergibt, deren Auflösung in
der oben gekennzeichneten Art aus Gründen der wissenschaft-
lichen Arbeitsteilung nicht möglich ist, die also vom sozialen
Theoretiker als originäre Bedingungen der Wirksamkeit jener
treibenden Motive notwendig zu konstituieren sind“).
Mit all dem kann ich mich, bis auf einen durch „[!]“ ge-
kennzeichneten Punkt, einverstanden erklären. Nicht jedoch mit
der Art, wie SOMBART in seinem konkreten Falle die Ab-
grenzung der Wirtschaftsperiode, die ihn interessiert,
bewerkstelligt.
Hier scheint mir sein Regreß nicht weit genug getrieben,
sind seine Gedankenreihen doch nicht ganz „lang“ genug aus-
gefallen. Er hat uns in seiner subjektivistischen Weise etwas
zu viel von dem „wir... beginnen lassen“ gegeben, statt
eines objektiven „es beginnen“. Er hat es mit der empirischen
Feststellung des Beginns zu leicht genommen. Er ist hängen
geblieben an dem Schema dreier „großer Epochen“, die
seit dem Niedergang der antiken Kultur in dem wirtschaftlichen
Leben der europäischen Völker aufeinander gefolgt seien: die
„bäuerlich-feudaler Organisation“; die „der handwerksmäßigen
Organisation“; und drittens die vorwiegend „kaufmännischen
Wesens“, „in der wir heute noch leben“ ?).
Versteht sich, daß er die Anfänge der dritten Periode in
der zweiten sucht. Allein dieses Schema hätte für ihn über-
wunden sein sollen. Die Beginnsetzung hätte weniger einfach
empirisch, sie hätte strenger theoretisch begründet werden
müssen. Und ich glaube, daß SomBarT eine strengere historische
Schulung, eine ausgebreitetere Quellenkenntnis jener Frühzeit,
ein reiner historischer Geist dazu verholfen haben würde.
1) S. XXVII.
2) 8. XXXIf.
Hansische Handelsgesellschaften. 313
Die theoretische Begründung! SomBaRT hat ihre Notwendig-
keit natürlich nicht übersehen: das ergibt sich ja schon daraus,
daß die Abgrenzung von Wirtschaftsepochen im allgemeinen
den Angelpunkt seines Systems ausmacht. Aber zuletzt findet
er die Grenze, den Punkt, über den sein Kausalregreß nicht
weiter kann, eben doch auf empirischem Wege.
Ließe er sich indes nicht auch theoretisch genauer bestimmen ?
SOMBART selbst bietet bis zu einem gewissen Grade die
Handhabe dazu, indem er sagt, daß der „kapitalistische Geist
als treibende Kraft des modernen Wirtschaftslebens“ sich zu
entfalten beginnen konnte nur in einer eigenartigen Welt, „d.h.
in einer bestimmten Natur, unter bestimmten Rassen,
mit einem bestimmten Ausmaß technischen Könnens, auf einem
bestimmten Niveau geistiger Kultur, im Rahmen einer be-
stimmten Rechts- und Sittenordnung“'). An einer andern Stelle
faßt er umgebende Natur, Eigenart der Rasse und Ausmaß tech-
nischen Könnens als naturale oder absolute Bedingungen des
Wirtschaftslebens zusammen‘). Allein da verlangt man nach
strengerer Unterscheidung. „Ausmaß technischen Kônnens“,
„Niveau geistiger Kultur“, ,Rechts- und Wirtschaftsordnung“
hätten mit als Gegenstand der Forschung gesetzt, in ein-
dringenderer Weise, als geschehen, dazu gemacht werden müssen:
umgebende Natur und Eigenart der Rasse allein sind wirklich
absolute oder primäre Bedingungen.
Daß diese Unterscheidung unterlassen ist, daß SOMBART hier
einen Gedankensprung gewagt hat, daran krankt zuletzt der
ganze historische Abschnitt seines Werkes.
Als primäre Bedingungen zweiter Ordnung erst — man ge-
statte diesen scheinbar nicht ganz logischen Ausdruck, der aber
sogleich seine Erklärung finden wird — wäre diesen beiden an-
zureihen eine gewisse Gesamtheit der Erzeugnisse menschlicher
Betätigungen, an deren Erforschung der Kausalregreß des
Sozialtheoretikers notwendig eine Grenze finden muß.
Ich begreife darunter einmal das Ausmaß menschlicher Er-
rungenschaften — einschließlich des technischen Könnens
1) S. XX VIII.
2) 8. XXV.
314 F. Keutgen
— das die in Frage stehende ,Rasse“, die wir von einer
bestimmten Natur umgeben vorfinden, bei ihrem Eintritt in
die „Geschichte“ mitbringt, dessen „vorgeschichtliche“ Weiter-
verfolgung sich regelmäßig der Arbeitsmethode unseres Forschers
entziehen würde. Ferner aber die Gesamtheit menschlicher Er-
rungenschaften, die jener Rasse auch später noch von aus-
wärts zugeflossen ist. Und endlich die Ereignisse der poli-
tischen Zeitgeschichte, die die Wandlungen der Wirt-
schafts- und Rechtsgeschichte mitbestimmt haben und doch
ebenfalls notwendig jenseits des Arbeitsgebietes des Sozial-
theoretikers liegen.
Es handelt sich bei der Anerkennung dieser „primären Be-
dingungen zweiter Ordnung“ also wesentlich um Arbeitsteilung,
wie bei SoMBaRrTs Einreihung des technischen Könnens unter
die absoluten Bedingungen auch. Sie sind nicht in sich primär
in demselben Grade wie umgebende Natur und Rasse, insofern
es sich bei ihnen um unmittelbare Produkte menschlichen Geistes
und menschlichen Wollens handelt. Es wäre ihnen gegenüber
nicht wie bei jenen nötig zu weiterer Erforschung in das Gebiet
der Naturwissenschaften hinüberzusteigen, wenn auch zum Teil
in das Grenzgebiet der Prähistorie, einschließlich der dem Sozial-
theoretiker ebenfalls notwendig fremden Sprachvergleichung. Sie
würden ihm bei nur einiger Erweiterung seiner Arbeitsmethoden
wohl zugängig sein. Allein er muß sie aus praktischen Gründen
als primäre gelten lassen.
Diese methodische Reinlichkeit der Unterscheidung jedoch
— und das ist nun die Hauptsache — hat, wie fast immer,
auch praktische Bedeutung. Es handelt sich ja um die Ab-
grenzung des Arbeitsfeldes selbst, und es ist wesentlich, daß
wir uns über die Gründe der Abgrenzung völlig klar sind.
Denn es läuft hier nicht etwa hinaus auf eine bloße bereicherte
Aufzählung der von SOMBART angenommenen primären Be-
dingungen; sondern die gegebene begriffliche Abgrenzung wird
es erst ermöglichen, die in Untersuchung stehende Entwicklung
wirklich bis in ihre letzten Wurzeln innerhalb des abgegrenzten
Gebietes zu verfolgen.
Denn indem SoMBART eine der kapitalistischen vorangehende
\
Hansische Handelsgesellschaften. 315
Wirtschaftsperiode mit einem „bestimmten Ausmaß technischen
Könnens“, einem „bestimmten Niveau geistiger Kultur“, einer
„bestimmten Rechts- und Wirtschaftsordnung“ konstatiert und
demnach hier die Anfänge der Erscheinung, die ihn eigentlich
interessiert, des Kapitalismus, sucht, ist die Folge, daß er diese
Periode, die er unter dem Begriff des „europäischen Mittelalters“
zusammenfaßt, möglichst scharf in Gegensatz zu der folgenden
-kapitalistischen“ setzt. Hier also liegt der letzte Grund seiner
schiefen Darstellung so vieler Erscheinungen innerhalb jener
Periode, und deshalb ist es ihm passiert, daß er so zahlreiche
Wurzelfasern des Kapitalismus abschneidet.
Es ist gerade angesichts des von SOMBART geforderten Kausal-
regresses nicht angängig, durch die Geschichte des Untersuchungs-
objektes, das zuletzt allein durch Eigentümlichkeiten der Rasse
und der umgebenden Natur sich begrenzt, willkürlich einen
Strich zu ziehen und zu erklären: hier kann ich anfangen. Wir
verlangen vielmehr, daß er, der Sozialtheoretiker, die Geschichte
der durch Rasseneigentümlichkeit verbundenen Völker als Ein-
heit faßt, daß er die Erscheinungen, deren Ursachen er nach-
spürt, zurückverfolgt, soweit sich innerhalb der Geschichte jener
Völker noch Spuren davon finden. Nur davon ist er der Natur der
Sache nach entbunden, daß er den Regreß weiter treibe bis in die
Prähistorie hinein, oder in das klassische Altertum oder die
Kultur der Byzantiner und Orientalen. Da darf er sich darauf
beschränken, festzustellen, was übernommen wurde: falls nicht
besondere Gründe dagegen sprechen.
Dann wird ihm auch die Wirtschaftsgeschichte jener Völker
als die Einheit erscheinen, die sie der Natur der Sache nach
sein muß. Und er wird davor bewahrt bleiben, künstliche Gegen-
sätze zu konstruieren, die der geschichtlichen Wirklichkeit wider-
sprechen.
IX.
Wenn es sich also um das Problem handelt, das Auftreten
des kapitalistisch empfindenden, kapitalistisch denkenden, kapi-
talistisch wollenden und handelnden Menschen zu verfolgen, 80
ist es gewiß richtig, daß SOMBART es ablehnt, mit einer umfassen -
316 F. Keutgen
den Analyse der menschlichen Psyche seine Untersuchung ein-
zuleiten!. Er hat es nur mit der Psyche des Volkes oder der
Völker zu tun, in deren Bannkreis der moderne Kapitalismus
geboren und großgeworden ist. Ob z. B. bei den Orientalen
angeborene psychische Rasseneigentümlichkeiten, oder klimatische
oder geologische, hydrographische Verhältnisse, oder etwa die
Wucht religiöser Vorurteile es verhindert haben, daß unserm
modernen Kapitalismus ähnliche Erscheinungen bei ihnen ent-
standen sind, liegt außerhalb seiner Befugnis zu ergründen.
Falsch aber ist es, innerhalb der Geschichte des einmal zur
Untersuchung stehenden Volkes radikale Abwandlungen der
Psyche anzunehmen. Wohl mag zu verschiedenen Epochen bald
die eine, bald die andere Seite jener Psyche stark in Aktion
treten: an der Einheit der Rassenpsyche selbst, über alle Epochen
hin, hat er als an einer Grundtatsache festzuhalten. Durch
nichts ist bisher erwiesen, daß zu verschiedenen Zeiten der
Grundcharakter der Seele eines Volkes sich verändert habe.
Und übrigens würde der Forscher mit einer solchen Annahme
auch gegen seinen Satz von der Rasse als einer seiner primären
Bedingungen verstoßen.
Hier aber eben liegt der Grundfehler SoMBARTS in der Be-
urteilung der „vorkapitalistischen“ Periode: in der Annahme
einer radikalen Umwandlung der Psyche der modernen Völker,
soweit sie wenigstens wirtschaftlich gerichtet ist. Nur einmal
entschlüpft ihm, entgegen all seinen sonstigen mühevollen Dar-
legungen — jedenfalls aus den Tiefen angeborener richtigerer
Erkenntnis heraus — die Frage: „warum sollte es denn anders
wie heute zugegangen sein?“, nämlich, daß dem, der da hat,
gegeben wird®). Auch in diesem Falle freilich ce n’est que le
premier pas qui coûte. Diesen ersten Schritt zu tun aber waren zu
allen Zeiten Viele bereit, und jeder auf seine Weise.
„Warum sollte es denn anders zugegangen sein
als heute?“ das ist die Frage, die man wieder und wieder
beim Lesen des 14. Kapitels, das von dem „Erwachen des Er-
1) 8. XX.
2) 8. 269.
Hansische Handelsgesellschaften. 817
werbstriebes“ handelt, an den Rand schreiben, dem ganzen.
Kapitel als Kontra-Motto vorsetzen möchte.
Ich übersehe nicht, daß SomBarT zugibt, daß überall „dem
Menschen die sehnende Sucht nach dem glänzend gleißnerischen
Golde innewohnt“!). Aber wenn „dieses Goldfieber“ zuzeiten
„einen akuten Charakter annimmt“, so ist das stets dann eingetreten.
wenn sich der Menschheit plötzlich ungewöhnliche Möglich-
keiten darzubieten schienen, den Goldhunger zu be-
friedigen. Das „ausgehende Mittelalter“ bietet da keine Be-
sonderheit: wir haben keinen Grund zu zweifeln, vielmehr wir
wissen, daß die „auri sacra fames“ genau so stark gefühlt und
ihrem Geheiß eben so eifrig gehorcht wurde schon auf dem
ersten Kreuzzug, ja schon auf jedem Zug der Völkerwanderung.
Gewiß sind es interessante Probleme, — oder nach SOMBART
Tatsachen — ob oder inwieweit infolge der vielen Glaubens-
kriege eine Verweltlichung der Lebensauffassung eingetreten sei”),
und ob der Protestantismus die Entwicklung des Kapitalismus
wesentlich gefördert habe’). Aber wenn wirklich „während
[NB] des europäischen Mittelalters die Wertung des Geldbesitzes
an Intensität zunimmt“ ), so hat wenigstens mir stets geschienen,
daß das geschehen ist nach Maßgabe der Zunahme der Mög-
lichkeiten das Geld zweckmäßig zu verwerten, und zwar
schon von den ersten Zeiten an. Und hier lägen doch wohl
die eigentlichen Einzelprobleme gerade für den Geschicht-
schreiber der Anfänge des Kapitalismus!
Wenn CaALvın geäußert hat: „quis dubitat pecuniam vacuam.
inutilem omnino esse?“, so ist das „eine historisch nachfolgende“
Erscheinung“ °) nur bei einem Theoretiker. Die Praktiker dagegen,
alle ordentlichen grundherrschaftlichen Verwaltungen haben stets so
gedacht, geistliche wie weltliche. Es ist falsch, daß alle „die
Fürsten und Könige, die Bischöfe und Päpste, die Klöster und
Orden, . . . in deren Händen ja die erste Akkumulation von
4) S. 381.
5) S. 379. Nach NEUMANN, Geschichte des Wuchers in Deutschland, S. 493.
318 F. Keutgen
größeren Geldbeträgen erfolgt“ ist, der Auffassung gehuldigt
haben, daß das Geld nur „zum Ausgeben da sei“!); oder wenn
‘sie so unerfahren dachten, so taten es doch ihre Verwalter nicht.
Der Gedanke dagegen, daß, wer reich ist, „damit das Privilegium
erworben habe, sich um wirtschaftliche Dinge nicht [zu] kümmern
zu brauchen“ ?), ist auch heute noch nicht ausgestorben: der
„Ideenkreis des Ritters“ aber darüber ist ebensowenig maß-
gebend für seine Zeit, wie für die unsrige der des Leutnants
oder des Studenten.
Nicht der entfernteste Beweis ist dafür erbracht, daß wir es
mit dem „Ergebnis einer ganz und gar neuen Gedankenreihe“
zu tun haben, „wenn man begreifen lernte: zur Vermehrung des
Geldes könne . . . auch die bisher unbewußt [!] geübte normale
— wirtschaftliche Tätigkeit dienen“°). Die Wegelagerei der
Raubritter hat unter dem Zwang der Staatsgewalt aufgehört,
nicht dank vertiefter wirtschaftlicher Einsichten auf seiten jener
Herren; während andere gewaltsame Mittel zu „rascher Bereicherung“
_ auch heute noch ihre Freunde finden. „Goldgräberei“ hat im
19. Jahrhundert üppiger geblüht als je im „Mittelalter“, während
„Bauernschinderei* und „Alchemisterei* sich zur höheren Bauern-
fängerei verbunden haben. Nein, ich wenigstens kann es mir in
der Tat nicht vorstellen, „welches ungeheure Raffınement dazu
gehörte, den Gedanken zu fassen: durch Wirtschaften sei Geld
zu verdienen“ “).
Gänzlich unzulässig ist es, sich darauf zu berufen: „In Italien
vernehmen wir schon im 14. Jahrhundert die Klagen der Mors-
listen über die zunehmende Sucht nach dem Golde“; oder
daß WIMPHELING seine Zeit beklagenswert nenne, „in welcher
das Geld zu regieren angefangen“. Wie kann ein ge-
schulter Forscher derartigen Klagen das Gewicht historischer
Zeugnisse beilegen ?
1) S. 378. ,Ausgeben“ natürlich im Gegensatz gedacht zu „gewinn-
bringend anlegen“.
2) S. 378.
3) S. 388.
4) S. 388.
5) S. 388.
Hansische Handelsgesellschaften. 319
SOMBART ereifert sich einmal über die Verquickung
ethischer Gesichtspunkte mit den nationalökonomischen bei
Untersuchung wirtschaftsgeschichtlicher Probleme’), und der-
gleichen trübt ja in der Tat manche wirtschaftsgeschichtliche Dar-
stellung. Doch bei SOMBART selbst, so sehr er sich kraft rich-
tiger Erkenntnis und geistiger Freiheit davon loszumachen strebt,
fühlt man durch alles einen ethisch orientierten Untergrund hin-
durch, und eben dadurch, scheint mir, wird er immer wieder
zu einer Überbewertung subjektiver Äußerungen verführt, die zu
seiner sonstigen Klugheit in merkwürdigem Gegensatz steht.
Genau wie mit WIMPHELING verhält es sich mit den Äuße-
rungen LUTHERS, der REFORMATIO KAISER SIEGMUNDS und.
Anderer. Ganz natürlich, daß der glänzende Aufschwung des
Handels, der unerhörte Einfluß der großen Handelsgesellschaften
lebhaftere Proteste auf seiten derer hervorriefen, die mit, dem.
Wesen wirtschaftlicher Vorgänge minder vertraut waren: genau
wie heute die Trusts, die Warenhäuser, die Konsumvereine, das
Termingeschäft, die Börse. Aber folgt daraus, daß bis dahin
das Streben nach kapitalistischer Verwertung des Geldes, das:
nur nicht so den Außenstehenden augenfällig gewesen war, über--
haupt nicht existiert hätte?
Zu allem Überfluß unterscheidet schon im 13. Jahrhundert
BERTHOLD VON REGENSBURG genau so zwischen erlaubtem und
unerlaubtem Handel wie KuPPENER im Anfange des 16.°):
“ Unde der koufman: swaz im ze gewinne gevellet an dem.
koufe, daz er durch gewin koufet âne gevaerde (daz mein ich:.
daz er niht für hät gekoufet ff die lenge der zit ff daz
naeher, unde niht gedinges gît üf daz jär umbe daz tiurre),
oder dämite dü nieman betriugest, daz häztü mit rehte, wan
man dînes amtes in keine wise geräten mac. . . . sullent sie
1) S. 210.
2) BERTHOLD VON REGENSBURG, Predigten. Ausgabe von FRANZ
PFEIFFER. Bd.1,S.18ff. In die Lücke gehört die oben S. 299 angeführte
Stelle bis „dävon“. Leider ist diese reiche geschichtliche Fundgrube ohne
Register! — Über KUPPENER, SOMBART S. 175! nach NEUMANN, Geschichte
des Wuchers, S. 594 f.
‘320 F. Keutgen
diz hin füeren und jenz her, dävon sullent sie ir lön ze rehte
haben: daz ist ir gewin, den sie ze rehte gewinnent“.
Geradezu unerschöpflich aber ist er in seiner Verdammung
des ,gîtigen“ :
Nû sich, gitiger! sit ich hiute anhuob ze predigen, stt bist
dû vil lihte sehs pfenninge richer worden an dinem wuocher
oder an diner satzunge oder an dinem fürkoufe oder an dinem
dingesgeben in daz jär ff daz tiurre.
Und so bejammert im Anfange desselben 13. Jahrhunderts
der Kanonikus von Floreffe eben die „auri sacra fames“ im
Erwerbsleben'), über die SOMBART in Italien „schon im 14. Jahr-
hundert“ Klagen vernimmt?).
Als geradezu wunderlich aber muß man die Art bezeichnen,
wie es SOMBART gelingt, in seiner Behandlung der Frage der
Bedeutung des Zinsverbotes das Verhältnis von Ursache und
Wirkung völlig zu verkehren. Diesen Punkt, der natürlich für
den ganzen Aufbau seiner These von zentraler Wichtigkeit ist,
glaubt er denen gegenüber, die den praktischen Belang des
Zinsverbotes sehr niedrig anschlagen, mit der Behauptung abtun
zu können, „daß ein Gewinn ohne technisch ausführende Arbeit,
d. h. ohne sichtbare Hantierung an Gegenständen der äußeren
Natur für alle in handwerksmäßigen Anschauungen befangene[n]
Zeiten in der Tat nur als unehrlich, als unstatthaft angesehen
werden konnte“ *), (wobei unter den Begriff „sichtbare Hantierung
an Gegenständen der äußeren Natur“, selbstverständlich auch
die gewaltsame Aneignung fällt).
SOMBART will glauben machen, das kirchliche Zinsverbot sei
nur ein Ausdruck der Volksstimme gewesen, und das Zins-
nehmen würde geächtet worden sein, auch wenn ein kirchliches
Zinsverbot nie bestanden hätte?). Denn es sei „für das naive
Empfinden“ die „Idee eines zinstragenden Darlehens* „gräßlich“
1) Vgl. oben S. 301.
2) S. 383.
3) S. 184.
4) S. 186.
Hansische Handelsgesellschaften. 321
gewesen; nur im Verkehr mit Fremden habe sie entstehen können,
mit Juden und Lombarden !).
Welche Verkennung des Sachverhalts! Was in aller Welt
hat die kanonische Lehre mit dem naiven Empfinden zu tun,
außer daß sie auf allen Gebieten beständig mit ihm im Kampf
liegt? Für das naive Empfinden war es vielmehr „gräßlich“,
etwas hergeben zu müssen ohne Entgelt. Schon der Germane
tat das nicht: er war ja auch von jener Lehre noch unberührt.
Selbst die Schenkung verlangte ihren Lohn. Nur durch Ent-
richtung eines Scheinpreises, durch Verwandlung in einen Schein-
kauf, wurde sie rechtskräftig. Freihändige, unentgeltliche Gabe
war also offenbar ein Begriff, der ihm nicht recht in den Kopf
wollte. Oder sie wurde mit einer Auflage verbunden, „durch
deren Erfüllung die Gunst nachträglich verdient werden mußte“?).
Die christliche Liebestätigkeit mußte dem Germanen erst an-
erzogen werden; es ist bekannt, wie schwer es ihm wurde, sich
in den ganzen christlichen Ideenkreis der Demut, der Hingabe
und was damit zusammenhängt, hineinzufinden. Auch übte er jene
noch später vorzugsweise nur im Kreise geschlossener Brüder-
schaften, die an die Stelle der alten Sippen getreten und ihm
in ihren Zielen verständlich waren. Mag sein, daß dann unter
kirchlicher Zucht die Wohltätigkeit überhaupt verbreiteter war
als unter uns; ich lasse das und seine Gründe dahingestellt und
weise nur, um vor übereilten Kausalverknüpfungen zu warnen,
auf die außerordentliche Wohltätigkeit im protestantischen Eng-
land und im kapitalistischen Nordamerika. Was soll man aber
dazu sagen, wenn für die frühere Zeit SOMBART solche Liebes-
tätigkeit geradezu zum Prinzip des Wirtschaftslebens erhebt?
Weil gelegentlich, wie in einer Venediger Urkunde von 1187,
an den Gemeinsinn der Bürger sich berufen wird, dem Vater-
lande mit ihrem Vermögen beizustelien, soll das zinslose Darlehen
der Stadtbürger an die Stadt ursprünglich selbstverständlich ge-
wesen sein?
1) S. 186.
2) SCHRÖDER, Deutsche Rechtsgeschichte 4. Aufl. S. 284f.; HEUSLER
Institutionen, Bd. I, S. 81.
322 F. Keutgen
- Weil einmal im 12. Jahrhundert ein Privatmann „vicinis suis
indigentibus nummos non tamen ad usuras accommodabat“, —
nota bene: „non tamen“ — soll der Bürger vom Mitbürger, wenn
er Geld brauchte, es haben bekommen können, „wie man heute
dem Freunde in der Not aushilft und nur auf dessen Drängen
sich die vorgestreckte Summe verzinsen läßt“ ?
„Eine der beliebtesten Formen“, sagt SOMBART, „in denen die
Klöster während der frühen Zeit des Mittelalters ihren Hinter-
sassen und Gläubigen mit materiellen Diensten zu Hilfe kamen,
war die Geld- oder Güterleihe, bei der jedoch abermals von
Zinszahlung keine Rede war!).“
Das alles mag ja vorgekommen sein. Wenn es aber maf-
gebend gewesen sein soll: woher der städtische Rentenkauf?
Woher der private Rentenkauf? Und worauf beruht das ganze
kirchliche Wirtschaftssystem, wenn nicht auf der entgeltlichen
Güterleihe ?
Die Kirche erklärt dem Volke ihr Zinsverbot beim Gelddar-
lehen damit, daß es heiße, Gott seine Zeit stehlen, da man dabei
durch den bloßen Flug der Zeit, des allgemeinen Gutes, ohne Ar-
beit sich bereichere; und wenn BERTHOLT so eindringlich predigte,
mochte manch gläubiges Gemüt es andächtig in sich aufnehmen.
Sie suchte einen Unterschied zu begründen zwischen der zins-
lichen Landleihe, ohne die sie nicht bestehen konnte, — denn
daß das Land Frucht trug, sah jeder — und der Geldleihe, deren
Ertragsfähigkeit für den Schuldner weniger klar vor Augen lag
und in der Tat von Umständen abbing. Allein man fand sehr
bald, daß ausgeliehenes Geld ebenfalls Frucht tragen konnte.
Gewöhnlich wird der Rentenkauf als das übliche Mittel an-
geführt, das Zinsverbot zu umgehen, und zweifellos hat er eine
große Rolle im Wirtschaftsleben gespielt. Allein am sinnfälligsten
war doch die Fruchtbarkeit des Geldes im Handel, und Darleihung
eines Kapitals gegen Beteiligung am Handelsgewinn und Handels-
risiko schien daher erlaubt und nicht gegen das Zinsverbot zu
verstoßen, auch wenn man selber weiter keine Arbeit dabei ver-
richtete. Wir haben gesehen, wie sehr verbreitet diese Übung
1) Alles S. 185'.
Hansische Handelsgesellschaften. 323
bereits Anfang des 13. Jahrhunderts war; ja wir dürfen sagen,
Mitte des 12. Jahrhunderts: denn sonst hätte jener Satz nicht in
das Medebacher Stadtrecht Aufnahme gefunden '!).
Freilich glaubte Juettas frommer Biograph seine Heldin deshalb
entschuldigen zu müssen: man sei nicht gleich anfangs völlig
heilig; auch habe man damals die Sache noch nicht so streng
genommen. Allein die Kirche hat vieles verboten, was dennoch
beständig geübt wurde.
Ganz unverständlich ist es, wenn SOMBART sagt: „Objektiv fand
aber die Ächtung oder Verachtung des Zinsnehmens ihre Recht-
fertigung in dem Umstande, daß der Regel nach, ja in der über-
wiegenden Mehrzahl aller Fälle, tatsächlich das Geld nicht die
Kraft besaß, sich aus sich selbst heraus zu vermehren, solange
es nämlich noch keine Kapitalsqualität angenommen hatte, d.h.
seine Verwendung noch keine Steigerung der Produktivität der
Arbeit herbeizuführen vermochte“ ?). Eine geradezu mystische
Vorstellung! Als ob gar auch noch ein innerer Wandel mit dem
Gelde vor sich gegangen sei! Nein, die Sonnenstrahlen, die seine
Triebkraft weckten, schienen längst: nur noch nicht mit Sommerglut.
Ich habe an anderer Stelle ausgeführt, daß nichts irriger sein
kann, als die „Idee der Nahrung“, die Idee, daß jeder sein Aus-
kommen finden solle, aus Bescheidenheit oder Beschränktheit
der Werbenden zu erklären. (Von einem „und nichts darüber“
steht übrigens nirgends etwas!) Ich beschränke mich deshalb hier
auf den Hinweis’). In der Tat kann man sich die Mehrzahl
der Menschen gerade in der Frühblüte des Erwerbslebens gar
nicht erwerbsgierig genug vorstellen. Erst als die starrende
Phalanx der immer wiederholten Vorschriften, — obrigkeitliche,
brüderschaftliche, — individuelles Streben eingeschüchtert und
bei den Geschützten träge Sättigung bewirkt hatte, erst da wurde
1) Vgl. auch das Soester Stadtrecht unsicheren Datums, aber in diese
Teil fraglos noch älter als das Medebacher, $ 30: „Si quis concivi suo bona
sua ad negociandum commiserit*. Meine Urkunden Nr. 139.
2) SOMBART, S. 185.
3) Ämter und Zünfte, S. 242 ff. — Die „Volksstimme“ verurteilte den
Wucher vorzugsweise, wenn das „Volk“ durch den Borg einmal besonders
arg in die Klemme geraten war.
Vierteljahrsehr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte, IV. 2
334 F. Koutgen
die „Nahrung“ bei diesen wie bei den Ausgeschlossenen Losung.
Der Fernhandel indes blieb alles in allem frei. Bei ihm
konnte jeder sein Glück versuchen.
Es war nötig, nicht nur uns durch raschen Überblick darüber
klar zu werden, was er nach seiner Menge bereits für das ge-
samte damalige Leben bedeutet haben muß. Sondern es durfte
vor allem kein Zweifel darüber bleiben, daß unsere Vorfahren
— mochten sie durch äußere Umstände, „objektive Bedingungen“,
noch so schwer gehemmt sein — im Innern ein ebenso lebhaftes
Gewinnstreben empfanden wie die Heutigen und es ebenso mann-
haft zu betätigen wußten, ehe wir es versuchen, nunmehr die
Formen der Vergesellschaftung zu würdigen, die sie sich zu jenem
Zwecke schufen.
Note sur la fabrication des tapisseries en Flandre
au XVI: siècle.
Par
Prof. Dr. Henri Pirenne (Gand).
Contribution à Phistoire de Pindustrie capitaliste.
Dans un travail récent j’ai essayé d'exposer la transformation
radicale subie par l’industrie drapière en Flandre au cours du
XVI° siècle!) On y verra comment, ruinée dans les grandes
villes par la concurrence anglaise et incapable de modifier ses
procédés de fabrication à cause des entraves que lui imposait
le régime corporatif, la draperie émigra dans des bourgs et des
villages où elle se donna une organisation toute nouvelle. Non
seulement elle modifia sa technique et trouva dans la confection
d’etoffes légères, sayes, serges et ostades, une source nouvelle
de prospérité, mais elle s’imprégna encore d’un caractère nettement
capitaliste. Dans la région d’Hondschoote et d’Armentitres où
elle s’est implantée, le spectacle qu'elle présente contraste
violemment avec celui que nous offre l’économie urbaine du
moyen âge. Affranchie de la réglementation et du protectionnisme
municipal, le capitalisme la dirige à son gré. Elle ne produit
plus que pour la vente en gros au marché d'Anvers. Elle reçoit
l'impulsion soit de commissionnaires en draperie, soit de grands
marchands commandant à la fois des centaines de pièces. Les
riches drapiers> qui dirigent sur place la fabrication, présentent
déjà dans ses traits principaux la physionomie du manufacturier
1) Une crise industrielle au XVIe siècle. La draperie urbaine et la
«nouvelle draperie» en F'landre. Bulletin de l’Académie royale de Belgique,
Classe des lettres, 1905, p. 489.
396 Henri Pirenne
des temps modernes, tandis que les ouvriers qu’ils employent,
tombés au rang de simples salariés, se confondent en une masse
inorganique de prolétaires. Libres de la surveillance que le métier
exerce sur l'artisan urbain, mais aussi privés de la tutelle qu'il
leur fournit, ils sont livrés sans défense à l’exploitation du capital.
Cette curieuse évolution de l’industrie drapière dans les Pays-
Bas constitue sans doute un remarquable phénomène de ce que
l’on pourrait appeler l’histoire économique de la Renaissance.
Elle est d'autant plus significative qu’elle ne se trouve point
isolée. Dans le même pays et à la même époque, les diverses
industries d'exportation rompent comme elle, sous l'influence
prépondérante du capital, avec les principes traditionnels de
l’économie urbaine. Je voudrais le montrer rapidement par
l’histoire de la fabrication des tapisseries, que l’on n’a guère
étudiée jusqu'ici qu’au point de vue artistique, mais qui présente
aussi, au point de vue économique, un intérêt singulier.
C’est vers le milieu du XIV® siècle que cette fabrication,
depuis longtemps déjà florissante à Arras, se répandit dans le
bassin de l’Escaut'). La dispersion des artisans artesiens par
Louis XI en 1477, châtiment imposé à la ville pour sa fidélité
à la maison de Bourgogne, les fit affluer vers la Belgique et y
stimula les progrès d’une industrie déjà puissamment favorisée
par les goûts luxueux de l’époque. L’énorme richesse des Pays-
Bas pendant les règnes de Philippe le Beau et de Charles-Quint,
augmenta encore sa prospérité. Mais celle-ci s'explique surtout
par des raisons techniques. La perfection à laquelle l’exercice
séculaire de la draperie avait porté dans les Pays-Bas l’art de
la teinture, assurait aux tapisseries l'éclat et la solidité des
couleurs, en même temps que les peintres et les dessinateurs
dont fourmillait le pays, leur fournissaient des modèles en
quantités inépuisables. Il suffira de rappeler ici que l’on rencontre,
1) A. GUESNON, Décadence de la tapisserie à Arras depuis la seconde
moitié du XVe siècle, p. 6 (Lille 1884). En 1456, les échevins d’Arras se
plaignent au duc de Bourgogne que les marchands et ouvriers «de haulte
liche» se retirent à Valenciennes, Tournai, Bergues et ailleurs (ibid., p. 7).
Le plus ancien tapissier d'Arras mentionné en dehors de cette ville apparait
à Tournai en 1352. PiINCHART, Histoire de la tapisserie en Flandre, p. 73.
Note sur la fabrication des tapisseries en Flandre au XVI® siècle. 397
parmi les fournisseurs de cartons pour tapisseries, les noms des
artistes les plus célèbres du temps: Bernard van Orley (1492—1542),
Pierre Coucke (1502—1550), Michel Coxie (1499—1592), et bien
d’autres.
D’Arras, l’industrie des tapisseries de haute lice se répandit
tout d’abord à Lille et à Tournai, où elle existait déjà au
XIV° siècle, pour se propager ensuite à Mons, Binche, Enghien,
Audenarde, Grammont, Ath, Lessines, Courtrai, Gand, Alost,
Bruxelles, Douai, Ypres, Bruges et Middelbourg-en-Flandre.
Dès 1398, les échevins de Tournai la soumettaient à un réglement
qui est le plus ancien de ce genre dont on connaisse l’existence
dans les Pays-Bas’). En 1448, le. métier des legwerkers était
institué à Bruxelles”); à Audenarde, sa charte constitutive date
de 1441°), à Alost, de 1496“). Ces textes ne présentent d’ailleurs
aucun caractère particulier. Les stipulations qu’ils renferment
sur l'apprentissage, la maitrise, la juridiction corporative, la
surveillance du travail etc. se conforment aux principes bien
connus de l’organisation économique des artisans médiévaux.
Telle qu’ils nous la représentent, la tapisserie, au XV° siècle,
constitue une industrie urbaine et partant astreinte au régime
de l’économie urbaine. Mais elle ne devait pas tarder à s’y
soustraire.
Dans toutes les villes, en effet, où elle se développa puis-
1) PINCHART, op. cit., p. 73. SoIL, Les tapisseries de Tournai, p. 358.
2) A. WAUTERS, Les tapisseries bruxelloises, p. 35.
8) J. vAN DER MEERSCH, Histoire des manufactures de tapisseries de
da ville d’Audenarde, dans La Flandre, 1884, p. 11. Ce travail repose
essentiellement sur les règlements donnés au métier des tapissiers, dont les
copies authentiques se trouvent insérées dans le registre intitulé «Charters
der Neringen», conservé aux Archives d’Audenarde. Je lai consulté pour
contrôler les assertions de l’auteur, qui se borne à résumer ou à traduire
partiellement en français les stipulations qu’il renferme. Il est inutile d’avertir
le lecteur que je n’ai en vue, dans ces quelques pages, que de faire ressortir
le caractére capitaliste de l’industrie de la tapisserie à Audenarde. J'ai
laissé de côté une foule de particularités intéressantes qui mériteraient
amplement d'être étudiées.
4) D. VANDE CASTEELE, Documents concernant la corporation des
tapissiers d’Alost, dans les Annales de la société d’Emulation pour l'étude
de Phistoire de la Flandre, 3° série, t. VIII, p. 378.
328 | Henri Pirenne
samment, elle se transforma bientôt en industrie d’exportation:
ce ne fut plus le marché local, ce furent les marchés extérieurs
qui déterminèrent sa production. Dès lors, elle rompt le cadre
étroit de l’économie urbaine, c’est-à-dire de cette économie pro-
tectionniste et anti-capitaliste appropriée à la nature des petits
métiers chargés de subvenir aux besoins divers de la population
municipale. Orientée vers le grand commerce comme la draperie
flamande ou comme la «batterie» dinantaise'), elle ne pourra pas
plus qu’elles échapper à l’influence du capital. Elle y &chappera
d’autant moins que, depuis la fin du XV°* siècle, le capitalisme
se déploie avec une vigueur croissante et qu’il possède précisé-
ment dans les Pays-Bas, à Anvers, son foyer le plus intense.
A partir des premières années du XVI° siècle, on la voit obéir
à l’irrésistible attraction de ce grand port. Elle se détourne de
Bruges, restée fidéle aux habitudes surannées du commerce mé-
diéval, pour écouler ses produits dans l’emporium cosmopolite
qui attire aux bords de l’Escaut les représentants de toutes les
nations. Elle y possède un entrepôt permanent, le tapesierspand
où les acheteurs trouvent en tout temps un assortiment complet ?).
C’est d'Anvers que viennent les commandes qui activent les
ateliers. En 1539, lorsque Marie de Hongrie y fait saisir les
tapisseries d’Audenarde alors en révolte, le capitaine de cette
ville lui écrit qu’il a trouvé «le peuple et commune d’icelle en
sy grandt tourble, perplexité et lamentation, que toutte créature
humaine auroit pitié de les veoir et oyr les crys et pleurs des
pauvres ouvriers qui de coustume euvrent à journée au faict et
négociation de la tappisserie, en sorte que, en grant inextimable
nombre ce sont venu vers moy, comme cappitaine de ladite
ville, priant voulloir advertier Vostre Majesté de leur totale éminente
ruyne et destruction, plaindant ameirement qu'il ont desjà este
pluisseurs jours, eulx et leurs enfans, en grant pouvreté et famyne,
à cause que leurs maistres tappisseurs, se véant que ne peullent
1) H. PIRENNE, Les marchands batteurs de Dinant au XIVe d au
XVe siècle. (Vierteljahrschrift für Social- und Wirtschaftsgeschichte, t. II,
p. 442)
2) Il fut construit en 1551. Voy. MERTENS et ToRrrs, Geschiedenis van
Antwerpen, t. IV, p. 96.
Note sur la fabrication des tapisseries en Flandre au XVI: siècle. 399
faire leur prouffyt de leur marchandyse, qui pour le présent est
arresté en Anvers, ne leur peullent plus donner à ouvrer, et
que partant desjà beaucop d’eulx leur convient mendier et querre
l’hamonne d’huys en huys en grant povereté et misère» !).
On reconnait facilement ici le tableau d’une crise économique
dans un centre manufacturier. Mais il ne faudrait pas croire que
toutes les villes où se pratiquait la fabrication des tapisseries
présentassent le même spectacle qu’Audenarde. Dans la plupart
d’entre elles, notre industrie ne jouit au XVI® siècle, que d’une
importance secondaire. Seul Bruxelles constitue une exception
glorieuse à cet égard. Durant les règnes de Charles-Quint et de
Philippe II et jusque fort avant dans le XVII® siècle, ses ateliers
furent sans rivaux pour la beauté et la finesse de leurs produits.
La marque qui depuis 1528 attestait l’origine de ceux-ci (un
écusson flanqué de deux B) resta célèbre pendant cette période
sur tous les marchés de l’Europe. Mais Bruxelles s’attacha sur-
tout à la confection des pièces de luxe. Sa fabrication, sur
laquelle on ne possède malheureusement que des renseignements
très incomplets, semble l’avoir emporté par la qualité beaucoup
plus que par la quantité. La place qui lui revient dans
l’histoire artistique de la ville ne correspond pas à celle qu’elle
prend dans son histoire sociale. Il ne paraît point, en effet,
que les travailleurs qu’elle occupait aient été jamais assez
nombreux pour pouvoir donner à la population locale les
earactères que l’on est accoutumé à rencontrer dans tous les
groupes d’hommes parmi lesquels domine la grande industrie
d'exportation *). En 1544, dans un cortège formé par les
métiers bruxellois, la corporation des tapissiers fut moins
largement représentée que celles des bouchers et des merciers °).
1) GACHARD, Relation des troubles de Gand sous Charles-Quint, p. 238.
2) GUICHARDIN, Description des Pays-Bas (édit. de 1582), p. 96, dit
que la richesse de la bourgeoisie de Bruxelles consiste essentiellement en
biens fonds. Il ne la considère donc pas comme vivant surtout d'industrie.
3) WAUTERS, op. cit., p. 132. — Un tableau de Stallaert conservé au musée
de Bruxelles et datant du commencement du XVII: siècle, représente une
procession de tous les métiers et indique le nombre des maitres de chacun
d’eux. Les tapissiers en ont 108, mais il y en a 130 chez les tourneurs,
330 Henri Pirenne
Et si, en 1572, le nombre des ouvriers haute-lisseurs atteignait
à Bruxelles le chiffre relativement fort élevé de plus de 2000
hommes”), il suffit de constater que la ville comptait à cette
date de 30 à 40000 habitants”), pour reconnaître qu'ils ne
possédaient point, dans l’ensemble de sa population, une impor-
tance aussi considérable que leur réputation pourrait le faire croire
au premier abord.
Mais il en allait autrement à Audenarde. Dès le commence-
ment du XVI° siècle, l’industrie de la tapisserie s'était développée
dans cette petite ville avec une énergie et une rapidité extra-
ordinaires. Tandis que dans les autres localités de la Flandre
flamingante, la décadence de la draperie urbaine à la fin du
moyen âge avait eu pour conséquence soit un arrêt soit une
diminution plus ou moins sensible de la prospérité, Audenarde,
en 1531, est si «fort peuplée et marchande et accroissant de
jour à autre de peuple et marchandise», qu’il faut élever
4
le nombre de ses échevins de sept à neuf?). En 1539, ses
magistrats exposent à la gouvernante des Pays-Bas que «la
négociation et marchandise de la tapisserie est le principal
membre et soustènement de la villes“); et la même année, le
bailli estime «qu'il y a plus de douze ou quatorsse mille, que
hommes, femmes, que enfans, qui vivent dudit mestier de la
tappisserie» °). Ce chiffre est sans doute fort exagéré, mais son
exagération même fait apparaître en pleine lumière le caractère
économique d’Audenarde. Manifestement nous nous trouvons iei
500 chez les merciers, 201 chez les ferronniers, 200 chez les ffripiers etc.
Voy. HENNE et WAUTERS, Histoire de la ville de Bruxelles, t. IL, p. 54.
1) Pıor, Correspondance du cardinal Granvelle, t. IV, p. 427.
2) En 1526, Bruxelles comprenait 5956 maisons, 22 hopitaux, 18 couvents
et quelques hôtels (WiLLEMS, Brabantsche Yeesten, t. II, p. XLIID. Depuis
lors jusqu'au milieu du XVIe siècle, la population devait avoir augmenté.
M. G. DES MAREZ, L'organisation du travail à Bruxelles, p. 471, n., estime
qu'en tous cas, elle ne dépassa jamais 40000 habitants, même à l’époque de
la plus grande splendeur de la ville.
3) Recueil des ordonnances des Pays-Bas,, 2° série, t. III, p. 149.
4) GACHARD, Relation des troubles de Gand, p. 232.
5) Ibid., p. 233. Au commencement du XVIIe siècle, on évaluait même
ce nombre à 20000 personnes. VAN DER MEERSCH, op. cit., p. 320.
Note sur la fabrication des tapisseries en Flandre au XVI® siècle. 331
en présence d’un centre de grande industrie. La production et
l'exportation des tapisseries constituent la ressource essentielle de
la ville. Elle ne peut se soutenir sans elles, et, à côté d’elles,
l’activité des autres métiers ne sert qu’à subvenir à l’alimentation
locale. Bref, c’est une physionomie moderne bien plus qu’une
physionomie médiévale qu’Audenarde nous présente dès la première
moitié du XVI° siècle.
Sans doute on pourrait relever de nombreuses analogies
entre le tableau qu’elle nous offre et celui que l’on constate
au moyen âge dans la plupart des villes flamandes. Jusque
vers la fin du XIV* siècle, Bruges, Ypres, Gand, Termonde,
Courtrai etc. ont connu comme elle, grâce à la draperie, la même
préponderance écrasante d’une branche d’industrie sur toutes les
autres. Comme elle, c’est pour le marché international qu’elles
ont produit, et, comme elle enfin, elles ont vu leurs ouvriers
industriels tomber dans une situation bien voisine de celle des
prolétaires. Mais ces ressemblances sont compensées par des
différences considérables. Les cités drapières du moyen âge
restent fidèles, en effet, aux principes de l’économie urbaine. Si
elles ne parviennent point à l’imposer dans toute sa rigueur à
l’industrie d'exportation, elles en conservent toutefois les parties
essentielles. Au fonds, l’esprit de leur organisation économique
reste protectionniste et anti-capitaliste. Elles réservent à leurs
bourgeois le monopole de la fabrication de leurs étoffes. Elles
interdisent impitoyablement l'exercice du tissage dans le plat-pays.
Enfin, si les marchands de drap qui fournissent à leurs ateliers
la matière première et en reçoivent les tissus fabriqués nous
apparaissent déjà comme des capitalistes, ce ne sont encore que
des capitalistes très modestes): il ne faut voir en eux que de
riches bourgeois engageant dans les affaires le surplus de leurs
revenus, obligés de s'associer en compagnies temporaires pour
effectuer toute opération de quelque importance, ignorant enfin ces
faillites et ces banqueroutes qui, à partir de la fin de moyen âge,
deviennent un des phénomènes les plus symptomatiques de
ee m nn
1) G. Espinas, Jehan Boine Broke. (Viertejahrschrift für Social- und
Wirischaftsgeschichte, t. II, p. 34 et suiv).
332 Henri Pirenne
l’histoire sociale. En somme, les villes drapieres de Flandre
telles qu'elles se sont développées au XII et au XIV*® siècle
nous représentent un stade intermédiaire entre l’économie médiévale
et l’économie moderne. Isolées par leur industrie d’exportation
au milieu d’une époque d’industrie locale, elles annoncent l'avenir
mais sans réussir à se dégager complètement des entraves que
leur imposent la coutume, les idées régnantes, les nécessités de
la politique municipale et surtout le développement encore
insuffisant du grand commerce et du capitalisme.
C’est au contraire sous l’action de ces deux forces
que se déploie, au XVI° siècle, la manufacture audenardaise.
Contemporaine de la puissante transformation économique qui,
à l’époque de la Renaissance, bouleverse et décuple la circulation
des biens, donne l'essor à l’esprit d’entreprise, laisse le champ
libre à toutes les ressources et à tous les abus de la spéculation,
permet enfin à l’individualisme de se révéler dans le monde des
affaires comme il se révèle dans la vie intellectuelle, elle s’adapte
rapidement aux conditions au milieu desquelles elle grandit.
Comme les nouveaux foyers d'activité industrielle qui se forment alors
en Angleterre, comme les villages et les bourgs de Flandre où la
draperie contrariée dans les villes par une organisation surannée
va s'épanouir en pleine liberté, elle rompt avec la tradition
séculaire de l’économie urbaine. Ses hautelisseurs ont beau
constituer un métier, en fait, ils ont perdu tous les traits propres
à l’artisan du moyen-âge. L'industrie est désormais dirigée et
dominée par des emarchands et entremetteurs>!), Ce sont des
entrepreneurs capitalistes, des exportateurs en relations constantes
avec Anvers, qui remettent les commandes aux maîtres-tapissiers,
devenus, en réalité, de simples contre-maîtres. Sous ceux-ci, les
ouvriers ne constituent plus qu’une masse de salariés, si miséra-
blement payés que la moindre crise les réduit à la misère et
qu'ils n’ont aucun espoir d'améliorer jamais leur condition. Il
se rencontre toutefois, parmi eux, des spécialistes mieux rétribués.
Ce sont les «Constenaers» que leur habileté technique rend
indispensables pour les operations les plus delicates du travail.
1) GACHARD, Relation des troubles de Gand, p. 231.
Note sur la fabrication des tapisseries en Flandre au XVI: siècle. 33%
Aussi, s’efforce-t-on de les retenir dans la ville. Les maîtres.
qui les emploient spéculent habilement sur leur insouciance ou
sur leurs besoins: ils leur ouvrent un large crédit, les endettent, et
les empêchent ainsi de se séparer d’eux'). Il faut admettre,
de plus, que les étrangers étaient fort nombreux parmi les com-
pagnons du métier ?), la population locale, ne suffisant certainement.
pas à assurer le recrutement de ceux-ci. Et dès lors, on peut
apprécier déja combien l’ouvrier tapissier d’Audenarde s’écarte
de l’artisan du moyen âge et se rapproche du travailleur moderne.
Sans doute le métier organisé en 1441 ne disparait pas. Mais
il ne se maintient que pour la forme. En 1544, une ordonnance
dont nous parlerons plus loin traite de «minuties>, ces fondations
charitables et religieuses qui avaient joué jadis un si grand rôle
dans la vie corporative. Enfin, les évènements dont la ville fut
le théâtre en 1539 lorsqu'elle s’associa à la révolte de Gand,
ne peuvent laisser aucun doute sur le caractère prolétarien de
sa classe laborieuse. Les documents relatifs à ce curieux épisode-
de l'histoire sociale du XVI° siècle nous montrent le souleve--
ment d’une plèbe misérable et brutale qui, faute d'organisation
et d'esprit de corps, ne parvient point à tirer parti de la force
que lui donne le nombre et s’agite dans le vide jusqu’au moment
où la famine la contraint bientôt de se remettre à l'ouvrage).
Pendant que les artisans se transforment en purs salariés n’ayant.
d’autres ressources que leur travail, une classe de capitalistes se
constitue au dessus d’eux. Il y a beaucoup de riches dans la
ville, écrit le bailli en 1539, «par quoy les povres, s'ils venoient
jusque la, y trouveriont bien à péchier»“). Ainsi Audenarde
1) Voy., en 1553, les plaintes des tapissiers de Gand contre ceux d’Aude--
narde: «De meesters gheven zomtijds den zelven cnapen (constenaers) so vele
ghelds op de handt, dat sij naermaels qualicken maghtich zifn tleve te ver--
dienen oft hemlieden te restitueren, haudende midts de selve cnapen so thaer-
waert gheobligiert, dat sij nerghens en moghen andere meesters zoucken»..
Placcaerten van Vlaendren, t. I, p. 626.
2) VAN DER MEERSCH, loc. cit., p. 194.
8) VAN LERBERGHE et RONSE, Audenaerdsche Mengelingen, t. I, p. 40-
et suiv.
4) GACHARD, loc. cit., p. 258.
334 Henri Pirenne
nous présente aussi clairement que possible ce contraste entre
le capital et le travail que fait ordinairement apparaître la grande
industrie. Nul doute que les riches dont il est question ici ne
soient les marchands de tapisserie qui règlent la production et
tiennent en leur dépendance les masses ouvrières. Il est im-
possible de les considérer comme appartenant à cette aristocratie
bourgeoise, de propriétaires fonciers ou de rentiers qui, dans
toutes les villes non manufacturières, conserve la première
place dans la hiérarchie sociale. S'il en était ainsi, en effet, on
ne comprendrait point la haine que leur portent les «menues
gens», et d’ailleurs, avant la fin du moyen âge, Audenarde
n'avait pu posséder de grandes fortunes. Nous sommes donc
obligés de conclure que celles qu’elle présente au XVI° siècle
sont de date récente, qu’elles ont leur source dans l’industrie et
non dans la possession du sol, et que leurs détenteurs enfin
-appartiennent à ce groupe de «nouveaux riches» dont l’influence
fut si considérable sur le mouvement économique des temps
modernes. Il suffira, pour faire apprécier l'importance de ces
marchands, de dire que chacun d’eux occupait de trente à soixante
ateliers !).
Le régime capitaliste ne modifia point seulement les conditions
d'existence de l’ouvrier urbain, il eut encore pour résultat de
faire déborder l’industrie de la ville dans les campagnes environ-
nantes et de ruiner ainsi l’un des principes les plus essentiels
de l’économie urbaine. Deux motifs expliquent ce phénomène
caractéristique: d’une part, le bon marché de la main d'œuvre
rurale, de l’autre, l’absence à la campagne de ces règlements
qui, dans les villes, soumettent la fabrication à des prescriptions
minutieuses, à l'inspection du pouvoir public, à l’obligation de
l'apprentissage etc. Le capital, pour développer toute sa puis-
sance, a besoin d’être libre dans son action. Un curieux docu-
ment de 1560 le déclare avec une clarté parfaite. «Bonne partie
de ceux qui exercent le métier, y lit-on, se retirent au plat pays
et aux champs, et ce non seulement pour ouvrer à leur plaisir,
mais aussy pour estre exempts des maltotes et impos, aussy
1) VAN DER MEERSCH, 0». cit., p. 321.
Note sur la fabrication des tapisseries en Flandre au XVI: siècle. 336.
pour éviter les visitations et esgardz ausquels sont assubjectis-
ceulx qui demeurent ès villes fermées: à quoy ung chascun est
d’aultant plus enclin que naturelement l’home désire vivre en:
liberté, sans estre subject à loix ne aultre charge» !).
A cette époque, la manufacture des tapisseries occupe depuis
longtemps déjà, tout autour d’Audenarde, des quantités d'hommes, .
de femmes et d'enfants, dans les paroisses d’Edelaer, de Nukerke,
d’Etichove, de Volkeghem, de Kerkhem ete. Tous les dimanches,
l'ouvrage effectué pendant la semaine est apporté aux marchands.
de la ville, en échange de la matière première qui sera mise en
œuvre la semaine suivante*). Cette organisation affecte, on.
le voit, les caractères principaux du système moderne de l’indu--
strie à domicile. Elle en produit aussi toutes les conséquences
sociales. Si elle affranchit les artisans du contrôle perpétuel
qui s’exerce sur eux dans les villes, elle les réduit en revanche
à la plus misérable condition. Isolés en face du patron qui les.
emploie, ils sont forcés de se contenter d’un salaire dont ils.
cherchent à compenser l'insuffisance par un travail exténuant.
Ils mettent en réquisition tout leur ménage: leurs enfants, dès
l’âge de sept ans, sont associés à leur labeur°). Plus pauvres
encore que les prolétaires urbains, ils revent comme eux d'une
révolution sociale, mais plus qu'eux encore, ils sont incapables-
d'agir avec suite et de s'organiser. Leurs soulèvements éclatent
aussi brusquement qu'ils s’appaisent. En 1539, ils abandonnent
leurs métiers pour emplir du bruit de leurs plaintes et de leurs
menaces, le marché et les rues d’Audenarde. En 1566, c’est-
parmi eux, comme parmi les masses ouvrières des environs de
Hondschoote et d’Armentières que surgira le tumulte des icono--
clastes.
La naissance de cette industrie rurale préoccupa d’assez bonne
heure les pouvoirs publics. Non sans doute que ceux-ci aient-
été animés de la moindre sollicitude à l'égard des travailleurs.
1) GUESNON, Inventaire chronologique des chartes de la ville d'Arras,
p. 402.
2) VAN DER MEERSCH, 0p. cît., p. 308. — En 1520, ces villages.
fabriquaient déjà des tapisseries. Ibid., p. 87.
3) GUESNON, loc. cit., p. 408.
‘886 Henri Pirenne
{on sait suffisamment que la XVI° siècle ne connut point de
véritable législation sociale en matière économique), mais pare
qu’elle soulevait des questions de police générale fort importantes.
Tout d’abord, les maitres-tapissiers des villes protestaient énergi-
quement contre la concurrence que leur suscitait au dehors m
capitalisme soucieux de son seul intérêt. D’autre part, le trarail
rural n’etant point surveillé contrefaisait sans scrupule les tapir
series urbaines et lançait sur le marché des produits de qualit
médiocre, au risque de discréditer la manufacture nationale.
Manifestement les fabricants qui l’alimentaient ne cherchaient
qu’à réaliser des profits rapides, ils étaient devenus complètement
étrangers à ce souci de perfection et de «loyauté» qui avait été
l'honneur de l’industrie réglementée du moyen âge. Si le capits-
lisme décuplait la production, c'était trop souvent au détriment
de sa qualité, et la liberté qu’il cherchait à la campagne aboutis-
sait tout à la fois à lui asservir les ouvriers et à ravaler la
qualité de leur travail. Le document que nous avons déjà cité
expose très bien la situation: «Plus, entre aultres inconvéniens,
dit-il, ne convient douter que les haultelicheurs résidens ès villes
seront tenus de eulx en départir, par faulte de povoir livrer
la marchandise au pris que les champestres le pourront laisser,
car indubitablement l’on ne poelt ignorer que l’ouvrier cham-
pestre a le moien d’avoir la pièce d’ouvraige dix ou douze
patars meilleur marché que cestui de la ville, et ce pour plusieurs
raisons: si comme qu’ilz n’ont aulcun interrest des impos et
maltotes, ilz ne sont en péril d’aucunes amendes sy leurs pièces
sont trop courtes ou moins larges qu’il n’appartient; ilz ne sont
empeschez de besoigner aussy bien en temps incommode qu'en
temps commode, aussy bien de nuict comme de jour; ilz ont
leurs demeures à vil pris, comme aussy tous vivres nécessaires
à la sustentation de leurs corps et de leurs serviteurs, et pa-
reillement les fillets servans à leur stil; et d’avantaige, la pièce
trouée ou gastee ne leur est de moindre valeur que les meil-
leures, parce que elle ne sera point desployée qu'elle ne soit
envoiée et eslongée de cent, deux cens ou trois cens lieues de
chemin, là où finablement le débitteur se trouve trompé et déceu,
et par ce moien lui est donné occasion de ne solliciter de rechief
Note sur la fabrication des tapisseries en Flandre au XVI® siècle. 337
semblable marchandise, au détriment, sy que dit est, du pays;
laquelle marchandise, toutesfois, n’est vilipendée par le marchant
-qui en a l’envoy, ayant plus grand regard à son proffit parti-
culier que au bien publicque, tellement que, non sans cause,
lesdictz haultelicheurs champestres sont et ont esté supportez
par aulcuns marchans, lesquelz sollicitent telle marchandise afin
de l'avoir à vil pris, et sy la font composer telle, sans que on
leur puist faire marchandise trop supportée et trop peu taxée,
tellement que évidantement l'esprit, l’industrie, la diligence et
science n’ont lieu, et sy ne peuent profitter pardessus ce que
dessus, condescendant aux aultres faultes et fraudes que com-
mettent lesdictz haultelicheurs champestres, et espécialement au
dedans de leurs pièches ... A quoy partant il plaira à Vostre
Majesté de pourveoir de remède ad ce convenable et expédient,
extirpant ladicte haulteliche desdictz lieux champestres, en ren-
voiant lesdietz ouvraiges aux villes auxquelles proprement elles
eompetent et appartiennent, attendu la police qui y est observée,
et non point aux lieux champestres, qui ne requièrent que gens
de labeur»').
Si ces inconvénients étaient surtout sensibles à Audenarde,
ils existaient aussi dans toutes les autres villes adonnées en
Flandre à la fabrication des tapisseries. Partout le capitalisme
agissant de même produisait les mêmes effets. La pétition à
laquelle nous empruntons les lignes que l’on vient de lire fut,
en effet, adressée en 1560 à Philippe II par les villes de
Gand, Bruges, Ypres, Arras, Valenciennes, Lille, Douai, Or-
<hies, Tournai, Audenarde, Courtrai, Alost, Termonde, Grammont
et Lannoy. Précédemment déjà des plaintes analogues s’étaient
fait entendre, et le gouvernement avait pris des mesures, dès
1534, contre la ctapisserie champestre» de la châtellenie de
Lille. Mais c’est surtout en 1544 qu'il s’etait efforcé de remédier
au mal par la promulgation d’une ordonnance générale applicable
à tous les Pays-Bas”). On peut considérer cette longue ordon-
1) Ibid., p. 403. On constatait déjà des abus analogues en 1515. VAN
DER MEERSCH, 0p. cit., p. 83. En 1582, on avait décidé de n’accepter aucun
franc-maitre qui ne fût bourgeois. Jbid., p. 90.
2) Placcaerten van Vlaendren, t. I, p. 610. Cf. pour l'application, les
338 Henri Pirenne
nance comme la première manifestation en Belgique de la poli-
tique mercantile de l’État. Elle nous montre en tous cas une
tentative intéressante de substituer, dans le domaine restreint
d’une industrie, les principes de l’économie nationale à ceux de
l’économie urbaine. Elle se garde bien d’adopter le point de
vue protectionniste des villes. Elle ne supprime point la manu-
facture rurale: elle s’applique seulement à en redresser les abus.
Elle prétend obvier à ses «fraudes et déceptions ... tant pour
le bien de noz pays que pour la conservation de la négociation
de la tapisserie». Pour y arriver, elle soumet les ateliers ruraux
à l’observation des règlements qui, dans les villes voisines, déter-
minent les procédés de fabrication; les ouvriers de la campagne,
devront, comme les ouvriers urbains, satisfaire aux obligations de
l'apprentissage; les , Winkelmeesters“ des villages seront obligés
de s’affilier à la corporation de tapissiers la plus voisine et
d'en respecter les keures et statuts. Bref, ce sont des
considerations techniques, ce ne sont point des considerations
d'intérêt local qui inspirent l’ordonnance de 1544, et, en la
publiant, Charles-Quint a fait déjà, pourrait-on dire, du Colbertisme
avant Colbert.
Du reste, cette ordonnance ne fut pas appliquée. Le capita-
lisme cherchait trop äprement la eliberté» pour consentir à se
soumettre à la tutelle de l’État, après avoir échappé à celle
des villes. Les ouvriers eux mêmes la supportaient avec peine.
En 1553, on les voit émigrer vers Gand où l’édit de 1544 n'a
pas été promulgué «zouckende meer lyberteit dan restrictien»!).
D'autre part, la pétition de 1560 prouve éloquemment que les
mesures prises seize ans plus tôt étaient tombées en désu-
étude.
Néanmoins, l'ordonnance de 1544 présente un très vif intérêt
pour l’histoire économique de XVI° siècle. Elle achève de mettre
en pleine lumière la disparition de l’économie urbaine dans les
centres manufacturiers soumis à l’action du capitalisme, dis-
détails donnés par VAN DER MEERSCH, op. cit., p. 187, et VAN DE CASTEELE,
loc. cit, p. 383.
1) Placcaerten van Vlaendren, t. I, p. 626.
Note sur la fabrication des tapisseries en Flandre au XVI: siècle. 339
yarition dont cette rapide esquisse donne, semble-t-il, un exemple
ignificatif!).
Gand, 27 janvier 1906.
1) Il est évident que l’économie urbaine se maintint dans les villes qui
ıe connurent pas la grande industrie d'exportation, c’est à dire dans le plus
rand nombre des villes M. von BELOW l’a parfaitement démontré: Der
Intergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft, dans les Jahrbücher für
Vationalökonomie und Statistik, 1901. Mais il importe de ne pas oublier
m’& côté des villes restées fidèles au conservatisme économique, les circon-
tances en amenèrent d’autres A adopter le régime nouveau que l’on vient
’étadier pour l’une d’entre elles.
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtsehaftsgeschichte. IV. 28
Miszellen.
Bemerkungen zur italienischen und fränkischen Precaria.
Von
Ludo M. Hartmann.
Es ist die herrschende Meinung, daß die fränkische precaria an das
römische precarium angeknüpft werden mtsse, und in verschiedenen
Formen hat man sich abgemüht, die Wandlungen dieses angeblich ein-
heitlichen Institutes darzulegen. In Wahrheit hat jenes römische
Rechtsinstitut mit der mittelalterlichen precaria nichts als den Namen
gemeinsam. Denn was für das precario possidere wesentlich und
charakteristisch ist, die unbedingte jederzeitige Widerruflichkeit, findet
sich in den vielen precaria-Formeln und precaria-Urkunden nur aus-
nahmsweise!), und dem mittelalterlichen Prekaristen werden umgekehrt
regelmäßig eine Anzahl von Verpflichtungen auferlegt, die mit dem
Wesen des römischen precarium nicht gut verträglich sind. Und wenn
man den angeblichen Zusammenhang nicht juristisch, sondern historisch
betrachtet, so liegt doch die Frage nur allzu nahe, wieso aus dem
römischen Institute, das in der Spätzeit des römischen Reiches nur
eine minimale Bedeutung hatte, da „magis ad donationes et beneficii
causam, quam ad negotii contracti spectat precarii condicio“?), da es
mehr in der Gewährung einer unverbindlichen Gefälligkeit als in der
Rechtsform für eine wirtschaftlich relevante Tatsache bestand —
geradezu eine der Grundlagen der mittelalterlichen Rechtsverhältnisse
hätte werden sollen.
In der Tat aber bezieht sich precaria in der neueren Anwendung
des Wortes gar nicht auf den Rechtsinhalt, sondern auf die Form des
1) Vgl. Roru, Feudalität und Untertanverband, 145 ff. — Warrz, D. V.G.
II, 1, 291. — SEELIGER, Die soz. u. polit. Bedeutung der Grundherrschaft
im frühen Mittelalter (1903), 13 ff. — Diese kurzen Bemerkungen sind über-
haupt durch SEELIGERs interessantes Buch angeregt. — Während des
Druckes kommt mir die Schrift von P. 8. LEICHT, Livellario nomine (Estratto
dagli Studi Senesi in onore di L. Moriani, 1905) zu, welche die Entwicklung
des libellus und seines Verhältnisses zur Emphyteuse in den verschiedenen
Teilen Italiens eingehend behandelt.
2) D. 43, 26, 14 (Paulus).
Bemerkungen zur italienischen und fränkischen Precaria. 341
Vertragsabschlusses, der möglicherweise auf verschiedene rechtliche
Inhalte angewendet werden kann. In Italien heißt der Pachtvertrag
auf 19 oder 29 Jahre „libellus“ von der Eingabe, in welcher der
Pächter um Überlassung der Parzelle bat, so wie es im Cod. Just.
XI, 66, 2 geschildert ist: „ii quos commoditas (privatae rei) prae-
diorum ad ea postulanda sollicitat, adeant tuae dicationis (sc. comitis
rerum privatarum) officium et modum suae deliberationis indicant per
libellos“; der Vertrag wird nach dieser Eingabe, in welcher schon alle
Bedingnisse angeführt waren, bezeichnet, obwohl auf ihn noch das
„praeceptum“ des Verpächters folgte, bis beide, libellus und praeceptum,
in eine Urkunde verschmolzen. Ebenso war „precaria“ in Italien der
technische Ausdruck für die Emphyteuse auf 3 Generationen, weil die
„petitio“ des Emphyteuten der Verleihung vorangehen mußte, wie sich
schon aus der ältesten derartigen Urkunde, die uns erhalten ist (MARINI,
Pap. dipl. n° 132), ergibt!). Precaria ist also hier und anderswo
nicht ein Vertrag auf widerrufliche Überlassung einer Sache oder eines
Rechtes — ein Vertrag, der übrigens niemals schriftlich abgefaßt zu
werden brauchte —, sondern die Bittschrift, in welcher um Überlassung
einer Sache in irgendeiner Form Rechtens ersucht wurde, erst in
weiterer Folge auch der Vertrag oder das Rechtsverhältnis selbst, das
gemäß dieser Bittschrift festgesetzt wurde. Der Hinweis auf diese
postulatio, petitio, precaria fehlt denn auch schwerlich in irgendeiner
der fränkischen Formeln, welche die Grundlage für die verschiedensten
Rechts- und Leiheverlältnisse bilden wollten. SEELIGER?) sagt mit
Recht: „Nur das eine Gemeinsame ist zu bemerken: Precaria ist die
Leihe, die durch eine Bitturkunde bewirkt wird“.
Der Untersuchung hat es wohl auch in diesem Falle geschadet, daß
man sich allzu sehr daran gewöhnt hatte, zwischen dem Ende der
direkten Herrschaft des römischen Reiches in den einzelnen Provinzen
und der Konstituierung der neuen Königreiche einen Riß zu sehen,
wo doch in Wirklichkeit nur allmählicher Übergang auf der Grundlage
der durch das römische Recht geregelten Verhältnisse beobachtet werden
kann, allmähliche Weiterentwicklung, in welcher allerdings die lebens-
unfähigen Gebilde, die ihre Kraft schon verloren hatten, wie z. B. die
Kurien, und sich den Anforderungen der Zeiten nicht mehr anpassen
konnten, rasch zugrunde gingen, was aber lebensfähig war, wie nament-
lich dierömische Grundherrschaft, die kirchliche Organisation u. s. w., trotz
mancher Modifikationen der neuen Gesellschaft seine Gesetze auferlegte.
Hätte man dies nicht lange Zeit übersehen, so hätte man den deut-
lichen, wenn auch nicht vollständigen Hinweis von ROTH auf die Ge-
setzesstgllen, welche die eigentliche rechtliche Wurzel der Landleihen
auch im Frankenreiche waren, nicht zu widerlegen oder in seiner
Wichtigkeit zurtickzudrängen versucht.
1) Vgl. hierzu meine Analekten, Zur Wirtschaftsgeschichte Italiens im
früheren Mittelalter (1904), 7f. — Der Sprachgebrauch precaria = emphy-
teusis ergibt sich auch aus dem Vergleiche von Capit. Olon. a. 822—8 c. 1
(M. G. Capit. I, p. 316) mit Capit. Olon. eccles. a. 825 c. 10 (M. G.
Capit. I, p. 327).
2) SEELIGER, a. 8.0. 21.
342 Ludo M. Hartmann: Miszelle.
Abgesehen von der Parzellenpacht, die uns im italienischen Mittel-
alter als libellus auf 19 oder 29 Jahre entgegentritt, kennt die Gesetz-
gebung der spätrömischen Kaiser, welche sich mit dem Verbote der
Veräußerung von Kirchengut beschäftigt, zwei Arten von Vergabung
unbeweglichen Gutes. Die eine ist der ususfructus und wird geregelt durch
eine Konstitution K. Leos vom Jahre 470, die von ROTH herangezogen
worden ist‘). Hier heißt es unter anderem: „Si... oeconomus huius
regiae urbis ecclesiae perspexerit expedire, ut desideranti cuiquam
certarum possessionum atque praediorum, urbanorum scilicet sive rusti-
corum, ad ius ecclesiasticum pertinentium temporaria usus fructus
possessio pro ipsius petitione praestetur, tunc eius temporis quod
inter utrosque convenerit, sive in diem vitae suae ab eo qui
desiderat postuletur, pacta cum eo qui hoc elegerit ineat oeconomus
atque conscribat, per quae et tempus, intra quod hoc praestari placuerit,
statuatur et manifestum sit, quid quacumque acceperit ad vicem huius
beneficii gratia, praestando quidem ecclesiastici praedii pro
tempore usufructu, post statutum autem tempus et placitum temporum
redituum proprietate ad ius et dominium ecclesiasticum recurrente
firmiter: ita scilicet, ut sive completo spatio, quod inter eos fuerit
constitutum, seu mortis suae tempore, si hoc quoque convenerit, is
qui possessionem ecclesiasticam et certorum redituum usumfructum
habendi gratia pacto interveniente susceperit, non minus quam alterius
tantae quantitatis, quantae acceperat reditus, cum ipso praediorum
dominio et rebus immobilibus eorumque colonis et mancipiis ecclesiae
derelinquat“. Diese Bestimmungen, namentlich auch das Verbot der
Vergabung des ususfructus für länger als Lebenszeit, wurden von
Justinian in Nov. 7 (c. 4) vom Jahre 535 auf alle Kirchen des römi-
schen Reiches ausgedehnt und nochmals in Nov. 120 (c. 9) vom
Jahre 544 bestätigt. Es ist nun unzweifelhaft, daß in diesen Bestim-
mungen alle konstitutiven Elemente einer Gruppe von fränkischen
Formeln, und zwar in der Vulgataübersetzung der Novellen in genau
denselben Worten, wie in diesen, enthalten sind. Unter diesen Formeln
finden sich petitiones der Belehnten und andererseits entsprechende
prestariae der verleihenden Kirche, die sich auf jene zurtickbeziehen;
der Belehnte besitzt usufructuario ordine und empfängt das Gut
durch beneficium der Kirche für Lebenszeit; es wird ausdrück-
lich bestimmt, daß das Gut beim Tode des Belehnten ohne Tradition
an die Kirche zurückfällt; in den Fällen, welche sich am nächsten an
jene gesetzlichen Bestimmungen anlehnen, übereignet der Belehnte der
Kirche ein zweites bisher in seinem Eigentum befindliches Gut, das
mit dem anderen nach seinem Tode an die Kirche fällt, zahlt aber
der Kirche, wie es dem römischen ususfructus entspricht, keinen Zins.
In Italien ist diese Form der Belehnung nicht gebräuchlich. An
ihre Stelle ist die seit langem gebräuchliche, von Justinian genau ge-
regelte Emphyteuse getreten; auch sie begründet ein dingliches Recht,
wie der ususfructus; allein im Gegensatze zu diesem setzt sie eine
1) Cod. Just. I, 2, 14, 9.
Bemerkungen, zur italienischen und fränkischen Precaria. 343
Zinszahlung des Belehnten voraus; ist der Belehnte zwei Jahre hinter-
einander mit der Zahlung des Kanons im Rückstande, so verliert er
sein Recht; außerdem ist es für diese Form der Belehnung wesentlich,
daß der Belehnte zu wirklicher Bewirtschaftung und Melioration des
Grundstückes ausdrücklich verpflichtet wird, da ursprünglich diese
Form der Leihe gerade für solche Ländereien angewendet wurde,
welche erst urbar gemacht werden sollten. Da bei der Emphyteuse
der Kirche der Gegenwert für die Leihe im jährlichen, seiner Höhe
nach in der Regel durch altes Herkommen bestimmten Kanon entrichtet
wurde oder werden sollte, richten sich die Kirchenschutzgesetze
nicht so schr gegen eine Übervorteilung in dieser Beziehung, wie da-
gegen, daß das Eigentumsrecht der Kirche in Vergessenheit geraten
könnte; aus diesem Grunde hat Justinian die kirchliche Erbpacht auf
3 Generationen beschränkt und auf diese Weise die rechtliche Form
für die italienische precaria geschaffen, obwohl er später selbst diese
Beschränkung nur für die Kirche von Konstantinopel aufrecht erhielt
und allen andern Kirchen- das Recht zurückgab, Emphyteusen nicht
nur auf Zeit, sondern auch mit rechtlich unbegrenzter Dauer abzu-
schließen !). Daß aber der ususfructus bei der Verleihung von Kirchen-
gütern in Italien nicht durchdrang, läßt sich vielleicht darauf zurück-
führen, daß in dem Dekrete des Papstes Symmachus vom Jahr 502,
das gegen die Verschleuderung des Kirchengutes gerichtet ist, für den
ländlichen Grundbesitz der römischen Kirche nicht nur jede Vergabung
auf ewige Zeit, sondern auch der ususfructus ausdrücklich unter Strafe
gestellt wurde?). Dies sollte allerdings damals nur für die römische
Kirche gelten, während in den Provinzkirchen die alten Gebräuche
nicht angetastet werden sollten. Allein es wäre begreiflich, wenn
auch in dieser Beziehung die römische Kirche für die anderen unter
der Herrschaft des römischen Reiches in Italien stehenden Kirchen
tonangebend geworden wäre. Erst in karolingischer Zeit greift die
fränkische Form der precaria nach Norditalien hinüber, nach Bergamo,
Verona, Mailand, wo sich im 9. Jahrhundert dieselben Formen der
usufructuarischen precaria finden), wie nördlich der Alpen, doch ohne
daß sie die italienische Form, die Emphyteuse auf 3 Generationen,
hätten zurückdrängen können, die vielmehr die herrschende blieb.
Der Unterschied zwischen jener fränkischen und dieser italienischen
precaria ist also ganz durchgreifend und beruht auf dem Unterschiede
zwischen ususfructus und emphyteusis. — LOENING{) hat nun aller-
dings versucht, die fränkische precaria auf die Pachtform zurück-
zuführen, die im römischen Reiche bei Gemeinde- und Tempelländereien
üblich war. Sein Hauptargument ist, daß bei diesen die fünfjährige
1) Vgl. meine Analekten a. a. O. S. 5; mein Tabularium S. Mariae
in Via Lata I, p. XXVII; MOMMSEN in Zeitschr. f. Soc.- u. Wirtsch.-Gesch.
I, 44. — Cod. Just. I, 2, 24, 5; Nov. 7 c. 3; Nov. 120 c. 6.
2) Röm. Synode von 602 c. 14ff., abgedruckt in M. G. Auct. ant.
XI, 449 ff. Den übrigen Kirchen Italiens ist nur verboten, ultra usumfructum
zu veräußern: ebd. 392.
8) Vgl. Cod. dipl. LANG. 109, 111, 151, 196, 198, 301, 333.
4) LOENING, Gesch. des deutschen Kirchenrechts II, S. 714 f.
344 Ludo M. Hartmann: Miszelle.
Pachtzeit üblich war, und daß in einer Anzahl von fränkischen Precaris-
formeln zwar nicht gerade diese Frist festgesetzt ist, aber festgestellt
wird, daß auch bei lebenslänglicher Verleihung das Eigentum nicht
ersessen werden dürfe, sondern die Verleihung gelten solle „acsi semper
per quinquennium renovata fuisset“. LOENINGS Argument fällt aber
in sich zusammen, wenn man weiß, daß bei den Römern die übliche
Pachtzeit bei Grundstücken überhaupt, nicht nur bei Gemeinde- und
Tempelländereien, ein lustrum betrug, wie aus verschiedenen Stellen
der Gesetzbücher hervorgeht!). Jene Klausel, gleichbedeutend mit
der anderen: „de quinquennio in quinquennium sit renovata“, d. h.
die Precaria sei so, als ob sie von lustrum zu lustrum erneut sei,
scheint aber auch keineswegs, wie wohl angenommen wurde, für eine
tatsächliche regelmäßige Erneuerung nach je 5 Jahren zu sprechen;
eine solche erscheint vielmehr geradezu dadurch ausgeschlossen, daß
die Precaria eben ausdrücklich auf Lebzeiten des Belehnten abge-
schlossen ist ?).
Nichtsdestoweniger hat die Formel ihren guten Sinn. Die ganze
Schutzgesetzgebung für das Kirchengut ging davon aus, daß Kirchen-
gut nicht entfremdet werden solle. Die größte Gefahr einer Ent-
fremdung lag aber in den langfristigen Landleihen, da im Verlaufe
einer oder dreier Generationen das Eigentumsrecht der Kirche um so
leichter in Vergessenheit geraten konnte, wenn überhaupt von dem
Beliehenen kein Zins entrichtet wurde. Um also kein Präjudis zu
schaffen — wie in den Formeln öfters gesagt wird — und um die
Ersitzung auszuschließen, wird ausdrticklich ausgemacht, daß in dieser
Beziehung das rechtliche Verhältnis derart sein solle, als ob der Ver-
trag von 5 zu 5 Jahren erneuert würde, oder es wird auch ein Rekog-
nitionszins ausbedungen; in manchen Fällen wird auch die Klausel in
betreff der 5 Jahre mit einem Zinse kombiniert, und mitunter scheint
es auch, als ob der Zweck der Klausel dem Diktator der Formel nicht
mehr klar wäre. Daß man gerade 5 Jahre wählte, kann immerhin
durch die Anlehnung an die für einen solchen Zeitraum gewohnheits-
mäßig abgeschlossenen Pachtkontrakte erklärt werden, wenn auch von
Anfang an rechtlich und wirtschaftlich zwischen der Zeitpacht (locatio,
uio$woıc) auf der einen und dem ususfructus und der emphyteusis auf der
anderen Seite ein ganz scharfer Gegensatz bestand, und wenn auch,
trotzdem der ursprüngliche römisch-rechtliche Gegensatz zwischen obli-
gatorischem und dinglichem Rechte geschwunden sein mag, der wirt-
schaftliche Gegensatz in voller Schärfe bestehen blieb.
Bei der usufructuarischen precaria, ebenso wie bei der italienischen
Emphyteuse, scheidet das verliehene Gut aus der Grundherrschaft und
damit aus der Wirtschaft des Verleihenden vollständig aus®), geht
1) Vgl. D. XIX, 2, 9, 1; 13, 11; 24, 2. Auch im italienischen Mittel-
alter finden sich infolgedessen Leihen auf 5 Jahre. — Die tibrigen juristischen
Ausführungen LOENINGs a. a. O. können ebensogut auf ususfructus und em-
phyteusis Anwendung finden.
2) A. M. LOENING a. a. 0. u. ROTH a. a. O. 171.
3) Vgl. meine Analekten S. 14, 66 und SEELIGER a. a. O. 8. 86, 40f.
Bemerkungen zur italienischen und fränkischen Precaria. 345
in eine andere Wirtschaft über, ist nicht mehr „ad usum et utilitatem“
der verleihenden Kirche da, sondern eben im ususfructus des Belehnten.
Eben weil aber der Belehnte nicht zur Wirtschaftseinheit der ver-
leihenden Kirche gehört, kann er zwar in Italien regelmäßig Geldzins,
im fränkischen Reiche einen Rekognitionszins oder auch mehr zahlen,
aber nicht innerhalb der Grundherrschaft für ihren eigentlichen Betrieb
Dienste leisten:). Es ist demnach selbstverständlich, daß in den
meisten Fällen, in welchen ein der Kirche geschenktes Gut vertrags-
mäßig dem Schenker auf Lebenszeit überlassen wird, die Güter nicht
nur formell-juristisch, sondern auch wirtschaftlich als selbständig zu
betrachten sind, weil eben das Gut, das schon bisher wirtschaftlich
selbständig war, nicht oder erst nach dem Tode des Schenkers in die
Gutswirtschaft einbezogen wird. Es ist aber auch natürlich, daß die
mächtigen Herren, welche sich auf dem Wege der precaria ein Gut
von der Kirche zu verschaffen wußten, ihre wirtschaftliche Selbständig-
keit dabei wahrten, indem das Gut tatsächlich aus dem Wirtschafts-
verbande der Kirche losgelöst wurde. Wenn es aber vorkommt, daß
auch Verträge, für welche jenes wirtschaftliche Kriterium nicht zutrifft,
als precariae bezeichnet werden, so sind diese auf eine Stufe zu
stellen mit dem italienischen „libellus“ und diesem wesensgleich; die
Bezeichnung rührt eben, wie beim „libellus“, von der Form des Bitt-
gesuches her, aus welcher sich ja auch die Parzellenpachtverträge
entwickelt haben.
Zu den Leihen der letzteren Art, welche sich auf Grundstücke
beziehen, welche in die Gutswirtschaft aufgenommen sind, gehören
auch die von SEELIGER herangezogenen Urkunden aus St. Gallen,
welche ausnahmsweise”) auch precariae genannt werden. Daß sie
aber auf ganz andere Ursprünge zurückgehen, wie die usufructuarischen
Leihen des Westens, ergibt sich nicht nur aus ihrer Form, sondern
namentlich auch daraus, daß sie regelmäßig nicht nur für die Person
des Beliehenen, sondern für dessen ganze posteritas abgeschlossen
werden, die dadurch in die Wirtschaft des Klosters St. Gallen ein-
bezogen, und zwar nicht hörig, aber wirtschaftlich abhängig gemacht
wird. Hier kann eben natürlich von den Beschränkungen, die für den
ususfructus und die Emphyteuse galten, nicht die Rede sein, da es
sich um ein wirtschaftlich und rechtlich ganz anderes Verhältnis handelt.
Das gleiche gilt auch von den Urkunden aus Freysing.
SEELIGER?) hat aber gewiß sehr richtig gesehen, daß „ein be-
stimmter Unterschied zwischen den Mansen des herrschaftlichen Hufen-
bauers und den Benefizien zu machen ist“; er sagt mit Recht: „ver-
schieden ist die Stellung innerhalb der grundherrlichen Organisation,
1) Die beiden von SEELIGER a. a. O.S. 17 angeführten Formeln: Marc. II,
41 und Brrur. 2 stimmen auch sonst mit den übrigen usufructuarischen
precaria-Formeln nicht überein; es ist hier kein ususfructus, sondern ein
Kolonatsverhältnis (accola) gemeint; precariae werden die Urkunden hier aller-
dings auch wegen ihrer Form genannt; vgl. die ital. „libelli* im gleichen
Sinne.
2) z. B. Trad. Sang. 22, 120, 271.
3) SEELIGER, 8. a, 0. 41 ff.
546 Ludo M. Hartmann: Miszelle.
verschieden die eigentliche wirtschaftliche Funktion gegentiber der
Grundherrschaft, verschieden daher auch — besonders später — die
herrschaftliche Macht über das Leiheland und über die Beliehenen“
— und „Benefizialland ist nicht Gutsland“ ; (die Benefizien) „sind unter-
schieden von niederen Leihen dadurch, daß sie nicht dem engeren
rutsverband angehörten“. SEELIGER bezieht dies nur auf die Benefizial-
leihen der späteren Zeit.
Aber diese Scheidung geht schon auf die römische Grundherrschaft
zurück; und gerade in den Formeln und Urkunden, durch welche dem
Belehnten Abgaben, namentlich persönliche Dienste auferlegt werden,
welche sich mit der gekennzeichneten Stellung außerhalb der Guts-
herrschaft schwerlich vertragen würden, ist keine Rede vom ususfructus,
der in den anderen Fällen gemäß den römischen Gesetzen in mero-
wingischer Zeit durch die precaria begründet wird‘); dies kann kein
Zufall sein. Die Urkunden von St. Gallen z. B. enthalten keinen usus-
fructus, fallen gar nicht unter die kaiserliche und kirchliche Gesetz-
gebung; sie beziehen sich auf Verhältnisse, die in keiner Weise unter
den Gesichtspunkt der alienatio fallen können.
LOENING*) hat nun zuerst darauf hingewiesen, daß, wie nament-
lich aus den altertümlichsten uns erhaltenen Formeln, denen von
Angers, hervorgelit, wenigstens in gewissen Teilen des merowingischen
Reiches tatsächlich Verhältnisse bestanden, in denen der Belehnte frei
über das geliehene Gut verfügt. Das Recht der Kirche auf das Gut
wird zwar bei der Veräußerung durch den Belehnten ausdrücklich
durch die Klausel: „absque praeiudicium sancti illius“ o. ae. an-
erkannt; eine zeitliche Begrenzung der Leihe ist aber nicht vorgesehen,
und von einer Abgabe an den kirchlichen Eigentümer ist wenigstens
nicht die Rede. Es scheint sich hier in der Tat um dauernde Ver-
leihungen von der Art zu handeln, wie sie durch Gesetze oder Canones
verboten waren, sei es nun, daß sie zu einer Zeit begründet waren,
in welcher die Kirchenschutzgesetzgebung noch nicht durchgegriffen
hatte, oder daß sie auch praeter legem abgeschlossen worden waren.
Jedenfalls kann man aus dem Vorkommen, sogar aus dem häufigen
Vorkommmen derartiger Leihen in gewissen Gegenden nicht darauf
schließen, daß die Bestimmungen in betreff des Schutzes der Kirchen-
güter nicht bekannt oder nicht in rechtlicher Geltung gewesen wären.
Es ist vielmehr bezeichnend, daß eine Formel für solche dauernde Ver-
leihungen nicht überliefert. ist und daß man auf deren Existenz nur
zurückschließen kann: denn dies spricht dafür, daß dem Verfasser
oder Samnier der Formeln die Verbote wohl bekannt waren. Daß
die Verbote aber tatsächlich nicht tiberall durchgegriffen haben, lernen wir
ja nicht nur aus den Erwähnungen aus dauernder Leihe entspringender
Rechtsverhältnisse, sondern auch aus der Notwendigkeit wiederholter
Einschärfung der Veräußerungsverbote.
1) Mau vgl. die übrigen merowingischen Formeln mit den von SEELIGER
S. 17 angeführten Fällen, welche beweisen, daß die precaria auch mit Dienst-
leistungen etc. verträglich war.
2) LOENING, a.a.0. S. 717fl. — Form. Andeg. lc, 7, 8, 21, 22,
26, 37, 40.
Bemerkungen zur italienischen und fränkischen Precaria. 347
Jedenfalls war gegenüber der Bestimmung der Synode von Agde
von 506, welche nicht nur die Veräußerung im allgemeinen verbot,
sondern auch in den Begriff der Veräußerung die Vergabung zu usus-
tructus einschloß und diese wie den Verkauf nur ausnahmsweise mit
Billigung und Unterschrift mehrerer benachbarter Bischöfe zuließ,
der später geduldete Rechtszustand eine Milderung'); von der Em-
phyteuse ist auch hier überhaupt nicht die Rede; sie mußte natürlich
als dauernde Veräußerung gelten, da die Einschränkung auf drei Gene-
rationen noch nicht erfunden war. Nach der Synode von Epao war
zwar ein Tausch zum Nutzen der Kirche dem Bischof gestattet, da-
gegen Verkauf nur mit Zustimmung des Metropoliten?). In der
Synode von Massilia von 533 wurde ein Bischof verurteilt, weil er
Häuser der Kirche gegen die Canones ohne Zustimmung einer Synode
.perpetuo iure“ veräußert hatte?). Diese Bischöfe standen allerdings
uoch nicht unter fränkischer Herrschaft, und seit Beginn der fränkischen
Herrschaft kam es vor, daß durch den König oder auch durch andere
„potentes“ gegen Recht und Kanon Kirchengut prekaristisch vergeben
wurde). Allein, wie sich aus einem Kanon der Synode von Orléans
vom Jahre 5385) ergibt, wurde prinzipiell die Unveräußerlichkeit von
Kirchengut festgehalten; die Bischöfe dürfen Kirchengut nicht ver-
äußern noch auch „per contractus inutiles obligare“; es sind offenbar
nicht „ungültige“ Verträge, sondern solche gemeint, welche der Kirche
keinen Nutzen, keinen Gegenwert bringen, im Geg gensatze zu Verträgen,
wie sie in jener Konstitution K. Leos gestattet sind. Daß in der Tat
Vergabung auf Lebenszeit gestattet war, ergibt sich aber aus einem
Kanon der Synode von Orléans von 54156); dies sind offenbar die
usufructuarischen Verträge im Sinne K. Leos. — Jedenfalls mußte,
da die kanonische Bestimmung der Unveräußerlichkeit des Kirchenguts
immer wieder anerkannt, aber auch immer wieder eingeschärft wurde,
irgendeine Regel anerkannt sein, welche bestimmte, was als Veräuße-
rung, alienatio, anzusehen sei, was nicht; und da ist es begreiflich
senug, wenn die Kirche die genauen Bestimmungen K. Leos, ob nun
das Gesetz in Gallien publiziert wurde oder nicht, herübernahm. In
der Tat sind ja auch die überlieferten Formeln derart, daß an ihrem
römischen Ursprunge nicht gezweifelt werden kann. —
Genau der Vorschrift K. Leos entsprechen die Formeln Marc. II,
39 und Turon. 6: Übernahme eines Kirchengutes zu ususfructus,
las nebst einem zweiten Grundstücke nach dem Tode des Belehnten
an die Kirche zurückfällt; die Gegenleistung des Belehnten besteht
also hier nur in der Abtretung eines zweiten Gutes, das nach der Vor-
schritt K. Leos ebensoviel wert sein soll, wie dasjenige, welches er
1) Council. Agathon. (bei Mansi VIII, 325) c. 7. Vgl. hierzu u. zum
folgenden LOEnIxG II, 214 f.
2) Conc. Epaon, c. 12 (M. G. u : Ps t. I, p. 22).
3) Conc. Massil,, M. G. a. a. O.
4) Conc. Arvern. a. 535 c. 5; N urel. a. 541 c. 25; Paris. a. 506
bis 573 c. 1 (M. G. a. a. 0. p. 67, 98, 142). Vgl. LOENING a. a. O. G91 ff.
5) Conc. Aurel. a. 538 c. 18 (M. G. a. a. O. p. 77).
6) Conc. Aurel. a. 541 c. 34: „in die vitae suac“.
348 Ludo M. Hartmann: Miszelle.
von der Kirche erhalten hat. In den Formeln Sal. Merk. 33, 34f.,
Sal. Lindenb, 3 und Turon. Add. 3, die alle aus späterer Zeit
stammen, leistet der Belehnte außerdem noch einen jährlichen Zins;
es ist dies offenbar eine Fortentwicklung, durch welche sich die Kirche
noch mehr vor Entfremdung ihres Gutes zu schützen suchte, wenn
auch Zinszahlung mit dem alten ususfructus nicht recht verträglich
war. Daneben kommen allerdings auch andere Formen, scheinbar
ohne Gegenleistung, vor; diese erklären sich aber, wie schon LOENING
bemerkt hat!), daraus, daß eine Schenkung des zu Belehnenden
vorausgeht und dieser seine Schenkung natürlich von bestimmten
Voraussetzungen oder Bedingungen, z. B. Überlassung des ususfructus
an ihn, abhängig machen konnte. — Dagegen kommt die alte „remunera-
torische Precaria“, durchaus als die regelmäßige und rechtmäßige be-
trachtet, noch im 9. Jahrhundert vielfach vor?). —
Die weltliche Gewalt war nun allerdings für die Vergabungen ihres
eigenen Gutes in keiner Weise an Einschränkungen gebunden, und
bekanntlich ist das Königsgut in merowingischer Zeit einfach verschenkt
worden. Übergriffe auf das Kirchengut durch die precariae verbo regis
kamen zwar vor, waren aber nicht die Regel — ebenso wie sich
Justinian ausdrücklich vorbehalten hatte, wenn es das Staatswoll er-
heische, gewisse Ausnahmen von den Schutzbestimmungen, die er zu-
gunsten des Kirchenguts erlassen, zugunsten des Staates eintreten zu
lassen?). In der Karolingerzeit, als das merowingische Königsgut
vertan war, wurden bekanntlich die königlichen Vergabungen aus
Kirchengut zur dauernden Einrichtung. Daß jetzt die Schutzbestim-
mungen nicht mehr eingehalten werden, ist selbstverständlich; denn
es handelte sich ja bei diesen Vergabungen nicht mehr darum, der
Kirche, sondern dem Belehnten einen wirtschaftlichen Vorteil zu-
zuwenden. Der maiordomus oder König trat also kraft der Machtvoll-
kommenheit, die er in Anspruch nahm, vom Kirchen- (wie vom eigenen)
Gute den einfachen ususfructus ab. Der Doppelzehent wird erst später
zur teilweisen Entschädigung der Kirche und als Rekognitionszins zu-
gestanden und durchgeführt, ist nicht eine ursprüngliche Rechtsfolge
der Vergabung. Und nach wie vor bleibt, wie rechtlich der ususfructus,
so wirtschaftlich der Umstand für das beneficium charakteristisch, daß
das verliehene Gut aus der Wirtschaft des Eigenttimers ausgeschaltet ist. —
Der Entwicklungsgang der Leiheverhältnisse dürfte also der gewesen
sein, daß der Gegensatz zwischen wirtschaftlich abhängiger und wirt-
schaftlich selbständiger Leihe, zwischen locatio und ususfructus schon
im römischen Rechte vorgezeichnet war; daß der ususfructus an kirch-
lichem Gute durch kaiserliche und kirchliche Schutzbestimmungen
geregelt und eingeschränkt war; daß aber durch die Übergriffe der
neuen Königsgewalt auf das Kirchengut diese Einschränkungen weg-
fielen und das beneficium der karolingischen Zeit entstand.
1) Vgl. LOENING a. a. 0, 706.
2) Vgl. RoTH, Feudalität, S. 147 ff. und namentlich Concilium Mel-
dense-Parisiense c. 845—847 c. 22 (M. G. Capit. II, p. 404).
3) Justin. Nov. 7 c. 2.
Ph. Heck: Die kleinen Grundbesitzer der brevium exempla. 349
Die kleinen Grundbesitzer der brevium exempla.
Von
Ph. Heck (Tübingen).
I. Problem. H. Nichterwähnung der Eigenwirtschaft. III. Unterscheidung
und Wesen der mansi serviles. IV. Schlußfolgerung.
I. Die Angaben, welche die „brevium exempla (ad) describendas-
res ecclesiasticas et fiscales“!) hinsichtlich der Zusammensetzung
kleiner Lehen und Prekarien in karolingischer Zeit enthalten, haben
für die grundherrliche Theorie WITTICHS eine besondere Bedeutung.
Der Ausdruck „Grundherrschaft“ wird in den Publikationen der-
Knappschen Schule und namentlich von WITTICH?) in einem besonderen
technischen Sinn?) gebraucht, und zwar als Gegensatz zu der späteren
Gutsherrschaft. Grundherr in diesem Sinn ist nicht jeder größere:
Grundbesitzer, sondern nur derjenige, der nicht von dem Ertrage einer
Eigenwirtschaft, sondern von Abgaben lebt, der „Grundrentner“ ist.
Den Gegensatz bildet jeder Eigenwirt ohne Rücksicht auf die Art und
Größe seines Betriebes, nicht nur der Bauer, der persönlich arbeitet,
sondern auch der Gutsherr, der Gesinde und Frondienste verwendet
und nur die Leitung selbst oder durch einen Verwalter austibt. Mit
Rücksicht auf diesen Sprachgebrauch und wegen einzelner Wendungen
hatte ich in meiner Untersuchung über die karolingischen Gemein-
freien 4) angenommen, daß WırTich bei den Vollfreien, die er als Grund-
herren bezeichnet, die Eigenwirtschaft negiere oder als bedeutungslos
hinstelle. Dieser Vorstellung galt meine damalige Polemik. WITTICH
hat in der Replik5) meine Deutung als irrig bezeichnet und dabei er-
klärt, daß er gleichfalis die Eigenwirtschaft als Mittelpunkt jeder
grundherrlichen Wirtschaft annehme. Die noch verbleibenden Diffe-:
renzen würden mich nicht zu einer neuen Erwiderung veranlaßt
haben, wenn WITTICH seine Ansicht festgehalten hätte. Aber das ist
nicht der Fall. Vielmehr ist WITricH nachträglich zu derjenigen An-
sicht gelangt, die ich irrigerweise bei ihm vermutet hatte. Mein
Irrtum hat sich wenigstens als ein prophetischer herausgestellt.
WırTicH®) folgert gerade aus den oben erwähnten Angaben der brevium
1) Mon. Germ. L. II, 1 S. 250 ff. (von dem Herausgeber um 811 angesetzt).
Die Originalurkunden, die den Registraturvermerken zum Vorbilde gedient
haben, lassen sich nicht auffinden.
2) Vgl. Wirricu, Artikel „Gutsherrschaft* in dem „Handwörterbuch der-
Staatswissenschaften“ und „Grundherrschaft in Nordwestdeutschland“, Leipzig
1896, S. 1, 7, 12ff., 16 ff.
3) Diese Begriffsbestimmung ist deshalb zu betonen, weil das Wort
gewöhnlich für den größeren Grundbesitzer verwendet wird, so z. B. in den
Untersuchungen v. G. CARO.
4) Beiträge zur Rechtsgeschichte der deutschen Stände im Mittelalter,
I. Die Gemeinfreien der karolingischen Volksrechte, 1900.
5) Die Frage der Freibauern, Zeitsch. der Savignyst. G. 22 8. 272, 276,
279, 80 und passim.
6) a. a. OD. S. 344.
350 Ph. Heck: Miszelle.
exempla, daß es kleine Lehen ohne Eigenwirtschaft gegeben habe.
Er hat diese Erkenntnis sofort auf Allod übertragen und bei der Aus-
legung der Heerbannkapitularien verwertet.
Deshalb gilt es, die Grundlage dieser neuen Ansicht zu prüfen.
II. In den brevium exempla sind an Privatgütern inventarisiert
6 Prekarien und 6 Benefizien des Klosters Weißenburg. Die Auf-
zeichnung beschränkt sich in allen diesen Fällen auf die Erwähnung
von Herrenhof, Wiesen, Weinbergen und abhängigen Hnfen!). Eine
eigene Ackerwirtschaft, die vom Herrenhofe aus betrieben werde,
wird nicht ein einziges Mal erwähnt. WiırrTich folgert nun aus der
Nichterwähnung ohne weiteres, daß keine Wirtschaft existiert hat.
Man kann diese Auslegung als „Negationshypotliese“ bezeichnen. Wenn
sie richtig wäre, so würde mit ihr ein sehr bedeutsames Ergebnis ge
wonnen sein, denn die Beispiele des Formulars haben zweifellos typische
Bedeutung. Das Formular mußte die normalen Verhältnisse bertick-
sichtigen, wie sie bei den Revisionen gewöhnlich vorkamen. Das ganz
ausnahmslose Fehlen der Eigenwirtschaft würde daher sehr bedeutsam
sein. Aber die Auslegung WITTIcHs ist nicht richtig, sie wird der
Eigenart der Quelle nicht genügend gerecht. Das Formular enthält
Muster abgekürzter Beschreibungen. Es ist betitelt „brevium exempla“.
Die Tätigkeit des Registrierens wird als „breviare“ bezeichnet ?). Bei
einer derartigen Quelle kann die Nichterwähnung eines sonst zweifel-
losen Besitzteils auch darauf beruhen, daß dieser Gegenstand als selbst-
verständlich galt, schon durch die Erwähnung eines anderen Teils als
Pertinenz gegeben erschien. In allen Beispielen begegnet uns die casa
lominicata, der Salhof. Sobald wir annehmen, daß bei jedem Sal-
hof Salland vorhanden war, dann erscheint es doch als möglich, daß
die Worte casa dominicata den Fronhof ebenso einschließlich des
Landes bezeichnen, wie mausus vestitus den ganzen Besitz der ab-
hängigen Bauern an Land und an Gebäuden zusammenfaßt. Der Er-
kenntniswert der Quelle würde bei einer solchen „Kürzungshypothese“
nicht geringer sein als bei der Negationshypothese WrTricHs. Nur
würde die vermittelte Erkenntnis die entgegengesetzte sein. Wenn
das Vorhandensein von Salland bei einer casa dominicata so selbst-
verständlich war, daß es als Beispiel einer zulässigen Kürzung weg-
gelassen werden konnte, so erbringt diese Erscheinung den glattesten
Nachweis für die ausnahmslose Verbindung der Eigenwirtschaft, also
das gerade Gegenteil der von WITTICH gewonnenen Erkenntnis.
Bei isolierter Betrachtung der Quelle und Nichtbeachtung der beson-
deren Qualität der ablıängigen Hufen würden allenfalls 3) beide Deutungen
1) Die regelmäßige Formel lautet „recepit“ oder „habet“ „cum casa
dominicata mansos vestitos serviles (VI), de vineis picturas (V), de prata ad
carradas (XX)“. Die Zahlen variieren natürlich.
2) Vgl. a. à. 0. c. 9: „eurtes VII, de quibus hic breviatum non est“,
©. 16: „Et sic cetera breviare debes“, c. 23: „Et sic cetera de talibus rebus
breviare debes, c. 24: „Item adbreviandum de praediis“.
8) Allerdings würde die Negationshypothese mit der Verbreitung der
mansi absi sich abfinden müssen. GERBERT (c. 19) hat neben dem Herren-
hause 5 Hufen. Aber sie sind alle wüst. Supponiert man Eigenwirtschaft,
Die kleinen Grundbesitzer der previum exempla. 351
möglich sein. Aber der Ausschlag vollzieht sich mit voller Bestimmtheit
zugunsten der zweiten, sobald wirentweder die anderen Nachrichten heran-
ziehen oder die abhängigen Hufen näher ins Auge fassen.
Die übrigen Nachrichten der Karolingerzeit ergeben, wie dies WITTICH
selbst anerkannt hat!), daß bei jeder Grundherrschaft eine eigene Acker-
wirtschaft den Mittelpunkt bildete. Diese Erkenntnis ergibt sich nament-
lich für die kleinen Lehen geistlicher Anstalten?). Die Eigenwirtschaft
aller Grundbesitzer erscheint somit als typischer Zug. Andererseits
haben auch die Angaben der brevium exempla typische Bedeutung.
Dabei sind es dieselben realen Verhältnisse, deren Spiegelbilder uns
in den brevium exempla und in den übrigen Nachrichten entgegen-
treten. Wir haben zwei Bilder desselben Objekts. Wenn nun von
den beiden dem Wortlaute nach möglichen Deutungen der brevium
exempla die Ansicht WITTICHs den schroffsten Gegensatz, die Kürzungs-
hypothese aber volle Übereinstimmung ergibt, so kann doch kein
Zweifel darin obwalten, daß nur die "übereinstimmende Deutung zu-
lässig ist.
III. Zu demselben Ergebnisse führt auf unabhängigem Wege die
Betrachtung der abhängigen Hufen.
Sowohl bei den Hufen des Fronhofs Stapfinsei und des Bistums
Augsburg wie bei den kleineren Besitzungen des Klosters Weißenburg
werden mansi ingenuiles und mansi serviles unterschieden. Aber das
Zahlenverhältnis dieser beiden Kategorien ist ein sehr verschiedenes.
Bei den Fronhöfen des Bistums überwiegen die mansi ingenuiles.
In Stapfinsei finden sich 23 Freihufen und 19 Knechtshufen. Im -
ganzen Besitze des Bistums Augsburg stellen sich die Zahlen auf 1041
und 466, so daß die Gesamtzahl der Freienhufen mehr als doppelt
so groß ist als die Gesamtzahl der Knechtshufen. Bei den kleineren.
Besitzungen stehen sich dagegen nur 10 Freienhufen und 84 Knechts-
hufen gegenüber. Die Zahl der Knechtshufen ist also mehr als 8mal
so groß als die der Freienhufen?). Ebenso ist beachtenswert, daß:
von den 12 kleineren Besitzern 10 ausschließlich Knechtshufen haben.
Nur ? Lehensbesitzer*) haben neben zahlreichen Knechtshufen (6 und 21;
auch Freihufen (6 und 4). Es handelt sich um die beiden größten
Lehen. Angesichts der Schärfe des Gegensatzes, der typischen Be-
deutung der Beispiele und anderer Bestätigungen) ist kein Zufall an-
so sind diese Hufen als Zuschlag zu dem Hofland zu denken. Verneint man
die Eigenwirtschaft, so wird die Lebensweise unverständlich.
1) Vgl. oben Anm. 5.
2) Vgl. die Statuten ADALHARDs, Gemeinfreie, S.294. WITTICH, a. a. O.
S. 280.
3) Die Zahl der Bebauer verhält sich wie 6:63; es sind 10mal so viel
mansi serviles vestiti vorhanden als ingenuiles vestiti.
4) HEIMBERTH (c. 17) hat mansos serviles 6, ingenuiles vestitos 2, absos 4.
WALTHARI (c. 22) hat bei 2 Herrenhöfen 18 mansos serviles vestitos, absos 3,
mansos ingenuiles vestitos 4.
5b) INAMA-STERNEGG betont wiederholt, daß bei den weltlichen Grund-
herren das Dominicalland und der Besitz an Unfreien, bei kirchlichem Besitz.
das Zinsland und die Zahl der abhängigen Freien überwiegen. Vgl. Wirt-
:3523 Ph, Hecks Miszelle.
‚zunehmen. Das Überwiegen der mansi serviles bei den kleinen welt-
lichen Besitzungen muß mit der Art ihrer Bewirtschaftung zusammen-
hängen und ist deshalb geeignet, uns über diese Verhältnisse nähere
Auskunft zu gewähren. Der Unterschied zwischen den mansi ingenuiles
und den mansi servilea hängt, wie allgemein anerkannt, mit dem
Stande des ursprünglichen Inhabers zusammen. Dies beweisen die von
Standesbezeichnungen entnommenen Ausdrücke. Dafür fällt ins Ge
wicht, daß in der Mehrzahl der Fälle noch der Stand des Bebauers
und die Qualität der Hufen miteinander tübereinstimmen!). Dafür
spricht endlich die durchschnittlich verschiedene Art der Belastung.
Die Verschiedenheit tritt schon in den brevium exempla selbst bei
der Beschreibung des Fronhofs Stapfinsei deutlich hervor. Ba
den Fretenhufen finden sich neben geringeren Ackerfronden und
Diensten auch größere Abgaben. Einzelne Hufengruppen sind dabei
verschieden belastet. Die Knechtshufen sind ganz gleichmäßig be-
"handelt. Sie entrichten eine geringfügige Abgabe?). Dagegen müssen
ihre Besitzer die halbe Arbeitszeit, drei Tage in der Woche, fronden.
Die Knechtshufen sind somit nicht Zins-, sondern Diensthufen. Dieses
Ergebnis ist zu verallgemeinern wegen der typischen Bedeutung des
Inventarformulars und wegen anderweiter Belege. Auch in dem Polyp-
tichon IRMINONIS tritt z. B. bei aller Verschiedenheit im einzelnen
der prinzipielle Unterschied noch deutlich hervor. Die Freienhufen
leisten nach der Berechnung GUERARTS°) durchschnittlich 0,6 Prozent
ihrer Belastung in Abgaben und 0,4 in Diensten. Bei den mansi
serviles sind die entsprechenden Zahlen 0,3 und 0,7. Das Verhältnis
ist daher das umgekehrte. Der Zusammenhang dieser Belastungs-
verschiedenheit mit dem Stande des ersten Inhabers liegt nun sehr nahe,
Der servus war persönlich zu ungemessenen, oder, nach alamannischem
und bayerischem Volksrecht, doch zu hohen Frondiensten verpflichtet
(3 Tage in der Woche). Der ingenuus brauchte nur diejenigen Dienste
zu leisten, die er speziell übernommen hatte. Die gesetzliche drei-
tägige Fronpflicht der servi tritt uns in Stapfinsei noch ungebrochen
entgegen. Die individuellen Verschiedenheiten im Polyptichon erklären
sich unschwer aus späteren Ablösungen.
Der Unterschied der mansi ingenuiles und serviles erscheint nun
aber als eine ständige Eigenschaft des Bauernguts. Er ist un-
abhängig von dem Stande des derzeitigen Bebauers und von der Exi-
stenz eines Bebauers überhaupt. Wir finden ingenui im Besitze von
mansi serviles und servi im Besitze von mansi ingenuilest). Wir finden
vor allem, daß auch bei den mansi absi, den unbesetzten Gtitern,
bei denen gar keine Belastung zur Zeit vorhanden war, die zu der
schaftsgeschichte 1 S. 119, 20, 130, ferner S. 148, 149 (für kleine Grund-
besitzer), S. 160, 161, 304, 358 ff.
1) Vgl. GUERARD, Polyptique de l’abée Irminon S. 588 u. 307 a. A.
2) Die Jahresabgabe einer jeden Hufe beträgt 1 Frischling, 5 Hühner,
10 Eier, 1 Hemd und 1 Tuch.
8) Vgl. Gukrarv S. 894 und $. 897.
4) Vgl. die Nachweisungen bei GUÉRARD a. O. S. 570. In zahlreichen
Fällen sitzen ingenui auf mansi serviles und servi auf mansi ingenuiles.
Die kleinen Grundbesitzer der previum exempla. 353
Eigenwirtschaft des Herrn gezogen waren oder wist lagen, dennoch
die Eigenschaft als ingenuiles oder serviles in den Berichten hervor-
gehoben ist. Juristische Beziehungen bestanden bei dem mansus absus
nicht‘). Die ständische Qualität der Hufe ist somit eine konstante
Eigenschaft des Landes, nicht bedingt durch Rechtsbeziehungen. Diese
Konstanz erklärt sich nur dadurch, daß die tatsächliche Beschaffenheit
des Bauernguts, seine Ausstattung mit Gebäuden und Inventar und
vor allem seine Größe der wirtschaftlichen Bestimmung als Zinshufe
oder als Diensthufe angepaßt war. Schon die einfachste wirtschaft-
liche Erwägung mußte dazu führen, dem Zinsbauern, der mehr Produktions-
zeit hatte, und außer seinem Unterhalte noch größere Abgaben produ-
zieren sollte, auch mehr Land zu geben als dem Fronder, der nur
die halbe Arbeitskraft frei hatte, aber auch fast nur seinen Lebens-
unterhalt gewinnen sollte. Jede Gleichstellung im Landbesitze wäre
unwirtschaftlich gewesen, entweder Verschwendung bei dem Besitzer
der Diensthufe oder Knauserei in Hinsicht des Zinsbauern. Dem-
entsprechend ist schon von verschiedenen Seiten festgestellt worden,
daß die mansi serviles durchschnittlich erheblich kleiner waren als
die mansi ingenuiles. — Nach GUERARD?) verhalten sich die mansi
ingenuiles und serviles im Durchschnitt fast wie 3:2 (10,59 Hektar
und 7,43 Hektar). Auch INAMA-STERNEGG betont die auffallende Kleinheit
der Knechtsgüter?).. Endlich finden sich gerade im alamannischen
Gebiete in den späteren Nachrichten kleine Bauerngüter unter der
Bezeichnung Schupposen, die höchstens 15 Morgen umfassen. Ihre
Identität mit den mansi serviles der Karolingerzeit kaun nach den
neuesten Forschungen BEYERLES*) keinem Zweifel unterliegen.
Eine solche Verschiedenheit der realen Beschaffenheit konnte natür-
lich durch den Wechsel der Bebauer nicht beseitigt werden. Sie er-
klärt allein und ungezwungen, weshalb auch bei der Registrierung der
mansi absi die Angabe der ständischen Qualität vorgeschrieben war.
Die Angabe gab Auskunft über die Größe der Hufe und deshalb auch
über die wünschenswerte Standeseigenschaft der fehlenden Kolonen.
Diejenige Bedeutung, die der Unterschied der beiden Gutsarten bei
den unmittelbaren kirchlichen Besitzungen hat, muß ihm nun ebenso bei
den kleinen Prekarien und Benefizien unserer Quelle zukommen. Dies
fordert die durchaus gleichartige Verwendung der gleichen Bezeichnungen
in den brevium exempla, namentlich die Ausdehnung des Unterschiede
auf die mansi absi der kleinen Besitzer. Ebenso aber auch die
Erwägung, daß die Prekarien und die Benefizien zu einem erheblichen
Teil früher unmittelbarer Besitz der kirchlichen Anstalt gewesen sind.
Der mansus servilis kann durch Verleiliung seine Größe und Ein-
richtung und deshalb auch die dadurch bedingte Funktion als Dienst-
1) Vgl. z.B. Brev. ex. Nr. 9: „mansos ingenuiles vestitos 1006, absos 36,
serviles vero vestitos 421; absos 46. Vgl. ferner c. 12, 13, 17, 18, 19, 20,
21 u. 22.
2) A. a. 0. S. 894, 97.
3) Vgl. a. a. O. S. 180, 158, 315, 372.
4) Vgl. K. BEYERLE, Ergebnisse einer alamannischen Urbarforschung
in Breslauer Festgabe für „Dahn“, S. 92 ff.
354 Ph. Heck: Miszelle.
hufe nicht ändern. Hätten die kleinen Besitzer Zinshufen gewollt,
so würden sie eben aus dem kirchlichen Vorrate mansi ingenuiles
erbeten und erhalten haben. Deshalb scheint es mir sicher zu sein,
daß von den 12 Besitzern unserer Quelle 10 ausschließlich Diensthufen
und die beiden andern neben wenigen (4:2) zinsenden Hufen auch eine
weit erheblichere Anzahl (6:18) von dienenden Hufen besessen haben.
Diese Erkenntnis ist von mehrfacher Bedeutung:
Erstens wird unsere Annahme, daß in allen Fällen bei der casa
dominicata die Eigenwirtschaft des Sallands mitinbegriffen ist, voll-
kommen bestätigt. Das geringfügige Wiesen- und Weideland konnte
die Arbeitskraft der Fronbauern schlechterdings nicht aufbranchen.
Alle diese Herren müssen Ackerland in Eigenwirtschaft gehabt haben,
auf dem sie die Frondienste ausnützten.
Zweitens aber tritt die Bedeutung der Eigenwirtschaft für den
Haushalt der Herren in ein helles Licht. Die 10 kleinen Grundbesitzer
konnten von ihren mansi serviles nur geringfügige Abgaben beziehen!}.
Dagegen hatten sie auch, abgesehen von dem anzunehmenden Gesinde?)
und der eigenen Arbeitskraft, erhebliche Frondienste zur Verfügung,
deren Ausnützung in ihrer Eigenwirtschaft ihnen den eigentlichen Lebens-
unterhalt liefern mußte. Die Grundbesitzer, in denen WITTICH ein
schlagendes Beispiel rein grundherrlicher Lebensführung findet, sind
überhaupt keine Grundherren, sondern typische Eigenwirte mit
ganz geringfügigem Abgabenrecht. Nur die beiden großen Lehens-
besitzer können neben ihrer entsprechend bedeutenden Eigenwirtschaft
(6 und 18 reine Dienstbauern) noch etwas erheblichere Zinsbezüge
gehabt haben (2 und 4 Zinsbauern).
Der territoriale Umfang der vorhandenen Eigenwirtschaften läßt
sich freilich nicht ziffermäßig feststellen. Im allgemeinen werden wir
wohl annehmen dürfen, daß der Dienstbauer, der mit seiner halben
Arbeitskraft etwa 15 Morgen für sich bestellte, mit der anderen Hälfte
Arbeitskraft ungefähr ebensoviel Land für seinen Herrn bearbeitete.
Aber die Wahrscheinlichkeit von Gesindearbeit und eventuell Eigen-
arbeit des Herrn einerseits, das Vorhandensein von Weinbergen und
Wiesen andererseits, sowie die Verwendung der mansi absi machen die
Rechnung ganz unsicher. Immerhin ergibt die Zahl der Diensthufen
eine starke Vermutung dafür, daß die Eigenwirtschaft meistens erheb-
lich mehr als 30 Morgen umfaßte. Ftir den Walthari mit 2 Salhöfen
und 18 Fronbauern dürften mindestens 240 Morgen anzusetzen sein.
IV. Die typische Bedeutung der brevium exempla gestattet eine
präsumtive Verallgemeinerung auf diejenigen Gebiete, in denen uns
1) Dies erhellt, wenn man einmal den Umfang der Abgaben (oben S. 852)
und andererseits den Umstand berücksichtigt, daß die Zahl der abhängigen
Bauern sehr klein ist, z. B. Unroh (c. 12) einen mansus vestitus, Meginhart
(c. 20) nur zwei hat.
2) Reine Gesinde- und Selbstwirtschaft dürfte bei dem Vasallen Gerbert
(a. a. O. Nr. 19) vorliegen. Er hat zwar 5 mansos serviles. Aber sie sind
alle absi. Auch bei Unroh (c. 12) und Meginhart (c. 20) wird ein ähnlicher
Zustand anzunehmen sein.
Die kleinen Grundbesitzer der previum exempla. 355
ınansi serviles begegnen. Die kleinen Besitzungen dieser Gebiete,
bei denen WırTicH das Schwergewicht auf die Abgabenwirtschaft legt,
sind ausschließlich Eigenwirtschaften, betrieben mit Hilfe von Fron-
diensten. Ob man solche Eigenwirtschaften von 30—240 Morgen als
größere Bauernwirtschaften oder als Zwergformen der Gutsherrschaft
bezeichnen will, ist eine Frage von sekundärer, mehr terminologischer
Bedeutung. Von einer auf dem Bezuge von Abgaben beruhenden
Wirtschaftsform, von einer Grundherrschaft im technischen Sinn, kann
gar nicht die Rede sein.
Das gewonnene Resultat ist nun nicht nur von selbständiger Bedeutung,
sondern auch bei der Auslegung anderer Nachrichten aus karolingischer
Zeit verwertbar!). Nicht jede abhängige Hufe beweist die Existenz
einer Grundherrschaft. Der mansus servilis ist regelmäßig Element
der Eigenwirtschaft.
Nachtrag: Der vorstehende Aufsatz hat dadurch eine besonders
aktuelle Bedeutung erlangt, daß WITTICH in seiner neuesten, soeben
erschienenen Arbeit bei einer Rekapitulation seiner Ansicht Grundherr
im Sinne von Grundrentner und — nicht nur Bauer —, sondern dies-
mal Kleinbauer als abschließende, alle Formen erschöpfende
Gegensätze hinstellt?). In welche Alternative gehören unsere Grund-
besitzer? Schlechterdings in keine von beiden. — WiTricxs Vorrat
an Anschauungsbildern ist lückenhaft. Unsere Grundbesitzer fallen
bei seiner Einteilung in einen leeren Raum, wo sie zahlreiche Schicksals-
genossen finden, denn solche Formen waren nicht nur in der Karolinger-
zeit häufig, sondern auch in den nächsten Jahrhunderten.
1) Dies gilt beispielsweise für die Statuten Adalhards. Aus dem Um-
stande, daß auch bei den kleineren Vasallen (unter 4 Hufen) eine familia
erwälnt wird, folgert WITTICH a. a. 0. S. 280, daß die Eigenwirtschaft bei
keinem Vasallen mehr als eine Hufe betrug und deshalb bei den größeren
der Rentenertrag den Ertrag der Eigenwirtschaft überwog. Diese Deduktion
erledigt sich durch die Analogie der brevium exempla. Die Beschränkung
der Eigenwirtschaft auf eine Hufe von dem Umfange der abhängigen ist
an dieser Stelle wie sonst, z. B. Freibauern S. 338, willkürlich. Auch für Sachsen
ist es wahrscheinlich, daß eine Eigenwirtschaft der Edelinge im Umfange
von 3 (4) Lathufen verbreitet war.
2) Altfreiheit und Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen, diese
Ztschr. 4 S. 77. Die Formulierung geht dahin, daß „die vollfreien Sachsen“
„nicht als Bauern sich ernährten, das heißt eine Hufe mit eigener Hand
bestellten, sondern daß sie kleine Grundherren waren, die in der Hauptsache
von den Abgaben ihrer anf wenigen Hufen angesiedelten Hörigen lebten“.
Vierteljabrechr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 24
356 Ph. Heck: Miszelle.
Die neue Hantgemaltheorie Wittichs,
Von
Ph. Heck (Tübingen).
I. Problem und Hauptstelle. II. Die alte Deutung (Legitimations-
deutung). II. Die neue Deutung (Vindikationsdeutung). IV. Die
Abwägung.
WITTICH hat in seiner Arbeit „Altfreiheit und Dienstbarkeit des
Uradels in Niedersachsen!) zu verschiedenen Ansichten Stellung ge-
nommen, die ich in meinem Buche „Der Sachsenspiegel und die Stände
der Freien“ ?) vertreten habe. Ich will aus den Differenzpunkten zu-
nächst das Hantgemalproblem herausgreifen, weil es sich, wie mir
scheint, selbständig erledigen läßt und dabei geeignet ist, als Stichprobe
bei der Vergleichung unserer Arbeiten zu dienen°).
Die herrschende Meinung sieht in dem Hantgemal des Sachsen-
spiegels ein Stammgut von ständischer Bedeutung. Nur derjenige ge-
hörte zu den Schöffenbaren, in dessen Geschlecht sich ein solches
Stammgut vererbte. Das Stammgut war unteilbar und jeweils im Be-
sitze des Âltesten. Diese Ansicht läßt sich daher als Theorie des
ständischen Geschlechtsguts bezeichnen. Sie ist von HOMEYER
begründet worden und bis vor kurzem unbestritten gewesen. Die Nach-
prüfung hatte mich*) zu dem Ergebnis geführt, daß diese Ansicht für
den Sachsenspiegel wie für die übrigen Stellen unbegründet ist. Im
Sachsenspiegel bezeichnet hantgemal einfach die Heimat, das Stamm-
gut im historischen Sinn, das ein Herausforderer neben des
Taufnamen seine Ahnen anzugeben hat, um dem Gegner die Prüfung
seiner Abkunft zu ermöglichen (historische Deutung).
Auch WITTICH hat sich gegen die herrschende Meinung erklärt.
Aber er hat nur die Unteilbarkeit und das Recht des Ältesten bean-
standet, dagegen die ständische Bedeutung noch stärker betont. Nach
WITTICH war nur derjenige vollfrei, der 1. Eigenttimer eines Sttioks
Erbgut war und 2. dieses Erbeigen zum Zeichen der Freiheit in „un-
mittelbarem Besitz“ hatte, „körperlich besaß“. Die Ansicht Wrrrions
1) Diese Zschr. 4 S. 1ff., auch als Buch erschienen. Die Vorrede der
Buchausgabe ist eindringender Würdigung zu empfehlen.
2) Beiträge zur Rechtsgeschichte der deutschen Stände im Mittelalter II,
Halle a. S 1905 (zitiert Sachsenspiegel). Unsere Arbeiten sind in der Haupt-
sache gleichzeitig entstanden. Ich habe, ohne WrrricHs Arbeit zu kennen,
die rechtsgeschichtlichen Voraussetzungen verneint, auf denen die Resultate
Wirricts aufgebaut sind. Deshalb mußte Wirr ıch Stellung nehmen.
8) Die Hypothesen Wirrice, die sich auf die Ministerialität beziehen,
lassen sich nicht ebenso isoliert besprechen, sind aber ebenso unrichtig. Es
liegt gar keine Wahrscheinlichkeit dafür vor, daß die niedersächsischen
Ministerialen in ihrer Mehrzahl, geschweige denn in ganz überwiegender
Mehrzahl altfreien Ureprungs srewesend sind.
4) Vgl. meine Stellungnahme: „Die Gemeinfreien der karolingischen Volks-
rechte“, Halle a. S. 1900, S. 107, 420, eine teilweise Begründung: Sachsenspiegel
S. 500 fl.
Die neue Hantgemaltheorie Wittichs. 367
kann der herrschenden Lehre als die Theorie des ständischen
Einzelguts gegenübergestellt werden. In der Annahme, daß die zur
Ministerialität übergetretenen altfreien Geschlechter sich das Stammgut
vorbehielten und sich dadurch vor den altdienstmännischen auszeich-
neten, ist WITTICH dem Vorgange ZALLINGERS und SCHRÖDERS gefolgt!).
WirtTich hat bei seiner Polemik gegen die herrschende Lehre sich
auf eine einzige Stelle des Sachsenspiegels berufen, nämlich auf III, 29,81.
Er folgert aus dieser Stelle, daß jeder Schöffenbare Eigentum und
körperlichen Besitz seines Hantgemals haben muß. An derselben
Stelle, meint er ferner, müsse auch meine Ansicht „scheitern“ ?).
Historische Beziehung genüge nicht, es werde körperlicher Be-
sitz gefordert.
Diese „Hauptstelle“ WiTTICHs hat im Zusammenhange folgenden
Wortlaut:
B. HI, Art. 29, $ 1, „Nen scepenbare man ne darf sin hantgemal
bewisen, noch sine vier anen bentimen, he ne spreke enen sinen
genot kampliken an. Die man mut sik wol to sime hant-
gemalemitsinemedetien, al ne hebbe’s under imenicht.
$ 2. Svar so tvene man en erve nemen solen, die eldere sal delen
unde die jüngere sal kiesen.“
Die Schlußfolgerungen, die WITTICH aus den im Drucke hervor-
gehobenen Worten gezogen hat, waren mir anfangs in ihrem Aufbau
unverständlich. Wie kann WıTrıcH die Unentbehrlichkeit körper-
lichen Besitzes aus Worten erschließen, welche sagen, daß es auf Besitz
überhaupt nicht ankommt (al ne hebbe ’s under ime nicht)?
Schließlich hat sich folgendes herausgestellt: Es gibt eine alther-
gebrachte und völlig unbestrittene Auslegung der Stelle. Auf ihr be-
ruht die herrschende Lehre und ebenso meine eigene Ansicht. Sie ist
mit WırrTıcas Theorie nicht vereinbar. WITTIcH hat seinen Ausftih-
rungen eine ganz andere, völlig neue Deutung der Stelle zugrunde
gelegt, aber unbewußt, ohne diese Auslegungsverschiedenheit zu be-
merken. (Aufmerksamkeitsiticke). Diese neue Auslegung würde die
Ausführungen WiTricxs rechtfertigen. Aber sie erweist sich als un-
möglich, und damit fällt Wrrricxs Hantgemaltheorie.
II. Die hergebrachte Deutung besteht darin, dass man den Hant-
gemaleid, der in Satz 2 gestattet wird, auf die in Satz 1 behandelte
prozessuale Sachlage, die Legitimation des Herausforderers bei kämpf-
licher Ansprache, bezieht und beschränkt. Man kann diese Auslegung
als Legitimationsdeutung bezeichnen.
Nach der Legitimationsdeutung wird der Hantgemaleid über eine
Inzidentfrage geschworen. Die Eidesleistung hat nur die Wirkung,
dass die in Satz 1 geforderte Boweisung erbracht ist, der Zweikampf
nicht mehr wegen dieser Pflicht geweigert werden kann. Dagegen tritt
keine weitergehende Wirkung ein. Namentlich wird dem bisher nicht
hesitzenden Schöffenbaren, der den Eid geleistet hat, keineswegs der
1) ZALLINGER, „Die Schöffenbarfreien des Sachsenspiegels“ 1887 S. 245,
248, 265. SCHRÖDER, Lehrbuch, S. 444 Anm. 35
2) Anm. 106.
358 Ph. Heck: Miszelle.
Besitz des Hantgemals übertragen. Auf die Erlangung des Hantgemal-
guts, auf einen Prozeß um Erbe oder Eigen bezieht sich die fragliche
Stelle iiberhaupt nicht. Diese Beziehung des Hantgemaleids auf die
kämpfliche Ansprache ist althergebracht. Sie findet sich schon in den
Glossen und ist von zweien der gründlichsten Kenner des sächsischen
Prozeßrechts, von HOMEYER!) und von PLANcK?), als ganz selbstver-
ständlich vertreten worden. Auch ich habe sie deutlich erkennbar
meinen von WITTICH für gescheitert erklärten Ausführungen zugrunde
gelegt”). Sie wurde allerdings niemals ausführlich erörtert und als not-
wendig nachgewiesen, weil sie als selbstverständlich erscheinen mußte
und noch niemand an ihrer Richtigkeit gezweifelt hatte. Stillschwei-
gend angenommen ist sie auch in den übrigen Darstellungen des säch-
sischen Ständewesens, welche die Theorie des Geschlechtsguts ver-
treten, und in den übrigen Darstellungen des sächsischen ProzeBrechts.
Denn bei der abweichenden, von WırrTıcH vertretenen Interpretation,
auf die ich gleich zurtickkomme, würde die Theorie des Geschlechts-
guts evident quellenwidrig*) und wirden alle Darstellungen des sächsi-
schen Prozeßrechts in hochwichtigen Fragen unvollständig und un-
richtig sein.
Bei Zugrundelegung dieser hergebrachten Legitimationsdeutung er-
gibt nun die 'Iauptstelle WırrTıcas durchschlagende Argumente für die
historische Deutung und gegen Wrrrics eigene Theorie.
Das erste Argument liefert Satz 1 in der Beschränkung des
Hantszsemalbeweises auf den einzigen Fall der kämpflichen An-
sprache. Ich habe den Erkenntniswert dieses Umstands schon in
meinem Buche?) besprochen, will darauf verweisen und nur bemerken,
daß die Beschränkung der Beweisgelegenheit mit der großen juristi-
schen und sozialen Bedeutung, welche das Hantgemal nach WIrTrTich
sehabt haben soll, noch weniger vereinbar ist, als mit der herrschenden
Lehre. Dagegen muß ich als neu in Ergänzung meiner früheren Aus-
führungen hervorheben, daß der zweite Teil der Hauptstelle vielleicht
noch bedeutsamer ist durch die Fallunterscheidung und die sich
anschließende Erbteilungsvorschrift.
Der Spiegler gestattet den Eineid schlechthin für alle Fälle und
hebt die Zulässigkeit für den Fall hervor, dass der Herausforderer das
Hantgemal nicht „unter sich“ hat!) Damit sind zwei juristisch
1) Über die Heimat nach altdeutschem Recht, insbesondere über das
hantgemal in „Abhandl. der Berl. Akademie“ 1852, S. 28 oben, S. 28, 8. 68.
2) Gerichtsverfahren I, S. 791 Zschr. f. deutsches Recht, 10 S. 222 Anm. 26
(der Hantgemalcid wird als Beispiel des Inzidentzverfahrens angeführt).
3) Vgl. a.a.0. S. 506: „Bei der Herausforderung muß der Kläger das
hantgemal nennen. Aber er beweist die erforderliche Beziehung durch seinen
hloßen Eid.“
4) Vgl. S. 361.
5) Sachsenspiegel S. 501 tl.
6) Es widerspricht der Wortfassung, wenn HoMEYER à. a. O. S. 28 den
Eid auf den Fall des Nichtbesitzes beschränkt. Auch sachlich ist diese Be-
schränkung untunlich. Der besitzende Prätendent konnte wohl das Land
vorzeigen, aber die Hantgemalsqualität, die Stammgutseigenschaft ließ sich.
Die neue Hantgemaltheorie Wittichs. 359
gleichbehandelte Alternativen gegeben. Mit Rücksicht auf die Bedeu-
tung von „unter sich haben“ '!) lassen sich die beiden Alternativen
bezeichnen als die Fälle des „Besitzes“ und des „Nichtbesitzes‘‘ oder
noch schärfer als die Fälle der „Eigenherrschaft und der „Fremd-
herrschaft“. Der Eineid wird für den ersten Fall als besonders nahe-
liegend gedacht. Aber er wird auch ftir den zweiten Fall ungeachtet
geringerer Selbstverständlichkeit zugelassen. Die Funktion, welche dem
Hantgemal bei der kämpflichen Ansprache zukomint, kann es in beiden
Fällen gleichmässig erfüllen, nicht nur bei Eigenherrschaft, sondern
auch bei bestehender Fremdherrschaft. Von dieser Unterscheidung
springt nun der Spiegler scheinbar unvermittelt über zu dem bekannten
Satze, daß bei Erbteilung der Altere teilt und der Jüngere wählt.
Der Gedankengang des Spieglers scheint mir zu der historischen
Deutung sehr gut zu stimmen. Wenn Hantgemal einfach das Gut ist,
auf dem die Vorfahren gesessen haben, so konnte die derzeitige Sach-
lage eine zweifache sein. Einmal konnte das Gut sich grade in der
Hand des Herausforderers befinden (Fall der Eigenherrschaft), oder
aber das Gut konnte in fremde Hand gekommen sein (Fall der Fremd-
herrschaft). Und zwar konnte diese Entfremdung für den Prätendenten
sich vollzogen haben durch Veräußerung, oder aber dadurch, daß das
Stammgut bei einer Erbteilung an eine andere Linie oder an einen
anderen Erben gekommen war. In beiden Unterfällen konnte es als
naheliegend erscheinen, der Entfremdung einen Einfluß auf die Be-
weisart einzuräumen, bei Entfremdung größere Anforderungen zu
stellen. Bei dieser Auffassung wird es verständlich, daß der Spiegler
die Relevanz der Fremdherrschaft ausdrücklich verneint. Zugleich
wird aber begreiflich, wie EykE dazu gekommen ist, unmittelbar an
die Besprechung des Hantgemalbeweises jene Vorschrift über die Art
der Erbteilung ($ 2) anzuschließen. EykE hat bei dem Falle der
Fremdherrschaft der zweite Unterfall vorgeschwebt, die Entfremdung
durch Erbteilung*). Somit scheint es mir, daß diejenige Vorstellung
vom Hantgemale, die ich vertrete, sich ganz genau in die Umrißzeich-
wie man sie auch denken möge, nicht durch den Augenschein, sondern nur
in anderer Weise erhärten.
1) Der Tatbestand des „unter sich haben“ ist nicht auf den körperlichen
Besitz beschränkt, sondern umfaßt jede Art tatsächlicher Herrschaft, auch
die mittelbare Herrschaft des Verleihers und Verpächters, den mittelbaren
Besitz des heutigen Rechts. Dies ergibt sich unter anderem mit voller Be-
stimmtheit aus dem bekannten Satze, daß der Klage um Gut nur derjenige
zu stehen braucht, der das Gut „unter sich“ hat. Vgl. Ssp. Bd. I, 16
(Gegensatz „nicht haben“) und PLANCK, Gerichtsverfahren I, S. 402, 408. —
Daß aber diese Klage auch gegen Verpächter und Verleiher ging, ist sicher
und noch nie bezweifelt worden.
2) Vielleicht hat eine Reflexion über den Grund der Gleichbehandlung
vermittelt. Der Gedankengang würde gewesen sein: Die Gleichbehandlung
ist richtig, denn es kann jemand ohne sein Zutun sein Stammland einbüßen,
z. B. bei der Erbteilung. Es gilt ja nicht die Vorschrift, daß jeder Erbe
Naturalteilung aller Grundstücke fordern kann. Vielmehr gilt der Satz: der
Altere teilt, der Jüngere wählt. Eine große Prägnanz des Ausdrucks ist
auch sonst dem Spiegler eigen.
360 Ph. Heck: Miszelle.
nung der Quelle einpaßt. Dagegen ist für die beiden anderen Deutungen
die Einpassung schlechtbin unmöglich. Mit der herrschenden Lehre
ist die Fallunterscheidung noch vereinbar. Der Fall der Eigenherr-
schaft läßt sich auf die Stellung des Geschlechtsältesten, die Negation
des Innehabens auf die Stellung der anderen Geschlechtsgenossen
beziehen. Ein Widerspruch ergibt sich aber hinsichtlich der Ideen-
assoziation, welche doch zwischen $ 1 und $ 2 möglich sein muß.
Wenn der Spiegler bei seinem Hantgemale an ein unteilbares, dem
Ältesten vorbehaltenes Stammgut gedacht hätte, so wäre es ihm meines
Erachtens psychologisch nicht möglich gewesen, sofort eine Vorschrift
über Erbteilung auszusprechen, welche den Grundsatz der Simultan-
sukzession voraussetzt, jedes Vorrecht des Ältesten negiert und das
Stammgut von dieser Behandlung nicht ausnimmt. Schon daraus
scheint mir hervorzugehen, daß der Spiegler mit hantgemal die
Vorstellung eines unteilbaren oder dem Altesten besonders zuge-
wiesenen Stammguts nicht verbunden hat. In meinem Buche hatte
ich bei der Polemik gegen die herrschende Lehre dieses Argument
noch nicht verwertet. Einfach deshalb, weil ich erst bei der Beschäf-
tigung mit WırTıcas T'heorie die Bedeutung des $ 2 für die Deutung
von $ 1 erkannt habe. Dennoch scheint mir diese neue Erwägung
vollkommen durchschlagend zu sein. Es liegt einer der Fälle vor,
in denen das Ergebnis indirekter Schlüsse nachträglich durch einen un-
mittelbaren Beweis bestätigt wird. Diesmal danke ich die Bestätigung
der Anregung WITTIcHs, wenn auch einer ungewollten. Die neue Theorie
WITTICHs scheitert vollständig und zwar nicht erst an dem Zusammenhange
mit $2, sondern schon an der vom Spiegler zugrunde gelegten Fallunter-
scheidung. Wer behauptet, nur dasjenige Land sei Hantgemal gewesen,
das im Eigentum und im körperlichen Besitze des Prätendenten stand, der
behauptet zugleich, daß ein in Fremdherrschaft befindliches Gut nicht
als Hantgemal genügen konnte. Diese Ansicht WITTIcHs wird deshalb
durch die Gleichstellung von Eigenherrschaft und Fremdherrschaft,
wie sie die Quelle mit Sicherheit gibt, völlig widerlegt. Wenn die
Legitimationsdeutung, die herkömmliche Beziehung des Satzes 2 auf
Satz 1, richtig ist, dann ist die neue Hantgemaltheorie WITTICHs mit
ihrer Grundlage, dem Sachsenspiegel, nicht vereinbar. Im tibrigen
würde die Theorie WITTICHS von dem Stammgut, das notwendig in
natura geteilt werden muß, wenn nicht einer der Erben die Vollfrei-
heit verlieren soll, mit der Anfügung und dem Inhalt der Erbteilungs-
norm ebensowenig harmonieren, wie die herrschende Lehre. Der $ 2
ergibt, daß für Stammgüter nur das gewöhnliche Erbrecht galt.
HI. Wrrricx hat nun gar keine Bedenken gegen die Richtigkeit
der hergebrachten Auslegung geltend gemacht. Er hat auch nicht
versucht, die Konsequenzen, welche für ihn so ungiinstig sind, zu ent-
kräften, sondern er hat weder die Auslegung noch ihre Konsequenzen
erwähnt. Andererseits ist er nicht mit dem Anspruche aufgetreten,
eine neue Auslegung zu geben. Aber er hat tatsächlich seinen Aus-
führungen eine völlig neue, nach dem isolierten Wortlaute der 8. 2 aller-
dings mögliche Deutung zugrunde gelegt. Ich will diese Auffassung
als Vindikationsdeutung bezeichnen. Sie geht dahin, daß der
Die neue Hantgemaltheorie Wittichs. 361
Hantgemaleid auf den Fall der Legitimation nicht angewendet, dafür aber
auf einen besonderen Rechtsstreit um Hantgemalgut bezogen wird, auf
eine Klage und Eigen, eine Vindikation des Stammguts. Der Hant-
gemaleid erscheint jetzt als ein tief eingreifendes prozessuales
Vorrecht des Schöffenbaren. Er kann Land dadurch behalten oder,
wenn er es nicht besitzt, erlangen, daß er mit seinem Eineide die
Eigenschaft dieses Landes als Hantgemal beschwört. Daß Wrrricx
wirklich die Vindikationsdeutung seinen Ausführungen zugrunde ge-
legt hat, ergibt sich einmal aus der Art der Verwertung. Vom Stand-
punkt der Legitimationsdeutung aus ist alles, was WITTICH sagt, voll-
kommen unbegreiflich, seine eigene Ansicht, seine Polemik gegen die
Theorie des Geschlechtsguts, seine Behauptung, daß die historische
Deutung an der besprochenen Stelle scheitere. Dagegen wird alles
schlüssig und durchsichtig, sobald man die Vindikationsdeutung zu-
grunde legt. Zunächst gilt das von der Polemik gegen die herrschende
Theorie des ungeteilten Geschlechtsguts und gegen meine Annalıme
einer lediglich historischen Beziehung‘). Wenn der Schöffenbare mit
seinem Eineid sich jederzeit den Besitz seines Hantgemals verschaffen
konnte, dann war natürlich der Alteste des Geschlechts nicht allein
zum Besitze berechtigt, dann muß jeder Schöffenbare sein eigenes
Hantgemal gehabt haben. Ebenso ist dann die historische Deutung
unzulässig. Wenn der Obsieg des Klägers damit gegeben war, daß er
die Eigenschaft des streitigen Landes als Hantgemal beschwor, dann
konnte Hantgemal nicht schou jedes Gut sein, auf dem die Familie
früher gesessen hatte, sondern nur dasjenige, an welchem der Kläger
noch Eigentum und Besitzrecht hatte. Aus der Erkenntnis, daß die Be-
ziehung des Schöffenbaren zu seinem Hantgemal zum Besitze berech-
tigendes Eigentum ist, folgt ferner der von WITTICH ausgesprochene
Satz, daß nur Grundeigentümer zu dem Stande der Schöffenbaren
gehören, vollfrei sein können. Die Vindikationsdeutung ist daher ge-
eignet, die negativen wie die positiven Schlußfolgerungen zu recht-
fertigen, die WITTICH aus der besprochenen Hauptstelle gezogen
hat. Zu demselben Schlusse zwingen einzelne Aussprüche. WITTICH
nennt den Hantgemaleid ein Prozeßprivileg des Schöffenbaren, das
ihm wegen der großen Bedeutung des Hantgemals gewährt sei?). Er
spricht von Beanspruchung des Besitzes *), von dem „Rechtsstreite über
das Hantgemal“*). Es ist deshalb völlig sicher, daß WITTicH die
hergebrachte Auslegung durch die neue Vindikationsdeutung ersetzt
hat’). Aber dieser Ersatz beruht nicht darauf, daß Wrrricx die
1) Diese Unvereinbarkeit der herrschenden Lehre und meine Ansicht mit
der Vindikationsdeutung ist so offenkundig, daß von dieser Auslegung aus
beide Ansichten als geradezu bloßstellend töricht erscheinen. WITTICH ist
so höflich gewesen, mildere Ausdrücke zu gebrauchen. Aber daß er mir eine
solche Gedankenlosigkeit zutraute, ist immerhin schmerzlich.
2) A. a. O. S. 38.
3) À. a. O. $S. 40.
4) A. a. O. S. 117 Anm. 106.
5) Auch Professor RIETSCHEL ist, unabhängig von mir, hinsichtlich der
Auffassung WITTICHs zu demselben Ergebnisse gelangt.
362 Ph. Heck: Miszelle.
Legitimationsdeutung geprüft und als gar nicht erwähnungswert ver-
worfen hat. Vielmehr sind zwei Umstände seiner Aufmerksamkeit ent-
gangen: 1. daß die Beziehung des Eids auf die Legitimation möglich
ist und 2. daß sie den beiden von ihm verworfenen Ansichten zu-
grunde liegt. Nur dieser Aufmerksamkeitslücke!) dankt Wrrrica
die Siegesfreude bei Polemik und Aufbau.
IV. Die Abwägung der beiden Deutungen gestaltet sich sehr ein-
fach. Die alte Auslegung ist einwandfrei. Die Vindikationsdeutung
scheitert bei dem Versuche der Durchführung an unüberwindlichen
Hindernissen,
Eine Klippe steht ganz im Vordergrunde. Ihre Sichtbarkeit er-
klärt, weshalb noch niemand vor WITTich die Vindikationsdeutung
vertreten hat. Die Viudikationsdeutung ist unmöglich aus dem nahe-
liegenden nnd einleuchtenden Grunde, weil sie durch den ersten Satz des
Artikels 29 unmittelbar ausgeschlossen wird. Der Spiegler sagt ja in
Satz 1, daß es nur einen Fall gibt, in dem der Hantgemaleid not-
wendig wird. Dieser eine Fall ist die Legitimation bei Herausforde-
rung. Folgerichtig nicht der Fall der Vindikation. Es ist ausge-
schlossen, daß EyYKE diesen bestimmten Ausspruch getan hätte, wenn der
Hantgewaleid bei der so wichtigen und häufigen Klage um Eigen eine
Rolle gespielt hätte. Es ist vollends unmöglich, daß er sich selbst
sofort desavouiert und an die Verneinung die entgegengesetzte Bejahung
ohne Erklärung angeschlossen hätte. So verfährt überhaupt niemand,
geschweige denn der Worte wägende EyKEE.
Dieser erste Einwand ist nicht nur offensichtlich, sondern auch so
glatt durchschlagend, daß es überflüssig erscheinen könnte, die Mög-
lichkeit der Vindikationsdeutung noch weiter zu untersuchen. Ich will
dies dennoch tun der Sicherheit halber und vor allem deshalb, weil
die ganze Hantgemaltlıeorie WWITTICHs und sein genealogisch-statistisches
Endergebnis mit der Vindikationsdeutung fallen.
An den ersten Einwand schließt sich sofort ein zweiter: WITTIOn
kann nur die exklusive Vindikationsdeutung brauchen, die Annahme,
daß der Spiegler bei Satz 2 an den Legitimationsfall gar nicht gedacht
hat, auch nicht nebenbei. Denn schon die kumulative Einbeziehung
des Legitimationsfalls würde durch die Fallunterscheidung die Theorie
WırTichs ausschließen. Nach Wortlaut und Zusammenhang muß aber
der Spiegler an den Beweis bei Legitimation gedacht haben.
Die Prüfung des Zusammenhangs ergibt auch dadurch ein weiteres
Bedenken, daß diejenige Ideenverbindung zerstört werden wiirde,
die nach meiner Deutung von Satz 2 zu dem nächstfolgenden $ 2 hin-
überleitet und daß der Inhalt der Erbteilungsvorschrift mit WITTicas
Vorstellung von der Realteilung des Stammgutes im Widerspruch
steht ?). |
1) Auf einer ebenso großen Aufmerksamkeitslücke beruht die Behauptung,
daß ich den Ursprung der Ministerialität aus der Hörigkeit bestreite. Wer
die Ministerialität des 12. und 13. Jahrhunderts als eine Art der „Hörigkeit*
bezeichnet, muß die altsächsische Mundlingschaft erst recht unter denselben
Oberbegriff einstellen.
2) Vgl. oben S. 860.
Die neue Hantgemaltheorie Wittichs. 363
Das unmittelbar sachliche Ergebnis ist die prozessuale Norm, daß
bei Vindikation von Stammgut nur der Eineid entscheidet. Dieser
Rechtssatz ist aus prozessualen Gründen abzulehnen. Es läßt sich
dies mit Sicherheit behaupten. Wir haben in bezug auf das sächsische
Beweisrecht sehr reiche Quellen, die öfters und in gründlichen Unter-
suchungen behandelt worden sind. Ich hebe die Arbeiten von
HOMEYER, LABAND und PLANCK hervor. Einem Forscher, der
im Sachsenspiegel ein neues Prozeßprivileg entdeckt zu haben glaubt,
kann diese Literatur manches bieten, wenn er sie benutzt. Unteranderem
die Erkenntnis, daß die Vindikationsteilnng unserer Stelle auf ein
doppeltes prozessuales Bedenken »tößt.
In der Spiegelstelle wird der Hantgemaleid gleichmäßig vorge-
schrieben für die beiden Fälle des Besitzes und des Nichtbesitzes. Das
würde auf den Prozeß bezogen heißen: „Das Beweisrecht ist das
gleiche für den besitzenden Beklagten und für den nichtbesitzenden
Kläger“. Demgegenüber ist es ein Fundamentalsatz des deutschen
Prozeßrechts, daß das Beweisrecht bei der Klage um Gut durch den
Besitz des Streitobjekts beeinflußt wird. Nirgends wird eine Aus-
nahme für Stammgut gemacht. Durch einfache Negation konnte der
Satz auch gar nicht geändert werden. Jedem, der mit der Vindikations-
deutung Ernst macht, drängt sich die Frage auf: Was nun, wenn 80-
wohl Kläger wie Beklagter in bezug auf das streitige Land den Hant-
gemaleid leisten? Grade die Kürze der Bemerkung zeigt deutlich, daß
der Spiegler an eine Klage um Gut gar nicht gedacht hat.
Zweitens ist zu beachten, daß der Hantgemaleid von dem Beweis-
führer allein geleistet wird ohne Zeugen oder Eideshelfer. Das An-
wendungsgebiet des Eineids war zur Zeit des Spieglers ein sehr be-
schränktes. Aber es umfaßte unter anderem Incidentstreitigkeiten. Des-
halb ist der Eineid nicht auffallend, wenn man die Legitimationsdeutung
zugrunde legt. Dagegen mußte der nicht besitzende Kläger bei der
Vindikation von Eigen ganz andere Beweise erbringen. Nach Ssp.
Il, 44, $ 3 braucht das Zeugnis von 6 schöffenbaren freien Männern,
wer, ohne unmittelbaren Besitz zu haben, um Eigen klagt. Dieser
Satz ist für jedes Eigen ausgesprochen, gilt also auch für Erbeigen.
Und Unzulässigkeit des Eineids gilt nach sächsischem Prozeßrecht ganz
allgemein für die Klage um Eigen!). Die Durchführung des Eineids
beim Hantgemal würde eine analogielose Singularität darstellen. Sie
ließe sich nicht durch die Altertümlichkeit des Instituts erklären. Im
Gegenteile, der Eineid zeigt ein um so geringeres Anwendungsgebiet,
je weiter wir in die Vergangenheit zurückgehen. WTITTICH nimmt an,
daß das Institut des Hantgemals ein sehr hohes Alter hatte und schon
im 12. Jahrhundert im Absterben begriffen war. Bei einer solchen
Datierung muß der Eineid als prozessuales Entscheidungsmittel für
die Klage um Eigen völlig ausscheiden.
Das mittelbare sachliche Ergebnis würde der Satz sein, daß nur der
Eigentümer eines Stammlandstücks zu dem Stande der Schöffenbaren
oder Vollfreien gehören konnte. Der Mann, der sein Erbgut veräußerte,
lı Vgl. z. B. PLanck, U, S. 134 ff.
364 Ph. Heck: Miszelle. Die neue Hantgemaltheorie Wittichs.
hörte auf, vollfrei zu sein. WITTICH hat diese Konsequenzen gezogen
oder, genauer, diese schon in seinen früheren Arbeiten !) durchscheinende
Ansicht jetzt bestimmter formuliert. Aber die Abhängigkeit der Voll-
freiheit vom Grundeigentum widerspricht, wie ich an anderer Stelle
gezeigt zu haben glaube?), den bestimmten Angaben der Quellen und
dem Gesamtaufbau der sächsischen Standesgliederung. Die Eigentums-
theorie der Schöffenbaren ist auch in ihrer jetzt von WITTICH gege-
benen Formulierung?) schlechthin unannehmbar. Die Konsequenz
steht im Einklange mit den übrigen Qualitäten der neuen Auslegung.
Aus diesen Gründen ist von der Vindikationsdeutung abzusehen.
Die alte Auslegung ist die einzig mögliche, aber sie ist auch unbedenk-
lich und durchaus sicher. Sie führt zu der historischen Deutung von
Hantgemal und ist mit der Hantgemaltheorie Wrrricas schlechterdings
nicht vereinbar.
Neben dem Sachsenspiegel hat WrrricH noch unterstützende Belege
angeführt. Er beruft sich auf die an sich nicht sehr auffallende Er-
scheinung, daß in verschiedenen Urkunden bei der Veräußerung größerer
Komplexe einzelne Teile ausgenommen oder vorbehalten werden. Aber
diese Wahrnehmungen haben für seine Ansicht keine selbständige Be-
deutung. Der ganze Gedanke, daß ein für die Standeszugehörigkeit
bedeutsames Stammgut existiert hat, und ebenso die Vorstellung von
seiner Beschaffenheit beruhen auf dem Sachsenspiegel, und zwar auf
der irrtümlichen Auslegung der Hauptstelle. Mit der Aufklärung dieses
Irrtums löst sich der ganze Aufban.
Die Behandlung des Hantgemalproblems durch Wrrricx ist als
Stichprobe seiner Arbeitsmethode gewählt worden. Diese Probe
zeigt zwei Eigentümlichkeiten: Mangel an Schärfe bei den eigenen
Gedanken und Unterschätzung der Gedanken anderer. Bei etwas
schärferem Denken hätte WITTICH von selbst die richtige Auslegung
finden müssen. Er wäre aber auch olıne eigenen Scharfsinn zu diesem
Ergebnis gelangt, wenn er sich die pflichtgemäße Mühe gegeben hätte,
die Literatur zu studieren und die Ansichten anderer in ihrem Aufbau
zu verstehen, bevor er über sie aburteilte. Die übrigen Teile der Ar-
beit WITTicHs sind nun, soweit sie Neues bringen, ganz von der gleichen
Qualität. Dies gilt ausnahmslos für die einzelnen Hilfshypothesen
ebenso wie für die Endresultate, Die beiden Grundmängel kehren
immer wieder. WITTICH hat überall anderen zu viel Menschlichkeiten
zugetraut und sich selbst zu wenig. Auf derselben psychischen
Disposition beruhen auch die sonstigen Urteile, die WITTICH in seiner
Untersuchung und in der Vorrede zu der Buchausgabe tiber meine
Arbeitsergebnisse gefällt hat.
1) Vgl. Grundherrschaft S. 120*, Freibauern, Zschr. Sav.-G. 9.22 S. 299, 298.
2) Sachsenspiegel S. 528—536.
3) Ob Wirricx sich über den Stand der Schöffenbaren eine einheitliche
Vorstellung gebildet hat, bleibt bei Vergleichung von S. 87 ff. und 8. 75
zwelieibalt.
La vie économique de Lyon sous Napoléon. 365:
La vie économique de Lyon sous Napoléon.
Par
S. Charléty (Lyon).
Lyon tint une grande place dans le souci qu’eut Napoléon de-
rétablir en France la prospérité matérielle. Il y créa ou y reconstitua
des institutions économiques propres à y favoriser le commerce et
l'industrie ; il y soutint attentivement les efforts individuels ou collectifs
par des faveurs spéciales; il s’employa même à chercher et rèussit
parfois à trouver pour Lyon des compensations aux pertes causées par:
le blocus continental. Mais sa politique générale contraria ses tenta-
tives, en diminua la portée, en affaiblit les résultats. Au total, l’in-
dustrie et le commerce lyonnais souffrirent plus de la conduite de
Napoléon qu'ils ne bénéficièrent de ses soins.
I. Les institutions nouvelles: Projets de réglementation du
travail, chambre de commerce, conseil des prudhommes, livret
d’acquit, tarif.
La décadence des principales industries lyonnaises était, en l’an VIII,
dûment constatée. Plus qu'aucune autre, la fabrique de soieries avait
souffert de la Révolution et de la guerre. Depuis 1793 elle avait perdu.
sa clientèle étrangère’). A l’intérieur, le changement des habitudes
relatives au costume et à l’ameublement, la diminution du luxe, lui
avaient porté un grave préjudice: les femmes ne portaient plus d’étoffes
brochées, les hommes s’habillaient de drap: velours, satin, taffetas,
rubans, passementeries, galons, broderies avaient disparu du costume.
L'usage s'était de plus en plus répandu du papier peint et des ta-
pisseries d'ameublement. Un grand nombre d'ouvriers en soie avaient
quitté la ville, et on ne recrutait presque plus d’apprentis. Le nombre
des métiers en activité avait baissé de moitié — La chapellerie la
plus importante, après la soierie, des industries lyounaises, occupait
à la fin du XVIII: siècle de nombreux ouvriers à Lyon, à Moruaut, à
S' Andéol, à S' Symphorien sur Coise; le succès de la guerre d'Amérique
lui avait ouvert aux Etats-Unis et aux Indes espagnols un important
marché. Mais la guerre l’avait fermé l'Espagne, autre bon client, en
avait profité pour établir à l'entrée des chapeaux de Lyon des droits
presque prohibitifs: Lyon n’exportait plus de chapeaux. — Les tissages
du Beaujolais souffraient de la hausse des cotons et de la ruine des
indienneries de Tarare, qui, depuis la guerre n’imprimaient plus pour
les colonies les étoffes beaujolaises. La mousseline de Tarare était
éprouvée par le droit de 45 francs nu les cotons filés étrangers
1) Un rapport de Roranp du 17 déc. 1792 pour le premier semestre
de 1792 (Arch. nat., F'? 252) constate une considérable augmentation de lu
vente des produits lyonnais à l’étranger jusqu’au mois de juillet. La déca-
dence et le chômage commencèrent en août.
366 S. Charléty: Miszelle.
(anglais sourtout), ne trouvent pas assez bas prix dans lea files
français les qualités fines qu’il lui fallait. — Les verreries de Lyon
et de Givors végétaient péniblement. — Seuls les papiers peints de
Lyon et S' Genis-Laval et le commerce de l’épicerie prospéraient : les
premiers avaient bénéficié de la décadence des soieries chères, et le
second grandissait au détriment de Marseille, parce que les impor-
tateurs préféraient à la voie de mer pur sûre la route de terre, c'est
à dire, celle de l'Italie et des Alpes qui aboutissait à Lyon.
La décadence de l’activité lyonnaisse inquiéta le gouvernement.
Sollicité d'indiquer des remèdes, le Bureau consultatif du commerce!)
dressa le 27 pluviose au IX (16 février 1801) une liste de vœux
C'étaient: le rétablissement des quatre paiements, la mise en activité
de l'hôtel des monnaies, des règlements pour les manufactures, la
création d’un musée d’art et d'industrie, d’une école de chimie, d'une
école de commerce, et un code commercial. Les indications d'avenir
8’y mêlaient, comme on voit, aux regrets d’un passé aboli. Le gouverne-
ment donna aux Lyonnais quelques satisfactions immédiates. Si les
„quatre paiements“?), antique mécanisme de banque, ne furent pas
1) Créé en l’an V: composé de 12 négociants élus par leur collégues.
2) L'usage était à Lyon et il subsister jusqu'à 1793 de ne créer d'effets
qu'aux quatre échéances du 1‘ mars, le" juin, 1°” septembre, 1°" décembre;
à ces dates, les négociants de Lyon, organisés en chambre de compensation,
opéraient les paiements par virements de parties; le solde seul se réglait en
numéraire. Ce mécanisine est bien exposé dans un mémoire rédigé en 1802
par le conseil de commerce de Lyon:
«Les quatire payements de cette place, appelés payements des Rois, des
Pâques, d’Aofıt et des Saints, se trouvaient placés à égales distances dans
chacune des quatre saisons de l’année. L’ouverture s’en faisait publiquement,
dans la Loge des changes, le premier jour des mois de mars, juin, septembre
et décembre, par le prévôt des marchands, assisté du greffier du tribunal de
commerce qui en dressait procès verbal cn présence de quatre syndics du
commerce et des négociants qui voulaient y assister.
«Entre le 1°" et le 7 des mois ci-dessus cités, on présentait les lettres
de change pour en exiger l'acceptation. En cas de refus, le porteur était en
droit de faire faire, le 7, un protét à défaut d'acceptation et de le pourvoir
en garantie contre le tireur et les endosseurs.
«Le 16 et les jours suivants, jusqu’au 30 inclusivement, les négociants le
rendaient avec leurs commis dans la Loge des changes, et Là, pendant deux
heures, communiquant avec leurs créanciers et leurs débiteurs, ils proc&daient,
tout à la fois, au payement et à la recette par forme de virements ou de
compensation, et par un transport effectué de son débiteur à son créancier.
«Le 30 du mois était un terme fatal pour le protét des lettres de change
non acceptées, ou qui étaient survenues depuis le 7.
«Les 3 premiers jours non fériés du mois suivant étaient consacrés à solder
en espèces ce qui n’avait pu être payé en virement, et le dernier de ces trois
jours on faisait protester les lettres de change acceptées qui n'avaient pas
été paytes...
«Un débiteur qui ne payait pas au terme fatal de ce troisième jour, était
par le fait, réputé failli. Celui qui ne paraissait pas dans la Loge des
changes dès les premiers jours consacrés aux virements, contractait une mau-
vaise note, indice presque certain de l’état douteux de sa fortune et avant-
coureur de sa déroute. À cette sévérité de principes se joignait l'obligation,
La vie économique de Lyon sous Napoléon. 367
rétablis, la Bourse du commerce fut crée et le nombre des agens de
change fixé à 50. — L'hôtel des monnaies tout délabré qui servait
d’entrepöt aux marchands de vin fut réparé, les machines et les fonderies
rétablies sous la direction de Séguy (pluviôse an IX; fev. 1802). —
Un entrepôt fut créé à Lyon (20 floréal an XIII; 10 mai 1805) pour
les denrées coloniales ou étragères non prohibées, à l'exception des
objets manufacturés: elles y entraient en franchise: le négociant
importeur n’en payait les droits qu’en les enlevant de l’entrepöt.
Mais la plus importante des nouvelles institutions fut la chambre
de commerce. Un arrêté consulaire du 24 déc. 1802 la reconstitua;
elle fut installée le 14 mars 18031). Formee de 15 membres élus
par 50 ou 60 commerçants „des plus distingués“ choisis à l’origine par
le préfet, puis se renouvelant eux-mêmes par tiers chaque année, elle
avait pour fonction de „presenter des vues sur les moyens d’accroitre
la prospérité du commerce, de faire connaître au gouvernement les
causes qui en arrêtent les progrès, d'indiquer les ressources qu’on peut
le procurer, de surveiller l’ex&cution des lois et arrêtés concernant la
contrebande. „Le décret de constitution mettait les frais des chambres
de commerce à la charge des municipalités; puis, celui du 23 sept. 1806
leur constitua un budget pris sur les patentés des deux premières
classes. Mais Lyon fut l’objet d’une exception: on n’y appliqua pas
le décret de 1806, et la chambre de commerce fut pourvue des ressources-
fournies par le monopole du conditionnement des soies; le droit à
percevoir fut fixé (17 avril 1806) à huit centimes par kilogramm. —
La chambre de commerce devint l'organe officiel du haut commerce
Iyonnais; elle transmit ses réclamations et formula ses doctrines.
On eut vite la mesure de son goût pour les nouveautés: les mesures
décimales, les billets de la Banque de France, l'acceptation des lettres
de change, tout ce qui changeait s’anciennes habitudes, fut de sa part
l’objet d’une vive opposition. Elle se distingua surtout par l’acharne-
ment quelle mit à combattre le régime de liberté du travail déjà
dénoncé en l’an IX par le Bureau consultatif. Reprenant à son compte
le vœu relatif au rétablissement de l’ancien Règlement de la „Grande
Fabrique“ — on désignait ainsi l’industrie de la soierie — sans aucun
souci de la néfaste expérience qu’en avait fait le XVIII siècle, de sa
condamnation dans l'opinion générale, de son abolition solennelle enfin,
la chambre de commerce affirma la nécessité de revenir à un régime
auquel à son avis, la Fabrique devait sa prospérité passée. Encore si
sa prétention eût été passagère; en un temps, où se manifestait un
salutaire pour chaque négociant, de se rendre compte lui-même, quatre fois
au moins par an, de ses entreprises et de ces moyens, de son actif et de son
passif. La Loge des changes était en quelque sorte un théâtre public sur
lequel chaque négociant venait librement et de son plein gré, se faire juger
par ses pairs et mériter, riche ou non, leur confiance et leur estime par la
manière avec laquelle il satisfaisait à ses engagements.» (Mémoire du conseil
de commerce, du 24 ventôse an X, 15 mars 1802 cité par COURTOIS, Histoire
des Banques en France, p. 334).
1) Elle remplaca le conseil de commerce créé le 1° fév. 1802 et réuni
pour la dernière fois le 28 fev. 1803.
368 S. Charléty : Miszelle.
retour offensif des habitudes autoritaires, une tentative de la bourgeoisie
fabricante pour reconquérir des privilèges abolis, eüt paru à coup sûr
audacieuse, mais point étonnante. Mais le persévérant entötement qu'elle
mit pendant toute la durée de l’empire à soutenir ses vues, indiqua
un goût manifestement profond pour une réaction oppressive et
rétrograde.
Le premier projet de règlement émanait d'une commission de
fabricants réunir en l’an IX, présidée par Terret. Il rééditait La plu-
part des prescriptions anciennes : l’obligation de déclarer ,, l’état positif
qu’on désirait embrasser dans les travaux de la Fabrique, celui de
manufacturier-marchand, de commis, d’apprenti d’ouvrier, de chef d’atelier.
C'était la hiérarchie reconstituée, le classement obligatoire, l'interdiction
à une catégorie inférieure d’empieter sur la supérieure. On n’osait pas
formellement rétublir les prescriptions qui d&fendaient aux chefs d’atelier
de vendre à d’autres qu'aux marchands, mais de précautions étaient
prises pour conserver à ceux-ci le monopole de la vente; de sorte que
tout le reste de la corporation leur demeurait subordonné: „Nul chef
d'atelier ne pourra travailler pour son compte qu'il n'ait préalablement
acquitté tout ce qu'il pourrait devoir aux manufacturiers-marchands
pour le compte desquels il aurait travaillé, tout de compte d'argent
qu'en compte de matières“. Encore le président de la commission
déclarait-il dans son discours de clôture que c'était une „innovation
dangereuse“ que d’avoir supprimé l’infranchissable barrière qui réparait
le chef d'atelier de marchand: „Elle était une source de prospérité
même pour les chefs d'atelier; elle assurait la bonne fabrication dans
les mains de négociants instruits qui étaient en état, par leur crédit,
leur expérience et leurs avances, d'empêcher la vente à vil prix de
marchandises que l’homme peu aise est souvent obligé de sacrifier pour
subvenir à ses besoins“. Le règlement prévoyait enfin un âge (14 ans)
et des délais fixes pour la durée de l'apprentissage, du compagnonnage,
et des taxes à payer pour passer d’une condition à l’autre .. .!).
Le projet des manufacturiers-marchands n’eut pas de succès. L’ex-
intendant du commerce, Tolozan, consulté par le préfet, n’osa pas y
adhérer sans faire des réserves significatives : l'apprentissage commençait
trop tôt; des enfants de 14 ans n'étaient pas encore propres au travail
très dur de la Fabrique: le minimum de 16 ans était nécessaire: „La
virilité commence alors; il est certain qu'elle est plus tardive dans
cette ville qu’à la campagne, parce que beaucoup des pères et de mères
sont attaqués de la maladie scrofuleuse, et qu’en général, le sang qui
coule dans leur veines est toujours rachitique.“ L'apprentissage devait
finir le jour où l'apprenti serait capable de faire le chef d'œuvre et de
payer la taxe; le prolonger au delà c'était ne connaître que l'intérêt
du manufacturier à qui l'apprenti rendait à la longue les mêmes
services que l’ouvrier, et à moins de frais. Tolozan n’osait pas attaquer
ouvertement la hiérarchie; du moins il y voulait une place pour de
pauvres filles, les tireuses de cordes, condamnées à subir sans espoir
1) Ce projet signé Terret, président, Micol et Menu, secrétaires, a été
imprimé, Lyon, an IX. in-8°.
La vie économique de Lyon sous Napoléon. 369
toutes les tortures de la misère et de la déchéance physique: „ce
triste métier exige la plus grande attention pour ne pas se tromper
sur une multitude de cordes à tirer successivement afin que l’ouvrier
passe sa navette avec l'exactitude nécessaire pour former le dessin.
La position dans laquelle la tireuse est obligée de se tenir debout
toute la journée, souvent très avant dans la nuit sans autre point
d'appui que celui de ses jambes qui sont fixes et comme clouées dans
le même espace de terrain devient à la longue si pénible que bientôt
ses jambes sont exposées à voir des varices se former dans leurs
différentes parties; les infirmités augmentent et l’obligent de renoncer
à un genre d'occupation de laquelle elle n’a retiré d'autre avantage
que celui de retourner dans le lien de la naissance aussi pauvre que
lorsqu'elle en est sortie, mais avec tous les lignes avant-coureurs
de la caducité.“ La misère de leur condition pouvait du moins être
atténuée par l'espoir d’en sortir; Tolozan demandait qu’au bout de 5 ans
elles fussent admises dans la classe des apprentis, et que la 6° année
elles fussent gratuitement inscrits parmi les chefs d'atelier. Nouveauté
hardie, car „les anciens règlements ne permettaient qu'aux filles de
maîtres-marchands de s'asseoir sur la banquette des métiers“ 1)!
La liberté de travail, dont personne à Lyon ne paraissait se soucier,
fut fort à propos défendue par le gouvernement. Il resta sourd aux
revendications des négociants lyonnais. La chambre de commerce qui
les reprit à son compte ne le trouve pas mieux disposé. Son ardeur
fut pourtant tenace à les soutenir. Dans de copieux mémoires adressés
au ministre de l’intérieur Chaptal, son porte-parole, le fabricant Déglise
disait, infatigable, la soierie perdue si la vente de l’étoffe était permise
aux ouvriers. A l'entendre, ils volaient la matière première à eux
confiée par le fabricant, et pouvaient ainsi vendre à bas prix, „faire
tomber les produits au dessous du cours“. (C'était l'argument favori
du haut commerce contre la , liberté illimitée“. Si, depuis la Révolution,
on voyait ce scandale, des chefs d’atelier sans avances et sans crédit
se faire marchands, c'est qu'ils vivaient de „rapines et de vols; le
besoin fait enfanter le crime“. Comme la soierie, la chapellerie était
victime du mème mal: „n’est-il pas de notoriété publique que la liberté
illimitée du commerce a fait élever plus de 80 petites manufactures
qui, pour mieux les désigner, seraient plutôt 80 repaires de recélage ?“
Ces petits chapeliers qui vendaient avec une réduction de 15 à 20 %u
ne subsistaient évidemment que par le vol. Merveilleux argument qui
expliquait tout, mais qui mettait surtout en relief la colère de l’aristo-
cratie marchande dépossédée du monopole que lui avaient conféré les
anciens réglements. Elle ne voulait pas voir que la brusque émanci-
pation du travail avait permis — en un temps où la forme de la
production n’exigeait pas encore un outillage coûteux — à de simples
chefs d’atelier jusque là réduits à la condition de salariés de travailler
pour leur compte et de se faire vendeurs. Elle ne se consolait pas
que la „liberte illimitée“ ait réduit ses bénéfices, et le passé de la
1) Lettre au préfet, du II floréal an IX (1° mai 1801). Bibl. de Lyon»
F" coste, ms, 1009,
370 S. Charlöty: Miszelle.
manufacture si troublé, si agité de révoltes et de miseres, lui appa-
raissait idyllique. Déglise rappelait avec émotion „ces temps heureux
où chacun se tenait dans les bornes de son état et à son genre
d'industrie; l'artisan n'aurait pas quitté son atelier ni le laboureur sa
charme pour entreprendre au hasard un commerce. La confiance était
établie sur la bonne foi et les relations commerciales étaient fondées
sur l’honneur et la probité ...“ Depuis la liberté illimitée, il n'était
question que de protöts, de poursuites et de banqueroutes; les ouvriers,
groupés dans les associations secrètes du compagnonnage tenaient
maîtres et entrepreneurs dans un ,état de dépendance“. Habitudes et
sectes à détruire! Déglise proposait la création d’un bureau d’ins-
eription et de placement surveillé par la chambre de commerce. Tout
ouvrier ou ouvrière serait tenu de s’y faire inscrire; nul ne pourrait
employer un ouvrier qui ne fut porteur d’un bulletin de ce bureau;
et le bulletin ne serait délivré que sur présentation d’un livret d’acquit
constatent que l’ouvrier s'était acquitté de toutes ses obligations vis
à vis du précédent patron !).
Le gouvernement ne s’émut pas; en 1810, la chambre de commerce
lui présentait encore un projet de règlement qui était presque copié
sur celui de 1744! Il le repoussa. La „liberte illimitée“ triomphait
Toutefois, prenant en considération la complexité des rapports qui
unissent les deux parties contractantes et associées dans la fabrique
de soieries, le marchand-fabricant qui fournit la matière première et le
chef d'atelier qui travaille sur son métier, il prit des mesures destinées
à cessurer entre elles la loyauté des relations. La loi du 22 germinal
au XI fut (12 avril 1803), complétée et précisée par l'arrêté consulaire
du 19 primaire au XII (11 déc. 1803) et par la loi du 6 mars 1806:
la fraude et la mauvaise foi étaient prévenues par l'obligation d’une
comptabilité précise et publique qui liait les deux parties. Les chefs
d'atelier furent soumis à l'obligation du livret d’acquit; chaque métier
en comporte deux dont l’un est déposé chez le fabricant qui le fait
travailler; les livrets portent l'indication du compte en argent et en
matières afférent à chaque métier. Quand le chef d'atelier cesse de
travailler pour le fabricant, il doit solder son compte, où s’il lui reste
une dette, la faire constater, de manière que le nouvel employeur en
prenne la responsabilité vis à vis de l’ancien. Il est interdit à un
fabricant d'engager un chef d'atelier sans livret.
L'application de cette loi fut confiée A une juridiction spéciale en
qui revivait l'attribution de l’ancien consulat lyonnais relative à ls
police des arts et métiers. Elle fut accordée aux négociants de Lyon
par Napoléon lors de son passage en 1805; la loi du 18 mars 1806
institua le Conseil des prudhommes „pour terminer par voie de cond-
liation les petits différends?) qui s'élèvent journellement soit entre les
fabricants et les ouvriers, soit entre les chefs d’atelier et les compag-
1) Les manuscrits de Déglise sont aux Archives municipales de Lyon.
2) Il juge, en dernier ressort jusqu’à 60 frs., au dessus avec appel au
tribunal de commerce, les différends professionnels; et il juge, comme arbitre,
dans les litiges relatifs aux marques de fabrique.
La vie économique de Lyon sous Napoléon. 371
nons ou apprentis“. La prépondérance patronale y fut toutefois mar-
quée par l'avantage du nombre (5 marchands-fabricants contre 4 chefs
d'atelier) donné aux marchands dans le conseil des prudhommes.
L'institution rendit d’ailleurs des services !); d’abord purement lyonnaise
et réservée à la manufacture de soierie, elle fut peu à peu imitée dans
d’autres villes et par d'autres industries. A Lyon la bonneterie, la
passementerie, la chapellerie furent autorisées en 1808 4 s’y faire
représenter, et le nombre des prudhommes fut porté de 9 à 15.
Il ne resta donc de toute la campagne menée par les fabricants
pour un retour à l’ancien régime que deux institutions nouvelles, le
livret d’acquit et le conseil des prudhommes. Elles ne touchaient pas
à la liberté du travail ?).
Tout en souhaitant l’&troite subordination de l’ouvrier au fabricant,
la chambre de commerce se préoccupe d'attirer à Lyon et d’y retenir
par des faveurs une nombreuse population ouvrière nécessaire à la
“ prospérité de la Fabrique. Car son recrutement devient difficile; les
apprentis sont rares; il y a, parmi les ouvriers, beaucoup de vieillards
usés. La main d'œuvre sera plus chère si elle plus rare. De là des
demandes qui étonneraient, en d’autres temps, d'un adversaire aussi
malveillant pour les ouvriers. La chambre de commerce voudrait que
les tisseurs fussent exempts de la conscription pendant quinze ans;
qu'on diminuit les taxes sur le pain et sur la viande qui font la vie
chère, l'impôt des portes et fenêtres si dur aux ateliers qui ont besoin
de lumière. Enfin, après tant de manifestations hostiles, elle va jusqu'à
prendre à son compte une des plus anciennes revendications du prolé-
tariat lyonnais, un tarif fixe du prix des façons. Et le plus fongueux
défenseur de l’ancien régime, Déglise déclare sur le ton d’une généreuse
indignation: „Il est impossible aux ouvriers de Lyon de réclamer moins
que ce qui est nécessaire à la vie, et on leur refüse ce qu’on accorde
aux animaux ... N'a-t-il pas toujours été question de punir les ouvriers
de toutes classes lorsqu'ils ont demandé de vivre en travaillant? ...
Sans un minimum, ou tarif révisé d'année en année, le sort de nos
chefs d'atelier et ouvriers sera toujours exposé au caprice et à la
1) On peut juger de son activité d’après les chiffres suivants donnés par
le Journal de Lyon du 28 janvier 1812: en 1807, 407 conciliations; en 1808,
852: en 1809, 825: en 1810, 1218: en 1811, 1041. Un conseil fut créé à
Tarare en 1810; un autre à Amplepuis en 1811. L'institution fut radi-
calement changée en 1848.
2) La seule profession réglementée à Lyon fut celle des boulangers. Il
fallait, d’après la loi du 6 nov. 1813, pour l'exercer, une permission du maire
accordée: 1° Sous condition de verser à titre de garantie, dans le dépôt de
la ville, 45 sacs de farine (de 125 kil. chaque) pour les boulangers de
1°" classe, 30 pour ceux de 2°, 20 pour ceux de 3°;
2° de garder dans son magasin un approvisionnement de 50, 80 ou 20
sacs suivant la classe.
Les 24 boulangers les plus anciens nomment un syndic et des adjoints
qui règlent le nombre de fournées aux quel est astreint chaque boulanger.
Obligation est faite aux boulangers de peser le pain;
Obligation de prévenir le main six mois d'avance quand on veut quitter
la profession; le main libère au bout des six mois la réserve et la garantie.
Vierteljabrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 95
372 S. Charléty: Miszelle.
cupidité des hommes qui ne connaissent d’autre interöt que leur insa-
tiable prétention de vivre au milieu des calamités publiques ... II
faut des lois, dit-on, pour donner du pain à celui qui travaille 18 heures
dans la journée. Oui, certainement, il en faut; car, sans loi et sans
arrêté du gouvernement, il sera condamné à mourir de faim en
travaillant !).“
La cause que défendait Déglise ne demandait pas qu'il s’échaufñfit
à ce point. Le tarif annuel débatter entre fabricants et chefs d’atelier
n'était pas une nouveauté bien hardie. L'ancien consulat avait fixé
un tarif en 1779 sous la pression impérieuse des ouvriers menaçants.
La défaite des Grévistes de 1786 avait permis de l’abolir, mais en 17%,
on l’avait rétabli: celui de 1793, sans valeur pratique à cause des
troubles, du siège et de la terreur qui suivit, était tombé en désuétude.
Depuis ce temps, le prix des façons était retombé au cours de 1779.
D'ailleurs, le tarif n’avait rien de dangereux pour les fabricants.
Quand on tomba d'accord pour le rétablir, sa rédaction en fut confiée
au conseil des prudhommes et à la chambre de commerce. Sans nul
doute, les fabricants y purent imposer leur manière de voir. Ce fut,
pour parler comme la chambre de commerce, „une loi de famille, un
frein moral qui retient par la puissance de l’opinion ceux qui seraient
tentés de spéculer sun la détresse de l’ouvrier; d'autre part, une règle
pour les prudhommes appelés à se prononcer sur les contestations qui
peuvent s'élever entre le maître et l’ouvrier pour le prix des fagons?)“.
Les ouvriers ne pouvaient se soustraire aux volontés patronales puisque
la seule arme effica ce contre elles, la cessation collective du travail
leur était interdite. On refit donc des tarifs. Le premier parut le
28 fev. 18075); il ne concernait que les étoffes unies; ce n’est que
le 18 juin 1811 qu'un autre tarif donna le prix des étoffes façonnéex.
Au total, le gouvernement de Napoléon résista efficacement aux
tendances autoritaires et reactionnaires des fabricants de Lyon; il ne
se prêta pas à un recul de la législation. Les mesures de réglemen-
tation auxquelles il adhéra donnaient sans doute un rôle prépondérant
aux fabricants dans les conflits possibles entre le capital et le travail.
mais ne leur conféraient pas le pouvoir oppressif qu'ils réclamaient.
Bien plus, il y avait en elles des éléments de progrès. Remanié-
plus tard, en 18484), dans un sens égalitaire, l'institution des prud-
hommes s’est facilement adaptée aux besoins et aux aspirations démo-
cratiques ; le livret d’acquit de la Fabrique lyonnaise a été jugé assez
utile pour être excepté de l'abolition des livrets d'ouvriers prononcée
par la loi du 18 juillet 1890: patrons et ouvriers ont un intérêt égal
à la loyauté des transactions; seule l'habitude du tarif se perdit sous
la Restauration: c’est le refus qu'une partie des patrons opposa à
1) Observations sur un yrojet relatif aux manufactures, adressés ü
Chaptal, par DEGLISE, Lyon, an X, in-8°.
2) Deliberation de la chambre de commerce, 9 juill. 1812, citer par
PARISET, Histoire de la chambre de commerce, II, p. 89.
3) Bulletin de Lyon, 11 mars 1807.
4) Les dispositions rétrogrades de la loi de 1853 qui avaient annulé la
réforme de 1848, ont été À leur tour abolir par la loi du 2 février 1880.
La vie économique de Lyon sous Napoléon. 373
son rétablissement qui provoqua la première grande insurrection so-
ciale du XIX‘ siècle, celle des tisseurs lyonnais de 1831.
IT. Grandeur et décadence du commerce lyonnais de 1800 à 1814.
Lyon et le Blocus continental.
La Fabrique lyonnaise n'eut pas de meilleur client que Napoléon.
La vie de cour fut pour elle une source importante de bénéfices.
L'emploi obligatoire du velours dans les costumes officiels fut considéré
par les Lyonnais comme une marque spéciale de la faveur du gou-
vernement; ils en remercièrent Chaptai et Talleyrand par l'envoi
d’habits brodés!). C'était le retour à un luxe depuis longtemps
aboli: le prix d’un habit très riche variait de 1800 à 2600 frs., d’un
manteau de cour, de 2400 à 8000 frs. Les étoffes de Lyon meublirent
les palais imperiaux?). Napoléon faisait les commandes, surveillait
les fournitures en client minutieux; il s'étonne (2 sept. 1807) que
„!a tenture verte avec les bordures roses tissues en or, qui a été
placée dans son cabinet à S' Cloud, il n’y a pas beaucoup plus d’un
an, soit déjà passée“). Et sur son ordre, le grand-juge fait une
enquête, poursuit le mauvais teinturier#). Mais sa sollicitude pour
Lyon persiste: en 1810, les députés du commerce de Lyon lui deman-
dent de nouveaux encouragements: il n’oppose pas la moindre difti-
culté: que les députés fussent connaître à combien doivent s'élever
les commandes; qu'ils s'entendent avec Daru. Il ajoute même que
le gouvernement est disposé à se faire le courtier de la Fabrique; il
achètera des étoffes qu'il revendra lui-même à l’étranger. Le règlement
qui impose aux courtisans de porter des étoffes de Lyon sera étendu
aux cours du gouverneur de Turin, de la grande-duchesse de Toscane,
dn vice-roi d'Italie, du roi de Naples).
Napoléon protège les inventeurs. Lassalle®), dessinateur et meca-
nicien, vend ses procédés à la ville de Lyon pour 1500 frs. de rente
viagere'). C'est sur l’ordre de Napoléon que la ville acquiert les
machines de Jacquard moyennant une pension viagère de 3000 frs.
réversible par moitié sur la tête de sa femmef). Jacquard sera en
1) Voir les lettres de remerciments du 80 ventôse et du 28 germinal
an X (Arch. mon. T°).
2) En l'an XD et en l'an XIII, les commandes faites pour S' Cloud,
Fontainebleau et les Tuileries s'élèvent en velour, brocard et damas à
712708 frs. Voir le détail dans le compte signé LEFUEL, ms. 1010 du fonds
Coste de la Bibl. de Lyon.
2 Note au ministre de l’intérieur (Correspondance de Napoléon, t. XVI, p. 5).
4) Ibid., p. 431; 23 mars 1808.
5) Note sur le mémoire des députés de Lyon, 19 déc. 1810 (Corr. Nap.
XXI, 326).
6) Voir sur Lassalle (1723-—1804) une notice dans le Bulletin de Lyon,
16 ventôse XII.
7) Délibération municipale du 16 fructidor an XI, approuvée par décret
du 8 brumaire an XII.
8) Délibération du 9 ventôse an XIII approuvée par décret daté de Berlin
le 27 oct. 1806. Voir Zulletin de Lyon, 3 déc. 1806.
374 S. Charlöty: Miszelle. :
outre logé et nourri gratuitement à l’hospice de l’Antiquaille „comme
directeur des ateliers formés dans cet hospice“, et il s'engage à faire
bénéficier Lyon de ses inventions ultérieures.
Napoléon est soucieux de la prospérité de Lyon; il est satisfait
quand il la croit retablie'). Les crises de la Fabrique l’inquiètent:
il y cherche des remèdes.
Dans les premières années du Consulat, les statistiques signalent
un progrès. La population travailleuse de la Fabrique atteint en l’an X
le chiffre de 1789 (28246 personnes); le nombre des métiers occupés
augmente sensiblement (8500 en l'an IX; 9490 en l’an X). Pourtant
la Fabrique est loin d'utiliser toutes les matières premières qui sont à
sa portée; elle ne consomme que des soies françaises *). Elle ne met
pas, en œuvre la riche production du Piémont récemment annexé. Ce
qui lui manque, c’est la clientèle extérieure. Même malaise, même
insuffisance dans la chapellerie, la draperie, les cotonnades de la
région de Tarare. Aussi les réclamations, les plaintes aboutissent toutes
à la même formule: il faut augmenter l'exportation.
Le moyen le meilleur, le plus sûr, c’est la paix. C’est anssi celui
dont l’espoir toujours prochain échappe toujours. Le traité d'Amiens
cause une grande joie. Même après la déception de la rupture, on ne
peut croire pourtant à la guerre continuelle. Chaque victoire est un
présage de paix. En 1806, les manufacturiers et commerçants de Lyon
demandent „une paix générale et maritime“ qui permettra „l’exports-
tion libre et dans tous les pays ..., et la facilité d’en retirer en
échange et sans aucune rétribution soit les denrées coloniales, soit les
matières premières qui doivent servir à alimenter chapellerie, draperie,
cotonnerie“%). La paix, c’est la révision des traités de commerce,
c'est la certitude pour la France victorieuse d’obtenir des concessions.
Espoir qui rend la guerre tolérable. Mais jusqu'ici, conquêtes et
victoires françaises n’ont profité qu'aux voisins, aux vaincus.
Voici l'Italie, le plus proche voisin de Lyon, le pays dont l'Em-
percur est roi; elle est plus fermée que du temps où Joseph IX était
maître de la Lombardie. Le traité de commerce jadis signé avec
la République cisalpine, est resté lettre morte depuis le 2 messidor
an VII (20 juin 1799); Marengo a liberé l'Italie des Autrichiens, mais
aussi du tarif qui les liait aux Français: tandis que leurs marchandises
ont des faveurs à leur entrée en France, les nôtres sont grevées davan-
tage. Qu'on ait au moins „quelques égards aux produits des manu-
factures françaises“!
Le gouvernement s'’émeut. Un délégué, Isnard, est chargé
d'étudier en Italie la concurrence faite aux Lyonnais. Quand il passe
à Lyon, les négociants lui répètent leurs griefs, l’hostilité des pouvoirs
publics italiens, l'impossibilité de trouver „A Milan aucune autorité,
1) Lettres à Murat, 13 avril 1805, à Cambacérès, 24 avril 1805 (Corr.
Nap. X, 316, 342).
2) Mémoire de DÉGLISE, 27 brumaire an XI.
3) Mémoire adressé au préfet relativement aux moyens d'augmenter
dans l'étranger la consommation des produits des fabriques, 80 avril 1906
(Arch. nat. F1? 620),
La vie économique de Lyon sous Napoléon. 375
aucun représentant français qui puisse appuyer leurs réclamations
auprès du gouvernement italien ...; dans un pays dont S. M. ’Em-
pereur et Roi est souverain et qui est gouverné en son nom, les négo-
ciants français ... manquent des moyens de protection auxquels ils
ont recours avec succès dans les pays étrangers“!). En Italie. Isnard
observe que les dol&ances lyonnaises, exagérées sans doute comme il
est naturel, sont cependant fondées. L’exportation de chapellerie qui
vallait un million est tombée à 100 000 frs. depuis que la douane ita-
lienne perçoit 18 frs. par douzaine de chapeaux, soit 23°/o du prix de
fabrique. La soierie forme encore , l’objet le plus riche et le plus
considérable de nos exportations dans le royaume d'Italie“; Lyon n’y
a aucune concurrence étrangère à craindre „et la fabrique locale n’ar-
rivera jamais à égaler des produits“; mais cette fabrique a la soie à
bon marché, copie les dessins lyonnais, et sa douane grève de 25°/o
les étoffes Iyonnaises qui supportent déjà 4°/o de frais de transport.
La chambre de commerce se félicita de la mission de Isuard, en
somme favorable à ses vues; mais il fallut batailler longtemps encore
pour atteindre le résultat désiré, l’abaissement des tarifs. Avec une
persévérance tenace et toute lyonnaise, elle accumula les doléances et
les chiffres: Côme et Milan ont chacune 2000 & 2500 métiers qui
alimentent l'Allemagne et la Russie par les foires de Francfort et de
Leipsic: Mantoue, Crémone, Vigevauo, Novare, Modène, Bologne, Fer-
rare, Cesene, Rimini, Brescia, Bergame ont des filatures prospères;
quelques unes fabriquent l’étoffe (mouchoirs de Novare, rubans de
Reggio, gazes de Bologne); Venise fait le velours, le ruban, le galon;
Padoue copie les façonnés de Lyon. On dit et redit sans cesse qu'il
est pénible de penser que les manufactures de Lyon „bien loin de
retirer le moindre avantage des changements qu'ont produit nos
victoires en Italie“, en ont souffert. Dans l'Italie mieux gouvernée
qu’autrefois, l’industrie grandit, à l’abri de tarifs de guerre*)...
Les Lyonnais finirent par gagner leur procès. Le 20 juin 1808,
un traité négocié par Cretet et Marescalchi réduisit de moitié les
droits d’entrée des marchandises françaises en Italie et des marchan-
dises italiennes en France.
Le désir de conquérir les marchés de l'Europe centrale était
d'autant plus vif chez les Lyonnais que les marchés d'outre-mer leur
1) Isnard au ministre de l’intericur, 28 oct. 1806 (Arch. nat. F'? 535).
2) Voici l’état comparatif dressé pour quelques articles par le mémoire
de la chambre de commerce (Arch. nat. F1* 534).
Tarif actuel Tarif de 1787
gazes de soie . . . 9 fr. la livre 8 1. 12 sols
étoffes en dorure . 12 , , , 4 , 10 „
bas de soie . . . 6, » » 3» 6 „
rubans . . . . . 6, nn 3 » 6 »
galons or et argent 6 „ , », 4 , 10 „
chapeaux de laine . 24 „ ,, douzaine 7„ 4
Un mémoire de 1810 du Bureau consultatif des manufactures (Arch.
nat. F!? 620) évalue la valeur d’une livre d’étoffes. de soie fabriquées à 70 frs. ;
et au même prix une livre de rubans.
376 S. Charléty: Miszelle.
furent interdits; la rupture avec l'Angleterre les avais compromis; le
Blocus continental les ferma. „Le Blocus ruinera beaucoup de villes
de commerce, Lyon, Amsterdam“, écrivait Napoléon le 15 déc. 1806!).
En effet, la crise qu'il causa à Lyon fut d'abord très dure et générale.
En réparant l'Angleterre du continent, Napoléon, disait la chambre de
commerce, avait ,brisé la chaîne qui unit toutes les nations commer-
cantes“. C'était sur Londres que la plupart des clients étrangers
assisnaient les remboursements par lesquels ils payaient les producteurs
francais; c’6taient les anglais qui transportaient ou qui permettaient
aux neutres d'apporter leurs marchandises aux ports d'Anvers, Nantes,
Bordeaux, Marseille, Livourne. Le Américains y envoyaient les cotons
dont s’alimentaient les tissages de Tarare et du Beaujolais, les denrées
coloniales, les drogues de teinture utiles aux fabriques: ils char-
geaient en retour des vins, des eaux-de-vie, des objets manufacturés.
Déjà les soieries de Lyon, comme les dentelles de Caen, les batistes
de Valenciennes, la quincaillerie de Paris trouvaient acheteurs aux Etats-
Unis. Les exportations des soieries de Lyon en Amérique, qui valaient
en 1787 272500 frs. montaient en 1806 à 986378 frs. pour la bonne-
terie de soie, à 69797 pour les dentelles, à 4567653 pour l’étoffe, à
121278 pour la passementerie et 1015090 pour les rubans, soit en
tout à 7389370 frs.?). Le Blocus anéantit ce trafic naissant et pros-
père. Il fallait donc que le Blocus fournit lui-même un remède aux
maux qu'il causait, ouvrit aux produits français l'Europe cetltrale
fermée comme la France aux produits d'outre-mer.
Les Lyonnais n'étaient certes pas des inconnus sur le continent:
L'Allemagne et la Russie avaient été leurs bonnes clientes. Mais,
depuis 1805, les Allemands n'achetaient plus rien; si les Russes,
malgré la prohibition des tissus façonnés qui remontait à 1793, ache-
taient encore en contrebande pour 25 millions par an, la guerre de
Pologne menagait de rniner ce trafic: ,, Neuf courriers de Russie sont
en arrière à cette heure, écrivait la chambre de commerce à Napoléon
le 11 déc. 1806; nous ne recevons ne remises ne commissions. Cepen-
dant notre place a des engagements majeurs qu'elle ne peut remplir
qu'avec le retour de ses avances, et l’ouvrier à qui le travail de
chaque jour apporte la subsistance du lendemain n’a plus d’autre
perspective qu’une affreuse misère. „Les Russes payaient par traites
sur Hambourg; mais les communications de Hambourg étaient inter-
ceptées avec la Russie comme avec Lyon“. Ainsi les traites que nos
négociants avaient faites sur Hambourg depuis trois mois pour compte
russe sont à échéance et ne sont pas payées, parce que les fonds qui
doivent y faire face ne sont pas arrivés de Russie. DéjA cinq maisons
de Hambourg ont suspendu leurs paiements“. Le remède c'était done,
encore et toujours, la paix bienfaisante si avidement réclamée: „La
France ne peut suffire aux efforts absorbants qu’exige un état de
zuerre prolongé sans mesure; la tension extrême qui résulte de ces
efforts fatigue et énerve tout les ressorts de la société.“
1) Lettre à Louis (Lettres inédites de Nap., publiées par Lacestre, I, 89)
2) Relevé du commerce avec les Etats-Unis (Arch. nat. F'? 564),
La vie économique de Lyon sous Napoléon. 377
La paix se fit attendre; l'hiver de 1806— 1807 fut terrible aux
ouvriers de Lyon. Le traité de Tilsit procura enfin le résultat désiré.
Lyon prend alors sa revanche des mauvaises années; le blocus lui
apporte les compensations escomptées; la ville deveint le grand marché
des soies. Tous les droits sur les soies d'Italie venant à Lyon sont
supprimés tandis qu’elles sont grevées de 30 sous si elles sortent par
la frontière autrichienne. Si, de Lyon, ces soies gagnent le Rhin pour
alimenter les fabriques allemandes, elles ne payent que 20 sous à la
sortie de France; en sorte que, le détour des soies italiennes par Lyon
ne coûtant que 3 sous, il y a 7 sous de benefice pour les sujets du
prince Eugène à les envoyer à Lyon, même si elles sont destinées à
la consommation allemande !).
Le Blocus a une autre conséquence, inattendue. 11 fait de Lyon
un important marché du coton et des denrées coloniales. Le coton
du Levant y arrive par la Méditerranée, à un prix énorme, il est vrai,
à cause du droit de 50 frs. par quintal porté en 1810 à 400 frs.?);
mais la soierie profite.de la hausse du coton. Et malgré le prix, la
prohibition des produits anglais permet de vivre à la petite industrie
cotonnière du Beaujolais, d’Amplepuis, de Thizy, de Chauffailles, de
Tarare, de Charlieu, de Neuville. La filature locale ne pent, il est
vrai, fournir au tissage les fils fins (du n° 60 au n° 300), mais la
contrebande y supplie dans une large mesure.
La statistique de la Fabrique de soieries accuse un progrès rapide.
De 10960 en 1807, le nombre des métiers passe à 11357 en 1809. à
13000 en 1810. Lyon vend les deux tiers de ses étoffes, gants et
bas de soie, .aux foires de Leipsic, d’où elles le répandent en Alle-
magne et en Russie. Il lui arrive de ne pas suffire aux commandes.
Napoléon s'étonne, en 1810, que „les demandes d'étoffes de soie de
la manufacture de Lyon qui avaient été faites à la foire de Leipsic
n'aient pas été remplies en très grande partie“°). On fabrique autant
qu'on peut, et plus qu’on ne peut, au risque de compromettre la répu-
tation de la Fabrique. Il en sort, à en croire la chambre de com-
merce, „des étoffes abjectes que les fabriques de Suisse, de Prusse et
d'Italie ne voudraient pas avoir faites“4).
Prospérité brillante, mais factice, qu’un incident, subitement, détruit.
En scpt. 1810, la baisse du change en Russie, le relèvement des droits
de douane en Allemagne, un ralentissement dans la consommation
parisienne arrêtent 3000 métiers. En janvier 1811, la crise est
plus aiguë, 14000 ouvriers tombent à la charge de l'assistance pu-
blique5). On députe à Paris. Mais que faire? „On peut convenir,
répond l'Empereur, pour les permis américains que chaque bâtiment
exportera des étoffes de Lyon pour la moitié de la valeur de sa car-
gaison. (Cette condition peut-être étendue aux permis ottomans et aux
1) Lettre de Napoléon à Eugène, 2 oct. 1810 (Corr. Nap. XXI, 165).
2) Et à 600 frs. pour le coton des Etats-Unis.
3 D’après une lettre du Préfet du Rhône au maire de Lyon, 27 juin 1810
(Arch. mun. T°).
4) Lettre à Mottet, 26 nov. 1809, citée par Pariset IL 112.
5) Rapport du maire du 29 juin 1811 (Arch. nat. F! III, Rhône, 5).
378 S. Charléty: Miszelle.
licences simples“ !). Plaisant remède dont personne n’iguore l'inefti-
cacité. La situation s'aggrave en 1811: plus de la moitié des métiers
d’etoffes unies tombe en chômage. L’ouvrier émigre. La misère géné-
rale provoque une diminution de consommation qu'on voit au döfieit
de l'octroi municipal: il rend 1500000 frs. en 1811 au lieu des deux
millions ordinaires. Il y a tant de pauvres en 1812 que les ressources
des hospices et des particuliers sont insuffisantes; le gouvernement
intervient, fait distribuer à Lyon et dans le département des „soupes
à la Rumford‘“ . . .?)
Les désastres de 1813 provoquent une panique économique. Le
numéraire manque, et les billets de la Banque perdent leur crédit
parce que la Banque de Paris a retiré an comptoir de Lyon deux
millions de numéraire et les a remplacés par des actions de la Banque.
„Les derniers évènements, écrit le préfet Bondy au ministre de l'in-
térieur, ont fait resserrer l'argent & tel point que les affaires sont
presque entièrement interrompues et les paiements arrêtés. (Cet état
de choses est du principalement aux craintes très vives que l’on a sur
l'Italie avec laquelle Lyon faisait des affaires considérables. Déjà
six maisons de cette ville ont failli depuis quinze jours. Plusieurs
autres chancellent“ . . .5) En janvier 1814, la crise est encore plus
grave. Le Journal de Lyon, si discret à l'ordinaire, croit devoir en
parler, et son langage, qu'il s'efforce de faire rassurant, ne l'est guere:
Quelques malheurs particuliers viennent d’affliger le commerce de
cette place. Un petit nombre de maisons, respectables par leur pro-
bite, importantes par leur fortune et l'étendue de leurs affaires, ont
été forcées de suspendre leurs paiements. La nécessité de rembourser
des capitaux considérables réclamés par les capitalistes, la difficulté
des circonstances qui arrêtent momentanément toute vente de mar-
chandises et suspendent toutes les transactions commerciales, ont
amené ces évènements facheux; mais ils ne sauraient porter aucune
atteinte à la juste réputation de solidité et d’honnêteté dont jouit le
commerce de Lyon depuis tant de siècles“ t).
Toute l'activité factice un instant créée par le Blocus s’effoudre
sans retour quand l’Europe se retourne contre son vainqueur et l’écrase.
Il ne reste plus aux mains des Lyonnais que les témoignages encom-
brants de leur passagère renaissance au commerce international:
„L’occupation des provinces illyriennes, écrit la chambre de commerce
au ministre de l'intérieur, le 5 janvier, a rompu nos communications
avec le Levant. D'autre part, toutes les fabriques de coton de
l'Empire s'étant pour ainsi dire arrêtées, toute vente de matière
1) Note du 19 déc. 1810 (Corr. Nap. XXI, B38).
2) Décret du 14 mars 1812. — Les soupes à la Rumford ont été in-
ventées à Munich par un philanthrope dans les ateliers de charité qu'il
dirigeait. Une société philanthropique les a popularisées à Paris en 1799.
C'est une soupe aux légumes cuits. On calcule qu’une ration d’une livre et
demie revient à 2!/, sous et nourrit autant que °’, de livre de pain bis qui
coûtent 3 sous ‘/4.
3) 15 nov. 1813 (Arch. nat. F7 4289).
4) Journal de Lyon, 6 janvier 1814.
La vie économique de [yon sous Napoléon. 379
première a été suspendue. Notre entrepôt renferme 19000 balles qui
n'ont pas un acheteur . . . L’invasion de la Suisse ferme toutes nos
communications avec l'\llemagne ... Aucuns débiteurs de l'étranger
ni de l’intérieur ne payent; il ne se vend aucune marchandise à aucun
prix; on ne peut négocier aucune valeur en portefeuille. La conster-
nation — nous pourrions dire le désespoir — est générale ... Quel
remède à tant de maux? Un seul, c’est la paix!“
Toute industrie, tout commerce chavirent dans la tempête de l'in-
vasion. Quand les Lyonnais, après le naufrage, comptent leurs morts
et leurs blessés, ils aperçoivent qu'il faut définitivement renoncer au
rêve entrevu de Lyon grand marché international du continent, Ce
qui surnage du désastre, c'est l’antique soierie, qui, malgré ses crises
périodiques, reste la source durable du travail et de la richesse. Et
chefs d'atelier, compagnons, apprentis, tireuses de corde retournent
au métier qui remplit les rues sombres de son tic-tac monotone.
Literatur,
Die Traditionen des Hochstifts Freising L Band (744—926). Heraus-
gegeben von THEODOR BITTERAUF (Quellen u. Erörterungen zur
bayerischen u. deutschen Geschichte, Neue Folge, IV. Band). Mit
einer Tafel. München, Rieger, 1905. 8°. CVII u. 792 Seiten.
Mit Freude muß es der Wirtschaftshistoriker begrüßen, daß die
bayerische Akademie, dem für Brixen und Salzburg gegebenen Beispiel
folgend, eine Neuausgabe der Traditionsbticher der altbayerischen Bis-
timer beschlossen hat. Waren auch die Editionen, die einst MEICHEL-
BECK, PEZ, Morrrz, die Editoren der Monumenta Boica und andere
geliefert haben, für ihre Zeit brauchbare, zum Teil sogar hervorragende
Leistungen, den Ansprüchen, die man heute an ÜUrkundeneditionen
stellt, wollen sie nicht mehr recht genügen. Und dabei handelt es sich
um Quellen, die gerade fir die Rechts- und Wirtschaftsgeschichte des
früheren Mittelalters, insbesondere der Karolingerzeit, von einzigartiger
Bedeutung sind, und die genau ebenso, wie die in der jtin Zeit
so gründlich und oft durchgearbeiteten St. Gallener Traditionen, im
Vordergrund der wirtschaftsgeschichtlichen Forschung stehen müßten.
Dazu wird die neue Ausgabe das Ihrige beitragen.
Der vorliegende Band beginnt mit den besonders wichtigen Frei-
singer Traditionen, vor allem mit dem bertihmten Renner Cozrohs aus
dem 9. Jahrhundert; er bietet die Traditionen und Kommutationen
der Freisinger Bischöfe bis Bischof Dracholf (907—926). Daß nach
den Ergänzungen, die MEICHELBECKs Edition durch Graf HUNDT und
KarL ROTH erfahren hat, völlig neues Material aus dieser älteren
Periode nicht zu erwarten war, ließ sich voraussehen; das wird erst
der zweite Band aus dem Liber censualinm und dem Wolfenbütteler
Codex bringen. Aber trotz alledem stellt die Neuausgabe durch ihre
textliche Verbesserung einen großen Fortschritt dar und verdient volles
Lob. Ob der Herausgeber mit seiner (von der Unterscheidung zwischea
Bischofs- und Kapitelsurkunden abgesehen) rein chronologischen An-
ordnung des Stoffes bei den Diplomatikern auf allgemeine Zustimmung
rechnen kann, steht für mich nicht außer Zweifel; der Rechts- und
Wirtschaftshistoriker wird nichts dagegen haben, daß er mit der An-
ordnung der Codices gebrochen hat. Höchstens hätte es sich vielleicht
— auch aus sachlichen Gründen — empfohlen, die Scheidung zwischen
Traditionen und Kommutationen beizubehalten; gerade die letzteren
bieten nämlich durch die Gegentiberstellung der beiderseitigen, an-
nähernd gleichwertigen Tauschobjekte fir den Wirtschaftshistoriker
ein besonderes Interesse.
Referate. 381
In der Einleitung hat der Herausgeber sich nicht darauf beschränkt.
seine Editionsgrundsätze klarzulegen und den Leser über Literatur,
Quellenüberlieferung, Diplomatik und Chronologie zu orientieren, sondern
schon den Versuch gemacht, sein Quellenmaterial für die wirtschafts-
seschichtliche Forschung nutzbar zu machen. Ein Abschnitt von hei-
nahe 50 Seiten (8. LX ff.) betitelt sich „Zur Wirtschaftsgeschichte“ ;
außerdem findet sich manche rechts- oder wirtschaftsgeschichtliche
Bemerkung in dem vorhergehenden Abschnitt zur Spezialdiplomatik
und Chronologie. Die Meinungen, ob man Quellenpublikationen der-
artige längere, den Stoff schon vorläufig verarbeitende Einleitungen
beigeben soll, sind bekanntlich geteilt. Jedenfalls aber muß man an-
erkennen, daß Verfasser sich im ganzen mit guter Sachkenntnis dieser
Aufgabe entledigt hat. Als besonders beachtenswert will ich die aller-
dings noch genauerer Verarbeitung bedürftigen Bemerkungen über die
Stände (S. LXXV ff.) und den auf S. LXXXXVIII ff. gemachten Ver-
such, für das Dekanat Freising ein Grundbuch der Karolingerzeit an-
zulegen, hervorheben. Interessant ist ferner die Tatsache, daß wieder-
holt mehrere hobae de silva beziehungsweise de terra arabili erwähnt
werden, die Hufe also offenbar einfach als Flächenmaß verwendet
wird (8. LXXXVI; vgl. dazu noch Nr. 758, 847, 1000). Übrigens
wäre auch die Frage aufzuwerfen, ob nicht ager ebenfalls ein Flächen-
maß bedeutet (vgl. Nr. 794, 836, 1033). Zu S. LXXX möchte ich be-
merken, daß aus der Bezeichnung von Freising als urbs meniis con-
structa, civitas etc. nicht zu viel geschlossen werden darf; man hat
darunter nur die ummauerte Domfreiheit zu verstehen, nicht an eine
ummauerte Stadt zu denken. Unrichtig ist es, wenn Verfasser auf
«derselben Seite die von Personennamen abzuleitenden zahlreichen Orts-
namen -ing als Namen von Einzelhöfen auffaßt. Wenn etwas in
der Ortsnamenforschung sicher feststeht, so ist es, daß gerade diese
patronymisch gebildeten Ortsnamen auf -ing (entsprechend dem schwä-
bischen -ingen) typische Bezeichnungen der Sippendörfer sind‘). Aber
diese kleinen Ausstellungen sollen der Anerkennung, die wir dem
Werke schulden, keinen Abbruch tun.
Möge der zweite Band bald erscheinen und möge er neben
einem guten Sachregister auch eine Beigabe erhalten, die einer der-
artigen Publikation erst ihren richtigen Wert verleiht, eine brauchbare
Karte, auf der, möglichst unter Einzeichnung der Dekanatsgrenzen
und Gaugrenzen, sämtliche Freisinger Besitzungen ersichtlich sind.
Dann erst werden die Mühen, die Verfasser auf die Feststellung der
einzelnen Ortschaften verwandt hat, ihren Lohn finden.
Tübingen. SIEGFRIED RIETSCHEL.
1) Gerade für die Urtsnamenforschung und die damit in Zusammenhang
stehende Besiedelungsgeschichte wird die nene Ausgabe mit ihrem korrekterem
Text von großem Nutzen sein. Hier bleibt gerade für Bayern noch viel zu
tun übrig. Merkwürdig wenig ergibig ist das Material für die Gaugeschichte.
Nur in 6 Urkunden werden Gaue erwähnt, und zwar nur in 8 bayerische
(Nr. 19, 177, 494), in den 3 übrigen fränkische (Nr. 166) oder schwäbische
(Nr. 381. 730).
382 Referate.
SIGMUND RixZLER, Nachtselden und Jägergeld in Bayern. Im Anhang:
„Jägerbücher des Herzogs Ludwig im Bart von Bayern“. Ingolstadt
(1418 u. folgd. J.) (Abhandlungen der K. bayer. Akademie der
Wissenschaften IH. Kl. XXIII. Bd. OI. Abt. S. 537—631). München,
K. b. Akademie der Wissenschaften, 1905. 4°,
Das Herbergs- oder Gastungsrecht, das die deutschen Könige und
später die deutschen Landesherren für sich und ihre Beamten von
ihren Untertanen in Anspruch genommen haben, ist bisher in der
Wissenschaft ziemlich ‘stiefmütterlich behandelt. Gewiß hat es in
Deutschland nie die Bedeutung besessen, wie das entsprechende droit
de gîte in Frankreich; immerhin hat es nicht an deutschen Territorien
gefehlt, in denen wenigstens zeitweise diese Herbergspflicht als eine
schwer drückende Last empfunden wurde. Zu diesen Territorien ge-
hörte am Anfang des 15. Jalırhunderts der Teil Bayerns, der unter
der Herrschaft des jagdliebenden Herzogs Ludwig im Bart von Bayern-
Ingolstadt stand, und zwar war eg die Pflicht der Beherbergung und
Verpflegung der herzoglichen Jäger, die sogenannte „Nachtselde“ oder
das als Ablösung dieser Herbergspflicht geforderte „Jägergeld“, was
besonders bei den geistlichen Grundbesitzern als schwere Belastung
empfunden wurde und auf ihre Beschwerde sogar den Kaiser und das
Basler Konzil zum Einschreiten veranlaBte. Aus der Zeit Ludwigs
stammen nun zwei je in doppelten Exemplaren vorhandene Jägerbticher
von 1418 und 1433, in denen der beträchtliche Etat der herzoglichen
Hofjagd und vor allem die dieser Jagd dienenden Einnahmequellen
verzeichnet sind.
Diese beiden Jägerbücher sind hier zum erstenmal bekanntge-
macht, das ältere nahezu vollständig, vom jüngeren die Inhaltsangabe.
Der Herausgeber hat aber dieser Ausgabe eine selbständige Abhand-
lung vorausgeschickt, in der er die Nachtselden und das Jägergeld
in Bayern von den ersten Anfängen bis zur Aufhebung im Jahre 1808
eingehend behandelt, wobei auch wenigstens für die älteren Zeiten
gelegentlich auf andere Territorien Bezug genommen wird. Daß wires
mit einer durch Beherrschung und geistiger Durchdringung des Stoffes
ausgezeichneten Musterleistung zu tun haben, bedarf bei einem Werke
RIEZLER8 keiner besonderen Erwähnung. Dadurch, daß sie ein biaher
ziemlich vernachlässigtes Stück deutschen Wirtschaftslebens uns ent-
hüllt, ist sie uns besonders wertvoll. Die klare, anschauliche Dar-
stellung wird der schönen Arbeit wohl auch außerlialb der eigentlichen
Fachkreise, insbesondere bei Freunden der Jagd, Leser verschaffen.
Diese seien besonders auf den interessanten Exkurs tiber Bären und
Bärenjagd in Bayern und Nordtirol (8. 609 ff.) hingewiesen. Die
dort gegebene Erklärung des „Perlach“ als Bärenzwinger scheint mir
möglich, aber nicht unbedenklich; vielleicht hat das Wort gar nichts
mit dem Bären, sondern mit dem ebenfalls .‚ber“ genannten Zuchteber
zu tun.
Tübingen. SIEGFRIED RIETSCHEL.
Referate. 383
HERMANN FLAMM, Der wirtschaftliche Niedergang Freiburgs i. Br. und
die Lage des städtischen Grundeigentums im 14. und 15. Jahr-
hundert. Ein Beitrag zur Geschichte der geschlossenen Stadtwirt-
schaft. (Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badischen Hoch-
schulen, herausgeg. von C. J. Fuchs, E. GOTHEIN, K. RATHGEN und
G. v. SCHULZE-GÄVERNITZ, VIII. Band, à. Ergänzungsband.) Karls-
ruhe, BRAUN, 1905. 180 S. Mk. 3.20.
Eins von den Büchern, die wir brauchen: sorgfältige ortsgeschicht-
liche Untersuchung bestimmter Entwicklungsreihen auf Grund ein-
gehender Lokalkenntnis. Hier handelt es sich um eine doppelte Reihe.
Einmal wird des näheren nachgewiesen, daß auch in Freiburg auf
eine Periode freien Verkehrs, steigenden Reichtums und wachsender
Bevölkerung seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts mit der
Herrschaft der Zünfte eine Periode zunehmender Verkehrsbeschränkung
folgt, die erst Anfang des 16. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreicht
und von einem Bevölkerungsrlickgang begleitet ist. Zweitens wird in
Zusammenhang damit die Bewegung des Grundbesitzes verfolgt. Im
einzelnen freilich bleibt manches problematisch, und einiges möchte ich
schlechthin anders interpretieren als FLAM.
Schon 1890 hatte H. MAURER den Ursprung der Freiburger , Edeln‘
in jenen „mercatores personati“ nachgewiesen, die einst Konrad vou
Zähringen zur Gründung seiner Stadt berufen hatte!). Bereits Mitte
des 13. Jahrhunderts hat ein Teil ihrer Nachkommenschaft es zu
solchem Reichtum gebracht (damals bauten sie das Münster!), daß er
zu ritterlichem Leben übergehen kann. Andere sind im Geschäft
geblieben und stehen in der Verfassung von 1293 als politisch an-
erkannte Gruppe der „kouflüte“ neben jenen. Eine dritte gleich-
berechtigte Gruppe bilden die „antwerklüte“2). Wer sind nun diese?
Ohne Zweifel großenteils spätere Einwanderer. Allein ebenso zweifel-
los wird man auch unter jenen „mercatores personati“ neben reinen
Händlern bereits Handwerker suchen müssen. Dafür spricht neben der
allgemeinen Erwägung, daß in einer neugegründeten Stadt Handwerker
vor allen nötig sind, der Umstand, daß jedem der 24 „coniuratores
fori“, die an der Spitze der jungen Gemeinde stehen, eine Bank unter
einer der drei Lauben zugewiesen wird, der Fleisch- und der Brot-
neben der Tuchlaube 3), Ich möchte wenigstens annehmen, daß damit
1) Z.G. OR. N. F., Bd. I, S. 474—504.
2) FrLAMN, 8. 46, scheint die Stelle in der Verfassung von 1293 über die
Zusammensetzung der neuen Vierundzwanzig entgangen zu sein (SCHREIBER,
Urkb. Bd. I, S. 132 unten): „Und süln derselben iungesten vierundzweinzig
ehtüwe sin von den edeln und ehtüwe von den kouflüten und ehtüwe von
den antwerklüten“. Daher auch der Irrtum FLamms 8. 62 2. 4 ff.
3) Die Zuweisung der Bänke kommt freilich erst im „Rotel“ vor ($ 77).
Ich halte die Bestimmung aber für alt, wenn man auch an ‘sich der Erzählung
nicht zu viel Wert beizulegen brauchte, daß die drei Lauben „per iuramentum
a prima fundatione civitatis sunt instituta“. Ihre Identifizierung, FLAMM S. 46.
Doch brauchen sie nicht von Anfang für jene drei Gewerbe reserviert gewesen
zu sein. — Befremdlich sind FLAMMs Bemerkungen S. 41: „Kaufleute .
wollte der Gründer... ... nicht hörige Handwerker. Wäre ea ihm um Hand-
384 Referate.
ein dauerndes Zusammengehen von Gewerbe und Stadtverwaltung be-
zweckt war. Erst im 13. Jahrhundert also hätte sich dann zwischen
Kaufleuten und Handwerkern jene Differenzierung durchgesetzt. Nicht
alle Abkümmlinge der „mercatores“ aber können es zu Reichtum ge-
bracht haben; die ärmeren also werden sich mit den ärmeren unter den
späteren Einwanderern vermischt haben.
FLAMM freilich nimmt von vornherein einen Unterschied an zwischen
„mercatores personati“, die er fast mit den „coniuratores fori“ zu
identifizieren scheint, und einer großen Masse von „simplices burgenses“.
Diese Auffassung hängt zusammen mit seiner Theorie von der Ge-
schichte des Grundeigentums in Freiburg, die eigentlich das Rückgrat
seines Buches liefert, und darum, und weil sie seine ganze Dar-
stellung der älteren Verfassungsgeschichte beeinflußt, ist hier näher
darauf einzugehen.
FLAMM glaubt, daß bei Gründung der Stadt die bekannten ,areae“
von 50 X 100 Fuß nur gewissen „mercatores personati“, im wesent-
lichen gleichbedeutend mit den 24 „coniuratores fori“, den übrigen
„simplices burgenses“ dagegen nur ein „proprium valens marcham unam“
zugewiesen worden sei, das nach $ 40 des Stadtrechts, nach $ 23 der
Rotels die Grundlage des Bürgerrechts bildete). Diese H othese
ist jedoch unhaltbar. Zunächst: wenn einmal (Rotel $ 40) von
„simplices burgenses“ die Rede ist, so soll damit der
gegen beamtete Bürger, nicht gegen eine höhere Klasse ausgedrückt
werden: nicht ein bloßer Bürger, und wäre es auch der reichste Edle,
sondern nur Ratmänner sollen nach Köln appellieren. Zweitens: wenu
FLAMM auch RIETSCHELS Untersuchungen über die Entstehung des
Tennenbacher Stadtrechttextes noch nicht kennen konnte, 80 hat er
doch übersehen, daß $ 40 des Stadtrechts den Zusätzen, nach der
bisherigen Anschauung vom Ende des 12. Jahrhunderts, angehört, nicht
aber der Gründungsurkunde von 1120°). Meiner Meinung nach kann
mm nn men e
werker zu tun gewesen, so hätte er deren leicht einige Hundert von seinen
Fronhöfen zusammenrufen und zu einer großartigen Fronhofwirtschaft ver-
einigen können. Unbegreiflich wäre dann nur, wie der Herzog dazu kam,
diesen Hörigen freie Schultheißenwahl u. s. w.“ Was besteht denn für eiue
Beziehung zwischen den Begriffen Handwerker und hörig? — In einem gr-
wissen Widerspruch steht dazu die Aufzählung von Edelleuten, die gra
sewordene Handwerker sind“, S. 88. Unrichtig ist (S. 70), daß die -
macher dem Herzog für die „regalis expeditio“ Schuhe, s0 Del er will, liefern
müssen. ,Quoscunque voluerit post primos meliores“, also von jedem Schul-
macher das zweitbeste Paar. Stadtrecht $ 9.
1) 8. 44. Vgl. auch S. 45 Z. 6 v. u. — FLAMM ist meine Besprechung
von GOTHEINS Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, G.G. A. 1898, ent-
gangen, wo ich S. 555 die Gildetheorie bereits abgewiesen habe.
2) RIETSCHEL, Die älteren Stadtrechte von Freiburg im B u. Viertel-
jahrschrift für Social- u. Wirtschaftsgeschichte, 1905. Der Stadtrodel kann
ibri ens spätestens 1248 entstanden sein und nicht frühestens Mitte des
ahrhunderts, wie RIETSCHEL 8. 14 des Sonderabdrucks sagt. Nach der
Verfassungeänderung von 1248 konnten die ,coniuratores fori* nicht mehr
als die „viginti quatuor consules“ bezeichnet werden, wie Bodel
24, 40 u. 76 ff. und eine Urkunde von 1236 (SCHREIBER, Urkb. I, 8. 49 am
Referate. 385
kein Zweifel sein, daß, soweit der Platz reichte, jedem Ankômmling,
der nur imstande war, ein Haus darauf zu erbauen und den niedrigen
Zins zu entrichten, eine Normalarea zugewiesen wurde: das beweist
ja auch die Aufteilung des gesamten Stadtareals in solche areae.
Kleinere Bauplätze waren von seiten des Stadtherrn überhaupt nicht
zu haben: dafür spricht, daß überall, wo Städte gegründet wurden,
der ganze Boden nach einem bestimmten Maße zerteilt wurde.
Gewiß würde man erwarten, daß nun der Besitz einer Normalarea
auch zur Grundlage des Bürgerrechts gemacht worden sei; allein
offenbar ist nichts darüber bestimmt gewesen. Es wäre an sich ja
möglich, daß 1 Mark den Wert einer unbebauten area darstellte. Daß
dann der Zins von 1 $ zu hoch sein würde, um noch als nomineller zu
gelten, kann man nicht einwenden, weil er de facto von dem bebauten,
also viel wertvolleren Grundstück, zu entrichten war!). Allein man
hat es offenbar erst später notwendig gefunden, eine solche Bestim-
mung über das Bürgerrecht aufzunehmen, nachdem einerseits viele
kleine Leute in die Stadt gezogen waren, die auf fremdem Grund und
Boden Unterkunft fanden, andererseits aber auch die Nachkommen der
ersten Ansiedler nicht mehr sämtlich in der Lage waren, sich eigene
areae zu verschaffen: kurz, nachdem der Boden vergeben war und die
weitere Parzellierung der areae und der auf ihnen errichteten Häuser
begonnen hatte. Das zeigt ja die neue Bestimmung der Stadtrechte
von 1275 und 1293, wonach Bürger ist, wer ein Hausachtel im
Werte von zwei Mark besitzt, auf Grund dessen nach seinem Tode
auch noch alle seine Kinder, „swil der ist“, das Bürgerrecht ge-
nossen, solange sie nur in ungeteiltem Besitz blieben’) Über das
Verhältnis dieses Hausachtels zu dem proprium aber sich den Kopf
zu zerbrechen, scheint mir zwecklos, und FLamms Annahme, daß die
deun von da an gab es nur 4 „consules“ aus der Zahl der 24 alten und
24 neuen „coniurati“. Entsprechend datiert auch WerTtı, Rechtsquellen des
Kantons Bern; I. Stadtrechte, Bd. I, Das Stadtrecht von Bern (Sammlung
Schweizerischer Rechtsquellen II) S. LIV, auf den sich RIFTSCHEL im übrigen
beruft. WELTts Gründe, S. IL ff., für späte Ansetzung des Rotels passen
jedoch sämtlich ebensogut für das Jahr 1218 wie für 1248. Ich möchte
daher einstweilen den Übergang der Herrschaft auf die Grafen als Anlaß
der Aufzeichnung annehmen. Insbesondere ist schlechterdings nicht einzusehen,
warum man nicht schon 1218 (auch 1200!) irrtümlich einen Berthold für den
Gründer gehalten haben sollte; ferner, warum man 1218 in Freiburg nicht
ebensogut „consules“, wie in Basel und Straßburg ein „consilium“
(meine Urkunden Nr. 110 u. 111) gekannt haben soll, mag jene Bezeichnung
auch in Flumet erst 1228 zu belegen sein; und ob ein Zolltarif sich 98 Jahre
unverändert erhalten konnte, läßt sich auch nicht aprioristisch entscheiden.
4tar nichts besagt das Vorkommen „überseeischer Waren“.
1) Vgl. hierzu meine Besprechung von FLAMM, Geschichtliche Orts-
beschreibung der Stadt Freiburg i. B., in der Hist. Vierteljahrschrift, Bd. VIII,
(1906) S. 544 ff., die FLAMM nicht mehr hat berücksichtigen können. S. 545
Z. 4 v. u. steht dort durch einen Druckfehler, daß die Basler Hofstätten
40 Fuß breiter waren, statt breit. Und S. 547 Z. 8f. habe ich mich in der
Korrektur von FLAMMs Verhältnisberechnung geirrt.
2) ScHreiter. Urkb., Pd. I, S. 78f., 8. 129. Dazu FıAamm 9. 101 ff.
386 Referate.
Grundrente bis 1300 oder 1350 auf das Sechzehnfache gestiegen sei,
sehwebt in der Luft!). Nur die Erhöhung der Wertsumme verdient
Beachtung: sei es, daß Geldentwertung darin ihren Ausdruck findet,
sei es eine Tendenz, die Berechtigung einzuengen, so wäre wohl zu
schließen, daß zwischen Annahme des älteren und des jtingeren Satzes
keine gar zu kurze Zeit verflossen war. — Auch die Klausel „proprium
non obligatum“ scheint FLAMM mir nicht richtig auszulegen. Wen
eine Rente auf dem Hause steht, so ist das doch nicht gleichbedeutend
mit Verpfändung?). Sonst hätten ja in kurzer Zeit fast sämtliche
Hauseigentümer ihr Bürgerrecht verlieren, oder man hätte zu der Fiktion
seine Zuflucht nehmen müssen — die FLaus freilich für möglich hält —,
daß jedesmal ein Teil des Besitztums im Mindestwert von 1, später
2 Mark zinsfrei und deshalb zur Grundlage des Bürgerrechts dienlich
geblieben sei. Erst wenn die auf einem Hause lastenden Renten eine
gewisse Höhe erreicht hatten, konnte doch dies einer Verpfändung
gleich erachtet werden.
Das führt auf eine der auffallendsten Erscheinungen. Im 15. und
16. Jahrhundert waren zahlreiche Häuser dermaßen mit Renten über-
lastet, daß bei der Zwangsveräußerung überhaupt kein Kaufpreis zu
entrichten, sondern nur die Verpflichtung zu übernehmen war, die
Renten weiter zu bezahlen5). Zu einem sehr großen Teile aber handelte
es sich bei diesen Renten um Seelgeräte, und kaum könnten die ver-
heerenden Wirkungen frommer Impulse greller beleuchtet werden, als
e8 hier geschieht. "Erstens war in diesen Fällen irgendeine wirtschaft-
liche Gegenleistung für die Reute ja nicht empfangen worden. Dam
aber sehen wir um ihr Seelenheil besorgte Sterbliche ihre Nachkommen
mit einer ruinösen und für deren Seelenheil doch wohl keineswegs
förderlichen Schuldenlast beladen. Da nun das pflichtgemäße Lesen
der Seelenmessen die Beschaffung ausreichender Arbeitskräfte bedang,
so finden wir ferner Freiburg um 1390 im Besitze einer Schar von
77 Weltgeistlichen neben der Insassenschaft zahlreicher Klöster*).
Und da die überlasteten Häuser häufig keine Abnehmer fanden, so
1) 8. 103. FLAMM gelangt zu der merkwürdigen Dohlußfölgerung, das
die Erhöhung der Bürgerrechtsvoraussetzung von Mk. 1.— auf Mk. 2.— eine
Erleichterung gewesen sei, weil er vermutet, daß das erste den Wert eines
wanzen Hauses repräsentiert habe. Falls es eine Erleichterung war, so doch
jedenfalls Bun, wenn der Geldwert um so viel gefallen war.
S. 96
AN In den Jahren 1444-1459 ist der 11.—12. Teil der ganzen Stadt
zwangsweise versteisert worden, von 1494—1520 der 7.—8. Teil der Stadt.
FLAMM S. 113 ff.
4) S. 120. Ein Beispiel der Stiftung von Seelenmessen in fem | Bin
liefert das Testament des Edlen Johann Sneueli vom 9. Okt. 1847 (
Urkb. I, S. 865 ff.), der seine Jahrzeit an nicht weniger als 44 Stellen in in
und um Freiburg begehen ließ. Am Münster stiftet er eigene | zwei und bei
den Kartäusern fünf Priesterpfründen zu dem Zweck. Bei aller Frö
keit trifft er jedoch Vorkehrung für andere Verwendung des Geldes, fais
einer der Dotierten seiner Pflicht nicht nachkäme. Er scheint seine Leute
gekannt zu haben.
Referate. 387
rurden sie niedergelegt, der Boden von den Stiftern eingezogen, und
ie verarmten Bewohner verließen die Stadt.
Selbstredend waren jedoch nicht alle Rentenüberlastungen, die zu
‚wangsveräußerungen geführt haben, religiösen Ursprungs. Auch private
släubiger haben Häuser, die ihnen zugefallen waren, niedergelegt oder
ait Nachbarhäusern in eins zusammengeschlagen. Und daß bei Über-
astung mit Renten bei der Handänderung häufig kein Kaufpreis heraus-
prang, ist im Grunde doch nur dasselbe, wie wenn heute der Käufer
ines bis zu seinem vollen Werte mit Hypotheken belasteten Grund-
tückes auch nichts dafür zu zahlen hat, falls er die Hypotheken
ibernimmt. Der Unterschied besteht nur darin, daß die Höhe des
len Renten ideell zugrunde liegenden Schuldkapitals meist unbekannt
var und deshalb auch nicht ausdrücklich tibertragen werden konnte.
'erner jedoch hat FLAMM einen für die Würdigung der ganzen Er-
cheinung, wie mich deucht, wesentlichen Gesichtspunkt nicht genügend
rerücksichtigt. Viele der tüberlasteten Häuser, die niedergelegt oder
ait‘anderen vereinigt wurden, verdienten nämlich offenbar nicht er-
alten zu werden. Noch heute gibt es in Freiburg 4 Häuser von nur
0—30 qm Grundfläche, 4 von 30-40 qm, 8 von 40—50 qm, 9 von
0—60 qm u. s. w. gegenüber den etwa 450 qm der ursprünglichen
janplätze! Selbst von jenen kleinsten ist eins aus zwei noch winzigeren
usammengelegt worden’). In die Gesamtzahl der heutigen 730 Häuser
ler Freiburger Altstadt (so der Adreßkalender mit Sonderzählung von
Iinterhäusern u. dergl. gegen 656 Häuser nach dem Grundbuch) sind
icht weniger als 426 Häuser durch Zusammenlegung aufgegangen, die
or Mitte des 15. Jahrhunderts, zum Teil bis 1530 noch ein eigenes
)asein geführt haben. Ohne Zweifel hatten auch diese größtenteils
u den Miniaturhäusern gehört?). So bedeutete ihre Beseitigung —
ınd dies eben ist der Gesichtspunkt, den ich bei FLAMM vermisse —
loch auch eine Gesundung, die freilich ein günstigeres Ergebnis für
lie Stadt gehabt hätte, wenn nicht gleichzeitig ein so sehr großer
l'eil des städtischen Bodens durch das Umsichgreifen der Klöster
ürgerlicher Bewohnung entzogen worden wäre?).
Allein nicht nur durch die übermäßige Belastung ihrer Häuser, auch
lurch die „Mittelstandspolitik“ der Zünftler sind die Kleinen zur Stadt
inausgetrieben worden — wie am andern Ende der gesellschaftlichen
itufenleiter Edle und GroBkaufleute. Rigorose Handhabung des
’aragraphen, nach dem nahe Verwandte nicht zusammen im Rat
itzen durften, machten seit 1391 den oberen Ständen die Besetzung
uch nur der wenigen Ratsstühle unmöglich, die die demokratische
’erfassung von 1383 ihnen gelassen hatte*%). Hübsch ist die Beobach-
1) S. 144.
2) Das ist auch FLAMMs Ansicht. S. 145. Nicht ganz klar ist mir ge-
“orden, wie die Tabelle S. 144 mit der Berechnung S. 142 stimmt.
3) Eine Gesundung läßt auch Fı.ımm eintreten, aber erst später durch
esondere Reformmaßregeln. S. 150 ff.
4) S. 54.
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 26
388 , Referate.
tung, daß die achweren Verluste bei Sempach damals die Edien an
erfolgreichem Widerstand gegen die Handwerker verhindert haben.
Zu überschätzen aber scheint mir FLAMM die Bedeutung eines
andern Umstandes bei der Entstehung der geschlosseneren Stadtwirt-
schaft, nämlich den Einfluß der Feindschaft der Landesherren und der
von ihnen gegründeten zahlreichen neuen Märkte und Städtchen*?). Bei
ihnen war das Wesentliche der Wunsch, die eigenen Territorien zu
heben, nicht der, die älteren Städte zu schädigen. Leider ist die Auf-
fassung viel zu sehr verbreitet, ala wäre das erste Ziel jeder ener-
gischen Wirtschaftspolitik der Schade anderer. Jedenfalls wtirden ohne
die Schutzpolitik der Zünftler jene Maßnahmen den Städten nicht viel
haben anhaben können. Bemerkt FLAMM doch selbst, daß die Stadt
in vielen wichtigen Punkten das Bild eines Kämpfers bietet, der selbst
die Waffen seines Gegners schärft?).. Wenn FLAMM in dem Aufkom-
men der landesherrlichen Macht die prima causa für den Niedergang
Freiburgs*), in der Konkurrenzgründung zahlreicher Märkte durch die
Fürsten den Anlaß für die Ausbildung der geschlossenen Stadtwirt-
schaft?) sehen will, so trägt er dem psychologischen Moment der
Engherzigkeit und angeborenen Beschränktheit der zünftischen Ele-
mente nicht genügend Rechnung, die auch ohne Gegnerschaft der
Fürsten zu den gleichen Bestrebungen geführt haben würden. Der
Verfolg einer freieren Wirtschaftspolitik durch die Stadt dagegen hätte
ohne Zweifel gegenüber den neuen Landstädtchen eine Differenzierung
zugunsten der älteren Handelsmittelpunkte bewirkt, wie sie in der
Tat dort eingetreten ist, wo Umstände die andauernde Pflege des
Fern- und Großhandels durchsetzen ließen. Vorsiehtig warnt FLaun
zwar vor übereilter Verallgemeinerung des in Freiburg Gefundenes;
allein es würde eben doch schärfer zwischen örtlichen und allgemein-
“ültigen Ursachen zu scheiden sein.
Die Deutung der Vorgänge im Frühjahr 1368 scheint mir ins-
berondere auch nicht ganz glticklich®). Überhaupt neigt FLAMM, wie
nicht wenige iüngere Historiker, unnötig zur Konstatierung von Feind-
seligkeiten und Gewaltsamkeiten: 80, indem er von einem willkürlichen
Regiment der Grafen spricht?) oder die Vierundzwanzig die Markt-
aufsicht gewaltsam sich anmaßen oder an sich reißen I&8t5), wobei
außerdem nicht zwischen Aufsicht und dem KRecht, Statuten zu erlassen,
unterschieden ist?). Ebenso die Erklärung der Verfassungsänderungen
1) S. 53.
2) Hauptsächlich das 1. Kapitel.
3) S. 166.
4) S. 165.
5) 8. 13.
6) S. 13; vgl. S. 1641. Ferner im nächsten Heft den Eingang meiner
..Hansischen Handalsgesellschaften‘.
7) S. 42.
8) S. 45 u. 59.
9) Unrichtig und unklar ist auch die Krklärung von Botel $ 75
(FLAMM S. 45): „Bei Gericht bilden sie [die 24] nur den Umstand und haben
sogar nur Zeugenfunktion, aber doch [!] schon die eines Untersuchungsrichters*.
Referate. 389
von 1275 und 1293). Vgl. übrigens noch v. BELoOws Besprechung,
Kritische Blätter, April 1906.
Auch mit FrLamms Interpretation meiner Lehre vom Ursprung der
Zünfte kann ich mich durchaus nicht einverstanden erklären ?).
Doch das und einiges andere, das zu bemerken wäre, ist minder
wichtig neben den bedeutenden positiven Ergebnissen des Buches.
Bei jeder künftigen Behandlung der hier besprochenen höchst wichtigen
Fragen in weiterem Rahmen wird es beständig um Auskunft anzu-
gehen sein.
Jena, 10. März 1906. F. KEUTGEN.
Professor Dr. ERNST, Die direkten Staatssteuern in der Grafschaft
Wirtemberg. Stuttgart 1904. (Sonderabdruck aus den Wtrttem-
bergischen Jahrbüchern für Statistik und Landeskunde, Jahrgang 1904,
I, 54—90 u. U, 78—119.)
Die ausgebreitete Literatur über das territoriale Steuerwesen Deutsch-
lands ist durch die vorliegende Arbeit wesentlich bereichert worden.
Wenn sich auch im ganzen und großen die anderwärts gemachten
Beobachtungen bestätigt finden und der Mangel an älterem Material
den Verfasser hindert, zu wichtigen prinzipiellen Fragen Stellung zu
nehmen, so bieten dafür die auf sorgfältigen archivalischen Forschungen
beruhenden Darlegungen für das 14. und besonders ftir das 15. Jahr-
hundert eine wesentliche Vertiefung unserer bisherigen Kenntnisse.
Übrigens beschränkt sich die Darstellung nicht streng auf das Mittel-
alter, sondern bietet manche Ausblicke bis ins 19. Jahrhundert.
In einem ersten Abschnitt behandelt ERNST die ordentliche Steuer.
Über den Ursprung dieser Abgabe muß er sich wegen Mangels an
Quellen eines Urteils enthalten. Im 13. Jahrhundert tritt die Steuer
als fertige Institution entgegen und ändert bis zum 19. Jahrhundert
ihren Charakter nicht wesentlich. Sie zeigt ihrer ganzen Natur naclı
ziemliche Verwandtschaft mit der nordwestdeutschen Bede und steht
ihr näher als der vielfach anders gestalteten in manchen wesent-
lichen Punkten abweichenden bayrisch-österreichischen ordentlichen
Steuer. Sie ist eine Abyabe von Grund und Boden, ist von der Ge-
meinde als Ganzem an den Landesfürsten zu leisten und erscheint früh-
zeitig fixiert. Die Fixierung wird streng festgehalten, in manchen Ge-
meinden bis ins 19. Jahrhundert. Die Gemeinde erscheint also als Träger
der Steuer dem Staate gegenüber, ist aber dafür bei der Anlage der Steuer,
bei der Bestimmung der Steuerobjekte und -subjekte, des Steuerfußes n.s. f.
fast selbständig. Eine besondere Stellung der Städte in der Steuer-
verwaltung scheint nicht bemerkbar zu sein: wenigstens scheidet ERNST
Vielmehr fungieren sie dort als Geschworene, indem sie durch Inspektion der
Wunde die Schuld feststellen.
1) S. 47, 48, 52.
2) S. 61 f.
390 Referate.
nicht zwischen der Steuer auf dem platten Land und in den Städten.
Begründet ist dieser Umstand wohl in der Württemberg und einigen
kleineren schwäbischen Territorien eigentümlichen Amterverfassung,
naclı welcher die einzelnen Ämter Stadt und Land gleichmäßig un-
fassen. Die Landstädte konnten in dieser engen Verbindung mit dem
umgebenden platten Land nicht zu einer exemten Stellung in der
Steuerverfassung gelangen. Von großem Interesse ist der Vergleich
der Steuersummen der nahe beieinander liegenden Reichs- und Land-
städte, der sich kaum bei einem andern Territorium so anschaulich
durchführen läßt. Die Steuern, welche die Reichsstädte an das Reich
abzuführen hatten, erscheinen durchwegs niedriger als die der Land-
städte an den Landesherrn. Schon dieses Beispiel zeigt, wieviel
Neues auch von allgemeinerem Belang sich aus ERNSTS Arbeit
sewinnen läßt. Ich kann natürlich nicht näher auf die einzelnen
Kapitel der Darstellung eingehen. Die bekannten Fragen nach dem
Ansatz, der Umlage, der Einhebung, dem Termin, Art der Zahlunz,
Objekt, Subjekt, Nachlaß der Steuer u. s. f. werden in eingehender
Weise besprochen. Ich möchte nur noch auf den gelungenen Nach-
weis aufmerksam machen, daß in Württemberg eine prinzipielle Steuer-
freiheit des Klerus, wie sie nach Kirchen- und Reichsrecht gefordert
wurde, nie zur Anerkennung und Durchführung gelangte. Diese Be-
obachtung stimmt auch mit der jtingst für andere Territorien gemachten
überein.
Neben der „gewöhnlichen“ Steuer erscheinen als ordentliche Ab-
gaben noch die Speisung und das Vogtrecht. Die Speisung ist eine
Leistung von untergeordneter Bedeutung und erscheint als „Ersatz für
den Unterhalt, welchen die Glieder eines Gerichtsbezirkes dem Richter
und seiner Begleitung schuldig sind“.
Die Abgaben,‘ die an die Vogtei anknüpfen, sind wie anderwärts
so auch in Württemberg zu auf den einzeinen Gütern lastenden nutz-
baren Rechten herabgesunken und erhalten sich in dieser Form an
vielen Orten bis ins 19. Jahrhundert.
Eine Spezialität der württembergischen Steuerverfassung ist der
Landschaden. Der Landschaden ist eine Abgabe, welche die Gesamt-
heit der Gemeinden als Vergtitung der Ausgaben für Fuhren und für
die peinliche Gerichtsbarkeit an den Grafen leistet. Die einzeinen
Geweinden haben aber dabei nicht für die auf ihrem Gebiete gemachten
Auslagen aufzukommen, sondern es werden die Ausgaben im gesamten
Lande summiert und sodann nach einem bestimmten Verhältnis unter
die Gemeinden verteilt. Der Landschaden kam in der ersten Hälfte
des 15. Jahrhunderts auf und wurde Anfang des 16. Jahrhunderts
durch Herzog Ulrich aufgelassen. Die rechtliche Grundlage für seine
Erhebung dürfte das schon von den Grafen der fränkischen Zeit aus-
geüibte Recht, von den Untertanen gewisse Dienste und Fronen zu
fordern, gebildet haben. Diese Dienste und Fronen wurden im Laufe
der Zeit meist in Geldzahlungen umgewandelt. In Württemberg wurden
diese Zahlungen in ein besonderes System gebracht, welches in steuer-
politischer Hinsicht einen großen Fortschritt bedeutet.
Neben diesen ordentlichen Abgaben tauchen in Wiirttemberg schon
Referate. 391
im 13. Jahrhundert außerordentliche Steuern auf. Sie werden von den
Grafen in dringenden Notfällen gefordert. Während gerade diese
außerordentlichen Steuern in anderen Territorien einen mächtigen
Hebel bei der Ausbildung der landständischen Macht bilden, haben
sie in Württemberg diese Wirkung erst spät ausgeübt. Sie werden
vom Landesfürsten einfach kraft seiner Landeshoheit gefordert. Eine
ständische Verwilligung findet sich erst am Ende des 15. Jahrhunderts,
und erst im 16. Jahrhundert erscheint sie ala Regel. Im übrigen er-
scheinen diese außerordentlichen Steuern in Art und Wesen eng ver-
wandt mit den von andern Territorien her bekannten Systemen. Die
Repartitionssteuer wird ähnlich der ordentlichen Steuer einfach als
(semeindelast behandelt, während wir bei der Quotitätssteuer ein plumpes
Einschätzungsverfahren der einzelnen Vermögen finden. Die Stellung
der Steuern im Staatshaushalt behandelt ERNST nur vorübergehend,
da er in einer von ihm in Aussicht gestellten Spezialarbeit über die
württembergischen Finanzen im 15. Jahrhundert darauf näher eingehen
will. Die zahlreichen interessanten Beilagen dürften noch in manch
anderer Hinsicht Verwertung finden.
Wien. Privatdozent Dr. LUDWIG BITTNER.
Hans VON VOLTELINI, Die ältesten Pfandleihbanken und Lombarden-
privilegien Tirols. Innsbruck, Wagner, 1904. 70 S. kl. 8°.
Die interessante und eindringende Untersuchung behandelt die bis-
her nicht genügend beachtete „Urgeschichte“ der Beziehungen Tirols
zum Geldhandel. Nach einer Einleitung, die die wirtschaftlichen und
kulturellen Bedingungen Tirols feinsinnig würdigt, geht VOLTELINI auf
die Spuren fremder Kaufleute in Tirol ein, zuerst der Venezianer,
Tridentiner, Veronesen, Brescianer, dann besonders der Floren-
tiner; daß diese sich „vor allen“ dem Geldhandel zugewendet
hätten, wie VOLTELINI nach DAVIDSOHN angibt, bestreite ich. Die
Senesen und Römer waren ihnen zeitlich voraus, auch war damals ein
reiner (reldhandel für eine ganze Stadt (außer für Rom, den Versamm-
lungsort des ganzen Abendlandes) nicht möglich; die Bedeutung der
Florentiner Tuchindustrie ist ja bekannt, und in Siena lag es natürlich
ebenso. Daß „Deutschland im allgemeinen von den Florentinern
weniger als Schauplatz ihrer Tätigkeit erkoren sei“ (S. 19), ist irrig;
Johann XXI. z. B. hat den ganzen deutschen Zehnt zwei Florentiner
Banken zugewiesen. Immerhin ist es auffallend, wie rege die Be-
ziehungen der Arnostadt gerade zu Tirol sind; da lernen wir nun eine
Anzalıl Namen kennen, deren Zugehörigkeit zu ihren Firmen VOLTELINI
nicht näher untersucht hat (auch dem Ref. ist es bei einigen Stich-
proben nicht überall gelungen, sie festzustellen, öfter aber kann man
weiter kommen). Eine besondere Rolle spielt das Haus Frescobaldi,
mit dem zuerst der bekannte Herzog Meinhard II. anknüpfte. Die
Gründe, die VOLTELINI für dessen Wahl vermutet, erscheinen nicht
recht stichhaltig; es liegt wohl so, daß diese Firma, die von ihrer
einstigen Stellung als Verwalterin des Kreuzzugszehnten von halb
399 Referate.
Deutschland nur noch — seit Martin IV. — die Provinz Salzburg be-
halten hatte, dem Herzog deshalb am besten bekannt war; auch ihr
selbst muß daran gelegen haben, ihren Geschäftskreis auf Tirol aus-
zudehnen, das ja ohne Mehrkosten zu erreichen war. Neben Waren-
handel, besonders mit Luxusartikeln, wie Geschmeide, feinerem Tuch.
Südfrüchten für den Hofhalt brachte ihnen vor allem das Pfandleih-
geschäft reiche Erträge. Wichtig ist, daß vorher unter den Tirolern
zinslose Darlehen üblich waren (8. 25); eine neue Tatsache, die Ref.
den Forschern zur Beachtung empfiehlt, die für die früheste Geldwirt-
schaft, ja schon für die Naturalwirtschaft den Zins als selbstverständlich
erklären. Die Florentiner mit ihrem großen Betriebskapital waren in
dem Augenblick willkommen und notwendig, wo die geringen Mittel,
die sich zinslos beschaffen ließen, nicht ausreichten. Erinnert sei, daß
Tirol als Paßland Gelegenheit bot, auch manchem durchreisenden
Welschlandfahrer Kredit zu vermitteln (8. 16. 37, ein Regensburger).
Neben den Frescobaldi und den ihnen nahestehenden Rossi treffen wir
als Inhaber der Leihbanken in Tirol und Görz die Abbati aus Florenz,
Bologneser, Mantuaner und einige aus Trient. Die Einheimischen
hielten sich zurück, wirtschaftlich unentwickelt und diesen nicht un-
bedenklichen Geschäften noch lange abgeneigt. Am meisten verdiente
man am Verzugszins und den verfallenen Pfändern; daneben kommen
Usuren (8. 26, 50) vor. Die schlechte Regierung der Nachfolger Mein-
hards trug zuerst zum Gedeihen der Banken bei, da sie sich oft Geld
auf die einträgliche Pacht vorstrecken ließ; am Jahresschluß wurde
abgerechnet, und wenn sich für die Kaufleute ein Überschuß ergab.
so erhielten sie ihn häufig in dem vielbesungenen Tiroler Wein und
andern Naturalien, deren Verwertung ihnen als gewiegten Kaufleuten
nicht schwer gewesen sein wird. Daß die Pfandscheine aus Bozen
kein Schuldverhältnis, sondern ein Depositum bekennen, ist wohl keine
wucherische „Verschleierung des Tatbestandes“ ; wozu hätte sie denn
bloß diese Leihbank für nötig gehalten? Es sind Formen, die während
der Übergangszeit in Italien ihre Analoga haben, wenn sie auch dem
italienischen Handelsrecht des 13. Jahrhunderts gegenüber rtickständig
waren. Der Inhaber der Bozener casana, Caspar (8. 28), ist doch wohl
identisch mit dem S. 30 genannten Caspar E. Poldi aus Trient, wo
manche Zwischenzustände der deutschen und italienischen Entwicklung
herrschten. Daß Clemens V. auf dem Konzil von Vienne auch solche
Verträge — übrigens unter Einschränkung — zu den wucherischen
rechnete, nimmt bei der Schärfe seiner Bankgesetzgebung nicht Wunder.
Den Bankcrott der Frescobaldi setzt VOLTELINI S. 49 (vgl. 24) um 1311
zu früh an. Davisonn (Forsch. II. n. 672) zeigt, daß die Firma.
wenn auch aus Florenz vertrieben, noch 1315 bestand und gerade da-
mals in Zablungsschwierigkeiten war. Den Niedergang der Leihbanken
verschuldeten die Verpfändungen unter dem Titularkönig Heinrich und
seiner Tochter Margarete Maultasch, auch das Vordringen der Juden
in Tirol seit dem Ende des 13. Jahrhunderts; zu den vielen inter-
essanten Angaben von VOLTELINI über diese möchte ich bemerken, daß
die Meinung, die Juden seien seit dem Ende des 12. Jahrhunderts
vom Warenhandel verdrängt worden, in letzter Zeit (ScHAUB, Kampf
Referate. 393
gegen den Zinswucher 166 f. und öfter) sehr bestritten ist. Leider
gibt VOLTELINI 8. 20f. nicht die Namen der senesischen Kaufleute an,
die nach der unbekannten Urkunde Clemens’ IV. von 1266 X 4 im
Wiener Staatsarchiv mit Bischof Egno von Trient in Streitigkeiten
geraten waren; das Material über derartige Beziehungen von Banken
und Prälaten ist so wichtig, daß jeder Baustein willkommen ist. Die
S. 15 erwähnten schwer verständlichen Zeugenaussagen von 1216
über das Ripaticum in Trient würden wohl durch italienische Urkunden
beleuchtet werden. Zum Schluß werden die Tiroler Lombardenprivi-
legien behandelt und die vier erhaltenen, die durch ilır Alter (1304—19,
dazu eine Notiz von 1297) sehr wichtig sind, abgedruckt. Über die
Grundlagen des Lombardenrechts, in deren Beurteilung VOLTELINI der
bekannten Hypothese SCHULTES widerspricht, scheint mir das letzte
Wort noch nicht gesprochen. Daß VOLTELINI die italienischen Geld-
leute wesentlich günstiger beurteilt als herkömmlich, erscheint dem
Ref., der mehrmals dafür eingetreten ist, auch in diesem Falle richtig
und begründet. Möchte doch die überaus lehrreiche Schrift, der wir
bisher eigentlich nur die Arbeit von PATETTA über die Senesen in
England an die Seite zu stellen haben, bald für andere Landschaften
nachgeahmt werden.
Rom. FEDOR SCHNEIDER |).
D'AHLMANN-WAITZ, Quellenkunde der deutschen Geschichte.
Unter Mitwirkung von P. HERRE, B. Hier, H. B. MEYER,
R. SCHOLZ herausgegeben von E. BRANDENBURG. 7. Aufl.
Erster Halbband. Leipzig, Dieterichsche Verlags-
buchhandlung (Theodor Weicher), 1905. 366 S.
1894 ist die 6. Aufl. vom „DAHLMANN-WAITZ“ erschienen. Über
seine Unentbehrlichkeit ein Wort zu verlieren, wäre gäuzlich über-
flüssig. Bei der mächtig anschwellenden historischen Literatur ist jede
neue Auflage mit größtem Dank aufzunehmen. Die verbältnismäßig
stärkste Vermehrung hat in der letzten Zeit wohl die Literatur zur
Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte erfahren, und daher hat unsere
Zeitschrift ganz besonders Anlaß, die 7. Auflage des vorliegenden
‘Werks, von der jetzt der erste Halbband erschienen ist, dankbar zu
1) Die hier angezeigte Schrift von H. v. VOLTELINI ist ein Sonderabdruck
aus den „Beiträgen zur Rechtsgeschichte Tirols“ (Festschrift zum 27. deutschen
Juristentage), Innsbruck 1904, Verlag der Wagnerschen Universitätsbuch-
handlung. Diese „Beiträge“ bringen außer jener Untersuchung nachfolgende
Abhandlungen: H. Woprer, Zur Geschichte des tirolischen Verfachbuches ;
A. v. WRETSCHKoO, Die Geschichte der juristischen Fakultät an der Universi-
tät, Innsbruck 1671—1904 ; Die Rechtshandschriften der Universitäts-Bibliothek
in Innsbruck; CasPar SCHWARZ, Die Hofpfalzgrafenwürde der juristischen
Fakultät Innsbruck. Zur Würdigung dieser Abhandlungen vgl. die Aus-
führungen von Srrrz in der Zeitschrift der Savigny-Stiftung, Germ. Aht..
Bd. 26, S. 387 ff. D. Red.
394 Referate.
begrüßen. Die Bibliographie der Rechts-, Verwaltungs- und Wirtschafts-
geschichte haben Dr. HiLLIGER und namentlich Dr. MEYER verzeichnet.
Hier war wohl die schwierigste Aufgabe zu lösen. Denn auch wenn
man von dem großen Umfang der betreffenden Literatur absieht, 80 ist es
nirgends schwerer als hier, die richtige Auswahl zu treffen. Bei dem
eigenttüimlichen Entwicklungsgang der deutschen Geschichte kommen
sehr viele Werke der provinzial- und ortsgeschichtlichen Literatur nicht
bloß für die Wirtschafts-, sondern auch die Verfassungsgeschichte in
Betracht. Ein Buch mit einem rein ortsgeschichtlichen Titel enthält
manchmal wertvollere Beiträge zur Verfassungs- und Wirtschafts
geschichte als eines, das im Titel ausdrücklich auf diese hinweist.
Und wie in dieser Hinsicht, so ergibt sich eine Schwierigkeit auch
aus der Frage, wie weit man alle einzelnen Disziplinen der Rechts-
geschichte berücksichtigen soll. Bei der vorigen Auflage unserer
Bibliographie lag die Sache noch erheblich einfacher als heute nach
dem starken Ausbau der Rechts-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte.
An diese Kompliziertheit der Aufgabe hat man sich zu erinnern, wenn
man bei etwaigen Unebenheiten des neuen Versuchs zu einem gerechten
Urteil gelangen will. Jedenfalls darf man den Bearbeitern das Zeug-
nis geben, daß sie sich um vielseitige Information ernst bemtiht haben.
Im folgenden möchte ich einige Korrekturen und Bedenken anbringen.
Ich füge auch einige Notizen über Arbeiten bei, die nach dem Druck
des vorliegenden Halbbandes erschienen sind. Vollständigkeit erstrebe
ich natürlich nicht.
Warum fehlen bei Nr. 636 MEILLERs Regesten der Salzburger Erz-
bischöfe? Nr. 668 lies Albert statt Abert, Nr. 690 Knipping statt
Knieping. Die in Nr. 730 erwähnten Teile des Urkb. der Stadt Braun-
schweig sind doch nicht sämtlich 1861 erschienen (jetzt liegen vor:
Bd. 1—3, 1861— 1905). Von Nr. 831 erschien die 3. Auflage 1904.
S. 62, wo uns allgemeine Quellenwerke zur städtischen Rechts- und
Wirtschaftsgeschichte genannt werden sollen, wird je eine einzelne
Edition der Zunfturkunden einer Stadt (Riga), der Rechnungen einer
Stadt (Hamburg) und der Aufzeichnungen tiber den Liegenschafts-
verkehr einer Stadt (Kiel) notiert. Warum nur gerade diese? Sollten
hier nicht alle wichtigeren Editionen genannt werden, 80 wären zu-
sammenfassende Überblicke, wie sie STIEDA über die städtischen
Finanzen und auch die Editionen der Stadtrechnungen gibt (Nr. 1585),
zu notieren gewesen. Von KoxLERs Beiträgen zur Geschichte des
römischen Rechts (Nr. 1439) ist das erste Heft 1896, das zweite 1900
erschienen. Im übrigen vgl. zur neuesten Literatur tiber diese Materie
meine Schrift: Die Ursachen der Rezeption des römischen Rechts in
Deutschland (1905). Der Verfasser der hannoverschen Verfassungs-
und Verwaltungsgeschichte (Nr. 1462 und 1493) heißt Mere. Nr. 1491
lies Schottmüller, Nr. 1499 Plehn.” Zu den Arbeiten tiber Reichshof-
gericht und Reichskammergericht (Nr. 1503 f.) kommt jetzt die ein-
gehende Untersuchung von LECHNER hinzu. Sind von Wagners Finanz-
wissenschaft (Nr. 1515) alle Teile in 3. Auflage erschienen? Es wäre
zweckmäßig gewesen, hier einfach auf das erste Heft des dritten Teils
(Leipzig 1886), welches den Titel ,Steuergeschichte“ trägt, zu ver-
Referate. 395
weisen. Die Arbeiten über Steuergeschichte auf S. 109 sind nicht
zweckmäßig ausgewählt. Von meinem älteren Deutschen Städtewesen
(Nr. 1576) ist 1905 die 2. Auflage veröffentlicht. Zu Nr. 1590 vgl.
Histor. Zeitschr. 61, S. 303 und die Erörterungen von NUGLISCH mit
EULENBURG in den letzten Bänden der Zeitschr. für Socialwissenschaft
und der Jahrbücher für Nationalökonomie. Unter „Bevölkerung der
Städte“ S. 113 müßten doch auch die Arbeiten über die Pfahlbürger
genannt werden (da die Literatur über die Lehnsfähigkeit der Bürger
hier berücksichtigt ist). In Parallele mit ROTH v. SCHRECKENSTEINS
Patriziat ist auch SKELIGS Buch über die Hamburger Bürgerschaft
venannt (Nr. 1592). Allein dieses ist anderer Art: es will (aus einem
praktischen Zweck heraus, im Zusammenhang der neuen politischen
Kämpfe in Hamburg) nur die Entstehung des modernen Instituts der
Bürgerschaft) erklären. Nr. 1591 lies KNIEKE. Die Nr. 1605 notierte
Arbeit von RIETSCHEL hätte mit in den Vordergrund des Abschnitts
xestellt werden sollen. Sie wird Nr. 1700 unter Agrarverfassung an
ausgezeichneter Stelle genannt, während sie es doch mehr mit dem
Städtewesen zn tun hat. Zu Nr. 1627 füge E. SCHUMANN, Verfassung
und Verwaltung des Rates in Augsburg von 1276—1368 (Kieler Disser-
tation von 1905), zu Nr. 1632 WELTI, Das Stadtrecht von Bern I
Aarau 1902): die hier gegebene Einleitung ist von der größten Wichtig-
keit für die Erforschung der bernischen Verfassungsgeschichte. Hinter
Nr. 1611 ist einzuschalten: BısLe, Die öffentliche Armenpflege der
Reichsstadt Augsburg (Paderborn 1904). Zu Nr. 1640 vgl. Zeitschr.
des Aachener Geschichtsvereins 19, S. 227 ff. Unter den Verfassungs-
„eschichten niederrheinischer Städte wird die kleine Schrift von LIESE-
GANG, Recht und Verfassung von Rees (Nr. 1642) genannt. Aber es
zibt niederrheinische Ortsgeschichten, die viel mehr verfassungsgeschicht-
licheu Inhalt haben als jene. Statt der Arbeiten PHILIPPIS über Osna-
brück, die Nr. 1649 notiert werden, wäre besser dessen Verfassungs-
reschichte der westfälischen Bischofstädte (1894), die später (Nr. 4253)
erwähnt wird, genannt worden. Zu Nr. 1680 füge RENNEFAHRT, Die
Allmend im Berner Jura (Breslau 1905). Von RoscHErs „Ansichten
der Volkswirtschaft“ (Nr. 1751) ist die 3. Auflage (1878) anzuführen.
Sollte unter „Allg. Wirtschaftsgeschichte“ (S. 124) nicht die Literatur
über Bankwesen eingeordnet werden können? Bei der Münzkunde
(S. 23f.) ist noch nicht LUSCHIN VON EBENGREUTH, Allg. Münzkunde
und Geldgeschichte (1904) erwähnt. Nr. 1776 lies Kmiotek. Zu
Nr. 1780 füge A. GERBER, Beitrag zur Geschichte des Stadtwaldes
von Freiburg i. B. (1901), zu Nr. 1807 meinen Aufsatz: Ist die Schweiz
ein Paßstaat? Beilage zur Allg. Zeitung 1903 Nr. 56 (vgl. auch Histor.
Zeitschr. 91, S. 436 Anm. 1), zu Nr. 1813 Kolmar SCHAUBE, Der Ge-
brauch von hansa in den Urkunden des Mittelalters (vgl. Histor.
Zeitschr. 96, S. 267). Bei DOoRENs Schrift (Nr. 1812) durfte die
Warnungstafel nicht fehlen, die KEUSSEN (Korrbl. d. westd. Zeitschr.
1893 Sp. 57) aufgerichtet hat. In Nr. 2047 lies Abt. 1901 (Bd. 22).
OrTTos Schrift über das Handwerk (Nr. 1842) ist 1905 in 2. Auf-
lage, von STAHLS Buch nur der 1. Bd. erschienen. S. 246 fi. gibt
HiLLıcer höchst detaillierte Literatur über Straf- und Privatrecht
396 Referate.
und Prozeß für die fränkische Zeit, während Meyer S. 313 ff. tür
die folgende Zeit derartige Literatur nicht bietet. So dankenswert
an sich HILLIGERS Mitteilungen sind, so gehen sie doch wohl tiber die
Zwecke, die durch „DAHLMANN-WAITZ“ verfolgt werden, hinaus. 8. 314
wird behauptet, daß „die Lehen- und Dienstrechte ganz verstreut ver-
öffentlicht“ seien. Tatsächlich gibt FÜRTH in seiner Darstellung
(Nr. 4127) doch eine hübsche Kollektion von Dienstrechten. Zu Nr. 4122
und vielen anderen Nummern kommt jetzt Heck, Der Sachsenspiegel
und die Stände der Freien (1905) hinzu. Nr. 4133 lies Goecke, Nr. 4141
(bei Dieterich) 1892. EcKERTs Schrift über den Fronboten (Nr. 4136:
ist auch als Verlagswerk in Leipzig erschienen. Daß bei Nr. 4283
zu KEUTGENS „Ämter und Zünften“ SANDERS Aufsatz erwähnt wird,
ist bibliographisch nicht zu tadeln. Aber es mag hier hervorgehoben
werden, daß er sachlich aufs höchste zu bedauern ist. Wie konnte
SANDER (im Gegensatz zu den reinlichen Unterscheidungen, die er selbst
in seinem Buch über den Haushalt Nürnbergs gemacht hat) sich zu
den unglaublich oberflächlichen, alles vermischenden Vorstellungen
SCHMOLLERS (vgl. Zeitschr. für Socialwissenschaft 1904, S. 304 ff.) be-
kennen! Vgl. zu den Rezensionen über KEUTGENs Buch SEELIGERS
Histor. Vierteljahrschrift 1904, S. 549 ff. In Nr. 4286 lies Dettmering.
Zum Schluß mag auf die kritischen Bemerkungen von HOLDER-EG6GER
im Neuen Archiv 30, S. 727 hingewiesen werden.
Wenn wir im obigen manche Ausstellungen gemacht haben, 80 mag
doch nochmals unser Dank für die selbstlose Arbeit, die in einer solehen
Bibliographie steckt, ausgesprochen werden.
Freiburg i. B. G. v. BELOW.
Druck von W. Kohlhammer in Stuttgart.
Gand et la Circulation des Grains en Flandre, du
XIV’ au XVII: siècle.
Par
G. Bigwood (Bruxelles).
Preface.
Chapitre I. Généralités.
Du droit d’étape en général. — Les villes d'étape dans les anciens
Pays-Bas.
Chapitre II. Gand et la navigation fluviale en Flandre.
S 1° Le transit obligatoire des grains par Gand.
$ 2. Le privilège de rupture de charge.
$ 8. Le mesurage obligatoire.
Chapitre III. L’étape des grains à Gand.
$ 1°" Son origine et ses causes.
$ 2. Organisation de l'étape.
$ 3. Le marché aux grains.
$ 4. Le commerce des grains et l’approvisionnement de la ville.
$ 5. La lutte pour la liberté.
Conclusions.
La configuration géographique d’un pays influe directement
sur les conditions qui régissent la circulation des biens, et sur-
tout des denrées de première nécessité. La répartition et l’em-
placement des villes jouent iei un rôle prépondérant, lequel est
d'autant plus grand que les centres urbains sont plus peuplés
et que les moyens de communication sont plus directs. :
Il suffit de jeter un coup d’eil sur la carte du comté
de Flandre pour se convaincre que la ville de Gand a dû néces-
sairement exercer une influence marquée sur le mouvement des
marchandises et par suite, sur la marchandise par excellence du
moyen-âge, les céréales, base de l’alimentation.
Centre urbain de premier ordre, dont les environs immédiats
étaient peu fertiles, situé au confluent de deux cours d’eau im-
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte, IV. 97
398 G. Bigwood
portants en communication directe avec la mer, comme aussi par
les affluents de l’Escaut et de la Lys, en relations faciles avec
le comté tout entier et les pays voisins, Gand apparait comme
le centre vers lequel tout converge, ou du moins vers lequel tout
peut être facilement contraint de converger.
Poussés par une nécessité dont ils se rendaient plus ou moins
consciemment compte, les Gantois se sont efforcés d’assurer à
leur ville le monopole de la circulation sur l’Escaut et la Lys
et à leur marché aux grains une abondance et une régularité
capables de maintenir le prix des céréales à un taux modéré.
Dans la poursuite de ce double but, Gand se heurte à des
difficultés et à des résistances et c’est l’objet de ces quelques
pages que l’histoire de cette lutte et l'exposé de ses résultats !).
I.
Généralités.
Du droit détape, en général. Les villes d’6tape dans les
anciens Pays-Bas.
C’est au moyen du droit d’etape que les grands centres ont,
en général, agi sur la circulation des marchandises et les courants
du commerce. Mais sous cette dénomination uniforme se cachaient
des institutions très différentes. Au haut moyen-âge, les lieux
d’étapes sont essentiellement des sièges de marchés dont le but
spécial est d’assurer l’application des mesures restrictives prises
relativement aux exportations de marchandises ”?); dans la suite,
l'institution apparaît sous des formes variées, qui purent se
ramener à trois. Sous le nom de jus geranü, elle consiste
1) Bibliographie. V. GAILLARD, Anciennes Institutions commerciales.
Privilège d'étape: l'étape des Grains à Gand. Messager des sciences histo-
riques, 1849, p. 232 à 258. — EM. VARENBERGH, La maison de P Etape.
Messager des sciences historiques, 1872, p. 1 à 10. «Quelques points d'histoire
à propos de l’incendie de l’Etape». Bulletin du cercle historique et archéo-
logique de Gand, 1896, p. 60à 82. Za maison de l’Etape, Inventaire archéo-
- logique de Gand, 2° fasc., Avril 1897. — FR. DE POTTER, Gent. II, 482 à 498.
— DIERICX, Mémoires sur la ville de Gand, II, p. 195 et sqq.
2) Sur l’évolution générale des stapulae, cf. HUVELIN, Essai historique
sur le droit des Marchés et des Foires, Paris 1897, p. 204 et sqq.
(and et la circulation des Grains en Flandre, du XIV° au XVIII s. 399
essentiellement à obliger les marchandises en transit à être
déchargées, marquées et pesées avant d'aller plus loin, mais sans
devoir être mises en vente dans la ville. Le jus stapulae propre-
ment dit comportait précisément l’obligation de mettre en vente
ou de rebrousser chemin. Enfin la troisième forme de l'institution
est connue plus particulièrement sous le nom de jus emporti et
entrainait l’obligation de ne rien vendre et de ne rien acheter
qu'aux habitants de la ville !). .
Les privilèges de Gand à l’égard de toutes marchandises,
rentraient dans la première de ces catégories et en ce qui concerne
les céréales, se rapprochaient beaucoup de la troisième.
Les anciens écrivains belges et hollandais se sont occupés
du droit d'étape, car il est peu de villes des Pays-Bas d’une
moyenne importance qui n'ait joui de privilèges d'étape plus ou
moins étendus. La définition qu’ils en donnent varie légèrement
et est généralement inspirée par l'institution existant dans la
ville dont ils parlent”).
Sans entrer ici dans la discussion à laquelle a donné naissance
l'origine du mot, disons que l'expression flamande stopele était
fréquemment remplacée par celle de uplegk, exprimant la même
idée, celle de mettre en tas, accumuler. Des textes français du
moyen-äge traduisant littéralement l’expression flamande parlent
du missus?).
1) HuveELin, doc. cit. et les auteurs cités en notes.
2) ADRIANUS JUNIUS, Batavia. Plantin 1588, p. 248.
Jon. LOCCENIUS, De jure maritimo et navali, Holmiae 1652, lib. I,
c 10 n° 8, „jus stapulae est potestas sistendi in suo foro, restringendique
merces speciali emporii beneficio certis civitatibus competens“.
GUICCIARDIN, Description de tous les Pays-Bas, 1625, p. 228 et 884.
BOXHORNIUS: Theatrum Hollandiae, p. 100: „Est autem stapula jus
quo potestas conceditur aliundi invectis mercibus quasi manum injiciendi, ab
instituto cursu retrahendi, ac denique ita sistendi ut non priusqüam publico
foro divenditae ibi fuerint, alio transferuntur. Ita autem dicitur a STAPELEN
quod in unum aliquid coarcervare designat“.
Cf. Louvrex: Recueil contenant less Edits et Règlements faits pour le
pais de Liège, etc. III, p. 182, en note de l’ordonnance du 7 Septembre 1571.
3) Cf. BOXHORNIUS, loc. cit. — DUCANGE, v° Stapulum. Les Yprois
æurent à Commines «certain upslach, que l’on nomme estaple». Mémoire
400 G. Bigwood
La plupart des villes du Nord de la France et des Pays-Bas
ont joui du droit d'étape.
En dehors de Gand, deux se sont vu reconnaître une étape
de céréales: Douai et Tournai.
Douai était un de ces endroits que l’on a si heureusement
qualifiés de nœuds du transit régional ').. Forc&ment les bateaux
qui avaient remonté l’Escaut et la Scarpe devaient y décharger
leurs cargaisons; c'était la aussi que les producteurs ou les
marchands pouvaient emprunter la voie fluviale pour le transport
des marchandises destinées à la Flandre ou au Hainaut. De bonne
heure, l’etape des grains devint l’objet principal du commerce et
la source de la prospérité locale ?).
L'étape, à Douai, consistait essentiellement d’une part dans
l'obligation d’exposer en vente au marché tous blés amenés dans
«
la ville, même destinés à être embarqués pour descendre la
rivière, et de l’autre dans la défense pour les marchands d'acheter
ou de faire acheter des grains dans un rayon de cinq lieues de
la ville”).
L'importance du commerce de blé de Douai est attestée par les
cité, note 1 p. 402. Le «droict d’estaple et missus». «Le missus et grain non
franc». Replique du magistrat à Gand, Janvier 1612. Ancien Conseil Privé
carton: grains. Le magistrat de Tournai (Juin 1557) appelle le droit d'étape,
le «droit de missus». Archives de Gand, série 147bis, reg. 2, p. 52. De
même celui de Tournai (29 Octobre 1565) et celui d'Arras (2 Juin 1546).
Archives de Gand, série 349, n° 108. Les lettres de Henri VIII (26 février
1514, n. st.) emploient la même expression. Ord. des Pays-Bas, 2e série, t. I,
p. 286. Au XVIIIes. le mot stapel regt, finit par désigner tout impôt
frappant le transit. Décret de l’empereur Joseph IT, du 27 Avril 1788.
Placards de F'landre, VI, p. 815.
1) H. PIRENXE, Les villes flamandes avant le XIIe siècle. Ann. de l'Est
et du Nord, I, p. 22.
2) Cf. Actes des 25 Juillet 1402, 25 Décembre 1410 et 28 Juillet 1433
cités par Espınas, Les finances de la commune de Douai des origines au
X Ve siècle, p. 244, note 2.
3) Cf. bans du 27 Février 1399 et de 1400; Archives communales de
Douai, registre A A 95 et les documents cités à la note précédente. Je dois
la connaissance de ces bans à l’extrême amabilité de Mr G. Espinas.
Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV: au XVIIIles. 401
accords conclus au XIV® siècle par cette ville avec Gand!) et
avec Bruges”*).
Ce commerce était encore important au début du X VIT: siècle”),
mais la prise d’Arras et les guerres de l’époque lui furent
fatales À).
Quant à Tournai, l'étape consistait pour les échevins «quand
bon et expedient leur a semblé, prendre et lever la sixiesme
partie des grains passans en (notre dite) ville par la rivière
d’Escault, pour y tenir estable certaine espace de temps, pour
estre venduz au peuple.» Il dépendait donc des consaux que
l’étape fut ou non appliquée. Il semble même qu'ils soient restés
si longtemps sans exercer leur droit, qu’ils aient craint qu’on
le leur contestât. Aussi profitent-ils de la conquête de la ville par
Henri VIII, pour se faire confirmer leur privilège”).
En fait, l'étape de Tournai, si tant est que les consaux aient
usé de ce droit, ne parait avoir eu aucune importance, mais les
marchands de Tournai furent en étroite relation avec Gand dont
ils fréquentaient le marché.
IL.
Gand et la navigation fluviale en Flandre.
8 I Le transit obligatoire des Grains par Gand.
De tout temps les voies de communication fluviales ont
prévalu en Flandre, dont le sol se prêtait mal à l'établissement
1) 4 Novembre 13567, DE LIMBURG-STIRUM, Cartulaire de Louis de
Male, I, p. 607.
2) 16 Juin 1396, Archives du Nord-Lille, B 1598, fol. 41vo.
8) Requête des échevins de Douai, 28 Juillet 1627. Archives de Gand,
liasse 38, p. 57.
4) Lettre des échevins de la ville de Douai au Gouverneur Général,
13 Mars 1641, Anc. Conseil Privé, carton grains.
5) Lettres de Henri VIII autorisant la ville de Tournai à lever un droit
sur les grains (?) qui passent en cette ville par l’Escaut. Westminster.
26 Février 1513 (1514, n. st.). Ord. des Pays-Bas, 2° série, t. I, p. 286.
Cf. les prétentions de Tournai à un «missus» au XVI: siècle, p. 447.
402 G. Bigwood
de grandes routes '). Les villes n’hésitèrent pas à faire à grands
frais des travaux d'art en vue de vaincre les difficultés que
rencontrait l’établissement de canaux”). L'importance des cours
d’eau et l'utilité qu’ils présentaient ont amené les villes, con-
fotmement au droit de l’époque”), à revendiquer et à se faire
reconnaître la propriété du courant des eaux et des rives qui
les bordaient ‘).
Au XIV® siècle, il n’existait guère que deux voies permettant
facilement aux productions de la partie méridionale du comté et
des principautés limitrophes de se diriger vers la mer. La
1) «... et duquel pays de West, où quel est assise la dicte ville d’Yppre,
la terre est tele et si mole tenace et parfonde en la saison d’iver, que on
n’y puet mener par charroy vivres, denrées, ne marchandises d’une ville à
autre, Et pour ce d'ancienneté et par nécessité contraincte a esté trouvé et
advisé, pour le bien publique dudit pais et des habitans d’icelui, de faire
audit West païs cours ou courans d’eaues que l’on appelle, ou langaige
commun oudit païs, l’Ypprelet, binlauvard, le linque et autres courans qui
ont plusieurs branches servans aux villes dudit païs vers occident.» Mémoire
des Yprois au Parlement de Paris, charte n° 892 de l’Inventaire de J. Dıe-
GERICK, II, p. 168. Sur l’état des chemins du Franc de Bruges, cf. préam-
bule des lettres de Charles V du 12 Décembre 1515. — CH. LAURENT, Re
cueil des Ordonnances des Pays-Bas, 2° série, I, p. 444.
2) «Et pour ce que la terre dessus dicte en plusieurs lieux est mal dis-
posée pour y faire rivière, car elle est en aucuns lieux haulte et en autres
basse, l’on a d’anchienneté trouvé et advisé d’y faire certains engins que l'on
appelle overdrachs, par lesquels l’on retient l’eaue. Et sont iceulx over-
drachs édifiés assis au travers de l’eaue, lesquelx édifices par roes et cordes
l’on tire pardessus la terre retenant les dictes eaues, les nefs, tant chargiez
comme wides, d’une eaue à l’autre, soit en avalant ou en montant.s Même
mémoire.
Les francs bateliers de Gand dépensèrent 325000 florins pour construire
l’écluse de Pamele-lez-Audenarde, plus de 275000 florins pour la construction
de celle de Harlebeke, et 215000 florins pour rendre la Lys navigable, par
l'établissement d’une écluse à Commines. Cf. Mémoire des magistrats de
Gand (XVIII: s.). Archives de Gand, série 180, carton 29. Sur les overdraghs
et les conditions de navigation en West Flandre, voir DESCHAMPS DE Pas,
Annales du Comité flamand de France, VI, 210, et GILLIODT8, Glossaire de
l’inventaire des archives de Bruges, v° overdrach.
8) Cf. CH. Duvivier, L’Escaut est-il flamand ou Brabangon? Bull.
Acad. Royale de Belgique, 1899, p. 722.
4) Sur les droits d’Ypres sur l’Yperlée, voir le mémoire déjà cité.
Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV* au XVIII" 8 403
première utilisant la Lys et l’Escaut, passait par Gand. La
seconde était celle qui avait Ypres pour centre.
Grâce à l’Yser canalisé dès 1251, Ypres était en communi-
cation fluviale directe avec Nieuport, d’où il était facile aux
navires de se rendre par divers cours d’eau à Furnes, Dunkerque,
Bruges, Gravelines, etc.!). L’Yperlée, depuis 1166, servait de
communication entre Ypres et Bruges par Dixmude*). Restait
à assurer les communications d’Ypres avec l’Artois et le Hainaut.
Pour ce faire les Yprois établissent sur la Lys, rivière qu'ils
soutenaient être publique*), une étape on entrepôt, d'abord à
Commines puis à Warneton, au moyen d’une chaussée qu'ils firent
paver“). Désormais, ils peuvent «mener et deschargier blez, par
eulx achetez, prins et levez esdictes villes de Béthune et Lisle et
autres, audit lieu de Warneston et d’illec les mener par charroy
a Yppre et illee dispenser ou vendre publiquement à autres
marchans, fuissent de dehors ledit païs ou de dedans. Et iceulx
blez l’en a mené par lesdictes eaues aucunes fois d’Yppre à
Bruges, à Diquemue, à Neufport et autre port sans ce que iceulx
d’Yppre aient esté aucunement en ce troublez, ne empeschiez de
leurs drois, possessions et saisines par quelque défense ou ordon-
nance faiz par lesdis contes et contesses de Flandres’).
1) Cf. le mémoire cité qui donne quelques détails.
2) WARNKÖNIG, Hist. de Flandre, trad. Gheldolf, II, p. 187. |
3) «Et laquelle rivière (la Lys) est publique et loist à ung chascun dy
navier et mesmement les dicts d’Yppre y ont de tout temps mené et fait
mener blez amont et aval, leurs laines, fruis, blé et autres denrées et mar-
chandises.» — IBIDEM.
4) «Et afin que yceulx d’Yppre peussent avoir fréquentation et communics-
. tion de marchandise vers Orient et France avecques ceulx des païs d’Artois
et de Haynau, et des païs et villes de Douay, Orchies, Cambray, Béthune et
autres lieux vers France, ceulx d’Yppre de sy longtemps qu’il n’est mémoire
du contraire, ont mené et fait mener leurs denrées et marchandises venant
de dehors et dedens le dit païs de Flandres, et de la dicte ville d’Yppre à
Commines sur ladicte rivière du Liz, où ils eurent certain upslagh que l’on
dit estaple. Et depuis pour la profondeur des chemins ont eu le dit estaple
à Warneton aussi sur le Liz, qui est à deux lieues dudit lieu d’Yppre et en
la juridiction d’iceulx d’Yppre, et, par urgent nécessité, a convenu aux dicts
d’Yppre faire paver le chemin jusques audit lieu de Warneton, car autre-
ment ilz n’eussent pu avoir accès à la dicte rivière du Lis. Memotre cité.
5) Ibidem.
404 G. Bigwood
Les choses durèrent ainsi jusqu’en 1424. Cette année la,
sur l'intervention des Gantois qui étaient menacés de voir leur
commerce détourné de la voie ordinairet), le comte de Flandre,
Philippe le Bon, prononça comme arbitre sur le différend survenu
entre les deux villes. Il décida?) que les grains étrangers,
descendant par la Lys pour être déchargés à Warneton et trans-
portés de là par l’Yperlée ne pourront être menés hors du pays,
et que toutes autres marchandises «venant de dehors le dit pais
de Flandre» remontant l’Yperlée et arrivant à Warneton, ne pourront
remonter la Lys pour sortir du comté.
Du coup, le commerce extérieur et de transit d’Ypres était
atteint et Gand se voyait sur le point de réaliser le monopole
qu'il ambitionnait.
Toute transgression était frappée d’une amende de soixante
livres parisis, tant à charge du batelier que du marchand et afin
d’amener l'observation de la sentence, le duc Philippe autorisa
l'établissement d’un commis à Warneton qui pouvait «prendre le
serement des marchans et navieurs, illec passans, qu’ilz ne men-
raient point lesdis grains, biens et marchandises hors dudit
pais de Flandre, contre la dicte ordonnance» °),
Ypres appela de la sentence et envoya des délégués au
nombre de douze auprès de Philippe alors à Lille à qui ils
signifièrent l’appel de leurs mandants. Le duc de Bourgogne
les fit emprisonner pendant douze jours. Pour mieux réserver
ses droits et marquer sa protestation, le magistrat refusa de
rendre désormais la justice; d’accord avec son souverain, alors
absent du comté, «pour la paix, union et transquillité du pais
1) En 1416, on canalisa l’Yperlée jusqu’à l’Ecluse en passant par Bruges.
O. DELEPIERRE, Précis analytique, t. I, p. 64. Sur le désir de Bruges d’être
en communication avec la Lys et l’opposition de Gand, voir PIRENXNE, His
toire de Belgique, II, p. 189.
2) Sentence du 12 Mai 1424. Placards de F'landre II, p. 659; Archives
de Gand, série 110bis n° 1 f. 4. Le préambule de la sentence mentionne que
les parties ont été longuement entendues, néanmoins dans leur mémoire au
parlement de Paris, les Yprois soutiennent qu’elle a été rendue «sans les
oyr ne appeller». On n’a malheureusement plus les pièces de procédure et les
mémoires échangés.
3) Mémoire cité.
Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV* au XVIII-8. 405
de Flandre» l'appel fut tenu en surséance et «eurent iceulx
d’Yppre provision de faire loy sans préjudice de leur dit appel !).
Ypres fit donc ajourner le comte et intimer les parties adverses
«aux bretesques de la dicte ville de Lisle, veu que audit lieu
de Gand l’on ne povoit avoir seur accès»), Il aurait voulu
pouvoir réunir des témoignages relatifs aux atteintes portées à
ses droits, mais son prévôt n’y put réussir. L’affaire resta plusieurs
années en surséance. En 1432, les Gantois se plaignant des
innovations introduites depuis le traité de Tournai (18 Dé-
cembre 1385)°), annoncèrent leur intention de supprimer ou faire
supprimer l’Yperlée lui-même. Ils envoyèrent onze députés auprès
du magistrat de Bruges et de celui du Franc, mais sans succès.
Philippe le Bon nomma une commission de cinq membres chargés
de se rendre sur les lieux et d’écouter les intéressés. Elle était
autorisée à suspendre au besoin la navigation, tous les droits
saufs et en attendant la décision du prince“).
Sur l’instigation des Gantois et malgré les protestations des
délégués de Bruges, du Franc et naturellement aussi d’Ypres,
les commissaires firent enfoncer des poteaux dans le cours de
la rivière près de Nieuport®). Seules de petites barques pouvaient
1) Mémoire cité. Lettre de non préjudice de Philippe le Bon, du 2 Juin
1433 et arrêt du Parlement de Paris, du 5 Juin 1483. — DIEGERICK, nos 885
et 886.
2) Ibidem.
3) Cf. PIRENNE, Histoire de Belgique, t. II, p. 200.
4) ... «Et sur ce commist lesdiz Monseigneur de Haluin et de Moekerke,
chevaliers, Hector de Veurhout, Maistre Guillaume le Zadelaire et Tristram
le Stier, ausquelx il donna povoir de mettre de par lui et de son auctorité
estaques ès lieux dudit Yppellet ou bon leur sembleroit, afin que aucunes
nefs n'y paissaissent plus grandes que par les diz commis seroit advisé et
lesquels estaques y demourroient jusques à ce que par le dit seigneur en
fuist autrement ordonne.» Mémoire cité.
5) «Non obstant laquèle appellacion (que fit Ypres dès qu'elle connut
l'ordonnance) les dis commissaires à la requeste et pourchas d’iceulx de Gand,
ont fait mettre et asseoir estaques audit cours d’Yppellet en dehors de la
dicte ville de Neufport assez près d’un overdrach nommé en langaige du
païs Traghesoverdrach d’un costé le lieu dit Nieuwendam *) en l’éritaige d’iceulx
d’Yppre à la longueur de huit à neuf piez d'ouverture. Mémotre cité.
*) Nieuwendamme. Fort, dépendance de Mannekensvere.
406 G. Bigwood
réussir à passer'). Les Gantois ne mirent plus de retenue dans
l'expression de leur joie et des bateliers de Gand injurierent des
marchands d’Ypres dans le port de Damme”. Après que les
commissaires comtaux eussent indagu& dans diverses localités
notamment à Commines et à Verwicq en vue de s’enquérir du
régime de la Lys, Philippe rendit le 5 décembre 1432) une
ordonnance réglant la navigation de l’Yperlée.
Il fit enlever les poteaux qui obstruaient le cours de la rivière
et autorisa la navigation entre Bruges d’un côté et Calais et
St Omer de l’autre, libre de toute entrave, même pour les
marchandises de provenances étrangères. Les villes de West-
Flandre avaient également la libre navigation de l’Yperlée, mais
la sentence de 1424 devait restée en vigueur notamment en ce
qui concernait les grains descendant la Lys, débarqués à Warneton
pour être transportés jusqu’à l’Yperlée; ils ne pouvaient sortir
du pays. Les Gantois obtenait le droit de placer à Warneton
deux gardes qui pouvaient exiger des marchands et des bateliers
le serment que les blés qu’ils débarquent ne sont pas destinés
à sortir du pays par la rivière yproise. L’amende était doublée
et, de plus, le comte comminait un bannissement de dix ans.
Les Gantois s’empresserent de faire défense «aux bailli, advoe
et eschevins dudit lieu de Warneston» de laisser «passer par la
dicte rivière du Liz en amont aucuns biens, vivres et marchan-
dises sur peine d’estre de ce puniz»*), fait d'autant plus extra-
ordinaire que Warneton ressortissait d’Ypres et non de Gand.
Quoiqu'il en soit, Warneton obéit et fit respecter l’ordonnance.
De celle-ci évidemment les Yprois avaient interjeté appel au
Parlement de Paris devant lequel ils hâtèrent la procédure. Les
1) «Et combien que les dictes estaques aucunes nefs qui y soulaient
passer, comme aucuns grans houchemens ou flectes, n’y povoient passer, toutes
voies les dis de Gand, non contens de ce, firent tout que, par leur importu-
nité, les diz commissaires firent encoires plus restressier la dicte ouverture et
estaquèrent tèlement qu’ilz n’y pouoient passer que bien petites et estroictes
nefs pour mener compenages». Mémoire cité.
2) Ibidem.
3) DIEGERICK, n° 884. L’ordonnance rappelle les faits qui l’ont motivée
et est d’accord avec le mémoire des Yprois, lequel la paraphrase.
4) Mémoire cité.
Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV: au XVIL*s. 407
commissaires du prince ajournés et les échevins de Gand
intimés firent défaut malgré trois sommations de comparaître.
Le 16 juillet 1435, le Parlement par son arrêt rétablit les Yprois
dans tous les droits et privilèges dont ils jouissaient autrefois
quant à la navigation sur la Lys et !’Yperlee'), La guerre
empêcha l'arrêt d’être mis a exécution et Charles VII dut, le
4 Janvier 1437 (n. st.)?), ordonner à ses huissiers du parlement
de l’exécuter et d’ajourner quiconque chercherait à y mettre
obstacle. |
Les Gantois restèrent en fait en possession de leur privilège
et sous la régence de Maximilien jugèrent le moment opportun‘)
pour se le faire confirmer solennellement. Par lettres patentes
du 14 Avril 1486“), Maximilien et Philippe le Beau confirment
et au besoin octroient le droit d’étape tel que le duc Philippe
le Bon l’avait consenti, en 1424, et tel que les échevins et les
deux doyens de la ville le leur avaient précisé dans leur requête.
Cette dernière représentait que «toutes manières de grains venans
et deschendans par navire ou autre bateau de hault et parmy la
rivière du Lys ou de l’Escault jusques au courant de Flandres
pour estre venduz et delivrez hors de (nostre) pays de Haynnau
en d’autre pays, villes, places ou contrées de dehors (nostre) dit
pays de Flandres, par chariot ou autrement parmy nos villes de
Courtray, Audenarde, Alost, Tenremonde, Grandmont, Menene,
Ruplemonde, Hulst, Axele et Assenede et avec ce que les grains
qui ont creu dedans icellui pays de Flandre et mesmement au
quartier et es chastellenies de nos dittes villes, lesquels l’on veult
vendre et mener hors de (nostre) dit pays de Flandres, doivent
aussy estre amenez en nostre ditte ville de Gand comme a leur
vray estaple». Gand rappelait qu'il avait l'habitude d'envoyer
des députés en plusieurs villes de Flandre afin de poursuivre
ceux qui contrevenaient à cette obligation, mais que les troubles
1) DIEGERICK, n° 892.
2) DIEGERICK, n° 900.
| 3) Le roi des Romains rappelle expressément l’aide qu’il reçut des francs
bateliers.
4) Du Bois et d'HONDT, Coutumes de Gand, II, p. 87; ces lettres ont.
été rendues exécutoires par celles du 14 Juin 1486. Ibidem p. 89.
408 G. Bigwood
qui avaient marqué les derniéres années avaient nui à ses pré-
rogatives et par suite au tonlien du prince établi sur l’Escant
et la Lys.
L'opposition fut générale. On la prévoyait, car Gand avai
chargé un huissier de la chambre de conseil en Flandres de
publier les lettres d’octroi qu'il venait d'obtenir. Les 2 et 3 Sep-
tembre 1486, il se présenta à la chambre des échevins d’Alost,
sommant ces derniers de lui laisser faire les publications requises.
On lui déclare que la ville avait appelé et appelait de nouveau.
Même demande et même réponse, le 3 Septembre, à Termonde.
Du 15 au 19 Septembre, l’huissier se rendit à Hulst, Axele, à
Assenede et à St Nicolas. Sauf à Assenede, où l’écoutète et les
échevins consentirent à faire la publication demandée, partout
l'huissier fut accueilli de la même façon).
Qu’advint-il de ces appels? Faut-il voir dans la lutte judiciaire
qui s'était engagée la cause pour laquelle Ypres songea à exécuter
la condamnation aux dépens dont Gand avait été frappé en 1435
par le Parlement de Paris? Toujours est-il que nous voyons
la ville d’Ypres en décembre 1499, faire vidimer l'ordonnance
de Charles VII du 4 Janvier 1436 (1437 n. st.) et l’arrêt du
parlement du 16 Juillet 1435 °).
Aucune solution n’intervint?) et de rechef les Gantois s’adres-
serent au souverain. Cette fois-ci, c’est Charles V, leur concitoyen,
qui est saisi de la question et la solution qu'il lui donne ne
pouvait être douteuse. Pour éviter toute discussion, le prince
d'Espagne accorda à sa ville natale par forme de nouveau privilège
le droit d'étape de tous grains venant de Béthune, Aire, Lille ou
d’ailleurs, le long de la Lys, arrivant à Warneton et destinés à
1) Procès verbal du 22 Septembre 1486. Ibidem p. 40.
2) DIEGERICK, nos 1356, 1357 et 1358.
8) Le préambule de l’édit du 4 Avril 1514 (a. st.) reproduit la requête
des échevins et doyens de la ville lesquels rappellent les raisons justifiant
leur privilège, les décisions antérieures (1424, 1432 et 1486), l’opposition des
villes flamandes notamment d’Ypres, l’appel au Parlement de Paris et insistent
sur ce que leur prétention ne vise que le transit des grains destinés à l’ex-
portation hors de Flandre.
Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV: au XVIII 8 409
l'exportation, lesquels sont tenus de suivre le cours d’eau jusqu’à
Gand !).
Toute tentative de se soustraire à cette obligation et de
prendre une autre voie est punie d’une double amende de soixante
livres parisiss (Comme mesure préventive, Charles autorise la
ville de Gand, à établir deux gardes à Warneton et dans ses
environs, si nécessité il y a, lesquels ainsi que tous les officiers
du prince, ont le droit d'exiger des marchands, des bateliers et
de tous autres à Warneton et dans les environs, le serment que
leur marchandise ou cargaison n’était pas destinée à l'exportation,
en violation du droit d'étape; peine en cas d'infraction: 60 livres
parisis. Charles V déclara sa décision exécutoire nonobstant
opposition ou appel, la connaissance de celui-ci réservée au conseil
de Flandre.
Les prévisions de Charles V se réalisèrent. L'opposition fut
unanime: pour la vaincre, il ordonna à tout huissier ou officier
de justice de faire publier dans les villes intéressées le privilège
qu’il a concédé aux Gantois, de le faire mettre à exécution
nonobstant les réclamations, protestations et appels, et d’ajourner
devant le conseil privé quiconque s’opposera à la dite exécution
ou refusera de se soumettre (12 Août 1515) ?).
Les Gantois sans perdre de temps firent arrêter à Dixmude
deux bateaux chargés de grains, ce qui amena Ypres, à envoyer
le 18 Août 1515, son pensionnaire fondé également de pouvoirs
des villes de Bruges, Lille, Béthune, Warneton, Nieuport, à Dix-
mude où sur la place du marché, en présence dù bailli et de
l’écoutête, il déclara appeler de la décision du prince, et somma
l’écoutête de relacher moyennant caution suffisante les deux
bateaux. Cette démarche resta sans effet *}
Le 21 Août, l’huissier d'armes Martin de Beer se présenta à
la salle échevinale où il somma les avoué et échevins d’Ypres,
sous peine d’une amende de mille livres d’or chacun, de faire
1) Lettres du 4 Avril 1514 (1515 n. st.). — CH. LAURENT, Recueil des
Ordonnances des Pays-Bas, 2° série, t. I, p. 351.
2) DIEGERICK, n° 1460 et Archives de Gand, série 110bie, n° 1 f. 88 à 86.
3) DIEGERICK, n° 1458, Instrument notarié dressé par Pierre Bollin,
notaire apostolique du diocèse de la Morinie.
410 G. Bigwood
immédiatement la publication des lettres d'octroi. Les échevins
répondent qu'ils ont appelé et appellent de nouveau. Fort des
lettres du 12 Août, l’huissier les met en état d’arrestation aux
Halles. Le 25, voulant faire lui-même la publication, il trouve
la bretèque fermée, ainsi que la porte donnant accès aux cloches,
mais apercevant une fenêtre ouverte à côté de la bretèque, il
s’avanga jusque-là et y publia à haute voix l’ordonnance. I
leva ensuite les arrêts des échevins et du sous-bailli et les ajourna
à comparaître le 11 Septembre devant le conseil privé ?).
Martin de Beer continua sa tournée: le 28 Août il est à
Armentières, le 31 à Lille, le 3 Septembre à Dixmude, le 4, à
Nieuport, le 5 à Furnes, le 7 à Bruges. Partout il reçoit le
même accueil et il ajourne les magistrats de ces localités devant
le conseil privé ?).
Le procès dut suivre son cours *); le 2 Décembre 1516, Charles V
y intervint pour décider que tous droits saufs, tous les attentats
commis contre l’ordonnance du 4 Avril 1514 (1515 n. st.) devaient
être réparés de part et d'autre et que la clause nonobstant
opposition ou appellation insérée dans l'octroi sera tenue en
surséance. Il ordonnait, en outre, une enquête“). Celle-ci devait
se tenir dans les six semaines, néanmoins nous le voyons, le
28 Mai 1517°), ordonner à tous huissiers ou officiers de justice,
de faire mettre cette sentence à exécution nonobstant toute voie
de recours.
Le monopole d'exportation échappait donc à Gand. Il ne
réussit pas à le ressaisir. Après la révolte des Gantois, la charte
de 1486 leur fut confisquée. Du reste, les défenses réitérées‘)
d'exporter le blé rendaient illusoire tout privilège de cette nature.
1) Déclaration de Martin de Beer, huissier d’armes, du 21—25 Août
1515. Instruments notariés dressés par Wautier Domeneit, notaire aposto-
Jique du diocèse de la Morinie des 21 et 25 Août 1515. — DIEGERICK,
nos 1461, 1462, 1463. Il y a quelques divergences de détail.
2) Archives de Gand, série 110bis, n° 1 f. 37, 38, 39, 81 vo, 40.
8) Les archives de l’ancien conseil privé sont perdues pour cette époque.
4) DIEGERICK, n° 1471.
5) DIEGYRICK, n° 1477.
6) Cf. notamment les ordonnances des 8 Mai 1515, 12 Décembre 1516,
26 Novembre 1520, 19 Août 1522, 19 Novembre 1522, 24 Mars 1524, 18 Oe-
Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV’auXVIlles. 411
$ 2. Le privilège de rupture de charge.
A la tête de l'opposition de Gand, se trouvait naturellement
le métier des bateliers, des francs navieurs. Ce métier, un des
plus puissants et riches de la ville, avait réussi à obtenir de
nombreux privilèges.
Il chercha à s’assurer le monopole de la navigation sur la
Lys et l’Escaut ainsi que la Lieve. Mais ce ne fut que lentement
qu’il y arriva et il se heurta à de vives oppositions.
La plus ancienne que nous connaissions remonte au milieu
du XIV® siècle. Un conflit s’eleva entre Gand et Douai et plus
spécialement entre les bateliers des deux villes. Il se termina
par un accord conclu du consentement du comte le 4 Novembre 1357.
Il fut entendu que les marchands de Douai pourront descendre
V’Escaut avec leurs bateaux et leur personnel jusqu’au port de
Gand, sans que les bateliers gantois aient à s’en mêler. Si les
marchands de Douai chargeaient leurs blés à Tournai sur des
bateaux de Gand, ils pouvaient circuler sur le fleuve et même,
dépassant Gand, charger en aval et remonter vers Douai, le tout
sans «deschargier en autre neif». Par contre, l’emploi des bateaux
et des bateliers gantois était obligatoire lorsque les douaisiens
voulaient charger à Gand des marchandises y arrivant par la
Lieve !).
tobre 1527, 23 Septembre 1531. — CH. LAURENT, Recueil des Ordonnances
des Pays-Bas, 2ème série, I, p. 397 et 444, II, p. 48; 228: 247; 815; 481;
II, 232.
1) «Item quant as navieurs de la dicte ville de Gand sur les complaintes.
que les bonnes gens de Douay faisaient des nouveletes à euls faites sur la
rivière, tant en la ville de Gand comme à avaler d’Audenaerde; accordé est
que toutes fois que les marcheans de Douay avaleront d’Audenaerde à Gand
étant leurs neifs chargiés de blé, il porront demourer sur leurs dictes neifs
à tout telles gens et mesnies qu’il auront amenez et avaler jusques entre
les deux pons de Gand dessus dis, sans ce que. les navieurs de Gand s’en
aient à entremettre sil n’y sont appellés.
«Item que en cas que les dessus dis de Douay auront chargiés leurs bleis
à Tournay sur nefs de Gand et avaleront en ycelle ville; accordé est que
ycelles neifs tant ainsi comme elles seront chargiés porront passer et passe-
ront par la rivière quand elle sera ouverte et avaler sans remettre ou vindier
en autres neifs, se dont nest qu'il le requierent proprement; et semblable-
112 G. Bigwood
Plus d’un siècle plus tard, nous voyons Charles le Téméraire
(16 Janvier 1470)') n’accorder le libre passage par Gand pour
les blés menés de Douai, Valenciennes, Lille ou Béthune en
destination de Bruges que s'ils sont chargés sur des dornekins
de Gand.
Du reste, à ce moment, le métier des francs navieurs ou
vry-schippers, connu également sous le nom de ’t geselschap van
den Watere?), est constitué avec tous ses droits et son organi-
sation interne. Déjà par son ordonnance de novembre 1436,
Philippe le Bon lui confirme ses droits sur l’Escaut, la Lys et
la Lieve avec tous leurs affluents*). Aux termes de ces privi-
lèges, en amont de Gand, «chascun marchant pourra prendre tel
navire desd. francqs navieurs que bon luy semblera et pour le
pris qu’il pourra convenir avecq le navieur qu’il choisira*)», tandis
ment en cas que les marcheans de Douay achatereront aval la rivière par-
dessus Gand aucunes marchandises et feront chargier es nefs quil auront
menées, ycelles neifs porront repasser par la ville de Gand paisiblement et
monter amont sans deschargier en autre neif.
«ltem quant de l’avoir et marchandises quelconques venans par la Lieve
à Gand et qu’on charge en la dite ville, aussi dont ceulx de Douay se do-
loient, pour tant qu’il ne pooient l'avoir ainsi venans chargier en leurs neifs
ou autres telles comme il leur plaisoit; accordé est que pour tant que les
navieurs de Gand maintiennent que chils poins reguarde leurs franchises, libertés
et usaiges compris es privilèges dicelle ville, lesquels mons le contes (a)
confirmiés et jurés, que chils poins demeure aus dis navieurs de Gand tous
jours, moyennans et faisans as bonnes gens et navieurs de Douay favorable-
ment toutes amitiés pour le marchandise soutenir et avanchier.» — DE LDI-
BURG STIRUM, Cartulaire de Louis de Male, I, p. 607, n° DCLIV.
1) Archives de Gand, série 180, carton n° 18. «Item ordonnons aussy
que les Dornekins de Gand qui auront chargé bledz es villes de Douay et
Valenciennes pourront passer par ladicte ville de Gand pour aller en nostre
ville de Bruges tout sur un fonds sans décharger comme font les Dornekins
qui viennent des villes de Lille et Béthune, sans ce qu’ilz soient tenux de
deschargier et charger en aucuns navires.»
2) DE PorrER, Gent, II, p. 7 à 57 et Archives de Gand, série 180,
carton 18.
3) Placards de F'landre, III, p. 660 et DE Porrer, Gent, IIL p. 10—11
(note). Sentence des échevins, du 11 Février 1444. Arch. de Gand, série 180,
Carton 18.
4) Lettres patentes de Charles le Téméruire, du 16 Janvier 1470.
Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV°au XVIII-s 418
qu’en aval, de Gand, à Anvers, le salaire était fixe et de plus
les marchands devaient employer le batelier dont c’était le tour’).
Les nécessités de leur profession leur avaient fait adopter
des bateaux de formes et de dimensions différentes”). Les plus
grands, connus sous le nom de pleyten ne pouvaient être conduits
que par les maîtres; les compagnons pouvaient mener des
duermescepe dits sneys, quant aux cnopen, ils ne pouvaient jamais
avoir la direction d’un bateau.
Le privilège des Gantois à l'égard des autres bateliers flamands
est consacré dans une ordonnance de Charles le Téméraire, rendue
après enquête, le 1° Septembre 14755), à propos d’un procès
intenté au métier des francs-bateliers; s’il y a un franc-batelier
ou simplement un bateau avec un valet, à Bruges, à Anvers, à
Damme ou à l’Ecluse et que quelqu'un veut transporter du blé
ou d’autres marchandises au-delà de Gand, en passant par cette
dernière ville, la préférence lui sera donnée.
Des marchands de grains d’Anvers ne respectèrent pas ces
privilèges et le magistrat de Gand les condamna à payer aux
bateliers le frêt dont ils avaient été privés. Mais en 1485
Maximilien, tout en permettant aux bateliers de Gand de charger
à Anvers et dans tous les ports de mer, autorisa les Anversois
à en faire autant à Gand, avec cette différence qu'ils ne pouvaient
conduire leur chargement au delà de leur propre domicile {).
Par son édit du 30 Avril 1540, Charles V avait d’un trait
de plume anéanti tous les privilèges des Gantois et supprimé
les métiers. Plusieurs villes®) voulurent profiter des dispositions
de l'Empereur à l'égard de sa ville natale et lui présentèrent un
mémoire lui exposant les dommages qu’elles avaient essuyés de
la part des bateliers gantois. Après une série d'incidents de
1) Mêmes lettres patentes. Les doyens du métier devaient visiter les
bateaux aux moins une fois l’an.
2) Sur les nombreuses dénominations de bâtiments, voir Dx POTTER,
loc. cit., p. 37—89.
3) Archives de Gand, série 180, carton 18.
4) DE POTTER, Gent, III, p. 10.
6) Anvers, Malines, Courtrai, Audenarde, Menin, Lille, Douai, Orchies,
Mons, Valenciennes, Aire, St Omer, S' Venant et Armentières.
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 28
414 G. Bigwood
procédure, Charles V rendit le 14 février 1540 (a. st.)') une
sentence qui va fixer pour longtemps le droit des intéressés.
Il commença par rappeler?) que les rivières de l’Escaut et
de la Lys appartiennent au souverain et que la liberté de la
navigation prétendue par les villes en était exclue. Puis i
réglementa l’usage des deux cours d'eau. Tout batelier peut mener
toutes marchandises à Gand, et peut en cours de route rompre
charge et changer de bâtiment. Les marchandises amenées à
Gand sur d’autres bateaux que ceux des bateliers de la ville ne
peuvent passer en transit qu'après avoir été déchargées et rechargées
sur un bâtiment gantois. Il va de soi que ces derniers peuvent
transiter librement.
On voit de suite que l'intérêt des marchands sera de toujours
recourir à des bateliers et à des bateaux gantois chaque fois
qu’ils ne seront pas certains de ne pas devoir dépasser Gand,
ne fût ce que pour partie de leur cargaison.
Ces avantages entrainaient des obligations et l’édit en impose
de nombreuses. C'était surtout l'obligation d’être toujours prêts,
de se soumettre deux fois l’an à l'inspection des échevins, de
charger là où il plait au marchand, d'effectuer le voyage aussi
rapidement que possible, de se contenter de salaires fixés par
l’edit, le tout sous la responsabilité du métier tout entier vis à
vis du marchand préjudicié*).
A la suite du creusement du canal du Sas de Gand (1547),
les Gantois obtinrent de Charles V*) que les marchandises venant
1) Placards de Flandre, III, p. 668. Des édits des 24 Juillet et
12 Décembre 1541 achevèrent de réorganiser le métier. Ibidem, p. 673
et p. 674.
2) Une décision antérieure du 7 Octobre 1540 avait déjà décidé ces deux
points. Il est à noter que Charles V était bien disposé à l’égard des bate-
liers, qui avaient pris son parti contre la ville en révolte.
3) L’edit prévoit que les navires allant de Gand vers la mer (demy
pleytes, seyen, dornickins ou bacquets) ont pleine charge quand ils ont
52 muids de blé, mesure de Gand, bien que les bateliers puissent être con-
traints de charger 90 muids. La pleine charge des navires venant d'Anvers
ou Malines, à destination de Tournai, Condé, Valenciennes, Lille, Courtrai, etc.
est de 42 à 43000 livres ou de 13 à 14 lasts de harengs.
4) Ordonnances des 21 Mars 1551 et 6 Décembre 1556. Placards
de Flandre, UI, p. 677 et 680.
Gand et la circulation des Grains en Flandre, duXIV’auXVIll’s. 415
du Sas ne pourraient être déchargées ailleurs qu’à Gand et autrement
que par les soins exclusifs du métier des francs navieurs.
La situation créée par l’édit de 1541!) valut au métier des
bateliers la tranquillité et la prospérité. Ce n’est pas cependant
que des difficultés ne surgirent de temps à autre. (C’est ainsi
que la question des salaires leur valut quelques procès.
Cette prospérité suscita des concurrents. A côté des cfrancs
navieurs», Gand comptait des bateliers libres qui ne jouissaient
pas du privilège des autres. Désireux de supplanter leurs rivaux,
ils proposèrent au prince de leur accorder le libre passage et de
les dispenser de la rupture de charge, offrant de payer une taxe
sous forme de nouvelles impositions. L'offre était tentante et les
francs-bateliers comprirent le danger. Le magistrat de la ville
les appuya et fit valoir les raisons qu’avaient eues les comtes
de Flandre d'accorder au métier le monopole dont il jouissait,
acquis en réalité à beaux deniers comptants en de multiples
occasions *). Les Etats de Flandre eux-mêmes intervinrent et
ge firent appuyés par une consultation des professeurs de droit
de l’Université de Louvain ?).
Par arrêt interlocutoire du conseil privé du 29 février 1648,
ils eurent à justifier de leurs titres à leur privilège et par arrêt
définitif du 26 Novembre 16635), il fut décidé qu'ils n'avaient
pas fourni de justifications de nature à empêcher le Roi d'accorder
1) Les édits de Novembre 1436 et du 14 Février 1541 furent confirmés sur
requête du métier par les Archiducs, le 12 Maï 1608 et par le roi le 18 Août
1622. Placards de Flandre, III, p. 676. |
2) Accords conclus le 24 Janvier 1579 et le 21 Octobre 1592 entre les
bateliers de Gand et les marchands d’Anvers et des provinces Wallonnes.
Arrêts des 29 Juillet 1611, 13 Juillet 1615 et 7 Juin 1616. Ancien Conseil
privé, carton grains et Placards de Flandre, II, p. 682; 685; 687;
688; 690.
3) Les échevins de Gand au Gouverneur Général, 17 Avril 1650. DE POTTER,
Gent, I, p. 483, 484.
4) Placards de Flandre, IIL, 693. Ce procès se complique d’une récla-
mation parallèle poursuivie par les villes du Brabant, soutenues par nombre
d’autres. Décision interlocutoire des commissaires du 29 Décembre 1651 et
6 Février 1652. Arch. de Gand, série 154 bis, portefeuille 82.
6) Archives de Gand, série 154bis, portefeuille 82.
416 G. Bigwood
aux bateliers non francs le droit de passer et de repasser par
Gand, sans devoir y décharger.
Bruges s’empressa de profiter du principe ainsi proclamé et
demanda pour ses bateliers le libre passage par Gand. Elle
l'obtient pour autant qu’il s’agit du commerce de et vers les ports
du pays (29 Janvier 1664)!). Tournai obtint le même droit?)
(1° Juillet 1665).
Par arrêt de révision du 23 décembre 1670°), le Conseil
privé tout en accordant aux bateliers libres de Gand, le passage
par cette ville, reconnut aux seuls Francs-Navieurs, le droit de
charger à Gand et d’y embarquer les marchandises. Malgré ce
monopole restreint, la situation des bateliers empira et le magistrat
fit de nouvelles démarches en leur faveur“), mais sans réussir”).
Au début du siècle suivant, ils furent plus heureux quand ils
obtinrent du conseil d’etat, le 13 Janvier 1711%), qu’il éconduisit
les bateliers d’Audenarde qui réclamaient pour eux la même
liberté. Pendant donc la première moitié du XVIII siècle,
l'obligation de décharger à Gand existait pour tout le monde
sauf pour les bateliers de Gand, francs ou non, ceux de Bruges et
ceux de Tournai. Au milieu du siècle, les Ecclésiastiques et
Membres de Flandre obtinrent le droit de faire approfondir le
canal de Gand à Bruges et d’y faire de nouvelles coupures, mais
l'octroi’) qui leur fut accordé stipula que «tous bateliers, marchands
et autres y pourront naviger librement tant en montant qu’en
descendant et de là passer dans toutes les rivières de la province,
en toute tranquillité De plus, pour la plus grande aisance et
1) Placards de F'landre, 11I, 694. Cf. les ordonnances des 29 Janvier
et ler Août 1664 réglementant la navigation d’Ostende vers l’intérieur du
pays. Zbidem, p. 695 et 697.
2) DE PoTTER, Gent, IL, p. 14.
3) Placards de F'landre, II, p. 694.
4) DE POTTER, Gent, Ill, p. 15: requête du magistrat en date du
81 Octobre 1676, demandant que tout au moins pour les produits nationaux
la rupture de charge subsistât à Gand.
5) Le décret du 10 Avril 1699 (Placards de Flandre, IV, p. 706) maintint
en faveur des non francs bateliers de Gand le droit de passage.
6) Placards de Flandre, IV, p. 706.
7) 7 Janvier 1761. Placards de Flandre, V, p. 744.
Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV° au XVIII°s. 417
avantage du commerce on ne sera pas obligé d’observer le tour
de Rolle prescrit par le métier des Bateliers, mais il sera à un
chacun de faire choix de tel batelier qu’il trouvera mieux convenir
pour son intéret et utilité particulière». (Cette double liberté
n’était accordée qu'aux flamands, rien n’était innové à l’égard
des étrangers à la province !).
De pareils principes rompant avec les traditions et heurtant
de puissants intérêts devaient provoquer de vives oppositions.
Tandis que la plupart des villes de Flandres insistent pour
Papplication de l'octroi, les francs bateliers de Gand, de Bruges
et d'Ostende se plaignent, les premiers insistant surtout pour
qu'on interdit le libre chargement à Gand et la faculté de naviguer
à vide sur l’Escaut et la Lys. Marie Thérèse) considérant que
tout privilège doit venir à cesser quand le bien public le requiert
et que la question est purement une mesure de police, confirme
la liberté concédée aux seuls flamands mais rétablit par provision
le tour de role pour le commerce interne des Pays-Bas. Il
était cependant permis aux bateliers de transporter leurs propres
marchandises, et à tout marchand de choisir tel bateau qu'il
trouvait convenable quand il le chargeait seul en entier. Comme
conséquence de la suppression du libre choix, on rétablit la
responsabilité du métier. L’Impératrice ne s'était pas expliquée
clairement sur la situation spéciale de Gand. Sur requête des
bateliers de cette ville, le gouverneur général reconnut à la fois
l'obligation du tour de rôle et le monopole pour les francs bateliers
de charger à Gand les marchandises à transporter aux lieux dé
destination ?).
Peu après, les tendances libérales reprirent le dessus. En 1763,
les bateliers de Tournai obtinrent le libre passage par Gand et
il fut admis que tant les bateliers de la Flandre que ceux de
Tournai-Tournaisis auraient la liberté réciproque de décharger
leurs cargaisons en tout ou en partie dans les lieux de leur
1) Décret confirmatif du 18 Juillet 1758. Ibidem, p. 758.
2) Edit intreprétatif du 27 Janvier 1756. Ibidem, p. 772.
3) Charles Alexandre de Lorraine au magistrat de Gand, 18 Septembre
1755. Placards de Flandre, V, p. 775.
418 G. Bigwood
passage, d’y en charger d’autres, à l'aller comme au retour)
Une tentative du métier gantois de faire rapporter cette mesure
echoua?); bien plus, elle fut suivie d’une concession identique
accordée aux bateliers de Mons*) Les provinces de Flandre,
Hainaut, Tournai Tournésis étaient donc soumises au même
régime.
Mais les francs bateliers de Gand, soutenus par le magistrat
étaient tenaces et influents. Ils firent si bien“) qu’ils amenèrent
le gouvernement à révoquer ctoutes les dispositions édictées pour
procurer le libre passage par la ville de Gand» et à réglementer
à nouveau la matière «en vue de n’exempter du changement de
fond ou Last-Breken, que les parties du commerce pour lesquelles
la liberté de passage par la susdite ville de Gand est essentielles.
En conséquence‘), on proclama la navigation libre pour tous
ceux qui ne passeront pas par Gand. Dans cette dernière ville,
les francs bateliers ont le monopole exclusif de prendre charge,
comme la faculté de faire changer de fond les marchandises qui
y passent, sauf les exceptions prévues et limitativement énoncées.
Parmi ces exceptions figurent les marchandises chargées sur des
bateaux appartenant à des bateliers belges transportant des
marchandises en destination d’un port de mer, et ne faisant que
traverser Gand sans s'arrêter au delà.
Tout batelier belge venant de la mer peut transiter par Gand
avec son bateau et un bateau d’allègement. Les francs bateliers
doivent, à la volonté du marchand, passer Gand sans y rompre
charge. Quant aux bateliers non francs de Gand, à ceux de
1) Charles de Lorraine au magistrat de Tournai, 18 Mai 1768. Ibidem,
1164.
2) 19 Octobre 1763. Ibidem, p. 998.
3) 31 Octobre 1763. Ibidem, p. 998.
4) En 1765 déjà (30 Novembre) ils obtinrent que le gouverneur général
prit en considération leurs plaintes et requit du magistrat une série de ren-
seignements et de documents pour éclairer sa religion. Archives de Gand,
série 180, carton 29. — En 1767, ils remirent une supplique au gouverneur
général de passage à Gand, et enfin, ils n’hésitèrent pas, en 1769, à fomenter
une véritable petite émeute dans la ville — DE POTTER, Gent, II,
p. 18 et ss.
5) Règlement du 8 Novembre 1769. Placards de Flandre, VI, p. 997.
Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV* au XVIIIe. 419
Bruges, Ostende, Nieuport, Mons et Tournai, si le nouveau
règlement leur accorde en principe la liberté de passage, il la
limite par des dispositions restrictives dont la portée générale
est de créer autour de Gand, jusqu’Audenarde, Courtrai et Ter-
monde, une zone dans laquelle tout transbordement doit être
effectué par les francs bateliers gantois. L'obligation du tour de
role subsiste et l’on fixe le montant du fret et les salaires de la
main d'œuvre. Des ordonnances ultérieures étendirent et con-
firmerent les cas de libre passage‘): on est au début du règne
de Joseph IH et la tendance est à la liberté.
La multiplicité des exceptions fut une source de contestation.
Les bateliers de Gand suscitèrent des difficultés à leurs rivaux,
firent des saisies, agirent en justice et finalement se virent inter-
dire de faire, notamment à l'égard des bateliers de Tournai, tout
arrêt ou saisie, ils n’eurent que la faculté d’acter les contra-
ventions qu'ils constateraient et de les communiquer au Gou-
verneur général (21 Avril 1784) °).
Ce fut le prélude d’une mesure plus radicale. Joseph II cinhérant
dans les principes de liberté de commerce et de navigation entre
les différentes Provinces et les différens sujets soumis à sa domi-
nation aux Pays-Bas», décide que la liberté de passage sera
générale pour ses sujets et que tous les procès seront tenus en
surséance (10 Mars 1785)°).
Les troubles des dernières années du règne de Joseph II
favorisèrent l’opposition du métier gantois qui ne désarmait pas.
Les procès reprirent contre les bateliers de Tournai; malgré un
decret de surseance (3 Janvier 1788), les saisies de bateaux
continuèrent. Les Etats de Flandre furent appelés à intervenir‘).
Cette lutte du métier des Francs Bateliers est caractéristique.
La corporation s'était formée à un moment où seul le monopole
pouvait assurer des communications convenables pour le public
1) 16 Mai 1780, 24 Février 1781, 12 Mai 1781, 8 Avril 1782, 7 Dé-
cembre, 1782. Placards de Flandre, VI, p. 1006, 1007, 1008, 1020, 1016.
2) Placards de Flandre, VI, p. 1022.
3) Ibidem.
4) Dépêche de l’Empereur au Conseiller-Procureur général à Tournai.
Archives de Gand, série 180, carton 29.
420 G. Bigwood
et des bénéfices suffisants pour qui en jouissait. Devenue puis-
sante et riche, elle n’hésita pas à faire de grands sacrifices, les
uns pour soutenir ses princes ou sa patrie, les autres pour améliorer
la navigation fluviale en Flandre!). Elle se considérait comme
ayant acquis à titre onéreux les privilèges dont elle jouissait et
dont le souverain ne pouvait la priver sans faillir à ses obligations.
Mais des arguments aussi personnels devaient être soutenus
par d’autres d’une portée plus générale. Les partisans du privilège
gantois, flattant l'intérêt fiscal du prince, soutinrent que la rupture
de charge était le seul moyen d’empécher la fraude dans la
perception des divers droits et tonlieux. L'exemple allégué des
Provinces Unies, qui s'étaient lors de la paix de 1648, réservé
un droit identique pour toutes les marchandises arrivant dans
leurs ports, la ruine de certaines industries flamandes, l’avantage
des bateliers hollandais au détriment des belges étaient autant
de corollaires que Gand faisait découler de ses affirmations.
Plus sérieuse était l'argumentation des gantois quand ils
disaient que Gand n'était pas une ville marchande, mais «fondee
sur factorie, comme propre à cela, pour la commodité des rivières
dont elle abonde, au transport des marchandises qui 8’y amènent
de Hollande, Zelande et aultres endroitz»”).
Mais si puissantes que furent longtemps ces considérations,
elles devaient céder devant les nécessités économiques nouvelles:
l'union des provinces belges, l’augmentation de leur trafic intérieur,
leur interdépendance toujours plus grande, le principe de liberté et
d'égalité de tous °).
1) A plusieurs reprises le magistrat de Gand rappela les nombreux prêts
consentis aux comtes de Flandre par les «Francs Navieurs», leur intervention
dans les luttes intestines en faveur des princes contre les éléments d&mocra-
tiques ou calvinistes de Gand, leur participation à des expéditions militaires,
la construction d’écluses à leurs frais, etc. Archives de Gand, série 180,
carton 29, et DE POTTER, Gent, III, 23 à 31.
2) «Et de faict, l'on ne donnoit d'ancienneté aux habitans (se meslant
du traficq et commerce) la qualité de marchant, mais de facteur, comme pré-
prosez à la décharge et recharge de la marchandise au nom de ceulx qui en
estoient les maistres et propriétaires.» Mémoire non daté (environ 1650).
Archives de Gand, série 154bis, portefeuille n° 32.
3) Nous verrons plus loin, à propos de l'étape des grains et des impôts
_ sur la vente des céréales, ces mêmes principes invoqués par les opposants.
Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV* au XVIII° 8. 421
Le métier des Francs Bateliers disparut avec tout l’ancien
régime lors de la conquête française !.
$ 3. Le mesurage obligatoire.
Les privilèges s’enchainent et s’engendrent. Celui des francs
bateliers que nous venons d'étudier, aidé par le privilège de la
ville que nous étudierons au chapitre suivant, produisit un autre
droit exorbitant: le privilège des portefaix et des mesureurs jurés.
Il est évident que le transbordement d’un bateau et le charge-
ment en un autre nécessitaient l'intervention de portefaix et qu’ils
s’accompagnaient d’un mesurage. Ce dernier était indispensable
non seulement en vue de déterminer la quantité de blé soumise
à l'étape, mais encore afin d'établir la base sur laquelle se
levaient les droits de muddegeld?) et de zaemencoperie”). Ce fut
même d’après le résultat de ce mesurage que se percevaient les
droits de tonlieu à Termonde, à Rupelmonde, au Sas de Gand, etc. t).
Entre bateliers et marchands le fret se payait également d’après
le mesurage effectué à Gand. L'usage même s’introduisit de
charger les bateaux au moyen de grands conduits ou tuyaux,
en sorte qu'ils arrivaient à Gand sans qu’on en connut l'importance
du chargement. Aussi pour éviter toute fraude les marchands
faisaient convoyer leurs bateaux d’un valet ou garde des grains,
lequel faisait procéder au mesurage; à leur défaut c'était le fac-
teur (mackelaer) qui s’en chargeait?).
Portefaix et mesureurs jurés s'étaient constitués en corporations
sous le nom de Vrye Pynders et de Vrye Corenmetersf). A
côté d’eux existerent de bonne heure des portefaix et des mesureurs
1) Le 13 pluviose, an VII, on vendit comme bien national, l’ancienne
maison des bateliers, pour la somme de 850200 frs. Archives de Gand,
série 180, carton 29.
2) Voir page 449.
3) Voir page 449.
4) Déclarations après enquêtes des échevins de Termonde et de Rupel-
monde des 22 et 28 Avril 1574. Archives de Gand, série 349, n° 108.
5) Enquêtes tenues par les notaires publics (vers 1574). Ibidem.
6) Sur ces deux métiers voir: DE POTTER, Gent, III, p. 67 à 76; 1à 6
VARENBERG, loc. cit. p. 8 et ss. — DreriCx, Mém. II, p. 122.
499 G. Bigwood
non francs qui furent en lutte constante avec les métiers officiels :).
La concession Caroline (30 Avril 1540)°) supprima ces deux
corporations et dès lors les fonctions de portefaix et de mesureurs
des grains furent erigés en offices à la collation du premier
échevin qui choisissait parmi les trois surenchérisseurs les plus
élevés *).
Les mesureurs et les portefaix eurent de nombreux conflits
avec les marchands et les facteurs faisant le commerce à Gand.
Ces litiges portaient quelquefois sur le salaire qui leur était dû‘),
le plus souvent sur l'étendue du privilège leur concédé‘).
Ce privilège consistait tout d’abord en ce qu’il était défendu
de pouvoir transporter du blé arrivé à Gand, avant qu'il n’eut
été mesuré avec les mesures officielles. Chaque transport devait
être renseigné par le portefaix et consigné dans les livres du
comptoir de l’étape‘).
Si le privilège des deux corporations n’était pas contesté
quand il s'agissait de blé arrivé à Gand ou qui y était trans
bordé, par contre il l'était quand les portefaix et les mesureurs
prétendaient exiger leur salaire de marchands qui ne faisaient
que passer par Gand sans y décharger. Lorsqu’en 1664, des
mesures favorables à la liberté furent prises, on ne reconnut plus
le privilège que pour le blé soumis à l'étape ?).
Immédiatement les intéressés firent un nouvel effort, rappelèrent
les décisions antérieures qui leur avaient été favorables, soutinrent
1) Sur le confit entre les vry et les onvry pynders, voir les ordonnances
échevinales de 1399, 12 Novembre 1415 et 3 Mars 1498, citées dans de Poiter.
2) Du Bots et d’HoxDT, Cout. de Gand, II, p. 140.
3) Règlements des 13 Mars 1594, 6 Novembre 1784 (art. 61), etc. Ibiden
p. 429, 478, etc.
4) Cf. notamment une sentence du 5 Août 1886. Archives de Gand,
série 349, n° 108.
5) L’ordonnance du 15 Avril 1669 dans son préambule rappelle les sen-
tences des 21 Mars 1438, ler Août 1510, 18 Août 1539, 10 Janvier 1595.
6) Ordonnance des échevins du 25 Septembre 1685 rendue après deux
décisions de justice en vue d'empêcher de nouveaux procès. Archives de
Gand, série 95bis, n° 11, f. 40 vo.
7) Ordonnance du 16 Janvier 1668. Archives de Gand, série 110bis, n° 1,
f. 57.
Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV* au XVIII’s. 493
que leur intervention était indispensable pour fixer la levée des
impôts et que s’il arrivait en fait que des grains n'étaient pas
mesurés, c'était par faveur pour les marchands qui gagnaient du
temps. Ils obtinrent gain de cause et le roi, par son édit du
15 Avril 16691), reconnut leur droit, tout en réservant aux
marchands la faculté de prouver le contraire.
Ce ne fut que sous Marie-Thérèse, quand les principes de
liberté triomphèrent plus complètement qu’au siècle précédent,
qu’une ordonnance du 8 Novembre 1769*), proclama la liberté
pour tous les intéressés de s'adresser à qui bon leur semblait,
les dispensant «de tout assujettissement quelconque à quelques
corps de métiers».
II,
L’Etape des Grains à Gand.
$ 1 Son origine et ses causes.
Lorsque les marchands s’installèrent dans le portus Gandensis,
entre l’Escaut et la Lys, ce fut d’abord en face du château et.
au bord de la rivière qu'ils s’établirent. La plus vieille partie
du portus est précisément située devant l’eau (Quai aux Herbes,
Graslei); c’est là que se trouvent les premières demeures et les
plus anciens hangars des nouveaux venus. A proximité, ils
établirent le forum, le marché au blé”).
La partie de la Lys comprise entre le pont au bétail
(Veebrugge) et le pont S* Michel désignée fréquemment par
l'expression «tusschen brugghen» prit plus spécialement le nom
de portus. Ce fut le port de Gand et durant de longs siècles,
c'est la, en face de la Lieve, que s’arrêtaient les bateaux pour
y décharger leurs cargaisons ou pour prendre un nouveau charge-
ment. |
Il est infiniment probable qu’à raison seule de l’importance
de l’agglomération urbaine, tout batelier passant par la ville se
—
1) Archives de Gand, série 110bis, n° 1 f. 58vo,
2) Art. XXVI. Placards de Flandre, VI, 997.
8) Cf. Des MAREZ, Etude sur la propriété foncière dans les villes du
Moyen-äge et spécialement en Flandre, 1898, p. 9. 10.
494 G. Bigwood
rendit de lui-même au portus et que tout marchand cherchät à
écouler tout ou partie de ses marchandises au marché de Gand.
L’attraction de la ville, la nécessité pour elle de s’alimenter du
dehors, fit que naturellement de presque tous les coins du comté,
les producteurs dirigèrent leurs produits vers la ville. De tous
ceux qui lui étaient ainsi amenés, celui qui l’intéressait par dessus
tout était le blé, indispensable à l’alimentation d'une population
d'année en année plus dense, qui depuis longtemps avait renoncé
à l’industrie agricole.
De cette préoccupation des chefs de la population urbaine,
que l’on retrouve du reste dans toutes les villes du moyen âge,
naîtra la réglementation du marché avec ses traits caractéristiques
d'une période économique nettement accusée"). A Gand, elle
devait provoquer en outre le droit d'étape.
Peu à peu, l'usage de décharger et d’entreposer à Gand tout
ou partie des grains chargés sur les bateaux passant par la ville
devint obligatoire: la coutume naquit et s’imposa.
A quel moment précis, l’usage prit-il ainsi le caractère d’un
privilège de la ville? Aucun texte connu à ce jour ne permet
de l’affirmer, mais il est certain qu’au XIV® siècle la réglemern-
tation du marché aux grains, se constitue et en même temps
celle de l'étape. Des évènements accidentels, comme une mauvaise
récolte, ont pu être l’occasion de certaines des mesures que nous
voyons les échevins prendre à cette époque, maïs elles rentrent
néanmoins dans le même ordre d'idées et ces circonstances n'en
ont été que l’occasion ?).
C'est ainsi que le 28 Avril 1350, les échevins obligent tout
poorter qui a acheté du blé hors de l’échevinage de Gand à le
porter à «l’etape>°), et qu’à la même époque tous marchands,
1) Voir plus bas.
2) C'est à l’occasion d’une famine que le 20 Novembre 1851, Louis
‚de Male ordonne à son bailli de Gand de visiter avec les commissaires de la
ville, les maisons et greniers de toute la chatellenie, et de contraindre chsem
de ceux qui ont du blé à envoyer au marché de la ville trois gerbes par
semaine. -— DE LIMBURG-STIRUM, Cartulaire de Louis de Male, I, 892.
8) «Vort so wat mann die portre es ende coren coept buten scependom
van Ghend, dat hij dat coren te Ghend bringhe ten staple ende els nieuwers
Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV*° au XVIIIes. 495
appartenant ou non à la ville, s’ils sont libres d’acheter du blé
où ils veulent et de le conduire à Gand, sont tenus de laisser
eau port» la moitié de ce qu'ils ont amené à l'étape, sauf à faire
de l’autre moitié le meilleur usage qu'ils pourront}. Pareille
prescription des échevins ne faisait que consacrer un état de
choses ancien qui avait même déjà soulevé de l’opposition,
notamment de la part des «navieurs» de Douai; l’accord du
4 Novembre 1357 *), accorda à ceux de Gand «pour bien commun
et pour obvier as malices et fraudes qui en che se poroient faire,
que toutes les fois que nefs chargiés de blés et grains venront
de la ville de Douay et aussi d’autres villes en la ville de Gand
entre deux pons à leur estaple anchien, elles y seront tenues de
demourer se il plaist as eschevins de la dicte ville de Gand,
iusques à ung moys ou deux ou troys, en cas que la ville de
Gand aura évident nécessité de estre pourveue et garnie de grains;
et ycelle garnie souffisamment ou que li blés sera venus à
raisonable et convenable feur, au regart des eschevins de la ville
de Gand, les dessus dis de Douay porront avaler atout tele
quantité de blés comme il auront et aler la en mieux leur plaira».
Une ordonnance scabinale de l’année suivante (1° Juin 1358) °)
précisa que tout blé arrivé d’amont, par les rivières à Gand
devait être employé, pour moitié, à l’usage de la ville, l’autre
moitié étant destinée au plat pays.
en voere, up 4 #.» — N. DE PAUW, Voorgeboden der stad Gent in
de XIVe eeuw., p. 48. Cf. même prescription le 1“ Juin 1358. Jbidem,
p. 70.
1) «Het is geordineert dat alle coepliede, wie zij zijn, vremde ofte poer-
ters, zullen moghen bringhen ende coepen coeren buten, ende bringhent
binnen Ghend ten staple ende van dat zij bringhen zullen zij de eene heelt ute
moghen voeren omme hare beste der mede te doene, ende dander heelt sal
binnen der poerd bliven» 1360, (?). Ibidem, p. 62.
2) Voir plus haut, p. 411. «Premièrement, que quant ad che que ceulx
de Gand maitenaient que la moitié du blé qui venroit de la dicte ville de
Douay & Gand, par la riviere devoit estre mise sus en greniers, et aucune
fois tout si nécessité esoit.»
3) «Dat van al den Koerne dat van boven bi den rivieren binnen der
stede van Ghend vort an commen zal, dat daerof de gherechte eelt binnen
der stede bliven moet, ende dadt der binnen ghesleten moet siin, ende die
eelt moet vore te lande siin ghedaen.» N. DE PAUWw, loc. cit., p. 70.
4196 G. Bigwood
Peu après (5 Novembre 1364), les échevins et le grand conseil
de la ville, rendent une ordonnance organisant l'étape !).
Il est donc certain que vers la fin de la première moitié du
XIV: siècle, le privilège de l'étape était en vigueur à Gand. Il
ne semble pas qu’on puisse le faire remonter au delà. En effet,
nous voyons qu’à cette époque si le principe est certain, la mesure
dans laquelle le droit s’exerce n’est pas encore fixée et les
détails d'exécution sont encore peu précis.
Certains historiens gantois ont voulu s'arrêter à une date
exacte, et ont choisi celle de 1323, parce qu’en cette année la
les échevins de Gand avaient fait démolir un immeuble situé au
Quai aux herbes (Graslei) appelé den Spicker, pour en faire ls
maison de l’Etape (Stapelhuus) ?).
L’immeuble dont s’agit est manifestement antérieur au
XIV®siècle; son style le classe parmiles monuments du XIT° siècle’).
De plus on ne voit pas qu'il ait appartenu à la ville“).
1) «Dit es de ordonnanche van den stapel van den coerne gheordineert
bi onsen heeren scepenen ende bi den groeten rade van der stede van Ghend.
Elle commence comme suit. „Int eerste, dat al tkoeren, wien dat toebehoort
es hij poortre ofte vremde, sal commen al hier binnen Ghend als ten ghe-
rechten stapele, ende dat tusschen brugghen vercocht sal moeten worden
sonder fraude in gherechter coopmanscepen.» Ibidem, p. 84.
2) DIERICX, Mém. sur la ville de Gand, LI, p. 156. — De Portz,
Gent, I, 478 (avec réserve). — VARENBERGH, La maison de PEtape, Mess.
des sc. hist. 1872, p. 8.
8) VARENBERGH, Inventaire Archéologique de Gand, 2° fasc., 1897. «Ce
monument présente un singulier spécimen architectonique, de prime abord, on
le croirait de style roman byzantin. Plus large que haut, construit en
moëllons, à large pignon triangulaire, couronné d’espèces de marches cot-
vertes en tuiles plates, à double versant, ce bâtiment se compose de quatre
étages, bâtis en retrait sur le rez de chaussée; ce qui a permis d’y ménager
une galerie, pour faciliter l’accès aux étages. Les baies des fenêtres du res
de chaussée tout rectangulaires, ainsi que celles des deux étages supérieurs.
Celles du premier étage, au nombre de sept, sont à plein-cintre, sans aucus
ornement, garnies d’un simple treillage en fer. Les six fenêtres du second
ont la même forme, mais plus caractérisée, le tympan en est plein et soutens
par une colonnette ou pilier central, de forme hexagonale, avec tailloir et
base, servant de battée pour les volets, qui s’y trouvaient placés pour éventer
les grains. Les cintres n'ont pas d’archivolte et sont formés d'un simple
assemblage de claveaux, ou construction à plate-bande; ces cintres sont légère-
Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV® au XVIII 8. 497
Gand se montra très jaloux de son privilège et veilla constam-
ment à ce qu’on n’y portät pas atteinte. Pour le justifier, il fit
valoir toutes les raisons qu'il y avait eu de le lui reconnaître.
Dès 1456, Philippe le Bon ayant fait défense d'exporter des
grains hors des villes, gouvernances et bailliages d’Arras et de
Sens, les Gantois lui representerent!) que sans l'étape, le
ecommun peuple» ne pourrait vivre, qu’en outre les marchands
et bonnes gens du Brabant, de la Flandre, de Hollande et de
Zélande avaient l’habitude de s’approvisionner à Gand «comme
à l’estaple pour le vivre et sustentation de noz subjects des d*
pays et villes, laquelle estaple à cause de ladite marchandise des
d° bledz et grains est le principal membre de bien publique et
gouvernement du commun peuple de nostre dicte ville de Gand
sans laquelle marchandise icelle nostre ville ne ledit commun
peuple d’icelle et de nos dictz pays ne pourroient nullement vivre
ne eulx entretenir»). L’abstention des laboureurs et marchands
ment surbaissés. La dernière fenêtre à droite de cet étage est placée en
dehors du pignon; elle est surmontée et flanquée de deux meurtrières; du
côté opposé le bâtiment est terminé par un mur de refend, qui empêche
l’accès à la galerie et monte jusqu’au quatrième étage. Ces fenêtres s'appuient
sur un cordon saillant, et à la hauteur du pied droit, elles sont reliées égale-
ment par un cordon qui se répète aussi aux étages supérieurs.»
4) DE POTTER (Gent, Il, 479) donne la liste de ses propriétaires depuis
1349.
1) Lettre de Philippe de Bourgogne au grand bailli de Hainaut, 15 Jan-
vier 1456. Archives de Gand, série 110°i, n° 1 f. 6. S’appropriant les termes
de la requête des échevins de Gand, Philippe le Bon disait: «comme en
icelle nostre ville laquelle est la principale et première nommée de toutes
les villes de nostre comté et pays de Flandres ait eu de tout temps la prin-
cipale et plus belle estaple de bledz et aultres grains de nostre dict pays et
comté de Flandres, d'Artois, de Haynnau, de noz villes de Douay, Bethune,
Lens et de toutes autres marches, ont accoustumé de amener par les rivières
de l’Escault et du Lys, et aussi par terre à charroy et aultrement leurs bles
et grains comme au droict estaple du pays, desquels blez et grains ainsy
amenez en nostre dicte ville des marchands qui les y ammainnent sont tenuz
selon les drois et ordonnances dudict estaple descharger, laisser mectre sus
et de vendre en nostre dicte ville la quarte partye pour le vivre, sustentation
et despence du commun peuple d’icelle lequel autrement ne pourroit vivre
ne estre soustenu en aucune manière ...»
2) Ibidem.
498 G. Bigwood
de blé augmente la cherté du grain sur le marché gantois et va
avoir pour conséquence de contraindre les habitants «de eulx
absenter et de aller demourer ailleurs, qui seroit cause de la
totalle dépopulation, ruyne et désolation d’icelle nostre dicte ville
laquelle par les dernières guerres et mortalitez qui y ont esté
est désia très fort dépeuplée et désolée et au très grand grief
préjudice interest et dommaige> des Gantois'). Le duc permit
à tous d'amener du blé et de le vendre à Gand, nonobstant
toutes défenses antérieures.
Beaucoup plus tard, lorsque le droit sera menacé, les Gantois
rappelleront que les comtes de Flandre l'ont établi <cognaissans
ladicte ville par la commodité des Rivieres et aultrement, estre
la plus propice pour y constituer comme une grange publicque
servant aux nécessittez tant d’icelle que de toute la comté de
Flandres, et aultres provinces voysines»*). D'un autre côté ce
droit, exercé dans l'intérêt de tous a «pour effet d’obvier aux
complotz et monopoles que les marchans d’enhault en temps de
nécessité sont accoustumez de faire pour augmenter la chierté et
indigence>°).
8 2. Organisation de l'étape.
À quoi s’appliquait l'étape? Les premiers textes ne permettent
pas de préciser et semblent par la généralité de leurs expressions
s'appliquer à tous les grains“). En fait, le droit ne s’est exercé
qu'à l’égard du froment et du seigle destinés plus spécialement
à l’alimentation publique. L’épeautre était soumis à un régime
spécial (droit de grute), quant à l’orge il était exempt®). Seuls
1) Ibidem.
2) Requête du magistrat, du 25 février 1589. Archives de Gand,
série 110, n°1 f.52vo, Cf. celle en tête de l’ordonnance du 8 Octobre 1687.
Ibidem, p. 51. Cf. également divers mémoires du magistrat contenus à ls
liasse 108, série 349 des Archives de Gand.
8) Ibidem. Cf. Requête de Juillet 1572 qui reprend les mêmes arguments
et signale que de Gand où il est concentré, le hl& peut être facilement dis-
tribué aux autres villes. Archives de Gand, série 95t', n° 11, fol. 36.
4) Voir les textes du paragraphe précédent.
5) E. VARENBERGH, Maison de l'étape. Mess. des sc. hist. 1872, p. 6.
DE POTTER, DO, 484. |
Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV* au XVIII*s8. 499
donc les blés durs étaient soumis à l’étape, les blés mous y
étaient soustraits. Les brasseurs désiraient que l’orge ou plus
exactement le soucrion y fût soumis, car cela efit eu pour consé-
quence d’en diminuer le prix. Ils soulevèrent un conflit et ob-
tinrent des échevins le 6 décembre 1436!) une décision favorable,
assimilant le soucrion au blé dur et ordonnant le prélèvement
ordinaire du quart. Mais en 1478°), il fut décidé qu’etant au
contraire du grain mou, il n’était pas soumis à l’étape.
Si le droit d'étape ne s’est pas toujours appliqué aux mêmes
espèces de céréales, il a également varié quant à l’étendue de
son application.
En 1350, c'était, en principe, la moitié de tout blé amené
en ville qui devait y rester et la totalité en cas de nécessité, et
en 1357, c'est contre cette obligation que les Douaisiens protes-
taient. L'accord du 4 Novembre 1357, leur impose l’entreposage
du chargement complet, mais laisse à l’arbitraire des échevins
de les contraindre à en vendre une partie. Que cet accord ait
subsisté ou non, le 1° Juin 1358 les échevins obligent la moitié
de tous blés venant d’amont par les rivières, à rester en ville.
Par contre l’ordonnance du 5 Novembre 1364 prescrit que tout
blé arrivé à Gand, doit être vendu «tusschen brugghen» on être
entreposé jusqu’à ce qu'il soit vendu”).
Peu de jours après (18 Novembre 1364)“, on oblige les
blés arrivant par bateau, à être vendus ou entreposés dans les
huit jours. Enfin le 23 Novembre 1366, revenant sur l’édit
de 1364, une nouvelle ordonnance n’impose que le dépôt de la
moitié des blés arrivés d’amont à Gand’).
Une modification importante se produisit au début du XV° siècle;
les Yprois avaient approfondi l’Yperlée et l’on a déjà vu comment
cette tentative d’Ypres de détourner le commerce qui jusque là
suivait la voie de la Lys avait été le point de départ d’une lutte
séculaire. Convaincus, de la nécessité de faire une concession,
1) Archives de Gand, série 110bis, n° 1 f. 26.
2) Ibidem.
3) N. DE PAUW, De voorgeboden der stad Gent, à leur date.
4) Ibidem, p. 85.
5) Ibidem, p. 96.
Vierteljabrschr. f. Social- nu. Wirtschaftsgeschichte. IV. 29
430 G. Bigwood
les Gantois, le 30 Avril 1419!) convinrent que désormais le
droit d’etape relatif aux grains descendant la Lys ne consisterait
plus que dans le depöt du sixieme.
Cette situation spéciale subsista jusqu'à la fin, malgré la
généralité des termes dont Philippe le Bon se sert en 1456,
quand dans ses lettres du 15 Janvier, il s’adresse à ses officiers
du Hainaut et de l’Artois, et leur rappelle que les marchands
arrivant à Gand par l’Escaut ou la Lys comme par la voie de
terre, sont tenus de déposer et de vendre le quart de leurs bles®).
Charles le Téméraire ayant fait défense à ses sujets de chanter
marchandement» les marchés de France, prévoit qu’il y aura
désormais abondance de blé sur le marché gantois et qu'il est
désormais inutile de prélever le quart de ce qui s’y amène, le
cinquième ou le sixième suffira”) (16 Janvier 1470).
L’ordonnance du 3 février 1485 (n. st.), qui est fondamentale
revint au quart, pour tout bateau chargé de grains‘).
Postérieurement à cette date, et vraisemblablement, à l’époque
de la prosperite d'Anvers, le droit d'étape sur les blés remontant
l’Escaut fut réduit au sixième. En 1565, à en croire une requête
des échevins de Gand, leur droit consistait à prélever un quart
de «tous grains venans en bas des rivières de l’Escaut et Lise
et le VI® de ceux allans contremont icelles rivières»°). Cependant
en 1587 mis en demeure par le conseil privé de s'expliquer sur
leur privilège les Gantois disent qu’il consiste à «retenir le quart
des grains y venans d'en hault par l’Escaut et le sixiesme de
ceulx venans par la Rivière de la Lys et semblable sixiesme des
grains qui devant les troubles souloient venir de Zéelande et
autres quartiers d’embas la Rivière»°).
1) Archives de Gand, reg. O. O. f. 177, lett. N. La charte originale
semble perdue, car l’acte du 30 Avril 1419, en copie authentique dans la
liasse Schepenen Keure, Stapel, 1573 (Archives de Gand), ne parle pas de
pareille convention, qui est, cependant, certaine.
2) Archives de Gand, série 110bis, n° 1 f. 6.
8) Archives de Gand, série 180, carton 18.
4) Duois et d'HONDT, Coutumes de Gand, I, p. 16.
5) 18 Décembre 1565. Ibidem, p. 378.
6) Archives de Gand, serie 110bis, n° 1 f. 51.
Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV* au XVIII 8, 431
Ces quotités ne furent plus modifiées ".
Le dépôt obligatoire s’appliquait-il à tous les bles?), quelle
qu'en fut la provenance? Une distinction semble avoir toujours
existé. Les textes du XIV® siècle ne parlent en effet que des
blés achetés hors de l’échevinage, ou supposent qu'il s’agit de
blés amenés par des marchands. Ceux du XV°® ne visent que
les blés, objets du commerce. Enfin l'ordonnance du 3 février 1485
{n. st.) fait clairement la distinction, dans son article 24. Le blé
que des bourgeois qui ne font pas le commerce de grains, peuvent
recevoir soit de leurs terres, soit du chef de rentes, même amené
à Gand par bateau, est libre et peut être transporté sans
formalités où il plait à leur propriétaire. Ce blé reste évidemment
soumis aux prohibitions d'exportation quand elles existent.
Par contre tout blé erü en Flandre, amené par bateau pour
être vendu à Gand, doit être débité soit sur le bateau même,
soit au marché. Des précautions spéciales étaient prises pour
assurer la stricte observation de cette disposition”).
La façon dont s’exergait l'étape n’a pas été toujours la même.
Au début, il est évident que la vente du blé se faisait sur
bateau, dès l’arrivée, «intwater» et que seul le grain non vendu
s’engrangeait jusqu'à ce qu'il fut acheté par les marchands‘).
1) Pour faciliter la perception, on exigea en 1504 que les bâtiments
eussent une certaine contenance fixe et portassent gravée l'indication de
celle-ci. Archives de Gand, série 110bis, n° 1 f. 25. — Ordonnance analogue
du 29 décembre 1604. Dugotïs et d'HONDT, Coutumes de Gand, I, p. 468.
2) Il est entendu que par cette expression, j'entends désormais le froment
et le seigle, seuls soumis à l'étape.
3) Défense aux mesureurs de mesurer et aux porteurs de porter de ce
grain avant que le dépôt n'ait été effectué; «sauf pour les marchands ayant
leurs greniers à Gand et à concurrence de 12 muids au maximum, obligation
de déposer» entre les ports, et autorisation nécessaire pour vendre, pour
mesurer ou transporter. Art. 7 et ss. de l’édit du 8 Février 1485 (n. st.).
4) «Vort dat gheen koeren op sinen bodem dore varen sal, ende al dat
niet vercocht wert intwater sal men uplegghen elc onder sinen weert, ende
daer salt bliven ligghende toter tijt dat coopman comt diet coept, ende die
coepre saelt voeren daert hem ghelieven sal omme der mede te doene sijn
profijt.»2 Ordonnance de l’&tape du 5 Novembre 1364. — N. DE PAUW, De
voorgeboden der stad Gent in de XIVe eeuw., p. 84. C’est la seule façon
également de comprendre l’accord intervenu le 4 Novembre 1367 entre Gand
432 G. Bigwood
Mais bientôt, quand l'étape ne frappa plus qu’une fraction de
cargaisons, une réglementation plus compliquée se fit jour.
La règle devint que lorsque des bateaux chargés de blés
arrivaient à Gand, les marchands, ceux qui en avaient la garde
ou à leur défaut les bateliers devaient déclarer aux gardes de
l'étape la quantité de blé et à qui il appartenait. Cette déclaration
devait être préalable à toute manipulation quelconque et était
sanctionnée par une amende’). Sauf une tolérance en faveur
d’une quantité très minime”), le transbordement n’était autorisé
qu'après le dépôt «entre les ponts» du quart ou du sixième.
C'était la que le grain non franc devait être mesuré; c'était là
aussi que tout portefaix était tenu de porter le grain à lui confié.
À partir de ce moment, ce blé était en quelque sorte mis
hors commerce et sequestré. La durée de cette immobilisation
a varié. A la fin du XV° siècle, elle est de huit ou quinze jours
et même plus au gré des gardes de l'étape. (Ceux-ci peuvent
pendant ce temps prohiber toute vente. Passé le délai minimum
de huit jours, le marchand pouvait obtenir la permission de
vendre sur place pendant huit jours, aux boulangers, aux brasseurs
et Douai conférant aux échevins de Gand le droit de retenir le blé amené
par bateau jusqu’à ce que le prix des grains en ville, leur parut raisonnable.
Le 18 Novembre 1364, les échevins décident que les bateaux ne peuvent
rester plus de huit jours, et que le blé non vendu doit être entreposé: „Ds
alle deghene die koren bringhen bi scepe, dat sij dat koren ver coepet
moeten binnen VIII daghen ofte upper lieghen ende de rivieren der a
rumen bin den selven tide, up de boete van 4 & diet liete, enwarre datter
koren in laghe dat men niet sien mochte, dat sal moghen, gat metr
hebben.» Ididem, p. 85. — K. STALLAERT (Glossartum van verouderdt
rechistermen, etc.) reproduit ce passage avec un point d’interrogation.
1) Sur cette réglementation voir, sauf indications contraires, l’ordonnantt
fondamentale du 3 Février 1485 (n. st.) Les dispositions de cette ordon-
nance qui ne fait que codifier les usages reçus se retrouvent en germe dans
un règlement scabinal, du 23 Novembre 1866. — N. DE PAUW, loc. ci.
p. 96.
2) Quatre à cinq muids par pleyte. Sur la contenance du pleyte, d.
ordce du 29 Décembre 1604 qui la fixa A 240 muids de Gand. Le bateau
de Tournai était de 45 muids de Gand. Dunois et d'HONDT, Coutumes de
Gand, II, 465.
Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV’ au XVIII 8. 433
et aux habitants de la ville, après quoi il était libre de le porter
a marché, mais restait tenu de la vendre dans la ville.
À l'occasion d’un procès, vers 1587, le magistrat de Gand
appelé à préciser ce qu’il entendait par droit d’étâpe informa le
. @onseil Privé qu’il consistait à retenir les quantités connues «pour
ie terme de trois mois au plus hault»!).
Au début du XVII® siècle, le droit comportait de «mectre sus
a grenier par les mesureurs juréz et y laisser pour le terme
de six sepmaines sans pouvoir vendre les grains déposés» ?).
Enfin à la fin du XVII: siècle, à une époque où l’autorite
diminue considérablement les inconvénients résultant de l'étape,
le terme était de trois semaines‘).
I pouvait se faire qu’un marchand désirât substituer à du
blé déposé à l’étape une quantité égale de blé de même nature
qe son dépôt avait précisément affranchi. Il lui était loisible
de le faire, s’il obtenait l'autorisation des gardes de l'étape et
moyennant dépôt du nouveau grain avant tout enlèvement“).
Cette faculté permit souvent aux «facteurs» en blé de substituer
du blé de qualité inférieure °).
Pour plus de facilité et éviter toute fraude, les diverses
@pces de blé, comme les différentes qualités étaient entreposées
kparément.
Dans le même but, aucune opération ou manipulation con-
tmant les grains, dès l'instant de l’arrivée du bateau, ne pouvait
l) Cf. ordonnance du 8 Octobre 1587. Archives de Gand, série 110 bis,
"1 f. 51.
2) Requête du magistrat de Gand, Octobre 1611. Archives générales du
loyaume ; ancien conseil privé, carton intitulé grains.
8) Art. 9 du règlement du 18 Avril 1674. — Dugois et d’HonDT, Cow-
times de Gand, II, p. 594.
4) Règlement du 8 Février 1485, art. 5; du 16 Mai 1673, art. 8.
Archives de Gand, série 110bis reg., n° 1 f. 107. Un conflit s'éleva à la fin du
Ile s., entre Gand et Douai et Béthune qui se plaignaient qu'on exigeät
d'eux nonobstant un dépôt dans les greniers, un prélèvement pour chaque
Partie sortant de la ville. Décision des échevins sur requête du 6 Mai 1594.
Archives de Gand, TT. fo. 120.
5, Cf. plainte des boulangers (XVIe s.). Archives de Gand, série
Ibis, liasse 38. (Cf. ordee du 24 Février 1592. Archives de Gand, TT.
L 114.
434 G. Bigwood
plus se faire sans le consentement des gardes de l'étape. Il er
était spécialement ainsi du mesurage et du portage qui ne pou-
vaient s'effectuer que par les membres des corporations des
Mesureurs de bles et des portefaix (pijnders). Ceux-ci étaient
tenus de faire au bureau de l’étape des déclarations précises &
d’en obtenir une autorisation écrite et scellée des gardes. Ils
doivent en outre, à partir du XVII: siècle, tenir due notice des
quantités par eux retirées des bateaux ou des greniers !).
Toutes ces opérations se faisaient sous la direction et le
contrôle des gardes de l’étape (stapelheeren ou stapelhouders). A
quand remonte exactement la création des gardes de l'étape? Les
documents que nous avons pu connaître ne le disent pas express#-
ment. Dès les débuts de la réglementation du marché aux grains,
il existe des employés spéciaux chargés de la surveillance, de
la taxation, etc. ?) et il est probable qu'ils eurent à s’occuper
également de l'étape’). L'accord conclu le 4 Novembre 1357
entre Gand et Douai, n’en fait pas mention; de plus cet accord
réserve expressément aux échevins l'appréciation de la durée de
l’entreposage. Mais une ordonnance communale du 23 Novembre
1366“) mentionne un «her Janne van Meeren» qui sans avoïr
aucun titre spécial semble bien avoir des fonctions que les gardes
exercèrent ultérieurement. Quoi qu’il en soit, le règlement de
1485 nous montre les stapelhouders en pleine activité.
Les gardes étaient nommés pour un an par les échervins &
à leur entrée en fonctions, ils prêtaient un serment solennel’)
1) Articles 11 du règlement de 1485 et 6 de celui de 1625 (Archives de
Gand, série 110bis reg., n° 1 f. 96.)
2) Voir plus bas.
3) «Item ghaven zij Janne van Zele ende Janne Crommeline, die ve
sorghen ten coorne up den art ende up de riviere, elken 2 gr. sdages va8
28 weken dat si der inghingen dat comt, 107 # 68 8 d.» Compte de 132.
— NaP. DE PAUW en JULIUS VUYLSTEKE, Rekeningen der stad Gent, IL
p. 248. — «Item gaven sij Janne Huges, die ghine 10 weken up den corenard
ende up de Leye te versiene ten coorne dat van buten commen soude ER
arde, van siere pine ende salarisse 26 @ 13 s 4 d.» Compte de 1946. Ibidem,
II, p. 112.
4) N. DE Pauw, De voorgeboden der stad Gent, in de XIVr eeux, .%
5) «Ceci vous jurez: d’être droituriers seigneurs de l’&tape, d'être bo®
et féal au Seigneur et à la Loi; de bien et fidèlement observer et faire ob
Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV° au XVIII’s. 433
et aux habitants de la ville, après quoi il était libre de le porter
au marché, mais restait tenu de la vendre dans la ville.
A l’occasion d’un procès, vers 1587, le magistrat de Gand
appelé à préciser ce qu'il entendait par droit d’étâpe informa le
conseil Privé qu’il consistait à retenir les quantités connues «pour
le terme de trois mois au plus hault»’),
Au début du XVII siècle, le droit comportait de «mectre sus
au grenier par les mesureurs juréz et y laisser pour le terme
de six sepmaines sans pouvoir vendre les grains déposés» ©).
Enfin à la fin du XVIIe siècle, à une époque où lautorité
diminue considérablement les inconvénients résultant de l’étape,
le terme était de trois semaines °).
Il pouvait se faire qu’un marchand désirât substituer à du
blé déposé à l'étape une quantité égale de blé de même nature
que son dépôt avait précisément affranchi. Il lui était loisible
de le faire, s’il obtenait l'autorisation des gardes de l'étape et
moyennant dépôt du nouveau grain avant tout enlèvement‘).
Cette faculté permit souvent aux «facteurs» en blé de substituer
du blé de qualité inférieure ?).
Pour plus de facilité et éviter toute fraude, les diverses
espèces de blé, comme les différentes qualités étaient entreposées
séparément.
Dans le même but, aucune opération ou manipulation con-
cernant les grains, dès l'instant de l’arrivée du bateau, ne pouvait
1) Cf. ordonnance du 8 Octobre 1587. Archives de Gand, série 110bis,
n° 1 f. öl.
2) Requête du magistrat de Gand, Octobre 1611. Archives générales du
royaume, ancien conseil privé, carton intitulé grains.
3) Art. 9 du règlement du 18 Avril 1674. — Duso1s et d’HonDT, Cow-
tumes de Gand, II, p. 594.
4) Règlement du 8 Février 1485, art. 5; du 16 Mai 1678, art. 8.
Archives de Gand, série 110bis reg., n° 1 f. 107. Un conflit s'éleva à la fin du
XVIe s., entre Gand et Douai et Béthune qui se plaignaient qu’on exigeât
d'eux nonobstant un dépôt dans les greniers, un prélèvement pour chaque
partie sortant de la ville. Décision des échevins sur requête du 6 Mai 1594.
Archives de Gand, TT, fo. 120.
5) Cf. plainte des boulangers (XVIe s.). Archives de Gand, série
114bis, liasse 38. Cf. ordce du 24 Février 1592. Archives de Gand, TT.
f. 114.
436 . G. Bigwood
sortant de Gand chargé de blé; d’un gros par eseye» ou peti
bateau d’une contenance de dix muids sortant par la Lieve et
deux gros par «lievelast» ou bateau voyageant spécialement sur
la Lieve. Toute réclamation d’une somme supérieure était punie
d’une amende de cinquante livres parisis. Ils avaient droit
également au tiers, et s’ils étaient les dénonciateurs, à la moitié
des amendes frappant ceux qui transgressaient les règlements
sur l'étape !).
Les gardes de l’étape résidaient à la maison de l'étape où
ils avaient leur bureau.
De nouvelles obligations leur furent imposées par l’ordonnance
du 24 février 1592?). Eux seuls pouvaient délivrer des autor-
sations de mesurer des grains durs; deux d’entre eux devaient
continuellement se trouver à leur bureau. Leurs registres devaient
être tenus au jour le jour, et transcrits au net tons les samedis).
Tous les mois, ils devaient faire connaître au Collège la quar-
tité de blés durs arrivés dans la ville, comme aussi s'ils y étaient
venus par la Lys ou par l’Escaut, ainsi que la quantité des blés
cétapésr. Deux échevins faisaient mensuellement la visite des
greniers.
Avant de suivre plus avant le sort du blé soumis à l'étape,
voyons rapidement celui de la partie qui en avait été affranchie.
Ce blé ne pouvait être transbordé qu'après le dépôt du quart
ou du sixième; on ne pouvait le décharger que pendant quil
était procédé au mesurage et les francs portefaix avaient la pre
férence à salaire égal, sur tous autres pour l’emmagasiner. Le
marchand a le choix de le conserver à Gand pour l’y vendre
ou de l’exporter. S’il se décide pour ce dernier parti, le batelier
ou le voiturier doivent charger entre les ponts, obtenir un laisse!
passer des gardes qui ne peuvent le refuser et se munir d'u
écrit, scellé par ceux-ci constatant la quantité de blé et sa desti-
1) Articles 18, 19, 20, 21, 22, 25, 26 et 27 de l'ordonnance de 1485.
2) Archives de Gand, reg. TT., fol. 114.
3) Les Archives de Gand renferment de nombreux volumes, mais diff
cilement utilisables, tenus en exécution de cette obligation.
Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV° au XVIII 8. 435
Leur pouvoir était considérable: ils avaient le droit de visiter
et d’inspecter les greniers des marchands, situés entre les deux
ponts, de s’assurer si aucune contravention au règlement n’avait
_été commise et d’en poursuivre la répression devant le tribunal des
échevins; ils étaient chargés de tenir un registre et d’y inscrire
tout le grain soumis à l’étape entrant à Gand, en spécifiant la
quantité de chaque dépôt, où le grain a été déposé, à qui il
appartient, qui en est le dépositaire, si le grain a été confié à
un facteur, etc. Ils devaient également noter «pour chaque tas
de grain déposé suivant le droit d'étape, la date à laquelle ils
ont donné autorisation de le vendre, et aussi combien ils ont
permis d’en mesurer et emporter, qui l’a reçu», etc. A leur
sortie de fonctions, ils devaient remettre à leurs successeurs ces
registres, ainsi que le sceau dont ils se servaient et le moule à
couler le plomb.
La coexistence des gardes de l’étape et des gardes du grain
du marché (wacht coores ter aerde) avaient amené des conflits;
afin de les éviter et «pour que chacun connaisse l'étendue de
son office et de son service et ce qu'il lui faut garder», les gardes
de l'étape reçurent compétence pour tout grain que l’on vendait
ou achetait à la Lys. Ils eurent dans la suite connaissance de
tout ce qui concernait les grains exportés de la ville ou y im-
portés !.
Les gardes étaient placés sous la dépendance directe et le
contrôle des échevins qui avaient le droit en tout temps de
prendre connaissance des registres, qui punissaient arbitrairement
tout garde coupable et dont le consentement était nécessaire
pour permettre aux gardes de composer avec les marchands. Ils
avaient la connaissance de toutes réclamations.
Les gardes touchaient un droit de six gros par bateau plat
server l'étape sur la Lys et cela conformément aux mandements et ordon-
nances existant à cet égard et ensuite de faire tout ce que de bons et droi-
turiers seigneurs de l'étape ont l'obligation et le devoir de faire. Ainsi
vous puissent aider Dieu et tous ses saints.» Du Bois et d'HONDT, Cost.
de la ville de Gand, II, p. 189, n° CLXVI.
1) Déclaration des échevins du 28 Février 1598. Archives de Gand,
série 110bis, n° 1 f. 54.
436 . G. Bigwood
sortant de Gand chargé de blé; d’un gros par eseye» ou petit
bateau d’une contenance de dix muids sortant par la Lieve et
deux gros par «lievelast» ou bateau voyageant spécialement sur
la Lieve. Toute réclamation d’une somme supérieure était punie
d'une amende de cinquante livres parisis. Ils avaient droit
également au tiers, et s’ils étaient les dénonciateurs, à la moitié
des amendes frappant ceux qui transgressaient les règlements
sur l’etape').
Les gardes de l'étape résidaient à la maison de l’étape où
ils avaient leur bureau.
De nouvelles obligations leur furent imposées par l’ordonnance
du 24 février 1592*). Eux seuls pouvaient délivrer des autori-
sations de mesurer des grains durs; deux d’entre eux devaient
continuellement se trouver à leur bureau. Leurs registres devaient
être tenus au jour le jour, et transcrits au net tous les samedis”).
Tous les mois, ils devaient faire connaître au Collège la quan-
tité de blés durs arrivés dans la ville, comme aussi s'ils y étaient
venus par la Lys ou par l’Escaut, ainsi que la quantité des blés
cétapésr. Deux échevins faisaient mensuellement la visite des
greniers.
Avant de suivre plus avant le sort du blé soumis à l'étape,
voyons rapidement celui de la partie qui en avait été affranchie.
Ce blé ne pouvait être transbordé qu'après le dépôt du quart
ou du sixième; on ne pouvait le décharger que pendant qu'il
était procédé au mesurage et les francs portefaix avaient la pré-
férence à salaire égal, sur tous autres pour l’emmagasiner. Le
marchand a le choix de le conserver à Gand pour l’y vendre
ou de l'exporter. S’il se décide pour ce dernier parti, le batelier
ou le voiturier doivent charger entre les ponts, obtenir un laisser
passer des gardes qui ne peuvent le refuser et se munir d'un
écrit, scellé par ceux-ci constatant la quantité de blé et sa desti-
1) Articles 18, 19, 20, 21, 22, 25, 26 et 27 de l'ordonnance de 1485.
2) Archives de Gand, reg. TT., fol. 114.
3) Les Archives de Gand renferment de nombreux volumes, mais diff-
cilement utilisables, tenus en exécution de cette obligation.
Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV° au XVIII. 487
ation; ils sont tenus de rapporter dans la quinzaine un acquit
e décharge !).
$ 3. Le Marché aux Grains.
Le marché aux gralns (Coornaert)?), établi dans la plus
ieille partie de la ville, communiquait avec le quai aux herbes
Fraslei, Kornlei) par la rue de l'Etoile et la place aux foins
Hooiaard), aboutissant en face du pont S* Michel et du pont
u bétail; de telle sorte qu'il s’etendait immédiatement derrière
»# constructions établies en face du port de la ville. C’est là
ue s’erigerent de bonne heure une série de constructions, géné-
lement en pierre (steenen), affectées à des usages divers tous
n corrélation avec la circulation et la vente des céréales.
En face même du port, se trouvaient notamment la première
ıaison des mesureurs de blé, puis la maison de l'étape, le
Nhuis, la première maison des portefaix (pijnders), la deuxième
iaison des mesureurs de blé, la maison des bateliers (het Windas),
ui leur fut cédée en 1530 par les Meuniers, etc.?).
Quant aux marché aux grains et aux rues adjacentes, elles
e comprenaient que des deerien*) ou graenders, c'est à dire
immenses magasins et greniers. Ces maisons avaient toutes
n nom, dont certains étaient caractéristiques (de Cooremate, de
trekele, de ouder sac; het scaec, etc.).
Ces magasins se rencontraient moins nombreux à de plus
randes distances du marché.
1 Articles 2, 6, 16 et 17 du règlement de 1485. Art. 15 de celui de
325.
2) Aert (aerde) signifie proprement: marché situé dans le voisinage d’une
vière ou d'un canal. — K. STALLAERT, Glossarium, L, p. 40. Cf. Dieriıcx,
[ém. II, 126. Au point de vue de la réglementation, l'aert était „geheele
a plaetse van de Corenmaert met de Huysen daer ron tomme staende.“
èglement du 8 Octobre 1649, art. 8. Archives de Gand, série 110bis reg. 1,
99.
8) Sur les maisons du Graslei, du Coornaert, etc., voir G. DES MAREz,
ce. cit., p. 364 et ss., et le plan annexé. — F. DE POTTER, Gent, II, p. 471
; 88., III, p. 101 et ss. — Drericx, Mém. II, p. 124.
4) De beere, qui signifie proprement grain, baie. — KARL SCHILLER et
UG. LUBBEN, Mittel-niederdeutsches Wörterbuch, V, 569. — Cf. DIERICKZ,
[&m. II, p. 157, note 1.
438 G. Bigwood
Leur nombre varia suivant les périodes de prospérité et de
décadence; au milieu du XVI® siècle on en comptait 225 pour
toute la ville!). Quant à leur capacité, on est évidemment réduit
à des suppositions, mais il est rapporté par Marcus van Vaerne-
vick, qui fut garde de l’eEtape, que les greniers du Kornlei pou-
vaient contenir 4000 muids.
En réalité, il y avait à Gand deux lieux de marché aux
grains: la place de l’Ecluse, où débarquaient les bateaux de
Zélande, venant par le Sas, d’une part; le Corenaert, de l’autre.
Dès le XIV® siècle, les textes font une différence entre le Lei
et le marché proprement dit, sans que cependant il y ait deux
réglementations spéciales. Par contre, au XVI° siècle, nous
trouvons le marché de la place de l’Ecluse (Zeeusche Aert wp
het Sluyseken) soumis à des dispositions spéciales ?).
Voyons les d’abord. Il se tenait le vendredi matin depuis
la cloche du travail jusqu’à 10 heures). Défense d'offrir en
vente, de vendre ou d'ouvrir les sacs avant que le grain n'ait
été débarqué et étalé sur le quai. Une fois exposé en vente le
grain devait être vendu; s’il ne l'était pas à 10 heures, il devait
être porté au marché“). En principe, les marchands en gros,
les boulangers et les brasseurs ne pouvaient rien acheter à ce
marché, ni directement, ni indirectement”), sauf des semences,
1) Il existe dans le registre KK, fcl. 25vo à 70, un tarif des salaires
des Pijnders (de loonen van tusschen brugghen) qui indique 924 greniers
ou magasins, existant en 1545; il y en a 20 au Kornlei, 10 au Hooiaard,
6 Korte Munt, 18 autour de l'Eglise St Nicolas, 81 au Marché, etc.
2) Cf. pour le XVe 8. V. VAN DER HAEGHEN, Mess. des Seiences
hist., 1886, p. 126. Règlement des 15 Octobre 1563 (Archives de Gand,
reg. DD, f. 97), 15 Novembre 1565 (ibid. DD, f. 177v%0), 11 Octobre 158
(ibid. cc, f. 38), 10 Octobre 1596 (ibid. GG, 891), 12 Octobre 1609 (ibid. HH),
8 Octobre 1649 (articles 19 A 81) et 7 Novembre 1676 (1 à 20). Archives
de Gand, série 110bis n° 1. D'après le préambule de l’ordonnance de 1668, ce
serait cette année là qu’il aurait été créé.
8) A l’origine (1563) ce marché commençait le Jeudi à une heure après
midi pour se terminer le vendredi à 10 heures du 15 Mars à la St Bavon et
à 11 heures de la St Bavon au 15 Mars.
4) De 1563 à 1588, cette obligation n'existait pas.
5) Au début, on leur permit d’acheter pour revendre, mais avec l'obli-
gation de revendre aux habitants au même prix.
Gand et la circulation des Grains en Flandre, da XIV* au XVILI-s 439
et, en ce qui concerne les brasseurs, les grains mous, mais.
seulement une heure après l’ouverture. Les deux premiers et
leur personnel ne pouvaient même s'y trouver. Afin d'éviter
toute confusion à la faveur de laquelle la fraude pourrait
s'exercer, les porteurs et autres ouvriers ne pouvaient se rendre
au marché que lorsqu'ils étaient expressément, appelés et il leur
était formellement défendu d’y acheter pour autrui. Le mesu-
rage devait se faire avec des mesures marquées, par le vendeur
lui-même ou quelqu'un de son personnel sans qu’il puisse se
faire remplacer par quelqu'un de la ville. Les sacs devaient
avoir une grandeur minima déterminée. Les bateliers devaient.
s’entr’aider et ne pouvaient décharger que du côté du Kornlei.
Les grains exposés comme échantillons ne pouvaient pas être de
meilleure qualité que ceux renfermés dans les sacs, lesquels
devaient être ouverts. Ce marché n’était pas exclusivement ali-
menté par les céréales arrivées par eau: les paysans y appor-
taient aussi leurs grains. Afin d'empêcher que les dispositions
réglementaires ne fussent tournées, il était défendu d'aller au
devant d’eux, de leur acheter ou de les arrêter en route.
Toutes ces prescriptions étaient sanctionnées par la confiscation
et des amendes. Elles furent fréquemment renouvelées, et les
échevins se plaignaient souvent des abus et des désordres qui
se produisaient à ce marché. |
Nous avons vu que les gardes de l'étape avaient la police
du marché à la Lys. (Cependant en 1676, les échevins créèrent
un inspecteur chargé de dresser les contraventions, cru sur son
serment.
Voyons maintenant la réglementation du marché aux grains.
Elle s’est formée lentement et les premiers textes que l’on pos-
sède, les Voorgeboden du XIV° siècle, nous la montre déjà très
avancée. Il ne peut être question ici que d’un exposé sommaire.
destiné à montrer dans quel milieu et sous l’empire de quelle
législation les blés soumis à l’étape étaient mis en vente’).
1) Les renseignements qui suivent sont tirés des Voorgeboden der stad
Gent in de XIVe eeuw., p. N. DE PAUW (passim); de diverses ordonnances
rapportées par F. DE PoTTER (IU,p. 81, 82); des règlements des 8 Octobre
1649 et 7 Novembre 1676, déjà cités; 1 Octobre 1668 (Archives de Gand, reg.
440 G. Bigwood
Vendeurs. Qui alimentait le marché? Les vendeurs étaient
de trois catégories différentes: les paysans des alentours, les
bourgeois et les marchands de blé.
a) Les paysans y conduisaient leurs blés sur des charrettes ou
à dos d'animaux domestiques. Les charrettes devaient être remi-
sées hors du marché. Le propriétaire des grains offerts en vente
ou l’un des siens devaient être présents, sans pouvoir se faire
remplacer. Les paysans devaient occuper un côté de la place, à
l'exclusion des marchands. Defense leur était faite de vendre
en route. En revanche, ils étaient spécialement protégés contre
toutes injures ou molestations ?).
b) Les bourgeois n'étaient qu’exceptionnellement des vendeurs.
En temps de disette, ou de crise, on obligeait tous les bourgeois
qui avaient acheté des blés hors de Gand à les mettre en vente
au marché”.
c) Les marchands constituaient le groupe le plus important
On a déjà vu que tout marchand qui n'avait pas réussi à vendre
son blé au quai, devait à 10 heures le conduire au marché.
Quiconque avait acheté du blé pour le revendre, devait le porter
au marché et tout blé acheté par un Gantois sur un franc marché
de Flandre, devait être porté à Gand et vendu. On obligesit
en temps de crise les marchands à mettre en vente chaque jour
de marché, une quantité minima proportionnelle (un vingtième de
leur provision en 1350).
Acheteurs. Ils se divisaient en plusieurs groupes et chacun
d'eux avait une situation spéciale.
a) Les bourgeois étaient de loin les plus favorises. C'était
pour eux que le marché avait été créé et fonctionnait. Ils y
WW, f. 108vo); 21 Novembre 1619 et 25 Juin 1709 (Archives de Gand,
série 114bis, liasse 38, v° graenen); etc.
La législation annonaire gantoise ne diffère pas, dans ses grandes lignes, de
celle des autres villes du moyen âge. Pour Douai: voir les ordces des 23 Août
1392 ; 27 Février 1399; 1400, aux Archives communales, registre aux métiers,
série HH. Pour Tournai: ordce des consaux du 31 Octobre 1455. Mém. soc.
hist. Tournai, XXII, 1893, p. 215.
1) Voorgebode, de 1343—1344. — N. DE PAUW, loc. cit., p. B6—87.
2) Voorgeboden, de 1343—1344 ; 10 Octobre 1349; ler Juin 1358. - Loe.
cit., p. 36—87, 41, 70.
Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV° au XVIII-s. 441
avaient accès dès l’ouverture, c’est à dire quand sonnait la cloche
du travail (dapspaen). Par contre, la quantité qu'ils pouvaient
acheter à titre de provision était limitée’), et même, quand il
était établi qu’un particulier avait une provision suflisante pour
ses besoins pendant un certain temps, il ne lui était plus permis
de se fournir au marché”). Ce n'était évidemment qu’en temps
de disette que ces dispositions étaient en vigueur.
Une disposition intéressante à relever est celle de l’ordon-
nance de 1364 qui malgré son titre est générale; elle défendait
aux bourgeois d’une ville étrangère d'acheter à un de leurs con-
citoyens, et cela par crainte d’exportation ou de fraude *).
b) Les boulangers et les brasseurs ne pouvaient pénétrer au
marché qu'à une certaine heure qui varia“). Quelquefois, ou
limita le maximum de leurs achats); d'autrefois, il leur était :
défendu de rien acheter‘), ou bien ils ne pouvaient acheter qu'au
Lei”.
c) Les meuniers n'étaient pas admis non plus avant la même
heure que les boulangers, à moins d’y être expressément appelés
par quelqu'un à raison de leur office. Fréquemment au XIV: siècle,
les obligea-t-on à rapporter dans la ville une quantité de farine
égale à celle qu’ils avaient exportée.
d) Les marchands, en tant qu’acheteurs (voorcoopers), étaient
considérés comme les ennemis, ceux dont il fallait écarter à
tout prix les manœuvres tendant à l’accaparement et au mono-
pole). Au XIV® siècle, il leur était défendu d’acheter sur le
1) Un setier en 1338; un halster en 1348—1844 à la condition de le donner
de suite au meunier, ou un viertel pour l’emporter; deux halsters, en 18850,
destinés au meunier, ou un halster à emporter; un chargement, en 1858; deux
sacs par tête au XVIIe s. Cf. art. 1 de l’orde du 1er Décembre 1486. Arch.
de Gand, reg. BB, f. 8.
2) En 1343—1344, cette limite fut fixée à 6 mois.
3) N. DE PAUVW, loc. cit., p. 84.
4) Au XVIIe 8. c'était à une heure en hiver et à deux heures en été.
5) A quatre halsters, en 1388 et en 1844; à un sac, au marché et à un
demi muid, au Lei, en 1860.
6) 28 Avril 1350.
7) 1er Octobre 1366.
8) Il ne peut être question ici de développer les mesures minutieuses que
449 G. Bigwood
marché en vue d’une revente, avant midi. Au XVII siècle, on
leur permit d'acheter aux mêmes heures que les brasseurs, et au
XVIIIe siècle, ce fut à neuf heures du matin. Il leur était
même défendu d'acheter à certaines époques, certaines espèces de
céréales.
A Gand, les marchands en gros de blé s’appelaient beerieleggers.
Au marché, ils ne pouvaient se mêler aux paysans. Il arrivait
qu’on leur imposait comme aux bourgeois l'obligation de n’acheter
ou de ne détenir qu'une provision égale à celle des particuliers.
Entre ces divers groupes ainsi réunis se formait le contrat
de vente. Ici encore la réglementation était étroite, elle portait
sur le prix, sur l’objet même, sur le mesurage et l’enlèvement
des quantités vendues, la garde des quantités non vendues.
Prix. Quelque fois l'administration échevinale fixait le prix,
mais en règle generale, ce dernier s’établissait par la loi de l'offre
et de la demande. Seulement, il était défendu aux marchands
et courtiers de prévenir les paysans en route pour le marché ou
y stationnant du cours du blé et une fois le prix fixé par un
vendeur, celui-ci ne pouvait plus l’augmenter. Toute manœuvre
tendant à faire hausser le prix était punie.
Objet. Inutile de dire que seul le blé exposé au marc :
était mis en vente. L’acheteur jugeait de la qualité, et le vn
deur était puni s’il avait dissimulé du blé de qualité inférieure
sous une couche de qualité meilleure. Il y eut, parait-il, de nom-
breuses fraudes de ce genre’). Pour les empêcher, le mélange
de qualités différentes fut défendu.
Mesuraye. Il devait être fait par les mesureurs jurés et les
vendeurs ne pouvaient se decharger sur des tiers du soin de le
surveiller. L’autorit& échevinale réglementait l’emploi des mesures
officielles.
Enlèvement du grain vendu. Les portefaix étaient chargés
de ce soin. Leurs salaires étaient réglementés suivant la distance.
Une place spéciale leur était assignée, ainsi qu'aux mesureurs,
les pouvoirs publics crurent devoir prendre durant tout le moyen âge et
jusqu’au cours du XIXe siècle, pour éviter l’accaparement.
1) Représentation au sous-bailli, de 1775. Archives de Gand, série
114bis, ]iasse 35.
Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV* au XVIII 8. 443
d'où ils ne pouvaient s’écarter que sur l’appel des intéressés.
En principe, il était interdit de transporter hors de Gand le
grain ainsi acheté. Mais les échevins pouvaient délivrer des
autorisations spéciales 5. Exception était naturellement faite au
profit des étrangers à la ville qui emportaient chez eux, au plat
pays, le blé acheté à Gand et destiné à leur consommation per-
sonnelle. Ils étaient quelquefois soumis à l'obligation de se
munir de certificats. En période de disette, les échevins inter-
disaient toute exportation. |
Consignation du grain non vendu. La règle était que tout
grain exposé en vente au marché, devait y être vendu; s’il ne
trouvait pas amateur le premier jour, il devait y être représenté
au prochain jour de marché. En attendant, le propriétaire avait
à l’emmagasiner. Cet emmagasinement, à l’origine libre, donna
ouverture à la fraude en permettant aux revendeurs, boulangers,
brasseurs, etc. d'acquérir secrètement le blé que le paysan n'avait
pas écoulé du premier coup. On exigea qu'avant d'enlever du
marché ce qu’il n’avait pas vendu, le vendeur en fit une décla-
ration spécifiant la qualité et l’espèce de blé, à qui il apparte-
nait, où il allait être déposé. Le Conink van de Kinderen était
chargé de ce soin et aussi de veiller à ce qu'il fût amené au
marché le jour suivant”). (C'était dans les Aerthuysen que ce
grain était consigné.
A côté de cette réglementation locale, les grains étaient à
Gand, comme ailleurs, soumis aux dispositions des ordonnances
générales, prohibant notamment l’achat au plat pays, dans les
granges et fermes, sur pied, etc., la négociation faite en route
avant l’arrivée à la ville.
Voyons maintenant les dispositions spéciales aux grains
soumis à l'étape. Un premier point à relever est qu’ils devaient
être vendus à Gand, mais ils pouvaient l’être sans être envoyés
au marché.
1) Suivant l'édit de 1625 (art. 16) les gardes des portes ne pouvaient
laisser du grain sortir de la ville que sur le vu de certificats délivrés par
les gardes de l'étape.
2) L’ordonnance de 1625 (art. 11) imposait la déclaration aux gardes de
l'étape, chargés de surveiller la mise en vente au marché suivant.
144 G. Bigwood
Mis en vente au marché, ils y étaient exposés à part et
devaient y être représentés s'ils n’y étaient pas vendus !).
Tout le monde ne pouvait acheter de ce grain. Les meunier
et fermiers de moulins ne pouvaient en acquérir. Quant aux
marchands dits beerieleggers et aux acheteurs de première main
(voorcoopers), ils ne pouvaient s’en porter acquéreurs que pour
une quantité maxima de quatre muids. Pour en acheter davar-
tage, il leur fallait l'autorisation des gardes de l’étape, qui por-
vaient même diminuer la dite quantité. De ce qu'ils ont acheté,
ils étaient tenus de porter le quart au marché et de l’exposer
en vente, avant de pouvoir l’emmagasiner. De plus, tout bou-
langer, brasseur ou bourgeois pouvaient contraindre ces mar-
chands en gros à leur abandonner pour le prix par eux payé,
une quotité de ce qu’ils ont ainsi acheté a la Lys. Le marchand
devait en toute hypothèse garder la moitié de son acquisition et
pouvait exiger caution de son acheteur. Les mesurages et les
transports que toutes ces opérations exigeaient devaient se faire
par l'intermédiaire des mesureurs et des portefaix jurés ?).
Quiconque possédait déjà du blé ne pouvait en acheter que
de l’affranchi et non de celui qui était soumis à l’&tape?).
Bien que ces dispositions expressément édictées à la fin du
XV: siècle n'aient plus été reproduites dans les textes postérieurs,
elles sont restées certainement longtemps en vigueur“).
Au XVII’ siècle, nous voyons les échevins chercher à déjouer
la fraude consistant pour les facteurs et marchands (importateurs)
à faire inscrire au bureau de l’étape, au nom d’un beerielegger
des grains soumis à l'étape que suivant toute probabilité ils
emmagasinaient pour leur propre compte et exportaient vers
d’autres villes. Pour déjouer cette manœuvre, il leur fut ordonné
de se trouver en personne ou par leur personnel sur le marché
1) Ordonnance du 24 février 1592. Archives de Gand, reg. TT,
fol. 114.
2) Articles 12 à 15 de l’ordonnance du 3 Février 1485 déjà citée et 5
et 6 de celle du 1er Décembre 1486. Archives de Gand, reg. BB, f. 8.
3) Article 4 de l’ordonnance du 1er Décembre 1486, déjà citée.
4) Cf. l'ordonnance du 20 Novembre 1585, Archives de Gand, liasse 38,
p. 29.
Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV* au XVIII. 445
auprès du blé «non franc» et de faire retransporter par les pyn-
ders, les quantités non vendues, là où elles avaient été entre-
posées et mesurées pour les en ramener au marché suivant.
En outre, un mesureur fut spécialement chargé de noter toute
quantité mesurée et vendue et à la fin du marché de remettre
cette notice au bureau de l'étape").
De même, à raison des quantités énormes rayées du livre
de l'étape au nom des brasseurs, boulangers ou bourgeois, il
leur fut prescrit, chaque fois qu’ils désiraient faire rayer du livre
des quantités de grains déposés, par eux achetés, de se rendre
en personne au bureau de l’étape et d’y déclarer la quantité de
blé qu'ils ont acquis et l’usage qu’ils vont en faire, sous peine
pour ceux qui feraient une fausse déclaration d’être considérés
comme faussaires ?).
8 4. Le commerce des grains et l'approvisionnement de Gand.
Le cadre de cette étude ne comporte pas l’histoire de l’ali-
mentation de la ville de Gand, ni de l’organisation économique
du commerce des céréales en Flandre, comme non plus des
assises de la ville.
Cependant quelques mots à ce sujet ne sont pas inutiles, car
ils permettent de se rendre un compte plus exact des conditions
dans lesquelles le droit d’étape s’est exercé.
Les environs immédiats de Gand étaient peu productifs *),
de ‚plus la juridiction du magistrat s’arrétait à une faible distance
de l'enceinte gantoise. De la d’une part nécessité pour les
marchands de s’approvisionner dans les autres quartiers du pays,
et de l’autre, conflits entre le magistrat de Gand et celui des
principales villes flamandes.
Le quartier d’Alost particulièrement fertile contribuait large-
ment à approvisionner la capitale du comté. Tout naturellement
1) Articles 9 et 10 de l’édit du 8 Octobre 1649, déjà cité.
2) Article 8 de l’ordonnance de 1625, déjà citée.
3) «Et estans aussy les terres situées au quartier de notred. ville Ia
plus part maigres et stériles portans peu de bledz.» Requête du magistrat
de Gand à S. M., Janvier 1578. Archives de Gand, Scepenen Keure, série
349, n° 108.
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 80
146 G. Bigwood
les paysans étaient amenés à y conduire leur grain. Alost voulut
les contraindre à porter leur blé à son propre marché. (Gand
obtient qu'ils resteraient libres ').
Les marchés de S! Nicolas, Lokeren, Hulst et autres furent
régulièrement visités par les marchands gantois et ceux-ci obtin-
rent fréquemment qu'on levât en leur faveur les prohibitions qui
en temps de disette s’opposaient à la vente à destination d’une
autre ville *).
Il s’organisa un service régulier de bateaux amenant à Gand
les jours de marché les grains qui y étaient destinés. C’etaient
les marktscepen. En 1486, il y en avait quatre venant de
Courtrai, d’Audenaerde, de Hulst et d’Axel?.. Au XVI: siècle,
c'était vers Audenaerde, Deinze et Courtrai qu’ils étaient
dirigés ).
Les pays voisins Hainaut, Brabant, Zélande, contribuaient
aussi à son alimentation. L’Artois passait surtout pour le grenier
de la Flandre, mais la voie naturelle, l’Escaut, obligeait les
marchands à passer par Tournai. Lorsque cette dernière ville
appartenait à la France, il arriva souvent que des défenses
d'exporter arrétassent le commerce de Gand. Celui-ci envoyait
alors et notamment en 1398 et 1415, des délégués pour prier
les consaux de lever l’interdiction et de laisser les marchands
passer avec leurs marchandises. Tournai aida sa puissante voi-
sine dans la mesure du possible‘).
1) Requête de Gand au Gouverneur Général et lettre de celui-ci au magir
trat d’Alost, 21 Juillet 1572. Archives de Gand, série 95bis, n° 11, fol
36 et 37.
2) Cf. Apostille sur requête de Janvier 1573, loc. cit., et acte du 5 Juillet
1631. Archives de Gand, série 95bis, n° 11, f. 39vo, Avis du Conseil de
Flandre du 3 Novembre 1699. Ancien conseil privé, carton grains.
8) Article 7 de l’édit du ler Décembre 1486, déjà cité.
4) DE POTTER, Gent, IO, p. 31. Sur la réglementation de ces bateaux.
voir acte du 16 Septembre 1504 (DE POTTER, ibid., note). Sur le confit entre
Charles V et les bateliers, sbid., p. 32. — Cf. accord entre le duc de Bourgogne
et les échevins d’Audenarde au sujet de deux maerscepen circulant entre
Audenarde et Tournai — 13 février 1451 (a. st.) — Chambre des comptes
B 1607, f. 172. Archives de Lille.
5) Procès verbaux des consaux des 4 Septembre 1398 et 18 Septembre
1415. Mem., Soc. hist. de Tournai, t. VII, p. 44 et 125. Il est à signaler
Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV° au XVIII 8. 447
Au XVI: siècle, Tournai éleva des prétentions à un droit d’étape.
Gand obtint que ses marchands et bourgeois en fussent exempts,
mais en 1531, la ville entendit les y soumettre. Des démarches
amiables ayant échoué’), Gand s’allia avec Douai et obtint de
Charles V une ordonnance contraignant même par force, les
magistrats tournaisiens à laisser libre passage aux marchands
des deux villes, sauf à en exiger caution, au cas où ils vou-
laient porter l'affaire devant le conseil de Flandre ?).
Venant ainsi de toutes parts, le blé arrivait à Gand en quan-
tité relativement considérable. Nous n’avons pas malheureuse-
ment de données positives directes antérieures au XVIe siècle.
Vers 1573, le magistrat fit faire une enquête et entendit d'anciens
seigneurs de l'étape, des fermiers de l’assise qui tous furent
unanimes pour dire qu'il arrivait en moyenne par semaine à
Gand de cinq à six cents muids, et que de cinq à six mille
muids étaient annuellement soumis à l’&tape?).
Les registres que les gardes de l’étape devaient tenir fourni-
raient des détails intéressants si l’on ne devait pas, au préalable,
faire de nombreux calculs que leurs auteurs n’ont pas dressés.
Certains extraits en ont été faits en leur temps, qui donnent
notamment ceci:
au 31 Octobre 1592, il y avait dans les magasins de Gand:
1486 muids 5 halstres de grains durs affranchis et 1904 muids
7 halstres de grains non libres,
au 15 Octobre 1596, il y avait respectivement 617 muids
6 halstres, et 274 muids 11 halstres,
au 31 décembre 1617, ces mêmes livres renseignaient 383 muids
que Gand prétendait pour les besoins de sa cause, faire partie du royaume
de France.
1) Gand à Tournai, 19 Février 1581, et Tournai à Gand, 21 Février
1531. Archives de Gand, série 110bis, n° 1, f. 49 et 48.
2) Ordonnance du 15 Janvier 1585 (1536 n. st.). — CH. LAURENT, Or-
donnances des Pays-Bas, 2° série, III, p. 492. Les registres des consaux
de Tournai constatent que la ville résista, emprisonna même l'huissier chargé
d'obtenir la relaxation des grains arrêtés, appela devant le conseil de
Flandre.
3) Archives de Gand, Scepenen Keure, série 849, n° 108. Le muid de
Gand était de 6 hect. 33 1. 86.
448 G. Bigwood
2 halstres de grains soumis à l'étape,
le 27 Octobre 1693, les gardes de l'étape font savoir au
collège qu’à ce jour (et probablement depuis le début de l’an)
les marchands ont consigné 3848 muids,
du 1” Juin 1709 au 31 Mai 1710, il était entré à Gand
1844 bateaux avec des chargements de blé”.
Le produit des impôts frappant la circulation des céréales,
fournit également des indices sur l'importance de cette eiren-
lation. Ils nous font aussi connaître les charges fiscales qui ls
grevaient ?).
Les plus anciens comptes de la ville de Gand nous révèlent
l'existence de deux impôts communaux, l’un, l’assise sur les
grains, l’autre le Zaemcooperie (voir plus bas).
L’assise était en principe affermée pour un an et le prix fixé
par semaine; au milieu du XIV*® siècle il était en moyenne de
100 livres parisis et les recettes, lors des régies temporaires, don-
nent sensiblement la même moyenne.
La ville avait de très bonne heure abandonner à l’hôpital
des lépreux, le produit du droit de louche (lepelrecht) et du droit
de strekele (voir plus bas)*)}. Philippe le Bon disposa de ces
droits parce qu'ils n’avaient pas été établis par un octroi, ce qui
provoqua un procès au parlement de Paris.
Au XIIIe siècle, l'abbé de S* Pierre prélevait un tonlieu de
deux deniers par bateau de moins de 30 muids et quatre deniers
par bateaux de plus de 30 muids; celui de S‘ Bavon, recevait
quatre deniers par muid et le châtelain de Gand, un ou deux
deniers suivant la grandeur de la «navee» et sauf exemptions.
Au XIV: siècle, il est reconnu au vicomte de Gand un tonlieu
sur les bateaux chargés de grains naviguant sur le schipgracht.
C'est au XVI" siecle, que des octrois successivement renou-
velés ont définitivement réglé les droits de la ville en matière
1) Archives de Gand, série 147, n° I (feuilles détachées), série 114bt
n° 35.
2) Il ne faut pas perdre de vue qu'avant d'arriver à Gand, le grain avait
déjà acquitté une série de tonlieux.
8) Archives de Gand, reg. G, f. 292. Ordonnance du 81 Juillet 1478.
— DIERICx, Mém., I, p. 579.
Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV* au XVIIIe s. 449
d'assises sur les grains. L’assise fut connue sous le nom géné-
rique de emuddegelt»') et comprenait essentiellement un droit de
un gros par muid sur tout grain entrant en ville et deux ou
trois gros par muid, suivant la nature des céréales vendues à
bord ou à quai.
Cette imposition donna naissance à un violent conflit soulevé
par Douai, Tournai, Valenciennes, Béthune, S* Omer etc. qui
s’opposaient à la perception de toute imposition à l’entrée comme
aussi au paiement de l'impôt par le vendeur lors de la vente).
Certains impôts se rattachent intimement à l’organisation du
commerce dont il nous reste à dire quelques mots.
En dehors des paysans des environs qui vendaient directe-
ment au marché le produit de leurs champs et des bourgeois
qui s’y approvisionnaient, le marché gantois était fréquenté par
les marchands de grains.
Ces marchands constituaient une véritable association ayant
ses cclercs» et facteurs. Ils s’appelaient beerieleggers et étaient
propriétaires ou locataires de grands magasins sis au Lei ou au
marché au blé, dans lesquels ils déposaient leurs grains.
Les opérations sur le marché se faisaient par l’entremise de
courtiers ou facteurs (makelaar)?).
Au XIV® siècle déjà, Gand levait un impôt, dont la perception
était affermée, appelé «zuemcooperie van den coorner. (C'était
un droit d'accise payé par les courtiers.
Au XVIe siècle, Gand voulut renforcer l'obligation de recourir
à l’intermédiaire de courtiers, mais se heurta à l’opposition des
marchands étrangers. Les douze hommes qui avaient été chargés
par la ville de vendre la moitié des grains soumis à l'étape n’ont
eu qu’une existence éphémère“).
1) Pour le detail, voir l'octroi da 10 Décembre 1688. Ancien conseil
privé, carton impositions; et Jointe des Administrations et affaires des sub-
sides, reg. 145, fol. 4vo,
2) Voir les mémoires et les sentences successives, au carton grains, de
l'Ancien Conseil Privé et aux Archives de Gand, série 95bis, n° 11,
fol. 38 vo.
8) Cf. De POTTER, loc. cit., IL, p. 495 et Drericx, loc. cit., U, p. 178.
4) La sentence de 1533 de Tayspil, (p. 454), les supprime. L’ordon-
uance qui les avait créés n’a pu être retrouvée. Les courtiers préposés à la
450 . | G. Bigwood
L’imposition dite du strekele était acquittée à qui était en
possession du droit de niveler les mesures de grains. Concede
par Philippe le Bon à l'hôpital des lépreux, ce droit était
revendique par la ville qui se substitua en 1458), un certain
nombre de possesseurs d’immeubles sis au Marché au blé et leur
confera le droit d’heberger le blé que les paysans n’avaient réussi
à vendre au marché. C'est l’origine des aerthuizen. Ces maisons
semblent avoir été nombreuses à l’origine”). Dès le XVI: siècle,
il n’y en eut que quatre?). Les tenanciers de ces demeures
avaient le droit de percevoir une certaine taxe par halstre de
grains*). (C'était là que les non marchands qui n'avaient pas
vendu leur blé étaient tenus de le déposer jusqu'au jour de
marché suivant.
Ces aubergistes (weerders) avaient des obligations particulières:
ils devaient avoir des mesures legales°), le rouleau dit strekee
vente des grains non libres prêtaient le serment suivant: «Vous jurez ced:
de bien et fidèlement vendre au marché et nulle part ailleurs le grain non
libre qui vous sera livré par les marchands ou les facteurs de la Lys aux
communs habitants de cette ville pour leur usage et consommation et à tel
prix qui vous sera par les facteurs ou les marchands déclaré, sans artifice
ou sans faire avec personne un accord à ce contraire; de tenir ledit grain
dans votre garde sur un grenier commun, si en une ou plusieurs fois, il n'est
pas vendu, jusqu'à ce qu’il soit vendu au marché; de donner aux acheteurs
et vendeurs, à chacun son dû et que dorénavant ni en général ni en parti
culier, vous ne vous occuperez ni ne vous melerez d'acheter ou de vendre
quelque autre grain, quelqu’il soit, sous peine d’être poursuivis et punis pour
fausseté, par mise au pilori et autrement, à la discrétion des échevins. Aina
Dieu vous soit en aide et tous ses saints.» Du Bois et d'HoNDT, Cout. de
la ville de Gand, IT, p. 201.
1) Ordonnance du 9 Août 1458, citée par DE PoTreR, loe. cit., II,
p. 82.
2) DE POTTER prétend qu'il y en aurait eu trente une.
8) DE CLEPPE, het Schalck, de Sack, de Leeuw.
4) Archives de Gand, Keure-résolutieboek, 157, fol. 49; le 4 Août 1571,
les échevins afferment pour trois ans „de strekele ende maete van Zee
maerts op de coornaert danof men ontfaet van ghone die des huereers maete
besicht eenen penn. par. van elck halster ofte twee penn. par. van elcke zack.“
Cf. un avis des échevins de la Keure du 8 Octobre 1546 et une décision
des vinders de la paroisse de St Nicolas du 9 Avril 1658, sur le même sujet.
Archives de Gand, reg. KK, f. 817 et 319.
5) Article 20 du règlement du 7 Novembre 1676, déjà cité.
Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV au XVIII-s8. 451
et observer fidèlement leur serment’). De bonne heure, afin
d’eviter toutes fraudes ou injustices, il leur fut strictement interdit
de s'occuper d’achat ou de vente de blé?).
8 5. La lutte pour la liberté.
On a déja vu combien les privilèges de Gand relatifs à la
navigation fluviale avaient rencontré d'opposition de la part des
autres villes et comment ils avaient fini par être supprimés. Il
en devait être de même du droit d'étape.
En principe, le droit s’appliquait quel que fut le propriétaire
ou le destinataire du grain qui y était soumis. Le prince
lui-même n’y échappait pas. Cependant, nous voyons Charles V
ordonner au magistrat de laisser passer librement les céréales
N
destinées à son hôtel et à son train alors à Audenaerde
(30 Octobre 1521)°).
Gand fit opposition au passage des vivres appartenant à
l’intendance des armées“). Les proveedors rencontraient souvent
de la part de beaucoup de villes des difficultés de toutes natures;
pour mettre fin à cette situation, un édit du 18 Mai 1630
ordonna le libre passage sur production de certificats. Néanmoins
1) Voici la formule (en traduction) de ce serment:
«Vous jurez ceci : que vous ne nivellerez aucune espèce de grain mou, nine
composerez pas à cet égard, que vous ne le ferez ni le laisserez pas niveler
ou composer, à cet égard par quelque un de vôtres ou de votre famille, que
vous n’ayez d’abord et avant tout la marque des péagers du blé servant pour ce
grain, ainsi qu'il convient et qu'il faut à cet effet et conformément à la teneur
de la criée d'église qui en fait mention, sous les amendes et conventions y
portées. Ainsi Dieu vous soit en aide et tous ses saints.» Du Boıs et d’HoNDT,
Cout. de la ville d: Gand, II, p. 200.
2) „Item men verbiet alle weerden die den strekele houden ten aerde
dat zij van nu voort an gheen graen hoedanich dat zij en coepen jeghen
huerlieden gasten of jeghen anderen omme voort te vercoepene ten aerde
oft in haer huisen ende gheene coopmanscepe van grane en doen up den
ban van tien jaeren.“ Article 9 du règlement du ler Décembre 1486.
Archives de Gand, reg. BB, f. 8. Cette prohibition fut toujours confirmée.
3) Archives de Gand, série 849, liasse 108.
4) Une décision des échevins du 24 Janvier 1590 décida que les gardes
de l’étape exigeraient un serment des marchands qui demandaient la fran-
chise pour le blé destiné aux armées. Archives de Gand, série 110bis,
n° 1, f. 53.
452 G. Bigwood
l’archiduchesse Isabelle dut s’adresser directement au magistrat
gantois (8 Mai 1631). A la même époque, celui-ci s’opposs
vivement à ce que les proveedors pussent acquérir du blé soumis
à l'étape, invoquant l’usage constant. Le gouvernement admit
une solution mixte: le magistrat dut indiquer aux fournisseurs
de l’armée les greniers où les marchands avaient déposé du blé
libre, et ce ne fut qu’en cas d'insuffisance qu’ils purent en acheter
d’autre *). ;
Plus nombreuses furent les dérogations consenties aux villes
voisines. (C'était en période de disette qu’elles se produisaient.
Quand le blé renchérissait ou se faisait rare sur le marché local,
une ville se décidait à en faire acheter ailleurs et à le revendre
en détail, souvent à perte?) En considération du but qu'elle
poursuivait, elle demandait souvent d’être dispensée de certaines
prohibitions édictées par le prince”). De nombreuses villes des
Pays-Bas s’adresserent fréquemment à Gand pour obtenir le libre
passage.
Lille, Arras, Valenciennes, Douai, Anvers, Audenarde, Tournai,
Bruges, Courtrai, notamment achetaient en Hollande, à Amsterdam,
Middelbourg ou l’une chez l’autre‘) et sollicitaient de Gand
d’être exemptees de l'étape. Souvent cette demande était favorable-
ment accueillie, quelquefois elle était repoussée‘); il arrivait
aussi que l'autorité supérieure contraignait Gand à céder‘)
1) Ordonnances et lettres de 1626 à 1631. Ancien conseil privé, carton
intitulé grains.
2) Pour Gand en particulier voir: pour le XIVe s. les comptes de ls
ville, pour le XVIe 8. les Scepenen Keure, série 859, n° 108; et d’une façon
générale la série 147bis des Archives de la ville. )
8) Par exemple défence d’acheter du blé au plat pays.
4) Voir les lettres des magistrats de ces villes à celui de Gand, spéciale
ment des années 1546, 1556, 1565, etc., aux Archives de Gand, série 147 bis, reg. 2
5) Apostille sur une requête de Valenciennes, du 28 Octobre 1565. Archives
de Gand, série 147bis, reg. 2, f. 26. Décision de Marguerite de Parme du
18 Décembre 1565 sur une requête de Mons. — Du Bois et d'Honpr, Co
tumes de Gand, II, p. 378. — Gand au Conseil Privé, 11 Décembre 1604. An-
cien Conseil privé, carton grains.
6) Le roi à Gand, 13 Décembre 1556, sur requête de Lille. Requête de
la ville de Bruges, apointée le 27 Novembre 1573, etc. Archives de Gand,
série 147%, n° 2, p. 5 et p. 59.
Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV° au XVILI*s. 453
Quelquefois, Gand se bornait à consentir une réduction sur la
quotité frappée du droit!) D’autres fois, c'était une simple
facilité qui était sollicitée. C’est ainsi qu'en 1557 le magistrat
de Tournai demande qu’on laisse passer le premier bateau sans
exercer le prélèvement et qu’on reporte celui-ci sur ceux qui
suivent ?). | |
D'autres fois, c'était à Gand même que les villes voisines
desiraient s’approvisionner. La quantité était alors fixée soit par
Gand, soit par l'autorité supérieure.
Il faut reconnaître qu’en général, la ville tenait compte des
circonstances et se bornait à exiger des formalités destinées à
éviter que sous le couvert d’une opération de bienfaisance faite
par une ville, ne se cachât une transaction lucrative de marchands.
Cette tolérance était dictée aux Gantois par leur intérêt même.
En effet, l'étape rencontra de tout temps une vive opposition qui
alla grandissant et finit par l’emporter.
Tous les conflits que ce droit suscita ne sont pas connus.
Le plus ancien que révèlent les sources, est celui auquel mit fin
l'accord du 4 Novembre 1357 entre Gand et Douai. Ces deux
villes d'étapes de grains devaient naturellement entrer de bonne
heure en contestation*). Douai n’obtint à ce moment que de
voir fixer et organiser le droit de Gand. Sur un point cependant,
l'accord semble avoir donné tort à Gand, en ce sens qu'il est
expressément entendu que pendant toute la durée du séjour forcé
des bateaux, «nulle nefs chargée de blet de quelconque partie
que ce puist estre soit à Gand appartenans à bourgois ou à autre
persone qui que ce soit, ne passera premièrement par faveur ni
autrement que ce puist estre>, sauf les bateaux destinés à l’ap-
provisionnement de Malines.
L’antagonisme inévitable entre deux villes d'étapes de grains
devait créer au XVI° siècle un vif conflit entre Gand et Douai.
Vers 1533, la première de ces villes s’opposa au passage des grains
appartenant à des marchands de Douai et arrêtait même les trois
1) Cf. Réponse de Gand à Lille, le 18 Novembre 1562. Archives
de Gand, série 95bis, n° 11, f. 34.
2) Archives de Gand, série 147 bis, n° 2, p. 62.
3) Voir p. 411 et 429.
454 G. Bigwood
quarts affranchis, destinés à Anvers, à Bruges ou à la Hollande.
En outre, les échevins commirent douze personnes «pour faire la
vente de la moietié des dits bledz et grains non francgs sur le
marché» moyennant paiement de neuf gros par muid.
De leur côté, les Gantois reprochaient aux échevins de Douai
d’avoir réduit à dix le nombre de «colletiers>, ce qui, les jours
d’affluence, retardaient les transactions et les transports, de les
contraindre & faire remesurer et respaller les grains des Gantois
deja charges et enfin dans les but &vident de «les retarder en
leur marchandise et avancer leurs propres marchans», de laisser
au marché les voitures chargées de grains par eux achetés,
causant toutes sortes de retards pour empêcher les paysans de
vendre aux marchands étrangers.
Les échevins de Douai et les «pere et quatre hommes
representans les marchands de bledz hantans et frequentans les-
taple de bledz dicelle ville» présentèrent requête à la gouvernante
laquelle chargea Pierre Tayspil, president du conseil de Flandre!)
de faire une enquête et si possible de concilier les parties.
Les échevins de Gand, des marchands de blés de cette ville,
et des représentants d'Anvers qui avaient été mis en cause
répondirent et présentèrent leurs doléances. Des mémoires furent
échangés et finalement, parties ayant accepté Tayspil comme
arbitre, il rendit une sentence le 20 Decembre 1533 ?).
L’arbitre ordonna aux échevins de Gand de laisser librement
passer les grains francs et de supprimer «les douze hommes qu'ils
avaient commis pour vendre la moitié du quart des dits bleds
et grains non francqs sur le marché», par suite, de revenir à
l'usage ancien suivant lequel le délai de consignation écoulé, le
grain «polra estre vendu par lesdits marchands aux fourniers,
brasseurs, cloistres et autres manans et habitans en ladite ville
de Gand pour leur dépense, provision et usance, et en cas qu'il
ne le vendent en la manière dessus dite, ils le polront faire
vendre sur ledit marché par leurs serviteurs et familliers ou par
tels commis qu'ils voudront pour ce prendre en ladite ville de
1) Pierre Tayspil, conseiller au Grand conseil de Malines, puis président
du Conseil de Flandre et enfin presideut du Conseil privé, mourut en 1Bil.
2) Du Bois et d'HoxprT, Coutumes de Gand, II, p. 130 et ss.
Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV* au XVIITI-s. 455.
Gand, pourvu qu'il ne soit blavieur ne soy meslant de marchan-
dise de grains», et moyennant de prêter serment.
Par contre, l'arbitre prit acte de l'engagement des échevins.
de Douai de veiller à ce qu’il y ait toujours assez de colletiers
sur le marché, laissa à la charge des échevins ou des fermiers
des droits les frais de remesurage et de respallage chaque fois
qu'il aura été constaté que les déclarations des marchands étaient
sincères. Enfin il fixa les heures pendant lesquelles, tant en
hiver qu’en été, les voitures chargées de blé acheté à l’étape de
Douai par des marchands forains, y resteront exposées en vente.
La sentence du 30 Avril 1540, supprimant tous les privilèges,
droits, coutumes et usages de Gand n’excluant pas le droit d'étape,
le comprenait implicitement. De fait, il a subsisté.
En 1569, sur requête des marchands de grains «ter Ley» et
sur le refus des gardes de l’étape, les échevins ordonnèrent à
ceux-ci de renoncer à prétendre exercer leur droit sur les blés
germés que seuls des brasseurs pouvaient utiliser :).
Ils obtinrent en 1580, le libre passage pour les marchandises
affranchies vers d’autres villes, moyenant passeport).
Vers 1573, un effort désespéré fut fait par les villes et les
marchands d'Anvers, de Douai, d’Aire, de Béthune, etc. Ils
envoyerent au Gouverneur Général une longue requête lui exposant,
que les fleuves et cours d’eau sont, de droit, libres de toute
entrave”), que depuis quelques années Gand, au mépris des
placards du souverain affranchissant la circulation des grains, se
permettait de prélever le quart ou le sixième des blés passant
par la ville. Ils signalent que l'obligation de vendre la quote
soumise à l’étape a pour effet d’amener une baisse du prix, ce
qui force les marchands, pour se rattraper, de vendre sur les
1) Requête et apostille du 21 Avril 1569. Archives de Gand, série 110ble,
n° 1, f. 28.
2) Requête et apostille du 4 Janvier 1580, ibidem f. 50.
3) «... selon tous droictz tant positif que naturelz tous fleuves et rivières
fluintes (?) et navigables (comme sont celles de la Lys et Escault transitans
vostre ville de Gand) à jamais soyent esté et doyent estre libres et com-
munes à ung chacun et que à ceste cause les princes les ayent prins en leur
sauvegarde et protection et les mis au rang de leurs regales pour les con-
server à leur naturelle liberte« ... Archives de Gand, série 349, n° 108.
456 G. Bigwood
marchés voisins le blé affranchi à un prix plus élevé *). D'après
eux, le droit d'étape avait pour conséquence d’amasser à Gand
une quantité notablement supérieure à celle que nécessitait l’ali-
mentation de la ville, que ses environs, vu leur fertilité, auraient
seuls suffi à approvisionner ?).
Sous l’exagération des termes, on se rend parfaitement compte
du sérieux obstacle que créait le droit d'étape subsistant au
milieu de conditions économiques et politiques toutes différentes
de celles qui l'avaient justifié à ses débuts. Requesens com-
muniqua cette requête au magistrat de Gand avec ordre d'y
donner satisfaction, à moins que la ville n’eût des raisons à faire
valoir, ce quelle fit. Elle présenta deux mémoires accompagnés
d’une serie de pièces justificatives établissant l’ancienneté et la
généralité du droit qu’elle justifiait par des considérations déjà
exposées *).
Une tentative d’arrangement amiable eut lieu en décembre 1573:
Anvers envoya à Gand un député chargé de négocier la disparition
du privilège d’étape;- Gand refusa et maintint son droit).
Aucune suite immédiate ne fut donnée à ce conflit.
Mais en 1587, une modification importante fut apportée au
ent
1) «... les ditz marchans cherchent par après de recouvrer sur le restant
dud. bledz et soilles, amenez es villes circonvoisines, en haulchant le pris
dudy restant, iusques au parfournissement et entier recouvrement desd. des-
pens et interetz par eulx supportez ce qui cause une grande cherté desd.
grains en toutes les villes circonvoisines.» Ibidem.
2) «... ce qui vient à monter à une quantité si infinye que par tel
moyen ilz peuvent amasser aultant des grains en une année qu’ils ne seau-
royent user et consumer en dix ans, oultre et par dessus ce que la fertilité
des lieux et pays des alentours est si grande que par le moyen d’iceulx ils
sont souffisamment pourveuz d’aultant des grains quilz puissent avoir de
besoing pour la nourriture de leurd habitans de sorte que par le moyen de
lad. servitude et retiennement desd. grains plus qu’ilz n’ont de besoing, les
aultres villes circonvoisines non seulement resentent une forte grande chereté
mais aussy nécessité et disette desd. grains, etc.. ..» Ibidem.
8) Archives de Gand, série 349, n° 108.
4) Lettre du magistrat d'Anvers à celui de Gand, 20 Juillet 1576.
Ibidem. Cette lettre fait un portrait vivant du marchand de blé qui est
obligé de vendre à Gand un quart de sa marchandise et n’y trouve pas
d’amateur.
Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV° au XVIIT-8. 457
privilège de la ville. Le 10 Septembre de cette année, le roi
avait tenu en suspens tous privilèges portant atteinte à la libre:
circulation des grains. Immédiatement Gand protesta, rappela
les raisons qui avaient justifié son privilège. Le Conseil privé
le pria de s'expliquer, ce qu'il fit. Afin d'obtenir le maintien
ultérieur du droit et son rétablissement immédiat, Gand fit des
concessions et par ordonnance du 8 Octobre 1587, le roi permit
à la ville de <iouyr et user dudit droict d’estaple pretendu, soulz
les restrictions et limitations ensuyvantes assavoir, que les grains
y amenez de dehors le Pays, sans oncques avoir esté vendus à
quelque marchant ou aultrement changés de main seraient exempts
de la dicte retenue, et que de pareille exemption iouyrent toutes
les villes et communautez ensamble les particuliers faisans passer
par les Rivières de la dicte ville leurs provisions». Le serment
pouvait être exigé, que les grains étaient effectivement destinés
à leur usage personnel. De plus on donna aux marchands
passant à Gand avec leurs grains: «option ou d’estapler, ou
mettre aux greniers publicqs leur dicte quote de grains, ou bien
la vendre incontinent en la dicte ville et en tirer promptement
le payement». Cette situation était concédée à titre provisoire‘),
mais elle subaista jusqu’en 1673.
C’est vraisemblablement à raison de ces modérations, que le
placard de 1589 provoqué par la disette régnante ne reproduisit
plus la clause touchant la surséance des étapes *).
Au début du XVII siècle, l'opposition des villes voisines
porta surtout sur les entraves d'ordre fiscal que leurs marchands
rencontraient à Gand’°), mais en même temps un certain reläche-
ment s'étant produit, les échevins jugerent bon de republier les
dispositions réglant l'étape et d’en imposer l'observation‘). Des
mesures de contrôle plus sévères furent également prises.
1) Ordonnance du 8 Octobre 1587, Archives de Gand, série 110bis, n° ],
f. 51.
2) Apostille à la requête du magistrat de Gand, 25 Février 1589, ibidem,
f. 52 vo.
8) Voir plus haut, p. 449.
4) Ordonnance de 1625, republiée en 1635, 1639, 1640 et 1641. Archives.
de Gand, série 110bis, n° 1, f. 95.
458 G. Bigwood
Cette reglementation communale sous couleur de regir le
marché et non l'étape, diminuait les avantages concedes en 1587
aux marchands. Ceux-ci protesterent et finirent par obtenir du
roi un édit en date du 16 Mai 1673!) consacrant et étendant
les principes qui avaient triomphé au siècle précédent. Cet édit
fut confirmé et précisé par le règlement du 18 Avril 1674 lequel
contient le dernier état du droit sur la matière ?).
Etaient exempts de l'étape: a) les grains étrangers*) qui
depuis leur entrée dans les Pays-Bas n'avaient pas été vendus
à des marchands ou n’avaient pas changé de mains; — b) les
grains destinés à l’approvisionnement des villes et communautés,
ou même des particuliers, mais avec obligation de faire constater
par actes des magistrats compétents que ces grains étaient pro-
duits par leur terres ou étaient achetés sur leur ordre et avec
leurs deniers; — c) les grains qui ayant déjà passé par Gand
y repassaient pour y être vendus ou pour être reexpédiés dans
une autre province.
Les marchands continuaient à avoir l'option de laisser la
quote sujette à l'étape dans les greniers publics ou de la vendre
immédiatement en ville; le grain consigné pouvait être acheté
par les bourgeois, les boulangers et les brasseurs, mais les
marchands ne pouvaient en acheter qu’à l'expiration du délai de
trois semaines. Même avant de consigner, comme après l'avoir
fait, les marchands et facteurs pouvaient vendre aux garnisons
du roi et les gardes de l’étape étaient tenus de délivrer des
laisser passer, sur l'attestation du proviseur général ou de son
délégué.
Le marchand qui a, à Gand, dans un grenier du blé (seigle
ou froment) affranchi et qui en a également à faire entrer en
1) Archives de Gand, série 110bis, n° 1, f. 107 et série 147bis, n° 5,
f. 124; analysé par GAILLARD, loc. cit.
2) Du Bois et d’HonDT, Coutumes de Gand, II, p. 594.
3) On entendait par grain étranger, celui qui provient «d’en dehors des
dix-sept provinces«, mais en cas d’une cherté telle que le seigle au marché os
à la Lys, venait à valoir plus de sept florins le sac de Gand (1 h 06,64 I), afin
d'engager les marchands à amener des grains, le mot étranger signifiait «d’es
dehors de l’obéissance de S. M.»
Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV* au XVIII° 8. 459
ville, peut, mais une seule fois, acquitter la quote non franche
de ce dernier à l’aide du premier, en tenant compte bien entendu
de leur valeur respective. De même, il peut disposer, pour
l'expédition, de blé consigné, en le remplaçant au préalable par
de l’autre. Enfin après trois semaines de consignation, les grains
peuvent être vendus librement pour l’usage et la consommation
des provinces, pays et villes de l’obeissance de sa Majesté.
Cependant cette dernière liberté était soumise à une restriction:
en cas de disette, le magistrat ou les habitants, pour leur
consommation personnelle pouvaient reprendre pour le tout, la
partie de grain ainsi vendue; ils pouvaient «aussi la reprendre
pour une part, toutes les fois que dans le surplus ou restant de
la partie vendue, il reste encore une quantité telle que le batelier
(qui avait antérieurement accepté toute la partie) puisse, sans
attendre et convenablement faire le voyage avec le dit restant et
surplus, sans dommage ou sans réclamer plus haut frêt à cause
que la partie n’est plus intacte; le tout aux prix et conditions
que le susdit grain a été vendu». Il suffisait à l'acheteur pour
bénéficier de cette disposition de faire connaître son achat aux
gardes de l'étape, et le retrait devait être exécuté sans retard.
L'étape tomba de plus en plus en désuétude et Charles VII
put dire dans son édit du 6 Novembre 1734 réglementant la
police et l’administration de la ville de Gand que «comme les
deux offices nommés stapelheeren sont à présent inutiles et à la
charge de la ville, il les avait supprimés» ').
CONCLUSIONS.
L’etude des diverses institutions gantoises, que l’on vient de
lire, révèle de la part du magistrat urbain et des marchands une
politique méthodique et suivie, dont le but était clairement indiqué.
Contraindre tous les exportateurs de blés de la Flandre ou
des pays qui devaient emprunter ce comté pour atteindre la mer,
1) Du Bois et d'HONDT, Cout. de la ville de Gand, II, p. 640, art. 76.
C’est à cette date également que s'arrêtent les registres des gardes de l’étape
conservés aux Archives de Gand. Il faut cependant observer que l'édition
de 1765 des Costumen ende weiten der stadt Gendt, renferme encore les
édits du siècle précédent relatifs à l’&tape.
460 G. Bigwood
à transiter par Gand, obtenir pour ses bateliers un monopole de
transport qui assurait la prospérité de son industrie bateliere,
enfin prélever sur ce blé amené chez lui de force, presque
nécessairement par ses propres bateliers, une quotité considérable
et la jeter au moment jugé opportun sur son marché, telle fut, en
son ensemble, la politique de Gand depuis le XIV* siècle.
La mesure dans laquelle ces divers points de son programme
furent successivement réalisés ou contrecarrés, vient d’être exposée
dans ces quelques pages. Il n’est pas douteux que dans son
ensemble cette politique, imposée à Gand par la force des choses
a réussi à faire, de cette ville, un centre important du commerce
des bles et à alimenter avantageusement le marché d’une grande
ville consommant beaucoup, à une époque où un fléchissement
même minime dans la récolte locale suffisait pour amener des
crises intenses et de vraies famines.
Si au point de vue gantois donc, les résultats de cette regle-
mentation si étroitement égoïste, ont été heureux, il est néanmoins
certain qu'elle était dirigée contre l’intérêt du reste du pays de
Flandre et des principautés voisines. C’est grâce au partieu-
larisme local si vivace au Moyen Age qu'elle a pu se former et
se faire temporairement accepter. Avec l'unification et la centra-
lisation pareilles institutions locales, en désaccord avec les vues
plus larges et plus générales du gouvernement central, ne pouvaient
manquer d’être attaquées, battues en brêche et finalement sup-
primées.
Institutions à raison d’être et à tendance essentiellement
économiques, triomphant grâce au particularisme local, le transit
obligatoire, la rupture de charge et l'étape nous apparaissent
avec tous les caractères des phénomènes sociaux de leur époque
et du pays où ils se sont produits.
Hansische Handelsgesellschaften,
vornehmlich des 14 Jahrhunderts.
Von
F. Keutgen (Jena).
(Fortsetzung von Seite 324.)
Inhalt: Das 14. Jahrhundert S. 461. — Idee eines allgemeinen Rück-
gangs S. 462. — Bedeutung der Handelsgesellschaften für die Würdigung
der allgemeinen Handelszustände S. 465. — See- und Landhandelsgesell-
schaften S. 466. — Formal juristische Behandlung 8. 470. — Literatur
S. 471. — I. Das Sendeve S. 474. — Nord- und südeuropäische Gebiete
S. 474. — Accommodare und commendare 8. 476. — Drei Fälle des portare
laboratum S. 479. — Begriff des sendeve S. 480. — Sendeve und selschop
S. 481. — I. Die Gesellschaft mit einseitiger Kapitaleinlage
S. 486. — Verteilung von Gewinn und Verlust S. 487. — Unterschied
von der Commenda S. 490. — Vera societas S. 491. — III. Die Weder-
legginge S. 492. — Zweck des Darleihens der Kapitaleinlage S. 492. —
Teilungsverhältnis S. 495. — Die Gesellschaft der Söhne Geldersens 8. 500. —
IV. Gelegenheitsgesellschaft oder Gewerbsgesellschaft S. 502.
— Definitionen des deutschen Handelsgesetzbuchs 8. 503. — Der Unter-
nehmer S. 505. — Verkehrung des Verhältnisses bei den italienischen Com-
mendataren S. 507. — Kennzeichen der Gewerbsgesellschaft S. 508. — Dauer
S. 509. — Gegensatz des Sendevegeschäfts S. 512. — Unzuverlässigkeit des
Stadtbuchmaterials S. 514.
Auf den vorangehenden Blättern habe ich den Weg zu bahnen
gesucht, um zu einem Verständnis unserer besonderen Aufgabe
zu gelangen. Diese ihrerseits würde vielleicht nicht erhebliche
Bedeutung zu besitzen scheinen — da es sich bei ihr vielfach
um formale Fragen handelt — wenn nicht schon ihre Betrach-
tung wiederum dienlich wäre zur Erkenntnis der allgemeinen
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. ‘8
462 F. Keutgen
Handelszustände des wichtigen 14. Jahrhunderts. Das 14. Jahr-
hundert bedeutet auch für die Handelsgeschichte den Übergang
zwischen zwei an Neuschöpfungen ungemein reichen Epochen: den
13. und dem ausgehenden 15. Jahrhundert. Ohne genaue Kennt-
nis des 14. Jahrhunderts treten die Neuerungen am Schlusse des
15. zu unvermittelt auf. Über das 13. Jahrhundert dagegen, nament-
lich seine erste Hälfte, die eigentlich schöpferische Periode, und
den Schluss des 12. — denn die Jahrhunderte sind ja nicht
durch Zauberstriche voneinander getrennt — fliessen die Licht-
quellen zu spärlich, als daß wir ohne Rückschlüsse von dem,
was uns in dem heller beleuchteten und vordem in die Welt
Gesetztes voller ausgestaltenden 14. Jahrhundert entgegentritt,
den damaligen Zustand recht erkennen könnten.
In dem 12. und 13. Jahrhundert, die nach außen so glänzend
sich in der Stauferzeit darstellen, haben wir, wie auf anderen,
so auch auf dem wirtschaftlichen Gebiet eine Epoche äußerster
Tätigkeit und kräftigsten Aufschwungs. Ich habe bereits an
anderer Stelle betont, daß die einengenden Bestrebungen,
die das ausgebildete Zunftwesen bestimmten — das man ge-
wöhnlich für das „Mittelalter“ für so charakteristisch hält —,
erst nachdem zur Geltung gekommen sind und zu dem Zu-
stande geführt haben, auf dem BücHErs Anschauung von der
geschlossenen Stadtwirtschaft beruht!). Indessen muß man sich
doch auch hüten, nun in dieser Richtung zu weit zu gehen, wie
neuerdings Gefahr droht. Beispielsweise, wenn wirklich in einigen
auch der größeren Städte schon seit Mitte oder Ende des
14. Jahrhunderts wirtschaftlicher Stillstand zu einem Bevôlkerungs-
rückgang geführt haben sollte, wie es nach FLAmMs Unter-
suchungen über Freiburg i. B. scheint, und wie der Genannte
mindestens auch für Frankfurt a. M. annimmt, so kann ein
auf das Allgemeine gerichteter Blick uns auch diesmal -nur
warnen vor zu weiten, einseitigen Folgerungen?). Haben doch
1) Ämter und Zünfte S. 247 ff., S. 199.
2) FLAMM, Der wirtschaftliche Niedergang Freiburgs i. Br. und die
Lage des städtischen Grundeigentums im 14. und 15. Jahrhundert, ein Bei-
trag zur Geschichte der geschlossenen Stadtwirtschaft. Karlsruhe 1906. Dazu
meine Besprechung in dieser Zeitschrift, Bd. IV. S. 388 ff.
Hansische Handelsgesellschaften. 463
andere ortsgeschichtliche Forschungen, wie die Schuks über
Emmerich, erwiesen, dass sogar eine so kleine Stadt während
des ganzen 15. Jahrhunderts noch Ziel einer nicht zu unter-
schätzenden Einwanderung, auch von Handwerkern, gewesen
ist'). Aber selbst, was Freiburg betrifft, so bedeutet der
Vertrag, den die Stadt am 30. März 1368 mit dem Markgrafen
von Hachberg und andern Herren der Nachbarschaft schloß, doch
keineswegs einen „Verzicht, Ziel der landflüchtigen Bevölkerung
des ganzen Breisgaus zu sein“, und noch weniger einen frei-
willigen. Nur die Eigenleute darf sie nach diesem Friedens-
werk nicht mehr zu Bürgern aufnehmen, und die Pfahlbürger
soll sie aus dem Burgrecht entlassen?). Kurz, hier ist ein.
1) C. SCHUÉ, Einwanderung in Emmerich, vornehmlich im 15. Jahr-
hundert. In der Festgabe für HEINRICH FINKE zum 7. August 1904. Von
1427—1500 haben dort 1109 Aufnahmen zu Bürgerrecht stattgefunden, in
dem Dezennium 1471—1480 nicht weniger als 234, 1491—1500 228. ScHuk
hält es für möglich, daß namentlich gegen Schluß der Periode die Liste
auch einige Namen von Bürgersöhnen enthält, aber groß ist dieser Faktor
keinenfalls und auch das starke Abflauen der Zahl der Aufgenommenen zu
Kriegszeiten spricht dagegen. Außerdem ist noch mit solchen Einwanderern
zu rechnen, die nicht Bürger geworden sind. S. 512 ff. S. 505. Über die
aufgenommenen Handwerker 8. 500 ff.
2) SCHREIBER, Urkb. d. Stadt Freiburg, Bd.I, 8.525 ff. FLAmm,
a. a. OÖ. S.164 f. und S. 13. Erstens wird verabredet, daß Freiburg seine
Pfahlbürger entlassen und ohne Genehmigung des Herrn niemand mehr als
Pfahlbürger aufnehmen soll; denn nur von diesen ist in der ersten Bestim-
mung die Rede; 2. sollen alle augenblicklichen Pfahlbürger binnen 2 Monaten
in die Stadt ziehen und Bürger bleiben dürfen; 3. „Were ouch daz ieman
sust der unsern oder deheins under uns oder unserer erben lüte, ez were
nu oder hienach, gein Friburg, gein Brisach oder gein Nüwenburg in
der stette eine ziehen wolte und da sessehaft bliben, ane unser eigen-
lüte, dem sollent wir... es ouch nit weren... .“; 4. sollen die Frei-
burger auch niemand hindern fortzuziehen „und sollent in ouch dez weder
an sime libe noch an sime guot nit sumen noch irren, ane geverde“. Die
Freiburger aber hatten am Tage vorher — mit „geverde“, muß man doch
wohl sagen -- den Abziehenden eine recht hohe Steuer auferlegt, nämlich
ein zwanzigfaches „gewerf“‘ und, sofern sie Bürger, nicht bloße „seldener
und gesessen lüte“ waren, noch 1 ® -$ außerdem. SCHREIBER, 8. 511. In-
sofern hat Flamın Recht, daß die beiden Handlungen in Zusammenhang
stehen. Allein der Zweck der Maßregel war nicht die Erschließung einer
neuen Einnahmequelle, — denn um die einträglich zu machen, hätte Freiburg
464 F. Keutgen
Punkt, von dessen weiterer Untersuchung noch wertvolle Er-
gebnisse zu erwarten stehen. Wird man also keineswegs geneigt
sein, in der Handelsbewegung auch der eigentlich handel-
treibenden Gegenden, vor allem der Seestädte, einen Stillstand
anzunehmen, weil Freiburg im Breisgau im Jahre 1369 zum
Schutzzoll überging, nachdem es sich im Jahre zuvor bei seiner
Übergabe an Österreich die Möglichkeit dazu gesichert hatte!)
so ist es doch andererseits auch unter dem Gesichtswinkel der
Frammschen Forschungen klar, daß das 14. Jahrhundert einen
Höhepunkt gebildet hat: von dem aus jedoch, während die
Schwachen sanken, die Starken sich zu weiteren Höhen auf-
schwangen, und daß man nicht einfach, an den Taten der
Fugger und Welser messend, es verächtlich übergehen darf.
Will man dem Handel jener Zeit gerecht werden, das ergaben
unsere einleitenden Darlegungen?), so wird man sich von ver-
sich ja entvölkern müssen, — sondern den Abzug zu verhindern. Die Ab-
sicht der Stadt ging also durchaus nicht darauf, die Einwohnerzahl einzu-
schränken. Ganz im Gegenteil, sie wollte möglichst viele Steuerzahler be
halten. Und wenn sie in dem Vertrage mit den Herren auf ihre Pfahlbürger
und auf die Zuwendung von Eigenleuten verzichtete, so sind dafür nicht
mit FLAMM bevölkerungspolitische Gründe zu suchen, sondern es war eine
ihr von den Herren auferlegte Friedensbedingung, zu der sie sich wider
Willen bequemen mußte. Die Aufhebung der Abzugssteuer — nach einer
Verminderung auf zehn Gewerft — im Jahr 1446 (SCHREIBER II, 8. 421 f.)
geschah denn auch nicht, weil „die Reichen und Edeln sich in ihrer Be-
wegungsfreiheit nicht hindern ließen und andererseits immer mehr Arme in
der Stadt zurückblieben“, wie FLAMM 8.13 sagt, sondern weil die Lente
sich wegen der Steuer scheuten, nach Freiburg zu ziehen. Von Widerwillen
der Zünfte gegen die bisherige Freizügigkeit ist also bei der Sache nicht
die Rede.
1) FLAMM, a.a. O., S.63. SCHREIBER Urkb. I, S. 541 (der neue Zoll-
tarif, S. 549 ff.): den Bürgern wird bestätigt, daß sie die Gewalt ihre Zölle
zu mindern und zu mehren „mit guoter gewonheit und besunderer friheit
herbracht habent“. Eine erste Erhöhung der alten Zölle des Rotels hatte
1355 stattgefunden (FLAMM, S. 62). Es ist mit jener Behauptung aber ein
Wink gegeben für die Beurteilung der von WELTI aufgeworfenen Frage, wie
lange ein Zolltarif sich unverändert erhalten konnte. Wie, wenn die Bürger
ursprünglich zu jeder Veränderung der Genehmigung des Stadtherrn be-
durften, es aber in dessen, d.h. seiner ländlichen Untertanen Vorteil lag,
daß die Zölle niedrig blieben ? Vgl. oben S. 384 Anm. 2.
2) Oben, besonders 8.283 f. Bei Aufzählung von Besprechungen des
Hansische Handelsgesellschaften. 465
schiedenem freimachen müssen. Es hatte sich gezeigt, daß, ver-
glichen etwa mit den Jahreseinnahmen einer damaligen Groß-
macht, der hansische Handel in der zweiten Hälfte des 14. Jahr-
hunderts bedeutender war als selbst der heutige. Und, wohl
bemerkt Einfuhr und Ausfuhr über See, nicht Verkäufe und
Einkäufe der Bauern auf dem Wochenmarkt der Kreisstadt.
Ferner, so wahnhaft der Glaube an zahlreiche Großhändler in
allen deutschen Städten, zumal schon in der Gründungsepoche,
gewesen war, so durfte diese wichtige Feststellung doch auch
nicht in der Folge dazu verleiten, die zahlreichen Händler, die
den Warenaustausch von Stadt zu Stadt oder gar von Land
zu Land vermittelten, als philisterhafte Krämer zu denken, neben
denen etwa nur einzelne Grundbesitzer und Rentenbezieher ge-
legentlich einmal ein Geschäft größeren Stils bätten unternehmen
lassen.
Was aber nunmehr die Handelsgesellschaften betrifft,
so ergibt die Wesentlichkeit ihrer richtigen Würdigung für das
Verständnis der damaligen Handelszustände schon der Umstand,
daß umgekehrt ein gründliches Mißverstehen ihres Charakters
SOMBART zur Stütze seiner verkehrten Auffassung vom Wesen
des Handels jener Zeit hat dienen können. |
Mit vollem Recht zwar bemerkt dieser Forscher!): „Das
Gesellschaftsrecht und seine Entwicklung vor allem
gestattet uns tiefe Einblicke in den Artcharakter
des Handels quo ante“. Durchaus im Irrtum aber befindet
er sich, wenn er fortfährt: „Es ist bekannt, wie mühsam sich
die Vorstellung eines quotenmäßigen Anteils der einzelnen Ge-
nossen an Kosten und Gewinn herausbildet“. Nichts könnte
deutlicher seine Verkennung der Anschauungen beleuchten, die
lange vor dem von ihm angenommenen Zeitpunkt der Geburt
des „spiritus capitalisticus* den Handel beherrschten.
SOMBARTschen Buches wären noch die Bemerkungen von B. HARMS in seinem
Aufsatz „Darstellung und Kritik der Wirtschafts- und Betriebssystematik
im SOMBARTschen „Kapitalismus“ (SCHMOLLERs, Jahrbuch, N. F. 29) S. 1414 ff.
anzuführen gewesen, wo er das Vorhandensein eines „stark ausgeprägten
Erwerbstriebes‘ in den älteren deutschen Städten betont.
1) Der moderne Kapitalismus. Bd. I, 8. 181.
466 F. Keutgen
„Die... familienhaften Vereinigungen“, die „nur eine gemein-
same Kasse“ kennen, „aus der die einzelnen Teilhaber je nach
ihrem persönlichen Bedarf ihren Unterhalt bestreiten“, — die
SOMBART zu der Frage Anlaß geben: „Läßt sich das Prinzip
der Bedarfsdeckung als Zweck wirtschaftlicher Tätigkeit
schroffer vertreten denken als in dieser alten Anschauungsweise
von gemeinsamem Nutzen und gemeinsamer Unterhaltung?“ —
sie sind ja durchaus nicht schlechthin typisch für die älteren
Handelsgesellschaften.
An sich schon gilt WEBERs Schilderung, auf die SOMBART
sich hier beruft, allein dem Zustande der ursprünglichen Haus
gemeinschaft, dem Ausgangspunkt, der aber schon sehr früh,
z. B. durch die Lex Rothari, verlassen worden ist‘). Anderer-
seits sind ja gerade die größten, auch von SOMBART als kapits-
listisch anerkannten Handelsgesellschaften, die der Fugger und
viele andere, eben aus solchen familienrechtlichen Gemeinschaften
hervorgegangen.
Doch trifft das alles nur eine minder wichtige Seite. Denn
die Hauptsache ist: Jene aus Familienwirtschaften hervor-
gegangenen stellen nur eine besondere Art der älteren Handels-
gesellschaften dar, und zwar, trotz Fugger und Welser, keines
wegs die handelsgeschichtlich unbedingt wichtigste Art.
Gerade SoMBArRTs Gewährsmann, WEBER, unterscheidet ein-
dringend von jenen familienwirtschaftlichen Gesellschaften, die
wesentlich binnenländischen Ursprungs sind und dem Landhandel
dienen, die von vornherein auf freier Vereinbarung beruhenden
Gesellschaften für den Seehandel?). Seine ganze Darstellung
baut sich auf dieser Zweiteilung auf. Auch SOMBART ist die
zweite Klasse natürlich wohlbekannt. Allein durch die angegebene
Art, wie er den Abschnitt über das Gesellschaftsrecht einleitet,
tut er das Mögliche, den Unterschied zu verwischen: muß doch
die so weite Verbreitung der freibegründeten Gesellschaften allein
1) Max WEBER, Zur Geschichte der Handelsgesellschaften im Mittelalter.
Nach südeuropäischen Quellen (1889). III. Die Familien- und Arbeitsgemein-
schaften, S. 44 ff.
2) WEBER, a. a. O., II. Die seehandelsrechtlichen Sozietäten, 8. 15 ff.
Hansische Handelsgesellschaften. 467
schon alles entkräften, was er durch die angeführten Worte hat
sagen wollen.
Wir haben es nach unserem Thema natürlich nur mit den
Seehandelsgesellschaften zu tun, müssen uns jedoch
auch da zunächst mit SomBArTs Bemühungen abfinden, selbst
diese ihres kapitalistischen Charakters zu entkleiden. Gerade in
der Commenda, der südeuropäischen Urform, erblickt er nämlich
„recht eigentlich die Betätigung [Bestätigung?] für den durch
und durch handwerksmäßigen Charakter jener Zeit“, und warum?
Weil „sie die vollständige Trennung zwischen Geldbesitzer und
Händler zum deutlichen Ausdruck bringt“. Weil angeblich „der
Geldbesitzer steht noch außer jedem Konnex mit der
Handelstätigkeit selbst, die vielmehr ausschließlich Sache eines
technischen Arbeiters ist“. Weil angeblich „das zur Verwertung
überwiesene Geld hat noch nicht im geringsten den Charakter
des Kapitals angenommen, sondern ist nichts anderes als Betriebs-
fonds !).“
Diese Darstellung der Verhältnisse der Commenda ist jedoch
falsch. SOMBART bezieht sich auf LAsTiG, nach dem die Com-
menda „ein Arbeitsverhältnis“ ist; „der Kapitalist, Accomendant,
zieht eine andere Person (Arbeiter), Accomendatarius, in seine
Dienste, damit diese mit einem ihr übergebenen Kapital für
seine (des Kapitalisten) Rechnung aber in eigenem (des Arbeiters)
Namen gegen Anteil am Gewinn Handelsgeschäfte treibe“ ?).
„Der Comandatarius oder Komplementar steht einfach im Dienste
des Comandor oder Accomendans“ u. 8. w.°). Allein wenn
LASTIG, wie SOMBART selbst zugibt, diese Definition in dem
SOMBART entgegengesetzten Sinne aufgefaßt haben will, nämlich
in dem der Commenda als einer Form des kapitalistischen
Handels, so tut er das mit gutem Grund.
SOMBART scheint LasriGs Ausführungen so verstanden zu
haben, als handelte es sich bei der Commenda um ein Ver-
hältnis analog dem Falle des römischen Rechts, wo ein Herr
1) SOMBART, a. a O., Bd. I, S. 181 f.
2) LasriG, Beiträge zur Geschichte des Handelsrechts. GOLDSCHMIDTS
Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht, Bd. 24, S. 400.
3) LASTIG, a. a. O., S. 414.
468 F. Keutgen
dem Sklaven ein „peculium“ eingeräumt hat, um damit selb-
ständig ein Gewerbe zu betreiben, von dem der Herr sich einen Teil
des Gewinnes vorbehält!.,. Dann könnte man in der Tat von
der Überweisung eines „Betriebsfonds“ als unterschieden von der
Hingabe eines Kapitals reden. Allein SomBART übersieht, daß
nach LasTiGs Auffassung — ein für alles weitere maßgebender
Punkt — der Commendans Unternehmer bleibt, nicht, wie
es nach SOMBARTS Deutung sein würde, der Commendatar: und
damit fällt seine ganze Charakterisierung. Eben deshalb nennt
LasTiG ja auch die Commenda eine Arbeitsgesellschaft?).
Wenn LasriG gleichwohl die Arbeitsleistung des Commendatars
so stark hervorhebt, so geschieht das, weil dieser Teilhaber nur
Arbeit tut; es geschieht, um dieses Verhältnis scharf zu scheiden
von anderen, wo er außer Arbeit auch Kapital einschießt. Es
handelt sich also um die Abgrenzung gegenüber anderen Formen
der Gesellschaft. Außerdem aber liegt LASTIG daran, die eigent-
liche Commenda, die allein so heißen sollte, zu trennen von dem
formal gleichen, aber materiell verschiedenen Verhältnis, dem in
der Folge jener Name ebenfalls beigelegt worden ist, — dem
Verhältnis nämlich, wo ein bloßer Kapitalist sein Geld in dem
Geschäft eines anderen anlegt, ihm Geld gegen einen Anteil am
Gewinn leiht, „accommodat“, ohne Einfluß auf seine Unter-
1) Vgl. Soum, Institutionen des römischen Privatrechts, $ 88 (8. bis
10. Aufl.).
2) LasTiG, S. 409 f. „einseitige Arbeitsgesellschaft, d. h.
folgendes Rechtsverhältnis: Jemand (A), der ein Unternehmen be-
ginnen will, auch bereit ist, das erforderliche Kapital und seine
Arbeitskraft darauf zu verwenden, bedarf noch der unterstützenden.
oder auch ersetzenden Tätigkeit einer andern Person und zieht eine solche
(B) deshalb für das Unternehmen heran.“ Dies kann durch Dienstmiete ge
schehen. „Dagegen liegt... ., wenn dem B für seine Dienste statt eimes
festen Äquivalentes in Geld ein Anteil an dem durch Mithilfe seiner Arbeit
erzielten (feschäftsgewinn eingeräumt wird, keine . . . Dienstmiete, sondern
eine societas, eine Gesellschaft, und zwar eine einseitige Arbeitsgesellschaft
vor. B ist dem Unternehmer A“ u. s. w. — Eine sehr wesentliche Arbeits-
beteiligung des Kapitalisten zeigt sich z. B., wenn, wiè häufig, dieser die zu
verhandelnden Waren an den in der Ferne weilenden Commendatar sendet,
also auch Einkauf, Verpackung, Verschiffung besorgt, — ein Fall, der Sov-
BAkRT natürlich auch bekannt ist.
Hansische Handelsgesellschaften. | 469
nehmungen auszuüben, — wie in dem früher angeführten Falle
der heiligen Juetta').
Außer alledem aber findet sich ebenso früh in den Quellen
auch die Gesellschaft mit Kapitaleinlage von beiden Seiten,
die „societas maris“? Auf „die Höhe der Summen“
1) LASTIG, a. a. O., S. 416: „Das volle Gegenstück der einseitigen Arbeits-
gesellschaft bildet die einseitige Kapitalgesellschaft; so darf man m. E.
dasjenige Rechtsverhältnis bezeichnen, in welchem jemand behufs Anlage
in seinem Unternehmen sich von einer andern Person Kapital, Geld oder
andere Sachen verschafft, unter der Verpflichtung der Rückgabe und Ein-
räumung eines Anteils am Ertrage statt fester Zinsen.“ „Unternehmer, Ge-
schäftsherr, Firmeninhaber in der einseitigen Kapitalgesellschaft ist der Kapi-
talempfänger“. LAsTiG bezeichnet diese Form als Participatio, Stille (Kapital)
Gesellschaft (vgl. auch LasrtıGs Habilitationsschrift „Die stille Gesellschaft“,
Halle 1871, S. 81%, Weiter, S. 422 f.: „Wie wenig man juristisch völlig
heterogene Verhältnisse auseinanderzuhalten bemüht war, erhellt sehr deut-
lich aus der Subsumtion auch der Comanda oder Accomenda unter die Parti-
cipatio. ... Während die Hingabe von Kapital durch den Comandor . .
an den Comandatar nur unabweisliches Mittel zum Zweck ist, fanden nicht
Wenige darin die causa principalis und fühlten sich veranlaßt, in der
Comanda oder Accomenda ein Kapitalgeschäft, eine Participatio zu sehen“.
Vgl. wegen der Bedeutung der Unterscheidung noch unten S. 476f. Wegen
der H. Juetta oben S. 801f. LasriG führt übrigens aus italienischen Quellen
des 13. und 14. Jahrhunderts Belege dafür an, daß dort die Anlage von
Mündel- und Witwenvermögen in dieser Weise sogar Gegenstand gesetzlicher
Vorschriften war. 8.419 f.
2) SILBERSCHMIDT, Die Commenda in ihrer frühesten Entwicklung bis
zum XIII. Jahrhundert (1884), S. 30 f.: „in der Zeit, aus welcher uns die
ersten Quellen der Commenda erhalten sind, finden wir bereits die beiden
Formen neben einander“. WEBER, 8.8.0. S. 22: „Soweit rückwärts uns
die Kommenda bezeugt ist, ebensoweit auch diese Sozietät“. Darüber, welche
Form man an sich als die ältere betrachten will, kann man übrigens sehr
verschiedener Meinung sein! Man kann mit SILBERSCHMIDT und WEBER
den Fortschritt in der Weise vor sich gehen lassen, daß man von einem
Selbständigerwerden des Kommendatars spricht, der anfangs nicht, später
aber wohl mit Kapital beteiligt war: das scheint eine logische Weiter-
entwicklung, und aus der hansischen Geschichte werden wir wirkliche Bei-
spiele der Art kennen lernen. Es ist aber ebensogut möglich, daß zuerst
nur gleichberechtigte Kaufleute Geld und Arbeit zusammentaten, ehe man
den Versuch mit einem abhängigen machte: wie denn für den Norden
PAPrPENHEM die eigentliche societas, hier fèlag genannt, sogar für allein
alteinheimisch halten möchte. Vgl. unten S. 478. In Wahrheit wird, wie
470 F. Keutgen
kann es dabei unmöglich ankommen: es kann nicht einen be-
stimmten Betrag geben, von dem an das Geld „Kapitalseigen-
schaft“ „annimmt“; nur auf die Art der Verwertung kommt es
an. Ein bloßer Scheingrund SOMBARTs endlich ist es, daß „in
der bloßen Tatsache des Vorwiegens gesellschait-
lich betriebener Handelsunternehmungen der aller
beste Beweis für deren Handwerkshaftigkeit gelegen“ sei’):
also auch mit der zunehmenden Verbreitung der Aktiengesell-
schaften würde der Handel immer ‘handwerksmäfiger ?
Doch wir gehen zur Sache über.
Es kommt darauf an, das Wesen der im Bereich der
deutschen Hanse gewöhnlich abgeschlossenen Haı-
delsgesellschaften zu erkennen: wir hoffen daraus
Schlüsse ziehen zu können einmal auf die Bedeutung des
Handels selbst, dann auf die Selbständigkeit der
deutschen Rechtsbildung in dieser Materie.
Gewiß ist es ein Schade, wie auch SomBArT bemerkt, daß
die Literatur über die älteren Handelsgesellschaften fast aus
schließlich von juristischen Gesichtspunkten beherrscht ist. Denn
die juristischen Bearbeiter haben, mehr als gut war, die
ihnen geläufigen, d. h. modernrechtliche und in geringerem
Maße römische Kategorien zur Bestimmung herangezogen.
Freilich ist das an sich nicht zu verwerfen: im Gegenteil, ein
Vergleich mit dem heutigen Recht und seinen begrifflich scharf
durchdachten Definitionen ist wohlgeeignet, zur Klärung _ bei-
zutragen und kann deshalb geradezu als methodisch notwendig
bezeichnet werden. Allein man hat sich nicht immer genügend
vor Augen gehalten, daß das Recht nicht ein bloß in sich be-
ruhender und vollendeter Gedankenbau sein soll und kann, und
daß deshalb die älteren Formen des Gesellschaftsrechts nicht
nötig in die jetzt als erschöpfend angenommenen Kategorien
hineinzupassen brauchen. Die Geschichte und auch die Wirt-
schaftsgeschichte schafft, all unserer begrifflichen Schärfe zum
Trotz, stets neue und immer wieder neue Gestaltungen. Ein
— nn een
in so manchem analogen Fall, absolute Priorität keiner der beiden Möglich-
keiten zuzuerkennen sein.
1) SOMBART, a. a. O., S. 182, 183.
Hansische Handelsgesellschaften. 471
/
Hineinpressen alter Lebensäußerungen in moderne Formen muß
daher den historischen Sachverhalt verdunkeln \).
Eine ganz ähnliche Schwierigkeit ergibt sich daraus, daß die
wissenschaftliche Untersuchung ausgegangen ist von den süd-
europäischen, vornehmlich den italienischen Gesell-
schaften: begreiflich wegen ihres reicheren und älteren Quellen-
materials. Auch da hat die Neigung bestanden, die für Süd-
europa gewonnenen Ergebnisse unbesehen auf die deutschen
Verhältnisse zu übertragen. In den Grundzügen waren diese
bei ähnlichen Voraussetzungen allerdings ähnlich. Allein es
werden sich doch ganz erhebliche Unterschiede ergeben ?).
Der Weg, der uns vorgezeichnet ist, wäre also der, die
Arten der deutschen Seehandelsgesellschaften, soweit es das er-
reichbare Material zuläßt, bloß aus den deutschen Quellen zu
erschließen, die italienischen aber nur, soweit ersprießlich, zum
Vergleich heranzuziehen.
Unter den bisherigen Untersuchungen tiber die Hansischen Handels-
gesellschaften ist an erster Stelle zu nennen der Aufsatz von PAUL
REHME „Die Lübecker Handelsgesellschaften in der ersten Hälfte des
14. Jahrhunderts“, erschienen in GOLDSCHMIDTS Zeitschrift für das
gesamte Handelsrecht, Bd. 42 (1894). Er bildet dank dem von seinem
Verfasser zugänglich gemachten Quellenstoff den Ausgangspunkt für
die neueren Forschungen. Älter sind u. a. die Abhandlung von
C. W. Pau: im I. und III. Bande seiner Lübeckischen Zustände im
Mittelalter (1847 und 1878); ferner F. G. A. SCHMDT, Handelsgesell-
schaften in den deutschen Stadtrechtsquellen des Mittelalters (GIERKES
Untersuchungen, Bd. XV, 1883); und Koppmanns Ausführungen in
1) LasriG, a. a. O., S. 388, macht ENDEMANN (Studien in der Romanisch-
kanonistischen Wirtschafts- und Rechtslehre) den Vorwurf, daß er „rein
wirtschaftliche Begriffe und Konstruktionen in das Gebiet des Rechts, bez.
der Rechtswissenschaft übertrüge“. Das wird durch meine Bemerkungen
natürlich nicht berührt, da selbstredend jede Wissenschaft ihr eigenes Be-
griffssystem besitzt und pflegen muß.
2) Mit großem Recht hat GEFFCKEN einmal bei Besprechung von BRIES
„Lehre vom Gewohnheitsrecht“ auf die Notwendigkeit hingewiesen, „anstatt
das deutsche Recht am fertigen Maßstab der fremdrechtlichen Theorie zu
messen, dasselbe unbefangen und ohne römischrechtliche Voraussetzungen
als etwas Selbständiges“ zu prüfen. Hist. Vierteljahrsschrift, Bd. VII (1904)
S. 251.
472 F. Keutgen
seiner Ausgabe von JOHANN TÔLNERS Handlungsbuch von 1345 — 1350
(Geschichtsquellen der Stadt Rostock, Bd. I, 1885). Auch die Arbeiten
von PAPPENHEIM über „Altnordische Handelsgesellschaften“ in GoLn-
SCHMIDTS Zeitschrift Bd. XXXVI (1889); von LEPA „Über den Ursprung
des Kommissionshandels“, GOLDSCHMmTs Zeitschrift, Bd. XXYI
(1881); und von LEVm, Über das Kommissionsgeschäft im Hanss-
gobiete, Berliner juristische Dissertation (1887), gehören hierher. Der
Abschnitt in SCHMOLLERS Abhandlung über „Die geschichtliche Ent-
wickelung der Unternehmung; XII, die Handelsgesellschaften des
Mittelalters und der Renaissancezeit“ (Jahrbuch f. Gesetzgebung, N. F,
Bd. XVII 1893) ist mehr nur zusammenfassend. Seit dem Aufsatz von
REHME dagegen sind erschienen: einmal, wiederum das Material be-
reichernd, die Veröffentlichungen der Handlungsbücher des Han-
burgers VIicKO VON GELDERSEN durch NIRBNHEIM (1895) und der
Lübecker HERMANN und JOHANN WITTENBORG durch MoLLwo (1901;;
sodann eine ausführliche Rezension des letztgenannten Buches durch
den Altmeister Hansischer Geschichte KArL KOPPMANN, Hansische Ge
schichtsblätter, Heft XXVIII (Jahrgang 1900) und endlich eine scharf-
sinnige Abhandlung von SILBERSCHMIDT, dem gründlichen Kenner der
italienischen Commenda, betitelt „Kumpanie und Sendeve“ in dem
Archiv für Bürgerliches Recht und Handelsrecht, Bd. XXIII (1904).
Ich selbst hatte die Frage bereits vor dem Erscheinen von SILBER-
SCHMIDTS Aufsatz bei Gelegenheit meiner Untersuchungen tiber den
mittelalterlichen „Großhandel“ in Arbeit genommen, doch wuchs sie
über den damals gesteckten Rahmen hinaus!). Noch ein besonderer
Grund jedoch ließ mich den Abschluß hinausschieben.
Das neue Material, das REHME erschlossen hat, ist enthalten in
dem Lübecker „Nieder-Stadtbuch“ (liber debitorum, der stad
schuld bok), das seit ziemlich dem Anfange des 14. Jahrhunderts der
Eintragung von Mobiliarverträgen diente, im Gegensatz zu dem Immo-
biliargeschäften gewidmeten „Ober-Stadtbuch“, das REHME ebenfalls
zum Gegenstand einer Untersuchung gemacht hat?). Aus dem vie-
bändigen Nieder-Stadtbuch hatte zwar bereits C. W. PAULI den Stoff
für seine Aufsätze geschöpft; aber REHME hat zum ersten Male alle
1) Vgl. Hans. Geschichtsblätter, Jahrgang 1901 8. 118%. —
B. KUSKE, „der Kölner Fischhandel vom 14.—17. Jahrhundert“ (Westd. Z. 1905.
.S. 278) bringt einiges über Handelsgesellschaften, das an sich interessant ist,
für mich aber höchstens nach Einsicht in die Quelle selbst verwendbar sein
würde.
2) P. REHME, das Lübecker Oberstadtbuch. 1896.
Hansische Handelsgösellschaften. 473:
Eintragungen über den Abschluß von Handelsgesellschaften während
des ersten halben Jahrhunderts der Buchfthrung, von 1311—1360,
etwa 280 an Zahl erschöpfend analysiert, wobei er etwa den vierten
Teil abdruckte. Während jener Zeit sind nämlich die „Societates“
unter besonderer Rubrik eingetragen worden, nachher nicht mehr.
Gern hätte ich die „scripturae“ des N. St. B. tiber Gesellschaften für
die Jahre 1311—1360, auch soweit sie von REHME nicht im Wortlaut
mitgeteilt sind, sowie wenigstens noch die für den Rest des 14. Jahr-
hunderts eingesehen. Das um so mehr als nach PAULIs Zeugnis und den
von ihm veröffentlichten Proben aus dem 15. Jahrhundert, die späteren
Eintragungen sich inhaltlich wesentlich ausführlicher gestalten!). Ja |
schon aus den jtingeren der von REHME mitgeteilten kann man das ent-
nehmen und zugleich erkennen, daß diese Ausführlichkeit für unsere:
Einsicht in die Natur des abgeschlossenen Geschäfts gar nicht un-
wesentlich ist, wie denn in der Tat manche von den älteren äuBerst
knappen der von REHME abgedruckten „scripturae“ in dieser Hinsicht
durchaus keine gentigende Gewähr bieten. Allein die Ltibecker Be-
hörden sahen sich außerstande, meinem Wunsche, mir einige Bände
des Buches nach Jena zu schicken, nachzukommen. Mir andererseits
ist es bisher nicht möglich gewesen, einen Aufenthalt in Ltibeck zu.
nehmen. So habe ich mich entschließen miissen, von der Beibringung
erweiterten Materials abzusehen. Indessen bezeugt PAULL daß sich.
an der Natur der eingetragenen Geschäfte auch während des 15. Jahr-
hunderts nichts ändert. Hinzu kommt aber noch eins: Schon REHME:
hatte bemerkt, daß die Registrierung der Gesellschaften eine freiwillige
war. Immerhin glaubte er, daß man sich der Eintragung in das
N. St. B. beim Abschluß von Handelsgesellschaften mit Vorliebe be-
dient habe, da sie „nicht nur den Schuldschein“ ersetzte, sondern
„sogar einen unwiderleglichen Beweis“ lieferte und „außerdem den
Gläubiger zum Antrage auf sofortige Zwangsvollstreckung“ berechtigte,
REHME ging deshalb so weit, daß er jene Einrichtung einer besonderen
Rubrik der „Societates“ als ein vom Rate geführtes Handelsregister
bezeichnete?). Allein seitdem sind wir durch WITTENBORGSs Hand-
lungsbuch eines andern belehrt worden. Dieser angesehene Kaufmann
hat sich nämlich der Rubrik „Societates“ im Stadtbuch nur ein einziges
Mal bedient, als er einmal einen Gesellschaftsvertrag mit einem Manne-
abschloß, mit dem er sonst nicht in Verbindung stand®). Dagegen.
1) Lübeckische Zustände, Bd. II, S. 86.
2) GOLDSCHMIDTS Zeitschrift, Bd. 42, S. 367 und 879.
3) MoLLwo, a. a. O., S. LIT und S. 84 Nr. 71a.
474 F. Keutgen
die zahlreichen Verträge mit seinen regelmäßigen Gesellschaftern hat
er stets nur in sein privates Geschäftsbuch eingetragen. Auch auf die
Häufigkeit der verschiedenen Arten der Gesellschaften dürfen wir nicht,
wie REHME noch glaubte, aus ihrem Vorkommen im N. St. B. Schlüsse
ziehen!). Also läßt sich die entfallene Einsicht in das N. St. B. wohl
verschmerzen. Außerdem ist es ja stets ein Vorteil, wenn man sein
Beweismaterial gedruckt vorlegen kann.
I.
Das Sendeve.
Unsere erste und dauernde Aufgabe ist also, uns frei zu
halten von der Beeinflussung durch jedes anderswoher bezogene
Begriffsschema, sei es nun moderner, römischer oder italienischer
Herkunft, so nützlich es gelegentlich sein mag, namentlich die
einigermaßen wohlgefügte italienische Terminologie zum Vergleich,
zur Feststellung von Abweichungen heranzuziehen: wollen wir
die Natur der deutschen Gesellschaftsformen sicher er
kennen, so müssen wir uns zunächst ausschließlich an die
deutschen Quellen halten.
Eben in dem Verstoß gegen diese Regel erblicke ich eine
Fehlerquelle in der neuesten Arbeit über die Materie, der von
SILBERSCHMIDT: „Kumpanie und Sendeve“. Diese dient nämlich
geradezu dem Nachweis, daß die in desselben Verfassers Buche
über die Commenda „für die romanischen Länder gefundenen
drei Hauptformen des portare laboratum“, das heißt des An-
vertrauens von Waren zum Vertrieb am Bestimmungsorte, „auch
im germanischen Rechtskreise sich wiederfinden, daß sie aber
auch zur Erklärung der Quellen völlig ausreichen“ ?). Wäre
das der Fall, so dürfte es sich jedenfalls doch nur aus einer
unabhängig geführten Untersuchung zum Schluß ergeben.
SILBERSCHMIDT erklärt nun zwar die Frage, ob die germa-
nischen Gesellschaftsformen selbständig oder unter dem Einfluß
der Commenda entstanden seien, für zur Zeit ohne erhebliche
praktische Bedeutung. Recht in Widerspruch damit fährt er
1) GOLDSCHMIDTS Zeitschrift, Bd. 42, S. 374. Vgl. noch unten S. 514.
2) Kumpanie und Sendeve. Archiv für bürgerliches Recht. Bd. XXIIL
S. 4.
Hansische Handelsgesellschaften. 475
jedoch fort: „Denn in der Zeit, in welcher wir die romanischen,
germanischen und nordischen Formen jetzt nachweisen können,
besteht der gegenseitige Verkehr und damit der wechselseitige
Einfluß“ !), Und wenn er auch „die Gleichheit der für die
Ausbildung der Commenda in Betracht kommenden volkswirt-
schaftlichen Verhältnisse“ betont ?), also einen Umstand, der die
unabhängige Entstehung ähnlicher Rechtsnormen begünstigen
mußte, so geht er gleichwohl alsbald dazu über, die Beeinflussung
des Nordens durch den Süden Europas des näheren nachzu-
weisen’). Jedoch weder die Vorschriften des Großen Rates
von Venedig für die Vicedomini des dortigen Deutschen
Hauses*), noch ein Brief des Stadtrats von Avignon an die
Stadt Konstanz’), noch die von SrtieDA dargestellten Han-
sisch-venetianischen Handelsbeziehungen des 15. Jahr-
hunderts®) können für die Abhängigkeit des Gesellschaftsrechts
des Nord-Ostsee-Handelsgebiets von dem der Mittelmeerländer
— denn nur in dieser Formulierung würde ein richtiges Bild
vermittelt — etwas beweisen. Und wenn GOLDSCHMIDT „das
romanische Handelsrecht . . . in der Hauptsache auch im öst-
lichen und nördlichen Europa rezipiert“ werden läßt, so spricht
dieser im wesentlichen doch nur von etwas, das „seit dem Aus-
gang des Mittelalters“ vor sich ging ’).
Wichtiger ist, daß SILBERSCHMIDT auch den Namen „com-
menda“ schon im 13. Jahrhundert im Norden entdecken will.
1) A. a. O., S. 6.
2) À. a. O., S. 6.
3) À. a. O., S. 6 f.
4) MONE, ZGOR, Bd. V, 8.8 $ 18 und S. 11 $ 46, oder THOMAS, Capi-
tolare dei Visdomini del Fontego dei Todeschi in Venezia (1874), S. XIV 2.4
und S. XVII $ 8, a. 1268 und 1277. Bei SILBERSCHMIDT S. 6 ergänze nach
„scribi* „ordinate* und lies Z. 12 ,vicedominorum“ statt ,vicedomini“.
ö) SCHULTE, Geschichte d. mittelalterl. Handels und Verkehrs zwischen
Westdeutschland und Italien. Bd. II S. 216. (a. 1402.)
6) STIEDA, Hansisch-venetianische Handelsbeziehungen im 15. Jahrhundert
(Rostock! 1894). Dort werden Nr. 37 S. 158 in einem Briefe aus Lübeck
besprochen „schulden to Venedie van wedderlecginge, seltschopp, reken-
schoppen, copenschoppen“! SILBERSCHMIDT $. 7.
7) GOLDSCHMIDT, Vermischte Schriften Bd. II, S. 42f. SILBERSCHMIDT,
S. 7.
476 F. Keutgen
Sein einziger unmittelbarer Beleg dafür aber ist der ,Comme-
dator“ in einem Verzeichnis von Zahlungen, die im Jahr 1290 der
Lübecker Reinekin Mornewech im Auftrage seines heimatlichen
Rates in Flandern zu leisten hatte. Ein Commendator im handel»
rechtlichen Sinne kann hier indes unmöglich gemeint sein. Die
Herausgeber des Lübecker Urkundenbuchs haben denn auch ein-
fach einen „Komtur“ darunter verstanden .. Im übrigen aber.
und das wird nun zur Hauptsache, beruft SILBERSCHMIDT sich auf
das in deutschen Quellen vorkommende „accommodare“; dem
die Identität von „accomodatio und accomodare mit accomendatio
und accomendare“ glaubt er in seiner „Commenda“ nachgewiesen
zu haben.
Dies ist jedoch keineswegs zuzugestehen. Vielmehr wird
nun die schon berührte Unterscheidung dieser beiden Rechts
geschäfte durch LasTiG von Bedeutung, die zwar formal gleich,
materiell aber gewissermaßen entgegengesetzt sind. Mag deshalb
in manchen italienischen Urkunden der materielle Inhalt des mit
„accommodatio* bezeichneten Rechtsgeschäfts nicht mehr sicher
festzustellen sein, so hat doch SILBERSCHMIDT selbst in seiner
„Commenda* zugeben müssen: „freilich all die angeführten
Stellen zwingen nicht gerade zur Annahme der Identität von
commendatio und commodatio; es konnte keine Urkunde ge
funden werden, in der es direkt heißt: porto hanc commodatio-
nem“ ?),
Ausschlaggebend für uns kann jedoch natürlich nur der
Gebrauch der deutschen Urkunden sein. Da kommt ,,accommo-
dare“ als „leihen“ häufig vor”); doch nur eine Stelle ist mir
1) Urkb. der Stadt Lübeck. Bd. U Nr. 78 (a. 1290): „Commendatai
dabimus CCC marcas“. Vgl. das Register a. a. 0. 8. 1106. b. Deutschorden-
ritter.
2) SILBERSCHMIDT, Commenda, S. 98. In seinem Aufsatz „Kumpanie
und Sendeve* geschieht es ihm eben, wie manchem Verfasser, daß er giaubt,
früher etwas sicher bewiesen zu haben, was er in Wirklichkeit damals nur
in Vorschlag gebracht hatte.
3) So in der mehrfach angezogenen Stelle der Vita 8. Juettae, oben
S. 301 und 323, wo an eine eigentliche Commenda nicht zu denken ist. En
irgendwie erschöpfender Überblick läßt sich mangels eines jeden rechtr
geschichtlichen Glossars natürlich nicht verschaffen. Vgl. jedoch die in des
Hansische Handelsgesellschaften. 477
bekannt, wo es vielleicht in einem dem „commendare“ ent-
sprechenden Sinne verwandt wird: indes liegt eine solche Be-
deutungserweiterung zu nahe, als daß sie etwas beweisen würde,
auch wenn sie häufiger wäre!). Denn eben „commendare“
Register meiner Urkunden zur städtischen Verfassungsgeschichte ange-
führten Stellen. Die älteste findet sich in der Erzählung ALPERTS VON
Merz über das Treiben in Tiel Anfang des 11. Jahrhunderts: Si quis quic-
quam ab alio mutuum sive accomodatum acceperit (Urkunden Nr. 76). Dann
Trierer Recht Ende des 12. Jahrhunderte: Camerarius accomodare debet
equum magistro pellificum (a. a. O. Nr. 181 $8). Münster-Bielefeld
nm 1221: Si extraneus accomodaverit civi pecuniam (Nr. 144 885). Nürn-
berg 1219: Item quicunque dominus aut alius creditor alicui Nurembergensi
accommodata reddere rennuerit (Nr. 157 8 7). Endlich erster Hanserezeß,
1260—1264: nulla civitas accommodabit ei quicquam (a. a. 0. Nr. 480 86).
Vgl. noch die folgende Anm. In demselben Sinne wird auch „credere*
gebraucht. Vgl. das Register meiner Urkunden.
1) Stadtrecht von Parchim von 1225—1226: „Item quicumque civis
accommodaverit bona sua qualiacumque alicui extra civitatem et ille non
solverit, in civitate detineatur, donec solvat vel iusticiam exhibeat“. Meckl.
Urkb. Bd.INr. 31986. Mehrfach bestätigt und übertragen auf Goldberg und
auf Plau. A.a.O. Nr. 337 (1227); Nr. 476 (1238); Nr. 428 (1285); Nr. 599
(1248). Wenn es sich hier wirklich um eine Commenda handelt, so wäre
dasselbe anzunehmen bei dem „bona sua cuiquam credere“ des Handels-
vertrags Friedrichs I. mit Flandern 29, V, 11738. Meine Urkunden Nr. 85
88 4, 5. — Ausgeschlossen ist die von NEUMANN, Geschichte des Wuchers
S. 422 f. Anm., gewollte Deutung bei den von ihm angeführten Stellen aus
den Breslauer Stadtrechnungen a. 1808 ff. (Codex dipl. Silesise Bd. III)
Welcher Art auch die Tuchgeschäfte des Breslauer Rats gewesen, sein mögen
und wie man sich auch zu GRÜNHAGENS Erklärungsversuch stellen will, von
Gesellschaftsgeschäften ist dort keine Spur zu erblicken. Vielmehr, wenn
da steht (S. 20): „Item solverunt pro pannis, quos praeteriti consules accom-
modaverant, septingentas m.“ etc., so heißt das nichts anderes, als daß der
Rat des Vorjahres das Tuch auf Kredit übernommen hatte und es nun von
dem neuen Rat bezahlt wurde. Ebenso S. 21: „Item solverunt pro pannis
accommodatis apud mercatores“ etc, und S. 81: „Item solutum est de tri-
ginta pannis accommodatis anno preterito“. Dementsprechend 8. 24: „Item
consules contraxerunt in debitis 30 pannos de Ypir pro 800 marcis min.
15 marcis.“ Daß die Notiz 8. 24: „acceperunt apud Jacobum Schertilzcan
14 pannos, qui constant 100 m. et 27“, den Anteil des Rats am Geschäft
bezeichnen soll, ist reine Phantasie. Das viel häufigere ,accipere . .. pannos“
(gegenüber dem : „accommodare* an nur jenen drei Stellen) bedeutet die
Entnahme von Tuchen, nicht den Empfang von Geld dafür. Dieses wird
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 82
478 F. Keutgen
und „commenda“, worauf es ankommt, haben sich noch nieht
gefunden. Wohl aber hat die deutsche Kaufmannschaft sich
ihre eigene Terminologie gebildet, auch wenn man lateinisch
schrieb: hier nur ein etwas abseits liegendes, aber darum nicht
minder bedeutsames Beispiel.
Die alte Soester Schrae von 1350 schreibt vor:
$ 118: Vortmer. Wey eme sinen borghere sin ghuyt
bevelid to koypenschapen u. s. w. !).
Wenn irgendwo, so würde man da erwarten: „bevelin =
commendare“. Aber nein, die lateinische Vorlage, das älteste
Soester Stadtrecht, sagt
$ 30: Item, si quis concivi suo bona sua ad negocian-
dum commiserit etc. ?).
Auf keinen Fall endlich kann irgend ein Sprachgebrauch den
begrifflichen Unterschied aufheben.
Daß PAPPENHEIM altnordische Handelsgesellschaften schon
aus dem 10. und 11. Jahrhundert nachgewiesen hat, oder, wie
er es ausdrückt, „daß zu der Zeit, welcher die ersten, noch ver-
einzelten Spuren der italienischen commenda entstammen, der
skandinavische Norden bereits eine eigene, selbständiger Wurzel
entsprossene Form für die rechtliche Ordnung der mit gemein-
samem Vermögen Handel Treibenden besaß“, ist SILBERSCHMIDT
natürlich bekannt’).
Jene drei Hauptformen des „portare laboratum“ aber sind
folgende:
ausgedrückt etwa (S. 28): „summa perceptorum de quadraginta pannis Yperes-
sibus acceptis apud Brunonem de Olzniez . . . 300 m.*: „empfangen für 4
von Bruno entnommene Tuche M. 300.*
1) SEIBERTZ, Urkb, z. Landes- und Rechtsgeschichte Westfalens Bd. II
(= Landes- und Rechtsgesch. Bd. III) S. 399.
2) Meine Urkunden Nr. 139. In dem abgeleiteten Medebacher Recht
von 1165 (Urkunden Nr. 141 $ 15) steht: „Qui pecuniam suam dat alicui
concivi suo, ut inde negocietur in Datia vel Rucia vel in alia regione ad
utilitatem utriusque“. Vgl. oben S. 301. Mit seiner Interpunktion hat
SILBERSCHMIDT natürlich recht; die falsche findet sich aber, so viel ich sehe,
nur bei LEVIN.
3) PAPPENHEIM, Altnordische Handelsgesellschaften, Zeitschrift f. d. ges
Handelsrecht Bd. 36, S. 108.
Hansische Handelsgesellschaften. 479
„L. Gegen festen, meist in der Währung des Bestimmungsorts
ausgedrückten Lohn.
2. Als eigentliche Commenda, wobei der Empfänger eine
Quote (meist ein Viertel) des von ihm erzielten Gewinns als
Entschädigung erhielt.
3. Als societas maris, später dann auch als societas terrae,
wobei auch der Empfänger Kapital einlegte, so daß ein Gesell-
schaftsvermögen entstand, mit welchem er Handelsgeschäfte ab-
schloß und wobei Gewinn und Verlust nach dem vereinbarten,
meist der Kapitalbeteiligung entsprechenden Verhältnis am Schlusse
geteilt wurden“ ).
In der Tat entspringen diese drei Fälle so sehr der Natur
der Dinge, daß es nichts weniger als überraschend ist, wenn sie
sich an anderen Orten, wo man Handel über See trieb, wieder-
finden. Um so wichtiger, die Abweichungen zu beachten.
Es handelt sich zunächst um den Begriff des „sendeve“,
das in den hansischen Quellen so häufig genannt wird. SILBER-
SCHMIDT und REHME wollen darin die „commenda“ wieder
erkennen, REHME im engeren, SILBERSCHMIDT in einem weiteren
Sinne). Begreiflich: die commenda ist in der südeuropäischen
Handelswelt das hervorstechendste Institut neben der „societas
maris“. Dieser entspricht im Norden als Gesellschaft mit zwei-
seitiger Kapitaleinlage die „wederlegginge“ oder „contrapositio“:
da wird „sendeve“ gewissermaßen von selbst seinen Platz als Korre-
lativ von „commenda“ einnehmen. Dennoch könnte nichts ver-
kehrter sein. Wenn das sendeve-Geschäft einer der drei südeuro-
päischen Möglichkeiten entspricht, so nur der ersten. Die falsche
Deutung jenes Begriffes beeinflußt aber bei SILBERSCHMIDT und
REHME weiter die Beurteilung des wirklich der zweiten Stufe
entsprechenden hansischen Instituts, auf das sie Merkmale des
„sendeve“ übertragen.
1) Kumpanie und Sendeve $. 2, 8.4.
2) SILBERSCHMIDT, Kumpanie und Sendeve, 8. 3, S. 16 ff. besonders
S. 32 ff.; S.35 „Ich nehme daher an, daß Sendegut bald gegen Gewinnanteil,
bald ohne solchen mitgegeben wurde und daß für keines von beiden eine
Vermutung spricht.“ Bei der Versendung ohne Gewinnanteil denkt er aber
nur an „reine Speditionsleistungen“, also nicht Kommission, worauf es an-
kommt. 8.16. — REHME, S. 372.
480 F. Keutgen
hSendeve“ bedeutet „Sendegut“'). Das ist SILBERSCHMIDT
bekannt ?), wenn ihm auch die Besprechung von Mozzwos Bauch,
in der KOPPMANN mit gewohnter Sachkenntnis und Nüchtern-
heit das Wesen des „sendeve“ dargelegt hat, entgangen zu sein
scheint?). Der zweite Bestandteil des Wortes findet sich auch
in den nordischen Benennungen der Handelsgesellschaften, felag
für die zweiseitige, hjäftlag für die einseitige‘), Waren oder
Geld werden „to sendeve“, lateinisch „in sendeve, ut sendere,
nomine sendeve“, also „als Sendegut“, einem Ausreisenden mit-
gegeben, an einen Auswärtigen geschickt, oder man läßt sie
auswärts einkaufen und heimsenden ’. REHMES Irrtum war
bereits von MoLLwo aufgedeckt®). Ja, schon LEviN hatte das
Rechte erkannt, wenn auch zu vorsichtig vertreten ’).. Um so
erstaunlicher, daß SILBERSCHMIDT, trotz seiner richtigen Über-
setzung des Wortes, von neuem in den alten Fehler verfallen
konnte. Aber freilich um die Sendung einer Person, wie
MoLLwo und, ihm folgend, RIETSCHEL meinten, handelt es sich
auch nicht®). Der erste Schritt vom rechten Wege aber war,
daß alle außer Koppmann das Wort stets weiblich brauchen.
1) Ferr im Glossar zum Hans. Urkb., Bd. III. „Kommissions-, Spedi-
tionsgut“. Vgl. auch Kunze, Hans. Urkb. Bd. V S. 697.
2) A. a. O., S.17: „das gesendete und zum Handel anvertraute Gut.“
3) Hans. G.Bl. 1900 S. 208 £.
4) KOPPMANN, a. a. O., S. 204; PAPPENHEIM, Altnord. Handelsgesell-
schaften, passim.
5) „To sendeve (sendewe)“ regelmäßig bei WITTENBORG: Übersicht bei
- KOPPMANN, 8.204 f. Zu ergänzen die zweite der unten im Text aus WITTEx-
BORG II S 217 mitgeteilten Stellen. „In, ut, nomine sendeve“, z. B. Nieder-
stadtbuch, REHME Nr. 21, 24, 41. Auch „ad“ und „pro sendeve“ kommen vor.
6) WITTENBORGS Handlungsbuch, S. LIV ff.
7) Levis, a. a. 0., 8.33 ff. Jedoch S.86 f.: „Es wäre aber gewagt,
diese scharfe Gegenübersetzung ohne weiteres für die Behauptung anzuziehen,
daß wir es beifder sendeve mit keinem gesellschaftlichen oder gesellschafts-
ähnlichen Verhältnisse zu tun haben.“ Noch weiter geht er im Zweifel
S. 38. Doch darf man diese Schüchternheit einem Doktoranden nicht übel-
nehmen, da bis dahin alle Autoritäten den „Sendevekontrakt“ für eine Ge-
sellschaft hielten. Vgl. noch unten S. 485 Anm. 4.
8) RIETSCHEL, Hildebrands Jbb., Bd. 77 S. 150. Im übrigen sagt
RIETSCHEL richtig: „ist überhaupt keine Gesellschaft und stellt vielmehr die
älteste Form des Kommissionsgeschäftes dar.“
Hansische Handelsgesellschaften. | 481
Sinn und Geschlecht des Wortes werden besonders unmittelbar
deutlich an folgenden Stellen in Wittenborgs Handlungs-
buch:
II. 217: 7 stucke wasses . . . van deme sendewe, dat
ic Arnolde mede dede . . .;
1 mille scones werkes . . . van deme sulven sendewe,
do Arnolt mit worede [= „fuhr“]').
Weiblich kommt es niemals vor). Es wird daher auch
besser vermieden, einen weiblichen Gebrauch zu dem Zwecke
einzuführen, um etwa das Geschäft mit Sendegut von dem Gute
selbst zu unterscheiden. Man wird sich dann eben entschließen
müssen, Sendevegeschäft zu sagen.
Dieses Geschäft nun und das im wesentlichen der Commenda
entsprechende nach den hansischen Quellen auseinanderzuhalten,
ist nicht schwer. Auszüge aus hansischen Rechtsquellen, die
„sendeve* einerseits, ,kumpanie“ oder „selschop“ andererseits
scharf unterscheiden, sind bereits von LEVIN zusammengestellt ?).
SILBERSCHMIDT sucht in ihrer Gegenüberstellung indes den Gegen-
satz der Gesellschaft mit einseitiger und mit zweiseitiger Kapital-
einlage, indem die erste dort nicht als Gesellschaft, sondern nur
1) Vgl. noch unten 9.483: „in bonis, que theutonice zendevee nuncu-
pantur“.
2) WITTENBORGS Handlungsbuch II 275, hat Mollwo aus „to ener senden“
durch Konjektur „to ener sende[we]n“ gemacht. Vgl. KOPPMANN, S. 204.
Der Zusammenhang ergibt die Unrichtigkeit.
3) A. a. OÖ. S. 36. Besonders deutlich HACH, das alte Lübische
Recht (1839) Abt IV, XXXII (S. 565): „Ok schal nen kopman van der Hense
sin gut in Flanderen senden enem de buten der Hense sy tho bevelende... .;
ok schal nen Henser selschop hebben“ etc. Ferner Rezeß zu Lübeck
6. Juni 1434 (Hanserezesse, Abt. II, Bd. I 8.206) $ 14: „... nymend in
de Henze behorende en schal selschop noch kumpanie hebben“ etc. [es folgen
viele genaue Bestimmungen; dann] $ 15 „...nymend...en schal an
nymande anders sin gud senden noch bevelen“ etc. Nowgoroder Skra
Ende 13. Jahrh. (Lüb. Urkb., I S.704; dazu Höhlbaum, Hans. Urkb. HI
S. 859): „dat he nien güt in kumpanie hebbe mit den Rucen unde ouc der
Rucen güt nicht ne voere to sendeve“. Nowgoroder Skra von 1346 (Hans.
Urkb. III Nr. 593 S. 369): „dat si sines egenen güdes eder an kunpenie
ofte an sendeve eder an jenegerleye dinge“. Ähnlich Nr. 69 vom 22. Febr.
1346, 86. U... w.
482 F. Keutgen
als partiarisches Rechtsgeschäft aufgefaßt sei!. Das ist an
sich unwahrscheinlich; an eine so feine begriffliche Unterschei-
dung hätte niemand gedacht; die Gesellschaft mit einseitiger
Kapitaleinlage gilt stets als Gesellschaft”); der Hanserezeß
von 1434 läßt in $ 14 und $ 15 auch nicht die Möglichkeit eines
Zweifels an der Unterscheidung von
selschop noch kumpanie hebben
einerseits,
gud senden noch bevelen
andererseits?) und, wenn möglich, noch weniger die ausführ-
lichen Bestimmungen des alten Lübischen Rechts unter den Titeln:
VII. Welk man myd dem anderen selschop maket;
VIII. Welk man enem syn gut belavet buten landes,
die LEVIN und SILBERSCHMIDT nicht berücksichtigt haben ‘).
Geradezu unbegreiflich aber wird SILBERSCHMIDTS Vemuch
angesichts der zahlreichen Stellen aus der Praxis. Denn nirgend,
wo der Tatbestand der Commenda gegeben ist, wird das Wort
„sendeve“ gebraucht; und nirgend, wo von „sendeve“ die Rede
ist, kommt jener Tatbestand in Frage.
Schon die Eintragungen im Lübecker Niederstadtbuch genügen
zum Beweis: In den von REHME abgedruckten findet sich das
Wort „sendeve“ viermal: in Nr. 21, 24, 41 und 51: nie handelt
es sich dabei um Gewinnbeteiligung.
In Nr. 24, Nr. 41 und Nr. 5l wird eine Gesellschaft gebildet;
außerdem, von dem Gesellschaftskapital getrennt, übergibt
der eine Teilhaber dem anderen eine Summe,
quas ducet ut sendeve,
nomine sendeve ducendas,
negociantur in sendeve.
Und Nr. 21 erklärt nur:
Johannes de Eversberghe habet 118 marcas argenti sibi
1) A. a. 0. S. 34.
2) Ausdrücklich z. B. REHME Nr. 64. Ferner noch das revidierte Lübecker
Recht von 1568, unten 8.491. Übrigens beruht darauf ja alles, was bisher
überhaupt über das ältere Gesellschaftsrecht geschrieben worden ist.
3) Vgl. Anm. 3 auf S. 481.
4) Hıch, a. a. O., Abt. TV, S.553f. Vgl. unten VIII und 8. 486.
=
Hansische Handelsgesellschaften. 483
per Conradum de Atendorn commissas in sendeve,
eidem Conrado pertinentes.
Dagegen findet sich in den neun Eintragungen, die REHME
als Sendevegeschäfte bezeichnet!), Nr. 14, 18, 20, 22, 33, 36,
40, 48, 64, die den wesentlichen Tatbestand der Commenda
enthalten, nirgend das fragliche Wort.
Genau so verhält es sich mit dem Handlungsbuch Witten-
borgs, das sendeve ein paar Dutzend Male erwähnt: MoLLwo und
namentlich KOPPMANN haben das bereits völlig klargestellt ?).
Endlich aber wissen auch ein paar andere Stellen, die
SILBERSCHMIDT für seine Anschauung verwerten möchte, von Ge-
winnbeteiligung nichts:
Wenn der Handelsgehilfe Johann Retlage in seinem
Testament vom 6. April 1330 gegenüber seinem Herrn Johannes
Gheysmar seine Schuld an 100 Mark bekennt,
specialiter et per se Johanni Gheysmaro pertinentes,
quia ipsas mecum habuit in bonis que theutonice zendevee
nuncupantur,
so besagt das „mecum habuit“ durchaus nur in knappster Form:
„zur Zeit in meinem Besitz, aber sein Eigentum“ *). Ganz
anders, wenn es in REHMEs Nr. 12, wo indes nicht von sendeve
die Rede ist, heißt:
habent simul . . . eis equaliter pertinentes,
oder bei Wittenborg I, 7
habemus in simul.
Aus einer Wisbyer Vollmacht vom 28. Juni 1346 aber kann
SILBERSCHMIDT ebensowenig einen Beleg schöpfen. Aus den
Worten:
item super tribus timber operis harwerkes ad sendeve
et una torace super premissa eidem Lamberto commissis,
ist nur zu entnehmen, daß der Harnisch entweder ebenfalls als
sendeve ınitgegeben war oder daß er überhaupt nicht veräußert
1) A.a. 0. S. 372. Dazu SILBERSCHMIDT, 8. 32 ff.
2) MoLLwo, a. a. O., S. LIV f., und KoppmaAnn, der S. 204 f. die ver-
schiedenen Möglichkeiten nach WITTENBORG zusammenstellt.
8) SILBERSCHMIDT, Kumpanie, S. 34 f., Lüb. Urkb. II Nr. 517.
484 F. Keutgen
werden sollte’). „Premissa“ bezieht sich auf vorher erwähnte
Gesellschaftsgüter. Denn in beiden Fällen, 1330 und 1346,
stand, wie ja auch sonst so häufig, der mit dem Sendeve Be
auftragte außerdem mit dem Auftraggeber in Gesellschaft: mit
vollkommener Klarheit aber werden beide Verhältnisse unter-
schieden.
Freilich auch einen Dienstvertrag, darin hat SILBERSCHMIDT
gegen Mozzwo recht, bildet das Sendeveverhältnis nicht‘).
Mit Sendeve werden nicht nur Diener betraut, sondern ebenso-
wohl Gesellschafter und selbständige, auswärts ansässige Ge-
schäftsfreunde. Ferner wird ein mit Sendeve betrauter Diener
regelmäßig nicht für diesen besonderen Zweck gemietet, sondern
die Besorgung von Sendeve ist einbegriffen in die allgemeinen
Obliegenheiten des dauernd beschäftigten Handlungsgehilfen.
Dagegen notiert Wittenborg mehrfach das Zehrgeld, das er
seinem mit Sendeve ausziehenden Angestellten gewährt‘).
Einmal aber macht er hierin eine Ausnahme, und zugleich er-
halten wir einen Einblick in das Verhältnis während der An-
wesenheit des „Knechts“* zu Hause in den Pausen zwischen
seinen Reisen.
Als nämlich einst sein ständiger Gehilfe Berthold Witten-
borg mit Gesellschaftsgut beider auszog, notierte der Prinzipal:
des scal ic eme weder gheven wrighe kost, vant he hir
to hus is in miner kost; des scal he mi weder weren
[woren?] sendewe sunder kost, want ich es to donde hebe,
want he doch ut tut to der se‘).
Also: wenn Berthold in eigenen oder Gesellschaftsgeschäften
1) Hans. Urkb., III Nr. 76.
2) SILBERSCHMIDT, S. 17; MoLLwo 8. LVI. Schon REHME S. 880 gegen
SCHMIDT. Der an sich berechtigte Einwand verliert jedoch an Kraft, wenn,
wie hier, als „sendeve* auch Gesellschaften herangezogen werden.
3) II 60, 118, 119, 236; (65 „to brode“). — Die von SILBERSCHMIDT, S. 98,
nach SCHULTE, Handelsgeschichte II S. 228, angezogenen Stellen über für
anbefohlene Waren gezahlten Lohn beweisen für Hansische Gepflogenheiten
natürlich nichts.
4) II, 232. Arnold Bardowik dagegen, der zwar auch für Wittenborg
reist, aber nie als Knecht bezeichnet wird, muß für seine Verpflegung im
Hause bezahlen: II. 97, 126, 281; (165). Vgl. übrigens den Anhang.
Hansische Handelsgesellschaften. 485
ohnehin auszieht, kann er Sendeve seines Herrn ohne Kost mit-
nehmen. Nach Hause zurückgekehrt, tritt er aber wieder in
das alte Kostverhältnis ein. SILBERSCHMIDTS gegenteilige Deutung
— „gewöhnlich scheint der Knecht nur auswärts im Brode des
Herrn gestanden zu sein“ — erklärt sich wohl eben aus seiner
Verwechslung des Sendevegeschäfts mit der Commenda ').
Was die Entschädigung von Gesellschaftern und selbständigen
auswärtigen Geschäftsfreunden betrifft, so mag sie manchmal in
der gegenseitigen Leistung guter Dienste Erledigung gefunden
haben. Solcher Art war vielleicht das Verhältnis zwischen
Wittenborg und dem angesehenen Kaufmann Laurenz van der
Borse in Brügge*). Doch kennt eine Danziger Notiz von
1431 für den ständig auswärts beschäftigten „Lieger“ eine förm-
diche Provision:
sulk recht und vrundsc. doen van itzlikem ff grot, alse
dat to Brugg wonlik und recht is?°).
Mit Recht hat man das Sendevegeschäft als Kommissions-
geschäft bezeichnet und Levm als Sendevegeschäft auch die
Eintragungen im Rigischen Schuldbuch von 1286—1352
beansprucht, mit denen bereits 1872 H. HILDEBRAND die Be-
deutung des hansischen Kommissions- und Speditionsgeschäftes
erwiesen hatte*).. Die Natur des Vertrauensverhältnisses aber
kennzeichnet am besten das alte Lübische Recht mit den Sätzen:
1) SILBERSCHMIDT S. 98 £.
2) Handlungsbuch, Register. SILBERSCHMIDTS Vermutung, daß Witten-
borgs Schuld an Borse von 19s. 7 d. grot (Handlungsbuch II, 29) Lohn für
besorgtes Sendeve sei (S. 24), schwebt in der Luft. — Über die Brügger
Patrizierfamilie van der Burse, die von 1257—1457 vorkommt, EHRENBERG,
Zeitschr. f. d. ges. Handelsrecht Bd. XXX S. 447.
3) HırscHn, Danzigs Handels- und Gewerbegeschichte, S. 228 Anm. 952
nach den Ratsmissivbüchern. Zitiert auch von LEviIn, 8. 247°, und SILBER-
SCHMIDT, S. 24.
4) Das Rigische Schuldbuch (1286—1352). Herausgegeben von
Dr. HERM. HILDEBRAND. Petersburg 1872. Bes. S. XXVI. — Levin S. 39
bis 41 muß wohl so, wie im Text angegeben, und wie auch SILBERSCHMIDT
S. 21 getan, verstanden werden. HiLDEBRAND selbst freilich hielt das
Sendevegeschäft im Gegensatz zum Kommissionsgeschäft für ein Gesellschafts-
geschäft. Ebenso HÜHLBAUM in seiner Recension, Hans. G.BL Jahrg. 1874,
486 F. Keutgen
Deit ein borger einem andern borgere ofte gaste ent
mede to der se werth to vorkopende to sinem besten [NB!,
degenne, de dat gut vorkopen schal, de is mechtich w
donde unde to latende in aller mathe. Unde de em dat
gut belovet heft, de mot em ok de rekenscop beloren.
Darumme se ok malk tho, wen he sin gut belovet ofte
bevelet').
Daß dieser Artikel nur das Sendevegeschäft betrifft, ergibt
sich außer aus seinem Wortlaut selbst, zumal der Stelle
vorkopende to sinem besten,
auch daraus, daß unmittelbar vorher die entsprechenden Verhält-
nisse bei der Gesellschaft geordnet werden, wovon später.
Fassen wir alles zusammen, so erkennen wir die Verbreitung
und hohe Bedeutung dieser Geschäftsart und aus dem Namen
auch ihr hohes Alter. Daraus aber folgt weiter eine weit bessere
Ordnung und Sicherheit der Zustände, auch der inter-
nationalen Rechtszustände, als man gemeinhin anzu-
nehmen geneigt gewesen ist ?).
Es erweist sich als Vorurteil, daß nur durch Gewinnbeteili-
gung zuverlässige Gehilfen für den Handel gewonnen werden
konnten. In festen Brotverhältnis stehende junge Leute be
sorgen vielmehr wieder und wieder diese Art Geschäfte für ihre
Prinzipale, die dann freilich unter Umständen ihnen auch gesell-
schaftsmäßige Beteiligung gewähren. Oder aber im Auslande
ansässige Kaufleute werden damit in Anspruch genommen. Die
Prinzipale selbst aber wird man nur betrachten können als
Berufskaufleute.
IT.
Die Gesellschaft mit einseitiger Kapitaleinlage.
Fehlt dem Süden eine eigene Bezeichnung für das „portare
laboratum Nr. 1“, so kennt dagegen die hansische Welt keinen
S, 188. Im Hans. Urkb. Bd. III S. 34: (1882) jedoch erklärt er „an sendeve”
mit „durch Kontrakt für Kommission und Spedition“.
1) HAUH, d. alte Lübische Recht, Abt. IV. Kap. VIIL S. 554.
2) Auch HÔHLBAUM hatte schon Veranlassung genommen, „der Ansicht
entgegenzutreten, nach welcher der Handel des 18. und 14. Jahrhunderts
Hansische Handelsgesellschaften. 487
Sonderausdrack für den Begriff, der im südeuropäischen Gesell-
schaftsrecht als der zentrale bezeichnet werden muß, die eigent-
liche Commenda.
Für die Gesellschaft überhaupt kommen hier in den Quellen
folgende Namen vor: gheselscap, selscop; kumpanie;
societas; vera, recta, iustasocietas; wederlegginge;
contrapositio. Von diesen sind die ersten drei farblos; die
letzten beiden entsprechen der societas maris, portare laboratum
Nr. 3; der Sinn von vera, recta, iusta societas wird sich erst
zeigen müssen. Für das commendaartige Verhältnis selbst,
portare laboratum Nr. 2, schlägt Koppmann die Bezeich-
nung quasi-societas vor: mangels einer besseren wird man
sich damit behelfen können, wenn man nicht etwa der Be-
quemlichkeit wegen ,Halbgesellschaft“ vorzieht. Untersuchen
wir ihre Eigentümlichkeiten. |
Hauptfrage ist die nach der Verteilung von Gewinn
und Verlust.
REHME, SILBERSCHMIDT und KOPPMANN meinen alle drei,
daß bei der Quasi-societas die Gefahr regelmäßig allein vom
Kapitalisten getragen wurde). Das Gegenteil aber beweisen
folgende Stellen aus dem Niederstadtbuch:
(REHMES) Nr. 10: ad dimidiam acquisicionem et for-
tunam (a. 1312);
Nr. 22: sub amborum ipsorum eventu et fortuna (a. 1319);
Nr. 40: sub fortuna et eventu utriusque (a. 1330);
Nr. 64: quidquid inde Deus lucro dederit, hoc ipsis
ambobus pertinebit pari sorte, dampnum autem, si quod
advenerit, . . . ambo hoc idem equanimiter sustinebunt
(a. 1358).
Diesem klaren Wortlaut gegenüber wird man nicht auf das
Gegenteil als das Normale schließen dürfen, wenn bei einigen
anderen Eintragungen nur die Gewinnverteilung geregelt, ein
Verlust dagegen überhaupt nicht ins Auge gefaßt erscheint:
ausschüeflich Properhandel, nie aber Kommissions- und Speditionsgeschäft
gewesen sei“. Hans. G.BI. 1874 S. 158.
1) REHME, a. a. OÖ. $S. 387 f.; SILBERSCHMIDT S. 50; KOPPMANN S. 201.
488 F. Keutgen
Nr. 14: medietatem lucri cum principali summa sibi
tradita debet Cristiano applicare (a. 1315);
Nr. 18: quicquid cum hiis fuerit lucratum equaliter divi-
dent (a. 1316);
Nr. 20: lucrum divident equaliter inter eos (a. 1317):
Nr. 36: medietatem lueri cum sorte principali . . . sibi
presentabit (a. 1328).
Man kann angesichts jener früher angeführten Stellen doch
nur schließen, daß, wenn Verlust eintrat, dieser ebenfalls geteilt
werden sollte.
Daher finden sich bei der Gesellschaft mit zweiseitiger Kapital-
einlage ganz dieselben Formeln ohne Rücksicht auf möglichen
Verlust:
Nr. 9: Th. Z. habuit 17 m. arg., ad quas ei posuit A.S.
17 m. arg. ad dimidiam acquisicionem in societate (a. 1312):
Nr. 27: ad dimidiam acquisicionem in vera societate
(a. 1323);
Nr. 60 und Nr. 62: ad utilitatem amborum et profectum
(a. 1350 und 1353);
Nr. 13: medietas reddituum inde proveniencium (a. 1313):
Nr. 26: de residuo vero, scilicet de lucro, L. debet
tollere duas partas et J. terciam partem (a. 1328);
Nr. 56, 57, 65: quicquid ipsi cum hiis Deus luc
dederit (a. 1347, 1359);
Nr. 48: tercia pars lucri maneat H. et due partes dno.
T. (1336).
Andererseits aber:
Nr. 11: ad dimidiam fortunam et acquisicionem (a. 1313):
Nr. 30: in quibus ipsi ambo equaliter stabunt omnem
eventum et fortunam. Preterea . . . specialiter 80 m. arg.
dicto T. soli pertinentes, ducendas per eum super lucro
et dampno solius ipsius T. [wobei das „lucro et dampno*
offenbar dem „eventum et fortunam“ entspricht] (a. 1324):
Nr. 37 und Nr. 44: sub fortuna et eventu amborum
(a. 1329, 1331).
Bei der großen Mehrzahl der Eintragungen über Gesell-
schaften mit zweiseitiger Kapitalbeteiligung aber wird offenbar
Hansische Handelsgesellschaften. 489
ganz dasselbe, Teilung von Verlust und Gewinn, einfach aus-
gedrückt durch die Formel „in vera societate“ !).
Anders liegen folgende beiden Fälle:
Nr. 1: H. Wackerowe recepit a Florecone 83!/2 m. arg.;
quicquid in his lucratum fuerit aut perditum, illud secun-
dum respieit Floreconem (1311);
Nr. 33: J. Bard habet in bonis ad valorem 32 m. d.
sibi per dnam. Gretam relictam Morekerken traditarum,
cum quibus super eventu dicte domine negociabitur et
mediam partem lucri sibi assignabit (1325).
Diese abweichende Formulierung erklärt sich am zwang-
losesten unter der Vermutung, daß in diesen beiden Fällen die
Geldhergeber nicht kaufmännische Unternehmer, sondern bloße
Kapitalisten waren, daß hier also das Verhältnis eintritt, das
wir, LAstıG folgend, im Gegensafz zur commenda accommodatio
nannten’). Es hindert nichts die Annahme, daß Wackerowe
und Bard außer dem anvertrauten noch eigenes Kapital besaßen,
von dem sie einen Verlust selber trugen. Kapitalien anlage-
suchender Geldbesitzer hätten sie dagegen in ihr Geschäft nur
unter der Bedingung aufgenommen, daß ihnen selbst davon
allein ein Gewinn zufiele, während einen Verlust die Eigentümer
zu tragen hätten. — Im Grunde möchte ich allerdings Nr. 1
noch anders auffassen, nämlich, „illud secundum“ übersetzen
„der zweite Teil“: denn sonst, nach dem Wortlaut, würde ja
nicht nur den einen Gesellschafter der ganze Verlust treffen,
sondern dem anderen auch der ganze Gewinn zufallen.
Bei ihrer gegenteiligen Auffassung, wonach dies das Regel-
mäßige, die Teilung des Verlustes dagegen abnorm gewesen sei,
sind REHME und SILBERSCHMIDT offenbar wiederum beeinflußt
durch ihre Vermengung des Sendevegeschäfts mit der Quasi-
societas *). Beide, sowie KoPppmMANN glauben außerdem, daß
der Unterschied gegenüber der zweiseitigen Gesellschaft ver-
1) REHME Nr. 4, 6, 23—25, 27, 29, 32, 34, 85, 38, 41, 42, 45, 46, 50,
51, 54-57, 59—61, 63; „recta societas“ Nr. 26; „justa 8.“ Nr. 47; auch bloß.
„in societatem* Nr. 5, 8, 9, 28, 37, 43, 46.
2) Oben S. 476.
3) REHME S. 388; SILBERSCHMIDT, S. 50.
490 F. Keutgen
schwinden würde, wenn auch bei der einseitigen die Gefahr
gemeinsam zu tragen gewesen wäre'). Darauf ist zu antworte,
daß im anderen Falle ein reisender Teilhaber, der auch Kapital
einschoß, sehr viel ungünstiger gestellt gewesen wäre als der, à
der nichts hatte: eine widersinnige Annahme. Auch so war
seine Stellung nicht allzu günstig, da ihm ja kein relativ größerer -
Gewinnanteil zufallen konnte als dem bloßen Reisenden. Nur
darin lag sein Vorteil, daß durch die von ihm bewirkte Er
höhung des Kapitals auch eine absolute Vergrößerung des Gt
winnes zu erwarten stand.
Dagegen wird nun wieder ein Unterschied gegenüber der roms #
nischen Commenda von Bedeutung. Bei dieser blieb allerdings
der Commendatar vom Verlust frei. Dafür fiel ihm aber auch vom
Gewinn regelmäßig nur ein Viertel zu, die quarta proficui”)
Da dem deutschen Reisenden, wie wir oben sahen, die Hälfte
des Gewinnstes zuerkannt wurde, so war es nur billig, dad
er auch vom Verluste die Hälfte trug.
Beispiel Nr. 64 zeigt die Eigentümlichkeit, daß der Vertrag
als vera societas bezeichnet wird, trotz nur einseitiger Kapital
beteiligung. Unter vera societas haben die bisherigen Ausleger
nämlich, was ja nahe lag, geglaubt, den Fall des portare labo
ratum Nr. 3 verstehen zu müssen, deutsch „wederlegginge*.
REHME nimmt daher einen Schreibfehler an, was KoPPMANx und
SILBERSCHMIDT mit Recht ablehnen *). KoPPMANN dagegen meint,
die Bezeichnung sei gewählt, weil diesmal in einer Quasi-societss
ausnahmsweise auch die Gefahr geteilt werden sollte. Wir sahen,
daß das keine Ausnahme war. Auch die Formel, mit der
Nr. 64 schließt:
Sie enim ambo presentes ad librum inter se benevols
concordabant voluntate,
wird uns nicht davon überzeugen, da sie oder eine ähnliche
sich in einer geschlossenen Reihe von Eintragungen finde,
die sich über die ganzen fünfziger Jahre erstreckt: es handelt
1) KoPPMANX S. 201 f.
2) SiLBERSCHMIDT, a. à. O. S. 55; Commenda S. 99; WEBER S. 2.
3) REHME S. 37219; KoPPMANN S. 202; SILBERSCHMIDT S. 35.
Hansische Handelsgesellschaften. 491
sich offenbar um eine Eigentümlichkeit des damals amtierenden
Schreibers ').
Koppımanns Vermutung dagegen, daß die Wendung „in vera
societate“ die Gemeinsamkeit von Gewinn und Verlust an-
zeigen sollte, werden wir gern übernehmen. Jedoch dann nicht
nur in diesem Falle, sondern, wie wir ja schon aussprachen,
stets: bedeutete sie, wie allgemein angenommen, nichts weiter
als zweiseitige Kapitaleinlage, so würde sie in einer großen Zahl
äußerst knapper Eintragungen unerhört tautologisch sein ?).
Einer gesetzlichen Regelung ist die Halbgesellschaft in dem
alten Lübischen Recht nirgends, sondern erst durch das Revi-
dierte Recht von 1586 unterworfen worden; nun freilich hin-
sichtlich des Verlustes in einem von unserm Ergebnis abweichen-
den Sinne:
Lib. UI, Tit. IX, Art. 1: „Machen etliche Gesellschaft
mit einander, dergestalt daß einer oder mehrere Geld
legen, der oder die anderen tun die Arbeit: . . . Ist aber
kein Gewinn, so teilen diejenigen mit einander, die das
Geld zusammengetragen; die anderen aber haben ihre
Arbeit umsonst getan“ °).
Anerkanntermaßen sind die Revisoren ihrer Aufgabe jedoch
keineswegs gerecht geworden: stammt doch von dieser Ausgabe
des Lübischen Rechts, das durch sie „verbessert“, durch Johann
Ballhorn gedruckt war, der Ausdruck „verballhornen“ *. Und
gerade in diesem Punkte wird das bestätigt, insofern dies refor-
1) REHMES Nr. 62 (a. 1853) ebenfalls am Schluß: „Sic enim inter se
ambo presentes ad librum concordarunt“. Dem entspricht in Nr. 59, 60, 61,
63, 65 (a. 1350, 1353, 1354, 1359) am Eingange: X + Y „ambo simul
presentes ad librum dixerunt“ od. „recognoverunt (manifeste)*. Vor ,Sic“
ist in 62 und 64 ein Punkt zu setzen; dann bezieht sich jene Formel wie
diese auf den ganzen Inhalt. Vorher und nachher findet sich unter den von
REHME abgedruckten Stellen nichts derartiges. SILBERSCHMIDTS besonderer
Erklärungsversuch S. 35 f. hängt wieder mit seiner falschen Auffassung des
Begriffes ,sendeve“ zusammen.
2) Die Beispiele oben 9. 489 Anm. 1.
3) Zitiert bei LEVIN, 8. 32 1%.
4) STOBBE, Geschichte d. d. Rechtsquellen, Bd. II S. 295 Anm. 25, vgl.
S. 296 Anm. 27.
492 F. Keutgen
mierte Recht überhaupt nur diesen Fall berücksichtigt, wo einige
Gesellschafter allein mit Kapital, die andern allein mit Arbeit
beteiligt sind.
Jedenfalls spricht die späte Regelung ferner nicht gerade für |
eine weitverbreitete Anwendung dieses Gesellschaftsverhältnisees,
das im Süden so sehr im Vordergrund stand.
Wünschte indes ein Kaufmann einen Reisenden mit Waren
auszusenden und stand ihm weder ein Vertrauensmann für
Sendere noch ein kapitalkräftiger Gesellschafter zu Gebote, oder
wollte er einen kapitallosen Handlungsgehilfen zu gesellschaft-
licher Beteiligung heranziehen, so konnte er sich eines anderen
und besseren Ausweges bedienen. Man darf nur nicht glauben.
wenn etwa das italienische Recht formal vollkommener aus
gebildet scheinen sollte — worüber ich nicht urteilen will —,
daß es darum auch materiell einer besseren Regelung der ein-
schlägigen Dinge gleichkommen müsse.
III.
Die Wederlegginge.
Jene Absicht ließ sich erreichen, indem der Kapitalist dem
Reisenden ein Kapital vorstreckte, das er in die Gesellschaft
einschießen sollte.
MorLwo möchte dies daher als einen Fall der Halbgesell-
schaft (von ihm societas schlechthin genannt) ansprechen |.
Privatwirtschaftlich könnte das gelten, insofern der Reisende
das eine Mal so wenig wie das andere Eigentümer irgend eines
Kapitals war. Gesellschaftsrechtlich jedoch ist es gleichgültig,
woher die Gesellschafter ihre Kapitaleinlagen haben: ob ererbt,
erworben, geborgt und von wem geborgt. Es finden also die
Bestimmungen über die Gesellschaft mit zweiseitiger Kapital-
einlage Anwendung.
Der Gesellschaft mit einseitiger Kapitaleinlage gegenüber
aber bot dieses Verfahren zweierlei offenbare Vorteile.
Erstens war geliehenes Geld rechtlich besser sichergestellt
als zum Handel anvertrautes. Wenigstens das Hamburger
1) A. a. ©. S. LI.
Hansische Handelsgesellschaften. 493
Recht von 1270, das später auch in Lübeck Aufnahme ge-
funden hat, schreibt vor:
Art. 404. Of eyn man gut verlust. Sowelk man deme
anderen syn gud deyt to beholdende unde dat eme ver-
stolen wert ofte afgherovet ofte ghebrant wert, ofte verlust
he syn gud daremede, unde dor he up den hilghen waren,
dat he dat syn darmede verloren heeft unde dat yd is
ane syne schult ghescheen: he en schal dar nene schult
ofte not umme lyden. ... So wat over en man dem
anderen lenet, dat schal he jo unverwuren weder ant-
worden ofte gelden na syneme werde, ofte dat verstolen
wert ').
Daß aber dieser Grundsatz auch in dem uns speziell an-
gehenden Fall Anwendung fand, zeigt Rehmes Nr. 28 (a. 1323):
N. de V. habet 10 m. d. sibi a C. filio H. mutuo tra-
ditas, ad quas ipse C. sibi tradidit alias 10 m. d., cum
quibus negociabitur in societate, et Jucrum equaliter divi-
dent. Si vero N. fortuna adversante totam hanc pecuniam
perdiderit, nichilominus debet Constantino persolvere 10
m. d.
Ein anderer Fall findet sich bei Wittenborg II, 236: Witten-
borg kauft 20 $ Grote. Davon leiht er seinem Gehilfen Bertold
10 % und legt ihm die anderen 10 % dagegen
in kumpenie up unser twigher win unde vorlus.
Für die geliehenen 10 #% aber gibt Bertold ihm 41 Gulden lüb.,
während als Sicherheit für das,
dat dar noch achterstellich is,
Waren haften, die Bertold in Lübeck lagern hat. Eine solche
Sicherstellung würde bei einem in gewohnter Weise zu Handels-
zwecken anvertrauten, nicht geliehenen Kapital jedenfalls nicht
üblich gewesen sein.
Tatsächlich wäre es ja in dem ersten Falle auf dasselbe
hinausgelaufen, wenn der Kapitalist dem Reisenden das ganze
Kapital in Halbgesellschaft mit Teilung von Gewinn und Verlust.
überantwortet hätte, anstatt ihm die Hälfte des Geldes zu leihen
1) HACH, d. alte Lüb. Recht S. 546.
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 83
494 F. Keutgen
und dann eine Gesellschaft mit zweiseitiger Kapitaleinlage mit
ihm abzuschließen. Die 10 m., die der Reisende auf alle Fälle
zurückgeben mußte, hätten dann eben seine Hälfte des Verlustes
dargestellt. Allein der angeführte Artikel des Hamburger Rechte
macht die Einklagbarkeit in diesem Falle zweifelhaft: um 5
bedeutsamer die gewählte Form.
Als normal war doch ein günstiger Ablauf des Greschäftes
ins Auge gefaßt und nicht nur der eines einzelnen Geschäftes,
sondern ein dauerndes Verhältnis. Darüber belehren uns REHuEs
Nr. 48 und 52 (a. 1336 und 1342):
Herr Thidemann von Güstrow hatte an Heinrich Wunder
4 % Turnosen übergeben (tradidit),
cum quibus debet negociari et lucrum totum inde pro-
veniens sibi soli retinere. Cum autem ipse dominus Thi-
demannus ab co dictas quatuor libras grossorum sibi reddi
notorie requisierit, eas sibi restituet; si vero notorie eas
non rehabere ab eo requisierit, eas sibi totaliter retinebit,
ita quod nullus proximorum dicti Hinrici sibi quiequid
iuris possit acquirere in eisdem.
Dann hatte Thidemann noch 8 f# dazugelegt; mit diesen
12 % sollte Heinrich Handel treiben, der Gewinn zu ?/s und ';s
geteilt werden. Sechs Jahre später aber (Nr. 52) bestätigte
Thidemann vor den Bürgermeistern die Tradition der 4 f und
stellte jetzt auch Heinrichs Gewinn daraus gegen Forderungen
seiner Angehörigen sicher ').
Es handelte sich also um die widerrufliche Schenkung eines
Handelskapitals oder um ein Darlehen auf so lange, wie der
Empfänger im Dienste des Gebers bleiben würde. Das hin-
gegebene Geld brachte dem Empfänger Vorteil und blieb doch
den Zwecken des Gebers dienstbar: es war ein Mittel, jenen
dauernd an das Haus zu fesseln und zugleich zu belohnen;
entsprach übrigens altgermanischen Grundsätzen ?).
1) Dieser Ratsherr Thidemann von Güstrow ist jedenfalls der-
selbe, der als Bürgermeister im Jahr 1348 für die Stadt den schönen Codex
des Lübischen Rechts schreiben ließ, den HAcCuH 8. 66 f. beschreibt.
2) Vgl. oben S. 321 auch SCHRÖDER, Rechtsgeschichte * 8.284: „der
Inhalt des durch Schenkung erworbenen Eigentums . . . richtete sich wesent-
lich nach dem Zweck und dem ausgesprochenen Willen des Schenkers.“
Hansische Handelsgesellschaften. 495
Dabei kam aber auch bereits der folgende Gesichtspunkt ins
Spiel.
Der zweite Vorteil nämlich dieses Verfahrens gegenüber der
„Halbgesellschaft“ war dieser:
Bei der Halbgesellschaft mußte der Kapitalist, wie wir ge-
sehen haben, den halben Gewinn hergeben. Bei der Gesellschaft
mit zweiseitiger Kapitalbeteiligung dagegen konnte sich das
Teilungsverhältnis nach dem der Einlagen richten.
Hatte also der Kapitalist einseitig dem Reisenden 300 Mark
in societatem zum Handelsbetrieb übergeben, so fiel dem Reisen-
den der Gewinn von 150 Mark zu. Stellten aber von dem
Kapital von 300 Mark 100 Mark seine von dem Kapitalisten
hergeliehene Einlage dar, so erhielt er den Gewinn nur von
diesen Drittel.
Allerdings trug dann der Kapitalist auch ?/s der Gefahr:
doch war das rationell und dem mittellosen Handlungsdiener
gegenüber billiger als die Grundsätze der „Halbgesellschaft“.
Die Statuten von 1294 (Hachs Codex II) freilich bestimmen
anders. Sie ordnen bei der Wederlegginge nur für den Verlust
Teilung nach Verhältnis an, dagegen Halbierung des Gewinnes:
8 197: Wederleghet iemen den anderen in cumpanie,
so wane se schichten scholen, is dar hovetghut unde
winninge, so schal he tovoren upboren dat he tovoren
hevet utgheleghet; dat andere scholen se like delen. Is
dar min den hovetgut, so scholen se dat schichten, alse
se it tosamene gheleghet hebbet na marctale').
Als Zweck dieser Begünstigung des mit Kapital Minder-
beteiligten, der ja ganz regelmäßig der Reisende ist, könnte man
an eine Entschädigung für seine Arbeit denken. Doch fiele
dieser Gesichtspunkt weg, wenn, wie so häufig, beide Gesell-
schafter ein gleich großes Kapital eingelegt hatten.
Hacns II. Codex von angeblich 1254, aber noch viel später
in Geltung, fährt denn auch in $ 183 nach „utghelecht“ fort:
dat ander scholen se schichten, also se tosamende
hebben ghelecht na marktalen *).
1) HACH S. 348.
2) HACH S. 439.
496 F. Keutgen
Dagegen greift der sog. Segeberger Codex, den Hacn dem
Inhalt nach ebenfalls dem 13. Jahrhundert zuweist!), wieder
auf Gleichteilung des Gewinnes zurück ?).
Hacx hat nachgewiesen, daß im alten Lübeck durch neue
Rezensionen des Stadtrechts die älteren durchaus nicht aufge
hoben wurden; daß man in lateinische Codices noch Sätze ein-
trug, nachdem man schon deutsche Bearbeitungen besaß; daß
man an andere Städte, die mit Lübecker Recht bewidmet sein
wollten, durchaus nicht immer eine Abschrift der neuesten Rervi-
sion abgab, sondern anscheinend der, die dem beauftragten Be-
amten gerade zur Hand war”).
Gegenüber diesem interessanten Wirrwarr in der handelsrecht-
lichen Gesetzgebung der führenden Hansestadt ist die Praxis
nach Gutdünken verfahren. Das statutarische Recht hat privaten
Abmachungen nirgends im Wege gestanden. Häufig hat maı,
wie schon ein angeführtes Beispiel zeigte‘), auch den Ge-
winn „na marctale gheschichtet“, wenn auch wegen mancher-
lei Nebenbestimmungen nicht immer genau. Solche Beispiele
sind bei REHME noch Nr. 7, 26, 46, 56, 61, 65°). Dreimal
nur dagegen wird bei verschiedener Kapitaleinlage ausdrücklich
gleiche Teilung des Gewinnes verabredet. Dabei bleibt wieder
zweimal die Möglichkeit eines Verlustes unberücksichtigt: in
Nr. 57 und 62 von 1347 und 1353. In dem dritten Falle da-
1) A. a. 0. 8. 119, S. 121.
2) HACH S. 439 in der Anmerkung zu Codex III $ 188: „wes dar denne
van winninge is, dat schal men like delen.“
8) Hacu 8. 3 ff.
4) REHMES Nr. 48, oben 8.494: „et sic debet cum dictis 12 # gros
negociari, ita quod tercia pars lucri maneat Hinrico et due partes dno.
Thidemanno“.
5) In Nr.7 ist das Teilungsverhältnis des Gesellschaftsvermögens wie
1 zu 3; auBerdem nimmt der Prinzipal 32 m. arg. vorweg. In Nr. 26 sind
40 m. d. gegen 318 m. d. gelegt: diese werden beiderseits vorweggenommen,
der Gewinn 1 zu 2 geteilt. Die Teilhaber hatten schon vorher in Gesell-
schaft gestanden und abgerechnet. In Nr. 46 ist das Verhältnis der Kapi-
talien wie der Gewinnteilung 1 zu 3, in Nr. 56 1 zu 2. Bei Nr. 61 wie
1 zu 3: dazu sind 100 m. d. geliehen, die nicht werben. In Nr. 65 endlich
Kapitalverhältnis 60 zu 400 m. d., Gewinnteilung 1 zu 3. Beide Teilhaber
sind tätig, jeder mit einem Diener.
Hansische Handelsgesellschaften. 497
gegen, Nr. 16 von 1315, wo das Kapitalverhältnis 27 und 72
ist, wird Halbierung auch des Verlustes ausgemacht, also im
Widerspruch mit allen Statuten. Hauptkapitalist ist diesmal
eine Witwe: das könnte ihren ungünstigen Gewinnanteil er-
klären, das für sie um ebensoviel zu günstige Risiko aber viel-
leicht der schon mehrfach berührte Umstand, daß die Gefahr
überhaupt nicht als allzu ernst betrachtet wurde.
Das Merkwürdigste ist wohl, daß alle diese anscheinend dem
Gesetz ins Gesicht schlagenden Abmachungen in das amtliche
Stadtbuch eingetragen werden konnten. Es muß nach all dem
Angeführten doch durchaus zweifelhaft bleiben, ob bei den zahl-
reichen Eintragungen von Kapitalzusammienlagen von 1 zu 2 ohne
weitere gebuchte Abrede (Nr. 4, 6, 29, 41, 42, 45, 47, 49, 50)
die Bestimmung gleicher Gewinnteilung in der Tat Platz griff
und nicht vielmehr stillschweigend die logisch folgerichtige
Teilung nach dem Verhältnis der Einlagen. Ich verweise
besonders auf Nr. 50 von 1347, wo der Hauptkapitalist zwar
erst zu 6 m. arg. 12 legt, dann aber zu diesen 18 noch einmal
18 m. arg. — beide Male heißt es, „in vera societate“ —, im
ganzen also wie 5 zu 1, mögen zwischen den beiden Trans-
aktionen auch fünf Jahre liegen‘). Ist da eine Gleichteilung
des Gewinns wahrscheinlich ?
So sehen auch die Handlungsbücher Teilung nach Ver-
hältnis vor: WITTENBORG II 56, 110, 179, 187, 302, 318, N.
St. B. 7la; und in Hamburg, GELDERSEN I 554, 582.
SILBERSCHMIDT will indes (und zwar gegen REHME und STOBBE)
die Statuten sogar so verstehen, daß auch das Kapital bei der
Abrechnung halbiert werden sollte: „vorweggenommen soll nur
das werden, bezüglich dessen dies vereinbart war, im übrigen
wird nach Köpfen geteilt“. Er geht von dem Grundsatz aus,
daß dies das einzig zulässige Verfahren sei, wo eine „wirkliche
societas vorliegt“, ein wirkliches „Gesellschaftsvermögen“ ge-
bildet worden ist ?).
2) SILBERSCHMIDT, Kumpanie und Sendeve 8. 55 ff., S. 58. REHME
S. 391. STOBBE, Z. f. das ges. Handelsrecht, Bd. VIII $. 58 f., der für die
Teilung nach Markzahl auch noch die Goslarer Statuten aus der Mitte
498 F. Keutgen
Aber was heißt „wirkliche societas“? Mag in den Quellen
noch so oft „vera societas“ stehen, so berechtigt das doch nicht,
Grundsätze des modernen Gesellschaftsrechts in das altdeutsche
hineinzutragen. Mag auch durch das Zusammenlegen von Kapi-
talien ein Gesellschaftsvermögen in gewissem Sinne entstanden
sein, so doch nicht in einem so strengen, daß man daraus alle
möglichen, dem modernen Juristen geläufigen Folgerungen ziehen
darf. Bei kurzfristigen Gesellschaften mit sehr verschieden
starker Kapitalbeteiligung würde jener Grundsatz zu der ur
erhörtesten Ungerechtigkeit, ja Ungereimtheit geführt haben.
Nach Ablauf der wenigen Jahre, auf die eine Gesellschaft ge :
schlossen war, hätte sich der schwächere Kapitalist in der Lage .
gesehen, stets außer der Hälfte des Gewinns auch noch einen
Teil der Einlage seines Gesellschafters zu beanspruchen. Es
wäre gar nicht ausgeschlossen gewesen, daß der stärkere Kapi-
talist mit einem Verlust hätte abziehen müssen, auch wenn
die Gesellschaft mit Vorteil gearbeitet hätte. Z. B. Einlagen
200 + 100; nach drei Jahren Gesellschaftsvermögen gestiegen
auf 380; die Halbierung ergibt für jeden 190. Wenn trotzdem
eine ganze Reihe von Urkunden — SILBERSCHMIDT führt REHME
Nr. 2, 12, 13, 19, 25, 27, 30, 35, 59, 60, 63 an — deutlich
„ergeben .., daß das Gesellschaftsvermögen jederzeit jedem der
beiden Teilhaber zur Hälfte gehört“, so kann man eben nur
schließen, daß in allen diesen Fällen das Kapital von vornherein
zu gleich und gleich zusammengeschossen war’). Dann aber
war der Satz gegenstandslos. Es ist willkürliche Annahme, dad
dann, wenn die Beteiligung wie 2 zu 1 war (Nr. 4, 6, 29, 4l,
42, 45, 47, 49, 50), die Arbeit des einen Teilhabers „einem
des 14. Jahrhunderts (GÖscHEN S. 102, 10), ferner aus dem 16. Jahrhundert
PURGOLD und die Nürnberger und Frankfurter Reformen allegiert und sog#!
auf ein altindisches Recht verweist, das Teilung von Gewinn und Verlus
nach Verhältnis der Einlagen oder nach Übereinkunft verlangt.
1) Alle diese Eintragungen außer Nr. 25 geben nur den Bestand det
Gesellschaftsvermögens und die Gleichheit des Eigentums daran an, et"
nach der Formel: „X et Y habent simul Z m. den. eis equaliter pertinente“
(Nr. 12); oder „bona que X habet, medietas pertinet Y et medietas ipsi X
(Nr. 80); oder ähnlich. Nach Nr. 25 werden 26 m. den. gegen 24 m. de
gelegt: wohl ein Schreibfehler ?
Hansische Handelsgesellschaften. 499
Viertel des Kapitals, wie bei der romanischen Commenda gleich-
gestellt“ worden sei!): sahen wir doch bereits, daß man in
Deutschland diesen Ansatz nicht kannte.
Wie ersichtlich, deutet SILBERSCHMIDT den Satz der Statuten
von 1294
so schal he tovoren upboren dat he tovoren hevet utghe-
leghet,
auf Vorwegnahme nur der Nebenkapitalien, die in vielen Fällen
dem Reisenden unter mancherlei Bedingungen außer dem Gesell-
schaftsgut mitgegeben wurden, z. B. als mutuum, von denen es
heißt
nec perdere debent nec lucrari (Nr. 54).
Diese Deutung ist jedoch keineswegs allein möglich: es kann
auch das Kapital gemeint sein, das jeder „ausgelegt“ hat. Eine
Handschrift sagt denn auch ausdrücklich statt „dat“,
sinen hovetsummen den:
wie denn überhaupt die Mannigfaltigkeit der Lesarten an dieser
Stelle als ein Fingerzeig dafür gelten kann, daß schon den Zeit-
genossen die Fassung unklar schien’). Für SILBERSCHMIDTS
Deutung des „tovoren utleggen“ könnte dann zwar, wenn auch
nicht notwendig, der Codex III zu sprechen scheinen. Im wesent-
lichen aber entscheidet er mit seinem
schichten, also se tosamende hebben ghelecht na mark-
talen,
gegen ihn. Ich weiß nicht, warum diese Redaktion des Lübecker
Rechts, die mindestens in diesem Punkte klar ist, in unserer
Literatur gegenüber der unklaren von 1297 so stiefmütterlich
behandelt wird’). —
1) SILBERSCHMIDT S, 56.
2) HAcH S. 349.
3) REHME berücksichtigt den Codex III gar nicht, sondern nur den von
1297: S. 390 ff. SILBERSCHMIDT berührt ihn nur in einer sehr merkwürdig
formulierten Anmerkung (8 S. 58), die sich gegen STOBBE wendet. — Die
Abrechnung REHME Nr. 66 (a. 1360) gehört überhaupt nicht hierher. Es
handelt sich offenbar um eine ,Halbgesellschaft“: die 1000 m. den. stellen
das Anfangskapital dar, das Westphal seinem „Socius“ Stormer anvertraut
hatte; die 350 m. d. aber sind der bisherige Gewinn, an dem Stormer nach
den Satzungen der Halbgesellschaft die Hälfte zukommt. Die Fortsetzung
500 F. Keutgen
Methodisch ungemein lehrreich sind einige Notizen, die wir
in dem Rentenbuch Vickos von Geldersen finden über
eine Gesellschaft, die nach seinem Tode seine Söhne schlossen ').
In 8 66 berichtet der älteste, Johannes, daß er mit seinem
Bruder Vicko Gesellschaft gemacht habe, und zwar so, daß er
ihn zu seinen 150 m. ebenfalls 150 m. legte. Stürbe Vicko
ohne Erben, so solle Hans die 150 m. wieder haben. Zu diesen
300 m. aber leiht Hans an Vicko 100 m., und zu diesen 400 m.
legt er weitere 400 m.:
aldus heft he 800 $ in desser cumpenyge.
Der Gewinn soll geteilt werden.
Unde wan wy desse cumpenyge scheden, su schal he
my de händert mark tuvoren gheven ute desser cumpenige,
de ik em ghelenet hebbe.
Also: anscheinend völlige Bestätigung von SILBERSCHMIDTS Aus
legung der Lübecker Statuten von 1294: nur die besonden
der Gesellschaft mit dem jetzigen Gesamtvermügen von 1350 m. d. ändert
an diesen Grundtatsachen nichts. Nur daß die 350 m. nun gewissermaßen
gemeinsames, bei Auflösung der Gesellschaft wie der weitere Gewinn zu
teilendes Kapital darstellen, nachdem Westphal seine 1000 m. vorweg ge-
nommen hat: „Conradus Westphal et Otto Stormer, socius suus, computs-
verunt de societate sua et habuerunt de computatione facta marcas 1350,
quarum 1000 m. den. pertinent Conrado soli inantea, et residuum pertinet ipsis
ambobus equa sorte mercimoniali“. Das bestätigt auch der weitere Wortlaut:
„Has autem 1350 m. d. ipse O. obtinebit in vera societate mercimoniali. Ei
quandocunque ipse C. rehabere vult suas 1000 m., quas ipse habet cum O. pre
dicto, et dividere secum alia bona superflua et cum eis superlucrate, tum
ipse C. hoc sibi debet preintimare per dimidium annum; et sic ipse O,. sili
eciam preintimabit, quando separari vult ab ipso C. vice versa. Ipse tame
O. predictas 1350 m. habet solus pre manibus, cum eis mercimonia(s) ex
ercendo; et C. nichil habet de pecunia supradicta“. — PAULL, Zustände II
S. 38 f., versteht $ 197 wie SILBERSCHMIDT, gibt aber zu, daß die Rechte
anderer Städte (Hamburger rev. Statuten von 1603 II, 10. Art. 4.; Nürnberger
Ref. von 1564 Tit. 18, Ges. 4.; Frankfurt a. M. Ref. von 1578 TI. 2, Tit. 98,
& 3) und der Lübecker revidierte Art. I, den er jedoch „etwas unklar“ nennt
{ohne Grund: er ist nur unvollständig), abweichen, sowie unter Hinweis
auf seine Nr. 89 (a. 1440), „daß übrigens schon frühe [was heißt „frühe“ ?]
die Gresellschaftsverträge in Lübeck nicht immer den Rechtsbestimmungen
sich anschlossen“.
1) NIRRNUEIM, Das Handlungsbuch Vickos von Geïdersen, 8. 125 ff.
Hansische Handelsgesellschaften. 501
geliehenen 100 m. werden bei Auflösung der Gesellschaft zuvor
zurückgezogen. Alles übrige, das ganze zusammengelegte Kapital
der Gesellschaft, wird anscheinend halbiert, obgleich das Ver-
hältnis der Einlagen 150 zu 550 ist: offenbar Entschädigung
für die Arbeit des „Kommendatars“! Allein die ersten gegen-
gelegten 150 m. sollten im Todesfalle doch auch zurückgegeben
werden ?
Nun aber ersehen wir aus 8 59, daß all dies Geld außer
Vickos ersten 150 m. und den geliehenen 100 m. aus einer
väterlichen Erbschaft von 750 m. stammt, an der doch wohl
beide Brüder Anteil hatten, so daß ihre spätere Teilung bei
Auflösung der Gesellschaft nichts Wunderbares mehr hat, — aus
väterlichen Geschäften, deren Abwicklung Vicko, der jüngere
Bruder, in Händen hatte.
Merkwürdig verwickeln sich aber die Verhältnisse im weiteren.
Nach & 67 haben die Brüder die ersten 300 m., von denen ge-
redet wird, als ob sie innerhalb des Gesamtkapitals von 800 m.
ein Sonderdasein führten, zum Abschluß einer Gesellschaft mit
Arnd Wrede in Lübeck benützt. Jetzt, Michaelis 1396, fünf
Jahre nach Abschluß ihrer eigenen ersten Gesellschaft, wünscht
Johannes Geldersen, an der Gesellschaft mit Wrede nicht mehr
mit Gewinn und Verlust beteiligt zu sein. Er läßt jedoch seine
150 m. darin, d.h. er leiht sie nun seinem Bruder:
unde vor desse 150 % schal he my gheven 10 m. ü
rente des jares.
Etwas ganz Neues! Das ließ bisher noch nichts ahnen, daß
von den Darlehen, die einem Gesellschaftskapital zugelegt zu
werden pflegten und die nicht mit „werben“ sollten. Zinsen
genommen wurden’). Welch neues Licht, und wie sehr viel
rationeller erscheint danach dies Verfahren!
Vielleicht hängte man diesen Zinsgenuß nicht gern an die
große Glocke, wenn man auch wohl gute Freunde als Zeugen litt.
In ein paar weiteren Buchungen aus dem Jahre 1401 nämlich
1) Nicht uninteressant ist der Zinsfuß von 6°/,°/o: das alte Deutsche
Handelsgesetzbuch schrieb bei Gelegenheitsgesellschaften „feste Verzinsung
der Einlagen ohne Rücksicht auf Gewinn und Verlust mit 6°‘ vor. COSACK,
Handelsrecht S. 725, II, 2) a2. Vgl. unten S.513 Anm. 1.
502 F. Keutgen
(&$ 103, 103a), nach Hans Geldersens Tode, wird durch die Vor-
münder seiner Kinder der Vertrag erneuert, wonach, wenn auch
Vicko — jedoch ohne Erben — gestorben sein sollte, die ibm
von seinem Bruder ,gegebenen“ 150 m. an dessen Kinder
zurückgegeben werden sollten. Von Zinsen hören wir da nichts
mehr. Im übrigen war die Gesellschaft zwischen den Brüdern nach
siebenjährigem Bestehen im Jahre 1398 aufgelöst worden: Vicko
schuldete damals an Hans 530 m.
Diese so viel reichlicheren Mitteilungen lassen immer noch
vieles unsicher, über mehr als einen Punkt klären sie uns auf:
ihr Hauptinteresse liegt doch schließlich in der Warnung vor
dem guten Glauben, als wäre in kurzen Notizen, wie die des
Lübecker Niederstadtbuchs, alles enthalten, was zur juristischen
und sogar wirtschaftlichen Charakterisierung der gebuchten Ge
sellschaften nötig gewesen wäre.
IV.
Gelegenheitsgesellschaft oder Gewerbsgesellschaft?
Bis so weit hat sich unsere Untersuchung in der Hauptsache
auf das Formale beschränkt, wenn sich auch hin und wieder
Blicke in das Wesen des älteren norddeutschen Handelsbetriebes
selbst auftaten. Zu einem allgemein höheren Interesse jedoch
wird sie sich erheben, indem wir eingehen auf die Frage:
können die hansischen Handelsgesellschaften, oder eine be
deutende Gruppe unter ihnen, als Gewerbsgesellschaften
gelten, oder waren sie schlechthin Gelegenheitsgesell-
schaften? Ihre Beantwortung wird ausmünden in die der
weiteren Frage, ob der hansische Handel überhaupt als ein ge
werbsmäßiger anzusprechen ist. Dabei wird es sich behufs
leichterer Verständigung empfehlen, die Grundsätze heranzuziehen,
die der Gesetzgebung über die heutigen Handelsgesellschaften
zugrunde liegen, die offene Handelsgesellschaft, die Kommandit-
gesellschaft und auch die stille Gesellschaft, die freilich unter
die Handelsgesellschaften nur in weiterem Sinne gerechnet wird,
während die Aktiengesellschaft weniger in Betracht kommt. Diese
maßgebenden Grundprinzipien aber sind am klarsten ausgesprochen
Hansische Handelsgesellschaften. 503
in den authentischen Definitionen des Handelsgesetzbuchs
für das Deutsche Reich vom 10. Mai 1897.
„Eine Gesellschaft, deren Zweck auf den Betrieb eines
Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher Firma gerichtet ist,
ist eine offene Handelsgesellschaft, wenn bei keinem der
Gesellschafter die Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern
beschränkt ist“: Handelsgesetzbuch $ 105.
Im Unterschied davon ist eine solche Gesellschaft „eine
Kommanditgesellschaft, wenn bei einem oder bei einigen
von den Gesellschaftern die Haftung gegenüber den Gesellschafts-
gläubigern auf den Betrag einer bestimmten Vermögenseinlage
beschränkt ist (Kommanditisten)“: Handelsgesetzbuch $ 161.
Endlich: „Wer sich als stiller Gesellschafter an dem
Handelsgewerbe, das ein anderer betreibt, mit einer Vermögens-
einlage beteiligt, hat die Einlage so zu leisten, daß sie in das
Vermögen des Inhabers des Handelsgeschäfts übergeht. Der
Inhaber wird aus den in dem Betriebe geschlossenen Geschäften
allein berechtigt und verpflichtet“: a. a. O. $ 335.
Wir sehen: alle drei Formen der Gesellschaft gehen aus auf
den Betrieb eines Handelsgewerbes. Dagegen ist das Charakte-
ristische der Gelegenheitsgesellschaft die „Vereinigung
mehrerer Personen zum nicht gewerbemäßigen Abschluß von
Handelsgeschäften“ ). Damit ist zwischen Handelsgesellschaft
und Gelegenheitsgesellschaft ein kontradiktorischer Gegensatz
festgestellt: die Begriffe schließen sich aus.
Das neue deutsche Handelsgesetzbuch läßt deshalb den Be-
griff der Gelegenheitsgesellschaft, den das alte kannte, überhaupt
fallen; denn, wie Cosacx es ausdrückt, „die handelsrechtlichen
Gesellschaftsformen sind einer derartigen Vereinigung entweder
rechtlich unzugänglich“ (wie die offene oder die stille Gesell-
schaft, da sie „einen ‚Gewerbebetrieb‘ als Gegenstand des Ge-
sellschaftsunternehmens voraussetzen“) „oder passen wenigstens
tatsächlich nicht für sie“ (wie die Aktiengesellschaft, die „offenbar
1) Cosack, Lehrbuch des Handelsrechts. 4., auf Grundlage des Handels-
gesetzbuchs vom 10. Mai 1897 umgearbeitete Auflage (1898), S. 725 II.
504 F. Keutgen
für den Abschluß vereinzelter Geschäfte zu schwerfällig organi-
siert ist“) ').
Daraus folgt: läßt sich bei den hansischen Gesellschaften
gewerbemäßiger Handelsbetrieb als Zweck nachweisen, so sind
sie ohne weiteres als Gewerbsgesellschaften anzusprechen.
Hiergegen würde auch nicht aufkommen können, wenn sie etwa
trotzdem in formaler Hinsicht Merkmale der Gelegenheitsgesell-
schaft aufweisen sollten; denn nicht die Form, sondern nur das
zugrunde liegende Prinzip, Gleichheit des Wesens und der Ab-
sicht, können bei derartigen Begriffsbestimmungen den Ausschlag
geben.
Hieraus aber ergibt sich sogleich ein Weiteres: ist nach
Lage der Quellen der Zweck der Gesellschaft selbst nicht augen-
scheinlich, so wird es darauf ankommen, die Absicht der Teil-
nehmer festzustellen. Es wird darauf ankommen, ob die Gesell-
schafter den Gesellschaftsvertrag eingegangen sind im Verfolg
eines regelmäßig betriebenen Handelsgewerbes, auch wenn er
formell sich nur auf ein Einzelgeschäft zu beziehen scheint,
nach dessen Abwicklung er sein Ende erreicht.
Liegen nicht alle Teilhaber einer Gesellschaft persönlich dem
Betriebe des Handelsgewerbes ob, so wird entscheidend sein die
Absicht des Unternehmers:
Die Teilhaber einer Aktiengesellschaft können Aktionäre ge-
worden sein im Verfolg ihres ordentlichen Handelsgewerbes: so
wird manchmal eine offene oder eine Kommanditgesellschaft in
eine Aktiengesellschaft umgewandelt. In sehr vielen Fällen jedoch
sind viele von den Aktionären nur gelegentliche Teilnehmer,
auch wenn sie übrigens dem Gewerbe eines Kaufmanns obliegen.
Sofern jedoch der Zweck der Aktiengesellschaft selbst und ihrer
Unternehmer sich auf den Betrieb eines Handelsgewerbes richtet,
ist sie dennoch auf alle Fälle Gewerbsgesellschaft.
So ist auch die Kommandit- und selbst die stille Gesellschaft
Gewerbsgesellschaft, kommt diese doch dadurch zustande, daß
sich jemand „an dem Handelsgewerbe, das ein anderer betreibt,
mit einer Vermögenseinlage beteiligt“ °), wobei also der Ge-
| 1) CoSACK, a. a. À.
2) Vgl. oben S. 503.
Hansische Handelsgesellschaften. 505
werbebetrieb des „anderen“ den Ausschlag gibt. Insofern aber
die stille und, was wichtiger ist, die offene und die Kommandit-
gesellschaft nicht, wie die Aktiengesellschaft, juristische Personen
sind, so werden sich bei ihnen Absicht der Gesellschaft und
Absicht der Teilhaber überhaupt nicht trennen lassen. Um so
mehr hat die Absicht der Gesellschafter auch als die des gemein-
samen Unternehmens zu gelten.
Es wird nun methodisch richtig sein, wenn auch sachlich
erst auf einer späteren Stufe von erheblicher Bedeutung, die Frage
aufzuwerfen, welcher von den beiden Teilhabern der normalen
hansischen Handelsgesellschaften — sei es mit einseitiger oder
zweiseitiger Kapitaleinlage — als Unternehmer zu gelten hat.
Freilich wird sie durch alles bisher Gesagte bereits präjudiziert
erscheinen: doch macht REHMES eigentümliche Stellungnahme
ihre ausdrückliche Beantwortung jetzt unumgänglich.
REHME spricht nämlich fortwährend von dem Reisenden, dem
kapitalistisch nicht oder (meist) minder Beteiligten als dem „Unter-
nehmer“ — ohne weitere Begründung, obgleich er sich damit
in offensichtlichem Gegensatz zu der bisherigen allgemeinen Auf-
fassung befindet. Daß jener Reisen „unternimmt“, kann für
seine rechtliche Stellung zur Gesellschaft doch nicht entscheidend
sein: besser, er „übernimmt“ sie.
Es ist indes klar, wie sich die Auffassung der gesamten
sowohl juristischen wie wirtschaftlichen Verhältnisse verschieben
muß, je nachdem wir uns den Handel getragen denken von
einer großen Anzahl kleiner, kapitalarmer Händler, die mit
Waren, die ihnen größtenteils nur anvertraut sind, jedoch als
selbständige Unternehmer, bald hier, bald dorthin reisen. Oder
ob die eigentlichen Träger eine kleinere Zahl kapitalkräftiger,
ansässiger Kaufleute waren, die zusammenhängende Komplexe:
von Geschäften von Hause leiten und die verschiedensten aus-
wärtigen Häfen in einem Interesse durch jüngere, ihnen zum.
Teil assoziierte Leute besuchen lassen.
Für die Beurteilung des Wesens der Handelsgesellschaften
und des Handels selbst kommt so gut wie alles darauf an, ob.
ein Mann wie Hermann Mornewech, der nach PauLt in den
Jahren 1323—1335 im Niederstadtbuch als Teilhaber an 18 ver-
506 F. Keutgen
schiedenen Sozietäten auftritt, als bloßer Rentner Teile seines
Vermögens in 18 verschiedenen kaufmännischen Unternehmungen
anlegte, oder ob er als aktiver Kaufmann im Laufe der Jahre
zu 18 verschiedenen Malen mit Berufsgenossen zu geschäftliche
Unternehmen sich verband, Gesellschaftsverträge abschloß und
erneuerte').
Da versagt allerdings das Stadtbuchmaterial, wenn man &
allein nimmt: ein Handlungsbuch, wie das Johann Wittenborg.
wird indes an dem Sachverhalt keinen Zweifel lassen. Auch
bei den Geschäften, die die Großschaffer des Deutschen
Ordens in dessen Interesse leiteten, versteht es sich, daß der
Orden Unternehmer war, nicht etwa die auswärtigen „Lieger“').
So haben denn auch bis auf REHME alle Forscher die Sache
‚aufgefaßt: selbst BÜCHER, der, soweit Frankfurter Verhält
nisse in Frage kommen, den Kommendator oder socius sta
nicht als Berufskaufmann gelten lassen will, bezeichnet doch ihn
wenigstens als den Geschäftsunternehmer *).
Nur als Mitunternehmer wird der gesellschaftlich beteiligte
Handlungsgehilfe — denn das war doch schließlich auch im
romanischen Gebiet die ursprüngliche Stellung des Kommendatan
— zu gelten haben; und nach außen mag er unter Umständen
als Unternehmer aufgetreten sein: nicht aber als Unternehmer im
1) Pau, Lübeckische Zustände Bd. I S. 140. Auf die Art dieser Tei-
haberschaft „an 18 verschiedenen Sozietäten* wird noch zurückzukomme
sein. Unten VI.
2) Handelsrechnungen des Deutschen Ordens. Herausgeg. v. C. SATTLES
(1887). — Derselbe, Der Handel des Deutschen Ordens in Preußen s. Z. s. Blüte.
Hans. G.Bl., Jahrgang 1877 S. 59 ff. — Vielleicht legt REHME Wert darauf:
„Wie die gesamte Geschäftsführung besorgt auch die Teilung der Unter-
nehmer (25), während der Kapitalist quittiert‘‘ (S. 390). In Nr. 25 steht:
„Cum autem dividere voluerint, quicquid dictus Albertus habuerit, totum illud
debet equaliter dare predicto Johanni dimidium“. Es versteht sich indes von
selbst, daß wer das Geschäft besorgt hat, auch Rechnung ablegen muß.
Das bedeutet aber nicht mehr, als wenn eine Köchin Rechnung ablegt über
ihre Einkäufe auf dem Markte. Daß jener Wendung kein tiefer Sinn bei-
wohnt, zeigt auch Nr. 18: „quicquid cum hiis fuerit lucratum, equaliter
divident“; und Nr. 20: „lucrum divident“.
8) BÜCHER, die Bevölkerung Frankfurts a. M., Bd. I S. 247. Dazu obes
S. 807 und Hans. G.Bl., Jahrg. 1901, S. 111.
Hansische Handelsgesellschaften. 507
Gegensatz zum Kapitalisten. Der Grad der Mitunternehmerschaft
kann natürlich ein verschiedener sein, von der materiell durchaus
untergeordneten Stellung des nur am Gewinn beteiligten An-
fängers bis zu der vollständigen Gleichbeteiligung eines eben-
bürtigen Kaufmanns.
In Italien hat sich allerdings im Laufe der Zeit das
Verhältnis vielfach umgekehrt. Zwar haben sich auch im Nor-
den Kommendatare, die ursprünglich bloß Beauftragte waren,
wenn es ihnen glückte, schließlich wohl selbständig gemacht:
dann sind aber sie nunmehr zu Hause geblieben, haben andere
ausgeschickt und sind Kommendatoren geworden. Allein in
Italien haben sie ihr eigentliches Gewerbe in dem Maße aus-
gebildet, daß nun der einzelne von ihnen Kapitalien einer Mehr-
zahl von socii stantes in sein Geschäftsunternehmen übernahm.
Die Kommendatoren aber sind damit aus eigentlichen Unternehmern
zu bloßen Kommanditisten geworden: ein wichtiger Schritt auf
dem Wege der Weiterentwicklung des Gesellschaftsrechts !).
In Deutschland aber findet sich nichts dem Entsprechendes.
Es ist doch etwas anderes, wenn Geldersen und Witten-
borg das Gevattergeld ihrer Söhne, die Ersparnisse ihrer
Mägde an ihren Geschäften sich beteiligen lassen, oder wenn
spekulationslustige Rentner, Edelleute, Geistliche ihr Geld in die
großen süddeutschen Gesellschaften stecken: hier bleibt Unter-
nehmer der „socius stans“, der es von Anfang an gewesen ist,
der aber durch einen stillen Teilhaber sein Kapital verstärken
läßt. — Es kommt da wieder der früher berührte Unterschied
zwischen „commendare“ und „accommodare“ ins Spiel ?).
1) WEBER, z. G. d. Handelsgesellschaften S. 20. SILBERSCHMIDT, Com-
menda, S.29, sieht das Wesentliche in dem Übergang von der „Waren-“
zur „Gseldkommenda“. In den hansischen Quellen vermag ich keinen derartigen
Unterschied zu erkennen. Zwar ist in einigen Eintragungen des Lübecker
Niederstadtbuchs von Waren die Rede, in anderen von Summen; allein es
kann nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, daß beides sozusagen kon-
vertible Begriffe waren.
2) Oben S. 476. Hierher gehört natürlich auch das „pecuniam publicis
negotiatoribus accommodare, ut supercrescentis lucri particeps sim“, oben
S. 301. — Über die Faktoren in London, die 1468 angeblich jeder mehrere
Kölner Kaufleute vertraten, vgl. unten Abschnitt VI am Ende.
508 F. Keutgen
Wir kehren nun zurück zu dem Problem Gewerbsgesellschaft
oder Gelegenheitsgesellschaft.
In der Literatur herrscht da durchaus die Tendenz vor, die
hansischen Handelsgesellschaften als Gelegenheitsgesellschaften
aufzufassen. MoLLwo erklärt sie „ausnahmslos“ dafür, und
zwar „ganz im Gegensatz zu den gleichzeitigen Verhältnissen
im romanischen Rechtsgebiet“). Daß er sich mit diesem
„Gegensatz“ irrt, zumal indem er sich dabei auf GoLDscHmr
und WEBER beruft, hat schon SILBERSCHMIDT bemerkt). REHME
sucht zu erweisen, daß zwar nicht alle Lübecker Gesellschafts
formen, aber doch wederlegginge und ,sendeve“ (lies quasi-
societas oder Halbgesellschaft) Gelegenheitsgesellschaften waren’).
STIEDA, in RoscHERs Nationalökonomik des Handels und Ge
werbfleißes, erklärt die Gelegenheitsgesellschaft für „die Haupt-
form der Handelsgeschäfte“ „im Mittelalter“; er nennt int
besondere als solche die „vera societas . . ., in den deutschen
Quellen als wedderlegginge bezeichnet“ *). SILBERSCHMIDT drückt
sich immerhin zurückhaltender aus: er läßt nur die societas
im romanischen Gebiet wie in Deutschland „für lange Zeit‘ Ge-
legenheitsgesellschaft bleiben°). Doch gibt er keine Grenze an,
wo sie zur Gewerbsgesellschaft übergeht: hätte er das versucht,
so würde er wohl zu einer tiefergreifenden Erörterung des Prinzips
der Gelegenheitsgesellschaft geführt worden sein.
Überhaupt aber hat die Forschung über die italienischen wie
deutschen Gesellschaften, als Kennzeichen der Gelegenheitsgesel-
schaft ein ganz anderes vorausgesetzt als das vom heutigen Recht
zugrunde gelegte, angegebene: nämlich, daß die Vereinigung
zum Zweck eines Einzelgeschäfts erfolgt sei, nach dessen
1) Wittenborgs Handlungsbuch, Einleitung S. L, S. LO.
2) SILBERSCHMIDT, Kumpanie und Sendeve, S. 86 f. Morwo gilt
keine Seitenzahlen an, wo GOLDSCHMIDT und WEBER sich in jenem Sint
geäußert hätten. SILBERSCHMIDT seinerseits scheint die Meinung der 8%
nannten Autoren mehr aus ihren allgemeinen Angaben zu erschließen.
3) REHME, a. a. O., S. 376. Näheres darüber unter V.
4) 7. Aufl. S. 187, S. 190. — Dem deutschen „wederlegginge“ entspricht
vielmehr im lateinischen „contrapositio.“
5) À. a. O., S. 36.
Hansische Handelsgesellschaften. 509
Abwicklung die Gesellschaft sich von selbst auflöste, da der Ver-
trag erfüllt war.
Dann aber hat man stillschweigend dafür untergeschoben
Gesellschaften, die abgeschlossen "waren auf eine kurze Zeit,
wie man sie sich für die Erledigung eines überseeischen Ge-
schäftes genügend dachte. Durch dieses quid pro quo, ein
solches Verlassen des Prinzips, mußten indes die Quellen der
Erkenntnis von vornherein getrübt werden. Und zwar erhellt
die Wichtigkeit der Klarstellung dieses Punktes sogleich aus
folgendem: |
Maßgebend ist bei jener Definition der frühen südeuropäischen
. Handelsgesellschaften als Gelegenheitsgesellschaften — denn um
südeuropäische hat es sich zunächst wiederum gehandelt, — näm-
lich ein besonderer juristischer Gesichtspunkt gewesen:
„Wer im Seehandel Gläubiger oder Partizipant geworden ist,
der — so etwa ist der Gedankengang — ist beides nicht für
einen, resp. an einem kontinuierlichen Gewerbebetrieb geworden,
er kreditiert, resp. partizipiert vielmehr zum Behuf, resp. an der
einzelnen Unternehmung der speziellen Seefahrt, — denn der
Seehandel ist kein einheitlicher Betrieb, sondern eine Serie
einzelner Unternehmungen, deren jede ihr individuelles Risiko
hat“).
Man sieht, daß es sich um eine juristische Konstruktion
handelt, die in Zeitumständen begründet war und den Zeit-
bedürfnissen entsprochen haben mag. Wollten wir heute noch
an ihr festhalten, so würden wir auch heute noch im Seehandel
nur Gelegenheitsgesellschaften haben. Heute aber — mag auch
ein Kaufmann zu eigenen Zwecken Gewinn und Verlust an
jedem einzelnen größeren Unternehmen für sich besonders be-
1) WEBER, 8.2.0. 8.16. Vorher: „Schon das römische Recht hatte
im foenus nauticum und der lex Rhodia besondere Rechtssätze aufgestellt
unter Rücksichtnahme auf die besondere Art des Risikos, welches der See-
handel zu tragen hat. Gerade diese Institute“ treffen wir „in den frühesten
mittelalterlichen Rechtsquellen wieder an. Aber das Mittelalter, weniger als
das antike Recht sich bindend an die Konsequenzen der juristischen Analyse,
hat die Tragung der Gefahr auf diesem Gebiet überhaupt selbständigen
Regeln zu unterstellen versucht“.
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftegeschichte. IV. 34
510 F. Keutgen
rechnen können — findet juristisch nur das Risiko an der Ge-
samtheit aller Unternehmungen einer Gesellschaft Berücksich-
tigung. Sobald also die einzelnen Seehandelsunternehmen rascher
aufeinander folgten, sobald sie anfingen, eine ununterbrochene
Kette von Unternehmungen derselben Teilhaber zu bilden, verlor
jener Gesichtspunkt seine Berechtigung, und mußte man ihn
fallen lassen.
Dieser Augenblick aber tritt ein, sobald man die Gesell-
schaften nicht mehr für eine einzelne Reise abschloß, sondern
auf Zeit.
Im Landhandel hatte sie deshalb auch von vornherein nicht
Platz gegriffen. Denn es „legte der äußere Gang des Land-
verkehrs den Gedanken der Risikoteilung nicht so nahe wie die
Besonderheit des Schiffsverkehrs“. Deshalb wird „hier die
Sozietät nicht auf ein individualisiertes Unternehmen abgeschlossen,
sondern auf eine bestimmte zeitliche Dauer des Betriebes ein-
gegangen“ !).
In der hansischen Handelswelt des 14. Jahrhunderts aber
finden wir jenen Augenblick längst vorüber. Es ist allein
üblich, Gesellschaften auf Zeit abzuschließen, und zwar entweder
auf eine Reihe von Jahren oder auf unbestimmte Dauer. Von
Gesellschaften für einzelne Fahrten, sei es nach England, nach
Flandern, nach Bergen, nach Rußland, ist nirgend etwas vermerkt.
Die meisten Eintragungen des Niederstadtbuchs, die REHME
mitteilt, sind zu skelettartig, als daß man irgendetwas Greif-
bares aus ihnen schließen könnte: sie berichten nur, daß Geld
hergegeben oder zusammengelegt worden ist mit der Absicht,
den Gewinn zu teilen, ohne irgendeine Befristung. Doch bleibt
eine genügende Anzahl, um uns darüber aufzuklären, wie die
Sache gemeint war.
Mehrfach heißt es:
cum autem dividere voluerint,
oder ähnlich: so Nr. 18, 25, 26, 36, 45, 62: bei einseitiger
Kapitalbeteiligung ist es der Prinzipal, der „will“, sonst beide.
In Nr. 60 ist die Rede von einem
tempus oportunum,
1) WEBER, 8. 37.
Hansische Handelsgesellschaften. 511
wo eine gewisse Summe aus der Gesellschaft zurückgezogen
werden soll. Vgl. auch Nr. 66. Nach Nr. 48 (a. 1336) soll
H. Wunder die ihm von Thidemann von Güstrow zum Handels-
betrieb gegebenen 4 m. arg., zu denen Güstrow noch 8 m. arg.
legt, wie bemerkt, so lange behalten, bis dieser sie
sibi reddi notorie requisierit.
Es wird aber zugleich in Aussicht genommen, daß er sie nicht
zurückverlangen wird. In Nr. 52 wird 6 Jahre später diese Ab-
machung bestätigt ').
Nr. 50 (a. 1342) schließt mit den Worten:
et ambo recognoverunt, hunc contractum societatis eorum
quinque annis preteritis fuisse factum.
Das ungeschickte Latein vieler dieser Buchungen würde die
Deutung vielleicht nicht ganz ausschließen, daß dieser Vertrag jetzt
erst auf fünf künftige Jahre geschlossen worden sei. Allein die
besonderen Umstände zeigen, daß in der Tat die Gesellschaft
schon bestanden hatte und jetzt auf unbestimmte Zeit mit ver-
stärktem Kapital erneuert wurde: nämlich, nachdem er ursprüng-
lich 12 zu 6 m. arg. gelegt hatte, gibt der Prinzipal jetzt gegen
jene 18 weitere 18 m. arg.*). Ebenso handelt Nr. 23 von Er-
neuerung einer schon bestehenden Gesellschaft, deren Anfangs-
kapital von 5 + 10 m. den. sich durch Gewinn auf 27 m. den.
vermehrt hatte: hierzu legten der Prinzipal und sein neu ein-
tretender Bruder weitere 27 m. den.
Diese Zwischenabrechnungen sind von besonderem: Interesse.
So auch Nr. 26 (a. 1323):
Hec societas facta est, non obstante divisione inter eos
facta et infra in hoc libro notata ante nativitatem Christi
a. 1322.
Ähnlich Nr. 66:
computaverunt de societate sua et habuerunt de compu-
tatione facta m. 1350. . . . Has autem 1350 m. d. ipse
Otto obtinebit in vera societate mercimoniali. Etc.
Dabei wird eine Kündigungsfrist von einem halben Jahre ver-
abredet.
1) Vgl. oben 8. 494.
2) Vgl. oben S. 497.
512 F. Keutgen
Ferner kennt Nr. 46
pecunia que vertitur inter ipsum Vrowinum et suum
dominum Conradum de Atendorn in societate:
aus dem Kapital dieser Gesellschaft nämlich entnimmt Vrowin
145!/s m. den., die er Godeko Traveneman zu dessen 48!/, m. d.
„in vera societate“ zulegt.
Endlich mit Auflösung des Verhältnisses durch den Tod des
Reisenden rechnet Nr. 64. Darum will SILBERSCHMIDT hier eine
über das Gewöhnliche „hinausgehende, auf Lebenszeit des
Rud. Wittenborg begründete Gesellschaft“ erkennen!). Mit
Unrecht: denn es kann kein Zweifel sein, daß ganz regelmäßig
ein Zusammenarbeiten auf so lange in Aussicht genommen wurde,
wie es sich lohnte und man sich vertrug, — natürlich, wenn
möglich, mit allmählicher Erhöhung des Kapitals. Also gerade
wie bei einer offenen Handelsgesellschaft von heute.
Unter all den von REHME mitgeteilten Eintragungen finde ich
nur eine, die — scheinbar — abweicht:
Nr. 43 (a. 1330): Th. de R. habet 100 m. et 1 fertonem
argenti sibi et Rotghero R. pertiuentes equaliter in societate.
Medietatem vero huius pecunie . . . dictus Th. predicto
Rothgero restituet in Carnisprivio.
Offenbar handelt es sich indes hier nicht um Neugründung einer
Gesellschaft, sondern um Feststellung des Ergebnisses einer
Abrechnung mit Fristbestimmung für die Auskehrung des An-
teils des einen Teilhabers *).
Was aber unsere Forscher irregeführt hat, ist — außer
etwa von italienischen Zuständen mitgebrachten Vorstellungen
— offenbar wieder ihre falsche Auffassung des Sendeve-
geschäftes, dessen Vermischung mit den Gesellschaftsge-
schäften. Bei dem Sendevegeschäft handelt es sich und kann
es sich nur handeln um Kauf und Verkauf bestimmter Waren-
posten. Jedes Sendevegeschäft bildet in der Tat eine Trans-
aktion für sich. Darum ist es jedoch kein Gelegenheitsgeschäft,
denn es erfolgt ja im regelmäßigen Betriebe eines Handels-
1) Kumpanie und Sendeve S. 35 f.
2) Nr. 39 gehört nicht hierher: ein Vertrag über die Einstellung von
Schweinen zur Mast kann nicht als Norm für die Handelsgesellschaften gelten.
Hansische Handelsgesellschaften. 513
gewerbes: es steht eben auf einer ganz anderen Ebene. Nun
jedoch wird klar, wie wichtig es gewesen ist, seine Natur gleich
eingangs festzustellen.
Es versteht sich bei alledem, daß die Zuweisung der han-
sischen Gesellschaften des 14. Jahrhunderts zu der Kategorie
der Erwerbsgesellschaft oder aber der Gelegenheitsgesellschaft
nicht erfolgen darf nach Maßgabe einer juristischen Definition,
die zufällig heute oder zu irgendeinem anderen Zeitpunkt auf-
gestellt worden ist!) Für uns haben diese Definitionen an
sich nur den Wert, uns Gesichtspunkte für unser Urteil an die
Hand zu geben, uns mit den in Frage kommenden Prinzipien
bekanntzumachen. Es konnte sich daher bei unserer Unter-
suchung der hansischen Gesellschaften unter diesem Gesichts-
punkte nicht um eine Klauberei handeln, ob ihre Dauer noch
genau einer ursprünglich für die Gelegenheitsgesellschaft geltenden
entspricht. Man würde sie trotz längerer Fristen immer noch
dieser Klasse zuweisen dürfen, wenn wirklich damals Händler
und Geldbesitzer nur nach zufällig sich bietender Gelegenheit
Gesellschaftsverträge miteinander eingegangen wären, wenn
auch auf eine Reihe von Jahren und hätten sie sie nach deren
Ablauf gelegentlich auch wieder erneuert. So hat man sich die
Sache ja vorgestellt: das geht auf PaAuLı zurück, der zuerst das
Niederstadtbuch benützt hat. Allein so ist es eben regelmäßig
nicht gewesen. Das Ausschlaggebende vielmehr ist, daß die in
Lübeck — und jedenfalls ebenso in den anderen Seestädten
— ansässigen Kaufleute im Verfolg ihres Handelsgewerbes ge-
werbsmäßig Gesellschaften abschlossen, und zwar nicht mit
diesem oder jenem, bald so, bald so, sondern meist immer
wieder mit denselben Personen, de facto lebenslänglich.
Das ließen schon die besprochenen Eintragungen des Lübecker
Niederstadtbuchs erkennen. Aber dabei ist immer noch eins zu
beachten: im allgemeinen wurden im Stadtbuch, wie schon be-
1) Dahin gehört, daß das frühere Deutsche Handelsgesetzbuch vor dem
10. Mai 1897 bei Gelegenheitsgesellschaften feste Verzinsung der Einlagen
mit 6° ohne Rücksicht auf Gewinn und Verlust vorschrieb. Es wird nie-
mand einfallen, das gegen den Gelegenheitscharakter der alten Gesellschaften
zu urgieren.
514 F. Keutgen: Hansische Handelsgesellschaften.
merkt, nur die Gesellschaften mit neuen Freunden eingeschrieben,
die also wirklich einen mehr gelegentlichen Charakter trugen
oder tragen konnten. Wie denn Wittenborg erst nach 15 Jahren
selbständiger kaufmännischer Tätigkeit sich jenes Buches einmal
zu diesem Zwecke bedient hat. Man tat es auch wohl, wenn
Sicherung gegen Dritte erwünscht schien, wie für jenen Heinrich
Wunder gegenüber seinen Verwandten. Daraus ergibt sich aber,
daß die große Masse der eigentlichen Gewerbagesell-
schaften überhaupt nicht im Stadtbuch erscheinen,
daß das Stadtbuch allein die Forschung geradezu irreführen
mußte. Unsere Nachrichten über jene sind mit den privaten
Büchern der Kaufleute, in denen sie allein verzeichnet standen,
zugrunde gegangen. Besser noch indes, als aus Wittenborgs z-
fällig erhaltenen Aufzeichnungen, erkennen wir, wie gewaltig der
Verlust ist mit einem Schlage, wenn wirunsder Hundert-
tausende lübischer Mark erinnern, auf die selbst in
Kriegsjahren jährlich sich der lübische Außenhandel belief, und
die lächerlichen Tausende, wenn es hoch kommt, da-
neben.halten, die in den einzelnen Jahren im Stadtbuch ver-
zeichnet stehen !).
1) STIEDA, Revaler Zollbücher- und Quittungen (Hans. G.Qu. Bd. Vi
S. LVO gibt den Lübecker Außenhandel für 1368 an mit Mark Lüb. 490116;
1369 Mk. 252288; 1878 Mk. 421440; 1388 Mk. 228480; 1884 Mk. 293760.
Oskar WENDT, Lübecks Schiffs- und Warenverkehr in den Jahren 1868 und
1369 (Lübeck 1902) S. 80 f. berechnet für 1868 Lüb. Mk. 4238 688, für
1369 Mk. 259 891!1/2.
(Schluß im nächsten Heft.)
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien Régime.
Dargestellt auf Grund zweier Briefe !).
Von
Dr. Ottomar Thiele.
Die Ursachen, welche die schriftstellerisch-nationalökonomische
Tätigkeit François Quesnays und damit die Entstehung des
Physikoratismus’ veranlaßten, lagen in den eigentümlichen wirt-
schaftlichen und sozialen Verhältnissen, in welchen sich Frank-
reich zur Zeit des Ancien Regime befand ?). Ungesunde Zustände
in der Bevölkerung, zerrüttete Finanzen, einseitige Entwicklung
der vom Staate bevorzugten Luxusmanufakturen und Rückschritt
in den wichtigsten Handels- und Industriezweigen, vor allem
aber eine völlig daniederliegende Landwirtschaft — die waren
es, welche den berühmten Leibchirurg Ludwigs XV. zu national-
ökonomischen Studien und zur Vertiefung in die Wirtschafts-
probleme seiner Zeit anregten. Als Arzt gewohnt, das Übel in
1) Die nachfolgende Veröffentlichung soll im wesentlichen einen Beitrag
zur Kenntnis der QuUESnAYschen Schriften bilden. Sie wurde durch einen
bisher unbekannten Brief QUESNAYS über die zeitgenössische Agrarpolitik
veranlaßt, welchen der Verfasser der obigen Abhandlung in den Archives
Nationales zu Paris fand. Das Schriftstück (Sign.: K. 906) bildet die Er-
widerung auf einen Bericht, den der Intendant von Soissons, auf Geheiß
des Contrôleur Général über die Agrarverhältnisse seiner Generalität verfaßt
hat. Zum vollkommenen Verständnis des QuEsnAYschen Briefes ist auch
dieses „M&moire“ mit veröffentlicht worden, zumal es einen interessanten und
lehrreichen Einblick in die Anschauungen eines Agrarpolitikers der Praxis
jener Zeit gewährt.
2) Man vergl. darüber die grundlegende Arbeit von STEPHAN BAUER,
Zur Entstehung der Physiokratie in ConrAps Jahrbüchern f. Nationalökon.
u. Statistik, 1890. S. 113 ff.
516 Ottomar Thiele
seinem Ursprunge zu erforschen, um es von da aus zu heilen,
mußte sich seine Aufmerksamkeit als Volkswirt gleichsam von
selbst!) auf denjenigen Teil des wirtschaftlichen Lebens richten,
welcher gewissermaßen dessen Grundlage bildet, d. h. auf die
landwirtschaftliche Urproduktion, die am meisten der Besserung
bedürftig war. Wie 50 Jahre später, ein volkswirtschaftlicher
Autodidakt gleich ihm, David Ricardo, dem er auch in der Me-
thode ungemein ähnelt, von den wirtschaftlichen Tagesfragen (der
Währungs- und Zollpolitik) seiner Zeit und seines Landes aus-
gehend, zu einem Nationalökonomen der Theorie allerersten Ranges
wurde, so bereits Frangois Quesnay. Und in der Tat, die sozialen und
wirtschaftlichen Verhältnisse, welchen sich die beiden gegenüber-
sahen, waren ernst und wichtig genug, um die Aufmerksamkeit
solcher Geister auf sich zu ziehen und in hohem Grade zu be
schäftigen.
„Die hauptsächlichsten Handelsartikel Frankreichs“, sagt
Quesnay?) in seinem für die „Enzyklopädie“ verfaßten Artikel
über „Getreide“, „sind Wein, Getreide, Branntwein, Salz, Hanf,
Lein und Wolle nebst anderen Produkten der Viehhaltung.
Allein, obwohl die Manufakturen der Leinenzeuge und Grob-
tuche den Wert von Hanf, Lein und Wolle bedeutend zu er-
höhen und vielen Menschen, welche man in diesen einträglichen
Industrien beschäftigen kann, Unterhalt gewähren würden, 50
findet man doch heute, daß Produktion und Handel der meisten
dieser Waren in Frankreich fast vernichtet sind. Seit langem
haben die Luxusmanufakturen die Nation auf Abwege geführt:
Wir besitzen weder die zur Fabrikation der schönen Stoffe und
feinen Tücher erforderliche Seide noch Wolle und haben un
somit einer Industrie in die Arme geworfen, welche uns fremd
1) Seine praktischen Erfahrungen — er hatte von Kind auf mit der Land:
wirtschaft Fühlung gehabt, da sein Vater nicht nur Notar, sondern auch
Gutspächter war — und seine späteren naturwissenschaftlichen Studien habe2
seine „physiokratischen“ Neigungen zweifellos in hohem Grade begünstigt
2) Der Artikel ,Grains“ befindet sich in den Oeuvres DE Quasxar def
Collection des principaux Economistes, herausgegeben von E. DAIRE, Paris 1846:
deegl. auch in den Oeuvres économiques et philosophiques de F. QuEsxAlı
welche A. OxcKEN (Frankfurt, 1888) veröffentlicht hat.
|
j
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 517
war und in der man nach und nach eine solche Masse von
Menschen verwendet hat, daß das Reich entvölkert und das
Land verödet wurde. Den Preis unseres Getreides hat man
künstlich herabgesetzt, damit Manufakturen und Handwerk bei
uns billiger arbeiten können, als im Auslande. Menschen und
Reichtümer haben sich in die Städte zusammengezogen; die
Landwirtschaft, der fruchtbarste und vornehmste Zweig unseres
Wirtschaftslebens, die Quelle der Einkünfte des Königreichs, gilt
nicht mehr als die Grundlage unseres Reichtums: Sie scheint
nur noch den Bauer und Pächter zu interessieren, deren Arbeiten
man nach dem Bedarfe des Volkes, das selbst beim Kaufe jener
Erzeugnisse die Kosten ihrer Gewinnung zu tragen hat, ein-
schränkt. Man hat vielmehr einen auf der Industrie beruhenden
Handel und Verkehr, welcher dem Staate Gold und Silber zu-
führen sollte, für die Grundlage des Nationalreichtums gehalten.“
Fürwahr, die merkantilistische Politik der Regierung und die
dadurch hervorgerufene und genährte allgemeine agrarfeindliche
Richtung in Frankreich hatten den Verfall seiner Landwirtschaft
verschuldet und drei Hauptübel gezeitigt, an denen sie dauernd
zu kranken schien: 1. die Landflucht der Bevölkerung in die
Städte; 2. das übermäßige Abgabenwesen, besonders des Fiskalis-
mus, welcher am schwersten die Jändlichen Teile der Bevölkerung
bedrückte, und 3. die Einschränkung des freien Handels und
Verkehrs der landwirtschaftlichen Rohprodukte und damit auch
deren Gewinnung.
Vor der Einverleibung Korsikas und eines Teiles von
Lothringen, um 1750 etwa, schätzte man Frankreich auf rund
16 Millionen Menschen und 100 Millionen Morgen (arpent) Boden-
fläche, von welcher sich allein mehr als die Hälfte für den Ge-
treidebau eigneten. In Wirklichkeit waren aber damals nur
86 Millionen Morgen in Bewirtschaftung!), soweit man diesen
Ausdruck hier gelten lassen darf, denn über die Hälfte dieses
Wirtschaftsareals, d. h. die weniger fruchtbaren Äcker waren fast
‚gänzlich vernachlässigt, so daß also insgesamt mehr als 30 Mil-
lionen oder */: der Getreidefläche ertraglos blieben ?).
1) Nach QuEsxAys Artikel über „Fermiers* (Pächter); Oeuvres, a. a. 0.
2) Nach QUESNAYs Artikel über „Hommes“ (Bevölkerung), der leider noch
518 Ottomar Thiele
Wie allgemein in West- und Mitteleuropa, so war auch
Frankreich zu jener Zeit das extensive Betriebssystem der Feld
wirtschaft gebräuchlich. Indessen konnte man hier zwei Form
derselben unterscheiden, nämlich die Großkultur und die Klei
kultur (grande et petite culture), von denen aber die letztere b
weitem überwiegte. Sie umfaßte etwa 30 Millionen Morgen odı
6/6 des der nominellen Bewirtschaftung unterliegenden Gesam
areals und war besonders seit den 20er Jahren infolge zahlreiche
Besitz- resp. Pachtveränderungen bis 1750 um rund 15° a
Kosten der größeren Betriebe gestiegen. Ein sicheres Zeiche
für den beständig zunehmenden Mangel an Betriebsmitteln ode
Kapitalien der Bewirtschafter, da die Großkultur von beide
Systemen das intensivere, kapitalsbedürftigere war. Die Klein
kultur wurde in der Weise betrieben, daß man von der zur Ver
fügung stehenden Bodenfläche abwechselnd bloß die Hälfte, un
zwar ®/, derselben mit Brot- oder Wintergetreide und !/, mit Sommer
getreide, Hülsenfrüchten etc., bestellte, während die andere de
Brache überlassen blieb. Dieses System war also im wesent
lichen eine Zweifelderwirtschaft, die sich nach außen hin aud
noch dadurch charakterisierte, daß sie vornehmlich mit Ochse
betrieben wurde, und somit die Haltung einer entsprechende
Weidefläche beanspruchte. Die Großkultur dagegen ließ di
Weide frei. Sie arbeitete mit Pferden, besaß nur geringe Vieb
haltung und stellte sich als die übliche Dreifelderwirtschaft mi
entsprechender, dreijähriger Rotationsperiode von Wintergetreide
Sommergetreide und Brache dar. Bei ihr produzierte also jeda
Morgen innerhalb von 6 Jahren zwei Ernten Brotgetreide und
auch zwei Ernten Sommergetreide (vorwiegend Hafer zur Füte
rung der Pferde) und blieb nur 2 Jahre über in der Brache.
Die Kleinkultur hatte in derselben Zeit zwar drei Ernten Winter-
getreide — wir sehen von der kleinen Quote Sommergetreide,
Hülsenfrüchte etc. ab —, dafür aber auch 3 Jahre Brache. Si
konnte also die natürlichen Kräfte des Bodens weniger auf
nutzen, mußte sie vielmehr verhältnismäßig schnell ermüden, da
sie bei der Einseitigkeit ihres Bestellens von einem rationelle
immer der Drucklegung harrt. Eine Inhaltsangabe davon bei Sr. BaLER,
a. à. 0.
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 519
Fruchtwechsel entschieden weiter entfernt war, als 'die mit drei-
jährigem Turnus arbeitende Großkultur. Diese Mängel des Be-
triebes kamen denn auch in den Erträgen deutlich zum Ausdruck:
Der in petite culture mit Getreide bestellte Morgen brachte
im Durchschnitt nur 3 Septiers (das alte französische Getreide-
maß) hervor, der in grande culture betriebene dagegen 5—8 Sep-
tiers?).
Offenbar würde nun bei der obigen Bevölkerungsziffer von
16 Millionen Menschen und einem Wirtschaftsareal von 36 Mil-
lionen Morgen die Produktion des Brotgetreides bei regulärem
Betriebe dem Bedarfe genügt haben, da dem für einen
reichlich bemessenen Verbrauch von 3 Septiers pro Kopf der
Bevölkerung”) entstehenden Gesamtkonsum von 48 Millionen
Septiers eine Gesamtproduktion von rund 50 Millionen Septiers °)
entsprochen hätte. Allein, die Verhältnisse lagen in Wirklich-
keit anders. Die Landwirtschaft war durch die Wirtschaftspolitik
der Regierung gezwungen worden, unter den schwierigsten Ver-
hältnissen zu produzieren. Eine natürliche und gerechte Preis-
bildung der Rohprodukte war durch Preistarife und Handels-
verbote, welch letztere nicht bloß den Export, sondern selbst
den Verkehr von einer Provinz in die andere hinderten, fast.
unmöglich gemacht. Die dadurch entstandene schwierige Beschaf-
fung von Kapital und Arbeitskräften, die drückende Last der
Abgaben u. s. w. trieben die Produktionskosten des Bewirtschafters
außerordentlich in die Höhe: Er konnte aus Mangel an den er-
forderlichen Mitteln meist nur noch die fruchtbarsten Teile seines
Wirtschaftsareals im ordentlichen Betriebe erhalten während er
die weniger ertragfähigen, wie bereits erwähnt, vernachläs-
1) Nach QuEsnAays „Fermiers“ und „Grains“, a. a0. Die Großkultur
wurde hauptsächlich in Flandern, in der Normandie, Picardie und Isle de
France betrieben. — Die Unterscheidung der beiden Systeme bildet also die
Betriebsweise und nicht die Betriebsgröße.
2) Artk. ,Fermiers“.
8) Rechnet man auf die Kleinkultur 8 x 12 Millionen Septiers (nach
den obigen Bemerkungen entfallen auf sie etwa 12 Millionen Morgen Winter-
getreide im Jahre) und auf die Großkultur 7 > 2 Millionen (?/, von 6 Millionen
Morgen (Gesamtfläche), so ergibt sich eine Gesamtproduktion von jährlich
50 Millionen Septiers.
520 Ottomar Thiele
sigen mußte. So kam es denn, daß der vorhandene Bedarf
an Getreide schon in mittleren Jahren nicht mehr befriedigt
werden konnte, daß in der großen Masse des Volkes Uhnter-
konsum am wichtigsten Nahrungsmittel herrschte, und in schlechten
Jahren, die bekanntlich in gewissen Zeitabschnitten, wie gerade
damals zwischen 1720 und 1760, sich zu häufen pflegen, Teuerung
und Hungersnöte nicht weichen wollten. In guten Jahren wiederum
war der kleinere Landwirt, welcher keine Getreidevorräte halten
konnte, gezwungen, - um jeden Preis zu verkaufen, damit er
seinen Verpflichtungen nachkommen konnte und nicht ohne Ver-
dienst gearbeitet hatte. Für den kapitalkräftigen waren dies
Zeiten der Zurückhaltung, die sich für ihn in dem nächsten
Teuerungsjahre mit großem Gewinn wieder bezahlt machte. Des :
halb pflegten viele der in grande culture betriebenen Wirtschaften
ihre guten Äcker — die weniger fruchtbaren vernachlässigten sie
ebenfalls, denn für sie spielte weniger ein regelrechter landwirt-
schaftlicher Betrieb, als vielmehr die kapitalistische Ausnützung
der Gedtreidekonjunkturen die Hauptrolle — fast ausschliei-
lich mit Wintergetreide zu bestellen und dabei den Boden durch
Raubbau zu ruinieren. Da das eigene Wirtschaftsareal su
ihren Spekulationszwecken vielfach nicht mehr genügte, %
waren sie darauf bedacht, die ihnen zusagenden mittleren Be-
triebe durch Kauf oder Pacht zu übernehmen, was ihnen um #
leichter fiel, als sie infolge ihrer Kapitalskraft die der „undank-
baren“ Landwirtschaft überdrüssig gewordenen Eigentümer jeder-
zeit zufrieden stellen und ihre schwächeren Mitbewerber ohne
Mühe überbieten konnten. Zudem brachte ihnen diese Kot-
zentration einen gleichzeitigen ökonomischen Vorteil in eine
Herabminderung der gesamten Wirtschaftskosten, da die für den
Unterhalt der aufgesogenen Wirtschaften erforderlichen Ausgabea
an Gebäuden, Viehhaltung ete., welche sonst nicht zu umgehe
gewesen wären, nunmehr in Wegfall kamen. Auf die Weis
entstanden allmählich immer mehr Betriebe zu 10—18 Gespannen
und darüber. Trotz alledem gereichten aber diese Pächter wegen
ihrer Kapitalskraft der landwirtschaftlichen Produktion verhältnis-
mäßig noch am meisten zum Vorteil.
Während somit auf der einen Seite eine fortwährende 21-
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 521
sammenlegung der Wirtschaften, resp. der Grundstücke stattfand,
erfolgte auf der anderen eine beständig zunehmende Parzellie-
rung. Das hatte verschiedene Gründe. Wie bemerkt, hatten es
viele mittleren Pächter, denen weder die geringen und unsicheren
Erträge ihres Kapitals, noch die Beschwerden ihrer bisherigen Tätig-
keit mehr behagen mochten, vorgezogen, ihre ländliche Beschäf-
tigung mit der städtischen eines Rentiers oder Immobilienunter-
nehmers zu vertauschen. Sie siedelten nach Paris und anderen
größeren Städten über, taten sich oft zu Gesellschaften oder Kom-
panien zusammen und pachteten in den verschiedensten Provinzen
die ihnen geeigneten Wirtschaften auf, die sie dann zerstückelten
und an Afterpächter, kleine Leute, wie Zwergbauern, Métayers
(in Soissons nannte man sie Haricotiers)!) vergaben. Bei dem
großen Landhunger, welcher von jeher der kleinbäuerlichen Be-
völkerung eigentümlich gewesen ist, fanden sie stets Abnehmer,
die, da sie nichts zu verlieren hatten, sich zur Zahlung ver-
hältnismäßig hoher Pachten ohne weiteres verstanden, um ihre
Verpflichtungen, welche sie in schlechten Jahren nicht einhalten
konnten, in besseren mit Zins und Zinseszinsen zu erfüllen.
Den Gesellschaftern selbst war auf diese Weise eine größere
Regelmäßigkeit in den Erträgen ihrer investierten Kapitalien
gegeben, da die Ungleichheiten der Ernte, welche Mißwachs,
Hagelschlag, Teuerung etc. in der einen Provinz verursachten, in
den anderen durch bessere Verhältnisse meist wieder ausgeglichen
wurden. Die in den Städten bereits ansässigen Grundeigentümer
von mittleren Wirtschaften, die weltlichen und geistlichen Groß-
grundbesitzer taten es ihnen gleich. Sie vergaben ihre Liegen-
schaften vielfach in Parzellierungs-Generalpacht und vermehrten
somit die Betriebe der petite culture auf Kosten der mittleren
und größeren Pachtungen, welche meist in der ertragfähigeren
grande culture bewirtschaftet wurden. Dazu kam, daß der größere
bäuerliche Eigenbetrieb durch zunehmende Grundstückzerstücke-
lung, welche schon seit dem Ende des Mittelalters in Frankreich
begonnen hatte, allmählich immer mehr und mehr zerstört wor-
1) So geheißen nach den auch heute noch in Frankreich und besonders.
in Paris sehr beliebten Bohnen, haricots de Soissons, kurz „soissons“ genannt.
599 Ottomar Thiele
den war. Das Fehlen des Anerbenrechtes, welches nur in wenigen
südlichen Provinzen bestand, hatte diese Parzellierung (auch die
der Allmenden) sehr begünstigt, und in manchen Gegenden war
es üblich, daß schon jedes Kind des Bauern seinen eigene
Bodenanteil besaß).
Diese Kleinbauern und kleinen Pächter waren ein großes
Hindernis für die gedeihliche Entwicklung der Landwirtschaft
Ihre Grundstücke waren vielfach so unbedeutend, daß sie kaun
für den Unterhalt einer einzigen Familie ausreichten; selbst
nicht einmal in guten Jahren, weil dann der Ertragsüberschai
für rückständige Abgaben verwendet werden mußte ?). Sie ware
gewöhnlich gezwungen, ihre Arbeitskraft und die ihrer Familier-
mitglieder in die Dienste größerer Besitzer oder Pächter a
stellen, was wiederum den Betrieb ihres eigenen Anwesens außer-
ordentlich schädigte. Dem Kleinpächter oder Métayer diente die
Wirtschaft, besonders in dem Falle, wo er den Zins in Geld nn
zahlen hatte, mehr zur Gewinnung der Nahrungsmittel für sieh
und seine Familie als für eine auf den Verkauf der Erzeugnisse
berechnete Produktion, weil er die Mittel zu seinen Zinszahlunges
zum größten Teil aus den Erträgen seiner Arbeitsleistungen
für andere aufzubringen pflegte. Er baute deshalb fast nur solche
Früchte an, welche die wenigsten Kosten an Arbeit und Kapital
1) A. BABEAT, La vie rurale dans l’ancien France, 1885 p. 180 ff.
2) Manche Grundeigentümer, welche das mit der Parzellierung verbu-
dene Niederlegen ihrer Wirtschafts- und Wohngebäude nicht zugeben wolltes,
zogen es vor, auf dem Lande zu bleiben. Sie vergaben dann ihre Äcker meist
im Teilbau, in welchem Falle sich das Verhältnis zwischen Eigentümer und
Métayer folgendermaßen gestaltete: Der erstere lieferte (Zug-)Vieh und
Saatgut und empfing die Hälfte des Ertrages der Ernte. Der letztere hatte
für die Beschaffung der Acker- und Wirtschaftsgeräte, sowie für seinen Unter-
halt bis zur Ernte zu sorgen. Das Futter für das Vieh lieferte die (Ge
meinde-)Weide unentgeltlich. War der Eigentümer in die Stadt verzogen,
so wurde der Ernteertrag nicht geteilt, sondern der Mötayer zahlte eines
bestimmten Zins für den Acker und für das gelieferte Vieh. Jedoch alles iz
Geld; welcher Barzahlungsmodus oft dem Teilbauer große Schwierigkeite
und Bedrückungen verursachte, da ihm die rechtzeitige Beschaffung der
nötigen Geldmittel in jener Zeit, wo jede landwirtschaftliche Kreditorgani-
sation fehlte, außerordentlich schwer fiel und er zu Schleuderverkäufen ge
trieben wurde. (Man vergleiche im allgemeinen darüber QUESNAYB „Fermiers*.)
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 523
beanspruchten, dafür aber auch weniger nahrhaft waren, als
Gerste, Hafer, Buchweizen, Mais, Kartoffeln, Hülsenfrüchte und
andere minderwertigen Produkte. Das waren also die Nahrungs-
mittel, welche er für seine Familie benötigte, mit denen er
seine Kinder groß zog! Gute und nährkräftige Kornfrüchte, wie
Roggen und Weizen (Wintergetreide), kamen für ihn kaum in
Betracht, da ihre Gewinnung zuviel kostete, ihn zu sehr be-
schäftigte und die Zeit bis zu ihrer Ernte zu lange währte?).
Zudem war die Beackerung des eigenen Bodens gänzlich
ungenügend. Seine Acker- und Wirtschaftsgeräte befanden sich
im mangelhaftesten Zustande. A. Babeau bemerkt*), daß die
Form der Pflugschar in einzelnen Provinzen noch aus der Römer-
zeit überkommen zu sein schien, während Egge, Sense, Hacke,
Sichel, Holzaxt, Handbeil etc. in dieser Hinsicht dem Mittelalter
angehören mochten. Die Viehhaltung war in Qualität und
Quantität gering. Außer den Zugochsen — in einzelnen Pro-
vinzen kamen an deren Stelle auch 1—2 Pferde vor — hielt er
meistens nur Schweine, nicht selten auch einen Esel, weniger
dagegen Kühe oder Schafe zur Ausnutzung der Weide. Die
Einnahmen daraus waren natürlich gering; doch wußte er sie
in dem Falle, wo er ein oder zwei Pferde besaß, dadurch
aufzubessern, daß er für andere Fuhrdienste verrichtete.
Was nun die mittleren Betriebe von 2—5 Gespannen an-
belangte, so hatte sich, wie bemerkt, ihre Zahl durch die Land-
flucht vieler Wirtschafter und durch Auspachtung und Parzellie-
rung allmählich sehr vermindert; ein Rückschritt, der seit 1720 immer
unaufhaltsamer zu werden schien. Schon zu Colberts Zeiten hatte
dieser landwirtschaftliche Niedergang eingesetzt, wie überhaupt die
Agrarkrise in Frankreich ihren Anfang genommen. Der Preis
der Pachtungen mußte damals bereits um ?/s ermäßigt werden °).
Dennoch gingen die Profite, welche die Pächter aus ihren in-
1) QuEsnAyYs Artk. „Fermiers“.
2) A. BABEAU, La vie rurale dans l'ancien France, 1885; p. 126 ff.: „La
charrue, dont la forme parfois ne s’est pas modifiée depuis les Romains, et
qui naguère encore en Auvergne était garnie de sortes d'oreilles en silex
taillé .. .*
3) St. BAUER, a. a. 0.
524 Ottomar Thiele
vestierten Kapitalien samt ihrer auf die Bewirtschaftung des
Gutes gerichteten Arbeitskraft zu erzielen imstande waren, in
Laufe der Zeit immer mehr herab, und um die Mitte des
18. Jahrhunderts betrugen sie selbst in guten Jahren höchstens
1/9a des Ernteertrags!). Kein Wunder; denn, abgesehen vo
schwer zu erlangendem Kapitalskredit und drückenden Steue-
abgaben, hatte gerade der mittlere Pächter, resp. Eigentümer, am
meisten unter dem Mangel an Arbeitskräften und Betriebsmitteln zu
leiden. Meist zu arm, um eine genügende Anzahl von Knechten und
Mägden halten zu können, war er auf jene Metayers und Zwerg
bauern angewiesen, die sich ihre Arbeit gut bezahlen ließen,
weil sie aus Erfahrung wußten, daß sie den Pächter infolge der
allgemeinen „Leutenot“ zwingen konnten. Dadurch artete das
Verhältnis zwischen ihnen und ihren Arbeitgebern nach und nach
so aus, daß die letzteren fast die Sklaven ihrer Arbeitslente
wurden und jedem derselben oft mehr an Lohn zu geben hatten,
als sie selbst nach Bestreitung aller Kosten etc. an eigenem Ver-
dienst für sich erübrigen konnten ’?).
Andere Umstände steigerten noch diese üble Lage. Nicht
nur, daß der Pächter, resp. Besitzer von seinen Arbeitern gerade in
solchen Zeiten, wie die der Ernte oder Bestellung, wo der Bedarf
am dringendsten war, vielfach im Stich gelassen wurde (der
Métayer oder „Colon“ hatte für seine eigene Wirtschaft Sorge zu
tragen, vielleicht auch für andere, die ihn besser bezahlen konnten,
Fuhren zu leisten etc.), er mußte auch die Betriebsweise seiner
Wirtschaft nicht selten nach den Gewohnheiten seiner Arbeiter
einrichten und dadurch ohne eigenes Verschulden Einbußen am
Wirtschaftsertrage erleiden. Tatsächlich war er sehon aus diesem
Grunde vielfach außer stande, zum rentableren System der mit
Pferden arbeitenden grande culture überzugehen, selbst wenn es
ihm seine Mittel an Kapitalien gestattet hätten: Die Métayers,
Zwergbauern und vielfach auch das ständige Gesinde — beson-
ders in solchen Gegenden, wo die Kleinkultur bei weitem über-
1) Artk. „Hommes“, a. a. O.
2) Nach A. BAREAU (La vie rurale, a. a. O. p.130 ff.) betrug der Jahre
lohn eines solchen Arbeiters zur Zeit Ludwigs XVI. 150 liv. in Geld und
etwa das gleiche in Naturalien.
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 525
wiegte — verstanden eben nur den Betrieb der petite culture;
der Wirtschafter mußte sich diesen Verhältnissen anbequemen. „Die-
jenigen Eigentümer“, bemerkt Quesnay!), „welche ihr Land
selbst bestellen, aber in Provinzen leben, wo der Ackerbau im
allgemeinen mit Ochsen betrieben wird, sind gezwungen, eben-
falls mit Zugochsen zu wirtschaften, da sie keine Metayers oder
Knechte finden würden, die mit Pferden umzugehen verständen.
Sie hätten denn ihre Arbeiter aus anderen Provinzen herbei-
holen müssen, was aber sehr beschwerlich gewesen wäre.“
Der Nachteil, in petite culture zu bauen und auf die schwächere
Zugkraft der Ochsen angewiesen zu sein, trat um so mehr hervor,
als die Dorf- und Wirtschaftswege im Gegensatz zu den wenigen
prächtigen Heeresstraßen, die zwar das ganze Land durchquerten,
für den Ackerbau aber nur geringe Bedeutung hatten, sich allge-
mein in dem denkbar schlechtesten Zustande befanden und die
Grundstücke zudem außerordentlich im Gemenge lagen?). In der
Regel mußte man daher eine größere Anzahl von Zugvieh halten, als
bei besseren Verkehrsverhältnissen erforderlich gewesen wäre?),
und es ist in der Tat behauptet worden“), daß zu Ludwigs XV.
Zeiten der Transport von Getreide aus England oder Afrika
nach Frankreich billiger war, als der in einzelnen Kantonen auf
einer Strecke von nur 10 Meilen Feldwegs.
Auch herrschte an Zug- und Rindvieh großer Mangel und
infolgedessen Überteuerung des Materials. Der Viehhandel im
Innern des Landes war gleich dem Grenzverkehr nach dem
Auslande durch Prohibitivgesetze unmöglich gemacht, und die in
den einzelnen Provinzen vorhandenen Bestände befanden sich
wegen der allgemein ungenügenden Fütterung (eine Folge des
Rückganges und der Vernachlässigung der Weiden) und infolge
1) Artk. ,Fermiers“, a. a. O.
2) Mancher Bauer hatte über 100 Parzellen, von denen die größte oft
kaum 1 Morgen (arpent) groß war.: (A. BABEAU, La vie rurale, a. a. O. p. 180.)
3) TURGOT bemerkt darüber (in seinem Oeuvres posthumes): „Les rues et
les abords de la plupart des villages sont impracticables; les laboureurs sont
obliges de multiplier inutilement et dispendiensement les animaux de trait
pour tous les charrois, qu’exige leur exploitation.“
4) A. BABEAU, La vie rurale, a. a. O. p. 129.
Vierteljahrschr, f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 35
526 Ottomar Thiele
von Viehseuthen in schlechtem Zustande. Vor allem hatte die
Rinderpest großen Schaden angerichtet. Sie herrschte zu Beginn des
18. Jahrhunderts in vielen Ländern Europas und scheint damals
nach Frankreich von Italien aus, wo sie erschreckende Verhee-
rungen angerichtet hatte ‘), eingeschleppt worden zu sein. Sehrstark
wütete sie in den fünfziger Jahren in der Dauphiné in Le Forez
Vivarais und in der Franche Comte. Von der einst blühenden
Viehzucht, durch welche sich Frankreich im 16. und 17. Jahrhundert
ausgezeichnet hatte, waren im 18. nur noch die Reste vor
handen, obgleich Klima und Boden des Landes sich gerade zu
diesem Zweige der Landwirtschaft nach wie vor vortrefflich
eigneten.
Ähnlich verhielt es sich mit dem Pferdematerial. Bevor
Richelieu durch seine absolutistische Politik die Grandseigneur
an den Hof gezogen hatte, lebten diese auf ihren Gütern und
widmeten sich der Landwirtschaft. Insbesondere richtete sich
ihre Aufmerksamkeit auf die Pferdehaltung, und sie verstanden
es, ein vorzügliches Material selbst zu züchten. Es herrschte
unter ihnen geradezu eine wahre Eifersucht, die besten Tiere
zu ziehen, wodurch sie den französischen Pferden einen au
gezeichneten Ruf verschafften. Als später dann der vornehme Adel
nach Paris übersiedelte, um sich der Hof- und Regierungr-
angelegenheiten zu befleißigen, wurden die Besitzungen gewöhn-
lich an Pächter vergeben. Zum Schaden der Pferdezucht; denn
die Pächter, deren geringere Kapitalskraft nur Teile jener
sroßen Besitzungen zu bewirtschaften gestattete, konnten sich
mit der Zucht von Qualität überhaupt nicht mehr befassen und
fanden es auch meist vorteilhafter, anstatt des teuren Pferde-
materials, Ochsen zu halten. Schon um die Mitte des 17. Jahr-
hunderts begann sich ein merklicher Mangel an Pferden ein
zustellen. Das Material hatte sich im Laufe der Zeit nicht
nur verschlechtert, es war auch kostspieliger geworden, da sich
die Fütterung nach und nach erheblich verteuert hatte. Im
18. Jahrhundert war auch der Staat nicht mehr in der Lage.
1) Im Kirchenstaat gingen im Jahre 1714 nicht weniger als 27 000 Stück
und in Piemont sogar 70000 an dieser Seuche zugrunde.
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. " 527
seinen dringendsten Pferdebedarf für das Heer im Lande zu
decken, und sah sich in Kriegszeiten gezwungen, große Summen
für Remonten an das Ausland zu bezahlen'). Auf die Landwirt-
schaft mußte natürlich der gleichzeitige Mangel an Pferden und,
wie oben bemerkt, an Zugvieh doppelt empfindlich wirken.
Die Schafzucht war ebenfalls stark im Abnehmen begriffen.
Zwar bestanden in Frankreich die blühendsten Textilmanufak-
turen; allein diese befaßten sich hauptsächlich mit der Fabrikation
feiner Tücher und Stoffe, konnten also die gröbere Wolle der
heimischen Produktion nicht verwenden und mußten infolgedessen
ihre Rohstoffe vom Auslande beziehen?). Ein beständiger Rück-
gang der Schafhaltung war die Folge davon, so daß schließlich
diejenigen Landwirte, welche mit Zugochsen wirtschafteten und
daher genügende Weide besaßen — Quesnay schätzt ihre Zahl auf
rund 375000°) —, insgesamt kaum ein Drittel von dem Be-
stand an Herden aufzuweisen vermochten, den sie sonst ohne
Mühe hätten halten können.
Ein anderer Zweig der landwirtschaftlichen Produktion, welcher
1) Im Kriege von 1742—48 kaufte der Staat über 33000 Pferde, meist
aus Deutschland, an und im Kriege 1755—61 mehr als 17000. Abgesehen
vom rein finanziellen Gesichtspunkte, war dies natürlich vom politischen sehr
bedenklich, da der Staat in Kriegszeiten in dieser Beziehung vom Auslande
abhängig wurde. In einer anderen war er es ebenfalls, und zwar hinsichtlich
des allerwichtigsten Mittels, das zur Kriegsführung erforderlich ist, des Sal-
peters und Pulvers. Ursprünglich konnte Frankreich, dank seiner großartig
organisierten staatlichen Salpeterwirtschaft, seinen Pulverbedarf im Lande
‚selbst decken. Durch die Einführung des Generalverpachtungssystems ging
aber dieser einst blühende Wirtschaftszweig schnell zurück und vermochte
nur ungenügend zu produzieren, was den Staat verschiedentlich in die ge-
fährlichste Lage brachte. (Man vergl. darüber meine „Salpeterwirtschaft und
‚Salpeterpolitik“, Zeitschrift f. d. ges. Staatswissenschaft, Ergänzungsheft XV,
S. 140 ff.)
2) Der hauptsächlichste Lieferant der Schafwolle für die französischen
Manufakturen war anfangs England, damals aber schon mehr Spanien, welches
‚jährlich über 40000 Ballen (& 200 Pfd.) davon exportierte. Die Verschickung
erfolgte von Bilbao aus nach Rouen und Orléans. Am meisten geschätzt
war die leonische oder segovische Wolle, welche vorwiegend in den berühm-
ten Manufakturen von Abbeville, Andelly, Louvier und Elbeuf verarbeitet
‘wurde.
3) Artk. „Fermiers“, a. a. 0.
528 Ottomar Thiele
in einem so sehr vom Klima bevorzugten Lande wie Frankreich
zu großer Bedeutung hätte gelangen müssen, der Weinbau, lag in
gleicher Weise danieder. Auch ihn schädigten die Exportverbote
und hohen provinzialen Binnenzölle, resp. Prohibitivgesetze der-
artig, daß die Winzer, so seltsam es klingen mag, weniger eine
schlechte als eine gute Ernte fürchteten. Das war um so mehr
zu bedauern, als sich der Wein- und Gartenbau unter Ludwig XIV.
kräftig entwickelt hatte. Die Pflanzungen waren damals aufer-
ordentlich vermehrt worden — sie betrugen zu Quesnays Zeiten
noch über 1!/» Millionen Morgen —, bessere Kulturen und neue
Sorten, wie die der Champagne etc., hatte man mit gutem Erfolge
"eingeführt und auf diese Weise die Grundlagen für eine blühende
und einträgliche, pualifizierte Weingewinnung geschaffen. Zu-
dem war im Zusammenhange mit dieser Produktion eine blühende
Branntweinindustrie entstanden und daneben ein reger Obit-
und Gemüsebau‘). Allein, der Erlös aus den gewonnenen Er-
zeugnissen wurde durch die obigen Umstände immer geringer und
entsprach nicht mehr dem Aufwande an Arbeit, Kapital und
Zeit, den man für eine gedeihliche Entwicklung hätte for-
dern müssen. Dazu kam noch, daß die Regierung, von unrich-
tigen volkswirtschaftlichen Erwägungen geleitet, nämlich in der
Absicht dem daniederliegenden Getreidebau neue Böden zu
zuführen, der Weinkultur im allgemeinen sehr ablehnend gegen-
überstand, ihre Verbreitung überall, ja selbst da, wo bessere Er-
zeugnisse wuchsen, zu verhindern suchte und die Errichtung
neuer Weinberge von ihrer ausdrücklichen und gewöhnlich sehr
schwer zu erlangenden Genehmigung abhängig machte‘).
Der Zustand der Waldungen, der privaten wie der Gemeinden,
1) VOLTAIRE bemerkt darüber in seinem bekannten Werke, Le siècle de
Louis XIV.: „On a planté plus de vignes et on les a mieux cultivées; on 8
fait de nouveaux vins qu’on ne connaissait pas auparavant, tels que ceux de
Champagne. Cette augmentation des vins a produit celles des eaux-de-rie;
la culture des jardins, des légumes, des fruits, a reçu de prodigieux accrois-
sements ...“ (Vergl. auch A. BABEAU, La vie rurale, a. a. O. p. 136 ff.)
2) Neue Weinberge durften unter Ludwig XV. nur mit besonderer Er-
laubnis des Contrôleur Général, welche dieser auf eingehende Befürwortung
seitens des betreffenden Intendanten hin erteilte, angelegt werden. (A. BABEAU,
La province sous l’ancien régime, 1894. T. II. p. 241.)
ee -.ns.
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 529
tte ebenfalls unter dem allgemeinen Niedergange schwer zu
den. Regelrechte Hegung und Pflege des Wildes wurde nirgends
br beobachtet, und die Schäden, welche das Wild in Wald und
ur besonders dort anrichtete, wo die Jagd dem Grandseigneur ge-
rte, waren sehr erheblich. Schwarzwild und Kaninchen zer-
irten die Saaten. Die Plage der Wölfe nahm in manchen
egenden derartig überhand, daß der Verkehr auf den Straßen
ıd die Arbeiten auf den Feldern gefährdet wurden. Viele
älder, welche früher ein vortreffliches Futter (Eicheln) für die
chweinemast geboten hatten, wurden durch planlose Abholzungen
michtet. Man sah in ihnen nur noch eines der wenigen
inge, deren Verkauf einen leidlich befriedigenden Erlös brachte.
enn der Bedarf an Bau- und Brennholz war zur Zeit der vielen
anufakturen, der großen staatlichen, wie privaten Bauten
chiffsbauten), da Eisenkonstruktionen noch gänzlich unbe-
innt waren, außerordentlich gestiegen. Die zahlreichen Brannt-
!inbrennereien, Brauereien, Zucker- und Salpetersiedereien ver-
auchten alljährlich enorme Quantitäten an Brennholz, zumal sie
ren Betrieb mit Kohlenfeuerung nicht aufrecht zu erhalten ver-
ındn. Am meisten wurden dadurch diejenigen Waldungen
itgenommen, welche an floßbaren Gewässern lagen; und hier
schah es nicht selten, daß mancher Bauer seine alte Beschäf-
sung mit der einträglicheren eines Holzhändlers vertauschte.
on einer ordentlichen Forstwirtschaft konnte natürlich unter
chen Verhältnissen keine Rede sein; hier, wie überall, der
'oße Mangel an Kapitalien für einen regelrechten Betrieb und die
:rvöse Hast, alles zu Geld zu machen, was nur eben möglich war
ad dabei die geringsten Kosten verursachte. Kurz, die ganze land-
itschaftliche Produktion war, wie der Intendant von Soissons
ı seinem Briefe bemerkt, mehr eine Vernichtung, als eine Kultur
1 nennen.
Dem entsprach das Meliorationswesen, soweit man überhaupt
och von einem solchen reden konnte; denn gerade hier pflegt
ch ja die Kapitalskraft des Landwirtes bekanntlich am deut-
chsten zu zeigen. Der schon durch die Betriebsweise bedingte
br geringe Viehbestand der Großkultur war naturgemäß für
a3 Befolgen einer ordentlichen landwirtschaftlichen Statik (in
530 Ottomar Thiele
dem Maße selbstverständlich, wie man sie bei dem damaligen
Stande der Agrikulturwissenschaft erwarten durfte) unzulänglid, -
weil es am wichtigsten Bodenverbesserer, den natürlichen Dünge-
mitteln, gebrach. Doch wurde dieser Übelstand zum Teil da
durch wieder ausgeglichen, daß es die Mittel der reicheren Be
wirtschafter an und für sich ermöglichten, dem Mangel af
andere Weise abzuhelfen. Sie konnten sich den Ankauf von
fremden Stalldünger und den Bezug von künstlichen Dungstofen
leisten, welch letzteren damals in der Asche des verbrannten
Seetanges!) (cendres), in Mergelerde (marne), in Torf-*) und
Holzasche und in einer eigentümlichen schwarzen Humuserde‘)
(houille) bestanden. Allein die meisten von ihnen scheuten die
Kosten der Beschaffung und zogen es daher vor, mit den
besseren Böden ihres Wirtschaftsareals Raubbau zu treiben,
als die Wirtschaftskosten durch Ankauf genügender Düngemittel
zu erhöhen. In der Regel lag es ihnen weniger an der Ausübung
einer regelrechten landwirtschaftlichen Tätigkeit, als vielmehr,
um in den Besitz eines Spekulationsobjektes, des Getreides, zu gt-
langen, mit dessen Hilfe sie hohe Gewinne erzielen wollten. Auch
der mittlere Besitzer oder Pächter war in jener Hinsicht nicht
besser gestellt. Er hielt im allgemeinen einen zu kleinen Vie
bestand, als daß er hinlänglich mit Dungstoffen versehen gt
wesen wäre. So mußte er denn seinen Bedarf bei den kleinen
Wirtschaftern, den Metayers, Zwergbauern etc. zu decken suchen,
die ihren Stalldünger, falls sie überhaupt Ochsen oder Kühe hielten,
gern veräußerten, da sie ihre Äcker nur selten zu düngen pflegten.
Doch war er auch hier lediglich auf seine Provinz angewiesen,
denn der Bezug von natürlichen Düngemitteln war, als den Pro-
1) Diese Asche wurde meist aus Flandern bezogen. Doch gewann ms
sie auch anderwärts, da im Jahre 1731 den Bewohnern aller Küsten des at-
lantischen Ozeans durch besonderes königliches Privileg gestattet wurde, den
Seetang (Varech) zu sammeln, zu verbrennen und die Asche in das Inner
des Landes zu verkaufen.
2) Torfasche war in Amiens schon seit 1550 als Dünger gebräuchlich.
8) Diese Erde fand sich an einzelnen Stellen des Landes in größer
oder geringerer Tiefe unter der Oberfläche kulturfähiger Böden vor. Yan
benützte sie erst seit 1750, wo die erste Grube (houillère) in der Picardie
entdeckt wurde.
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 529
hatte ebenfalls unter dem allgemeinen Niedergange schwer zu
leiden. Regelrechte Hegung und Pflege des Wildes wurde nirgends
mehr beobachtet, und die Schäden, welche das Wild in Wald und
Flur besonders dort anrichtete, wo die Jagd dem Grandseigneur ge-
hörte, waren sehr erheblich. Schwarzwild und Kaninchen zer-
störten die Saaten. Die Plage der Wölfe nahm in manchen
Gegenden derartig überhand, daß der Verkehr auf den Straßen
und die Arbeiten auf den Feldern gefährdet wurden. Viele
Wälder, welche früher ein vortreffliches Futter (Eicheln) für die
Schweinemast geboten hatten, wurden durch planlose Abholzungen
vernichtet. Man sah in ihnen nur noch eines der wenigen
Dinge, deren Verkauf einen leidlich befriedigenden Erlös brachte.
Denn der Bedarf an Bau- und Brennholz war zur Zeit der vielen
Manufakturen, der großen staatlichen, wie privaten Bauten
(Schiffsbauten), da Eisenkonstruktionen noch gänzlich unbe-
kannt waren, außerordentlich gestiegen. Die zahlreichen Brannt-
weinbrennereien, Brauereien, Zucker- und Salpetersiedereien ver-
brauchten alljährlich enorme Quantitäten an Brennholz, zumal sie
ihren Betrieb mit Kohlenfeuerung nicht aufrecht zu erhalten ver-
standen. Am meisten wurden dadurch diejenigen Waldungen
mitgenommen, welche an floßbaren Gewässern lagen; und hier
geschah es nicht selten, daß mancher Bauer seine alte Beschäf-
tigung mit der einträglicheren eines Holzhändlers vertauschte.
Von einer ordentlichen Forstwirtschaft konnte natürlich unter
solchen Verhältnissen keine Rede sein; hier, wie überall, der
große Mangel an Kapitalien für einen regelrechten Betrieb und die
nervöse Hast, alles zu Geld zu machen, was nur eben möglich war
und dabei die geringsten Kosten verursachte. Kurz, die ganze land-
wirtschaftliche Produktion war, wie der Intendant von Soissons
in seinem Briefe bemerkt, mehr eine Vernichtung, als eine Kultur
zu nennen.
Dem entsprach das Meliorationswesen, soweit man überhaupt
noch von einem solchen reden konnte; denn gerade hier pflegt
sich ja die Kapitalskraft des Landwirtes bekanntlich am deut-
lichsten zu zeigen. Der schon durch die Betriebsweise bedingte
sehr geringe Viehbestand der Großkultur war naturgemäß für
das Befolgen einer ordentlichen landwirtschaftlichen Statik (in
539 Ottomar Thiele
seheimer Vereinbarung vielfach bezahlt werden mußte. Eine
besondere Rolle spielte dieses Aufgeld bei denjenigen Pad-
ten, welche die Nutznießer der Kirchengüter vergaben, und
zwar vornehmlich deshalb, weil man hier an Stelle einer all
mählichen Erhöhung der Pachtpreise eine entsprechende Ent-
schädigung in Gestalt jenes ,pot-de-vin“ zu verlangen pflegte.
Eine weitere Belastung für die Pächter waren die in außer-
sewöhnlichen Fällen, vor allem in Kriegszeiten, erhobene
Vingtiemes, welche zwar nominell der Eigentümer vom Er
trage seines Grundstücks zu bezahlen hatte, von diesem aber
dadurch abgewälzt wurden, daß sich der Pächter im voraus n
verpflichten hatte, sie in solchen Fällen anstatt des Grund-
besitzers zu entrichten‘... Außer dieser Grundstücksteuer pflegte
bei außerordentlichem Staatsbedarf, und dieser war unter Lud-
wig XV. zur Regel geworden, noch ein anderer Vingtième, ge
wöhnlich „sou pour livre“ genannt, erhoben zu werden. Das war
eine Verbrauchssteuer auf Getränke und Nahrungsmittel, die
alle Klassen der Bevölkerung gleichmäßig belangen sollte, in
Wirklichkeit aber am schwersten die Landwirtschaft durch Herab-
minderung der Preise ihrer Produkte traf. Diese Konsumtions-
steuer belastete den Landwirt um so mehr, als dieser sowie
schon beim Verkauf seiner Erzeugnisse in den Städten allerlei
Markt-, Maß- und Gewichtsgelder, die an Unternehmer verpachtet
waren, zu bezalılen hatte.
Wurde auf diese Weise schon der Reinertrag des Landwirte:
um ein Erhebliches geschmälert, so erfuhr er noch eine weit
empfindlichere Reduktion durch die drückendste und willkürlichste
aller Steuern jener Zeit, durch die „taille*. Sie bildete eine Ab-
gabe vom Ertrage der Arbeit und Betriebsamkeit jedes Ein-
wohners und belastete im wesentlichen die Handel und Ge-
werbe treibenden Bürger in den Städten, vor allem aber die dem
Ackerbau Obliegenden des platten Landes, während Adel, Geist-
lichkeit und Beamten (königliche, wie private, z. B. der General-
1) Ein solcher Vingtieme wurde z. B. 1759 beim Ausbruch des Krieges
erhoben. Er sollte drei Monate nach Friedensschluß aufhören. Die Geistlich-
keit war davon befreit. (Vgl. Sr. BAUER, a. a. O.)
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 533
pachtungen etc.) von ihr befreit blieben. Ihre Ungleichheit,
welche sich fast ausschließlich auf der Seite des politisch
schwächsten Teiles der Bevölkerung befand, hatte, wie A. Babeau
bemerkt!), die beste Gewähr für ihren jahrhundertelangen
Bestand gebildet; denn wäre sie gleichmäßig gewesen, so würde
sie wahrscheinlich nur wenige Jahrzehnte gedauert haben. Die
Höhe der Gesamtauflage wurde vom Conseil du Roi?) in jedem
Jahre nach den vorher zu diesem Zwecke eingezogenen
Schätzungen der einzelnen Intendanten fixiert, denen dann die
Repartition der für jede Generalität festgesetzten Quote auf die
steuerpflichtigen Einwohner überlassen blieb. Die großen Kosten
ihrer Erhebung, die Bedrückung, welche sie verursachte, ins-
besondere jedoch die Willkür, mit welcher die Subdelegues die
Einschätzung zu betreiben pflegten, hatte der taille seit jeher
die heftigsten Angriffe der Politiker und Volkswirte zugezogen ®).
Dennoch war man infolge der schlechten Finanzverhältnisse des
Staates gezwungen, sie beizubehalten. „Die Taille“, sagt ein
unbekannter Politiker der damaligen Zeit, „ist eine Quelle alles
Übels; sie bewirkt, daß, wenn der Bauer 10 Taler in der
“Tasche hat, er sich wohl hütet, das Geld in seine Wirtschaft
zu stecken, weil sich dadurch seine ohnehin schon hohe Steuer-
quote noch erhöhen würde.“ Indessen war sie wohl kaum
1) A. BABEAL, Le village sous l’ancien régime; p. 211.
2) Zum Verständnis der inneren Verwaltung im Ancien Régime sei fol-
.gendes hervorgehoben: Das Zentralorgan der gesamten Verwaltung war der
Conseil du Roi, in welchem sich die drei Gewalten vereinigten; er war zu
‚gleicher Zeit gesetzgebender Körper, oberste Verwaltungsbehörde und auch
‚oberstes Gericht. Wie die Gesamtverwaltung sich bei diesem Conseil befand,
.80 lag die ganze innere Verwaltung in den Händen des dem Conseil angehörenden
Contrôleur Général. Ihm unterstanden in jeder Provinz oder Generalität ein
Intendant und diesem wiederum verschiedene Subdélégués in den einzelnen
Kantonen, von denen mehrere eine „election“ bildeten. Die Zahl dieser letz-
‘teren Verwaltungsbeamten belief sich je nach Größe der Generalität auf
fünfzig und mehr. (Man vgl. im allgemeinen darüber A. DE TOCQUEVILLE,
L’ancien régime et la révolution, 1860; desgl. auch A. BABEAU, La province
sous l’ancien régime, 1894. T. II.)
3) „Hauptangriffspunkt von Boisguillebert bis Mirabeau bildet die taille.
Ihre Willkür bewirkt den Rückgang der Agrikultur, die Angst vor ihr läßt
die Felder verôden.“ (St. BAUER, a. a. O.)
534 Ottomar Thiele
jemals so hart, daß sie jede Rücklage aus dem Ertrage der
Landwirtschaft unmöglich gemacht hätte, wie vielfach behauptet
worden ist'). Jedenfalls aber erschwerte sie das Sparen aufer-
ordentlich ?) und schreckte hauptsächlich vor den so notwendigen
Meliorationen in der Bewirtschaftung des Bodens und in der
Viehhaltung ab, weil sie jede Kapitalsinvestierung besonders be
langte.
In der letzten Zeit war die taille noch durch eine spezielle
Steuer, die „Industrie“, welche das Gewerbe auf dem platten
Lande treffen sollte, ergänzt worden. Man hatte sie zum Schutze
des städtischen Gewerbefleißes eingeführt und beging auf diese
Weise den schweren Fehler, die in vielen Gegenden blühende
Hausindustrie, welche der kleinbäuerlichen Bevölkerung eine
nicht unbeträchtliche Einnahme verschaffte und ihnen Arbeit und :
Beschäftigung in den Wintermonaten gewährte, erheblich zu
schädigen. Solche hausgewerbliche Tätigkeiten wurden vor
wiegend in Form der Spitzenklöppelei und Spinnerei, der Weber :
und Strumpfwirkerei (Picardie, Normandie, Champagne), der .
Uhrmacherei (Jura) u. s. w. geübt. Auch betrieben viele Baum
Öl- und Getreidemühlen, die sie teils zu eigen besaßen, teil
von den Grundherren gepachtet hatten’).
Neben Steuern allgemeiner Art, die nicht bloß die länd-
lichen Klassen belasteten, wie die Kopfsteuer (capitation), die
Salzsteuer (gabelle) und jene mannigfaltigen, an die Generd-
pächter vergebenen Verbrauchsteuern, wurde noch eine besondere
Militärsteuer (contribution) vom Staate erhoben. Diese war haupt
sächlich den Dorfgemeinden, welche die meisten Rekruten 2
stellen hatten, infolge des seit dem Ende des 17. Jahrhundert
immer größeren Umfang annehmenden Milizwesen (s. später‘)
auferlegt worden und diente dazu, einen erheblichen Teil der
1) Im Jahre 1711 schrieb ein Dorfgeistlicher folgende Verse in seiß
Kirchenbuch:
„Ce comble des impôts fut un pesant fardeau.
Mais trop heureux encore, on nous laisse la vie.“
(A. BABEAU, La vie rurale, a. a. O. p. 128.)
2) DERSELBE, Le village sous l’ancien régime; p. 129.
3) DERSELBE, La vie rurale, a. a. O. p. 322.
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 535
haltungskosten für die Ausgelosten zu decken. Sie wurde
Repartition von den Einwohnern der Gemeinde nach Maf-
ihres Vermögens und ihrer Betriebsamkeit aufgebracht und
sich beispielsweise für die Provinz der Champagne jäbr-
af nicht weniger als 30000 livres. !).
ine weitere Last, welche die Gemeinden im Interesse der
esverteidigung zu tragen hatten, bestand in den ihnen durch
jalpeterregal zur Pflicht gemachten Dienstleistungen an die
ichen Salpetersieder?).. Frankreich hatte seit dem Beginn
6. Jahrhunderts eine staatlich organisierte Salpeterwirtschatt
fem Umfange eingeführt, welche das zur Pulverfabrikation
behrliche Salpetermaterial zu liefern hatte und in der Weise
ben wurde, daß die durch königliches Patent autorisierten
êtriers“ die im ganzen Lande befindliche Salpetererde, den
terausschlag der Wände, Fußböden u. s. w. sammelten
wslaugten, um Salpeter daraus zu sieden. Da nun die
terbildung am leichtesten dort erfolgt, wo stickstoffhaltige,
'he und pflanzliche Produkte in Verwesung übergehen, so
ı als die gecignetsten und von den Salpetersiedern infolge-
n am meisten aufgesuchten Fundstätten die Bauernwirt-
en, mit ihren Viehställen und ihren aus Lehm und Dung
stellten Wällerwänden, Fußböden, Dreschtennen etc. Am
ımsten artete das Salpeterwesen in der ersten Hälfte
8. Jahrhunderts aus, wo es der Staat in Pacht vergeben
Der Generalpächter, welcher natürlich weniger auf das
#se des Staates oder gar der Landwirtschaft, als vielmehr
inen möglichst hohen Profit seines angelegten Kapitals be-
war und daher die vielen Salpetersieder *) so wenig wie
A. BABEAU, Le village, a. a. O. p. 264.
| Dieser Gegenstand ist trotz seiner Bedeutsamkeit in der einschlägigen
tur nur wenig berücksichtigt worden. Ihn vollständig zu würdigen,
hier zu weit führen. Es sei daher auf meine „Salpeterwirtschaft und
erpolitik“, a. a. O. verwiesen, wo die französischen Verhältnisse des in
- und Westeuropa einst hoch bedeutsamen Salpeterwesens besonders
rt worden sind, und zwar auf S. 75—93, S. 125—166 u. S. 200 ff.
‚ Die Zahl der Salpêtriers war um 1750 derartig gestiegen (und zwar
er wegen der Einträglichkeit des Gewerbes als der der Privilegien), daß.
534 Ottomar Thiele
jemals so hart, daß sie jede Rücklage aus dem Ertrage der
Landwirtschaft unmöglich gemacht hätte, wie vielfach behaupte
worden ist'). Jedenfalls aber erschwerte sie das Sparen aufr-
ordentlich ?) und schreckte hauptsächlich vor den so notwendigen
Meliorationen in der Bewirtschaftung des Bodens und in de
Viehhaltung ab, weil sie jede Kapitalsinvestierung besonders be
langte.
In der letzten Zeit war die taille noch durch eine spezielle
Steuer, die „Industrie“, welche das Gewerbe auf dem platten
Lande treffen sollte, ergänzt worden. Man hatte sie zum Schutze
des städtischen Gewerbefleißes eingeführt und beging auf diese
Weise den schweren Fehler, die in vielen Gegenden blühende
Hausindustrie, welche der kleinbäuerlichen Bevölkerung eine
nicht unbeträchtliche Einnahme verschaffte und ihnen Arbeit und
Beschäftigung in den Wintermonaten gewährte, erheblich zu
schädigen. Solche hausgewerbliche Tätigkeiten wurden vor-
wiegend in Form der Spitzenklöppelei und Spinnerei, der Weberei
und Strumpfwirkerei (Picardie, Normandie, Champagne), der
Uhrmacherei (Jura) u. s. w. geübt. Auch betrieben viele Bauen
Öl- und Getreidemühlen, die sie teils zu eigen besaßen, teils
von den Grundherren gepachtet hatten?).
Neben Steuern allgemeiner Art, die nicht bloß die länd-
lichen Klassen belasteten, wie die Kopfsteuer (capitation), die
Salzsteuer (gabelle) und jene mannigfaltigen, an die General-
pächter vergebenen Verbrauchsteuern, wurde noch eine besondere
Militärsteuer (contribution) vom Staate erhoben. Diese war haupt-
sächlich den Dorfgemeinden, welche die meisten Rekruten zu
stellen hatten, infolge des seit dem Ende des 17. Jahrhunderts
immer größeren Umfang annehmenden Milizwesen (s. später!)
auferlegt worden und diente dazu, einen erheblichen Teil der
1) Im Jahre 1711 schrieb ein Dorfgeistlicher folgende Verse in sein
Kirchenbuch:
„Ce comble des impôts fut un pesant fardeau.
Mais trop heureux encore, on nous laisse la vie.“
(A. BABEAT, La vie rurale, a. a. O. p. 128.)
2) DERSELBE, Le village sous l’ancien régime; p. 129.
3) DERSELBE, La vie rurale, a. a. O. p. 322.
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 535
Unterhaltungskosten für die Ausgelosten zu decken. Sie wurde
durch Repartition von den Einwohnern der Gemeinde nach Maf-
gabe ihres Vermögens und ihrer Betriebsamkeit aufgebracht und
belief sich beispielsweise für die Provinz der Champagne jähr-
lich auf nicht weniger als 30 000 livres. !).
Eine weitere Last, welche die Gemeinden im Interesse der
Landesverteidigung zu tragen hatten, bestand in den ihnen durch
das Salpeterregal zur Pflicht gemachten Dienstleistungen an die
staatlichen Salpetersieder*). Frankreich hatte seit dem Beginn
des 16. Jahrhunderts eine staatlich organisierte Salpeterwirtschatt
in großem Umfange eingeführt, welche das zur Pulverfabrikation
unentbehrliche Salpetermaterial zu liefern hatte und in der Weise
betrieben wurde, daß die durch königliches Patent autorisierten
„Salpötriers“ die im ganzen Lande befindliche Salpetererde, den
Salpeterausschlag der Wände, Fußböden u. s. w. sammelten
und auslaugten, um Salpeter daraus zu sieden. Da nun die
Salpeterbildung am leichtesten dort erfolgt, wo stickstoffhaltige,
tierische und pflanzliche Produkte in Verwesung übergehen, so
galten als die geeignetsten und von den Salpetersiedern infolge-
dessen am meisten aufgesuchten Fundstätten die Bauernwirt-
schaften, mit ihren Viehställen und ihren aus Lehm und Dung
hergestellten Wällerwänden, Fußböden, Dreschtennen etc. Am
schlimmsten artete das Salpeterwesen in der ersten Hälfte
des 18. Jahrhunderts aus, wo es der Staat in Pacht vergeben
hatte. Der Generalpächter, welcher natürlich weniger auf das
Interesse des Staates oder gar der Landwirtschaft, als vielmehr
auf einen möglichst hohen Profit seines angelegten Kapitals be-
dacht war und daher die vielen Salpetersieder?) so wenig wie
1) A. BABEAU, Le village, a. a. O. p. 264.
2) Dieser Gegenstand ist trotz seiner Bedeutsamkeit in der einschlägigen
Literatur nur wenig berücksichtigt worden. Ihn vollständig zu würdigen,.
würde hier zu weit führen. Es sei daher auf meine „Salpeterwirtschaft und
Salpeterpolitik“, a. a. O. verwiesen, wo die französischen Verhältnisse des in
Mittel- und Westeuropa einst hoch bedeutsamen Salpeterwesens besonders
erörtert worden sind, und zwar auf 8. 75—93, S. 125—166 u. S. 200 ff.
3) Die Zahl der Salpêtriers war um 1750 derartig gestiegen (und zwar
weniger wegen der Einträglichkeit des Gewerbes als der der Privilegien), daß.
538 Ottomar Thiele
standen Fronen bloß noch in einzelnen Provinzen?!) und selbst
wurden sie in der Regel nur gegen Entschädigung verlangt, w
übrigens auch in manchen Gegenden auf den Champart zutr:
Viele Bauern waren in Wirklichkeit freie Grundeigentümer.
Während also, wie wir gezeigt haben, die Wirtschaften d
Bauern, Metayers und Pächter überall an einem, durch d
verschiedensten Ursachen hervorgerufenen und genährten Mang
an wirtschaftlicher Bewegungsfreiheit, vor allem aber an Kap
talien zu leiden hatten und daher in der Regel außer stan(
waren, den vollen Ertrag ihrer Güter zu erzielen, geschweig
ihn denn zu steigern, war es mit denen des niederen Adel:
welcher vielfach der Landwirtschaft treu geblieben, in diese
Hinsicht nicht besser bestellt. Seine Lage war infolge der teure
Zeiten und hohen Lebensanforderungen, die seine soziale Stellun
von ihm beanspruchte, allmählich immer unsicherer geworden
und nicht selten hatte er mit der Armut bitter zu kämpfen
„Trotz seiner Privilegien“, schrieb um 1750 voll Trauer ei
französischer Landedelmann ?), „richtet sich der Adel tagtäglid
immer mehr zugrunde und der „tiers état‘ bemächtigt sich da
Vermögens des Landes.“
In der Tat, der „dritte Stand“, und zwar in erster Linie di
in den Städten wohnende Handel und Gewerbe treibende Bürger
schaft, die Privatiers, Unternehmer etc., hatten sich allmählich de
Vermögens des Landes bemächtigt und waren, was noch meh
ins Gewicht fiel, die Gläubiger ihres an dauernder Finansn0
leidenden Staates geworden, dessen Anleihen sich fast aus
schließlich in ihren Händen befanden®). Ihre Kapitalskrañ
welche die Mittel zum Erwerbe bot, hatte die verarmte Land
bevölkerung zu großem Teil in die Städte getrieben: „Den
1) Schon im 16. Jahrhundert durften die gutsherrlichen Fronen nich
länger als 12 Tage im Jahre dauern und in manchen Gegenden (Lyon z.B.
nicht mehr als fünf. Später wurden sie immer mehr reduziert. (Darübe
A. BABEAU, Le village, a. a. O. p. 175 und La vie rurale, a. a. O. p. 1%.)
2) A. DE TOCQUEVILLE, a. à. O. p. 139.
3) Dieses MiBverhältnis von wirtschaftlicher Macht und politischer Ohn
macht des dritten Standes war eines seiner hauptsächlichsten Agitationsmitte
gegen den Absolutismus.
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 537
Spannfronen mußten sich alle Einwohner der in Frage kommen-
den Gemeinden im Alter von 12—60 Jahren beteiligen, widrigen-
falls sie schwere Bestrafungen zu erwarten hatten. Auch durfte
sich niemand vertreten lassen oder gar davon loskaufen. Anfang
und Dauer der Arbeiten war unbestimmt und wurde in jedem
Falle von den einzelnen Intendanten willkürlich, d. h. je nach
Bedarf und oft ohne Rücksicht auf die Feldarbeiten, festgesetzt.
Dazu kamen die kirchlichen Abgaben, und obwohl, wie
VAUBAN und CONDORCET bestätigen, der Zehnte (Dime) niemals-
sehr drückend gewesen zu sein scheint, so wurde diese Steuer
doch vielfach durch Zwangsbeiträge zur Instandhaltung der Kirche:
und durch eine ,retribution“ an den Ortsgeistlichen beträchtlich
erhöht. Weit stärker belasteten dagegen die bäuerliche Bevöl-
kerung die Abgaben an den Seigneur. In Frankreich waren:
zwar zu jener Zeit nur noch die Reste der grundherrlichen Ge-
walt vorhanden, aber diese fanden sich in den verschiedensten
Formen vor; vom Ehrenvasallen (vief d’honneur, der nur die
nominelle Verpflichtung der „Treue und Huldigung“ hatte) bis.
zum wirklichen Leibeigenen (serf, von denen es beim Einbruch
der Revolution noch über eine Million gegeben haben soll).
Dem entsprach die Höhe der Abgabe, des „Champart“. Am
leichtesten als Champart foncier, den mancher Vasall als eine
Art Grundrente zu bezahlen hatte, gestaltete er sich als Champart
seigneurial am drückendsten (im Lyonnais und Beaujolais z. B.
betrug er !/—!is der (Getreide-)Ernte, in der Dauphiné dagegen
nur !/so), und hier kehrte sich der ganze Haß der Bauern gegen
ihn. Dazu kam noch, daß die Seigneurs den Grundsatz „nulle
terre sans seigneur“, welcher ursprünglich nur auf die grund-
herrliche Gerichtsbarkeit (die noch bis zur Revolution allgemein
bestand) Anwendung gefunden hatte, seit dem 16. Jahrhundert
auch auf andere feudale Rechte übernahmen, und daß sie z. B.
in (diesem Sinne vielfach die ziemlich bedeutenden Allmenden
(an Wald, Wiese und Feld) der Gemeinden für sich beanspruchten,.
um sie den Bauern wieder als eine Art von Geschenk oder Konzession
unter Vorbehalt gewisser Rechte zu überlassen!). Indessen be-
1) Man vergl. im allgemeinen M. KARÉIEW, Les paysans et la question
paysanne en France dans le dernier quart du 18° scl, 1899, p. 19—75.
540 Ottomar Thiele
so daß diese oft gezwungen wurden, in den Städten, wo b
Erwerbsverhältnisse herrschten, eine Existenz zu suchen.
taten sie um so lieber, als hier die Annehmlichkeite
Stadtlebens winkten, welche ihnen bald die Erinnerung a
öde und verarmte Heimat vergessen ließen. Sie ergriffen
gewerblichen Beruf oder wurden Beamte, welch letzteres
infolge des enormen Bedarfes jener Zeit an Subalternen, aı
und Steuereinnehmern, Wächtern, Kontrolleuren, an Anges
der vielen staatlichen und privaten Großunternehmen etc.
allzu beschwerlich fiel. In solchen Fällen kamen sie zwar
wieder auf das Land zurück — denn die Verwaltung, res
hebung der vielen Verbrauchssteuern, Binnenzölle etc. hatte
reiche Beamtenstellen in den Dörfern und Marktflecke
schaffen — allein, lediglich in der Eigenschaft unprodu
Zehrer, die dem betriebsamen Teil der Bevölkerung die a
für sich schon knappen Lebensmittel noch mehr schmälert
Die unter den kleinbäuerlichen Bewohnern herrschende
werbsverhältnisse begünstigten die Landflucht noch in stär
Maße, denn diese Wirtschaften vermochten schon aus natür
Gründen nicht allen Mitgliedern der Familie Unterhalt zu |
Die Söhne der kleinen Pächter, Metayers und Bauern, n
sich gewöhnlich anderwärts nach Arbeit umsehen. Konnten si
bei den reicheren Bauern oder Pächtern ihrer Heimat nict
den, was bei der Güterkonzentration nicht selten der Fal
so wurden sie von selbst in die Städte getrieben, un
als Lakaien, Bediente, Läufer, Kutscher u. s. w. Unterkui
suchen. Elend der wirtschaftlichen Lage und Mangel au
kömmlicher Beschäftigung wirkten also zusammen.
Noch vermehrt wurde die Bevölkerungsabnahme auf
Lande durch den seit 1689 von Louvois allgemein eingefi
Service forcé, die ,Miliz“ genannt!). Sie war in der H
1) Ursprünglich verlangte man Militärdienste nur ganz ausnahm
Es gab beispielsweise levées obligatoires en masse unter Ludwig X
Jahre 1636, als die Spanier Corbie erobert hatten und Paris bedrohte
spanischen Erbfolgekriege kamen dann die Zwangsrekrutierungen (r
ments forcés) auf; doch hob man damals vorzugsweise Landstreiche
Arbeitslose aus, daneben allerdings auch Unverheiratete im Alter von
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 539
das Wachstum der Bevölkerung“, sagt Quesnay'), „hängt ganz
und gar von der Zunahme der Vermögensmassen, deren An-
wendung und der Beschäftigung der Menschen ab. Diese finden
sich überall dort zusammen und vermehren sich da, wo sie
Reichtümer erwerben können.“
Zweifellos lag im Zurückfließen der Kapitalien aus der land-
wirtschaftlichen Produktion, welche durch die einseitige Wirt-
schaftspolitik der Regierung in eine gefährliche Krisis?) geraten
war, der wichtigste Grund, welcher die rapide Abnahme der
ländlichen Bevölkerung und die Flucht in die Städte bedingte.
Am meisten hatten, wie bemerkt, die mittleren Güter darunter
zu leiden. Von den kapitalskräftigen Großpächtern und Unter-
nehmergesellschaften aufgesogen oder zerstückelt, geschah es,
daß von den Ortschaften vieler Gemeinden, wo einst 5 oder 6
Pächter erster Klasse, d. h. mit einem Areal zu 5—7 Gespannen,
und vielleicht 8 oder 10 zweiter Klasse zu 2—3 Gespannen vor-
handen gewesen waren, sich insgesamt nur noch deren 3 befan-
den, welche durch Arrondierung der Äcker und Wirtschaften, vor
allem aber durch Aufgeben der geringeren Böden, naturgemäß
weniger Familien Unterhalt gewähren konnten, als es unter den
früheren Verhältnissen möglich gewesen war. Und in der Tat
vermochten sich in solehen Gemeinden, wo einst 15—20 Familien
vom Ackerbau gelebt hatten, vielfach höchstens 5 bis 6 zu be-
haupten. Die mittleren Pächter und Besitzer waren zu großem
Teile in die Städte übergesiedelt und hatten sich anderen und
einträglicheren Beschäftigungen zugewandt. Diejenigen, welche
ihrem alten Berufe treu geblieben, waren infolge der schlechten
Zeiten so mitgenommen worden, daß sie vielfach nicht mehr in
der Lage waren, die Wirtschaft ihren Kindern zu übergeben,
1) Artk. „Hommes“.
2) Es ist außerordentlich interessant, zu beobachten, wie sehr die Wir-
kungen der damaligen (abgesehen von der „Bauerufrage“) und der modernen
Agrarkrisis in Frankreich trotz ihrer verschiedenen Ursachen, dort verkehrte
Wirtschaftspolitik, hier die vernichtende Konkurrenz des billiger produzieren-
den Auslandes, auf die Bevölkerung einander ähneln. (Man vgl. über die
heutige, allerdings schon im Abnehmen begriffenen Agrarkrisis das sehr
lesenswerte Buch von JULES MELINE, Le retour & la terre et la surproduc-
tion industrielle, Paris, 1906; 4. Aufl. p. 99 ff.)
540 Ottomar Thiele
so daß diese oft gezwungen wurden, in den Städten, wo bess
Erwerbsverhältnisse herrschten, eine Existenz zu suchen. D
taten sie um so lieber, als hier die Annehmlichkeiten
Stadtlebens winkten, welche ihnen bald die Erinnerung an
öde und verarmte Heimat vergessen ließen. Sie ergriffen
gewerblichen Beruf oder wurden Beamte, welch letzteres
infolge des enormen Bedarfes jener Zeit an Subalternen, an
und Steuereinnehmern, Wächtern, Kontrolleuren, an Anges
der vielen staatlichen und privaten Großunternehmen etc.
allzu beschwerlich fiel. In solchen Fällen kamen sie zwar
wieder auf das Land zurück — denn die Verwaltung, resp.
hebung der vielen Verbrauchssteuern, Binnenzölle etc. hatte s
reiche Beamtenstellen in den Dörfern und Marktflecken
schaffen — allein, lediglich in der Eigenschaft unprodukt
Zehrer, die dem betriebsamen Teil der Bevölkerung die an
für sich schon knappen Lebensmittel noch mehr schmäle
Die unter den kleinbäuerlichen Bewohnern herrschenden:
werbsverhältnisse begünstigten die Landflucht noch in stärkt
Maße, denn diese Wirtschaften vermochten schon aus natür
Gründen nicht allen Mitgliedern der Familie Unterhalt zu bi
Die Söhne der kleinen Pächter, Métayers und Bauern, mul
sich gewöhnlich anderwärts nach Arbeit umsehen. Konnten sie
bei den reicheren Bauern oder Pächtern ihrer Heimat nicht !
den, was bei der Güterkonzentration nicht selten der Fall
so wurden sie von selbst in die Städte getrieben, um \
als Lakaien, Bediente, Läufer, Kutscher u. s. w. Unterkunft:
suchen. Elend der wirtschaftlichen Lage und Mangel an d
kömmlicher Beschäftigung wirkten also zusammen.
Noch vermehrt wurde die Bevölkerungsabnahme auf d
Lande durch den seit 1689 von Louvois allgemein eingefübr
Service forcé, die „Miliz“ genannt‘). Sie war in der Hau
1) Ursprünglich verlangte man Militärdienste nur ganz ausnahmsw
Es gab beispielsweise levées obligatoires en masse unter Ludwig XIIL
Jahre 1636, als die Spanier Corbie erobert hatten und Paris bedrohten.
spanischen Erbfolgekriege kamen dann die Zwangsrekrutierungen (rec
ments forcés) auf; doch hob man damals vorzugsweise Landstreicher 1
Arbeitslose aus, daneben allerdings auch Unverheiratete im Alter von 18
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 541
e eine Art von lokaler Reserve für die regulären Truppen,
he sich aus angeworbenen Freiwilligen rekrutierten. Obwohl
die Zahl der Miliz im Durchschnitt auf rund 60000 Mann
in Kriegszeiten sogar auf 90000, so hatte sie doch
als eine ernstliche Rolle gespielt. Dennoch war die Furcht,
Milizdienst durch das Los ausgehoben zu werden, unter
andbevölkerung allgemein verbreitet und gab zu wiederholten
gebungen Anlaß, die bis in die letzten Jahre der absoluten
rehie gewährt haben. Um sich dem Militärdienste zu ent-
op, verließen viele Bauern ihre Dörfer!) und siedelten in
tädte über, wo sie verhältnismäßig gesichert waren, da das
den größten Teil, etwa zwei Drittel des gesamten Kon-
tes, aufzubringen hatte. Quesnay berechnet‘), daß die
t vor dem Militärdienst und dieser selbst der Landwirt-
t einen Verlust von nahezu 2 Millionen Arbeitskräften inner-
von 30 Jahren (seit 1720) zugezogen hatte. Die Miliz loste
dem Zeitraume von 6 Jahren 40000 Mann, d. h. jährlich
ähr 7000 Mann auf dem Lande aus, was etwa einem Achtel
Zahl von denjenigen jungen Leuten der bäuerlichen Be-
rang entsprach, welche das 17. Lebensjahr vollendeten.
jienstpflichtige empfing von seiner Gemeinde, die ihn außer-
noch zum Teil unterhalten mußte (s. oben!), eine einmalige
badigung von 150, später 100 livres. beim Antritt seiner
tzeit, genoß während derselben Steuererleichterung und
seiner Entlassung Befreiung von der „taille* auf die Dauer
Jahres *). Für die Landwirtschaft war natürlich diese
ıhme von jungen Arbeitskräften ein empfindlicher Verlust,
ie noch weit härter traf, als viele Milizsoldaten während
iemlich langen Dauer ihrer Dienstzeit den Geschmack an
früheren, beschwerlichen ländlichen Beschäftigung verloren
ren. (Darüber A. BABEAU, La vie militaire sous l’ancien régime, 1889.
Bf.)
‚So verließen im Jahre 1729 beispielsweise nicht weniger als 20 Bauern
weht vor dem Milizdienste ihr Dorf, das nur 2 Rekruten zu stellen hatte.
) Artk. „Hommes“. Quxsxay befürwortet hier die Einführung einer
e permanente“, die aus ständigen Mannschaften gebildet werden solle.
) A. BapEau, Le village, à à. 0, p. 264.
meljabrschr. f. Social- u. Wirischafggsschichte, IV. 36
540 Ottomar Thiele
so daß diese oft gezwungen wurden, in den Städten, wo bessere
Erwerbsverhältnisse herrschten, eine Existenz zu suchen. Das
taten sie um so lieber, als hier die Annehmlichkeiten des
Stadtlebens winkten, welche ihnen bald die Erinnerung an ihre
öde und verarmte Heimat vergessen ließen. Sie ergriffen einen
gewerblichen Beruf oder wurden Beamte, welch letzteres ihnen
infolge des enormen Bedarfes jener Zeit an Subalternen, an Zol-
und Steuereinnehmern, Wächtern, Kontrolleuren, an Angestellten
der vielen staatlichen und privaten Großunternehmen etc. nicht
allzu beschwerlich fiel. In solchen Fällen kamen sie zwar häufig
wieder auf das Land zurück — denn die Verwaltung, resp. Er-
hebung der vielen Verbrauchssteuern, Binnenzölle etc. hatte zahl-
reiche Beamtenstellen in den Dörfern und Marktflecken ge
schaffen — allein, lediglich in der Eigenschaft unproduktiver
Zehrer, die dem betriebsamen Teil der Bevölkerung die an und
für sich schon knappen Lebensmittel noch mehr schmälerten.
Die unter den kleinbäuerlichen Bewohnern herrschenden Er-
werbsverhältnisse begünstigten die Landflucht noch in stärkerem
Maße, denn diese Wirtschaften vermochten schon aus natürlichen
Gründen nicht allen Mitgliedern der Familie Unterhalt zu bieten.
Die Söhne der kleinen Pächter, Metayers und Bauern, mußten
sich gewöhnlich anderwärts nach Arbeit umsehen. Konnten sie diese
bei den reicheren Bauern oder Pächtern ihrer Heimat nicht fin-
den, was bei der Güterkonzentration nicht selten der Fall war,
so wurden sie von selbst in die Städte getrieben, um hier
als Lakaien, Bediente, Läufer, Kutscher u. s. w. Unterkunft zu
suchen. Elend der wirtschaftlichen Lage und Mangel an aus-
kömmlicher Beschäftigung wirkten also zusammen.
Noch vermehrt wurde die Bevölkerungsabnahme auf dem
Lande durch den seit 1689 von Louvois allgemein eingeführten
Service forcé, die „Miliz“ genannt!). Sie war in der Haupt-
1) Ursprünglich verlangte man Militärdienste nur ganz ausnahmsweise.
Es gab beispielsweise levées obligatoires en masse unter Ludwig XII. im
Jahre 1636, als die Spanier Corbie erobert hatten und Paris bedrohten. Im
spanischen Erbfolgekriege kamen dann die Zwangsrekrutierungen (recrute-
ments forcés) auf; doch hob man damals vorzugsweise Landstreicher und
Arbeitslose aus, daneben allerdings auch Unverheiratete im Alter von 18 bis
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime, 541
sache eine Art von lokaler Reserve für die regulären Truppen,
welche sich aus angeworbenen Freiwilligen rekrutierten. Obwohl
sich die Zahl der Miliz im Durchschnitt auf rund 60000 Mann
belief, in Kriegszeiten sogar auf 90000, so hatte sie doch
niemals eine ernstliche Rolle gespielt. Dennoch war die Furcht,
zum Milizdienst durch das Los ausgehoben zu werden, unter
der Landbevölkerung allgemein verbreitet und gab zu wiederholten
Kundgebungen Anlaß, die bis in die letzten Jahre der absoluten
Monarchie gewährt haben. Um sich dem Militärdienste zu ent-
ziehen, verließen viele Bauern ihre Dörfer!) und siedelten in
die Städte über, wo sie verhältnismäßig gesichert waren, da das
Land den größten Teil, etwa zwei Drittel des gesamten Kon-
tingentes, aufzubringen hatte. Quesnay berechnet”), daß die
Flucht vor dem Militärdienst und dieser selbst der Landwirt-
schaft einen Verlust von nahezu 2 Millionen Arbeitskräften inner-
halb von 30 Jahren (seit 1720) zugezogen hatte. Die Miliz loste
in jedem Zeitraume von 6 Jahren 40000 Mann, d. h. jährlich
ungefähr 7000 Mann auf dem Lande aus, was etwa einem Achtel
der Zahl von denjenigen jungen Leuten der bäuerlichen Be-
völkerung entsprach, welche das 17. Lebensjahr vollendeten.
Der Dienstpflichtige empfing von seiner Gemeinde, die ihn außer-
dem noch zum Teil unterhalten mußte (s. oben!), eine einmalige
Entschädigung von 150, später 100 livres. beim Antritt seiner
Dienstzeit, genoß während derselben Steuererleichterung und
nach seiner Entlassung Befreiung von der „taille* auf die Dauer
eines Jabres*). Für die Landwirtschaft war natürlich diese
Entnahme von jungen Arbeitskräften ein empfindlicher Verlust,
der sie noch weit härter traf, als viele Milizsoldaten während
der ziemlich langen Dauer ihrer Dienstzeit den Geschmack an
ihrer früheren, beschwerlichen ländlichen Beschäftigung verloren
40 Jahren. (Darüber A. BABEAU, La vie militaire sous l’ancien régime, 1889.
T. I. p.33 ff.)
1) So verließen im Jahre 1729 beispielsweise nicht weniger als 20 Bauern
aus Furcht vor dem Milizdienste ihr Dorf, das nur 2 Rekruten zu stellen hatte.
2) Artk. „Hommes“. QuEsnAY befürwortet hier die Einführung einer
„milice permanente“, die aus ständigen Mannschaften gebildet werden solle.
3) A. BABEAU, Le village, a. a. O. p. 264.
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 36
549 Ottomar Thiele
hatten und daher häufig nach der Entlassung in der Stadt blieben,
um hier ihren Lebensunterhalt auf angenehmere Weise zu ge-
winnen.
Die meisten kleinbäuerlichen Familien freilich empfanden den
Verlust einer jungen Arbeitskraft, der bei dem elenden Zustande
ihrer Wirtschaften für sie oft nicht vielmehr als eines unnützen
Zehrers bedeutete, weniger hart. Denn der Lebensunterhalt war
hier auf das geringste Maß. reduziert, und der Mangel an Schlacht-
vieh und gutem Brotgetreide hatte die Ernährung dermaßen be
einträchtigt, daß ein großer Teil der Bevölkerung schon in der
Kindheit zugrunde ging!). In manchen Zeiten waren die
Lebensmittel bei der Landbevölkerung so kärglich und der
Mangel an Arbeitsgelegenheit so sehr hervortretend, daß man
mit Recht, wie Arthur Young sagt?), eher von einem Überfluß an
Menschen auf dem Lande, als von einem Mangel derselben
sprechen konnte. Das galt besonders in Jahren der Teurung,
welche, durch Dürre, Hagelschlag oder Überschwemmung ver-
schuldet, infolge der überall vorhandenen Getreideprohibitir-
gesetze zwar meist lokal beschränkt blieb, aber aus diesem
Grunde um so schlimmer wütete. Hungersnöte in einzelnen
Provinzen waren damals periodisch abwechselnde Erscheinungen.
Die unteren Schichten der Bevölkerung preßten, wie man zu
sagen pflegt, gegen die Subsistenzmittel; sie konnten ihren auf
das geringste Maß reduzierten Konsum nicht weiter einschränken
und verfielen daher dem Elend der Nahrungsnot mit all seinen
Schrecken. In solchen Zeiten zogen sie in Scharen aus, um
Brot zu suchen, sie machten den Verkehr auf den Landstraßen un-
sicher, bettelten bei den reichen Gutsbesitzern, Geistlichen oder
1) QUESNAY bemerkt darüber in seinem Artikel „Fermiers“: „Dies
schlechten Nahrungsmittel (die oben erwähnten Erzeugnisse der Kleinbauer,
wie Buchweizen, Mais, Kartoffeln, Schwarzkorn etc.), welche zum Leben»
unterhalt dienen und die Gesundheit schädigen, bewirken, daß ein großer
Teil der Menschen schon in der Kindheit stirbt. Diejenigen, welche einer
derartigen Ernährung standhalten, welche ihre Gesundheit und Kräfte be
wahren und intelligent genug sind, flüchten in die Städte: Nur die Schwächstes
und Unnützesten bleiben auf dem Lande, wo sie für den Staat ebenso un-
brauchbar sind, als sich selbst zur Last liegen.“
2) ARTHUR YOUNG, Voyage en France, I. p. 322 ff.
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 543
Pächtern und erbrachen, wenn ihnen die Verabreichung von
Getreide oder anderen Nahrungsmitteln verweigert wurde, die
Scheunen, Keller und Kornspeicher!). Die Regierung war diesen
Ausbrüchen gegenüber machtlos und versuchte sie dadurch ein-
zuschränken, daß sie die betreffenden Provinzen sperrte. „Man
wird immer wieder Hungersnôte haben,“ sagt François Quesney ?),
„weil der Getreidebau, welcher in den guten Jahren nur den
jeweiligen begrenzten Bedürfnissen des Volkes entsprechend
produziert, in dürren Jahren nicht ausreicht: Hat man denn
noch nie bemerkt, daß all diese Übelstände lediglich Folgen der
Verordnungen sind, welche den Handel und die Produktions-
freiheit des Landmannes hindern? Um dem Mangel an Lebens-
mitteln vorzubeugen, der niemals eintreten würde, gibt man,
Gesetze, welche sich der Produktionsfülle und der Bevölkerung
entgegensetzen !“
Wie schon aus diesen Worten ersichtlich, nahm die Regierung in
dieser wichtigen Frage den einseitigsten Standpunkt ein. Sie be-
fand sich noch zu sehr im alten Fahrwasser der Wirtschafts-
politik vergangener Zeiten; ja sie hielt das Elend auf dem Lande
als Zeichen für den allgemeinen Mangel an Arbeitslust! Im
Glauben, die wirtschaftliche Lage der ländlichen Bevölkerung
und den Nationalwohlstand heben zu können, indem man das
1) A. BABEAU, La vie rurale, a. a. O. p. 129.
2) Artk. „Hommes“. Man vergleiche dazu die vom selben Geist ge-
tragenen Worte DAvıp RICARDOs: „In denjenigen Ländern, wo es genug
fruchtbare Böden gibt, wo aber die Bewohner infolge von Unwissenheit,
Trägheit und Barbarei allen Übeln des Mangels und der Hungersnot preis-
gegeben sind, und wo die Bevölkerung, wie man gesagt hat, gegen die Sub-
sistenzmittel preßt, müßte ein ganz anderes Heilmittel angewandt werden,
als das, welches altbesiedelten Ländern not tut, wo man infolge der ab-
nehmenden Bodenerträge alle Übel einer zusammengedrängten Bevölkerung__
aus Erfahrung kennen gelernt hat. In dem einen Falle rührt das Übel von
einer schlechten Regierung, von der Unsicherheit des Eigentums und von
einem Erziehungsmangel in allen Schichten des Volkes her. Um es glück-
licher zu machen, braucht man es nur besser zu regieren und zu erziehen,
denn eine Vermehrung des Kapitals über die Zunahme der Bevölkerung
hinaus wäre die unausbleibliche Folge davon.“ (Grundsätze der Volkswirt-
schaft und Besteuerung, übersetzt von O. THIELE; Bd. V der Sammlung
sozialwissenschaftlicher Meister, herausgegeben von H. WAENTIG, 1906. 8.88 ff.)
544 Ottomar Thiele
Volk durch die Not zur äußersten Anstrengung seiner Kräfte
zwang, wurde sie nicht gewahr, daß auf diese Weise der Ertrag
der Arbeit infolge wachsenden Kapitalsmangels und ständiger
Bodenerschöpfung innerhalb einer nach außen geschlossenen
Staatswirtschaft immer geringer werden mußte, und daß somit
die schlimmste Ausbeutung von Menschen und Boden betrieben,
mit anderen Worten, der Nationalreichtum des Landes statt ver-
mehrt, vernichtet wurde').
Dieses geringe Verständnis für die großen Agrarfragen der
Zeit, welches bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts nicht nur n
den hierbei zu allererst in Betracht kommenden Kreisen der
Regierung, sondern ganz allgemein unter den Gebildeten herrschte,
war damals, wo vornehmlich gesellschaftlicher Luxus und philo-
sophische Schöngeisterei die leitenden Klassen zu interessieren
schien, nicht wunder zu nehmen. Die Landwirtschaft war zu
wenig vornehm und stand zu weit von jener übertriebenen Kultur
entfernt, als daß man sich um sie hätte bekümmern müssen;
sie betraf höchstens die „abseits von aller Bildung lebenden"
Pächter und Bauern, von denen man nur in den Zeiten der
Zinszahlungen wahrnahm. Dazu kam, daß die Regierung ihr
Augenmerk ganz auf das Manufakturwesen und den Handel der
teuren Luxuswaren gerichtet hatte, die im Inlande produziert,
durch Verkauf an das Ausland Gold und Silber, den vermeint-
lichen Nationalreichtum, ins Land bringen sollten. Sie schien
die weisen Worte des berühmten Ministers Heinrichs IV., Sullys,
dem sie einen großen Teil ihrer Macht und Frankreich seinen
wirtschaftlichen und politischen Aufschwung schuldete, völlig
vergessen zu haben, daß, wenn der Bauer reich ist, auch alles
mit ihm zugleich reich wird”).
1) QuEsNAY, Artk. „Hommes“; vgl. auch ST. BAUER, a. a. 0. 8. 194
2) Sully wollte die wirtschaftliche Macht des Staates auf eine blühende
Landwirtschaft und auf ein geordnetes und sparsames Finanzwesen gründen,
obwohl er gerade in letzterer Hinsicht beim Könige auf großen Widerstand
stieß. Sein obiger Ausspruch scheint für den QuEsnAY’schen vorbildlich ge
wesen zu sein: Pauvre paysan, pauvre royaume; pauvre royaume, pauvre roi
Überhaupt lehnt sich QUESNAY mehr an Sully an, als man bei seiner sonstigen
Originalität vermuten könnte. In seiner Abhandlung „Maximes générales da
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 545
Erst den Physiokraten gebührt das hohe Verdienst, ein all-
gemeineres agrarpolitisches Interesse nicht nur bei der Regie-
rung, sondern auch in den höheren Kreisen der Gesellschaft
wieder erweckt zu haben’). Besonders war es Quesnay, welcher,
dank seiner nahen Beziehungen zu den einflußreichsten Persön-
lichkeiten des Staates, in Wort und Schrift für die physio-
kratischen Gedanken und die Hebung der Landwirtschaft erfolg-
reich eintrat. Es ist für sein eifriges Bemühen um die Land-
wirtschaft bezeichnend genug, wenn er in einer seiner Schriften ?)
ausdrücklich betont: „Unter allen Mitteln der Gütergewinnung
gibt es kein besseres, reichlicheres, angenehmeres und des freien
Mannes würdigeres, als die Landwirtschaft... Was mich an-
betrifft, so kenne ich keinen glücklicheren Lebenslauf als diesen,
und zwar nicht bloß seiner Nützlichkeit wegen, die dem ganzen
Menschengeschlechte die Subsistenzmittel verschafft, sondern mehr
noch wegen des Vergnügens und des Überflusses, den er be-
reitet; denn der Ackerbau bringt alles hervor, was das mensch-
liche Leben und der göttliche Kult wünschen kann.“ Gesteigert
wurden seine edlen Bestrebungen noch von dem Mitgefühl für
die traurige Lage der bäuerlichen Bevölkerung. „Auch er lernte
das schreckliche Elend der Bauern kennen“, sagt Graf d’Albon
von ihm, „und dieser Anblick hat auf ihn ebenso stark gewirkt,
wie auf Rousseau“. Der Physiokratismus ist gewissermaßen von
der Bauernfrage geboren worden).
Die agrarpolitische Agitation der Physiokraten setzte in den
fünfziger Jahren mit aller Stärke ein‘), und damit begannen
gouvernement économique d’un royaume agricole“ (Oeuvres, a. a. O.), geht er
z. B. auf Sullys ,Economies royales“ zurück.
1) Der Schöngeisterei eines witzigen Kopfes, wie VOLTAIRE, mochte natür-
lich diese neue Strömung nicht behagen. Seine tiber den Physiokratismus
spöttelnde Abhandlung, „L’homme aux quarante écus“, ist nur ein Ausbruch
dieser Gefühle.
2) In einer Anmerkung der Maximes générales, a. a. 0.
5) N. KARÉIEW, a. a. O. p. 274.
4) Die beiden Hauptagitationsartikel QUESNAYS über ,Getreide“ und
„Pächter“ erschienen Ende der fünfziger Jahre und machten großen Ein-
druck. Sein Freund und Schüler GournAY unterstützte ihn in seinen
Bemühungen aufs tatkräftigste.
546 Ottomar Thiele
auch die Agrarreformen der Regierung. Allerdings hatte diese
auch schon vorher, und zwar aus eigener Initiative, wenn die
Mißstände allzu offenkundig waren und dringende Abstellung er-
heischten, auf diesem Gebiete manche Betätigung gezeigt; aber
ohne Nachhalt vorgenommen, waren die praktischen Erfolge
derselben meist nur vorübergehend oder, falls sie fortdauerten,
für die eigentliche Landwirtschaft von mehr sekundärer Be
deutung gewesen.
So hatte man bereits im Jahre 1714 eine ausführliche Verord-
nung zur Hebung der Rindviehzucht erlassen und das Schlachten
des Jungviehs und die Viehausfuhr verboten. Allein das Gute,
das damit erreicht werden sollte, wurde durch jene gleichzeitig
stabulierten provinzialen Prohibitivgesetze wieder zunichte ge
macht, welche den Viehhandel im Inlande lahm legten'). Um
dieselbe Zeit erfolgten auch Reglements zur Ermunterung der
Pferdezucht, und die königlichen Gestüte (haras) bemühten sich.
leider ohne besondere Resultate dabei zu erzielen, in der Auf-
ziehung eines besseren und zahlreicheren Materials, mit guten
Beispiele voranzugehen. In den zwanziger Jahren versuchte
man der daniederliegenden Schafzucht zu helfen: Mehr von
merkantilistischen, als von rein agrarpolitischen Absichten ge
leitet, wollte man auf diese Weise die großen Summen Geldes,
welche die französischen Luxusmanufakturen alljährlich an das
Ausland für die feine Rohwolle bezahlen mußten, dem Lande er-
halten. Der Contrôleur Général schickte 1728 ausführliche Iı-
struktionen, die Schafzucht wieder zu beleben und die Wolle zu
verschönern und zu verfeinern, an die einzelnen Intendanten
mit der Weisung, die größeren Grundbesitzer und Pächter zur
Haltung und Pflege von Schafherden, wie es die englischen
Landwirte mit so gutem Erfolge taten, zu veranlassen *). Die
Regierung selbst tat ihr Bestes, um dieses Ziel zu erreichen.
Sie kaufte, als ihre ersten Anregungen resultatlos verliefen,
später aus Holland, England und Spanien Lämmer an und ließ
sie durch die Intendanten an die geeigneten Wirtschaften un-
1) Ordonnances vom Jahre 1715 und 1717. (Vgl. A. BABEAU, La province
sous l’ancien régime, a. a. O. p. 246.)
2) A. Baskav, La province, a. a. O. p. 240.
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 547
entgeltlich verteilen‘). In Rambouillet nahm sie Kreuzungs-
versuche mit spanischen Merinos und französischen Schafen vor,
die vorzüglich ausfielen und nach und nach ein so vortreffliches
und reichliches Zuchtmaterial lieferten, daß gegen Ende des
18. Jahrhunderts die Textilmanufakturen ihren Bedarf an feiner
Rohwolle im Inlande decken konnten.
Auf ähnlichen merkantilistischen Erwägungen beruhte die He-
bung resp. Einführung der Seidenkultur und des Krappbaues in
Frankreich. Die großen Seidenmanufakturen in Lyon pflegten da-
mals ihr sehr beträchtliches, jährliches Bedarfsquantum ?) aus
Indien, Spanien und Portugal, zum größten Teile aber aus
den italienischen Provinzen Piemont, Modena, Turin, Mailand,
Genua und Parma .zu beziehen, wo die Zucht der Seidenraupe
außerordentlich blühte. Zwar hatte der Seidenbau in Frankreich
schon um 1600 seinen Anfang genommen; allein er war im
Laufe der Zeit immer mehr, bis schließlich zur Bedeutungslosig-
keit herabgesunken’.. Da man nun glaubte, daß Klima und
Boden verschiedener französischer Provinzen, wie die Languedoc,
Provence, Dauphiné, Gascogne etc., denselben ökonomischen
Vorteil wie jene italienischen Provinzen zu bieten vermochten,
so beschloß man, die Zucht der Seidenraupe wieder aufzunehmen
und die nötigen Maulbeerbäume (müriers blancs) anzupflanzen.
Im Jahr 1732 wurden in den königlichen Baumschulen (pepinières)
der Dauphine nicht weniger als 340000 Stück weißer Maulbeer-
bäume gezogen, von denen man über 200000 an die Interes-
1) So wurden 1768 nicht weniger als 1000 Stück Merinos angekauft und
7 Intendanten zur Verteilung übergeben. Am meisten bemühte man sich
um die Hebung der Schafzucht in Burgund, wo sich die Verhältnisse am
besten dazu eigneten.
2) Die lyonnaiser Manufakturen verarbeiteten damals mehr als 2 Mil-
lionen Pfund Rohseide im Jahre, was bei einem durchschnittlichen Preise
von 15 liv. pro Pfund einen jährlichen Verlust von 30—40 Millionen liv.
an das Ausland bedeutete.
3) Im Jahre 1668 gestattete ein Reglement die Wiedereinführung der
Seidenkultur in den Rhöne- und Loiregegenden. Die Versuche blieben aber
ohne Erfolg, vermutlich, weil man den gewöhnlichen Maulbeerbaum dazu
benutzte. Der später verwendete Mürier blanc eignete sich für die fran-
zösischen Verhältnisse weit besser.
548 Ottomar Thiele
senten gratis zu Anpflanzungsversuchen verteilte‘). Auch in
Burgund und in der Generalität von Orléans fielen die Kulturen
zur Zufriedenheit aus, und 1750 wurde die Errichtung einer
großen Generalplantage in der Languedoc zur Lieferung des
nötigen provinzialen Bedarfes geplant?). Der Erfolg dieser Be-
mühungen machte sich bald bemerkbar: Nach Verlauf von wenigen
Jahrzehnten vermochte Frankreich bereits über ?!/s Million Pfund
Rohseide zu produzieren. |
Wie bereits erwähnt, verdankte auch der Krappbau oder die
Garancekultur, die bekanntlich in Frankreich bis gegen Ende
des vergangenen Jahrhunderts blühte und erst durch die Kon-
kurrenz des künstlichen Alizarins vernichtet wurde, den nän-
lichen Ideen seine Einführung. Um den. Garanceimport aus
Holland und der Levante auszuschalten, die französischen Fär-
bereien in dieser Hinsicht vom Auslande unabhängig zu machen
und zugleich der hilfebedürftigen Landwirtschaft zu dienen, lied
der König Kulturversuche mit Krappsamen unter der Leitung des
berühmten Gelehrten Duhamel im jardin royal des plantes zu Paris
vornehmen. — Dieser Garten war damals durch Buffon nicht bloß
zu einem großen Museum des Naturreiches, sondern auch zur
hauptsächlichsten landwirtschaftlichen Versuchsstation (für Pflanzen)
des Landes umgeschaffen worden“) und vereinigte die größten
Autoritäten auf dem Gebiete der Agrikultur- und Naturwisser-
schaft“). — Nachdem sich die Krappbauversuche im kleinen be-
währt hatten, verfaßte Duhamel im Auftrage der Regierung
eine leicht verständliche Instruktion über die Kultur und Be
reitung der Garance, welche der Contrôleur General in den ge
eigneten Provinzen verteilen ließ. Auf Veranlassung des Königs
wurden später größere Quantitäten Krappsamen von Smyrna a2-
gekauft und denjenigen Bauern, welche sich der Krappkultur
1) A. BABEAU, La province, a. a. O. p. 242.
2) In den 80er Jahren versuchte man auch die Seidenkultur in Lothringen.
in der Picardie und Franche Comté einzuführen.
8) Dieser noch heute bestehende botanische Garten wurde 1635 von Guÿ
de Labrosse, dem Leibarzt Ludwigs XIII, zum Studium der Arzneipflansen
gegründet und erlangte dann unter Buffons Leitung (seit 1739) seine al-
gemeinere Bedeutung.
4) Mau nannte ihn „le foyer des lumières de l’agriculture“.
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 549
‘widmen wollten, unentgeltlich verabreicht, was denn auch den
gewünschten Erfolg brachte: Die Garancekultur entwickelte sich
bald in einzelnen Teilen Frankreichs, besonders in den Rhöne-
gegenden (Avignon), zu einem blühenden Wirtschaftszweige des
Landes”). Auch den Anbau von anderen wichtigen Farb-
pflanzen, wie Wau, Pastel, Färberginster etc. suchte die Regie-
rung zu fördern, um den blühenden Färbereimanufakturen, welche
für einen großen Teil Westeuropas und des Orients in Luxusstoffen
‚arbeiteten, die nötigen Rohmaterialien im Inlande zu verschaffen.
Mit anderen, aber dem Wesen nach ähnlichen Mitteln ge-
dachte man der daniederliegenden Landwirtschaft direkt helfen
zu können. Wir sahen bereits, daß die Regierung, von irrigen
Erwägungen geleitet, den geringen Anbau von Getreide durch
Einschränkung des Weinbaues heben wollte. Die im Grunde
durch sie verschuldeten (Mangel an Absatz!) niedrigen Weinpreise
und die dadurch hervorgerufene Armut vieler Winzer genügten
ihr, die Umwandlung der weniger ertragfähigen Weinlagen in
Getreideäcker überall anzuempfehlen, trotz der in Fülle vor-
handenen unbestellten Böden und trotz der damit notwendiger-
weise verbundenen weiteren Reduktion der ländlichen Bevölke-
rung?). Für die südlicheren Provinzen, wie z. B. für die
niedere Languedoc, brachte man selbst nicht einmal Getreidebau,
sondern Olivenpflanzungen an Stelle der Weinkultur in Vorschlag
1) Allerdings geschah die Initiative der Wiedereinführung des Krapp-
baues (denn derselbe hatte in Frankreich bereits im Mittelalter geblüht und
war seit Ende des 16. Jahrhunderts immer mehr, bis schließlich zum Ver-
‚schwinden zurückgegangen) von privater Seite aus: Ein Armenier, namens
Althen, führte ihn um die Mitte des 18. Jahrhunderts im Vaucluse durch
Königliches Privileg ein; 1760 versuchte Franzen ähnliches im Elsaß mit
gleichem Erfolge.
2) Da bei der Weinkultur die Verwendung von Ackermaschinen und
Zugvieh unmöglich ist, so stellt sie sich als derjenige Zweig der Landwirt-
schaft dar, „welcher“, wie QUESNAY bemerkt, „eine größere Zahl Menschen
vorteilhaft beschäftigen kann, die Bevölkerung am meisten fördert und den
größten Handel mit dem Auslande zu bewerkstelligen vermag ... Daher kann
dieser Wirtschaftszweig zur Bevölkerung des Landes mehr beitragen als der
Getreidebau, doch ist beim letzteren die Arbeit eines Menschen gewinn-
bringender“. (Artk. „Hommes“,)
550 Ottomar Thiele
und erlief hier eingehende Instruktionen, wie die Olbaumplantage
am besten anzulegen und das Öl am einfachsten und vortei-
haftesten zu gewinnen wäre.
Andere Instruktionen und ,Mémoires“, welche durch die
Intendanten verteilt wurden, betrafen die Bienenzucht, die Mais
und Obstbaumkultur etc. Außerdem bemühte man sich um die
Hebung des vielfach aufgegebenen Hanf- und Flachsbaues!}
um die allgemeinere Verbreitung der Kartoffelbestellung?), und
versuchte ferner die Einführung von Tabakpflanzungen. Ma
empfahl auch neuerfundene Ackergeräte und landwirtschaftliche
Maschinen, Verfahren zur besseren Konservierung des Getreides
und Mehles; man erließ Reglements zur Instandhaltung der Wil-
der, zur Hegung und Pflege des Wildes, zur Vernichtung der
Maulwurfsgrillen, Kaninchen und Wölfe?) ete. und setzte Pro-
duktionsprämien aus, um der ländlichen Bevölkerung „den Ge-
«chmack am Ackerbau anzuerziehen“.
Von größerer Wichtigkeit war jedoch die Einführung
eines neuen landwirtschaftlichen Betriebssystems, in Gestalt
des bekannten Norfolker Fruchtwechsels*),. Diese Neuerung,
auch Pferdehackwirtschaft genannt, war um 1730 von einem
Engländer, namens Jethro Tull?), erfunden worden und hatte
sich in England vorzüglich bewährt. Der Vorzug der neuen
Wirtschaftsweise bestand hauptsächlich in der Einschränkung der
Brache und Ermöglichung der Winterstallfütterung durch Anlage
von künstlichen Wiesen, die durch Saat von Klee, Luzerne ete. er-
1) In dieser Richtung war besonders der Intendant von Soissons,
M. Meliand, von welchem der nachfolgende Brief stammt, tätig. Er wollte
vor allem den Leinbau in seiner Generalität, die einst blühenden „Liniöres de
Bulle‘ (einer kleinen Stadt nahe bei Clermont), wieder emporbringen.
2) Um den Kartoffelbau bemühte sich auch der Intendant von Limoges,
der berühmte Turgot. Er beschäftigte sich selbst mit Anpflanzungsversuchen.
(A. BABEAU, La province, a. a. 0. p. 239.)
3) Auf die Tötung eines Wolfes z. B. standen Preise bis zu 24 liv.,-die
von den Intendanten vergeben wurden. (A. BABEAT, daselbst, p. 250.)
4) Darüber berichtet ausführlich ST. BAUER, a. a. 0.
ö) JETHRO TULL hatte seine Erfindung in seinem viel gelesenen Werke
„New Horschoeing Husbandry, or an Essay on the Principles of Tillage and
Vegetation,‘ London 1731, beschrieben.
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 661
zeugt wurden. Sie eignete sich am besten für die Großkultur, für
welche sie nicht bloß eine Steigerung der Intensität durch eine öko-
nomischere Ausnutzung der natürlichen Bodenkräfte, sondern auch
- eine erhebliche Vermehrung der Viehhaltung bedeutete. In der Tat
waren es denn auch in Frankreich die größeren Grundbesitzer und
Pächter, welche die „Neue Kultur“ (nouvelle culture) in den
fünfziger Jahren mit Erfolg erprobten!); die mittleren Wirt-
schaften freilich standen ihr ablehnend gegenüber, da sie für
die Besitzer oder Pächter derselben lediglich eine Erhöhung der
Abgaben an die Empfänger des Zehnts und „Champarts“ (le
dimeur et le terrageur) bedeutete. Indessen wußte die Regie-
rung dieser Neuerung einen Teil ihres allgemeinen Nutzens für
die Hebung der Landwirtschaft dadurch abzugewinnen, daß sie
für die Verbreitung des Anbaues von Klee und Luzerne Sorge
trug und bei der Anlage solcher „künstlichen Wiesen“ nicht
nur Abgabenerleichterungen gewährte, sondern auch zur weiteren
Ermunterung namhafte Prämien verteilte.
Allein, so anerkennenswert auch immer all diese verschie-
denen Maßnahmen waren, mit welchen die Regierung die
daniederliegende Landwirtschaft zu heben versuchte, so wenig
trafen sie doch das Grundübel, das die Agrarkrisis verschuldet
hatte. Sie waren nichts als bloße „Instruktionen“, wie Quesnay
im nachfolgenden Briefe bemerkt, sozusagen „Kleine Mittel“,
welche vielleicht dazu dienen mochten, die Erwerbsgelegenheiten
in der landwirtschaftlichen Produktion zu vermehren und die
Neigung für die Landarbeit zu stärken. Die Hauptnöte der
Landwirte freilich, die primären Ursachen des Übels, d. h. der
mangelhafte Absatz der Erzeugnisse und die durch den Fiska-
lismus etc. verursachte Unsicherheit und Reduktion des an und für
sich schon geringen Reinertrages (produit net), vor allem aber
der Mangel an den notwendigen Kapitalien, welcher letzthin den
Verfall der Landwirtschaft und die Abnahme der bäuerlichen Be-
1) Das TuLL’sche Buch wurde ins Französische übersetzt und erschien 1750
in freier Bearbeitung. Es erregte das größte Aufsehen. Unter den Personen,
welche die „Nouvelle Culture“ erprobten, befand sich auch QUESNAY. Er
kaufte 1757 einen ziemlich ausgedehnten Besitz an und erzielte mit Hilfe
des neuen Betriebssystems sehr günstige Resultate. (Vgl. Sr. BAUER, a. a. O.)
552 Ottomar Thiele
völkerung verschuldet hatte, die konnten auf diese Weise nicht
beseitigt werden. Um das zu bewirken, mußte die Regierung
andere Wege einschlagen und „Große Mittel“ (les grands moyens,
wie Quesnay in seinem Briefe ausdrücklich hervorhebt) in Anwen-
dung bringen.
„Die Bevölkerung eines Landes“, sagt unser Physiokrat'),
„nimmt zu oder ab in dem Maße, als seine Einkünfte steigen
oder sinken. Diese Verminderung oder Zunahme hängt nicht
vom Volke ab, sondern stellt sich immer als die Folge der Re-
gierung eines Landes dar. Indessen schreibt die Regierung den
Verfall der Zustände dem Müfiggang des Volkes zu, und die
unbebauten Äcker scheinen die Regierung zu rechtfertigen.
Allein, die Menschen streben alle nach Wohlstand
und Reichtum und sind niemals träge, wenn sie
dieses Ziel erreichen können. Ihr Müßiggang ist
nichts als Unvermögen, und dieses wiederum die
Folge der Regierung. Sie erzeugt Mutlose und Abtrünnige,
das Land entvölkert sich und bleibt unbestellt; die Städte ziehen
die Menschen zusanımen, weil diese hier an den letzten Hilfs
quellen des Staates unterkommen können, und die Bevölkerung
ist so zahlreich, wie sie es unter diesen Verhältnissen des Nieder-
ganges nur sein kann. Nun beklagt man sich, daß es an
Leuten für die Landarbeiten gebricht; man klagt aber nicht
darüber, daß diesen Leuten die Mittel fehlen, um Güter und
Reichtümer hervorzubringen. Man möchte gern viel Getreide
haben, und man weiß nicht, was der Anbau desselben den
Landwirt kostet.“
Die „Großen Mittel“ also, welche allein von der Regierung
abhängig waren und sich nicht als jene zahlreichen Instruktionen
und Reglements darstellten, durch welche man eine größere Be-
triebsamkeit auf landwirtschaftlichen Gebieten erwecken wollte,
sie allein konnten die hauptsächlich durch die Regierung ver-
schuldete Agrarkrisis beseitigen. Worin sollten nun diese Mittel
bestehen? Es ist aus obigem unschwer ersichtlich: Erstens, in
freien Absatz der landwirtschaftlichen Produkte, und zweitens, N
der Sicherheit des landwirtschaftlichen Kapitals, resp. Ertrages.
1) Artk. „Hommes“, a. a. 0.
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 553
Was zunächst das erste Mittel, und vor allen Dingen die
Freiheit des Getreidehandels betraf, so war dieselbe, dank der
literarischen und agitatorischen Tätigkeit der Physiokraten und
ihrer Anhänger, durch königliches Gesetz vom 17. September 1754
für das Inland eingeführt worden. Obgleich nun damit alle
Binnenschranken, welche den Verkehr mit diesem wichtigsten aller
Nahrungsmittel bisher gelähmt hatten, beseitigt worden waren,
so wußte doch die so lange in „Gebundenheit“ gewesene bäuer-
liche Bevölkerung in guten Jahren noch nicht den richtigen
Nutzen aus diesem großen Vorteile zu ziehen, ganz abgesehen
davon, daß es vielen wegen Kapitalsmangels unmöglich war, den
Anbau ohne weiteres den neuen Verhältnissen anzupassen.
Andererseits wiederum sah sich die Regierung in schlechten
Jahren nicht selten gezwungen, in einzelnen Gegenden vorüber-
gehend zum alten Sperrsystem zurückzukehren‘), damit die
Teuerung lokal blieb. Eine Besserung konnte hier nur der voll-
ständig freie Getreidehandel, auch mit dem Auslande bewirken.
Endlich mußte die Regierung den Verhältnissen Rechnung tragen
und den Verkehr mit dem Auslande freigeben: Es geschah
im Jahr 1764. Allein bald stellten sich die für das dem Mer-
kantilismus noch zu sehr ergebene Frankreich unliebsamen Folgen
dieses Gesetzes ein: Das billiger produzierende Ausland versah
einen großen Teil der heimischen Märkte, und das so wie so:
schon knappe Bargeld wanderte auf diese Weise aus dem Lande..
Das mochte natürlich der Regierung nicht behagen, und in der
Tat führte man nach Verlauf von fünf Jahren das Prohibitiv-
gesetz wieder ein, erteilte jedoch bei Mißernten Exportlizenzen
auf 3—6 Monate‘). Bald kam man aber selbst auch davon
wieder zurück und griff nun, um Hungersnöten vorzubeugen, zu
dem bedenklichen Mittel, staatliche Getreidemagazine zu errichten.
und diese von Unternehmern durch Getreideankauf im In- und
Auslande versorgen zu lassen. Vom Staate unterstützt?), ver-
1) Das Sperrsystem nahm auf diese Weise wieder so überhand, daß
die Freiheit des inneren Getreidehandels (Turgots Verdienst) im Jahre 1774
durch Gesetz v. 13. Sept. von neuem eingeführt werden mußte.
2) ST. BAUER, a. a. 0.
3) So subventionierte z. B. Ludwig XV. eine „Compagnie des blés du
554 Ottomar Thiele
standen diese ihre Situation vortrefflich auszunützen. Preisstürze
und Preistreibereien, die den privaten Getreidehandel ungemein
schädigten, wechselten ab, und es dauerte nicht lange, so er-
folgten Bankerotte dieser auf Kosten des Kônigs spekulierenden
Kaufleute, deren Verluste der Staat zu tragen hatte ?). Trotz aller
Bemühungen traten Hungersnöte und Teurungen in schlechten
Jahren nach wie vor ein: Die Freigabe des Getreidebinnen-
handels erwies sich in Anbetracht der vorhandenen Produktions-
zustände als unzureichend, und zu einem freien Grenzverkehr
konnte man sich auf die Dauer nicht entschließen.
Wesentlich besser gestaltete sich dagegen die Lage des Vieh-
handels. Hier hatte man gleich zu Anfang nicht nur den Binnen-,
sondern auch den Außenverkehr (seit 1763 durch Gesetz des
Conseil) freigegeben und alle Abgaben, mit Ausnahme einer
Kontrollsteuer von !/2°/,, bei Ein- und Ausfuhr des Viehes von
einer Provinz in die andere, resp. vom Auslande nach dem In-
lande, aufgehoben ?). Die Wirkungen des Gesetzes machten
sich bald bemerkbar: Die Viehhaltung nahm überall zu, und in
den Grenzprovinzen und denjenigen Gegenden, wo gute Weiden
vorhanden waren, hatte sich die Stückzahl innerhalb von 2 Jahren
schon verdreifacht. Nicht wenig war dieser Erfolg allerdings
der Pflege des Veterinärwesens zu verdanken, der man sich seit
Beginn der sechziger Jahre immer mehr widmete, um der Vieh-
'abnahme infolge von Seuchen und anderen Krankheiten zu
steuern. Man errichtete Tierarzneischulen zu Lyon, Limoges’)
und Alfort und befahl auch beim Ausbruch epidemischer Vieh-
krankheiten, die von den ersten Symptomen befallenen Tiere ab-
Roi“, die das Getreide im In- und Auslande auf seine Rechnung ankaufte,
um es in solchen (segenden, wo Teuerung herrschte, wieder zu verkaufen.
Der König trug alle Kosten und gewährte der Gesellschaft 2 °/, Vergütung
beim Einkauf des Getreides und den gleichen Betrag beim Verkaufe. Das
ganze Spekulationsgeschäft ging also auf Kosten des Königs, resp. des 8%
wieso schon an dauernder Finanznot leidenden Staates.
1) St. BAUER, a. «. 0.
2) Damit war auch zugleich der Bezug von natürlichen Düngstoffen er
leichtert worden. |
8) Sie wurde 1767 von Turgot gegründet, mußte aber bereits nach zwei
.Jahren wieder geschlossen werden, weil die Mittel für den Unterhalt fehlten
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 555
zusondern und die schwer erkrankten zu tôten. In letzterem
Falle pflegte der Staat den dritten Teil vom Werte des Stückes
dem Eigentümer zu vergüten ?).
Im übrigen soll nicht unerwähnt bleiben, daß der Minister
Turgot der bäuerlichen Bevölkerung noch nach einer anderen
Richtung hin, größere Bewegungsfreiheit in ihrem ländlichen
Berufe zu verschaffen wußte. Er hob 1775 die „fouille*, d.h.
die außerordentlich lästige Gerechtigkeit der Salpetersieder, in
den Bauernwirtschaften überall nach Salpetererde suchen und
graben zu dürfen, auf‘) (nachdem er bereits das Generalver-
pachtungssystem beseitigt hatte) und gestattete den Gemeinden
die Ablösbarkeit aller unentgeltlichen Lieferungen und Dienst-
leistungen an die Salpetersieder in dem Falle, wenn sie für sich
oder in Gemeinschaft mit anderen eine Salpeterplantage *) auf
ihre Rechnung anlegten und betrieben. Für die Gemeinden war
das nicht nur eine wesentliche Erleichterung, es bedeutete zu-
gleich auch für sie die Möglichkeit, sich einen nicht unbeträcht-
lichen Gewinn zu verschaffen, da ihnen der Staat die auf diese Weise
produzierten Salpeterstoffe im laufenden Preise gut bezahlt machte.
Den Hauptplan freilich, welchen Turgot bei der Übernahme
des Ministeriums im Auge hatte, die ländliche Bevölkerung von
der Willkür der Besteuerung zu befreien, und die drückende Last
ihrer Abgaben an den Staat zu mildern, konnte er nicht zur
Direbfführung bringen‘) Er scheiterte an demselben Wider-
stand des Königs und der privilegierten Stände, wie bereits
16 Jahre vor ihm Silhouette, der damals die .taille“ im Inter-
esse der Landwirtschaft mindern wollte 5).
l) A. BABEAU, La province, a. a. O. p. 249.
2) O. THIrELE, Salpeterwirtschaft, a. a. O. S. 145 ff.
3) Diese Plantagen, welche in Frankreich nach Verlauf von zwei Jahr-
zehnten schon allgemein verbreitet waren, erzeugten die salpeterhaltigen
Stoffe auf künstliche Weise, d.h. durch einen Nitrifikationsprozeß von aller-
lei pflanzlichen und vegetabilischen Abfällen, Düngstoffen u. s. w. Freilich
“Chädigten sie dadurch wiederum die Landwirtschaft, indem sie ihr einen Teil
ihres natürlichen Düngers entzogen.
4) Man vergleiche darüber LirreErTs Artikel über Turgot im Handwörter-
buch der Staatswissenschaft; Bd. VII. S. 233.
5) Darüber ST. BAUER, a. a. O.
556 Ottomar Thiele
Damit sind wir bereits bei dem zweiten „Großen Mittel“ ange-
langt, welches die Regierung zur Beseitigung der Agrarkrisis nach
Ansicht der Physiokraten anzuwenden hatte: Die Sicherheit des
landwirtschaftlichen Ertrages. Wie schon Vauban im „Dime royal“
eine einheitliche und feste Besteuerung des landwirtschaftlichen
Reinertrages in Vorschlag gebracht hatte, (an Stelle der vielen Ab-
gaben und Einzelsteuern, vor allem aber der taille, welche jede
Art des angewandten Wirtschaftskapitals gesondert belangte), so
sahen Quesnay und seine Anhänger im „impöt unique“ des
„produit net“ die beste Möglichkeit, dem Landwirte die Sicher-
heit seines Kapitals, die Beständigkeit seines Ertrages und
damit die hauptsächlichsten Bedingungen für eine gedeihliche
Bewirtschaftung und Kapitalinvestierung zu bieten. Leider war
an eine Verwirklichung dieses Steuerprojektes bei der schlechten
Finanzwirtschaft des Staates nicht zu denken. Doch mul es
den Bemühungen der Physiokraten zugeschrieben werden, wenn
auf diesem Gebiete wenigstens eine Besserung in gewissen
Fällen eintrat, d. h. die Gewährung von Steuer- und Abgaber-
erleichterung bei Urbarmachung von Morästen, Einöden, bei In-
kulturnahme von verlassenen Böden oder bei Eingehung lang-
fristiger Pachtungen etc. Indessen gebührt ihnen dieses Ver-
dienst nur indirekt, denn unmittelbar hatten es die „landwirtschaft-
lichen Gesellschaften“ (Societes d’agrieultures) zu beanspruchen,
welche auf Betreiben Quesnays und Gournays!) gegen Ende der
fünfziger Jahre entstanden, später in allen Teilen des Landes ge
gründet wurden?) und die mit den Physiokraten ständige Be-
ziehungen unterhalten zu haben scheinen. Vielfach gingen sie aus
provinzialen „landwirtschaftlichen Beiräten“ (assemblées) hervor,
1) Gournay gründete die erste dieser Gesellschaften unter Mitwirkung
der „Stände“ im Jahre 1757 zu Rennes in der Bretagne. (A. BABEAT, La
province, a. a. O. p. 234). Doch befaßte sich diese erste Sozietät, wie schon
ihr Name andeutete, Société d'Agriculture, du Commerce et des Arts, auch
mit der Hebung der Industrie des Landes. (Man vgl. über ihre Tätigkeit:
„Corps d’observation de la Société d’agriculture etc., établi par les Etats de
Bretagne, 1760.)
2) Diese Sozietäten fanden in Deutschland eine Nachahmung in den
„Ökonomischen Gesellschaften“, wie sie z. B. in Potsdam, Leipzig, Frankfurt,
Breslau u. s. w. bestanden haben.
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 557
lche die einzelnen Intendanten auf Geheiß des Contrôleur ge-
sentlich zusammenzurufen pflegten, um sich über aktuelle land-
rtschaftliche Fragen, die speziell ihre Generalität betrafen, von
aktikern, wie größeren Pächtern und Grundbesitzern, unter-
hten zu lassen. Auf diese Weise entstanden nach und nach
21 Provinzen nicht weniger als 18 solcher Societes d’agri-
ture ?), die es sich angelegen sein ließen, der ländlichen Be-
lkerung praktische Belehrungen und Ratschläge zu erteilen ?),
wie auch der Regierung Vorschläge zur Hebung der Land-
irtschaft zu unterbreiten. Zu letzterem Zwecke traten sie mit
ner besonderen Körperschaft, dem Comite d’agriculture, in
erbindung, welches im Jahre 1760 unter dem Contrôleur Général
bildet worden war und sich aus 5 Staatsräten (Conseillers
Etat) und 3 auf landwirtschaftlichem Gebiete hervorragenden
rivaten zusammensetzte°).
Das erste Projekt, welches dieses Komitee dem Könige
ar Linderung der herrschenden Agrarnot vorlegte, galt der
Viederurbarmachung verwahrloster und aufgegebener Äcker.
kr König willfahrte dem Vorschlage und gewährte durch Gesetz
om Jahr 1762 denjenigen Landwirten, welche sich diesen
\rbeiten unterzogen, Befreiung von allen staatlichen Steuern
1) Jede Sozietät wurde durch besonderen Erlaß des Conseil gegründet,
wchdem ihre Mitglieder vom Könige ausdrücklich dazu berufen worden
nren, was ihr Ansehen und damit auch ihren Einfluß wesentlich erhöhte.
4% gehörten diesen Sozietäten über 2000 Mitglieder an, die unbesoldet tätig
Karen.
2) So bildete z. B. Sarcey de Sutières, ein Mitglied der pariser Société
l'griculture, alljährlich 12 junge Bauernsöhne in der regelrechten Landwirt-
chaft auf seinem Gute bei Compiègne aus und gewährte ihnen unentgeltlich
ıterbalt während dieser Zeit. (L’Avant Coureur, 1772 p. 70 ff.)
3) Das Komitee trat wöchentlich einmal unter Vorsitz des Contröleur
neral im Louvre zusammen, um die laufenden Geschäfte, besonders die
orrespondenz mit den Intendanten zu erledigen und nach deren Berichten
2d Erhebungen ihre Dispositionen zu treffen. Im Jahre 1784 plante man,
ise Körperschaft zur ,, Société Royale d’Agriculture de France“ umzuwandeln
nd aus ihr ein Zentralorgan (unter Lavoisiers Leitung) zu schaffen, für das
cht nur alle Sociétés d’agriculture des Landes, sondern auch alle auf dem
biete der Agrikulturwissenschaft namhaften Gelehrten Frankreichs und der
deren Kulturländer gewonnen werden sollten.
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 37
558 Ottomar Thiele
und Auflagen (von der , taille“, den ,vingtièmes“ und andere
„impositions“), allerdings nur für die der Kultur von neuem m-
geführten Böden‘). Anfangs hatte man die Dauer dieser Ver-
günstigung bloß auf 10 Jahre bemessen, doch erweiterte man sie
bald darauf auf dreißig. Das nämliche Privileg genossen übrigens
auch diejenigen, welche die Trockenlegung von Sümpfen und Mo-
rästen vornahmen, um auf diese Weise kulturfähige Böden zu
gewinnen.
Indessen ist diese letztere Verwaltungsmaßnahme nicht als
eine gänzliche Neuerung zu betrachten, da schon Heinrich IV.)
und Ludwig XIV. sich nach dieser Richtung hin in ähnlicher
Weise betätigt hatten. Allein, die Befreiungen waren damala,
um nachhaltig zu wirken, von zu kurzer Dauer gewesen,
denn man pflegte vielfach, zumal die Lasten später unter Lad-
wig XIV. und seinem Nachfolger immer drückender wurde, |
die neugewonnenen Äcker nach Ablauf der Vergünstigungsfrit
wieder zu verlassen. Diese Erfahrungen hatten denn auch das
„Komitee“ bestimmt, nicht bloß eine längere Dauer des Privilegs
für jene arbeitsamen Landwirte zu erwirken, sondern auch dafür
einzutreten, daß den letzteren in allen Fällen, wo sie Wie-
deraufbereitung alter Böden oder Urbarmachung von Morästen be
trieben, außerdem noch die Befreiung vom Kirchenzehnt gewährt
wurde. Die Geistlichkeit war uneigennützig genug, in diesen
Vorschlag einzuwilligen, den man im Jahre 1766 durch ein be
sonderes Gesetz zur Ausführung brachte.
Der Erfolg dieser Reformen ließ nicht lange auf sich warten,
denn der Eifer an jenen Kulturarbeiten regte sich überall, und in der
Bretagne z. B. wurden innerhalb weniger Jahre über 86 000 Morges
dem Ackerbau zugeführt. Der König und der hohe Add
unterstützten diese Tätigkeit aufs eifrigste®). Vor allem war e&
1) Diese Vergünstigung hatte man schon 1761 den in der Generalitä
von Paris wohnenden Landwirten gewährt, und zwar anläßlich der Gründung
einer Gesellschaft (Compagnie d’agriculture), welche, unter dem Protektorat
des Generalkontrolleurs stehend, die Aufbereitung der verödeten Äcker is
dieser Provinz unternehmen wollte.
2) Heinrich IV. durch Gesetz vom Jahre 1607.
3) Um diese Kulturarbeiten zu beschleunigen, verstand sich Ludwig XVL
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 555
zusondern und die schwer erkrankten zu töten. In letzterem
Falle pflegte der Staat den dritten Teil vom Werte des Stückes
dem Eigentümer zu vergüten').
Im übrigen soll nicht unerwähnt bleiben, daß der Minister
Turgot der bäuerlichen Bevölkerung noch nach einer anderen
Richtung hin, größere Bewegungsfreiheit in ihrem ländlichen
Berufe zu verschaffen wußte. Er hob 1775 die „fouille“, d.h.
die außerordentlich lästige Gerechtigkeit der Salpetersieder, in
den Bauernwirtschaften überall nach Salpetererde suchen und
graben zu dürfen, auf‘) (nachdem er bereits das Generalver-
pachtungssystem beseitigt hatte) und gestattete den Gemeinden
die Ablösbarkeit aller unentgeltlichen Lieferungen und Dienst-
leistungen an die Salpetersieder in dem Falle, wenn sie für sich
oder in Gemeinschaft mit anderen eine Salpeterplantage *) auf
ihre Rechnung anlegten und betrieben. Für die Gemeinden war
das nicht nur eine wesentliche Erleichterung, es bedeutete zu-
gleich auch für sie die Möglichkeit, sich einen nicht unbeträcht-
lichen Gewinn zu verschaffen, da ihnen der Staat die auf diese Weise
produzierten Salpeterstoffe im laufenden Preise gut bezahlt machte.
Den Hauptplan freilich, welchen Turgot bei der Übernahme
des Ministeriums im Auge hatte, die ländliche Bevölkerung von
der Willkür der Besteuerung zu befreien, und die drückende Last
ihrer Abgaben an den Staat zu mildern, konnte er nicht zur
Durchführung bringen*). Er scheiterte an demselben Wider-
stand des Königs und der privilegierten Stände, wie bereits
16 Jahre vor ihm Silhouette, der damals die „taille“ im Inter-
esse der Landwirtschaft mindern wollte?°).
1) A. BABEAU, La province, a. a. O. p. 249.
2) O. THIELE, Salpeterwirtschaft, a. a. O. S. 145 ff.
3) Diese Plantagen, welche in Frankreich nach Verlauf von zwei Jahr-
zehnten schon allgemein verbreitet waren, erzeugten die salpeterhaltigen
Stoffe auf künstliche Weise, d. h. durch einen Nitrifikationsprozeß von aller-
lei pflanzlichen und vegetabilischen Abfällen, Düngstoffen u. s. w. Freilich
schädigten sie dadurch wiederum die Landwirtschaft, indem sie ihr einen Teil
ihres natürlichen Düngers entzogen.
4) Man vergleiche darüber LIPPERTS Artikel über Turgot im Handwörter-
buch der Staatswissenschaft; Bd. VII. S. 233.
5) Darüber Sr. BAUER, a.a.0.
556 Ottomar Thiele
Damit sind wir bereits bei dem zweiten „Großen Mittel“ ange-
langt, welches die Regierung zur Beseitigung der Agrarkrisis nach
Ansicht der Physiokraten anzuwenden hatte: Die Sicherheit des
landwirtschaftlichen Ertrages. Wie schon Vauban im „Dime roval*
eine einheitliche und feste Besteuerung des landwirtschaftlichen
Reinertrages in Vorschlag gebracht hatte, (an Stelle der vielen Ab-
gaben und Einzelsteuern, vor allem aber der taille, welche jede
Art des angewandten Wirtschaftskapitals gesondert belangte), so
sahen Quesnay und seine Anhänger im „impöt unique“ des
„produit net“ die beste Möglichkeit, dem Landwirte die Sicher-
heit seines Kapitals, die Beständigkeit seines Ertrages und
damit die hauptsächlichsten Bedingungen für eine gedeihliche
Bewirtschaftung und Kapitalinvestierung zu bieten. Leider war
an eine Verwirklichung dieses Steuerprojektes bei der schlechten
Finanzwirtschaft des Staates nicht zu denken. Doch muß es
den Bemühungen der Physiokraten zugeschrieben werden, wenn
auf diesem Gebiete wenigstens eine Besserung in gewissen
Fällen eintrat, d. h. die Gewährung von Steuer- und Abgaben-
erleichterung bei Urbarmachung von Morästen, Einöden, bei In-
kulturnahme von verlassenen Böden oder bei Eingehung lang-
fristiger Pachtungen etc. Indessen gebührt ihnen dieses Ver-
dienst nur indirekt, denn unmittelbar hatten es die „landwirtschaft-
lichen Gesellschaften“ (Sociétés d’agricultures) zu beanspruchen,
welche auf Betreiben Quesnays und Gournays!) gegen Ende der
fünfziger Jahre entstanden, später in allen Teilen des Landes ge-
gründet wurden”) und die mit den Physiokraten ständige Be-
ziehungen unterhalten zu haben scheinen. Vielfach gingen sie aus
provinzialen „landwirtschaftlichen Beiräten“ (assemblées) hervor,
1) Gournay gründete die erste dieser Gesellschaften unter Mitwirkung
der „stände“ im Jahre 1757 zu Rennes in der Bretagne. (A. Bapkar, La
province, a. a. O. p. 234). Doch befaßte sich diese erste Sozietät, wie schon
ihr Name andeutete, Société d’Agriculture, du Commerce et des Arts, auch
mit der Hebung der Industrie des Landes. (Man vgl. über ihre Tätigkeit:
„Corps d’observation de la Société d’agriculture etc., établi par les Etats de
Bretagne, 1760.)
2) Diese Sozietäten fanden in Deutschland eine Nachahmung in den
„Ökonomischen Gesellschaften“, wie sie z. B. in Potsdam, Leipzig, Frankfurt,
Breslau u. s. w. bestanden haben.
Francois Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 557
welche die einzelnen Intendanten auf Geheiß des Contrôleur ge-
legentlich zusammenzurufen pflegten, um sich über aktuelle land-
wirtschaftliche Fragen, die speziell ihre Generalität betrafen, von
Praktikern, wie größeren Pächtern und Grundbesitzern, unter-
richten zu lassen. Auf diese Weise entstanden nach und nach
in 21 Provinzen nicht weniger als 18 solcher Societes d’agri-
culture !), die es sich angelegen sein ließen, der ländlichen Be-
völkerung praktische Belehrungen und Ratschläge zu erteilen ?),
sowie auch der Regierung Vorschläge zur Hebung der Land-
wirtschaft zu unterbreiten. Zu letzterem Zwecke traten sie mit
einer besonderen Körperschaft, dem Comité d’agriculture, in
Verbindung, welches im Jahre 1760 unter dem Contröleur General
gebildet worden war und sich aus 5 Staatsräten (Conseillers
d’Etat) und 3 auf landwirtschaftlichem Gebiete hervorragenden
Privaten zusammensetzte?°).
Das erste Projekt, welches dieses Komitee dem Könige
zur Linderung der herrschenden Agrarnot vorlegte, galt der
Wiederurbarmachung verwahrloster und aufgegebener Äcker.
Der König willfahrte dem Vorschlage und gewährte durch Gesetz
vom Jahr 1762 denjenigen Landwirten, welche sich diesen
Arbeiten unterzogen, Befreiung von allen staatlichen Steuern
1) Jede Sozietät wurde durch besonderen ErlaB des Conseil gegründet,
nachdem ihre Mitglieder vom Könige ausdrücklich dazu berufen worden
waren, was ihr Ansehen und damit auch ihren Einfluß wesentlich erhöhte.
Es gehörten diesen Sozietäten über 2000 Mitglieder an, die unbesoldet tätig
waren.
2) So bildete z. B. Sarcey de Sutières, ein Mitglied der pariser Société
d’agriculture, alljährlich 12 junge Bauernsöhne in der regelrechten Landwirt-
schaft auf seinem Gute bei Compiegne aus und gewährte ihnen unentgeltlich
Unterhalt während dieser Zeit. (L’Avant Coureur, 1772 p. 70 ff.)
3) Das Komitee trat wöchentlich einmal unter Vorsitz des Contröleur
General im Louvre zusammen, um die laufenden Geschäfte, besonders die
Korrespondenz mit den Intendanten zu erledigen und nach deren Berichten
und Erhebungen ihre Dispositionen zu treffen. Im Jahre 1784 plante man,
diese Körperschaft zur , Société Royale d’Agriculture de France“ umzuwandeln
und aus ihr ein Zentralorgan (unter Lavoisiers Leitung) zu schaffen, für das
nicht nur alle Sociétés d’agriculture des Landes, sondern auch alle auf dem
Gebiete der Agrikulturwissenschaft namhaften Gelehrten Frankreichs und der
anderen Kulturländer gewonnen werden sollten.
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 37
560 Ottomar Thiele
bei ihren Pächtern ein größeres Interesse in der Bewirtschaftung
der Güter, welche sich nicht selten schon seit langer Zeit in
der Pacht vom Vater auf den Sohn vererbt hatten, und ge
wannen dabei den doppelten Vorteil, daß ihre Äcker stets in gutem
Stande blieben, während ihnen der Pachtzins regelmäßig zuging.
Diese Vorzüge waren zu augenscheinlich, als daß sie der
Aufmerksamkeit der Sociétés d’agriculture entgangen wären,
welche sich ja die Linderung der Notlage der Pächter mit zır
Hauptaufgabe gestellt hatte. Nachdem ihr Vorschlag, die eng-
lischen Pachtsysteme in Frankreich allgemein einzuführen, bei
der Regierung kein Gehör fand, wußten sie doch schließlich eine
Verlängerung der üblichen Pachtfristen zu ermöglichen; dena
auf ihre Veranlassung hin erließ der Conseil im Jahre 1762
ein Gesetz, welches alle Pachten, gleichgültig, ob sie auf 6, 9,
18, 27 oder mehr Jahre liefen, von der Registrierungsgebühr
und den Abgaben des Demicentième, resp. des Centième (denier)
befreite; unter der Voraussetzung, daß die Vornahme von Melio-
rationen kontraktlich zur Pflicht gemacht worden war.
Außerdem betätigten sich diese Sozietäten noch auf ver
schiedene andere Weisen!). Sie setzten sich mit den Landwirten :
direkt in Verbindung, um ihnen den Bezug von gutem Saatkom #
zu erleichtern, bei dringendster Notlage Unterstützungen?) für 7
den allerersten Bedarf zu gewähren, bei der Anlegung von
künstlichen Wiesen behilflich zu sein u. s. w., kurz deren Lage, -
so gut es ging, zu einer gedeihlicheren Entwicklung zu verhelfen. 4
So sehen wir denn seit den fünfziger Jahren des 18. Jahr- É
hunderts auf fast allen Gebieten des landwirtschaftlichen Lebens .
zahlreiche Reformbestrebungen einsetzen, um die bestehende
Agrarkrisis zu beseitigen. Gedrängt durch die Notiage der länd-
lichen Bevölkerung, geleitet von den aufklärenden Ideen d
Be, tn
1) Sie veranlaßten auch die Regierung, den lästigen Weidegerecht-
samen eine größere Beachtung zu widmen und erreichten es in der Tat, daß
in verschiedenen Provinzen, die Berechtigung der einzelnen Gemeinden, ür
Vieh auf die abgeernteten Felder der anderen treiben zu dürfen, aufgehobei
wurden.
2) Die für diesen Zweck erforderlichen Mittel erhielten sie vom Contröleur
General auf Grund eines ausführlichen Berichtes.
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 559
der Marquis de Perusse, welcher sich hierbei außerordentlich ver-
dienstlich machte. Er siedelte mit Einwilligung des Königs
200 Familien, „Acadiens“ (insgesamt 2370 Personen, darunter
auch Ausländer) in der Gegend von Poitou an und machte mit
deren Hilfe große Strecken wieder kulturfähig. Der König hatte
diesen Familien eine Gesamtsubvention von 1'/; Millionen livres
bewilligt, während der Marquis einer jeden 30 Morgen Land
zuwies und für ihre Unterkunft, desgleichen auch für die Be-
schaffung von Vieh, Ackergeräten etc. Borge trag,
Andere Personen des hohen Adels suchten durch private
Tätigkeit die Kreditnot ihrer Pächter zu lindern und ihnen die
Mittel zu bieten, den Ertrag ihrer Wirtschaften durch Vornahme
von Meliorationen aufzubessern. So hatte beispielsweise der
Marquis de Turbilly in der Generalität von Soissons (Eleetion
Chäteau-Thierry) seinen Pächtern bereitwilligst geholfen, indem
er ihnen unentgeltliche Vorschüsse und andere Vergünstigungen
gewährte. Ein anderer Grandseigneur, der Marschall von Mire-
poix, hinterließ bei seinem Tode dem Administrator seiner Be-
sitzungen eine Dotation von 10 Millionen livres für seine Pächter
mit der Bestimmung, ihnen daraus unentgeltliche Vorschüsse bei
Hagelschlag, Viehseuchen oder bei Meliorationen zu leihen’).
Auch viele religiösen Gemeinschaften, geistlichen Orden ete., ließen
bei der Verpachtung ihrer Ländereien große Nachsicht walten.
Sie pflegten ihre Äcker auf Lebzeiten, nach Art der englischen
life tenure (für eine oder mehrere Lebzeiten) zu vergeben, ohne
den Zins später zu steigern. Auf diese Weise erweckten sie
dazu, Soldaten zu diesem Zwecke zur Verfügung zu stellen, und beabsichtigte
1786 sogar alle diejenigen Grundbesitzer, welche sich zur Vornahme der Auf-
bereitung weigerten, mit einer schweren Steuer zu belegen.
1) QUESNAY rühmt diese Wohltat des Marschalls in seinem Artikel „Hommes“
und fügt hinzu, daß, wenn alle Grandseigneurs diesem Beispiele folgen würden,
die Not der großen Masse der Pächter bald beseitigt wäre. Die Pächter
hatten mit der obigen Dotation ihres Gutsherrn keinen Mißbrauch getrieben
und waren ihren Verpflichtungen pünktlich nachgekommen. — Auch der Staat
wollte sich auf ähnliche Weise betätigen. Er beabsichtigte im Jahre 1789 die
Oktroipfennige der großen Städte und den dritten Teil des Kirchenzehnts an
die Departementskassen abzuführen, um den Landwirten daraus Vorschüsse
zu leihen.
562 Ottomar Thiele
welcher die Agrarreformen durch die Gründung der Agrik
sozietäten an Umfang und Bedeutung zunahmen. Der Cont
Général, namens Bertin, welcher dem Physiokratismtis zu
war!) und mit Quesnsy in näherer Beziehung gestande
haben scheint, hatte im Jahr 1760 von den einzelnen Intend
Berichte über die Agrarverhältnisse ihrer Provinzen eingef
mit dem Ersuchen, zur besseren Orientierung jene Versammli
einzuberufen, aus denen dann später vielfach Sozietäten ge
wurden. Da dem Contröleur der Bericht des Intendanten
Soissons, namens Méliand, welcher sein Amt bereits seit
Jahr 1748 verwaltete”), von besonderer Wichtigkeit zu sein s
so schickte er ihn an Quesnay, der sich dadurch zu einer
führlicheren Erwiderung an Méliand veranlaßt sah. (Abdruc
beiden Briefe im folgenden Heft.)
1) A. BABEAU, La province, a. a O. p. 287.
2) Vgl. den Almanac Royal vom Jahre 1760.
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 561
Physiokraten, begann die Regierung in ihrer Agrarpolitik, sich
immer mehr von dem veralteten Merkantilsystem loszumachen,
um sich freiheitlicheren Bestrebungen zu widmen. Leider fand
sie bei ihren ausführenden Organen, d.h. bei denjenigen, welche
mit dem Volke in unmittelbare Berührung kamen und ständige
Fühlung mit ihm bewahrten, nicht das richtige Verständnis für
die Fragen der Zeit. Die Subdélegués vor allem, welche von
ihrem Regieren alten Stils und Bevormunden der Bevölkerung
bis ins Einzelne nicht lassen mochten, zeigten sich für die
Durchführung der von der oberen Leitung erteilten Reformdirek-
tiven wenig geeignet, und die bedeutenden Erfolge, welche die Re-
gierung auf den verschiedensten Gebieten der Landwirtschaft tat-
sächlich erzielte‘), hätten weit allgemeiner und wirksamer sein
können, wenn jenes Hindernis zu beseitigen gewesen wäre.
„Die Subdelegues“, so klagte schon Colbert”), „mißbrauchen
sehr oft eine Gewalt, die sie nicht auszuüben verstehen und die
sie so weit zu treiben pflegen, als ihre Einbildung, ihre Leiden-
schaften und ihre Interessen es ihnen raten; das ist ein großes
Übel.“ Dieser Übelstand in der Regierung war es denn auch,
welcher sie bei der großen Masse der Bevölkerung verhaßt und
in ihren wohlgemeinten Bestrebungen verdächtig machte. Sicher-
lich hat er in hohem Grade mit dazu beigetragen, daß die überall
begonnenen Reformen durch die Leidenschaften des Volkes, welche
die Regierung nicht mehr im Zaume zu halten vermochte,
schließlich in Revolution umschlugen. —
Die nachfolgenden beiden Briefe stammen aus der Zeit, in
1) A. BABEAU bemerkt, daß der Wert der Güter z. B. in der Languedoc
von 1762—1789 um das Doppelte zugenommen hatte. In Le Maine war die
Zahl der Pachtungen im Jahr 1777 um */, gestiegen und doch bestand noch
immer eine starke Nachfrage, ebenso in der Picardie. Der Preis des Viehes
hatte sich verdoppelt. Die Bevölkerungsziffer auf dem Lande war gestiegen etc.
(La vie rurale, a. a. O. p. 137 ff.)
2) A. BABEAU, La province, a. a. O. p. 70. Auch QUESNAY hegt den-
selben Gedanken, wenn er in seinem Artk. „Hommes“ sagt: „Der Despotis-
mus ist nie etwas anderes, als eine Verbindung des Herrschers mit einzelnen
Gliedern des Staates, die mächtiger als der Souverän selbst geworden sind.
Der Despotismus des Monarchen ist ein Unding, er hat niemals bestanden,
denn es ist unmöglich, daß er überhaupt bestehen kann.“
562 Ottomar Thiele
welcher die Agrarreformen durch die Gründung der Ag
sorietäten an Umfang und Bedeutung zunahmen. Der Co
Général, namens Bertin, welcher dem Physiokratismtis
war!) und mit Quesnay in näherer Beziehüng gestan
haben scheint, hatte im Jahr 1760 von den einzelnen Inte:
Berichte über die Agrarverhältnisse ihrer Provinzen eing
mit dem Ersuchen, zur besseren Orientierung jene Versämr
einzuberufen, aus denen dann später vielfach Sozietäten |
wurden. Da dem Contrôleur der Bericht des Intendant
Soissons, namens Meliand, welcher sein Amt bereits s«
Jahr 1743 verwaltete”), von besonderer Wichtigkeit zu sein
so schickte er ihn an Quesnay, der sich dadurch zu eiı
führlicheren Erwiderung an Méliand veranlaßt sah. (Abdı
beiden Briefe im folgenden Heft.)
1) A. BABRAU, La province, a. a O. p. 287.
2) Vgl. den Almanac Royal vom Jahre 1760.
Literatur,
ALBERT DEMANGEON, La Picardie et les régions voisines, Artois-Cambresis-
Beauvaisis. Paris, A. Colin. In-8°, 496 pages, XVII planches et
3 cartes hors-texte.
La région que M. DEMARGEON s’est proposé d'étudier „ne correspond
exactement ni 4 l'étendue naturelle d’un terrain particulier, ni à la
circonseription artificielle d’un territoire administratif": ell6 comprend
trois anciennes provinces, la Picardie, l’Artois, le Cambrésis, et s'étend
sur quatre départements, l'Oise, la Somme, le Pas-de-Calais et l'Aishé.
D’après M. DEMANGEON, la „Plaine Picutrde“ n’a conquis sa pérsonnalité
géographique qu’à la suite de l'intervention de l’homme, qui, en l’ex-
ploitant au cours des siècles, lui a donné sa physionvcinie propre.
L'étude géologique, climatérique ét hydrographique dt pays forme
la première partie du livre de M. DEMANGEON, Nous #’avons pas ici
à en examiner la valeur; il notis suffit dé dire que la lecturé n’en ost
pas trop ardue pour un profane, et qu'elle #6 trouve siigulièrement
facilitée par l’adjonction de cartes, de schémas et de photographies.
La seconde partie, toute de géographie hutnaine“, nous intéresse
davantage: c’est une longue suite de chapitres bien distincts sur l’agri-
culture, l’industrie, les voies de éommunications, l'économie rurale et
urbaine, les divisions territoriales, qui forment atıtant de petites mono:
graphies historiques et descriptives, rösumant l'état des connaissances
à l'heure actuelle sur la question.
Le chapitre stir l'agriculture sert très justément de point de départ
à tous les autres. Le sol en partie couvert de forêts, a 616 défriché.
au moyen Âge par les moines, et s'est couvert de paturages, de blés
et de vignes. Les cultures ont évolué: aux vignes ont succédé les
plantes oléagineuses et textiles dès le XVIe siècle, aux céréales s'est.
sabstituée la betterave à sucre à partir du XIXe.
D'une des principales ressources du sol, le paturage, est née l'industrié.
L'élevage des moutons, très important À l'origine, a dééidé la vocation
des „villes drapantes“, Amiens, Arras, Beauvais, Saint-Quentin, Abbe-
ville, qui, de leur situation sur des rivières propices A la teinture des
étoffes, ont tiré les plus grands avantages. Qüand l'élevage eut fait
place à la culture intensive, ces villes firent venir leurs laines de
l'étranger, sans que leur industrie souffrit de cette transformation.
Avec l’agriculture et l'industrie se sont développées les voies de
communication. Paris et les Flandres, comme deux pôles, ont attiré
564 Referate.
vers le sud et vers le nord les produits manufacturés et l'excédent des
récoltes. Les routes et les canaux se sont réglés sur ces courants
commerciaux. Les voies transversales, allant de l’est à l’ouest, ont
été sacrifiées: la Somme, entre autres, dut à sa mauvaise orientation,
presque autant qu’à l’ensablement de son estuaire, la déchéance de son
trafic. Loin de prendre de l'importance de sa jonction avec l'Oise et
V’Escaut, elle est devenue un simple émissaire, un modeste affluent de
la grande artère navigable de la région, le canal de Saint-Quentin.
Pour répondre aux exigences des marchés flamands et parisiens,
la culture fut poussée jusqu'à son plus grand développement: pas un
coin laissé sans sillon, pas de terres vaines ou vagues, peu ou point
de biens communaux. Le sol très morcellé fut partout mis en valeur.
Ce régime de la propriété a engendré un type d'habitation spéciale,
où la grange, réceptacle des grains et des récoltes, occupe la place
principale au détriment des étables. La disposition de ces habitations
rurales, les lois qui ont présidé à leurs groupements, l'origine et le
développement des villes, ont fourni à M. DEMANGEON l'occasion d'un
chapitre attachant, peut-être un des plus originaux de tout le livre.
Les cartes et les plans qui accompagnent le texte font ressortir les
types d'agglomération propres à la région, qu'avait déjà fixés M. VAL
DE LA BLACHE, dans son magistral Tableau de la géographie de la
France.
Dans toute cette suite d'études ingénieusement reliées entre elles, il est
difficile de trouver la place logique d'un chapitre assez caractéristique
cependant „La côte, les Bas-Champs, les estuaires“. M. DEMANGEON
en convient lui-même, „par son histoire physique, par la nature de
son sol, par sa situation, la côte picarde est un pays nettement détaché
du plateau contre lequel il s’adosse, c’est un territoire original qu
demande sa place isolée dans la description géographique“.
C'est en effet une étude speciale que nécessiterait cette côte dont
la mer ne cesse d’arrondir et d’&mousser les parties convexes, de
combler les parties concaves. Il y aurait, croyons nous, un grand interet
À rapprocher, sans sortir de France, ces phénomènes d’alluvionnement
et d’érosion de ceux qui se produisent sur tout le littoral océanique.
Peut-être la progression du flot est-elle plus sensible à Ault-sur-mer
qu'en Médoc, mais à coup sûr son retrait dans le Marquenterre ne
diffère pas de celui qui s’observe dans la Saintonge, l'Aunis et le Poitou.
La situation de Saint-Quentin en Tourmont, menacé de l'envahissement
des sables, se retrouve identique à Escoublac, dans le pays nantais,
à Soulac, dans le Médoc, à Notre-Dame de Buze, en Arvert. L’„oyat“
à l’aide duquel les flamands tentaient de fixer les dunes au XVII: siècle,
fait penser au „duranme“ qu'on employait dans le même but sur le
littoral vendéen 1).
M. DEMANGEON semble s'être interdit tout rapprochement de ce genre.
I n’a fait qu’esquisser cette étude sans entrer dans les détails qu'un
1) Le nom scientifique de l’oyat est ammophila arenaria (DEMANGEON,
p. 195). Sur le duranme ou duream (arundo arenaria), cf. J.-A. CAVOLEAL,
Statistique de la Vendée, Fontenay-le-comte, 1844, in-8°, p. 166.
Referate. 565
pareil sujet comporterait. Mieux que tout autre il doit savoir l’impor-
tant travail qu'il y aurait à entreprendre sur ce point comme sur
beaucoup d’autres de son livre. Mais on conçoit qu'il ait dû se con-
tenter de grouper en synthèse les études partielles, plus ou moins bien
faites, écrites jusqu'à ce jour. Il a eu recours aussi, il est vrai, aux
sources originales; on s’en aperçoit à certains passages, par exemple
au chapitre des divisions territoriales, où il explique la formation, si
peu connue, de nos départements actuels. Ayant pris pour sujet de
thèse accessoire les Sources de la Geographie aux Archives nationales,
il se devait à lui-même de ne pas négliger cette mine de renseigne-
ments!). Mais ses recherches, comme de raison, se sont limitées aux
documents de la période moderne, plus accessibles et plus nombreux.
En définitive l'ouvrage de M. DEMANGEON est une savante compilation,
un excellent résumé des divers travaux géographiques, historiques et
économiques parus jusqu'à ce jour sur la région picarde, agrémenté
de recherches et d'observations personnelles. Cette importante mono-
graphie, détaillée et compacte, aurait peut-être gagné à être dégagée
de quelques-uns des faits et des noms propres qui la surchagent, mais
telle qu'elle est, avec les nombreux renseignements qu'elle contient et
l'imposante bibliographie?) dont elle est pourvue, elle rendra de grands
services aux travailleurs qui voudront étudier l'histoire économique et
sociale de ce coin de France. ETIENNE CLOUZOT.
1) M. DEMANGEON aurait peut être pu feuilleter les catalogues de la
Bibliothèque nationale. Sans sortir de la période moderne, il y eut trouvé
des mémoires aussi importants que ceux qu’il cite dans sa liste de sources
manuscrites. Le rapport de Willart, inspecteur des ponts et chaussées de
Picardie en 1776, pour ne citer que celui-là (ms. fr. 8021, ff. 81—190), lui
eut fourni, croyons-nous, des données précises pour son chapitre si intéressant
sur l’affaiblissement du débit des sources et leur déplacement.
2) Dans cette bibliographie, qui ne compte pas moins de 592 articles,
M. DEMANGEON a cru devoir reproduire les divisions générales de son livre.
Nous ne voyons pas bien l’intérêt de ce procédé qui offre le grave inconvénient
de séparer les uns des autres les ouvrages d'un même auteur et de créer des
lacunes ou des doubles emplois, un même ouvrage pouvant rentrer dans deux
ou trois catégories différentes.
Druck von W. Kohlhammoer in Stuttgart,
Hansische Handelsgesellschaften,
vornehmlich des 14 Jahrhunderts.
Von
F. Keutgen (Jena).
Fortsetzung von 5. 514 und Schluß.
Inhalt: V. Die offene Handelsgesellschaft 3. 667, — Renmes Definition
und Befund S. 568. — Gemeinsamer Betrieb 8, 571. — VI. Das Konkurrenz-
verbot S. 572. — ScHMipT und REMME 8. 578. — Konkurrenzverbot für den
tractator S. 575. — Kölner Faktoren in London 8.578. — VII Die Gesamt-
hand S. 579. — Gemeinsamer Betrieb und unbeschränkte Haftung 5. 580. —
Wandlungen der Gesamthand 5, 581. — Solidarität der Gesellschaft 8. 585.
— VII. Die Vertretung 8. 586. — Krediterfordernisse des kaufmännischen
Verkehrs S. 586. — Seghehards Brief 8. 586. — Verkehr mit Nachbar-
orten (Geldersen) S. 887. — Haftung des Prinzipals für den Knecht 3. 591.
— Wittenborg S. 593. — Tülner 8. 598. — Lübecker und Hamburger Statuten
S. 599. — Der deutsche Kaufmann in London 3. 600. — Anwendung auf die
Gesellschaft S. 601. — Haftbarmachung Unbeteiligter; Statut Ednards IT.
S. 602. — Das Lübecker Recht 3. 604. — Privileg Friedrich II. für Nürn-
berg und späte Einführung der kommanditistischen Idee 8, 606, — In-die-
Erscheinung-treten der Gesellschaft 8. 607. — Anhang: die Gesellschaften
Johann Wittenborgs 8. 613—632.
L'P
Die offene Handelsgesellschaft.
Haben wir somit die Masse der hansischen Handelsgesell-
schaften — sie, die dem Handel das Rückgrat gaben — als Ge-
werbsgesellschaften zu beanspruchen, so liegt uns, um zum vollen
Verständnis ihres Wesens zu gelangen, weiter ob, zu untersuchen,
inwiefern Grundsätze der einzelnen Arten der heutigen Handels-
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftegeschichte. IV. 58
568 F. Keutgen
| gesellschaften sich bei ihnen wiederfinden, insbesondere die
Grundsätze der offenen Handelsgesellschaft. Denn die offene ist
die Handelsgesellschaft in reinster, vollkommenster Form. Aber,
wohlbemerkt, unser Ziel ist auch hier nicht eigentlich Iden-
tifizierung einer oder der anderen früheren Form mit dieser oder
jener heutigen, sondern nur schärfere Beleuchtung der ehemaligen
vermittelst der jetzigen: wie wir ja auch keinen Augenblick ver-
gessen wollen, daß unsere Hauptabsicht nicht in der juristischen
Definition der älteren deutschen Handelsgesellschaften liegt, son-
dern mit ihrer Hilfe in der Charakterisierung des hansischen
Handels. Also: ist mit dieser Einschränkung eine Gruppe unter
den hansischen Handelsgesellschaften des 14. Jahrhunderts heraus-
zuheben, die als offene Handelsgesellschaften zu bezeichnen
wären ?
Diese Frage wird unter anderem bejaht von REHME, und zwar
nach Maßgabe des folgenden.
Er glaubt außer der „sendeve“ (lies Gesellschaft mit eir-
seitiger Kapitalbeteiligung, Halbgesellschaft oder quasi-societas)
und der Wederlegginge (oder, wie er sie mit unrichtiger Ider-
tifizierung gewöhnlich nennt, „vera societas“) noch eine dritte
Art Gesellschaft in den Lübecker Niederstadtbuch-Eintragungen
zu erkennen, „die freilich bei weiten seltener vorkommt als jene
beiden. Sie wird, wenn überhaupt, schlechthin als societas be
zeichnet; offenbar fehlte ein technischer Ausdruck. Auch bei ihr
findet ein conponere, contra-(ad-)ponere von Vermögen statt; auch
bei ihr sind also beide Gesellschafter mit Kapital beteiligt.
Aber — und das ist das sie von der vera societas unterscheidende
Merkmal — der Handelsbetrieb geschieht nicht durch eine
von ihnen, sondern durch beide, oder durch einen oder mehrere
nuncii oder famuli beider (12, 65). Wir haben es mit der offene
Handelsgesellschaft zu tun“').
“ Sogleich bemerken wir, daß hier für die offene Handelsgesell-
schaft ein ganz anderes Kennzeichen gefordert wird als das in
der Definition des Handelsgesetzbuches enthaltene ?).
1) REHME S. 373.
2) Oben S. 503.
wen oo —
u tt
tin et LEE. bei EN m EE re
Hansische Handelsgesellschaften. 569
Deshalb legt denn aueh SILBERSCHMIDT Verwahrung ein:
„wenn man nun einmal in geschichtliche Verhältnisse Begriffe
aus Gesetzen der jetzigen Zeit hineintragen will, dann muß streng
darauf geachtet werden, daß sämtliche Merkmale dieser modernen
Rechtsfiguren wirklich vorhanden sind“ '). Das Wesen der offenen
Handelsgesellschaft aber beruht in der solidarischen Verpflich-
tung: auf die hansischen Verhältnisse übertragen, müßte es er-
sichtlich sein, „daß der tractans den andern Gesellschafter in der
Weise verpflichten wollte, daß dieser unbeschränkt mit seinem
ganzen Vermögen hafte“ ?). |
Prüfen wir indes — wie es übrigens auch SILBERSCHMIDT
tut — REHMES Beweisführung erst einmal von seinem eigenen
Standpunkte aus. Zunächst ist zu beachten, daß REHME nach
diesem — wenigstens unter seinem Material — nur sehr wenige
offene Handelsgesellschaften findet. Allein warum?
Es tritt uns da wieder sogleich als Kardinalfehler der Glaube
entgegen, als müsse jedem Ausdruck der Quellen ein eigener, in
moderner Weise streng methodisch abgegrenzter Begriff ent-
sprechen. Richtig ist, daß für irgendeine als „offene Handels-
gesellschaft“ herauszuhebende Art eine besondere Bezeichnung
in den Quellen fehlt, falsch aber die durch nichts begründete
Annahme, als hätten die Bezeichnungen wederlegginge und vera
societas sich auf sie nicht miterstrecken können. Im Gegenteil:
wenn eine der damaligen Handelsgesellschaften als „vera societas“
gelten konnte, so wäre es gewiß die gewesen, bei der beide
Teilhaber nicht nur Kapital, sondern auch Arbeit einlegten. Und
durch nichts gerechtfertigt ist es auch, den Begriff der „weder-
legginge“ so eng zu fassen, als umschlösse er nur den Fall, wo
beide Gesellschafter zwar Kapital einlegen und einer arbeitet,
nicht aber auch den, wo beide Gesellschafter sich an der Ge-
schäftsführung beteiligen.
Die Folge dieses Methodefehlers ist also, daß für REHME alle
Gesellschaften ausscheiden, die in seinem Material als „vera
societas“ oder als „wederlegginge“ bezeichnet sind. Im übrigen
1) Kumpanie und Sendeve S. 42.
2) S. 46.
570 F. Keutgen
aber schließt er auf das, worauf es ihm ankommt, den gemei-
samen Handelsbetrieb, auch wieder nur aus bestimmten formel
haften Wendungen.
Auf seine Belege im einzelnen einzugehen, würde demnach
keinen großen Wert haben. Daß die Anführung von Nr. 8 auf
einem Versehen beruhen muß, hat bereits SILBERSCHMIDT bemerkt:
sie paßt nicht hierher, und die S. 393 angeblich daraus zitierten
Sätze stehen überhaupt in keiner der von REHME veröffentlichten
Eintragungen. Außer in dieser will er dann mit Sicherheit offene
Gesellschaften nur noch in Nr. 12 und Nr. 65 finden. Für môg-
lich hält er, daß auch in 59 und 63 „trotz der Bezeichnung als
vera societas“ eine offene Gesellschaft bekundet wird. Doch
wird ihm das „unwahrscheinlich, wenn wir mit ihnen 60 und 61
vergleichen, die wesentlich die gleiche Form haben, aber sicher
eine wederlegginge betreffen, da nach ihnen nur der eine der
socii Unternehmer ist“. Endlich sei einmal eine offene Gesell-
schaft „an einer wederlegginge als Kapitalist (23), ein andermal
als Unternehmer beteiligt (45)* ').
Wir können das, wie gesagt, auf sich beruhen lassen: des-
halb führe ich auch den Wortlaut jener Stellen nicht an. Bei
REHME aber rächt sich jetzt — außer dem Festhalten an \»
men — eins: nämlich jene schon gerügte Verwendungsweise des
Begriffs „Unternehmer“ ?).
Offenbar läßt sich bei einem gemeinschaftlichen Betrieb der
Geschäfte das Arbeitsquantum der einzelnen Beteiligten nicht
messen. Es ist nicht bloß der von zwei Gesellschaftern als im
Geschäftsbetrieb tätig zu erachten, der nach der Weise jener
Zeiten die für das Gesellschaftskapital erstandenen Waren im
Ausland führt, dort verkauft und für den Erlös andere Waren
einkauft, dessen Tätigkeit deshalb unmittelbar in die Augen
springt, und der allerdings die meiste Mühe hatte, sondern eber-
sosehr sein Mitteilhaber, der zwar zu Hause blieb, von dem jener
aber seine Weisungen erhielt, und der die von ibm draußen net-
eingekauften und heimgesandten Güter in Empfang nahm und
1) S. 373 Anm. 24.
2) Oben S. 506 ff.
Hansische Handelsgesellschaften. 571
seinerseits am Orte an den Mann brachte. Dies aber ist das
Bild, das uns die Handlungsbücher bieten: der wahre Unter-
nehmer, der Chef des Hauses, wie SILBERSCHMIDT ihn ein-
mal mit Recht nennt, disponierte und bestimmte auch den Markt,
dem die Güter zugeführt werden sollten.
Unter REHMES Material aber müßte man diesen Tatbestand
zunächst einmal wenigstens bei all den Niederstadtbuch-Ein-
tragungen als gegeben annehmen, nach denen zwei Personen mit
gleichen Beträgen an einer Gesellschaft beteiligt sind; sicherlich
aber nicht nur bei diesen.
Denn inzwischen hat SILBERSCHMIDT darauf hingewiesen, daß
auch im romanischen Rechtsgebiet, in der Commenda
und ihren Abarten, der Commendator oder socius stans häufig
Arbeit mitleistet. Aus der Form der Gesellschaft läßt
sich also über gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb
oder das Gegenteil nichtserschließen. Nach dem Merk-
nıal des gemeinsamen Betriebes aber müßte die große Mehrzahl
der hansischen Gesellschaften überhaupt als offene beansprucht
werden.
Und ganz unberechtigt wäre das nicht.
Denn außer dem Merkmal der unbeschränkten persönlichen
Haftung aller Teilhaber, dem freilich juristisch entscheidenden,
kennt das Handelsgesetzbuch doch auch noch eine weitere Eigen-
tümlichkeit der offenen Handelsgesellschaft, eben die, auf der
REHMES Anschauung beruht, nämlich, daß „zur Führung der Ge-
schäfte der Gesellschaft . . . alle Gesellschafter berechtigt und ver-
pflichtet* sind. Freilich kann „im Gesellschaftsvertrage die Ge-
schäftsführung einem Gesellschafter oder mehreren übertragen“
worden sein; dann „sind die übrigen Gesellschafter von der Ge-
Schäftsführung ausgeschlossen“ '). — Allein als Kriterium schlecht-
hin für die offene Handelsgesellschaft wird uns jenes nicht genügen.
Jas Hauptinteresse jener Darlegungen ist vielmehr zunächst
ein negatives und liegt darin, daß damit der verbreiteten Neigung
entgegengewirkt wird, unsere wie auch die romanischen älteren
llandelsgesellschaften als Arten der Kommandit- oder der stillen
11A.a.0., S 114.
572 F. Keutgen |
Gesellschaft oder als Vorstufen dazu auszugeben, weil regelmäßig
der eine Teilhaber nur Geld hergegeben hätte. Das also ist
falsch.
So wichtig das alles aber allgemein handelsgeschichtlich an
sich ist, und zwar schon die bloße Tatsache der regelmäßigen
Beteiligung des socius stans am Betrieb, so muß doch eben diese
geradezu auch als zu selbstverständlich bezeichnet werden (wen
sie nicht durch Konstruktionssucht verdunkelt worden wäre),
als daß es an wissenschaftlicher Bedeutung nicht in den
Hintergrund gedrängt werden müßte durch die Frage nach den
andern, entscheidenden und von SILBERSCHMIDT hervorge-
hobenen Merkmal der offenen Handelsgesellschaft: genauer, die
Frage, inwieweit der socius stans durch den tracta-
tor haftbar gemacht werden konnte.
Vorher jedoch haben wir noch einen belangreichen Punkt
klarzustellen: nämlich, inwieweit es zulässig war oder vorkommen
konnte, daß ein vergesellschafteter Kaufmann sich selber Kon-
kurrenz machte.
VI.
Das Konkurrenzverbot.
F. G. A. SCHMIDT hatte in seinem sehr verdienstlichen Buche
„Ilandelsgesellschaften in den deutschen Stadtrechtsquellen des
Mittelalters“ (Breslau 1883) folgendes bemerkt:
„Da die Gesellschaft eine gemeinsame Verfolgung vermôgens-
rechtlicher Interessen durch gemeinsamen Handelsgeschäftsbetried |
bezweckt, so sollte es den Mitgliedern eigentlich verboten sil :
durch Einzelgeschäftsbetrieb die Gesellschaftsinteressen zu schd _
digen. Dennoch findet sich kein allgemeines Konkurrenzverbet
für die Gesellschaften in den Stadtrechten. Im Gegenteil war €
sehr üblich, daß ein Kaufmann mit Vermögenseinlagen mehrere
Gesellschaften zugleich angehörte“ ”).
Aus der Disposition von ScHMiDTs Buche ergibt sich, dab ef
hierbei nicht die Handelsgesellschaften überhaupt, sondern die,
die er als offene Gesellschaften ansah, im Auge hatte. Alk
GE seu … m
te = an te San
Hansische Handelsgesellschaften. 573
deren „Grundgedanken“ gibt er, gleich REHME, an, „daß alle
Socii in gemeinsamer Handelstätigkeit gemeinsamen Gewinn er-
streben“ '). Allein, hierin richtiger als jener sehend, erkennt er
dieses Merkmal den älteren deutschen Handelsgesellschaften in
weit größerem Umfange zu und namentlich der „vera societas“ °).
Demgegenüber sieht REHME eben in dem Umstande, daß
„derselbe Kaufmann zuweilen gleichzeitig in zehn und zwanzig
Sozietäten sein Geld steckte“, den Beweis, „daß die vera societas
Gelegenheitsgesellschaft ist“. Die offene Gesellschaft aber ist
„ihrer Natur nach Gewerbsgesellschaft“.
Wir sehen davon ab, daß gerade das alte deutsche Handels-
gesetzbuch, das, als REHME schrieb, in Gültigkeit war, unter
Umständen auch eine offene Gelegenheitsgesellschaft kannte.
Wichtiger ist, daß, wie bemerkt, an sich Kommandit- und stille
(Gesellschaft ebensowenig als Gelegenheitsgesellschaften zu gelten
haben wie die offene: ein Kriterium für oder gegen die eine oder
die andere ist hier also nicht zu finden.
Von wesentlichem Interesse jedoch bleibt die rein sachliche
Frage, ob an sich ein Kaufmann gleichzeitig an mehreren Ge-
werbsgesellschaften sich beteiligen konnte. Ganz gewiß war das
möglich. Gerade bei der offenen Handelsgesellschaft sieht das
neue Deutsche Handelsgesetzbuch ($ 112) den Fall vor,
daß ein Gesellschafter „an einer andern gleichartigen Handels-
gesellschaft als persönlich haftender Gesellschafter teil“ nimmt,
sowie daß er „in dem Handelszweige der Gesellschaft Geschäfte“
macht: nur bedarf er dazu der „Einwilligung der anderen Ge-
sellschafter“. Mag das immerhin im heutigen Handelsleben nur
unter besonderen Umständen sich verwirklichen, 8o begünstigten
es umgekehrt die eigentümlichen Verhältnisse der hansischen
Epoche. Auch diesmal hat REHME den wirtschaftlichen Tat-
bestand nicht berücksichtigt, in den uns das Verfahren von
Männern wieHermann Mornewech — das freilich durch die
neuerlich veröffentlichten Handlungsbücher erst ins rechte Licht
gerückt ist — so wertvollen Einblick gewährt.
1) A. a. 0., 8.61.
2) 8.44 f.
574 F. Keutgen
Der Wettbewerb, der im heutigen Leben eine so ausschlag-
gebende Rolle spielt, fehlte zwar auch damals nicht, kam jedoch
weit weniger, man könnte sagen, nur subsidiär, in Betracht. Wir
sehen ja, daß Kaufleute ihren Gesellschaftern neben dem Gesell-
schaftsgut auch noch andere Waren „in sendeve“ mitgaben, ihnen
also nach heutigen Begriffen, oder wenigstens von REHMES Stand-
punkt aus, zumuten würden, sich selber Konkurrenz zu machen’).
Wir dürfen annehmen, daß auf gewissen Märkten für gewisse
Waren stets auf Abnehmer gerechnet werden konnte, und daß es
ein wichtigeres Problem war, sie ausreichend und regelmäßig mit
Waren versorgt zu halten, — für den auswärtigen Kaufmann
also, Transportgelegenheiten und geeignete Persönlichkeiten auf-
zutreiben, denen man draußen den Verkauf der nach und nach
angeschafften Waren und den Wiedereinkauf anderer, daheim zı
verwertender anvertrauen konnte: — was ja übrigens auch heute
noch eine sehr große Rolle spielt.
Wenn ein Kaufmann in Lübeck nach Riga einmal mit einem
Holk einen Posten einer Ware schickte, an dem er mit B be
teiligt war, und einen Monat später einen zweiten Posten in
einem Koggen zusammen mit C, so machte er sich weniger
Konkurrenz, als wenn er nur mit B vergesellschaftet gewesen
wäre und alles auf einmal gesandt hätte: denn die plötzliche
Ankunft des doppelten Postens hätte den Markt vielleicht doch
gedrückt.
Die 18 Gesellschaften Mornewechs, von denen schon die
Rede war, verteilen sich über die Jahre 1323—1335. Wir wissen
aber gar nicht, da weder PauLı noch REHME, denen das Material
zugänglich gewesen ist, Näheres mitteilen, in wie vielen Fällen
es sich dabei um Erneuerungen von Gesellschaften mit den
selben Partnern handelt: schon in den drei von REHME >
gedruckten (Nr. 29, 32, 34) kommt seine Gesellschaft mit Ratze
1) Z. B. REHMEs Nr. 51 (a. 1342): „Dominus Bertrammus Heideby ®
Nicholaus de Sleswik frater domini Nannonis habent pariter 200 m. d. minus
4m., de quibus 100 m. minus 2 m. dno. Bertrammo predicto pertinent €
negociantur in sendeve, alie 100 m. minus 2 m. pertinent eis ambobus in
societate.“ Ferner Nr. 24 und Nr. 41. Bei Wittenborg z. B. II 232, oben
S. 484.
. mt
Hansische Handelsgesellschaften. 575
borg zweimal vor. Wir wissen nicht, ob nicht PauLı und REHME
auch Sendeve-Geschäfte unter diesen „Sozietäten“ mitzählen. Und
endlich wissen wir nicht, inwieweit es sich bei all diesen ver-
schiedenen Geschäften nicht um ganz verschiedene Waren und
ganz verschiedene Märkte gehandelt hat. Freilich wissen
wir anderseits auch nicht, wie viele Gesellschaften Mornewech
außer jenen noch in seinem Handlungsbuch notiert hat, für die
er Eintragung im Stadtbuch nicht für nötig gehalten haben mag.
Kurz, nach rein formalen Gesichtspunkten läßt sich diese Frage
am wenigsten erledigen.
Eine ganz bestimmte Kategorie von Konkurrenzverboten kommt
allerdings in manchen Gesellschaftsverträgen vor, und SCHMIDT
war wenigstens nahe daran, das Prinzip, das ihnen zugrunde liegt,
zu erkennen '): sie richten sich gegen den bloßen tractator
oder Commendatar. Wo von einem oder mehreren dirigierenden
Kapitalisten ein kapitalistisch gar nicht oder minder Beteiligter
mit deın Vertrieb der Waren betraut wird, da pflegt ihm die
Übernahme konkurrierender Aufträge untersagt zu sein.
So verhält es sich mit dem schon von SCHMIDT angeführten,
allerdings jüngeren Beispiel, PauLı, Lübecker Zustände III Nr. 95
(a. 1476):
Gerd schal noch enwil mit nemande anders selschup
hebben, id enzy mit des erscreven Cordes vulbord unde
willen ;
und vielleicht auch mit PAuLı I Nr. 102 e, jetzt bei REHME
Nr. 5 (a. 1312):
qui Wasmodus dicebat, se non habere aliqua bona merca-
toria extra ista.
In erster Linie freilich hat wohl durch diese Klausel der
Unterschlagung eines Teiles des Gewinnes vorgebeugt
werden sollen. So auch bei REHME Nr. 15 (a. 1315):
pecunia, quam Hermannus ultra prefatas [bis] 75 m. argenti
habet, est dimidia ipsius Johannis et dimidia ipsius Her-
manni;
I) Scnumir, 8. 50 f.
576 F. Keutgen
Nr. 35 (a. 1327):
protestatus est, quod omnia que habet mobilia sint, et quid
medietas illorum pertinent Johanni de Verda et medietas
sibi ipsi.
Alles, was bei Abrechnung in den Händen des tractator über
das Kapital hinaus sich vorfand, wurde eben als von ihm ;e
machter Gewinn angesehen und demgemäß geteilt. Doch unter-
band das Arbeit für einen Konkurrenten ohne weiteres.
Ausdrücklich dagegen wird diese untersagt in REHME Nr. 55
(a. 1347):
extra istam societatem nullam habebit pecuniam absqne
scitu ipsius Ghunteri.
Und nach Reime Nr. 65 (a. 1359) verpflichten sich die (e-
sellschafter gegenseitig:
quidquid alter istorum intra Lubeke seu extra emerit vel
vendiderit, quod campsuram tangere videbitur, hoc ad camp-
suram eorundem debet pertinere ad usum ipsorum amborun.
Doch konmt hier nur die besondere Beschränkung auf
Wechselgeschäfte in Frage.
Eben die größere Bewegungsfreiheit des Prinzipals gelanst
noch in eigentümlicher Weise zum Ausdruck in dem Schlußsatz
von REHMES Nr. 66 (a. 1360):
Otto predietas 1350 marcas habet solus pre manibus
cum eis mercimonia(s) exercendo; et Conradus nichil hahet
de pecunia supradicta.
Das ganze Gesellschaftskapital ist in Händen des tractater
Otto. Alles Geld, was etwa bei Konrad angetroffen wird, gehirt
also nicht in die Gesellschaft. Mit anderen Worten: an Geschäften.
die Konrad inzwischen mit seinem übrigen Vermögen macht, und
aus dem daraus fließenden Gewinn hat Otto keinen Teil.
Ganz unter dieses Schema fällt aber auch das Aachener
Beispiel vom 1. Mai 1360, das genügendes Interesse bietet, um
es hier mit heranzuziehen, das aber SCHMIDT offenbar mifver-
standen hat. Denn Jöhan Heifstrit ist da nicht „der einzi:e
beteiligte Weinkaufmann“, sondern die andern beiden Teilhaber.
Wer Dorcant und Kolin Büc, der ja auch einen Keller
sind die Unternehmer, und Johann ist ihr tractator, wie
Hansische Handelsgesellschaften. 577
man eben aus der Klausel ohne weiteres schließen kann, die
ihn verpflichtet,
egein ander koumenschaf mit win ce driven, dan in disser
geselschaf').
Es wäre geradezu grotesk, in Heifstrit den Unternehmer, in
seinen Gesellschaftern aber bloße Kapitalisten zu sehen, anzu-
nehmen, daß ein Kommanditist oder ein stiller Teilhaber Geld
in mehrere Gesellschaften steckte und — worauf es hinauslaufen
würde — deren leitenden Inhabern vorschriebe, daß sie einander
keine Konkurrenz machen dürften.
Wäre tatsächlich der tractator als Unternehmer anzusehen, so
hätte es gerade ihm freistehen müssen, sein Kapital zu nehmen,
wo er es fand, und sich auclı mit mehreren Kapitalisten zu ver-
binden: wozu es in Italien ja auch gekommen ist”).
Den wesentlichen Unterschied zwischen der Stellung des trac-
tator und der des socius stans in diesem Punkt übersieht auch
SILBERSCHMIDT*). Er weist zwar noch auf PAPPENHEIM, Alt-
nordische Handelsgesellschaften, hin, nach dem die Grägäs be-
stimmt, daß ein felag „gesetzlich (at lögum) nur dann vorliegt,
wenn (der Unvermögendere unter den Genossen sein gesamtes,
auf der Fahrt mitgeführtes Gut in die Gemeinschaft eingelegt
hat‘)“. Er führt ferner einen Fall von 1360 aus dem Lübecker
Niederstadtbuch an, wonach der eine Gesellschafter bekennt,
quod omnium bonorum suorum, ubieunque ea habuerit, duo
denarii dicto domino Johanni pertinent”),
Allein er will hier und in Renme Nr. 5 und sogar in Nr, 55
nur den Zweck erkennen, „Durchstechereien zu verhindern ")*,
1) LOERSCH, Aachener Rechtsdenkmäler, Abt. II Nr.5 8.178f. Danach
SCHMIDT 8.53 f. Besser, weil nach dem inzwischen gefundenen Original,
LOERSCH und SCHRÖDER, Urkunden zur Geschichte d. deutschen Privatrechts '
Nr. 188.
2) Vgl. oben S. 607.
3) Kumpanie und Sendeve, 8. 47 f. Übrigens L $. 47 letzte Zeile
„Commendatar“ statt „— tor“.
4) Z. f. d. ges. Handelsrecht. Bd. 56 8. 110.
5) Nr. 71a, aber nicht etwa hei Remnme, wie man glauben würde, son-
dern bei Morzwo 8. 84 f.
6) Vgl. oben S. 575 f.
278 F. Keutgen
Die “Konkurrenzklausel“ will er in Deutschland erst „in der
späteren Entwicklung“ finden, wie in einem Nürnberger
Vertrag Koler-Kreß-Saronno von 1506, wo $ 10 allen
Gesellschaftern den Betrieb von sonderlich Gewerbe noch Handel
ohne Zustimmung der andern untersagt‘. Allein er sieht
sich doch auch genötigt, jene Aachener Weinhändlergesellschaft
von schon 1360 anzuführen?. Den springenden Punkt über-
sieht er.
Besonders lehrreich in mehr als einer Hinsicht endlich ist das
vielberufene Verzeichnis von Kölner Kaufleuten und ihren
Faktoren in London vom 17. August 1468, wo augeblich
manchmal ein Faktor — wie in Italien — mehrere Kaufleute
vertritt®.. Das ist buchstäblich richtig, aber nur bei sehr ober-
flächlicher Betrachtung. Denn der aufmerksame Leser sieht »0-
fort, daß die so gemeinsam vertretenen Kaufleute gesellschaftlich
verbunden waren. Dreimal vertritt ein einzelner Faktor einen
Kaufmann, zweimal zwei und einmal fünf Kaufleute. Fünfmal
dagegen wird ein einzelner Kaufmann von einem Faktorenpaar
vertreten, und in weiteren fünf Fällen haben je zwei Kaufleute
gemeinsam zwei Faktoren. Gerade diese letzten Fälle, nach der
Formel „Jak. Butschoe und Peter de Syberg, Faktoren des Peter
Kannengießer und des Andreas Hoecker“, stellen das Verhältnis
völlig klar. Überhaupt aber ist zu merken, daß alle diese Kauf-
leute, 27 an Zahl, von denen 8 alleinstehen und 19 zu 8 Gesell-
schaften verbunden sind, ihre ganz bestimmten Faktoren haben,
und ebenso die 26 Faktoren, von denen 6 allein, 10 paarweise
Ss. 271.
2) S. 48. |
3) SILBERSCHMIDT, S. 25; Levin, Z. f. d. ges. Handelsrecht Bd. %
S. 468; LEPA. Kommissionsgeschäft im Hansagebiet S. 24. Das Verzeichnis
steht aber nicht bei ENNENX und ECKkERTrz, Quellen, wie alle drei Autor?
sagen, sondern bei ENNEX, Geschichte d. Stadt Köln, Bd. III, S. 704 f. Jets
besser Hans. Urkb., Bd. IX Nr. 491 S. 348 f. (Beiläufg bedeutet dort
Nr. 535 Anm. 1 der Name Patynmaker nicht ,Anfertiger von Kelchdeckeln”.
sondern „Holzschuher“, von „patten“, dem hohen Holzschuh, der in weitem
(rebrauch war, um durch den Straßenschmutz zu waten. Die Herstellung
von Patenen wird kaum einen besonderen Erwerbszweig gebildet haben).
Hansische Handelsgesellschaften. 579
arbeiten, ihre festen Auftraggeber. Es ist hier also nicht nur
keine Rede davon, daß ein Faktor oder Kommendatar mehrere
konkurrierende Kaufleute verträte; sondern wir haben hier den
Beleg für 16 Kölner Kaufmannshäuser, die mit ebensoviel in
London etablierten, wenn auch aus Köln stammenden Filialen in
dauerndem Verhältnis stehen. Daß das Beispiel ein Jahrhundert
jünger ist als die Zeit, mit der wir uns vorzugsweise befassen,
nimmt ihm kaum etwas von seiner Bedeutung.
SCHMIDT zifiert in diesem Zusammenhang noch aus den Ord-
nungen einer Leipziger Ratskommission von 1464 folgende
Sätze:
Item es mag ein burger mit einem uslendischen gaste
geselschaft haben ...
Item der burger mag auch dorbei wol einen sunderlichen
handel haben‘.
Das scheint fast der Standpunkt unserer neuesten Gesetz-
gebung. Sieht man aber die Quelle selbst an, so findet man
alsbald, daß die Verordnung mit diesen Fragen unmittelbar nichts
zu tun hat, sondern das Fremdenrecht betrifft. Es handelt sich
darum, daß Waren, die in die Gesellschaft eines Bürgers mit
einem Fremden gehören, den Regeln für die Waren Fremder
unterliegen sollen, was aber nicht hindert, daß Waren, die der-
selbe Bürger etwa noch außerhalb jener Gesellschaft führt, die
Vorzüge der Waren anderer Bürger genießen. Vorausgesetzt ist
dabei ja freilich, daß jemand außer einer Gesellschaft, an der
er beteiligt ist, noch ein eigenes Geschäft betreibt: aber ernstere
Aufschlüsse über das Gesellschaftsrecht gewährt die Stelle nicht. —
Nachdem wir indessen in diesem wichtigen Punkte die Stellung
der Gesellschafter aufgeklärt haben: wie verhält es sich mit ihrer
Haftung? |
VII.
Die Gesamthand.
Wir präzisieren zunächst unsern Standpunkt.
Zwei Merkmale charakterisieren die offene Handelsgesellschaft:
1) SCHMIDT, S. 61. Urkb. d. Stadt Leipzig, Bd. I, Nr. 388 S. 814.
580 F. Keutgen
unbeschränkte Haftung aller Gesellschafter und gemeinsamer Be-
trieb. Das eine-läßt sich als das rechtliche, das andere als das
wirtschaftliche Moment bezeichnen. Beide bedingen einander und
können deshalb, mag auch nur das eine juristisch entscheidend
sein, wohl als gleich wichtig betrachtet werden. Unbeschränkte
Haftung ohne Beteiligung aller am Betrieb wäre unbillig. Um-
gekehrt müssen sämtliche Gesellschafter unbeschränkt haftbar
gehalten werden, weil sie sämtlich in den Betrieb eingreifen.
Die Haftbarkeit beruht auf der Verantwortung, die mit der An-
teilnahme an den Geschäften übernommen wird. Folgerichtig
haftet bei der Kommandite der Kommanditist nur mit seiner
Einlage, weil er von der Geschäftsführung ausgeschlossen ist.
Ja, man könnte behaupten, daß das Handelsgesetzbuch sich
einer Inkonsequenz schuldig macht, wenn es trotzdem bei der
offenen Gesellschaft den vertragsmäßigen Ausschluß eines Gesell-
schafters vom Betriebe gestattet: indes wird es fraglos sein Gutes
haben, daß den Vertragschließenden die Freiheit auch eine
solchen Abkommens gewährleistet ist.
Für die Erforschung des Ursprunges der offenen Handek-
gesellschaft wie für die Feststellung des Zustandes, den die
Entwicklung in Norddeutschland im 14. Jahrhundert erreicht
hatte, ist es jedoch eben vor allen Dingen wesentlich, jene Geger-
seitigkeit von Haftung und Teilnahme am Betrieb im Auge zu
behalten, und wäre es zunächst auch nur als heuristisches Prinzip.
Nötig ist aber ebenfalls gerade hierbei, sich stetig zu erinnern,
daß Rechtsbildung wie Wirtschaftsleben im Flusse begriffen waren,
daß nicht für alle wirtschaftlichen Möglichkeiten bereits feste
Rechtssätze in Geltung — gerichtlich oder gar legislatorisch ar
erkannt — sein konnten, selbst nachdem eine gewisse Übung
sich schon durchgesetzt hatte.
Halten wir dies im Auge, so werden wir finden, daß für das
Aufkommen des Prinzips der vollen Solidarität im deutsche
Handelsrecht weder italienische Einflüsse anzunehmen sind, noch
eine Einwirkung der Kommandit- oder der stillen Gesellschaft
Der Kommandit- und der stillen Gesellschaft ist nicht einmil
ohne weiteres Priorität vor der offenen zuzuerkennen.
Fremde Einflüsse aber würden nur dann anzunehmen seit,
Fan
Hansische Handelsgesellschaften. 581
wenn der Grundgedanke der offenen Handelsgesellschaft zu allen
einschlägigen Grundsätzen des älteren deutschen Rechts in Wider-
spruch stände, so daß aus einer organischen Weiterbildung sich
die Neuerung nicht erklären ließe.
Demgegenüber wird sich zeigen, daß der Grundsatz der offenen
Gesellschaft durchaus in der Richtung der Weiterbildung des
älteren deutschen Rechtes lag, und daß dieses durch die wirt-
schaftliche Entwicklung gewissermaßen mit Notwendigkeit end-
lich zu seiner Herausbildung und Anerkennung gedrängt wurde,
so daß zu der Zeit, von der wir handeln, alles hierzu auf dem
besten Wege war.
Endlich aber ist auch die Herkunft aus der Hausgemeinschaft
für das Gebiet der deutschen Seehandelsgesellschaften abzulehnen:
der Zustand, den wir im 14. Jahrhundert in den deutschen See-
städten antreffen, rührt vielmehr aus einer anderen Quelle her,
ringt sich aus Verhältnissen los, in denen die Hausgemeinschaft
keinen Platz hat. —
Unter den älteren deutschen Rechtsinstituten kann diese Ent-
wicklung zur vollen Solidarität der offenen Handelsgesellschaft
nur anknüpfen an die Gesamthand: es wird also darauf an-
kommen, zu zeigen, daß die beschränktere Solidarität der Ge-
samthand bereits zu dem Punkte vorgeschritten war, daß nur
noch ein Schritt sie von der vollen, in der offenen Gesellschaft
gegebenen trennte.
Der ursprüngliche Gegensatz zwischen der Gesamthand und
der in der offenen Gesellschaft gegebenen Solidarität liegt ja
darin, daß in der Gesamthand eine Mehrzahl, eine Gesamtheit
für einen oder für eins bürgt, in der offenen Handelsgesellschaft
dagegen jeder einzelne sich für das Ganze verpflichtet.
Der Übergang ist gegeben, wenn bei der Gesamthand für das,
was alle gemeinsam gelobt haben, jeder einzelne der Gesamt-
händer in vollem Umfange haftbar gemacht werden kann. Und
als Ergänzung tritt hinzu, wenn auch für das einer Gesamtheit
Gelobte jeder einzelne den Anspruch der Gesamtheit vertreten
darf.
Beides — namentlich aber das Erste und Wesentliche —
findet sich in deutschen Rechtsquellen zu zweckdienlicher Zeit
582 F. Keutgen
ausgesprochen: in Rechtsquellen, für die fremde Beeinflussung
in keiner Weise anzunehmen ist. Gerade hier handelt es sich
vielmehr um notwendige Anpassung an das alltägliche Wirt-
schaftsleben.
Jene als Übergang von der primären Idee bezeichnete Auf.
fassung der gesamthänderischen Verpflichtung spricht mit voller
Klarheit bereite das Dortmunder Urteilsbuch aus, das in
einer Handschrift vom Anfang des 14., vielleicht dem Ende des
13. Jahrhunderts vorliegt. Dort lautet
8 94: Hedden lude gelovet mit samender hant in breyven,
der sey enkenten, vor schult: welker van den angesproken
wert vor gerichte van deme ghenen, deme hey geloret
hevet, dey moit de schult betalen ').
In etwas ausführlicherer Fassung begegnet derselbe Satz in
dem Dortmunder Stadtbuch unter den Zusätzen, die bald
nach 1355 geschrieben sind:
& 59. Hebbet twe gelovet alse saghwalden mit sameder
hant in eme openen breyve vor gelt, weirt der en ange
sproken vor gerichte van deme manne, deme sey gelovet
hebbet, umme dat allinge gelt, also dey opene breyf inne
hevet, dat allinge gelt müt dey man deme klegere betalen.
Dasselbe besagt die alte Soester Schra von 1350:
8 52. Lovet lude mit samender hant, so hevet der
cleghere dey macht, dat hey beclaghen mach, wilkeren her
wil; unde wilkeren hey beghripet mit gherichte, deme mach
hey volghen, also eyn recht is°).
ScHMiDT‘) und nach ihm AvLEr°) zitieren diese Schra as
„aus dem 14. Jahrhundert mit Zusätzen aus dem 15. Jahrhundert‘
und nennen sie zusammen mit „dem Wiener Stadtrecht von 1435*.
1) FrRENsporrt‘, Dortmunder Statuten und Urteile (Hansische Geschicht#
quellen Bd. IH) S. 131. Dazu S. 106.
2) FRENSDORFF, S. 82; dazu S. 63.
8) SEYBERTZ, Landes- und Rechtsgeschichte des Herzogtums Westfalen
Bd. III (Urkundenbuch Bd. I) S. 398.
4) Handelsgesellschaften, S. 68. |
5) KARL ADLER, Zur Entwicklungslehre und Dogmatik des Gesellschañs—
rechts (Berlin 1895) S. 63.
Hansische Handelsgesellschaften. 583
Wegen dieser Späte hält SCHMIDT „römisch-rechtlich-italienischen
Einfluß“ für wohl möglich. Ganz abgesehen davon, daß das
römische Recht, wie allgemein zugestanden ist, die echte Soli-
darität überhaupt nicht kannte, so übersehen beide Forscher, daß
gerade der $ 52 nicht zu den „späteren Zusätzen“, sondern zu
dem ursprünglichen Bestand der Schra von spätestens 1350 ge-
hört ?).
Die erwähnte Ergänzung zu den gegebenen Sätzen aber bieten
die Goslarischen Statuten, die spätestens 1359 aufgezeichnet
sind:
Wur lüde lovede tosamene untfat, léstet man dat deme
sakwolden [d. h. einem, der die Forderung vertritt], men
is van in allen ledich unde los.
Es wird aber auch die Möglichkeit vorgesehen, daß Alle
klagen, oder daß Zahlung an einen Bestimmten vorher ver-
abredet war?).
Noch nicht ganz auf diesem Standpunkt steht der vermehrte
Sachsenspiegel Ende des 13. Jahrhunderts, Landrecht III. 85,
wo in bezug auf die erste Seite der Frage $ 1 lautet:
Svar mer lüde den ein geloven tosamene en weregelt
oder en ander gelt: al sin si it plichtich to lestene, die
wile it unvergulden is, unde nicht ir iewelk al; mer man-
lik also vele alse ime geboret, unde alse vern als man in
dar to gedvingen mach von gerichtes halven, — die, deme
it dar gelovet is, oder die it mit ime gelovede, of he it
vor ine vergulden hevet?).
HOMEYER meint, der Sinn sei wohl: „jeder kann auf das
Ganze belangt werden, befreit durch seine Zahlung die übrigen
und kann sie pro rata in Anspruch nehmen“ ‘). Soviel vermag
ich allerdings nicht herauszulesen, sondern nur:. der einzelne
Gesamthänder ist verpflichtet nur für seinen Anteil; dafür kann
1) SEYBERTZ, a. à. O., S. 388 Anmm. 414, 416, 420 u.s. w. ÎILGEN, Deutsche
Städtechroniken, Bd. XXIV, S. CXLH.
2) GÜSCHEN, Die Goslarischen Statuten (Berlin 1840), S. 75, Z. 35 ff.
Dazu S. VI.
3) HOMEYER, Sachsenspiegel, Landrecht, 3. Aufl. S. 382 f.
4) S. 383 Anm.
Vicrteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte, IV. 39
584 F. Keutgen
er in Anspruch genommen werden sowohl von dem, dem erge-
lobt hat, wie von einem, der mit ihm gelobt hat, falls dieser
seinen Anteil für ihn mitbezahlt hat.
Daß jeder „auf das Ganze belangt werden“ kann, wird aux
drücklich abgelehnt. Jedoch, wenn etwa einer der Gesamthänder
zunächst die ganze Schuld berichtet hat — ohne Dazwischer-
kunft des Gerichts —, und dann einer seiner Mitgesamthänder
sich weigert, für seinen Anteil aufzukommen, so kann der, der
bezahlt hat, ihn gerichtlich dazu zwingen, —- ebensogut wie der
Gläubiger aller es konnte, solange noch nichts bezahlt war.
Die anscheinend römisch-rechtlich beeinflußte Glosse erklärt
nach HoMEXYER, Kaiser Otto der Rote, dem sie die Satzung zu-
schreibt, habe damit „den Mittelweg zwischen der Haftung aller
in solidum und pro rata“ eingeschlagen: diese Ansicht ist, wenn
auch ohne Belang, doch nicht uninteressant.
Das Komplement bringt im Sachsenspiegel der folgende $ 2:
Geloven ok vele lüde enem manne ene scult to geldene,
unde untvan dat gelovede mer lüde: svar man ieneme
lestet, deme man gelden sal, oder mit sinen minnen maket,
dar hevet man in allen gelest, den man’t geloved hadde.
Allerdings ist da nur einer wirklicher Gläubiger, die übrigen.
die das Gelübde empfangen, erscheinen mehr in der Eigenschat
von Zeugen: allein es wird doch mit der Möglichkeit gerechnet,
daß sie alle Ansprüche auf Zahlung der Schuld erheben, und
die einem, dem eigentlichen Gläubiger, geleistete Zahlung wird
als ihnen allen geleistet aufgefaßt. Als überflüssig erscheint, da
auch hierbei die Schuldner in der Mehrzahl auftreten. —
Wie verhält sich nun zu dieser Theorie der systematischen
Rechtsquellen die Praxis des Handels?
Wie fand sie Anwendung auf die Handelsgesellschaften?
Solehe in einer Gesamthand verbundene Leute sind ja nnd
lange keine Handelsgesellschaft. Das scheint ADLER überzehen
zu haben, wenn er, unter fälschlicher Berufung auf Schar, ii
jenem Satz der Soester Schra bereits „echte Solidarhaft der
Gesellschaft“ erkennen will’): ScHMiIDT hingegen findet da mit
1) A. a. 0. $. 63,
- a bike mûre Annan. mn
Hansische Handelsgesellschaften. 585
recht nur „prinzipale solidare Haftung aller durch die gesamte
Hand verbundenen Personen“ ').
Die unmittelbare Anwendung der Lehre jener Rechtsquellen
des 14. Jahrhunderts auf die Handlungsgesellschaft würde ja die
sein: |
Wenn die Gesellschafter zu gesamter Hand eine Verpflichtung
eingegangen sind, kann jeder von ihnen gerichtlich gezwungen
werden, die ganze Schuld abzutragen: — jeder, also der, dessen
man habhaft werden konnte, also im Auslande der, der dort das
Interesse der Gesellschaft vertrat.
Umgekehrt hatte jeder Gesellschafter, also wiederum ins-
besondere der auswärts tätige, Recht und Macht, eine Forderung
an die Gesellschaft einzukassieren oder einzuklagen.
In solchem Falle würde man gewiß — wenn man die Soli-
darität zum Kriterium macht — bereits von offener Gesellschaft
sprechen müssen.
Allein jener Fall hat ja zur Voraussetzung, daß die Verpflich-
tungen zu gesamter Hand eingegangen sind. Das aber wird im
auswärtigen Handel unter den Verhältnissen, die da in Frage
kommen, sich kaum je ermöglichen lassen, da eben auswärts
regelmäßig nur einer für die Gesellschaft auftritt.
Zum springenden Punkt wird daher: ob man bereits zuließ,
daß ein einzelner die gesamte Gesellschaft verpflichtete, und ob
der einzelne Handelnde Schulden einfordern konnte, die nicht
ihm, sondern seinem Teilhaber oder Chef gegenüber eingegangen
waren.
Besondere Schwierigkeiten standen also im Handel der An-
wendung jener Grundsätze über die Solidarhaft entgegen.
Besondere Erleichterungen in ihrer Anwendung waren aber
gerade für den Handel dringendstes Bedürfnis.
Wie hat sich da die Praxis geholfen? Und wie das Recht
sich dazu gestellt?
Endlich: ließ die Gesellschaft in geschlossener Gesamtheit
sich darstellen durch einen einzelnen?
1) À. a. 0. S. 67 f.
586 F. Keutgen
VIII.
Die Vertretung.
Eine Antwort, die uns vollständig befriedigen könnte, geben
die Lübecker und Hamburger Statuten. Allein wir lassen uns,
wie bisher, nicht an ihr genügen, sondern suchen uns zunächst
zu unterrichten über den kaufmännischen Gebrauch, in der Über-
zeugung, daß schließlich auch das Recht gefolgt sein, daß es —
wenigstens hier in unsern Hansestädten, wo nicht die Vertreter
unverständiger Volkskreise bestimmten — auf die Dauer sich
der Gutheißung dessen nicht wird haben entziehen können, was
sich im Verkehr durchgesetzt und bewährt hatte.
Um es kurz zu sagen: die Notwendigkeiten des kauf-
männischen Verkehrs postulieren die volle gegen-
seitigeHaftungaller Teilhaber, wenn auch unbeschadet derZu-
lässigkeit vertragsmäßiger Beschränkung als einer Sache a posteriori.
Der Handel, daran kann kein Zweifel sein, war schon in weitesten
Umfange auf Kredit begründet: nur zu erinnern ist an
den verbreiteten Wechselverkehr. Der Kreditanspruch des Kanf-
ınanns, der Wunsch, dauernd als ein Mitglied der Handelswelt
bekannt zu sein, mit dem man auf Treu und Glauben verkehren
könne, machte es unmöglich, sich den von seinem Teil-
haber eingegangenen Verpflichtungen zu entziehen.
Hier zunächst nur ein Beispiel, aber ein schlagendes und eins,
das uns höchst modern anmutet, dafür, wieviel selbst in be
scheideneren Kreisen der persönliche Kredit bereits zu bedeuten
hatte: der höchst ehrerbietige Brief des Lüneburger Bürger
Konrad Zeghehard an Ratsherrn Joh. Wittenborg:
Amicabili et condigna salutacione premissa. Reverende
domine, domine Johannes Wittenborch, amice my dilecte.
lautet die Anrede.
Der Schreiber erklärt sich notfalls einverstanden mit den
Zahlungsbedingungen, die der Ratsherr ihm auferlegen wird:
Sed mihi videtur, quod mei [?] statns tam firmu*
habeatur, quod non sit necesse vobis fideiussores ponendo:
„der Ruf meines seit langem wohlbekannten Hauses“ !).
1) Abgedruckt MorLLwo, S. 66.
Hansische Handelsgesellschaften. 587
Die gegenteilige Lehre, wonach der tractator, der auswärts
Handelnde, nur sich persönlich verpflichtet hätte, setzt primi-
tive Zustände voraus, die möglicherweise im 12. Jahrhundert am
Mittelmeer, zumal zwischen Angehörigen verschiedener Religionen
und verschiedener Kulturkreise, bestanden haben mögen — dar-
über steht mir kein Urteil zu —, die aber in der hansischen
Handelswelt des 14. Jahrhunderts längst überwunden waren !).
Eine andere Frage ist nur, was geschah im Falle der Insol-
venz: ob der Kaufmann, der auf Kredit ohnehin keinen Anspruch
mehr erhob, in seiner Absicht, Gesellschaftsverpflichtungen zurück-
zuweisen, anfangs noch in einem veralteten Rechtszustand Zu-
flucht fand? Auf lange sicher auch das nicht. —
Zum Glück besitzen wir ein Material, das es uns erspart, so-
æleich die spröden Verhältnisse des Überseehandels heranzuziehen.
Geldersens Handlungsbuch bietet es uns in seinen zahlreichen
Eintragungen, die Geschäfte mit Kaufleuten der Nachbarstädte
Hamburgs betreffen, Kaufleuten aus Lüneburg, Lübeck, Kiel,
Flensburg, Braunschweig, Hannover, Ülzen, Lüchow,
Heiligenhafen oder dem aus Karls des Großen Grenzordnung
bekannten Scheesel. Diese Männer machten ihre Einkäufe
persönlich auf den Hamburger Märkten; Gläubiger und Schuldner
standen in regelmäßiger persönlicher Berührung in einem Maße,
wie es zwischen dem Chef eines Hamburger Exporthauses und
seinen Kunden in Flandern oder England oder in Nowgorod so
nicht der Fall sein konnte. Dennoch ınußte die Trennung des
Wohnsitzes zu Kombinationen führen, die über das beim Orts-
verkehr Gebotene schon beträchtlich hinausgingen.
Wir finden nun, daß ın zahlreichen Fällen, wenn auch keines-
wegs regelmäßig, für die bei Geldersen gemachten Einkäufe
zwei, selten auch mehr Kaufleute gesamthändig haften:
nicht nur Hamburger, sondern gerade auch auswärtige.
Sehen wir ab von den wenigen Fällen, wo die so verbundenen
1) Ganz so schlimm kann es übrigens nach den von SILBERSCHMIDT
Ss. 45 angeführten Beispielen auch im Süden nicht gewesen sein. Ich ver-
stehe wenigstens nicht die Verpflichtung des Tractators, zu handeln „ad
nomen cuius sunt“, wenn damit nicht seine Prinzipale haftbar gemacht
werden sollten.
588 F. Keutgen
Käufer überhaupt Nichtkaufleute waren, sondern etwa holsteinische
Knappen, die sich zusammen wohl ein Stück Tuch anschafften, so
bleibt es doch auch dann, wenn es sich um Kaufleute handelte,
fraglich, ob aus der Gesamthand ohne weiteres auf eine Gesell-
schaft der so verbundenen geschlossen werden darf.
Die gewöhnliche Formel lautet: „A. et B. tenentur copulata
(coniuncta) manu pro“ so viel Stück Tuch, „quos emerunt“ danı,
»Solvendum“ dann. Darauf folgen Vermerke über geschehene
Zahlungen.
Diese Zahlungen erfolgen meistens in mehreren Raten. Diese
werden eingeführt mit „Dedit“, „Item dedit“, selten mit „De-
derunt“. Es scheint dem Gläubiger im allgemeinen nicht darauf
angekommen zu sein, welcher von beiden Schuldnern die Zahlung _
leistete, wenn sie nur überhaupt erfolgte. Daraus könnte mar :
auf eine Gesellschaft der Schuldner mit voller Solidarität schließen -
wollen. Denn wenn die Schuldner nur durch die Gesamthand
verbunden waren, so konnte es für Geldersen nach den «-
geführten Statuten unter Umständen wertvoll sein, aus seinem
Buche nachweisen zu können, von welchem der Schuldner er
eine Teilzahlung empfangen hatte. Bei andauernd zu einer be
sellschaft verbundenen, solidarisch haftenden dagegen mochte e
gleichgültig scheinen.
In anderen Fällen dagegen ist der Name des einen oder
andern Schuldners bei einer oder der andern Rate als der de
Zahlers notiert. Dabei kommt es vor, daß jeder von zwei Schuld
nern genau die Hälfte bezahlt hat, oder aber einer mehr als die
Hälfte, ja das Ganze. Wesentlich ist bei alledem, daß dies
gemeinsamen Schuldner wirklich auch sämtlich Käufer gewesel
sind; denn es konnten ja auch an dem Geschäft gar nicht Be-
teiligte sich mit dem Käufer gesamthänderisch verpflichten.
Dennoch gibt uns das alles keine näheren Anhaltspunkte z®
Schlüssen auf ein gesellschaftliches Band zwischen den Schuldner®:
— auch nicht etwa die halbgeteilten Zahlungen dagegen, wie |
sich noch zeigen wird. Im allgemeinen gewinnt man den Ein’
druck, als ob die Käufer regelmäßig nicht weiter vergesellschafte!
sewesen seien, sondern daß ein paar Gewandschneider, die etw3
_..
aus Kiel oder Lüneburg zum Jahrmarkt in Hamburg eingetroffen
Hansische Handelsgesellschaften. 589
waren, zusammen ihre Einkäufe machten und auf Wunsch Gelder-
sens in jener Form für einander bürgten. Es sind eben kleine
Verhältnisse, wenn auch auf seiten Geldersens in diesen Ge-
schäften regelmäßig nicht solche des Detailhandels: es
werden fast durchweg ganze Stücke Tuch verkauft, aber stets
doch nur einige wenige.
Von ganz anderer Bedeutung ist dagegen, daß häufig die
Zahlungen geschahen durch die Hand eines Dritten,
Vierten, Fünften, die überhaupt nicht dem Gläubiger ver-
pflichtet sind, gar nicht zu den Gesamthändern gehören. Tech-
nisch wird das im Gegensatz zu „dare“ mit „exponere“ (deutsch
„utgheven*) bezeichnet. Es heißt dann: ,Dedit ..., quos ex-
posuit ©. Item dedit..., quos exposuit D“. Es springt in die
Augen, daß diese mit großer Regelmäßigkeit so ausgedrückte
Unterscheidung zwischen Begleichung der Schuld und Hingabe
des Geldes von größter Bedeutung für die Fragen ist, die uns
beschäftigen). Denn es ergibt sich daraus mit aller wünschens-
werten Klarheit, daß man durchaus imstande war, die Ver-
tragserfüllung eines Abwesenden zu trennen von ihrem
In-die-Erscheinung-treten durch einen von ihm Be-
auftragten.
Es handelt sich jedoch hierbei nicht etwa um Anweisung der
Forderung auf Dritte: das kommt auch vor und wird mit „monstrare,
demonstrare, exhibere, bewisen“ ausgedrückt. Z. B. Nr. 114:
Item monstravit mihi ad Crystianum de Heyda in foro
beati Feliciani [einem der Jahrmärkte] 15 $, quos persolvet
in nativitate Christi.
Das war also eine Sache für sich.
Den Grund zu jenem Verfahren aber, das sich zwar auch im
Verkehr mit ortsansässigen Schuldnern findet, wird man darin zu
suchen haben, daß dem auswärtigen Schuldner am Verfalltag
(oder meist vielmehr zu der Zeit, wo er über Geld verfügte) die
Reise nicht gelegen war und er deshalb einen Dritten mit der
Zahlung beauftragte.
1) Ausnahmsweise kommt ungenau vor: „dedit X, quos dedit Y*. —
Die Belege sind so zahlreich zu finden, daß es sich nicht lohnt, sie einzeln
zu zitieren.
538 Ottomar Thiele
standen Fronen bloß noch in einzelnen Provinzen!) und selbst da
wurden sie in der Regel nur gegen Entschädigung verlangt, was
übrigens auch in manchen Gegenden auf den Champart zutraf:
Viele Bauern waren in Wirklichkeit freie Grundeigentümer.
Während also, wie wir gezeigt haben, die Wirtschaften der
Bauern, Metayers und Pächter überall an einem, durch die
verschiedensten Ursachen hervorgerufenen und genährten Mangel
an wirtschaftlicher Bewegungsfreiheit, vor allem aber an Kapr
talien zu leiden hatten und daher in der Regel außer stand
waren, den vollen Ertrag ihrer Güter zu erzielen, geschweige
ihn denn zu steigern, war es mit denen des niederen Adek
welcher vielfach der Landwirtschaft treu geblieben, in dieser
Hinsicht nicht besser bestellt. Seine Lage war infolge der teuren
Zeiten und hohen Lebensanforderungen, die seine soziale Stellung
von ihm beanspruchte, allmählich immer unsicherer geworden,
und nicht selten hatte er mit der Armut bitter zu kämpfen.
„Trotz seiner Privilegien“, schrieb um 1750 voll Trauer en
französischer Landedelmann ?), „richtet sich der Adel tagtäglich
immer mehr zugrunde und der ,,tiers état‘ bemächtigt sich des
Vermögens des Landes.“
In der Tat, der „dritte Stand“, und zwar in erster Linie die
in den Städten wohnende Handel und Gewerbe treibende Bürger-
schaft, die Privatiers, Unternehmer etc., hatten sich allmählich des
Vermögens des Landes bemächtigt und waren, was noch mehr
ins Gewicht fiel, die Gläubiger ihres an dauernder Finansnot
leidenden Staates geworden, dessen Anleihen sich fast aus
schließlich in ihren Händen befanden‘) Ihre Kapitalskraft,
welche die Mittel zum Erwerbe bot, hatte die verarmte Land-
bevülkerung zu großem Teil in die Städte getrieben: „Dens
1) Schon im 16. Jahrhundert durften die gutsherrlichen Fronen nicht
länger als 12 Tage im Jahre dauern und in manchen Gegenden (Lyon z. B.)
nicht mehr als fünf. Später wurden sie immer mehr reduziert. (Darüber
A. BABEAU, Le village, a. a. O. p. 175 und La vie rurale, a. a. O. p. 195)
2) A. DE TOCQUEVILLE, a. a. O. p. 139.
3) Dieses Mißverhältnis von wirtschaftlicher Macht und politischer Ohn-
macht des dritten Standes war eines seiner hauptsächlichsten Agitationsmittel
gegen den Absolutismus.
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 539
das Wachstum der Bevölkerung“, sagt Quesnay!), „hängt ganz
und gar von der Zunahme der Vermögensmassen, deren An-
wendung und der Beschäftigung der Menschen ab. Diese finden
sich überall dort zusammen und vermehren sich da, wo sie
Reichtümer erwerben können.“
Zweifellos lag im Zurückfließen der Kapitalien aus der land-
wirtschaftlichen Produktion, welche durch die einseitige Wirt-
schaftspolitik der Regierung in eine gefährliche Krisis?) geraten
war, der wichtigste Grund, welcher die rapide Abnahme der
ländlichen Bevölkerung und die Flucht in die Städte bedingte.
Am meisten hatten, wie bemerkt, die mittleren Güter darunter
zu leiden. Von den kapitalskräftigen Großpächtern und Unter-
nehmergesellschaften aufgesogen oder zerstückelt, geschah es,
daß von den Ortschaften vieler Gemeinden, wo einst 5 oder 6
Pächter erster Klasse, d. h. mit einem Areal zu 5—7 Gespannen,
und vielleicht 8 oder 10 zweiter Klasse zu 2—3 Gespannen vor-
handen gewesen waren, sich insgesamt nur noch deren 3 befan-
den, welche durch Arrondierung der Äcker und Wirtschaften, vor
allem aber durch Aufgeben der geringeren Böden, naturgemäß
weniger Familien Unterhalt gewähren konnten, als es unter den
früheren Verhältnissen möglich gewesen war. Und in der Tat
vermochten sich in solchen Gemeinden, wo einst 15—20 Familien
vom Ackerbau gelebt hatten, vielfach höchstens 5 bis 6 zu be-
haupten. Die mittleren Pächter und Besitzer waren zu großem
Teile in die Städte übergesiedelt und hatten sich anderen und
einträglicheren Beschäftigungen zugewandt. Diejenigen, welche
ihrem alten Berufe treu geblieben, waren infolge der schlechten
Zeiten so mitgenommen worden, daß sie vielfach nicht mehr in
der Lage waren, die Wirtschaft ihren Kindern zu übergeben,
1) Artk. „Hommes“.
2) Es ist außerordentlich interessant, zu beobachten, wie sehr die Wir-
kungen der damaligen (abgesehen von der „Bauernfrage“) und der modernen
Agrarkrisis in Frankreich trotz ihrer verschiedenen Ursachen, dort verkehrte
Wirtschaftspolitik, hier die vernichtende Konkurrenz des billiger produzieren-
den Auslandes, auf die Bevölkerung einander ähneln. (Man vgl. über die
heutige, allerdings schon im Abnehmen begriffenen Agrarkrisis das sehr
lesenswerte Buch von JULES MÉLINE, Le retour à la terre et la surproduc-
tion industrielle, Paris, 1906; 4. Aufl. p. 99 ff.)
540 Ottomar Thiele
so daß diese oft gezwungen wurden, in den Städten, wo bessere
Erwerbsverhältnisse herrschten, eine Existenz zu suchen. Das
taten sie um so lieber, als hier die Annehmlichkeiten des
Stadtlebens winkten, welche ihnen bald die Erinnerung an ihre
öde und verarmte Heimat vergessen ließen. Sie ergriffen einer
gewerblichen Beruf oder wurden Beamte, welch letzteres ihnen
infolge des enormen Bedarfes jener Zeit an Subalternen, an Zoll
und Steuereinnehmern, Wächtern, Kontrolleuren, an Angestellten
der vielen staatlichen und privaten Großunternehmen etc. nicht
allzu beschwerlich fiel. In solchen Fällen kamen sie zwar häufg
wieder auf das Land zurück — denn die Verwaltung, resp. Er-
hebung der vielen Verbrauchssteuern, Binnenzölle etc. hatte zahl-
reiche Beamtenstellen in den Dörfern und Marktflecken ge
schaffen — allein, lediglich in der Eigenschaft unproduktiver
Zehrer, die dem betriebsamen Teil der Bevölkerung die an und
für sich schon knappen Lebensmittel noch mehr schmälerten.
Die unter den kleinbäuerlichen Bewohnern herrschenden Er
werbsverhältnisse begünstigten die Landflucht noch in stärkeren
Maße, denn diese Wirtschaften vermochten schon aus natürlichen
Gründen nicht allen Mitgliedern der Familie Unterhalt zu bieten.
Die Söhne der kleinen Pächter, Metayers und Bauern, mußten
sich gewöhnlich anderwärts nach Arbeit umsehen. Konnten sie diese
bei den reicheren Bauern oder Pächtern ihrer Heimat nicht fn-
den, was bei der Güterkonzentration nicht selten der Fall war,
so wurden sie von selbst in die Städte getrieben, um hier
als Lakaien, Bediente, Läufer, Kutscher u. s. w. Unterkunft za
suchen. Elend der wirtschaftlichen Lage und Mangel an aus
kömmlicher Beschäftigung wirkten also zusammen.
Noch vermehrt wurde die Bevölkerungsabnahme auf dem
Lande durch den seit 1689 von Louvois allgemein eingeführten
Service forcé, die „Miliz“ genannt‘). Sie war in der Haapt
1) Ursprünglich verlangte man Militärdienste nur ganz ausnahmsweise.
Es gab beispielsweise levées obligatoires en masse unter Ludwig XIII. im
Jahre 1636, als die Spanier Corbie erobert hatten und Paris bedrohten. Im
spanischen Erbfolgekriege kamen dann die Zwangsrekrutierungen (recrute
ments forcés) auf; doch hob man damals vorzugsweise Landstreicher und
Arbeitslose aus, daneben allerdings auch Unverheiratete im Alter von 18 ke
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 541
he eine Art von lokaler Reserve für die regulären Truppen,
che sich aus angeworbenen Freiwilligen rekrutierten. Obwohl
ı die Zahl der Miliz im Durchschnitt auf rund 60000 Mann
ef, in Kriegszeiten sogar auf 90000, so hatte sie doch
nals eine ernstliche Rolle gespielt. Dennoch war die Furcht,
ı Milizdienst durch das Los ausgehoben zu werden, unter
Landbevölkerung allgemein verbreitet und gab zu wiederholten
ıdgebungen Anlaß, die bis in die letzten Jahre der absoluten
ıarchie gewährt haben. Um sich dem Militärdienste zu ent-
ıen, verließen viele Bauern ihre Dörfer!) und siedelten in
Städte über, wo sie verhältnismäßig gesichert waren, da das
ıd den größten Teil, etwa zwei Drittel des gesamten Kon-
sentes, aufzubringen hatte. Quesnay berechnet”), daß die
cht vor dem Militärdienst und dieser selbst der Landwirt-
aft einen Verlust von nahezu 2 Millionen Arbeitskräften inner-
b von 30 Jahren (seit 1720) zugezogen hatte. Die Miliz loste
jedem Zeitraume von 6 Jahren 40000 Mann, d. h. jährlich
‘efähr 7000 Mann auf dem Lande aus, was etwa einem Achtel
Zahl von denjenigen jungen Leuten der bäuerlichen Be-
zerung entsprach, welche das 17. Lebensjahr vollendeten.
* Dienstpflichtige empfing von seiner Gemeinde, die ihn außer-
ı noch zum Teil unterhalten mußte (s. oben!), eine einmalige
schädigung von 150, später 100 livres. beim Antritt seiner
nstzeit, genoß während derselben Steuergrleichterung und
h seiner Entlassung Befreiung von der „taille“ auf die Dauer
as Jahres). Für die Landwirtschaft war natürlich diese
nahme von jungen Arbeitskräften ein empfindlicher Verlust,
sie noch weit härter traf, als viele Milizsoldaten während
ziemlich langen Dauer ihrer Dienstzeit den Geschmack an
r früheren, beschwerlichen ländlichen Beschäftigung verloren
Jahren. (Darüber A. BABEAU, La vie militaire sous l’ancien régime, 1889.
.p- 33 ff.)
1) So verließen im Jahre 1729 beispielsweise nicht weniger als 20 Bauern
Furcht vor dem Milizdienste ihr Dorf, das nur 2 Rekruten zu stellen hatte.
2) Artk. „Hommes“. QuEsnAyY befürwortet hier die Einführung einer
ice permanente“, die aus ständigen Mannschaften gebildet werden solle.
8) A. BABEAU, Le village, a. a. O. p. 264.
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 86
536 Ottomar Thiele
möglich für ihre Ware, resp. Arbeiten, zu bezahlen pflegte, mußte
sie für diesen Ausfall auf andere Weise zu entschädigen suchen:
Er erwirkte nach und nach für die Salpêtriers die ausgedehntesten
Privilegien, kraft deren sie beispielsweise von den Gemeinden
freie Wohnung und Siederei, freie Stallung und Fütterung für
ihr Gespann, freies Brennholz, freie Fuhren, unentgeltliche Ent-
nahme von Salpetererde und Holzasche (zur Umwandlung des
kalkhaltigen Salpeterausschlages in Kalisalpeter) zu verlangen
hatten. Würde man die damaligen Leistungen der Gemeinden
in Geld umrechnen, so kostete das Pfund Salpeter, welches der
Generalpächter den ,Salpêtriers“ mit 7 Sous bezahlte, den fran-
zösischen Staat ungefähr das Sechsfache, was bei einem Ver-
brauch von 2—3!/s Millionen Pfund im Jahr, eine recht erheb-
liche Belastung war. Zudem wußten die Salpetersieder ihre
bevorzugte Stellung zu allerlei Mißbräuchen, Bedrückungen und
Erpressungen auszunützen. Sie erschienen ohne vorherige Be-
nachrichtigung in den Bauernhöfen, oft zur Zeit der Ernte oder
Bestellung, und begannen nun in den Wohnungen, Ställen.
Scheunen u. 8. w. nach Salpetererde zu graben, rissen die Fuf-
böden auf, kratzten den Beschlag von den Wänden, unterwüblten
die Grundmauern in den Kellern und pflegten dabei ihre Auf-
merksamkeit insbesondere den ihnen unliebsamen bäuerlichen
Wirtschaften zu widmen, die sie dann oft monatelang mit ihren
Arbeiten belästigten. Kurz, die Salpetersieder galten allgemein
als die wahren Geißeln auf dem platten Lande.
Die anderen Dienstleistungen, welche die Gemeinden, resp.
die bäuerliche Bevölkerung, für den Staat auszuführen hatten,
bestanden in Fuhren zur Beförderung der Truppen, Munitions
und Proviantmitteln etc., und außerdem in den seit den dreißiger
Jahren allgemein eingeführten Wegebaufronen ?) (corvées), welche
zur Anlegung und Instandhaltung jener bereits oben erwähnten
prächtigen Heerstraßen verlangt wurden. An diesen Hand- und
sie auf 800 begrenzt werden mußte. Über die Privilegien vgl. meine „Sa-
peterwirtschaft“, a. a. 0.5. 83 ff. u. S. 224.
1) Sie kamen um 1700 in einzelnen Provinzen in Aufnahme und wurden
dann 1737- vom Contrôleur General verallgemeinert. (A. BABEAT, Le village.
a. a. 0. p. 230 ff.)
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 537
Spannfronen mußten sich alle Einwohner der in Frage kommen-
den Gemeinden im Alter von 12—60 Jahren beteiligen, widrigen-
falls sie schwere Bestrafungen zu erwarten hatten. Auch durfte
sich niemand vertreten lassen oder gar davon loskaufen. Anfang
und Dauer der Arbeiten war unbestimmt und wurde in jedem
Falle von den einzelnen Intendanten willkürlich, d. h. je nach
Bedarf und oft ohne Rücksicht auf die Feldarbeiten, festgesetzt.
Dazu kamen die kirchlichen Abgaben, und obwohl, wie
VAUBAN und CONDORCET bestätigen, der Zehnte (Dime) niemals-
sehr drückend gewesen zu sein scheint, so wurde diese Steuer
doch vielfach durch Zwangsbeiträge zur Instandhaltung der Kirche
und durch eine ,retribution“ an den Ortsgeistlichen beträchtlich.
erhöht. Weit stärker belasteten dagegen die bäuerliche Bevöl-
kerung die Abgaben an den Seigneur. In Frankreich waren:
zwar zu jener Zeit nur noch die Reste der grundherrlichen Ge-
walt vorhanden, aber diese fanden sich in den verschiedensten
Formen vor; vom Ehrenvasallen (vief d’honneur, der nur die
nominelle Verpflichtung der „Treue und Huldigung“ hatte) bis.
zum wirklichen Leibeigenen (serf, von denen es beim Einbruch:
der Revolution noch über eine Million gegeben haben soll).
Dem entsprach die Höhe der Abgabe, des ,Champart“. Am
leichtesten als Champart foncier, den mancher Vasall als eine
Art Grundrente zu bezahlen hatte, gestaltete er sich als Champart
seigneurial am drückendsten (im Lyonnais und Beaujolais z. B.
betrug er ‘/4—1/; der (Getreide-)Ernte, in der Dauphiné dagegen
nur !/»), und hier kehrte sich der ganze Haß der Bauern gegen
ihn. Dazu kam noch, daß die Seigneurs den Grundsatz „nulle
terre sans seigneur“, welcher ursprünglich nur auf die grund-
herrliche Gerichtsbarkeit (die noch bis zur Revolution allgemein
bestand) Anwendung gefunden hatte, seit dem 16. Jahrhundert
auch auf andere feudale Rechte übernahmen, und daß sie z. B.
in diesem Sinne vielfach die ziemlich bedeutenden Allmenden
(an Wald, Wiese und Feld) der Gemeinden für sich beanspruchten,
um sie den Bauern wieder als eine Art von Geschenk oder Konzession
unter Vorbehalt gewisser Rechte zu überlassen‘). Indessen be-
paysanne en France dans le dernier quart du 18° sci, 1899, p. 19—76.
544 Ottomar Thiele
Volk durch die Not zur äußersten Anstrengung seiner Kräfte
zwang, wurde sie nicht gewahr, daß auf diese Weise der Ertrag
der Arbeit infolge wachsenden Kapitalsmangels und ständiger
Bodenerschöpfung innerhalb einer nach außen geschlossenen
Staatswirtschaft immer geringer werden mußte, und daß somit
die schlimmste Ausbeutung von Menschen und Boden betrieben,
mit anderen Worten, der Nationalreichtum des Landes statt ver-
mehrt, vernichtet wurde‘).
Dieses geringe Verständnis für die großen Agrarfragen der
Zeit, welches bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts nicht nur in
den hierbei zu allererst in Betracht kommenden Kreisen der
Regierung, sondern ganz allgemein unter den Gebildeten herrschte,
war damals, wo vornehmlich gesellschaftlicher Luxus und philo-
sophische Schöngeisterei die leitenden Klassen zu interessieren
schien, nicht wunder zu nehmen. Die Landwirtschaft war zu
wenig vornehm und stand zu weit von jener übertriebenen Kultur
entfernt, als daß man sich um sie hätte bekümmern müssen;
sie betraf höchstens die „abseits von aller Bildung lebenden*
Pächter und Bauern, von denen man nur in den Zeiten der
Zinszahlungen wahrnahm. Dazu kam, daß die Regierung ihr
Augenmerk ganz auf das Manufakturwesen und den Handel der
teuren Luxuswaren gerichtet hatte, die im Inlande produziert,
durch Verkauf an das Ausland Gold und Silber, den vermeint-
lichen Nationalreichtum, ins Land bringen sollten. Sie schien
die weisen Worte des berühmten Ministers Heinrichs IV., Sullys,
dem sie einen großen Teil ihrer Macht und Frankreich seinen
wirtschaftlichen und politischen Aufschwung schuldete, völlig
vergessen zu haben, daß, wenn der Bauer reich ist, auch alles.
mit ihm zugleich reich wird”).
1) QUESXAY, Artk. „Hommes“; vgl. auch ST. BAUER, &. 8.0. S. 194
2) Sully wollte die wirtschaftliche Macht des Staates auf eine blühende
Landwirtschaft und auf ein geordnetes und sparsames Finanzwesen gründen,
obwohl er gerade in letzterer Hinsicht beim Könige auf großen Widerstand
stieß. Sein obiger Ausspruch scheint für den QUESNAY’schen vorbildlich ge
wesen zu sein: Pauvre paysan, pauvre royaume; pauvre royaume, pauvre roi
Überhaupt lehnt sich QUESNAY mehr an Sully an, als man bei seiner sonstigen
Originalität vermuten könnte. In seiner Abhandlung „Maximes générales de
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 545
Erst den Physiokraten gebührt das hohe Verdienst, ein all-
emeineres agrarpolitisches Interesse nicht nur bei der Regie-
ung, sondern auch in den höheren Kreisen der Gesellschaft
rieder erweckt zu haben’). Besonders war es Quesnay, welcher,
ank seiner nahen Beziehungen zu den einflußreichsten Persön-
ichkeiten des Staates, in Wort und Schrift für die physio-
ratischen Gedanken und die Hebung der Landwirtschaft erfolg-
eich eintrat. Es ist für sein eifriges Bemühen um die Land-
rirtschaft bezeichnend genug, wenn er in einer seiner Schriften ?)
usdrücklich betont: „Unter allen Mitteln der Gütergewinnung
ibt es kein besseres, reichlicheres, angenehmeres und des freien
fannes würdigeres, als die Landwirtschaft... Was mich an-
etrifft, so kenne ich keinen glücklicheren Lebenslauf als diesen,
nd zwar nicht bloß seiner Nützlichkeit wegen, die dem ganzen
fenschengeschlechte die Subsistenzmittel verschafft, sondern mehr
‚och wegen des Vergnügens und des Überflusses, den er be-
eitet; denn der Ackerbau bringt alles hervor, was das mensch-
iche Leben und der göttliche Kult wünschen kann.“ Gesteigert
rurden seine edlen Bestrebungen noch von dem Mitgefühl für
lie traurige Lage der bäuerlichen Bevölkerung. „Auch er lernte
las schreckliche Elend der Bauern kennen“, sagt Graf d’Albon
‘on ihm, „und dieser Anblick hat auf ihn ebenso stark gewirkt,
vie auf Rousseau“. Der Physiokratismus ist gewissermaßen von
ler Bauernfrage geboren worden’).
Die agrarpolitische Agitation der Physiokraten setzte in den
ünfziger Jahren mit aller Stärke ein“), und damit begannen
ouvernement économique d’un royaume agricole“ (Oeuvres, a. a. O.), geht er
. B. auf Sullys „Economies royales“ zurück.
1) Der Schöngeisterei eines witzigen Kopfes, wie VOLTAIRE, mochte natür-
ich diese neue Strömung nicht behagen. Seine über den Physiokratismus
pöttelnde Abhandlung, „L’homme aux quarante écus“, ist nur ein Ausbruch
ieser Gefühle.
2) In einer Anmerkung der Maximes générales, a. a. O.
5) N. KARÉIEW, a. a. 0. p. 274.
4) Die beiden Hauptagitationsartikel QUESNAYS über „Getreide* und
Pächter“ erschienen Ende der fünfziger Jahre und machten großen Ein-
ruck. Sein Freund und Schüler GouRNAY unterstützte ihn in seinen
jemühungen aufs tatkräftigste.
598 F. Keutgen
koften to borge van Henneken Maken sime kumpane Kort
Westvales. |
Im N.St.B. 56 ist der Chef Maken allein als Gläubiger ein-
getragen, während nach dem Handlungsbuch sein „kumpan“
Westvales als Verkäufer erscheint ').
Dasselbe besagen ein paar andere Fälle, die SILBERSCHMIDT
jedoch ebenfalls für sich verwenden will.
Hermann Wittenborg notiert in seinem Handlungsbach
(I. 5l):
Notum sit, quod Michel famul[us] Johanni[s] de Dulmen
tenetur mihi 13 m. d. ex parte Johanni[s] de Dulmen.
Warum sollte der Gläubiger wohl diese Form der Buchung
gewählt haben, wenn Michel das Geschäft wirklich im eigenen
Namen abgeschlossen hatte? Offenbar ist hier doch das Haus
Dulmen für Wittenborg sehr deutlich evident geworden.
Und endlich, warum soll wohl der jüngere Tölner in seinen
Geschäftsbuch zweimal eingetragen haben:
pater meus [tenetur michi] ex societate eorum (Nr. 122
und 812),
wenn er wirklich nur mit seinem Vater und nicht mit dessen
Gesellschaft zu tun hatte?
Der junge Tölner war früher selbst Mitglied jener Gesellschaft
gewesen; er hatte noch Forderungen an sie, die ohne ihn weiter
bestand und in Rostock durch seinen Vater vertreten wurde.
(tewiß, die Formen des Gesellschaftswesens sind noch nicht ®
ausgebildet und gefestigt, als daß ganz selbstverständlich der
junge Tölner gebucht hätte:
societas patris mei tenetur mihi.
Aber die Sache war dieselbe. Oder will man behaupten,
wenn der alte Tölner gestorben wäre, ohne persönlich etwas 21
hinterlassen, daß dann die Forderung des jungen hätte ausfallen
müssen? Die Form der Buchung widerspricht dem, und der Ur
sprung der Forderung macht es unmöglich *). —
1) Vgl. noch unten S. 622 Anm. 1.
2) Vgl. auch noch den Zahlungsvermerk der Gesellschaft $ 181: „Her
nekino Tolner 362 }, quas in nostra societate habuit“.
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 547
entgeltlich verteilen‘), In Rambouillet nahm sie Kreuzungs-
versuche mit spanischen Merinos und französischen Schafen vor,
die vorzüglich ausfielen und nach und nach ein so vortreffliches
und reichliches Zuchtmaterial lieferten, daß gegen Ende des
18. Jahrhunderts die Textilmanufakturen ihren Bedarf an feiner
Rohwolle im Inlande decken konnten.
Auf ähnlichen merkantilistischen Erwägungen beruhte die He-
bung resp. Einführung der Seidenkultur und des Krappbaues in
Frankreich. Die großen Seidenmanufakturen in Lyon pflegten da-
mals ihr sehr beträchtliches, jährliches Bedarfsquantum ?) aus
Indien, Spanien und Portugal, zum größten Teile aber aus
den italienischen Provinzen Piemont, Modena, Turin, Mailand,
Genua und Parma .zu beziehen, wo die Zucht der Seidenraupe
außerordentlich blühte. Zwar hatte der Seidenbau in Frankreich
schon um 1600 seinen Anfang genommen; allein er war im
Laufe der Zeit immer mehr, bis schließlich zur Bedeutungslosig-
keit herabgesunken?). Da man nun glaubte, daß Klima und
Boden verschiedener französischer Provinzen, wie die Languedoc,
Provence, Dauphiné, Gascogne etc., denselben ökonomischen
Vorteil wie jene italienischen Provinzen zu bieten vermochten,
so beschloß man, die Zucht der Seidenraupe wieder aufzunehmen
und die nötigen Maulbeerbäume (mûriers blancs) anzupflanzen.
Im Jahr 1732 wurden in den königlichen Baumschulen (pepinières)
der Dauphiné nicht weniger als 340000 Stück weißer Maulbeer-
bäume gezogen, von denen man über 200000 an die Interes-
1) So wurden 1768 nicht weniger als 1000 Stück Merinos angekauft und
7 Intendanten zur Verteilung übergeben. Am meisten bemühte man sich
um die Hebung der Schafzucht in Burgund, wo sich die Verhältnisse am
besten dazu eigneten.
2) Die lyonnaiser Manufakturen verarbeiteten damals mehr als 2 Mil-
lionen Pfund Rohseide im Jahre, was bei einem durchschnittlichen Preise
von 15 liv. pro Pfund einen jährlichen Verlust von 8040 Millionen liv.
an das Ausland bedeutete.
3) Im Jahre 1668 gestattete ein Reglement die Wiedereinführung der
Seidenkultur in den Rhöne- und Loiregegenden. Die Versuche blieben aber
ohne Erfolg, vermutlich, weil man den gewöhnlichen Maulbeerbaum dazu
benutzte. Der später verwendete Mürier blanc eignete sich für die fran-
zösischen Verhältnisse weit besser.
600 F. Keutgen
daß der Herr des Verkäufers den Handel widerruft. Wenn
diese für uns so außerordentlich wichtige Bestimmung der
lauer Abschrift in den heimischen Lübecker Codices fehl
wird sich das dadurch erklären, daß sie keinen eigentl
Rechtssatz enthält. Sie findet sich indes noch in einem
im Auftrag Alexanders von Polen hergestellten Druck !).
Die Ergänzung für den Einkauf aber liefert wiederum
Hamburger Recht 1270°):
$ 369. En knecht ... enmak ok nen gud up ene [—:
heren] kopen, de here engheef syne breve darup, sow:
coft, dat he dat gelde.
Das ist also der Fall des Lodeke Wisch und der des
beke’?).
Oder in andern Codices:
Ok mach nen knecht kopen binnen edder buten la
up sinen heren sunder sines heren willen effte breve.
he dar baven dat mut he sulven betalen.
Also auch da: soweit der Knecht mit Vollmacht seines H
kauft, haftet dieser: wie in dem Fall des Schermbeke ‘).
Verkäufer aber findet seine Sicherheit in der schriftlichen |
macht, die der Herr dem Knecht ausgestellt hat.
Die ganze Sache verhält sich mithin genau umgekehrt,
SILBERSCHMIDT und andere sie sich vorgestellt hatten: sie
hält sich so, wie es bei einem geregelten Handelsverkehr a
möglich war.
Und das alles wird mittelbar weiter bestätigt durch eine
ordnung für den deutschen Kaufmann in London,
nach jeder Neuankömmling, der
des rechten begerende is,
unter anderem gefragt werden soll,
ofte he gemedet knecht sy des mannes, deswelken he
1) Hacın, a. a. O., unter Chiffre P.
2) Hacn, S. 527.
3) Oben S. 696.
4) Oben S. 597.
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 549
‘widmen wollten, unentgeltlich verabreicht, was denn auch den
gewünschten Erfolg brachte: Die Garancekultur entwickelte sich
bald in einzelnen Teilen Frankreichs, besonders in den Rhöne-
gegenden (Avignon), zu einem blühenden Wirtschaftszweige des
Landes. Auch den Anbau von anderen wichtigen Farb-
pflanzen, wie Wau, Pastel, Färberginster ete. suchte die Regie-
rung zu fördern, um den blühenden Färbereimanufakturen, welche
für einen großen Teil Westeuropas und des Orients in Luxusstoffen
‚arbeiteten, die nötigen Rohmaterialien im Inlande zu verschaffen.
Mit anderen, aber dem Wesen nach ähnlichen Mitteln ge-
dachte man der daniederliegenden Landwirtschaft direkt helfen
zu können. Wir sahen bereits, daß die Regierung, von irrigen
Erwägungen geleitet, den geringen Anbau von Getreide durch
Einschränkung des Weinbaues heben wollte. Die im Grunde
durch sie verschuldeten (Mangel an Absatz!) niedrigen Weinpreise
und die dadurch hervorgerufene Armut vieler Winzer genügten
ihr, die Umwandlung der weniger ertragfähigen Weinlagen in
Getreideäcker überall anzuempfehlen, trotz der in Fülle vor-
handenen unbestellten Böden und trotz der damit notwendiger-
weise verbundenen weiteren Reduktion der ländlichen Bevölke-
rung?). Für die südlicheren Provinzen, wie z. B. für die
niedere Languedoc, brachte man selbst nicht einmal Getreidebau,
sondern Olivenpflanzungen an Stelle der Weinkultur in Vorschlag
1) Allerdings geschah die Initiative der Wiedereinführung des Krapp-
baues (denn derselbe hatte in Frankreich bereits im Mittelalter geblüht und
war seit Ende des 16. Jahrhunderts immer mehr, bis schließlich zum Ver-
schwinden zurückgegangen) von privater Seite aus: Ein Armenier, namens
Althen, führte ihn um die Mitte des 18. Jahrhunderts im Vaucluse durch
Königliches Privileg ein; 1760 versuchte Franzen ähnliches im Elsaß mit
‚gleichem Erfolge.
2) Da bei der Weinkultur die Verwendung von Ackermaschinen und
Zugvieh unmöglich ist, so stellt sie sich als derjenige Zweig der Landwirt-
schaft dar, „welcher“, wie QUESNAY bemerkt, „eine größere Zahl Menschen
vorteilhaft beschäftigen kann, die Bevölkeruug am meisten fördert und den
größten Handel mit dem Auslande zu bewerkstelligen vermag ...-Daher kann
dieser Wirtschaftszweig zur Bevölkerung des Landes mehr beitragen als der
Getreidebau, doch ist beim letzteren die Arbeit eines Menschen gewinn-
bringender“. (Artk. „Hommes“.)
602 F. Keutgen
Damit aber erschien der Außenwelt die Gesellschaft als eine
Einheit, und die Idee der Mitverpflichtung des „Kumpans“ malte
sehr bald sich einstellen.
Vielmehr: für das innere Verhältnis war sie ja von von-
herein gegeben, da nach dem Gesellschaftsrecht Verluste von An-
fang an geteilt wurden. Sollte es da Rechtens gewesen sein,
daß der Gesellschafter daheim seine Verpflichtung zum Tragen
seines Verlustanteils abschütteln konnte, sobald der Verlust die
Deckungsmittel überstieg, die der auswärtige in Händen hatte?
Und noch eins: es ist ja nur zu wohlbekannt, daß der Ge
danke der Haftbarmachung eines Dritten gerade im
internationalen und interlokalen Verkehr ein dem naivsten Rechts-
bewußtsein innewohnender gewesen ist. Kam Gast A. seinen
Verpflichtungen nicht nach, so hielt man sich ursprünglich an
seinen Landsmann B., mochte der auch noch so wenig mit der
Angelegenheit zu tun gehabt haben.
Dieser barbarische Zustand mochte der Lage der Dinge ent-
aprochen haben zu der Zeit, als ein englischer König das berühmte
Privileg den „homines imperatoris“ verliehen hatte, als fremde
Händler während einer kurzen Kaufzeit in der Themse auftauchten
und wieder verschwanden. Aber er mußte überwunden werden
durch Verträge, sobald die Handelsbeziehungen anfingen, sich leb-
hafter zu knüpfen; sobald den Fremden feste Niederlassungen
eingeräumt waren, Gäste oft jahrelang im Lande weilten, be
ständig hin- und hergingen und in den Hansestädten etablierte
Kaufleute auch in England, Flandern, Norwegen und Rußland
bekannte Persönlichkeiten geworden waren.
Videlicet quod ipsi aut eorum bona seu mereimonia inf
idem regnum et potestatem pro aliquo debito, de qu
fideiussores aut principales debitores non extiterint, nec pl
aliqua transgressione facta seu facienda per alios quam pff
ipsos non arestentnr nec graventur,
lautet das wichtige Privileg, das Eduard II. von England an
7. Dezember 1317 den deutschen Kaufleuten von der Gildehalls
Teuthonicorum in London verlieh, nachdem partielle VerleihungeN
im 13. Jahrhundert bereits vorangegangen waren '!). Soll etwa
1) Meine Urkunden z. städt. Verfassungsgeschichte Nr. 482 $ 1 —
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 551
zeugt wurden. Sie eignete sich am besten für die Großkultur, für
welche sie nicht bloß eine Steigerung der Intensität durch eine öko-
nomischere Ausnutzung der natürlichen Bodenkräfte, sondern auch
- eine erhebliche Vermehrung der Viehhaltung bedeutete. In der Tat
waren es denn auch in Frankreich die größeren Grundbesitzer und
Pächter, welche die „Neue Kultur“ (nouvelle culture) in den
fünfziger Jahren mit Erfolg erprobten‘!); die mittleren Wirt-
schaften freilich standen ihr ablehnend gegenüber, da sie für
die Besitzer oder Pächter derselben lediglich eine Erhöhung der
Abgaben an die Empfänger des Zehnts und „Champarts“ (le
dimeur et le terrageur) bedeutete. Indessen wußte die Regie-
rung dieser Neuerung einen Teil ihres allgemeinen Nutzens für
die Hebung der Landwirtschaft dadurch abzugewinnen, daß sie
für die Verbreitung des Anbaues von Klee und Luzerne Sorge
trug und bei der Anlage solcher „künstlichen Wiesen“ nicht
nur Abgabenerleichterungen gewährte, sondern auch zur weiteren
Ermunterung namhafte Prämien verteilte.
Allein, so anerkennenswert auch immer all diese verschie-
denen Maßnahmen waren, mit welchen die Regierung die
daniederliegende Landwirtschaft zu heben versuchte, so wenig
trafen sie doch das Grundübel, das die Agrarkrisis verschuldet
hatte. Sie waren nichts als bloße „Instruktionen“, wie Quesnay
im nachfolgenden Briefe bemerkt, sozusagen „Kleine Mittel“,
welche vielleicht dazu dienen mochten, die Erwerbsgelegenheiten
in der landwirtschaftlichen Produktion zu vermehren und die
Neigung für die Landarbeit zu stärken. Die Hauptnöte der
Landwirte freilich, die primären Ursachen des Übels, d. h. der
mangelhafte Absatz der Erzeugnisse und die durch den Fiska-
lismus etc. verursachte Unsicherheit und Reduktion des an und für
sich schon geringen Reinertrages (produit net), vor allem aber
der Mangel an den notwendigen Kapitalien, welcher letzthin den
Verfall der Landwirtschaft und die Abnahme der bäuerlichen Be-
1) Das TuzL’sche Buch wurde ins Französische übersetzt und erschien 1750
in freier Bearbeitung. Es erregte das größte Aufsehen. Unter den Personen,
welche die „Nouvelle Culture“ erprobten, befand sich auch QUESNAY. Er
kaufte 1757 einen ziemlich ausgedehnten Besitz an und erzielte mit Hilfe
des neuen Betriebssystems sehr günstige Resultate. (Vgl. Sr. BAUER, a. a. 0.)
604 F. Keutgen
Welk man myt encm anderen selscop maken wil, dese
wol to, weme he sines gudes belovet; wente, wat de ene
koft ofte vorgift, dat mot de ander betalen, so
verne alse sin gut kert').
Die letzten Worte enthalten natürlich das (Gegenteil einer
Beschränkung.
Es wird dann ausgeführt, daß solche Gesellschaft über Vater
und Mutter, Schwester und Bruder geht:
wente de ene selschop mach gan to des anderen kisten
unde nemen gelt unde gut darut; des mach vader unde
moder nicht doen noch suster ofte broder; —
zugleich ein Beweis dafür, daß die offene Handelsgesellschaft
hier nicht aus der Familiengemeinschaft hervorgegangen
sein kann.
Indessen ist vertragsmäßige Beschränkung der Haftung zulässig:
ane dat were sake, dat se under [en] ein ander bescheden-
heit hebben gemaket, also myt stroffen edder breven erer
ein up dem anderen to vorschele, also dat de ene nicht
hogher kopen moghe, wen erer beider gut wert sy, edder
enen summen geldes mer, wen ere zut wert sy ete.:
beiläufig ein höchst interessanter Beleg für die spekulative
Natur, die die Geschäfte angenommen hatten, mit der die 68 .
setzgebung rechnet! Zum Schluß wird noch einmal versichert:
wert dat so nicht vorwart tovorne: wes de ene borget, dat
mach [-- muß] de ander betalen, so verne alse sin gut ker
Die beschränkte Haftung ist also der durch Vertrag
erst zu begründende Zustand, die unbeschränkte dr
primäre, an sich vorausgesetzte.
An dieser Einsicht darf man sich auch nicht durch den In
stand irre machen lassen, daß in den Gesellschaftsverträge
regelmäßig bestimmte Summen zusammengelegt werden. Ei
Grundkapital, das zunächst zu den Geschäften verwandt werde
soll, muß allemal bestimmt und aus dem Vermögen der Teilhaber
ausgesondert werden: Die Haftung wird damit in keiner Weir
1) Hacn, Abt. IV $ 7 (8. 553£.).. Aus dem Segeberger Codex, (kl,
wenn auch erst spät geschrieben, seinem Inhalte nach „zu den ältestt?
deutschen Rezensionen“ des Lübischen Rechts stimmt. Hach S. 121, 119.
Francois Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 558
Was zunächst das erste Mittel, und vor allen Dingen die
Freiheit des Getreidehandels betraf, so war dieselbe, dank der
literarischen und agitatorischen Tätigkeit der Physiokraten und
ihrer Anhänger, durch königliches Gesetz vom 17. September 1754
für das Inland eingeführt worden. Obgleich nun damit alle
Binnenschranken, welche den Verkehr mit diesem wichtigsten aller
Nahrungsmittel bisher gelähmt hatten, beseitigt worden waren,
so wußte doch die so lange in „Gebundenheit“ gewesene bäuer-
liche Bevölkerung in guten Jahren noch nicht den richtigen
Nutzen aus diesem großen Vorteile zu ziehen; ganz abgesehen
davon, daß es vielen wegen Kapitalsmangels unmöglich war, den
Anbau ohne weiteres den neuen Verhältnissen anzupassen..
Andererseits wiederum sah sich die Regierung in schlechten
Jahren nicht selten gezwungen, in einzelnen Gegenden vorüber-
gehend zum alten Sperrsystem zurückzukehren‘), damit die
Teuerung lokal blieb. Eine Besserung konnte hier nur der voll-
ständig freie Getreidehandel, auch mit dem Auslande bewirken.
Endlich mußte die Regierung den Verhältnissen Rechnung tragen
und den Verkehr mit dem Auslande freigeben: Es geschah
im Jahr 1764. Allein bald stellten sich die für das dem Mer-
kantilismus noch zu sehr ergebene Frankreich unliebsamen Folgen
dieses Gesetzes ein: Das billiger produzierende Ausland versah
einen großen Teil der heimischen Märkte, und das so wie so
schon knappe Bargeld wanderte auf diese Weise aus dem Lande..
Das mochte natürlich der Regierung nicht behagen, und in der
Tat führte man nach Verlauf von fünf Jahren das Prohibitiv-
gesetz wieder ein, erteilte jedoch bei Mißernten Exportlizenzen
auf 3—6 Monate’). Bald kam man aber selbst auch davon
wieder zurück und griff nun, um Hungersnöten vorzubeugen, zu
dem bedenklichen Mittel, staatliche Getreidemagazine zu errichten
und diese von Unternehmern durch Getreideankauf im In- und
Auslande versorgen zu lassen. Vom Staate unterstützt*), ver-
1) Das Sperrsystem nahm auf diese Weise wieder so überhand, daß
die Freiheit des inneren Getreidehandels (Turgots Verdienst) im Jahre 1774
durch Gesetz v. 13. Sept. von neuem eingeführt werden mußte.
2) ST. BAUER, a. a. 0.
3) So subventionierte z. B. Ludwig XV. eine „Compagnie des blés du
554 Ottomar Thiele
standen diese ihre Situation vortrefflich auszunützen. Preisstürze
und Preistreibereien, die den privaten Getreidehandel ungemein
schädigten, wechselten ab, und es dauerte nicht lange, so er-
folgten Bankerotte dieser auf Kosten des Königs spekulierenden
Kaufleute, deren Verluste der Staat zu tragen hatte !). Trotz aller
Bemühungen traten Hungersnöte und Teurungen in schlechten
Jahren nach wie vor ein: Die Freigabe des Getreidebinnen-
handels erwies sich in Anbetracht der vorhandenen Produktions-
zustände als unzureichend, und zu einem freien Grenzverkehr
konnte man sich auf die Dauer nicht entschließen.
Wesentlich besser gestaltete sich dagegen die Lage des Vieh-
handels. Hier hatte man gleich zu Anfang nicht nur den Binnen-,
sondern auch den Außenverkehr (seit 1763 durch Gesetz des
Conseil) freigegeben und alle Abgaben, mit Ausnahme einer
Kontrollsteuer von !/2°/,, bei Ein- und Ausfuhr des Viehes von
‚einer Provinz in die andere, resp. vom Auslande nach dem In-
lande, aufgehoben *. Die Wirkungen des Gesetzes machten
sich bald bemerkbar: Die Viehhaltung nahm überall zu, und in
den Grenzprovinzen und denjenigen Gegenden, wo gute Weiden
vorhanden waren, hatte sich die Stückzahl innerhalb von 2 Jahren
schon verdreifacht. Nicht wenig war dieser Erfolg allerdings
der Pflege des Veterinärwesens zu verdanken, der man sich seit
Beginn der sechziger Jahre immer mehr widmete, um der Vieh-
abnahme infolge von Seuchen und anderen Krankheiten zu
steuern. Man errichtete Tierarzneischulen zu Lyon, Limoges”)
und Alfort und befahl auch beim Ausbruch epidemischer Vieh-
krankheiten, die von den ersten Symptomen befallenen Tiere ab-
Roi“, die das Getreide im In- und Auslande auf seine Rechnung ankaufte,
um es in solchen Gegenden, wo Teuerung herrschte, wieder zu verkaufen.
Der König trug alle Kosten und gewährte der Gesellschaft 2°, Vergütung
beim Einkauf des Getreides und den gleichen Betrag beim Verkaufe. Das
ganze Spekulationsgeschäft ging also auf Kosten des Königs, resp. des s0-
wieso schon an dauernder Finanznot leidenden Staates.
1) St. BAUER, a. a. 0.
2) Damit war auch zugleich der Bezug von natürlichen Düngstoffen er-
leichtert worden.
8) Sie wurde 1767 von Turgot gegründet, mußte aber bereits nach zwei
Jahren wieder geschlossen werden, weil die Mittel für den Unterhalt fehlten.
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 555
zusondern und die schwer erkrankten zu töten. In letzterem
Falle pflegte der Staat den dritten Teil vom Werte des Stückes
dem Eigentümer zu vergüten !).
Im übrigen soll nicht unerwähnt bleiben, daß der Minister
Turgot der bäuerlichen Bevölkerung noch nach einer anderen
Richtung hin, größere Bewegungsfreiheit in ihrem ländlichen
Berufe zu verschaffen wußte. Er hob 1775 die „fouille“, d.h.
die außerordentlich lästige Gerechtigkeit der Salpetersieder, in
den Bauernwirtschaften überall nach Salpetererde suchen und
graben zu dürfen, auf’) (nachdem er bereits das Generalver-
pachtungssystem beseitigt hatte) und gestattete den Gemeinden
die Ablösbarkeit aller unentgeltlichen Lieferungen und Dienst-
leistungen an die Salpetersieder in dem Falle, wenn sie für sich
oder in Gemeinschaft mit anderen eine Salpeterplantage *) auf
ihre Rechnung anlegten und betrieben. Für die Gemeinden war
das nicht nur eine wesentliche Erleichterung, es bedeutete zu-
gleich auch für sie die Möglichkeit, sich einen nicht unbeträcht-
lichen Gewinn zu verschaffen, da ihnen der Staat die auf diese Weise
produzierten Salpeterstoffe im laufenden Preise gut bezahlt machte.
Den Hauptplan freilich, welchen Turgot bei der Übernahme
des Ministeriums im Auge hatte, die ländliche Bevölkerung von
der Willkür der Besteuerung zu befreien, und die drückende Last
ihrer Abgaben an den Staat zu mildern, konnte er nicht zur
Durchführung bringen®). Er scheiterte an demselben Wider-
stand des Königs und der privilegierten Stände, wie bereits
16 Jahre vor ihm Silhouette, der damals die ,taille“ im Inter-
esse der Landwirtschaft mindern wollte 5).
1) A. BABEAU, La province, a. a. O. p. 249.
2) O0. THIELE, Salpeterwirtschaft, a. a. O. S. 145 fl.
3) Diese Plantagen, welche in Frankreich nach Verlauf von zwei Jahr-
zehnten schon allgemein verbreitet waren, erzeugten die salpeterhaltigen
Stoffe auf künstliche Weise, d. h. durch einen Nitrifikationsprozeß von aller-
lei pflanzlichen und vegetabilischen Abfällen, Düngstoffen u. s. w. Freilich
schädigten sie dadurch wiederum die Landwirtschaft, indem sie ihr einen Teil
ihres natürlichen Düngers entzogen.
4) Man vergleiche darüber LrPPERTS Artikel über Turgot im Handwörter-
buch der Staatswissenschaft; Bd. VII. S. 233.
5) Darüber ST. BAUER, a. a. 0.
556 Ottomar Thiele
Damit sind wir bereits bei dem zweiten „Großen Mittel“ ange-
langt, welches die Regierung zur Beseitigung der Agrarkrisis nach
Ansicht der Physiokraten anzuwenden hatte: Die Sicherheit des
landwirtschaftlichen Ertrages. Wie schon Vauban im „Dime royal:
eine einheitliche und feste Besteuerung des landwirtschaftlichen
Reinertrages in Vorschlag gebracht hatte, (an Stelle der vielen Ab-
gaben und Einzelsteuern, vor allem aber der taille, welche jede
Art des angewandten Wirtschaftskapitals gesondert belangte), 50
sahen Quesnay und seine Anhänger im „impöt unique“ des
„produit net“ die beste Möglichkeit, dem Landwirte die Sicher-
heit seines Kapitals, die Beständigkeit seines Ertrages und
damit die hauptsächlichsten Bedingungen für eine gedeihliche
Bewirtschaftung und Kapitalinvestierung zu bieten. Leider war
an eine Verwirklichung dieses Steuerprojektes bei der schlechten
Finanzwirtschaft des Staates nicht zu denken. Doch muß es
den Bemühungen der Physiokraten zugeschrieben werden, wenn
auf diesem Gebiete wenigstens eine Besserung in gewissen
Fällen eintrat, d. h. die Gewährung von Steuer- und Abgaben-
erleichterung bei Urbarmachung von Morästen, Einöden, bei In-
kulturnahme von verlassenen Böden oder bei Eingehung lang-
fristiger Pachtungen etc. Indessen gebührt ihnen dieses Ver-
dienst nur indirekt, denn unmittelbar hatten es die „landwirtschaft-
lichen Gesellschaften“ (Sociétés d’agricultures) zu beanspruchen,
welche auf Betreiben Quesnays und Gournays!) gegen Ende der
fünfziger Jahre entstanden, später in allen Teilen des Landes ge-
gründet wurden?) und die mit den Physiokraten ständige Be-
ziehungen unterhalten zu haben scheinen. Vielfach gingen sie aus
provinzialen „landwirtschaftlichen Beiräten* (assemblées) hervor,
1) Gournay gründete die erste dieser Gesellschaften unter Mitwirkung
der „Stände“ im Jahre 1757 zu Rennes in der Bretagne. (A. BABEAU, La
province, a. a. 0. p. 234). Doch befaßte sich diese erste Sozietät, wie schon
ihr Name andeutete, Societ€ d’Agriculture, du Commerce et des Arts, auch
ınit der Hebung der Industrie des Landes. (Man vgl. über ihre Tätigkeit:
„Corps d’observation de la Société d’agriculture ete., établi par les Etats de
Bretagne, 1760.)
2) Diese Sozietäten fanden in Deutschland eine Nachahmung in den
„Ökonomischen Gesellschaften“, wie sie z. B. in Potsdam, Leipzig, Frankfurt,
Breslau u. s. w. bestanden haben.
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 557
welche die einzelnen Intendanten auf Geheiß des Contröleur ge-
legentlich zusammenzurufen pflegten, um sich über aktuelle land-
wirtschaftliche Fragen, die speziell ihre Generalität betrafen, von
Praktikern, wie größeren Pächtern und Grundbesitzern, unter-
richten zu lassen. Auf diese Weise entstanden nach und nach
in 21 Provinzen nicht weniger als 18 solcher Sociétés d’agri-
culture ?), die es sich angelegen sein ließen, der ländlichen Be-
völkerung praktische Belehrungen und Ratschläge zu erteilen ?),
sowie auch der Regierung Vorschläge zur Hebung der Land-
wirtschaft zu unterbreiten. Zu letzterem Zwecke traten sie mit
einer besonderen Körperschaft, dem Comité d’agriculture, in
Verbindung, welches im Jahre 1760 unter dem Contrôleur Général
gebildet worden war und sich aus 5 Staatsräten (Conseillers
d’Etat) und 3 auf landwirtschaftlichem Gebiete hervorragenden
Privaten zusammensetzte?).
Das erste Projekt, welches dieses Komitee dem Könige
zur Linderung der herrschenden Agrarnot vorlegte, galt der
Wiederurbarmachung verwahrloster und aufgegebener Äcker.
Der König willfahrte dem Vorschlage und gewährte durch Gesetz
vom Jahr 1762 denjenigen Landwirten, welche sich diesen
Arbeiten unterzogen, Befreiung von allen staatlichen Steuern
1) Jede Sozietät wurde durch besonderen Erlaß des Conseil gegründet,
nachdem ihre Mitglieder vom Könige ausdrücklich dazu berufen worden
waren, was ihr Ansehen und damit auch ihren Einfluß wesentlich erhöhte.
Es gehörten diesen Sozietäten über 2000 Mitglieder an, die unbesoldet tätig
waren.
2) So bildete z. B. Sarcey de Sutières, ein Mitglied der pariser Société
d’agrieulture, alljährlich 12 junge Bauernsöhne in der regelrechten Landwirt-
schaft auf seinem Gute bei Compiègne aus und gewährte ihnen unentgeltlich
Unterhalt während dieser Zeit. (L’Avant Coureur, 1772 p. 70 ff.)
3) Das Komitee trat wöchentlich einmal unter Vorsitz des Contröleur
General im Louvre zusammen, um die laufenden Geschäfte, besonders die
Korrespondenz mit den Intendanten zu erledigen und nach deren Berichten
und Erhebungen ihre Dispositionen zu treffen. Im Jahre 1784 plante man,
diese Körperschaft zur ,, Société Royale d’Agriculture de France“ umzuwandeln
und aus ihr ein Zentralorgan (unter Lavoisiers Leitung) zu schaffen, für das
nicht nur alle Sociétés d’agriculture des Landes, sondern auch alle auf dem
Gebiete der Agrikulturwissenschaft namhaften Gelehrten Frankreichs und der
anderen Kulturländer gewonnen werden sollten.
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte, IV. 37
612 F. Keutgen
nung der Verhältnisse erreicht wie heute, wurden noch häfs
Gesellschaften auf kurze Zeit und mit wechselnden Teilhaben
geschlossen: so besaßen dagegen dennoch die führenden Ka
leute in unseren Hansestädten ihre festen Verbindungen, ihre
lebenslänglichen Gesellschafter, mit denen gemeinsam sie ihren
Handelsgewerbe oblagen.
Nur so, endlich, ist zu verstehen, wie der hansische Handel
die bedeutende Ausdehnung annehmen konnte, die ziffermälig
belegt ist, und wie er jahrhundertelang der Gegenstand so ge-
waltiger politischer Anstrengungen wurde, die eben ausmachen
die Geschichte der deutschen Hanse.
Francois Quesnay und die Agrerkrisis im Ancien régime. 559
der Marquis de Perusse, welcher sich hierbei außerordentlich ver-
dienstlich machte. Er siedelte mit Einwilligung des Königs
200 Familien, ,Acadiens“ (insgesamt 2370 Personen, darunter
auch Ausländer) in der Gegend von Poitou an und machte mit
deren Hilfe große Strecken wieder kulturfähig. Der König hatte
diesen Familien eine Gesamtsubvention von 1'/; Millionen livres
bewilligt, während der Marquis einer jeden 30 Morgen Land
zuwies und für ihre Unterkunft, desgleichen auch für die Be-
schaffung von Vieh, Ackergeräten etc. Sorge trug,
Andere Personen des hohen Adels suchten durch private
Tätigkeit die Kreditnot ihrer Pächter zu lindern und ihnen die
Mittel zu bieten, den Ertrag ihrer Wirtschaften durch Vornahme
von Meliorationen aufzubessern. So hatte beispielsweise der
Marquis de Turbilly in der Generalität von Soissons (Election
Château-Thierry) seinen Pächtern bereitwilligst geholfen, indem
er ihnen unentgeltliche Vorschüsse und andere Vergünstigungen
gewährte. Ein anderer Grandseigneur, der Marschall von Mire-
poix, hinterließ bei seinem Tode dem Administrator seiner Be-
sitzungen eine Dotation von 10 Millionen livres für seine Pächter
mit der Bestimmung, ihnen daraus unentgeltliche Vorschüsse bei
Hagelschlag, Viehseuchen oder bei Meliorationen zu leihen’).
Auch viele religiösen Gemeinschaften, geistlichen Orden ete., ließen
bei der Verpachtung ihrer Ländereien große Nachsicht walten.
Sie pflegten ihre Äcker auf Lebzeiten, nach Art der englischen
life tenure (für eine oder mehrere Lebzeiten) zu vergeben, ohne
den Zins später zu steigern. Auf diese Weise erweckten sie
dazu, Soldaten zu diesem Zwecke zur Verfügung zu stellen, und beabsichtigte
1786 sogar alle diejenigen Grundbesitzer, welche sich zur Vornahme der Auf-
bereitung weigerten, mit einer schweren Steuer zu belegen.
1) QUESNAY rühmt diese Wohltat des Marschalls in seinem Artikel „Hommes“
und fügt hinzu, daß, wenn alle Grandseigneurs diesem Beispiele folgen würden,
die Not der großen Masse der Pächter bald beseitigt wäre. Die Pächter
hatten mit der obigen Dotation ihres Gutsherrn keinen Mißbrauch getrieben
und waren ihren Verpflichtungen pünktlich nachgekommen. — Auch der Staat
wollte sich auf ähnliche Weise betätägen. Er beabsichtigte im Jahre 1789 die
Oktroipfennige der großen Städte und den dritten Teil des Kirchenzehnts an
die Departementskassen abzuführen, um den Landwirten daraus Vorschüsse
zu leihen.
614 F. Keutgen
und im Niederstadtbuch (MoLLwo) 88 9, 15; sowie als Schuldner,
Niederstadtbuch 88 10, 20, 21, 32.
In regelmäßigerer Verbindung als mit den übrigen hat er
dabei mit seinem Verwandten Markward Wittenborg, dem
Wechsler (campsor), gestanden, mit dem gemeinsam er auch
mehrfach als Schuldner im N.St.B. auftritt (88 10, 20, 21;
sonst Handlungsbuch I 88 15, 16, 24, 25, 27, 32), sowie mit
Johann von Dülmen ($$ 15, 16, 24, 25, 32, 51); mehrfach,
wie man sieht, mit beiden gleichzeitig in demselben Unternehmen:
wie denn auch Markward und Dülmen noch untereinander Be-
ziehungen haben (N.St.B. 8$ 11, 12 und 16a: eine societas
mit 1190 m. d. Kapital). Außerdem besaß Hermann Wittenborg
mit dem letztgenannten von 1310—1318 ein Haus (Ober-Stadt-
buch, Mozzwo 88 1, 3) und seit dem 14. April 1320 (Lüb. UB,
Bd. II, Nr. 389) das Dorf Naschendorf „cum omni iure et libertate
et commoditate et iudicio“ (Handlungsbuch I $ 21). Endlich
wird Heinrich Volmestene (Handlungsbuch I $ 7, vgl. oben) noch
von Wittenborgs Witwe als „meus socius“ bezeichnet ($ 52).
Das mag zu einer ungefähren Vorstellung ausreichen. Im
übrigen aber sehen wir nur, daß das Verhältnis der Kapital-
beteiligung ein sehr verschiedenes sein konnte. Der nach der
üblichen Lehre als ,Kapitalist“ Bezeichnete (weil er die größere
Einlage macht) war ein andermal der Minderengagierte und borgte
selbst seine Kapitaleinlage wohl erst zum Teil von seinem Partner
($ 15). Ferner wird weder je eine bestimmte Reihe von Jabra
für die Dauer der Gesellschaft angesetzt, noch erscheint diese
nur für ein Einzelunternehmen eingegangen. Von der Gefahr
ist, wie im Stadtbuch, nur ausnahmsweise die Rede (88 14, 15}
Dem entspricht denn auch im großen und ganzen das Ge
bahren des Sohnes, nur daß wir bei ihm viel reichlichere Auf-
schlüsse erhalten, wenn auch nicht sogleich in den ersten Jahren.
Wir stoßen auch hier nirgends auf eine Gesellschaft nach Art
der doch nicht so sehr viel jüngeren der Veckinghusen und
Genossen ') oder auch der ungefähr gleichaltrigen der Tölnern
1) In Srıevas Hansisch-Venetianischen Handelsgesellschaften. Vgl. obe
S. 475 und S. 609.
—_—
ils —. = _
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 561
Physiokraten, begann die Regierung in ihrer Agrarpolitik, sich
immer mehr von dem veralteten Merkantilsystem loszumachen,
um sich freiheitlicheren Bestrebungen zu widmen. Leider fand
sie bei ihren ausführenden Organen, d. h. bei denjenigen, welche
mit dem Volke in unmittelbare Berührung kamen und ständige
Fühlung mit ihm bewahrten, nicht das richtige Verständnis für
die Fragen der Zeit. Die Subdélegués vor allem, welche von
ihrem Regieren alten Stils und Bevormunden der Bevölkerung
bis ins Einzelne nicht lassen mochten, zeigten sich für die
Durchführung der von der oberen Leitung erteilten Reformdirek-
tiven wenig geeignet, und die bedeutenden Erfolge, welche die Re-
gierung auf den verschiedensten Gebieten der Landwirtschaft tat-
sächlich erzielte'), hätten weit allgemeiner und wirksamer sein
können, wenn jenes Hindernis zu beseitigen gewesen wäre.
„Die Subdelegues“, so klagte schon Colbert”), „mißbrauchen
sehr oft eine Gewalt, die sie nicht auszuüben verstehen und die
sie so weit zu treiben pflegen, als ihre Einbildung, ihre Leiden-
schaften und ihre Interessen es ihnen raten; das ist ein großes
Übel.“ Dieser Übelstand in der Regierung war es denn auch,
welcher sie bei der großen Masse der Bevölkerung verhaßt und
in ihren wohlgemeinten Bestrebungen verdächtig machte. Sicher-
lich hat er in hohem Grade mit dazu beigetragen, daß die überall
begonnenen Reformen durch die Leidenschaften des Volkes, welche
die Regierung nicht mehr im Zaume zu halten vermochte,
schließlich in Revolution umschlugen. —
Die nachfolgenden beiden Briefe stammen aus der Zeit, in
1) A. BABEAU bemerkt, daß der Wert der Güter z. B. in der Languedoc
von 1762—1789 um das Doppelte zugenommen hatte. In Le Maine war die
Zahl der Pachtungen im Jahr 1777 um ?/, gestiegen und doch bestand noch
immer eine starke Nachfrage, ebenso in der Picardie. Der Preis des Viehes
hatte sich verdoppelt. Die Bevölkerungsziffer auf dem Lande war gestiegen etc.
(La vie rurale, a. a. O. p. 137 ff.)
2) A. BABEAU, La province, a. a. O. p. 70. Auch QuEsnay hegt den-
selben Gedanken, wenn er in seinem Artk. „Hommes“ sagt: ‚Der Despotis-
mus ist nie etwas anderes, als eine Verbindung des Herrschers mit einzelnen
Gliedern des Staates, die mächtiger als der Souverän selbst geworden sind.
Der Despotismus des Monarchen ist ein Unding, er hat niemals bestanden,
denn es ist unmöglich, daß er überhaupt bestehen kann.“
618 F. Koutgen
kamen Wittenborg selbst nur 90 m. 14 s. zu. Immerhin hätten
wir hier aus dem Stadtbuch zwei Geschäfte, von denen sich im
Handlungsbuch keine Spur findet. Und so verhält es sich mit
noch einem Geschäft aus derselben Zeit. Wenigstens schuldet
nach N.St.B. $ 48 am 14. Oktober 1856 Thidemann von Lynne
an Joh. Wittenborg und Gottschalk Wyse 196 m. d., worüber
wir sonst nichts wissen.
Als gemeinsame Gläubiger erscheinen dieselben beiden auc
am 10. August 1357 (N.St.B. $ 51) für 369 m. d. (Schuldner
Joh. Paternostermaker und Joh. Krukowe), obgleich nach dem
Handlungsbuch $ 242 Wittenborg nur zu '/s daran beteiligt war.
Es handelte sich auch diesmal um Einfuhr aus dem Osten: 6 Mille
Pelzwerk.
Dieselbe Art von Geschäften betreiben Wittenborg und Wise .
denn auch weiter gemeinsam: Silber wird nach Dorpat ge
schickt ($ 267, 268), Wachs und Pelzwerk kommen dafür zurück
und werden gemeinsam verkauft (88 315, 316, 318; N.St.B. 58)').
Dabei aber ist wesentlich folgende. Das Silber geht ar
Hälfte mit einem Schiff nach Ostern 1358, zur Hälfte mit dem
nächsten nach Pfingsten. Die erste Partie (3 267)
bebe ie Wittenborch allenigen utghelenet;
dennoch ist dieses mit Wises Marke gezeichnet, der auch
steyt dat eventure half.
Das nächste Mal soll er
also wele integen legen sulveres unde senden dat to Darpete
up user twiger gewin unde vorlus unde eventure.
Als es aber dazu kommt, notiert Wittenborg ($ 268)
do sande Gosseallic Wise unde ic ..., dat ung berdi
tohoret.
Man kann sich leicht ausmalen, zu wie irrtümlichen Au
legungen entsprechende Eintragungen im N.St.B. Anlaß gegebe
hätten, wo wahrscheinlich jedesmal einer von beiden als „Kap
talist“, der andere als „Tractator“ erschienen wäre. |
Wenn es nun gilt, die gemeinsamen Geschäfte dieser beider
1) In $ 315 ist 1359 offenbar Schreib- oder Druckfehler statt 13%
Vgl. die folgenden Paragraphen und das N.St.B.
Literatur,
ALBERT DEMANGEON, La Picardie et les régions voisines, Artois-Cambresis-
Beauvaisis. Paris, A. Colin. In-8°, 496 pages, XVII planches et
3 cartes hors-texte.
La région que M. DEMANGEON s'est proposé d'étudier „ne correspond
exactement ni 4 l'étendue naturelle d'un terrain particulier, ni à la
circonscription artifieielle d’un territoire administratif"; elle comprend
trois Anciennes provinces, la Picardie, l'Artois, le Cambrösis, et s'étend
sar quatre départements, l'Oise, la Somme, le Pas-de-Calais et l’Aisné.
D’après M. DEMANGEON, la ,, Plaine Picarde“ n’a conquis 8a personnalité
géographique qu’à la suite de l'intervention de l’homme, qui, en l'ex-
ploitant au cours des siècles, lui a donné sa physionomie propre.
L'étude géologique, climatérique et hydrographique dt pays forme
la première partie du livre de M. DEMANGEON. Nous n'avons pas ici
à en examiner la valeur; il nous suffit dé dire que la lecture n’en est
pas trop ardue pour un profane, et qu'elle se trouve singulièrement
facilitée par l’adjonction de cartes, de schémas et dé photographies.
La seconde partie, toute de ,,géographie humaine“, nous intéresse
davantage: c’est une longue suite de chapitres bien distincts sur l’agri-
culture, l’industrie, les voies de communications, l'économie rurale et
urbaine, les divisions territoriales, qui forment autant de petites mono:
graphies historiques et descriptives, résumant l'état des connaissances
à l'heure actuelle sur la question.
Le chapitre sur l’agriculture sert très justement de point de départ
à tous les autres. Le sol en partie couvert de forêts, a été défriché.
au moyen âge par les moines, et s’est couvert de paturages, de blés
et de vignes. Les cultures ont évolué: aux vignes ont succédé les
plantes oléagineuses et textiles dès le XVIe sièele, aux céréales s'est.
substituée la betterave à sucre à partir du XIXe.
D’une des principales ressources du sul, le paturage, est née l'industrie,
L'élevage des moutons, très important 4 l’origine, a dééidé la vocation
des „villes drapantes“, Amiens, Arras, Beauvais, Saint-Quentin, Abbe-
ville, qui, de leur situation sur des rivières propices 4 la teinture des
étoffes, ont tiré les plus grands avantages. Quand l'élevage eut fait
place à la culture intensive, ces villes firent venir leurs laines de
l'étranger, sans que leur industrie souffrit de cette transformation.
Avec l’agriculture et l’industrie se sont développées les voies de
communication. Paris et les Flandres, comme deux pôles, ont attiré
564 Referate.
vers le sud et vers le nord les produits manufacturés et l’exc&dent des
récoltes. Les routes et les canaux se sont réglés sur ces courants
commerciaux. Les voies transversales, allant de l’est à l'ouest, ont
été sacrifiées: la Somme, entre autres, dut à sa mauvaise orientation,
presque autant qu’à l’ensablement de son estuaire, la déchéance de son
trafic. Loin de prendre de l'importance de sa jonction avec l'Oise et
l’Escaut, elle est devenue un simple émissaire, un modeste affluent de
la grande artère navigable de la région, le canal de Saint-Quentin.
Pour répondre aux exigences des marchés flamands et parisiens,
la culture fut poussée jusqu’à son plus grand développement: pas un
coin laissé sans sillon, pas de terres vaines ou vagues, peu ou point
de biens communaux. Le sol très morcellé fut partout mis en valeur.
Ce régime de la propriété a engendré un type d'habitation spéciale,
où la grange, réceptacle des grains et des récoltes, occupe la place
principale au détriment des étables. La disposition de ces habitations
rurales, les lois qui ont présidé à leurs groupements, l'origine et le
développement des villes, ont fourni à M. DEMANGEON l'occasion d'un
chapitre attachant, peut-être un des plus originaux de tout le livre.
Les cartes et les plans qui accompagnent le texte font ressortir les
types d'agglomération propres à la région, qu'avait déjà fixés M. VIDAL
DE LA BLACHE, dans son magistral Tableau de la géographie de la
France.
Dans toute cette suite d'études ingénieusement reliées entre elles, il est
difficile de trouver la place logique d'un chapitre assez caractéristique
cependant „La côte, les Bas-Champs, les estuaires“. M. DEMANGEON
en convient lui-même, ,par son histoire physique, par la nature de
son sol, par sa situation, la côte picarde est un pays nettement détaché
du plateau contre lequel il s’adosse, c'est un territoire original qu
demande sa place isolée dans la description géographique“.
C'est en effet une étude speciale que nécessiterait cette côte dont
la mer ne cesse d’arrondir et d’émousser les parties convexes, de
combler les parties concaves. Il y aurait, croyons nous, un grand intérêt
à rapprocher, sans sortir de France, ces phénomènes d'alluvionnemeat
et d’erosion de ceux qui se produisent sur tout le littoral océanique
Peut-être la progression du flot est-elle plus sensible à Ault-sur-mer
qu'en Médoc, mais à coup sûr son retrait dans le Marquenterre ne
diffère pas de celui qui s’observe dans la Saintonge, l'Aunis et le Poitou.
La situation de Saint-Quentin en Tourmont, menacé de l’envahissement
des sables, se retrouve identique à Escoublac, dans le pays nantais
à Soulac, dans le Médoc, à Notre-Dame de Buze, en Arvert. L',oyat
à l’aide duquel les flamands tentaient de fixer les dunes au XVII: siècle,
fait penser au „duranme“ qu'on employait dans le même but sur le
littoral vendéen !).
M. DEMANGEON semble s'être interdit tout rapprochement de ce genre.
Il n’a fait qu’esquisser cette étude sans entrer dans les détails qu'un
1) Le nom scientifique de l’oyat est ammophila arenaria (DEMANGEON.
p. 195). Sur le duranme ou duream (arundo arenaria), cf. J.-A. CAVOLEA,
Statistique de la Vendée, Fontenay-le-comte, 1844, in-8°, p. 166.
Referate. 565
pareil sujet comporterait. Mieux que tout autre il doit savoir l’impor-
tant travail qu'il y aurait à entreprendre sur ce point comme sur
beaucoup d’autres de son livre. Mais on conçoit qu'il ait dû se con-
tenter de grouper en synthèse les études partielles, plus ou moins bien
faites, écrites jusqu'à ce jour. Il a eu recours aussi, il est vrai, aux
sources originales: on s'en aperçoit à certains passages, par exemple
au chapitre des divisions territoriales, où il explique la formation, si
peu connue, de nos départements actuels. Ayant pris pour sujet de
thèse accessoire les Sources de la Géographie aux Archives nationales,
il se devait à lui-même de ne pas négliger cette mine de renseigne-
ments!). Mais ses recherches, comme de raison, se sont limitées aux
documents de la période moderne, plus accessibles et plus nombreux.
En définitive l'ouvrage de M. DEMANGEON est une savante compilation,
un excellent résumé des divers travaux géographiques, historiques et
économiques parus jusqu'à ce jour sur la région picarde, agrémenté
de recherches et d'observations personnelles. Cette importante mono-
graphie, détaillée et compacte, aurait peut-être gagné à être dégagée
de quelques-uns des faits et des noms propres qui la surchagent, mais
telle qu'elle est, avec les nombreux renseignements qu’elle contient et
l’imposante bibliographie?) dont elle est pourvue, elle rendra de grands
services aux travailleurs qui voudront étudier l'histoire économique et
sociale de ce coin de France. ETIENNE CLOUZOT.
1) M. DEMANGEON aurait peut être pu feuilleter les catalogues de la
Bibliothèque nationale. Sans sortir de la période moderne, il y eut trouvé
des mémoires aussi importants que ceux qu'il cite dans sa liste de sources
manuscrites. Le rapport de Willart, inspecteur des ponts et chaussées de
Picardie en 1775, pour ne citer que celui-là (ms. fr. 8021, ff. 81—190), lui
eut fourni, croyons-nous, des données précises pour son chapitre si intéressant
sur l’affaiblissement du débit des sources et leur déplacement.
2) Dans cette bibliographie, qui ne compte pas moins de 592 articles,
M. DEMANGEON a cru devoir reproduire les divisions générales de son livre.
Nous ne voyons pas bien l’intérêt de ce procédé qui offre le grave inconvénient
le séparer les uns des autres les ouvrages d’un même auteur et de créer des
acunes ou des doubles emplois, un même ouvrage pouvant rentrer dans deux
yu trois catégories différentes.
Druck von W. Kohlhammer in Stuttgart.
699 F. Keutgen
Albrecht Woltvogel kaufte dafür Tuch in Brügge ($ 198). Ferner
erhandeln dieselben beiden Ostern 1358 48 Poperingsche und
20 Vervierssche Laken von dem Ratsherrn Scheningh in Lübeck
auf Kredit für 200 m., und zwar jeder zur Hälfte,
nicht mit ener sameden hant.
Trotzdem folgt der Vermerk:
100 m. hebe wi bitalet ($ 254; ebenso & 292).
Ein Geschäft, das Wittenborg und Laurensius Pfingsten des-
selben Jahres zusammen mit Woltvogel und Bardewik unter-
nahmen, wird später zu berühren sein. Aber noch in demselben
Sommer kauften jene beiden 50 Vervierssche Laken
bidde mit ener sameden hand
für 400 m. von Kort Westphales, Gesellschafter des Johannes
Maken: wodurch wieder bezeichnenderweise der letztgenannte,
nicht der „gheselle“, der den Handel abgeschlossen hatte, Gläs-
biger wird ').
Alle diese Tuche nun, sowohl die von Seheningh wie die vos
Maken gekauften, gehen nach Danzig an Joh. Laurensius
Bruder Heinrich ($$ 289, 292, 319— 322, 325, 326; vgl. auch 310,
314), von dem bald große Gegensendungen eintrafen. Und zwar
schickte er gegen die erste Partie — denn die beiden Gresehäfte
werden säuberlich auseinandergehalten — 300 [Faß? vgl. $ 289]
Bottichhol2 nach Stralsund, 500 nach Lübeck und 400 nach Wis-
mar; ferner 11 Stein Ingwer, 120 f Pfeffer und 16 Last Roggen:
gegen die zweite aber 2400 Scheffel Malz. Da diese jedoch in
Preußen nur 156 m. Prus. gekostet hatten oder 231 m. 9 s. Lüb.,
während der Einkaufspreis der Partie Tuch sich auf 400 m. Lib.
belaufen hatte, so zogen Wittenborch und sein Partner auf Heir-
rich Laurensius für einen Teil des Unterschiedes oder 66 m. Pros.
($ 325),
1) In $ 241 sind vor „sime ghesellen“ offenbar die Worte „Henneken
Maken“ ausgefallen: vgl. $ 319 und N.St.B. 56. MoLLwo hat das nicht
gemerkt und stempelt im Register Westphales auch zum Handelsgenossen
des Henneke Laurencius, also den Verkäufer zugleich zam Gesellschafter
eines der beiden Käufer, was natürlich widersinnig ist. Zudem steht im
N.St.B. 56 eben Maken als Gläubiger für den Betrag verzeichnet,
2) MoLLwo setzt S. LXXII die Preuß. Mark = 2 m. Lüb.: im Test
seines Buches ist der Kurs stets unter l'/: m.: 28'/ s 8 294; 23!/, a und
Hansische Handelsgesellschaften,
vornehmlich des 14 Jahrhunderts.
Von
F. Keutgen (Jena).
Fortsetzung von S. 5l4 und Schluß.
ee ZZ
Inhalt: V. Die offene Handelsgesellschaft 8. 567. — Remues Definition
und Befund S. 568. — Gemeinsamer Betrieb 8. 571. — VI. Das Konkurrenz-
verbot S. 572. — Schmipr und Remme 8. 575. — Konkurrenzverbot für den
tractator S. 575. — Kölner Faktoren in London 8. 578. — VII. Die Gesamt-
hand S. 579. — Gemeinsamer Betrieb und unbeschränkte Haftung 5. 580, —
Wandlungen der Gesamthand $, 581. — Solidarität der Gesellschaft 3. 585,
— VII. Die Vertretung 3. 586. — Krediterfordernisse des kaufmännischen
Verkehrs S. 586. — Seghehards Brief 8. 586. — Verkehr mit Nachbur-
orten (Geldersen) S. 587. — Haftung des Prinzipals für den Knecht 8. 591.
— Wittenborg S. 593. — Tülner 3. 598. — Lübecker und Hamburger Statuten
S. 599. — Der deutsche Kaufmann in London 8. 600. — Anwendung auf die
Gesellschaft S. 601. — Haftbarmachung Unbeteiligter; Statut Eduards II,
S. 602. — Das Lübecker Recht 8. 604. — Privileg Friedrich II. für Nürn-
berg und späte Einführung der kommanditistischen Idee 8. 606. — In-die-
Erscheinung-treten der Gesellschaft 8, 607, — Anhang: die Gesellschaften
Johann Wittenborgs S. 613—632.
V.
Die offene Handelsgesellschaft.
Haben wir somit die Masse der hansischen Handelsgesell-
schaften — sie, die dem Handel das Rückgrat gaben — als Ge-
werbsgesellschaften zu beanspruchen, so liegt uns, um zum vollen
Verständnis ihres Wesens zu gelangen, weiter ob, zu untersuchen,
inwiefern Grundsätze der einzelnen Arten der heutigen Handels-
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtechaftegeschichte, IV. 38
568 F. Keutgen
wesellschaften sich bei ihnen wiederfinden, insbesondere die
Grundsätze der offenen Handelsgesellschaft. Denn die offene ist
die Handelsgesellschaft in reinster, vollkommenster Form. Aber.
wohlbemerkt, unser Ziel ist auch hier nicht eigentlich Ider-
tifizierung einer oder der anderen früheren Form mit dieser oder
jener heutigen, sondern nur schärfere Beleuchtung der ehemaligen
vermittelst der jetzigen: wie wir ja auch keinen Augenblick ver-
gessen wollen, daß unsere Hauptabsicht nicht in der juristischen
Definition der älteren deutschen Handelsgesellschaften liegt, sor-
dern mit ihrer Hilfe in der Charakterisierung des hansische
Handels. Also: ist mit dieser Einschränkung eine Gruppe unter
den hansischen Handelsgesellschaften des 14. Jahrhunderts herau:-
zuheben, die als offene Handelsgesellschaften zu bezeichnen
wären ?
Diese Frage wird unter anderem bejaht von REHME, und zwar
nach Maßgabe des folgenden.
Er glaubt außer der „sendeve“ (lies Gesellschaft mit ein-
seitiger Kapitalbeteiligung, Halbgesellschaft oder quasi-societası
und der Wederlegginge (oder, wie er sie mit unrichtiger Iden-
tifizierung gewöhnlich nennt, „vera societas“) noch eine dritte
Art Gesellschaft in den Lübecker Niederstadtbuch-Eintragungen
„u erkennen, „die freilich bei weitem seltener vorkommt als jene
beiden. Sie wird, wenn überhaupt, schlechthin als societas be
zeichnet; offenbar fehlte ein technischer Ausdruck. Auch bei ihr
findet ein conponere, contra-(ad-)ponere von Vermögen statt; auch
bei ihr sind also beide Gesellschafter mit Kapital beteiligt.
Aber — und das ist das sie von der vera societas unterscheidende
Merkmal — der Handelsbetrieb geschieht nicht durch einen
von ihnen, sondern durch beide, oder durch einen oder mehrere
nuncii oder famuli beider (12, 65). Wir haben es mit der offenen
Handelsgesellschaft zu tun“).
_Sogleich bemerken wir, daß hier für die offene Handelsgesell-
schaft ein ganz anderes Kennzeichen gefordert wird als das in
der Definition des Handelsgesetzbuches enthaltene ?).
1) REHME S. 373.
2) Oben 8. 5083.
Hansische Handelsgesellschaften. 569
Deshalb legt denn aueh SILBERSCHMIDT Verwahrung ein:
„wenn man nun einmal in geschichtliche Verhältnisse Begriffe
aus Gesetzen der jetzigen Zeit hineintragen will, dann muß streng
darauf geachtet werden, daß sämtliche Merkmale dieser modernen
Rechtsfiguren wirklich vorhanden sind“ '). Das Wesen der offenen
Handelsgesellschaft aber beruht in der solidarischen Verpflich-
tung: auf die hansischen Verhältnisse übertragen, müßte es er-
sichtlich sein, „daß der tractans den andern Gesellschafter in der
Weise verpflichten wollte, daß dieser unbeschränkt mit seinem
ganzen Vermögen hafte“ ?).
Prüfen wir indes — wie es übrigens auch SILBERSCHMIDT
tut — REHMES Beweisführung erst einmal von seinem eigenen
Standpunkte aus. Zunächst ist zu beachten, daß REHME nach
diesem — wenigstens unter seinem Material — nur sehr wenige
offene Handelsgesellschaften findet. Allein warum ?
Es tritt uns da wieder sogleich als Kardinalfehler der Glaube
entgegen, als müsse jedem Ausdruck der Quellen ein eigener, in
moderner Weise streng methodisch abgegrenzter Begriff ent-
sprechen. Richtig ist, daß für irgendeine als „offene Handels-
gesellschaft“ herauszuhebende Art eine besondere Bezeichnung
in den Quellen fehlt, falsch aber die durch nichts begründete
Annahme, als hätten die Bezeichnungen wederlegginge und vera
societas sich auf sie nicht miterstrecken können. Im Gegenteil:
wenn eine der damaligen Handelsgesellschaften als „vera societas“
gelten konnte, so wäre es gewiß die gewesen, bei der beide
Teilhaber nicht nur Kapital, sondern auch Arbeit einlegten. Und
durch nichts gerechtfertigt ist es auch, den Begriff der „weder-
legginge“ so eng zu fassen, als umschlösse er nur den Fall, wo
beide Gesellschafter zwar Kapital einlegen und einer arbeitet,
nicht aber auch den, wo beide Gesellschafter sich an der Ge-
schäftsführung beteiligen.
Die Folge dieses Methodefehlers ist also, daß für REHME alle
Gesellschaften ausscheiden, die in seinem Material als „vera
societas“ oder als ,wederlegginge“ bezeichnet sind. Im übrigen
1) Kumpanie und Sendeve S. 42.
2) S. 46.
628 F. Keutgen
notiert, daß sie auf ihren Prinzipal 30 ff grote trassierten (88 304,
307) ').
Endlich wurde Berthold nach Danzig geschickt. Dort ist
er jedoch am 31. Dezember 1359 gestorben, nachdem er in einem
Schiffe 7 Last Roggen, einen Ballen mit 16 Stück englisches Tuch
und „1 sestich“ Flachfisch, sowie in einem andern 8 Last 7 Scheffel
Roggen heimgesandt hatte, woran er, wie wir sahen, großenteils
selbst interessiert gewesen war ($$ 350, 351; N.St.B. 8 63) 1. —
Die Verbindung mit Arnold Bardewik fängt Pfingsten
1353 an: damals erhielt er Silber und Silbergeld zu Sendere,
das er in Wieselfellen anlegen („biweren“) sollte ($ 78). Er
wird also nach Rußland gefahren sein. Eine zweite Mitgale
von Silber und Silbergeld wird gleich darauf notiert ohne Datum
($ 81). Lichtmeß 1354 aber kam eine Tonne Pelzwerk von ihm
gesandt an: er muß also den Winter über im Osten geblieben
sein. Vielleicht zusammen mit Berthold; denn unmittelbar vorher
steht auf derselben Seite die Notiz:
Ic hebe untfangen van Arnoldes wegene 1 tunen werkes,
de Bolte hir oversande ($ 126).
Nicht weniger als 50 m. 8'/. Lot lötig Silber wurden ihm
darauf Ostern zugeschickt ($ 127). Dann ist er zurückgekehrt.
Denn Pfingsten 1355 mußte er von neuem hinaus, um Tidemanı
Wise 88 m. lötig und 36 m. d. zu überbringen ($ 146); doc
noch vor Michaelis des Jahres machte er sich noch einmal auf
dieselbe Reise mit 78 m. 1'}: ferto lötig und 43 m. 76 s. [?] d.
zu Sendeve ostwärts zu „bewähren“ (8 168)‘). Als er dam
Michaelis 1356 von neuem „wegsegelte“, bekam er, außer 60m.
4'} Lot lötig und 4'» m. d., 228 Ellen Leiwand mit ($$ 2%,
1) Ich vermute, daß es sich in beiden Paragraphen um dieselbe Sache
handelt, wenn auch das eine Mal 30, das andere Mal 39 & gedruckt steht
2) Von den 60 Fischen waren 3 ,centum“ faul geworden und über Berl
geworfen. Für den Rest gab Wittenborg 18d für Windegeld, 1 s. für da
Boot zum Herauffahren und 18d für das Herauftragen, d. h. mehr als bei
Getreide für eine Last. Eine Last wurde bei Heringen zu 12 Tonnen g*
rechnet, nach NiRxHEIM, Geldersen 8. LXXVILI. Nr. 11. ?? — Statt „bonen“
am Schluß von $ 550 ist wohl zu lesen „boden“.
3) Vgl. oben S. 626 Anm. 3.
4) Vgl. oben S. 620 Anm. 4.
Hansische Handelsgesellschaften. 571
seinerseits am Orte an den Mann brachte. Dies aber ist das
Bild, das uns die Handlungsbücher bieten: der wahre Unter-
nehmer, der Chef des Hauses, wie SILBERSCHMIDT ihn ein-
mal mit Recht nennt, disponierte und bestimmte auch den Markt,
dem die Güter zugeführt werden sollten.
Unter Rennes Material aber müßte man diesen Tatbestand
zunächst einmal wenigstens bei all den Niederstadtbuch-Ein-
tragungen als gegeben annehmen, nach denen zwei Personen mit
gleichen Beträgen an einer Gesellschaft beteiligt sind; sicherlich
aber nicht nur bei diesen.
Denn inzwischen hat SILBERSCHMIDT darauf hingewiesen, daß
auch im romanischen Rechtsgebiet, in der Commenda
und ihren Abarten, der Commendator oder socius stans häufig
Arbeit mitleistet. Aus der Form der Gesellschaft läßt
sich also über gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb
oder das Gegenteil nichts erschließen. Nach dem Merk-
mal des gemeinsamen Betriebes aber müßte die große Mehrzahl
der hansischen Gesellschaften überhaupt als offene beansprucht
werden.
Und ganz unberechtigt wäre das nicht.
Denn außer dem Merkmal der unbeschränkten persönlichen
Haftung aller Teilhaber, dem freilich juristisch entscheidenden,
kennt das Handelsgesetzbuch doch auch noch eine weitere Eigen-
tümlichkeit der offenen Handelsgesellschaft, eben die, auf der
RERMES Anschauung beruht, nämlich, daß „zur Führung der Ge-
schäfte der Gesellschaft . . . alle Gesellschafter berechtigt und ver-
pflichtet“ sind. Freilich kann „im Gesellschaftsvertrage die Ge-
schäftsführung einem Gesellschafter oder mehreren übertragen“
worden sein; dann „sind die übrigen Gesellschafter von der Ge-
‚schäftsführung ausgeschlossen“ '). — Allein als Kriterium schlecht-
hin für die offene Handelsgesellschaft wird uns jenes nicht genügen.
Das Hauptinteresse jener Darlegungen ist vielmehr zunächst
ein negatives und liegt darin, daß damit der verbreiteten Neigung
entgegengewirkt wird, unsere wie auch die romanischen älteren
Handelsgesellschaften als Arten der Kommandit- oder der stillen
1) A.2.0.,8114.
630 F. Keutgen
gewesen zu sein, da Wittenborg notiert, mit ihm, Henneke
Laurensius und Albrecht Woltvogel „to hope“ Pele
gekauft zu haben: 1 Tonne Werk und 15 Tausend Schönes
Werk, mit denen Woltvogel dann nach Dordrecht segelte
(88 239, 240; vgl. 323, 324, 341).
Im August trat er darauf die schon berührte Reise mit Bert-
hold nach Schonen und England an ($$ 280, 282, 304, 307).
Während nun Arnold Bardewik so ununterbrochen für Johann
Wittenborg tätig war, ist er also auch mit ihm vielfach gesell-
schaftlich verbunden gewesen: allein durchsichtig sind diese
Verhältnisse hier noch weniger als die zwischen Johann Witter-
borg und Berthold, ganz abgesehen davon, daß manchmal noch
weitere teilnehmen und daß Wittenborg auch wohl für ihn m
seiner Abwesenheit handelt, Arnold gehörige Waren verkauft u.s.w.
So empfing Wittenborg, wie bereits bemerkt, vor Michaelis 1351
von Arnolds wegen eine Tonne Pelzwerk, von Berthold gesandt,
und verkaufte sie für 204'/ m. (88 126, 97, 127). Dagegen «-
gibt sich gar nicht, ob Arnold an einer andern Tonne Pelzwerk
beteiligt war, die er selbst zu Lichtmeß desselben Jahres gesandt
hatte (8 127). Ausdrücklich als Beteiligter erscheint er erst nach
Michaelis 1355 und zwar, wie erwähnt, mit 8 Schiffspfund a2
30 Schiffspfund 3!/: Liespfund Wachs, die Wittenborg verkaufte,
dieselben, an denen wir auch Gottschalk Wise zu etwa !jı. be
teiligt sahen ($ 188). Dann wieder Pfingsten 1356 zu ungefähr ‘+
an einer Partie Wachs ($$ 178, 172) und Jakobi 1356 zur (kleineren)
Hälfte an 15'/ Zimmer (je 40 Stück) Hermelin ($$ 180, 2%,
N.St.B. 8 46); ferner Mitte August zu reichlich ?/s an einer Partie
Wieselfelle („lasten“) (88 190, 189, 208; N.St.B. 45) '): alles das
verkauft ebenfalls von Wittenborg. Ebenso verkauft dieser nach
Michaelis 1357 4970 Stück Schönwerk, die bis auf 100 Stück
Arnold allein gehörten (8$ 272, 273, 275) ”).
1) Vor $ 189 fehlt das Verweisungszeichen, entsprechend dem + "2
190.
2) Die hier an Gerhard Stokelet verkaufte Partie Pelze kann doch ur :
möglich dieselbe, wenn auch annähernd gleich große sein, die dieser in dm :
Schiffe des kleinen Sybrand von Hamburg verloren hatte (MOLLWO, Anm. 54;
Lüb. U.-B. Bd. II Nr. 1004). Ist auch das Verzeichnis der damals unter-
Hansische Handelsgesellschaften. 873
deren „Grundgedanken“ gibt er, gleich REHME, an, „daß alle
Socii in gemeinsamer Handelstätigkeit gemeinsamen Gewinn er-
streben“ '). Allein, hierin richtiger als jener sehend, erkennt er
dieses Merkmal den älteren deutschen Handelsgesellschaften in
weit größerem Umfange zu und namentlich der „vera societas“ ?).
Demgegenüber sieht REHME eben in dem Umstande, daß
„derselbe Kaufmann zuweilen gleichzeitig in zehn und zwanzig
Sozietäten sein Geld steckte“, den Beweis, „daß die vera societas
Gelegenheitsgesellschaft ist“. Die offene Gesellschaft aber ist
„ihrer Natur nach Gewerbsgesellschaft“.
Wir sehen davon ab, daß gerade das alte deutsche Handels-
gesetzbuch, das, als REHME schrieb, in Gültigkeit war, unter
Umständen auch eine offene Gelegenheitsgesellschaft kannte.
Wichtiger ist, daß, wie bemerkt, an sich Kommandit- und stille
(resellschaft ebensowenig als Gelegenheitsgesellschaften zu gelten
haben wie die offene: ein Kriterium für oder gegen die eine oder
die andere ist hier also nicht zu finden.
Von wesentlichem Interesse jedoch bleibt die rein sachliche
Frage, ob an sich ein Kaufmann gleichzeitig an mehreren Ge-
werbsgesellschaften sich beteiligen konnte. Ganz gewiß war das
möglich. Gerade bei der offenen Handelsgesellschaft sieht das
neue Deutsche Handelsgesetzbuch ($ 112) den Fall vor,
daß ein Gesellschafter „an einer andern gleichartigen Handels-
gesellschaft als persönlich haftender Gesellschafter teil“ nimmt,
sowie daß er „in dem Handelszweige der Gesellschaft Geschäfte“
macht: nur bedarf er dazu der „Einwilligung der anderen Ge-
sellschafter“. Mag das immerhin im heutigen Handelsleben nur
unter besonderen Umständen sich verwirklichen, so begünstigten
es umgekehrt die eigentümlichen Verhältnisse der hansischen
Epoche. Auch diesmal hat REHME den wirtschaftlichen Tat-
bestand nicht berücksichtigt, in den uns das Verfahren von
Männern wie Hermann Mornewech — das freilich durch die
neuerlich veröffentlichten Handlungsbücher erst ins rechte Licht
gerückt ist — so wertvollen Einblick gewährt.
1) À. a. O., S.61.
2) S. 44 f.
574 F. Keutgen
Der Wettbewerb, der im heutigen Leben eine so ausschlag-
gebende Rolle spielt, fehlte zwar auch damals nicht, kam jedoch
weit weniger, man könnte sagen, nur subsidiär, in Betracht. Wir
sehen ja, daß Kaufleute ihren Gesellschaftern neben dem Gesell-
schaftsgut auch noch andere Waren „in sendeve“ mitgaben, ihnen
also nach heutigen Begriffen, oder wenigstens von REHMES Stand-
punkt aus, zumuten würden, sich selber Konkurrenz zu machen ').
Wir dürfen annehmen, daß auf gewissen Märkten für gewisse
Waren stets auf Abnehmer gerechnet werden konnte, und daßes
ein wichtigeres Problem war, sie ausreichend und regelmäßig mit
Waren versorgt zu halten, — für den auswärtigen Kaufman
also, Transportgelegenheiten und geeignete Persönlichkeiten auf-
zutreiben, denen man draußen den Verkauf der nach und nach
angeschafften Waren und den Wiedereinkauf anderer, daheim zu
verwertender anvertrauen konnte: — was ja übrigens auch hente
noch eine sehr große Rolle spielt.
Wenn ein Kaufmann in Lübeck nach Riga einmal mit einem
Holk einen Posten einer Ware schickte, an dem er mit B be-
teiligt war, und einen Monat später einen zweiten Posten in
einem Koggen zusammen mit C, so machte er sich weniger
Konkurrenz, als wenn er nur mit B vergesellschaftet gewesen
wäre und alles auf einmal gesandt hätte: denn die plötzliche
Ankunft des doppelten Postens hätte den Markt vielleicht doch
gedrückt.
Die 18 Gesellschaften Mornewechs, von denen schon die
Rede war, verteilen sich über die Jahre 1323—1335. Wir wissen
aber gar nicht, da weder PAuLı noch REHME, denen das Material
zugänglich gewesen ist, Näheres mitteilen, in wie vielen Fällen
es sich dabei um Erneuerungen von Gesellschaften mit den-
selben Partnern handelt: schon in den drei von REHME ab-
gedruckten (Nr. 29, 32, 34) kommt seine Gesellschaft mit Ratze-
1) Z. B. REuMESs Nr. 51 (a. 1342): „Dominus Bertrammus Heideby et
Nicholaus de Sleswik frater domini Nannonis habent pariter 200 m. d. minus
4 m., de quibus 100 m. minus 2 m. dno. Bertrammo predicto pertinent et
negociantur in sendeve, alie 100 m. minus 2 m. pertinent eis ambobus is
societate.“ Ferner Nr. 24 und Nr.4l. Bei Wittenborg z. B. II 282, oben
S. 484.
Hansische Handelsgesellschaften. 575
borg zweimal vor. Wir wissen nicht, ob nicht PauLı und REHME
auch Sendeve-Geschäfte unter diesen „Sozietäten“ mitzählen. Und
endlich wissen wir nicht, inwieweit es sich bei all diesen ver-
schiedenen Geschäften nicht um ganz verschiedene Waren und
ganz verschiedene Märkte gehandelt hat. Freilich wissen
wir anderseits auch nicht, wie viele Gesellschaften Mornewech
außer jenen noch in seinem Handlungsbuch notiert hat, für die
er Eintragung im Stadtbuch nicht für nötig gehalten haben mag.
Kurz, nach rein formalen Gesichtspunkten läßt sich diese Frage
am wenigsten erledigen.
Eine ganz bestimmte Kategorie von Konkurrenzverboten kommt
allerdings in manchen Gesellschaftsverträgen vor, und SCHMIDT
war wenigstens nahe daran, das Prinzip, das ihnen zugrunde liegt,
zu erkennen '): sie richten sich gegen den bloßen tractator
oder Commendatar. Wo von einem oder mehreren dirigierenden
Kapitalisten ein kapitalistisch gar nicht oder minder Beteiligter
mit den Vertrieb der Waren betraut wird, da pflegt ihm die
Übernahme konkurrierender Aufträge untersagt zu sein.
So verhält es sich mit dem schon von ScHMipDT angeführten,
allerdings jüngeren Beispiel, PauLı, Lübecker Zustände III Nr. 95
(a. 1476):
Gerd schal noch enwil mit nemande anders selschup
hebben, id enzy mit des erscreven Cordes vulbord unde
willen;
und vielleicht auch mit Pauzı I Nr. 102 e, jetzt bei REHME
Nr. 5 (a. 1312):
qui Wasmodus dicebat, se non habere aliqua bona merca-
toria extra ista.
In erster Linie freilich hat wohl durch diese Klausel der
Unterschlagung eines Teiles des Gewinnes vorgebeugt
werden sollen. So auch bei REHME Nr. 15 (a. 1315):
pecunia, quam Hermannus ultra prefatas [bis] 75 m. argenti
habet, est dimidia ipsius Johannis et dimidia ipsius Her-
ınanni;
1) SCHMIDT, S. 50 f.
634 Ottomar Thiele
maux et des remèdes, sur le choix de ceux qu’il faudrait employer
les premiers. sur les voies que l’on pourrait prendre pour en
essayer la pratique. et en faire goûter l’exécution.
C’est ee qui m'a determine, Monsieur, comme j’ai eu l’honneur
de vous le mander en réponse à votre lettre du 22 août. à
ecrire une lettre suffisamment instructive sur l’objet dont est
question. à un grand nombre de ceux qui habitent et cultivent
leurs biens de campagne, d'habitants des villes qui font valoir
les leurs par eux-mêmes, d'anciens laboureurs de toutes les
parties de ma province, pour les engager à m'envoyer des
memoires détaillés sur tout ce qui concerne l’agriculture en
seneral et particulièrement dans leur canton.
Ik y ont tous satisfait avec empressement pour répondre aux
xteations du Roi, que je leur ai montrées telles qu’elles sont,
cest à dire, fort éloignées du motif qui excite ordinairement les
rates toutes les fois que l’on fait les moindres recherches.
J'ai te tous ces mémoires; j’en ai fait moi-même les extrait,
ne les ai joints à ceux que j'avais fait sur les conversations, que
‘avai exes dans les lieux que je venais de parcurir, où j'ai
rrave partout une grande facilité à parler de cette matière qui
ext devenue, pour ainsi dire, à la mode par les livres qui ont
eæ pandus dans le public depuis quelques années, sans avoir
cut enevre beaucoup de fruit. |
Je eroin Monsieur. qu'il serait inutile de vous envoyer mn
naitme des details, qu'exigerait chaque canton, si la connaissance
“ri er était nécessaire: aujourd'hui, je me bornerai à vous
raqæet es objets généraux et principaux qui peuvent mériter
wor ateation. L'application locale pensera aisément aus
difireærs pars de la province dans le tableau, que je formerii
mu de la situation des différentes élections et de leurs pr
doctions
Objets généraux.
Tout le monde convient que l'esprit de travail et de peint
n'et point diminué. on ervit même qu'il est augmenté. I semble
que ia malnisu:ie donne de l'apprêt pour le travail, mais Ü
faut pas en conclure que la culture est augmentée. Il est visible
Hansische Handelsgesellschaften, 577
man eben aus der Klausel ohne weiteres schließen kann, die
ihn verpflichtet,
egein ander koumenschaf mit win ce driven, dan in disser
geselschaf').
Es wäre geradezu grotesk, in Heifstrit den Unternehmer, in
seinen Gesellschaftern aber bloße Kapitalisten zu sehen, anzu-
nehmen, daß ein Kommanditist oder ein stiller Teilhaber Geld
in mehrere Gesellschaften steckte und — worauf es hinauslaufen
würde — deren leitenden Inhabern vorschriebe, daß sie einander
keine Konkurrenz machen dürften.
Wäre tatsächlich der tractator als Unternehmer anzusehen, so
hätte es gerade ihm freistehen müssen, sein Kapital zu nehmen,
wo er es fand, und sich auch mit mehreren Kapitalisten zu ver-
binden: wozu es in Italien ja auch gekommen ist”).
Den wesentlichen Unterschied zwischen der Stellung des trac-
tator und der des socius stans in diesem Punkt übersieht auch
SILBERSCHMIDT?). Er weist zwar noch auf PAPPENHEIM, Alt-
nordische Handelsgesellschaften, hin, nach dem die Grägäs be-
stimmt, daß ein felag „gesetzlich (at lögum) nur dann vorliegt,
wenn der Unvermögendere unter den Genossen sein gesamtes,
auf der Fahrt mitgeführtes Gut in die Gemeinschaft eingelegt
hat‘)“. Er führt ferner einen Fall von 1360 aus dem Lübecker
Niederstadtbuch an, wonach der eine Gesellschafter bekennt,
quod omnium bonorum suorum, ubieunque ea habuerit, duo
denarii dicto domino Johanni pertinent”).
Allein er will hier und in Renme Nr. 5 und sogar in Nr, 55
nur den Zweck erkennen, „Durchstechereien zu verhindern ")*.
1) LOERSCH, Aachener Rechtsdenkmiäler, Abt. II Nr.5 5.1781. Danach
SCHMIDT 8.53 f. Besser, weil nach dem inzwischen gefundenen Original,
LOERSCH und SCHRÖDER, Urkunden zur Geschichte d. deutschen Privatrechts '
Nr. 188.
2) Vgl. oben S. 507.
3) Kumparnie und Sendeve, 8. 47 f. Übrigens 1. S. 47 letzte Zeile
„Commendatar“* statt „-- tor“.
4) Z. f. d. ges. Handelsrecht. Bd. 56 5. 110,
5) Nr. 71a, aber nicht etwa bei REHME, wie man glauben würde, son-
dern bei Moı.Lwo 8.84 f.
6) Vgl. oben 8. 575 f.
918 F. Keutgen
Die “Konkurrenzklausel“ will er in Deutschland erst „in der
späteren Entwicklung“ finden, wie in einem Nürnberger
Vertrag Koler-Kreß-Saronno von 1506, wo $ 10 allen
Gesellschaftern den Betrieb von sonderlich Gewerbe noch Handel
ohne Zustimmung der andern untersagt‘. Allein er sieht
sich doch auch genötigt, jene Aachener Weinhändlergesellschaft
von schon 1360 anzuführen*) Den springenden Punkt über-
sieht er.
Besonders lehrreich in mehr als einer Hinsicht endlich ist das
vielberufene Verzeichnis von Kölner Kaufleuten und ihren
Faktoren in London vom 17. August 1468, wo angeblich
manchmal ein Faktor — wie in Italien — mehrere Kaufleute
vertritt?). Das ist buchstäblich richtig, aber nur bei sehr ober-
flächlicher Betrachtung. Denn der aufmerksame Leser sieht x0-
fort, daß die so gemeinsam vertretenen Kaufleute gesellschaftlich
verbunden waren. Dreimal vertritt ein einzelner Faktor einen
Kaufmann, zweimal zwei und einmal fünf Kaufleute. Fünfmal
dagegen wird ein einzelner Kaufmann von einem Faktorenpaar
vertreten, und in weiteren fünf Fällen haben je zwei Kaufleute
“emeinsam zwei Faktoren. Gerade diese letzten Fälle, nach der
Formel „Jak. Butschoe und Peter de Syberg, Faktoren des Peter
Kannengießer und des Andreas Hoecker“, stellen das Verhältnis
völlig klar. Überhaupt aber ist zu merken, daß alle diese Kauf-
leute, 27 an Zahl, von denen 8 alleinstehen und 18 zu 8 Gesell-
schaften verbunden sind, ihre ganz bestimmten Faktoren haben,
und ebenso die 26 Faktoren, von denen 6 allein, 10 paarweise
1) SCHULTE, Geschichte des westdeutschen Handels, Bd. II Nr. 399,
NS. 271.
2) S. 48.
8) SILBERSCHMIDT, S. 25; LEVIN, Z. f. d. ges. Handelsrecht Bd. %
S. 468; LErA. Kommissionsgeschäft im Hansagebiet S. 24. Das Verzeichnis
steht aber nicht bei ENNEN und EUKERTrz, Quellen, wie alle drei Autoren
sayren, sondern bei ENXEN, Geschichte d. Stadt Köln, Bd. III, S. 704 f. Jetzt
besser Hans. Urkb., Bd. IX Nr. 491 S. 348 f. (Beiläufig bedeutet dort
Nr. 535 Anm. 1 der Name Patynmaker nicht ,Anfertiger von Kelchdeckeln‘,
sondern „Holzschuler“, von „patten“, dem hohen Holzschuh, der in weitem
Gebrauch war, um durch den Straßenschmutz zu waten. Die Herstellung
von Patenen wird kaum einen besonderen Erwerbszweig gebildet haben).
Hansische Handelsgesellschaften. 579
arbeiten, ihre festen Auftraggeber. Es ist hier also nicht nur
keine Rede davon, daß ein Faktor oder Kommendatar mehrere
konkurrierende Kaufleute verträte; sondern wir haben hier den
Beleg für 16 Kölner Kaufmannshäuser, die mit ebensoviel in
London etablierten, wenn auch aus Köln stammenden Filialen in
dauerndem Verhältnis stehen. Daß das Beispiel ein Jahrhundert
jünger ist als die Zeit, mit der wir uns vorzugsweise befassen,
nimmt ihm kaum etwas von seiner Bedeutung.
SCHMIDT zitiert in diesem Zusammenhang noch aus den Ord-
nungen einer Leipziger Ratskommission von 1464 folgende
Sätze:
Item es mag ein burger mit einem uslendischen gaste
geselschaft haben ...
Item der burger mag auch dorbei wol einen sunderlichen
handel haben).
Das scheint fast der Standpunkt unserer neuesten Gesetz-
gebung. Sieht man aber die Quelle selbst an, so findet man
alsbald, daß die Verordnung mit diesen Fragen unmittelbar nichts
zu tun hat, sondern das Fremdenrecht betrifft. Es handelt sich
darum, daß Waren, die in die Gesellschaft eines Bürgers mit
einem Fremden gehören, den Regeln für die Waren Fremder
unterliegen sollen, was aber nicht hindert, daß Waren, die der-
selbe Bürger etwa noch außerhalb jener Gesellschaft führt, die
Vorzüge der Waren anderer Bürger genießen. Vorausgesetzt ist
dabei ja freilich, daß jemand außer einer Gesellschaft, an der
er beteiligt ist, noch ein eigenes Geschäft betreibt: aber ernstere
Aufschlüsse über das Gesellschaftsrecht gewährt die Stelle nicht. —
Nachdem wir indessen in diesem wichtigen Punkte die Stellung
der Gesellschafter aufgeklärt haben: wie verhält es sich mit ihrer
Haftung?
VII.
Die Gesamthand.
Wir präzisieren zunächst unsern Standpunkt.
Zwei Merkmale charakterisieren die offene Handelsgesellschaft:
1) Scnamipt, S. 61. Urkb. d. Stadt Leipzig, Bd. I, Nr. 383 S. 814.
638 Ottomar Thiele
tations de ces terres avec des procurations simulées de régisseurs
comptables, ou à des habitants des villes, souvent très éloignés
de ces terres, ou enfin, ce qui est le pire de tout, à des com-
pagnies dont tous les associés demeurent à Paris, où ils avaient
perdu leurs emplois dans les sous-fermes, ont imaginé qu’en
prenant à bail général les grosses terres et biens d’eglise dans
toutes les parties du royaume, même avec augmentation consi-
dérable pour les propriétaires, ils pourraient se dédommager par
les gros gains qu'ils feraient sur les uns, de quelques pertes
qu'ils pourraient faire sur les autres. Il ne faut pas avoir une
grande connaissance de la nature des biens de campagne, pour
être effrayé des abus de cette administration totalement destruc-
tive de toute culture et amélioration. Ces fermiers à bail général
ont la même autorité sur ces gros biens que les propriétaires,
mais ils ne peuvent avoir l'esprit de la propriété. Ils ne pensent
qu'à l'intérêt de leur bail, à payer exactement pour en avoir un
second; ne connaissant pas même la gestion des biens de cam-
pagne, ils ne pensent qu'à forcer les baux particuliers. Ils mor-
cellent les fermes, désolent les terres, ne les laissent point reposer.
Ils vexent les fermiers en frais et en poursuites, ils les ruinent.
Les bâtiments tombent en ruine, les bois sont dégradés, les prés
sans entretien, c’est comme une destruction plutôt qu'une culture.
Les biens des maisons religieuses, leur manse n'est pas ainsi
gouvernée, ni même les terres des propriétaires qui en ont quel-
que connaissance, qui les afferment en détail, même par leurs
gens d’affaires; quoique malaisés, le sentiment de leur propriét
leur fait craindre de perdre leurs fermiers, les force à attendre
les payements. S'ils ne peuvent faire d'améliorations, du moins
ils entretiennent et ne détruisent pas.
Pour remédier à ces vices généraux d’administration totale
ment destructifs de tout genre de culture, de production, et qu
font perdre toute idée d'amélioration, ne pourrait-on pas, Monsieur,
fixer le nombre de charrues qu’un corps de ferme ne pourrai
excéder; défendre à tout fermier d'exploiter deux corps de fermes
séparées; défendre la destruction des corps de ferme pour en
morceller les terres et les diviser en marchés particuliers à des
haricotiers ignorants; défendre d’affermer une terre à bail general
Hansische Handelsgesellschaften. 581
wenn der Grundgedanke der offenen Handelsgesellschaft zu allen
einschlägigen Grundsätzen des älteren deutschen Rechts in Wider-
spruch stände, so daß aus einer organischen Weiterbildung sich
die Neuerung nicht erklären ließe.
Demgegenüber wird sich zeigen, daß der Grundsatz der offenen
Gesellschaft durchaus in der Richtung der Weiterbildung des
älteren deutschen Rechtes lag, und daß dieses durch die wirt-
schaftliche Entwicklung gewissermaßen mit Notwendigkeit end-
lich zu seiner Herausbildung und Anerkennung gedrängt wurde,
so daß zu der Zeit, von der wir handeln, alles hierzu auf dem
besten Wege war.
Endlich aber ist auch die Herkunft aus der Hausgemeinschaft
für das Gebiet der deutschen Seehandelsgesellschaften abzulehnen:
der Zustand, den wir im 14. Jahrhundert in den deutschen See-
städten antreffen, rührt vielmehr aus einer anderen Quelle her,
ringt sich aus Verhältnissen los, in denen die Hausgemeinschaft
keinen Platz hat. —
Unter den älteren deutschen Rechtsinstituten kann diese Ent-
wieklung zur vollen Solidarität der offenen Handelsgesellschaft
nur anknüpfen an die Gesamthand: es wird also darauf an-
kommen, zu zeigen, daß die beschränktere Solidarität der Ge-
samthand bereits zu dem Punkte vorgeschritten war, daß nur
noch ein Schritt sie von der vollen, in der offenen Gesellschaft
gegebenen trennte.
Der ursprüngliche Gegensatz zwischen der Gesamthand und
der in der offenen Gesellschaft gegebenen Solidarität liegt ja
darin, daß in der Gesamthand eine Mehrzahl, eine Gesamtheit
für einen oder für eins bürgt, in der offenen Handelsgesellschaft
dagegen jeder einzelne sich für das Ganze verpflichtet.
Der Übergang ist gegeben, wenn bei der Gesamthand für das,
was alle gemeinsam gelobt haben, jeder einzelne der Gesamt-
händer in vollem Umfange haftbar gemacht werden kann. Und
als Ergänzung tritt hinzu, wenn auch für das einer Gesamtheit
Gelobte jeder einzelne den Anspruch der Gesamtheit vertreten
darf.
Beides — namentlich aber das Erste und Wesentliche —
findet sich in deutschen Rechtsquellen zu zweckdienlicher Zeit
640 Ottomar Thiele
32 liv. de droits de contrôle
150 , demi-centième denier
182 liv.
45 „ 108. des 8 8. p. liv. (vingtième)
227 liv. 10 8.
Ne serait-ce pas contre ces droits que la liberté peut réclamer
avec d'autant de succès, que l'intérêt de la ferme ne pourrait
être objecté, parce qu'ils ne lui produisent rien; les propriétaires
qui font ces baux, ayant grand soin de les faire sous seing privé;
à l’égard des ecclésiastiques, ils sont usufructiers, or, les baux
des usufructiers laïcs subsistent à leur mort, le propriétaire ne
peut les casser en rentrant en jouissance; ne seraient-ils pas au
moins aussi favorables que lesdits ecclésiastiques ? Ne pourraient-ils
pas craindre de même, que les usufructiers n’eussent diminué le
prix des baux, qu’ils n’esperaient pas devoir finir, pour se procurer
des pots-de-vin payés comptant? Ce droit dont les ecclésiastiques
n’usent que trop souvent, ou menacent du moins pour forcer les
fermiers à une augmentation en pot-de-vin, peut-il être regardé
comme un privilège de l'Eglise? Sur quoi est-il fondé? Est-il
ancien? Doit-il subsister, s’il est destructif des biens de l'Eglise?
On pourrait donc examiner, si l'intérêt de la ferme des domaines
et celui des ecclésiastiques sont assez réels, et assez forts pour
balancer l'intérêt évident de la culture, le premier de tous les
biens.
Un des grands profits des fermiers, et tous leurs profits
retournent à la culture, est d’avoir des bles pour garde. Ih
voudraient tous payer leurs maîtres en argent. L'usage des pays
de cette province est de faire les baux partie en blé, partie ea
argent; on n’y connait point, ou peu, les baux à moitié, à tiers
franc. Ce serait trop gêner la liberté du propriétaire, que de le
forcer à affermer tout en argent. Mais le même inconvénient &
trouverait-il en faisant payer des droits de ballage, de mesuragt
etc. en argent, non pas à un prix fixé pour toujours, mais €1
prix du marché du jour? Ces droits sont toujours affermés. Le
bail se règle sur l'appréciation des prix des marchés d’un certain
nombre d'années. Ce n’est donc point le propriétaire de ces
Hansische Handelsgesellschaften. 583
Wegen dieser Späte hält SCHMIDT „römisch-rechtlich-italienischen
Einfluf“ für wohl möglich. Ganz abgesehen davon, daß das
römische Recht, wie allgemein zugestanden ist, die echte Soli-
darität überhaupt nicht kannte, so übersehen beide Forscher, daß
gerade der $ 52 nicht zu den „späteren Zusätzen“, sondern zu
dem ursprünglichen Bestand der Schra von spätestens 1350 ge-
hört ').
Die erwähnte Ergänzung zu den gegebenen Sätzen aber bieten
die Goslarischen Statuten, die spätestens 1359 aufgezeichnet
sind:
Wur lüde lovede tosamene untfat, löstet man dat deme
sakwolden [d. h. einem, der die Forderung vertritt], men
is van in allen ledich unde los.
Es wird aber auch die Möglichkeit vorgesehen, daß Alle
klagen, oder daß Zahlung an einen Bestimmten vorher ver-
abredet war?).
Noch nicht ganz auf diesem Standpunkt steht der vermehrte
Sachsenspiegel Ende des 13. Jahrhunderts, Landrecht III. 85,
wo in bezug auf die erste Seite der Frage $ 1 lautet:
Svar mer lüde den ein geloven tosamene en weregelt
oder en ander gelt: al sin si it plichtich to lestene, die
wile it unvergulden is, unde nicht ir iewelk al; mer man-
lik also vele alse ime geboret, unde alse vern als man in
dar to gedvingen mach von gerichtes halven, — die, deme
it dar gelovet is, oder die it mit ime gelovede, of he it
vor ine vergulden hevet?).
HoMEYER meint, der Sinn sei wohl: „jeder kann auf das
Ganze belangt werden, befreit durch seine Zahlung die übrigen
und kann sie pro rata in Anspruch nehmen“ *),. Soviel vermag
ich allerdings nicht herauszulesen, sondern nur:. der einzelne
Gesamthänder ist verpflichtet nur für seinen Anteil; dafür kann
1) SEYBERTZ, a. a. O., S. 888 Anmm. 414, 416, 420 u.s. w. ILGEN, Deutsche
Städtechroniken, Bd. XXIV, S. CXLH.
2) GÖSCHEN, Die Goslarischen Statuten (Berlin 1840), S. 75, Z. 35 ff.
Dazu S. VI.
3) HOMEYER, Sachsenspiegel, Landrecht, 3. Aufl. S. 882 f.
4) S. 383 Anm.
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 39
636 Ottomar Thiele
leur louer leurs fermes de 2 et 3 charrues, même d'en détruire
les bâtiments dont ils n'avaient pas besoin. Ils ont augmenté
d’abord la redevance. Ensuite maîtres du pays, ayant éloigné
les laboureurs moins riches qu'eux, ils font la loi, donnent les
prix qu’ils veulent des différents corps de ferme qu'ils font valoir
à la fois, ou des terres des fermes dont on a détruit les bâti-
ments. Il en résulte que dans les paroisses où l’on voyait 5
ou 6 fermiers de la première classe, 8 on 10 de la seconde, il
n’en reste plus en tout que 2 ou 3. Ces deux fermiers trop
occupés, labourent bien leurs bonnes terres, mais ne cultivent
point les médiocres. Ils ont moins de bestiaux, de volailles, et
employent moins de monde que 5 ou 6 fermes de 2 ou 3 charrues
chacune. Elles faisaient vivre 15 à 20 familles dans une paroisse
où il n'y en a plus que 5 ou 6. La paroisse est dépeuplée, et
ces gros fermiers, ne s’attachant qu'au seul objet du blé, ne font
point d'autre genre de culture ou de commerce. Il est certain,
que la culture était plus forte et plus générale, la population
plus nombreuse, quand il y avait dans la paroisse plus de
différents cultivateurs, qui tous étaient obligés d’y trouver leur
subsistance. On sent l'inconvénient contraire dans les pays qui
coupés par différents genres de productions, bois, prairies ete.
n'ont jamais eu que des fermes de 2 ou 3 charrues. Les fermiers
de ce pays, restés dans un état de médiocreté, parce qu'ils
n’ont pu former cet amas de blé, qui ont enrichi ceux dont on
vient de parler, ont plus éprouvé toute la rigueur des charges
depuis 20 à 30 ans et, forcés de diminuer d’année en année leur
culture et leur production, se trouvent presque tous ruinés; leur
enfants sont hors d'état de prendre des fermes.
On ne trouve presque plus dans ce pays de fermiers capables
de soutenir une ferme de 2 ou 3 charrues. Le propriétaire
obligé de morceller les terres de la ferme, de les diviser en
marchés particuliers qu’il donne à de petits laboureurs, nommés
haricotiers, qui sans fortune, n'ayant rien à perdre, ne craignent
point de prendre les lots des terres à tout prix, sans connaissances,
comme sans moyens pour la culture, ils la laissent dépérir. ls
égratignent la terre, ne fument point, n'ayant point de bestiaux:
et pour gagner de quoi payer leurs impositions, font des voitures
Hansische Handelsgesellachaften, 585
recht nur ,prinzipale solidare Haftung aller durch die gesamte
Hand verbundenen Personen“ '),
Die unmittelbare Anwendung der Lehre jener Rechtsquellen
des 14. Jahrhunderts auf die Handlungsgesellschaft würde ja die
sein:
Wenn die Gesellschafter zu gesamter Hand eine Verpflichtung
eingegangen sind, kann jeder von ihnen gerichtlich gezwungen
werden, die ganze Schuld abzutragen: — jeder, also der, dessen
man habhaft werden konnte, also im Auslande der, der dort das
Interesse der Gesellschaft vertrat.
Umgekehrt hatte jeder Gesellschafter, also wiederum ins-
besondere der auswärts tätige, Recht und Macht, eine Forderung
an die Gesellschaft einzukassieren oder einzuklagen.
In solchem Falle würde man gewiß — wenn man die Soli-
darität zum Kriterium macht — bereits von offener Gesellschaft
sprechen müssen.
Allein jener Fall hat ja zur Voraussetzung, daß die Verpflich-
tungen zu gesamter Hand eingegangen sind. Das aber wird im
auswärtigen Handel unter den Verhältnissen, die da im Frage
kommen, sich kaum je ermöglichen lassen, da eben auswärts
regelmäßig nur einer für die Gesellschaft auftritt.
Zum springenden Punkt wird daher: ob man bereits zuließ,
daß ein einzelner die gesamte Gesellschaft verpflichtete, und ob
der einzelne Handelnde Schulden einfordern konnte, die nicht
ihm, sondern seinem Teilhaber oder Chef gegenüber eingegangen
waren.
Besondere Schwierigkeiten standen also im Handel der An-
wendung jener Grundsätze über die Solidarhaft entgegen.
Besondere Erleichterungen in ihrer Anwendung waren aber
gerade für den Handel dringendstes Bedürfnis.
Wie hat sich da die Praxis geholfen? Und wie das Recht
sich dazu gestellt?
Endlich: ließ die Gesellschaft in geschlossener Gesamtheit
sich darstellen durch einen einzelnen?
1) À. a. O. S. 67 £.
Brief Francois Quesnays an den Intendant von Soissons.
Monsieur,
J'ai lu avec beaucoup d’attention tous les details dans lesquels
vous êtes entré sur la culture des terres de votre généralité,
qui est une des plus fertiles du royaume, et qui a les débouchés
les plus faciles pour le débit de ses productions. Mais ce dont
j'ai été le plus touché, c’est le zèle et les bonnes intentions qui
sont exposés avec une candeur et une sincérité très respectable,
et avec des vues fort lumineuses.
Comme c'est du gouvernement seul que dépend la prospérité
ou la dégredation de l'agriculture, et non des instructions que
l’on prétend donner aux cultivateurs, c’est ce point de vue
général qui est le plus intéressant. Que faut-il donc attendre
du gouvernement? Deux choses principales: 1) la liberté du
commerce des productions de la terre; 2) la sûreté des richesses
nécessaires pour l'exploitation de la culture. Il n’y a rien de
plus à desirer, que ce que vous m’en avez dit sur la première
de ces conditions, mais vous avez presque oublié la deuxième.
Les richesses de l’exploitation ne doivent rien à l'impôt, c'est
le produit net qui le doit. Ainsi, quand le laboureur a afferme
à condition de payer l'impôt, on ne peut l’augmenter dans le
cours de son bail, sans le rniner, si cette augmentation porte sur
ses avances d'exploitation. Car on sait avec quelle rapidité le
dommage s'étend sur la culture, quand on retranche de se
avances. C’est pourquoi on leur a donné pour devise: noli me
tangere. Or, comment le fermier qui se charge d’une entreprise
d'agriculture, peut-il traiter avec le propriétaire qui le chargerait
de payer un impôt, qui n'aurait ni règle ni mesure assurées”?
GE
. L achte, mm
CE ud
= an rien ln “ondlinefinsé -dn.4 -
Hansische Handelsgesellschaften. 587
Die gegenteilige Lehre, wonach der tractator, der auswärts
Handelnde, nur sich persönlich verpflichtet hätte, setzt primi-
tive Zustände voraus, die möglicherweise im 12. Jahrhundert am
Mittelmeer, zumal zwischen Angehörigen verschiedener Religionen
und verschiedener Kulturkreise, bestanden haben mögen — dar-
über steht mir kein Urteil zu —, die aber in der hansischen
Handelswelt des 14. Jahrhunderts längst überwunden waren !).
Eine andere Frage ist nur, was geschah im Falle der Insol-
venz: ob der Kaufmann, der auf Kredit ohnehin keinen Anspruch
mehr erhob, in seiner Absicht, Gesellschaftsverpflichtungen zurück-
zuweisen, anfangs noch in einem veralteten Rechtszustand Zu-
flucht fand? Auf lange sicher auch das nicht. —
Zum Glück besitzen wir ein Material, das es uns erspart, so-
æleich die spröden Verhältnisse des Überseehandels heranzuziehen.
Geldersens Handlungsbuch bietet es uns in seinen zahlreichen
Eintragungen, die Geschäfte mit Kaufleuten der Nachbarstädte
Hamburgs betreffen, Kaufleuten aus Lüneburg, Lübeck, Kiel,
Flensburg, Braunschweig, Hannover, Ülzen, Lüchow,
Heiligenhafen oder dem aus Karls des Großen Grenzordnung
bekannten Scheesel. Diese Männer machten ihre Einkäufe
persönlich auf den Hamburger Märkten; Gläubiger und Schuldner
standen in regelmäßiger persönlicher Berührung in einem Maße,
wie es zwischen dem Chef eines Hamburger Exporthauses und
seinen Kunden in Flandern oder England oder in Nowgorod 80
nicht der Fall sein konnte. Dennoch mußte die Trennung des
Wohnsitzes zu Kombinationen führen, die über das beim Orts-
verkehr Gebotene schon beträchtlich hinausgingen.
Wir finden nun, daß in zahlreichen Fällen,. wenn auch keines-
wegs regelmäßig, für die bei Geldersen gemachten Einkäufe
zwei, selten auch mehr Kaufleute gesamthändig haften:
nicht nur Hamburger, sondern gerade auch auswärtige.
Sehen wir ab von den wenigen Fällen, wo die so verbundenen
1) Ganz so schlimm kann es übrigens nach den von SILBERSCHMIDT
S. 45 angeführten Beispielen auch im Süden nicht gewesen sein. Ich ver-
stehe wenigstens nicht die Verpflichtung des Tractators, zu handeln „ad
nomen cuius sunt“, wenn damit nicht seine Prinzipale haftbar gemacht
werden sollten.
Brief François Quesnays an den Intendant von Soissons.
Monsieur,
J'ai lu avec beaucoup d'attention tous les details dans lesquels
vous êtes entré sur la culture des terres de votre généralité,
qui est une des plus fertiles du royaume, et qui a les débouchés
les plus faciles pour le débit de ses productions. Mais ce dont
j'ai été le plus touché, c’est le zèle et les bonnes intentions qui
sont exposés avec une candeur et une sincérité très respectable,
et avec des vues fort lumineuses.
Comme c'est du gouvernement seul que dépend la prospérité
ow la dégredation de l'agriculture, et non des instructions que
l'on prétend donner aux cultivateurs, c'est ce point de vue
général qui est le plus intéressant. Que faut-il donc attendre
du gouvernement? Deux choses principales: 1) la liberté da
commerce des productions de la terre; 2) la sûreté des richesses
nécessaires pour l'exploitation de la culture. Il n’y a rien de
plus à desirer, que ce que vous m'en avez dit sur la première
de ces conditions, mais vous avez presque oublié la deuxième.
Les richesses de l’exploitation ne doivent rien à l'impôt, c'est
le produit net qui le doit. Ainsi, quand le laboureur a afferme
à condition de payer l'impôt, on ne peut l’augmenter dans le
cours de son bail, sans le ruiner, si cette augmentation porte sur
ses avances d'exploitation. Car on sait avec quelle rapidité le
dommage s'étend sur la culture, quand on retranche de se:
avances. C’est pourquoi on leur a donné pour devise: noli me
tangere. Or, comment le fermier qui se charge d’une entreprise
d’agrieulture, peut-il traiter avec le propriétaire qui le chargerait
de payer un impôt, qui n'aurait ni règle ni mesure assurées?
Hansische Handelsgesellschaften. 589
waren, zusanımen ihre Einkäufe machten und auf Wunsch Gelder-
sens in jener Form für einander bürgten. Es sind eben kleine
Verhältnisse, wenn auch auf seiten Geldersens in diesen Ge-
schäften regelmäßig nicht solche des Detailhandels: es
werden fast durchweg ganze Stücke Tuch verkauft, aber stets
doch nur einige wenige.
Von ganz anderer Bedeutung ist dagegen, daß häufig die
Zahlungen geschahen durch die Hand eines Dritten,
Vierten, Fünften, die überhaupt nicht dem Gläubiger ver-
pflichtet sind, gar nicht zu den Gesamthändern gehören. Tech-
nisch wird das im Gegensatz zu „dare“ mit ,exponere“ (deutsch
„utgheven*) bezeichnet. Es heißt dann: „Dedit ..., quos ex-
posuit ©. Item dedit..., quos exposuit D“. Es springt in die
Augen, daß diese mit großer Regelmäßigkeit so ausgedrückte
Unterscheidung zwischen Begleichung der Schuld und Hingabe
des Geldes von größter Bedeutung für die Fragen ist, die uns
beschäftigen ). Denn es ergibt sich daraus mit aller wünschens-
werten Klarheit, daß man durchaus imstande war, die Ver-
tragserfüllung eines Abwesenden zu trennen von ihrem
In-die-Erscheinung-treten durch einen von ihm Be-
auftragten.
Es handelt sich jedoch hierbei nicht etwa um Anweisung der
Forderung auf Dritte: das kommt auch vor und wird mit „monstrare,
demonstrare, exhibere, bewisen“ ausgedrückt. Z. B. Nr. 114:
Item monstravit mihi ad Crystianum de Heyda in foro
beati Feliciani [einem der Jahrmärkte] 15 $, quos persolvet
in nativitate Christi.
Das war also eine Sache für sich.
Den Grund zu jenem Verfahren aber, das sich zwar auch im
Verkehr mit ortsansässigen Schuldnern findet, wird man darin zu
suchen haben, daß dem auswärtigen Schuldner am Verfalltag
(oder meist vielmehr zu der Zeit, wo er über Geld verfügte) die
Reise nicht gelegen war und er deshalb einen Dritten mit der
Zahlung beauftragte.
1) Ausnahmsweise kommt ungenau vor: „dedit X, quos dedit Y*. —
Die Belege sind so zahlreich zu finden, daß es sich nicht lohnt, sie einzeln
zu zitieren.
u42 Ottomar Thiele
Je recevais à tous moments des exprès de tous les pays de la
province. On ignorait partout la liberté rendue par l'arrêt de 1754,
quoique je l’eusse fait publier dans le temps. Je le fis connaître
par un grand nombre de lettres qui ne parlaient que de liberté:
je fis sortir les blés des villes qui craignaient d’en manquer, en
les assurant que, lorsqu'elles en mangueraient, on leur en
apporterait, parce que tout commerce libre prend son niveau
comme l’eau. Je rendis une ordonnance de 2 articles. L'un
ouvrait l’approvisionnement de tous les marchés, en ordonnant
que tous ceux que l’on savait avoir des blés, porteraient au
marché le plus prochain les quantités, par moi arrêtées pour
chaque semaine sous peine de 100 liv. d'amende. L'autre article
portait toute liberté de vendre le restant en quelque lieu que
ce fut. Les prix baisserent sur le champ.
D’autres objets considérables de productions dans cette pro-
vince sont les prairies dont une grande partie est en marais, à cause
de la quantité de moulins, établis sur les petites rivières dont
les points d’eau sont trop haut. Je ne perdrais pas de vue cet
objet à la paix, et surtout le dessèchement de 20000 arpents
de marais entre Marle et La Fère, pour lequel je suis commis
avec le Grand maître des eaux et forêts.
Les prés qui ne sont pas de temps en temps retournés, pre-
duisaient de trop grosses herbes, ou n’en produisent plus. C'est
une operation de 3 ans de les labourer et mettre en grains
après quoi on les remet en prés. C’est ce qu’on n'ose fair
attendre, qu’on les regarde comme navales, et par conséquent
sujets à la dixme, même lorsqu'ils sont remis en prés. On devrait
pourvoir à cet abus.
Les biens communaux sont très éloignés du genre de culture
dont ils sont susceptibles. Le partage de ces biens serait le
seul moyen d’en tirer quelque production.
Les bois font un object capital dans cette province, mais les
vues de l’inspection des maîtrises leur fait un tort considérable.
Les vignes ne sont que trop abondantes, ce qui produit une
misère générale chez le vigneron, quand la recolte manque, ot
quand elle est trop abondante. Cette année à Château-Thierrr,
calcul fait des frais, des droits et du prix que se vend le vin,
Hansische Handelsgesellschaften. 591
Auch dafür bietet GELDERSENS Handlungsbuch zahlreiche Bei-
spiele.
Ein solches Einfordern einer Schuld konnte geschehen ver-
mittelst einer förmlichen, behördlich beglaubigten Vollmacht.
Eine solche haben wir in dem Briefe des Hamburger Rats
an den Rat zu Kiel vom 30. Juli 1368, wonach Geldersen
drei Kieler Bürger als seine
veros procuratores plenipotentes
einsetzt, um in Kiel eine Schuld von 65 m. zu erheben
nomine suo et ad usum suum.
Der Schuldner
predictos denarios persolvet prefato domino Frederico
et quod cos det tribus, ut predieitur, supradictis ').
Dabei ist wieder von Interesse, daß der Schuldner die Summe
an (reldersen bezahlt, indem er sie den Bevollmächtigen gibt;
noch mehr aber, daß die Erhebung in des Vollmachtgebers Namen
und zu seinen Händen zu geschehen hat. Gerade die Möglich-
keit des Handelns im Namen eines abwesenden Bc-
rechtigten leugnet man: hier finden wir sie in einem amtlichen
Sehriftstück in festgeprägter Formel.
Diese Formalität der Ausstellung einer Ratsvollmacht wird
wohl nur im Falle von Zahlungsschwierigkeiten Platz gegriffen
haben. Die Sache bleibt aber dieselbe, wenn Geldersen ganz
regelmäßig Schulden auswärts durch seinen Teilhaber Albrecht
Lüneborg oder auch einfach durch einen Angestellten, „Knecht“
oder „scholer“, einkassiert. Hier also begleichen die Käufer ihre
Schuld nicht etwa an den, von dem sie die Waren gekauft
haben — denn das war Geldersen, da die Einkäufe regelmäßig
auf den Hamburger Jahrmärkten stattgefunden hatten —, sondern
an dessen Vertreter.
Die Vertretung des Gläubigers ist also sichergestellt.
Doch auch für die Verpflichtung des Schuldners durch
seinen Vertreter gibt GELDERSENS Buch, wenn auch nur
einen Beleg.
Eintragung Nr. 239 lautet:
1) NIRRNXHEIM, Geldersen S. 198 f.
648 Ottomar Thiele
On envoya à la Cour un mémoire où l’on montrait si clairement
les effets funestes de cette ordonnance, que le Contrôleur Général
en nia l'existence, et que l’exécution en fut arrêtée aussitôt. Une
pareille ordonnance peut être nécessaire dans quelques cas
particuliers, comme celui dans lequel vous vous êtes bien trouvé
pour un moment, et cela parce que le commerce des grains est
trop borné par la mauvaise police des provinces, et que les
monopoleurs en peuvent abuser. Mais cette manière de rémedier
aux facheux effets de cette mauvaise police qui empêche la
multiplicité des magasins, est aussi cruelle, que le mal quelle
cause. Si sous ce prétexte on forçait continuellement les laboureurs
à ne vendre leurs blés que dans les marchés, la moitié des payans
qui ne vivent que par le crédit, que le laboureur leur fait pendant
une partie de l’année, du blé qu’ils viennent prendre chez lui:
si les greniers, dis-je, sont fermés, il faudra donc qu’ils meurent
de faim. Je passe rapidement sur cet article qui entraine beau-
coup d’autres inconvénients, que je ne crois pas qu’il soit nécessaire
de vous développer, parce que je ne vous crois pas disposé à
soutenir de pareils usages.
Votre remarque sur les prairies, à l’égard de la dixme qui en
arrête les réparations, est très importante. Je ne puis me lier
à votre opinion pour la diminution des vignes. Je conviendrai
que cette culture nous est peu avantageuse, quoiqu’elle dût nous
être précieuse. Mais il faudrait remonter aux causes qui y nuisent,
au lieu de proposer d’en arrêter le progrès qui peut nous fournir
une richesse immense, et un commerce privilégié que nous devons
à notre territoire et à notre climat, et que nous détruisons de
toutes manières. Or le seul remède que Mr° les Intendants v
ont trouvé, a été de détruire les vignes, elles mêmes au mépris
de toutes les clameurs de la nation; on est encore plus indigné
du prétexte qu'ils alléguent. C’est, disent-ils, pour rendre à la
culture du blé, une partie des terres plantées en vignes. C'et
dans un royaume où le commerce du blé est défendu, que l'on
fait arracher les vignes pour étendre la culture du blé. Dans
un royaume où l’on n’a pas besoin de terres pour le blé, ni
d’une plus grande quantité de blé, sans liberté d’exportation.
Dans un royaume où l’on ne consomme qu'environ vingt millions
Hansische Handelsgesellschaften. 593
Wir müssen doch berücksichtigen, daß die Urkunden, die wir
haben, meist nur das innere Verhältnis beleuchten. Wenn heute
Herr Meier, Teilhaber der offenen Handelsgesellschaft Müller
& Meier, einen Kauf abschließt, so wird er freilich dem Ver-
käufer bescheinigen: „wir, Müller & Meier, kauften heute von
Ihnen“, nicht „ich“. Allein im innern Verhältnis würde auch
heute Herr Müller an seinen Associé den Auftrag erteilen, „kaufen
Sie zu dem Preis“. Und es ließe sich sehr wohl denken, daß
bei Gründung der Gesellschaft beide vor einem Notar einen Ver-
trag abschlößen, worin es hieße: „Herr Meier wird sich nach
Batavia begeben, wird dort von Zeit zu Zeit nach Maligabe der
Verhältnisse Kaffee einkaufen, wird dafür auf die und die Weise
Zahlung leisten, wird halbjährlich Rechnung legen“. Ob die
Gesellschaft „nach außen in die Erscheinung tritt“ oder nicht,
.trâte“ also selbst in diesen Sätzen „nicht in die Erscheinung“.
REHMES und SILBERSCHMIDTS Interpretation der Quellen aber
erklärt sich nur daraus, daß beide von vornherein von der Vor-
stellung beherrscht sind, daß regelmäßig einer der beiden Gesell-
schafter bloßer Kommanditist ist, der andere allein das Geschäft
betreibt.
Sehen wir nun, welches Licht etwa aus den Aufzeichnungen
der Wittenborgs auf diese Fragen fällt.
Zunächst haben wir da eine Reihe von Schuldbekenntnissen
aus dem Lübecker Nieder-Stadtbuch — veröffentlicht von MOLLwo
im Anschluß an Wittenborgs Handlungsbuch —, die eben
nur aus der Praxis bestätigen, was die verschiedenen Statuten
über die Verpflichtung bei der Gesamthand vorschreiben '): eine
Mehrzahl von Gläubigern kann durch jeden von ihnen ver-
treten werden:
Nr. 15 a. 1333: Drei Genannte aus Kiel schulden zu
gesamter Hand Hermanno de Wittenborch, Lutberto Droghe-
horne et Makoni de Wittenborch campsori vel uni eorum.
Nr. 20 a. 1334: H. und M. Wittenborch tenentur c. m.
Johanni Polono de Wenda vel Ludero de Wenda, genero suo.
Nr. 26 a. 1335: Mako Wittenborch campsor tenetur Jo-
1) Morzwo, S. 76 ff.
646 Ottomar Thiele
de la population ne doit pas diminuer le revenu. Cette erreur
est bannie de l’économie politique. Tout s’y calcule par le revenu,
ou le produit net qui est toujours la mesure de la richesse, et de
la force d’un état. 2° Vous dites que ces trop gros laboureurs
ne cultivent que les bonnes terres de leurs fermes, et abandonnent
les médiocres. C’est sûrement qu’ils ne trouvent pas de profit
à les cultiver, et ils font bien, car la perte diminuerait leurs
richesses d’exploitation, et toute leur entreprise croît mal. Faut-il
donc conclure de la, que les terres médiocres doivent rester
incultes? Oui, tant que les conditions nécessaires pour les
cultiver à profit, ne seront pas rétablies. Il en est de même des
défrichements et de la nouvelle culture (supposé qu’elle fut bonne);
il est trop tôt de proposer ces améliorations dispendieuses. C'est
mettre la charrue avant les bœufs; car tant que la culture du
blé sera réduite à la consommation de la nation, il ne faut pas
augmenter les récoltes. Cette augmentation qui ferait tomber les
grains en non-valeur, anéantirait bientôt le peu de culture qui
nous reste. Les erreurs sur ce point jettent de continuelles
contradictions dans les raisonnements sur l’état de notre agriculture
actuelle, et dans les vues que l’on se propose avant le temps
sur son accroissement, c’est à dire, avant les positis ponendis; et
c’est précisement cela qui ne doit pas être oublié par l'homme
d'état, parce que c’est spécialement son objet; lequel étant rempli,
tout ira bien. On portera de la terre sur les rochers, pour y
étendre la culture. L'état ne doit s'occuper que de sa partie, d
non de celle du cultivateur. Et il se trompera toujours, quand il
imputera à celui-ci les suites des erreurs de l’administration.
3° Vous dites encore que les trop gros laboureurs ne peuvent
pas satisfaire au travail de leurs grandes entreprises. Le fermier
ne doit pas être le travailleur. Un gros fermier est un habitant
notable, un riche entrepreneur qui est continuellement à cheval,
pour se porter ponctuellement à toutes les parties de son entre-
prise. Jugez de là, jusqu’à quelle étendue il peut porter son
activité et ses soins, et si un terrain de quelque lieu doit sur-
passer sa capacité, si d’ailleurs il est réellement assez riche pour
soutenir son entreprise; ne querellez pas les gros fermiers, mais
procurez nous en beaucoup.
Hansische Handelsgesellschaften. 595
ausdrücklich ein Gläubiger für alle eintreten konnte, so haben
die Gläubiger von Nr. 15 in der Tat einmal eine Handelsgesell-
schaft gebildet ); nach Nr. 20 war der eine Gläubiger Schwieger-
sohn des andern; über die von Nr. 26 und 32 wissen wir weiter
nichts. Bemerkt zu werden aber verdient, daß diese ganze
Gruppe älter ist als alle die andern Fälle; sie stammt noch
aus der Zeit von Johanns Vater Hermann Wittenborg: ist
es da zu viel geschlossen, daß die jüngere Generation es nicht
mehr für nötig hielt, ausdrücklich zu erklären, daß ein Gläubiger
für die andern eintreten würde, und es nur noch vermerken ließ,
wenn einmal von der Regel abgewichen werden sollte?
Wenn aber die Teilhaber einer Handelsgesellschaft ganz all-
semein als Gläubiger einander vertreten konnten, mußten sie dann
nicht auch als Schuldner wechselseitig eintreten, selbst wenn sie
nicht in der Form der Gesamthand sich ausdrücklich verpflichtet
hatten ?
Einstweilen seien noch einige von MoLLwos Auszügen aus
dem Nieder-Stadtbuch angeführt, die ganz allgemein die Frage
der Vertretung weiter beleuchten. |
Da sind erstens Nr. 9 und Nr. 80, wo der Gläubiger bekennt,
daß die Hälfte der auf seinen Namen eingetragenen Schuld
einem Dritten zukommt (pertinet): die zwischen zwei Gläubigern
bestehende Gemeinschaft wird also dem Schuldner und der Öffent-
lichkeit gegenüber durch einen von beiden vertreten.
Ferner Nr. 10, Nr. 20 und Nr. 25, wo eingetragen ist, daß
cin Dritter das Schuldbekenntnis tilgen lassen kann. Am vollsten
in Nr. 20
Hermannus de Wittenborch et Mako Wittenborch campsor
tenentur c. m. Johanni Polono de Wenda vel Ludero de
Wenda, genero suo, in 133!1/e m. arg. Jacobi. Wernerus
Holt potest tollere et iubere deleri, si neuter eorum venerit.
Es wird sich darum handeln, daß auswärtige Gläubiger durch
einen Lübecker Geschäftsfreund die Schuld erheben und das Be-
kenntnis streichen lassen. Das Interessante ist, daß dieser Fall
allgemein vorgesehen erscheint.
1) Handlungsbuch Hermann Wittenborgs I $ 14.
596 F. Keutgen
Vertretung der Gläubiger scheint auch vorzuliegen in Nr. 15,
die nach den angeführten Worten fortfährt:
ad manus Bartholomei, predieti J. Piscis avunculi filü.
Dagegen zeigen den umgekehrten Fall Nr. 6 und Nr. i, wo
ein Schuldner von den andern beiden, sowie Nr. 47, wo zwei
der Schuldner von dem dritten, mit dem sie gesamthändig haften.
der Haftung enthoben werden. So
Nr. 6: Hermannus de Seedorpe, Detlevus Sakendorpe
et Johannes Niger makelare tenentur c. m. Makoni de
Wittinborch campsori in 56 m. d. Martini. Hermannıs et
Detlevus eximent Johannem Nigrum.
Auf Nr. 42, wo ein gewisser Roletobe die mit ihm haftbaren
Andreas de Rostoke und Johannes Hamaa eximiert, kommen wir
noch zurück.
Endlich sei hier noch der FallMoLLwo, Nieder-Stadtbuch Nr. 74,
angeführt: Schuldbekenntnis des Hinricius Wraghe an Joh. Witten-
borg für 337 m. mit dem Zusatz:
Arnoldus Bardewik et Johannes Klinghenbergh, filius
domini Wedekindi, recognoverunt, se a dicto Hinrico 325 m.
sublevasse ad usum dicti domini Johannis Wittenborch.
Dritte erheben also eine Summe von dem Schuldner eines
andern, aber ausdrücklich nicht kraft eigenen Rechts etwa infolge
einer Anweisung, sondern im Namen des Prinzipals: Wobei noch
zu bemerken ist, daß der eine von ihnen, Arnold Bardewik,
wirklich lange Jahre hindurch in Wittenborgs Geschäft tätig war.
Indessen sind in dem Handlungsbuch ein paar Stellen, die
SILBERSCHMIPT für seihe Auffassung glaubt anführen zu
dürfen). Zunächst IL. 23:
Wittelie si, dat Lodeke Wisch hevet mi afkoft 20 Pope-
rensis panni(s) vor 102! m. Dar hevet vore ghelovet
Claws Wis sin here unde Albrecht Wilenpunt mit ener
sameden hant, vul to donede up [15. Aug.].
Auch MonLLwo versteht, daß hier Wisch im Auftrage von Wis
gchandelt habe: er bezeichnet es als Sendeve-Geschäft von dem
missus im eigenen Namen, wenn auch für Rechnung seines Herrn
1) SILBERSCHMIDT, S. 65. Vgl. MorzLwo, S. LXL
Hansische Handelsgesellschaften. 597
abgeschlossen. Allein wie ist es denkbar, daß der Diener das
Geschäft zwar im Auftrag und für Rechnung seines Herrn,
aber im eigenen Namen abschloß, wodurch er der allein Ver-
pflichtete wurde, dennoch aber sein Herr für ihn bürgte? Was
gäbe das für verzwickte Verhältnisse! Übrigens irrt sich SILBER-
SCHMIDT noch besonders, wenn er sagt, daß in 28a „derselbe
Diener ist Schuldner für einen andern Betrag“: es ist vielmehr
derselbe Herr, Claus Wis; der Diener Lodeke Wisch wird da
nicht einmal genannt.
Ähnlich wie in II 23 liegt die Sache in der von SILBERSCHMIDT
nicht erwähnten Wittenborg II 136:
... do vercofte ic Morbeken mit Johan Mornewech, is
sin geselle, 9 scippunt wasses ... vor 237 m. min 2' =.
... Dar hevet wore ghelovet J. Mornewech, sin here.
Weiter aber geloben dafür
Andrews van Rostoc, Hans Hamma, Roletobe.
Das Merkwürdige ist aber, daß im N.St.B. 42, wo die Schuld
eingetragen ist, diese drei allein als Schuldner erscheinen, wobei
Roletobe die andern beiden eximiert; und daß in der anschließen-
den 42a weiter Mornewech erklärt, für jeden Mangel an der
Zahlung von seiten der drei aufkommen zu wollen. Daraus er-
gibt sich klar, daß der im Handlungsbuch als Käufer genannte
Morbeke gerade nicht haftete, gar nicht als Schuldner galt. Man
kann als Sachverhalt nur vermuten, daß eigentliche Käufer die
drei gesamthänderisch Verbundenen waren, sich aber keines guten
Kredites erfreuten, weshalb der besser akkreditierte Mornewech,
möglicherweise irgendwie ihr Hintermann, seinen Angestellten
Morbeke zur Vermittlung des Geschäftes herlieh. Soviel aber
ist klar, daß die Sache zuletzt an dem Hintermann hangen blieb
— wie ja übrigens auch in II 23 —; ferner aber wiederum,
«laß solche vereinzelte Eintragungen viel zu undurchsichtig sind,
den wahren Charakter des zugrunde liegenden Geschäfts viel
zu wenig erkennen lassen, als daß man weitgehende Schlüsse
darauf aufbauen dürfte.
Völlig klar dagegen ist ein anderer Fall II 319, wonach
Wittenborg und Laurensiys 50 Vervierssche Laken für 400 m.
(vgl. $ 241)
650 Ottomar Thiele
ardeur, et que la terre paye. On s’en plaint, on les arrête, et
on dit qu’ils sont paresseux. Quand on se plaint, on n’examiue
pas, combien un paysan paye de redevance au propriétaire pour
un arpent de terre qu’il a planté en vignes, ni si cet arpent de
terre payerait autant de fermage, s’il était employé à une autre
culture. Cependant c’est par le fermage que l’on peut payer du
meilleur emploi de la terre, car c'est dans le fermage que
consiste le revenu du territoire, c’est à dire, le revenu de la
nation. Je connais un canton près de Paris (Champ) où les
terres employées à la culture des grains, sont louées par an
50° l’arpent, au lieu que celles qui sont engagées aux paysan:
pour la culture des vignes, payent 12! par an aux propriétaires
Ces terres donnent donc à peu près cinq fois plus de revenu
que les autres. Or, l’avantage de toute culture et de tout emploi
des terres, doit se calculer par le produit net, c’est à dire, par le
fermage que l’on paye aux propriétaires. Car le fermage doi,
en parlant en homme fiscal, servir de mesure pour l'impit
territorial, et non pas les hommes, ni leurs bestiaux, ni leur:
meubles, ni leur contribution, ni leurs facultés d'exploitation swi
lequel l'impôt dégénerait en spoliation. Ceux qui dirigent l'im-
position, ne se fixent qu’aux habitants à leur emploi ou à leur
aisance, comme si ces hommes étaient eux mêmes la terre qui
produit le revenu. M’* les Intendants n’aiment pas les vigneron.
parce qu’ils ne sont pas riches, et qu’ils ne peuvent presque pas
payer d’impositions personnelles, sans faire attention que l'im-
position bien ou mal entendue sur les vins, C’est à dire, sur le
produit de leur culture, monte à plus de 100 millions (?), somme
encore tirée presque toute en pure perte pour l'état sur environ
1600 mille arpents de terres plantées en vignes. Jugez de là, :i
aucune autre culture, malgré la misère des vignerons, peut être
comparable à celle-ci, ct si on doit produire un travail si productif.
et dire ensuite que les hommes sont paresseux. Les homme:
ne sont paresseux nulle part, quand ils peuvent jouir de leur
gain, mais ce n’est pas ainsi qu'on l'entend, c’est pour accroître
la charge. Les hommes se défient de la punition, et pour n'être
pas en pure perte pour eux la victime du travail et du fisc, ik
se réduisent au pur nécessaire physique qui se trouve plus facile-
Ispagna, in Africa e in Oriente durante l’età imperiale romana. 655
Nel mondo antico, per le stesse ragioni, per cui i prezzi medii
differivano dai massimi assai più che nel contemporaneo '), anche il
divario fra prezzi minimi e medii dovette essere maggiore, ma possiamo
starcene paghi ad assegnarvi un rapporto di 1 a 3. In tal caso, noi
veniamo ad ammettere che a Bilbilis, anzi, pud dirsi, nella Celtiberia
in genere, il prezzo medio del frumento, nei primi del secondo secolo
di Cristo, oscillö intorno alle L. 6,50 ca. l’hl.
E invero noi non possiamo andare piü in là. La Celtiberia era
una regione spopolata, come ci provano testimonianze letterarie ed
epigrafiche, ed & noto quanto la scarsezza della popolazione influisca
sul morigerato costo dei viveri, anche in paesi, come la Celtiberia,
naturalmente sterili e infecondi*). Affatto diverso era l’aspetto e il
valore economico della Cisalpina, ma i prezzi del frumento, a cui, per
questo territorio, si poteva, in quello stesso tempo, pervenire, non
superavano le 5—6 lire l’h].5).
II.
Hispalis (Baetica). — Della Betica, e precisamente della sua
metropoli, Hispalis, noi possediamo un dato di altro genere; possediamo
una delle cosi dette iscrizioni alimentari, nella quale cosi una donatrice
si esprime: „... [qui sunt inr. p. n. pueri] ingenui Juncini item puellae
fingeuuae titianae, eis] quodannis in annos singulos HS L mililum
usuras semisses] dari volo, quam summam bis in ann[o natali C. Seii
viri mei] k. mais et meo VII k. maias in aliment[orum ampliationem]
accipiant pueri ingenui HS XXX nummos, pulellae ingenuae HS XL n.,
quamiquam summam sufficere credo. Si tamen numerus [puerorum
puellarumque 8. s.] maior erit, pro por[t]ione qua inter masculos [ut
distribuatur cavi], distribui omnibus volo; quod si amplius erlit in
legato, item aequabiliterq]ue inter eosdem distribuant|ur qui supererunt
nummi].“ #)
Noi abbiamo ad altra occasione) ricercato se, e in quale misura,
codeste donazioni alimentari possano informare del prezzo del frumento
nei luoghi, cui esse si riferiscono, e, scostandoci un po’ dall’opinione
ch" € prevalsa, abbiamo concluso che rappresentano in genere un
largo equivalente del fabbisogno frumentariv» dei beneficiati, il quale
tıttavia pud talora variare in dipendenza di motivi estranei a
qualsiasi aumento o deminuzione del prezzo del grano. La presente
iscrizione n° & una riprova. Mentre in genere, nelle fondazioni alimen-
tari, le donne ricevono assegni inferiori ai maschi, esse, questa volta,
—— ———
1» Cfr. RODBERTUS, Zur Frage d. Sachwerths d. Geldesim Alter-
tum (in Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Se la,
14. 37; 363 sgg.).
2) SrnaB. 3, 4, 14.
3) Cfr. BARBAGALLO, Il prezzo del frumento durante l’età im-
periale romana in Grecia e in Italia (in Riv. di st. ant. 1906,
1. p. 69).
4) C. L L. Il, 1174.
5) Cfr. BARBAGALLO, op. cit. in Riv. di st. ant. 1906, I, pp. 64—65.
652 O. Thiele: Fr. Quesnay u. die Agrarkrisis i. Ancien régime.
lorsqu'ils disent que l’agriculture est devenu à /a mode, et que
les livres qui se sont si multipliés sur cet objet, n’ont pas encore
porté un grand fruit; et ils ne s’apperçoivent pas qu’on les regarde,
et que c’est de leur propre besogne que le public est occupé
des malheurs qui en résultent. Tous les effets des méprises de
l'administration politique de l’agriculture, c’est à dire, des fonds
et des revenus du royaume, peuvent se mesurer, se calculer; c’est
une partie visible et susceptible de démonstration dans tous les
points. La connaissance n'en est pas réservée à ceux qui la
conduisent; elle n’a rien de caché, et tous les hommes sont
intéressés à l’examiner, à l’approfondir, à la développer, et à la
manifester par droit de raison et de patrie. La vérité réunit ia
l'intérêt du souverain, et l’intérêt de la nation. Tous les préposés
de l'autorité, et tous les citoyens instruits sont éclairés par le
même flambeau; ils doivent marcher de concert et tendre a
même but. J’ai observé dans votre mémoire que vous y avancez
M., à grands pas; il est à souhaiter que vos subordonnes travaillent
avec plus de lumières, et avec plus de connaissances locales à
seconder vos bonnes intentions.
Hansische Handelsgesellschaften. 601
guder hanteret, und ofte he umme lon denet also eyn
gemedet knecht ofte nicht 1.
Der gemietete Knecht wird nicht zu den Rechten der Hanse
in England zugelassen. Wie konnte er da in eigenem Namen
handeln? Es wirkt bei SILBERSCHMIDT eben auch hier seine
falsche Auffassung des Sendeve nach.
Zugelassen ist allein der Bürger einer Hansestadt, der
trig up sinen voten steit, leddich van allen loften.
Wie ist nun die Anwendung des gefundenen auf diesen, falls
er mit einem Mitbürger daheim vergesellschaftet war? Welchen
Halt hatte man im Auslande gegenüber seinem abwesenden Teil-
haber?
Jeder, der zum Recht des deutschen Kaufmanns in London
zugelassen sein wollte, mußte sich darüber ausweisen, wer er war.
Er mußte zwei Bürgen für die Richtigkeit seiner Angaben stellen.
Es wurde auch nachgeforscht, ob er etwa mit Nichthansen ver-
gesellschaftet war.
Mochte das alles auch zunächst nicht zur Feststellung der
privaten Kreditwürdigkeit des Bewerbers verordnet worden sein, 80
in zweiter Linie doch wohl. Und auf alle Fälle zeigt es, daß es
im Auslande nicht allein auf das persönliche Auftreten des Mannes
und das, was er an Geld und Waren mit sich führte, ankam,
sondern mindestens ebensosehr auf das, was er zu Hause galt
und war.
Bedurfte also auch der Kaufmann, der „frei auf seinen Füßen
stand“, im Auslande nicht einer Vollmacht seines Teilhabers da-
heim, wie der mit Sendeve betraute „gemietete Knecht“ der
seines Herrn, so muß es doch auch seinem Kredit und seiner
Geschäftsführung von Nutzen gewesen sein, wenn er Briefe vor-
weisen konnte, aus denen sich ergab, daß er mit, jenem wohl-
bekannten Lübecker Kaufmann assoziiert war.
1) LAPPENBERG, Urkundl. Geschichte des Hansischen Stahlhofes zu London.
Urkunden, S. 107, Art. VI. Der Artikel ist nicht sicher zu datieren, da die
Handschrift der Statuten des Kontors zu London von 1320—1460 keine zeit-
liche Reihenfolge innehült. Der nächste datierte Artikel vorher ist Art. IV
von Himmelfahrt 1447, von dem aber mehrere Bestimmungen auf Rezesse
von 1366 und 1418 zurückgehen. Vgl. LAPPENBERG, a. a. 0.
656 Corrado Barbagallo: Miszelle. Il prezzo del frumento in
benchè noi siamo costretti a integrare il passo colmando una lacuna,
è certo che ne ricevono uno superiore, e gli uni e le altre, una somma
inversamente proporzionale al numero dei beneficiati della dotazione.
Come che sia, noi abbiamo un assegno individuale annuo certo di
30 sesterzi, cio& di due sesterzi a mezzo al mese. Il consumo medio
individuale, pur trattandosi di ragazzi, non pud essere gran fatto
minore delle 4—5 moggia!); ne segue perciö un costo di eirca L. 0,12
al moggio pari a meno di L. 1,50 l’hl.
Se non che adesso non si tratta di prezzo, che sia dichiarato minime,
come quello datoci daMARZIALE per la Celtiberia, ed & questo ciö, che sovra
ogni altro ci impaccia. Hispalis era una città della fertile Betica, ricca di
pianure, di pascoli*), eccellente sovra ogni altra regione della Spagna
„Aiviticultu et quodam fertili et peculiari nitore“, ma ne
era anche la provincia più popolosa?), il che non doveva influire poco sul
prezzo delle derrate alimentari. Appunto per questo noi incliniamo a
credere che l’assegno della donatrice fosse inferiore al puro fabbisogno
frumentario aunuo dei beneficiati e servisse loro soltanto di sussidio seme-
strale. Abbiamo visto infatti i prezzi del frumento nella Celtiberia, ove,
se potevano essere superiori, non potevano indubbiamente distanziarsi
da quelli della Betica nella misura che la su riferita cifra darebbe.
Abbiamo visto i prezzi della Cisalpina, che, date la sua quasi identitä di
condizioni economiche e demografiche con la Betica, potevano solo di
poco superare gli altri offerti da quest’ ultima®), e non possiamo rite-
nere ammissibile un cosi grave divario°). L. 1,50 l’h1 potrebbe adunque
essere, non nelle intenzioni della donatrice, ma nella realtä, il prezzo
minimo di un hl di frumento della Betica, onde, ragguagliando quello
medio a tre volte codesta cifra, giungiamo a L. 4,50, cifra perfettamente
ragionevole.
A che anno si riferisce la donazione? Essa al certo non puö prece-
dere, od oltrepassare, i limiti estremi, dell’ età delle istituzioni alimen-
tari, il 97 di C. e il regno di Diocleziano, ma è forse possibile deter-
minarne con maggior precisione la cronologia. I fanciulli da beneficiare
sono ivi detti Juncini. Or bene, codesto nome ricorda quello di due
1) Cfr. op. cit., in loc. cit. pp. 67—68. Sono assai dolente di dover
citare ancora una volta me stesso, ma l’argomento, di cui trattiamo, & atato
cosi poco studiato e le conclusioni nostre si riconnettono tanto a dei pre
supposti fissati nell’ articolo che richiamiamo, ch’e, pur troppo, impossibile
fare altrimenti.
2) Srran. 8, 2, 1; 3. — P£ix., N. H. 3, 7.
3) Puin., loc. cit. — Strran. 3, 2, 1 sgg.
4) Nell’ età di Polibio, anzi, la Cisalpina vantava prezzi di frument
pari alla metä di quelli della Lusitania, che, quanto a condizioni economiche
e demografiche, tenne, più tardi (cfr. STRAB. 3, 3, 3—-4) un posto intermedio
fra la Celtiberia e la Betica. Cfr. Por. 2, 15, 1; 34, 8, 7.
5) Contro questa interpretazione parrebbe cozzare il „guam summam
sufficere credo“ dell’ epigrafe, riferito a „HS XXX numm os“, ma la
difficoltA pud eliminarsi, riferendo la frase alla somma totale, il cui interesse
annuo era rappresentato dai trenta sesterzi etc. etc. La donatrice cio®
avrebbe ritenuto la somma impiegata sufficiente a fornire, a un tasso deter-
minato, un determinato interesse.
Hansische Handelsgesellschaften. 603
diese Befreiung so weit gegangen sein, daß auch der wirklich
verpflichtete Dritte für die Schulden nicht haftbar gemacht werden
konnte, die sein Teilhaber im Verfolg der Geschäfte der Gesell-
schaft eingegangen war? Nein: seine Haftbarmachung ist die
notwendige Ergänzung zu jener Befreiung der Schuldlosen.
Wie sich die Sache in der Praxis gestaltet hat, ist eine andere
Frage, jedoch nicht eine Frage des Rechts. Unter Hansestädten,
deren Bürger vertragsmäßig gegenseitigen vollen Rechtsschutz
genossen wie die eigenen Mitbürger, wird kein Zweifel sein,
daß die Behörden dem Bürger der Schwesterstadt zur Erlangung
seiner Rechtsansprüche gegen sämtliche Teilhaber der schuldigen
Gesellschaft verhalfen, wie gegen den, der die Schuld eingegangen
war. Im Auslande mag dagegen der Verfolg des Rechts oft
schwer gewesen sein und bei den Behörden die Neigung vor-
gewaltet haben, den Landsmann unter allen Umständen zu decken
— jedoch auch dann, wenn er persönlich schuldig war. Indes
darf man auch da nicht zu schwarz sehen: es kam darauf an,
wie der Kläger seine Sache zu verfechten in der Lage war, —
gerade wie noch heute).
Endlich aber läßt auch in dieser Hauptfrage das Lübische
Recht uns nicht im Zweifel:
Ferner Kunze, | Hanseakten aus England (Hans. Geschichtsquellen Bd. VI)
S. IX ff.
1) Auch folgender Fall bestätigt meine Anschauung. Auf dem Jahr-
markt zu St. Ives hatte im Jahre 1315 der englische Gläubiger eines fremden
Faktors die bei diesem gefundenen Waren beschlagnahmen lassen, obgleich
der Schuldner erklärte, sie seien nicht sein Eigentum, sondern das seines
Herrn, eines Kaufmanns in Guynes. Dieser verklagte darauf den Abt von
St. Ives, der als Gerichtsherr jener Klage stattgegeben hatte, auf Schaden-
ersatz; denn nach Handelsbrauch habe er ein Jahr, bis zum nächsten Jahr-
markt, Zeit gehabt, sein Eigentum nachzuweisen. Der Abt behauptete da-
gegen, jener hätte noch auf demselben Jahrmarkt mit seinen Ansprüchen
sich einstellen müssen. Von dem königlichen Gericht wird der Fall einer
Jury von 48 Kaufleuten aus vier Haupthandelsplätzen überwiesen. Das Ur-
teil ist nicht erhalten. Allein wir sehen auf alle Fälle, daß zwischen dem
Eigentum des Faktors (mit „sendeve“ betrauten Knechts) und dem seines
Herrn unterschieden wurde, mit andern Worten, daß der Knecht die Ge-
schäfte im Namen seines Herrn machte. Nach GUETERBOCK, Zeitschr. f. d.
ges. Handelsrecht, Bd. IV S. 18f., dessen Quelle Placitorum abbreviatio,
8 Edw. II, Trin., ap. Westm., ist.
v58 Corrado Barbagallo: Miszelle. Il prezzo del frumento in
g. 7,28 con una lega al titolo di ®®"/ıono. Il suo valore era quindi
pari a L. 23,69, e quello di un sesterzio, a L. 0,24 ca. Due sestersi
e mezzo valevano quindi L. 0,60 circa e un hl di frumento, L. 1,50 eirca.
IX.
Cartagine (Africa proconsularis). — Di due secoli piü tardo,
ne riferito alla Numidia, ma all’ Africa proconsularis, e preei-
samente a Cartagine, cioe ad una grande citt& e a un territorio di
gran lunga più popoloso del primo!), noi possediamo, sui prezzi del
frumento, un notevole accenno fornitoci da AMMIANO MARCELLINO.
Questi narra*) che nel 3675), essendo i Cartaginesi stremati
dalla carestia, il proconsole Imezio forni alla popolazione il frumento.
che si teneva in serbo negli horrea publica a disposizione del
popolo romano, vendendolo a 10 moggia un solidus. Subito dopo,
al cessare della carestia e al sopraggiungere della nuova mèsse, egli
ricolmö il vuoto dei granai pubblici. Ma allora il prezzo del frumento
era di molto diminuito ed egli potè acquistarne per 1 solidus una
quantità tripla di quella che aveva fornito ai suoi amministrati. Il
guadagno ricavato lo trasmise all’ erario del principe. Tuttavia, questi
non credette che i conti di Imezio fossero irreprensibili; dal prezz,
allora corrente sul mercato, sospett che quegli avesse fatto pagare
all erario somme maggiori delle reali e percepito guadagni illeeiti,
onde lo condannö a risarcire il mal tolto.
Da questa narrazione noi rileviamo che il prezzo medio del fru-
mento, in quel tempo, non era, come, a prima vista, potrehbe sem-
brare, quel decimo di solidus, per cui Imezio, in momenti di carestia,
aveva rivenduto il frumento ai Cartaginesi, ma o il trentesimo di 80-
lidus, pel quale egli l’aveva acquistato poco di poi, o, stando al
giudizio dell’ imperatore, un prezzo ancora minore, forse 1/40 o /s-
di solidus.
Noi pero, fra le due asserzioni, quella imperiale e l’altra procon-
solare, siamo indotti ad attenerci a la seconda. Giä AMMIANO Mar-
CELLINO, che sorvola assai fugacemente ed oscuramente sul metode
di controllo dell’ imperatore*), introduce il racconto della triste sorte
di Imezio in una serie di episodi atti a dimustrare la eccessiva e in-
1) IM BELOCH (Die Bevölkerung d. griechisch-rômischen
Welt, Leipzig 1886, p. 507) vi ascrive, pci primi dell’ ê. v., 179 ab. per
km? contro 15, che avrebbero contato l’Africa proconsularis, la Numi-
dia e la Mauretania, delle quali regioni la Numidia era fra le due men
popolose.
2) 28, 1, 17.
8) Il racconto di AMMIANO MARCELLINO, che contiene un episodio imme
diatamente successivo al proconsolato di Imezio, si riferisce al 368, ma altr
fonti più autorevoli ci inducono a credere che codesto proconsolato sia ante-
riore di un anno e vada riferito al 366—67 (cfr. Tıssot, Fastes de la
province rom. d’Afrique, Paris 1885, pp. 246 sgg.).
4) AMMIANO (28, 1, 18) dice soltanto: „Valentinianus, per nundinationen
suspicatus, .. .*
Hansische Handelegesellschaften, 605
beschränkt’). Ich verweise da noch besonders auf die angeführ-
ten Worte
edder enen summen geldes mer u. s. w,,
die mit dem Eingehen von Verbindlichkeiten über das Gesell-
schaftskapital hinaus rechnen.
In der Tat liefert Joh. Wittenborgs Handlungsbuch
ein paar praktische Belege für das Vorkommen eines solchen
Falles.
Er und sein Gesellschafter Johann Laurensius hatten von
dem Ratsherrn Scheningh flandrisches Tuch gekauft, das sie nach
Danzig schickten. Von dort kamen Bottiehholz und andere
Waren zurück, die sich aber nicht so schnell verkaufen ließen,
als die Zahlungen an Scheningh fällig wurden. Um daher dieser
Verbindlichkeit nachzukommen, sahen sich die beiden Gesell-
schafter genötigt, ihr Privatvermögen anzugreifen :
so hebe wi bitalet heren Sceninge van unseme egenen
gelde nu to user wrowendage 100 m. lub., also dat wi
noch nin rede ghelt untfangen heben van deme wande.
Und ebenso ging es mit zweiten 100 m., die am Michaelis-
tage fällig waren ($ 292)°.. Wir selıen da mit einem Schlage,
wie kompliziert das geschäftliche Räderwerk bereits war.
Ein andermal machten Wittenborg und Herr Johann Woltvogel
sogar eine Zwangsanleihe von 250 m. bei der St. Jakobs-Kasse,
die sie verwalteten, um 48 Poperingsche Laken bezahlen zu
können ($ 105). Und die Rückzahlung dieses Darlehens scheint
ebenfalls nicht so ganz glatt von statten gegangen zu sein: Wolt-
vogel ist sogar darüber weggestorben ($ 113. Vgl. noch $$ 107—109,
1) Ich kann deshalb auch den Worten „composnerunt pecuniam suam“
in REHMES Nr. 11 nicht die Bedeutung beimessen wie SiLBERsCHMOE 5. 46 f.,
als handle es sich dabei ausnahmsweise um das ganze Vermögen. Inter-
essant sind nur die Worte „amborum nomine*“. Anders verhält es sich mit
der von SILBERSCHMIDT 9. 45 Anm. 6 angeführten Urkunde, Mecklenb. Urkb.
Bd. VIII S. 207, Nr. 5237 [a. 1331], wonach „E, et M. socii dieti Nachtraven“
erklären, daß „omnia bona ipsorum in hereditatibus, in redditibus et debitis
et bonis paratis* ihnen gemeinsam gehören: nur erfahren wir dort nichts
über die Verwendung als Handelskapital.
2) Näheres über das Geschäft s. unten 5, 622,
660 Corrado Barbagallo: Miszelle. Il prezzo del framento in
ricuperare le tre peggiori, da quelli, gi devastate e abbandonate, le
tre Mauretanie (Tingitana, Caesariensis, Sitifensis) e il resto della
Numidia.
Il passagio dei Vandali altraverso la Berberia non era stato fra
gli episodi più desiderabili. Un testimonio oculare, Vittorio il Vitese
nella sua Historia persecutionis africanae provinciae sub
Genserico et Hunirico regis Wandalorum!), narra del loro
ingresso in quelle regioni, uno scempio, un saccheggio, un massacro
universale, il cui contracolpo era stato lo spopopolamento delle eittä
e delle campagne. A Cartagine, nel massimo focolare della civiltä
dell’ Occidente africano, Genserico aveva ordinato che tutto l’oro, l'ar-
gento, le gemme, le vestimenta e gli oggetti preziosi venissero a lui
offerti, si che in breve aveva spogliato gli abitanti di tutti i beni eredi-
tati o acquisiti?). Si sono nudriti dei dubbi sulla veridicità dello
storigrafo e si & giunti fino a definirlo un calunniatore dei Vandali,
ma le sue notizie sono confermate da tutti gli scrittori contempo-
ranei) e da documenti ufficiali. Lo storico Procopio riferisce, circa
la spoliazione dei proprietari del suolo, qualcosa di più dettagliato.
I loro possessi, immobiliari e mobiliari, erano stati da Genserico distri-
buiti ai suoi Vandali e le loro persone addette ai medesimi come
schiavit). E questa narrazione, come l’altra di Vittorio, à confermats
da due Novellae imperiali5), una del 445 e una del 451, in cui
si fa calda e dolorosa menzione delle su riferite spoliazioni e del-
’immiserimento degli abitanti, si approvano i provvedimenti, a cui aveva
dato mano taluno dei governatori, e qualche altro se ne escogita o se
ne suggerisce.
Appunto nella prima delle due Novellae, la quale & datata dal
22 giugno del 445°), & indicato un prezzo di frumento in quelle pro-
vince e in quella congiuntura. Pare che i Numidi e i Mauri Sitifesi
avessero spedito un’ ambasceria all’ imperatore, chiedendo un alle
viamento degli oneri tributari ed egli, infatti, condona i 7/8 dei tribut,
frena parecchi degli abusi e mitiga la severità della percezione. Con-
temporaneamente, perd, si preoccupa delle esigenze militari in tempo
di guerra e soggiunge: „Militares annonas, cum provinciales pro lon-
ginqua difficultate itineris in adaeratione persolverint, unius annonae
adaeratio, quatuor per annum solidis aestimetur. Nec vero necessi-
tatis occasione in expeditione militi constituto carioris cuiquam ves-
dere liceat pretia necessariarum rerum; sub hoc modo quo annon
1) In Monum. Germ. hist., Berolini 1879, III, 1 ed. Halm.
2) I, 1, 3; 3, 8; 4.
3) FERRÈRE, De Victoris Vitensis libro qui inseribitur
„Historia persecutionis etc“, Parisiis, 1898, pp. 55 sgg.
4) De bello vand. 1, 5, 10 sgg. ed. Haury.
5) Legum nov. Valent. et Theod. 23; 40 (in Cod.theod., Lipsis
1736—41, VI, pp. 63; 90—91).
6) Il BLÜMSER (Der Maximaltarif d. Diocletians, Berlin 18%,
p. 62) vi appone invece la data del 443, e il RODBERTUS (op. cit, il
Tahrbücher für N.Ö. und Statistik, 1870, XIV, 36; XV, 218) on
quella del 4143, ora l’altra del 446.
Hansische Handelsgesellschaften. 607
Warum wohl von diesen, zumal sie doch auch kommandi-
tistische Teilhaber haben konnten? Und welches wäre demnach
die Stellung der voluntaren Gesellschaften vor dieser Unterschei-
dung gewesen ?
Offenbar wird hier doch eine Scheidung innerhalb der volun-
taren Gesellschaften vorgenommen, oder vielmehr unter ihren
Teilhabern je nach ihrer Stellung im Geschäft. Alle am Betrieb
Beteiligten sollen auch in Zukunft unbeschränkt haftbar bleiben,
und das gilt natürlich ebensowohl für den, der zu Hause das
Geschäft leitet, wie für den, der für das Geschäft reist. Nur
für die am Betrieb nicht Beteiligten soll in Zukunft die Haftung
auf ihre Einlage beschränkt sein. Es ist in beiden Fällen der
Standpunkt unseres heutigen Handelsgesetzbuches: der, der ge-
wissermaßen in der Natur der Dinge gegeben ist. Vor der Ord-
nung von 1464 aber hatte bei weniger feiner Würdigung der
Rechtsgesichtspunkte offenbar die Neigung bestanden, auch
bloße Kommanditisten voll haftbar zu machen. —
Es sei gestattet, jetzt noch einige Belege anzuführen, die ein
In-die-Erscheinung-treten der Gesellschaft nach außen verbürgen:
mag es zunächst auch nur ein tatsächliches gewesen sein, 80
konnte es dennoch nicht ohne rechtliche Wirkung unter dem
Gesichtspunkt, der uns interessiert, bleiben.
Einmal wird vorausgesetzt, daß die Gesellschafter über die
Gesellschaftsgeschäfte Buch führen, und es ist gestattet, sich
vor der Behörde darauf zu berufen.
Das zeigen schon Eintragungen im Lübecker Nieder-Stadt-
buch wie REHME Nr. 63 (a. 1354):
ubi ista bona sint et a quibus illa tractantur, hoc assere-
bant in suis papiris esse signatum.
Ähnlich Nr. 59 (a. 1350))).
Hırscıht kennt denn auch wirklich einen Fall von 1449, wo
die Danziger Schöffen die Eintragung in ein Handlungsbuch
als Beweis für die Löschung einer Schuld annehmen *).
deutschen Handelsgerichts (Leipzig 1894), S. 55, auf die SILBERSCHMIDT sich
beruft, bringt nichts weiteres zur Sache.
1) So auch MoLLwo S. XLVID?.
2) Danzigs Handels- und Gewerbegeschichte S. 232. MoLLwo 8. XLVI.
662 Corrado Barbagallo: Miszelle. Il prezzo del frumento in
consularis di un secolo prima. Ivi, nel 366—67, un trentesimo di
solidus era il prezzo medio di un moggio di frumento; nel 445,
nella Mauretania Sitifese e nella Numidia occidentale, relativamente
assai menv popolose!), un quarantesimo di sulidus nun poteva essere
un prezzo bassissimo. Naturalmente, non poteva neanche essere
un prezzo elevatissimo; altrimenti l’imperatore sarebbe andato contro
gl’ interessi dei suoi soldati, che, com’ & agevole comprendere, dovevano
stargli a cuore per lo meno quanto quelli delle province dominate,
Un quarantesimo di solidus era dunque il prezzo medio corrente in
quegli anni nei luoghi della Mauretania Sitifese e della Numidia occi-
dentale, nei quali il frumento non poteva acquistarsi direttamente, ma
bisognava trasportarlo da lontani centri gramiferi‘). Un quarantesimo
di solidus, in quegli anni, era pari a L. 0,39 circa e un hl di fru-
mento, a L. 4,50.
Sul luogo della produzione codesta cifra doveva essere più bassa.
Di quanto & assai difficile stabilire. Nel 301, nel suo famoso edittu
De pretiis rerum venalium, l'imperatore Diocleziano aveva pen-
sato a fissare anche il costo dei trasporti. Per 1200 libbre di carico
da tragittare su carri, egli aveva fissato, per ciascun miglio, 20 dena-
rii?).. Ammettendo „pro longinqua itineris difficultate“
l’ipotesi di un percorso medio di 25 miglia, avremmo 500 denarii
per 1200 libbre (== Cg. 400 eirca) cioè, per ettolitro di frumente,
calcolato in media del peso di Cg. 75, denarii 98e'/#. E, poiche il
denarius dioclezianeo corrispondeva circa a due ceutesimi, L. 1,57
per trasporto di un ettolitro di frumento su 25 miglia di percors.
Diocleziano perd fissava anche il costo dei trasporti a schiena di cam-
mello, che doveva essere infatti la più consueta maniera di spedizivne
in Africa*). Dessi erano più a buon mercato. Un carico di cammello,
che ragguagliava a 600 libbre (ca. Cg. 200)°), costava 8 denariif,
cioè, calcolando, come sopra, L. 1,50 eirca per hl. di frumento.
Ma erano questi prezzi anche i prezzi di un secolo dopo, e, per
1) L’ Africa proconsularis e la Bizacena, pari giü per su, quanw
a estensione, a l’odierna Tunisia, che, secondo una pubblicazione ufficiale
del 1897, misura circa km? 130000 (cfr. VIVIEN DE SAINT MARTIN, Nou-
veau dict. de géographie univ., Paris, Suppl. D-U), vantavano 169
sedi vescovili; il resto dell’ Africa settentrionale (salvo la Mauretanis
Tingitana), corrispondente all’ incirca all’ odierna Algeria, che misurs
km? 540 000—670 000 (VIViEN DE SAINT Martin, op. cit. 1, 74), 297 «cfr.
Notitia dignitat., ed. Böckına, Bonnae, 1839—53, 615 sgg. Appendice).
2) Giustamente osserva il RODBERTUS, i pagamenti in danaro, in luogo
di forniture in natura, vennero sempre calcolati almeno sui prezzi del
mercato (op. cit., in Jahrbücher f. N.Ö., 14, 861). Un secolo dopo, per
tutta l’Africa settentrionale, comprese le province migliori redente, il Code
Justin. (I, 27, 1, 22 sgg; 2, 20 sgg.) fissa un’adaeratio di cinque solidi.
3) E. D. 17, 3, ed. BLÜNMNER,
4) CAGNAT, op. cit., 401 sgg.
b) Sono il carico normale di un cammello (WAnvixcton, Edit de
Dioclétien, Paris, 1864, ne al $ 14, 9. Il carico massimo arriva fino 8
Cg. 300 (CAGNAT, op. cit., 403).
6) E. D. 17, 4.
Hansische Handelsgesellschaften. 609
sonderen Handelsmarke für die Gesellschaftsgüter, die nicht
identisch ist mit den Marken der einzelnen Gesellschafter. Eine
solche hat STIEDA bei der Gesellschaft der Veckinghusen & Co.
gefunden '), einen andern Fall aus der zweiten Hälfte des
15. Jahrhunderts PAuLr?).
Übrigens waren diese Veckinghusen und Genossen eine
offene Handelsgesellschaft, an der niemand zweifeln wird. Ihre
Geschäftsführung unterscheidet sich aber der Art nach durchaus
nicht von der, wie wir sie auch bei Wittenborg finden, nur durch
die Ausdehnung und Kühnheit ihrer Operationen: eine Kühnheit,
die über das Maß des mit damaligen Verkehrsmitteln Möglichen
hinausging, woran sie notwendig scheitern mußten.
Eine offene Gesellschaft war auch die der Tölner. Denn
wenn der ältere Tölner den Verkauf der ankommenden Tuch-
ballen in Rostock leitete, mußte mindestens einer seiner Teilhaber
doch wohl in Flandern den Einkauf besorgen ‘).
Aber daß auch dies Fehlen der Firma nur noch eine Äußer-
lichkeit sei, zeigt uns der Brief des Breslauer Bürgers Andris
Sehüler an die Stadt Thorn vom [19.] Dez. [1392]. Hier heißt es:
bekentnisse . .., das unse kompanye im abekawf-
ten drissig Körtherische tuch und unsir bursa im eynen
brif vorsegilten dorobir;
und wo weiter verwiesen wird auf
lute ..., dy unsir bursan geld ynne habin.
Diese
wellin dem hewptbrive nicht gloubin und sprechin, ich habe
das gewand uf mich alleyne gekowft.
Die Schuldner der Gesellschaft wollen in betrügerischer Ab-
sicht nicht anerkennen, daß der Kläger diesmal als Vertreter
seiner Gesellschaft gehandelt habe: was denn voraussetzt, daß
an sich eine solche Vertretung allerdings möglich war. Das ganz
besondere Interesse des Falls liegt aber darin, daß die Gesell-
1) Hansisch-venetianische Handelsbeziehungen. 8, 66 fi.
2) Lüb. Zustände III, 8.35. Urk. Nr. 95 a. 1476: „erer beider merke*,
(Statt „Bredepeppersche“ lies dort „brede Poppersche*.)
3) Dies hat KOPPMANN wohl übersehen, wenn er S, XVII Arnold Kop-
mann und Edeler Witte für bloße Kommanditisten hält,
610 F. Keutgen
schaft nicht nur kaufte, sondern ein gemeinsames Siegel —
ohne Zweifel mit der Handelsmarke — führte ').
SILBERSCHMIDT hat übrigens selbst die Augen nicht gau
gegenüber dem wahren Tatbestand verschließen können: An einer
früheren Stelle seiner Abhandlung war ihm in einem Punkte der
tiefgreifende Unterschied zwischen deutschen und ro
manischen Verhältnissen unvermeidlich aufgefallen: er hat
ihn nur nicht weit genug verfolgt.
Ich habe schon einmal darauf hingewiesen. Er sagt: „Im
romanischen Gebiet trifft man immer wieder in den Commenda-
Verträgen auf die Bestimmung, zu welchem Betrage die fragliche
Commenda an den Ausgaben der Unternehmung teilnehmen und
daß andere Commenden, die der Commendatar nehmen wärde,
auch per libram daran tragen sollten ... Diese Bestimmungen
vermißt man in den deutschen Quellen“, und er führt
dann weiter den Unterschied zwischen dem tractator im Süden
und seinem deutschen Gegenstück aus, den wir schon kennen’.
Trotzdem und obgleich er ganz richtig Männer wie Geldersen
und Wittenborg als Prinzipale charakterisiert hat, will er zum
Schluß den deutschen ,hôvetman“ mit dem italienischen „trar-
tator“ identifizieren °), wobei der „hövetman“ auch nach ihm
„natürlich unbeschränkt haftet“. Da hat man das Problem in
einer Nußschale.
Trotz aller Einsicht und allen Scharfsinns mußte SrLper-
SCHMIDT irren, weil er ausgegangen war von der Überzeugung,
das, was er vor Jahren für Italien gefunden, jetzt in Deutsch-
land wiederzufinden. Und noch eins: weil er die Sachen zu
formalistisch behandelt hat.
Wenn Wittenborgs Magd ihrem Herrn Geld ins Geschäft tut,
so ist sie Commendator, er Commendatar; aber wenn er seinem
„Knecht“ Berthold Geld zu Geschäften gegen Gewinnanteil mit-
gibt, so ist Wittenborg Commendator und Berthold Commendatar:
Wittenborg rückt in die Stellung seiner Magd — hinauf.
1, Hans. Urkb., Bd. V Nr. 81.
2) Kumpanie und Sendeve, S. 25 f. — Vgl. oben S. 507.
3) S. 68.
Hansische Handelsgesellschaften. ' 611
Formal scheint da kein Unter&hied: aber materiell kommt
les darauf an. SILBERSCHMIDT weiß das auch; er weiß, daß
lie Beteiligung der Magd Wobeke „mit diesen Dingen nichts
u tun“ hat”). Aber er hat sich diese Einsicht nicht zu Dienste
'emacht: er behandelt nachher doch die Beteiligungsart der Magd
ls das Normale. So war also nicht weit zu kommen: nur
ollste Berücksichtigung des materiellen Rechts und seiner wirt-
chaftlichen Voraussetzungen konnte Klarheit schaffen.
Es ist kaum nötig, zusammenfassend noch viel zu sagen.
Welcher Art auch seit dem Ende des 15. Jahrhunderts der
‚influß fremder Rechtsgedanken auf das deutsche Gesellschafts-
echt gewesen ist, bis dahin hatte es sich selbständig entwickelt.
Die Stellung des auswärts mit der Ausführung der Geschäfte
jetrauten war von vornherein in der hansischen Handelswelt
ine von der im Süden verschiedene. Auch wenn er kein Kapital
ingeschossen hatte, war er am Verlust wie am Gewinn beteiligt,
rie ihm denn von diesem die Hälfte, nicht, wie dort, ein Viertel
ufiel. Noch wichtiger ist, daß im Norden nicht das Traktator-
um sich zu einem selbständigen Gewerbe ausbildete. Während
m Süden der Traktator zum Unternehmer wurde, der Aufträge
erschiedener Commendatoren gleichzeitig annahm, die sich in
lie Kosten des Unternehmens teilten, blieb im Hansegebiet
Jnternehmer der socius stans, der Commendatar aber in seinen
Jiensten; und selbst dann, wenn zwei gleichstehende Kaufleute
ich vereinigten, von denen einer das Reisen besorgte, war Haupt-
nann der, der zu Hause blieb.
Damit aber war die Entwicklung zur Kommanditgesell-
chaft von Anfang an an die zweite Stelle gedrängt: im
’ordergrunde steht die offene Handelsgesellschaft,
vie einst der nicht von romanischen Verhältnissen ausgehende
SCHMIDT richtig gesehen, wenn auch nicht bewiesen hatte. Der
'emeinsame Betrieb bedingt die gemeinsame Haftung. Der
techtsgedanke dieser Solidarität aber knüpft an an den der Ge-
amthand, von der zu jener zuletzt nur noch ein Schritt war.
War nun auch noch nicht die Stabilität und die klare Ord-
1) 8.27. GELDERSEN I, 284 Ähnliche Fälle bei WITTENBORG.
666 Corrado Barbagallo: Miszelle. Il prezzo del frumento in
prezzi dei cereali inferiori, si puö immaginare che tremendo e impos-
sibile lavoro sarebbe, nel 301 a C., stato necessario, per acquistarne
una più o meno csatta notizia. Il prezzo duuque dei cereali e, nel
caso nostro, del frumento, segnato nell’ editto, à da intendere come
prezzo della sezione orientale dell’ impero romano. E che cosi sia,
ne abbiamo una riprova in quelli, di poco posteriori, che di colä ci
pronengono.
Come vedremo fra non guari, esso s’accorda a meraviglia con due
nuovi prezzi, che troveremo, mezzo secolo di poi, in Antiochia e in
Costantinopoli. Vero & che questi si riferiscono a grandi metropoli,
ed è noto come ivi i valori delle derrate alimentari salgano a propor-
zioni ignorate nei piccoli centri e nei luoghi di produzione. Ma questo,
se da un lato conferma la nostra ipotesi, che Diocleziano dovette ispi-
rarsi alle notizie, che a lui, più immediatamente e direttamente, pro-
venivano dai posti, in cui risiedeva, quali Nicomedia e l’Asia Minore,
e che, se mai, i suoi maxima peccarono per eccesso, anzichè per
difetto, dava a lui l’agio di trovarvi contemplati anche i prezzi del-
l’Occidente, dei cui centri più notevoli poteva forse avere informazioni
in certo modo rassicuranti. Infatti, il prezzo, ch’egli fisserä per il
frumento, puö benissimo adattarsi a Roma, durante l’etä imperiale').
Ma qual’ era codesto prezzo ?
Fino a qualche anno addietro, esso costituiva per noi uno dei pü
intensi e insoddisfatti desideri scientifici Il frammento latino, che
conteneva i primi righi dell’ editto, non ci dava il prezzo fissato del
frumento e neanche, per intero, quello dell’ orzo. Solo nel rigo, che
si riferiva a quest’ ultimo, era parso, ai più recenti editori*), di trave-
dere un C, che essi avevano interpetrato come l'iniziale di un C (en-
tum). E, poichè i prezzi erano dati per modius castrensis, nd
nuovo denarius di rame dioclezianeo, essi avevano opinato che il
costo dell’ orzo fosse di cento denarii il modius castrensis. Su
questo fondamento erano germinate le ipotesi per calcolare il prezx
del frumento. Per primo il SEECK), movend» da qualche altro prezeo
dell’ orzo e del frumento, noto per l’etä republicana e imperiale, era
venuto a concludere che il frumento doveva costare una volta e mezzo
eirca l’orzu e quindi 150 denarii il modius castrensis.
Il processo del caleolo non era esattissimo. Non bisognava partire
ai valori concreti, fra loro eterogeneit), che i radi accenni delle
Gnti esibivano, ma dai prezzi medii, che bisognava ricavarne. Ad
sgui modo, le cifre, nelle quali si incarna la conclusione del SEECK,
massane apparire all’ incirca esatte.
Liverso metodo aveva seguito un altro studioso, il MicaiLn‘}
Dar BARBAGALLO, op. cit., in loc. cit. 39 sgg.
xt CE L. HI 2, Ed. 1, 2 (p. 826). — BLÜMNER, op. cit., loc cit
“tl. III, 1 suppl, loc. cit. (p. 1930).
à op. cit. p. 459.
4 Wwnärıs, Kritische Würdigung d. Preise d. Edictum Die
«ettaui vom nationalökonomischen Standpunkt aus, in Zeit
A <atife für die gesamte Staatswissenschaft, 1897, p. 27.
3) vp. cit, in loc. cit., pp. 36 sgg.
Anhang.
Die Gesellschaften Johann Wittenborgs.
Es sei zum Schluß der Versuch unternommen, die Geschäfts-
führung Johann Wittenborgs im Zusammenhang darzustellen,
soweit dadurch die Fragen, die uns beschäftigt haben, beleuchtet
werden. Die geschäftlichen Aufzeichnungen seines Vaters Her-
mann — übrigens die ältesten, die wir aus dem Hansegebiet
besitzen — sind zu dürftig und können nur ahnen lassen, wie
vieles fehlt, um uns einen wirklichen Einblick in seine Kauf-
mannstätigkeit zu gewähren.
Er handelte mit Pelzwerk ($8 7, 35, 55, 56, 59, 63), Tuchen
($ 68, niederländischen $$ 24, 37), Wachs ($ 61), Roggen und
Heringen ($ 66), Wolle und Schafen ($ 18): bei seinen Gesell-
schaften aber gibt er fast durchweg nur die Kapitalien an und
nicht die Waren, in denen sie angelegt werden sollten.
Solche Gesellschaften — meist als „vere societates“ bezeichnet
— hat Hermann abgeschlossen mit: Johannes Boghener ($ 1:
80 m. arg. gegen 40); Thidemann Grope ($ 2: 50 m. [arg.?]
gegen 50); Johannes Holt ($ 3: 105 m. d. gegen 21; und $ 4:
10 m. arg. gegen 10); Nicolaus Grabow ($$ 5, 6: 80 m. d.
gegen 60; Wittenborg hat bei der Teilung 20 m. vorweg zu
nehmen); Heinrich Volmestene (88 7, 8: 71 m. arg. Nogard. gegen
142, dazu je 1000 Luchsfelle); Lutbert Droghehorn ($ 14: 60 m.
gegen 30); Joh. von Dülmen und Markward Wittenborg (88 15,
25: je 300 m. d., wozu Hermann noch 100 m. d. legt, die er
vorwegzunehmen haben wird; dabei hat er 200 m. von Mark-
ward geborgt); und mit Kopekin von Reval ($ 40: 30 m. gegen
30). Ferner erscheint Hermann mit andern an Geldgeschäften
beteiligt als Gläubiger in seinem Buche $$ 29, 30, 31, 38, 42
668 Corrado Barbagallo: Miszelle. Il prezzo del frumento in
densamente popolata, ricca, industriosa e commerciale'), ed esso riesce
affatto coerente ai prezzi del framento in Egitto, serbatici dai papıri
del IH e del IV secolo di C.*).
IT.
Antiochia (Siria). Come. accennavamo, il prezzo, segnato nel-
l’editto di Diocleziano, coincide con quello, che, mezzo secolo di poi,
si ritrova in Antiochia di Siria sotto il governo di Giuliano l’Apostata.
Nel 362 di C. sembra clıe questi abbia dato mano a un nuovo tentativo
di maximum, ch’era destinato a incontrare la stessa sorte del prece-
dente, sebbene avesse avuto piü ristretti scopi e confini. Vi accenna
AMMIANO MARCELLINO, presso che con le stesse frasi, con cui i Fasti
Hydatiani avevano dato notizia dell’ editto di Diocleziano: „Nulla
probabili ratione suscepta, popularitatis amore, vilitati studebat [int.
Giuliano] venalium rerum, quae non nunquam secus quam convenit
ordinata inopiam gignere solet et famemt à).
A dire il vero, delle ragioni ci furono anche questa volta, e le
svolge lo stesso Giuliano in quella bizzarra difesa, che di se stessi
tesse nel suo Misopogon‘). In Antiochia e nei paesi circonvicini
egli narra, il costo dei generi alimentari era, nel 362, elevatissimo,
e ciö (salvo che per il grano) accadeva, non per dolorosi eventi natu-
rali e politici, ma per l’incetta e il monopolio, che i grandi proprietari
ne esercitavano, onde i prezzi salissero a proporzioni vertiginose. Il
popolo protestava vigorosamente ed egli fissö il maximum, a cui le
derrate alimentari avrebbero dovuto vendersi, e, quanto al frumentı,
mando ad acquistarne nelle città vicine, mando ad acquistarne in Egitte
e tutti i carichi importati rivendette direttamente al popolo a quindiei
moggia il sulidus per lo stesso prezzo, per cui allora se ne eran
dati solo dieci: „nourroyerog ugyvotoy où xura dexa péroa, ai
nevrexaidexa TOGOLTUY, 000v Eni TWr déxu noôtegor“,. Si era in
estate 6, cime tale, quest’ ultimo prezzo era tuttavia elevato, ma lin-
verno essa crebbe ancora finn a cinque maoggia il solidus (m
vouiouaros)*); ed eziandio in quell’ estate, nel contado, gl’incettaten
avevano venduto il frumento a più caro prezz» che non in Antiochis,
dove, d’ogni parte del territerio, la popolazione immiserita accorrevi
a provvedersi di frumento. — Qui solo, esclama Giuliano, era abb-r-
danza e buon mercato. Infatti .chi rammenta che in una città, riccı
e fiorente, il frumento fosse stato venduto 15 moggia il solidas’
WıssowA, Realencyklopädie, III, 1, pp. 507—08. — Reerus, Nuora
geogr. univ.: Asia anteriorc, trad. it., Milano 1891, 557 sgg.; 617 sgg
1) Beroch, op. cit. 242; 507. Sullo sviluppo cittadino ed economir
dell’ Asia Minore dopo gl’inizi dell’ ê. v., cfr. MOMMSEN, Röm. Gesch.
Berlin 1885, V, 331—33. — Rımsay, The hist. Geography of Asia
Minor, London, 1890, 104 see.
2) Cfr. BARBAGALLO, Contributo alla storia economica del
l'antichità, Roma, 1907, pp. 75; 76.
3) 22, 14, 1.
4) p. 369.
d) p. 869 B.
Hansische Handelsgesellschaften. 615
Kopmana und Witte”), wo ein einzelner Komplex von Ge-
schäften die Kräfte der Teilnehmer oder der meisten von ihnen
vollanf in Anspruch genommen zu haben scheimt. Sondern wir
geben auch Johann Wittenborg Geselischaftsgesehäfte mit einer
ganzen Reihe verschiedener Gesckäftsfreunde nach und neben-
einander machen, ohne daß eins davon jemals für ihn das Ge-
schäft schlechthin geworden wäre. Ferner erfahren wir auch
hier so wenig wie bei dem Vater, daß die Gesellschaften auf
bestimmte Jahre abgeschlossen würden. |
Den richtigen Gesichtspunkt für ihre Beurteilung gewinnen
wir erst, wenn wir sie betrachten im Rahmen von Witteaborgs
Gesehäftsführung überhaupt.
Hier steht durchaus im Vordergrunde das Sen devegesehäft.
Wittenborg erweist sich als großer Kaufmann, als Chef eines
bedeutenden Hauses, das in ununterbrochener Folge Waren ins
Ausland, nach Schonen, den Niederlanden, Preußen, Lävland
versendet, für den Erlös von dort andere Güter einführt, auch
erster Hand draußen Waren einkaufen und nach Lübeck heim-
schieken läßt, sie hier verkauft oder wieder ausführt: das eben
ist das Sendevegeschäft.
Dieser Charakter als Einfuhr- und Ausfuhrhandel im großen,
der ununterbrockene Fluß, gibt dem (Gesamtgeschäft etwas
schlechtweg Modernes, können wir auch nicht die fortlaufende
Verwendung eines bestimmten, vielleicht nach und nach gesteiger-
ten Geschäftskapitals buchmäßig verfolgen. Anderseits bringt
er, und zwar gerade in seiner Großzügigkeit, es mit sich, daß
Witteaborgs Handel sich anflösen läßt in eine Folge von lauter
Einzelhandlungen: Einkauf bestimmter Warenposten, die im
ganzen, oder nur in wenige Teile zerlegt, wieder ab-
gesetzt werden: — anders als bei Geldersen, wo der Ver-
kauf in zahlreichen geringen Partien an binnenländische Detail-
listen vorwiegt. Damit aber auch hängt es zusammen, wenn der
Eindruck von Gelegenheitsgeseilschaften erweckt wird, indem
Wittenborg an dieser oder jener Gruppe von Unternehmungen,
1) Johann Tölners Handlungsbuch, herausgeg. von KOPPMANN oben
S. 471f. und S. 598.
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 4l
668 Corrado Barbagallo: Miszelle. Il prezzo del frumento in
densamente popolata, rieca, industriosa e commerciale !), ed esso riesce
affatto coerente ai prezzi del frumento in Egitto, serbatici dai papin
del IH e del IV secolo di C.*).
II.
Antiochia (Siria). Come. accennavamo, il prezzo, segnato nel-
l’editto di Diocleziano, coincide con quello, che, mezzo sccolo di poi,
si ritrova in Antiochia di Siria sotto il governo di Giuliano l’Apostata.
Nel 362 di C. sembra clıe questi abbia dato mano a un nuovo tentativo
di maximum, ch’era destinato a incontrare la stessa sorte del prece-
dente, sebbene avesse avuto piü ristretti scopi e confini. Vi accenna
AMMIANO MARCELLINO, presso che con le stesse frasi, con cui i Fasti
Hydatiani avevano dato notizia dell’ editto di Diocleziano: „Nulla
probabili ratione suscepta, popularitatis amore, vilitati studebat [int.
Giuliano] venalium rerum, quae non nunquam secus quam convenit
ordinata inopiam gignere solet et famem“?).
A dire il vero, delle ragioni ci furono anche questa volta, e le
svolge lo stesso Giuliano in quella bizzarra difesa, che di se stessr
tessè nel suo Misopogon‘). In Antiochia e nei paesi circonvicini
egli narra, il costo dei generi alimentari era, nel 362, elevatissimo,
e ci (salvo cho per il grano) accadeva, non per dolorosi eventi natu-
rali e politici, ma per l’incetta e il monopolio, che i grandi pruprietari
ne esercitavano, onde i prezzi salissero a proporzioni vertiginose. Il
popolo protestava vigorosamente ed egli fissö il maximum, a cui le
derrate alimentari avrebbero dovuto vendersi, e, quanto al frument
mandè ad acquistarne nelle città vicine, mand ad acquistarne in Egitto
ce tutti i carichi importati rivendette direttamente al popolo a quindid
moggia il solidus per lo stesso prezzo, per eui allora se ne era
dati solo dieci: ,7garroyeros ag; Ug10v OÙ xurı dexu nern, 0 alıı
nevrexaldsxa TOGOTToVv, 0007 Eni TwWv dexa zgöTegov“. Si era in
estate e, come tale, quest’ ultimo prezzo era tuttavia elevato, ma lin
verno esso crebbe ancora fino a cinque moggia il solidus (m
vouiouaroc)5); ed eziandio in quell’ estate, nel contado, _gl'incettatei
avevano venduto il frumento a più caro prezzr che non in Antiochis,
dove, d’ogni parte del territorio, la popolazione immiserita accorreri
a provvedersi di frumento. — Qui solo, esclama Giuliann, era abbr-
danza e buon mercato. Infatti „chi rammenta che in una cittä, rices
e fiorente, il frumento fosse stato venduto 15 moggia il solidas!
WissowA, Realencyklopädie, III, 1, pp. 607—08. — Recnts, Nuora
geogr. univ.: Asia anteriore, trad. it., Milano 1891, 657 sgg.; 617 sgs.
1) BrLocn, op. cit. 242; 507. Sullo "sviluppo cittadino ed economite
dell’ Asia Minore dopo glinizi dell’ &. v., cfr. MOMMSEN, Röm. Gesch,
Berlin 1885, V, 331—33. — Rausay, The hist. Geography of Asia
Minor, London, 1890, 104 sgg.
2) Cfr. BARBAGALLO, Contributo alla storie economica del
Pantichità, Roma, 1907, pp. 75; 76.
3) 22, 14, 1.
+) p. 369.
5) p. 869 B.
Hansische Handelsgesellschaften. 617
für 727 m. 6 d.!); oder, nachdem nachträglich das mitberechnete
Gewicht der Verpackung abgezogen war, 725 m. minus 13. d.
Davon gingen wiederum Wise 59 m. 11!/: 8. an, ferner Arnold
Bardewik, von dem wir noch hören werden, 8 Schiffpfund
10 (8!/s) %, der Rest Wittenborg allein ($ 188, dazu 88 163,
181, 183) ?).
In der Folge ersehen wir erst, wie diese Art Geschäfte ein-
geleitet werden.
Vor Pfingsten 1356 kaufen nämlich Wittenborg zu °/s und
Wise zu °/s 127 m. ‘à Lot Silber. Die geben sie Reineke van
der Caspele |
to sendeve, dat he ostwart woren scal up use eventure to
biwerende ($ 179).
Hier wäre also das Gesellschaftsverhältnis zwischen Witten-
borg und Wise in aller Form ausgesprochen. Reineke schickt
oder bringt dafür heim Wachs und Pelzwerk:
dat hebe wi worcoft
an drei Parteien, Tele van Hude, Werner Vredeland und Bernet
van Hildensem, aber in einem Posten, wahrscheinlich für 537 m.
5 s. ($ 187). Auch diesmal wäre nach Wittenborg das Geschäft
gescreven in des stades scultboc to Lubeke anno 56.
Hier scheint es sich indes nicht zu finden, es müßte denn
vom Herausgeber übersehen worden sein. Wohl aber stehen
dort zwei andere Schulden Vredeland und Hildensems an die
beiden Partner: 340 m. 14 s. am 14. Oct. 56 ($ 47) und 792 m.
10! s. am selben Tage 1357 (8 53)°). Von dieser letzten
1) 1 Schiffpfand = 20 Liespfund, je = 14 Pfund oder Markpfund.
2) Bei $ 188 ist am Rande wohl die Bezeichnung „Fol. 26a“ vergessen.
Die nach $ 181 [vorläufig] „in miner elpenbenes tavelen“ geschriebenen Ge-
wichte finden sich in dem Handlungsbuch $ 188. Koppmanx, Hans. G.-Bl. 1900,
S. 197, hatte also mit seiner Vermutung gegen MoLLwo 8. XLVIIH recht.
MorLwos Hinweis N.St.B. $ 46 auf Handlungsbuch $ 163 ist irrtümlich, er
gehört vielmehr zu $ 180.
3) An sich wäre es ja wohl möglich, daß der N.St.B. 8 47 notierte
Betrag die Teilschuld der zwei wäre, die hier von den drei Schuldnern
allein genannt werden. Indes eine solche Annahme widerspricht dem sonst
Üblichen und würde angesichts des Umstandes, daß die Posten N.St.B. $ 58
und $ 48 im Handlungsbuch jedenfalls fehlen, auch nicht ausreichen. Der
Hinweis bei $ 53 auf Handlungsbuch $ 187 ist natürlich falsch.
670
ii prezzo del frumente it
Forse
fonte, for
maziom : .. ..
ne -3biamo notizia per la parte
» LL . .. .. .
p . -- - prezzı surriieriti, Posslamy
vincers'. Ep
aniena zrero romano, salvo l’Egitte,
Pen: enti del frumento:
primu.
narrar! - — =
notizi…. Prezzi del
rivel:i **4t0 fruments
all’ hl.
M.
A a L. 6,50
nou | FP
Vale: ı a BE. 4 450
l'acr.. ZE T TITIT IT — ” 1 —
œiliar . . . . | = 1.15%
=” =
TE _ As=roconsularis) | ® „575
In * à iris . . . |
1 LB ‘ w
ali Le CRE 13,00 4,50
da Lo Lu
di - ee A à +) 2 11150
1 en | E Lila
1: en] | ne”
_ - vi on + + + = „1475
ıppendice.
as che ci ricordi un prezzo di frument
„ zs noi Jo indichiamo qui in appeudité
u „rarre quella media, ch’e stata sempre
. -sercito romano, che l’imperatore (ziulian
- 7. AMMIANO MARCELLINO narra che quella
:_ cereali, che già era cominciata a far
s-auzata ti, divenne alla fine letteralmente
a an bruciato tutto, e l'esercito traversant
1 esso giunse in quella parte della Me
ns
ai Hatra, Ur e Thilsaphata®), lo strem:
x. “quan modius unus farinae ruisset reper
Sir ut minus".
“at di un prezzo fantastico 1). Ma laccus
.s LI 21, 110:87 e passim.
x À mit efr. RFIXHARDT, Der Perserkries à
san. Sp HH.
Aurcis qui al solito sta per solidis.
LA |
7 2:
INN
Hansische Handelsgesellschaften. 619
Männer zu eharakterisieren, so haben sie ja weder nach heutiger
Art ihr ganzes verfügbares Kapital dauernd zu einer Handels-
gesellschaft zusammengelegt, noch eine bestimmte Summe auf
eine Reihe von Jahren. Anderseits verbinden sie sich doch auch
nicht bloß gelegentlich zu Geschäften, die sich gerade bieten.
Sondern sie vereinigen sich ausschließlich zu Geschäften einer
ganz bestimmten Art oder, besser, haben sich dazu ein für
allemal vereinigt, verabredet. Denn wenn wir ihre Abrede auch
nieht besitzen, und wenn ferner nicht behauptet werden kann,
daß Wittenborg während der Zeit nie ähnliche Geschäfte ohne
Wise oder Wise ohne ihn gemacht habe, so geht, daß eine der-
artige Abmachung vorausgegangen war, doeh nicht nur aus der
Stetigkeit dieser Geschäfte hervor — während Wittenborg doch
mittlerweile auch ganz andere Geschäfte machte, an denen Wise
sich nie beteiligt —, sondern es wird unzweifelhaft gemacht durch
folgenden Umstand. Die beiden Kompagnons haben nämlich, als
ihre Verbindung begann, einen andern Wise, Tidemann mit
Vornamen, nach Dorpat geschickt als ihren dauernden Vertreter
dort, der das ihm von Zeit zu Zeit übersandte Silber in Empfang
nımmt, es an Wachs und Pelzwerk „bewährt“ und dieses an seine
Auftraggeber nach Lübeck verschifft.
Die Juristen unterscheiden Real- und Konsensual-
vertrag. Nach SILBERSCHMIDT wäre die ,eommendatio“ Real-,
die „societas“ Konsensualvertrag; dasselbe träfe für die ent-
sprechenden Formen des deutschen Rechts zu'). Ich glaube
nicht, daß sich diese Unterscheidung, Begründung des Vertrages
„durch Hingabe der anvertrauten Sachen“ in dem einen Falle,
„durch die Verabredung der Parteien“ in dem andern, für die
hansischen Verhältnisse im allgemeinen bewähren wird. In unserem
besonderen Fall können wir sie jedoch brauchen: Wittenborg
und Gottschalk Wise haben sich durch Konsensualvertrag dauernd
verbunden zu dem russischen Geschäft, in das sie alle verfügbaren
Kapitalien stecken wollen; die Übergabe der realen Summen
findet jedoch nur von Fall zu Fall statt. Daher der Schein
einer Reihe von Gelegenheitsgesellschaften bei
wirklichem Bestande einer Gewerbsgesellschaft.
1) Kumpanie und Sendeve 9. 59.
672 Corrado Barbagallo: Miszelle. Il prezzo del frumento in
IV.
Questo & l’ultimo prezzo, di cui noi abbiamo notizia per la parte
orientale dell’ impero romano. Riandando i prezzi surriferiti, possiamo
quindi redigere, per le province dell’ impero romano, salvo l'Egitto,
il quadro che segue dei prezzi medii correnti del frumento:
frumento
all’ hl.
Cronologia | Mercato
primi dell II Bilbilis (Celtiberia) .
secolo di C.
IT secolo di C. Hispalis (Baetica)
Sicca Veneria (Numidia) . . . . |
175—177 # |L.1,50
circa il 367 Cartagine (Africa proconsularis) = „ 5,75
Mauretanie Sitifensis . .. =
=
nn 44 Numidia . | < |” 3,00—4,50
circa il 301 Asia Minore . . . |, 2 . . . ) © Br
„ » 362 Antiochia (Siria). . . . . . "18 „.11,50-12,00
ss er nn rn
Appendice.
Esiste ancora un altro dato che ci ricordi un prezzo di frument
per l’et4 imperiale romana, ma noi lo indichiamo qui in appendie
perchè da esso & impossibile ritrarre quella media, ch'è stata sempre
nostra cura ottenere.
Durante il ritorno dell’ esercito romano, che l’imperatore Giuliano
aveva condotto contro i Parti, AMMIANO MARCELLINO narra che quels
mancanza di vettovaglie e di cereali, che giä era cominciata a fari
sentire in sullo scorcio dell’ avanzata'!), divenne alla fine letteralmente
insopportabile. I Parti avevano bruciato tutto, e l’esercito traversava
un paese semideserto. Quand’ esso giunse in quella parte della Me
sopotamia, che giace intorno ad Hatra, Ur e Thilsaphata?), lo strem
dei viveri era tanto, che „si unquam modius unus farinae fuisset reper-
tus“, „aureis decem mutaretur ut minus?j“.
S’& creduto che qui si tratti di un prezzo fantastico 4). Ma l'accus
1) AMM. Marc. 24, 8, 2; 96, 2, 1; 1, 10; 8, 7 e passim.
2) Sul!’ itinerario della ritirata cfr. REINHARDT, Der Perserkriegd
Kaisers Julian, Dessau, 1892, p. 44.
8) Amm. Marc. 25, 8, 15. Aureis qui al solito sta per solidis.
4) BLÜMNER, op. cit., p. 62.
Hansische Handelsgesellschaften. 621
fallen die beiden besprochenen, mit Gottschalk Wise gemeinsamen
Silbersendungen (88 267, 268), die ebenfalls an Tidemann gingen.
Bis endlich vor Michaelis 1359 Wittenborg noch einmal Wise
eine Partie Silber „zu Sendeve“ zukommen läßt ($ 343). Wie
inzwischen dieser Wise für alle seine Bemühungen entlohnt
worden ist, erfahren wir nicht: namentlich nichts von einer Er-
neuerung der anfangs eingegangenen Gesellschaft, die doch dem
Wortlaute nach mit der ersten Warenrücksendung erledigt ge-
wesen wäre. Über das weitere also können wir höchstens Ver-
ınutungen anstellen. |
Wie Tidemann Wise in Dorpat, so war in Danzig Agent
für die Besorgung des Sendeve Heinrich (Henseke, Hinscke)
Laurensius. Und auch in diesem Falle war ein Bruder,
Johann (Henneke) Laurensius, Gesellschafter Wittenborgs
und machte auch wohl eine Reise für ihn.
In den Anfängen der Verbindung geht Johann Laurensius
nach Flandern: dort soll er für Wittenborg 34 fämische Malgen
und 16 Schilde ,biweren“ ($ 85, 1. August 1351):
Dat ghelt, dat dede he in Ludeken Buxtehuden in sine
kisten in sin scip up min eventure.
Offenbar ist er den Winter über dort geblieben; denn 20 %
gross., die sein Auftraggeber Ostern 1352 kauft, soll er
upboren to sendeve, de he mi biweren sal an Cortrikesscen
lakenen ($ 104).
Weiter 8 f gr. jedoch erhob und „bewährte“ nicht er, sondern
Gereke Woghe
de mit Albrecht Wullenpunde is ($ 106),
einem mehrfach zugleich mit jenem seinem Angestellten genannten
Geschäftsfreunde Wittenborgs ').
Dann hören wir von Laurentius erst wieder Michaelis 1356,
wo er und Wittenborg „to hope“ 30 # gr. auf Flandern kaufen
up unser twir win ($ 197).
1) 8 194: Gereke Woghe, dit mit Albrecht Wellenpund is. $ 845.
Albr. Wullenpunt und G. Woge kaufen von Wittenborg 7 kurze Löwensche
Laken, „beyde mit ener sameden hant“. N.St.B. $ 68: 1360 Vigilia Assump-
cionis Marie. Gherlacus Voghe (socius Alberti Willenpunt) tenetur dno.
J. Wittenborch 200 olde schilde aut olde matone vel valerum [!] eorum ...
676 R. J. Whitwell: Miszelle.
The voyage must have taken an exceptionally long time, for it was
only on 13 August that Gilbert de Bromley, the receiver and keeper
of the king’s victuals in the parts of Carlisle received the goods at
Skinburness. The grain was then measured ‘by the straked measure
of England’; and whether by reason of the deficiency in the Bristol
bushel, or ‘par longe demoere en la meer’, the quantities are shown
as appreciably smaller than those shipped; and the vantage is reduced
accordingly, though the percentage remains about the same.
The document quoted in the last note shows (If. 2b) that nearly
the whole of the cargo of the Peter of Hamelhok was sent by instal-
ments to Sir Dougal Me Dowal (Dungallo Mc Duwille) constable
and sheriff of the castle of Dumfries, for the provision of that castle.
The cost of discharge of the ship and carriage of part of the cargo
and certain other goods to Dumfries (lf. 6), was at the rate of 4 d.
for each quarter of grain and salt and amounted in the whole to 53 a.
ROBERT JOWITT WHITWELL.
Thesaurario et Baronibus pro Petro de Saut mercatore
de Burdegala.
Rex mandanit Thesaurario et Baronibus suis de Scaccario suo apud
Eboracum breue suum sub priuato sigillo in hec uerba:
Edward par la grace de dieu Rei Dengleterre seigneur Dirlaund e
Ducs Daquitaigne au Tresorier e as Barons del Eschequier salutz. Nous
vous enueoms la peticioun Pieres de Saut Marchant de Burdeaw,
enclose deinz ces lettres e vous maundoms qe Ja peticioun oie, e bien
entendue, lui enfacez ceo qe vous yerrez ge face a faire par resoun.
Done soutz nostre priue seal a Dureame le vij. iour de Nouenbre
Lan de nostre regne vint e sisime.
Tenor peticionis talis est:
A nostre seigneur le Roi supplie Peres de Saut Marchaunt de
Burdeaus ge les vins ou la vente des vins cest a sauoir Ixxv. Toneans
de vin e vij Pipes e ses liths e ses boches [L. T. R. huches] e ses
autres biens qil auoit charge a seint Botolf apres la suffrance de Iı
guerre prise entre vous sire e le Rei de France les queux vins e autre
biens vnt este arestuz par vos gentz e venduz. pur dieu, pur pite e pur
dreiture sire lui fetes delinerer e aquiter, les queux vins e ses autres
choses furent arestuz pur vn Willam de Cont son vallet qe feust vtlage
par defaute lui esteaunt en la Duche de Guyene, la quele vtlagene
sire vous lui auez pardone par vostre lettre patente. E dautrepart le
dit vallet ne auoit rien en vins ne en les autres biens, einz furent tou
du dit Peres de Saut seon seigneur, sicome il peust mustrer par
chartres, e par lettres faites en la ville de Burdeaus.
Et inspecta per T'hesaurarinm et Barones petitione predicta, es dili-
genter examinata, quesitum est a prefato Petro, qualiter ostendere velit,
quod predicta vina sua fuerunt, et quod predictus Willelmus vtlagatus
nichil proprietatis habuit in vinis illis, et bonis predictis, per quod alique
modo ea posset forisfacere, qui dieit quod paratus est hoc verificare
qualitercumque Curia duxerit considerandum. Et quia visum est Curie
|
Hansische Handelsgesellschaften. 623
In dem vielbewegten Jahre 1358 war Joh. Laurensius auch
noch mit Wittenborg an einem Gersteverkauf beteiligt ($ 253).
Zweck und Ziel einer Reise, die er nach jenen großen Geschäften
machte, bleiben uns unbekannt ($ 289). Nach Wittenborgs Tode
aber erscheint er als einer von dessen Provisores (N.St.B. 83).
Was seinen Bruder Heinrich in Danzig betrifft, so erhielt der
noch im Herbst 1358 200 m. Prus., wofür er Gerste, Malz, Stock-
fisch und Bottichholz besorgte ($$S 302, 330, 333, 335—337;
vgl. außerdem 294 und N.St.B. 57 über den Kauf des Geldes
auf Preußen). —
Ich sehe ab von solchen Männern, mit denen Wittenborg sich
nur gelegentlich einmal gesellschaftlich verband, wie Albrecht
Wullenpund ($$S 7, 56, 57, 110), Johannes Woltvogel ($$S 105
bis 109, 113, 119; vgl. auch oben 8. 605) und der schon ge-
nannte Albrecht Woltvogel (vgl. auch noch einmal unten S. 630 f.):
zu seinen regelmäßigen Geschäften bediente er sich vor-
zugsweise seiner beiden Verwandten Berthold Wittenborg
und Arnold Bardewik, von denen er Berthold ein paarmal
geradezu als seinen „Knecht“ bezeichnet ($ 3 und & 30). Bardewik,
Sohn des gleichnamigen Ratsherrn, des Schwiegervaters Joh.Witten-
borgs, mag wohlhabender und deshalb in unabhängigerer Lage
gewesen sein '): die Art seiner geschäftlichen Verwendung war
dieselbe.
Auch Berthold wird gesellschaftlich interessiert. Zuerst nur
mit 5'/} m. gegen ebensoviel, wozu sein Herr noch 4'/s m. legt,
die nicht gewinnen und verlieren sollen (8 3).
Na desser tit,
so fährt derselbe Paragraph fort, ohne daß irgendeine Zeit an-
gegeben worden wäre, schließen Herr und Diener eine neue
m Un ln U
23 3. $ 302; 23°’, s. 8 326. 9. LXXVIII nimmt er selbst die in 8 302 ge-
gebenen Kurse an. — Die 24 „centum moltes“ $ 325 sind dieselben wie die
10 -+- 10 + 4 von 88 319-321. — Über die Abwicklung des Geschäftes mit
Schening vgl. noch oben S. 605. Vielleicht hängt es damit zusammen, daß
Laurensius um Fronleichnam 1359 bei Wittenborg und Bardewik 185 m. d.
aufnahın, wofür seine Schwester Taleke, verwitwete Wintzenberch, gesamt-
händig mit ihm bürgte ($ 306; N.St.B. 59).
1) Vel. oben S. 484, Anm. 3 u. 4.
678 R. J. Whitwell: Miszelle.
descharge, les vins deiuent estre deschargez, e le Mestre paie de son
fret, si les Marchandz ont vendu tant de lur vins, qe le pussent paer;
si noun le Mestre deyt lesser vn de ses compaignons au cost des
Marchandz de mangier, et de boire, pur atendre sa paie. E de la
premere vente qe soit fete des ditz vins le Mestre doyt estre paez de
tout son fret loiaument en bon foy T'oatge e petit lotman est sur les
Marchantz. E quant la Nefe parti de Burdeus le Mestre e les Marchantz
furent en bone pees, e en bon amour, e ses tote querelha E est
asauer qe li dit [L. T. R. mestre] a mande e promis au ditz Marchantz
quil ferra pair e partir, a la droite prise du Roy, e as autres costages
qe serrunt fetz en la dite Nefe a touz les autres [L. T. R. vina] qe ser-
rount chargez en la dite Niefe toneu pur toneu pur ensi come est a
custome entre Marchantz, Mestre, e Mariners. Actum fuit.X®. die
[L. T. R. exitus] Aprilis Anno domini M° CC? Nonagesimo octauo, Regne
Phelip Roy de France, le se de Bordeus vacant. En Bertrans de Fal-
guar chiualer e meire. Testes sunt Roberd de Goseforde, Aleyn de
Goseforde, W. Alisandre, W. Pelegrin, W. de Contz, Johann Aleyn, e
Johans de la Trone, qui ceste chartre enquist la quele.P. de Condorilz
escrist.
Et dicit idem Johannes quod cum Nauis ante dicta a predictis
partibus Burdegale cum vinis predictis ducta esset ad quemdam locum
in mari prope portum sancti Botulphi, qui vocatur Norman depe,
Magister Nauis illius propter magnitudinem et onus Nauis predicte
propinquius portui predicto cum eadem accedere non audens ad locum
illum Nauem illam vinis predictis discarcauit, et in minoribus vasis ea
poni et ad portum predietum mitti fecit ad implendum conuencionem
predictam, et eo facto rediit enm Naue predieta apud Jernemutam, et
liberanit eidem Johanni [sie] cartam frettagii predicti, vt cum vinis predictis
portum adiret predietum, videlicet apud sanctum Botulphum, et ibidem
computaret cum predietis Mercatoribus, et ab eisdem reciperet frettagium
Nauis predicte iuxta tenorem carte memorate; et dicit quod postquam
venerat et vina predieta de quibus.Cx. dolia et viij. pipe fuerunt
predieti.P. ad terram discarcauerat, Vicecomes et Coronatores Comitatus
Lincolnie [L. T. R. et Balliui ville Sancti Botulphi] venientes ibidem et
inuenientes quemdam Willelmum de Contz, vallettum predieti Petri
qui quidem Willelmus duobus annis elapsis in Comitatu predicto fuerst
vtlagatus, quam vtlaghriam Rex sibi postmodum perdonauit, se circa
vendicionem vinorum predieti Petri intromittere, sexaginta et.xv. dolis
et.vij. pipas que de vinis predieti Petri fuerunt vendenda arrestarunt
imponentes eidem Willelmo ea sua fuisse, et per suum forisfactum
deberi confiscari. Et dieit idem Johannes per sacramentum suum quod
prefatus WiHelmus nichil proprietatis habuit in vinis illis per quod es
forisfacere potnit, set quod fuerunt predieti Petri, et non alicuius alterin.
Et predicti Petrus de Batfosse [sic], Bydan de Bran, Johannes Fre
teyr, Manaur Turchier et Bydan [L. T.R. de] Contz mercatores iurati
et separatim super hoc diligenter examinati, dieunt hoc idem quod per
prefatum Johannem sunerius dietum est.
Ideo consideratum est quod predietus Petrus vina sua predicta
rchabeat. Et quod mandetur Vicecomiti et Coronatoribus predictis quop
Hansische Handelsgesellschaften. 625
mächtig, Berthold sich an Gewinn und Verlust des Unternehmens
nach „Pfennigzahl“ beteiligen. Ebenso Arnold, der auch auf
Reisen ist, für 40 m., und zwar bei ihm als Entschädigung da-
für, daß Johann versäumt hatte, ihm rechtzeitig
ene wichte sulveres ostwardes
zu schicken, die aber eigentlich mindestens 79 m. hätte kosten
sollen ($$ 302, 281). Natürlich finden wir beide, Arnold und
Berthold, dann beteiligt an den Waren, die 1358 und 1359 da-
für aus Preußen kamen: Gerste, Roggen und englisches Tuch
(88 335, 350, 351) !).
Während dieser ganzen Jahre war Berthold für seinen
Prinzipal in Sendeve-Geschäften unterwegs.
Die ersten Buchungen lassen sich wieder nicht datieren und
ebensowenig zu den besprochenen Vergesellschaftungen in sichere
Beziehung setzen. Aber jährlich werden Reisen nach Schonen
und nach Flandern unternommen. Manchmal läßt sich freilich
auch das Reiseziel nur erschließen: wie etwa aus der Mitnahme
von 17 Last „tunnen“ ($ 21)?) und dem Einkauf einer Last
Salz bei der Abreise — dieses freilich, wie es scheint, für Ber-
tholds eigene Rechnung ($ 24)°) Auch Geld, 30 m.d., erhielt
Berthold mit, wie die Tonnen zu Sendeve: diese waren also nicht
1) Ein Hinweis auf eine gesellschaftliche Beteiligung findet sich auch
noch $ 75: unter verschiedenen Waren, die Berthold zu Sendeve mit nach
Schonen nimmt, gehört ihm '/s an einem gestreiften Laken. Vgl. dazu
das zuletzt im Text besprochene Geschäft: nach Abzug von Arnolds 40 m.
bleiben von 200 m. 160 m., von denen Berthold 20 m., oder ebenfalls '/s,
eignen. — Übrigens vgl. noch $ 347, wonach in Bertholds Abwesenheit der
Knecht Vinke nach Schonen je 6 m. 15 s. zu Bertholds und zu Wittenborgs
„bihof“. mitbekommt.
2) Nach MoLLwO, Glossar, wären Kabeljau gemeint; vgl. FErts Glossar
im Hans. U.-B. Bd. HI unter „tonvisch, tunnevisch“. Ich möchte mich doch
KorPMANxX S. 189 auschließen, daß es sich um Tonnen handelt, da die Reise
offenbar ($ 24) nach Schonen geht. Vgl. auch $ 847, wonach Berthold und
Arnold bei ihrer Abreise von Schonen westwärts dort Tonnen und Salz
liegen lassen. -— Mit „Recepi“ in $ 21 wäre ein neuer Paragraph zu be-
ginnen gewesen. | Ä
3) Merkwürdig ist hier der Gebrauch von „dar quam vore“: nicht gleich
„dafür kam ein“, sondern „das kostete“.
678 R. J. Whitwell: Miszelle.
descharge, les vins deiuent estre desch:rgez, e le Mestre paie de son
fret, si les Marchandz ont vendu tant de lur vins, qe le pussent paer;
si noun le Mestre deyt lesser vn de ses compaignons au cost der
Marchandz de mangier, et de boire, pur atendre sa paie. E de la
premere vente qe soit fete des ditz vins le Mestre doyt estre paez de
tout son fret loiaument en bon foy Toatge e petit lotman est sur les
Marchantz. E quant la Nefe parti de Burdeus le Mestre e les Marchantz
furent en bone pees, e en bon amour, e ses tote querelha E est
asauer qe li dit [L. T. R. mestre] a mande e promis au ditz Marchantz
quil ferra pair e partir, a la droite prise du Roy, e as autres costages
qe serrunt fetz en la dite Nefe a touz les autres [L. T. R. vine] qe ser-
rount chargez en la dite Niefe toncu pur toneu pur ensi come est a
eustome entre Marchantz, Mestre, e Mariners. Actum fuit.X®. die
[L. T. R. exitus] Aprilis Anno domini M° CC? Nonagesimo octauo, Regne
Phelip Roy de France, le se de Bordeus vacant. En Bertrans de Fal-
guar chiualer e meire. Testes sunt lioberd de Goseforde, Aleyn de
Goseforde, W. Alisandre, W. Pelegrin, W. de Contz, Johann Aleyn, e
Johans de la Trone, qui ceste chartre enquist la quele.P. de Condorilz
escrist.
Ft dicit idem Johannes quod cum Nauis ante dicta a predicts
partibus Burdegale cum vinis predictis ducta esset ad quemdam locum
in mari prope portum saneti Botulphi, qui vocatur Norman depe,
Magister Nauis illius propter magnitudinem et onus Nauis predicte
propinquius portui predieto cum eadem accedere non audens ad locum
illum Nauem illam vinis predictis discarcauit, et in minoribus vasis es
poni et ad portum predietum mitti fecit ad implendum conuencionem
predietam, et eo facto rediit cum Naue predicta apud Jernemutam, et
liberanit eidem Johanni [sic] cartam frettagii predicti, vt cum vinis predictis
portum adiret predietum, videlicet apud sanctum Botulphum, et ibidem
computaret cum predictis Mercatoribus, et ab eisdem reciperet frettagium
Nauis predicte iuxta tenorem carte memorate; et dicit quod postqnan
venerat et vina predicta de quibus.Cx. dolia et viij. pipe fuerunt
predieti.P. ad terram discarcauerat, Vicecomes et Coronatores Comitatus
Lincolnie [L. T.R. et Balliui ville Sancti Botulphi] venientes ibidem et
inuenientes quemdam Willelmum de Contz, vallettum predicti Petr,
qui quidem Willelmus duobus annis elapsis in Comitatu predicto fuerat
vtlagatus, quam vtlaghriam Rex sibi postmodum perdonauit, se cima
vendicionem vinorum predicti Petri intromittere, sexaginta et.xv. dolis
et.vij. pipas que de vinis predieti Petri fuerunt vendenda arrestarunt
imponentes eidem Willelmo ea sua fuisse, et per suum forisfactum
deberi confiscari. Et dicit idem Johannes per sacramentum suum quod
prefatus WiNelmus nichil proprietatis habuit in vinis illis per quod ea
forisfacere potuit, set quod fuerunt predicti Petri, et non alicuius alterius.
Et predicti Petrus de Batfosse [sic], Bydan de Bran, Johannes Fre
teyr, Manaur 'Turchier et Bydan [L. T. R. de] Contz mercatores iurati
et separatim super hoc diligenter examinati, dieunt hoc idem quod per
prefatum Johannem superius dietum est.
Ideo consideratum est quod predictus Petrus vina sua predicta
rehabeat. Et quod mandetur Vicecomiti et Coronatoribus predictis quop
Hansische Handelegesellschaften. 627
70 8 grote an Ort und Stelle überweisen läßt (88 234—236).
Dann hat er aber auch einmal, neben Brügger, Tuch von Verviers
gekauft ($ 233) wahrscheinlich 1358”). Vor dem 8. September
des Jahres 1357 aber ist er noch nach Schonen gesegelt (88 243,
270), und 1358 ebenso, diesmal mit Arnold Bardewik. Er
nahm 160 m. d. zu Sendeve mit und für 20 m. d. Salz, um
Heringe zu salzen, die größere Summe also um sie einzukaufen:
es wird mithin zum erstenmal der Zweek dieser Schonen-Fahrten
deutlich ausgesprochen. Außerdem aber gab Wittenborg ihm
noch 62 % Ingwer mit
dat he mi vorcopen scal, unde 28 s. to boteren ($8 278,
280, 327) 2).
Gleichzeitig erhalten wir einen Blick in einen Zweig des
Geschäfts in Lübeck. Berthold und Arnold hatten bei ihrer
Abreise 14 Last 2 Drömt Malz hinterlassen. Davon hatte jedoch
Berthold bereits an einen Kunden 4 Last verkauft, die der Käufer
entweder jenen beiden (!) in Schonen oder an Wittenborg in
Lübeck bezahlen sollte, — und an zwei andere Kunden je 1 Last,
wofür Wittenborg das Geld empfing. Wittenborg selbst aber ver-
kaufte inzwischen den Rest in 8 Partien ($ 280). Es herrscht
da also vollständige Gegenseitigkeit, und es hängt bloß
von Umständen ab, welcher der Beteiligten die Ver-
käufe ausführt und wer das Geld entgegennimmt.
Von Schonen sind Berthold und Arnold diesmal nach Eng-
land gezogen, während zur Übernahme der Tonnen und des
Salzes, die zur Miete in Schonen zurückgelassen wurden, 1359
ein neu auftretender „Knecht“ Namens Vinke (geschr. Winke)
entsandt wurde, den Wittenborg ebenfalls gesellschaftlich inter-
essierte und zwar mit 10 gegen 20 fl.:
in rekte kumpanie uppe win unde vorlus
(88 347, 348). Über ihre Geschäfte in England aber ist nur
_o— 1.
1) Dieser Ansatz ergibt sich daraus, daß die Notiz unten auf Blatt 29h
nach andern von 1358 steht. Das folgende Blatt 30a, mit Buchungen
von 1357, ist eben früher in Benützung genommen.
2) Der Zusatz „unde 28 s. to boteren“ ist unklar. In einem früheren
Falle lieh Wittenborg ihm „3 punt to brode lub. den.“: das läßt sich ver-
stehen ($ 55).
Literatur,
9. PIVANO, / contratti agrari in Italia nell’alto medio ero. Torino 1904.
XV u. 338 SS. —
F. SCHUPFER, Precarie e livelli nei document! e nelle legqi dell’alto
medio evo. Torino 1905. 116 SS. (Estr. dalla Rivista italiana per
le scienze giuridiche vol. XL fasc. I—-IH). —
P. S. LEICHT, Livellario nomine. Osservazioni ad alcune carte Amiatine
del secolo nono. Torino 1905. 69 SS. (Estr. dagli Studi Senesi
in onore di Luigi Moriani).
S. PIVANO hat mit großem Fleiße in seinem Buche über die Agrar-
verträge im frühmittelalterlichen Italien vielleicht als erster das reiche
gedruckte Material, das sich jetzt jährlich vermehrt, und auch un-
gedruckte Quellen verwertet und stellt als Fortsetzung zwei Bände
über die Lage der Arbeiter in ihren Beziehungen zu Grund und Boden
und über die Gtüterverwaltung in Aussicht. Das Unternehmen ist zeit-
semäß und dankenswert, und mit Rücksicht auf die Größe des Stoffes
mag man dem Autor auch eine gewisse Breite der Darstellung zugute
halten. Auch die immer wiederkehrende Betonung der „exegetischen“
Methode ist gewiß berechtigt; denn man will in historischen Dingen
selbstverständlich aus den Quellen herausgelesene und nicht in sie
hineinkonstruierte Resultate gewinnen. PIVANO, der Jurist ist, hat
wohl mit gutem Grunde dies sein rein induktives Bestreben betont,
und wenn auch gerade ihm seine formal-juristische Schulung manchen
Streich gespielt hat: tamen est laudanda voluntas.
Die Zusammenhänge von Wirtschaft und Recht, welche doch gerade
bei einem solchen Thema von ausschlaggebender Bedeutung sind, sind
P. freilich in seinem formal-juristischen Eifer vielfach verborgen ge-
blieben; er hat infolgedessen eigentlich auch die Forderungen der
modernen Jurisprudenz nicht erfüllt, und die Organisationsformen, von
denen er spricht, treten daher nicht plastisch und lebendig hervor,
trotz aller Genauigkeit in den Details. So ist es z. B. bezeichnend
für P.s Arbeitsweise, daß er zwar genau anflihrt (S. 220 Anm. 88;
in welchen in den „Codex Bavarus“ aufgenommenen Libellarkontrakten
eine reine Geldabgabe statt der üblichen Naturalabgabe ausbedungen
ist, aber den auf der Hand liegenden wirtschaftlichen Grund für diese
Ausnahmen offenbar übersieht: es handelt sich in den sieben angeführten
Verträgen nicht um landwirtschaftliche Grundstücke, sondern um Ge
Hansische Handelsgesellschaften. 629
206). Auch diesmal wird die Fahrt nach Dorpat gegangen
sein, wie wir ihn denn an dem Wachs und Pelzwerk beteiligt
sehen, das Wittenborg in diesem wie im vorhergehenden und im
nächsten Jahre in Lübeck verkaufte ($$ 188, 178, 180, 208, 209;
vgl. 190, 189, 172, 217).
Indessen sandte Witteborg ihm wiederum Geldmittel: 25 m.
3 Lot lötig vor Pfingsten 1357, und zwar offenbar eben nach
Dorpat ($ 175)'), wofür alsbald nach Jakobi von ihm und
Thidemann Wise Pelzwerk zurückkam, für Rechnung Witten-
borgs, Gottschalk Wises und Herrn Wedekind Klingen-
bergs Kinder ($ 242). Am 3. September kam er von Dorpat
zurück ($ 250). Vorher finden wir noch eine Notiz, wonach er
weitere 36'/. m. lötig empfangen hätte ($ 245). Nachdem dann
aber im Oktober und neuerdings nach Ostern 1358 Abrechnung
erfolgt war ($$S 272—276) ging es von neuem auf die Reise,
diesmal aber nach Aachen, vielleicht nur zu einer Wallfahrt
(S 274)°?). Jedenfalls hören wir von Geschäften auf dieser
Reise nichts. Pfingsten scheint er auch schon wieder in Lübeck
1) Es wird auch einer der Überbringer als Dorpater Bürger bezeichnet.
2) Daß man nach Aachen wallfahrtete, zeigt $ 88: „Oc dede ic Merten
Husapen 1 aur.; dar ginch he mede to Aken dor siner sele willen“. Andere
Beiege gibt MouLwo Anm. 101 an. Dagegen kann man aus $ 152 keines-
wegs folgern, daß Wittenborg 1356 über Aachen nach Brügge gereist sei,
wie MoLıwo S. XI will. Im Gegenteil. Denn warum hätte wohl Bertram
von Rostoc die 20 & grote „upboren“ sollen, die Wittenborg vor seiner Ab-
reise nach Aachen zur Auszahlung in Brügge gekauft hatte, wenn er selbst
dahin ging? Und warum hätte er wohl geschrieben, „do ic wech ret to Aken“,
wenn er nach Brügge wollte? Man wird also auch bei Bardewik kein
weiteres Reiseziel annehmen dürfen. Der Fall würde sonst bei ihm eines
besonderen Interesses nicht entbehren, da am 1. Mai 1858 die im Januar
«segen Flandern verhängte Handelssperre in Kraft trat (MoLLwo S. XV).
Es wäre möglich, daß Bardewik noch vorher eine Schuld von 7'/s ® gr. er-
heben sollte, die Wittenborg bei Laurenz van der Borse stehen hatte:
was ihm jedoch nicht gelungen wäre ($ 295). Übrigens ergibt sich aus diesem
& 295, — „is dat de Vlamesce reyse weder kumut“, — daß Wittenborg sich
inzwischen aller Berührungen mit Flandern enthalten hat. Bereits KOPPMANN
{S. 191 £.) hat nachgewiesen, daß Mon.Lwos Hypothese gar zu kühn war, der
Lübecker Bürgermeister hätte sich während jener Sperre durch ein Geschäft
mit Löwener Tuch, das jedoch in Dordrecht eingekauft war ($ 341), straf-
fällie gemacht.
684 Referate.
kann, sondern daß in älterer Zeit der Petition die Konzession in irgend-
einer Form — praeceptum oder adnotatio — gefolgt sein muß, bis
aus Bequemlichkeitsgründen zwei gleichlautende libelli, von je einem
Teile unterschrieben, angefertigt wurden!); und es ist mir auch nach
wie vor wahrscheinlich, daß in zwei von mir zum Beweise heran-
gezogenen ravennatischen Urkunden (FANTUZZI, Mon. Rav. 9 und 12)
noch deutliche Spuren der älteren Form der Vertragschließung nach-
weisbar sind. In dieser Beziehung kann sich allerdings der Ursprung
der precaria und des libellus nicht wesentlich unterschieden haben. —
Wenn nun aber ScHUPFER (8. 10 ff.) in hergebrachter Weise den
Ursprung der precaria in dem römischen precarium sucht, obgleich er
doch die Verschiedenheit, ja in mancher Beziehung die Gegensätzlich-
keit der beiden Institute deutlich erkennt, so vermag ich ihm aus den
oben S. 340 ff. dargelegten Gründen nicht zu folgen. Auch halte ich
es nicht für richtig, wenn Scx. (9. 82 u. a.) sagt, daß der libellus aus
der Emphyteuse erwachsen ist, da jene Form schon in den Justinis-
nischen Novellen als locatio dem dinglichen Rechte gegentibergestellt
ist. Dagegen hat Scx. in scharfer Weise den Gegensatz zwischen dem
ausgebildeten Libellarkontrakte und der Emphyteuse hervorgehoben
und schlließt sich der von MOMMSEN und mir dargelegten Ansicht an,
daß die wesentliche Verschiedenheit darin besteht, daß durch die
Emphyteuse das verliehene Grundstück wirtschaftlich aus der Grund-
herrschaft ausscheidet, während der Libellarier in die Grundherrschaft
durch seinen Vertrag eintritt.
Diese Unterscheidung wird auch in der Arbeit von LEICHT an-
genommen, welche besonderes Interesse durch die Publikation einiger
neuer Amiatiner Urkunden des 9. Jahrhunderts aus dem Sieneser
Archive gewinnt. Diese libelli zeigen die vollständige Abhängigkeit der
Hintersassen, die nichts anderes als Libellarier sind, von der Grund-
herrschaft, ähnlich wie Luccheser Urkunden, durch die Forinel (8. 9);
Si aliquis homo vos nobis (sc. dem Grundherrn) quesierit at plaito
aut advocato nostro pro iusticiam faciendum, ad mandatis nostris
veniatis et iustitiam adimplere debeatis; auch die vertragsmäßige Aus-
schließung des „pannaticum“, das nichts anderes ist, als das von den
Kolonentöchtern zu entrichtende „nuptiale commodum“ bei Papst
Gregor, weist nach derselben Richtung. LEICHT verfolgt aber auch die
verschiedenen Formen des libellus in den verschiedenen italienischen
Territorien und weist namentlich in einigen Fällen sehr gut den Ein
fluß der eindringenden fränkischen precaria in karolingischer Zeit nach.
Schließlich versucht er auf Grundlage des so gesichteten Materiales und
der BRUNNERschen Forschungen über die spätrömische und italienische
Urkunde auch eine juristische Konstruktion des vielgestaltigen und
doch einheitlichen libellus. L. M. HARTMANN.
1) Vgl. Pıvano a. 8. O. 116 ff. u. meinen oben zitierten Aufsatz S. 7 fl.
Vgl. auch LeicHts Ausführungen a. a. O. 13f.
nn +
Hansische Handelsgesellschaften. 631
Im folgenden Jahre (1358) nahmen die Gesellschaftsgeschäfte
einen noch ausgedehnteren Charakter an. Ich bemerkte schon
Bardewiks Beteiligung an zwei großen Einkäufen von Pelzwerk,
wie es scheint, in Lübeck selbst zusammen mit Johann Witten-
borg, Henneke Laurensius und Albrecht Woltvogel
je zu '/ı (88 239, 240, 323, 324). An den Waren, die Woltvogel
dafür inDordrecht kaufte, Löwensches Tuch sowie, vermutlich
zum Heimritt, ein Pferd, war Arnold natürlich gleichfalls beteiligt
(88 339—341, 345): teils Wittenborg allein, teils Wittenborg und
Woltvogel haben den Verkauf besorgt.
Endlich hatte Bardewik Anteil an Gerste ($ 335), englischem
Tuch ($ 350) und Roggen ($ 351) die Berthold aus Preußen
geschickt hatte.
Noch schärfer indes beleuchtet wird die Dauer des gesell-
schaftlichen Bandes vielleicht durch die Notiz, daß Wittenborg ein-
mal 135 m. d. verborgt, von denen Arnold die Hälfte gehört
(8 306, N.St.B. 59, wo Wittenborg allein als Gläubiger ein-
getragen ist; vgl. oben S. 623 Anm. 2).
Um aber das Bild von den ununterbrochenen geschäftlichen
Beziehungen zwischen diesen beiden Männern und ihrem Prinzi-
pal Wittenborg zu vervollständigen, wären noch die zahlreichen
Bemerkungen über die laufenden Rechnungen zwischen
ihm und jedem von ihnen heranzuziehen. Wittenborg leiht ihnen
Geld bei der Abreise, empfängt Zahlungen in andern Beträgen
wieder, macht Auslagen für sie oder sie für ihn; in Arnolds
Abwesenheit besorgt Wittenborg für ihn vielfache Familiensachen,
verwaltet seinen Grundbesitz u. 8s.w. Von Zeit zu Zeit erfolgt
Abrechnung; und wenn es dann auch woll heißt:
des is al de... rekenscop dot ($ 58, $ 61),
so bleibt doch stets ein Saldo vorzutragen: einen endgültigen
Abschluß gibt es nie. Und so haben auch die andern Kaufleute,
die auftauchen, ein für allemal ihren „Gesellen“.
Heute würden bewährte Angestellte mit einem niedrigen
Prozentsatz an dem Gesamtgewinn der Firma beteiligt werden:
gegangenen Güter nicht datiert, so bleibt doch sicher, daß das Unglück
spätestens 1345 geschehen und einer der Beteiligten 1351 gestorben war.
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 42
632 F. Keutgen: Hansische Handelsgesellschaften.
Wittenborg nimmt sie, wie andere, unabhängige Kaufleute, oft zu
gleichen Teilen als Gesellschafter an, aber nicht für das ganıe
Geschäft, sondern für bestimmte Zweige. Sein Geschäft is
vielseitig, nicht mit nur einem auswärtigen Punkt wie das der
Veckinghusen mit Venedig. Darin liegt der Unterschied. $
hat er seinen Teilhaber für das Danziger Geschäft, einen anden
für das Dorpater. Seine jungen Leute müssen zwar nach ver
schiedenen Ländern reisen; aber sie werden an dem Geschäft-
zweig interessiert, der ihnen zurzeit zugewiesen ist. Wittenborg
steht in der Mitte und leitet alles. Auch heute wäre es wohl
möglich, daß ein Hamburger oder Bremer Kaufmann einen be-
sonderen Teilhaber für sein Honolulu Haus hätte, der draußen
säße und nur an dem dortigen Geschäft beteiligt wäre, einen
andern in Hongkong oder Shanghai und einen dritten für das
Valparaiso-Geschäft. So muß man sich auch Wittenborgs und
seiner „Kumpane“ Lage vorstellen. Dadurch erst gewinnen wir
ein Verständnis für den Handel von vor 500—600 Jahren: im
einzelnen ist das meiste noch unentwickelt und ungeschickt, aber
die Grundzüge sind dieselben wie heute, auch die juristischen,
da sie sich aus den ewig gleichen Bedürfnissen des Handels un-
gestört hatten herausbilden dürfen.
Uns diesen Blick eröffnet zu haben und uns dadurch befreit
zu haben aus der engen Perspektive der juristischen Konstrak-
tionen: darin liegt der hohe Wert des — übrigens auf den vor
stehenden Blättern keineswegs ausgeschöpften — Handlungsbucs |
des Bürgermeisters Johann Wittenborg.
François Quesnay und die Agrarkrisis im Anoien Régime.
Dargestellt auf Grund zweier Briefe.
Von
Dr. Ottomar Thiele.
Fortsetzung von S. 562 und Schluß.
Brief des Intendanten von Soissons an den
Contrôleur Général des Finances.
26 oct. 1760.
Monsieur,
Vous m'avez fait l’honneur de me mander par votre lettre
du 22 août, que le Roi voulait être informé des moyens, d'étendre
et de perfectionner l’agriculture dans la province où il a bien
voulu me confier l'exécution de ses ordres; que pour me procurer
les connaissances nécessaires et locales sur cette matière, je
pourrais former chez moi des assemblées réglées des per-
sonnes les plus au fait de la culture, des fonds, et de ce qui y
est relatif, comme la multiplication des bestiaux et la production
de leur subsistance. |
Ces assemblées seront sans doute fort utiles, mais principale-
ment, lorsqu’après avoir pris une première connaissance de l’état
actuel de l’agriculture, des vues qui y règnent, des obstacles
qui l’arrêtent, et des moyens différents que l’on pourrait employer
pour détruire les uns et affaiblir les autres, je serais en état
d'approfondir le tout dans ces assemblées de gens dont l’expérience,
le zèle et la bonne foi me seraient assez connus, pour croire
que je pourrais utilement discuter avec eux sur la totalité des
688 Referate.
autres princes de leur temps, ils obéissent exclusivement à deux mobiles:
le mobile fiscal, qui les engage à favoriser l’enrichissement de leurs
sujets pour en faire des contribuables plus productifs, et le mobile
annonaire, que M" Y. ne signale pas d'une façon générale '), et qui
les pousse à accumuler dans leur royaume assez de ressources pour
qu’il puisse se suffire à lui-même, et à empêcher ces ressources d’&migrer
au dehors. C'est l'intérêt fiscal?) qui les détermine à se faire eux-
mêmes agriculteurs, industriels, commerçants. L'élevage, intelligemment
pratiqué dans leurs domaines, les spéculations engagées par eux on
Italie et même à l'étranger, les entreprises maritimes, les monopoles,
leur procurent de gros bénéfices (p. 26—37). C’est encore l'intérêt
fiscal qui les engage à intervenir en toute occasion“) dans les trans-
actions privées, soit pour assurer le remboursement de certaines créances,
soit pour accorder des délais à des débiteurs malhenreux, soit pour
évoquer à leur tribunal certains procès concernant les marchands, soit
enfin pour trancher certains conflits pendants entre les marchands et
les officiers royaux (p. 37—44). C'est toujours ce même esprit fiscal
qui domine le système des impôts frappant le commerce, impôts mul-
tiples, onéreux, mal assis, et qui gêneraient singulièrement les affaires
si, dans la pratique, de nombreuses exemptions n'en venaient diminuer
le poids (p. 45—49) — et le système des monnaies, que Charles I",
Charles IL et Robert n'hésitent pas, malgré de belles promesses trop
rarement tenues, à remanier et à altérer sans cesse (p. 49—56). Ils
essaient d’unifier les poids et les mesures (p. 56—58), et d'assurer la
prohibition canonique du prêt à intérêt pour les chrétiens, et sa limi-
tation au taux de 10°/, pour les Juifs (p. 58—60), sans y réussir.
Les princes angevins n’en exercent pas moins une influence heureuse
sur le développement de la circulation économique, en faisant régner
la paix dans le royaume, en garantissant la sécurité des chemins, et
en les purgeant des bandes de brigands qui les infestent (p. 61—67).
Ils mettent en état les routes, et y construisent de place en place des
abris pour les voyageurs (p. 67—71). Enfin ils développent et protègent
les centres d'échange {p. 71—76). A ce propos, Mr Y. étudie les voies
commerciales terrestres du royaume, et notamment les deux principales
d’entre elles: celle qui va du sud au nord, et rattache Naples à Capone,
Aquila, Pérouse et Florence, et celle qui, par Bénévent et Foggia, relie
la capitale aux ports de l’Adriatique. Il énumère aussi les principales
foires. Enumération d’ailleurs un peu insuffisante. Le tableau des
foires du royaume de Sicile & la mort de Robert (1343) pourrait être
singulièrement enrichi grâce au chapitre que PEGOLOTTI (Practica della
1) D en parle seulement p. 55, à propos de l'exportation des monnaies
royales; p. 102, à propos de l'exportation du bétail; p. 104, à propos de
l'exportation des plantes textiles; p. 107 et sqq., à propos de l'exportation
des grains.
2) C’est improprement que Mr,Y. parle à ce propos (p. 24) du mercantilisme
royal, puisque mercantilisme a un sens technique, et désigne un système
économique défini.
3) Mais Mr Y. a sans doute tort de faire aux Angevins un mérite spécial
de ces interventions, que tous les souverains pratiquaient comme eux.
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 635
au contraire qu'elle est diminuée depuis 20 à 30 ans, et par
conséquent la production. L'esprit de travail ne suffit pas. Ce
travail consiste par exemple dans les pays de blé, qui sont la
partie dominante dans cette province, à donner à la terre toutes
les facons qu’elle demande, à former les engrais qui lui sont
nécessaires, à faire ces mélanges de terre, de marne, de cendres,
qui les raniment et les rendent fertiles. Il faut pour ces travaux
des chevaux (on ne se sert point de bœufs), des bestiaux, des
domestiques, des moissonneurs, et le temps propre à la culture.
Or la multiplication des impôts, les convois pour le passage des
troupes ordinaires, les corvées dans la manutention desquelles
on ne peut jamais être sûr de ne pas distraire les laboureurs
dans des jours prétieux pour un labour, les milices et les recrues
qui dépeuplent les campagnes, les pauvres qui les mondent et
se font nourrir de force chez les fermiers; tout cela rassemblé
öte les moyens au laboureur de faire une entière culture. Il a
moins de chevaux, et ils sont moins bons, il ne peut donner le
nombre de labours nécessaires à ses terres; il les désole, pour
ne cultiver que les meilleures, ne les laisse pas reposer, et ne
cultive point les médiocres. Il ne peut par des travaux couteux
mettre sa terre en pente à l’abri des ravines que les pluies aug-
mentent tous les ans. Presque sans bestiaux, faute d’aisance, et
dans la crainte d’en voir chaque tête taxée à la taille, vice
destructif, les engrais lui manquent. Hors d’état de faire aucune
dépense extraordinaire, il n’emploie ni marne, ni cendre. La rareté
des habitants de la campagne rend les valets, les moissonneurs
plus rares et plus chers; le laboureur en prend moins, la culture
retarde, la moisson trop longue en souffre.
Il est vrai, que dans les bons pays de blé, il y a encore
d'anciennes familles de gros fermiers qui, devenus très riches
par les gains qu'ils ont fait, en ne vendant leur blé que dans
les années chères, sentent moins le malheur des temps; mais ce
n'est pas un avantage pour la culture en général et pour la
population. C’est au contraire ce qui prouve, que la malaisance
a produit les deux inconvénients contraires dans les différents
pays. Dans ceux des forts et riches fermiers, qui ont 5, 6, 7
charrues, ils ont persuadé aux propriétaires devenus malaisés, de
690 Referate.
des débouchés, facilités de transport; barrières fiscales, etc.) et il aurait
pu tirer beaucoup plus de fruit des travaux de Ratzel et de son école.
Les rois angevins témoignent beaucoup de sollicitude pour la pro-
duction industrielle et agricole. Ils contribuent puissamment à l'essor
de deux grandes branches d'industrie: mines et métallurgie d’une part
(p. 77—84); industries textiles!) de l’autre (p. 84—96). C'est même
à leur seule initiative que ces dernières doivent de s’acclimater à
Naples. Dans leur politique agricole, s’ils se préoccupent parfois de
défendre le paysan contre la mauvaise fortune et contre les abus
administratifs, ils s'efforcent surtout de supprimer ou de restreindre
l'exportation hors du royaume des denrées les plus indispensables,
spécialement des céréales, et de frapper leur transport de droits parti-
culièrement lucratifs pour le trésor (p. 97—126).
Après cet aperçu general de l'influence des souverains sur les
principales manifestations de la vie économique, M' Y. examine leurs
rapports avec les marchands: d'abord avec ceux qu'il appelle les
régnicoles, et que nous appellerons, plus exactement, les indigènes, puis
avec les étrangers. Les marchands indigènes jouent un rôle des plus
médiocres. A l’exception des Amalfitains, qui se distinguent par leur
initiative, ils seconent rarement leur inertie, malgré les efforts des rois
pour les galvaniser; ils se bornent à pratiquer le commerce de détail.
Les grandes entreprises restent aux mains des étrangers. Les princi-
pales „nations“ étrangères ont dans les cités des établissements (ricus,
plathea, logia) que des diplômes royaux leur ont permis de fonder
(p. 193—196). Dans la capitale et dans les villes les plus importantes,
elles forment des communautés autonomes, à la tête desquelles sont
placés des cowsuls élus par les marchands, ou désignés par les autorités
de leur métropole, parmi leurs compatriotes?). L'action de ces consuls
s'exerce au sein de la nation et dans les rapports de cette nation
avec les autorités locales. Au sein de la nation, ils prennent en main
les intérêts généraux de leurs concitoyens, lèvent certaines taxes,
exercent une juridiction disciplinaire qui, en matière délictuelle, comprend
les infractions les moins graves, et, en matière civile et commerciale,
comprend tous les litiges dans lesquels les deux parties appartiennent
à leurs ressortissants. Ils jugent sommairement, sans formalisme, et
mercantiliter. Dans les rapports de la nation avec le dehors, ils repre-
sentent leurs nationaux auprès du souverain, les défendent, produisent
les réclamations de ceux qui ont été lésés, leur servent de cautions et
1) On ne s'explique pas bien pourquoi la section consacrée par Mr Y.
à toutes les industries textiles (soie, chanvre, lin, etc.) a pour titre unique:
la laine. De même (p. 104), pourquoi le commerce des plantes textiles et de
l'huile est-il rangé sous le titre: le commerce des grains?
2) Sauf à Gaete, où les consuls doivent être citoyens de la ville, et
peuvent être nommés par le roi (YVER, p. 199; p. 201). Mr Y., qui n'a
utilisé sur cette question ni les excellents travaux de SUHAURBE, ni même le
livre de MoREL sur l’histoire de la juridiction commerciale, n’a pas tiré de ce
fait les conclusions qui s’imposaient, et n’a pas souligné les conceptions très
différentes du consulat que supposent le système suivi à Gaëète et celui suivi
dans les autres places.
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 637
à prix d'argent pour le public et même pour les corvées: une
partie de leurs terres reste en friche. Le propriétaire qui a
morcellé ainsi les terres de sa ferme en marchés particuliers, qui
a abattu une partie des bâtiments devenus trop grands pour le
peu de terres qu’il y a laissées, n’est point payé, se trouve
trompé dans l'espérance où il était, qu’il tirerait plus de ses
terres ainsi morcellées à des haricotiers que d’un vrai fermier,
dont il aurait été obligé de diminuer le bail, et d’attendre le
payement pour le soutenir. Tous les mémoires de ces pays
parlent de tort sensible que fait à la culture le grand nombre
de ces petits haricotiers qui s’est introduit depuis 20 ans.
La culture et la production souffrent encore considérablement
d’un genre d'administration des grosses terres qui, s’il n’est pas
absolument nouveau, s’est fort augmenté depuis 20 ans, et par
des moyens encore plus destructifs. Les propriétaires des grosses
terres, les usufructiers des biens de l'Eglise, que ni les uns ni les
autres n’habitent malheureusement jamais, se ressentunt des
charges occasionnées par la dernière guerre, qui ont subsisté
depuis, et ont augmenté dans le cours de celle-ci, ont cherché
à augmenter leur revenu par l’augmentation du prix des beaux
de leurs différentes fermes, ou par des pots-de-vin cachés, ou
la convention cachée, de même d’acquitter les vingtièmes par leur
fermiers. Ces augmentations forcées, auxquelles les fermiers
n’ont pu successivement se refuser par la crainte de perdre le
fruit des dépenses, qu'ils avaient faites pour l’amélioration de
leurs terres, ou de se livrer à celles qu’entraine le changement,
et même de rester sans occupation et sans état — ces augmen-
tations, dis-je, ont épuisé les fermiers. L'activité de leur travail
n’a pû être accompagnée des moyens nécessaires en chevaux
pour le labour, en bestiaux pour les engrais, en achat de marne
et de cendre pour le renouvellement de la fertilité; leur culture
a diminué chaque année, leur production de même, ils se sont
ruines et ont envoyé leurs enfants être laquais à Paris.
Les gros propriétaires laïcs et ecclésiastiques qui ont ainsi
ruiné leurs fermiers, et ceux qui n’ont point pu amener les leurs
à ces augmentations forcées, ont pris le parti d'affermer leurs
terres à bail général à des gens qu’ils ont mis dans les habi-
692 Referate.
Le dernier chapitre (p. 335—391) est consacré aux opérations des
compagnies florentines dans le royaume de Sicile, et c’est à ce propos
seulement que M" Y. étudie le mécanisme du grand commerce, c'est
à dire le personnel des compagnies!) (associés, agents, directeurs,
procuratores et nunci) et leurs opérations (achat et vente de mar-
chandises de toutes sortes, fournitures militaires, fabrication de mor-
naies, et surtout affaires de banque: dépôts, prêts, transport d'argent,
change de monnaies, etc.) soit avec des particuliers, soit avec la curia
royale.
"Un appendice comprenant un tableau des monnaies, poids et mesures
en usage à l’époque angevine, une liste des marchands florentins men-
tionnés dans les registres du règne du roi Robert, et quelque pièces
justificatives (modèles d’acceptatio et d'apodira; articles de prêts et
remboursements; acte de liquidation des comptes de la société des
Peruzzi) et enfin deux index (index des noms propres — et index des
matières) — terminent l'ouvrage (p. 401—437).
L'analyse rapide que je viens de faire suffit à montrer que le titre
de l'étude présentée par M' Y. ne donne pas une idée exacte de son
contenu. (Ce titre est à la fois trop étroit et trop large.
Trop étroit: car cette étude fait une place importante à l’histoire
e l'industrie, de l’agriculture (p. 77—127) et même de la pêche
(p. 130 et sqq.). Or, si l’agriculture, l’industrie, et la pêche peuvent
être sources de richesses commerciales, c’est-à-dire de marchandises,
et si elles doivent trouver place accessoirement, comme telles, dans
une monographie consacrée au commerce d’un milieu déterminé, il ne
s’ensuit pas qu'elles doivent l’être pour elles-mêmes, car elles ne sont
pas nécessairement liées à un système commercial, puisque, au moins
dans leur formes rudimentaires, elles existent déjà dans des sociétés
qui n'ont pas dépassé la phase de l’économie domestique, et n'ont pas
encore atteint la phase de l’économie d'échange. Il est certain que
l'acte du laboureur qui vend sa récolte, du tisserand qui vend sa toile,
du pêcheur qui vend son poisson, ne rentre pas dans la sphère des
opérations commerciales. Mr Y. n’a pas délimité son sujet à cet égari,
et il a négligé de définir le commerce: notion claire, semble-t'il au
premier abord; — notion singulièrement complexe et fuyante quand
on y regarde de plus près.
Trop large: car une étude du commerce comporte nécessairement
l'examen du personnel, de l’organisation matérielle, et des institutions,
par lesquels se réalisent les affaires commerciales ?)}. Or les rare
données que Mr Y. s’est préoccupé de réunir sur ces points 8
trouvent éparses, sans idées générales pouvant leur servir de lien, au
1) Est-il exact de les désigner, p. 336, sous le nom de sociétés en com-
mandite ? et le nom même de compagnia ne s’applique-t-il pas, au XIVe siècle,
à un type social très different de la société en commandite moderne, tt
beaucoup plus voisin de Ja société en nom collectif ?
2) Pour apprécier ce qui manque ici au livre de Mr Y., il suffira de le
comparer à l'excellente étude que Mr Esrınas a donnée dans cette Revu
Oo, 1904, pp. 34, 219 et 382) sur Jehan Boine Broke, bourgeois et drapier
ouaisien.
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 639
à toute autre, qu'à un homme qui y demeurerait, ou dans une
ville à deux lieues de distance de la terre? Serait cela gêner
la liberté de faire valoir son bien comme on veut? Peut-elle,
cette liberté, être destructive des bien fonds de l’Etat, contraire
même aux intérêts des propriétaires? On interdit les prodigues,
la raison de l'Etat y influe. Pourquoi ne pourrait-on pas fixer
des règles à leur administration ?
On se plaint encore généralement de deux obstacles qui
s'opposent à l'amélioration de l’agriculture, la trop courte durée
des baux de 9 ans, et la faculté du nouveau titulaire du bénéfice
de résilier les baux faits par son prédécesseur. Les inconvénients
de l’un et de l’autre sont palpables. Comment un fermier à son
aise se portera-t-il à faire une dépense extraordinaire de ges
terres par l’augmentation de ses bestiaux, pour produire celle des
engrais, l’achat et le transport des marnes et des cendres, pour
fertiliser les terres, les travaux pour empêcher qu'elles ne se
dégradent par les ravines, dans celles qui sont incultes, pour les
défricher, même les plus mauvaises, comme l’enseigne si bien,
monsieur le Marquis de Turbilly, dans ses prés, dans ses bois,
pour les déssecher, les regarnier, les faire garder? Comment
risquera-t-il des essais de Za nouvelle culture expliquée dans
plusieurs livres? Comment, en un mot, se livrera-t-il à toutes
ces dépenses extraordinaires dont les commencements coutent
beaucoup; les profits sont lents et tardifs, s’il craint de n’avoir
travaillé que pour un fermier qui, à la fin de son bail de 9 ans,
offrira un prix cher pour profiter des dépenses faites, et même
avant l'expiration du bail par la mort, ou le changement d’un
bénéficier, avec lequel il avait fait ce bail? Ce n'est point la
seule volonté du propriétaire qui fixe ces baux à 9 ans: beau-
coup en voudraient faire de 18, en plus; mais ils sont arrêtés
par les droits auxquels les baux sont sujets, parce qu'on les
regarde comme des aliénations à temps. Les droits de contrôle
pour les baux audessus de 9 ans sont du double de ceux de 9 ans.
De plus, il est dû un droit demi-centième denier pour les biens
depuis 9 jusqu’à 30 ans, et audessus de 30 ans le centième
denier. Ainsi pour un bail du prix de 1500 liv. on paye à la
ferme des domaines:
694 Referate.
à la domination angevine. Mais ils ont exercé une influence: trop prv-
fonde et trop durable sur les relations maritimes pour qu’on puisse les
passer sous silence 1). Or Mr Y. ne paraît point avoir connu le livre
d’ALIANELLI Sur les anciennes coutumes et lois maritimes des provinces
napolitaines ?) ni les principaux travaux que de nombreux chercheurs
(PARDESSUS, TRAVERS Twyss, WAGNER, LABAND, DE ROZIÈRE, BEL-
TRANI, SOHUPFER, LAUDATI, ROGADEO, SCHAUBE, etc.) ont consacrés à
ces statuts. Toutes ces lacunes sur l’organisation et les rouages du
commerce nous empêchent de pénétrer dans la vie même des affaires.
Les marchands que Mr Y. nous présente restent des créations livres-
ques, des abstractions s’agitant, en un milieu mal défini, pour accomplir
de vagues transactions, que nous ne comprenons point.
Notons enfin que M' Y. marque un souci peut-être exagéré de
maintenir rigoureusement le caractère monographique de son étude.
Il semble se piquer de ne jamais jeter un regard hors du temps et
du pays qu'il étudie, et de ne jamais généraliser. Cette préoccupation,
souvent prudente, est poussée si loin ici qu'elle entraîne de sérieux
inconvénients: elle amène Mr: Y. à isoler les manifestations économiques
qu'il étudie des grands courants commerciaux de l’Europe occidentale
an XIIIe et au XIVe siècle, et à présenter comme un peu exceptionnels
et anormaux des faits très généraux qui ont leurs équivalents dans
toutes les civilisations marchandes de la même époque. Ainsi bon
nombre de mesures favorables au commerce dont M' Y. fait honneur
à l'initiative de Frédéric I, n’ont rien d’original: beaucoup d’autres
princes avant lui avaient pris sous leur protection les étrangers et
les juifs, assuré la paix des chemins conduisant aux marchés (p. 4), et
compris l'utilité des foires périodiques (p. 71). Pourquoi aussi avoir
systématiquement négligé certains travaux d'ensemble très suggestifs?
Ainsi la Geschichte des mittelalterlichen Handels und Verkehrs zwischen
Westdeutschland und Italien, mit Ausschluss von Venedig, de SCHULTE,
si elle ne fournissait, pour la période antérieure au dernier tiers du
XIV® siècle, que peu de développements sur les relations commerciales
de l'Allemagne et de l'Italie méridionale (I, p. 599 et sqq.), se recom-
mandait tout au moins pour la sûreté et l'abondance de ses développe
ments généraux (sur les routes, les marchandises, le système des impots
et des monnaies, etc.)*). Pourquoi n'avoir pas examiné les rapports
qui existent, soit au point de vue anthropogéographique, soit au print
1) Ces importants statuts n’ont par de chance avec les récents historiens
de l'Italie méridionale. Voy. p. ex. les développements sans ampleur ni
originalité que leur consacre GAY, L'Italie méridionale et l'empire bysantın
depuis l’avènement de Basile I jusqu’à la prise de Bari par les Normands
(867—1071). Bibl. des écoles françaises de Rome et d'Athènes. Paris 1904,
p. 582 —588.
2) ALIANELLI, Delle antiche consuetudine e leggi maritime delle proviuck
napolitane. Napoli, 1871.
8) Je ne crois pas que Mr YvER se soit servi des travaux de COLANGEIW,
I pesi, le monete e le misure nel commercio Veneto-Pugliese alla fine del XIII
e al principio del XIV secolo (Trani, 1901) et de ZAMBLER, Le relasion
commerciali fra le Puglie « la Reppublica di Venezia (Trani, 1898).
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 641
droits qui peut profiter de la garde des grains, mais le fermier
de ces droits. Ne serait-il pas plus naturel et plus utile pour
la culture, que ce fut le fermier des terres qui ont produit ces
grains? Dans ses mains le profit tournerait à la terre; dans
celles du fermier des droits, il ne fait que multiplier les moyens,
d'abandonner l’agriculture pour des états moins durs et moins
utiles à l'Etat. Et c’est parceque l’état de laboureur, de culti-
vateur est le plus dur du emploi des hommes et le plus nécessaire,
qu’il est si facheux, devoir subsister tant de voies pour le quitter.
Les pères n’y élèvent plus leurs enfants, et ils craignent même
d’avoir des enfants, leur ancienne richesse.
Le goût des nouvelles cultures pour les terres er grains n’a
pas encore pris dans cette province. Je n’y connais qu’une
personne qui en ait fait l’essai; il n’a pas réussi. Le défaut
d’aisance est un grand empêchement. Je connais cependant une
objection contre cette culture dont le but est: d'augmenter les
productions. C’est, dit-on, travailler pour le dimeur et le terrageur.
Il faudrait trouver des moyens pour faire tomber cette objection.
La liberté du commerce des grains est un encouragement à
l'augmentation de leur production. Son contraire produit le
monopole, diminue la culture. L’essai sur la police des grains
l’a prouvé. On lui doit cette liberté, rendue dans l’intérieur du
royaume par l'arrêt du Conseil du 17 septembre 1754"). Il serait
très important qu’elle fut connue pour l’intérieur par une loi
publique revêtue de toutes les formes. J’ai éprouvé la nécessité
de cette publicité, ainsi que l’utilité de la liberté. L’ete de 1757,
le septier de Paris dont le prix est ici dans les années ordinaires
de 15 à 17 liv., dans les années chères de 20 liv., monta jusqu’à
30 liv., et dans toute la province à proportion, mais toujours
plus chères en remontant en Picardie. On craignait la famine
à Guise, on empêchait la sortie des blés de toutes les villes.
1) Dieser damals an die Intendanten auf Verwaltungswege ergangene
Erlaß, welcher zweifellos physiokratischen Einflüssen zugeschrieben werden
muß, hatte leider, wie schon aus MELIANDs Worten ersichtlich, seinen Zweck
verfehlt, da die reichen Grundbesitzer, Pächter und Getreidespekulanten seine
Durchführung zu verhindern wußten. Erst die Gesetze der sechziger Jahre
waren von wirklichem Erfolge.
696 Referate.
fällen auszugehen, und auf Grund sorgfältiger Analyse des einzelnen
Weistums die aufgefundenen Erscheinungen naclı bestimmten Gesichts-
punkten übersichtlich zu ordnen, dürfte am ehesten zu gesicherten
Resultaten führen. Eine Untersuchung des Verhältnisses der Nieder-
gerichte zu den übergeordneten Hochgerichten wird (8. 14 Anm. 1)
als zum Verständnis der niedern Rechtspflege nicht unbedingt not-
wendig abgelehnt. Im Text wird das Verhältnis hier und da gestreift,
so daß man ersieht, daß ohne eine solche Untersuchung das Ziel des
Buches nicht vollständig erreicht wird. Gerade das Hochgericht,
welches ja in vielen Fällen selbst aus dem Niedergericht hervor-
gegangen ist, hätte in die Untersuchung eingezogen werden miissen.
Haben doch die Inhaber der Hochgerichtsbarkeit vielfach noch Teile
der niederen Gerichtsbarkeit ausgeübt in Bezirken, wo sie nicht Grund-
herren waren. Ich habe in meinem Aufsatz über „das Hochgericht
auf der Heide“ (Westdeutsche Zeitschrift XXIV S. 101 ff., namentlich
S. 192 ff.) Fälle konstatiert, in denen die Niedergerichtsbezirke unab-
hängig von der Grundherrschaft durch Teilung des Hochgerichts-
bezirks entstanden sind, dann freilich in die Hände der Grundherren
gerieten und aufgelöst wurden, wo sie nicht bei dem Hochgerichts-
herrn geblieben sind. Nur die eingehendste Einzelforschung vermag
in das Wirrsal der verschiedenen Kombinationen einzudringen, in
denen die verschiedenen Arten der Untertänigkeitsverhältnisse der
Bauern zu ihren Herrschaften sich durchkreuzt haben. Das Buch von
Groscx ist ein schätzenswerter Beitrag zu diesen Forschungen.
Dr. WILHELM FaBricıus, Darmstadt.
Zur Rezension sind bei der Redaktion u. a. eingelaufen:
Ant. v. Pantz, Die Innerberger Hauptgewerkschaft 1625—1783, Graz, Styria.
Franz Bastian, Die Bedeutung mittelalterlicher Zolltarife als Geschichts-
quellen; mit einer Beilage: Ein Regensburger Mauttarif aus dem
14. Jahrhundert. Forschungen zur Geschichte Bayerns Bd. 13, S. 296 ff.;
Bd. 14, S. 114ff.
Schäffle, Abriß der Soziologie. Herausgegeben mit einem Vorwort von
K. Bücher. Tübingen, H. Laupp.
A. Steinmann ann, Die ostschweizerische Stickerei-Industrie. Zürich, Ed. Raschers
Erben.
R. Kaulla, Die geschichtliche Entwicklung der modernen Werttheorien.
Tübingen, H. Laupp.
M. Bourguin, Die sozialistischen Systeme und die wirtschaftliche Ent-
wicklung. Übersetzt von L. Katzenstein. Tübingen, J. C. B. Mohr
(P. Siebeck).
Jos. Aug. Lux, Volkswirtschaft des Talents. Leipzig, R. Voigtländer.
E. Hubrich, Deutsches Fürstentum und deutsches Verfassungswesen. Leipzig,
B. G. Teubner.
F. Thalichum, Die Stadtrechte von Tübingen 1388 u. 1493. Tübingen,
H. Laupp.
Derselbe, Die Diözesen Constanz, Augsburg, Basel, Speier, Worms nach
Ihrer, alten Einteilung in Archidiakonate, Dekanate und Pfarreien.
" Ebenda.
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 645
que rapporte un arpent de vignes, le proprietaire y perd 121 liv.
10 8. Ces vignes trop abondantes occupent des terres qui seraient
très propres aux grains et aux bois.
Enfin dans les terres des princes et des seigneurs le gibier
rend inculte le pays, et le détail de la destruction qu’il y cause,
est effrayant.
Tels sont, Monsieur, les principaux obstacles qu’&prouve
l’agriculture, et les causes qui non seulement en arrêtent les
progrès, mais y font voir une diminution assez forte, pour être
inquiétante sur l'avenir dans cette province, d’une situation favorable
à la culture et à la production. Je vais vous faire une courte
description de ses élections; vous y verrez leur position et les
productions qui leur sont propres, et l’application de ce qui a
été dit cy-dessus !).
1) Es folgt nun eine längere Beschreibung der 7 Elections der Généralité
von Soissons, nämlich Crépy, Soissons, Laon, Guise, Noyon, Clermont und
Château-Thierry. Sie ist nach den Berichten der einzelnen Subdélégués zu-
sammengestellt und dürfte kaum von einigem Interesse sein, da sie nur
deren Unfähigkeit, die agrarwirtschaftlichen Verhältnisse richtig zu verstehen,
widerspiegelt. Hier ist sie weggelassen. QUESNAY kommt am Ende seines
Briefes auf diese Seite des Memoires zurück. Er rügt besonders die in der
Beschreibung der Election von Soissons enthaltene Bemerkung über deren
ländliche Bevölkerung: „Im allgemeinen ist der Charakter der Einwohner
dieses Kreises langsam und träge, ein Zeichen für die Fruchtbarkeit des
Landes.“ („En général le caractère etc.“)
696 Referate.
fällen auszugehen, und auf Grund sorgfältiger Analyse des einselnea
Weistums die aufgefundenen Erscheinungen naclı bestimmten Gesichts-
punkten übersichtlich zu ordnen, dürfte am ehesten zu gesicherten
Resultaten führen. Eine Untersuchung des Verhältnisses der Nieder-
gerichte zu den übergeordneten Hochgerichten wird (8. 14 Anm. 1)
als zum Verständnis der niedern Rechtspflege nicht unbedingt not-
wendig abgelehnt. Im Text wird das Verhältnis hier und da gestreift,
so daß man ersieht, daß ohne eine solche Untersuchung das Ziel des
Buches nicht vollständig erreicht wird. Gerade das Hochgericht,
welches ja in vielen Fällen selbst aus dem Niedergericht hervir-
gegangen ist, hätte in die Untersuchung eingezogen werden missen.
Haben doch die Inhaber der Hochgerichtsbarkeit vielfach nooh Teile
der niederen Gerichtsbarkeit ausgeübt in Bezirken, wo sie nicht Grund-
herren waren. Ich habe in meinem Aufsatz über „das Hochgericht
auf der Heide“ (Westdeutsche Zeitschrift XXIV S. 101 ff., namentlich
S. 192 ff.) Fälle konstatiert, in denen die Niedergerichtsbezirke unab-
hängig von der Grundherrschaft durch Teilung des Hochgerichts-
bezirks entstanden sind, dann freilich in die Hände der Grundherren
gerieten und aufgelöst wurden, wo sie nicht bei dem Hochgerichts-
herrn geblieben sind. Nur die eingehendste Einzelforschung vermag
in das Wirrsal der verschiedenen Kombinationen einzudringen, in
denen die verschiedenen Arten der Untertänigkeitsverhältnisse der
Bauern zu ihren Herrschaften sich durchkreuzt haben. Das Buch von
GROSCH ist ein schätzenswerter Beitrag zu diesen Forschungen.
Dr. WILHELM FABRICIUS, Darmstadt.
Zur Rezension sind bei der Redaktion u. a. eingelaufen:
Ant. v. Pantz, Die Innerberger Hauptgewerkschaft 1625 —1783, Graz, Styria.
Franz Bastian, Die Bedeutung mittelalterlicher Zolltarife als Geschichts-
quellen; mit einer Beilage: Ein Regensburger Mauttarif aus dem
14. Jahrhundert. Forschungen zur Geschichte Bayerns Bd. 13, S. 296 ff.;
Bd. 14, S. 114ff.
Schäffle, Abriß der Soziologie. Herausgegeben mit einem Vorwort von
K. Bücher. Tübingen, H. Laupp.
A. Btoinmann, 2 Die ostschweizerische Stickerei-Industrie. Zürich, Ed. Raschers
rDen.
R. Kaulla, Die geschichtliche Entwicklung der modernen Werttheoriez.
Tübingen, H. Laupp.
M. Bourguin, Die sozialistischen Systeme und die wirtschaftliche Ent-
wicklung. Übersetzt von L. Katzenstein. Tübingen, J. C. B. Mohr
(P. Siebeck).
Jos. Aug. Lux, Volkswirtschaft des Talents. Leipzig, R. Voigtländer.
E. Hubrich, Deutsches Fürstentum und deutsches Verfassungswesen. Leipzig,
B. G. Teubner.
F. Thulichum, Die Stadtrechte von Tübingen 1388 u. 1493. Tübingen,
. Laupp.
Derselbe, Die Diözesen Constanz, Augsburg, Basel, Speier, Worms nach
Ihrer alten Einteilung in Archidiakonate, Dekanate und Pfarreien.
“ Ebenda.
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 645
Vous savez assez que c’est le roc contre lequel les charrues vont
se briser. Je ne vous en dis pas davantage. Il ne s’agit pas
tant d’appeller des hommes à la campagne, que des richesses.
Et c'est tout le contraire, on ne nous parle que de peupler la
campagne, et point de l'enrichir. On ne pense pas, que plus
la culture est opulente, moins elle occupe d'hommes et plus elle
donne de revenus au Roi et aux propriétaires; et que plus ce
revenu s’accroit, plus il augmente la population dans les différents
emplois, et les différents genres de professions nécessaires dans
un royaume florissant. Mais comment rappellera-t-on des richesses
dans la campagne, comment les faire sortir des villes, s’il n’y a
pas de sûreté dans leur emploi à la culture? Il est donc certain
que, si l’on continue d’exposer le laboureur à une forme d’im-
position incertaine et arbitraire, la culture périra entièrement, et
le royaume avec elle. Pourquoi ce point de vue terrible échape-t-il
à vos réflexions ?
Revenons à d’autres particularités détaillées dans votre
mémoire. Je ne puis applaudir à ce que vous dites des gros
laboureurs et des grosses fermes, que vous ne m’ayez calculé
la différence des revenus des terres réunies en grandes fermes,
ou divisées en moindres fermes. Je ne dis pas en petite ferme,
car vous vous êtes trop bien et trop judicieusement expliqué
à l’égard de ces dernières. Mais parmi les personnes instruites
en cette matière, qui a jamais douté que, relativement aux dé-
penses d'exploitation, les grandes fermes richement cultivées,
donnent à culture égale beaucoup de produit net, et par consé-
quence beaucoup plus de revenu à moins d’entretien de bâtiment,
que de moindres fermes? Examinons vos raisons: 1° Parce que
les grosses fermes bornent la population, un terrain de 18 charrues
cultivé par une seule famille de laboureurs, entretiendra moins
d'hommes, que s’il était divisé à six familles de laboureurs.
Voyez si ce terrain pourra donner autant de produit net ou de
revenu étant chargé de six familles de laboureurs, que lorsqu'il
n’est chargé que d’une famille. On sait aujourd’hui quel état, les
propriétaires, la population même, ne trouvent pas leur compte
à se procurer des hommes au préjudice du revenu. L’accroisse-
ment du revenu doit augmenter la population, mais l'augmentation
Verlag von W. Kohlhammer in Stuttgart.
— —— u nn ne
Durch jede Buchhandlung sind zu beziehen:
Württembergische Gesehiehtsquellen.
Herausgegeben
von der
Württembergischen Kommission für Landesgeschichte.
Band I.
Geschichtsquellen der Stadt Hall. Von Dr. Chr. Kolb.
1894. VIII und 444 S. 8°. Preis 6 Mk.
Band IL
Aus dem Codex Laureshamensis. — Aus den Traditiones Fuldenses. —
Aus Weißenburger Quellen. Mit einer Karte: Besitz der Klöster Lorsch,
Fulda, Weißenburg innerhalb der jetzigen Grenzen von Württemberg und
Hohenzollern. Von G. Bossert. — Württembergisches aus römischen
Archiven. Bearbeitet von Eugen Schneider und Kurt Kaser.
1895. VI und 606 S. 8°. Preis 6 Mk.
Band II.
Urkundenbuch der Stadt Rottweil. I. Band. Bearbeitet von Dr. Hein
rich Günter.
1896. XXIX und 788 S. 8°. Preis 6 Mk.
Band IV.
Urkundenbuch der Stadt Esslingen. I. Band. Bearbeitet von Adolf
Diehl unter Mitwirkung von Dr. K. H. S. Pfaff.
1899. LV und 786 S. 8° Preis 6 Mk.
Band V.
Geschichtsquellen der Stadt Heilbronn. Von Eugen Knupfer.
I. Band. 1904. 14 und 681 S. 8°, Preis 6 Mk.
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 647
Votre remarque est très juste sur les prix forcés des baux
par les propriétaires ou par leurs fermiers généraux. Ceux-ci
font la désolation des fermiers particuliers, et ainsi que des
mauvais propriétaires, les destructeurs de l’agriculture et surtout
les abbés commendataires. Vous avez bien raison de dire,
que les meilleurs propriétaires sont Îles moins réguliers. Vos
réflections sur les baux trop courts ne sont pas pratiquables
actuellement, il faudrait entrer dans un trop grand détail pour
vous le démontrer. Je vous dirai seulement, que si les grands
moyens de faire prospérer l’agriculture, dépendants du gouverne-
ment, étaient rétablis, la culture ferait de grands progrès dont
le Roi et les propriétaires devraient profiter, aussi bien que
les laboureurs; or si l’on faisait aujourd'hui que l’agriculture
est si dégradée, des baux de 20 ans, le Roi ni les pro-
priétaires ne profiteraient point pendant cette durée de l’ac-
croissement des produits procurés par la réforme de l’adminis-
tration. Vous me direz peut-être qu’à l’égard du Roi, on aug-
menterait arbitrairement pendant le courant du bail, l’impôt sur
les fermiers. Mais vous pensez trop bien, pour approuver cette
conduite, bien plus terrible pour les fermiers et les propriétaires
que tous les autres fleaux qui affligent les habitants des campagnes.
Ce n’est donc que par la concurrence des fermiers dans le
renouvellement des baux, que nous pouvons connaître l’état
successif de l’accroissement des produits des terres, procuré par
une meilleure administration du gouvernement, et de l’accroisse-
ment régulier de l’impöt et du revenu de bail en bail. Mais
quand l’agriculture sera dans son état parfait, la longueur des
baux peut être un bon moyen pour l’y maintenir, sans pre-
judicier aux revenus du Roi et des propriétaires: sauf cepen-
dant l'espèce de propriété que les fermiers s’attribuent par la
possession de leurs fermes. Il y a des endroits en Picardie où
cet abus ne laisse plus aux propriétaires que l’état de rentiers.
Dans votre beau morceau sur la liberté du commerce des
grains, il y a un article fort délicat qui est la contrainte de
porter le blé au marché. Il y eut, il y a quelques années, une
ordonnance de l’Intendance de Limoges, pour défendre aux
laboureurs de vendre ou débiter leurs blés dans leurs greniers.
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 48
FUER SCHRIFTSTELLER
(Nationalökonomen, Sezialpolitiker, Juristen),
die auf nachstehenden Gebieten publizieren, empfiehlt es sich, zwecks schneller Verbreitung
der Kenntnis ihrer Veröffentlichungen, die Titel von Büchern und Aufsätsen kurz vor oder
sogleich nach deren Erscheinen dem Internationalen Institut für Sosial-Biographie zur
Aufnahme in die monatlich erscheinende Bibliographie der gesamten Sozialwissenschaften
(Aufl. inol. Separatausgaben 13400) und in das Bibliographische Jahrbuch zu senden.
(Berlin W.60 Spichernstrasse 17). Ausser den bibliographischen Angabea werden — eben-
falls kostenlos — kurze, streng objektive, eines Werturteils sich enthaltende Inhaltsnotizen
bis zu 8 Druckzeilen Umfang angenommen.
Beispiel (üngiert).
Weber, Fritz; Lohn- und Arbeitsverhältnisse in der deutschen
Textilindustrie. 89 316 p. Berlin, A. Schultze 06. M. 4.60.
Das Ergebnis einer sozialstatistischen Enquete die Verf.
in 62 Fabriken mit Unterstützung von Arbeitgebern und
-nehmern veranstaltet. Auszüge aus den Lohnbüchern der
letzten 3 Jahrzehnte. Schlusskapitel behandelt Geschichte
der Arbeitgeber- und -nehmerverbände der deutschen Textil-
industrie und der Hauptverbänie des Auslandes,
Arbeitsgebirte des Institutes:
Der Arbeitsbereich umfasst die Gegenstände:
Theoretische und praktische Nationalökonomie (Wirtschaftskunde und Politik der
Landwirtschaft, Forstwirtschaft, des Bergbaues, Verkebrs- und Ausstellungswesens, Handels
und Zollwesens, des Gewerbes und der Industrie, des Geld-, Kredit-, Bank-, Börsen- und
Versicherungswesens). Sozialpolitik (Arbeiterschutz und -Versicherung, Organisationen der
Arbeitgeber und -nehmer, Streiks, Arbeitslosigkeit und -Vermittlung, Mittelstandspolitik,
Wohnungs- und Bauweren, Soziale Medisin, Frauenfrage, Genossenschafts-, Armen- und Für-
sorgewesen und Wohlfahrtspflege). : : sotıl -Geschichte,
Finanzwissenschaft und -Politik, Nozial- und Wirtschafts-Statistik, Recht, Kri-
minologie, Handeiswissenschaften, Kolonialwesen, Wirtschafte- und Anthropegeographie,
Sozialphilosophie.
Drucksachen des Institutes versendet unentgeltlich das Haupt-
bureau Berlin W. 50, Spichernstrasse 17.
Verlag von W. Kohlhammer, Stuttgart, Berlin, Leipzig
Das ältere Recht der Reichsstadt Rottweil. Mit ge-
schichtlicher und sprachlicher Einleitung. Von Prof. Dr. Greiner.
1900. VII und 273 S. 8°. Preis brosch. 3 Mk. 50 Pf.
Politische und soziale Bewegungen im deutschen Bürger-
tum zu Beginn des 16. Jahrhunderts mit besonderer Rück-
sicht auf den Speyerer Aufstand im Jahre 1512. Von Kurt
Kaser. 1899. VIII und 271 S. 8°. Preis 5 Mk.
Die Vermögenssteuer der Reichsstadt Ulm vom Jahre
1709, ihr Ursprung und ihre Weiterentwicklung bis zum Ende
der Reichsstadt im Jahre 1802. Von Dr. Adolf Kölle. 1898.
IV und 136 S. gr. 8°. Preis brosch. 3 Mk. 40 Pf.
Nationale Produktion und nationale Beruisgliederung-
Von Dr. H. Losch. 1892. XII und 324 S. 8°. Preis 6 Mk.
Deutsche Literaturzeitung: „Das in originellen Gedankengängen sich be-
wegende Buch ist mit zahlreichen interessanten statistischen Nachweisungen
über den gegenwärtigen Stand der Produktionstechnik und deren Mängel ver-
sehen. Die Grundgedanken verdienen allseitige Beachtung und werden in der
nationalökonomischen Literatur hoffentlich noch zu eingehenderen Studien und
Ratschlägen Veranlassung geben.* (Prof. Georg Adler, Freiburg i. B.)
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 649
de septiers, et dont le territoire peut en rapporter plus de cent
millions. Dans un royaume où le bas peuple est si chargé
d’impositions et, si vex& de corvées, qu'il est réduit pour la plus
grande partie à se nourrir de blé noir, de mays, d'orge, d’avoine,
de pois, de chataignes, et d’autres productions de vil prix. On
dit que le vigneron perd sur le produit de la vigne, surtout
dans les années abondantes, et on ne voit pas que dans les
années abondantes en blé, les laboureurs sont ruinés par le bas
prix et le défaut de débit, et que les richesses d'exploitation
anéantissent, ce qui est bien d’une autre conséquence. Pauvre
nation, voilà vos guides! On dit que l’on écrit plus que jamais
sur l’agriculture, et que ces écrits n’ont pas encore produit un
grand fruit. A qui en est-ce la faute? (Ces écrits au moins
éclairent la nation sur les malheurs, et sur les funestes effets de
la négligence de ceux qui par état devraient les lire, ou plutôt
qui en devraient être les auteurs, et qui de tout temps devraient
les avoir mis à la mode, pour se garantir de l’imputation éternelle
d’avoir détruit le rayaume. Ce sont les müriers blancs, les
manufactures de soie et de coton et le commerce mercantil qu'on
a mis à la mode, au prejudice du commerce et des manufactures
de laines, au détriment des troupeaux qui doivent fournir les
engrais. nécessaires pour obtenir de riches moissons.
Que pensez-vous de cette phrase: ‘Tout le monde convient
que l’esprit de travail et de peine n’est point diminué, on croit
même qu’il est augmenté; il semble que la malaisance donne de
Papprêt pour le travail, mais il ne faut pas en conclure que la
culture est augmentée.» Cela ne réveille-t-il pas un peu l’idée
d’une certaine politique; par laquelle on voulait inspirer que la
misère est un aiguillon pour le travail. Ce n’est plus le temps
de parler ce langage en matière d’agriculture. Le même esprit
ne frapperait-il pas encore dans cette autre phrase? «En général
le caractère des habitants (election de Soissons) est lent et
paresseux, preuve de la bonté du pays.» Ces expressions ne
sentent-elles pas encore le vieux stile de l'inhumanité des sub-
délégués? On force les paysans par des ordres, et par des im-
pôts à abandonner ou arracher leurs vignes qui peuvent entretenir
une multitude d'hommes à un travail, auquel elle se livre avec
2 1. Allgemeines. Werke über mehrere Perioden und einzelne Sozialgebilde.
Bossakiewicz, S.; Histoire générale,
chronologique, administrative, bio-
graphique et épisodique de Saint-
tienne, depuis les origines jusqu’à
nos jours; par S. Bossakiewicz.
III, 546 p. 8°. ill. La Fère, impr.
la Féroise. 05. Fr. 5,—.
Bourne, H. Eldridge; A history of
mediæval and modern Europe. 22,
502 p. New York, Longmans,
Green & Co., 05. Doil. 1,50.
By professor in the College for Women
Western Reserve University. Designed
for school use. Each chapter is accom-
panied by a summary and lists for reading;
and the work closes with general list of
books.
Brockhaus, H. Ed.; Die Firma F. A.
Brockhaus von der Begründung
bis zum 100 „Ahrigen Jubiläum,
1805—1905. X, 441 p. 16 Taf.
gr. 8°. Leipzig, F. A. Brockhaus, 05.
. 3,—.
Bullnheimer, J. A.; Geschichte von
Uffenheim. XII, 329 P: gr. 8°.
4 Taf. Ansbach, Brügel & S., 05.
M. 2,50.
Burckhardt, Jac.; Weltgeschichtliche
Betrachtungen. Hrg. Jak. Oeri.
VIIT, 294 p. 8°. Berlin, Stuttgart,
W. Spemann, 05. M. 6,—.
Burns, Ja. J.; Educational history of
Ohio; a history of its progress
since the formation of the state;
with biographies of past and
resent state officials. 8%. Colum-
us, O., Historical Publ. Co., 05.
Doll. 5,—.
de Cheyssac, L.; Une page d’histoire
politique: Le Ralliement. 117 p.
% Paris, lib. des Saints-Peres,
05. Fr. 3,—.
A&ıa Ill Orxéxenia Co6ctsennot Ero
Hmneparopcraro BexuyecTBa raxne-
aapiu 06% A. C. Ilyuruxé. (Akten
der Ill. Abteilung der Seiner
Majestät eigenen Kanzlei über
A. S. Puschkin.) C.-Ilerep6yprs,
Ku. mar. Hos. Bpeueux, 06.
ub. 23,—.
„Il. Abteilung‘ — berüchtigte Ab-
teilung über politische Angelegenheiten.
Dittmann, W.; Die Geschichte des
D. Kaufmanns. BI. f. j. Kaufl. 05.
Dez. p. 184—190.
Duff, E. Gordon; A century of the
English book trade: short notices
of all printers, stationers, book-
binders, and others connected
with it from the issue of the first
dated book in 1457 to the incor-
poration of the Company of Sta-
tioners in 1557. u. 200 p.
London, Bibliographical Society,
printed by Blades, East & Blades, 05.
Edwards, Tryon; Our country, his-
toric and picturesque: a complete
story of its development and pro-
ess from the first discovery by
e Northmen to the present time.
13, 491 p. il. 8°. Detroit, Mich,
Perrien-Keydel Co., 05.
Eichmann, J. R.; Die Entstehung
der Ackerbaukultur. Polit. Anthro-
pol. Rev. 05. Dez. p. 481-—484.
Engel, Ed.; Geschichte der englischen
iteratur von den Anfängen bis zur
Gegenwart. Anh.: Die nordameri-
kan. Literatur. 6. Afl. VIII, 538 p.
gr. 8°. Leipzig, J. Baedeker, 06.
Engelke, Aug.; Die Provinzial-Taub-
stummenanstalt zu Schleswig in
ihrer geschichtlichen Entwickelung
von 1787 bis 1905. Festschrift.
V, 138 p. gr. 8% Schleswig,
J. Berga, 05. M. 2,40.
Extraits des historiens français du
XIXe siècle, publiés, annotés et
précédés d’une introduction sur
’histoire de France par C. Jullian.
4. éd. CXXVIII, 688 p. pet. 16°.
Paris, Hachette, 06. r. 3,50.
Frazer, N. L; Summary of English
History. Mus. 222 p. gr. 8°.
Black’s School History.) London,
lack, 06. 2 s.
Garner, Ja. W., and Lodge, H. Cabot;
The history of the United States;
with a historical review by j Bach
McMaster. 4 v., 2000 p. il. pors.
maps, facsims., 8°. Philadelphia,
J. D. Morris & Co., 06. Doll. 16,—.
Green, S. Abb.; An historical
address delivered at Groton,
Massachusetts, July 12, 1905, by
request of the citizens, on the
celebration of the two hundrei
and fiftieth anniversary of the
settlement of the town; with an
François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 651
ment dans les bons pays que dans les mauvais, ce qui attire la
malédiction des subdélégués sur les bons pays.
Les détails des élections donnés par vos subdélégués sont
peu lumineux. Il ne suffit pas de se représenter l’aspect des
différentes cultures d’un pays, ni de parler vaguement des qualités
des terres, il faut dépouiller les rapports du produit net de la
culture avec les dépenses et les reprises des fermiers ou colons,
et marquer la valeur vénale actuelle des biens fonds distingués
par la classe, et la quantité renfermée dans chaque classe. Il
faut déclarer dans le même ordre le prix du loyer par arpent
de terre, entrer dans le detail des charges du fisc, des dépenses
d'exploitation, des variations des récoltes, des variations du prix
des productions. Ce n’est que par cet examen que l’on peut
juger de l’état de la bonne ou mauvaise culture du pays, de ce
qu’elle peut fournir au souverain, aux propriétaires, et aux
différentes classes d'hommes employés aux professions lucratives ;
car c’est sur le revenu du produit de l'agriculture que porte toute
la constitution d'un état agricole, son commerce, ses manufactures,
ses arts et métiers, sa population, ses forces etc. Mais il ne faut
pas confondre avec le produit net, la retribution et les reprises
du colon, ses bestiaux, ni rien de ce qui appartient à l’exploi-
tation de l’agriculture; car ce serait de doubles emplois qui
jetteraient dans l'erreur. C’est-la cependant où conduisent les
details confus de vos subdélégués. Quel éclaircissement M. le
Contrôleur Général pourra-t-il donc tirer de l'exposition qu'ils
donnent de l’état d'agriculture de leurs élections? Supposez qu’on
fit imprimer leurs notices, que penserait-on de leur capacité et
‚du sort des habitants exposés à leur manutention? Ils croyent
donc que les livres qui paraissent sur l’agriculture, ne sont faits
que pour traiter du métier de laboureur; qu'ils lisent ces ouvrages
approfondis et herisses de calculs, ils verront qu'ils traitent de
l’économie même, et que c’est-là, ce qu’ils prennent pour de -
simples traités de culture et de travaux champêtres, tandis que
c'est du gouvernement même des nations agricoles qu'il s’agit
dans ces ouvrages, et qu’ils sont faits pour ceux qui sont chargés
de l’administration intérieure de l’état. Or, ceux-ci ne se doutent
pas, que c’est là la matière qui occupe tant aujourd’hui le publie,
2 1. Allgemeines. Werke über mehrere Perioden und einzelne Sozialgebilde.
Bossakiewicz, S.; Histoire générale,
chronologique, administrative, bio-
aphique et épisodique de Saint-
Etienne, depuis les origines jusqu’à
nos jours; par S. Bossakiewicz.
III, 546
la Féroise. 05. Fr. 5,—.
Bourne, H. Eldridge; A history of
mediæval and modern Europe. 22,
502 p. New York, Longmans,
Oreen & Co., 05. Doll. 1,50.
By professor in the College for Women
estern Reserve University. Des
for school use. Each chapter is accom-
ed by a summary and lists for
er the Ywork closes with general list of
books.
Brockhaus, H. Ed.; Die Firma F. A.
Brockhaus von der Begründung
bis zum 100 jährigen Jubiläum.
1805—1905. X, 441 p. 16 Taf.
gr.8°. Leipzig, F. A. Brockhaus, 05.
| . 3—
Bullnheimer, J. A.; Geschichte von
Uffenheim. XII, 329 P: gr. 8°.
4 Taf. Ansbach, Brügel & S., 0.
2
‚50.
Burckhardt, Jac.; Weltgeschichtliche
Betrachtungen. Hrg. Jak. Oeri.
VIII, 294 p. 8°. Berlin, Stuttgart,
W. Spemann, 05. M. 6,—.
Burns, Ja. J.; Educational history of
Ohio; a history of its progress
since the formation of the state;
with biographies of past and
resent state officials. 8°. Colum-
us, O., Historical Publ. Co., 05.
de Cheyssac, L.; U histoire
e c, L.; Une page d’histoire
politique: Le Ralliement. 117 p.
% Paris, lib. des Saints-Pères,
05. Fr. 3,—
Asa Ill Orxéxenix Coécrseunoï Ero
Muneparopcraro BexzHuecTBa raune-
zapiu 06% À. C. Iymeunt. (Akten
der Iil. Abteilung der Seiner
Majestät eigenen Kanzlei über
A. S. Puschkin.) C.-Herep6yprs,
Ka. mar. Hos. Bpemenn, 06.
ub. 2,—.
„Il. Abteilung‘‘ — berüchtigte Ab-
teilung über politische Angelegenheiten.
Dittmann, W.; Die Geschichte des
D. Kaufmanns. BI. f. j. Kaufl. 05.
Dez. p. 184—190.
Duff, E. Gordon; A century of the
English book trade: short notices
p. 8°. ill. La Fère, impr.
of all printers, stationers, book-
binders, and others connected
with it from the issue of the first
dated book in 1457 to the incor-
ration of the Company of Sta-
ioners in 1557. u. 200 p.
London, Bibliographical Society,
printed by Blades, East & Blades, 05.
Edwards, Tryon; Our country, his-
toric and picturesque: a complete
story of its development and pro-
gress from the first discovery by
e Northmen to the present time.
13, 491 p. il. 89. Detroit, Mich.,
Perrien-Keydel Co., 05.
Eichmann, J. R.; Die Entstehung
der Ackerbaukultur. Polit. Anthro-
pol. Rev. 05. Dez. p. 481-484.
Enge) Ed.; Geschichte der englischen
iteratur von den Anfängen bis zur
Gegenwart. Anh.: Die nordameri-
kan. Literatur. 6. Afl. VIII, 538 p.
gr. 8°. Leipzig, J. Baedeker, 06.
Engelke, Aug.; Die Provinzial-Taub-
stummenanstalt zu Schleswig in
ihrer geschichtlichen Entwickelung
von a bis 1905. Festschrit.
, p. gr. 8°. eswz ,
J. Berga, 05. M. 2,
Extraits des historiens francais du
XIXe siècle, publiés, annotés et
récédés d’une introduction sur
’histoire de France par C. Jullian.
4. éd. CXXVIII, 688 p. pet. 16°.
Paris, Hachette, 06. r. 3,50.
Frazer, N. L.; Summary of English
History. Illus. 222 p. gr. 8°.
Black’s School History.) London,
lack, 06. 25.
Garner, Ja. W., and Lodge, H. Cabot;
The history of the United States;
with a historical review by.) Bach
McMaster. 4 v., 2000 p. il. pors.
maps, facsims., 8% Philadelphia,
J. D. Morris & Co., 06. Doll. 16,—.
Green, S. Abb.; An historical
address delivered at Groton,
Massachusetts, July 12, 1905, by
request of the citizens, on the
celebration of the two hundred
and fiftieth anniversary of the
settlement of the town; with an
Miszellen.
Il prezzo del frumento in Ispagna, in Africa e in Oriente
durante l’età imperiale romana.
Spagna.
I.
Bilbilis (Celtiberia). — Nell’ epigramma 76° del libro 12° dei suoi
Epigrammata, MARZIALE scriveva:
Anfora vigessi, modius datur aere quaterno:
Ebrius et crudus nil habet agricola.
Il senso dei due versi non ha gran che di dubbio. MARZIALE vuol
siguificare che l’abbondanza del ricolto frumentario e della vendemmia
era stata tauta che i prezzi erano andati giù per guisa da elidere
qualsiasi guadagno: gli agricoltori potevano quindi compiacersi a con-
sumare per loro uso le proprie derrate; potevano ubbriacarsi 0 scop-
piare d’ivdigestione, ma non potevano più riuscire a trarne un cen-
tesimo solo di guadagno. Un modius di frumento valeva quattro aussi
(= L. 0,20)!) cosicchè, nell’ anno e nella regione, cui MARZIALE si
nieniva, un ettolitro di frumento costava l’irrisorio prezzo di circa
L. 2,25.
L’anno e il luogo, cui MARZIALE allude, ci sono noti. Egli scriveva
dalla Spagna, e, precisamente, dalla sua città natale, Bilbilis, donde
egli invierà il libro dodicesimo dei suoi epigrammi, nel 101 diC.?), e,
secondo si rileva anche dai versi che abbiamo sott’occhio, in su lo
scorcio dell’ anno, a vendemmia finita. Se non che, si tratta, come
abbiamo visto, di un anno di ricolto cosi eccessivo, che la domanda
1) Su l’espressione aere quaterno adoperata da MARZIALE, cfr. il co-
mento del FRIEDLÄNDER (ed. di MARZIALE, Leipzig 1886, II, 259—60). Sotto
Traiano e Adriano — gli & noto — il titolo della lega dell’ aureus, che
pesava g. 7, 28, discende a circa %°/1000 (DUREAU DE LA MALLE, Economie
politique des Romains, Paris 1840, I, 17 — MommMsen, Hist. de la
monnaie rom. trad. fr., Paris 1865—75, IL 25); l’asse, quindi, corrisponde
a L. 0,05 soltanto.
2) MOMMsEx, Zur Lebensgeschichte d. jüngeren Plinius, in
Hermes, 3, 123 sgg.
4 1. Allgemeines. Werke über mehrere Perioden und einzeine Sozialgebilde.
G.; La genealogia del
De 5 nell antico diritto indiano.
Die Entstehung des Darlehns in
em alten indischen Recht.) Riv.
it di Sociologia 05. Sept.—Dez.
p. 523—573.
Menzies-Fergus son: Logie. A parish
History. 23 ill. London, A. Gardner,
05. Ss.
Needham, R., Webster A.; Somerset
House, past and present. 344 p.
89. London, Unwin, 05. 12s.
Oaeapiä, A.; Onucanie nyremecrsix
32 MockoBiw M uepes% MockoBi® BB
Hepcim u o6paruo. Bperenie, nepes.
UpEMBY. M asareıb JIOBATHHA.
(Olearij Die Beschreibung der
eise nach Moskowien und über
Moskowien nach Persien und zu-
rück. Einführung Übersetzung,
Anmerkungen und Register von
Lowiagin.) C.-IIlerep6yprs, Ho».
Bpema, 06. Rub, 12, —.
Palacky, Frantisek, Dejiny närodu
éeského v Cechäch a na Moravé.
Die puvodnich pramenuvvypravuje.
Dil V. V&k Jagellonsk | Krélov ni
Vladislava II. a Ludvika I. od roku
1471 do 1526. Sesté vydäni péëi
Dr. Bohuslava Riegra. (Geschichte
Böhmens. Band V. 6. Afl.) XIX,
598 p. Lex.-8. Prag, Bursik &
Kohout, 06. K 3,80.
Pfau, W. Clem.; Geschichte der
Töpferei in der Rochlitzer Gegend
von den frühesten vorchristlichen
Zeiten bis auf die Gegenwart
unter Berücksicht. benachbarter
Ortsgebiete. 7 Taf. u. 44 Einzel-
abb. Vereinsnachrichten u. kleinere
ortsgeschichtl.sowie prähistor. Mit-
teilgn. IV, 174 u. LXXV p. gr. 8°.
Mitt. V. f. Rochlitz. Gesch. 4.)
ochlitz, Pretzsch, 05. KM. 2,—.
Planck, K.; Deutsche Geschichte
und deutscher Beruf. XXIV,
181 p. 8°. Tübingen, Mohr, 05.
M. 2,50.
, Gaetano; Genova: ventisei
secoli di storia. (Genua. 26 Jahr-
hunderte Geschichte.) 118 p. 8°.
Genova, Libr. Moderna di G.
Ricci e C., 05. L. 3,—.
Preissig, E.; Short outline of the
history of Austria - Hungary. 29,
243 p. Brooklyn, N.Y.,05. Don. 1,25.
Paaamesp, A.; R
Ilerepßypra 85 Mocxsy. a-
dischtschew: Reise von Peters-
burg nach Moskau.) C.-Ierepéyprr,
Ho». peux, 06. Rub. —.60.
3
e Betrachtungen. Oeschrieben zur
elementary schools. 12, 412,56 p.
il. pors. maps. New York Burdett
& Co, 03. lai IL 1,—.
Emphasis is laid u ic er
ment and the Pesu er
deveiopment. Not only are the historical
lists reading.
Robinson, D.; A brief history of
South Dakota. il. rs. maps.
New York, Am. Book Co., 05.
Author is of th
Historical of South Dakota.
cribes the sa iflces and sucresses of the
pioneers in the hope of develo in the
young generation pride in its Incaty and
patriotic citizenship, in the state. Describes
e natural features of Dakota and gives
the history ofthe Indians who tirst occupied
its soil.
dberg, Vik.; Kulturhistoriska före-
läsningar. (Kulturhistorische Vor-
lesungen.) H. 22/23. V, p. 1—192
8°. Stockholm, Bonnier, 05.
Kr. 2—.
Scelle, G.; Histoire politique de la
traité négrière aux Indes de Cas-
tille. Contrats et Traités d’Assiento.
Etude de droit public et d’histoire
diplomatique, puissée aux sources
originales et accompagnée de plu-
sieurs documents inédits. 1. XXI,
847 p. 8°. Paris, Larose et Tenin, 06.
amkro, A.; Pasckassı u3 pyccroi
ucropiu. BE auyx uacrax. (Schisch-
ko, L.: Erzählungen aus der rus-
sischen Geschichte.) C.-Ierep6yprs
EE
. Rub. —
Schriever, Ludw.; Geschichte des
Kreises Bingen. I. Die allg. Gesch.
VIII, 408 p. gr. 8°. Bingen a. d.
Ems, v. Acken, 05. M. 5,—.
[Henzanp, E.; Kparkiii ouepr» pyccxoll
KHCTOpiE CH APeBHÉMILHX BpeMeR 10
Haussa XX »pRa. (Schtschept-
‘kon: Kurze Darstell der rus-
sischen Geschichte.) C.-Herep6yprs
06. Rub. 1,—.
Ispagna, in Africa e in Oriente durante l’età imperiale romana. 655
Nel mondo antico, per le stesse ragioni, per cui i prezzi medii
differivano dai massimi assai più che nel contemporaneo '), anche il
divario fra prezzi minimi e medii dovette essere maggiore, ma possiamo
starcene paghi ad assegnarvi un rapporto di 1 a 3. In tal caso, noi
veniamo ad ammettere che a Bilbilis, anzi, puö dirsi, nella Celtiberia
in genere, il prezzo medio del frumento, nei primi del secondo secolo
di Cristo, oscillö intorno alle L. 6,50 ca. l’hl.
E invero noi non possiamo andare più in lä&. La Celtiberia era
una regione spopolata, come ci provano testimonianze letterarie ed
epigrafiche, ed & noto quanto la scarsezza della popolazione influisca
sul morigerato costo dei viveri, anche in paesi, come Ja Celtiberia,
naturalmente sterili e infecondi*). Affatto diverso era l’aspetto e il
valore economico della Cisalpina, ma i prezzi del frumento, a cui, per
questo territorio, si poteva, in quello stesso tempo, pervenire, non
superavano le 5—6 lire l’hl.5).
IT.
Hispalis (Baetica). — Della Betica, e precisamente della sua
metropoli, Hispalis, noi possediamo un dato di altro genere; possediamo
una delle cosi dette iscrizioni alimentari, nella quale cosi una donatrice
si esprime: „... [qui suntinr.p.n, pueri] ingenui Juncini item puellae
[ingenuae titianae, eis] quodannis in annos singulos HS L milifum
usuras semisses] dari volo, quam summam bis in ann[o natali C. Seii
viri mei] k. mais et meo VII k. maias in aliment[orum ampliationem]
accipiant pueri ingenui HS XXX nummos, pulellae ingenuae HS XL n.,
quamlquam summam sufficere credo. Si tamen numerus [puerorum
puellarumque s. s.] maior erit, pro porltlione qua inter masculos [ut
distribuatur cavi], distribui omnibus volo; quod si amplius erl[it in
legato, item aequabiliterqlue inter eusdem distribuant[ur qui supererunt
nummil.‘ *)
Noi abbiamo ad altra occasione?) ricercato se, e in quale misura,
codeste donazioni alimentari possano informare del prezzo del frumento
nei luoghi, cui esse si riferiscono, e, scostandoci un po’ dall’opinione
ch’ e prevalsa, abbiamo concluso che rappresentano in genere un
largo equivalente del fabbisogno frumentario dei beneficiati, il quale
tuttavia puö talora variare in dipendenza di motivi estranei a
qualsiasi aumento o deminuzione del prezzo del grano. La presente
iscrizione n° è una riprova. Mentre in genere, nelle fondazioni alimen-
tari, le donne ricevono assegni inferiori ai maschi, esse, questa volta,
1} Cfr. RODBERTUS, Zur Frage d. Sachwerths d. Geldesim Alter-
tum (in Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Se Is,
14, 357; 363 sgg.).
2) STRAB. 3, 4, 14.
3) Cfr. BARBAGALLO, Il prezzo del frumento durante l’etä im-
periale romana in Grecia e in Italia (in Riv. di st. ant. 19086,
1, p. 69).
4) C. IL. I, 1174.
51 Cfr. BARBAGALLO, op. cit. in Riv. di st. ant. 1906, I, pp. 64—66.
656 Corrado Barbagallo: Miszelle. Il prezzo del frumento in
benchè noi siamo costretti a integrare il passo colmando una lacuna,
è certo che ne ricevono uno superiore, e gli uni e le altre, una soma
inversamente proporzionale al numero dei beneficiati della dotazione.
Come che sia, noi abbiamo un assegno individuale annuo certo di
30 sesterzi, cio& di due sesterzi a mezzo al mese. Il consumo medio
individuale, pur trattandosi di ragazzi, non puö essere gran fatto
minore delle 4—5 moggia!); ne segue percid un costo di circa L. 0,12
al moggio pari a meno di L. 1,50 I’hl.
Se non che adesso non si tratta di prezzo, che sia dichiarato minim«,
come quello datoci da MARZIALE per la Celtiberia, ed & questo ciö, che sovra
ogni altro ci impaccia. Hispalis era una città della fertile Betica, ricca di
pianure, di pascoli*), eccellente sovra ogni altra regione della Spagna
„diviti cultu et quodam fertili et peculiari nitore“, mane
era anche la provincia pit popolosa?), il che non doveva influire poco sul
prezzo delle derrate alimentari. Appunto per questo noi incliniamo a
credere che l’assegno della donatrice fosse inferiore al puro fabbisogno
frumentario aunuo dei beneficiati e servisse loro soltanto di sussidio seme-
strale. Abbiamo visto infatti i prezzi del frumento nella Celtiberia, ove,
se potevano essere superiori, non potevano indubbiamente distanziarsi
da quelli della Betica nella misura clıe la su riferita cifra darebbe.
Abbiamo visto i prezzi della Cisalpina, che, date la sua quasi identitä di
condizioni economiche e demografiche con la Betica, potevano solo di
poco superare gli altri offerti da quest’ ultima*), e non possiamo rite-
nere ammissibile un cosi grave divario?). L. 1,50 l'h1 potrebbe adunque
essere, non nelle intenzioni della donatrice, ma nella realtä, il prezzo
minimo di un hl di frumento della Betica, onde, ragguagliando quello
medio a tre volte codesta cifra, giungiamo a L. 4,50, cifra perfettamente
ragionevole.
A che anno si riferisce la donazione? Essa al certo non puö prece-
dere, od oltrepassare, i limiti estremi, dell’ età delle istituzioni alimen-
tari, il 97 di C. e il regno di Diocleziano, ma & forse possibile Jeter-
winarne con maggior precisione la cronologia. I fanciulli da beneficiare
sono ivi detti Juncini. Or bene, codesto nome ricorda quello di dae
1) Cfr. op. cit. in loc. cit. pp. 67—68. Sono assai dolente di dorer
citare ancora una volta me stesso, ma l’argomento, di cui trattiamo, & stato
cosi poco studiato e le conclusioni nostre si riconnettono tanto a dei pre
supposti fissati nell’ articolo che richiamiamo, ch’è, pur troppo, imposaibile
fare altrimenti.
2) Srran. 3, 2, 1; 3. — Prix., N. H. 8, 7.
3) PLIN., loc. cit. — Strap. 3, 2, 1 8gg.
4) Nell’ età di Polibio, anzi, la Cisalpina vantava prezzi di frumeut
pari alla metà di quelli della Lusitania, che, quanto a condizioni economiche
e demografiche, tenne, più tardi (cfr. STRA». 3, 3, 3—4) un posto intermedio
fra la Celtiberia e la Betica. Cfr. PuL. 2, 15, 1; 34, 8, 7.
5) Contro questa interpretazione parrebbe cozzare il „guam summan
sufficere credo“ dell’ epigrafe, riferito a „HS XXX numm os“, ma la
difficoltà puö eliminarsi, riferendo la frase alla somma totale, il cui interesse
annuo era rappresentato dai trenta sesterzi etc. etc. La donatrice eioè
avrebbe ritenuto la somma impiegata sufficiente a fornire, a un tasso deter-
ıninato, un determinato interesse.
Ispagna, in Africa e in Oriente durante l’età imperiale romana. 657
consoli suffecti del secondo secolo di Cristo, l’uno, vissuto intorno
al 127, che probabilmente ricoperse quella carica insieme con un Sex-
tus Julius Severus, dopo essere stato legatus Augusti pro
praetore e che più tardi fu proconsole in Asia; l’altro, un Aemi-
lius Juncus, vissuto 55 anni dopo, intorno al 182 di C.!). Onde,
sebbene noi non ne possediamo la certezza assoluta, pure l’ipotesi
che il nome del nuovo collegio di beneficiandi sia stato calcato su
quello del console dell’ anno della fondazione ha per sè tutte le pro-
babilità.
Africa.
I.
Sicea Veneria (Numidia orientale), — A due sesterzi e mezzo
cinque moggia di frumento ei riconduce un’ iscrizione numida, anch’essa
alimentare, di Sicca Veneria, l’odierna Kef e l’antica Colonia Julia
Cirta nova Siccensis. Si tratta di un lascito di un milione e
trecentomila sesterzi da impiegare al 5°/0o, onde rendano a 300 fan-
ciulli due sesterzi e mezzo al mese, ciascuno, e —- l’iscrizione soggiunge —
a 200 fanciulle, sebbene il calcolo sulla somma donata induce a credere
si tratti di un errore (CC per CCC) in luogo di trecento fanciulle?),
due sesterzi soltanto?°).
La data dell’ iscrizione risale alla seconda metà del secondo secolo
dell’ ê. v. Infatti donatore vi & detto un tal Licinio Papiriano, pro-
curatore di M. Aurelio Antonino Germanico Sarmatico Massimo. Ora,
siccome M. Aurelio assunse i nomi di Germanico e di Sarmatico
nel 175 di C., l'iscrizione non pud essere anteriore a quell’ anno. Nè
€, probabilmente, posteriore al 177, dopo il quale anno, essendo Com-
modo divenuto Augusto e partecipando della podestà tribunizia, doveva
necessariamente nominarsi imperatore insieme col padret). Tuttavia,
sebbene allora, in Numidia, la popolazione dovesse essere di parecchio
superiore a quella dell’ età di Roma republicana, allorquando i Numidi
potevano ancora dirsi un popolo nomade‘), essa doveva riuscire tutt’al
tro che elevata come l’enorme esportazione dei cereali informa*)
e al tempo stesso la produzione granifera vi era, come ancor’ oggi,
notevolissima 7). Cosi essendo, noi non abbiamo nulla a ridire sul
prezzo indicatoci dall’ epigrafe di Sicca Veneria. Allora l’aureus s'ag-
girava sempre, come ai tempi di Traiano e di Adriano, intorno ai
1) von ROHDEN, Aemilius, in PauLy-WıssowA,Realencyklopädie,
Stuttgart 1893 sgg., I, 550. — DE RuaGiEro, Consul, in Diz. epigr.
Roma 1900, II, 1, p. 938.
2) C.I.L. 8, 1641; cfr. il comento del WıLıanns (ibid. p. 200).
3) Oltre il C. I. L. 8, 1641, cfr. su l’iscrizione GUÉRIN, Voyage archéo-
logique dans la régence de Tunis, 1862, IL p. 59. — Bull. del-
l’Istit. di corr. arch. 1863, pp. 140 sgg.
4) Cfr. Bull. dell’ istit. di corr. arch. 1868, 222 sgg.
5) App, Lyb. 106. — STrRAB. 17, 3, 15.
6) Prur. Caes. 65, 1. — FLAv. Jos. B. J. 2, 16, 4.
7) BOISSIER, L'Algérie romaine, Paris 1888, pp. 45—47.
v58 Corrado Barbagallo: Miszelle. II prezzo del frumento in
g. 7,28 con una lega al titolo di *6°/1o00. Il suo valore era quindi
pari a L. 23,69, e quello di un sesterzio, a L. 0,24 ca. Due sesterii
e mezzo valevano quindi L. 0,60 circa e un hl di frumento, L. 1,50 eirca.
IL.
Cartagine (Africa proconsularis). — Di due secoli più tardo,
ne riferito alla Numidia, ma all’ Africa proconsularis, e preei-
samente a Cartagine, cioè ad una grande città e a un territorio di
gran lunga più popoloso del primo!), noi possediamo, sui prezzi del
frumento, un notevole accenno fornitoci da AMMIANO MARCELLINO.
Questi narra*) che nel 3675), essendo i Cartaginesi stremati
dalla carestia, il proconsole Imezio forni alla popolazione il frument».
che si teneva in serbo negli horrea publica a disposizione del
popolo romano, vendendolo a 10 moggia un solidus. Subito dopo,
al cessare della carestia e al sopraggiungere della nuova mèsse, egli
ricolmö il vuoto dei granai pubblici. Ma allora il prezzo del frumento
era di molto diminuito ed egli potè acquistarne per 1 solidus una
quantità tripla di quella che aveva fornito ai suoi amministrati. Il
guadagno ricavato lo trasmise all’ erario del principe. Tuttavia, questi
non credette che i conti di Imezio fossero irreprensibili; dal prezzo,
allora corrente sul mercato, sospettö che quegli avesse fatto pagare
all’ erario somme maggiori delle reali e percepito guadagni illeeiti,
onde lo condannö a risarcire il mal tolto.
Da questa narrazione noi rileviamo che il prezzo medio del fru-
mento, in quel tempo, non era, come, a prima vista, potrehbe sem-
brare, quel decimo di solidus, per cui Imezio, in momenti di carestia,
aveva rivenduto il frumento ai Cartaginesi, ma o il trentesimo di #0-
lidus, pel quale egli l’aveva acquistato poco di poi, o, stando al
gindizio dell’ imperatore, un prezzo ancora minore, forse 1/40 o ‘/5:
di solidus.
Noi perd, fra le due asserzioni, quella imperiale e l’altra procon-
solare, siamo indotti ad attenerci a la seconda. Già AMMIANO Mas-
CELLINO, che sorvola assai fugacemente ed oscuramente sul metode
di controllo dell’ imperatore*), introduce il racconto della triste sorte
di Imezio in una serie di episodi atti a dimvostrare la eccessiva e in-
I) Benocu (Die Bevölkerung d. griechisch-römischen
Welt, Leipzig 1886, p. 507) vi ascrive, pei primi dell’ 8. v., 179 ab. per
km? contro 15, che avrebbero contato l’Africa proconsularis, la Numi-
dia e la Mauretania, delle quali regioni la Numidia era fra le due mew
popolose.
2) 28, 1, 17.
8) Tl raccouto di AMMIANO MARCELLINO, che contiene un episodio imme-
diatamente successivo al proconsolato di Imezio, si riferisce al 868, ma altre
fonti più antorevoli ci inducono a credere che codesto proconsolato sis ante-
riore di un anno e vada riferito al 366—67 (cfr. Tissor, Fastes de la
province rom. d'Afrique, Paris 1885, pp. 246 sgg.).
4) AMMIANO (28, 1, 18) dice soltanto: „Valentinianus, per nundinationem
suspicatus, .. .*
Ispagna, in Africa e in Oriente durante l’età imperiale romana. 659
giusta sospettosità e crudeltà dell’imperatore, ch’era allora Valentiniano I.
Egli stesso insiste sn la insospettabilitä di Imezio e lo dichiara
„praeclarae indolis vir“, incapace della scorrettezza attribuitagli. Ma
v’ha di piü: il proconsole, colpito della condanna imperiale e che, nello
stesso tempo, aveva, per accuse di lesa maestä, rischiato il capo e
pagato la sedicente licenza delle sue critiche cou un esilio in Dal-
mazia!), veniva, un decennio di poi, onorato dai Cartaginesi di due
statue, l’una in Roma, l’altra a Cartagine, che sono una categorica
risposta alla ingiustizia imperiale e una implicita protesta contro la
condanna.
L’epigrafe infatti, che le accompagna, e ch'è tutta un inno di gloria
all’ onorato, elogia questo per gli „insignia in rempublicam merita“
„et“ „depulsam ab eadem provincia [Africa] famis et inopiae vasti-
tatem consiliis et provisionibus et quod caste in eadem pro-
vincia integreque versatus est, neque aequitati in co-
gnoscendo, neque iustitiae defuerit“?). Ne si tratta di un
episodio di sovversivo campanilismo provinciale. Queste onoranze,
che, come l’epigrafe stessa avverte, non erano state da quella regione
sollecitate per altri proconsoli, recavano il pieno consenso dei nuovi
imperatori, Valente, Graziano e Valentiniano Il®), e, come tali, segui-
vano all’ annullamento ufficiale d’ogni condannat). Noi dunque non
possiamo non attenerci alla relazione di Imezio. Un trentesimo di
solidus al moggio oscilla intorno a L. 0,50, pari a L. 5,75 l’h1,
prezzo, che & ragionevolissimo, confrontato con quello della Numidia
di due secoli prima. '
II.
Mauretania Sitifensis e Numidia oceidentale. — L’ultimo dato,
che riguarda i prezzi del frumente nell’ Africa romana, cade in mezzo
a vicende doloruse e lacrimevoli, nel 445 di C. Nel 429 i Vandali
insieme con gli Alani, gli Svevi ed altre popolazioni barbariche erano
sbarcati nella Mauretania Tingitana e, marciando verso oriente, erano
penetrati nella Numidia, dove avevano messo tutto a ferro ed a fuoco.
Nell’ estate del 431, avevano preso e saccheggiata Hippona; nel 435,
un trattato aveva riconoscinto la loro conquista di metà della Berberia;
nell’ autunno del 439, Genserico aveva preso Cartagine e invaso la
Zeugitana e la Bisacena. Finalmente, nel 442, l’imperatore Valen-
tiniano III, minacciato da Attila, concludeva un nuovo trattato con il
re dei Vandali, per cui rinunciava alle province da questi occupate e
mantenute, la Zeugitana, la Bisacena fino alle Sirti e la parte della
Numidia a est di Theneste, Sicca Veneria e Vacca?), e si limitava a
1) AMM. Marc. 28, 1, 19-28.
2) C. I. L. 6, 1736, vv. 22-24; 6—12; cfr. DE Rossi, Iscriz. onor.
lat. in Boll. di corr. arch. 1852, pp. 178 sgg.
8) C. I. L. 6, 1736, vv. 16—18.
4) Cfr. DE Rossi, op. cit. 181.
5) MERCIER, Hist. de l'Afrique septentrionale, Paris, 1888,
I, 144—47.
10 4. Neuzeit Europas, der europäischen Gründungen und des Weitverkehrs.
Bax, M.; Ascrpis BE NEPBy! I010BHH
XIX 8. Jlepes. cz utm. Brin. 1.
Bach: Osterreich in der ersten
älfte des XIX. Jahrh. Aus dem
Deutschen. Teill.) C.-Ierep6yprs
06. Rub. 1,—.
Bernard, J.; Histoire moderne, de
1715 à 1815 (classe de première,
sections A, B, C, D), rédigée con-
formément au programme officiel
du 31 mai 1 4e éd. VII,
531 p. cart. Paris, Vitte, 05.
Billsma ; Rotterdam’s scheepvaartver-
eer in de 18de eeuw. Rotterd.
Cour. 05. 25. Nov.
du Bled, Victor; Les médecins et
la société française avant et après
1789. Rev. générale 06. 2. p.
181 — 204.
Du Bois, A.; Du rôle de la police à
Bruxelles sousle régime autrichien.
Rev. Belgique 05. 11. p. 236—253.
Bonde, A.; La Domaine des hospices
de Paris depuis la Revolution
jusquà la troisième République.
2p. 8°. Paris, Berger-Levrault,06.
r. 6,—.
Brants, V.; Une page de sémitisme
diplomatique et commercial. In-
cidents de la vie d’Amsterdam
au XVIIe siècle, d’après des pièces
inédites. Académie Royale de
Belgique. Bull. de la classe des
lettres, 05. 7. p. 573—597.
Carlyle, T.; French Revolution. 782 p.
12°. (Harmsworth Lib.) London,
Amalgamated P., 05. 1 s.
Carpi, Vittorio; La guerra russo-
giapponese. Vol. I. (Der russisch-
japanische Krieg. Bd. 1.) 392 p.
8°. Milano, Casanova, 06. L. 750.
Christensen, Hjalmar; Det nittende
aarhundredes kulturkamp i Norge.
(Der Ariturkanpf in Norwegen
während des 19. Jahrhunderts.)
456 p. 8°. Kristiania, H. Asche-
houg & Co., 05. Kr. 6,—.
Cinquième Circulaire du ministre
de l’Instruction publique sur
l'Histoire économique de la Ré-
volution. Révol. franç. 05. 6.
p. 535—547.
Péébardeurs ou portelaix Abe
eurs ou po .
ders“ a Gand au KVille rc
Bull. Soc. d’histoire et d’archéo-
logie de Gand 05. 7. p. 223-224.
Colletta, Pietro; Storia del reame
di Napoli dal 1734 at 1852, con
introduzione e commento di
Camillo Manfroni. (Geschichte
des Königreichs Neapel von
1734—1852, mit Einführung und
Kommentar von C. Mantroni
2 vol. XXXIV, 460 u. 492 p.
16°. Milano, Vallardi, 06. L. 4,—.
Coman, K.; Industrial History of
the United States. gr. 8°. London,
Macmillan, 05. 5s
A.; La formazione della
Germania moderna. (Die Ent-
stehung des modernen Deutsch
land.) Crit. soc. 05. 16. Nov.
p. 346—348.
Deipech, A., et ‚ G.; Trente
q ans de publique. La
France sous la troisième Rep
blique (1870-1905). 80e e.
72 p. 189, Paris, Picardet Kaan, 06.
Ammpeıreronp, A. R.; Oueprzx ne
scropiu Tepmaniz 1806 — 1871.
Dshiwelegow: Umrisse der
eutschen Geschichte 1806-1871.)
200 p. C.-Ilerep6ypre, „ O6mecrseuuas
Iozssa.
Ayôposcnié, H.; Ouepxx no ucropiä
30 x 40 rooms XIX cr. #3 3anaxoï
pont. pauxia. Bimm 183r.
(Dubrowsky: Umrisse der west-
europäischen Geschichte während
der goer und er Jahre des XIX.
Jahrhunderts. Frankreich im Juli
1830.) p. Pocroszus-Aony,
Aouckaa Pär, 05. Rub. —,07.
Dyroff, A.; Die Entwickelung des
bayrischen Staatskirchenrechts be-
zügl. des Ortskirchenvermö
bis zum Konkordat von 1817.
Ann. des D. Reichs 38, 9.
p. 641-676.
Evans, T. Wil r; Memoirs of
Dr. Thomas Evans: the
second French empire; ed. E. A.
Crane, M. D.; Napoleon the
Third, the Empress Eugénie, the
Ispagna, in Africa e in Oriente durante l’et& imperiale romana. 661
adaeramus, iubemus ferri, idest tritici ad singulos solidos italicos
modios quadraginta et carnis pondo CCLXX, vini sextarios italicos
ducentos.“ 1)
Il concetto generale dell’ ordinanza è stato chiaramente illustrato
dal Rodbertus*). Al contribuente, qualora il luogo, nel quale egli
avrebbe dovuto tragittare le sue forniture pei soldati („annonas mili-
tares‘)3), fosse stato troppo lontano („pro longinqua difficultate
itineris“), era concessa facoltà di corrispondere tutto il suo contri-
buto annuo per le annone militari in quattro solidi per ciascun sol-
dato. In relazione a questo prezzo di riscatto („sub hoc modo
quo annonam adaeramus“), l’imperatore fissa gli equivalenti
monetarii del frumento, della carne e del vino, che, in casi straordinari,
duraute le marce, i soldati potevano avere bisogno di acquistare diret-
tamente.
Il Mommsen*) e il Dureau de La Malle?) traevano da questo
la conclusione che l’imperatore, „per soddisfare i soldati, invogliarli
alla guerra e risparmiarne la borsa“, avesse fissato dei prezzi bassissimi.
Ma il Dureau de La Malle, che cosi illustra il suo concetto, & in con-
traddizione con se medesimo e con la realtä, giacché al tempo stesso
afferma che quella di Valentiniauo era una legge di eccezione in quanto
si applicava a province esauste dalle desolazioni barbariche. In tal
caso, i prezzi segnati non potevano, per la contraddizion che
nol consente, essere „bassissimi“. In questo caso, si sarebbe
venuti a contradire allo spirito medesimo del rescritto imperiale, e si
sarebbe rischiato di danneggiare gravemente l’interesse dello stato.
Questo infatti, con quattro solidi, doveva fornire a ciascun soldato,
per un anno almeno, il frumento, la carne, il vino esplieitamente elencati
dall’ ordinanza®) e saldarne le spese del trasporto. Esso non poteva
quindi aver fissato un contribute in danaro inferiore al costo dei generi,
che doveva apprestare, e alle spese del loro trasporto, il cui onere
non doveva esser lieve, giacchè l’adaeratio del contributo avveniva
nei casi di „longinqua difficultas itineris“.
E che cosi sia, lo prova il confronto con l'Africa pro-
1) I testo, che ho sott’ occhio, dice modia e sextaria, ma è una
svista palese: l’aggettivo italicos 'deve accordare con mo dios; cosi i due
genitivi tritici e vini richiedono un carnis, che, nel testo, ove & anche
un pondus in luogo di pondo, & invece carnes.
2) op. cit., in Jahrbücher für N.Ö. Se 1», 15, 218.
3) Sul’ annona militaris, cfr. DE RUGGIERO, „Annona mili-
taris“ in Diz. epigr. Roma, 1897, I, 486.
4) Das Edikt Diocl. in Berichte d. Sächs. Gesellschaft d.
Wissenschaft, 1851, estr., p. 78.
5) op. cit. 1,123. Cfr. SEECK, Adäratio, in PAuLy-WıssowA, Real-
encyclopädie I, 341.
6) Forse saranno da aggiungere l’orzo, l’olio, il sale, l’aceto, la paglia, il
fieno, le legna (Cod. theod. 7, 4, 6 — CAGNAT, L’arm6e romaine
d'Afrique, Paris 1892, pp. 380; 397—98; cfr. von PREMENSTEIN, Die
Buchführung einer ägyptischen Legionsabteilung, in Bei-
träge zur alten Geschichte, 1903, pp. 8 sgg.).
662 Corrado Barbagallo: Miszelle. Il prezzo del frumento in
consularis di un secolo prima. Ivi, nel 366—67, un trentesimu di
solidus era il prezzo medio di un moggio di frumento; nel 445,
nella Mauretania Sitifese e nella Numidia occidentale, relativamente
assai meno popolose!), un quarantesimo di sulidus nun poteva essere
un prezzo bassissimo. Naturalmente, non poteva neanche essere
un prezzo elevatissimo; altrimenti l’imperatore sarebbe andato contr
gl’ interessi dei suoi soldati, che, com’ & agevole comprendere, dovevan
stargli a cuore per lo menu quanto quelli delle province dominate,
Un quarantesimo di solidus era dunque il prezzo medio corrente in
quegli anni nei luoghi della Mauretania Sitifese e della Numidia oeci-
dentale, nei quali il frumento non poteva acquistarsi direttamente, ms
bisognava trasportarlo da lontani centri graniferi‘). Un quarantesim.
di solidus, in quegli anni, era pari a L. 0,39 circa e un hi di fru-
mento, a L. 4,50.
Sul luogo della produzione codesta cifra doveva essere più basss.
Di quanto & assai difficile stabilire. Nel 301, nel suo famoso editt«
De pretiis rerum venalium, l'imperatore Diocleziano aveva peu-
sato a fissare anche il costo dei trasporti. Per 1200 libbre di carien
da tragittare su carri, egli aveva fissato, per ciascun miglio, 20 dena-
riis). Ammettendo „pro longinqua itineris difficultate*
l’ipotesi di un percorso medio di 25 miglia, avremmo 500 denarii
per 1200 libbre (= Cg. 400 circa) cioè, per ettolitro di frument,
calcolato in media del peso di Cg. 75, denarii 98e'/s. E, poiche il
denarius dioclezianeo corrispondeva circa a due ceutesimi, L. 1,57
per trasporto di un ettolitro di frumento su 25 miglin di pereors.
Diocleziano perd fissava anche il costo dei trasporti a schiena di cam-
mello, che doveva essere infatti la più consueta maniera di spedizione
in Africat). Dessi erano più a buon mercato. Un carico di cammellu,
che ragguagliava a 600 libbre (ca. Cg. 200)5), costava 8 denarii®),
cioè, calcolando, come sopra, L. 1,50 eirca per hl. di frumento.
Ma erano questi prezzi anche i prezzi di un secolo dopo, e, per
1) L’Africa proconsularis e la Bizacena, pari giü per su, quanto
a estensione, a l’odierna Tunisia, che, secondo una pubblicazione ufficiale
del 1897, misura circa km? 130000 (cfr. VIVIEN DE SAINT MARTIN, Nou-
veau dict. de géographie univ., Paris, Suppl. D-U), vantavano 169
sedi vescovili; il resto dell’ Africa settentrionale (salvo la Mauretanis
Tingitana), corrispondente all’ iucirca all’ odierna Algeria, che misurs
km? 540 000—670 000 (VIVLEN DE SAINT Martin, op. cit. 1, 74), 297 ıckr.
Notitia dignitat., ed. Böckıxa, Bonnae, 1839—58, 615 sgg. Appendice).
2) Giustamente osserva il RODBERTUS, i pagamenti in danaro, in luogo
di furniture in natura, vennero sempre calcolati almeno sui prezzi del
mercato (op. cit, in Jahrbücher f. N.Ö., 14, 861). Un secolo dopo, per
tutta l’Africa settentrionale, comprese le province migliori redente, il Codex
Justin. (I, 27, 1, 22 sgg; 2, 20 sgg.) fissa un’adaeratio di cinque solidi
8) E. D., 17, 3, ed. BLÜMNER.
4) CAGNAT, op. cit., 401 sgg.
5) Sono il carico normale di un cammello (WADDINGTon, Edit de
Diocletien, Paris, 1864, ns al $ 14, 9. Il carico massimo arriva fino a
Cg. 300 (CaaxA'T, op. cit., 403).
6) E. D. 17, 4.
Ispagna, in Africa e in Oriente durante l’età imperiale romana. 663
giunta, quelli dell’ Africa desolata dalle invasioni dei Vandali? Certo,
neanche questa volta, una risposta categorica pud darsi. Non pud a
tutta prima non destare preoccupazioni la circostanza che lo stesso
Diocleziano fissa per 1 hl di frumento il prezzo di L. 11,50 (100
denarii per 1 modius castrensis)!), sebbene si debba pensare
che, se il custo dei trasporti a schiena di cammello non poteva riferirsi
che a l’Africa settentrionale, quello del frumento doveva, nell’ inten-
zione del legislatore, essere il prezzo universale di tutto l’impero, 0,
nella migliore ipotesi, della sezione d’impero, cui egli presiedeva. Ma
le conseguenze non possono essere quali il divario del costo del fru-
mento potrebbe farcele prevedere. L’Africa settentrionale doveva van-
tare dei prezzi di frumento assai inferiori a quelli che potevano non
riscontrarsi nel resto dell’ impero o nelle regioni soggette al governo
di Diocleziano, ma il nolo del cammello non aveva ragione di subire
una proporzionale deminuzione. Certo, nel 445, quell’ industria non
era cusi fiorente come un secolo e mezzo prima, ma, per converso,
poteva — in seguito all’ invasione dei Vandali — mancarvi il materiale
primo, l’animale, cosi come, del resto, l’improvvisa indigenza degli
abitanti poteva consigliare dei noleggi inferiori agli antichi. Fra il
pro’ e il contro, noi manteniamo la cifra del 3012). Le L. 4,50
per h1 di frumento, calcolabili sul rescritto, potevano quindi, nel 445,
discendere benissimo, sui luoghi di produzione, a L. 3,00 circa.
E anche questa & una cifra assai ragionevole. Verso il 175—77,
nella Numidia orientale, cioè in uno dei centri più frumentiferi del-
l'Africa settentrionale, il prezzo del frumento era di L. 1,50 !’hl. La
Mauretania e la porzione della Numidia, superstite all’ impero d’Occi-
dente, erano state invece fra le regioni meno fertili di quella mera-
vigliosa contrada e a questo dovevano l’indipendenza dai Vandali°).
Per giunta, dal 177 al 445, quel paese era cresciuto, e di parecchio,
in popolazione e per conseguenza il tenore della vita doveva essersi
notevolmente elevato. Tuttavia, noi potremmo sospettare che, in anni
più miti e più lieti, il prezzo del frumento discendesse ivi a cifre
inferiori, forse a L. 2,50 l'hl. Piü in là è impossibile andare.
Oriente.
I.
Il primo dei dati, che noi conosciamo e che riguardi l'Oriente, non
si riferisce a nessun mercato determinato, ma è contenuto nel famoso
1) Cfr. il nuovo frammento dell’ editto di Diocleziano in ‘Eqyrnepie dpxaıc-
Acyuxn, 1899, p. 150 (1, 18 = C.LL. 3, 2 suppl. p. 23285).
2) E strano che il Lorıns (A new portion of the Edict of
Diocletian from Megalopolis, in Journal of hell. Studies, 1890,
p. 302) ritenga irrisorio codesto prezzo fissato da Diocleziano pei trasporti. Esso
è invece un prezzo all’incirca pari a quello che sogliono fare i nostri mulattieri.
3) Il Car (Essai sur la province rom. de Maurétanie césa-
rienne, Paris 1881, pp. 42—43), con una certa ragione, osservava che gli autori
antichi non menzionano mai grani di Mauretania, e i documenti geografici
una sola volta ci fan parola dihorrea, ma solo nella regione tra Sétif e Bougie.
Vierteljahrachr. f. Social- u. Wirtschaftegeschichte. IV. 44
14 4. Neuzeit Europas, der europäischen Oründungen und des Weïtverkehrs.
Bayern. 15. Lfg. III. Bd. 1. T1.
. 225—304. gr. 8°. Regensburg,
. Habbel, 06. —,80.
Schmidt, Eug. K.; Ein Werk über die
Kommune. Sozialist MH. 05. 11.
. 966—971.
Schmitt; Les Elections de 1789 dans
le Barrois, conférence faite, le
11 décembre 1904, au comité bar-
risien de la Ligue de l’enseigne-
ment, à Bar-le-Duc. 24 p. 12°.
Bar-le-Duc, imp. Facdouel.
Seignobos, Ch.; La Période con-
temporaine depuis 1789. 18%
Paris, Librairie A. Colin, 05.
r. 4,—.
de Staël, Mme.; Des circonstances
actuelles qui peuvent terminer la
Révolution et des principes qui
doivent fonder la République en
France; par la baronne de Stadl.
Ouvrage inédit, publié pour la
première fois, introduct. et des
notes, par LE Viénot. C, 352 p.
89. Paris, Fischbacher, 06.
de Stendhal; Le Rouge et le Noir:
chronique du XIXe siècle. 520 p.
180. Paris, Garnier frères, 05.
Crenuax®, C.; Iloxmomuan Poccis.
Stepnjak, S.: Unterirdisches
Bland.) C.-Ierepéyprs 08.
Rub. — 80.
Tiffany, Orrin E.; The relations
of the United States to the
Canadian Rebellion of 1837—1838.
123 ne 80%. Westminster, Md., O.
E. Tiffany, 05. Doll. 1,—.
Tobien, Alex.; Die Bauernbefreiung
in Livland. (Festg. f. F. J. Neu-
mann.) 44 p. gr. 8°. Tübingen,
Laupp, 05. M. 1,50.
Tomlinson, Ev. Titsworth; The war
for independence. 5, 178 p. il.
(Stories of colony and nation.)
ston, Silver, Burdett & Con, 06.
c.
True stories taken from American
history, at the time of the Revolution; they
bring before the minds of the boys au
iris of the present some of the heroic
eeds of their forefathers; the book is
for home reading, or supplementary rea-
ding in schools.
Townsend, Malcolm; Handbook of
United States. Political history for
readers and students. 441 p.
Boston, Lothron, Lee & Shepard
Co., 05. Doll. 1,60.
Based on the author’s ‘United States’
curious facts‘‘, published some years an
ment containing in- formation concerming
recent political Guestions. This book semes
to be well indexed. ds
Uchersberger Hans; terreich u.
Rußland seit dem Ende des 15.
ahrh. 1. Bd. 1488—1605. (Veröff.
omm. f. neuere Gesch. Österr.)
XVI, 584 p. gr. 8°. Wien, Brau-
müller, 06. M. 12,50.
V H. R.; Third Lord Holland.
Further memoirs of the 1
party, 1807—1821; with some
miscellaneous reminiscences b
H. R. Vassall, Third Lord Hol-
land. 15, 420 p. New York, Dutton,
05. Doll. 5.—.
Vié, L.; L'Université de Toulouse
pendant la Révolution 1789-179.
40 p. kl. 8% Toulouse, imp.
Privat, 05.
Vischer, F.; Bericht eines franzö-
sischen Generals über die poli-
tische Lage der Schweiz im Jahre
1804. asler Z. f. Gesch. u.
Altertumskunde V. 1. p. 275—284.
Washington’s Household. Account
Book, 1793—1797. Pennsyivania
Mag. 05. Oct. p. 385—407.
Wegl, Frz; Die Schulzustände
Bayerns bei seiner Erhebung
zum Königreich. Eine Jubiläums
Rabe. (Pâdag- Zeitfr. Hrsg. Fr
eigl. Bd. 11. 1. 7. H.) 64 p. 8°.
München, J. J. Lentner, D.
Wendtiand, W.; Die Branden-
burgisch - Afrikanische Handels-
kompagnie. D. Ind. 05. 19.
p. —221.
Widén, Joh.; Den svenska central
förvaltningens organisation i 17de
seklet. (Die Organisation der
Centralverwaltung in Schweden
im 17. Jahrhundert.) Statsvetens-
kaplig Tidskr. 06. 1. p. 1-31.
Ispagna, in Africa e in Oriente durante l’etä imperiale romana. 665
nazionale, nella primavera del 1793, furono pari alla media delle mer-
curiali fra il primo gennaio e il primo maggio 17931). La promessa
di un rescritto, che ordini la vendita die qualche derrata a prezzi
minimi, puö farsi per burla o per timore dinnanzi a una folla minac-
ciosa, ma non Inantenersi senza Coazioni esteriori in un piano regola-
tore e universale degli scambi, teoricamente inappuntabile come fu quello
di Diocleziano.
Dovette, anche allora, trattarsi, invece che di prezzi medii, di una
media, s’intende, non matematica, ma approssimativa, 0, se quelli ne
travalicarono, non dovette accadere mai in difetto, ma in eccesso *).
Nell’ intenzione del suo autore, l’editto doveva valere per tutto
l'impero. L’afferma esplicitamente l’introduzione, la quale cosi con-
clude: „Cohortamur ergo omnium devotionem, ut res constituta ex
commodo pubblico benignis obsequis et debita religione custodiatur,
maxime cum eiusmodi statuto non civitatibus singulis ac populis
adque provinciis, sed universo orbi provisum esse
videatur“3),
Tuttavia & assai discusso se, praticamente, se ne sia fatta l’appli-
cazione in tutti i paesi, cui l’editto si riferiva, o non piuttosto in
quelli, che dipendevano direttamente da Diocleziano, quali l'Egitto,
l’Asia Minore, la Grecia, da cui soltanto ci provengono gli esemplari
che ne conosciamo. Il MommsEx {) e il BLÜMNER) son stati della prima
opinione, il LORING 6) e il SEECK”) della seconda.
Per il nostro assunto, noi non abbiamo bisogno di risolvere la
forse irresolubile quistione generale. Noi ci occupiamo del prezzo
assegnato al frumento, ed & chiaro che, se l’editto, come non v’ha
dubbio, fu opera personale di Diocleziano, i fondamentali e decisivi sug-
gerimenti delle sue disposizioni dovettero derivargli da quella porzione
dell’ impero, cui egli presiedeva e che corrispondeva a l’Egitto, a
l’Asia Minore e alla Grecia. Le notizie statistiche sui prezzi delle
varie derrate e delle merci erano allora assai più difficili a conoscere di
quello che non siano oggi fra tanta copia di pubblicazioni ufficiali®).
E, quando si pensa che, anche oggi, per certi paesi europei, e non
fra i meno evoluti, uno straniero & completamente al buio circa i
1) Mack, Maximum, in Say, Nouveau Dictionnaire d’öcon.
pol. II, 1892, p. 232.
2) Tal’® anche l’opinione del SEECK (cfr. op. cit. 459) e lo era stata
di un altro grande economista italiano, il MrsseDAGLıA, l’imperatore
Diocleziano e la legge economica del mercato, in Atti del-
l’Ateneo Veneto, 1866, p. 265.
3) E. D. praef. 2, 23—26.
4) Das Diocletians Edictum, in op. cit., pp. b1l—62.
6) op. cit. 54.
6) A new portion of the Edict of Divcletian (in Journal of
hell. Studies, 1890, p. 301).
7) op. cit., p. 456.
8) Di mercuriali, ufficialmente redatte, ne possiamo supporre solo in
Egitto, il paese dai censimenti più perfetti (cfr. NICOLE, Une spéculation
à la hausse etc. in Revue des études grecques, 1895, p. 326).
666 Corrado Barbagallo: Miszelle. Il prezzo del frumento in
prezzi dei cereali inferiori, si puö immaginare che tremendo e impos-
sibile lavoro sarebbe, nel 301 a C., stato necessario, per acquistarne
una più o meno csatta notizia. Il prezzo dunque dei cereali e, nel
caso nostro, del frumento, segnato nell’ editto, & da intendere come
prezzo della sezione orientale dell’ impero romano. E che cosi sia,
ne abbiamo una riprova in quelli, di poco posteriori, che di colà ci
pronengono.
Come vedremo fra non guari, esso s’accorda a meraviglia con due
nuovi prezzi, che troveremo, mezzo secolo di poi, in Antiochia e in
Costantinopoli. Vero & che questi si riferiscono a grandi metropoli
ed & noto come ivi i valori delle derrate alimentari salgano a propor-
zioni ignorate nei piccoli centri e nei luoghi di produzione. Ma questo,
se da un lato conferma la nostra ipotesi, che Diocleziano dovette ispi-
rarsi alle notizie, che a lui, più immediatamente e direttamente, pro-
venivano dai posti, in cui risiedeva, quali Nicomedia e l’Asia Minore,
e che, se mai, i suoi maxima peccarono per eccesso, anzichè per
difetto, dava a lui l’agio di trovarvi contemplati anche i prezzi del-
l'Occidente, dei cui centri più notevoli poteva forse avere informazioni
in certo modo rassicuranti. Infatti, il prezzo, ch’egli fisser& per il
frumento, pud benissimo adattarsi a Roma, durante l'età imperiale').
Ma qual’ era codesto prezzo ? |
Fino a qualche anno addietro, esso costituiva per noi uno dei più
intensi e insoddisfatti desideri scientifici. Il frammento latino, che
conteneva i primi righi dell’ oditto, non ci dava il prezzo fissato del
frumento e neanche, per intero, quello dell’ orzo. Solo nel rigo, che
si riferiva a quest’ ultimo, era parso, ai piü recenti editori*), di trave-
dere un C, che essi avevano interpetrato come l’iniziale di un C (en-
tum). E, poichè i prezzi erano dati per modius castrensis, nd
nuovo denarius di rame dioclezianeo, essi avevano opinato che il
costo dell’ orzo fosse di cento denarii il modius castrensis. Su
questo fondamento erano germinate le ipotesi per calcolare il prezzo
del frumento. Per primo il SEECK?), movendo da qualche altro prezso
dell’ orzo e del frumento, noto per l’età republicana e imperiale, era
venuto a concludere che il frumento doveva costare una volta 6e mezzo
circa l’orzo e quindi 150 denarii il modius castrensis.
Il processo del calcolo non era esattissimo. Non bisognava partire
dai valori concreti, fra loro eterogenei{), che i radi accenni delle
fonti esibivano, ma dai prezzi medii, che bisognava ricavarne. Ad
ogni modo, le cifre, nelle quali si incarna la conclusione del SEECK,
possono apparire all’ incirca esatte.
Diverso metodo aveva seguito un altro studioso, il MicHAuiss?),
1) (ir. BARHAGALLO, op. cit., in loc. cit. 39 sgg.
2) Cfr. C. I. L. IL, 2, Ed. i, 2 (p. 826). — BLÜMNER, op. cit., loc cit
C. I. L. III, 1 suppl, loc. cit. (p. 1930).
3) op. cit. p. 469.
4) MicuÂLis, Kritische Würdigung d. Preise d. Edictnm Dio-
eletiani vom nationalökonomischen Standpunkt aus, in Zeit
schrift für die gesamte Staatswissenschaft, 1897, p. 27.
5) op. cit., in loc. eit., pp. 36 sgg.
Ispagna, in Africa e in Oriente durante l’età imperiale romana. 667
metodo assai complesso e di cui omettiamo l’esposizione perchè essa
allungherebbe di troppo questa nostra parentesi.
Se non che, a parte la maggior esattezza teorica del metodo, la
somma degli elementi ipotetici, su cui il calcolatore era costretto a
fondarsi, era tale che le conclusioni dovevano riuscirne assai meno
esatte di quelle del SEECK. Il rapporto, ch’egli veniva a stabilire fra
il prezzo dell’ orzo e del frumento nell’ edito di Diocleziano, era, in-
fatti, di 1 a 1,27!) —- il SEECK l’elevava ad 1:1,50 — mentre, come
vedremo, esso fu in realtä, secondo nuovi documenti epigrafici hanno
dimostrato, di 1 a 1,672).
Quest’ ultima notizia ri deve solo alla scoperta di un nuovo fram-
mento della traduzione greca dell’ editto, trovato appena cinque anni
addietro, ad Aegira, in Acaia, il quale contiene i due righi che il fram-
mento latino di Stratonicea, che ci forniva il principio delle tariffe del-
l’editto, non recava, ed esso ci avverte che il prezzo dell’ orzo non era
stato di 100 denarii, come affrettatamente s’era indotto dal C, che
altro non era se non la forma del S, iniziale di un sexaginta, cal-
cato sul oiyuu greco cosi detto lunare (C), ma solo di sessanta, e
quello del frumento, di 100 denarii?).
Qual’ & ora la traduzione in monete contemporanee del denarius
di rame dioclezianeo? Essa & rimasta fissata, una volta per tutte,
dopo la scoperta del frammento di Elatea dell’ editto medesimo, ove
si stabilisce che una libbra di oro fino & pari a 50000 denarii®),
per cui, tenuto conto della purezza di questo metallo, un denarius
corrisponderebbe a poco piü di L. 0,02. Ne segue che 100 denarii
sono eguali a L. 2, prezzo di un modius castrensis (— 1. 17,51)°),
e L. 11,50 ca., al costo di un hl.
Mezzo secolo di poi, come abbiamo accennato, il prezzo medio del
frumento, ad Antiochia e a Costantinopoli, sarà rispettivamente di
L. 11,50, o giü di li, e di L. 14,75 l’hl, e, nel primo secolo del-
l’impero, in Roma, esso aveva oscillato fra L. 9 e L. 12,50. Pari
a quello segnato nell’ editto poteva essere il prezzo medio del fru-
mento in Grecia, dove, verso la metä del primo secolo di Cristo, lo
troviamo oscillare fra L. 13—15 l’hl; poteva essere anche qnello della
Bitinia in genere, ove sedeva Nicomedia, paese, che nell’ età di Dio-
cleziano vantava un’ assai evoluta vita cittadina, anzi di tutta l’Asia
Minore, che, se era una regione mediocremente granifera6), era altresi
1) op. cit. p. 38; cfr. prec.
2) 1 a 1,67 & anche il rapporto classico dell’etä tolomaica e imperiale
(Teb. P. I, p. 560, BGU. 560, col. 1, vv. 24; 27) fra il valore dell’orzo e
quello del frumento in Egitto.
8) Zrtan, To drataypa Tod AtoxAnttavob, Bdo véa Tendyıa T6 EAANVIATIE
netappdosws, in "Epnpepis &pxatoloytxn, 1899, p. 164.
4) E. D. 30, 1a. — MomamsEen, Das diocletianische Edikt über
die Warenpreise, in Hermes, 1890, p. 26.
5) MOMMSEN, Das Edikt etc., in op. cit. pp. 58 sgg. — Hurrsch,
Griechische und römische Metrologie, Berlin 1862, 629 sgg.
6) Sulla natura del suolo e sui prodotti della Bitinia e dell’ Asia Minore
nell’ antichità classica e nell’ evo moderno, cfr. D’Huaurs, Une province
romainesouslar&publique, Paris, 1896. — BRANDIS, Bithynia in PAULY-
668 Corrado Barbagallo: Miszelle. Il prezzo del frumento in
densamente popolata, ricca, industriosa e commerciale'), ed essu rieace
affatto coerente ai prezzi del frumento in Egitto, serbatici dai papıri
del III e del IV seculo di C.*).
IL.
Antiochia (Siria). Come. accennavamo, il prezzo, segnato nel
l’editto di Diocleziano, coincide con quello, che, mezzo secolo di poi,
si ritrova in Antiochia di Siria sotto il governo di Giuliano l’Apostata.
Nel 352 di C. sembra che questi abbia dato mano a un nuovo tentatiru
di maximum, ch’era destinato a incontrare la stessa sorte del preee-
dente, sebbene avesse avuto più ristretti scopi e confini. Vi accenna
AMMIANO MARCELLINO, presso che con le stesse frasi, con cui i Fasti
Hydatiani avevano dato notizia dell’ editto di Diocleziano: ,,Nulla
probabili ratione suscepta, popularitatis amore, vilitati studebat [int.
Giuliano] venalium rerum, quae non nunquam secus quam convenit
ordinata inopiam gignere solet et famem“?).
A dire il vero, delle ragioni ci furono anche questa volta, e le
svolge lo stesso Giuliano in quella bizzarra difesa, che di se stesä,
tessè nel suo Misopogon!). In Antiochia e nei paesi circonviecini,
egli narra, il costo dei generi alimentari era, nel 362, elevatissimo,
e ciö (salvo cho per il grano) accadeva, non per dulorosi eventi natu-
rali e politici, ma per l’incetta e il monopolio, che i grandi proprietari
ne esercitavano, onde i prezzi salissero a proporzioni vertiginose. Il
popolo protestava vigorosamente ed egli fissö il maximum, a cui le
derrate alimentari avrebbero dovuto vendersi, e, quanto al frumenti,
mando ad acquistarne nelle città vicine, mandö ad acquistarne in Egitto
c tutti i carichi importati rivendette direttamente al popolo a quindia
moggia il solidus per lo stesso prezzo, per cui allora 8e ne eran
dati solo dieci: ,rgarrôyeros ugyvgor où xura dexa pérou, aid
nevrexauldsxu TOUOvTov, 0007 Eni tTwy dexa noôregor“. Si era in
estate e, come tale, quest’ ultimo prezzo era tuttavia elevato, ma l'in-
verno esso crebbe ancora fino a cinque moggia il solidus (roı
vouiouaros)*); ed eziandio in quell’ estate, nel contado, gl'incettatori
avevano venduto il frumento a più caro prezzo che non in Antiochia,
dove, d’ogni parte del territerio, la popolazione immiserita accorreva
a provvedersi di frumento. — Qui solo, esclama Giuliano, era abbon-
danza e buon mercato. Infatti .chi rammenta che in una città, ricca
e fiorente, il frumento fosse stato venduto 15 moggia il solidus?
WissowA, Realencyklopädie, III, 1, pp. 507 —08. — Reuzvs, Nuova
geogr. univ.: Asia anteriore, trad. it., Milano 1891, 557 agg.; 617 «gg.
1) Brrocu, op. cit. 242; 507. Sullo sviluppo cittadino ed economico
dell’ Asia Minore dopo gl’inizi dell’ €. v., cfr. MOMMSEN, Rüm. Gesch,
Berlin 1885, V, 331—33. — Ramsay, The hist. Geography of Asia
Minor, London, 1890, 104 seg.
2) (fr. BARBAGALLO, Contribnto alla storia economica del-
Pantichitä, Roma, 1907, pp. 75; 76.
3) 22, 14, 1.
4) p. 369.
5) p. 369 B.
Ispagna, in Africa e in Oriente durante l’età imperiale romana. 669
(,ris uéuvmrau nag vyiv evdmvouuérnc ns nôkeuc nevrexaldexe
nerge oirov ngaFEvra Tov yovoov;") !).
n tutto questo passo di Giuliano noi abbiamo T’indicazione di
un prezzo discretamente elevato (10 moggia per solidus); di un
prezzo massimo (cinque moggia per solidus), e di un prezzo, che
Giuliano, nella foga della sua difesa, termina per dire sconosciuto alle
grandi cittä, ma che, data la carestia dell’ anno precedente (dpogias
dsivng ind uvyuwvy yevouevnc) e la inevitabile tendenziosità dell’ apo-
logista, difficilmente pud essere creduto bassissimo nella misura in cui
Giuliano lo concede, ma che dovette essere un prezzo medio o di poco
inferiore al prezzo medio di anni più lieti, di 15 moggia al solidus.
Quindici moggia per solidus dänno, nell’ et4 di Giuliano, per
Antiochia, una delle città più popolose del mondo antico?), un prezzo
di L. 11,50 l'hl, identico all’ altro esibito dall’ editto di Diocleziano,
ch'è giü per su il prezzo del frumento che si riscontra in Roma du-
rante l'età imperiale, e che noi, per eccesso di scrupolo, possiamo
elevare fino a L. 12, considerando quest’ ultima cifra come rappresen-
tante del costo medio del frumento in Antiochia, intorno al 362 di C.
II.
Costantinopoli. Ad analoghe conclusioni noi giungiamo per
Costantinopoli. Suida c'informa che ivi era un luogo detto "Nosiov,
n0 éorè uodıog“, dove tutti i commercianti di frumento, sia acquistando
che vendendo, in seguito a un ordine dell’ imperatore Valentiniano,
sotto minaccia di pene corporali, erano tenuti a ragguagliare la loro
merce a codesta misura. Dodiei di tali modii di frumento dovevano,
inoltre, non essere venduti per piü die 1 solidus. Si trattava, come
si vede, e come se ne dava anche altrove, di un luogo di pubblica
misurazione, destinato alla vendita e alla compera di grosse partite di
frumentum e di un maximum speciale pel medesimo).
La notizia di Suida ci & confermata anche da altri scrittori di
antichità Costantinopolitane, ma con diversi particolari. Questi infatti,
concordemente, affermano che Valentiniano fu il primo a introdurre in
Costantinopoli l’uso del modius e a collocare, in un luogo determinato
della eittä, un moggio regolature (r0 ££xyor rot uodiov) delle misura-
zioni commerciali ed aggiungono che l’imperatore ne fissö il prezzo
in argento e coniö all’ uopo un’ apposita, moneta („rovro ro agyvpiov
TOUNWORYLOG, Apyvoog dE un UQync éTunw In To vonouea")t).
1) p. 369 D. Qui Giuliano parla di aurei (toö xpuooi). E questa
espressione più classica dell’ altra greca corrispondente a solidus (vémoua)
(MOMMSEN, Hist. de Ja monnaie ete. III, 72, nota), ma si tratta sempre
di solidi, come ap. 369B. AMMIANO MARCELLINO usa anch’egli (25, 8, 15)
la parola aureus per solidus.
2) SrrAn. 16, 2, 6.
8) Sun. Lexicon: Mévat.
4) Copınvs, De signis statuis et aliis spectatu dignis Con-
stantinopoli, p. 3356 (in Corpus script. hist. byz.). — ANONYMUS, Ant.
Const., pp. b3—54, ed. BANDURIUS, Parisiis, 1711. — Enarration. Chro-
nogr. antiqu. Constant. INCERTI AUCTORIS, p. 289, ed. BANDURIUS,
20 1. Allgemeines. Werke über mehrere Perioden und einzeine Sozialgebilde.
Macaulay; History of England from
the Accession of James Il. 3 vols.
816, 864, 748 p. 12°. (Eyeryman's
Lib.) London, Dent, 06. 1s
Macpherson, H.; Scotland’s Battles
for Spiritual Independence. Edin-
burgh, Oliver & Boyd, 05.
Mees, M.; Rotterdam in den Loop
der Eeuwen. 2e stuk afl. I. 48 p.
49, Rotterdam, W. Nevens, 06.
Metzel; Die Zwanglose, 1806— 1906.
Mitt. Ver. Geschichte Berlins 06. 5.
p. 57—61. (Siehe Soelke.)
Mitteilungen des Vereins f. hambur-
gische Geschichte. Hrsg.
eins-Vorst. 25. Jg. 05. V, 196 p.
er. 8°. Hamburg, . Mauke Mas
Münsterberg,O.; Der Handel Danzigs.
Ein Versuch zur Darstellg. der Ent-
wickelg. e. deutschen Seestadt des
Ostens. 58 p. m. 1 Plan. gr. 8°.
olksw. Zeitfr. Vorträge u. Abh.,
rsg. volksw. Gesellsch. Berlin.
217. u. 218. H. 28. Jg. 1. u. 2. H.
217. 218.) Berlin, Simion, 06.
Noël; Histoire du commerce du monde
depuis les temps les plus recules
T. III. Depuis la Revolution fran-
çaise jusqu” à la guerre Franco-
Allemande 1870—1871. gr. 8°.
Paris, Plon-Nourrit, 06. Fr. 20,—.
Oscannxo - Kyamnoncniñ, A. H.;
Hcropix pyecroï BETELIETEHNH
(Owsianiko- Kulikowsky:Ge-
schichte der russischen Intelligenz.)
387 p. M.Ca6ıun 06. Rub. 1,50.
Pholien, J.; Het gebruik der talen
in het vormalig rinsbisdom Luik.
Rechtskundig Tijdschr. 06. 2.
p- 41—59.
Plummer A.; English Church History
m the Death of King Henry VI
> the Death of Archbishop Parker.
Edinburgh, T. & T. Clark, 05.
Price, L.; The Study of Economic
History. Econ. Jl. 06. March.
p. 13—32.
Quellen zur Geschichte der Stadt
Wien. Hrsg. m. Unterstützg. des
Gemeinderates der k. k. Reichs-
haupt- u. Residenzstadt vom Alter-
v. Ver-
tums- Vereine zu Wien. Red. v.
Alb.Starzer. I. Abtlg. Regesten aus
in- u. ausländ. Archiven, m. Aus-
nahme des na achives der Stadt
Wien. 5. Bd. Regesten No. 4732
—6274. VII, 469 p. Lex.-8®, Wien,
C. Konegen, 06. M. 2,—.
Revillout, E.; Nouvelle étude juridico-
économique sur les inscriptions
d’Amten et les origines du droit
ae que 05. Nov.-Dez.
Richter, Ed.; Immunität, Landes
hoheit und Waldschenkungen.
Arch. österr. Geschichte 06. 94.
p. 43—62.
Roeser; Über die deutscher
enkultur und e Heimat
unserer Kultur ewachse und Haus-
üere. on 1 on ed Weser
ei eb. Ztg.
rg 17107
Schiller, Ad.; Oberschlesische Schul-
verhältnisse vor hundert Jahren.
Oberschlesien 06. Febr. p. 755—61.
Schirek, K.; Die k. k. Majolika-Ge
schirrfabrik in Holitsch. Materialien
zu Ihrer | Geschichte. Brünn, Selbst-
verl.,
Schuster, Georg; Die geheimen Ge
sells chaften, Verbindungen und
Orden. 2. Bd. X, 557 u. VI, 584 p.
gr. 8%. Leipzig 06. M 15,70.
Schuyler, Livingston Rowe; The
liberty of the press in the American
colonies before the Revolutionary
war; with particular reference R
conditions in the royal colon voi
New York. 8, ep 89. New ork,
T. Whittaker, 05
Seiler, Friedr.; Geschichte de des ds
schen Unterrichtswesens. 1. Von
Anfang an bis zum Ende des 18.
Jahrh. 116 p. Dasselbe ll. Vom
des 19. Jahrh. bis auf die
Gegenwart. 122 p. kl. 80. ml.
Göschen. 275 u. 276.) Leipzig,
Göschen, 06. —,80.
Soelke, Ernst; Die Zwanglose 1905
© 1906. Festschrift, Berlin, Selbst-
"De za
ist eine seit 1806
a M
Ispasna, in Africa e in Oriente durante l’età imperiale romana. 671
blico „mensurae et pondera“, tra cui „modios aeneos seu lapideos“ „ut
fraudare cupientibus fraudandi adimant potestatem“* e „unusquisque
tributarius ... sciat quod debeat susceptoribus dare“!). Finalmente,
anche Valentiniano III, in un editto ai Romani, annuuziava: „Do ponde-
ribus quoque, ut fraus penitus amputetur a nobis aguntur exagia“?).
Si comincerebbe quasi a sospettare di un equivoco, che le fonti
avrebbero commesso fra un Valentiniano e un qualche impera-
tore di nome simile, quell’ equivoco, in cui uoi ci imbattiimo ad
altre occasioni fra Valentiniano e Valente?). Cid non ostante, poichè
la scelta deve farsi, noi dobbiamo a preferenza ripensare al secondo
Valentiniano. Come abbiamo accennato, noi possediamo del 383 e del
386, due rescritti imperiali, di cui l’uno, come si rileva dal nome del
magistrato destinatario, l’altro, dal suo contesto medesimo, si riferiscono
ambedue all’ Oriente e portano anche la firma di Valentiniano II.
I due accenni ufficiali coincidono con quello di Snida e delle fonti
affini. Ora bene, fra le stationes e le nrbes da essi contemplati
e in cui dovevano istituirssimensurae, pondera emodiosaeneos
seu lapideos, non poteva cssere dimenticata Costantinopoli. E poichè
le fonti letterarie da noi citate celebrano un Valentiniano come primo
introduttore del modius in Costantinopoli, possiamo ammettere che
egli sia la stessa persona del firmatario dell’ ordinanza.
Data la cronologia della medesima, sarebbe questi Valentiniano II,
e l’editto porta la sua firma solo perchè gli atti della legislazione,
relitivi alle due parti dell’ impero, recavano tutti le firme dell’ uno e
dell’ altro imperatore. Se non che, per quali ragioni le fonti, di eui
& a noi pervenuta l’eco, riferiscano il provvedimento a Valentiniano,
che ebbe solo la pena di firmare, e non già al suo vero autore, Teo-
dosio, & problema di cni mille potrebbero cssere le ipotesi risolutrici,
e tutte ugualmente accettabili ed ugualmente infondate.
Qucsto maximuim cade adunque tra il 383 e il 386. Un dodi-
cesimo di solidus per moggio da L. 14,75 ca. V’hl., cifra, che, nella
sua qualitä di maximum, dovette essere un prezzo medio e che si
accorda benissimo con l’altra, che, pochi anni prima, abbiamo ritro-
vato in Antiochia, con quella segnato nell’ editto ‚dioclezianeo, ed &,
del resto, il solito prezzo delle grandi città antiche, i cui mercati, come
sempre, rimanevano in Sommo "grado indipendenti dalle peculiari carat-
teristiche delle regioni, cui appartenevano *).
1) Leg. Nov. D. Theod. 25 (in Cod. theod. 6), p. 61, ed. cit.
2) Sul concetto di mansiones e di stationes cfr. il comento al
Cod.theod.], p. 51; IV, 3838 e HuUueErr, Cursus publicus, in DAREM-
BERG ET SAGLIO, Dictionnaire d'antiquités grecques et romaines,
1, 2, pp. 1655 —56.
3) Cfr. BaxpuRrits, Antiquitates constantinopolitanae, Pa-
risiis, 1791, 11, 691.
4) Sulle condizioni vittuarie delle grandi città nel mondo antico, cfr.
POnLMANX, Die Übervôlkerung d. antiken Grossstädte, Leipzig
1884, 28 sgg.; 54; 57: 64 e passim.
22
Larizza, P.; Rhegium Chalcidense
(Reggio di Cal ria): la storia e
numismatica dai tempi preistorici
fino alla cittadinanza romana.
(Reggio Calabria, seine Geschichte
und Numismati ‚ von den vor-
eschichtlichen Zeiten bis zur Ver-
eihung des römischen Bürger-
rechts.) 118 p. e 14 tav. 8°. Roma,
Loescher, 06. L. 20,—.
’
Maschke, Rich.; Zur Theorie und
Deschichte der gom. Au argesetze.
p. gr. 8°. Tübingen, J. C.
B. Mohr, 06 M. 30,
Oehler, J.; Zum griechischen Ver-
einswesen. Progr. 30 p. 80. WienO5.
‚ E.; Handelsgeschichte des
Altertums. 111. Bd., 2. Hälfte. A. Die
Römer von 265 bis 30 v. Chr.
B. Die Römer von 30 v. Chr. bis
476 n. Chr. 2 Tle. 111, III, 1154 p.
8°, Leipzig, Fr. Brandstetter, 06.
Tonnini,S.; La psicologia della civiltà
iziana. (Die Psychologie der
tischen Zivilisation.) 520 p.
10°. (Piccola bibliot. di scienze
mod. 119.) Torino, Bocca, 06.
5,—.
Trumpler; Die Geschichte der rômi-
schen Gesellschaftsformen. Unter-
suchungen üb. die Anfänge des
modernen Gesellschafts- und Kor-
rationsrechts. Geleitw. os.
ohler. VII, 87 D Lex.-8°. (Ber-
liner juristische Beitr. z. Civilrecht
etc. J. Kohler. 8. H.) Berlin,
v. Decker, 06. M. 2,25.
3. Europäisches Mittelalter.
3. Le moyenäge de l’Europe.
3. The middle-ages of Europe.
Abbott, W.C.; The Lon
of Charles II. Engl.
April. p. 209—29.
Batiffol, Louis; Les finances de la
reine Marie de Médicis. Rev. des
Deux Mondes 06. 1. Mai. p.
16699.
Parliament
ist. Rev. 06.
Besser, Gust. Ad.; Geschichte der
Frankfurter Flüchtlingsgemeinden
2. Alte Mittelmeerländer. — 3. Europäisches Mittelalter.
1554—58. VI, 79 p. . 8,
Hallesche Abh. z. neueren Gesch.
rsg. G. Droysen. 43. H.) Halle,
Niemeyer 06. M. 2-—.
Behrmann, Walt.; Über die nieder-
deutschen Seebücher des 15. u. 16.
Jahrh. Diss. (Aus: ,,Mittgin. d.
geogra h. Gesellsch. in Hambg.“)
, 11 P: m. 4 Abb. u. 4
BT. 8%. Hamburg, Friedevichsen,
5_
v. Below, G.; Zur Wirtschafts
geschichte Italiens im frühen Mittel-
alter. Beil. z. Allg. Ztg. 06. 12. V.
Bernheim, Ernst; Das Wormser
Konkordat u. seine Vorurkunden
hinsichtlich Entstehung, Formu-
lierung, Rechtsgültigkeit. VIII,88p.
gr. 8°. (Untersuch. z. D. Staats-
u. Rechtsgesch., hrsg. O. Gierke.
81.H.) Breslau, Marcus, 06. M. 2,60.
Borchling, Conr.; Literarisches und
geistiges Leben im Kloster Ebstorf
am Ausgange des Mittelalters.
Z. Hist. Ver. f. Niedersachsen 0%.
4. p. 361—420.
Bossert, G.; Die Liebestätigkeit der
vang. Kirche Württembergs von
der Zeit des Herzogs Christoph
bis 1650. I. W. Jb. f. Stat. u.
Landeskunde. Je 05. Stuttgart 06.
I. p. 1—28 u. Il. p. 66—117.
Bugge, Alex.; Die nordeuropäischen
erkehrswege im frühen Mittel-
alter und die Bedeutung der
Wikinger für die Entwicklung des
europäischen Handels und der
europäischen Schiffahrt. VSchr.
Soz. u. Wirtschaftsgesch. 06. 2.
p. 227—71.
Caffaro, Albino; Pineroliensia; con-
tributo agli studi storici su Pinerolo,
ossia vita pinerolese, specialmente
negli ultimi due secoli del medio-
evo. Opera postuma. (Pinero
liensia. Beitrag zu den geschicht-
lichen Studien über Pinerolo, oder
pinerolesisches Leben, besonders
in den zwei letzten Jahrhunderten
des Mittelalters.) 361, XXI p. 8°.
Pinerolo, Chiantore-Ma 1, 06.
L 5.—.
Chroniken, Die, der deutschen
Städte vom 14. bis ins 16. Jahr-
Ispagna, in Africa e in Oriente durante J’età imperiale romana. 673
è arbitraria. Siamo solo di fronte a uno di quei prezzi massimi, che
i generi alimentari toccarono in eccezionali contingenze di guerre o
di assedi, sia pure che da essi non sia possibile ritrarre conclusione
alcuna sui prezzi medii contemporanei locali.
Allorchè in Atene il costo medio del frumento era di L. 10 Phi.
e880, in tempo di assedio, sali a L. 600 ca.!), cioè a un costo 60 volte
maggiore dell’ ordinario, e, più tardi a L. 2000?), che dovette essere
un prezzo 2{/0 volte superiore. Adesso siamo di fronte a un valore,
che supera di 120—150 volte quello del frumento in quel giro di
anni, ed esso non ha nulla di fantastico, tanto più che si tratta di
farina, non di frumento, e la farina, com’ & naturale, costa più del
grano non macinato. CORRADO BARBAGALLO,
An early Bill of Lading and Charter-party.
Although the two documents of which copies are appended relate to
different transactions, they may perhaps be printed together as being
the earliest of their classes that have been found in English records?),
and as belonging to the same quarter of a century.
The bill of lading appears on the Memoranda Rolls of the exchequer
in the record of the proceedings on the petition of one Peter de Saut,
a merchant of Bordeaux), which was referred by Edward I to the
decision of the treasurer and barons of the exchequer 5).
The great ship ‘Dieu la sauve’ was the property of Godfrey Pil-
grim of Great Yarmouth®). She had been laden, late in April, 1298,
with a cargo of wines, chartered to Boston, Lincolnshire, by four
Bordeaux shippers, one of whom, the petitioner, is described as drapers,
and another as a clerk. The fact that Master Martin was in holy
orders did not prevent his sharing in the venture to the extent of
twenty-two tuns and a pipe of wine.
1) Prurt. Dem. 33, 2.
2) Peur. Sylla 13, 1.
3) So I am informed by my friend, Mr. R. G. MARSDEN, the learned editor
of two volumes of ‘Select Pleas in the Court of Admiralty’, published by
the Selden Society.
4) The only references to him that I have found are in Archives des Basses
Pyrénées E. 175 (Archives hist. de la Gironde XV. [1874] 189). On
30 March, 1294, ‘P. de Saut, drapers de Bordeu’ acknowledged the receipt
of 35 l. of the money current at Bordeaux from Bertrand, lord of Podensac;
and on the following day he attested another receipt given to the same
Bertrand (ibid. 190). It seems most improbable that he can have been
connected with the knight Peter Arnaldi de Saltu, who had seized the castle
of Saut, entrusted to his brother William by Henry III (Rôles gascons I.
(1875) Nos. 159, 867, 2765 [1242—53)).
5) This case is further of interest as being one of the very small number
of decisions of the exchequer in its judicial capacity entered on the Memo-
randa Rolls.
6) On 11 Jan., 1297, Godfrey had obtained a safe-conduct, available up
to Michaelmas, to take her (either himself or by his men) to Norway to buy
masts. — Pat. Roll 25 Edw. I, pt. I m. 22 (Calr. 227).
24
Karmin, Otto; La lgge del catasto
fiorentino del 1427. (Zur Finanz-
chichte der Stadt Florenz ge
Föriges Katastergesetz von 1427.)
80 p. 8°.
L. 3,—.
K ‚F.;Hansische Handelsgesell-
schaften, vornehmlich des 14. Jahr-
hunderts. VSchr. Soz. u. Wirt-
schaftsgesch. 06. 2. p. 278—324.
Kirsch, P. A.; Treibende Faktoren
bei dem schotlischen Aufstande
in den J. 1745—46 und Nachspiel
Florenz, B. Seeber.
desselben. Hist. Jb. 06. 2. p.
291—315.
Koehne, C.; Der
faber blice
,
robatus“ der Lex. Alam. LYXIV 5.
schr. Soz. u. Wirtschgesch. 06.
IV. I. p. 186-090.
Rop6, I. T.; Auessu& nyremecrsia »%
Mockosiw. 1698 x 1609 rr. Ilepes.
x upamËd. À. I. Maxemms. (Cr
IPHIOKENÏEME 1Q PHECYHROBB Ha
OTABIBHLIX AHCTSX MH Ykasarexel.
(Korb: Tagebuch der Reise nach
Moskovien. ]. 1698 und 1699. Aus
d. Deutsch. übersetzt und mit An-
merkung versehen von A. Malein.)
p. 4°. C.-Herep6yprs, CyBopux,
Rub. 10
Laenen, Jos.; Les Lombards à
Malines (1295—1457). 87 p. 8°.
Malines, L. et A. Godenne, 05.
Fr. —,50
Lallemand, M. L.; Les soins donnés
aux malades dans les hôpitaux du
moyen âge. Acad. des Sciences
Morales et Polit. 06. Mars. p. 387
—400.
Lukinich, J.; Kövär väränak jövedelmi
forräsai 1566.— böl. (Die
quellen der Burg, övär [Ungarn]
im Jahre 1566.) Orig. Dokumente.
Magyar Gazdasägtôrténeti Szemle
05. III.—IV. p. 258—61.
Ugyanaz; Az erdélyi kincstäri javak
ecslése 1701.— böl. (Schätzung
derärarischen GüterSiebenbürgens
vom Jahre 1701.) Orig. Dokumente.
Magyar Gazdasägtôrténeti Szemle
05. III.—IV. p. 215—20.
Mann, H. K.; Live of the Popes in
the Early Middle Ages. Vol. 2.
B, 795 8. 8°. London, K. Faul,
. 12 s,
innahms-
3. Europäisches Mittelalter.
Martin, J.; Gustave Vasa et la rt-
forme en Suède. Paris, A. Fonte-
moing, 06. Fr. 10,—.
Nagaoka, H.; Histoire des Relations
u Japon avec l’Europe aux XVIe
et Ile siècles. 89 Paris,
Jouve, 05.
Merényi, L.; 1637. esztendöbeli
jövedelme Palatinus urunk Gnagy-
sägänak a Jäszok, Kiskunok es
Bujäki jöszägbeliektöl. Die Güter-
erträgnisse des ungar. Palatins im
Jahre 1637.) Orig. Dokumente.
Magyar Gazdasägtorténeti Szemie
05. II1.—IV. p. 292.
Nielsen, Axel; Dänische Preise
1650—1750. Jb. Natökon. u. Stat.
06. Febr. p. 289—348.
W.; Die Fugger und Welser.
8%. (Handel, Ind. u. Verkehr.
3. Bd.) Berlin 06. M. 1,—.
v. Pantz, A.; Die Inne er Haupt-
gewerkschaft 1625—1783. IX, 179
p. mit 1 Tafel. gr. 8°. (Forsch.
z. Verfassungs- und Verw
geschichte d. Steiermark. VI.
H.) Graz, „Styria“, 06. K 4,—
De Pelsmacker, P.; Le courtage à
Ypres aux Xllle et XIVe siödes.
Bull. de la Commission royale
d’histoire. LXXIV. 4. 05
Pick, Franz; Beiträge zur Wirt
schaftsgeschichte der Stadt Prag
im Mittelalter. I. Das er Un-
geld im 14. Jahrhundert Mitt.
Ver. Geschichte Deutschen in
Böhmen 06. III. p. 277—321.
Pierson, N. G.; Bijdrage tot de ver-
klaring van middeleeuwsche reken-
munten. De Economist. 06. 4.
p. 263—95.
Pirenne, H.; Note sur la fabrication
des tapisseries en Flandres au
XVIe siècle. VSchr. Soz. u. Wirt-
schaftsgesch. 06. 2. p. 325—30.
„Pisma polityczne zczasôv pi
bezkr ea (Politische Schriften
aus den Zeiten des ersten Inter-
regnum — XVI. Jh.) Ed. Czubek].
XXXVIIT u 7 Verl. der
Akad. d. Wissensch. Krakau 06.
Records of the Proceedings of the
Justiciary Court, Edinburgh, 1661
An early Bill of Lading and Charter-party. 675
was supported by five merchants of Bordeaux, in accordance with the
court’s decision (visum est Curie) that ‘the truth could better be
ascertained by merchants of the said parts of Bordeaux, and by him
who was purser in the ship aforesaid, who had and ought’ by his
position ‘to have cognizance of the goods that were in the ship afore-
said, whose they were, and in whose name laden in the same ship, —
than by an inquisition’.
On this testimony, so taken before the court itself, it was finally
decided ‘that Peter have back his wines aforesaid, and that order be
sent to the sheriff and coroners that they cause the wines (or their
price, if sold) to be restored to the aforesaid Peter without delay’.
The charter party is a document to which I have no hesitation in
adding a translation. It would be difficult to find worse spelling in
the fourteenth century, and probably impossible to find anything
approaching it in any earlier century. To follow the usual practice,
and insert ‘sic’ after each erronevus form would lengthen the printing
inordinately; and a reader glancing casually at the page would suppose
it had been accidentally peppered with sies. So I must ask readers
to accept an exact reproduction of what is really a very legible MS.
Edward II had ordered several sheriffs in the south-west of Eng-
land to send stores to Skinburness, on the Solway Firth, for the service
of the army then occupying Carlisle and the adjacent parts cf Scot-
land. Among these was Sir Walter Scudamore, sheriff of Somerset
and Dorset, who in accordance with the king’s mandate!) laded the
Peter of Hamelhok’ with corn, malt and ‘bacons’, agreeing tlıat the
vantage should be at the rate ef (practicälly) five per cent. Nothing
need be said as to the other provisions of the charter, except to draw
ıttention to the steps taken by the sheriff to secure himself from a
laim by the crown for deficiency in the quantity of corn delivered.
In this he seems to have acted with scant consideration for the corn-
traders of Bristol, for the reeve, and for the owners of the market-
;olls, whom he deprived of their standard bushel.
1) On 20 Mar. 1312, by letters close of the council, dated at York, the
sheriff was ordered to provide, under pain of forfeiture, 200 quarters of wheat,
100 quarters of barley, 200 quarters of oat malt, 100 quarters of beans and
peas, and 100 bacon-pigs, to be sent by sea to the march of Carlisle, and
here delivered to the receiver of the king’s victuals for the munition of that
march, as the king’s clerk, Edmund de la Mare, whom the king was sending
;o supervise the premises, should inform him on the king’s bchalf, so that
be victuals aforesaid should be at Skinburness before Whitsuntide [14 May]
it the latest — (Close Roll 5 Edw. II. m. 8). It is probable, from the
late of dispatch of the stores, that Edward had needed to send a second
yeremptory mandate to Scudamore, as he did to the sheriff of Gloucester
Ibid m. 4) chiding him sharply for not fulfilling an order given on the
same 20 march. It was no time for gentle language, seeing that on 8 July
the stock in the hands of the king’s receiver at Carlisle was reduced to
5 qrs. 6 bus. wheat, 2'’ qrs. barley, 1 bushel of oatmeal and two pipes and
5!/s iron-hooped barrels of wine, in addition to 25 qrs. 7 bus. salt — (Ac-
»ounts, Exch., K. R., Bundle 15 No. 25 If. 1).
676 R. J. Whitwell: Miszelle.
The voyage must have taken an exceptionally long time, for it was
only on 13 August that Gilbert de Bromley, the receiver and keeper
of the king’s victuals in the parts of Carlisle received the goods at
Skinburness. The grain was then measured ‘by the straked measure
of England’; and whether by reason of the deficiency in the Bristul
bushel, or ‘par longe demoere en la meer’, the quantities are ahown
as appreciably smaller than those shipped; and the vantage is reduced
accordingly, though the percentage remains about the same.
The document quoted in the last note shows (If. 2b) that nearly
the whole of the cargo of the Peter of Hamelhok was sent by instal-
ments to Sir Dougal Me Dowal (Dungallo Mc Duwille) constable
and sheriff of the castle of Dumfries, for the provision of that castle.
The cost of discharge of the ship and carriage of part of the cargo
and certain other goods to Dumfries (If. 6), was at the rate of & U.
for each quarter of grain and salt and amounted in the whole to 53 x
ROBERT JOWITT WHITWELL.
Thesaurario et Baronibus pro Petro de Saut mercatore
de Burdegala.
Rex mandauit Thesaurario et Baronibus suis de Scaccario suo apud
Eboracum breue suum sub priuato sigillo in hec uerba:
Edward par la grace de dieu Rei Dengleterre seigneur Dirlanud e
Ducs Daquitaigne au Tresorier e as Barons del Eschequier salutz. Nous
vous enueoms la peticioun Pieres de Saut Marchant de Burdeaus,
enclose deinz ces lettres e vous maundoms ge la peticioun oie, e bien
entendue, lui enfacez ceo qe vous yerrez ge face a faire par resoun.
Done soutz nostre priue seal a Dureame le vij. iour de Nouembre
Lan de nostre regne vint e sisime.
Tenor peticionis talis est:
A nostre seigneur le Roi supplie Peres de Saut Marchaunt de
Burdeaus ge les vins ou la vente des vins cest a sauoir Ixxv. Toneau:
de vin e vij Pipes e ses liths e ses boches [L. T. R. huches] e ses
autres biens qil auoit charge a seint Botolf apres la suffrance de I
guerre prise entre vous sire e le Rei de France les queux vins e autres
biens vnt este arestuz par vos gentz e venduz. pur dieu, pur pite e pur
dreiture sire lui fetes delinerer e aquiter, les queux vins e ses autres
choses furent arestuz pur vn Willam de Cont son vallet ge feust vtlage
par defaute lui esteaunt en la Duche de Guyene, la quele vtlagerie
sire vous lui auez pardone par vostre lettre patente. E dautrepart le
dit vallet ne auoit rien en vins ne en les autres biens, einz furent tour
du dit Peres de Saut seon seigneur, sicome il peust mustrer par
chartres, e par lettres faites en la ville de Burdeaus.
Et inspecta per Thesaurarium et Barones petitione predicta, es dili-
genter examinata, quesitum est a prefato Petro, qualiter ostendere velit,
quod predicta vina sua fuerunt, et quod predictus Willelmus vtlagatus
nichil proprietatis habuit in vinis illis, et bonis predictis, per quod aliquo
modo ea posset furisfacere, qui dicit quod paratus est hoc verificare
qualitereumque Curia duxerit considerandum. Et quia visum est Curie
An early Bill of Lading and Charter-party. 677
quod veritas inde melius sciri potest per mercatores predietarum partium
Burdegale, et per ipsum qui fuit bursarius in naui predicta, qui cog-
nicionem habuit et habere debuit de bonis que fuerunt in naui predicta,
cuius aut quorum fuerunt. aut sub cuius aut quorum nomine carcata in
eadem Naui, quam per inquisieionem, quesitum fuit ab eodem Petro, si
velit probare per mercatores partium predietarum et bursarium Nauis
predicte vina et bona predicta sua propria fuisse et non alterius; qui
dieit, quod sic, asserens bursarium predictum et mercatores partium
predictarum presentes esse in Curia, per quod paratus est legitime
probare dieta bona sua esse, et non predicti Willelmi vtlagati, nec
vmquam fuisse. et petit quod ad hoc legitime probandum admittatur.
Et concessum est ei; et super hoc produxit quemdam Johannem le
Normaunt de Jernemutha quem dicit bursarium Nauis predicte et
Petrum de Batelesfosse, Bydan de Bran, Johannem Freteyr, Manaur
Turchier et Bydan [L. T. R. de] Contz mercatores.
Et predictus Johannes Juratus et diligenter examinatus super negocio
isto, dieit per sacramentum suum quod circa finem Mensis Aprilis
proximo preterito [sic] fuit quedam Nauis que est domini sui Gode-
fridi Pylrym de Jernemuta que vocatur dieu la Sauue in portu de
Burdegala, et fuit Magister einsdem Nauis Ricardus de Goseforde, inter
quem et Petrum de Saut mercatorem de Burdegala, Martinum de Sancta
Elena, Willelmum Colom et Bertramum Baran Ciues Burdegalenses
conuenit quod prefatus Ricardus carcaret in Naui sua predicta de vinis
ipsorum Petri, Martini, Willelmi et Bertrami — CCiij. dolia, et xiiij.
pipas deinde transducenda vsque sanctum Botulphum in Anglia, capiendo
ab eisdem mercatoribus pro fretagio cuiuslibet doliorum predictorum
ivij. solidos sterlingorum. Ita quod pro singulis. xx. doliis allocarentur
in fretagio. xxj. et inde ostendit quandam cartam inter [L. T.R. dictos]
Magistrum Nauis et Mercator[es] super conuencione frettagii predicti
confectam, cuius tenor talis est. —
Sachent touz ceux qui ceste chartre verrount e orrount, qe P. de
Saut Drapers de Burdeu, e Maestre Martins de seinte Eleyne Clercs,
e Guilleme Colom de seint aremedi, e Bertrans Barran Cyteyn de
Burdeus, ont afrette, e charge, en la Nef nome, la dieu la sauue
de Gernemute de Richart de Goseforde Mestre, des [sic] cent e.ii].
toneus, e.xiiij. pipes de vins, des quex distrent, qe sont au dit.P. de
Saut.Cx. toneux e.viij. pipes, e au dit Mestre Martin.xxiij. toneux
e vue pipe, e au dit. W. Colom:xj. toneux e.ij. pipes, e au dit Ber-
tran.xxx. toneux, e.iij. pipes, a aler a seynt Botolfe pur.viij. souz
desterlinges dengleterre chescun toneu.xxj. pur xx. et vj. pipes du
dit. P.e vne pipe du dit Mestre Martin [L. T.R. e. ij. pipes du dit W.
Colom, e vne pipe du dit Bertran dauantaege, e ij. pipes du dit Ber-
tran vont] pur le fret de vn tonen, e deus pipes du dit. P. pur le fret de
vn toneu; e a Norman Diepe la Nef deyt estre alege e descharge des
auant ditz vins au coust des Marchandz. Et deintz. xxj. iour ourable
conpres!) qe dieu aura conduit la dite Nefe a sauuete a sa dreite
1) In L.T.R. roll this word has been altered, apparently to courres:
cf. the modern ‘running days’.
28 +
Mantoux, Paul; La Révolution In-
dustrielle au XVIIIe Siècle. 343 p.
gr. 89. Paris, Soc. Nouv. de Libr.
et d’Ed., 06.
Maroy, Charles; Une famille de ma-
rins. (Die Familie van Maestricht.)
Belgique maritime et colon. 06.
11. März.
Matter, P.; Bismarck et son temps.
L’action, 1863—1870. 8°. Paris,
F. Alcan, 06. Fr. 10,—.
Matthieu, E.; L’industrie dans le
Hainaut en 1806. Ann. du cercle
archéolog. de Mons. XXXIV. 05.
p. 340—3.
Merenyi L.; A domboväri uradalom
a XVIIT. szäzad elejen. (Die Guts-
herrschaft Dombovär [Ungarn] zu
Anfang des 18. Jahrhunderts.)
ar Gazdasägtôrténeti Szemle
05. III.—IV. p. 320—38.
Montarlot, P.; Les Députés de Saône-
et-Loire aux assemblées de la
Révolution (1789—9%). T. 1er:
Assemblée constituante et Assem-
blée législative. 322 p. 8°. Autun,
Dejussieu, 05.
Müller, Leonh.; Die politische Sturm-
und Drangperiode Badens. I.
1840—1848. 160 p. 8°. Mann-
heim, Haas,. 06.
Muller, Paul; Le paiement de l’in-
. demnité de guerre a Strasbourg
de 1871 à 1873. Jl. des Economistes
06. Mai. p. 235—43.
Nicolai, Alex.; La population de
Bordeaux au XVIIIe siècle. Rev.
Econ. de Bordeaux 05. Nov.-Dez.
p. 167—75.
Derselbe; Le Commerce du Monde
au XIXe siècle. Rev. d’Hist.
Diplomat. 06. Jan. p. 112—37.
Pérevré, Alfred; Des premiers ra
orts entre Saint Simon et Auguste
omte (d’après des documents
originaux). Rev. Hist. 06. Mai—
Juin. p. 57—98.
Pionnier, Ed.; Essai sur l’histoire
de la Révolution à Verdun, 1689
Neuzeit Europas, der europäischen Oründungen und des Weltverkehrs.
—1795. av. nombr. pl. CXXXVIIL
566 p. 8°. Paris, E. Lechevalier,
06. Fr. 10,—.
Robert Candlish and the Disruption
of 1843. Quart. Rev. 06. April
p. 418—37.
Robinson, |. H.; Recent Tendencies
in the Study of the French Revo-
lution. Am. Hist. Rev. 06. 3 p.
520 —48.
Rosen J. G.; Review of Dr.
Albert Pfister's americanische
revolution, 1775—1783. 4 p. 8°.
Fhiladelphia, German Am. Pres
. c
Roux, Fr. Ch.; La politique frar
caise en te à la fin du XVIIIe
siècle; I. Rev. Hist. 06. Mai—Juin.
p. 1—20.
Schouler, Ja.; Americans of 1716.
13, 317 New York, Dodd,
Mead & O., 06. Doll. 2—-.
v. Schullern; Die Entwicklung unserer
Agrarpolitik im letzten Jahrhundert.
: jener Landw.-Ztg. 06. 18. p.
Schwartz, Paul; Die neumärkischen
Schulen am Ausgang des 18. u.
am Anfang des 19. Jahrh. Ill,
221 P- er. 80. (Schr. d. Ver. f.
Gesch. d. Neumark. 17. H.)
Landsberg a. W., Schaefier, 05.
’
30om6apr, B.; Comiazusm H comiansoe
zBuzxenie. Ilepes. Mux. K. u Bı [.
CB HOBATO COBEPMIEHHO TIepepas-
TAHHATO MBAaHis. (Sombart:
Sozialismus und soziale Beweg-
ung.) VIII, 341 p. 8° Moczss,
„CBoborsaa Mricas‘‘, 06. Rub. 1,30.
Sturmhoefel; Der deutsche Zollverein.
8°. (Handel, Ind. u. Verkehr. 1. Bd.)
Berlin 06. M.
—
®
Tallen S. G.; Society in the time
of Voltaire. (Cornh.) Liv. Age 06.
31. March. p. 781—93.
v. Tchernoff, I.; Les Candidatures
ouvrières sous le Second Empire.
Rev. Socialiste 06. Fevr. p. 161 —8.
Thery, E.; Le Septennat de M. Emile
Loubet au point de vue écono-
Än early Bill of Lading and Charter-party. 679
vina predicta vel eorum precium si vendita fuerint predicto Petro restitui
faciant indilate. — Memoranda Roll (K.R.) 26 and 27 Edward
I. m. 8. (=L.T.R. 17b).
Fayt a remembrer ge le Mekerdy procheyn auaunt la Natiuete Seynt
Johan le Baptiste. lan nostre seygnur le Roy quint. Roberd Chyuailler
mestre de la Neef qe est apele Peter de Hamelhok resceut al port de
Brystut en sa Neef auaunt dite de la liuere Sire Walter Skydemor
Viscounte de Somersete et Dorsete. par le mayns Thomas Odynel sun
vadlet. en la presence Edmud de la Mare. clerk nostre Seygnur le Roy
a les porueaunces le Roy sourueer et haster assingne Doux Centz ez
Dysz quarters de Forment dount les dysz quarters sunt pur la Vauntage
de mesme les deux centz quarters susdytz. Ez Cynkquaunte deux
quarters et demy de Orge dount les deux quarters et demy sunt pur
la vauntage de les Cynkquaunte quarters susdytz. Ez vynt quarters de
chef breys de Forment. Ez Trente quarters de breys de Curs cest
asauoyr de Orge et de Auene. Ez vintquatre quarters de Feues ez de
Poys oue vn quarter pour la vauntage come des altres auaundytz. Ez
si vous enueopms le Bussel estaundard de la ville de Brystut assele
del seal de la prouoste de mesme la ville. par le quel le bledz auaun-
dytz sunt mesuretz par la veue Edmund clerk le Roi auaundyt Pur
coe qe en ces oures hom aadz perdu en le mensurement en celes parties
par le mesure ge y est qe ne coe a corde poynt al mesure pardeca.
Ez vintcynk bacouns les queux choses le dist Sire Walter viscounte des
Countez auaundyz adz eschatez et purueu en sa baillie par comaunde-
ment nostre Seygnur le Roy de passer et damener mesmes les vitailles
sauementes et surementes del port susdytz taunke a Skyrbernasse a
liuerer yleskes mesmes les vitailles al resceuors del estor nostre Seygnur
le Roy. Ez si riens des dites vitailles en defalte de dyst mestre ou
des seons de peryce on en peire ou en nule manere soyent amenusez:
mesme celuy mestre soyt de coe respoynaunt au Roi ou a dist Viscounte
si coe ne soyt par tempeste de la meer ou de male gentz robeours ou
par longe de mere en la meer ge nul countre coe ne put garder me
ke a la volunte deus. Ez quaunt deux auerunt mys al dyst port soyent
deliuers de dontz les quinze iours ez si plus demoerent par defalte de
liuerance soyent au custages le Roy: A cestes choses byen et leaument
feare soe oblige le dyst mestre et sa partie de sa Neef auauntdyt
ensemblementes oue ces teires et ces chateux en qui maynz que devyn-
gunt a la destresse ez al restement des viscountes pur les choses
auauntdytes qe pur nules Fraunchyses ne soyt lesse e taunke il eyt
fet gree al dyst Sire Walter viscounte si y coe defaille an les choses
auauntdytes. En tesmoinaunces des queles choses auxi byen le dyst
mestre cum le dyst Sire Water viscounte a cestes lettres endentez
entrechaungablement ount mys lour seals. Ez pur coe que le seal le
dist mestre a plusours estoyt desconutz le seal de la prouoste de la
Ville de Brystut adz le dyst Mestre procure estre mys. Done au leu
lan ez le iour auaundytz.
[Indorsed] Escudemor.
Accounts, Exch. KR. Bundle 7 No. 15 (70).
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 45
30 5. Andere Wirtschaftskreise. Ostasien usw.
History. Jl. of the Bombay Branch
of the Roal Asiatic. Soc. 05.
No. EX. Vol. XXIL p. 43—66.
Mahamahopadhyaya, Haraprasad
Shastri; History of Nyayasastra
from Ja anese Sources. JL of the
Asiat. Soc. of Bengal 05. 8. p.
177—80.
Nachod, Geschichte von Japan.
Erster Band. (Allgemeine Staaten-
geschichte, Il. Abteilung: Ge
schichte der außereuropäischen
Staaten. Herausgegeben von K
Lamprecht, 1) 1 vol. XXX, 426 p.
Gotha, F. A. Perthes, 06
M. 11,25.
Druck von C. Heinrich, Dresden.
BIBLIOGRAPHIE
DER SOZIAL- UND WIRTSCHAFTS-
GESCHICHTE
FUER DIE MONATE
JULI — SEPTEMBER 1906.
BEARBEITET VOM INTERNATIONALEN INSTITUT FUER
SOZIAL-BIBLIOGRAPHIE IN BERLIN.
Berichtiguugen und Ergänzungen sowie Mitteilungen von Titeln und Inhalts-
angaben bis zum Umfange von 8 Druckzeilen) von einschlägigen, im Er-
scheinen begriffenen Schriften und Aufsätzen sind an das Internationale
Institut für Sozial-Bibliographie in Berlin W. 50, Spichernstrasse 17, zu richten.
1. Allgemeines. Werke über
mehrere Perioden und
einzelne Sozialgebilde.
1. Ouvr s généraux.
I. reatires.
Agahd, Reinhold; Die Heimat der
Indogermanen. Z. d. Histor. Ver.
f. Niedersachsen. 06. p. 109-138.
d’Avenel, Vicomte, G.; Les Riches
depuis sept cents ans. Rev. des
deux Mondes. 06. 15 Juillet. p.
391-414.
Baasch, Ernst; Zur Geschichte des
Hamburgischen Heringshandels.
Hansische Geschichtsbl. 06. 1.
p. 61—100.
Badtke, W.: Zur Entwicklung des
deutschen Bäckergewerbes. Fine
wirtschaftsgeschichtlich - statis-
tische Studie. 95 p. 8°. Diss.
Halle. 05.
Bastian, Fr.; Die Bedeutung mittel-
alterlicher Zolltarife als Ge-
schichtsquelle. Forsch. z. Gesch.
Bayerns. 06. 1—2. p. 114—135.
Beck, L.; Geschichte der Eisen-
industrie in Wales. Stahl u.
Eisen. 06. 14. p. 861—868. 15. p.
932-938.
Du Berry, Marguerite; La den-
telle. Historique de la dentelle
à travers les âges et les pays.
Modèles et dessins de Mme M.
Songy. VIII 180 p. 12°. Paris,
Garnier frères, s. d. 06. Fr. 3,50.
Bilder aus dem alten Berlin. 53
Taf. 16°. Berlin, H. R. Meck-
lenburg. 06. Mk. 3,50.
Bocken, Alex.; Chronik der Stadt
Berlin vom ersten Bekannt-
werden des Ortes bis zur Gegen-
wart. 44 p. kl. 8°. Berlin, E.
Müller, 06. Mk. —,20.
Claus, Oskar; Thomas Abbts hist.-
politische Anschauungen. Lam-
prechts geschichtl. Unters. Bd.
III. 1. Gotha, Perches 06.
‘Abbt, deutscher Philosoph 1738—
1766; Hauptwerk: Vom Verdienste.
Berlin 1765.
Cutler, J. E.; An Investigation into
the History of Lynching in the
United States. XIV, 287 p. New
York, Longmans, Green & Co.
05
Darstellungen aus der Geschichte
der Technik, der Industrie und
Landwirtschaft in Bayern. Fest-
gabe der königl. techn. Hoch-
schule in München zur Jahr-
Literatur,
S. PIVANO, / contratti agrari in Italia nell’alto medio ero. Torino 1904.
XV u. 338 SS. —
F. SCHUPFER, Precarie e livelli nei documenti e nelle leggi dell’alto
medio evo. Torino 1905. 116 SS. (Estr. dalla Rivista italiana per
le scienze giuridiche vol. XL fasc. I—ITI). —
P.S. LEICHT, Livellario nomine. Osservaziont ad alcune carte Amiatine
del secolo nono. Torino 1905. 69 SS. (Estr. dagli Studi Senesi
in onore di Luigi Moriani).
S. Prvano hat mit großem Fleiße in seinem Buche über die Agrar-
verträge im frühmittelalterlichen Italien vielleicht als erster das reiche
gedruckte Material, das sich jetzt jährlich vermehrt, und auch un-
gedruckte Quellen verwertet und stellt als Fortsetzung zwei Bände
über die Lage der Arbeiter in ihren Beziehungen zu Grund und Boden
und über die Giterverwaltung in Aussicht. Das Unternehmen ist zeit-
gemäß und dankenswert, und mit Rtcksicht auf die Größe des Stoffes
ınag man dem Autor auch eine gewisse Breite der Darstellung zugute
halten. Auch die immer wiederkehrende Betonung der „exegetischen“
Methode ist gewiß berechtigt; denn man will in historischen Dingen
selbstverständlich aus den Quellen herausgelesene und nicht in sie
hineinkonstruierte Resultate gewinnen. PIVANO, der Jurist ist, hat
wohl mit gutem Grunde dies sein rein induktives Bestreben betont,
und wenn auch gerade ihm seine formal-juristische Schulung manchen
Streich gespielt hat: tamen est liudanda voluntas.
Die Zusammenhänge von Wirtschaft und Recht, welche doch gerade
bei einem solchen Thema von ausschlaggebender Bedeutung sind, sind
P. freilich in seinem formal-juristischen Eifer vielfach verborgen ge-
blieben; er hat iufolgedessen eigentlich auch die Forderungen der
modernen Jurisprudenz nicht erfüllt, und die Organisationsformen, von
denen er spricht, treten daher nicht plastisch und lebendig hervor,
trotz aller Genauigkeit in den Details. So ist es z. B. bezeichnend
für P.s Arbeitsweise, daß er zwar genau anführt (S. 220 Anm. 88},
in welchen in den „Codex Bavarus“ aufgenommenen Libellarkontrakten
eine reine Geldabgabe statt der üblichen Naturalabgabe ausbedun
ist, aber den auf der Hand liegenden wirtschaftlichen Grund für diese
Ausnahmen offenbar übersieht: es handelt sich in den sieben angeführten
Verträgen nicht um landwirtschaftliche Grundsticke, sondern um Ge-
Referate. 683
bäude, von denen man doch unmöglich einen Zins in Getreide oder
Wein einheben konnte!).
Infolge der rein systematischen Anordnung sind P. aber auch wich-
tigere und geradezu entscheidende Erscheinungen entgangen. Historisch
müßte man das von ihm herangezogene Material zum mindesten auf
drei Gruppen verteilen: eine römisch-italienische, eine römisch-lango-
bardische, und eine römisch-fränkische. Die Entwicklung der Rechts-
und Wirtschaftsformen schöpft allerdings in allen drei Gebieten aus
der gemeinsamen römischen Rüstkammer, jedoch sind es zum Teil
verschiedene Formen, die hier und dort bevorzugt werden, und die
Entwicklung selbst wurde in den drei Gebieten auf verschiedene Weise
beeinflußt. P. betont nicht die Grundtatsache, daß die fränkische pre-
caria und wohl auch das Wort in Italien bis zum Ende des 8. Jahr-
hunderts unbekannt war. Was hier die Stelle der fränkischen precaria
vertrat und später auch 80 genannt wurde, hat zwar wirtschaftlich die-
selbe Funktion, aber juristisch anderen Ursprung?). Die libellarischen
Kontrakte wiederum dürfen nicht betrachtet werden, ohne daß man
die Einwirkung der langobardischen Gesetzgebung in Erwägung zieht.
P. aber verschiebt die Probleme vollständig zugunsten seiner
juristischen Grundthese, deren Beweis er leider als die eigentliche Auf-
gabe betrachtet: daß nämlich precaria und libellus „Formalkontrakte“
seien. Der Altmeister der italienischen Rechtsgeschichte, SCHUPFER
(a. a. O0. S. 1—9), hat in der ihm eigenen, klaren und überlegenen
Weise, bei aller Anerkennung des für viele Details nutzbringenden
Fleißes Prvanos, nachgewiesen, daß diese Grundthese nicht nur
falsch ist, wenn man von dem herkömmlichen juristischen Begriffe des
Formalkontraktes ausgeht, über den sich R offenbar nicht klar ist,
sondern auch, daß die von P. versuchte Konstruktion innere Wider-
sprüche enthält. In der Tat ist es auch für den Nichtjuristen un-
begreiflich, wie man precaria und libellus auf eine Stufe mit Stipulation
oder Wechsel stellen kann. Es scheint mir, daß P. von der unbezweifel-
baren Tatsache ausgegangen ist, daß sowohl precaria als libellus ihren
Namen und ihre ursprüngliche. Form dem Umstande verdanken, daß
das Geschäft von einem Gesuche des einen Vertragschließenden aus-
geht. Aber daß die Vertragsform ein bestimmtes formales Merkmal
hat, macht sie noch nicht zu einem Formalvertrag. Von demselben
Gesichtspunkte des Formalvertrages ausgehend meint offenbar P. sich
die historische Erklärung für das Eigentümliche der Form der libella-
rischen Urkunden ersparen zu können, daß nämlich der Petent als
Aussteller erscheint, daß die Petition des Pächters, eben der libellus,
die doch, genau genommen, den Verpächter gar nicht verpflichten kann,
als Vertragsinstrument gilt. Ich muß trotz der Polemik P.s nach wie
vor annehmen, daß diese Form nicht die ursprüngliche gewesen sein
1) Vgl. meinen Aufsatz über den Codex Bavarus in Mittel. des Instit.
f. öst. Gesch. XI (1889), wieder abgedruckt in „Zur Wirtschaftsgesch. Italiens
im frühen Mittelalter“, den P. offenbar übersehen hat. — Siehe übrigens
auch SCHUPFER a. a. 0. S. 92.
2) Vgl. oben $. 342 f,
34
Leben der Balkanstaaten von A.
Mesier.) 331 p. 8’. CIIB. To-
noBa, 06. Rub. 2,00
Rembowski, A.; Pisma (Geschicht-
lich- politische Schriften). 830 p.
8°. Krakau. 06.
Robertson, J. Mackinnon. A short
history of freethougt, ancient
and modern. 2d ed. 2 v. 16,
480; 13, 455 p. New York, Put-
nam, 06. $ 6.
Rosman, H.; Ytterligare om eko-
nomisk Historia. (Weiteres üb.
die Wirtschaftsgeschichte.) Hist.
Tidskr. 05. p. 26-34.
Ruhland, G.; Die Entstehung der
Geldwirtschaft und des Kapita-
lismus im christlichen Abend-
lande. Mschr. christl. Sozref.
06. 7. p. 483—493.
C6opunk® M. Pycck. Ncropnueckaro
OGmecrBa. 122-4. (Sammlung der
. K. russischen historischen Gesell-
schaft. Bd. 122.) 549 p. 8°.
CIIB. 05. Rnb. 2,50
Scherr, Johs.; Germania. Zwei
Jahrtausende deutschen Lebens.
Neu hersg. H. Prutz. 45. Lig.
p. 441—450 m. Abb. u. 1 Taf. 4.
Stuttgart, Union Deutsche Ver-
lagsgesellschaft. 06. Mk. —,30.
Schnürer, Gustav; Die historischen
Grundlagen unserer Kultur. His-
tor. polit. Bl. kathol. Deutschl.
06. 12. p. 877-891.
Sello, Geo.; Oldenburgs Seeschiff-
fahrt in alter und neuer Zeit. III,
68 p. gr. 8°. (Pfingstblätter d.
Hansischen Geschichtsver. 2. Bl.
1906.) Leipzig, Duncker & Hum-
blot. 06. Mk. 1,—.
Simond, C.; Les Légendes de Pa-
ris, récits historiques. 240 p. 8°.
Paris, Gaillard. 06.
Cuonenckif, M. Mcropia kakt Hayka
H KAKb IIPEAMETE TperlonaBanin.
TlepeoubHKa HCTOpHUECKAXE 3HAHIH.
Hcropuko-MerTonororueckif 9TIOA.
Bein. 1-9. (Smolensky: Die Ge-
schichte als Wissenschaft und als
ein Gegenstand des Unterrichts.
Die Umwertung der geschichtlichen
Kenntnisse. istorisch- methodolo-
ische Studie. Tell I) 175p. 8.
necca. 06.
1. Allgemeines. Werke über mehrere Perioden und einzelne Sozialgebiete.
2. Alte Mittelmeerländer.
Sorel, G.; La storia ebraica ed il
materialismo storico. (Die he
bräische Geschichte u. die mate-
rialistische Geschichtsaufiassg.)
Divenire soc. 06. 1. Mai. p. 131
—133.
CrparonoBd, EM. OcBo6onurexmot
ABMIKeHIE BP HCTopin Poccin. (St
tonow: Die freiheitliche Bewegung
NS der Geschichte Rußland.) L
Tobler, Otto; Entwicklung u
Funktionen der Landesämter in
Appenzell a. Rlı. vom Ende des
Jahrhunderts bis zur Gegenwart.
Diss. Jur. Bern. VIII, 164 p. 8.
Trogen, U. Kübler, 05.
Whish, C. W.; Reflections on Some
Leading Facts and Ideas of His-
tory: their Meaning and Interest.
Preliminary Vol. with Chart
274 p. London, Simpkin, 06. 58.
Woker, Ph.; Das Toleranzprinzip
in seiner universalgeschicht-
lichen Entwicklung. Schweiz.
Bl. Wirtsch. u. Sozpol. 06. 1—2.
R.; Philadelphia's
Revolution. Yale Rev. 06. Vol.
XV. 1. p. 8-23.
Wutke, Konrad; Die Vergangen-
heit des Reichensteiner Berg-
baus. Schles. Ztg. 06. 480.
2. Alte Mittelmeerländer.
2. Les Etats méditerranéens
de l'Antiquité.
2. The old Countries of the
Mediterranean.
Drumann, W.: Geschichte Roms
in seinem Übergange von der
republikanischen zur monarchi-
schen Verfassung od. Pompejus,
Cäsar, Cicero u. ihre Zeitge-
nossen nach Geschlechtern u. m.
genealogischen Tabellen. XI,
9 p. gr. 8 2. Afl. 3. Bd.
Domitii-Juli. Leipzig. Born-
traeger. 06. Mk. 24,—.
Ferrero, G.; Grandeur et Déca-
dence de Rome. Ill. La Fin d'une
aristocratie. Trad. de l'italien.
par Urbain Mengin. IIl-339 p.
Referate. 685
GEORGES YVER. De Guadagnis (Les Gadaigne) mercatoribus florentinis
Lugduni, XVI° p. Chr. n. saeculo, commorantibus. Parisiis, 1902,
Cerf, 111 p. in-8°,
De toutes les compagnies florentines établies à Lyon, au XVIe siècle,
celle des Guadagni (Les Gadaigne) a 6t6 la plus célèbre. Deux de
ses chefs, trop souvent confondus par les historiens, Thomas I], fils de
Simon, et Thomas II, fils d'Olivier, et neveu du précédent, ont compté,
sous François Ie’, parmi les premiers financiers du royaume. Ce sont
ces Gadaigne que Mr Y. a tenté de nous faire mieux connaître.
Un premier chapitre (p. 1—17) traite de la „nation“ des Florentins
à Lyon. A partir du milieu du XVe siècle, en effet, des marchands
florentins viennent dans cette ville, attirés par les grandes foires qu'y
a linstituées Charles VII. Beaucoup y fondent des comptoirs, et s’y
fixent sans esprit de retour. En 1522, il n'y en a pas moins de quatre-
vingt-dix. Certaines rues leur sont réservées. Ils élisent des consuls,
qui jouent un rôle prépondérant dans les paiements des foires. Ils
jouissent de privilèges nombreux, qui les assimilent aux bourgeois de
la ville, mais doivent aussi, malgré leurs récriminations, se soumettre
aux charges communes.
Les Guadagni (chap. II) étaient déjà illustres dans leur patrie lors-
que, exilés par Cosme de Médicis (1434), ils émigrèrent en France.
Simon Guadagni le premier fit le commerce à Montpellier et à Genève.
Son fils, Thomas I, né en 1454, vint à Lyon en 1580 ou plus tard,
comme facteur des Pazzi. Il y fonda une maison de commerce (dra-
peries et banque), devint en 1505 consul des Florentins, et fit, & la fin
de 1506 ou au commencement de 1507, un riche mariage en épousant
Peronette Buatteri, veuve de Gonin Conomir. A partir de ce moment,
il apparaît comme un des représentants les plus en vue de la nation
florentine, au nom de qui il s’entremet dans les affaires les plus im-
portantes. Vers 1515, il entre en relations avec François Ie, à qui,
de concert avec d’autres marchands, il avance de l’argent. En 1518,
il rend pareil service au surintendant Semblangay, et à partir de 1520,
les prêts de ce genre se multiplient. En 1527 lors du procès de
Semblançay, on l’accuse de complicité avec celui-ci, et il doit se
réfugier à Avignon. Mais l’orage se passe, et les affaires de Gadaigne
prospèrent si bien qu'il devient maître d'hôtel et conseiller du roi et
qu’en 1526 il érige à ses frais une somptueuse chapelle dans l’église
N.D. de Confort. Après 1528 il renonce au commerce, et vit dans la
retraite à Avignon jusqu’à sa mort, survenue vers 1541 (p. 19-—52).
Son neveu, Thomas II, fils de son frère Olivier, est né à Florence
vers 1495. Très ieune, il se fixe à Lyon, obtient en 1525 des , lettres
de naturalité“, acquiert la terre de Beauregard, près de S' Genis Laval,
et en prend le titre. Lorsque son oncle quitte Lyon, il devient le chef
de la maison Gadaigne. Jusqu'en 1535, son activité nous est mal
connue. En 1536, il est élu échevin, et réélu, selon l’usage, en 1537.
Dans ces fonctions, dont il s’acquitte d'ailleurs assez inexactement, il
se trouve mêlé aux affaires de crédit engagées entre la ville et le
cardinal de Tournon. Nous savons aussi qu'il acquiert des terres en
36 8. Europäisches Mittelalter.
Cohen, Arth.; Die Verschuldung
des bäuerlichen Grundbesitzes
in Bayern von der Entstehung
der Hypothek bis zum Beginn
der Aufklärungsperiode (1598 —
1745). Mit e. Einleitg. üb. die
Entwicklg. der Freiheit der Ver-
függ. üb. Grund u. Boden unter
Lebenden im Mittelalter. Forsch.
z. Geschichte d. Agrarkredits.
XIX, 470 p. gr. 8. Leipzig,
Duncker & Humblot, 06
Mk. 10,80.
Davenport, Frances, Gardiner;
Economie Development of a
Norfolk Manor, 1086 bis 1565.
Map, 2 plates. 218 p. 8°. Lon-
don, Camb. Univ. P. 06. 105.
Traces from extant records changes
in economic conditions in the Manor
of Forncett, in Norfolk. .
Hosxap+-3anonsckif. [lonaraueckif
crpoñ anpesHeñ Poccin Bbue u
KHA3b. (Downar-Sapolsky: Politische
Ordnung des alten Rußland. Wetsche
und Fürst.) 63 p. M. 06. Rub. —,20
Ehwald, Karl; Das Heilig-Geist-
Hospital zu Frankfurt am Main
im Mittelalter. Ein Beitrag zur
Rechtsgeschichte der Stiftg. Il],
61 p. 8. Gotha, F. A. Perthes.
06. Mk. 1,20.
Fischel, Alir.; Studien zur öster-
reichischen "Reichsgeschichte. V,
342 p. gr. 8°. Wien, Hölder, 06.
Mk. 5,20.
Mährens staatsrechtl. Verhältnis zum
Deutschen Reiche u. zu Böhmen im
Mittelalter. — Christian Julius v.
Schierendorfi, e. Vorläufer des liberalen
Zentralismus im Zeitalter Josefs I. u.
Karls VI. — Die Kodifikationsgeschichte
des S 13 a. G. O. u. die Gerichts-
sprache in Böhmen u. Mähren.
Friedensburg, F.; Die schlesischen
Getreidepreise vor 1740. Z. d.
Vereins f. Gesch. u. Altertum
Schlesiens. 06. 40. Bd.
Gardiner, S.; Rawson, The Con-
stitutional documents of the Pu-
ritan Revolution, 1625—1660. 3d
ed. 64, 467 p. New York, Ox-
ford University Press, 06.
$ 2,60.
Gebauer, Max; Breslau’s kommu-
nale Wirtschaft um die Wende
des 18. Jahrh. Beitr. z. Städte-
geschichte. XI, 362 p. gr. 8°.
Jena, Fischer, 06. Mk. 9,—.
Gutmann, Frz.:; Die soziale Gliede-
rung der Bayern zur Zeit des
Volksrechtes. XII, 330 p. gr. 8°.
(Abh. aus d. staatswiss. Seminar
z. Straßburg i. E. Hrsg. G. F.
Knapp u. W. Wittich. 20. H.)
Straßburg i. E., Trübner, 06.
Mk. 8—.
Haase, Albert; DasPrivilegium d.
Dessauer Seilerinnung. Mitt.d.
Ver. f. Anhaltische Gesch. u.
Altertumskunde. 06. 3. p. 524-
4
Hauberg, P.: Danmarks Mynt-
væsen i Tidsrummet 11$6-—-
1241. (Das Münzwesen Däne-
marks während des Zeitraumes
1146 — 1241.) Avec un resume
en francais. Histoire monétaire
du Danemark de 1146 à 1241.
Med 6 Tavler. (Vidensk. Selsk.
Skrifter, 6. Række, historik og
filosofisk Afd. V, 3.) 80 p. 4.
(Host). 06. Kr. 4,4.
Herre, P.; Mittelmeerpolitik im
16. Jahrhundert. Histor. Vischr.
06. 3. p. 337—369.
Hertzog, Aug.; Der Tabakbau in
Lothringen u. der Metzer Tabak-
rummel von 1628. Landw.-hist.
Bl. 06. 6.
Hötzsch, Otto; Fürst Johann Mo-
ritz von Nassau - Siegen als
brandenburgischer Staatsmann
(1647 — 1672). Forschungen 7.
Brandenburg. u. Preuß. Gesch.
06. Bd. 19. 1. Hälfte. p. 89-113.
Hueppe, Ferdinand; Die Germanen
und die Renaissance in Italien.
Z. Soz. Wiss. 06. 7. 8. p. 508-512.
Janssen, J.; History of the Ger-
man People at Close of the
Middle Ages. Vols. 9, 10. 8°.
London, K. Paul, 06.
Immich, Max: Geschichte des
Europäischen Staatensvstems von
1660 bis 1789. XVI. 463 p. gr. 8°.
München und Berlin, R. Olden-
bourg, 05. Mk. 12.—.
Keutgen, F.: Hansische Handels-
gesellschaften, vornehmlich des
14. Jahrhunderts. Vischr. Soz.
u. Wirtsch. Gesch. 06. 3. p. 461
514,
Kopp, Arth.: Johann Balhorn
Druckerei zu Lübeck 1528 bis
Referate. 687
suffisante, puisqu'il néglige, entre beaucoup d’autres, les œuvres de
canonistes comme Hieronymus de Luca (De cambiis marcharumque diffe-
rentiis pro Lugduno, 1517), et de commercialistes comme Straccha (De
mercaturu seu mercatore, 1579). — Contrairement à ce qu’il indique
(p. 2 et 3), les foires de Genève n’ont point été éransportées à Lyon;
elles ont seulement été éclipsées par la concurrence des foires lyon-
naises (Cf. BOREL, Les foires de Genève au XVe siècle, 1892). Les
foires de Lyon n’ont été transférées à Bourges que jusqu'en 1487, et
non jusqu’en 1497 (p. 4); etc. |
Lyon. P. HUVELIN.
GEORGES YvER. Le commerce et les marchands dans l'Italie méridio-
nale au XIIIe et au XIV° siècle (Bibliothèque des écoles françaises
d'Athènes et de Rome, fasc. 88). Paris, 1903, Fontemoing, 139 p.
gr. in-8°, 12 fres.
L'idée qui domine le remarquable ouvrage de Mr Y. est la suivante:
L’av&nement de la dynastie angevine ne marque pas, pour les provinces
du Midi de l'Italie, le début d’une décadence commerciale. (Charles
d'Anjou, et ses successeurs, Charles IL et Robert (1265—1343) ne
rompent point avec la politique économique de Frédéric II, et ils se
comportent en dignes continuateurs du grand empereur.
On méconnaissait jusqu’à présent cette activité féconde des Ange-
vins. Mr X. rend ses conclusions inattaquables en les appuyant sur
un dépouillement approfondi des sources originales, puisées dans les
archives italiennes (Vatican, Venise, Florence, et surtout Naples): grâce
à lui nous surprenons sur le vif l'initiative intelligente des rois angevins.
Pour apprécier à sa valeur cette initiative, il faut d’abord connaître
l'œuvre de leurs devanciers, et spécialement de Frédéric II. Mr Y.
la retrace à grands traits dans son introduction (p. 1—6). Puis il
examine les conditions générales du milieu économique. Un premier
chapitre décrit la politique extérieure des Angevins. Ceux-ci, dominés
par l'ambition de reconquérir Constantinople et de reconstituer à leur
profit l'empire latin, cherchent sans cesse à étendre leur influence vers
l'Orient: en Tunisie, où le traité conclu après la mort de St Louis
leur assure des avantages commerciaux ; sur les côtes de la mer Ionienne,
où ils se taillent un domaine considérable aux dépens de l’empire grec;
sur les bords du Danube; en Tartarie, en Georgie, même en Perse,
où ils envoient des ambassades et des messages. Grâce à ces efforts
autant qu'à sa situation, le royaume de Naples devient l’entrepöt des
relations entre l'Orient et l'Occident. En même temps, les Angevins
acquièrent une situation prépondérante en Italie, en devenant les chefs
du parti de l'Eglise et des Guelfes, et par là le Midi sort du demi
isolement où il était jusque là demeuré; les alliés et les protégés du
roi de Sicile prennent le chemin de l'Italie méridionale (p. 6—22).
Quant à la politique intérienre des princes angevins, elle ne témoigne
point de visées désintéressées, de préoccupations vraiment sociales, Ils
ne sungent guère à assurer le bien-être de leurs peuples. Comme les
3. Europäisches Mittelalter. — 4. Neuzeit Europas, der europäischen Gründungen
38 und des Weltverkehrs.
gime. Vischr. Soz. u. Wirtsch.
Gesch. 06. 3. p. 515—562.
Trapenard, C.; Aliénations etUsur-
pations de Communaux dans le
canton de Champs (Cantal) au
XVIIe et XVIlle siècle. Nouv.
Rev. Histor. 06. 3. p. 277—329.
Vanderkindere, Léon; Liberté et
propriété en Flandre du IXe au
XIIe siècle. Bull. de la classe
des lettres. 06. 3. p. 151—174.
Derselbe; La notion juridique de
la commune. Bull. de la classe
des lettres. 06. 4. p. 193—219.
Wilainatz, Milan; Die agrar-recht-
lichen Verhältnisse des mittel-
alterlichen Serbiens. (Samm-
lung nationalôk. u. stat. Abh. des
staatswiss. Seminars Halle a. d.
S., hrsg. Joh. Conrad, Bd. 40.)
311 p. Jena, Gustav
Wopfner, H.; Das Almendregal d.
Tiroler Landesfürsten. (Forsch.
z. inn. Gesch. Österr. Heft 3.)
XIV, 170 p. gr. 8°. Innsbruck,
Wagner 06. Kr. 6,—.
Zenker, Luise; Zur volkswirt-
schaftlichen Bedeutung der
Lüneburger Saline für die Zeit
von 950—1370. VI, 84 p. gr. 8°.
(Forschungen zur Geschichte
Niedersachsens. Hrsg. v. histor.
Ver. f. Niedersachsen. I. Bd.
2. H.) Hannover, Hahn. 06.
Mk. 1,50.
4. Neuzeit Europas, der euro-
päischen Gründungen und
des Weltverkehrs.
4. Les Temps modernes.
4. Modern Time.
Ageorges, J.: Le Clergé rural sous
l’ancien régime. Sa vie et son
organisation. Epilogue: le röle
social du curé de campagne au
XVIIIe siècle; par Georges
Goyau. 62 p. 16°. (Science et
Religion. Nr. 394) Paris,
Bloud et Cic. 06
Alexander, De Alva Stanwood: A
political history of the State of
New York. 2 v. V. I. 1774—
1832; V. 2, 1833— 1861. 8, 405:
4, 333 p. New York, H. Holt &
Co., 06 $5
O0. . .
„A history of the movements of poli-
tical parties in the Empire State from
1777 to 1861, which traces the causes
of factional divisions into ..Buckteils”
and „‚Clintonians‘‘, ..Hunkers‘ and
„Barnburners‘‘, etc. If upon any spe-
cial feature, emphasis has been placed
on the astute methods and sources of
power by which the brilliant leaders,
George Clinton, Hamilton, Burr. DeWitt
Clinton, Van Buren, Seymour and
Thurlow Weed, each successively con-
trolled the political destiny of the
state. The author, who is a member
of Congress, hopes to complete the
work by a volume bringing it dowa to
1906. Index. 40. p-
ApaameBb, Tl. Tlposuruiarpuar
anMmHHHCTpaina BO PpaHuin B noc-
H'BAHIOK NOPy CTaparo LHOPAAKA.
1774—1789. Tiposanuianpabe HB-
TeHAAHTHI. T. Il. (Ardaschew: Die
provinzielle Administration in Frank-
reich während der letzten Jahre der
alten Ordnung. 1774—1789. Bd.
Il.) 733 p. 8°. Kies», 06. Rub. 2,75
Aron, G.; Etude sur les lois suc-
cessorales de la R&volution de-
puis 1789 jusqu’à la promul-
gation du Code civil. 47 p. 8.
(Extr. de la Nouv. Rev. hist. de
droit franc. et étrang.) Paris,
Larose. 06.
Bassieux, F.; Théorie des Libertés
gallicanes du parlement de Paris
au XVIIIe siècle. N. Rev. Histor.
06. 3. p. 330—350.
Battlehner; Die Ablösung der
Lenzkircher Holzberechtigungen.
Allg. Forst- u. Jagd-Ztg. 06.
August. p. 255-259,
Beck, L.; Die Familie Remy und
die Industrie am Mittelrhein.
Ann. d. Ver. f. Nassauische Alter-
tumskunde u. Geschichtsforschg.
06. 35. p. 1—129.
Bbneukifi, A. C60PHHKB NOKYMEHTOBb
My3ea rpapa M. H. Mypasbega.
T. I. (Beletzky: Sammlung der
Dokumente des Museums des Grafen
M. N. Murawjew. Bd. I.) 233 p.
4%. BurbHa, ,O-BO peBHHT. Pycck.
HCTOP. npocBbu.* 06.
Benn, A. W.; History of rationa-
lism in the 19th century. 8°.
London, Longmans & Co. 21 sh.
Bepnun, Tl. A. Tepmanin nakanynb
peBonmuin 1848r. Ouepxx o6mecr-
Referate, 689
Mercatura, XXXVHD)!) consacre aux foires de Pouille. PEGOLOTTI écrivait
précisément vers le temps de la mort de Robert. Mr Y. ne cite ici
cet auteur que de seconde main, d'après la Storia dei Banchieri de
PERUZZI, ouvrage sans critique et autorité médiocre: Aussi ne mentionne-
t’il pas quelques unes des foires que PEGOLOTTI recommande comme
bonnes aux marchands: celle de Tarente (26 avril); les trois foires
de Bari (6 mai, 28 sept. et 1er déc.); la foire de Trani (26 mai) etc.
M' Y. aurait encore pu tirer parti d’un manuscrit du XVe siècle, qui
porte le n° 911 du fonds italien à la Bibliothèque nationale de Paris
(CHIARINI, Qui commenca uno libro di tutti i costumi, cambi, monete,
pesi, misure e usange di lettere di cambi e termini...)?). Dans ce
recueil, de haut intérêt économique, un chapitre est consacré win fine
aux foires de Pouille (Di che tempo sono le fiere del reame di Puglia).
On pouvait s’en inspirer même pour le XIV® siècle.
A côté des routes et des centres d'échange terrestres, et avant eux,
il faut placer les routes et les centres d'échange maritimes. Le relief
tourmenté et l'étendue des articulations côtières de l'Italie méridionale
assurent en effet la prépondérance aux voies de mer sur les voies de
terre. (C'est par la mer que les relations économiques s’établissent
surtout. De nombreuses barques et des navires de faible tonnage,
appartenant aux autochtones, se livrent à la pêche ou pratiquent le
cabotage d'un port à l’autre (p. 127—134). Entre les ports du royaume
de Naples et la plupart des grands ports méditerranéens (Barcelone,
Marseille, Tunis, Bône, Bougie, Tripoli, Zara, Raguse, Rhodes, Fama-
gouste, Constantinople, Acre, Alexandrie) vont et viennent sans cesse
de gros navires, le plus souvent pisans, génois, marseillais, et rarement
angevins (p. 134-153), Les exactions des fonctionnaires, la barbarie
des habitants, les guerres fréquentes, la piraterie, gênent trop souvent
la circulation maritime. Les rois ne réussissent pas toujours à prévenir
les abus de pouvoir de leurs fonctionnaires et à garantir la sécurité
des navigateurs (p. 153—162). Tout au moins contribuent-ils à la
création de nouveaux ports, à l'entretien et à l'amélioration des anciens
(p. 163—170). Une mention spéciale doit être accordée à Naples, à
son port construit par Charles IT, à ses arsenaux et à ses quartiers
marchands, en un mot à tout cet outillage économique que la ville
doit à sa situation nouvelle de capitale, et qui lui permet de devenir
une des grandes villes commerçantes de la péninsule (p. 170—178). —
Sur tous ces points on regrettera quo l'auteur n'ait pas cru devoir
compléter ses développements par des cartes qui auraient éclairé le
groupement géographique des centres d'échange et les liens nécessaires
qui existent entre la position des marchés et certains facteurs, naturels
ou humains: M' Y. a vraiment trop négligé dans son livre le point
de vue anthropogéographique (proximité des lieux de production ou
1) Dans PAGNINI, Della decima, III, p. 165.
2) Cet ouvrage de CHrArını est peut-être le même que celui publié en 1481
sous le nom de Libro de mercatantie ed usance di paesi. Mais je n’ai pas
sous la main les moyens de contrôler cette identité,
LIL INIARUUIDS UL LIRE
Ss”. London, Longm
Lemmi, F.; Le origini
mento italiano (1789-
Anfänge des italieni:
gimento.) XII, 458
lano, U. Hoepli.
.Inöknextp, B N3® ucto
XIX 8. (Licbknechi
deutschen Geschichte
M. MsrkoßBt, (6.
Derselbe. KT B6HIeO®
pesonmuin. ITlepes.
AleKcaHıapoBof. (Zu
der März-Revolution.
Deutschen von W.
173p. 8°. CTIE. ,H
Maflkosp, TI. M. Bron
Co6ctsenunof E. MH. B.
1826 --1882. Hcropuuc
(Maikow: S. M. eig
zweite Abteilung.
Eine geschichtliche
722 p. 8°. CIIB. 06.
Mapkct, K. K:accoBas
Ppaxuiu. 1848—1850.
Klassenkämpfe in Fran
-&0.) 130 p. 8% 1
06.
Mémoires du general
Pépé, 1783—1540, |
Mouton. VII, 423 p.
Darrin & Cire 06
Referate. 691
d’ex&cuteurs testamentaires, répondent de leur obéissance aux lois du
pays, ét notamment du paiement des impôts (p. 196-215).
Presque toutes les nations commergantes sont représentées à Naples
et dans l'Italie méridionale au début du XIVe siècle, à l’exception
toutefois des Anglais et des Allemands. Mais certaines nations occupent
une situation prépondérante. Ce sont les Marseillais, les Provençaux
et les Catalans ip. 217—219); ce sont surtout les Italiens du Nord,
parmi lesquels il faut citer les Siennois (p. 221— 224); les Lucquois
(p. 224—227); les Pisans (p. 227—232); les Génois (p. 232—244), et,
au premier rang, les Vénitiens et les Florentins, dont la position respec-
tive varie avec les époques. Les Vénitiens dominent au XIIIe siècle
et dans la deuxième moitié du XIV® Leur influence manque s’effacer,
dans la première moitié du XIVe siècle, devant celle des Florentins,
à la suite d’un conflit politique et économique dont Mr Y. retrace
d’une facon fort intéressante les grandes phases. Mais, après et avant
cette crise, ils jouissent d'importants privilèges commerciaux: droit de
circuler dans tout le royaume, de 8’y établir, sous la sauvegarde royale,
d'y trafiquer, en payant des taxes inférieures même à celles des mar-
chands indigènes, d'y posséder; exemption des droits d’aubaine et
d’epave, etc. (p. 245—288). — Quant aux Florentins, leurs progrès
et leurs revers sont liés aux vicissitudes de la politique guelfe en
Toscane. Bailleurs de fonds de Charles d'Anjou, ils prennent pied
avec lui dans l'Italie méridionale, et y introduisent le commerce de
l'argent et du crédit. Les services pécuniaires qu'ils rendent à Charles IT
après les Vêpres siciliennes consolident leur situation. En garantie ou
en remboursement de leurs avances, ils recoivent la perception de nom-
breux droits fiscaux, ou l'exercice des nıonspoles jusque là réservés à
la royauté. Le règne de Robert marque l'apogée de leur puissance.
Ils font les frais de la guerre contre Henri VII, disposent de la tiare
en faveur de Jean XXII, créature du roi de Naples, et vont jusqu’à
se donner à Robert en choisissant pour seigneur son fils Charles, duc
de Calabre. On comprend qu'un tel dévouement n’est pas gratuit: les
Florentins reçoivent des privilèges exorbitants, grâce auxquels ils ex-
ploitent l'Italie méridionale et en drainent toutes les ressources. Il faut
lire particulièrement les pages suggestives où M" Y. retrace l’activité
fébrile dont témoignent, surtout de 1315 à 1325, les grandes compag-
nies syndiquées des Peruzzi, des Bardi, des Acciajuoli, et quelques
sociétés de moindre importance (p. 301 317), ou encore celles où il
rappelle les brillantes destinées de la famille des Acciajuoli (p. 329—334).
Mais, à partir de 1325, le déclin commence, car les conjonctures poli-
tiques deviennent moins favorables en Italie et hors d'Italie. La guerre
de Cent Ans rend difficiles les rentrées sur la France et l'Angleterre.
Les relations se refroidissent entre les banquiers florentins et le roi
Robert, qui s'enrichit volontiers en ne payant point ses dettes. Une
crise financière se déclare, où les compagnies les moins riches sombrent,
et d'où les autres sortent fort ébranlées. Les luttes intestines qui
déchirent Florence achèvent leur ruine. En 1345, les Bardi et les
Peruzzi eux-mêmes font faillite. L’essor des banquiers florentins dans
l'Italie méridionale est arrêté désormais.
4. Neuzeit Europas, der europäischen Gründungen und des Weltverkehrs.
42 ER Andere Wirtschaftskreise. Ostasien usw.
Gesch. Bayerns. 06. 1—2. p. 136
—141.
Swederus, M. B.: Bidrag till
Kännedomen om Sveriges Bergs-
handtering under Karl IX:s tid.
(Beitrag z. Kenntnis des schwed.
Bergbaues z. Zeit von Karl IX.)
Ternkontorets Annaler 05. p. 235
Taine, H.: Les Origines de la
France contemporaine. Ill. La
Revolution. L’Anarchie, T. ler.
25e éd. IV, 299 p. 16°. Paris,
Hachette et Cie. 06. Fr. 3,50.
Tapıe, E. Pons c TyaeHuecTBa Bb
PCROAMIO- WIOHHOMb JBHXKEHIH Bb
Erponb Bp 1848 r. (Tarle: Die
Rolle der Studentenschaft in der
revolutionären Bewegung Europas
im J. 1848. 28 p à CIIB.
.CBO6OZHEI À pyar“ 06. Rub. —,8
Tepentbeßp, M. À. Hauano pesonwuin
BP Poccin 9. Aus. 1905r. (Terentjew:
Der Anfang der Revolution in Ruß-
land am 9/22 Januar 1905.) 28 p.
80. CTIE.
Terlinden, Ch.: Guillaume ler, roi
des Pays-Bas, et l'Eglise catho-
lique en Belgique. 1814—1830.
Tome I: La lutte entre l'Eglise
et l'Etat. 1814—1826. XXII,
526 p. 8°. Brux. A. Dewit, 06.
Fr. 5.—.
Turner, F. J.; The South, 1820-30.
Am. Hist. Rev. 06. 3. p. 559-574.
Weidenkaff, Klaus; Die Anschau-
ungen der Franzosen üb. die
geistige Kultur der Deutschen i
Verlaufe des 18. u. zu Begi
des 19. Jahrh. VII, 55 p 8
(Geschichtl. Untersuch,, Pin
Karl Lamprecht. II. & E
Ootha, F. A. Perthes. os
Wintterlin, Frdr.; Die Organisati
nen König Wilhelms L bis zu
Verwaltungsedikt 1822. QG
schichte der Behôrdenorganis
tion in Württemberg. Hrsg.
der Kommission für Landesg
schichte. 2. Bd.) XI, 3%
gr. 8. Stuttgart, W. Kobe
mer. Mk. 3!
Wischnitzer, M.; Die Universi
Gôttingen und die Entwickte
der liberalen Ideen in Rußle
im ersten Viertel des 19, Ja
hunderts. Diss. 39 p. 8°. B
lin. 06.
5. Andere Wirtschaftskrek
Ostasien usw.
5. Autres Groupes &com
miques.
5. Other economic
The East etc.
Muck, M.; Die Trugspiegelt
orientalischer Kultur in den v
geschichtlichen Zeitaltern No
europas. Mitt. d. Antropei
Gesellsch. in Wien. 06. 3/4.
53-91.
—3—-
Buchdruckere: Paul Dünnhaupt, Côthen.
Referate. 693
quatre coins de son livre. Rien sur l'agencement des établissements
de vente et d’achat (les comptoirs, les boutiques, les magasins, les
entrepôts, les ports, etc.); aucune esquisse d'ensemble sur les moyens
de transport!); rien sur la durée et la division des foires; peu de
chose sur la condition des marchands (comment vivaient-ils? quelle
était leur place dans la société ? quelle était l’&ducation d’un marchand ?
comment s’accomplissait sa carrière? etc.); aucune étude statistique
sur les prix des principales marchandises an lieu d'origine et au lieu
de vente, sur le coût des transports (cf. pourtant p. 148, n. 1) et de
la manutention, sur les bénéfices réalisés, ni sur les fortunes commer.
ciales. Peu de chose enfin sur les usages et lé droit du commerce.
On devine, par certaines citations, que M' Y. a eu entre les mains
des documents intéressants, permettant d'étudier le prêt à intérêt ?),
la constitution des sociétés de commerce), la règlementation des
faillites #). Il n’en a point tiré parti. Les papiers de crédit et effets
de commerce auraient pu aussi retenir son attention, s’il est vrai que
c'est dans l'Italie méridionale qu'ils sont parvenus à une phase décisive
de leur évolution: on connaît en effet la pratique suivie, sous Frédéric II,
par l'administration souabe pour le règlement des dettes royales: on
autorisait les créanciers à se faire payer sur telle ou telle recette
locale”), et on leur remettait à cet effet un avis de paiement, en
forme de lettre close®) adressée au comptable compétent. On a soup-
çonné ?) que cette lettre close — qu'il ne faut point confondre avec
le titre récognitif de dette remis originairement aux créanciers (lettre
patente) — se rapproche de la lettera di pagamento, devancière de la
traite. Il eût été particulierement intéressant de rechercher si la
chancellerie angevine a suivi en cette matière les mêmes usages que
la chancellerie souabe, et si la lettera di pagamento a pris dans l'Italie
méridionale, au XIIIe siècle, un essor plus rapide que dans le reste
de la péninsule), Mr Y. n’a fait aucune allusion à tout cela. Lacune
plus surprenante, il a même à peine prononcé les noms des grands
statuts maritimes appelés Table d’Amalfi et Ordinamenta de Trani.
Je sais bien que leurs premières rédactions sont peut-être (?) antérieures
1) Cf. p. 69 au bas, et 70.
2) Il ne lui donne que deux petites pages (68—60), à propos de la ré-
pression de l'usure.
3) Voy. p. 336 et sqq.
4) P. 39, 2; p. 317.
5) Cf. p. 357 et sqq.; 380 et sqq.
6) Cf. p. 359—360; p. 872, 3 (texte se rapportant vraisemblablement à
une traite); p. 386.
7) FREUNDT. Das Wechselrecht der Postglossatoren. Leipzig, 1899, p. 26
et sqq.; HUVELIN, Travaux récents sur Phistoire de la lettre de change.
Ann. de dr. commercial, 1901, p. 9.
8) Cela serait encore rendu vraisemblable pas ce fait que c’est en Sicile,
et à Naples que nous voyons apparaître, vers le XVIe siècle, l’endossement.
(girata). Voy. les documents publiés par CUSUMANO, Storia dei banchi della
Sicilia, 1887 —1892, et AJELLO, I depositi, le fedi di credito e le polisse dei
banchi di Napoli. Filangieri, VII (1882), p. 641—665; 703-775, — que
Mr Y. ne paraît pas avoir connus.