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Full text of "Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte"

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Merteljahrsehrift 









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Unter ständiger Mitwirkung 


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Dr. GeorGEs EsrinAs (Paris), Prof. Dr. HENRI PIRENNE (Gent), 
Prof. Dr. Gius. SALVIOLI (Neapel), Prof. P. VINOGRADOFF (Oxford) 


herausgegeben 
von 
Prof, Dr, ST. BAUER Prof, Dr. G. von BELowW 
in Basel in Freiburg i. Br. 
Dr. L. M, HARTMANN 
in Wien 


Hedaktionssekretär: Dr. Kurr KASER in Wien 


IV. Band 


Verlag von W. Kohlhammer 
Bertin W. 35 Stuttgart Leipzig 
Defingerstrasse 16 Urbanatrasse 14 Rossplatz 16 


1906 


_ Alle Rechte vorbehalten. 


Druck von W. Kohlhammer in Stuttgart. 


Inhalt des vierten Bandes. 


L Abhandlungen. 


Wirricu. W., Altfreiheit und Dienstbarkeit des Tradels in Nieder- 
sachsen . 

CARCOPINO, JÉRÔME, La Sicile Agricole au dernier Siècle de la Répu- 
blique Romaine . . 

BissE, ALEXANDER, Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen 
Mittelalter und die Bedeutung der Wikinger für die Entwicklung 
des europäischen Handels und der europäischen Schiffahrt . . 

KET!GEN, F., Hansische Handelsgesellschaften, vornehmlich des 14. Jahr- 
hundert-_ ee ee 

PuEeNNE, HENRI, Note sur la fabrication des tapisseries en Flandre 
au XVIe siècle . 

Bu,wexop, G.. Gand et la Circulation des Grains « en Flandre, ‘du XIVe au 
XV IIIe siècle . 

Kr: toEN, F., Hansische Handelsgesellschatten, vornehmlich des 14. Jahr- 
| bunderts (Forts.) 

TELE, OTTOMAR, Dr. Francois Quesnay und die Agrarkrisis den Ancien 

regime 

ARriroEN, F. Hansise he Handelsgevellschaften, vornehmlich des 14. Jahr- 
huuderts (Fortsetzung und Schluß) . 

Tii:ELE. OTTOMAR, Dr., François Quesnay und die Aurarkrisie im Ancien 
R:-gime (Fortsetzung und Schluß) 


II. Miszellen. 


A'XHNE. Karl. Der .faber publice probatur® der Lex Alam. LXXIV 5 


WorrxEr, H. Freie und unfreie Leihen 
HARTMANN. Li po M., Bemerkungen zur italienischen und "fränkischen 
Precaria 


nr. PH. Die kleinen Grundbesitzer der brevium exemplu 


BE: Kk. PH. Die neue Hantgemaltheorie Wittichs . 
_HAKLETY, S. La vie économique de Lyon sous Napoléon . 
FARBAGHALLO, CORKADO, Tl prezzo del frumento in Ispagna, in Africa 
+ ın Oriente durante l'età imperiale romana 
MusiwELL. R. J. Au early Bill of Lading and Charter-party 
IH. Literatur. 


BEI“ HEIL. SIEGFRIED, Das Burggrafenamt und die hohe Gerichts- 
barkeit in den deutschen Bischofsstädten während des früheren 
Mittelalters. Besprochen von HEINRICH VON LiescH . 


196 


IV Inhalt des vierten Bandes. 


V. SOMMERFELD, W., Beiträge zur Verfassungs- und Ständegeschichte 
der Mark Brandenburg im Mittelalter. 1. Teil. Besprochen von 
HANS FEHR 0000 

1. ESCHENBURG, B., Das Liegenschaftswesen im lübeckischen Staats- 
gebiet. 

2. REHME, P., Die Lübecker Grundhauern. 

3. FEHL ING, E. F., Lübeckische Stadtgüter, Bd. I. li. Besprochen von 
Carl. MONO. rn 

BirrERAUF, THEODOR, Die Traditionen des Hochstifts Freising, I. Ra. 
(744 —996). Besprochen von SIEGFRIED RIETSCHEL 

RIEZLER, SIGMUNXD, Nachtselden und Jägergeld in Bayern. Im Anhang: 

„Jägerbücher des Herzogs Ludwig im Bart von Bayern“. Be- 
sprochen von SIEGFRIED RIETSCHEL . 

FLAMM, HERMANN, Der wirtschaftliche Niedergang Freiburgs i. Br. und 
die Lage des städtischen Grundeigentums im 14. und 15. Jahrhundert. 
Besprochen von F. KEUTGEX. 

Ernst, Die direkten Staatssteuern in der Grafschaft Wirtemberg. Be- 
sprochen von Lipwıs BITtNER. 

v. VOoLrELINI, HANS, Die ältesten Pfandleihbanken und Lombarden- 
privilegien Tirols. Besprochen von FEHOR SCHNEIDER 
DAHLMANN-WArrz, Quellenkunde der deutschen Geschichte. Besprochen 

von G. v. BELOW . 

DEMANGEON, ALBERT, La Picardie et les régions voisines, Artois- Cam- 
brésis-Beau vaisis. Besprochen von ÉTIENNE CLouzor . 

Pıvaxo, S., 1 contratti agrari in Italia nell’alto melio evo. Torino 1904. 
XV und 338 SS. 

SCHUPFER, F., Precarie e livelli nei documenti e nelle leggi dell’alto 
medio evo. Torino 1906. 116 SS. (Estr. dalla Rivista italiana 
per-le scienze giuridiche vol. XL fasc. 1—IIJ). 

Leichte, P. S., Livellario nomine. Össervazioni ad alcune carte Ami- 
atine del secolo nono. Torino 1905. 69 SS. (Estr. dagli Studi 
Senesi in onore di Luigi Moriani.) Besprochen von L. M. Harman 

YvER, GEORGES, De Guadagnis (Les Gadaigne) mercatoribus florentinis 
Lugduni, XVI‘ p. Chr. n. saeculo, commorantibus. Parisiis 1902, 
Cerf, 111 p. in-8". 

YvER, GEORGES, Le commerce et les marchands dans l’Italie méridionale 
au XITIe et au XIVe siècle (Bibliothèque des écoles françaises 
d'Athènes et de Rome, fasc. 88). Paris 1903, Fontemoing, 489 p. 
gr. in-8°, 12 fres. Resprochen von P. HUVELIX . 

Untersuchungen zur Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, heraus- 
gegeben von Dr. Oro GIERKE, Professor der Rechte an der Uni- 
versität Berlin. 84. Heft. Das spätwittelalterliche Niedergericht 
auf dem platten Lande am Mittelrhein von Dr. GEORG GROSCH. 
Breslau, Verlag von M. & H. Marcus, 1906. Preis 3 Mark. Be- 
sprochen von Dr. WIiLHELM FABRICIUS V. . . 


Anhang. 


Bibliographie der Social- und Wirtschaftsgeschichte für die Monate April 
bis September 1906. Bearbeitet vom Internationalen Institut für 
Social-Bibliographie in Berlin . . . 


Nachruf. 
BRESSLAU, H., Theodor Ludwig 


204 


210 


380 


382 


383 


389 


391 


393 
563 


68% 


695 


1—30 


221 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 
Von 
W. Wittich (Straßburg). 


8 1. Die bischöflich hildesheimische Dienstmann- 
schaft im 11. und 12. Jahrhundert. 


Im Mittelpunkt des niedersächsischen Landes liegt das altbe- 
rühmte Bistum Hildesheim, dessen reiche Urkundenschätze in den 
letzten Jahren in musterhafter Weise publiziert worden sind !). 
Wir beginnen daher die Untersuchung unseres Problems in 
diesem Gebiete. 

Die Ministerialität der Bischöfe von Hildesheim war eine Ge- 
nossenschaft persönlich unfreier Personen und Geschlechter, die 
sich dadurch vor den übrigen Hörigen auszeichneten, daß sie be- 
sondere, ehrenvolle Dienste am Hof des Bischofs verrichteten. 
Die Genossenschaft der Ministerialen besaß bestimmte Vorrechte 
vor den übrigen Hörigen, die alle in dem sogenannten Dienst- 
recht aufgezeichnet waren. Das Dienstrecht stellte zunächst weit- 
gehende Milderungen der Hörigkeit fest, grenzte ihre Dienst- 
verpflichtungen genau ab, bestimmte ihre Ansprüche dem Bischof 
gegenüber, besonders auf die ihnen von diesem verliehenen Hof- 
lehen, und verbürgte ihnen das Recht, in dienstrechtlichen Sachen 
von ihren Genossen gerichtet zu werden. Schon die älteste 
Urkunde, die sich mit den Ministerialen beschäftigt, zeigt deren 
hervorragende Stellung ‘*). Im Jahr 1073 hatten sich die hildes- 
heimischen Ministerialen gegen ihren Herrn, den Bischof Hezilo, 
empört. Zur Entscheidung dieser Streitigkeiten zwischen beiden 
Parteien hielt der Bischof von Halberstadt ein marchiale collo- 
quium, wohl ein Gericht seiner Dienstleute, ab, vor dem die 
hildesheimischen Dienstleute erscheinen sollten. Bischof Udo gab 
im Jahr 1092 seinen Ministerialen und ihren Töchtern unbeschränkte 


Heiratsfreiheit innerhalb und außerhalb der Genossenschaft und 
Vierteljabrschr. f. Bocial- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 1 


2 W. Wittich 


bestätigte ihre althergebrachte Freiheit von der bumiete genannten 
Heiratsabgabe?).. In beiden Urkunden tritt uns also schon zu 
Ende des 11. Jahrhunderts die Ministerialität als eine hochberech- 
tigte und angesehene Korporation entgegen, der der Bischof nur 
mit Mühe Herr werden konnte. 

Dig Anzahl dieser Diensimannenfamilien scheint ureprüng- 
lich nicht ‘sehr bedeutend ‚gewesen zu sein‘) In der Ür- 
kunde des Bischofs Udo vom Jahr 1092 über die Heiratsfreiheit 


nur acht mit ihren Vornamen bezeichnete Dienstmannen als 
Zeugen. Immerhin ist anzunehmen, daß bei dieser Verhandlung 


dienst, besonders den Dienst zu Roß, für 


gtatietische Hindernisse. „Aie Zahl der Ministerialen ist, soweit 
ungere Nachrichten reichen, von Anbeginn an unverhältnismäßig 
größer Sowohl Warrz wie auch Heck 'bleipen einen 
quellenmäßigen Beyeis ihrer Auffassung schuldig. Eine Stafistik 


der Ministerialen irgend eines Herrn besitzen wir aus der Frühzeit 
Er ee Zu - à : Dr 7) 8 » . ‘3588 ee . 1, ara 
wenigstens nicht. Dagesen befonen die ältesten und wichtigsten 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 3 


Dienstrechte, wie das Bamberger und Kölner Ministerialenpecht, 
übereinstimmend mit dem Sachsenspiegel, daß sämtliche Dienst- 
manpsgeschlechter zu einem der vier oder fünf Hofämter geboren 
und ye flichtet, zur Leistung anderer Dienste aber nicht ver- 
bunden seien ®). Diese auffallende und durch ihre Allgemeinheit 
in den süd- und norddeutschen Dienstrechten doppelt bemerkens- 
werte Bestimmung kann meines Erachtens nur durch die An- 
nahme erklärt werden, daß ‘die Ministerialität als bevorzugte 
Klasse der Hörigen aus den vier Hofämtern hervorgegangen ist. 
HECK behauptet gerade das Gegenteil und sagt mit besonderer 
Beziehung auf den Satz des Sachsens iegels: „Nach dem Spiegler 
ist die Zugehörigkeit zu einem | Hausamt Folge und nicht Grund- 
lage ‘der Dienstmannschaft. Die eventuelle Bekleidung eines 
Hausamtes ist Standespflicht“. Es ist meines Erachtens ganz 
unmöglich, der unten“) im Wortlaut angeführten Stelle diesen 
Sinn unterzulegen. Sie Bagt nicht, wie HEck will, der Ministerial 
muß eventuell ein Hausamt bekleiden, sondern, alle Dienstleute 
sind geborene Truchsessen, Schenken, Marschälle oder Kämmerer. 
Hofamt und Dienstbarkeit sind untrennbar. Die Dienstmann- 
schaft besteht auch nach dem Sachsenspieg gel, wenigstens formell, 
aus den zu den vier (fünf) Hofämtern geborenen Geschlechtern. 
Damit aber weist die Stelle wie alle andern deutlich auf die Ent- 
stebung der Ministerialität aus den Hof- und Hausämtern bin. 
Welchen Familien diese Dienstleute der frühesten Periode an- 
gehörten, ist nur bei den allerwenigsten festzustellen, da sie nur 
mit dem Vornamen aufgeführt werden. Bis zum Jahre 1130 
lassen sich drei Familien mit Sicherheit unter den aufge- 
zählten Vornamen ermitteln’). Am frühsten erscheinen die 
Familie von Tossem mit dem Kämmerer Ekbert und die Familie 
der Truchsessen wit dem Dapifer Ernst. Die Truchsessen ge- 
hören höchstwahrscheinlich der Familie von Ochtersum an ®), Der 
als Ernst yon Ochtersum erscheinende Ministerial ist w: ahrschein- 
lich mit dem Truchseß Ernst identisch. Es sind also zwei der 
zroßen Amtsgeschlechter, die uns zuerst mit Deutlichkeit unter 
den Ministerialen erkennbar werden. Die dritte Familie endlich, 
die in so früher Zeit in der hildesheimischen Ministerialität er- 
scheint, ist die Familie von Eilstrenge. Bereits im Jahr 1125 


4 W. Wittich 


werden die drei Brüder Volcoldus, Eizo und Ruthericus als Zeu- 
gen in der Stiftungsurkunde des Klosters Marienrode aufgeführt. 
Jedoch erst 25 Jahre später, im Jahr 1150, treten sie mit ihrem 
Geschlechtsnamen auf. Nur wenige Jahre später als die Familie 
von Eilstrenge wird mit dem Vogt Liutoldus’) der erste An- 
gehörige der hochangesehenen Familie der Herren von Altenmarkt, 
die auch Herren vom Werder (insula) oder Vögte von Hildesheim 
heißen, erwähnt. Zu gleicher Zeit taucht die Familie der Herren 
von Altendorf (de veteri villa), der ersten Inhaber des Schenken- 
amts, auf”). Jedoch erscheinen neben diesen beiden Amts- 
geschlechtern schon eine ganze Anzahl von Ministerialgeschlechtern, 
wie die Herren von Lengede (ao. 1131), von Mehle (Midelen), 
Machtigoshusen, Rössing, Hottenem (Hotteln), wohl Ministerialen 
des Klosters St. Michael, Elvede (Elbe), Milenheym, Malerde, 
Alesburg, Gilide (ao. 1132—1141)!°). Die Zahl mehrt sich dann 
so, daß bis zum Jahr 1182, also im Zeitraum von 50 Jahren, 
etwa 75 Ministerialenfamilien urkundlich erwähnt werden. Nun 
ist es allerdings nicht sicher, ob alle durch besondere Ortsbezeich- 
nung (de X) hervorgehobenen Persönlichkeiten auch einem be- 
sonderen Geschlecht angehörten. Bei einigen läßt sich die 
Familienzusammengehörigkeit der nach verschiedenen Orten sich 
nennenden Personen unzweifelhaft nachweisen. Ein Beispiel 
unter vielen bietet die Familie der Vögte, deren Angehörige bald 
unter dem Namen von Altenmarkt, bald als Herren de insula, 
bald als advocati de Hildesheim, bald als advocati montis er- 
scheinen. Trotzdem ist die Zahl der als solche unterscheidbaren 
Familien noch immer sehr beträchtlich. 

Für unsere Untersuchung kommt nun zunächst die Frage 
nach dem Ursprung dieser hildesheimischen Ministerialität in Be- 
tracht. Es kann meines Erachtens keinem Zweifel unterliegen, 
daß die Ministerialität aus der Hörigkeit hervorgegangen ist. 
Wie das Institut selbst sich an die Formen der Hörigkeit an- 
lehnt, ja eigentlich eine besondere, allerdings sehr gemilderte 
Hörigkeit darstellt, so sind auch die Familien, die den Grund- 
stock und ältesten Bestandteil der Dienstmannschaft gebildet 
haben, ursprünglich Hörige des Bischofs gewesen !). Diese all- 
gemein anerkannte Tatsache braucht für die hildesheimischen 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 5 


Verhältnisse nicht besonders erwiesen zu werden. Ich will 
nur einige bezeichnende Hinweise der Quellen hervorheben. So 
nennt Bischof Hezilo in seinem Brief an Bischof Burchard II. 
von Halberstadt seine aufrührerischen Ministerialen (servientes) 
mancipia'!), und erst Bischof Udo, Hezilos Nachfolger, gibt 
den bischöflichen Ministerialen und ihren Töchtern vollkom- 
mene Heiratsfreiheit und erläßt ihnen die alte Hörigkeitsab- 
gabe der bumiete, die sie bisher bei ihrer Verheiratung zu 
zahlen verpflichtet waren'?). Allerdings sagt der Bischof aus- 
drücklich, daß die Abgabe früher nicht bestanden habe und von 
seinen Vorgängern zu Unrecht auferlegt worden sei. Aber ab- 
gesehen davon, daß neue Privilegien häufig in der Form von 
Wiederverleihung alter Rechte erteilt wurden, läßt der Umstand, 
daß die Abgabe überhaupt einmal erhoben wurde, einen ziemlich 
sicheren Schluß auf ihre ursprüngliche Existenz und damit ver- 
knüpfte Freiheitsbeschränkung zu. Endlich sehen wir, daß auch 
in späterer Zeit Hörige durch einen Akt des Herrn, allerdings 
wohl nur mit Zustimmung der übrigen Dienstmannen, in die 
Ministerialität aufgenommeu wurden!?), Alle diese Umstände 
erweisen deutlich die älteste Natur des Instituts und die Herkunft 
seiner ersten Angehörigen. 


& 2. Urkundliche Überlieferung über den Eintritt 
Freier in die Ministerialität. 

So wenig nun ein Zweifel über die Hörigkeit des Grund- 
stocks der Dienstmannschaft bestehen kann, ebenso sicher ist, 
daß die Ministerialität des Hildesheimer Bischofs im Laufe des 
12. Jahrhunderts und wohl auch schon in früherer Zeit durch 
Ergebung altfreier Geschlechter in das Dienstverhältnis einen 
sehr beträchtlichen Zuwachs erfahren hat. Über das quantitative 
Verhältnis dieses Zuwachses zum altministerialischen Grundstock 
soll erst später gesprochen werden. Wir müssen zunächst auf 
die bisher nur in ihren Hauptzügen bekannte Erscheinung 
als solche näher eingehen. Die positive Überlieferung ist 
sehr spärlich; immerhin geben die erhaltenen Urkunden ein 
ziemlich deutliches Bild des Vorgangs'*). Aus dem Gebiet 
des Bistums Hildesheim sind uns drei Ergebungen sicher be- 


6 W. Wittich 


4 #38 


beiden Dörfern, drei Mühlen ünd drei Hüfen mit drei Hörigen 
daselbst, weitere Güter in benachbarten Dörfern und endlich die 
Vogtei über den ganzen Besitz, alles ebenfalls als Lehen für sich: 
und: seine Erben. Ich habe den Inhalt dieser Urkunde ausführ- 
lich wiedergegeben, weil sie ein typisches Beispiel einer solchen 
Ergebungsurkunde darstellt und vor allem die Gründe für den 
Eintritt freier Herren in die Dienstmannschaft eines reichen 
Kirchenfürsten deutlich hervortreten läßt. Für die Hingabe 
von Person und Erbe erhält der neue Ministerial den Güter- 
bestand des Erbes reich vermehrt, vielleicht verdoppelt als 
Hof- oder Ministerialenlehen wieder zurück. In späterer Zeit 
wurde wahrscheinlich nicht einmal die Aufgabe des Eigentums- 
rechts am Erbe mehr gefordert ?). Der Ministerial blieb, allerdings 
gewissen Beschränkungen unterworfener, Eigentümer seines Erb- 
sutes und nahm nur die neu verliehenen Güter als Hoflehen '°). 
Auch aus dem 13. Jahrhundert sind uns noch verschiedene Er- 
rebungen in die Ministerialität Bekannt, jedoch scheint die Haupt- 
masse der Ergebungen in das 12. Jahrhündert zu fallen. Diese 
Annahme kann allerdings nicht aus der positiven Überlieferung 
geschöpft werden. Die wenigen uns erhaltenen Ergebungsurkunden 
verteilen sich ziemlich gleiehmäßig auf das 12. und 13. Jahrhundert. 


Altfreibeit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 7 
. Eine der tn de reichere Quelle bilden die Standeäbezeich- 


ver "rt 


Freie und am Schluß dië Ministerialen. In diesen ru AE 5 sehen 
wir nun zahlreiche Einzelpersonen und Familien in wechselnder 
Stellung auftreten. In den älteren Urkunden erscheinen sie unter 
den Freien oder werden ausdrücklich als solche bezeichnet, in 
den späteren Urkunden werden die gleichen Personen oder un- 
zweifelhafte Mitglieder ihres Geschlechts als Ministerialen aufgeführt. 
Wenn die Identität der Person oder bei mehreren Personen die 
Gleichheit der Familie zu erweisen ist, so muß aus dem Wechsel 
der Standesbezeichnung auf den Eintritt der betreffenden Person 
oder Fämilie in die Ministerialität geschlossen werden. Ein 
solcher Eintritt konnte erfolgen durch Ergebung oder durch Ge- 
burt von einer ministerialischen Mutter!”). Den ersten Fall haben 
wir bereits erörtert, nicht minder wichtig aber ist der zweite Fall. 
Nach altem Hörigkeitsrecht folgt das Kind der Mutter, d. h. bei 
ungleichen Ehen kam die ganze Nachkommenschaft unter die 
Dienstmannsghaft des Herrn ‚der Mutter. Mochte ein Freier oder 
ein fremder Ministeriale eine Ministerialin des Hildesheimer Bischofs 
heiraten, die ganze Nachkommenschaft ging in die stiftische 
Dienstmannschaft über. So konnte eine ministerialische Heirat 
einen ganzen Zweig eines freien Geschlechts dienstmännisch 
machen '"). Welche Art des Eintritts die meisten Freien der 
Dienstinännschaft zuführte, ob Ergebüng oder Heirat, diese Frage 
ist natlirlich schwer zu beantworten. Jedoch möchte ich anhehmen, 
dad ‚zuerst ‚die Ergebüngen vorketrschten, die Heiräten. aber ent- 
wätel!®). Ih späterer Zeit, als die Ministerialität durch wachäen. 
deh Reichtum uiid Einfluß, besonders aber durch Aufnähine zahl- 
reichör ältfrelet Geschlechter, nahezu eine soziale Gleichstellung 
it den Freien Riltern erläigt hätte, mögen die Heiraten Freier 
mit Töchtern reicher Ministerialen so Häufig gewesen sein, daß 


8 W. Wittich 


die meisten Freiengeschlechter auf diesem Wege in die Dienst- 
mannschaft eintraten. Für unsere Betrachtungen kommt der 
Unterschied des Übergangs nur wenig in Betracht. Dieser Über- 
gang aus der Freiheit in die Ministerialität läßt sich nun bei 
etwa 32 stiftischen Dienstmannsgeschlechtern entweder bestimmt 
erweisen oder wenigstens sehr wahrscheinlich machen. Die bischöf- 
lichen Ministerialenfamilien, deren Altfreiheit auf diese Weise mit 
Sicherheit zu erweisen ist, sind die folgenden: 


Lengede !?®), Rhüden °F), 

Heere ?), Heckenbeck 1°!) 

Lewe !?°), Holthusen !?=) (Wrisbergholzen), 
Cantelsheim !?4), Flöthe !?»), 


Dalem °°), (in ihrer welfischen | Mahner !?°), 
Abzweigung Vögte von Braun- | Piscina!?P) (Dike), 


schweig genannt) Werre !?«a) (Wehre), 
Tidekesheim !?f) (Tidexen), Haringen '?), 
Bornum-Eimessem !?e), Burgdorf?) (ob bischôfliche P, 
Saldern !®b), sicher welfische Dienstleute), 
Garbolzum !9), Schwanebeck 1!°t), 


Es sind im ganzen 19 Geschlechter. Höchst wahrscheinlich 
als altfrei zu bezeichnen sind die Dienstmannsgeschlechter 


Merdorp *°®), Volkersem ?°e) (Völksen), 
Geitelde *°+), Ohlum-Hohenhameln *°?), 
Dingelstedt *°°), Vögte von Gandersheim ?°'), 
Bönnien ?°4), Rössing °F), 

Hachem ?°®), Altenmarkt-Escherde ?°'), 
Freden ?°?), 


Weiterhin wäre dazuzurechnen die Familie von Schiltberg °°), 
die jedoch nur in der welfischen Ministerialität erscheint, 
und die Familie von Remstede (Reinstede)*°"), deren An- 
gehörige freie Lehnsleute der Bischöfe von Hildesheim waren. 
Jedoch scheint das letztere Geschlecht, dessen Stammsitz außer- 
halb des Stiftsgebietes lag, unter eine fremde Dienstherrschaft ge- 
- kommen zu sein. Der Zeitpunkt, in dem diese Geschlechter in 
die Ministerialität eingetreten sind, läßt sich natürlich nur bei den 
wenigsten mit Sicherheit bestimmen. Während der hundert Jahre, 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 9 


vom Beginn des 12. Jahrhunderts bis zum Beginn des 13. Jahr- 
hunderts, fanden die Übertritte statt, die meisten wohl in der 
ersten Hälfte des Jahrhunderts. Obwohl die Zahl der so mit 
völliger oder annähernder Sicherheit als altfrei zu erweisenden 
Ministerialengeschlechter nicht klein ist, so lassen sich doch sicher 
längst nicht alle altfreien Ministerialengeschlechter auf diesem 
Wege als solche erweisen; denn der Nachweis der Altfreiheit 
hängt in der Hauptsache von der Erwähnung eines unzweifelhaft 
zur nachmaligen Dienstmannsfamilie gehörigen Mitgliedes unter 
der Zahl der Freien ab. Diese Erwähnung muß aber entsprechend 
der Beschaffenheit der überlieferten Nachrichten in der Regel in 
einer bischöflichen Urkunde stattfinden. Nun erscheinen die 
Freienfamilien nur dann als Zeugen bei Geschäften des Bischofs, 
wenn sie von ihm belehnt waren oder eine hervorragende Stellung 
innehatten ?’). Diese Eigenschaften fehlten gerade den zahl- 
reichen kleinen Freienfamilien, und daher werden diese in den 
älteren Urkunden überhaupt nicht aufgeführt. Erst nach ihrem 
Eintritt in die Dienstmannschaft erscheinen auch sie in den 
Zeugenreihen der bischöflichen Urkunden. Wir lernen sie daher 
nur als Ministerialen kennen, über ihre frühere Standeszugehörig- 
keit können wir nichts aussagen. Obwohl so die Überlieferung 
gerade für die Beantwortung der uns beschäftigenden Frage sehr 
ungünstig beschaffen ist, so lassen sich doch eine Reihe von Merk- 
malen feststellen, die die Altfreiheit zahlreicher, sonst nicht als 
frei erwähnter Dienstmannsfamilien ziemlich sicher erscheinen 
lassen. Zur Bestimmung dieser Merkmale müssen wir zunächst 
einen Blick auf die Verbreitung der Altfreiheit im Gebiete des 
Bistums etwa zu Ende des 12. Jahrhunderts werfen. 


$ 3. Die landrechtliche Verfassung und die Ver- 
breitung der Freiheit im Gebiete des Bistums. 


Noch war die alte landrechtliche Verfassung, die uns der 
Sachsenspiegel überliefert hat, in ihren Grundzügen erhalten. 
Diese landrechtliche Verfassung hatte zwei Grundpfeiler, auf 
denen sie ruhte, und mit deren allmählichem Verschwinden sie 
ebenfalls langsam in sich zusammensank. Diese Grundpfeiler 
waren die freien Grundeigentümer und das Grafengericht, das 


10 | W. Witlich 


eclite Ding des Gates oder Grafschaftsbèzirks. Betrachten Wir 
zuhächst dés Grafeñgericht. Es ist bekannt, daß gerade im 
Diözesangebiet des Hildesheimer Bischofs zählreiche Gaue mit 
allen däzugehörigen Rechten dürch kaiserliche Schenkung in das 
Eigentum der Kirche „fibergegangen \ waren #). Diese Grafenrechte 
behièlt,. der Bischöf zum Teil in uhlittelbarem Besitz und eigener 
Verwaltuig, zum Teil gab er sie den angesehenen Edelherren 
der Umgegend zü Lehen. Außerdetni befanden sich im Gebiet, 
d. hi. in der Diözese, auch fremde Gäue, sei es, daß der Käider 
sie den Fürsten oder Grafen zu Lehen geseben, sei es, daß er 
sie den benachbarten Kirchen gesöheiik ki häîte*). Auch diese 
Kirchen gaben ihre Komitäle an Große zu Lehèh: So finden wir 
im ‚Sprengel der Hildesheiiner Kirche zunächst uïter der un- 
mittelbaren Verwaltung des Bischofs stehiende Gebiete, kurz 
bischöfliche Grafschaftsbezirke. Ferner gab es vom Bischof zu 
L‘öhen gehende, Grafschäften und schliefilich Gräfschaften, die 
entweder vom Kaiser oder aber von einer aliswärtigen Kirche ver- 
liehen waren. Besonders im südlichen Teil der Diözese, wo die 
Reichsabtei Gandersheim zählreiche Komitate kraft käißerlicher 
Schenkuhiz besaß, gab es zahlreiche Uräfschaften, die zu dem 
Hildesheimer Bischof in keiner Beziehung standen 2), Die 
spätere Ehtwicklung wat die; daß der Bischof die sämtlichen 
innerhalb seiner Diözese belegeneii Grafschaftsrechte in seiner 
Händ vereinigte, und damit sein weltliches Herrschaftsgebiet 
bis zu den Gtenzen seines kirchlichen Bezirks ausdehnte. Zur 
Zeit unserer Betrachtung, also am Ende des 12. Jahrhunderts, 
wär diese Entwicklung erst in ihren Anfängen. Überall im 
Stiftagebiet war die weltliche Herrschaft des Bischofs durch seine 
eigenen oder fremde Lehnsgrafen unterbrochen. Betrachten 
wir sie jetzt einzeln. 

Von Osten angefangen war es zunächst die Grafschaft Schladen 
im Leragau, die sich im Besitz eines Grafengeschlechtes gleichen 
Näinens befand, däs höchist wahrscheinlich mit den Edelherren von 
Dörstädt eihes Stammes war 9). Im Westen und Süden der Graf- 
schaft Schidtien lagen die ümfangreichen Grafschaften Wöltingerode 
und Wolätüberg i im Besitz des mächtigen Grafengeschlechtà von 
Woldènberg*i). Sie umfaßten eine Reihe von Gauen, nämlich dei 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 1} 


südlichen Teil des Leragaues, Salzgau, Densigau, Ambergau und 
mindestens einen Teil des Gaues Flenithi*). Die meisten dieser 
Grafschaftsbezirke der Woldenberger waren, Lehen der Abtei 
Gandersheim‘). Jedoch gehörten sie zur Diözese Hildesheim 
und wurden auch später sämtlich von den Hildesheimer Bischöfen 
für das Bistum erworben*). Noch im Gau Flenithi lag die 
Grafschäft Bodenburg, die ein gleichnamiges Geschlecht wohl 
ebenfalls als hildesheimisches Lehen. innehatte ®). Im Südwesten 
der Diözese ist hauptsächlich die Grafschaft Homburg *) zu nennen; 
die übrigen Grafschäften dieser Gegend, besonders Winzenburg 
und Poppenburg, sind als Gräfengerichtsbezirke unter eigenen 
Grafen nicht bekannt). Die kleinen Gaue im Westen und 
Südwesten, wie Äringau, Gudingau, Valothungen und Scotelingen, 
die das Bistum durch königliche Schenkung erworben hatte, 
blieben zum größten Teil unverliehen *”). Im Norden der Stadt 
Hildesheim dehnte sich fast über die ganze Breite der Diözese 
der umfangreiche Gau Astlala oder Ostfalon (äuch Valen genannt) 
aus?®). Auch dieser Gau, in dem die Stadt Hildesheim selbst 
lag, war dem Bischof durch königliche Schenkung zugefallen **). 
Der größte Teil dieses Gaues verblieb unter der unmittelbaren 
Herrschaft des Bischofs; nur im Norden die sogenännte gtoße, 
östlich davon die sogenannte kleine Grafschaft waren bischöfliche 
Lehen der Grafen von Lauenrode®®), ferner im Nordosten die 
Grafschaft Peine, ein bischöfliches Lehen des gleichnamigen 
Grafengeschlechts #), und schließlich lag ebenfalls im Nordosten 
eine Grafschaft am Ris°°), die die Grafen von Woldenberg vom 
Bischof zu Lehen trugen. Auch diese Grafschaften wurden gämt- 
lich bis auf die große Grafschaft der Grafen von Lauenrode im 
Laufe des 13. Jahrhunderts von den Bischöfen zurückgekauft. 
Die Grafschaftsbezirke Helen selten mit den alten Gauen zusam- 
men, vielfach umfaßten sie mehrere Gauë, sehr häufig nur Teile 
von, solchen. Innerhalb dieser Grafschaften hielt nun der Graf 
als Richter und Vorsitzer an altherkômmilichen Dingstätten (unter 
der Linde, uilter der Eiche, auf bestimmten Bergen oder Hügeln 
oder an Brücken) das sogenannte echte Ding oder Grafengericht ab. 
Dieses fand an jeder Dingstätte dreimal im Jahre äls sogenanntes 


ungebotenes Ding statt. Da jede Grafschaft mindestens drei 


12 W. Wittich 


echte Dingstätten hatte, so wurde alle sechs Wochen etwa ein 
echtes Ding abgehalten, das für den ganzen Bezirk der Grafschaft 
zuständig war. Das echte Ding war das ordentliche Gericht für 
alle Prozesse und Auflassungen über Eigengüter ohne Rücksicht 
auf die Größe des Objekts und den Stand des Besitzers, soweit 
diese Güter im Bezirk der Grafschaft gelegen waren. Alle freien 
Grundeigentümer des Grafschaftsbezirks waren berechtigt, bei 
dem echten Ding zu erscheinen, und aus ihrer Zahl wurden 
die Urteilsfinder, die Schöffen, genommen. Wie weit sich die 
Pflicht, beim Gericht zu erscheinen, die sogenannte Dingpflicht, 
erstreckte, ist streitig”). Die freien Grundeigentümer bildeten 
in doppelter Weise die Existenzbedingung für das echte Ding 
oder Grafengerichtt. Zunächst erschöpfte sich die Kompe- 
tenz des Grafengerichts so gut wie völlig in der Rechtsprechung 
über ihr freies Grundeigentum°*), Ferner lieferten sie die 
Schöffen, den wichtigsten Bestandteil des echten Dings. Aus 
sämtlichen Teilen unseres Untersuchungsgebietes sind uns nun 
Nachrichten überliefert, die das Bestehen dieser Grafschaftsver- 
fassung unzweifelhaft erscheinen lassen. Der höchst verdienstvolle 
Geschichtsforscher LÜNTZEL hat in seinem für die Zeit muster- 
gültigen Werk „Die ältere Diözese Hildesheim“ die alte Gau- 
verfassung im ganzen Stiftsgebiet in allen Einzelheiten nach- 
gewiesen. Für unsere Betrachtung ist nur der Nachweis noch 
zu führen, daß im 12. Jahrhundert überall die Zahl der freien 
Grundeigentümer, obwohl schon beträchtlich zusammengeschmolzen, 
doch noch immer erheblich war ‘). 

Beginnen wir wieder mit dem Osten, so scheinen besonders in 
dem Herrschaftsgebiet der Grafen von Woldenberg und der Grafen 
von Schladen die freien Eigentümer sehr zahlreich gewesen zu 
sein. Diese Grafschaftsgebiete umfaßten, soweit das Bistum Hildes- 
heim in Betracht kommt, die alten Gaue Leragau, Saltgau, Den- 
sigau und Ambergau. So hören wir aus dem östlichen Teil dieses 
Gebietes von den umfangreichen Eigengütern der später dienst- 
männischen Familie von Burgdorf zu Thiedwardingerode, Lewe, 
Eilenrode und Dörnten (beide bei Goslar) und zu Goslar). 
In Dorstadt lagen, abgesehen von den umfangreichen Eigengütern 
der Grafenfamilien von Dorstadt-Schladen, zahlreiche Eigengüter 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 13 


kleinerer Freier°®). Wir erfahren dies aus zwei Urkunden des 
Bischofs Adelog von 1174 und 1175, die das Begräbnisrecht der 
verschiedenen, an diesem Ort befindlichen Kirchen ordneten. Die 
Familie des Edelherrn Arnold von Dorstadt hatte eine der hei- 
ligen Cäcilie geweihte Kirche daselbst errichtet. Die am Ort 
wobnenden Freien kauften sich von dem Begräbniszwang der 
Mitterkirche durch Hingabe einer halben Hufe Landes los und 
erhielten das Recht, sich gleich dem Geschlecht des Arnold in 
der Cacilienkirche begraben zu lassen. In der zweiten Urkunde 
wird den Freien das gleiche Recht bestätigt; zugleich fügt der 
Bischof bei, daß an den Freigütern (libera bona), die etwa eigen 
(propria facta fuerint) geworden seien, also wohl durch Ergebung 
des Eigentümers in die Hörigkeit oder Ministerialität das Recht 
der Freigüter verloren hatten, die Kirche der heiligen Cäcilie ihr 
Becht behalten solle. Auf eine Interpretation dieser höchst merk- 
würdigen Urkunde können wir hier nicht eingehen. Sicher ist, 
das zahlreiche Freie mit Freigütern vorhanden gewesen scin 
müssen, deren Zahl allerdings durch Ergebungen sich fortwährend 
verminderte. 

Ein Ort mit starkem Freigutsbesitz war ferner das Dorstadt 
benachbarte Flôthe*) (Groß- und Kleinflüthe). Hier lag das 
Stammgut und sonstiger umfangreicher Eigenbesitz der an- 
zesehenen altfreien Familie von Flöthe-Covot (Kuhfuß); ferner 
waren hier begütert die Freiengeschlechter von Glinde und de 
Piacina (von dem Dike). Die Herren von Flöthe und von Piscina 
traten später°”) in die hildesheimische Dienstmannschaft ein; die 
lerren von Glinde, deren Heimat in der Grafschaft Mühlingen 
lar, wurden Ministerialen des Erzstifts Magdeburg °”). Über ein 
Mitglied der F amilie von Flöthe ıst uns eine urkundliche Nach- 
richt erhalten, die mit seltener Dentlichkeit das Rechtsverhältnis 
der altfreien Familien einer Grafschaft zum Grafen und den 
Übergang dieser Familien aus der Freiheit in die Ministerialität 
iarstell. Die Familie von Flöthe gehörte zu den freien und 
«hüffenbaren Familien der Grafschaft Woldenberg. Zwischen 
330 und 1240 beurkundete nun Graf Heinrich von Woldenberg 
!n Tausch oder Wechsel zweier Frauen, von denen die eine, 
jatta von Flötlie, als Sproß des alten Freiengeschlechts zu den 


14 W. Wittich 


Freien seiner (trafschaft gehörte, die andere aber eine Ministerialin 
war! A Er nahm nun die Freie Jutta als Ministerjalin an mit 
ihrer ganzen vorhandenen und zukünftigen Nachkommenschaft, 
der Ministerialin und ‘ihren Kindern aber gestattete er, die Frei- 
heit, die scepenbar genannt wird, zu genießen. Voraussetzung 
dieser Ordnung der Rechtsverhältnisse waren zweifellos zwei 
Heiraten. Die Freie hatte wohl einen gräflichen Dienstmann, die 
Ministerialin einen schöffenbar freien Mann aus der Grafschaft 
Woldenberg geheiratet. Zweifelhaft bleibt, ob die Ministerialin 
zur Dienstmannschaft des ‚Grafen oder eines fremden Herrn ge- 
hörte. Jedoch ist das erstere wahrscheinlich. Der Standes- 
wechsel erfolgte zweifellos, um den Kindern aus den beiderseitigen 
Ehen das Erbrecht in die väterlichen Hoflehen und Eigengüter 
zu verschaffen, dessen sie, solange die Eltern ungleichen Standes 
waren, nicht teilhaftig werden "konnten. Wir sehen, wie unbe- 
denklich ‘die Freiheit mit der Dienstbarkeit vertauscht wurde, 
da die Freiheit eine starke Abhängigkeit yon dem Herrn der 
alten Hörigkeit ganz verloren hatte. Freiheit und dienstmännische 
Stellung scheinen sich sozial gleichzustehen, für die Wahl des 
einen oder anderen Standes sind nur Gründe wirtschaftlicher 
Zweckmäligkeit maßgebend. 

Wenden wir uns von dieser Südostecke unseres Unter- 
suchungsgebietes nach Norden, d. b. also in den Osten und 
Nordosten des Bistums, so finden wir in den Annalen des 
Klosters Steterburg eine Quelle, die gerade über die Ver- 
hältnisse der Freigutsbesitzer dieser Gegend ein helles Licht 
verbreitet. Dieses im Tal der Oker zwischen Braunschweig 
und Wolfenbüttel belegene Kloster erhielt im Jahr 1163 den 
Propst Gerhard zum Vorsteher #). Er war der eifrigste Mehrer 
des Klostergutes, und aus den genauen Aufzeichnungep über 
seine Erwerbungen erhalten wir einen Begriff von der großen 
Verbreitung des freien Eigentums in jener Gegend*”). So erwarb 
das Kloster im Gebiet der benachbarten Grafschaft Peine zahl- 
reiche Freiengüter, z. B. vier Hufen in Kleinen-Schwülper von 
dem Freien Reinold, fünf Hufen zu Lafferde von zwei Brüdern, 
Dietrich und Gerhard, und weiteren Grundbesitz am selben Ort 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 7 


a4. 


dienstmännischen nie von Lewe. Das De Großen-Mahper 
suchte ‘der Propgt gänzlich anfzukaufen, hanptsächlich deshalb, 
quia pene tota (se. villa) ad liberos pertinebat. Die Bedeutung 
dieser Ausdruckgweige ist nicht ganz klar. Wahrscheinlich soll 
damit nur gesagt sein, daß die Güter sich sämtlich noch in un- 
mittelbarem Besitz der freien Eigentümer befanden und nicht als 
Lehen ansgetan waren. Denn der mehrfach abgeleitete ] Lebens- 
besitz machte den Erwerb solcher Güter für geistliche Anstalten 
sehr schwierig. Es ist also hier der Gegensatz gemeint zwischen 
Gütern, die sich noch in der ersten Hand des Eigentümers be- 
finden, und solchen Güfern, die in die dritte oder vierte Hand 
des Aftervasallen gekommen sind. So kaufte er im Jahr 1187 
yon den Grafen von Poppenburg, Vater und Sohn, zwei "Hpfen 
und zwei Hausplätze, ferner von dem Edelherrn Rudolf yon 
Mahner eine Hufe aus dessen patrimonium zu Großen-Mahner tt). 
Weiterhin 'erwarb er von dem Freien Dietrich eine Hufe und von 
den Freien Di ietrich ynd Rikmann ebenfalls eine Hufe. Von zwei 
Hörigen ges Edeiherrn Rudolf von Mahner erstand er mit dessen 
Erlaubnis einen Hausplatz und sieben Joch Ackerlandes, endlich 
von der Witwe des Johannes von Mahper, eines Bruders des 
Rudolf, und ihren Söhnen einen Mansyg und zwei Hauspläfze. 
Alle diese Verkäufe wurden in dem echten Ding des Grafen 
Lndolf v von Woldenherg, wozu diese Güter gehörten, vollzogen. 
Dies sind die ausdrücklich namhaft gemachten Erwerbungen des 
Klosters i in Mahner, jedoch müssen noch weitere, nicht einzeln anf- 
geführte seitens des Propstes gemacht worden sein. Denn im 
Jahr iigi bestäfigte Bischof Berno dem Kloster pnter großer 
Anerkennung seines Vorstehers das Eigentum von 14 Hufen und 
15 Hausplätzen zu Mahner!). So gab es also am Ende des 
12. Jahrhunderts noch ganze Dörfer, in denen sämtlicher Grund- 
besitz freies Eigentum persönlich freier Leute war. Allerdings 
können wir unter digsen freien Eigentümern keine freien Bauern, 
die ihre Güter mit eigener Hand bestellten, beobachten. Wir 


16 W. Wittich 


lesen nur von Grafen, Edelherren, Stadtbürgern und vielle: 
auch von nichtritterlichen Besitzern, die sämtlich ihre Freigi 
durch Hörige oder freie Meier bewirtschaften ließen. Ich : 
damit das Vorhandensein freier Bauern unter den freien Eig 
tümern keineswegs in Abrede stellen. Ich will nur HECK geg 
über, der neuerdings jeden nicht näher qualifizierten freien Eig 
tümer für seine bäuerlichen Schöffenbaren beansprucht, ausdrü 
lich betonen, daß die freien Eigentümer, deren Stand gena 
wird, sämtlich den höheren Ständen angehören, und daß 
irgendeine sichere Überlieferung über bäuerliche Grafscha 
freie dem bisher geschilderten Quellenkreis nicht entnehr 
können. 

Nicht minder häufig, als im Südosten, Osten und Nordos 
des Bistums, waren die freien Eigentümer im Norden und Nc 
westen, dem Land östlich der Leine, dem alten Gau Astfalon o 
Astfala. Er umfaßte den größten Teil des Bistums, auch 
Stadt Hildesheim lag darin. In seiner weitesten Ausdehnı 
erstreckte er sich wahrscheinlich bis zur Oker und umfaßte 
Grafschaft Peine und welfisches Gebiet, dessen Dingstätte s 
zu Bettmar befand. Der westliche Teil des Gaues enthielt 
Südwesten das unmittelbar dem Bischof verbliebene Gebiet, 
dieser durch seinen Vogt die Grafenrechte ausübte; im Nor: 
und Nordosten dieses Teils lagen die große und die kleine G: 
schaft, die Lehen der Grafen von Lauenrode‘?). Betrachten 
zunächst das dem Bischof bezw. seinem Vogt unmittelbar un: 
worfene Gebiet des Ostfalengaues, so finden wir hier umfa 
reichen Eigenbesitz des edlen Geschlechts von Depenau *°). Hau 
sächlich in dem Dorf Hotteln, wo wahrscheinlich das Stamm 
des Geschlechtes lag, und ferner zu Giesen war die Familie re 
begütert. Weiterhin war die wohl sicher altfreie Ministerialenfam 
der Vögte von Hildesheim zu Heisede und Förste mit Eig 
gütern angesessen “). Ebenso hatten die von Saldern wahrschc 
lich Erbgüter zu Sarstedt‘°). 

Wir kommen nun zu demjenigen Gebiet, wo das fr 
Eigen und die Freien am stärksten vertreten waren, : 
sogenannten großen und kleinen Grafschaft im Nordwes 
des Gaues Astfalon“). Zu Ende des 12. Jahrhunderts wa 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 17 


noch beide Grafschaften im Lehnsbesitz der Grafen von Lauen- 
rode. Erst zwischen 1230—1236 fanden die Verhandlungen 
zwischen dem Bischof von Hildesheim als dem Lehnsherrn und 
den Grafen von Laüenrode statt, die schließlich zum Übergang 
der kleinen Grafschaft an das Bistum Hildesheim und zum 
definitiven Lehnsbesitz der ganzen gräflichen Familie an der 
sroßen Grafschaft führten’), In beiden Grafschaften finden wir 
schon früh einen sehr bedeutenden Eigenbesitz hochangesehener 
Grafen- und Edelherrengeschlechter. In erster Linie steht da 
der Graf Adelbert von Haimar, der Stammvater der Grafen von 
Wernigerode*). Dieses Geschlecht, das wohl in der großen Graf- 
schaft seinen Stammsitz hatte und erst später in den Harz kam, 
verfügte in zahlreichen Dörfern, die nachweislich zur großen oder 
kleinen Grafschaft gehörten, und in der weiteren Umgebung über den 
reichsten Grundbesitz. Einzelne Dörfer, wie Evern, in der großen 
Grafschaft, und Bründeln, wahrscheinlich in der kleinen Grafschaft 
belegen, gehörten ihm ganz“). Große Eigengüter hatte ferner 
die Familie der Edelherren von Wassel in der großen Grafschaft, 
wo auch ihr Stammsitz, das Dorf Wassel, lag”). Diesem Ge- 
schlecht gehörten die vicedomini des Bistums Hildesheim an. 
Die wahrscheinlich aus dieser Familie stammende Edelfrau Friderun 
von Scharzfeld schenkte in Jahr 1187 einen Hof mit vier Hufen 
Eigen zu Sehnde in der großen Grafschaft an das Kloster 
Steterburg‘°). In der kleinen Grafschaft lag das große Allod 
des mächtigen Grafengeschlechts von Assel. Gräfin Adelheid 
von Schaumburg, die Tochter des letzten Grafen von Assel, 
schenkte 1186 aus diesem Allod 18 Hufen und eine Mühle, be- 
legen zu Udelen (Oedelum) in der kleinen Grafschaft, an das 
Kloster Loccum®®). Weiterhin erscheinen, allerdings in späterer 
Zeit, die Grafen von Dassel als Eigentümer beträchtlicher Güter 
in der großen Grafschaft?’).,. Endlich sind auch die Edelherren 
von Depenau und von Dorstadt als Eigentümer in der großen 
Grafschaft zu erwähnen°?). Dieses umfangreiche Eigentum be- 
hielten die erwähnten Edelherren nur zum kleineren Teil in 
eigenem Besitz und eigener Nutzung, zum größeren Teil gaben 
sie es an bischöfliche und sonstige Dienstleute zu Lehen. Da- 


her finden wir in beiden Grafschaften zahlreiche Ministerialen mit 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 2 


18 W. Wittich 


Lehngütern angéséssen. Besonders die Grafen von Wernigerode 
hatten viele Vassallen in diesem Gebiet°?). 

So eingehende Nachrichten wir über den umfangreichen Eigen- 
gutsbesitz der großen Adelsgeschlechter in beiden Grafschaften haben, 
so mangelhaft sind wir über die kleineren freien Grundeigentümer, 
die Freien im gewöhnlichen Sinn des Wortes, informiert. Zwar 
missen sie in nicht geringer Zahl vorhanden gewesen sein. Denn in 
den Verhandlungen zwischen dem Bischof von Hildesheim und 
dem Grafen von Lauenrode über den Rückkauf der kleinen 
Grafschaft wird ihrer sehr häufig Erwähnung getan. Aber nur 
höchst selten erfahren wir einen Namen, der uns gestattet, die 
soziale Stellung dieser Freien näher kennen zu lernen. Soviel 
ich sehe, treten nur in einer Urkunde Persönlichkeiten als Zeugen 
auf, die nach ihrer ganzen Qualifikation diesem Freienstand 
angehört haben müssen. Im Jahr 1178 erbauen die Bewohner 
der zur großen Grafschaft gehörigen Dörfer Ost- und Nordlopke 
eine Kirche zu Ostlopke und lösen die neue Gemeinde von der 
Mutterkirche Lühnde durch Hingabe einer Hufe in Ostlopke 
an die Mütterkirche°‘). Außerdem schenken sie zur Ausstattung 
ihrer neuen Kirche zwei Hufen. Zeugen bei diesem Geschäft 
sind nach zahlreichen Geistlichen, Gerardus et Fridericus liberi 
homines; Bruno de Kemme, Liuderus, Haoldus, Johannes, Bat- 
hardus, Adelbertus, Isoi, Bruninghus, Bernardus, Ido et ceteri 
parochiani. Da die nicht genannten Zeugen als ceteri parochiani 
zusammengefaßt werden, so müssen die vorher namentlich ge- 
nahnten mindestens zum Teil angesehene parochiani der Gemeinde 
und damit angesehene Bewohner der Dörfer gewesen sein. Die 
angesehensten Bewohner der Dörfer waren aber nach den 
späteren Darlegungen (pag. 19—26) freie Leute (Grafschaftsfreie). 
Daher können wir annehmen, daß die parochiani der Urkunde 
sämtlich oder zum größten Teil dem Stand der Grafschaftsfreien 
angehörten. Welche von den Urkundenzeugen sind nun mit an- 
nähernder Sicherheit als parochiani zu betrachten? Zunächst sind 
Gerardus et Fridericus liberi homines unzweifelhaft Angehörige 
des Edelherrengeschlechts de Novali’*). Nach ihnen folgt Bruno 
von Kemme, ein bekannter bischöflicher Dienstmann‘*). Es ist 
möglich aber nicht wahrscheinlich, daß diese drei Personen 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 19 


parochiami der Dörfer waren, zu den Grafschaftsfreien gehörten 
sie sicher nieht. Die ilinen nachstehenden heun, nur mit Vor- 
name# genannten Personen mögen sowohl parochiani der Dörfer 
ıs auch Grafschaftsfreie gewesen sein) Es ist hun sehr 
wabrscheialich, daß mindestens ein Teil von ihnen dem später 
dienstmännischen Geschlecht der Herren von Lopke angehörte. 
Denk wir finden in dieser Familie die Vornamen Luder°®) 
und Adaïbert*} wieder, und ätßerdem war sie auch in Lopke 
begütert°®). Die einzige Urkunde, die eine genauere Identifizierung 
der Grafschaftsfreien gestattet, weist also mit größter Entschieden- 
keit auf enen Familiewzusammeñhañg wenigstens einiger dieser 
Persoéem mit bischöflichen Dienstmannsgeschlechtern Kin. 
Wenden wir uns jetzt zu den Nachrichten, die die Verhandlungen 
nische Bischof Konrad von Hildesheim und dem Grafen Konrad 
von Eatexrode über die Freie enthalten. Diese Verhandlungen, 
die in den Jahren 1230 bis 1236 stattfanden, drehten sich in 
der Baiptsache um die Rückerwerbung der als hildesheimisches 
Leben in der Hand des Gräfen von Lawenrode befittdlichen kleinen 
Grafschaft seitens des Bischofs. Zunächst verpfändete im Jahr 1235 
der Graf die kleine Grafschaft an den Bischof für die Dauer von 
fünf Jahren gegen ein Darlehen von 130 Hildesheimer Pfund *?). 
Über de Bewohnerscliaft beider Grafschaften wurde folgende 
Verabredung getroffen: Insuper fuit adieétum quod si de comicia 
maïori ad minorem vel e converso aliquos homines transire contingat, 
Mi domino ad quem' pertinet ea comicia, de qua recesserunt, debite 
servitutis obsequio sicut antea maneant obligati. Hier wird also 
der Grundsatz der Personalität ausgesprochen, d. h. die Unter- 
tanen«chaft bestimmt sich nicht nach dem augenblicklichen Wohn- 
tz. sondern nach dem Ort der Geburt, der Heimat der be- 
treffenden Person. Im Jahr 1236 veräußerte der Graf endgültig 
die kleine Grafschaft an den Bischof und erhielt dafür für sich 
und seine männlichen und weiblichen Verwandten die Belehnung 
mit der großen Grafschaft’®). Die Rechtsverhältnisse der Unter- 
tanen wurden folgendermaßen geregelt. Frauen gehen durch ihre 
Verheiratung mit einem Manne der fremden Grafschaft ipso iure 
in die Angehörigkeit zur Grafschaft des Ehegatten über. Grund- 
bitzer, die in beiden Grafichaften Güter haben, müssen beiden 


20 | W. Wittich 


Herren dienen. Geben sie die Güter in der einen Grafschaft 
auf, so bleiben sie dem Grafschaftsherrn, in dessen Gebiet ihr 
zurückbehaltener Besitz belegen ist, untertan. Die nicht mit 
Grundbesitz versehenen Personen, die zu deutsch ungehovede 
genannt werden, bleiben dem Herrn untertan, in dessen Gebiet 
sie zur Zeit des Vertragsabschlusses sich aufhielten. Gehen sie 
später in die fremde Grafschaft, so kann der Herr sie zurück- 
fordern. Wer von ihnen zur Zeit des Vertragsabschlusses außer 
Landes weilte, kann bei seiner Rückkehr den Wohnsitz und da- 
mit die Grafschaftszugehörigkeit wählen. 

Der Grundsatz, daß der Ort der Geburt für die Grafschafts- 
angehörigkeit entscheiden soll, ist hier aufgegeben. Die Frau 
geht durch die Heirat in die Grafschaftsangehörigkeit des Mannes 
über, sie behält also nicht ihre angeborene Grafschaftsangehörig- 
keit. Für die Untertanenschaft der Grundbesitzer ist entschei- 
dend die Lage des Grundbesitzes. Sie können, wenn sie in 
beiden Grafschaften begütert sind, eine doppelte Grafschafts- 
angehörigkeit besitzen. Das Bestreben der Grafschaftsherren 
scheint dahin zu gehen, sie zur Aufgabe des Grundbesitzes in 
einer der beiden Grafschaften zu bewegen. Für die Grundbesitz- 
losen entscheidet der Wohnsitz zur Zeit des Vertragsschlusses. 

Zu diesen Verhandlungen tritt nun noch eine Urkunde 
aus der Zeit zwischen 1230 und 1236°°), in der Bischof 
Konrad von Hildesheim auch die große Grafschaft von dem 
Grafen von Lauenrode zurückerwirbt, quod (sc. comes) in 
comicia maiore, quam de manu nostra tenebat, et sita est 
circa silvam, que dicitur Northwalt, affligeret nostros liberos 
homines ad ecclesiam nostram maiorem pertinentes et angariis et 
perangariis nimis inhumane tractaret, diversos tractatus habuimus 
cum ipso de pace facienda eisdem pauperibus. Das hier er- 
wähnte Geschäft hat wahrscheinlich niemals stattgefunden; denn 
die große Grafschaft blieb im Besitz der Grafen von Lauenrode, 
bis sie an die Herzoge von Braunschweig-Lüneburg überging ®°). 
Jedoch ist dies für unsere Betrachtungen ohne Belang, da die 
Echtheit, d. h. die Abfassung des Dokuments in dieser Zeit, 
zweifellos ist. Hier werden die Freien der großen Grafschaft 
ausdrücklich erwähnt; sie sind Freie der maior ecclesia und wer- 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 21 


den von dem Grafen mit Fronden belastet. In den Verhand- 
lungen über die kleine Grafschaft werden die Freien ausdrück- 
lich nicht erwähnt. Jedoch sagt das Chronicon Hildesheimense 
bei der Aufzählung der Taten des Bischofs Konrad von Hildes- 
heim: videns etiam angarias et oppressiones liberorum minoris 
comitie iuxta Nortwolt emit eandem a comite Conrado de Lewenrod 
trescentis octoginta libris monetae Hildensemensis®!). Es lagen 
also die Verhältnisse in beiden Grafschaften ziemlich gleichartig. 
Auch in der kleinen Grafschaft bedrückte der Graf die Freien 
mit Fronden und dergleichen Lasten, und hier fand der bei der 
großen Grafschaft wohl nur geplante Rückkauf tatsächlich statt. 
Die Vereinbarungen über die Grafschaftsangehörigkeit müssen 
daher in erster Linie auf die Freien bezogen werden. Denn deren 
Verhältnisse sollten ja geordnet und gebessert werden. Allerdings 
ist nieht ausgeschlossen, daß auch die übrigen Bewohner der 
Grafschaften einbegriffen waren. 

Unter der Annahme, daß die Vorschriften über die Graf- 
schaftszugehörigkeit in erster Linie für die Freien berechnet 
waren, ergibt sich über deren soziale und rechtliche Ver- 
hältnisse folgendes Bild. Es gab verschiedene Arten von Freien, 
die sich hauptsächlich durch die Größe ihres Grundbesitzes 
unterschieden. Ein Teil besaß Güter an verschiedenen Orten, 
ja sogar in den beiden Grafschaften. Natürlich begriff dieser 
Teil die sozial am höchsten stehenden Freien in sich. Ein 
anderer Teil war nur an einem Ort begütert, ein dritter war 
ganz grundbesitzlos. Seine Angehörigen hießen im Gegensatz zu 
den freien Hofbesitzern die „Ungehoveden“. Alle Freien befanden 
sich schon damals in einer strengen Abhängigkeit vom Grafen, 
die nach der Art der Hörigkeit oder Ministerialität gestaltet war. 
Ihre landreehtliche Freiheit und Zugehörigkeit zum Grafschafts- 
gericht und Verband hatte sich in eine Art Grafschaftshörigkeit 
verwandelt. Sowohl persönlich wie hinsichtlich ihres Grund- 
eigentums waren sie dem Grafen abgaben- und dienstpflichtig. 
Der Inbegriff ihrer Verpflichtungen dem Grafen gegenüber wird 
obsequium debite servitutis genannt‘®). An ihren Freigütern be- 
ensprucht der Graf ein Obereigentum°®®), das wahrscheinlich in 
éinem Heimfallrecht an den Grafen beim Aussterben der Freien- 


29 W. Wittich 


familie zum Ausdruck kam°). Veräuferangen von Freigütern 
waren nur innerhalb des Kreiges der Freien der betreffenden 
Grafschaft unbeschränkt gestattet. Bei Veräußerungen an Fremde, 
wozu auch Kirchen, Grafen, Edelleute u. s. w. zählten, war dje 
Erlaubnis des Grafen erforderlich**), da das Land dann meistens 
aus dem Verband der Grafschaft ausschied. Überhaupt spielten 
die Freigüter bei der ganzen Grafschaftsyerfassung eine sehr be- 
deutsame, wahracheinlich schon damals die wichtigste Rolle. 

Die Nachrichten über diese Froigüter sind ebenso apärlich als 
die über die Freien selbst, aber immerhin ausreichend, um fine Ver- 
stellung von der Wichtigkeit dieser Freigüter für das ganze nelt- 
same Verfassungagehilde zu bekommen. Im Jahr 1958 erwerh 
das Kloster Loceum in dem Dorf Udeln (Odelym) der kleinen 
Grafschaft zwei Hufen“). Davon war eine Hufe Lehen des 
hildesheimischen Ministeriglen Bathard von Ugelg vom Bigchof. 
Die andere Hufe, qui vulgariter vrikove dicitur, gehörte in die 
kleine Grafschaft, die der Bischof vom Grafen erwerben hatte. 
Diese Hufe hatten Christianus und Johannes vom Birchpf (a nobis) 
ianegehabt (tenuergpt), und diese resignierten dem Bischof die 
Hufe zur Übertragung an das Klogter. Nehmen yir an, daß es 
sich bei der Freihufe nicht ebenfalls um ein Lehnsrerhältuig, 
sondern um Eigentum der beiflen Besitzer an der Hufe gehandelt 
hat, go war dieses Eigentum schon völlig in ein lebnpartigps 
Besitzrecht umgebildet worden, untersebied sieh also: nur nprh 
formell, aber nicht mehr materiell von dem Lebpyecht deg 
Ministerialen. Pie Hufe als golche war grafschaftspfliehtie, nicht 
weil ihr angpablicklicher Jahaber ein freier Eigentümer war, 
sondern weil ein solches Rechtsverhälinis vor Zeiten einmal ap 
der Hpfe bestanden, und der Grafschaftskerr vermöge dessen 
hestimmte Rechte an der Hufe erlangt hatte. Es war also die 
Rechtsqualität des Inhaherg zn einer Rechtsanglität des Grand- 
stückg geworden. Die wahre Grundlage des Grafsshaftsverhandes 
waren nieht mehr wie früher freie Menschen, sondern freie Hüter. 

Aus diesem Grund schieden auch die Grnndstücke, wenn sie iq 
die Hand von außerhalb des Grafschaftgverhandeg stehenden Per- 
sonen gelangten, nicht mehr aus dem Grafurkaftsyerhand aus, 
Ja selbst das Besitzrecht an freien Gütern brauchte nicht wehr 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 23 


Eigentum oder, besser gesagt, Grafschaftsbesitzrecht zu sein”), 
Im Jahr 1270 befreite der Bischof Otto von Hildesheim den Hof 
des Maria-Magdalena-Klosters zu Farmsen auf zehn Jahre à iure 
placiteram, que liberi homineg nostri eidem ceurie raeione quorun- 
dm bonorum liberorum gdhibere procnrant‘®). Also die Zu- 
gebörigkeit der klösterlicehen Güter zur Grafschaft bleibt grund- 
sstzlich bestehen, nur vorübergehend wird die Pflicht sistiert. 
Schon zur Zeit des Übergangs der kleinen Grafsehaft aus der 
Hand der Grafen von Lauenrode an den Bisehof von Hildesheim 
mässen diese Rechtsverhältnisse der Freigüter bestanden haben. 
Dean nur unter ihrer Annahme wird eine bisher ganz dnnkle 
Stelle verständlich. In der Urkunde vom Jahr 1236 (II. 16) 
verbüret sich der Graf von Lauenrode dem Bischof dafür, daß 
niemand in der kleinen Grafschaft sieh irgendein Recht anmaße, 
sußer auf sechs Hufen, die der Bischof weiterverleihen will 
(gas porrigemus), d. h. deren Lehnsbesitzer der Bischof in 
ihrem Besitz bestätigen will”). Von diesen Hufen hat der hildes- 
heimische Marschall (Konrad von Emmerke) zwei zu Eilstrenge, 
Burkhard von Saldera zwai in Schwiecheldt, Dietrich von Promen 
swei ebenfalls in Eilstrenge. Außer diesen erkennt der Graf 
keinem ein Recht oder eine potestas in der kleinen Grafschaft 
ss. Es ist nun völlig ausgeschlossen, daß in der kleinen Graf- 
schaft keine andern Lehns- und Ejgentumerechte von Klöstern, 
Kirehen, Grafen, Edelherren und Ministerialen an Höfen, Huten 
me Grundstücken bestanden haben sollen. Wir besitzen zahl- 
reiche Urkunden, die das Bestehen solcher Rechte zu dieser Zeit 

ia der kleinen Grafschaft außer allen Zweifel setgen. Die Ur- 
kunde besagt also nicht, was men leicht annehmen könnte: in 
der kleinen Grafschaft bestehen außer den Lehnsrechten der 
dr; Ministerialen an sechs Hufen lauter Eigentumsrechte graf- 
sehaftspfliehtiger Fraier, sondern sie will sagen: in der kleinen 
Grafsghaft sind vom grafscheftsphichtigen Freignt nur sechs Hufen 
a» ritterliehe Lente zu Lehen gegeben. Nur diese Interpretation 
et einen mit dep übrigen Nachrichten vereinharen Sinn. Die 
Selle sieht also von dem ührigen Grundbesitz in der kleinen 
wefschaft völlig ab. Sie hat nur das freie Grafschaftegut im 
kage. Dieses Koll nicht an Ritter verliehen werden, weil es als 


24 = W. Wittich 


Lehen rittermäßiger Leute leicht der Grafschaftslast entfremdet 
werden kann. 

Fassen wir alle diese Nachrichten zusammen, so kann es 
wohl kaum zweifelhaft sein, daß die grafschaftspflichtigen Freien 
in der kleinen und großen Grafschaft schon zu Beginn des 
13. Jahrhunderts wirtschaftlich, sozial und rechtlich, wenigstens 
ihrer Masse nach, zum Bauernstand gehörten. Sie hatten in der 
Regel nur einen Hof, den sie selbst bewirtschafteten, und von 
dem sie Fronden und Abgaben an den Grafen leisteten. Die 
Nachrichten über ihre Bedrückung durch den Grafen und die 
Ausdrucksweise der Urkunde, die sie als pauperes (arme Leute, 
eine Art terminus technicus für Bauern) bezeichnet, deuten diese 
soziale Stellung an. Nicht leicht ist die Frage zu beantworten, ob 
diese Freien der großen und der kleinen Grafschaft nach der 
Terminologie des Sachsenspiegels Schöffenbare oder Pfleghafte 
waren. Wir lassen sie einstweilen offen, da ihre Entscheidung 
für die uns beschäftigenden Probleme nicht wichtig ist und da- 
bei auf die neuerdings von HECK ausgesprochenen Ansichten 
ausführlich eingegangen werden müßte. Aber diese bäuerliche 
Lebensweise und Stellung war nicht allen Grafschaftspflichtigen 
von Uranfang gemeinsam und eigentümlich. Darauf deutet noch 
die Urkunde vom Jahr 1236 (II. 16), die grafschaftspflichtige 


Freie mit Grundbesitz in beiden Grafschaften kennt. Anderer- 


seits war die Entwicklung der Grafschaftsverfassung mit Ver- 
wandlung des freien Eigentümers in einen zins- und dienst- 
pflichtigen Grafschaftsbauer nicht abgeschlossen. Der nächste 
Schritt war der, daß Kirchen und Edelleute die Freigüter teils 
zu Eigen, teils zu Lehen erwarben, den Grafschaftsbauer also 
auch seines Untereigentums entkleideten ’°). Aber die Grafschafts- 
verfassung war stärker als das Recht der alten Freien an ihren 
Gütern. Der Graf erzwang die fortdauernde Zugehörigkeit der 
Freigüter zur Grafschaft. Soweit die Freigüter dergestalt in 
die Hand größerer Grundherren kamen, setzten diese neuen 
Herren bäuerliche Meier auf die Höfe, die ihren Meierzins zahlten 
und dem Grafen gegenüber die Pflichten der Freien erfüllten und 
deren Rechte wahrnahmen. Sie wurden schließlich selbst als Freie 
bezeiehnet, obwohl das wichtigste Merkmal der Freiheit, das 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 95 


Grafschaftseigentum an ihren Gütern, ihnen in jeder Hinsicht 
fehlte. Nur die äußere Form war erhalten geblieben, der Inhalt, 
das Wesen der alten Verfassung war längst verschwunden. Je- 
doch führt diese Entwicklung weit über die in Rede stehende 
Periode hinaus. 

Für unsere Betrachtung wesentlich ist nur der Umstand, 
daß zu Beginn des 13. Jahrhunderts in der kleinen und 
großen Grafschaft im Nordwesten des Bistums Hildesheim freie 
Eigentümer in bedeutender Zahl vorhanden waren. Aber diese 
freien Eigentümer zeigten in ihrer wirtschaftlichen, sozialen und 
rechtlichen Stellung die denkbar größten Gegensätze. Ein Teil 
dieser Freien bestand aus hochangesehenen Edelherren, die sogar 
zumeist die Grafenwürde erlangt hatten, ein anderer Teil aus 
Freibauern, deren ursprünglich freies Eigentum vom Grafen mit 
Zins und Diensten belastet war, und deren persönliche Stellung 
sich ebenfalls in eine eigentümliche Grafschaftshörigkeit verwan- 
delt hatte. Ein gemeinsamer Ursprung war trotz dieser Gegen- 
sätze unverkennbar, die alte Form der Freiheit war beiden ebenso 
gemein, wie sich der Inhalt dieses Rechtes geändert hatte. Beide 
hießen gleichmäßig Freie, das Recht an den Gütern hieß echtes 
Eigen bei Grafen und Bauern, beider Güter gehörten vor das 
gleiche Grafengericht; auch das Eigen der Edelherren scheint 
ursprünglich mit Leistungsverpflichtungen dem Grafen gegenüber 
beschwert gewesen zu sein’!), Aber im Beginn des 13. Jahr- 
hunderts besteht der schroffste Gegensatz, der denkbar wei- 
teste Abstand zwischen beiden, die verbindenden Zwischen- 
glieder einer mittleren Klasse fehlen. Der Stand freier kleinerer 
Grundherren, den wir im Osten des Bistums in überaus charakte- 
ristischen Vertretern angetroffen haben, scheint hier nicht vor- 
handen zu sein. Reste finden sich allerdings und auch An- 
deutungen, daß er früher in größerer Zahl vorhanden war, aber 
zu Beginn des 13. Jahrhunderts besteht er nicht mehr; gräfliche 
Edelherren und Grafschaftsbauern sind die freien Eigentümer 
in diesen Gebieten. | 

Das Freigut der Edelherren ist wirkliches freies Eigen- 
tum, d. h. es ist frei. veräußerlich und Abgaben oder son- 
stigen Leistungsverpflichtungen an den Grafen nicht mehr unter- 


26 W. Witich 


worfen. Jedoch müssen alle Geschäfte und Verfügungen über 
dasselbe im echten Ding des Grafen vorgenommen werden, 
Das Freigut der Grafschaftefreien ist zins- nnd dienstpflichtig; 
es hestehen gewisse Veräußerungsbeschränkungen nnd ein 
Heimfallsrecht des Grafen an demselben. Die Eigenschaft als 
Grafschaftsgut, d. h. der Inbegriff der Rechte und Pfliehten der 
Grafschaftsfreien hinsicht}ich ihrer Güter, heftet sich nun wie eine 
Reallast (oder Realrecht) auf bestimmte Güter, Die Güter be- 
halten diese Rechte und Pflichten, auch wenn sie aus dem Eigen- 
tnm der Grafschaftafreien etwa durch -Heimfall in die Hand des 
Grafen oder durch Kauf in die Hand von Kirchen oder Kdel- 
leuten übergehen. Der Graf kann sie dann zu Lehen geben, 
die Kirche oder der Ritter kann sie zu freiem Eigen innehaben. 
Aber die Pflicht gegenüber dem Grafschaftshern muß erfüllt 
werden. So kann ein Edelherr alten, völlig freien Eigen hesitsen 
und anderprseita grafschaftspflichtiges Gut ehenfalls an Kigentum 
haben, von dem er die Leistungen des ehemaligen Grafschafts- 
frejen schuldet, 

Wir haben sn die weite Verbreitung und Häufigkeit des freieg 
Eigentums und der Freien in allen Teilen des Stiftagebietes fest- 
gertellt. Allerdings sind die sozialen und rechtlichen Verhältniene 
dieser Frejen ynd ihres Grundeigens zu Anfang des 13. Jahr« 
hnnderts durchaus verschiedenartig ; der ursprüngliche einheitliche 
Stand ist in soharf getrennte Klassen gespalten, aber die allen 
gemeinsame Grafschaftaverfassung besteht noch; der wichtigste 
Vereipigungspunkt int das eshte Ding, das Grafengerieht, in dem 
alle Geschäfte über Freigüter vollzogen werden müssen. 


$ 4 Die Ministerialen im Grafengericht und 
ihr Erbeigen. 


Betrachten wir nun die Beziehungen der Ministerislitéé zu 
dieser Grafschaftaverfassung, zu den Freien und ihren Gütern 
«y Ende des 12. und zu Beginn des 18, Jahrhunderte. Zunliehet 
ist klar, daß der Ministerial als solcher keine Beziehung zur 
Grafsehaft haben kann. Ministerialität und Grafsohafteverfaagung 
bilden ja gerade den größten Gegensstz. Der Ministerial ist per- 
sönlieh upfrei, er steht außerhalb des Landrechts ; sein Recht ist 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 27 


das Dienstrecht, das seine Standes- und Besitzrerhältpisse be- 
sümmt. Er hat sein Gut zu Hoflehen, seinen Gerichtsstand im 
Hofgericht. Der Besitz yon Freigut ist mit der Freiheit eng 
verbunden. Der Ministerial als Unfreier ist echten Eigens nicht 
fahig; er kann als handelnde Partej in dem echten Ding nicht 
aufiseten, geschweige das Schüffenamt bekleiden”’). Alle diese 
Sätze sind in der Natur der Sache begründet, Wenn die Graf- 
schaßteyeriassung eine Verfassung der Freien ist, so kaan ein 
Unfzeier nicht daran teilhaben. Aber die Praxis entspricht 
keinaswegs diesen Prinzipien, wir finden im Gegenteil die aller- 
engste Verbindung zwischen Dienstleyten und Freies, zwischen 
Ninisterig)ität und (srafschaftsverfassung. Beginnen wir mit der 
Gerichtgverfassung, und zwar dem echten Ding, dem Grafen 
eenight. 

Aus allen Teilen unseres Untersuchungsgebietes ist uns 
die Toilaabme der Ministerialen am pehten Ping in zahlreichen 
Urkunden bezengt. Sphon im 18. Jahrhundert treten sie im 
Grafengaricht auf. So erfolgt eine Anflassung von Eigengut in 
magno pigeito episcopi zu Bodenburg im Jahr 1182. Anwegend 
waren als Zeugen eine große Anzahl yon Edelherren und fere 
ompes Hildensomenses ministeriales ’#). Allerdings bephachten wir 
in dieser früheren Zeit noch ein starkes Vorwiegen freier Herren 
auter den Teilnehmern des echten Dings. So sind die Gerichts- 
wilachmer im Jahr 1187 hei der Übertragung der Güter zu 
Mabner im echten Ping des Grafen Ludolf von Woldenberg zum 
eröfsen Teil Edelberren und nur in ihrer Minderzahl nachweisbar 
alteeie Ministerialeg 4). Aher in den aus den 90er Jahren des 
12. Jshrhunderts stammenden Gerichtsurkunden der Woldenberger 
Grafen überwiegen wieder die Ministeriglen in den Zeugenreihen °°). 
Bei der wichtigen Übertragung des Erbes der Familie von Assel 
aa das Bistum Hildesheim, die im echten Ding der Grafen von 
Woldeaberg zu Holle stattfand), werden nur zwei bekannte hildes- 
beimische Ministerialen ale Zeugen anfgeführt'®. Im 13. Jahr- 
kandert bilden die Ninisterialen den wichtigsten und zahlreichsten 
Bestandteil der Teilnehmer am echten Ding ; unzweifelhaft werden 
ass ihrer Mitte aueh die Schöffen genommen. Neben den Mini- 
seriglen treten die Kdelherren vüllig zurück, nur Stadthürger 


28 W. Wittich 


und vielleicht hie und da auch Grafschaftsfreie kommen noch 
als Echtedingsteilnehmer in Betracht. Diese Verhältnisse sind 
in allen Teilen unseres Untersuchungsgebietes ziemlich gleich- 
artig mit der Ausnahme, daß im Osten die Zahl der freien Ge- 
richtsteilnehmer entsprechend der schon früher dort beobachteten 
größeren Verbreitung der freien Edelherrengeschlechter ebenfalls 
eine größere. ist als im Westen, wo die Ministerialen mit Stadt- 
bürgern die weit überwiegende Mehrheit der Gerichtsversamm- 
lung bildeten. Da die unten angeführten Urkunden den Nach- 
weis für die verschiedenen Gebiete des Bistums erbringen ’®), wollen 
wir hier nur einen Bezirk, der uns besonders interessiert, näher 
betrachten, nämlich das bischöfliche Ostfalen, d. h. den in un- 
mittelbarem Besitz des Bischofs verbliebenen Teil des Gaues 
Astfalon 7), und ferner die Grafschaft der Grafen von Lauenrode 
im gleichen Gau. 

Im 12. und 13. Jahrhundert wurde der bischöfliche Teil 
des Gaues Astfalon von ministerialischen Vögten aus dem Ge- 
schlecht der Herren von Altenmarkt verwaltet”®),, Insbeson- 
dere hielt der Vogt im Namen des Bischofs das echte Ding 
für das bischöfliche Herrschaftsgebiet ab. Das Verhältnis des 
Vogts zum Bischof war ursprünglich ein Beamtenverhältnis, und 
auch in späterer Zeit übernahm der Bischof selbst gelegentlich 
den Vorsitz im Gericht?®). Jedoch hatte sich, wie alle Ämter, 
so auch diese Vogtei zu Ende des 12. Jahrhunderts in ein Lehen 
verwandelt; der Vogt machte ein eigenes vererbliches, teilbares, 
ja sogar veräußerliches Recht darauf mit Erfolg geltend. Leider 
sind uns nur wenige Auflassungsverhandlungen, die vor diesem 
Gericht vollzogen wurden, ausführlich überliefert. Immerhin geben 
sie hinreichenden Aufschluß über die Standeszugehörigkeit von 
Schöffen und Dinggenossen. 

Die älteste Urkunde betrifft die Übertragung des Eigen- 
gutes des Heinrich de Insula zu Förste an den Bischof °®). 
Sie fand statt im Jahr 1189 am Ort ad piscinas, wohl in 
nächster Nähe der Stadt Hildesheim. Dieser Heinrich von 
Insula war der Bruder des Vogts Hugo von Altenmarkt. 
Vorsitzer des Gerichts war unzweifelhaft dieser unter den Zeugen 
an erster Stelle genanute Vogt Hugo. Weiterhin werden als 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 29 


Zeugen genannt Lippold von Escherde, ein naher Verwandter 
und wohl Geschlechtsgenosse der Familie von Altenmarkt, : ferner 
Lippold, der Sohn des Vogts, Eberhard von Emmerke, Matheus 
von Barem, Luder und Konrad von Sutherem (Sorsum), Alle. 
diese Zeugen gehören bekannten hildesheimischen Dienstmanns- 
familien an. Unter ihnen sind wohl auch die Schöffen des Ge- 
nchts zu suchen. Wir haben also ein ganz mit Ministerialen 
besetztes echtes Ding vor uns. Gerichtshalter, Dinggenossen und 
Schöffen und endlich auch die eine der handelnden Parteien ge- 
bôren sämtlich dem dienstmännischen Stand an. Von der nächsten 
wkundlich überlieferten Eigentumsübertragung ist es nicht sicher, 
sondern nur wahrscheinlich, daß sie vor dem echten Ding statt- 
gefanden hat. Im Jahr 1219 übertragen die Brüder von Ysissem 
Eigengüter zu Wennerde bei Sarstedt an das Kloster Escherde °°), 
Wir gehen auf die unten angeführten Zeugen nicht näher ein. 
Sie bestehen ebenfalls zum weitaus größten Teil aus bischöflichen 
Ministerialen, zum kleineren Teil aus Bürgern der Stadt Hildes- 
heim. Von der Familie von Altenmarkt erscheint nur Lippold, 
der spätestens seit 1204 das Vogteiamt bekleidete®®), Auch hier 
treten. wie in der vorhergehenden Verhandlung, Angehörige der 
Familie von Emmerke und von Sorsum als Zeugen auf. 

Die beiden wichtigsten Urkunden bekunden den Verkauf der 
Erbgüter des Edelherrn von Depenau zu Giesen an das Kloster 
St (sodehard®”). Bei der ersten Verhandlung, die im Jahr 1235 in 
eomicio, quod vulgariter dicitur greveding, stattfand, vollzog der Edel- 
berr Dietrich mit seinen Erben, außer seinem Sohn Volrad, im 
deichen Jahr am 4. Juli dieser Volrad die Auflassung. In 
beiden Verhandlungen führte Bertold, Vogt des Moritzstiftes und 
des Bischofs, der Sohn des obengenannten Vogts Lippold, den 
Vorsitz. 

Diese beiden Verhandlungen sind deshalb so wichtig, weil 
bei ihnen die Schöffen von den übrigen Gerichtsteilnehmern 
cnterschieden und mit Namen genannt werden. Allerdings be- 
æiehnet die Urkunde sie nicht als scabini, sondern in der ersten 
Verhandlung schlechtweg als liberi, in der zweiten als liberi et 
eiusdem placiti procuratores. Es ist jedoch nicht zweifelhaft, daß 
arınter die Schöffen verstanden werden. In der ersten Ver- 


30 W. Wittioh 


handhmg treten vier Schöffen auf, davon einer aus der bischöf- 
lichéx Ministerialenfamilie von Emmerke, zwei ae der bekanriten 
Dienstmanäsfamilie von Rössing und endlich Dietrich de oivitate, 
zweifellos ein Hildesheimer Bürger. In der zweiten sind acht 
Schöffen tätig, darunter wieder drei von Rössing, feriier Hermann 
und Gottschalk von Covingen ünd drei von Barthesñem. 

Gottschalk von Covingen wird bei der Eigentumsäbertragäng 
zu Wennerde ebenfalls unter den Zeugen aufgeführt und ist 
nach seiner dorfigen Stellung unter Ministerialen und Stadt- 
bürgern entweder dem einen oder andern dieser Stände zuzu- 
rechnen. Ein Geschlecht dieses Namens wird außer in diesen 
beiden Urkunden nirgends erwähnt?!), Obwohl die Stefteng 
Gottschalks von Coviägen in der Urkunde vom Jahr 1219 eher 
für eine minisférialische oder stadtbürgerliche Stellung seines 
Geschlechts spricht, so möchte ich doch diesen Gottschalk für 
einen der sonsf so selten erwähnten schöffenbaren Grafschafts- 
freien ansehen. Es: sind hauptsächlich zwei Gründe für diese 
Annahme bestimmend, nämlich erstens das völlige Schweigen 
aller Urkunden über eine städtische oder ritterliche Familie dieses 
Namens und zweitens das‘ Auftreten Gottschatks ausschließlich 
in zwei Grafengerichtsurkunden. Wir haben in diesem Gottschalk 
von Covingen meines Erachtens einen der Schöffenbaren 
zu sehen, die zu Beginn des 13. Jahrkunderts weder stadtbürger- 
lich noch dienstmännisch geworden waren. Über seine wirt- 
schaftliche Stellung (bäuerliche oder grundherrliche Lebensweise) 
läßt sich nichts: Bestimmtes aussagen. 

Auch ein Geschlecht von Barthenem ist so wenig bekannt 
wie ein Ort dieses Namens. Dagegen liegt südlich von Sar- 
stedt das sicher zum echten Ding des bischöfliehen Ost- 
falengaues gehörige Dorf Barnten (Bernethen) in nächster 
Nachbarschaft des Dorfes Covingen®‘), Ein Theodericus de 
Bernethen steht als Zeuge is der Urkunde von 1219 direkt 
vor Gottschalk von Covingen. Ein ritterliches Geschlecht von 
Barnten ist nicht bekannt. Dagegen erscheint im 14. und 15. Jahr- 
hundert eine Bürgerfamilie von Barnten in Hildesheim und 
Hannover #?). Da nun die Zeugesreihe der Urküwde von 1219 
bischöfliche Ministerialen und hildesheimische Bürger in bunter 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 31 


Reihe aufführt, so ist dieser Theodericus de Bernethen mit Sicher- 
beit als Angehöriger dieses Geschlechts und demgemäß als Hildes- 
beimer Bürger zu betrachten. Wahrscheinlich mit ihm identisch 
ut der in der Urkunde von 1235 (TI. Nr. 416) als Schöffe er- 
wähnte Theodericus de civitate, also der (Bürger) Dietrich von 
Hildesheim. Es ist also wohl kaum zu bezweifeln, daß das 
Bürgergeschlecht der von Barnten im echten Ding des bischöf- 
ichen Ostfalengaues schöffenbar war. Daß nun ein Ort Barthenem 
im ganzen Bistum völlig unbekannt ist, und ebensowenig eine 
Familie dieses Namens, außer in der einen Urkunde, je erwähnt 
wird, so ist die Annahme wohl gestattet, für Barthenem Bar- 
netken oder Bernethen zu lesen und die drei Schöffen Jordan, 
Jodolfas und Thetmarus von Barthenem für Angehörige des Ge- 
«ehloehts von Barnten zu erklären. 

Wie dem auch sei, die beiden Urkunden zeigen mit 
Destlichkeit, daß im echten Ding des Bischofs die Ministe- 
rialen schöffenbar®’) waren und gemeinsam mit Stadtbürgern, 
falls die letztere Annahme zutreffen sollte, aber auch gemein- 
sam mit Grafschaftsfreien die Schöffenbank besetzten. Fer- 
se scheinen einzelne Ministerialenfamilien vorzugsweise die 
Ssehöffen oder Dinggenossen zu den Grafschaftsgerichten ge- 
liefert zu haben. So treten, abgesehen von der Familie von 
Altenmarkt, Angehörige des Geschlechts von Emmerke in drei, 
der Familien von Sorsum und Rössing in zwei von den vier be- 
kannten Urkunden auf. Auch die von Covingen und Barnten, 
die sonst ganz unbekannt sind, erscheinen zweimal. 

Die letzte der hier zu besprechenden Gerichtsurkunden betrifit 
eine Auflassung desselben Dietrich von Depenau von Gütern zu 
Alrermissen an das Kloster St. Godeliard vor dem echten Ding 
des Grafen von Lauenrode°‘), Als Zeugen fungieren die beiden 
Grafen Konrad und Heinrich von Lauenrode, ferner zehn Mini- 
sterialen und zehn Bürger von Hannover (Lauenrode). Die Mini- 
sterislen sind bis auf drei nur als bischöfliche Dienstleute nach- 
weiabare Personen bekannte Dienstmannen der Grafen von 
Lssenrode. Unter den Bürgern befinden sich einige, deren 
Fanilien auch in der bischöflichen oder gräflichen Dienstmann- 
schaft nachw ‘isbar sind. Personen, die niöglicherweise einzelnen 





32 | W. Wittich 


dieser Bürgerfamilien angehôrt haben, erscheinen zu Ende des 
12. Jahrhunderts als Zeugen bei Eigentumsübertragungen im 
bischöflichen Ostfalengau *). Die angeführten Urkunden erweisen 
wohl zur Genüge, daß zu Ende des 12. und zu Beginn des 
13. Jahrhunderts im Bistum Hildesheim die Ministerialität von 
dem echten Ding nicht nur nicht ausgeschlossen war, sondern 
sogar einen bedeutsamen Träger dieses wichtigsten Instituts der 
Grafschaftsverfassung bildete. 

Das Recht und die Pflicht, als Dinggenosse im Grafen- 
sericht zu erscheinen und erst recht die Fähigkeit zum Schöf- 
fenamt war nun seit alters für Edelherren, Stadtbürger und 
Grafschaftsfreie an zwei Voraussetzungen geknüpft: persön- 
liche Freiheit und Eigen im Gau oder Grafschaftsbezirk. 
Die Anknüpfung des Schöffenamts an ein besonders quali- 
fiziertes Eigen, das Hantgemal, hat sich nach ZALLINGER 
als eine unhaltbare Fiktion des Verfassers des Sachsenspiegels 
erwiesen ©), Wir werden auf diesen Punkt noch später ausführ- 
lich zu reden kommen®®). Jedoch auch ZALLINGER gibt zu, daß 
Eigentum im Gau eine notwendige Voraussetzung für die Ding- 
pflicht und die Ausübung des Schöffenamtes bildete. Wir haben 
nun gesehen, daß die eine dieser Bedingungen, die persönliche 
Freiheit, für die Ministerialität wegfiel. Der Ministerial war per- 
sönlich nicht frei und doch dingpflichtig und schöffenbar im 
echten Ding. Wie stand es nun mit der anderen Bedingung der 
Dingpflicht und Schöffenbarkeit, dem echten Eigen der Ministerialen 
im Gau oder Grafschaftsbezirk ? 

Prinzipiell, d. h. altem, strengem Recht nach war der 
Ministerial des echten Eigens nicht fähig, er war nur kraft 
Hof- und Dienstrechts Besitzer seiner Güter®”). In der älte- 
sten Zeit gab auch der Freie, der in die Ministerialität 
eintrat, sein echtes Eigen an den Herrn und empfing es als 
Dienstlehen wieder zurück®’). Dieser in den älteren Ergebungs- 
urkunden regelmäßige Vorgang ist ein deutlicher Beweis dafür, 
daß der sich ergebende Ministerial aus dem Rechtskreis des 
Landrechts auch hinsichtlich seiner Güter austreten mußte. Aber 
die Urkunden seit der Mitte des 12. Jahrhunderts ergeben ein 
von diesem Rechtszustand völlig abweichendes Bild. Fast alle 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 33 


bekannteren Ministerialengeschlechter haben meist in sehr früher 
Zeit echtes Eigen. 

Abgesehen von Pfand- oder Zinsgut waren es vier Besitz- 
rechte, kraft deren der Ministerial seine Güter innehaben konnte. 
Zunächst gab es zwei scharf geschiedene Arten von Eigen- 
tam, dann das Dienst- oder Hoflehen, das eigentliche Ministe- 
. nalenbesitzrecht, das durch seinen Stand bedingt und auf die 
Genossenschaft beschränkt war, und endlich das freie Lehen, 
das beneficium iure liberorum oder beneficium racione hominii, 
also das Lehen mit Mannschaft, das wahre Lehen. Das Hof- 
lehen, auch beneficium hereditarium ®) genannt, konnte seinem 
Wesen nach vom Herrn nur an Ministerialen verliehen werden ®°). 
An diesem Dienstgut bestand ein sehr weitgehendes Erbrecht 
aller Angehörigen des Ministerialen, soweit diese in der Dienst- 
mannschaft des Herrn verblieben °). Das freie Lehen hatte der 
Dienstmann regelmäßig von einem fremden Herrn), Die Erb- 
folge war die gewöhnliche Lehnserbfolge, also besonders durch 
den Ausschluß der weiblichen Angehörigen gegenüber dem Erbrecht 
am Hoflehen beschränkt *®?). 

Das Eigentum schied sich in ererbtes und erkauftes Eigen. 
In der Verfügungsfreiheit über das ererbte Eigentum war 
der Eigentümer durch Beispruchsrechte seiner Erben und son- 
stiger Verwandter sehr beschränkt), über das erkaufte Eigen- 
tum hatte er ziemlich freie Dispositionsbefugnis®), Nur be- 
dingte das Ministerialenverhältnis als solches, wenigstens in 
früherer Zeit, auch Rechte des Herrn und der Genossen am 
Eigentum des Ministerialen. So mußte der Dienstmann, der 
das Eigengut veräußern wollte, dieses zuerst dem Herrn und 
dann seinen Genossen zum Kauf anbieten. In späterer Zeit, 
d. h. im 13. Jahrhundert, ist von diesem Beispruchsrecht von 
Herren und Genossen bei Verfügungen über dienstmännisches 
Eigengut nicht mehr die Rede”). Die Bezeichnungen für das 
dienstmännische Eigentum sind verschiedenartig, bald heißt es 
proprietas, bald hereditas, bald patrimonium, bald allodium °°). 
Die Belegstellen für das echte Eigen der Ministerialen zählen 
naeh Hunderten, die Steterburger Annalen wie auch die bischöf- 


liehen Urkunden sind voll von Beispielen. Sachlich bestanden 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 3 


34 W. Wittich 


diese Eigengüter regelmäßig in Hufen mit dazugehörigen Haus- 
stellen und Höfen, ferner in einzelnen Äckern und Wiesen, sehr 
häufig auch in kleinen Wäldern und Gehölzen ®). Dagegen waren 
Zehnten und Vogteirechte ausnahmslos Lehen °?”). 

Sehr häufig, fast regelmäßig lagen nun diese Eigengüter der 
Ministerialengeschlechter in dem Dorf, nach dem das betreffende 
Ministerialengeschlecht sich benannte, oder wenigstens in dessen 
nächster Nachbarschaft. Natürlich ist dies nicht so zu verstehen, als 
ob sämtliche Eigengüter einer Familie am Ort des Namens vereinigt 
gewesen seien, und dort kein anderes Geschlecht Eigen oder Lehen 
hätte haben können. Die Geschlechter besaßen nicht selten ihr 
Eigen an einem anderen Ort und am Ort des Namens nur Lehngut. 
Auch erscheinen ganz regelmäßig am Ort des Namens eines 
Dienstmannsgeschlechts andere Familien mit Eigen oder Lehen 
angesessen. Aber die Regel ist fraglos die, daß die Familie 
bezw. ihre einzelnen Angehörigen, am Ort des Namens vorzugs- 
weise ererbtes Eigengut besitzen ®). Dieser Umstand rechtfertigt 
meines Erachtens die Annahme, daß ein Zusammenhang zwischen 
dem Namen des Geschlechts und dem Eigengut besteht, daß das 
Geschlecht sich regelmäßig nach dem Ort genannt hat, an dem 
seine Eigengüter gelegen waren. Es ist also nicht, wie LÜNTZEL 
glaubt, der Ort des Dienstgutes, der der Familie den Namen 
gibt, sondern der Ort des Eigengutes®). Natürlich bezieht sich 
diese Behauptung nur auf solche Geschlechter, die sich überhaupt 
nach Dörfern benannten. Diejenigen Familien, die Amtstitel als 
Familiennamen führten oder sich nach Lehns- oder Eigen- 
burgen benannten, kommen hier nicht in Frage. Jedoch treten 
sie an Zahl gegenüber den nach Dörfern heißenden Geschlechtern 
völlig zurück, vielfach läßt sich auch für sie eine dörfliche Hei- 
mat oder gar der alte Geschlechtsname feststellen 1°). Dieser Zu- 
sammenhang zwischen Eigengut und Geschlechtsname weist ein- 
mal auf das hohe Alter des Eigengutes in den betreffenden 
Familien und ferner auf die Bedeutung, die man wenigstens in 
früherer Zeit dem Eigengut beilegte. Der nach der herrschenden 
Ansicht aus niedriger Hörigkeit hervorgegangene Ministerial heißt 
nicht nach dem Ort, wo das seinem Stand allein angemessene 
und eigentümliche und darum ursprüngliche Dienstgut lag, son- 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 35 


dern nach dem Ort seines Eigengutes, das er nach der herrschen- 
den Ansicht in früherer Zeit kraft Landrechts innezuhaben über- 
haupt nicht fähig war. 


85. Das Hantgemal der Ministerialen und der 
Schluß auf ihre altfreie Herkunft. 


Wir kommen jetzt zu der wichtigen Frage: in welcher 
Beziehung stand das Eigen der Ministerialen zu ihrer Ding- 
pflicht und Schöffenbarkeit im echten Ding? Die früher herr- 
schende Ansicht hat auf Grund der Autorität des Sachsen- 
spiegels behauptet, daß der Schöffenstuhl, d. h. das Schöffen- 
amt, in den dazu berufenen Familien sich nach den Grund- 
sätzen der Individualsukzession vererbt habe, daß also nur einer 
von allen Geschlechtsgenossen Schöffe gewesen sei!"'). Ferner 
habe jede Familie nur in dem Gericht die Schöffenbarkeit be- 
sessen, in dem ihr besonders qualifiziertes Eigengut, das Hant- 
gemal, lag. ZALLINGER hat diese Anschauung dahin richtig ge- 
stellt, daß nicht ein Mitglied, sondern alle Männer eines schöffenbaren 
Geschlechts zur Ausübung des Schöffenamts berechtigt waren, 
und ferner, daß diese Schöffenbarkeit sich nicht auf das Gericht 
des Hantgemals beschränkte, sondern daß die Schöffenbaren in 
allen Grafschaften Schöffen sein konnten, in denen sie oder ihr 
Geschlecht Grundeigentum hatten. Die Schöffenbarkeit war also 
prinzipiell weder auf einen Vertreter des schöffenbaren Geschlechts 
beschränkt, noch auf das Gericht, in dessen Bezirk das Stamm- 
gut und die Heimat des Geschlechts lag 7). Jedoch gibt ZALLINGER 
zu, daß tatsächlich die Schöffen in der Regel aus den altein- 
heimischen Familien des Gerichtsbezirks entnommen wurden !°?). 
Nach unserem, allerdings nicht sehr reichhaltigem Material ist 
auch hinsichtlich der ministerialischen Schöffenbaren die An- 
schauung ZALLINGERS nur zu bestätigen. Die wenigen über- 
lieferten Schöffenlisten enthalten mehrere Mitglieder eines Ge- 
sehlechts!"®). Die Schöffen gehören allerdings der Regel nach 
den eingesessenen Familien des Gerichtsbezirks an, aber An- 
gehörige dieser z. B. im bischöflichen Ostfalen beheimateten 
seschlechter erscheinen als Gerichtszeugen und. wohl auch als 
Schöffen in fremden Grafschaften, in denen dann auch meist 


36 W. Wittich 


Eigengut des Geschlechts nachzuweisen ist **). So sehr man nun 
ZALLINGER darin zustimmen kann, daß die faktische Ausübung 
Familie und nicht auf den Gerichtsbezirk des Hantgemals be- 
schränkt war, so entschieden muß die Bedeutung des Hantgemals 
für die Schöffenbarkeit und Dingpflicht, überhaupt für alle Freien- 
rechte, hervorgehoben werden. Da das Hantgemal auch für die 
schöffenbaren Ministerialengeschlechter sehr wichtig ist, so muß 
hier kurz auf dieses dunkle und vielfach falsch beurteilte Institnt 
eingegangen werden 106), 

HoMEYER definiert in seiner grundlegenden Abhandlung 
über die Heimat nach altdeutschem Recht das Hantgemal als 
das freie, mit einem etwa wehrhaften Wohnsitze versehene 
Grundstück eines Vollfreien, welches als Haupt- und Stamm- 
gut des Geschlechtes ungeteilt auf den Ältesten der Schwertseite 
sich vererbt 106), Wenn auch der Besitz des Gutes dem Âltesten 
zufällt, so stehen doch alle anderen Glieder des Geschlechts in 
rechtlicher Beziehung zu dem Hantgemal. Die rechtliche Wir- 
kung des Hantgemals für alle Mitglieder des Geschlechts besteht 
darin, daß durch seinen Besitz die Freiheit des Geschlechts und 
des einzelnen erwiesen wird; es ist, wie sich eine bayerische 
Urkunde bezeichnend ausdrückt, das praedium libertatis eines 
Geschlechts "7. Ferner bestimmt die Lage des Hantgemals die 
Heimat im Rechtssinn des Geschlechts und seiner einzelnen An- 
gehörigen. Diese Heimat im Rechtssinn ist entscheidend für den 
Gerichtsstand des Freien in gewissen Kapitalsachen und ferner 
für die Entscheidung der Frage, nach welchem Recht er lebt und 
beurteilt wird. Nach dem Sachsenspiegel antwortet der schöffen- 
bar freie Mann zu Kampfe, d. h. er unterwirft sich dem Urteil 
des gerichtlichen Zweikampfes, dem Gottesurteil, in dem Gericht, 
da sein Hantgemal inneliegt!®). Die Dingpflicht des Schöffen- 
barfreien, d. h. seine aktive Teilnahme am echten Ding, findet 
nach dem Sachsenspiegel nur dann am Gericht des Hantgemals 
statt, wenn er daselbst seinen Schöffenstuhl hat, d. h. das nach 
der Anschauung des Rechtsbuchs nur dem Ältesten des Geschlechts 
zukommende Schöffenamt ausübt. Die Dingpflicht der übrigen 
Geschlechtsgenossen richtet sich nach dem Ort des Wohnsitzes. 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 37 


Nun hat ZALLINGÉR den Nachweis erbracht, daß die Beschränkung 
des Schöffenamts auf den Ältesten eines Geschlechts ebensowenig 
dem wahren Rechtszuständ in Ostfalen entspricht wie die Be- 
schränkung der Ausübung des Schöffenamts auf den einzelnen 
Gerichtsbezirk. Alle Männer eines schöffenbaren Geschlechts 
waren in allen Grafschaften schöffenbar, in denen sie Grundbesitz 
hatten). Es muß also die Schöffenbarkeit im Sinne der tat- 
sächlichen Ausübung des Schöffenamts an die gleichen Voraus- 
setzimgen geknüpft gewesen sein wie die Dingpflicht, nämlich 
Freiheit, bezw. bei Schöffenbaren, Abstammung aus einer schöffen- 
baren Familie, und ferner Eigengut im Gerichtsbezirk. Das 
Hantgemal kann also zu der Zeit, d. h. etwa zu Ende des 12. 
und Anfang des 13. Jahrhunderts, nicht die Bedeutung gehabt 
haben, daß es direkt die aktive Teilnahme der Schöffenbaren an 
dem Gericht des Bezirks bedingte oder bestimmte. Dagegen 
hatte es einen mittelbaren Einfluß von allerhöchster Wichtigkeit. 
Es war das wichtigste äußere Merkmal für die Schöffenbarkeit 
eines Geschlechts. Natürlich ist der Begriff der Schöffenbarkeit 
nicht durch das Hantgemal bestimmt. Die schöffenbaren Familien 
einer Grafschaft waren diejenigen hervorragenden Freiengeschlechter 
de: Bezirks, die zunächst tatsächlich, d. h. für gewöhnlich und 
berkümmlich, die Schöffenbank des echten Dings besetzten und 
shließlich diese Auszeichnung als ein ausschließliches Recht für 
ihre Angehörigen in Anspruch nahmen. Es bildete sich so ein 
geschlossener Kreis von Geschlechtern aus, die sich durch das 
Recht auf das Schöffenamt von den übrigen Freienfamilien ab- 
«nderten und ähnlich wie die ratsfähigen Familien in den Städten 
eine durch das Recht auf das öffentliche Amt gekennzeichnete 
Aristokratie darstellten. Das äußere Kennzeichen dieser Schöffen- 
barkeit aber war für das ganze Geschlecht wie für den einzelnen 
Geschlechtsgenossen das Hantgemal. Der Sachsenspiegel sagt 
ausdrücklich, wer sich einem Schöffenbarfreien als ebenbürtig, 
d.h. ebenfalls als Schöffenbarfreien erweisen will, der muß nach- 
weisen seine vier Ahnen (d. h. seine schöffenbarfreie Abstam- 
mung von Vater- und Mutterseite) und sein Hantgemal''"). Es 
mußte also zu dem Nachweis der Abstammung der Nachweis des 
&reb diese Abstammung notwendig bedingten Grundbesitzes 





38 W. Wittich 


treten. Es war also in Sachsen ganz wie in Bayern das Hant- 
gemal, das praedium libertatis, aber nicht der gemeinen Freiheit 
schlechtweg, sondern der ausgezeichneten Freiheit des schöffen- 
baren Mannes. Das Hantgemal bestimmte nicht, wenigstens nicht 
mehr zu Ende des 12. Jahrhunderts, für den einzelnen Schöffen- 
baren den Bezirk, wo er dingpflichtig war oder das Schöffenamt 
bekleiden konnte, aber es war noch immer die wichtigste Vor- 
aussetzung und das wichtigste Kennzeichen seines landrechtlichen 
Standes, der selbst wieder für alle übrigen Rechte die Bedingung 
bildete. Weil so das Hantgemal die wichtigste Voraussetzung 
und das äußere Kennzeichen des schöffenbarfreien Standes bildete, 
hatte der nicht im Besitz befindliche Schöffenbarfreie das Prozeß- 
privileg, sein Recht auf das Hantgemal mit dem Eineid zu er- 
weisen !!!), Wohl als Rest des früheren Rechtszustandes erscheint 
die Bestimmung, daß der Schöffenbare den gerichtlichen Zwei- 
kampf vor dem Gericht, in dessen Bezirk sein Hantgemal ge- 
legen war, ausfechten mußte !!}). 

Es erhebt sich nun die Frage nach der Beschaffenheit des 
Hantgemals. Die herrschende Ansicht, die im wesentlichen 
von HoMEYER begründet worden ist, erklärt es für das un- 
teilbare, jeweils vom Âltesten eines Geschlechts besessene 
und benützte Stammgut einer Familie. Jedoch hatten auch alle 
übrigen Geschlechtsgenossen insofern daran teil, als es auch 
für sie das Kennzeichen des Standes bildete !'?), Diese An- 
schauung ist einer bayerischen Urkunde vom Jahr 1180 ent- 
nommen, die allerdings eine andere Deutung nicht zuläßt ''?). Da- 
mals bezeichnete nämlich der Graf Sigbot von Falkenstein eine 
Hufe (nobilis viri mansus) apud Geiselbach als sein Hantgemal. 
Jedoch ist es nicht nur sein Hantgemal, sondern auch das seiner 
Bruderssöhne und zweier Nebenlinien des Geschlechts, der 
Hunsberger und der Bruchberger. Dieses praedium libertatis 
sue erstritt er sich im Prozeß, weil er der Älteste des Geschlechts 
war (quod senior in generatione illa videatur). Es kann also kein 
Zweifel bestehen, daß bei den bayerischen Grafenfamilien des 
12. Jahrhunderts das Hantgemal diese Beschaffenheit gehabt hat. 
Nun aber besitzen wir drei Salzburger Urkunden aus dem 
10. Jahrhundert, in denen es uns in ganz anderer Gestalt ent- 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 39 


gegentritt '%*). Etwa im Jahr 935 gibt Odalhard an den Bischof 
7 Hufen zu Ergeltesbach . .. exceptis in una quaque parte quam 
Celga vocamus iugeribus tribus et uno curtili loco ad occidentalem 
partem, quod vulgo Hantkimahili vocamus. Cetera omnia 
tradidit ... Es gibt also der Schenker sein ganzes Erbgut an 
diesem Ort mit Ausnahme von drei Joch in jeder Zelge, d. h. 
in jedem der drei Felder der nach der Dreifelderwirtschaft ein- 
geteilten Feldflur, und eines Hausplatzes. Im Jahr 925 gab ein 
nobilis vir Gaganhard sein ganzes Eigentum an zwei Orten, nahm 
aber aus (premisit = praetermisit) sibi particulam proprietatis, quod 
Hantkirnahili (Hantkimahili) vulgo dieitur. Endlich tradierte im 
Jahr 927 die nobilissima femina Rihni Eigengüter cum manu 
advocati sui ... excepta lege sua, quod vulgus hantigimali vocat. 
In diesen Urkunden erscheint das Hantgemal keineswegs als das 
unvertretbare, nur dem Ältesten zustehende Freiheitsgut des Ge- 
schlechts, sondern als eine jedem Geschlechtsgenossen, ja sogar 
der Frau gehörige particula proprietatis. Der Umfang kann bis 
zum Mindestmaß der bäuerlichen Betriebsgröße herabgehen, ja 
es ist sehr wahrscheinlich, daß es überhaupt kein als Hantgemal 
fest bestimmtes Gut gab, sondern daß das Erbgut jedes Freien 
auch sein Hantgemal darstellte, und daß er erst bei Veräußerungen 
dieses Erbguts einen beliebigen sehr kleinen Bestandteil desselben 
als Hantgemal heraushob und zurückbehielt. So sagt eine bayerische 
Urkunde unzweifelhaft im Hinblick auf das Hantgemal !'°): Liudolf 
quidam nobilis vir tradidit Frid ... tale praedium quale habuit 
in loco Uticha ... et dempsit partem unam pro libertate tuenda. 
Das Hantgemal war also in Bayern 250 Jahre früher nicht das 
konkret bestimmte, unteilbare, jeweils dem Ältesten des Ge- 
schlechts zustehende Familiengut, sondern ein beliebiger Teil 
eines Erbgutes, das der einzelne Freie als Zeichen der Freiheit 
unter allen Umständen in unmittelbarem Besitz behalten mußte. 
Beiden Arten des Hantgemals gemeinsam war die Rechtswirkung 
für den Besitzer oder Mitberechtigten als Kennzeichen der Freiheit. 

Welche Beschaffenheit hatte nun das Hantgemal des nieder- 
sächsischen Schöffenbaren im 12. Jahrhundert; war es ein unteil- 
bares Familiengut und Besitz des Ältesten oder die particula 
proprietatis, die jeder Schöffenbarfreie im unmittelbaren Besitz, 


40 W. Wittteh 


haben mußte? Zumäâehst ist zw betomen, daß das Wort selbst 
den Urkunden fremd ist. Ieh habe keine Urkunde gefunden, die 
ein Gut ausdrücklich als Hanigemal bezeichnet. Jedoeh kann 
dies Schweigen nur auf Zufall beruhen. Der Heliand, das älteste 
sächsische Sprachdenkmal, kennt die Bezeichnung ebensogut wie 
der Sachsenspiegel und wendet sie in dem bekannten Sinn am 11). 
Bei der Schätzung unter Augustus suchen alle Pflchtigew il 
odil (Erbgut), die Männer ihr handmazhal. In Bethlehem: hegt 
das hamdmahal von Joseph und Mariz, Jerusalem ist das handmahat 
und die Hofstätte (hobistedi) der Juden. Es ist also kom Zweifel, 
daß das Wort wie der Begriff auch dem sächsischen Stamm seit 
den ältesten Zeiten geläufig war. Für die Entscheidung der 
Frage, vom welcher Beschaffenheit das Mantgemal war, ist vor 
allem der Sachsenspiegel wichtig. Drei Stellen sind indifferens; 
sie können sowohl: auf das unteilbare Stammgut im Besitz des 
Ältesten wie auf die particula proprietatis bezogen werden: !), 
Der Schöffenbare muß seine vier Ahnen und sein Hantgemel be- 
weisen, wenn er einen Standesgenossen zum Kampf anspricht, 
sonst braucht er diesen Nachweis seines Standes niemals zu 
führen; der Schöffenbare antwortet nur in dem Gericht zu Kampfe, 
in dem sein Hantgemal liegt. Dagegen sagt eine weitere Stelle: 
„Die man mut sik wol to sime hantgemale mit sineme eide tiem, 
al ne hebbe he’s under ime nicht“ !!”). Der nicht im Besitz seines 
Hantgemals befindliche Schöffenbarfreie kann sein Recht daran 
ohne Eidhelfer mit seinem alleinigen Eide beschwören. Diese 
Stelle setzt meines Erachtens unter allen Umständen voraus, daß 
mindestens’ jeder männliche Angehörige eines schöffenbar freien 
Geschlechts ein besonderes Hantgemal für sich besessen hat. 
„Unter sich haben“ kann hier nur den körperlichen Besitz be- 
deuten ''%). Dieser fehlt aber, wenn man das Hantgemal als un- 
teilbares Stammgut und Besitztum des Ältesten ansieht, allen 
nachgeborenen Schöffenbarfreien. Auch kann man die Stelle 
nicht: wohl bloß auf diejenigen Schöffenbarfreien: beziehen;: die 
als Geschlechtsälteste den: Besitz des: Stammgutes beanspruchen 
konnten. Der erste Satz des Paragrafen hat unzweifelllaft alle 
Schöffenbarfreien im Auge, wenn er sagt, daß sie nur dänn: ihr 
Hantgemal und ihre vier Ahnen: zu beweisen brauchen, wenn! sie 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 41 


zum Kampf angesprochen werden. Darauf folgt unmittelbar der 
Satz über das Beweisreeht des nicht im Besitz befindfichen 
Schöffenbarfreien. Aus diesem Zusammenhang geht mit Sicher- 
Reit hervor, daß der körperliche Besitz des Hantgemals für alle 
männliehen Sehöffenbaren als Regel vorausgesetzt wird. Auch 
die übrigen Stellen des Rechtsbuches sprechen niemals vom Hant- 
gomal des Geschlechts, sondér” nur vom Hantgemal der einzelnen 
Person, „seinem“ Hantgemal. 

However kat in seiner mehrfach erwähnten Abhañdtung 
über die Heimat nach altdeutschem Recht in sehr klaren Worten 
den Unterschied zwischen der Dingpflicht und der Gerichts- 
(hôrigkeit)pflicht gekennzeichnet"). Dingpflicht ist diejenige 
Pflicht, die wir heute Gerichtsdienst nennen, nämlich das Recht 
und die Pflieht, dem Richter Rechtens zu: helfen, mit ihm das 
Gerieht zw bilden. Gerichts(-hörigkeit)pflich? ist der Gerichts- 
stand der Personen als Parteien, ihre Pflicht, vor einem be- 
stimmten Gericht Recht zu nehmen oder, wie der Sachsenspiegel 
sagt, dem Richter Rechtens zu pflegen. Das Hantgemal involviert 
nun für den schöffenbarfreien Besitzer direkt keine Dingpflicht. 
Denn die Dingpflicht richtet sich ja in der Ffauptsäche nach dem 
Wohnsitz. Nur indirekt hat es eine Wirkung auf die Dingpflicht 
insofern, als es den Stand des Schöffenbarfreien bestimmt. Dagegen 
bestimmt das Hantgemal direkt den wichtigsten Gerichtsstäid 
des Schöffenbaren, nämlich das forum duelli:. HoMEYER weist 
nach, daß dieses forum das echte Forum des Schöffenbarfreien 
war; alle anderen Gerichte waren im Gegensatz zum Gericht des 
Hantgemals auswendige (ütwendige) Gerichte'!?%). Der Schöffen- 
Barfreie mußte also in der wichtigsten, seine Person betreffenden 
Sache dem Richter über den Bezirk, in dem sein Hantgemal be- 
legen war, Rechtens pflegen. 

Nüu spricht der Sachsenspiegel in einer bisher wenig be- 
achteten Stelle ganz allgemein über den Zusammenhang zwi- 
schen: Eigen und Gerichtspflicht(-hörigkeit) '?)., Ein freier Mann 
kann ohne des Richters Erlaubnis, aber mit Zustimmung 
seiner Erben sein Eigen vergeben. Jedoch soll er zurütkbehal- 
ten eine halbe Mufe und eine Word (d. hi: eitten Hausplatz), 
auf der man’ einen Wagen wenden kann. Davoti, d. h. von 


42 | W. Wittich 


dem zurückbehaltenen Grundbesitz, soll er dem Richter seines 
Rechtes pflegen. HOMEYER meint, diese Bestimmung habe all- 
gemein für alle Freien, also auch für die Pfleghaften, gegolten. 
Auf jeden Fall bezog sie sich auf die Schöffenbarfreien. Wir 
erfahren also hier unmittelbar, wie der Besitz beschaffen sein 
mußte, von dem Rechtes gepflegt wurde. Er betrug im Minimum 
eine halbe Hufe mit einer Word und hatte die größte Ähnlichkeit 
mit dem altbayerischen Hantgemal der Urkunden, das wohl 
ebenfalls nur in der äußerst noch gestatteten Mindestgröße uns 
überliefert ist. Nun ist das sächsische Hantgemal nur eine 
spezielle Art von solchem die Gerichtspflicht bestimmenden Grund- 
eigentum. Es liegt daher sehr nahe, für dieses dieselbe Be- 
schaffenheit anzunehmen, die für Eigentum solcher Art im all- 
gemeinen ausgesprochen wird. Läßt man diese Annahme aber 
gelten, so war das Hantgemal kein unteilbares Stammgut im 
Besitz des Ältesten, sondern ein minimales Bauerngütchen im 
Besitz jedes Geschlechtsgenossen. So gehen die Angaben des 
Sachsenspiegels übereinstimmend dahin, daß das Hantgemal, das 
er meint, gleich dem altbayerischen Hantgemal eine particula 
proprietatis darstellte, die jeder Schöffenbarfreie zur Erhaltung 
seines Standesrechts körperlich besitzen mußte. 

Sehen wir nun zu, ob nicht die gleichzeitigen Urkunden einige 
Anhaltspunkte zur Entscheidung dieser Frage geben. Zunächst 
sind uns zwei Urkunden überliefert, die unzweifelhaft auf das Hant- 
gemal Bezug nehmen. Beide Urkunden betreffen die Gründung von 
Familienklöstern seitens hochangesehener Grafengeschlechter. Die 
älteste Urkunde enthält den Stiftungsbericht über die Gründung 
des Klosters Reinhausen durch die Grafen von Reinhausen und 
stammt aus den Jahren 1153—1156 '?!), Die entscheidende Stelle 
hat folgenden Wortlaut: „His tribus fratribus comitibus et Ma- 
thildi communicato consilio placuit, ut locum suum principalem 
unde originem duxerant, domino deo ... deputarent“. „Der 
locus principalis, unde originem duxerant“ kann nur das Hant- 
gemal sein'®*). Die zweite Urkunde handelt von der Gründung 
des Klosters Wöltingerode durch die Grafen von Woldenberg. 
Tres nobiles ac comites ... germani fratres divine pietatis in- 
epiratione contacti domum ac locum nativitatis sue, qui Wal- 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 43 


tingeroth dicitur ... nullo sibi proprietatis iure retento consensu 
heredum suorum contulerunt'**). Auch hier ist wohl kein Zweifel, 
daß das Hantgemal gemeint ist. In beiden Fällen ist nun von 
einem unteilbaren, in der Hand des Ältesten befindlichen Stamm- 
gut keine Rede. Allerdings ist das Gut zur Zeit der Schenkung 
ungeteiltes Gesamteigentum der Schenker, aber nichts berechtigt 
zur Annahme, daß es unteilbar gewesen sei, und daß der Älteste 
ein Vorrecht auf den Besitz gehabt habe. Nur soviel läßt sich 
zugeben, daß vielfach der als Hantgemal geltende Grundbesitz 
etwa mit einem Haupthof von sehr nahen Miterben gemeinsam 
und ungeteilt besessen wurde. Aber dies war ein rein tatsäch- 
licher, durch das Recht in keiner Weise gebotener Zustand, der 
daher jeder Zeit geändert, das Gesamteigentum also durch Teilung 
aufgelöst werden konnte #). 

Während so für die Annahme, das Hantgemal sei unteil- 
bares Stammgut des Geschlechts gewesen, kein Anhaltspunkt 
vorliegt, finden wir in den Urkunden zahlreiche Hinweise 
auf eine Beschaffenheit des Hantgemals, wie sie auch der 
Sachsenspiegel unzweifelhaft im Auge hat. So übergibt im 
Jahr 1232 der Graf Heinrich von Schladen, der wohl sicher 
aus dem Geschlecht der Edelherren von Dorstadt stammte, 
seine curia. domestica in Dorstadt, die gewöhnlich sethelhof 
genannt wird, mit der zugehörigen Pfarrkirche und mit drei 
Joch Eigenlandes daselbst an das Kloster Dorstadt'?). So. 
schenken ferner in den Jahren 1182—1184 die Brüder Bodo und 
Ludolf, damals noch Edelherren von Saldern, jeder je 18 iugera 
und eine Hofstätte im Dorf Lafferde (Lefforde) an das Kloster 
Steterburg!‘‘). Im Jahr 1203 begründete der hildesheimische 
Ministerial Luppold von Escherde auf seinem Eigengut zu Escherde 
ein Kloster und stattete es mit vier allodialen Hausplätzen zu 
Escherde aus'?‘). In der Folgezeit beobachten wir zahlreiche 
Mitglieder des Geschlechts im Verkehr mit dem Kloster; bald 
schenken sie, bald verkaufen sie ihm Grundstücke!*). Alle 
männlichen Angehörigen der Familie haben Eigengut in Escherde, 
teils in unmittelbarem Besitz, teils zu Lehen gegeben. Das Maß 
des Grundeigentums, das einer allein oder mehrere gemeinsam 
besitzen, sinkt niemals unter eine halbe Hufe, meist ist es größer, 


44 WW. Wittich 


jedoch übersteigt es niemals drei Hufen. Man hat völlig den 


Eindruck, als ob jedes Familienmitglied eitweder allein oder ' 
gemeinsam mit etwaigen Miterben eine particula des alten Familien- 
besitzes besessen Habe. Soweit din solcher Besitz als Parzelle 
eine wirtschaftliche Bedeutung nicht beanspruchen konnte, hatte 


er sicher die rechtliche des Hantgemals; aber auch’ die größerei 


[4 


Eigengüter bildeten für ihre Eigentiimer aus dém Geschledht der ° 


von Escherde die praedia libertatis. Auch den 9 Morgen Landes, 


wie in Bayern, begegnen wir. So schenkt Lippold von Alter: ° 
markt, der Vogt des Mütitzstifts, in sehr feierlicher Weise dem : 


Kreuzstift 9 Morgen‘ Eigenlandes zu Nordstemmen, deni‘ alter 
Familiengut und der walirscheinlichen Heimat dieses Zweiges 


des Geschlechts"; Im Jahr 1311 verkauften die Knappeh 


Bertold und Gerhard von Giesen 9 iugera in Bevelte, que ad 
nos cum omni iure et pioprietate a retroactis temporibus per- 
tinebant !?°). Bevelte oder Beuelte lag nahe bei Großgiesen, wo 
schon in der Mitte des 13. Jahrhunderts Eigengüter des Ge- 
schlechts vorkommen !). 

Jedoch werden nicht nur kleine Eigengüter am Ort des 
Namens erwähnt, die mit Wahrscheinlichkeit als Hatitgemale 
anzusprechen sind, sondern die rechtliche Bedeutung solcher 
wirtschaftlich ganz wertloser Grundstücke offenbart sich auch 
in der Art und Weise, wie die Besitzer über diese Güter 
disponieren. Sehr häufig werden bei Veräußerung größeren 
Grundbesitzes am Ort einige Morgen zurückbehalten. So 
hatte Werner von Bethmar vor dem Jahr 1240 fünf Hufen 
Eigen zu Bethmar an das Kreuzstift verkauft #1), Nachträglich 
erhob er Anspruch auf 31/2 iugera daselbst und behauptete, diese 
seien nicht mitverkauft worden. Sein Anspruch scheint aner- 
kannt worden zu sein, denn er erhielt durch Schiedsrichter eine 
hohe Entschädigung zugebilligt. Die dienstmännische Familie 
von Holle verkaufte um das Jahr 1219 ihre Eigengüter zü 
Luttrum bei Holle an das Kreuzstift Hildesheim '**). Zwei Brüder, 
Dietrich und Arnold von Holle, behaupteten ein besonderes Recht 
auf 9 Morgen Landes in Luttrum, konnten aber mit ihrem An- 
spruch nicht durchdringen. Jedoch wird noch aus dem Jahr 1261’ 
berichtet, daß Dietrich von Holle und seine Söhne daselbst eine 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 45 


wea mit drei Morgen Eigenland besafen !*?) Im Jahr 1103 
schenkte die Tochter des Grafen Heinrich von Reinhausen und 
Nichte Bischofs Udo von Hildesbeim, Eilika, ihre umfangreichen 
Allodialgüter an die Hildesheimer Kirche, behielt sich aber sechs 
Hufen mit den daraufsitzenden Laten zu Schlenstedt als freies 
Eigen zurück '°*). Eine wirtschaftliche Bedeutung kann dieser 
m Vergleich zu der gewaltigen Schenkung ganz geringfügige 
Vorbehalt nicht gehabt haben, denn der Bischof gab das Ganze, 
ni Ausnahme der Ministerialen und ihrer Lehen, der Schenkerin 
ds Prekaria auf Lebenszeit wieder. Es müssen diese sechs 
Hafen ein vorbehaltenes praedium libertatis gewesen sein. Im 
Jahr 1152 begründete ein reicher Ministerial Heinrichs des Löwen 
mens Liemmar das Kloster Bokeln. Er dotierte das Kloster 
uit vier ganzen Dörfern, behjelt sich aber 6 Hufen im Dorf 
Bokeln vor'*). Zum Schluß möchte ich noch ein Zeugnis aus 
Westfalen anführen, in dem wahrscheinlich unmittelbar auf das 
Hantgemal Bezug genommen wird. Im Jahr 1299 verkaufte der 
Knappe Hermann Hunt von Holzhausen mit Zustimmung seiner 
Erben seine Güter zu Holzhausen bei Gudensberg, que ibidem 
minima appellantur'°®). Die rätselhafte Bezeichnung der Güter 
als minima erklärt sich spielend, wenn wir sie als Hantgemal 
a unserem Sinn, d. h. als kleinstes, nach rechtserhebliches 
Freiheitagut, auffassen. 
So geben auch die sächsischen und besonders die west- 
fälischen Urkunden, soweit sie überhaupt auf diese Verhält- 
ice eingehen, kein anderes Bild als der Sachsenspiegel und 
die älteren bayerischen Urkunden. Nirgends finden wir einen 
Anhaltspunkt für die Annahme HoMmEYERS, daß es ein Hant- 
semal im Sinn eines unteilharen Stammgutes der Familie im 
Besitz des Altesten gegeben habe. Die Vorstellung HoMEYERS 
is der falkensteiner Urkunde vom Jahr 1180 entnommen. Hier 
zit sie unzweifelhaft zu. Aber ich halte diese Beschaffenheit 
es Hantzemals für eine singuläre Entwicklung bei den hoch- 
‚ieligen Familien des Südens, die schon früh das aus dem Staats- 
“er Lehnrecht entnommene Prinzip der Primogenitur und Un- 
+Ibarkeit auf ihre Allodialgüter ausdehnten. Dem deutschen 
\lodialerbrecht aller Stämme entspricht allein die Beschaffenheit 


48 W. Wittich 


deutung des Hantgemals kann diese leicht erklärliche Abweichung 
vom alten Rechte nicht bilden. Sie zeigt nur, wie schon zu 
Ende des 12. Jahrhunderts gerade bei den vornehmsten Ge- 
schlechtern der alte Rechtszustand seine Bedeutung verlor, weil 
die neue Macht sie weit über dieses Recht hinausgeführt hatte. 

Suchen wir uns nun ein Bild von der Entstehung des Hant- 
gemals in der für das 13. Jahrhundert ermittelten Bedeutung 
zu machen. Sicher ist es ursprünglich identisch mit der Quote 
des einzelnen Geschlechtsgenossen an dem Erbeigen des Geschlechts. 
Jedes altfreie Geschlecht hat einen locus originis oder nati- 
vitatis. Dieser locus originis ist das Dorf, nach dem das Ge- 
schlecht gewöhnlich den Namen führt. In diesem Dorf und 
dessen Feldmark, wohl auch den nächstgelegenen Dorfgemar- 
kungen, liegen die Erbgüter des Geschlechts. Jeder Geschlechts- 
genosse hat kraft seiner Zugehörigkeit zum Geschlecht eine 
portio, einen Anteil an diesen Erbgütern. Diese portio ist das 
ursprüngliche Hantgemal, an das sich alle rechtlichen Wirkungen 
anknüpfen. Bei wiederholten Teilungen verkleinert sich diese 
portio sehr; es wird daher eine Mindestgrüße festgesetzt, unter 
die die portio nicht sinken soll. Die Größe dieses Minimums 
ist schwankend, der Sachsenspiegel nennt eine halbe Hufe; nach 
den Urkunden scheint es schließlich bis auf 3—9 Morgen gesunken 
zu sein. Auch wenn der Geschlechtsgenosse sein Erbeigen ver- 
äußerte, behielt er sich ein solches Minimum zurück pro liber- 
tate tuenda. Aus dem Gesagten geht hervor, daß das Hantgemal 
nicht von Anfang an mit einem solchen Minimum gleichbedeutend 
war, sondern daß ein solches Minimum nur die Grenze dar- 
stellte, unter die eine portio nicht sinken durfte, ohne ihre Rechte 
zu verlieren. Die meisten Hantgemale waren aber größer alg 
das Minimum. Mit den fortschreitenden Teilungen und zu- 
nehmenden Veräußerungen des echten Eigens reduzierten sich die 
meisten Hantgemale tatsächlich auf das Minimum, und es wurde 
üblich, unter Hantgemal nicht die ganze portiu, sondern nur das 
Minimum zu verstehen. Da eine wirtschaftliche Bedeutung der 
stark zusammengeschmolzenen portio nicht mehr zukam, die 
rechtliche Wirkung aber auch der Besitz des Minimums ge- 
währte, so legte man nur noch auf dieses Wert und bezeichnete 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 47 


Allodialgüter ausspricht. Da wir dieselben Dispositionen in den 
bayerischen Urkunden beobachten, und dort die Vorbehaltsgrund- 
stücke ausdrücklich als Hantgemal bezeichnet werden, so liegt 
es nahe, auch in den sächsischen Vorbehaltsgütern Hantgemale 
zu sehen. So deuten auch die Angaben der sächsischen Ur- 
kunden übereinstimmend auf die Existenz des Hantgemals in 
der tatsächliehen Beschaffenheit und rechtlichen Bedeutung, die 
wir aus den älteren bayerischen Urkunden und aus dem Sachsen- 
spiegel mit Sicherheit erschlossen haben. Wir nehmen daher an, 
daß das Rechtsbuch und die erwähnten (mit zahlreichen nicht 
erwähnten) Urkunden immer das Gleiche meinen, nämlich das 
Hantgemal als particula proprietatis und praedium libertatis. 

Allerdings war es wohl schon zu Beginn des 13. Jahrhunderts 
ein veraltetes und nicht mehr lebendiges Rechtsinstitut. Der 
Sachsenspiegel schildert es uns zwar noch mit großer Bestimmt- 
heit in seiner alten Bedeutung. Aber es ist ja bekannt, daß 
der Spiegler altes, außer Übung gekommenes Recht als in voller 
Geltung stehend darzustellen liebte 1%). Durch diese Annahme löst 
sich wohl der von HECK erhobene Einwand, daß in zahlreichen 
Fällen die vornehmsten Geschlechter ihre Stammgüter am Ort 
des Namens veräußerten und doch ihren Stand behielten !). So 
schenkten die Herren von Wöltingerode ihr ganzes Stammgut 
dieses Namens an das von ihnen gestiftete Kloster am gleichen 
Ort. Trotzdem nannten sie sich noch kurze Zeit nach ihrem 
Hantgemal; jedoch wenige Jahre später heißen sie nach ihren 
Burgen, Grafen von Woldenberg, Harzburg oder Werder. Meines 
Erachtens ist dieser Vorgang nicht ein Argument gegen die 
rechtliche Bedeutuug des Hantgemals, sondern einfach ein deut- 
licher Beweis dafür, daß die neuere Entwicklung den alten 
Rechtszustand zerstört hatte. Das mächtige Grafengeschlecht, 
das zahlreiche Grafschaften erworben hatte, bedurfte der Legi- 
timation durch das Hantgemal nicht mehr. Es war über den 
Stand des Hantgemals längst hinausgewachsen. Daher verwandte 
es das alte Gut der Freiheit im heimatlichen Dorf zu einer 
frommen Stiftung und tührte seinen Namen bald nach den Burgen, 
die seinen Wohnsitz und die Grundlage seiner Macht bildeten. 
Irgendein stichhaltiges Argument gegen die ursprüngliche Be- 


48 W. Wittich 


deutung des Hantgemals kann diese leicht erklärliche Abweichung 
vom alten Rechte nicht bilden. Sie zeigt nur, wie schon zu 
Ende des 12. Jahrhunderts gerade bei den vornehmsten Ge- 
schlechtern der alte Rechtszustand seine Bedeutung verlor, weil 
die neue Macht sie weit über dieses Recht hinausgeführt hatte. 

Suchen wir uns nun ein Bild von der Entstehung des Hant- 
gemals in der für das 13. Jahrhundert ermittelten Bedeutung 
zu machen. Sicher ist es ursprünglich identisch mit der Quote 
des einzelnen Geschlechtsgenossen an dem Erbeigen des Geschlechts. 
Jedes altfreie Geschlecht hat einen locus originis oder nati- 
vitatis. Dieser locus originis ist das Dorf, nach dem das Ge- 
schlecht gewöhnlich den Namen führt. In diesem Dorf und 
dessen Feldmark, wohl auch den nächstgelegenen Dorfgemar- 
kungen, liegen die Erbgüter des Geschlechts. Jeder Geschlechts- 
genosse hat kraft seiner Zugehörigkeit zum Geschlecht eine 
portio, einen Anteil an diesen Erbgütern. Diese portio ist das 
ursprüngliche Hantgemal, an das sich alle rechtlichen Wirkungen 
anknüpfen. Bei wiederholten Teilungen verkleinert sich diese 
portio sehr; es wird daher eine Mindestgrüße festgesetzt, unter 
die die portio nicht sinken soll. Die Größe dieses Minimums 
ist schwankend, der Sachsenspiegel nennt eine halbe Hufe; nach 
den Urkunden scheint es schließlich bis auf 3—9 Morgen gesunken 
zu sein. Auch wenn der Geschlechtsgenosse sein Erbeigen ver- 
äußerte, hehielt er sich ein solches Minimum zurück pro liher- 
tate tuenda. Aus dem Gesagten geht hervor, daß das Hantgemal 
nicht von Anfang an mit einem solchen Minimum gleichbedeutend 
war, sondern daß ein solches Minimum nur die Grenze dar- 
stellte, unter die eine portio nicht sinken durfte, ohne ihre Rechte 
zu verlieren. Die meisten Hantgemale waren aber größer alg 
das Minimum. Mit den fortschreitenden Teilungen und zu- 
nehmenden Veräußerungen des echten Eigens reduzierten sich die 
meisten Hantgemale tatsächlich auf das Minimum, und es wurde 
üblich, unter Hantgemal nicht die ganze portiu, sondern nur das . 
Minimum zu verstehen. Da eine wirtschaftliche Bedeutung der 
stark zusammengeschmolzenen portio nicht mehr zukam, die 
rechtliche Wirkung aber auch der Besitz des Minimyms ge- 
währte, so legte man nur noch anf dieses Wert und bezeichmete 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 49 


es als Hantgemal im engeren oder prägnanten Sinn. Jeder Ge- 
schlechtsgenosse mußte ein solches Minimum als Hantgemal be- 
sitzen. Aber selbst wenn er mehr besaß, so schied er aus der 
portio ein Minimum aus und bezeichnete dieses als sein Hant- 
gemal, d. h. sein persönliches Freiheitszeichen. Fin solches 
Freiheitsgütchen hatte, wenn die Erben des Besitzers die portio 
bekamen, für diese nur noch einen geringen Wert. Daher widmete 
der Besitzer häufig dieses sein wirtschaftlich wertlosestes, recht- 
lich aber bedeutungsvollstes Eigengut gegen Ende seines Lebens 
einem Kloster und opferte damit gewissermaßen seine weltliche 
Freiheit auf dem Altar !*?). 

So war das Hantgemal schließlich zum bloßen Symbol ge- 
worden. Es war das Symbol dafür, daß der einzelne noch 
einen Anteil an dem Erbeigen seines Geschlechts hatte. Tat- 
sächlich konnte dieser Anteil viel größer sein, rechtserheb- 
lich war nur die particula proprietats. Die Rechtswirkung 
der particula aber bestand vor allem in dem Nachweis der 
Schöffenbarkeit, der durch ihren rechtmäßigen Besitz geführt 
wurde, und ferner darin, daß sie für ihren Inhaber eine Hei- 
mat im Rechtssinn begründete. Eine große Bedeutung hatte 
diese Heimat im Rechtssinn nur noch für den Gerichtsstand des 
Schöffenbaren in Kapitalsachen. Dagegen wurde der Gerichtsstand 
in allen übrigen Sachen und ferner die Dingpflicht und die tat- 
sächliche Ausübung des Schöffenamts nicht mehr durch die Heimat 
im Rechtssinn, sondern durch den Wohnsitz und das Grundeigentum 
im Gerichtsbezirk begründet’). Wie überall, so mußte auch 
hier das Recht der tatsächlichen Entwicklung folgen; je mehr 
sich die Geschlechter und Geschlechtsgenossen von der alten 
Heimat trennten und den Hof des Bischofs, die Burg des Grafen, 
anderweitig erworbenes Eigen, Lehn- oder Dienstgut bewohnten, 
desto mehr mußte dieser neue Wohnsitz für alle ihre rechtlichen 
Beziehungen entscheidend werden. Aber noch immer entschied 
das Hantgemal über den Stand des Schôffenbaren, wie das Ge- 
richt der alten Heimat das Kampfgericht war. 

Wir haben uns bei der Frage des Hantgemals sehr lange aufge- 
halten, einmal wegen ihrer großen Wichtigkeit für das Verständnis 


der uns beschäftigenden Institutionen, dann aber auch, weil sie mit 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 4 


50 W. Wittich 


unserer Hauptfrage, nämlich der nach der Altfreiheit der Ministe- 
rialen, im engsten Zusammenhang steht. Das Hantgemal war 
ein Beweisstück für die Vollfreiheite. Der Edelherr, der freie 
Stadtbürger, der Grafschaftsfreie, sie alle bewiesen damit ihre 
Zugehörigkeit zu einer altfreien, schöffenbaren Sippe. Nun finden 
wir das Hantgemal ebenso häufig im Besitze dienstmännischer 
Geschlechter (vgl. pag. 32—34). Welche Bedeutung konnte das 
alte Freiheitszeichen für den unfreien Dienstmann haben? — 
Die Antwort auf diese Frage kann nur lauten: nicht gegen- 
wärtige sondern ehemalige Freiheit bedeutet das Hantgemal im 
Besitz des Ministerialengeschlechts. So sicher wie kein anderes 
Merkmal weist dieses auf die Altfreiheit des urkundlich nur 
im Stand der Dienstbarkeit auftretenden Geschlechter. Zu- 
nächst ist es klar, daß wir alle diejenigen Ministerialenge- 
schlechter, deren Angehörige solche particulae proprietatis, be- 
sonders am Ort des Namens, im Besitz haben, als altfrei an- 
sprechen können. Die Zahl der ministerialischen Geschlechter, 
deren Altfreiheit aus diesem Grund erwiesen wird, ist nicht 
unbeträchtlich. Aber die Annahme der Altfreiheit braucht sich 
jetzt nicht mehr auf die Familien zu beschränken, deren Mit- 
glieder solche rechtserhebliche particulae proprietatis besitzen. Wir 
können mit größter Wahrscheinlichkeit annehmen, daß alle Ge- 
schlechter, die ihren Namen nach dem Ort des Eigengutes führen, 
altfreier Abstammung sind. Wir haben die Häufigkeit dieser 
Tatsache festgestellt, ohne eine befriedigende Erklärung geben 
zu können"). Die Erklärung scheint mir darin zu liegen, daß 
der Ort des Eigens auch der Ort des Hantgemals war. Dadurch, 
daß cin Geschlecht sich nach dem Ort des Eigens benannte, 
wies es unmittelbar auf das wichtigste Merkmal der altfreien 
und schöffenbaren Herkunft, das Hantgemal. Gerade für ein 
altfreies Dienstmannsgeschlecht war aber dieser Hinweis von 
höchster Wichtigkeit. Denn seine Schöffenbarkeit beruhte nicht 
mehr auf der gegenwärtigen Freiheit, sondern auf der Abstammung 
von einem freien und schöffenbaren Geschlecht. Für diesen 
Nachweis aber war der Besitz des Hantgemals entscheidend, und 
daher nannte sich gerade die dienstmännische Familie mit Vorliebe 
nach dem Ort des Hantgemals. 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 51 


Ich behaupte also folgendes: in allen den Fällen, in denen 
eine dienstmännische Familie ihren Namen nach dem Dorfe 
führte, in dem nachweisbar altes Erbeigen des Geschlechts 
gelegen war, in allen diesen Fällen war das alte Erbeigen 
für diese Familie, resp. seine einzelnen particulae für die ein- 
zelnen Geschlechtsgenossen, das Hantgemal. Mit dem Nach- 
weis der Existenz eines Hantgemals für ein Ministerialenge- 
schlecht ist der Nachweis der Altfreiheit dieses Geschlechts er- 
bracht. Da nun wahrscheinlich die Mehrzahl der hildesheimischen 
Dienstmannsgeschlechter ihren Namen vom Ort des Erbeigens 
führte und demgemäß dort ihr Hantgemal hatte, sd weist auch 
dieser Umstand auf die Altfreiheit dieser Geschlechter. 

Wir haben so die engen Beziehungen zwischen der hildesheimi- 
schen Ministerialität und den Schöffenbarfreien festgestellt. Wie 
die Schöffenbarfreien sind auch die Ministerialen schöffenbar und 
dirspflichtig im echten Ding, wie diese haben sie freies Eigen, 
von dem sie dem Richter Rechtens pflegen, wie diese endlich 
sind sie Eigentümer von Hantgemal, nach dem sie offenbar auch 
ihre Namen führen. Alle diese Umstände weisen auf die Alt- 
freiheit des größten Teils der hildesheimischen Dienstmannschaft 
bin. die sich ja für eine Minderzahl von Familien unmittelbar 
erweisen lässt. 

Wir haben nun schon früher die Beobachtung gemacht, daß 
die Mehrzahl der urkundlich noch als altfrei auftretenden Ge- 
schlechter dem Osten des Bistums angehört. Hauptsächlich in 
dem mehrere Gaue umfassenden Herrschaftsgebiet der Grafen 
von Woldenberg sitzen die zahlreichen kleinen Edelherrenfamilien, 

d-ren Ubergang in die Ministerialität wir unmittelbar beobach- 
“+n können '*). Dagegen im Herrschaftsgebiet des Bischofs 
and (denjenigen Grafschaften, die schon früh unter seine unmittel- 
nare (rewalt kamen, wie Bodenburg und Winzenburg, sind diese 
kleinen freien Vassallen verhältnismäßig selten. Wir beobachten 
hier einerseits nur größere Edelherren, die erst spät, meist über- 
haupt nicht dienstmännisch wurden, und andererseits Ministerialen 
jes Bischofs. Für einzelne dieser bischöflichen Dienstmannsge- 
„hlechter, wie die von Garbolzum, Ohlum-Hohenhameln, Alten- 
L -kt-Escherde, Rôssing, ist die Altfreiheit mit einer an Sicherheit 


52 W. Wittich 


grenzenden Wahrscheinlichkeit zu erweisen, aber urkundlich treten 
sie uns, mit Ausnahme vielleicht der von Garbolzum und von Mer- 
dorf, als Ministerialen entgegen “%). Das hierfür charakteristischste 
Gebiet ist der bischöfliche Ostfalengau, besonders die große und 
die kleine Grafschaft. Hier liegt der gewaltige Allodialbesitz 
der großen Grafengeschlechter von Wernigerode und von Assel, 
der großen Edelherrenfamilien der Vicedomini von Wassel und 
der Herren von Depenau, dagegen fehlen mittlere Edelherren 
fast völlig''). Den großen, niemals dienstmännisch gewordenen 
Edelherren gegenüber stehen die bäuerlichen Grafschaftsfreien 7. 
Ein verbindender Mittelstand fehlt, wenn man nicht die ganz 
unbestimmt in den Verhandlungen zwischen dem Bischof und 
dem Grafen von Lauenrode angedeuteten Eigentümer freier Güter 
in beiden Grafschaften dafür halten will. | 

Nun finden wir eine Reihe alter, hochangesehener hildesheimi- 
scher Ministerialengeschlechter, die ihre Familiennamen von Ort- 
schaften der kleinen und der großen Grafschaft führten. Die Mehr- 
zahl der Dörfer, die nachweisbar zu einer der beiden Grafschaften 
gehörte, hat je einem Dienstmannsgeschlecht seinen Namen gegeben. 
So sind als sicher zur kleinen Grafschaft gehörig die Dörfer Eil- 
strenge, Odelum und Schwiecheldt bekannt '**). Nach diesen Dör- 
fern nennen sich die drei gleichnamigen Geschlechter '*°), von denen 
die Eilstrenge zu den ältesten überhaupt bekannten Dienstmanns- 
familien zählen, die Schwiecheldt noch heute in der gräflichen 
Familie dieses Namens blühen. Beschränken wir uns bei der 
sroßen Grafschaft auf die 14 Dörfer der nachmaligen großen 
Freien, Ilten, Ahlten, Bilm, Höver, Anderten, Lehrte, Sehnde, 
Gretenberg, Rethmar, Haimar, Dolgen, Harber, Evern, Klein- 
Lopke'?’), so haben mindestens acht dieser Ortschaften, nämlich 
Ilten, Ahlten, Bilm, Höver, Sehnde, Dolgen, Harber, Klein-Lopke, 
ebensovielen Ministerialengeschlechtern ihren Namen gegeben 151). 
Nach Anderten nennt sich zwar keine Ministerialen-, wohl aber 
eine sehr angesehene hannoversche Bürgerfamilie’’). Haimar 
und Evern waren vollständig Allod der Grafen von Wernigerode ?°®); 
in Rethmar hatte die benachbarte bischöfliche Ministerialen- 
familie von Rautenberg umfangreichen Allodialbesitz '°'); über 
Lehrte und Gretenberg ist nichts Näheres bekannt. 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 53 


Es liegt nun die Annahme sehr nahe, daß diese Ministerialen- 
geschlechter die altfreien Schöffenbaren der großen und kleinen 
Grafschaft darstellen, die verhältnismäßig früh, d. h. vor der Mitte 
des 12. Jahrhunderts, in die Dienstmannschaft des Bischofs von 
Hildesheim eingetreten sind. Ihre Namen führen sie der allgemei- 
nen Übung entsprechend nach dem Ort des Hantgemals. Damit 
wäre die Lücke ausgefüllt, die in historischer Zeit auffallenderweise 
in der ständischen Gliederung dieser Gebiete besteht. Die Ur- 
sache, daß gerade die mittelfreien Geschlechter dieser Gegend in 
so früher Zeit sämtlich dem Bischof sich ergaben, wäre wohl in 
der verhältnismäßigen Nähe der bischöflichen Residenz, vielleicht 
auch in geringerer Wohlhabenheit dieser Familien zu suchen. 

Dagegen wäre nur ein Argument anzuführen. Man könnte ein- 
wenden, daß diese Ministerialengeschlechter ihre Namen nicht 
deshalb nach den Dörfern der großen und kleinen Grafschaft 
geführt hätten, weil dort ihr Erbeigen gelegen habe, sondern 
weil sie mit dem Allod der großen Grafen- und Edelherren- 
geschlechter belehnt worden seien. Gegen diesen Einwand spricht, 
von allgemeinen Gründen abgesehen, folgendes. Wenn wir auch 
in einigen Fällen beobachten, daß der Ministerial sich nach dem 
Ort seines Dienstgutes nennt, so ist es durchaus ungewöhnlich, 
daß er nach dem ihm von einem dritten Herrn verliehenen freien 
Lehngut den Namen führt. Dieser Fall kann höchstens dann 
eintreten, wenn dieses Lehngut eine Burg ist. Da von Burgen 
in dieser Gegend nirgends die Rede sein kann, so ist schon aus 
diesem Grund der Einwand hinfällig. 

Ferner haben wir gerade in den beiden Ortschaften Haimar 
und Evern den Beweis gegen diesen Einwand. Sie waren 
höchst wahrscheinlich völlig Allod der Grafen von Wernige- 
rode!°®) und wurden von diesen zu Lehen gegeben, z. B. 
an die von Saldern'!?) und andere. Aus diesem Grund, d. h. 
weil sie ausschließlich aus Lehngut bestanden, nannte sich auch 
kein Geschlecht nach ihnen. Es ist daher so gut wie ausgeschlossen, 
daß die übrigen Geschlechter nach den in diesen Ortschaften ge- 
legenen freien Lehngütern ihren Namen führten. Während so dieser 
Einwand gegen unsere Annahme nicht stichhaltig erscheint, sprechen 
eine Reihe schwerwiegender Umstände entschieden dafür. 


54 W. Wittich 


Zunächst finden wir, daß die Mehrzahl der in Frage stehen- 
den Geschlechter, nämlich die von Ilten, Alten, Sehnde, Lopke, 
Harber, Schwiecheldt, sowohl der Dienstmannschaft des Hil- 
desheimer Bischofs wie auch derjenigen der Grafen von Lauen- 
rode angehören !"*). Entweder fand diese Zugehörigkeit eines. 
Geschlechts zu verschiedenen Dienstmannschaften gleichzeitig 
statt, so daß einzelne Angehörige der Familie bischöfliche, andere 
gräfliche Dienstmannen waren, oder die ganze Familie trat aus 
der bischôflicnen Ministerialität aus und in die gräfliche ein. 
Wie dem auch war, die an sich ungewöhnliche Erscheinung zeigt 
einen engen Zusammenhang dieser Geschlechter mit dem Graf- 
schaftsherrn des Gebietes, die am einfachsten auf deren alte 
Schöffenbarkeit in diesem Bezirk zurückzuführen ist. Dafür 
spricht ferner die Tatsache, daß Angehörige dieser Geschlechter 
als Dinggenossen und wohl auch als Schöffen bei Echtedings- 
verhandlungen im bischöflichen Ostfalengau und im Grafengericht 
der Grafen von Lauenrode auftreten. So erscheinen Ulrich von 
Ilten und Eberhard von Alten im comicium der Grafen von Lauen- 
rode '°’), Johannes von Sehnde und der gleichfalls der großen 
(rafschaft entstammende Konrad von Wassel bei der Eigentums- 
übertragung von Gütern zu Wennerde'°?), und schließlich außer- 
halb des bischöflichen Ostfalens tritt Heinrich von Udeln 
(Ödelum) im echten Ding des Ambergaus als Dinggenosse auf 197), 
Endlich ist auch Besitz dieser Familien am Ort ihres Namens 
nachweisbar. So haben die von Lopke, Harber und besonders 
die von Ödelum Lehngüter an den gleichnamigen Orten ’5®), bei 
den Ilten, Alten und Schwiecheldt wird neben Lehngut auch 
Eigen am Ort des Namens erwähnt 1°), 

Eine Familie ist besonders hervorzuheben, bei der ein enger 
Zusammenhang mit den Ort des Namens nachzuweisen ist. Diese 
ist das Geschlecht von Schwiecheldt. Die erste Erwähnung dieser 
Familie geschieht im Jahr 1160, wo Immika, die Schwester des 
Dietrich von Goltern, eines hildesheimischen Dienstmanns, mit ihren 
zwei Söhnen zu einer Veräußerung von zwei Hufen zu Schwie- 
cheldt durch ihren Bruder an St. Godehard ihre Zustimmung gibt !*").. 
Em Jahr 1169 kaufte das gleiche Kloster St. Godehard von. 
Immika und deren Söhnen Heinrich und Burchard 13 Hufen in 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 55 


Schwiecheldt, teils Eigen-, teils Lehngut '®'). Da schon im Jahr 
1181 ein Heinrich von Schwiecheldt unter den bischöflichen 
Dienstleuten erscheint!®?) und der Name Heinrich für die Folge 
der Hauptname des Geschlechts ist!‘), so unterliegt es wohl 
keinem Zweifel, daß wir in diesen Brüdern und ihrer Mutter 
Angehörige der Dienstmannsfamilie von Schwiecheldt vor uns 
haben. Auch für die Folgezeit bleibt die Familie ihrer Heimat 
eng verbunden. So treten im Jahr 1215 bei einem Geschäft 
zwischen den Klöstern Backenrode und St. Godehard über einen 
Zehnten in Schwiecheldt als Zeugen auf, Luderus miles de 
Swelethe cum omnibus eiusdam ville civibus !%). Eine Variante 
dieser Urkunde sagt: erant eo tempore, quo haec cambitio facta 
est, in bonis iam dictis villici, in Swelethe Henricus *) ete. Wir 
sehen also dieses Geschlecht schon um die Mitte des 12. Jahr- 
hunderts am Ort seines Namens mit bedeutendem Eigengut an- 
gesessen. Wahrscheinlich veräußerte es an St. Godehard nur 
einen Teil seines Eigengutes, blieb daher in der Heimat ansässig 
und übernahm später auch das Klostergut am Ort in seine Ver- 
waltung. Die Bodenständigkeit dieser Familie am Ort ihres 
Namens liegt klar zutage, andererseits kennen wir sie nur als 
hildesheimische Ministerialen. Ich wüßte nicht, wie dieser Gegen- 
satz anders zu versöhnen ist als durch die Annahme, daß die 
Familie, altfrei und mit Eigen angesessen zu Schwiecheldt, später 
durch Heirat oder Ergebung in die bischöfliche Ministerialität 
gekommen ist. 

Über die Beziehungen des hildesheimischen Dienstmanns- 
geschlechts von Lopke zu den Dörfern Groß- und Klein-Lopke 
haben wir bereits gesprochen. Der Besitz der Familie in Lopke 
ist sicher. Im Jahr 1228 gab der Ritter Albert von Lopke bei 
seinem Eintritt in das Kloster St. Michael 18 Morgen bischöf- 
lichen Dienstgutes an dieses Kloster!‘). Im Jahr 1178 finden 
wir unter den parochiani der neuen Kirchengemeinde zu Lopke 
Persönlichkeiten, deren Vornamen mit Entschiedenheit auf ihre Zu- 
gehörigkeit zu dem Ministerialengeschlecht hinweisen ‘%). Es ist 
also auch hier die Altfreiheit des Ministerialengeschlechts im 
höchsten Grade wahrscheinlich. 

Nehmen wir alle diese Argumente zusammen, so erscheint 


56 | W. Wittich 


es so gut wie sicher, daß die zahlreichen, nach Dörfern der 
großen und der kleinen Grafschaft benannten hildesheimischen 
und lauenrodischen Ministerialenfamilien altfreien Geschlechtern 
dieser Gebiete entstammen. Es hat sich hier, vielleicht aus den 
oben angeführten Gründen, in verhältnismäßig früher Zeit und 
besonders großem Umfang der Übertritt aller irgend erheblicher 
Freiengeschlechter des Gebietes in die Dienstmannschaft des 
Hildesheimer Bischofs oder des Grafschaftsherrn, des Grafen von 
Lauenrode, vollzogen. Frei sind hier nur, abgesehen von den 
großen Edelherren, die Grafschaftsbauern geblieben, die in den 
Urkunden niemals als Subjekte, sondern nur als Objekte der 
Verhandlungen auftreten. Aus diesem Grund ist uns auch kein 
Name irgend eines solchen Grafschaftsfreien sicher überliefert. 

Wir stehlen am Ende unserer Untersuchung und formulieren 
noch einmal kurz die Ergebnisse derselben. Die Dienstmann- 
schaft des Bischofs von Hildesheim besteht um die Wende des 
12. Jahrhunderts ihrer großen Mehrzahl nach aus altfreien Ge- 
schlechtern, die im Laufe des 12. Jahrhunderts oder schon früher 
entweder durch Heirat oder durch Ergebung dienstmännisch 
geworden sind. Die ganze Natur des Instituts bedingt allerdings 
einen Grundstock altministerialischer Familien, die nicht durch 
Ergebung aus der Freiheit, sondern durch Aufsteigen aus der 
niederen Hörigkeit die dienstmännische Stellung erlangt haben. 
Jedoch war höchstwahrscheinlich die Zahl dieser Familien von 
Anfang an nicht bedeutend. Am Ende des 12. und zu Beginn 
des 13. Jahrhunderts traten diese altdienstmännischen Geschlechter 
an Zahl sicher völlig hinter den altfreien Ministerialenfamilien 
zurück. Auf diese Zusammensetzung der bischöflichen Dienst- 
mannschaft weisen zunächst die zahlreichen Übertritte altfreier 
Geschlechter in die Ministerialität, die wir mit Sicherheit fest- 
stellen können. Ferner steht die bischöfliche Ministerialität in 
engster Beziehung zur Freien- und Grafschaftsverfassung. Sie 
ist dingpflichtig und schöffenbar im echten Ding, sie hat echtes 
Eigen und führt auch zumeist den Geschlechtsnamen nach dem 
Ort, in dem ihr echtes Eigen belegen ist. Da für einige 
Ministerialengeschlechter rechtserhebliche particulae proprietatis 
nachweisbar sind, die nur Hantgemale gewesen sein können, 80 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 57 


liegt die Annahme nahe, daß die Dienstmannsgeschlechter sich 
deshalb nach dem Ort ihres Erbeigens genannt haben, weil dieses 
ihr Hantgemal bildete, und damit schon im Namen die für sie 
besonders wichtige schôffenbarfreie Abstammung ausgedrückt 
wurde. Wir können also mit besonderer Wahrscheinlichkeit die 
Altfreiheit der zahlreichen Geschlechter annehmen, die sich nach 
dem Dorf ihres Erbeigens benennen. Zum Schluß endlich haben 
wir gesehen, wie gerade im Gebiet der kleinen und der großen 
Grafschaft, aus dem uns mittlere Edelherrenfamilien urkundlich 
nicht überliefert sind, zahlreiche Dienstmannsgeschlechter auf- 
treten, bei denen alle Merkmale der Altfreiheit in besonders aus- 
geprägtem Maße vertreten sind. Unsere Annahme findet in 
diesem besonderen Fall eine deutliche Bestätigung und erklärt 
ihrerseits wieder in befriedigender Weise die abnorme Standes- 
gliederung dieses Gebietes. 


86. Analogieen aus benachbarten Gebieten. 


Als letzte Aufgabe bleibt, die hier gefundenen Resultate mit 
den Ergebnissen der Forschungen über die Standesverhältnisse 
benachbarter Gebiete zu vergleichen. Hier stehen an erster 
Stelle die epochemachenden Untersuchungen OTTO v. ZALLINGERS 
über die Schöffenbarfreien des Sachsenspiegels, die dieser auf 
Grund ostfälischer Urkunden aus dem Entstehungsgebiet des 
Sachsenspiegels angestellt hat. ZALLINGERS Untersuchungsgebiet 
ist also das Land im Osten des späteren Herzogtums Braun- 
schweig- Wolfenbüttel, und zwar die Grafschaften Seehausen, 
Aschersleben, Mühlingen und der Gau Serimunt, die Heimat des 
EIKE v. REpgow, des Verfassers des Sachsenspiegels'‘®). In der 
Hauptsache liegen diese Grafschaften in den alten Volksgauen 
Nordthüringgau und Schwabengau, die von der Elbe und Saale 
im Osten und Südosten begrenzt wurden. Nur der Gau Seri- 
munt liegt östlich der Saale im Kolonisationsgebiet. Zeitlich 
erstrecken sich die Untersuchungen ZALLINGERS auf die hundert 
Jahre von der Mitte des 12. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts !°°). 

Für alle Teile seines Untersuchungsgebietes hat nun ZALLINGER 
urkundlich festgestellt, daß die Zahl der freien Ritter um die 
Mitte des 12. Jahrhunderts außerordentlich groß gewesen ist, daß 


58 W. Wittich 


überhaupt die ritterlichen Geschlechter in ihrer Masse noch Nobiles, 
d. h. Freie, waren'!‘®). Er meint, der Schluß dürfte berechtigt 
sein, daß ihre Stärke in früherer Zeit noch größer war. „Denn“, 
so fährt er fors, „es ist ersichtlich, wie sie auch weiterhin (d. h. 
seit dieser Zeit) fortschreitend abnimmt, bis gegen Ende des 
13. Jahrhunderts nur mehr relativ wenige Edelherren übrig sind. 
Was die Reihen derselben zunehmend lichtete, war aber in erster 
Linie nicht das Aussterben der Familien, sondern der Eintritt 
in die Dienstmannschaft der Fürsten. Wir haben diese Bewegung 
in den Urkunden zurückverfolgen können bis in den Anfang des 
12. Jahrhunderts. Seit der Mitte desselben gewann sie, wie 
sich deutlich erkennen läßt, immer größere Dimensionen, und nicht 
viel nach der Mitte des 13. war bereits der ganze ehemals freie 
ostfälische Adel mit wenigen Ausnahmen dienstmännisch ge- 
worden“ 166), 

Wir sehen also im östlichsten Ostfalen die gleiche Entwickelung, 
die wir aus den hildesheimischen Urkunden erschlossen haben, 
im vollen Lichte einer reichen urkundlichen Überlieferung vor sich 
gehen. Während wir aus den Urkunden des 12. und beginnenden 
13. Jahrhunderts nur eine Minderzahl von Übertritten unmittelbar 
entnehmen konnten und für die Masse der nur als dienstmännisch 
bekannten Geschlechter die Altfreiheit aus den ihnen anklebenden 
Freiheitsresten erschließen mußten, hat ZALLINGER aus seinem 
Urkundenmaterial die Altfreiheit und die Übertritte unmittelbar 
feststellen können. Die Ursache dieser Verschiedenheit liegt, ab- 
vcsehen von dem vielleicht reicheren Urkundenmaterial, das 
ZALLINGER zu Gebote stand, in erster Linie in der Verschieden- 
heit des Zeitpunktes, in dem die Masse der Übertritte vor sich 
sing. In beiden Untersuchungsgebieten beginnt die wirklich 
reichliche urkundliche Überlieferung mit der Mitte des 12. Jahr- 
hunderts. Damals waren im westlichen Ostfalen die meisten 
freien Rittergeschlechter schon dienstmännisch geworden, während 
sie im östlichen Ostfalen noch frei waren, die Übertrittsbewegung 
also erst später ihre volle Stärke erreichte. Aus diesem Grunde 
konnte ZALLINGER sie unmittelbar beobachten, während wir auf 
‚rund schwerwiegender Argumente nur annehmen konnten, daß 
sie stattgefunden haben mußte. Auch die Verschiedenheiten in 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 39 


den Rechtsverhältnissen des ZALLINGERsehen und unseres Unter- 
swchungsgebietes erklären sich aus dieser zeitlichen Differenz der 
Entwiekelung. So ist die ganze Grafschafts- und Freienverfassung 
dort ungleich viel lebenskräftiger und reicher ausgebildet; sie 
macht den Eindruck eines in voller Wirksamkeit befindlichen 
Instituts. Aus allen seinen Grafschaften sind landgerichtliche 
Verhandlungen in großer Zahl überliefert. Scharf sind die zur 
Besetzung des Gerichts gehörigen Personen in den Urkunden ge- 
kennzeichnet und unterschieden. Graf, Schultheiß, Schöffen und 
Fronbote treten in ihren Kompetenzen deutlich hervor; auch die 
Parteien gehören sehr häufig dem Stand der freien Ritter an. 
Im Vergleich mit diesen Urkunden ist das hildesheimische 
Material sehr spärlich; die einzelnen Urkunden sind ungenau und 
zeben gerade über die wichtigste Frage der Besetzung des Ge- 
bts nur unsichere Auskunft. Es waren eben dort die wahren 
Trager des echten Dings und der ganzen Grafschaftsverfassung, 
die freien Rittergeschlechter, in großer Zahl vorhanden, während 
hier der Zersetzungsprozeß der Grafschaftsverfassung viel weitere 
Fortschritte geinacht hatte, weil diese ehemals freien Ritter- 
se:chlechter ihren Schwerpunkt nicht mehr im Landrecht, sondern 
m Dienstrecht fanden, die Dinggenossenschaft im echten Ding 
or noch ein Ehrenrecht für sie war, und die Zuständigkeit des 
Landgerichts immer mehr zusammenschrumpfte. 

Ferner ist ZALLINGER der durch gute Gründe unterstützten An- 
srht. dass der freie Ritter mit der Ergebung zwar sein Erbeigen 
hielt. aber ursprünglich wenigstens die Schöffenbarkeit mit der 
Freil;e-it einbüsste '*). Erst gegen Ende des 12. Jahrhunderts, als 
“+ Zahl der freien Herren immer stärker und rascher zusammen- 
sl vand. dass sie zur Besetzung des Gerichts nicht mehr aus- 
ben mochten, behielten die übertretenden Altfreien auch 
dieses Recht, und schließlich kam das Schöffenamt ausschließlich 
't die Hände von Mitgliedern des Ministerialenstandes 7). Wir 
taben einen Unterschied zwischen schöffenbaren und nicht 
höffenbaren altfreien Dienstmannen nicht beobachtet, sondern 
mn Gegenteil festgestellt, daß gerade die schon früh übergetretenen 
Ministerialen, wie z.B. die von Rössing, ebenfalls das Schöffen- 
antansübten. Auch dieser Unterschied erklärt sich leicht, wenn 


60 W. Wittich 


man bedenkt, daf dieser Mangel an freien Schôffenbaren im 
Bistum Hildesheim entsprechend dem früheren Verlauf der ganzen 
Entwickelung ebenfalls früher eingetreten ist, und daß demgemäß 
die übergetretenen Ministerialen auch viel früher die Schöffen- 
barkeit im echten Ding erlangt haben. Daher erscheinen in den 
hildesheimischen Urkunden sämtliche als altfrei erweisbare 
Ministerialen als schöffenbar, womit natürlich das frühere Bestehen 
eines solchen Unterschiedes auch in Hildesheim nicht in Abrede 
gestellt wird. Wir sehen also, wie das westliche Gebiet dem 
östlichen in der Entwickelung weit vorausgeeilt ist, wie aber 
diese Entwickelung selbst sich hier wie dort in ganz derselben 
Weise vollzogen hat. Gewiß aber gibt diese auffallende Analogie 
der dort unmittelbar feststellbaren Entwickelung mit der von uns 
für das Bistum Hildesheim angenommenen dieser unserer An- 
nalıme eine weitere, sehr wichtige Stütze. 

Über die Ursachen der zeitlichen Verschiedenheit in der 
Entwickelung bei der Gebiete lassen sich einstweilen nur Ver- 
mutungen aussprechen; wir wollen daher, und weil sie für die 
uns beschäftigende Frage ohne größere Bedeutung sind, nicht 
weiter darauf eingehen. Ebenso wenig kann hier die interes- 
sante Frage erörtert werden, welche Anhaltspunkte die von 
uns gewonnenen Resultate zur Beurteilung der Lehre des Sach- 
senspiegels von den Schöffenbarfreien und der ZALLINGERschen 
Kritik dieser Lehre geben. Es müßte dabei ausführlich auf die 
neuerdings von HECK aufgestellten Anschauungen und besonders 
auf dessen Kritik ZALLINGERS !°®) eingegangen werden, was den 
Rahmen und das Ziel dieser Arbeit weit überschreiten würde. 
Dagegen wollen wir die Entwickelung der Standesverhältnisse in 
den nächsten Nachbargebieten des Bistums Hildesheim an be- 
sonders charakteristischen Beispielen genauer betrachten. 

Aus dem welfischen Gebiet zwischen dem Bistum Hildes- 
heim und dem von ZALLINGER untersuchten ôstlichsten Ost- 
falen, also aus dem späteren Herzogtum Braunschweig-Wolfen- 
büttel, sind uns sehr wichtige Nachrichten über die Freien 
der Grafschaft Biewende erhalten. Diese Grafschaft lag südlich 
von Wolfenbüttel und umfaßte wahrscheinlich nur ein kleines 
Gebiet, das im Westen von der Oker begrenzt wurde. Als 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 61 


Grafschaftsherren erscheinen in der ersten Hälfte des 13. Jahr- 
hunderts die Edlen von Biewende, die jedoch in keiner Urkunde 
den Grafentitel führen ’'®). In der zweiten Hälfte des 13. Jahr- 
hunderts (etwa seit 1253) kam die Grafschaft Biewende, vielleicht 
als herzogliches Lehen, in den Besitz der mächtigen herzoglichen 
Ministerialenfamilie von open re ete Die älteste 
and wichtigste Gerichtsurkunde dieser Grafschaft stammt aus dem 
Jahr 1228 (VII. 12)!7°). In derselben bekundet Halt, illustris 
miles de Biwinde, dass der Propst Walter von Dorstadt mit 
sinem Willen von Teodericus Tosewulle 14 Morgen Landes in 
der Gemarkung Klein- oder Crut-Neindorf erworben habe. Für 
die Zustimmung erhielten der Grafschaftsherr und die Erben des 
Verkäufers vom Käufer Geldabfindungen. Die letzteren waren 
bei der Verhandlung, die im Dorf Ostbiewende stattfand und 
ausdrücklich als comitia bezeichnet wird, anwesend. Zeugen der 
Verhandlung waren der Sohn des Grafschaftsherrn, acht Ritter, 
meist Dienstleute der Edlen von Biewende, darunter der Gograf 
und ein Schultheiß, ferner der Fronbote (preco) und ein Pfarrer 7). 
Abgesehen von dem Grafschaftsherrn und dessen Sohn war das 
Grafengericht ganz mit Ministerialen besetzt, unter denen un- 
zweifelhaft auch die Schöffen zu suchen sind '’'). Ganz dasselbe 
Bild bieten alle übrigen uns erhaltenen Gerichtsurkunden dieser 
(rafschaft !77). Neben vereinzelten Edlen und fremden Mini- 
*erialen bilden die Ministerialen des Grafschaftsherrn den Haupt- 
bestandteil der Dinggenossenschaft. Dazu kommt in einem Fall 
ein Bürger von Braunschweig '’®) und ferner in zwei Urkunden 
ı*hrere Personen, von denen es ungewiß bleibt, ob sie Bürger 
er Bauern waren ''%). Jedoch ist ihre bäuerliche Stellung am 
wahrscheinlichsten. Die Dinggenossenschaft und Schöffenbarkeit 
der Ministerialen ist auch hier wie im übrigen Ostfalen auf ihre 
Altfreiheit zurückzuführen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die 
„anze kleine Dienstmannschaft der Edlen von Biewende altfreien 
eschlechtern der Grafschaft entstammte. 

Wenden wir uns jetzt zu dem in der erwähnten Urkunde 
as Verkäufer von Grafschaftseigen auftretenden (Dietrich) Teo- 
“erieus Tosewulle. Er ist unzweifelhaft identisch mit dem 
venige Jahre später ebenfalls als Eigentümer in der Graf- 





62 W. Wittich 


schaft erwähnten Dietrich von Kissenbrück !7}. Das Ge- 
schlecht von Kissenbrück war eine der ältesten, angesehensten 
und reichsten Bürgerfamilien der Stadt Braunschweig!‘%). Auch 
in der späteren Zeit erscheint sie an einem Orte der Grafschaft 
Biewende reich begütert '””). Als Zeuge bei einem Kauf des 
Bürgers Dietrich von Kissenbrück. zu Westerbiewende tritt der 
Ritter Heinrich von Kissenbrück auf!’”). Da er auch als Ding- 
genosse in einer Grafengerichtsverhandlung zu Kissenbrück :®) 
erscheint, so ist seine Zugehörigkeit zu einem altfreien Ge- 
schlecht der Grafschaft sicher und seine Verwandtschaft mit 
der braunschweigischen Patrizierfamilie sehr wahrscheinlich. 
Er scheint Dienstmann der Grafen von Woldenberg gewesen zu 
sein!) Im 14. Jahrhundert endlich finden wir eine Familie 
von Kissenbrück wohnhaft zu Kissenbrück #"}, Nach ihren 
in den Urkunden angedeuteten Lehnsverhältnissen zu ur- 
teilen, war sie ritterlich oder bürgerlich '®’), gehörte also ent- 
weder der Patrizierfamilie oder dem Geschlecht des Ritters 
Heinrich an. Wir lernen so ein braunschweigisches Patrizier- 
seschlecht und ein Rittergeschlecht von Kissenbrück kennen, die 
beide unzweifelhaft zu den Altfreien der Grafschaft zählen, und 
endlich hören wir von einem zu Kissenbrück wohnhaften Ge- 
schlecht des Namens, das ritterlichen oder bürgerlichen Standes 
gewesen sein muß. Da auch andere Umstände auf den agnati- 
schen Zusammenhang der drei Familien hinweisen !?!), so ist die 
Annahme berechtigt, daß sie alle drei dem gleichen Geschlecht 
angehörten. Wir haben in dem Geschlecht von Kissenbrück eine 
altfreie Sippe der Grafschaft Biewende vor uns, die zum Teil in 
die Bürgerschaft der Stadt Braunschweig, zum Teil in die 
Dienstmannschaft benachbarter Grafen und damit in die Ritter- 
schaft übergegangen war. 

Außer der Familie von Kissenbrück wird noch ein anderes, 
sicher altfreies Geschlecht urkundlich erwähnt, das sich nach 
dem Dorf Westerbiewende nannte und daselbst Eigengut be- 
saß!) Im Jahr 1300 verkaufen Herr Eggelinus, Kanonikus 
zu Schöningen, Herr Widekind von Biewende, Bürger zu Braun- 
schweig, und Herrn Widekinds Bruder, ein Bauer zu Bie- 
wende (bur tho Bywende), mit Zustimmung aller ihrer Erben 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 63 


eine Hufe zu Westerbiewende an die Küsterin des Klosters 
Dorstadt '*#). Die agnatische Verwandtschaft der drei Miteigen- 
tümer liegt klar zutage. Ein Glied des altfreien Geschlechts 
ist geistlich, eines bürgerlich, eines endlich bäuerlich. Ich bin 
der festen Überzeugung, daß diese Einzelfälle typisch sind, und 
daß wir in ihnen die Grundlinien der ständischen Entwickelung 
der altfreien Geschlechter vor uns haben. Ein Teil wird ritter- 
lich und dienstmännisch, ein Teil geht in die Bürgerschaft be- 
nachbarter Städte über, ein Teil endlich bleibt frei auf der 
heimatlichen Scholle sitzen und wird bäuerlich. Nach den Ge- 
richtsurkunden der Grafschaft aber sind hier wenigstens weitaus 
die meisten Altfreien ritterlich und dienstmännisch geworden. 

Wenden wir uns nun vom Bistum Hildesheim nach Norden, 
ko kommt da zunächst das Herzogtum Lüneburg und dann auch 
das Bistum Bremen in Betracht. In beiden Gebieten ist die 
Überlieferung aus der älteren Zeit weit weniger reich als im 
Bistum Hildesheim und im östlichen Ostfalen. Es lassen sich 
daher dort weitaus nicht so wertvolle Analogien wie aus dem 
ostfälischen Sachsen gewinnen. Immerhin deuten alle Über- 
lieferungen auf die gleichen Verhältnisse, wie wir sie im Bistum 
Hildesheim kennen gelernt haben. Der beste Kenner der älteren 
Verfassungsgeschichte des Fürstentums Lüneburg, der Freiherr 
von Hammerstein-Loxten !#°), nimmt ebenfalls die Altfreiheit der 
meisten lüneburgischen Ministerialenfamilien an. Auch er weist 
das freie Eigen derselben in einzelnen Beispielen nach. Er hat 
ferner beobachtet, daß in den sehr eingehenden Lehnsregistern 
der welfischen Fürsten aus dem 14. Jahrhundert der Ansitz der 
Dienstmannsfamilien, der Hof ihres Namens und ihres Wohnsitzes, 
niemals als lehnbar erwähnt wird. Er zieht daraus den Schluß, 
daß der Ansitz in der Regel freieigen gewesen sei!#), ein ar- 
gumentum silentio, das gerade hier im Mittelpunkt der welfischen 
Allodien, wo sonstige Lehnsherren kaum vorkommen, berechtigt 
erscheint. Sollte diese Annahme zutreffen, so wäre damit die 
Altfreiheit der lüneburgischen Dienstmannen ebenfalls so gut 
wie sicher. 

Aus dem Bistum Bremen besitzen wir noch aus dem 
13. Jahrhundert eine schöne Ergebungsurkunde eines altfreien 


64 W. Wittich 


Geschlechts #1), und DEuio berichtet iu seiner Geschichte des 
Erzbistums Bremen von zahlreichen Übertritten freier Ritter in 
die Dienstmannschaft des Erzbischofs !°?). 

Im Westen und Südwesten grenzte an unser Untersuchungsge- 
biet das engersche Sachsen. Beginnen wir mit dem Südwesten, so 
ist hier vor allem der sächsische Hessengau interessant. Dieser 
Gau lag direkt nördlich von Kassel auf dem linken Ufer der Weser 
und umfaßte ziemlich genau das Stromgebiet der in die Weser 
fließenden Diemel. Im 13. Jahrhrhundert teilten sich die Grafen 
von Everstein, von Dassel und von Waldeck in die Grafschafts- 
rechte in diesem Bezirk !%). Für uns kommen nur die beiden erst- 
senannten Grafen in Betracht. Die eversteinsche Grafschaft lag im 
Westen des Gaus. Ihre Hauptmalstatt war der Donnersberg bei 
Warburg. Daher hieß sie auch die Grafschaft am Donnersberg !*). 
In dem viel kleineren östlichen Teil herrschten die Grafen von 
Dassel. Mittelpunkt ihres Gebietes war die Stadt Hofgeismar. 

Aus diesen Gebieten sind uns nun Nachrichten über Freie und 
Freigerichtsverfassung in größter Fülle überliefert. Zunächst be- 
sitzen wir eine Reihe von Gerichtsurkunden aus dem everstein- 
schen Gebiet, die uns über die Standesverhältnisse der Schöffen 
und Freien Auskunft geben '!?’).. Das Resultat einer eingehenden 
Untersuchung dieser Verhältnisse ist in der Hauptsache folgendes. 
Zunächst gehören die als scabini und liberi unterschiedenen Freien 
„u der gleichen sozialen Klasse, ja häufig zu den gleichen Geschlech- 
tern. Eine Differenzierung des landrechtlichen Standes, auf die 
die Urkunden durch die Scheidung in scabini und alii qui liberi 
dicuntur hinzuweisen scheinen, ist, bei den erwähnten Dinggenossen 
wenigstens, nicht vorhanden. Sie sind also landrechtlich sämtlich 
als Altfreie (Schöffenbarfreie) zu betrachten. Ihrer sozialen 
Stellung nach gehören sie mit wenigen Ausnahmen Ritter- oder 
Bürgerfamilien an. Die Mehrzahl der erwälnten Schöffen und 
Freien sind Bürger der Städte Warburg, Hofgeismar, Fritzlar, 
Bodenwerder und Paderborn. Jedoch sind diese Bürgergeschlechter 
wahrscheinlich zum größeren Teil gleichen Stammes mit gräf- 
lichen, paderbornischen und korveyschen Dienstmannen. Ein 
xroßer Teil, besonders der Schöffen, besteht aus Personen, die 
unmittelbar als eversteinsche Ministerialen zu erweisen sind. Es 





Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 65 


kann keinem Zweifel unterliegen, daß die nicht beträchtliche 
Dienstmannschaft der Grafen von Everstein ganz oder zum weit- 
aus größten Teil aus den Freien der Grafschaft zum Donnersberg 
hervorgegangen ist. 

Ein kleiner Bruchteil der genannten Dinggenossen ist zwar 
nicht mit Sicherheit, aber doch mit größter Wahrscheinlichkeit 
als bäuerlich zu betrachten. Es sind also unter den Grafschafts- 
freien der eversteinschen Grafschaft im 13. Jahrhundert alle 
Stände im späteren Sinn des Wortes vertreten. Aber das Mi- 
schungsverhältnis ist durchaus ungleich. An erster Stelle stehen 
die Stadtbürger, ihnen folgen in geringem Abstand die Ministe- 
rialen. Die Bauern sind höchst wahrscheinlich ebenfalls vorhanden, 
aber ihre Zahl ist verschwindend klein. 

Wenden wir uns nun zu dem dasselschen Teil des sächsischen 
Hessengaus, so können wir die eben geschilderte Dreiteilung hier 
bei emem einzelnen Geschlecht mit seltener Genauigkeit verfolgen. 


Das Geschlecht von Kalden. 


Direkt südlich von Hofgeismar, etwa in der Mitte zwischen 
dieser Stadt und der Stadt Kassel, liegt das Dorf Kalden. Das 
Dorf gehörte zum sächsischen Hessengau, in dessen ôstlichem Teil 
später die Grafen von Dassel die Grafschaftsrechte innehatten :28). 
Kalden lag an der Grenze des landgräflichen und dasselschen 
Herrschaftsgebietes. Jedoch ist mit Sicherheit anzunehmen, daß 
es noch zur Grafschaft Dassel gehörte!‘®). Nach diesem Dorf 
nennt sich nun ein Rittergeschlecht, das zuerst mit Albert von 
Kalden in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts auftritt !*®). 
Wahrscheinlich die früheste Erwähnung findet sich in einer Ur- 
kunde des Abts Hermann von Korvey, die zwischen 1223 und 
1254 ausgestellt wurde. Hier steht Albert als letzter in einer 
Reihe von Korveyer Ministerialen. Man wird annehmen dürfen, 
daß er selbst damals Dienstmann des Abts war!*) Jedoch 
schon im Jahr 1240 erscheint er als Zeuge in einem Geschäft 
des Grafen Adolf von Dassel '”), und von dieser Zeit an finden 
wir ihn so häufig als Zeuge bei Geschäften der Grafen und ihrer 
nächsten Verwandten und zum Teil inmitten notorisch gräflieher 


Dienstleute, daß seine spätere Zugehörigkeit zur gräflichen Dienst- 
Vierteljahrechr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV, 5 


66 W. Wittich 


mannschaft sicher ist!%). Er war außer vom Grafen von Dassel 
auch vom Mainzer Erzbischof mit Gütern bei Geismar belehnt ??') 
und tritt häufig als Zeuge in Geschäften, die zu Hofgeismar ab- 
geschlossen wurden, auf'°?}. Kurz vor 1258 muß er verstorben 
sein. Denn in diesem Jahr wurde ein Streit über seine Hinter- 
lassenschaft zwischen seinem Bruder, dem Ritter Bertold, dessen 
Sohn Albert und dem Kloster Hardehausen geschlichtet !9°). Unter 
den Zeugen dieses Vergleichs erscheint der Ratsherr Johann von 
Kalden zu Hofgeismar !°°). Wahrscheinlich Abkömmlinge, sicher 
nahe Verwandte dieser Brüder von Kalden sind die Knappen 
Johannes, Druchtlevus, Heinrich und Engelhard von Kalden, die 
seit dem Jahr 1262 urkundlich erwähnt werden’). Auch sie 
erscheinen immer in Urkunden der Grafen von Dassel bezw. des 
zur gräflichen Familie gehörigen Edelherrn Konrad von Schön- 
berg”). Ihre Stellung als dasselsche Ministerialen und ihre 
Zugehörigkeit zum Geschlecht der Brüder Albert und Bertold 
kann daher keinem Zweifel unterliegen. 

Im Jahr 1290 erscheint nun ein weiterer Johann von Kalden mit 
seiner Gattin Kunigunde !?®). Der Edelherr Konrad von Schönberg 
beurkundet, daß Johann, der Sohn des Rether, den Zins für die 
Nutzung einer Hufe, die er vom Kloster Helmarshausen innehatte, 
10 Jahre lang nicht bezahlt habe. Nun besitze dieser Johann in 
Kalden eine (freieigene) von niemand lehnbare halbe Hufe mit 
einem Hof. Er habe sich mit dem Abt dahin geeinigt, daß er und 
seine Gattin zeitlebens beide Güter frei besitzen sollten, daß aber 
nach ihrem Ableben das freieigene Gut als Ersatz für den ver- 
sessenen Zins zugleich mit der Zinshufe dem Kloster zufallen 
solle. Als Zeugen dieses Geschäfts erscheinen die Brüder Jo- 
hannes, Druchtlevus und Heinrich, Knappen von Kalden. Für 
die Zugehörigkeit dieser ausdrücklich Johannes de Colden ge- 
nannten Persönlichkeit zur dasselschen Ministerialenfamilie spricht 
1. der Vorname Johann; 2. die Bezeichnung seiner Freihufe als 
mansus a nullo infeodatus, die auf eine ritterbürtige Stellung 
schließen läßt; 3. das Auftreten der drei Brüder von Kalden als 
Zeugen bei seinem Geschäft mit dem Abt von Helmarshausen. 
Vermutlich gaben sie als Erben der Freihufe ihre Zustimmung 
zu deren Veräußerung. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 67 


daß auch dieser, offenbar in bedrängter wirtschaftlicher Lage be- 
findliche Johann von Kalden zur Ritterfamilie gehört hat. 

Im Jahr 1258 tritt nun ein Johann von Kalden als Konsul, 
also Ratsherr, der Stadt Hofgeismar auf!?”). Als solcher bezeugt 
er mit dem Schultheiß und einem anderen Ratsherrn den Ver- 
gleich des Ritters Bertold von Kalden mit dem Kloster Helmars- 
hausen !”). Im Jahr 1259 wird er zum letztenmal erwähnt’). 
Weiterhin erscheint schon früher (1240) in einer dasselschen Ur- 
kunde und 1245 in einer eversteinschen Urkunde neben dem 
Ritter Albert von Kalden ein Johannes scultetus de Gesmaria !°®®). 
Auch diese Persönlichkeit. kann mit dem Geismarer Ratsherrn 
identisch sein. Auf jeden Fall gibt es eine Bürgerfamilie zu 
Hofgeismar, die sich wie die Ritterfamilie von Kalden nennt, mit 
dieser den Vornamen Johann gemeinsam hat und endlich bei 
einem Geschäft dieser Ritterfamilie in einem ihrer Angehörigen 
als Zeuge tätig ist. Ich halte den verwandtschaftlichen Zusam- 
menhang zwischen beiden Geschlechtern für sicher. 

In demselben Jahr 1258 erscheint nun eine Freienfamilie, die 
sich ebenfalls von Kalden nennt'”®), Die homines libere con- 
ditionis Gerold und Johann von Kalden verkaufen mit Zustim- 
mung ihrer Erben, nämlich der Kunegunde, Gattin des Gerold, 
und beider Kinder (Rüdenger, Johann und Gerold, Helmburgis 
und Berteidis) und der Kinder des Johann (Dietrich Konrad, 
Gerold und Kunegunde), ihre Güter zu Adebrachtshausen für 
3 Mark an das Kloster Hardehausen. Die Zeugen dieses Ge- 
schäfts zerfallen in drei Gruppen. Zunächst vier Ritter, darunter 
Bertold von Kalden, dann Schultheiß und zwei Ratsherren zu 
Hofgeismar, darunter Johann von Kalden, und endlich vier rustiei 
zu Kalden. Kurze Zeit vorher (IX. 15. 1258) beurkundete der 
Abt Heinrich von Hersfeld und Fulda dieses Geschäft und be- 
merkte, daß eine Rente von 15 Denaren an die Kirche zu Fron- 
hausen vorbehalten worden sei!?’). Im Jahr 1259 verzichteten 
die Ritter von Wolfershausen und von Rengshausen auf die Vogtei 
über diese Güter ?°®). 

Es kann meines Erachtens keinem Zweifel unterliegen, daß 
diese Freien mit den Rittern und Bürgern von Kalden einer 
Familie angehören. Dafür spricht erstens der auch hier so häu- 


68 W. Wittich 


fige Vorname Johann, ferner die Zeugenschaft des Ritters Bertold 
und des Ratsherrn Johann bei dem Verkauf der Güter zu Ade- 
brachtshausen und endlich der Umstand, daß der sicher zur Ritter- 
familie gehörige Johann, Sohn des Rether, eine Freihufe zu 
Kalden sein Eigen nennt. Es fragt sich nun, welchem Stand 
gehörten diese homines liberae conditionis an, wie war ihre 
wirtschaftliche und soziale Stellung. 

Die Bezeichnung homo liberae conditionis wird gebraucht für 
Ritter, Stadtbürger und Bauern ?°!), Jedoch werden Ritter und 
Stadtbürger nur in Gerichtsurkunden bei Verhandlungen vor dem 
Grafengericht so genannt. Sie heißen deshalb Freie, weil sie im 
Besitz von Freidingsgütern sich befinden und meist aus altfreien 
Familien stammen. Bei allen übrigen Anlässen überwiegt ihre 
neuere Rechtsstellung als Ritter oder Stadtbürger, die andere mehr 
auf die Vergangenheit bezügliche Bezeichnung. Die Bauern dage- 
gen, die keine so ehrenvolle Stellung wie Ritter oder Stadtbürger 
errungen haben und mitten unter hörigen oder minderfreien 
Bauern wohnen, bewahren die stolze auszeichnende Benennung 
als Freie mit Sorgfalt und bezeichnen sich bei allen Gelegenheiten 
als homines liberae conditionis. Nun ist die Urkunde, in der 
die Freien von Kalden ihre Güter zu Adebrachtshausen verkaufen, 
keine Gerichtsurkunde, denn sie wird von Geistlichen ausgestellt. 
Ferner sind die Güter, die sie verkaufen, keine Freidingsgüter, 
denn es besteht ja eine Vogtei an ihnen, während die Freidings- 
güter eben nur dem Grafen unterstehen. Die Freien von Kalden 
besitzen sicher Freidingsgüter, aber nicht zu Adebrachtshausen, 
sondern wohl zu Kalden selbst, wie ihr Verwandter aus dem 
Rittergeschlecht. Dazu kommt die Zeugenschaft der vier rustici 
in Kalden. ‚Sie können nur als Nachbarn und Standesgenossen 
der Verkäufer bei dem Geschäft mitgewirkt haben. Die aus- 
drückliche Nennung ihres Wohnorts, Kalden, schließt meines Er- 
achtens aus, daß sie etwa als Nachbarn und Anlieger der ver- 
äußerten Güter in dem von Kalden ziemlich weit entfernten 
Adebrachtshausen das Geschäft bezeugt hätten. Außerdem weist 
der Umstand, daß wir die Namen dieser rustici in der Bürger- 
schaft benachbarter Städte wiederfinden ?”?), mit größter Wahr- 
scheinlichkeit auf ihre libera conditio hin. Wir nehmen also an, 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 69 


daß die Freien Gerold und Johann von Kalden als Bauern zu 
Kalden lebten. Trotzdem war ihre wirtschaftliche Stellung nicht 
ganz mit der eines heutigen Bauern gleichartig. Außer ihren 
Freigütern zu Kalden hatten sie nicht unbeträchtliche Eigengüter 
in dem Dorf Adebrachtshausen. Dieses nahe bei Kassel belegene 
Dorf wurde damals von den Cisterziensern des Klosters Helmars- 
hausen vollständig ausgekauft und in eine Grangia, einen Guts- 
betrieb, verwandelt, der noch heute den bezeichnenden Namen 
Mönchehof führt?®). Überhaupt ist es auffallend, daß wir über 
die ländlichen Wirtschafts- und Rechtsverhältnisse des Mittelalters 
gerade aus den Urkunden der Cisterzienserklöster die meiste 
Aufklärung erhalten. Es hängt dies damit zusammen, daß diese 
ackerbauenden Klöster die Güter nicht wie alle anderen mittel- 
alterlichen Erwerber als Rentenquellen, sondern zur Selbstbewirt- 
schaftung erwarben und dabei die das Gut wie Zwiebelschalen 
umgebenden Rechtsverhältnisse eines nach dem andern bis zum 
letzten und innersten, dem bäuerlichen, ablösen mußten. Wir 
müssen nun annehmen, daß die Freien von Kalden ihre Güter 
zu Adebrachtshausen nicht selbst bewirtschafteten, sondern zu. 
Zins ausgetan hatten. Sie hatten also neben ihrer Eigenwirtschaft 
auf ihren Freigütern zu Kalden auch noch Zinsgüter, die aller- 
dings nicht sehr bedeutend waren. Auch kam gerade diesen 
Freien von ihren Zinsgütern eines nach dem andern abhanden, 
und sie hatten nicht wie Ritter und Bürger die Gelegenheit, ihre 
Grundherrschaft durch Lehen oder bürgerlichen Erwerb wieder 
zu vergrößern. So beschränkte sich durch Veräußerungen und 
Verluste aller Art der Besitz dieser Freien allmählich auf das 
von ihnen unmittelbar besessene Freigut; dieses bewirtschafteten 
sic selbst; es bildete nicht mehr ihre wichtigste, sondern 
ihre einzige Existenzgrundlage. Erst damit waren sie wirkliche 
Bauern geworden. Aber diese rein bäuerliche Lebensweise hatten 
sie nicht immer geführt; unsere Stelle weist deutlich auf eine 
frühere, mehr grundherrliche Stellung auch der im Dorf ansässig 
gebliebenen Glieder des Freiengeschlechts von Kalden. 

Über die Frage, ob das Freiengeschlecht von Kalden in 
seinen bäuerlichen Vertretern nach der Terminologie des Sachsen- 
spiegels zu den Schöffenbarfreien oder zu den Pfleghaften zu 


70 W. Wittich 


rechnen ist, wollen wir hier keine Betrachtung anstellen. Jedoch 
halte ich es für sicher, daß das Geschlecht ursprünglich vollfrei 
und schöffenbar war, und daß es seine Schöffenbarkeit, wenn 
überhaupt, so doch erst später verloren hat. 

Da die Zugehörigkeit der in so verschiedenen Stellungen be- 
findlichen Personen zu einem Geschlecht unzweifelhaft feststeht, 
so bésitzen wir hier ein typisches Beispiel für die von mir be- 
hauptete Entwickelung des altfreien Standes in Sachsen und für 
die gleichfalls von mir angenommene altfreie Herkunft der Mini- 
sterialen.. Der ursprüngliche Stand des Geschlechts ist die 
Vollfreiheit. Es wohnt an seinem Stammsitz zu Kalden; wahr- 
scheinlich führt es eine grundherrliche Lebensweise. Diese 
Vollfreienfamilie spaltet sich nun entsprechend der sozialen Ent- 
wickelung ihrer Mitglieder in drei Zweige mit durchaus ver- 
schiedener Standeszugehörigkeit. Ein Teil des Geschlechts wird: 
ritterlich. Ob diese Linie noch Freiheit und Ritterwürde ver- 
einigte, oder ob sie die Ritterwürde erst mit und durch den 
Eintritt in die Ministerialität erlangte, muß dahingestellt bleiben. 
Urkundlich erscheint die ritterliche Linie zum erstenmal in der 
Dienstmannschaft des Abts von Korvey, um bald in die der 
Grafen von Dassel überzugehen. Ihre altfreie Abstammung aber 
ist sicher. Ein anderer Teil des Geschlechts tritt in die Bürger- 
schaft der benachbarten Stadt Hofgeismar ein und erlangt dort 
eine angesehene, sicher patrizische Stellung. Die dritte Linie 
endlich verbleibt im alten Stand und in der alten Heimat; sie 
hleibt vollfrei, wird aber entsprechend der Stagnation ihrer Ver- 
mögensverhältnisse bäuerlich. Wahrscheinlich beobachten wir 
sie gerade beim Übergang zu einer rein bäuerlichen Lebens- 
führung. Die Geschichte des Geschlechts von Kalden zeigt uns so: 
dasselbe Bild, das wir den Gerichtsurkunden der eversteinschen 
Grafschaft am Donnersberg entnommen haben. 

Die so festgestellte ständische Entwickelung in Engern deckt 
sich völlig mit der ostfälischen, die wir am Beispiel der Grafschaft: 
Biewende beobachten konnten. Immer ist es dieselbe dreifache: 
Verzweigung des Standes der Vollfreien in ministerialische Ritter, 
Stadtbürger und Freibauern. Dabei fehlt in vielen Fällen die eine- 
oder andere Verzweigung, am häufigsten die bäuerliche. Ich bin fest 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 71 


überzeugt, daß sie relativ selten stattgefunden hat, daß die meisten 
altfreien Geschlechter sich nur in eine ritterliche (ministerialische) 
und eine bürgerliche Linie gespalten haben. 

Im Westen endlich grenzte an das Bistum Hildesheim die 
engersche Diözese Minden, aus deren Verfassungsgeschichte nur 
eine merkwürdige Analogie mit den hildesheimischen Verhält- 
nissen hervorgehoben werden soll. Im Norden des Bistums 
Minden lagen die Grafschaften Bordere und Stemwede (Stein- 
wede)**). Ursprünglich herzoglich sächsisches, seit 1254 Reichs- 
lehen der mindenschen Kirche, waren sie an benachbarte Grafen- 
häusern, wie Holstein, Oldenburg und Hoya, weiterverliehen 
worden. In diesen Grafschaften gab es, ganz wie in der großen 
und kleinen Grafschaft der Grafen von Lauenrode, eine Freicn- 
bevölkerung, die dem Grafschaftsherrn zu Leistungen aller Art 
verpflichtet war. Wahrscheinlich wegen Bedrückung dieser Freien 
durch die Grafen, also aus ganz demselben Grunde, wie im Bis- 
tum Hildesheim, brachte der Mindener Bischof in den Jahren 
1258—1261 die Grafschaften durch Kauf in seinen unmittelbaren 
Besitz. So weit war die Entwickelung ganz analog der hildes- 
heimischen verlaufen. Nun aber kommt ein weiteres Stadium, das 
wir in Hildesheim nicht beobachtet haben. 

Im Jahr 1258 traten sämtliche Freie der Grafschaft Bor- 
dere, im Jahr 1263 (18. I.) die sämtlichen Freien der Graf- 
schaft Steinwede in die Ministerialität des Bischofs von Minden 
ein. Sie ergaben sich mit ihren Gattinnen und freien Gütern 
unter Zustimmung ihrer Erben an den Bischof, und dieser sicherte 
ihnen die Wiederverleihung ihrer Güter zum Recht der Mini- 
sterialen der Kirche Minden ohne alle Beschwerung zu. Den 
Freien von Steinwede wurde der spätere Erlaß der Grafschafts- 
abgabe ausdrücklich versprochen. Jedoch scheint die Zinspflicht 
weiterbestanden zu haben. Denn die Freien, d. h. wohl ihre 
Abgaben, wurden später wieder verpfändet, und im Jahr 1330 
erscheinen diese altfreien Ministerialen als Korporation unter der 
Bezeichnung universi ministeriales censuales ecclesiae Mindensis 
in Stenwehde. Wie man deutlich sieht, haben diese Altfreien, 
ihrer sozialen Stellung entsprechend, bei ihrem späten Übertritt 
nicht mehr das volle Recht der ritterlichen Ministerialität erlangt. 


72 W. Wittich 


Sie kamen in eine Schutzhörigkeit, die sie vielleicht vor fremden 
Bedrückungen, aber wohl kaum vor denen des neuen Herm 
sicherte. Aber formell war ihr Verhältnis zum Bischof unbestreit- 
bar Dienstmannschaft. Sie wurden ihrer sozialen Stellung ent- 
sprechend bäuerliche Dienstmannen, wie ihre glücklicheren 
Standesgenossen, die sich 100 oder 200 Jahre früher ergeben 
hatten, ritterliche Dienstmannen geworden waren. Wir kennen 
einige mindensche Ministerialenfamilien, wie die Geschlechter 
Proyt?°) und von Schinna ?°®), die unzweifelhaft ursprünglich zu 
den Freien der Grafschaft Bordere gehört haben. Jedoch sind 
diese Familien schon viel früher dienstmännisch geworden und 
haben damit die ritterliche Eigenschaft erlangt oder aber bewahrt. 

Wenn wir so das östliche Ostfalen, das Bistum Hildesheim und 
das engersche Bistum Minden miteinander vergleichen, so haben 
wir drei Entwickelungsstadien vor uns, von denen das westlichere 
immer um eine Stufe dem ôstlicheren voransteht. Im östlichen 
Ostfalen sehen wir die Masse der freien Rittergeschlechter noch 
frei, im Bistum Hildesheim sind die Rittergeschlechter bei ihrem 
Eintritt in die Geschichte ihrer Masse nach schon dienstmännisch ; 
die Freibauern dagegen sind noch frei und bleiben es auch bis 
ins 19. Jahrhundert. Im Bistum Minden endlich ist die freie 
Ritterschaft noch früher dienstmännisch geworden; am Ende der 
Entwickelung gelingt es auch der Freibauernschaft, in corpore in 
ein allerdings minder ehrenvolles Dienstverhältnis einzutreten. 
Wo die Entwickelung früh genug einsetzt, um sich völlig auszu- 
leben, geht alle alte Freiheit in der Dienstmannschaft auf. 

Man sieht deutlich, daß auch die Geschichte der Standesver- 
hältnisse in den Nachbargebieten nicht im Widerspruch steht mit 
unserer Annahme von der Altfreiheit der hildesheimischen Dienst- 
mannschaft. Im Gegenteil gewinnt diese Annalıme durch den 
Vergleich mit der Entwickelung der Nachbargebiete eine bedeu- 
tende Stütze. Denn im äußersten Ostfalen können wir einen 
unserer Annahme entsprechenden Verlauf unmittelbar beobachten; 
in den nächstgelegenen ostfälischen und engerschen Grenzgauen 
ist die Fülle der Indizien für unsere Annahmen viel reicher ala 
im Bistum Hildesheim selbst; in dem weniger bekannten Norden 
deuten alle vorhandenen Überlieferungen auf eine mit der hildes- 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 73 


beimischen gleichartige und auch wohl gleichzeitige ständische 
Entwickelung. Im Bistum Minden endlich beobachten wir eine 
Konsequenz, zu der es in keinem der übrigen Gebiete gekommen 
it. Auch sie erklärt sich am besten, wenn eine langwirkende, 
sarke Tendenz zum Übertritt aller Freien in die Dienstbarkeit 
soranagesetzt wird, die hier wohl einen noch früheren Übertritt 
der freien ritterlichen Geschlechter als in Hildesheim veranlaßt 
taben muß. So ordnet sich auch dieser auffallende Vorgang 
mühelos in unsere Annahme ein, die es uns ermöglicht, ein ge- 
schlossenes und lückenloses Bild der älteren ständischen Ent- 
wiekelung in ganz Niedersachsen zu gewinnen. 


$7. Die Bedeutung der Altfreiheit der Ministerialen 
für die Sozialgeschichte des sächsischen Stammes. 


Welche Konsequenzen ergeben sich nun aus unseren Unter- 
suchungen für die Sozialgeschichte des sächsischen Stammes? 
Zunächst wird durch den Nachweis der Altfreiheit der nieder- 
sächsischen Ministerialität der Ursprung des niederen Uradels in 
ein völliges neues Licht gerückt. Die maßgebenden Rechts- 
historiker haben zwar den Nachweis ZALLINGERS von der Alt- 
freiheit der ostfälischen Ministerialen anstandslos akzeptiert, dabei 
aber die herrschende Ansicht von dem hörigen Ursprung der 
Masse der Dienstmannsgeschlechter ruhig aufrechterhalten. An- 
:eichts der Ausdehnung der von ZALLINGER gewonnenen Er- 
bnisse auf ganz Niedersachsen ist die herrschende Ansicht 
ıllig unhaltbar geworden. Der Ursprung der zahllosen Dienst- 
üannseeschlechter des 12. und 13. Jahrhunderts kann nicht in 
&n wenigen Stall-, Küchen- und Kammerknechten der Fürsten 
and Bischöfe zur Zeit der Karolinger und Sachsenkaiser gesucht 
wrden. Am Hof des Herrn entstand die Form des dienst- 
männischen Verhältnisses, aber nur die wenigsten der urkundlich 
ıuitretenden Dienstmannsgeschlechter gehen auf den aus niederer 
Hörigkeit entstiegenen Grundstock zurück. Weitaus die meisten 
tesehlechter sind altfrei; sie sind äußerer Vorteile halber in das 
Dienstverhältnis eingetreten, und sie haben der Ministerialität 
'iren wahren Inhalt und ihre spätere Bedeutung gegeben. Der 
b-itige niedere Uradel ist also in der Hauptsache nicht hörigen, 


74 W. Wittich 


sondern freien Ursprungs; seine Ahnen sind nicht Roßknechte, 
Köche und Kammerdiener, sondern freie Grundherren, größtenteils 
ritterlichen Standes. Er ist eingetreten in ein Dienstverhältnis, 
das ursprünglich für Leute hörigen Standes bestimmt war und 
daher die Form der Hörigkeit auch weiterhin bewahrte. Er ist 
in dieses Dienstverhältnis eingetreten. als es Vorteile bot, die 
den Verlust der Freiheit weit überwogen und die ohne die Auf- 
gabe der Freiheit nicht zu erlangen waren. Dabei wurden 
natürlich einige Geschlechter niederen Ursprungs mit in die Höhe 
gezogen, aber in der Blütezeit der Ministerialität verschwinden 
sie völlig gegenüber der Masse der altfreien Familien. 

Wir besitzen eine Analogie zu dieser Entwickelung in den Vor- 
gängen bei der Ausbildung des Staatsdienertums, die 300 Jahre 
später an denselben Höfen erfolgte. Auch hier sind es Personen 
niederen Standes, Bürger, landfremde Ritter und Doktoren, mit 
denen der Fürst das neue Institut ausbildet. Als es aber ge- 
schaffen war und Ehre, Macht und Reichtum verhieß, da be- 
mächtigte sich die eingeborene Ritterschaft aller einflußreichen 
Stellungen im neuen Beamtenstaat und hielt sie jahrhunderte- 
lang fest, bis sie den veränderten Zeitverhältnissen entsprechend 
aus einem Teil derselben weichen mußte. Auch hier bilden 
einige durch den Staatsdienst in die Höhe gekommenen Familien 
einen dauernden Bestandteil des Beamtentums; aber wer wollte 
behaupten, daß z. B. das preußische Beamtentum des 17. und 
18. Jahrhunderts in der Hauptsache aus solchen emporgekommenen 
Familien bestanden hätte? 

Es ist also mit Sicherheit anzunehmen, daß der niedersächsische 
Uradel in seiner Hauptmasse nicht hörigen, sondern altfreien 
Ursprungs ist. 

Außerdem aber lernen wir auch die Herkunft und den Stand der 
Altbürger oder Patrizier in den niedersächsischen Städten kennen. 
Auch sie sind sicher ihrer Hauptmasse nach Altfreie. Sie sind vom 
Land aus ihren Heimatsdörfern in die Stadt gezogen wie ihre Standes- 
oder gar Geschlechtsgenossen an den Hof des Grafen, Fürsten oder 
Bischofs. Aber sie hielten ihren Besitz in der Heimat, ihre Be- 
ziehungen zum Freigericht und endlich ihre alte Freiheit sorg- 
fältig aufrecht. Die freiheitliche Gestaltung der Stadtverfassung, 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 15 


ihr Ursprung aus dem Landrecht erklärt sich einfach daraus, 
daß die Begründer und maßgebenden Mitglieder der neuen Ge- 
meinwesen kraft ihrer Herkunft des höchsten Maßes landrecht- 
licher Freiheit teilhaftig waren. Die höchstberechtigten Bürger 
der Städte waren also nicht etwa „Pfleghafte“, sondern nach der 
Terminologie des Sachsenspiegels schöffenbarfreie Leute. End- 
lich erscheinen auch die vielgenannten niedersächsischen und 
westfälischen Freibauern in schärferen Umrissen. Zunächst muß 
ich HECK darin beistimmen, daß die bäuerlichen Freien der 
großen und der kleinen Grafschaft, der Grafschaften Bordere 
und Steinwede, des sächsischen Hessengaus und der Grafschaft 
Biewende ursprünglich wenigstens vollfrei und schöffenbar waren, 
also keineswegs eben bloß wegen ihrer bäuerlichen Lebensweise 
als minderfrei bezeichnet und der Klasse der Pfleghaften zuge- 
rechnet werden dürfen. Diese freien Bauern waren ja vielfach 
eines Stammes mit schöffenbaren Stadtbürgern und Rittern; wir 
finden sie als Dinggenossen und Schöffen im echten Ding; ihre 
Vollfreiheit noch im 13. Jahrhundert kann wohl nicht bezweifelt 
werden. Aber wo wir diese schöffenbaren Bauern genauer kennen 
lernen, finden wir Züge in ihrer wirtschaftlichen Stellung, die 
mit einer rein bäuerlichen Lebensweise nicht vereinbar sind. So 
haben die Freien der Grafen von Lauenrode zum Teil Güter in 
beiden Grafschaften, und die Freien aus dem Geschlecht von 
Kalden besitzen außer ihren Freigütern zu Kalden Eigengüter in 
einem benachbarten Dorf. Diese Umstände beweisen meines Er- 
achtens mit Sicherheit, daß noch in historischer Zeit ein Teil der 
Freien keine rein bäuerliche, sondern eine mehr grundherrliche 
Stellung gehabt hat. Endlich glaube ich sicher, daß das nume- 
rische Zurücktreten der Bauern in den Gerichtsurkunden gegenüber 
Rittern und Stadtbürgern nicht nur auf ihr geringeres Ansehen, 
sondern auch auf ihre verhältnismäßig geringe Zahl zurückzu- 
führen ist. Die Freibauern bildeten unter den Bauern eine ver- 
schwindende Minorität, aber auch im Stand der Vollfreien waren 
sie weit weniger zahlreich als die anderen Klassen. 

HECK hat in seinem neuesten Werk die Seltenheit und ge- 
ringe soziale und wirtschaftliche Bedeutung dieser bäuerlichen 
Vollfreien in der Zeit des Sachsenspiegels zugegeben ?””). Trotz- 


76 W. Wittich 


dem glaubt er, dass sie innerhalb des Standes der Vollfreien 
gegenüber Fürsten, Herren und freien Rittern die Majorität 
gebildet hätten. Unter der Voraussetzung, daß der Stand 
der Vollfreien keine sonstigen Bestandteile enthielt, ist dies 
ohne weiteres zuzugeben. Aber wir wissen jetzt, daß Stadt- 
bürger und Ministerialen gerade den Kern des Standes der Voll- 
freien bildeten oder gebildet hatten. Nehmen wir sie hinzu, so 
sinken die Bauern in die Minorität zurück; die Lücke, die in 
der Zusammensetzung des Standes nach HEcK zwischen freien 
Rittern und freien Bauern klafft, wird ‚ausgefüllt, und wir er- 
halten damit eine numerische und soziale Bedeutung dieses 
Standes, die seiner rechtlichen Stellung als Träger und Haupt- 
objekt der landrechtlichen Verfassung allein entspricht. 

Unsere Untersuchung gibt uns aber nicht nur einen Aufschluß 
über den Ursprung der späteren Ständebildungen, sondern sie 
wirft auch ein Licht auf die noch dunklen und bestrittenen 
ständischen Verhältnisse der sächsischen Urzeit. Ich habe ge- 
meinsam mit Heck die von diesem aufgestellte Hypothese ver- 
teidigt, daß der Sachsenstamm in karolingischer Zeit keinen Adel 
gehabt hat, sondern daß der in der lex Saxonum als nobiles 
bezeichnete Stand das allein vollfreie Volk darstellte, während 
alle anderen Stände Minderfreie oder Hörige waren ?”®). Diese 
Annahme hat durch alle neueren Untersuchungen insofern eine 
Bestätigung erfahren, als ZALLINGER sowohl, wie neuerdings 
Heck und ich, für die Zeit des Sachsenspiegels jede landrecht- 


liche Verschiedenheit innerhalb des Standes der Vollfreien be- . 


seitigt haben. Die ständische Gliederung zur Zeit des Sachsen- 
spiegels, d.h. im 12. und 13. Jahrhundert, stimmt also völlig 
mit dem von HECK angenommenen Zustand in der Stammes- 
periode überein. Es findet sich schon damals keine Spur von 
einem gegenwärtigen oder früher vorhandenen landrechtlichen 
Adel. Wie nach HEcks Annahme in der Stammeszeit, so be- 
herrscht auch im Zeitalter des Sachsenspiegels der vollfreie Stand 
das ganze Rechts- und Verfassungsleben. Wie damals sind alle 
anderen Stände minderfrei, teils schutzpflichtige Freie, teils Frei- 
gelassene, teils endlich hörige Laten. Ich glaube, daß diese zum 
Teil ganz unabhängig von HECK für den frühmittelalterlichen 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 77 


Zustand gewonnenen Anhaltspunkte eine wesentliche Stütze für seine 
Hypothese der Stammeszeit darstellen. 

Außerdem habe ich allein im Gegensatz zu allen übrigen 
Forschern und insbesondere auch zu HECK die Behauptung auf- 
gestellt, daß die vollfreien Sachsen in der Stammeszeit und im 
frühen Mittelalter (die nobiles oder Edelinge nach Heck) nicht 
als Bauern sich ernährten, das heißt eine Hufe mit eigener 
Hand bestellten, sondern daß sie kleine Grundherren waren, 
die in der Hauptsache von den Abgaben ihrer auf wenigen 
Hufen angesiedelten Hörigen lebten ?®). Bei der Veränderung 
der Wehrverfassung ging ein Teil dieser kleinen Grundherren, 
und zwar der wohlhabendste, in den Ritterstand über; sie 
wurden freie ritterliche Grundherren, ergänzten ihre Eigengüter 
durch Lehen und widmeten sich völlig dem Waffenhandwerk. 
Der minder wohlhabende, wohl kleinere Teil dieser altfreien 
Grundherren wollte oder konnte den ritterlichen Beruf nicht 
ergreifen; er erhielt keine Lehen, blieb auf seine Eigengüter 
beschränkt und sank langsam zu bäuerlicher Lebensweise und 
Stellung herab. 

Ich glaube, daß diese Annahme in allen Hauptpunkten 
durch die bisherigen Untersuchungen bestätigt wird. Mit dem 
Nachweis der Altfreiheit der Ministerialität verwandelt sich das 
Bild, das die herrschende Ansicht von dem Ursprung der 
Dienstmannen zu entwerfen pflegt, völlig. Nicht einem zahl- 
reichen Hofgesinde am Herrensitz, in der Stadt, in der Burg des 
Bisehofs oder des Fürsten sind die Ministerialen entsprossen, 
sondern die Ahnen der Dienstleute sitzen überall im Land um- 
her auf kleinen, unbefestigten Herrenhôfen. Wie Tausende von 
Urkunden bezeugen, sind sie kleine Grundherren, die mitten 
in den Dörfern unter ihren Hörigen hausen. In ganz Nieder- 
sachsen gibt es kaum ein Derf, das nicht einem Ministerialen- 
geschlecht den Namen gegeben hätte. Dabei kennen wir doch 
uur die zufällig in den Urkunden erwähnten Dienstmannenge- 
schlechter. Wenn eine Verhandlung über ein Gut in abgelegener 
Gegend stattfindet, so tauchen ganz neue Namen auf. 

So haben wir mit der Altfreiheit der Dienstmannen den zahl- 
reichen Stand kleiner freier Grundherren nachgewiesen, den ich 


78 W. Wittich 


in meiner Hypothese über die ältesten ständischen und sozialen 
Verhältnisse des Sachsenvolkes annehmen mußte. In historischer 
Zeit ist er ritterlich, aber zum größten Teil nicht mehr vollfrei, 
sondern in der ehrenvollen Unfreiheit der Dienstbarkeit. Aber 
tausend Fäden verbinden ihn noch mit der alten Freiheit, die er nur 
der Form nach verloren hat. 


Aber nicht nur den Teil des vollfreien Sachsenvolkes lernen : 
wir kennen, der grundherrlich blieb und die Ritterwürde er- : 
langte, sondern auch die Minderzahl, die zur bäuerlichen Stel- - 
lung herabsinkenden Altfreien. Sie sind nicht nur gleichen : 


Standes, sondern sogar vielfach gleichen Geschlechts mit den : 


ritterlich gewordenen Altfreien. Schon daraus, aber auch aus 
sonstigen Anzeichen ergibt sich ihre ehemals grundherrliche 
Stellung. Ihre bäuerliche Lebensweise und Beschäftigung trennt 
sie schon damals scharf von ihren ritterlichen und bürger- 
lichen Standes- und Geschlechtsgenossen. Aber noch haben sie 
mit diesen den gemeinsamen Vereinigungspunkt im Grafengericht, 
noch sind die alten Familienbeziehungen lebendig. Bald aber 
scheiden Ritter und Bürger völlig aus dem Grafengericht aus; 
das echte Ding wird zum bäuerlichen Freiding, wo nur die bäuer- 
lichen Freien die kaum verstandene Form bewahren; die alten 
Familienbeziehungen verklingen, und die bäuerlich gewordenen 
Vollfreien gesellen sich sozial und rechtlich den Bauern der Urzeit, 
den Hörigen und Kolonen. 

Heute sind von den drei Verzweigungen der Vollfreien zwei 
ziemlich verschwunden oder unkenntlich geworden. Die alten 
Bürgergeschlechter der niedersächsischen Städte sind entweder 
ausgestorben oder in den Territorialadel übergegangen. Manche 
der alten Freihofbauerngeschlechter sitzen seit Jahrhunderten auf 
ihren Höfen. Aber ein genealogischer Zusammenhang dieser 
Familien mit den vollfreien Bauern des 13. Jahrhunderts wird 
sich wohl in keinem einzigen Fall mit Sicherheit erweisen lassen. 
Nur der dritte Zweig, die Dienstmannschaft, die Ministerialität, 
ist in dem Uradel Norddeutschlands in der Hauptsache erhalten 
seblieben. Denn der Grundstock des niederdeutschen Uradels 
von Westfalen bis Esthland entstammt ja bekanntlich den alten 
westfälischen und niedersächsichen Dienstmannsgeschlechtern. 


mi. 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 79 


Gleichen Ursprungs scheint endlich auch der niedere Adel Eng- 
lands, die sogenannte gentry, zu sein, die ja auch in ihrer Haupt- 
masse sächsischer Abstammung gewesen sein muß. 

So verbindet das Band des gleichen Stammes und des 
gleichen Standes die Eroberer Englands, die Sachsen, gegen die 
Karl der Große und Heinrich IV. zu Felde zogen, die Berater 
der Welfen und Hohenstaufen und endlich die Eroberer und Kolo- 
nisatoren des deutschen Nordostens. Damit gehen aber auch 
die beiden wichtigsten Aristokratieen der Gegenwart, der eng- 
lische niedere Adel (die gentry) uud das nordostdeutsche Junker- 
tum, auf einen gemeinsamen Ursprung zurück, sie entstammen 
beide den sächsischen Edelingen. 


Anmerkungön zu der Abhandlung von W. Wittich: 
Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 


1) Urkundenbuch des Hochstifts Hildesheim und seiner Bischöfe, heraus- 
gegeben von K. JANICKE, I. Leipzig 1896; II. und III. bearbeitet von 
Dr. H. HoogEwEs, Hannover und Leipzig 1901 und 1908; zitiert als Hildes- 
heimer Urkundenbuch. 

la) Hildesh. Urkb. I. Nr. 132 (ca. ao. 1073). 

2) Hildesh. Urkb. I. Nr. 150 (ao. 1092 V. 10). 

3) Hildesh. Urkb. I. Nr. 150 (ao. 1092): Bischof Udo gibt seinen Mini- 
sterialen Heiratsfreiheit, 8 ministerialische Zeugen. Nr. 158 (ao. 1103): Zeugen 
4 Grafen, 18 Freie, 5 Dienstleute. Nr. 169 (ao. 1110): Zeugen 14 ministri 
ecclesie. Nr. 173 (ao. 1113 X. 8): Zeugen Benico advocatus, Eckerbertus came- 
rarius, Ernest dapifer et ceteri complures. Nr. 174 (ao. 1117 V. 11): 8 Zeugen, 
ob Dienstleute? Nr. 183 (ao. 1125 V. 22): ministeriales Hekbertus (von Tossem) 
Volcoldus, Eizo Ruthericus (sämtlich von Eilstrenge), drei weitere Vornamen. 
Nr. 190 (ao. 1130—1153) Volcoldus Eizo, Reinzo, Hugoldus ministeriales. 
Nr. 194 (ao. 1131 V. 9) und Nr. 195 (ao. 1131 V. 5): Ekebertus, Volcoldus, Eizo. 
Nr. 196 (ao. 1131 VI. 12): Ulrich, Sohn des Asbert von Lengede. Nr. 200 
(ao. 1182 ca.): Siegfried von Mehle (Midelen). Erstes Auftreten der v. Eil- 
strenge mit ihrem Geschlechtsnamen Nr. 268 (ao. 1150 V. 8). 

4) LÜNTZEL, Geschichte der Diözese und Stadt Hildesheim, II. p. 96 nach 
Mirakula Sancti Bernwardi Nr.3. Monumenta Germaniae historica ed. PERTZ, 
SS. IV. p. 783. Fuit in civitate nostra (Hildesheim) miles quidam ministerialis 
habitans (Anfang des 12. Jahrhunderts). 

5) Wartz, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. V. 2. Aufl. ed. ZEUMER, 
p. 822 ff. Über Ministerialen, p. 332 Anm. 3. Nach Waıtz legt v. FÜRTH 
zu sehr alles Gewicht auf den Hofdienst. p. 382: „Der Dienst allgemein ist 
der Ausgangspunkt; in der näheren Beziehung zu dem Hofdienst erhält die 
Sache ihren Abschluß, ihre formelle Ordnung; die materielle Grundlage aber 
bildet die... Teilnahme am Kriegsdienst, insonderheit dem Rossedienst, die 
jeden, der ihn leistete, über die alten (tenossen zu höherer Ehre und su 
besserem Recht erhob.“ 

Heck, Der Sachsenspiegel und die Stände der Freien, Halle 1906, p. 718ff. 

6) ALTMANNX und BERNHEIM, Urkunden zur deutschen Verfassungs- 
geschichte, 3. Aufl. 1904, p. 156 (ao. 1057—1064): A domino suo non con- 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 81 


stringantur nisi ad quinque ministeria, hoc est aut dapiferi sunt, aut pincer- 
nae, aut marchalli aut venatores (dazu zu ergänzen wohl camerarii); nach 
ALTMANN etc. p. 156 zw. pincernae et marescalchi cubicularii einzusehalten. 

v. FÜRTH, Die Ministerialen, 1836, p. 516 (Kölner Dienstrecht, ca. ao. 1154). 
Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln, Hett II. pag. 1 ff., $ 33, dasselbe 
ed. Frensdorff. 

$ 10: Item singuli et omnes Ministeriales ad certa officia curiae nati et 
deputati sunt. Officia quinque sunt; in hiis ofliciis servire solummodo debent 
Ministeriales beati Petri et specialiter illi, qui inter eos seniores inveniantur. 

Sächsisches Lehnrecht Art. 68 $ 1: Na hoverechte sal jewelk dienstman 
geboren druzste sin oder schenke oder marscalk oder Kemerere. 

Codex diplomaticus Westfaliae ed. Erhard IL Nr. 405 (ao. 1179). Bischof 
Siegfried von Paderborn nimmt einen freien Ritter zum Ministerialen an, 
hac videlicet conditione, ut iure ministerialium inter dapiferos, cum res 
exposceret, episcopo deserviret. 

Hildesh. Urkb. I. Nr. 169 (ao. 1110). Bei der großen Schenkung des Edel- 
herrn Aicho von Dorstedt an das Bistum Hildesheim befinden sich 4 mini- 
steriales. 

7) Vgl. oben Anm. 3. 

8) Dapiferi de Hildesheim, vgl. Hildesh. Urkb. I. p.769. Sie 
heißen Ernst, Sohn des Ernst Johann, Sohn des Johann, Ernst, vgl. Nr. 655 
(ao. 1212 IV.27). Wahrscheinlich gehören sie der Familie von Ochtersum 
an. Hier finden sich etwa zu gleicher Zeit die Vornamen Ernst und 
Johann (vgl. p. 791) und Konrad. Dazu Nr. 442 (ao. 1186 X. 16): Ernestus 
dapifer, Olricus dapifer et filius eius Conradus. Auch stehen. Ernst von 
Ochtersum und der dapifer Ernst niemals zusammen, und ersterer nimmt 
in den Urkunden etwa den Platz des. letzteren ein. Vgl. Nr. 241 (ao. 1146 
VIII. 3): Ernestus, Conradus frater eius, Heinricus de Ochtersheim, Arnoldus 
meracalcus. Dasu oben Ernestus dapifer, Arnoldus marscalcus. Nr. 281 
(ao. 1148 IV. 9), Nr. 276 (ao. 1151), Nr. 286 (ao. 1156 X. 18), Nr. 320 
(ao. ca. 1160), Nr. 342 (ao. 1167), Nr. 348 (ao. 1169 XII. 21), Nr. 421 (ao. 1183 
III. 12): Ernestus de Ochtersim, Bernhardus de Gese, Olricus dapifer. Nr. 428 
(ao. 1184 IH. 12), Nr. 178 (ao. 1113 X. 8): Geschäft in Lützingevorden, 
ganz nahe bei Ochtersheim und Tossem, Zeugen: Eckebertus camerarius, 
Ernest dapifer. 

Hildesh. Urkb. I. Nr. 160 (ao. 1226 V. 26): Kaiser Friedrich II. bestätigt 
den Kauf des Truchsessenamts durch Bischof Konrad von dem dapifer Ernst 
für 150 Mark. 

Die Familie von Ochtersum scheint ausgestorben; Nr. 292 (ao. 1280): 
Conredus de Ochtersum, der letzte. 

9) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 200 (ao. 1182 ca.): Liutoldus advo- 
catus etc. 

Nr. 201 (ao. 1182—1141): Conone de Aldendorp. 


Über die verschiedenen Namen des Geschlechts der Vögte vgl. Hildesh. 
Vierteljabrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 6 


82 W. Wittich 


Urkb. I. p. 769, 810, 812. II. p. 645 (wo sie fälschlich als nobiles bezeichnet 
werden), 672. 


10) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 196 (ao. 1131), 200 (ao. 1132), 201 (ao. 1132 
bis 1141). 


11) Gegenüber Hrck (Sachsenspiegel und die Stände der Freien, 1906, 
p. 709—733), der den Ursprung der Ministerialität aus der Hörigkeit bestreitet 
verweise ich zunächst auf die ältesten Hofrechte, die sämtlich das Mini- 
sterialenverhältnis als den auszeichnenden aber rein tatsächlichen Dienst der 
Hörigen in einem Hofamt darstellen. 

Hofrecht des Bischofs Burchard von Worms (av. 1023—10256), S 29 Lex 
erit: si episcopus fiscalem hominem ad servitium suum assumere voluerit, ut 
ad alium servitium eum ponere non debeat nisi ad camerarium aut ad pincer- 
nam vel ad infertorem vel ad agasonem vel ad ministerialem, et, si eum ad 
tale servitium facere noluerit, quatuor denarios persolvat ad regale servitium 
et 6 ad expeditionem et tria iniussa placita querat in anno et serviat cui- 
cumque voluerit. 

Recht der Limburger Klosterleute (ao. 1035 I. 17), $ 4: Si vero abbas 
queupiam prescriptorum in suo obsequio habere voluerit, faciens eum dapi- 
ferum aut pincernam sive militen suum et aliquod beneficium illi prestiterit, 
quamdiu erga abbatem bene egerit, cum eo sit, cum non, ius quod ante 
habuit, habeat. Vgl. ALTMANN und BERNHEIM, Urkunden zur deutschen 
Verfassungsgeschichte, 3. Aufl. 1904, p. 151—158. 

Ferner nennt der Bischof von Hildesheim in der Urkunde von 1078 (vgl. 
Anm. 1) die Ministerialen ausdrücklich mancipia. In einer Osnabrücker Ur- 
kunde (Osnabr. Urkb. ed. PnıLLırei, I. Nr. 139 ao. 1037—1062) ergibt sich 
der libertus miles Werinbreht unzweifelhaft in das Ministerialenverhältnis. 
Er bezeichnet sich dann aber als proprius liddo. 

Für die Unfreiheit bezw. das alte Latenverhältnis entscheidet meines 
Erachtens die Gleichstellung der Ministerialen und Laten im Sachsenspiegel, 
vgl. S. Ld. R. I. 52 $ 1: Dienstleute werden ohne Gericht gewechselt. 

I. 16 $ 1: Niemand kann erwerben ander Recht, als ihm angeboren ist, 
Sunder der egene man, den man vri let, die behalt vrier lantseten recht. 

III. 80 $ 2: Let die koning oder en ander herre sinen dinstmann oder 
sinen egenen man vri, de behalt vrier lantseten recht. 

Auch II. Art. 42 $$ 2 und 3 werden Unfreiheit und Dienstbarkeit als 
durchaus gleichartig behandelt. 

12) Heck (Sachsenspiegel etc., p. 717 Anm. 1) sieht in dieser Freiheit 
der Ministerialen von der bumiete einen Beweis für die Staudesverschiedenheit 
zwischen Dienstleuten und Laten und damit für die „Libertinenqualität“ des 
Ministerialenrechts. Die Urkunde selbst begründet die Freiheit von dieser 
Hörigkeitsabgabe keineswegs in dieser Weise, sondern als besonderes Privileg, 
das die hildesheimischen servientes mit den Reichsdienstleuten und den 
mainzischen Ministerialen gemeinsam haben. 

18) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 151 (ao. 1093 IV. 25): St. Michael, Nr. 286 


, 
ur w - 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen, 83 


(w.1145 IX. 15): St. Godehard, Nr. 480 (ao. 1190—1197): St. Michael. II. Nr. 34 
(0.1221— 1246): Formular für die Erhebung eines Liten zum Stiftsministerialen. 


14) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 242 (ao. 1146): Ergebung des Freien Ekbert 
a Großoldendorf bei Benstorf in die Ministerialität des Bischofs. Nr. 274 
(ao. 1151 VIII. 16): Ergebung des Freien Bertold (wohl von Meredorp) zu 
Ministerialenrecht an das Kloster St. Godehard. Nr. 369 (ao. 1175): der 
Passus „Si vero aliqua de liberis bonis aliquo modo propria facta fuerint* 
bezieht sich auch auf Ergebungen. II. Nr. 818 (ao. 1230—1240): der Graf 
ron Woldenberg nimmt die Freie Jutta de Vlotede als Ministerialin an. 
II. Nr. 81 (ao. 1264): Ergebung des Freien Herbord an das Kloster Escherde. 
Nr. 1265 (ao. 1300 V.10): Ergebung des nobilis von Meinersen in die Mini- 
sterialität des Hildesheimer Bischofs (Regest, ob richtig ?). 

Annales Stederburgenses (PERTZ, Monumenta Germaniae historica SS. 
Bd. XVI. p. 217), 12. Jahrhundert. Ergebung der Freienfamilie Lewe oder 
Lewedhe an Heinrich den Löwen, später hildesheimische Ministerialen. 

Beispiele aus benachbarten Gebieten. 

Urkundenbuch des Hochstifts Halberstadt und seiner Bischöfe, ed. SCHMIDT 
1883 L Nr. 123 (ao. 1106): Ergebung dreier Freier im Harzgau an das Kloster 
Korvey, ut mererentur accipere beneficium et aedificia patris sui. 

SUDENDORF, Urkb. Bd. IX. p. 210 (ao. 1257 V.): Ergebung der fratres 
de Barmestede an den Erzbischof von Bremen. Calenb. Urkb. III. (Loccum) 
Nr. 3 (ao. 1173): Ergebung des liber Hameco de Merctorp an den Abt 
von Marienmünster bei der Feste Schwalenberg. 

Codex diplomaticus Westfaliae ed. ERHARD, II. Nr. 405 (ao. 1179): 
Bischof Siegfried von Paderborn beurkundet, quod Poppo miles quidam libere 
conditionis se et sua ecclesie nostre contradidit hac videlicet conditione, ut 
iure ministeralium inter dapiferos, cum res exposceret, episcopo deserviret. 
Predium autem suum circiter IV. mansus et mancipia circiter L de manu 
nostra successorumque nostrorum beneficio reciperet et post obitum suum 
si superviveret uxor ipsius eadem bona dum viveret, licet non in beneficio, 
integra tamen possideret et retineret. Wenn sie ohne Kinder sterben, er- 
halten die Söhne der Schwester des Poppo, die ebenfalls Ministerialen der 
Kirche geworden sind, die Güter zu Lehen. Weiter verpflichtet sich der 
Bischof, dem Poppo und seinen Erben alljährlich aus der bischöflichen Kammer 
eine halbe Mark oder Einkünfte in dieser Höhe zu geben. Wenn einer 
seiner Nachfolger die Zahlung dieser Rente oder deren Wert in Einkünften 
verweigern würde, so soll der ganze Vertrag hinfällig werden, id est predicti 
homines in libertatem pristinam redirent, et que prius in beneficio tenuerant 
iure predii libere possiderent. 

15) S. Ld. R. DI. Art. 81 $ 2: Dinstmann ervet unde nemet erve alse 
vri lüde na lantrechte, wen allene dat sie buten irs herren gewalt nicht ne 
ervet noch erve ne memet. 

L Art. 38 $ 2: Dienest manne egen ne mach in de Koningliken gewalt 
nicht komen, noch buten irs herren gewalt, of se sik verwerket an irme rechte. 


84 W. Wittich 


16) Die Nachweise für das Folgende ergeben sich teils aus den allgemein 
anerkannten Ausführungen von ZALLINGERS in dessen Schöffenbarfreien, 
teils aus den speziellen Belegen für die Altfreiheit der hildesheimjschen 
Ministerialengeschlechter. 

17) Vgl. v. FÜrTH, Die Ministerialen, Cöln 1886, p. 298 ff., besonders 
p. 808; v. ZALLINGER, Die Schöffenbarfreien des Sachsenspiegels, Innsbruck 
1887, p. 269 Anm. 2. Vgl. Sächsisches Landrecht III. Art. 73 $ 2(HomEvEr, 
Sachsenspiegel 8. Ausgabe, Berlin 1861, p. 369), Nach dem Reichsweistum 
von 1208 sind die Kinder aus Ehen der Ministerialen der Kirchen mit 
freien Frauen Ministerialen des Herrn des Vaters, vgl. Origines Guelficae 
III. p. 789 Nr. 295 (ao. 1208). 

17a) Vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 452 (ao. 1236 V. 3): Die Gattin des Freien 
Steppo von Mahner ist die bildesheimische Ministerialin Eilika von Adenstedt, 
daher sind die Kinder bischöfliche Ministerialen. 

18) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 230 (ao. 1142—1159) über die Bedeutung 
des Standesunterschiedes in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. „Sibertus 
senior (ein Edelherr von Dorstadt) matrimonium contraxerat sed sue conditioni 
dissimile, quia ipse libertate pollebat, uxor vero de familia sancte Marie in 
Hildenesheim extitit, ex qua genuerat filium unum nomine Rotgerum et filiolas 
duas, sed secundum leges liberorum Saxonum idem filius propter dissimilitudinem 
conditionis ei succedere in heredem non potuit.“ 

19a) Familie von Lengede. Es gibt zwei Lengede, eines im Amt 
Peine und ein Dorf Lengede im Kreis Goslar. Nach dem letzteren 
heißen alle unter diesem Namen auftretenden Personen. 

Hildesh. Urkb. I. Nr. 196 (ao. 1181 VI. 12): Ulrich von L., Sohn des 
Asbert, hildesheimischer Ministerial, resigniert Grundstücke des wüsten Dorfes 
Bardenhausen bei Goslar dem Bischof zur Übertragung an das 
St. Georgenkloster. Nr. 263 (ao. 1150 V. 8): Bernhard unter hildesheimischen 
Ministerialen. Nr. 614 (ao. 1206 IX. 21): Hardwicus de Lengede, Zeuge eines 
Geschäfts zu Doringeroth bei Goslar. Nr. 453 (ao. 1187): Conrat, Zeuge 
in einem Geschäft zu Stederburg. Derselbe mit Henricus de Lengethe unter 
hildesheimischen Ministerialen Zeuge eines Geschäfts zu Alvessem bei Goslar: 
Nr. 701 (ao. 1217). Nr. 768 (ao. 1221): Luderus, Zeuge in einem Geschäft 
zu Dornethe, (Dörnten bei Goslar). Diese gehören sämtlich der bischöflichen 
Ministerialenfamilie an. 

Guncelin vir de nobiliori genere hat 4 hufen in Solschen (Eigen) ver- 
äußert: Nr. 393 (ao. 1179 XII. 7). Nr. 722 (ao. 1219 IV. 2): Guncelinus et 
Heinricus fratres de L. Nr. 784 (ca. ao. 1219). Nr. 754 (ca. ao. 1220). 
Chronicon Stederburgense ao. 1187, Guntzelin de Lengede Ernst de eodem 
Bertolt de eodem als Zeugen bei einer Grafengerichtsverhandlung über Güter 
zu Mahner. 

Wernerus de Lengede Nr. 667 (ao. 1213 XI. 13), Geschäft zu Hogeringeroth. 
Später Ministerial des Herzogs: Nr. 711 (ao. 1218 V. 18). Nr. 748 (ao. 1220): 
hier ausdrücklich. 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 85 


Hildesh. Urkb. IH. Nr. 363: Die Brüder Ulrich und Dietrich von Lengde 
schenken zwei vom Bischof von Hildesheim lehnbare Hufen in Lengede ah 
das Kloster Riechenderg. Zeuge: Burchardus de L. etc. Nr. 433 (ca. ao. 1288): 
L. de Lengede, Vorsitzender des Grafengerichts zu Burchdorp (bei Lengede, 
Goslar), bestätigt in comecia ein Geschäft über Güter zu Flöthe; unter den 
Zeugen (Beisitzern) Hermann und Burchard fratres de Lengede, Hermann de 
Lengede, Bertoldus de Alvessem etc. Nr. 486 (ao. 1237 IX. 7): Burchard 
de L. verkauft den Zehnten zu Klein-Schladen, der von Hildesheim lehnbar 
ist, an das Kloster Neuwerk bei Goslar. Nr. 555 (ao. 1240 III. 8): Burchardus 
de L. Zeuge bei einem Geschäft zu Mahner unter hildesheimischen Mini- 
sterialen. Nr. 772 (ao. 1246 XII. 23): Burchardus de L. Zeuge bei Geschäft 
des Klosters Neuwerk bei Goslar. Nr. 1115 (ao. 1259 VIIL 22): desgl. 
Nr. 815 (ao. 1249 IV. 25), 822 (ao. 1249): Guncelinus de L. dominus Zeuge 
bei Geschäften zu Dorstadt. Nr. 869 (ao. 1251 VII. 17): Thidericus miles 
de Lengede, fidelis des Bischofs, verkauft einen Zehnten in Groß-Lengede für 
135 Mark an das Kloster Wöltingerode. Sein Bruder Ulrich. 

II. Nr. 159 (ao. 1267 VI. 21): Heinricus de Lenghede, Ministerial des 
Herzogs von Braunschweig, resigniert Güter zu L. zu gunsten des Klosters 
Wültiagerode. 

Die Ministerialenfamilie von Lengede führt ihren Namen nach dem L. bei 
Goslar. Hier ist sie auch begütert, und bei Verhandlungen über Güter in 
dieser Gegend wird sie erwähnt. Die Freienfamilie von Lengede tritt mit 
einer Ausnahme ebenfalls nur in dieser Gegend auf. Der Name Heinrich 
findet sich in beiden Familien, ebenso wahrscheinlich der Name Luderus. 
Die Nachkommen der Freienfamilie, zu denen sicher Hermann und Burchard 
gehören, sind in der Mitte des 13. Jahrhunderts ebenfalls in der bischöflichen 
Dienstmannschaft. Daraus ergibt sich, daß sie sämtlich einer Familie an- 
gehören, deren einzelne Mitglieder zu gleicher Zeit teils frei waren, teils in 
der herzoglichen, teils in der bischöflichen Dienstmannschaft standen. 


19b) Familie der Herren von Heere (Kreis Marienburg) (Herre). 
Nach v. ALTEN in der Zeitschrift des Historischen Vereins für Niedersachsen 
1868 p. 100 gehört dieser Familie Dietrich, Hugolds Sohn, Vogt von Riechen- 
berg, an. 


Hildesh. Urkb. I. Nr. 202 (ao. 1133 XI. 5) laici liberi ... Theodericus 
filins Hugoldi advocatus Richenbergensis; ministeriales ... Nr. 269 (ao. 1150 
bis 1153 ca.): der Zehnte in Hahndorf wird von Riechenberg gekauft. Er 
war vom Bischof von Hildesheim an den Grafen von Bodenburg und von 
diesem an die v. Heere verliehen worden. Es verzichten darauf illustris vir 
Thiedelinus de Herre und die Söhne des Thidericus barbatus Bürgers zu 
‚Goslar. Ekbert, Sohn des Thiedelinus verzichtet darauf auf Zureden seines 
Bruders Liudolf, Nachfolgers des prepositus Gerhard von Riechenberg. 
Nr. 288 (ao. 1154 VI. 3): Volcmarus de Herre unter Ministerialen Hein- 
richs des Löwen, Herzogs von Sachsen, bei einem Riechenberger Geschäft. 
Nr. 364 (ao. 1173 IX. 13): Riechenberger Geschäft, Volcmar advocatus Gos- 


86 W. Wittich 


lariensis, Tidericus advocatus Richenbergensis. Nr. 386 (ao. 1178 VII. 24): 
Liudoldus de Herre, Liuppoldus de Stockem, Volcmar, Vogt von Goslar, 
Thiederich, Vogt von Riechenberg. Liudoldus und Wernerus de Herre unter 
hildesheimischen Ministerialen, vgl. z. B. Nr. 447 (ao. 1186—1190), Nr. 458 
(ao. 1188 I. 16). 


19c) Familie von Lewe oder Levedhe (nördlich von Goslar). Annales 
Stederburgenses (PERTZ, Monumenta Germaniae historica SS. Bd. XVI. p. 217), 
12. Jahrhundert. Ein homo liberae conditionis Wernerus de Levedhe hatte 
sich mit seinen zwei Brüdern und seinem Gut in Levedhe Herzog Heinrich 
dem Löwen zu Ministerialenrecht ergeben. Dazu Asseburger Urkundenbuch 
ed. Graf BOCHOLZ-ASSEBURG, I. Nr. 243 (ao. 1247 I. 9): fratres de Levede 
unter welfischen Ministerialen. Nr. 23 (ao. 1187 aus den Stederburger Annalen): 
Gerlach de Levedhe unter den Gerichtszeugen des Grafen Ludolf (v. Woldenberg). 
Nr. 106 (ao. 1220 ca.): Gerardus de Levethe, Zeuge des Grafen Hermann von 
Woldenberg. Hildesh. Urkb. I. Nr. 369 (ao. 1175 IV. 18): Gerhardus de Levethe, 
Zeuge bei dem Begräbnisstreit in Dorstadt unter Hildesheimer und welfischen 
Ministerialen. Nr. 701 (ao. 1217): Gerardus de Levethe unter hildesheimischen 
Ministerialen. Nr. 734 (ao. 1219 ca.): derselbe und sein Sohn Gerhardus 
unter hildesheimischen Ministerialen. II. Nr. 337 (ao. 1232 VII. 16): Gerhardus 
unter hildesheimischen Ministerialen. Nr. 408 (ao. 1235 II. 22): Bischof 
Konrad nennt den Gerhard de Levede fidelis noster. Dieser resigniert Zehnter 
an Woldenberg. 


194) Familie von Cantelsheim (wüst zwischen Derneburg und 
Hockelen). 

Arnold und Gerhard, liberi, zuletzt als solche erwähnt Hildesh. Urkb. L 
Nr. 484 (ao. 1191): Gerardus de Cantelshem unter nobiles. Nr. 473 (ao. 1189): 
(rerhardus et frater cius Arnoldus de Cantelshem unter liberi. Nr. 537 
(ao. 1198 X. 23): Arnoldus de Cantelshem, nach Lippoldus de 
Escherte bekanntem Dienstmann, vgl. Nr. 484 (ao. 1191). Es folgen 
Theodericus de Aleten (Ministerial), Theodericus de Vlotethe, dieser schon 
Dienstmann, vgl. Nr. 504 (ao. 1194 vor X. 28). 

Nr. 601 (ao. 1205 IV. 14): Zeugen einer Schenkung des Bischofs Hart- 
bert an Lamspringe: Basilius magnus de Stoufenberc, welfischer Ministerial, 
vgl. Nr. 288 (ao. 1154 VI. 3), Marwardus de Wineden, (Ministerial Schrau- 
dolf de Winethe, Nr. 428 ao. 1184 III. 12) Arnoldus de Redinceshusen; 
Theodericus de Sulinge (Nr. 734 ao. 1219 ca.: Heinricus de Sulinge unter 
Ministerialen), Rodolfus de Dalem et filii eius Ministerial des Bischofs Nr. 522 
(ao. 1196), Arnoldus de Kantelsem, Esquinus de Luthere (Nr. 567 
ao. 1201: derselbe unter bischöflichen Ministerialen), Lupoldus de Stochem 
et filius eius Johannes dapifer. 


Nr. 613 (ao. 1206 IX. 16): Urkunde des Bischofs Hartbert für Amelung»-- 
burn, Zeugen laici Waltherus de Vorsade qui cognominatur monachus; (dieser 
ist ein bischöflicher Ministerial, vgl. Nr. 530 ao. 1197), Johannes de 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 87 


Cantelsem, Sifridus de Novali etc. Nr. 646 (ao. 1211 V. 28): Johannes 
sacerdos de Cantelshem. 

Hildesh. Urkb. II. erwähnt nur den Dietrich von Kantelsheim (Nr. 237 
ao. 1227 VIIL 16 etc.), gegen dessen dienstmäunische Stellung keine Urkunde 
spricht. Die Familie ist also zwischen den Jahren 1191 und 1198 in die 
bischöfliche Ministerialität eingetreten. 


19e) Familie von Dalem (Dahlum oder Königsdahlum südlich von 
Bockenem). Älteste Erwähnung des sächsischen Ministerialen Liudolfus de 
Dalem im Hildesh. Urkb. I. Nr. 189 (ao. 1129 VI. 17) und Nr. 192 (ao. 1131 
I. 7); die beiden Urkunden wahrscheinlich gefälscht. Nr. 347 (ao. 1169 
IV. 20) Urkunde Heinrichs des Löwen: Rodolfus de Dalem mit Arnoldus de 
Cantelsheim unter welfischen Ministerialen ... 

Asseburger Urkundenbuch I. Nr. 11 (ao. 1160): Iggelbertus de Dalehem, 
Liudolfus advocatus nach Edelherren. 

Hildesh. Urkb. I. Nr. 475 (ao. 1190 II. 26): Rodolfus de Dalem letzter 
nobilis; ministeriales hi ... — Nr. 507 (ao. 1194 nach X. 28): nobiles . .. 
Rotholfus de Daleheim, Ludolfus et Ludegerus van dheme Hagen, mini- 
steriales ... Nr. 522 (ao. 1196) Eustachius advocatus ecclesie nostre, Ro- 
dolfus de Dalem, ... ministeriales sancte Marie. In den folgenden Urkunden 
Stellung zweifelhaft bis Nr. 601 (ao. 1206 IV. 14): Rodolfus de Dalem et 
filii eius unter Ministerialen. Nr. 631 (ao. 1214 XI. 8): Rodolfus de Dalem 
frater episcopi (Hartbert) et III. filii sui Eggelbertus, Liuppoldus, Rodolfus 
unter Ministerialen. Nr. 698 (ao. 1217): Derselbe schenkt durch seinen Sohn 
Engelbert 5 Hufen in Sillium an Lamspringe. Vögte von Braunschweig 
aus dem Geschlecht der Herren von Dalem, welfische Ministerialen. Asseburger 
Urkundenbuch 1876 I. Nr. 7a (ao. 1130 VI. 13): Liudolfus advocatus de 
Brunsuic et duo filii eius Baldewinus et Fridericus unter Ministerialen. Nr. 10 
(ao. 1154 VI. 3): Liudolfus filius Baldewini (de Bruneswic). Nr. 11 (ao. 1160): 
Iggelbertus de Dalehem, Liudolfus advocatus. Nr. 12 (ao. 1164 VII. 12): 
Liudolfus advocatus de Bruneswic. Nr. 14 (ao. 1167): Derselbe. Nr. 16: 
Arnoldus de Cantelsheim, Rodolfus de Dalem. Nr. 16 (ao. 1170 XI. 12): 
Liudolfus advocatus de Bruneswic. Nr. 26 (ao. 1188 VIII. 28): Rodolfus de 
Dalheim unter burgenses Goslarienses. Nr. 27 (ao. 1192): Abfall des Vogts 
Ludolf von Herzog Heinrich und Belagerung desselben durch den Herzog 
in Dalem. Nr. 29 (ao. 1200 nach VIL): Balduinus de Dalem . .. Ludolfus ad- 
vocatus. Nr. 33 (ao. 1204 X. 22) Baldewinus advocatus. Nr. 34 (ao. 1204): 
Derselbe. Nr. 91 (ao. 1218 I. 15): Kaiser Otto IV. gibt die Gattin des hildes- 
heimischen Marschalls Conrad (von Emmerke), filiam Ludolfi quondam advocati 
de Dahlhem, an den Bischof von Hildesheim mit ihrem Sohn. 

19f) Familie von Tidexen. Berengar quidam nobilis vir 
de Tidekesheim, vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 222 (ao. 1140): der Ort ist 
Tidexen bei Salzdetfurt, er ist wüst. Nr. 619 (ao. 1207 XI. 13): Verhand- 
lung über die Kirche Salzdetfurt, Zeuge Ludolfus de Thidekesem nach Her- 
mann dem Schenk also schon Ministerial. 


88 W. Witioh 


IT. Nr. 462 (ao. 1336 V.3): Eylica von Adenstedhe, ihr erster Gatte Bernardus 
miles de Thidessen. SUDENDORF, Urkundenbuch I. Nr. 265 (ao. 1315 IV. 99): 
Kigengüter des Balduin von Wenden zu Thiedexen. 


19g) Familie von Bornum (8. von Bockenem), Hildesh. Urkb. I. Nr. 281 
(ao. 1143 IV. 9): Haoldus de Burnem et Arnoldus frater eius et Johannes 
fiilius eius unter liberi. Johannes, Sohn des Haold, Nr. 288 (ao. 1145 VL 8). 
Nr. 282 (ao. 1153): Haoldus et Arnoldus fratres. Nr. 838 (ao. 1162): Eigen 
der Brüder Thiedolfus, Richmannas et Johannes de Burnem in Wakdeshausen. 
Nr. 398 (ao. 1180 XI. 30): Burchardus de Bornem (nobilis). Nr. 478 (ao. 1189): 
Burchardus de Kimesseim et frater eius Hermannus de Burmem. Nr. 475 ı 
(ao. 1190. IIL 26): Burchardus Johannes et Haoldus filii eius de Kimessem. 
Die Herren von Eimsen und von Bornum sind also eines Stammes. Nr. 709 
(ao. 1218 V. 18): Johannes de Bornem, Nr. 711 (ao. 1218 V. 18): desgl. als 
Ministerial Ottos IV. II. Nr. 220 (ao. 1227 IV. 28): Johannes de Bornem, mini- 
sterialis des Pfalzgrafen, hat Hufen zu Bornum bei Kissenbrück sa Lehen. 
Diese Ministerialenfamilie nennt sich nach Bornum in Braunschweig. Nr. 686 
(ao. 1248): dominus Ludolfus de Bornem, welfischer Ministerial. 

Hildesbeimische Ministerialen von Bornum, vgl. Heinrions de Bornem, 
Hildesh. Urkb. IL Nr. 217 (ao. 1227 IV. 11). Nr. 919 (ao. 1253 VI. 15). Nr. 982 
(ao. 1258 VI. 15). Nr 1141 (ao. 1260 V. 28): Methilde vidua de Bornkem 
et Conradus filius eius haben einen mansus in Sorsum von denen von Stochem 
zu Lehen. Dasu I. ed. JANICKE, Nr. 333 (ao. 1162): Die Brüder von Bornem 
(nobiles) erhalten 2 Hufen zu Sorsum. 

Hildesheimische Ministerialen von Kimessem (Eimsen, Kreis Alfeld), Hildes- 
heimer Urkundenbuch I. Nr. 681 (ao. 1214 XI. 1 und 8): Heinricus et Con- 
radus fratres de Immessem, Nr. 663 (ao. 1213 IV. 18 Lamspringe): Conradus 
de Ymessem, derselbe Nr. 664 (ao. 1213 IV. 20 Lamspringe): sämtlich Hildes- 
heimische Ministerialen. 

Die welfische Ministerialenfamilie scheint mit der Freienfamilie von 
Bornum nicht verwandt zu sein. Dagegen finden sich in der hildesheimischen 
Ministerialenfamilie von Bornum und der hildesheimischen Ministerialenfamilie 
von Eimsen die Vornamen Heinrich und Konrad als Regel. Außerdem hat 
Konrad von Bornum Lehen in Sorsam, wo die Freien von Bornum ebenfalls 
Besitz haben. Desgl. bestehen bei beiden (ieschlechtern Beziehungen zu 
Lamspringe. Die Abstammung beider Familien von der Freienfamilie Boraum- 
Eimsen ist also sehr wahrscheinlich. 


19h) Familie von Saldern. Hildesh. Urkb. I. Nr. 328 (ao. 1161 oder 
1159): Thidericus de Saldere unter nobiles layci. Nr. 347 (ao. 1169 IV. 20): 
Stellung unsicher. Nr. 447 (ao. 1186—1190): Ludolfus advocatus de Bruneswie, 
Ernestus de Hochtersem, Ludoldus de Heren (sämtlich Ministerialen), Tidericus 
de Saldere et frater suus Burchardus. Nr. 635 (ao. 1210 V. 6): Die Vogtei 
über Steterburg tragen die von Saldern vom Edelherrn Ludolfus de Indagine 
zu Lehen. 

19i) Familie von Garbolzum (Dorf Garbolzum bei Hohen-Eggelsen, 





. = j u 


Altfreibeit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 89 


nıwrdöstlich von Hildesheim im Kreis Marienburg). Hildesh. Urkb. I. Nr. 200 
ta0o. 1192): Ascolfus, Bodo de Wichbike (dieser in Nr. 348 [ao. 1167] 
nobilis). Nr. 201 (ao. 1182 —1141): Bodo, Aseolfus. Ekbertus (wohl von 
Tossem). Nr. 202 (ao. 1188 XI. 3): laici liberi Ascholfus et Helmoldus, 
Cene de Hotienem et frater eius Widekindus, Theodericus Alius Hugokdi 
advosatus Richenbergensis. Auch JANICKE hält diesen Ascholfus für identisch 
mit dem Ascolfeus von Garbolzum (vgl. p. 726). Diese Annahme ist durchaus 
gerechtfertigt, da der Name Ascholfus sonst in keiner Familie dieser Zeit und 
Gegend vorkommt. Nr. 447 (ao. 1186—1180): Ascolfus de Gerboldessem unter 
kädesheimischen Ministerialen. Nr. 451 (ao. 1187): Johannes de Gerboldes- 
keim, Ascolfus, (satte der Tochter des Konrad von Linnethe (Westerlinde). 
Dieser ist hildesheimischer Ministerial, vgl. Nr. 458 (ao. 1187) und Nr. 460 
120. 1188 V. 12). 

Nr. 484 (ao. 1191): Bischof Berno von Hildesheim bestätigt, daß mini- 
«erialis nester Escolf de Gerboldeshem drei Hufen in Soischen (Eigen) an 
Riédagshansen verkauft hat. Seine Frau Gertrud, sein Bruder Heinrich, 
sein consobrinus Ludolf und seine minderjährige Tochter Eufemia stimmen zu. 


19k) Familie von Rhüden (Rhüden, Kreis Marienburg). Hildesh. Urkb. I. 
Nr. 281 (ao. 1143 IV. 9): Haoldus et Geruggus de Riudim unter laici liberi. 
Nr. 988 (ao. 1154 VI. 8): Eggelbertus filius Haoldi de Riudim 
uater Edelherren. Nr. 577 (a0.12031.28): Engelbertus de Ruden nach bischüf- 
Eichen Ministerialen, jedoch von diesen geschieden Bertholdus de Hukeneın. 
Hildebrandus, Johannes milites, Engelbertus de Ruden (Knappe?). II. Nr. 390 
‘w. 1234 VL 9): Engelbertus et Rodolfus fratres de Ruden unter 
bwhsftichen Ministerialen. 


191, Familie von Heckenbeck, nordwestlich von Giandersheim. Hil- 
db. Urkb. II. Nr. 289 (ao. 1230 XII. 5): Heinricus et Ludegerus fratres dicti de 
Hikenbeke. Nr. 291 (ao. 1230): Theodericus liber, Ludegerus de Hakenbeke, 
Benardus de Diseldissem ff. Ministerialen. Nr. 458 (ao. 1236 VII. 17): Lude- 
prus de Hakenbeke nach Edelherren. Nr. 508 (ao. 1238 VI. 18): nobilis 
Ledmger von Heckenbeck. Nr. 575 (ao. 1240 IX. 6): Ludingerus de 
Haıkenbeke unter Ministerialen. Nr. 1064 (ao. 1258 V. 18), nobilis Robert 
m H. L ed. JaxtexrF, Nr. 458 (ao. 1188 I. 16): Robertus de Hakenbike 
ktzter nobilis? Nr. 703 (ao. 1217): Ludegerus de Hakenbeche unter Mini- 
&rislen. Asseburger Urkundenbuch I. Nr. 248 (ao. 1247 I. 9): Ludigerus 
& Hakenbec nach Edelherren vor Gunzelinus dapifer. Nr. 244 (die gleiche 
Urkunde nach Kopialbuch): derselbe unter Hildesheimer Ministerialen. 

19m; Familie von Holthusen (Wrisbergholzen). Hildesh. Urkb. I. 
M. 2% ıao. 1146 IIL 11): Theodericus de Holthusen unter nobiles. Nr. 480 
w. 1190 bis 1197): nobilis Theodericus de Holthusen. II. Nr. 239 (ao. 1227 
wIX.): Tidericus et Hugo de Holthusen fratres unter Ministerialen. Nr. 262 
#, 1298 VIII. 20): Theodericus de Holthusen unter nostri (des Bischofs von 
Kitesheins) ministeriales. Geschäft über Güter zu Wrisbergholzen. 

192) Familie von Flöthe (Flöthe, Kreis Liebenburg zwischen Salzgitter 





88 W. Witioh 


IT. Nr. 452 (ao. 1936 V. 3): Eylica von Adenstedhe, ihr erster Gatte Bernardus 
miles de Thidessen. SUDENDORF, Urkundenbuch I. Nr. 265 (ao. 1315 IV. 29): 
Kigengüter des Balduin von Wenden zu Thiedexen. 


19g) Familie von Bornum (e. von Bockenem), Hildesh. Urkb. I. Nr. 281 
(ao. 1148 IV. 9): Haoldus de Burnem et Arnoldus frater eius et Johannes 
fiilius eius unter liberi. Johannes, Sohn des Haold, Nr. 288 (ao. 1145 VL. 8). 
Nr. 282 (ao. 1153): Haoldus et Arnoldus fratres. Nr. 838 (ao. 1162): Eigen 
der Brüder Thiedolfus, Richmannus et Johannes de Burnem in Waldeshausen. 
Nr. 398 (ao. 1180 XI. 30): Burchardus de Bornem (nobilis). Nr. 478 (eo. 1189): 
Burchardus de Kimesseim et frater eins Hermannus de Bumem. Nr. 475 
(ao. 1190. IIL 26): Burchardus Johannes et Haoldus filii eius de Kimessem. 
Die Herren von Eimsen und von Bornum sind also eines Stammes. Nr. 709 
(ao. 1218 V. 18): Johannes de Bornem, Nr. 711 (ao. 1218 V. 18): desgl. als 
Ministerial Ottos IV. II. Nr. 220 (ao. 1227 IV. 28): Johannes de Bornem, mini- 
sterialis des Pfalzgrafen, hat Hufen zu Bormum bei Kissenbrück sa Lehen. 
Diese Ministerialenfamilie nennt sich nach Bornum in Braunschweig. Nr. 685 
(ao. 1248): dominus Ludolfus de Bornem, welfischer Ministerial. 

Hildesheimische Ministerialen von Bornum, vgl. Heinricus de Bornem, 
Hildesh. Urkb. IL Nr. 217 (ao. 1227 IV. 11). Nr. 919 (ao. 1253 VI. 15). Nr. 082 
(ao. 1258 VI. 15). Nr 1141 (ao. 1260 V. 28): Methilde vidua de Bornhem 
et C'onradus filius eius haben einen mansus in Sorsum von denen von Stochem 
zu Lehen. Dasu I. ed. JANICKE, Nr. 333 (ao. 1162): Die Brüder von Bornem 
(nobiles) erhalten 2 Hufen zu Sorsum. 

Hildesheimische Ministerialen von Kimessem (Eimsen, Kreis Alfeld), Hildes- 
heimer Urkundenbuch I. Nr. 681 (ao. 1214 XI. 1 und 8): Heinricas et Coa- 
radus fratres de Immessem, Nr. 663 (ao. 1213 IV. 18 Lamspringe): Couradus 
de Ymessem, derselbe Nr. 664 (ao. 1213 IV. 20 Lamspringe): sämtlich Hildes- 
heimische Ministerialen. 

Die welfische Ministerialenfamilie scheint mit der Freienfamilie von 
Bornum nicht verwandt zu sein. Dagegen finden sich in der hildesheimischen 
Ministerialenfamilie von Bornum und der hildesheimischen Ministerialenfamilie 
von Eimsen die Vornamen Heinrich und Konrad als Regel. Außerdem hat 
Konrad von Bornum Lehen in Sorsam, wo die Freien von Bornum ebenfalls 
Besitz haben. Desgl. bestehen bei beiden (Geschlechtern Beziehungen zu 
Lamspringe. Die Abstammung beider Familien von der Freienfamilie Boraum- 
Eimsen ist also sehr wahrscheinlich. 


19h) Familie von Saldern. Hildesh. Urkb. I. Nr. 328 (ao. 1161 oder 
11569): Thiderious de Saldere unter nobiles layci. Nr. 347 (ao. 1169 IV. 20): 
Stellung unsicher. Nr. 447 (ao. 1186—1190): Ludolfus advocatus de Bruneswie, 
Ernestus de Hochtersem, Ludoldus de Heren (sämtlich Ministerialen), Tidericus 
de Saldere et frater suus Burchardus. Nr. 635 (ao. 1210 V. 6): Die Vogtei 
über Steterburg tragen die von Saldern vom Edelherrn Ludolfus de Indagine 
zu Lehen. 

19i) Familie von Garbolzum (Dorf Garbolzum bei Hohen-Eggelsea, 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 91 


120. 1220 III. 9): Rodolfus de Mandare zwischen Henricus de Sladen und 
Ludegerus de Indagine, Hermannus de Meinersem. Nr. 767 (ao. 1221 vor VII): 
Rodolfus de Mandere nach comes Fridericus de Poppenborch. Steppo von 
Mahner, seine Frau Eilika von Adenstedt. Er vielleicht noch Edelherr, sie 
aue hildesheimischer Ministerialenfamilie. Daher die Kinder bischöfliche 
Ministerialen. Vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 452 (ao. 1236 V. 8). Asseburger 
Trkundenbuch I. Nr. 180°? (a0.1143 ca.): Luthardo nobili viro Rudolfi 
filio de Mandere. Nr. 250 (ao. 1248): Dietrich von Mandere, sein 
Sehwager Dieterich von Saldern verkaufen Hufen in Lebenstedt an Riddags- 
hausen. Nr. 306 (ao. 1261 I. 31): Dominus Theodericus de Mandere an 
erster Stelle vor Ministerialen. Nr. 332 (ao. 1264): desgl. Nr. 332 (ao. 1267 
XII. 31): Geschäft des Grafen von Woldenberg. Zeugen Arnoldus Krose miles, 
Wernerus miles de Dholghen, Dienstmann, [vgl. Nr. 360 (ao. 1259 V. 3)] 
Thidericus miles de Mandere. Hildesh. Urkb. II. Nr. 217 (ao. 1227 IV. 11): 
Steppo de Mandere nach Theodericus de Selethe (Ministerial). Nr. 237 
iao. 1227 VIII. 16): derselbe unter hildesheimischen Ministerialen. Nr. 248 
‘0. 1227). In beiden Urkunden nach Andreas de Selede et filius eius Lup- 
poldus. Nr. 555 (ao. 1240 III. 8): Steppo von Mahner gibt 71}: Hufen Eigen in 
Mabner, 1'!’s Hufen Eigen in Bockenem, 3 Hufen Eigen in Haverlo und sein 
Recht an der Kirche in Mahner mit Zustimmung seines Bruders Aschwin, vice- 
dominus in Goslar, unter der Bedingung an den Bischof von Hildesheim, 
daB sein Sohn Dietrich und nach dessen Tod seine Töchter (des Steppo) 
damit belehnt werden. 


19pı Familie de Piscina. Asseburger Urkundenbuch I. Nr. 40 (ao. 1208 
\}. 15:: Conradum de Dicka...nobiles viros. Urkundenbuch des Hochstifts 
Haïberstadt ed. SCHMIDT, I. Nr. 719 (80.1242): Conradus de Piscina unter 
nobiles. Nr. 1698 (ao. 1300 IX. 21): Conradus de Piscina ausdrücklich 
als nobilis vir bezeichnet. Nr. 1700 (ao. 1300 XII. 21): desgl. Hildesh. Urkb. 
L Nr. 351 ıao. 1171 IX. 26): Odelricus de Piscina nach Ministerialen. Nr. 365 
a. 1173 XII. 4): desgl. Nr. 504 (ao. 1194 X. 28): Erwerbungen von Dorstadt 
vobl im Grafengericht), Zeuge Olricus de Piscina zweimal. 
IL Nr. 91 (ao. 1223): Olricus de Piscina vor dem Vogt von Goslar. Nr. 229 
».1227 VI. 8): Geschäft über die Vogtei an Gütern des Stifts (reorgenberg 
cr schwanebeck (Halberstadt), Zeugen: (riselbertus advocatus et frater suus 
éminua Volcmarus, Olricus Longus, Olricus iuvenis de Piscina, Otto de 
schranebecke (dieser nobilis vgl. Nr. 402 und 403). Nr. 270 (ao. 1229), 271 
VII. 15 a0. 1229): Conradus, Sohn des Olricus. 
| Nr. 772 (ao. 1246 XI. 23): Conradus de Piscina advocatus Goslariensis. 
‘piter sicher ministeriales des Bistums Hildesheim. Nr. 578 (ao. 1240 X. 31). 
UL Nr. 1373 (ao. 1362 VI. 23): Gebrüder Philipp und Dietrich de Pis- 
ana übertragen Güter bei Flöthe in Grevendhing an das Kloster Neuwerk. 
19a) Familie von Werre oder Wehre (nördlich von Goslar). Hildesh. 
Crkb. L Nr. 368 (ao. 1174 X. 19, 21): Thietlevus de Werre, letzter der nobiles viri. 
imgl. Nr. 369 (ao. 1175 IV. 18). Nr. 701 (ao. 1217): Thetlevus de Werre, 







92 W. Wittich 


sein Bruder Dietrich, Schwester Gertrud von Borsem. II. Nr. 624 (ao. 1240 
bis 120): Theoderieus de Werre unter hildesheimischen Ministerialen. 


19r) Familie von Haringen (nördlich von Goslar). 

Hildesh. Urkb. I. Nr. 281 (ao. 1148 IV. 9): Waltherus de Heriggen 
unter laici liberi... Simon et filii eius Fridericus et Hermannus, Lodewigus 
de Heriggen et filius eius Conradus unter Ministerialen. Nr. 286 (ao. 1145 
IX. 15): Waltherus de Heriggen nach Hermannus de Volkersem und vor 
Ekbertus camerarius. Nr. 348 (a0. 1169 VII. 21): Walthere de Herigge vor 
Unarg und Eilmar (Edelherren). Widego de Heringo, Nr. 866 (ao. 1174 
VI. 2), 401 (ao. 1181 IV. 20): vor Ministerialen, wohl Edelherr. Nr. 6% 
(ao. 1209 III. 11): Simon und Hermann Brüder, Walther ihr Enkel, ihre 
Söhne Bertold und Eschwin von Heringen resignieren Hufen in Bredelem. 
Nr. 699 (ao. 1217): Bodo, Sohn des Walther von Heringen. Nr. 667 (ao. 1218 
XI. 13) II. Nr. 408 und 409 (ao. 1235 II. 22): Waltherus de Heringe unter 
bischöflichen Ministerialen. 


19s) Familie von Burgdorf, nördlich von Schladen. Hildesh. Urkb.]. 
Nr.229 (ao. 1142 VI. 30): Arnoldus de Burchdorp, Vogt des Klosters St. Georgen- 
berg bei Goslar. Sein Sohn Adelhard, Nr. 272 (ao. 11561 III. 14): ebenfalls 
Vogt. Nr. 288 (ao. 1154 VI. 3): unter laici liberi. 

Nr. 297 (ao. vor 1156 II. 16): Adelhard nach Liudolfus advocatus de 
Hildenesheim und Guncelinus de Horneburch. Nr. 375 (ao. 1176 XL 98): 
derselbe und sein Sohn Arnold unter welfischen Ministerialen. Letzte Er- 
wähnung dieses Adelhard Nr. 384 (ao. 1178 vor V. 30). Nr. 279 (ao. 1152 
V.9): Sein Oheim Ludeger, Bruder des Arnold I., von Kaiser Friedrich I. als 
ministerialis noster bezeichnet. 

Nr. 468 (ao. 1188 XI. 22): Arnoldus II. von Friedrich I. als ministerialis 
noster bezeichnet. Nr. 477: derselbe von den Grafen zu Hallermund mit 
Zehnten in Mahner belehnt. Nr. 627 (ao. 1209 V. 22): Alardus de Burchtorp 
nach Edelherren. 

Nr. 687 (ao. 1213 XI. 13): derselbe vor hildesheimischen Ministerialen. 

Nr. 711 (ao. 1218 V. 18): Alardus de Borhthorp unter welfischen Mini- 
sterialen. II. Nr. 337 (ao. 1232 VII. 16): Alardus de Borchtorp unter hildes- 
heimischen Ministerialen. 

19t) Familie von Schwanebeck. 

Hildesh. Urkb. II. Nr. 402 (ao. 1234) und 403 (ao. 1234): Der Edelherr 
Otto von Schwanebeck hat zur Gattin die domina Gisla, die entweder aus 
der Familie von Escherde-Altenmarkt oder aus der Familie von Rautenberg 
stammt. Über die Verwandtschaft mit Rautenberg vgl. III. Nr. 5 (ca. ao. 1260), 
198 (ao. 1268 IV. 1). 

Auf jeden Fall ist Gisla hildesheimische Ministerialin. Dementsprechend 
müssen die Söhne aus dieser Ehe auch hildesheimische Ministerialen sein. 
Sie heißen Lippold, Otto, Dietrich, Everwin, Justazins (ao. 1240) II. Nr. 616. 

II. Nr. 417 (ao. 1235 VII. 4): Zeugen beim echten Ding, Lippoldus inmior 
de Escherte, Otto de Svanenbeke (ob senior oder iunior, wohl letzterer). 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 91 


(ao. 1220 HI. 9): Rodolfus de Mandare zwischen Henricus de Sladen und 
Ludegerus de Indagine, Hermannus de Meinersem. Nr. 767 (ao. 1221 vor VII): 
Rodolfus de Mandere nach comes Fridericus de Poppenborch. Steppo von 
Mahner, seine Frau Eilika von Adenstedt. Er vielleicht noch Edelherr, sie 
aus hildesheimischer Ministerialenfamilie. Daher die Kinder bischöfliche 
Ministerialen. Vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 452 (ao. 1286 V. 8). Asseburger 
Urkundenbuch I. Nr. 180° (ao. 1143 ca.): Luthardo nobili viro Rudolfi 
filio de Mandere. Nr. 250 (ao. 1248): Dietrich von Mandere, sein 
Schwager Dieterich von Saldern verkaufen Hufen in Lebenstedt an Riddags- 
hausen. Nr. 306 (ao. 1261 I. 31): Dominus Theodericus de Mandere an 
erster Stelle vor Ministerialen. Nr. 332 (ao. 1264): desgl. Nr. 332 (ao. 1267 
XII. 31): Geschäft des Grafen von Woldenberg. Zeugen Arnoldus Krose miles, 
Wernerus miles de Dholghen, Dienstmann, [vgl. Nr. 360 (ao. 1259 V. 3)] 
Thidericus miles de Mandere. Hildesh. Urkb. I. Nr. 217 (ao. 1227 IV. 11): 
Steppo de Mandere nach Theodericus de Selethe (Ministerial. Nr. 237 
(a0. 1227 VIII. 16): derselbe unter hildesheimischen Ministerialen. Nr. 243 
(a0. 1227). In beiden Urkunden nach Andreas de Selede et filius eius Lup- 
poldus. Nr. 555 (ao. 1240 III. 8): Steppo von Mahner gibt 71/2 Hufen Eigen in 
Mahner, 1!/s Hufen Eigen in Bockenem, 3 Hufen Eigen in Haverlo und sein 
Recht an der Kirche in Mahner mit Zustimmung seines Bruders Aschwin, vice- 
dominus in Goslar, unter der Bedingung an den Bischof von Hildesheim, 
daß sein Sohn Dietrich und nach dessen Tod seine Töchter (des Steppo) 
damit belehnt werden. | 
19p) Familie de Piscina. Asseburger Urkundenbuch I. Nr. 40 (ao. 1208 
XI. 15): Conradum de Dicka ... nobiles viros. Urkundenbuch des Hochstifts 
Halberstadt ed. SCHMIDT, I. Nr. 719 (a0. 1242): Conradus de Piscina unter 
nobiles. Nr. 1698 (ao. 1300 IX. 21): Conradus de Piscina ausdrücklich 
als nobilis vir bezeichnet. Nr. 1700 (ao. 1300 XII. 21): desgl. Hildesh. Urkb. 
I. Nr. 351 (ao. 1171 IX. 26): Odelricus de Piscina nach Ministerialen. Nr. 365 
(ao. 1173 XII. 4): desgl. Nr. 504 (ao. 1194 X. 28): Erwerbungen von Dorstadt 
(wohl im Grafengericht), Zeuge Olricus de Piscina zweimal. 
II. Nr. 91 (ao. 1223): Olricus de Piscina vor dem Vogt von Goslar. Nr. 229 
(a0. 1227 VI. 8): Geschäft über die Vogtei an Gütern des Stifts Georgenberg 
zu Schwanebeck (Halberstadt), Zeugen: Giselbertus advocatus et frater suus 
dominus Volcmarus, Olricus Longus, Olricus iuvenis de Piscina, Otto de 
Schwanebecke (dieser nobilis vgl. Nr. 402 und 403). Nr. 270 (ao. 1229), 271 
(VIII. 15 ao. 1229): Conradus, Sohn des Olricus. 
Nr. 772 (ao. 1246 XI. 23): Conradus de Piscina advocatus Goslariensis. 
Später sicher ministeriales des Bistums Hildesheim. Nr. 578 (ao. 1240 X. 31). 
IH. Nr. 1373 (ao. 1362 VI. 23): Gebrüder Philipp und Dietrich de Pis- 
cina übertragen Güter bei Flöthe in Grevendhing an das Kloster Neuwerk. 
194) Familie von Werre oder Welhre (nördlich von Goslar). Hildesh. 
Urkb. I. Nr. 368 (ao. 1174 X. 19, 21): Thietlevus de Werre, letzter der nobiles viri. 
Desgl. Nr. 869 (ao. 1175 IV. 18). Nr. 701 (ao. 1217): Thetlevus de Werre, 


94 W. Wittich 


Bischofs von Halberstadt. Hildesh. Urkb. I. Nr. 376 (ao. 1176 Guslar): Ge- 
schäft in Abbenrode und Lochtum. Unter den Zeugen ministeriales Odelricus 
de Thingilstide. Nr. 581 (ao. 1208): Everhard de Dingelstide unter 
hildesheimischen Ministerialen. Nr. 615 (ao. 1206): desgl. u. 8. w. 


2% d) Familie von Bönnien (Buniggen), Kreis Marienburg. 


Hildesh. Urkb. I. Nr. 231 (ao. 1143 IV. 9): Herewiggus de Buniggen letzter 
der liberi laici. Desgl. Nr. 236 (ao. 1145 IX. 15): derselbe unter liberi. 


Nr. 620 (ao. 1208 IV. 29): Bodo de Boninge als letzter Ministerial. 


Nr. 698 (ao. 1217): Schenkung zu Sillium an Lamspringe durch Rudolf 
von Dalem, Zeugen: Geistliche, Ludolfus notarius, Bertoldus Bawarus, Ge 
ringus de Boninge, Cono, Limmarus, Fredericus de Swalenberh, Mini- 
sterialen des Bischofs. II. Nr. 119 (ao. 1225 IV. 15): Widekindus de Bonigge... 
Bodo et frater eius Haoldus de Bonigge... Conrädus de Bonigge (et Ber- 
toldus?) unter Ministerialen. Urkunde des Grafen Ludger vom Werder. 


Nr. 198 (ao. 1226 X. 23): Gerungus de Buninge unter bischöflichen 
Ministerialen. Nr. 681 (ao. 1240 XI. 29): Edelherr Gerung von Bönnien 
(Regest). Gedruckt Döbner, Urkundenbuch der Stadt Hildesheim I. Nr. 102. 


Familie von Bönnien, wohl Vögte vom Kloster Lamspringe. 


Hildesh. Urkb. I. Nr. 333 (ao. 1162): Geschäft des Klosters, Zeugen: 
Gerungus advocatus eiusdem ecclesie cum duobus filiis suis Cunrado et 
Haoldo. Nr. 476 (ao. 1190 IX. 20): ... Haoldi advocati Lammes 
pringensium ... 

Nr. 698 (ao. 1217): vgl. oben. 

I. Nr. 119 (ao. 1225 IV. 15): Privileg für die Güter des Klosters, 
Zeugen: Widekindus de Bonigge, .... Bodo et frater eius Haoldus de Bonigge, 
Conradus de Bonigge ... 

20e) Familie von Hachem (Hachem wüst bei Bockenem). 

Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 242 (ao. 1145): Wirnherus de Hachem Zeuge bei 
der Ergebung Ekberts zu Altendorf unter laici et liberi; desgl. Ludolfus de 
Hachen Nr. 447 (ao. 1186—1190): unter liberi. Nr. 664 (ao. 1218 IV. 30): 
Engelbertus et Thidericus fratres de Achem. 

U. Nr. 119 (ao. 1225 IV. 15): Urkunde des Grafen vom Werder d. d. 
Bockenem, Zeugen: Eggelbertus de Hachim et Theodericus frater eius, ob 
Ministerialen des Grafen? Nr. 509 (ao. 1238 VII. 23): Engelbertus, Zeuge des 
Grafen von Woldenberg. Nr. 541 (ao. 1239 X): Engelbertus unter hildes- 
heimischen Ministerialen. 

Ul. Nr. 586 (ao. 1281): Engelbert, Lehnsherr zu Mahlum. 

Nr. 664 (ao. 1283): dominus Eggelbertus de Hachem et Thidericus filius 
eius, Zeugen des Grafen von Woldenberg. Nr. 819 (ao. 1289 I. 13): Theo- 
dericus de Hachem verkauft Eigen zu Gross Rhüden und Mechtshausen 
an Lamspringe (4 Hufen mit curia etc... Nr. 811 (ao. 1288 XI. 20), Nr. 812 
(ao. 1288 XI. 20): Zustimmung seiner Schwestern zum Verkauf. Nr. 823 
(ao. 1289 III. 21): Zehnte zu Rhüden Lehen von Hildesheim. Nr. 1078 (ao. 1296): 


Altfreiheit u. Dieustbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 95 


Verzicht der Schwestern des Theodericus auf Eigen zu Evensen, das zu Lehen 
gezeben war. 


9f, Familie von Freden oder Vreden (Freden im Tal der Leine 
sädöstlich von Alfeld). 


Hildesh. Urkb. I. Nr. 810 (ao. 1158 IV. 9): Walterus de Vreden 
ministerialis noster (des Bischofs Bruno von Hildesheim) resigniert 
3:: Hufen zu Erdeshusen (Erzhausen) zugunsten von Amelunxborn. Er 
ersheint von ao. 1158 IV. 9—1190 III. 26 in Nr. 476. 

Ekbert, Heinrich, Konrad von Vreden. Ekbert Nr. 577 (ao. 1203 I. 23) 
"is Nr. 726 (ao. 1219 VI. 19). II. Nr. 262 (ao. 1228 VIII. 20): Ekbert als Mini- 
sterial bezeichnet. Sein Sohn Walther Nr. 629 (ao. 1241 III. 28); dessen 
Bruder Ekbert vgl. Nr. 562 (ao. 1240 V. 9): Ekbertus junior de Vreden. Nr. 665 
20. 1242 XII. 6): servi Wolterus et Ecbertus fratres de Freden; dominus 
Ekbertus de Freden et Basilius filius eius, wohl der Vater Ekbert. 

Nr. 522 (ao. 1231 VIII. 16): Bischof Konrad bekundet, daß Ekbert von 
Freden und seine Frau Gertrud ein Viertel des Waldes Pandelbeke 
é-m Kloster Walkenried verkauft haben. Zustimmung der Freien (wohl 
iberi — Kinder) Ekbert, Basil, Lippold, Jutta und Gertrud. Nr. 509 (ao. 1238 
VIL 3}: Graf Hermann von Wohldenberg verkauft ebenfalls ein Viertel 
dieses Waldes. Er besitzt es mit seinem Verwandten Konrad, Propst des 
Moritzstiftes, gemeinsam. 

Nr. 870 (ao. 1251 VII 21) (Regest): Basil und Lippold, Söhne des 
Edeln Ekbert von Freden und der Gertrud, entsagen allen Ansprüchen an 
cn Teil des Waldes Pandelbeke, der dem Kloster Walkenried gehört. Wo 
Heibt die Zustimmung des Walter, vgl. III. Nr. 20 (ao. 1261 VI. 7): Egbertus 
et Witherus frater suus de minori Vrethen. 

Die Qualifikation des Ekbert des Älteren als nobilis ist für diese Zeit 
sicher falsch. Jedoch deutet sie in Verbindung mit dem bedeutenden Wald- 
eizentum der Familie auf altfreie Herkunft. 

Zug) Familie von Volkersen (Völksen bei Springe). 

Hildesh. Urkb. I. Nr. 236 (ao. 1145 IX. 15): Hermannus de Volkersem 
al: vurletzter nobilis. Nr. 348 (ao. 1169 XII. 21): derselbe in gleicher Stellung. 
Nr. 365 (ao. 1173 XII 4): Unargus de Volkersen als letzter nobilis. 
Sast ebenfalls als letzter oder zweitletzter nobilis vor den Gebrüdern von 
R.the erwähnt. Nr. 434 (ao. 1184—1185): Unargus mit dem Zehnten zu 
Badelmessen (bei Bensdorf) vom Bischof von Hildesheim belehnt. 

Hildesh. Urkb. IT. Nr. 803 (ao. 1248 IV. 2) und Nr. 857 (ao. 1251 I. 15): 
‘oradus de Volkersem Ministerial des Grafen von Hallermund. Nr. 943 
4, 1254 III. 24): Hermannus proprius villicus des Grafen von Hallermund 
2 Volkerseym. 

Hildesh. Urkb. OI. Nr. 1291 (ao. 1300): Johann de Volkersem famulus 
»ı Geschäft der von Adensen. Nr. 1459 (ao. 1304 II. 22): drei Brüder, 
-bannes Hinricus, Hermannus, verzichten mit Zustimmung ihrer Mutter, 
“7 Domina Vredheke, auf einen mansus zu Volkersem zugunsten von 


96 W. Wittich 


St. Michael. Zeuge: Herm annus sacerdos plebanus in Volkersem und 
Wicbrandus de Hareboldessen. 


20h) Familie von Ohlum-Hohenhameln. 

Hildesh. Urkundenbuch I., Nr. 311 (ao. 1158 V. 2): Dominus Fridericus 
de Olem verkauft 3 Hufen in territorio Sowinche an das Domkapitel. Bürgen 
für seine Erben sind Galterus de Bardunchen, Vater seiner Frau, Liuthardus 
de Meinersen, Großvater seiner Frau, Ludolf und Hoger von Waltingherode, 
Tedevus de Werre, soweit bekannt, nobiles. 

Nr. 671 (ao. ca. 1213): Hermannus miles de Olem, seine beiden Söhne 
Walter und Hermann, Ritter von Hohenhameln. Die Familie von Hohen- 
hameln oder Hameln erscheint schon seit 1143 in der hildesheimischen Mini- 
sterialität, vgl. Nr. 231 (ao. 1143 1V. 9): Emmel de Hamelen et frater eius 
Hermannus. 


20i) Familie der Vögte von Gandersheim. 

Monumenta Germaniae Historica SS. XVI. ed. PERTZ, p. 215 (Steter- 
burger Annalen ad. ao. 1182 VI. 18°): Zeugen bei dem magnum placitum 
episcopi in Bodenburch ... bekannte Edelherren Cono de Depenowe, Engel- 
mar, Unarg, Ropertus de Gandersheim, et fere omnes Hildensemenses mini- 
steriales. 

Hildesh. Urkb. I. Nr. 282 (ao. 1153 ca.): Geschäft des Bischofs Bruno 
von Hildesheim über Güter in Klus bei Gandersheim. Zeugen: Fridericus, 
abbas de sancto Godehardo, Rodigerus abbas de Ringelem, Waltherus ad- 
vocatus de Ganderesheim, Wernherus advocatus de Ringelem, Volcmarus de 
Herre, Ecbertus camerarius ... 

Volcmarus de Herre Nr. 288 (ao. 1154 VI. 8): unter welfischen Ministerialen. 

Nr. 567 (ao. 1201): Waltherus de Gandersheim unter hildesheimischen 
und welfischen Ministerialen. Nr. 605 (ao. 1205): Walter, Vogt von Ganders- 
heim, stiftet mit seiner Gattin Judith eine Kirche in Sack (Kreis Alfeld) und 
hegabt sie mit 3 Hufen und 6 iugera. Nr. 785 (ao. 1219-1226): Walterus 
de Gandersem Zeuge bei einem Geschäft des Pfalzgrafen Heinrich unter 
welfischen Ministerialen. 

Asseburger Urkundenbuch I. Nr. 32 (ao. 1204 vor VII. 12): Geschäft des. 
Königs Otto IV. mit Riddagshausen, Waltherus de Gandersen unter welfischen 
Ministerialen. Nr. 300 (ao. 1259 V. 3): Woltherus et Henricus, camerarius 
de Gandersem, Zeugen bei einem Geschäft der Äbtissin Margaretha von 
(Gandersheim. 

Hildesh. Urkb. IL Nr. 164 (ao. 1226): Walterus de Ganders(b)em. Nr. 327 
(ao. 1231): Die Brüder Walter und Hermann von Gandersheim resignieren 
dem Bischof ein Haus in der Stadt Hildesheim. Nr. 415 (ao. 1286 VII, 8): 
Hermannus de Gandersheim unter castellani nostri (des Bischofs Konrad 
von Hildesheim). Nr. 591 (ao. 1240): derselbe unter hildesheimischen Mini- 
sterialen. Nr. 629 (ao. 1241 111. 28): derselbe unter hildesheimischen 
Ministerialen. 

%k) Familie von Rössing (Rössing im Kreis Springe). 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 97 


Hildesh. Urkb. I. Nr. 200 (ao. 1132): Ernest de Rothinge et fllius eius 
Cono unter hildesheimischen Ministerialen. Nr. 201 (ao. 1182—1141): Ernest 
de Rothinge in gleicher Stellung. Nr. 225 (ao. 1141): Erwerb des Gutes 
in Heisede von Liudoldus von Altenmarkt seitens des Klosters St. Michael, 
Zeugen 6 liberi, Ekbertus camerarius, Ernest de Rothinge, Liuppold und Hugo 
von Altenmarkt. Nr. 231 (ao. 1148 II. 9): Gründung des Klosters Derneburg, 
ministeriales Ernestus de Rottige, Liudolfus advocatus etc. Nr. 418 (ao. 1182): 
Thidericus de Rotginghe, Bürge für Konrad und Ernst von Kemme. 


IT. Nr. 416 (ao. 185 vor VII. 4): Huic placito preerant liberi Widoldus 
de Embereke, Theodericus et Bertoldus de Rothinge, Theodericus de civitate. 
Nr. 417 (ao. 1235 VII. 4): liberi etiam eiusdem placiti procuratores Hermannus 
et Godescalcus de Covinge, Tidericus et Johannes et Eilardus de Rothinge, 
Jordanus, Jodolfus et Tethmarus de Barthenem. 


21) Familie von Altenmarkt oder vom Werder (deInsula). 


Hildesh. Urkb. I. Nr. 3853 (ao. 1171—1190): Liuppoldus tam sancti 
Michaelis quam civitatis advocatus ... — Erste Erwähnung der Familie mit 
Liutoldus advocatus a. a. O. Nr. 200 (ca. ao. 1132): an der Spitze der stiftischen 
Ministerialen. Weiterhin in Nr. 201 (ao. 1132 bis 1141): der gleiehe Liu- 
toldus nostre ecclesie ministerialis illius autem cenobii advocatus (St. Michael). 
Er hat vom Bischof einen Zehnten in Essem zu Lehen, den er einem Hart- 
wigus zu Lehen gegeben hat. Sein Bruder Liuppoldus in der gleichen 
Urkunde. Der in diesen beiden Urkunden erwähnte Cono advocatus eius 
loci ist ein nobilis (ob aus der Familie Depenau oder Arberge?) und wahr- 
scheinlieh Obervogt von St. Michael. Von ao. 1142 (II. 3) Nr. 227 an Liu- 
toldus regelmäßig mit seinen zwei Brüdern Liuppoldus und Hugo erwähnt 
als advocatus Hildenesheimensis. Der vorher erscheinende Vogt Benico, eben- 
falls ein Ministerial des Bischofs, und sein Bruder Fastmarus stehen sicher in 
keiner verwandtschaftlichen Beziehung zur Familie von Altenmarkt. Ebenso 
kommen die üblichen Vornamen der Familie unter den ministerialischen Zeugen 
der früheren Urkunden nicht vor. Die Vermutung liegt nahe, daß die Familie 
erst ca. 1132 mit Liutoldus in die stiftische Ministerialität eingetreten ist. 


Für die Altfreiheit der Familie spricht die sehr frühe Erwähnung von 
Erbgut, predium hereditario iure possessum in villa Hesede (Heisede), a. a. O. 
Nr. 225 (ao. 1141). Hildesh. Urkb. II. Nr. 390 (ao. 1234 V. 9): Lippoldus de 
veteri foro consanguineus des Thidericus de Holthusen (nebilis). 


Für die agnatischen Beziehungen zwischen den Geschlechtern Altenmarkt 
und Escherde sprechen: 1. Gemeinsames Auftreten in den Zeugenreihen der 
Urkunden. 2. Gegenseitige Bürgschaften. 8. Zahlreiche Vornamen gemein- 
sam, vor allem Läppold und Ludold 4 Lebnsansprüche der v. Escherde 
an der Vogtei in der Stadt Hildesheim, dem wichtigsten Lehen der von 
Altenmarkt, vgl. Hildesk. Urkb. II. Nr. 121 (ao. 1225), 146 (ao. 1225-1247), 
5. Eigen des Vogts Lippold von Altenmarkt zu Escherde, Nr. 1007 (ao. 1256 


IH.), Nr. 540 (ao. 1280). 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftegeschichte. IV. 7 


98 W. Wittich 


20m) Familie von Schiltberg (Schloß dieses Namens). Hildesh. 
Urkb. I. Nr. 248 (ao. 1148 VII. 13). 

Asseburger Urkundenbuch I. Nr. 10 (ao. 1154 VI. 8): Geruggus de Scild- 
berch unter nobiles, Urkunde Heinrichs des Löwen. Nr. 80 (ao. 1218 I. 27): 
Basilius de Schiltberch unter welfischen Ministerialen. Nr. 81 (ao. 1218 I. 27): 
derselbe in gleicher Stellung. 


2On) Familie von Remstede (Reinstede, Rumstede), ob Beinstedt in 
Anhalt oder Runstedt bei Helmstedt? 

Hildesh. Urkb. I. Nr. 390 (1179 IV. 4), Nr. 422 (ao. 1183 IV. 28): Ger- 
hardus de Rimestede und sein Bruder Ekgerius, letzte der Edelherren. Nr. 667 
(ao. 1201): Gerhard in gleicher Stellung. Nr. 592 (ao. 1204), desgl. Nr. 614 
(ao. 1206 X. 21), Nr. 620 (ao. 1208 IV. 29), Nr. 624 (ao. 1208), Nr. 625 (ao. 1209 
III. 11): Eschewinus de Luthere, Gerbodo de Othfretsem, Gerhardus de 
Remstede. Nr. 631 (a0. 1209 VII. 24): derselbe, letzter Edelherr; ao. 1209 
XI. 8: derselbe unter Ministerialen. Nr. 639 (ao. 1210 VI. 22): derselbe an 
der Spitze von Ministerialen. 

Nr. 641 (ao. 1210 XII.6): derselbe unter Ministerialen. Nr. 642 (ao. 1210 XIL): 
derselbe unter Ministerialen. 

Nr. 654 (ao. 1212 IV. 30): derselbe nach Lupoldus senior de Eschert. 

Nr. 664 (ao. 1213 IV. 30): derselbe als erster Edelherr. 

Nr. 668 (ao. 1218): Gerhardus de Remstede homo nobilis. 

Nr. 679 (ao. 1215 V. 1): Rodolf de Dalem, Gerhard de Remstede. 

Nr. 681 (ao. 1215 VIII. 15): derselbe an der Spitze der Ministerialen. 

II. Nr. 981 (ao. 1255): Graf Gebhard von Wernigerode bezeugt den 
Verzicht des Ritters Geroldus senior de Runstedhe auf 6 iugera und 2 curtes 
Eigen zu Dorstadt. Sein Sohn Gerold castellanus in Horneburc. Zallinger, 
Schöffenbarfreie p. 94, Urkunde Aschersleben ao. 1155: Everhardus de Rein- 
steden et alii liberi in eadem villa manentes. Ministerialen von Reinstedt 
nachweisbar seit 1219, a. a. O. p. 111. 


21) Vgl. z.B. Hildesh. Urkb. I. Nr. 263 (ao. 1150 V. 8): die in der Urkunde 
als mittelbare Lehensleute der Kirche genannten Edelherren kehren sämtlich 
als Zeugen wieder. 

Nr. 422 (ao. 1183 IV. 21): die freien Zeugen werden als layci beneficiati 
bezeichnet. 

Vgl. Lüntzen, Geschichte der Diözese und Stadt Hildesheim, Hildes- 
heim 1858 II. p. 90 und 91, wo die Stellen vereinigt sind. 

22) Hildesh. Urkb. I. Nr. 60 (ao. 1013), 86 (ao. 1051), 96 (a0. 1057 VII. 3), 
111 (ao. 1068 VIII. 5), 114 (ao. 1069 VIII. 15). 

Über die Gandersheimer Grafschaften vgl. GÜNTHER, Ambergau p. 212 ff. 
ebenda auch über die vom Reich lehnbaren Komitate, ferner LÜNTZEL, Ältere 
Diözese Hildesheim 1837, p. 162. 

28) Über die Edelherren von Dorstadt vgl. DÜRRE, Zeitschrift des Harz- 
vereins 1869, Heft III- p. 138ff. Zeitschrift des Historischen Vereins für 
Niedersachsen 1888, p. 42 ff. 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 99 


Der agnatische Zusammenhang zwischen den Grafen von Schladen und 
den Edelherren von Dorstadt ist meines Erachtens unzweifelhaft. 

Hildesh. Urkb. I. Nr. 169 (ao. 1110): Belehnung des Edelherrn Aicho von 
Dorstadt mit dem castrum Schladen. II. Nr. 855 (ao. 1232): curia domestica 
(sethelhof) des Heinrich von Schladen in Dorstadt. Auch mehrere Vornamen 
sind bei den Geschlechtern gemeinsam. Grafengericht der Grafen von Schla- 
den zu Bocla II. Nr. 958 (ao. 1254). 


24) Über die Grafschaft Woldenberg vgl. LUNTZEL, Die ältere Diözese 
Hildesheim 1837, p. 154—157, 158—175. F. GÜNTHER, Der Ambergau Han- 
nover 1887, bes. p. 212—216. Zeitschrift des Harzvereins für Geschichte und 
Altertumskunde ed. JAcoBs, IV. pag. 367 ff. Nur der Salzgau scheint hildes- 
heimisches Lehen gewesen zu sein, vgl. LÜnTzEL, Ältere Diöcese 1837, p. 166. 

Hildesh. Urkb. I. Nr. 86 (ao. 1061 XI.). 


25) Vgl. Hildesh. Urkb. I, Nr. 228 (ao. 1142 VI. 16): Schenkung einer 
Area in Sehlem, die von freien Leuten erkauft war. Meinfridus comes de 
Bodenburg, qui iurisdictionem de comecia nobis resignavit (dem Bischof). 
Nach GÜNTHER, Ambergau p. 213, war die Grafschaft Bodenburg ein 
Lehen von Gandersheim. Dem widerspricht die Ausdrucksweise obiger Ur- 
kunde: iurisdictionem ... nobis resignavit. 

26) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 268 (ao. 1150 V. 8): Belehnung des Grafen 
Hermann mit der Winzenburg und Homburg. Nr. 422 (ao. 1183 IV. 21): 
Belehnung der Brüder Grafen von Dassel mit dem Schloß Homburg. Nr. 263 
...hec donatio in mallo comitis Bertholdi, in cuius comitia hoc castrum 
(Winzenburg) situm est, banno regali ... nullo contra dicente confirmata est. 
Nr. 343 (ao. 1167) zu Volcsen (Volchardessen): Schenkung an St. Gode- 
hard. Graf Bodo von Homburg verzichtet auf das ius comitatus an diesen 
Gütern. 

Die Winzenburg fiel bekanntlich schon im Jahr 1152 (29 I.) nach der 
Ermordung Hermanns II. von Winzenburg an das Bistum zurück und ver- 
blieb in unmittelbarem Besitz des Bischofs (vgl. GÜNTHER, Ambergau p. 147). 

27) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 111 (ao. 1068 VIII. 5): Heinrich IV. schenkt 
die Grafschaft in den Gauen Valedungon, Aringe und Guttingon an das 
Bistum Hildesheim. LüxtzeL, Ältere Diözese Hildesheim 1837, p. 128 
(Scotelingen) bis 145. 

28) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 86 (ao. 1051 XI.) und 96 (ao. 1067 VII. 3). 
LixrzEL, Ältere Diözese Hildesheim 1837, p. 91—118. 

29) Vgl. Chronicon Hildesheimense in PErTz, Monumenta Germaniae 
historica SS. VII. p. 864. Zusammenstellung der Nachrichten über die Graf- 
schaft Peine, vgl. Asseburger Urkundenbuch I., Nr. 180 p. 124—130. 

4 80) LÜNTzEr, Diözese p. 117. GÜNTHER, Ambergau p. 215, behauptet, 
die Grafschaft am Ris sei Reichslehen gewesen. Über den Rückkauf dieser 
Grafschaften vgl. LÜNTZEL a. a. 0. 

KA Die nördlich vom Gau Astfala gelegenen Gaue Flutwide, Moltbizi und 
Muthiwide waren ebenfalls durch königliche Schenkung an das Bistum ge- 


100 W. Wittich 


kommen (vgl. über Flutwide Hildesh. Urkb. I. Nr. 60, ao. 1013: comitatus 
quod pendet ad castellum Mundburg;; über Moltbizi, Nr. 86, ao. 1061 X.). Jedoch 
scheinen sie frühzeitig in die Gewalt der welfischen Herzoge und damit 
dem Bistum auf immer abhanden gekommen zu sein. Für unsere Unter- 
suchung haben sie keine Bedeutung. 


31) Vgl. R. SCHRÔDER, Die Gerichtsverfassung des Sachsenspiegels, 
Weimar 1885, p. 3 ff. und p. 46. ZALLINGER, Schöffenbarfreie p. 286 Anm. 2. 


82) Vgl. Heck, Der Sachsenspiegel und die Stände der Freien, Halle 
1905, p. 157 ft. 

In einer Halberstädter Urkunde vom Jahr 1257 wird die Zuständigkeit 
des Grafengerichts zu Seehausen, das an den Erzbischof von Magdeburg 
verkauft worden ist, auf die Auflassung von Freigütern (proprietatem dare 
vel vendere) beschränkt. 

83) HEcK hat in seinem neuesten Werk (Der Sachsenspiegel und die 
Stände der Freien p. 342—869) eine ähnliche Übersicht über die freien Eigen- 
tümer gegeben. Jedoch beschränkt er sich nur auf die „niederen Schöffen- 
baren“, d. h. die Altfreien bäuerlichen Standes, und erschöpft auch die 
hildesheimischen Quellen nicht völlig. Da für unsere Zwecke auch die nicht- 
bäuerlichen Altfreien in Betracht kommen, so haben wir die größtenteils 
auf den auch von HECK benützten Urkunden beruhende Übersicht beibehalten. 

34) Vgl. Hildesh. Urk. I. Nr. 272 (ao. 1151 III. 14). 

Nr. 273 (ao. 1152 III. 17). 

35) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 367 (ao. 1174 VI. 23). 

Nr. 369 (ao. 1175 IV. 18). 

Die Freien Theodericus und Richolfus von Dorstadt gehören sicher auch 
zu den erwähnten kleineren Freigutsbesitzern an diesem Ort. Da die Mit- 
gabe der Tochter des Theodericus, die in das Kloster Dorstadt eintrat, 
2!/s Hufen und einen Teil eines Hausplatzes betrug, so dürfen auch diese 
im Gegensatz zur mächtigen Grafenfamilie von Dorstadt-Schladen kleinen 
Freien keineswegs als Bauern angesehen werden. Vgl. Nr. 479 (ao. 1190, 
1194) und Nr. 504 (ao. 1194 vor X. 28). 

HECK (Sachsenspiegel etc. p. 350 ff.) geht in der Qualifikation der 
Grafschaftsfreien als Bauern meines Erachtens entschieden zu weit. Ich 
leugne keineswegs, daß unter ihnen zahlreiche Bauern gewesen sein mögen, 
aber Hxc’k sucht mit ganz unzureichenden Gründen alle von ihm untersuchten 
Schöffenbaren in eine bäuerliche Stellung zu bringen. So nimmt er an, die 
Freien Tidericus liber und Ricolfus liber de Dorstadt seien Bauern gewesen: 

1. wegen Fehlen des Zunamens und wegen ihrer Stellung nach Ministerialen. 
In einer Urkunde des 12. Jahrhunderts kann das Fehlen des Zunamens un- 
möglich als ausschlaggebendes indicium für die bäuerliche Stellung gelten. 
Vgl. auch Urkunde Nr. 388 (ao. 1178 III. 20): Gerardus et Fridericus liberi 
homines. Ich habe diese beiden Freien für Grafschaftsfreie der großen Graf- 
schaft und Angehörige des Geschlechts von Lopke gehalten. Jedoch ist es 
sicher, daß sie dem bekannten Edelherrngeschlecht de Novali angehören. 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 101 


Vel Nr. 889 (ao. 1180 XII. 17): Zeugen Gerardus, Fridericus. Nr. 407 
(ae. 1181): Fridericus de Novali, Gerhardus et Eckericus fratres. So wird 
in der Urkunde Nr. 479 ausdrücklich ein Eucho miles erwähnt. Außerdem 
stehen die beiden Freien von Dorstadt nur in Urkunde Nr. 369 nach Edel- 
herren und Ministerialen. Dagegen steht in Urkunde Nr. 479 Richolfus liber 
mi umiversi concives eius vor dem Ministerialen Eucho. Außerdem stehen 
m der Zeugenreihe der Urkunde Nr. 504 Theodericus liber et Ricolfus vor 
Jehannes de Rochele, der sicher der bekannten Ritterfamilie von Rocklum 
angehörte (vgl. II. ed. HOOGEWEG, Nr. 114 ao. 1224 Jusarius miles de 
Rekele und III. Nr. 199 Anno de Rokele unter Rittern). 

3 Es wird in Urkunde Nr. 479 berichtet, daß die Tochter eines gewissen 
Dietrich von Dorstadt von den cognati desselben nach dem Tod ihres Vaters 
m das Kloster gegeben worden sei, und zwar mit 2'/s Hufen und einer halben 
area. Dafür habe sich der Propst verpflichtet, von den Schulden des Vaters 
3', Mark zu zahlen. HncK sagt nun über die Vermögensverhältnisse des 
Vsters: „Er war Eigentümer von 2'/, Huben, die er selbst bebaute und hatte 
Schulden, die sein sonstiges Gut um 3%, Mark überstiegen“. Außerdem 
betrachtet HECK die Tochter als , Alleinerbin“ ihres Vaters. Jedoch erweist 
«er Inhalt der Urkunde keine dieser Behauptungen. Wir wissen weder, daß 
de Tochter die Alleinerbin war, noch daß Dietrich seinen Acker selbst be- 
baute, noch daß er weiter keinen Besitz oder keine Schulden hatte. HECK 
sat eben aus dem dürftigen Inbalt der Urkunde auf eine dürftige Stellung 
seines Schöffenbaren geschlossen, was doch nicht angeht. 


$6, Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 724 (ao. 1219 V. 17), II. Nr. 224 (ao. 1227 
4 “li: Besitz der Familie Flöthe-Covot in Flôthe. 

Über den Freigutsbesitz der Herren von Glinde vgl. Hildesh. Urkb. Il. 
\r. 433 (ao. 1235), über die Freigüter der Herren de Piscina III. Nr. 1373 
ıs0. 13682 V. 23). 

Au» älterer Zeit Eigen der ingenua femina Hildeswit und ihrer Tochter 
Walburg in Flöthe, vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 56 (ao. 1013 IIL.). 

37, Über die Geschlechter Flöthe und Piscina vgl.oben Anm. 19n u. 19p. 
Ine Familie de Piscina war eines Stammes mit den Ministerialen von Ebe- 
ünzgerode. Im Dorf Ebelingerode lag ihre Heimat und ihr Hantgemal, vgl. 
Hidesb. Urk. II. Nr. 270 (ao. 1229), Urkb. des Hist. Vereins f. Niedersachsen 
il. (Walkenried) 857 (ao. 1263). 

Über die Herren von Glinde, ihre Heimat und spätere dienstmännische 
“-llung vgl v. ZALLINGER, Schöffenbarfreie, p. 87 u. 176. 

88, Vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 313 (ao. 1230 — 1240). 

Diese Urkunde bestätigt die Vermutung von ZALLINGERs, daß der Satz 
+ Sechsenspiegels über die Freilassung der Ministerialen zu Landsassenrecht 
rmigstens für die Entstehungszeit des Rechtsbuchs nicht mehr zutrifft. 
leon hier wird ein Ministerial direkt zum Recht der Schöffenbaren freigelassen. 
Vel. von ZALLINGER, Schöffenbarfreie, p. 238 S. Ld.R. (Sachsenspiegel ed. 
8: wevEer Bd. I.) III. Art. 80 8 2. 


102 W. Wittich 


39) LÜXTZEL. Geschichte der Diözese und Stadt Hildesheim II. p. 202 ff. 


40) Vgl. Annales Stederburgenses in Monumenta Germaniae Historica ed. 
PERTZ SS. XVI. p. 197ff.; p. 207: Wahl des Propsts Gerhard II. ao. 1163; 
p. 290 ao. 1166: Kauf von 4 Hufen zu Kleinen-Schwülper a Reinoldo quodam, 
libero homine. Graf Ludolf von Peine bestätigt den Kauf; p. 210 ao. 1166: 
Ervo de Tidhe verpfändet Güter zu Tidhe; p. 213 ao. 1175: Kauf in Lefforde 
von Thidericus de... und Bruder Gerhard 5 Hufen; Der Graf Ludolf von 
Peine bestätigt den Kauf mit dem Königsbann. p. 215 ao. 1182: homo nobilis 
Bodo de Saldere schenkt 18 Morgen und einen Hausplatz in Lefforde, des- 
gleichen sein Bruder Ludolfus dasselbe am selben Ort; p. 217 ao. 1186: Er- 
werb der Freigüter der altfreien Ministerialen von Lewe (Levedhe) zu Lewe; 
p. 217 ao. 1187: Erwerbungen in Großen-Mahner, quia pene tota ad liberos 
pertinebat. Die liberi sind, Grafen von Poppenburg, Familie von Mahner, 
Thidericus quidam, Thidericus et Ricmannus fratres; p. 219 ao. 1187: die 
v. Saldern schenken Hufen zu Stedehem und Ardesheim. 


41) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 483 (ao. 1191). 

Das Eigentum der Edelherrenfamilie von Mahner in Mahner war viel 
bedeutender. Im Jahr 1240 schenkt Steppo von Mahner, der mittlerweile 
hildesheimischer Ministerial geworden war, 7'/; Hufen Eigen und sein Recht 
an der Kirche zu Mahner nebst vielen anderen Gütern an den Bischof von 
Hildesheim, der dafür Belehnung seines Sohnes mit diesen Gütern und drei 
Pfund versprach. Vgl. Hildesh. Urkb. IH. Nr. 555 (ao. 1240 VIII. 3). 

42) Vgl. auch Anm. 28. Vgl. LÜNTZEL, Ältere Diözese Hildesheim 1887, 
p. 91—118, besonders p. 92 u. 107 ff. 

Über die große und die kleine Grafschaft vgl. LÜNTZEL a. a. 0. WEBER, 
Die Freien bei Hannover, Hannover und Leipzig 1898, p. 11 ff. 

H. SUDENDORF, Urkundenbuch etc. I. p. XVI u. XVII. 

43) Vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 416 (ao. 1285 vor VII. 4), Nr: 417 (ao. 1285 
VII. 4), Nr. 586 (ao. 1239 IX. 25), Nr. 564 (ao. 1240 V. 22). 

44) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 225 (ao. 1141), Nr. 474 (ao. 1189). 

45) Vgl. SCUDENDORF, Urkundenbuch Bd. IX. p. 51 (ao. 1360 I. 8): Die 
von Saldern verkaufen 11 Hufen Landes vor Sarstedt an das Stift Hildesheim. 

Hildesh. Urkb. II. Nr. 650 (ao. 1241): Eigen der von Saldern, zwei Hufe» 
und drei Hausstellen zu Barnten bei Sarstedt an das Maria-Magdalenakloster. 

46) Die Abgrenzung der großen und der kleinen Grafschaft macht ziem- 
liche Schwierigkeit. Beide lagen südlich des Nordwaldes (LONTZEL, Ältere 
Diözese Hildesheim, p. 114). Den Umfang der großen Grafschaft kennen 
wir ziemlich genau. Sie umfaßte sicher das spätere große und kleine Freie 
und eine Reihe weiterer Dörfer im Süden, die alle ihre Dingstätte auf dem 
Hassel bei Lühnde hatten. Weiterhin soll das Dorf Farmsen in der großen 
(Grafschaft gelegen haben (Hildesh. Urkb. II. Nr. 714 (ao. 1244). 

Von der kleinen Grafschaft wissen wir nur, daß ihr Schwiecheldt, Eil- 
strenge und Ödelum angehört haben (LÜNTZEL a. a. O.). LÜNTZEL glaubt, 
daß die Dingstätte der kleinen Grafschaft zu Hohenhameln gewesen sei 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 103 


(p. 115, Ältere Diözese Hildesheim). Demnach müßte die kleine Grafschaft 
einen schmalen Streifen im Osten der großen Grafschaft gebildet haben. 

Über die Zugehörigkeit der im folgenden erwähnten Dörfer zur großen 
und kleinen Grafschaft vgl. vor allem LÜNTZEL, Ältere Diözese, p. 110 ff., 
ferner WEBER, Freie, p. 11—22. Über Bründeln vgl. LENTZEL, Ältere Diözese, 
p. 115, S30 Anm. 17. 


47) Vgl. LCNTzEeL, Die ältere Diözese Hildesheim, p. 112 ff. 

WEBER, Die Freien bei Hannover, p. 13 ff. 

Die Verhandlungen zwischen dem Bischof von Hildesheim und dem 
Grafen von Lauenrode finden sich jetzt vereinigt im Urkundenbuch des Bis- 
tams Hildesheim II. Nr. 285 (ao. 1280 VI. 2), Nr. 414 (ao. 1285 VII. 1), 
Nr. 445 (ao. 1236 II. 16), Nr. 812 (ohne Jahr). Die letzte Urkunde enthält 
den Verkauf auch der großen Grafschaft an Hildesheim. Da dieser nie statt- 
gefunden hat, so ist sie wohl nur als Formular anzusehen. 


48) Vgl. Bone, Geschichte der Grafen von Wernigerode in der Zeitschrift 
des Harzvereins für Geschichte und Altertumskunde IV. (1871) p. 1ff., be- 
sonders p. 34 ff. Hildesh. Urkb. I. Nr. 174 (ao. 1117 V. 11), III. Nr. 1154 
(20. 1297 IX. 3). 

49, Vgl. LÜNTZEL, Geschichte der Diözese und Stadt Hildesheim 18858, II. 
p. 15—19. WERER, Freie, p. 21. Schenkung der Friderun von Scharzfeld 
vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 456 u. 457 (ao. 1187). 

50) Vgl. LCNTZEL, Geschichte der Diözese und Stadt Hildesheim, I. 
p. 468 ff. Kalenberger Urkundenbuch ed. v. HODENBERG, III. p. 10 ff. (Ur- 
kunde von ao. 1186). Der größere Teil dieses gräflich asselschen Allods 
mub allerdings im benachbarten Ambergau gelegen haben, weil die Auf- 
assung der ganzen hereditas durch die Witwe des letzten Grafen, Salome, 
.m «chten Ding des Ambergaues vor den Grafen von Woldenberg erfolgte. 

51) Vgl. LÜxsTzEı, Ältere Diözese, Urkunde Nr. LXIII. (p. 422) ao. 1325 
v. 17: Graf von Dassel schenkt an das Bartholomäikloster zur Sülte alle 
«ine Güter im Gohgericht Lühnde, besonders zu Gödringen und Lühnde. 
Auch im bischöflichen Teil des Ostfalengaues waren die Grafen von Dassel 
zütert, vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 317 (ao. 1231 VI. 30): die Gräfin A. von 
Inszel verkauft an das Johannesstift eine Hausstelle und eine Hufe von 
4 Morgen zu Ahrbergen „situm liberum et immunem a iustitia et exactione 
comitis et advocati et aliorum qui exercent secularem in rebus huiusmodi 
potestatem*. 

52) Vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 404 (ao. 1234): Dietrich von Depenau 
äbergibt zwei Hufen zu Algermissen in comicio (der Grafen von Lauenrode) 
an St. Godehard. III. Nr. 275 (ao. 1271 III. 22): 1 mansus derselben zu 
roßlopke. Urkundenbuch der Stadt Hannover Nr. 244 (ao. 1846 XI. 26): 
Edelherr Conrad von Dorstadt läßt vor dem Gografen zu dem Hassel das 
Eigentum von Gütern zu Rethen auf zur Dotierung eines Altars in der 
Kreuzkirche. 

58, Über die Lehnsleute der Grafen von Wernigerode in der großen 


104 W. Wittich 


Grafschaft vgl. Bopr in der Zeitschrift des Harsvereins für Geschichte und 
Altertumsirande, Bd. IV. (1871) :p. 84 ff. 

Ferner Lehen der von Rosenthal zu Eilstrenge ven den Grafen von Wölpe, 
Hildesh. Urkb. II. Nr. 90 (ao. 1223). 


54) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 883 (ao. 1178 III. 20) Über Bruno von 
Kemme vgl. Nr. 222 (ao. 1140): hier wohl Eigentümer von zwei Hufen in 
Mehle (Midele). Nr. 348 (ao. 1169 VII. 21): Brun (de Zemme) et Conradus 
filius eius unter bischöflich hildesheimischen Ministerialen, Zeuge für Geschäft 
in Schwiecheldt und Eggersen. Nr. 868 (ao. 1174 X. 19 und 21): derselbe 
unter Ministerialen des ‚Bischofs. | 

Über Gerhardas .et Fridericus liberi homines vgl. oben Anm. Nr. 38. 

Das Dorf 'Klein-Lopke kam erst im Jahr 1648 zum großen ‚Ereien, 
d. h. zu dem lüneburgischeu Verwaltungsbezirk „Vogtei Ilten“, vgl. WEBER, 
die Freien bei Hannover etc., p. 74ff. Jedoch ist die Zugehörigkeit des 
Dorfes zur großen Grafschaft unzweifelhaft und ergibt sich schon aus der 
kirchliehen Zugehörigkeit zum Bann Lühnde, vgl. WEBER a. a. 0. p. 15 und 10. 


66) Unter den Zeugen findet sich ein Bathardus, ein Name, der sonst 
völlig unbekannt ist. Nun schenkt im Jahr 1180 eine gewisse Ermen- 
trud bei ihrem Eintritt in das Kloster Backenrode (dum converteretur) eine 
Hufe in Kleinlopke mit Zustimmung ihres Bruders Rathardus. Es liegt nabe, 
in unserer Urkunde statt Bathardus Rathardus zu lesen und beide als eine 
Person anzusehen. Gibt man diese Annahme zu, so ist ein Eigengut eines 
der Zeugen zu Lopke unzweifelhaft, und damit gewinnt die Annahme, daß 
die sämtlichen 9 Zeugen Grafschaftsfreie gewesen seien, erheblich an Gewicht. 
Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 396 (ao. 1180 III. 7). 

656) Hildesh. Urkb. II. Nr. 265 (ao. 1228): Ritter Albertus de Lobeke 
dictus gibt bei seinem Eintritt in das Kloster St. Michael diesem 18 Morgen 
Land zu Lopke (Lehen vom Bischof). Nr. 522 (ao. 1289 III. 22): Luderus 
(bischöflicher Dienstmann) miles de Lobbeke wird Ministerial von Korvey. 

57) Vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 414 (ao. 1235 VII. 1). 

58) Vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 445 (ao. 1236 II. 16). Vgl. jetzt auch 
H::cK, Der Sachsenspiegel etc. p. 856—8359. 

69) Vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 312. Die Urkunde trägt kein Datum und 
keinen Ausstellungsort, auch sind die Zeugen nicht genannt. Sie stammt aus 
dem Formelbuch des Ludolf von Hildesheim und ist sicher nur ein aicht 
vollzogenes Formular. Jedoch stammt sie wie das ganze Formelbuch aus 
der Mitte des 13. Jahrhunderts, vgl. Hildesh. Urkb. II. p. VI. (HovuEwr«“ 
im Vorwort). 

60) Vgl. Supexpor:, Urkundenbuch zur Geschichte der Herzoge von 
Braunschweig-Lüneburg und ihrer Lande Bd. I. p. XVI. u. XVII. 

61) Vgl. das Chronicon Hildesheimense in Monumenta Germaniae Historica 
ed. PERTZ, SS. Bd. VII. p. 861 (zu Bischof Konrad). 

62) Vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 414 (ao. 1235 VI. 1). 

63) Vgl. Kalenberger Urkundenb. III. ed. von HObENBERG, Nr. 188 





Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 105 


{ao. 1258): Bischof Johann von Hildesheim über eine Hufe zu Oedelum ... 
Alterum vero mansum, qui vulgariter „vrihoue“ dicitur ad cometiam nostram 
minorem pertinentem ... Christianus et Johannes a nobis temuerunt. Es ist 
bier ein Lehnrecht möglich, aber die nur mit Vornamen bezeichneten Be- 
sitzer deuten mehr auf Grafschaftseigentum. 

Vgl auch Westf. Urkb. IV. Nr. 221 (ao. 1288): der Oheim der Grafen 
von Everstein, Conrad, hatte einen mansus in Overthe, quem Hermannus homo 
libere conditionis, quod in vulgari scepenbere vocatur, und seine Brüder und 
Erben iure libertatis de manu nostra (der Grafen) tenuerunt, für 6 Mark für 
das Kloster Willebadessen gekauft. 


64) Vgl. Sachsenspiegel ed. HOMEYER, I. p. 377 S. Ld.R. III. Art. 80 
$ 1: Erbloses Eigen von einem Biergelden, drei Hufen oder weniger, fült 
an den Schultheißen. Da diese Institution in unserem Untersuchungsgebiet 
unbekannt ist, muß es an den Grafen gekommen sein. 


65) Die Zustimmung des Grafen bei Veräußerungen von Freigut war 
allgemein erforderlich, vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 475 (ao. 1190): Zwei Hufen 
eines Freien Wicelo zu Liermund werden vom Kloster Lamspringe gekauft 
requisito assensu eius (comitis). Die Klostergüter oft von der Grafschafts- 
pflicht befreit, vgl. II. Nr. 119 (ao. 1225 IV. 15). Nr. 261 (ao. 1223): Zu- 
stimmung des Grafschaftsherrn Halto von Biewende bei Veräußerungen zu 
Klein-Neindorf. I. Nr. 228 (ao. 1142 VI. 16): die Kirche zu Sehlem wird 
auf einer von Freien gekauften Area errichtet. Sie wird Eigentum von 
St. Godehard. Zeuge der Graf Meinfridus de Bodenburg, qui iurisditionem 
de comecia nobis resignavit (d. h. dem Bischof). Ähnlich I. Nr. 348 (ao. 1167) 
und IU. Nr. 81 (um 1264): das Freigut scheidet bei Ergebung aus der Graf- 
schaft aus. 

66) Vgl. Kalenberger Urkundenbuch III. Nr. 193 (ao. 1258) und oben 
Note 63. 

67) Vgl. Hildesh. Urkb. III. Nr. 736 (ao. 1285): Kloster Riddagshausen 
verkauft zu Farmsen an das Maria-Magdalenakloster 10 Hufen iure perpetuo 
possidendos eorundem mansorum excepto iure liberorum, quod in eis habere 
dicuntur. 

68) Hildesh. Urkb. III. Nr. 252 (ao. 1270 VII. 28). SUDENDORF, Ur- 
kundenbuch IX. p. 103. 

60) Hildesh. Urkb. II. Nr. 445 (ao. 1236 II. 16): der marscalcus noster 
ist Konrad von Eimmerke, vgl. II. p. 618. Derselbe hatte Lehngüter vom 
Bischof zu Farmsen, vgl. II. Nr. 534 (ao. 1239 VIII. 9): ob Freigüter ? 

70) Vgl. über diese Entwickelung WERER, Die Freien bei Hannover, 
p. 39: „Auch diese Meier und Hintersassen wurden später größtenteils zu 
den Freien gerechnet, aber sie hatten nicht das Recht dieser freien Verfügung 
über ihren Grundbesitz“. MEITZEN, Siedelung und Agrarwesen der West- 
germanen und Ostgermanen etc. 1895, Bd. III. p. 7 (Gretenberg) und 20 
(Haimar) und 31 ff. (Laazen). 

71) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 848 (ao. 1167): Die Witwe des nobilis de 


106 W. Wittich 


Wickbeke schenkt Eigengut in Volchardessen an das Kloster St. Godehard. 
Der Graf Bodo von Homburg wurde bewogen, ut universo iure comitatus in 
praediis illis habito sub proborum abundanti testimonio renunciaret. 


12) Vgl. Sächsisches Landrecht (HOMEYER, Sachsenspiegel Bd. L.)I. Art. 262. 

Sehr wichtig ist die von ZALLINGER erwähnte Urkunde von 1214 (Ur 
kundenbuch des Historischen Vereins für Niedersachsen Bd. II. Walkenried 
Nr. 83): der Graf von Klettenberg verzichtet dem Kloster Walkenried gegen- 
über auf Ansprüche an zwei Hufen, quos mihi usurpabam forensi iure 
quorundam hominum, qui in vulgari dicuntur „plaeccathte“, nachdem der Abt 
dagegen eingewendet hatte, emisse supradictos duos mansos in Rodhagerode 
ab Hecardo de Livenrode, qui insigni gaudebat libertatis titulo, et qui in 
foro iuris erat unus scabinorum, qui eos liberos ab omni obsequio alicui 
praestando ecclesiae vendidit, in qua libertate hactenus eos possedit. 

Bei den Übertragungen des Eigens der Edelherren im 13. Jahrhundert 
finden wir keine Erwähnung einer Grafschaftsabgabe, z. B. Hildesh. Urkb. 
IT. Nr. 404 (ao. 1284), Nr. 416 (ao. 1235 vor VII. 3), Nr. 417 (ao. 1235 VII. 3) 


73) Vgl. z. B. ALTMANN und BERNHEIM, Urkunden, III. Aufl. p. 150 
(Hofrecht des Bischofs Burchard von Worms, $ 21). 

Alle diese Sätze halte ich den neueren Anschauungen gegenüber (z. B. 
Heck, Sachsenspiegel etc. $ 51 p. 550ff.) entschieden aufrecht. Gewiß war 
der Ministerial im 12. und 13. Jahrhundert des echten Eigens fähig; aber 
es muß eine Zeit gegeben haben, in der er im Landrecht keine Persönlich- 
keit hatte und echten Eigens nicht fähig war. Auch die Urkunde Siberts 
von Dorstadt (Hildesh. Urkb. I. Nr. 230) ist ohne die Annahme der ursprüng- 
lichen Unfähigkeit der Dienstleute zum Erwerb echten Eigens nicht verständ- 
lich. Auch die bei sämtlichen älteren Autotraditionen erfolgende Auftragung 
des Eigens des Autotradenten an den Herrn weist auf diesen Rechtszustand 
hin. Vgl. Anm. 14. 

Endlich deutet auch die Stelle S. Ld.R. III. Art. 81 $ 1 auf die alte 
Unfähigkeit der Dienstmannen zum Besitz echten Eigens. Wenn es an 
Schöffen in einer Grafschaft mangelt, so soll der König Reichsministerialen 
freilassen und ihnen Reichsgut zu eigen geben, jedem drei Hufen oder mehr, 
damit sie „davon“ das Schöffenamt bekleiden können. Die tatsächlichen 
Voraussetzungen dieser offenbar sehr alten Bestimmung waren schon im 
12. Jahrhundert nicht mehr gegeben, denn alle Ministerialen hatten Eigen- 
gut. Jedoch läßt sie einen sicheren Schluß auf eine Zeit zu, in der der 
Dienstmann des echten Eigens regelmäßig oder ausnahmslos ermangelte. 
HECK (Sachsenspiegel etc. p. 541 Anm. 2) sucht diese Erklärung dadurch zu 
entkräften, daß er das Eigen des Dienstmanns als Godings- und nicht als 
Grafschaftseigen ansieht. ler freigelassene Reichsdienstmann hätte eben 
Grafschaftseigen zur Ausübung seiner Schöffenfunktion besitzen müssen. 
Jedoch ist eine solche Unterscheidung der früheren Zeit ganz fremd. Es gab 
bis ins 13. Jahrhundert nur eine Art echten Eigens, das Grafschaftseigen. 
Erst im 14. Jahrhundert wird echtes Eigen häufiger im Goding übertragen. 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 107 


74) Vgl. Monumenta Germaniae historica ed. PERTZ SS. Bd. XVI. p. 216, 
Annales Stederburgenses ao. 1182 VI. 13. Verhandlung einer Auflassung 
von Eigen in magno placito episcopi in Bodenburch; Zeugen, Edelherren et 
fere omnes Hildensemenses ministeriales. p. 217 (ao. 1187): Übertragung der 
Güter zu Mahner an Stederburg in placito comitis Ludolfi, Zeugen zumeist 
Edelherren, jedoch eine Minderzahl altfreier Ministerialen. p. 216: magnum 
placitum in Striedegen, Zeugen Ludeger uud Ludolf von Woldenberg, Ludolf 
von Peine und 60 Ritter, wohl Ministerialen (ao. 1182—1183). p. 218: in 
eodem placito (comitis Ludolfi) praesentibus multis tam liberis quam mini- 
sterialibus. 

75) Höchst wahrscheinlich landrechtliche Geschäfte, die im Grafen- 
gericht des Grafen Ludeger von Woldenberg vollzogen wurden, sind die 
Hildesh. Urkb. I. Nr. 479 (ao. 1190—1194, Nr. 504 (ao. 1194 vor X. 28), Nr. 514 
(ao. 1195 XII. 3), Nr. 565 (ao. 1201 IX. 8) erwähnten Erwerbungen von Dor- 
stadt in Nienrode, Dorstadt etc. Auch hier sind zahlreiche Ministerialen unter 
den Zeugen. Vgl. über diesen Ludeger GÜNTHER, Der Ambergau, 1887, 
p. 175 ff., außerdem Hildesh. Urkb. I. Nr. 447 (ao. 1186—1190), Nr. 475 (ao. 1190 
III. 26), II. Nr. 93 (ao. 1228). Aus der letzteren Urkunde geht hervor, daß 
Dorstadt und Nienrode im Grafschaftsbezirk des Grafen Ludeger von Wolden- 
berg lagen. 

16) Vgl. Kalenberger Urkundenbuch III. p. 16 (ao. 1186): Schenkung des 
Erbes der v. Assel in pago Ambergo in mallo Hollen in comitatu comitis 
Burchardi de Waldenburge ... Zeugen: Burcardus et Hogerus comites de 
Waldenberge, Lippoldus de Escherte, Henricus de Udelen et alii quamplures. 
Die beiden letzteren gehören hildesheimischen Ministerialenfamilien an, vgl. 
Hildesh. Urkb. II. p. 614 und 657, I. Nr. 663 (ao. 1213 IV. 18). 

Hildesh. Urkb. II. Nr. 261 (ao. 1228 VII. 12): Grafschaftsherr Halt de 
Biewende bekundet Auflassung in Neindorf; Zeugen und Schöffen Ritter, 
vgl. z. B. Heinricus Noretse ministerialis. Nr. 375 (ao. 1233), Nr. 433 (ca. ao. 1235): 
Burchard von Glinde verläßt 12 Hufen, einen Wald zu Flöthe in comecia 
cui bona...adiacent in villa Burchdorp... presente domino L. de Lengede, 
qui iudicio presidet in eaden comicia ... presentibus Conrado filio Bernardi 
de Dorstadt, Johanne advocato de Harlungeberg, Thegenhardo de Burchdorp, 
Hermanno et Burchardo fratribus de Lengede, Hermanno de Lengede, Ber- 
toldo de Alvessem. Sie sind, soweit bekannt, sämtlich Ministerialen außer 
Conrad von Dorstadt, einem Edelherrn. HECK (Sachsenspiegel etc. p. 350) 
führt nur die bäuerlichen Urkundenzeugen an, die scheinbar erst nachträglich 
beigefügt wurden. Ich bestreite die Teilnahme der freien Bauern am Grafen- 
gericht nicht, muß aber doch HECK gegenüber hervorheben, daß neben dem 
dienstmännischen Gerichtshalter in erster Linie ritterliche und dienstmännische 
Personen am Gericht beteiligt waren. Nr. 958 (ao. 1254): Graf Meiner von 
Schladen bekundet, daß die Brüder Wulvinge ihre Erbgüter vom Vater her 
coram nobis et indicibus, qui tunc presederunt in Bocla, Johanne de Beddinge 
et Thetmaro de Werre et omni populo, qui convenerat ad placitum, penitus 


108 W. Wittioh 


renuatiarunt. Testes huius rei sunt ipsi iudices, Jusarius de Harlungeberg 
et Michahel advocatus, Alexander de Werre, Fridericus Friso et Heinrieus 
Friso, Ludolfus de Neindorp, Johannes de Rorsdorp. Von den iudices ist 
Johannes de Beddingen nicht weiter bekannt. Auch scheint es eine Ministerialen- 
familie dieses Namens nicht zu geben. Nur Nr. 911 (ao. 1952 VII. 20) 
werden homines zu Beddingen erwähnt, die Ministerialen von Steterbarg 
werden. Es ist dieser Johannes de Beddingen möglicherweise ein Graf- 
schaftsfreier. Thethmar von Werre gehört sicher der bekannten Mini- 
sterialenfamilie des Stifts an, in der der Name Detlevus häufig vorkommt, 
vgl. III. Nr. 617 (ao. 1282 XI. 2): die Zeugen, unter denen Alexander de 
Werre sicher ein Verwandter des obigen ist, sind sämtlich Ministerialen des 
Grafen von Schladen, vgl. II. Nr. 855 (ao. 1232), Nr. 815 (ao. 1249 IV. 3), 
Nr. 822 (a0. 1249). — II. Nr. 883 (ao. 1251): Renunciatio des miles Theodericus 
de Holle auf Güter zu Luttrum zugunsten von St. Crucis apud Bethmere, 
d. h. im echten Ding zu Bettmar, vgl. LüntzeL, Ältere Diözese Hildes- 
beim, p. 116 u. 117. Anwesend waren Geistliche, Hugo de Vemelhusen item 
milites dominus Hermannus de Westenem, Cesarius de Woledhe, Lodewicus de 
Lyndethe, Winandus advocatus, Tydericus pater Bertoldi, sämtlich Ministerialen. 

Urkb. des Hist. Vereins f. N.S. II. (Walkenried) Nr. 357 (ao. 1268), Nr. 464 
{ao. 1281 XI. 1): Verkauf der Erbgüter der Familie de Piscina zu Ebelingerode 
im Grafengericht der Grafen von Wernigerode. Zeugen sämtlich Ritter und 
Stadtbürger. 


77) Dieses bischöfliche Herrschaftsgebiet, dessen Hauptteil allerdings im 
Gau Astfalon oder Ostfalen lag, umfaßte auch angrenzende kleine Gaue oder 
deren Teile, soweit sie seit alters unter der unmittelbaren Herrschaft des 
Bischofs standen. Dies war sicher der Fall für den ganzen kleinen Gau 
Scotelingen (Scotelingo) und Teile der Gaue Valethoungon, Guddingo, Aringo 
und vielleicht auch Flenithi. Für diesen ganzen bischöflichen Grafschafts- 
bezirk war das echte Ding des bischöflichen Vogts, das gelegentlich wohl 
auch an den alten Dingstätten dieser Gaue abgehalten wurde, zuständig. 
Vgl. LÜNTZEL, Ältere Diözese, p. 128—156. LÜNTZEL, Geschichte der Stadt 
und Diözese Hildesheim, II. p. 21. 


18) Die Gratschaft im südwestlichen Teil des Bistums bleibt im unmittel- 
baren Besitz des Bischofs, vgl. LÜNTzZEL, Ältere Diözese Hildesheim, p. 107 
bis 110; DERSELBE, Geschichte der Stadt und Diözese Hildesheim 1858, II. p. 121. 
Hildesh. Urkb. I. Nr. 517 (ao. 1195). In diesem Bezirk hält der bischöfliche 
Vogt das echte Ding ab. Vgl. die vorstehende Urkunde: Duas areas in villa 
Montis (Örtlichkeit nahe bei Hildesheim, LÜNTzEL, Geschichte etc. II. p. 176) 

. comparavit et donavit . . . confirmante donationem eandem episcopo 
Bernone in communi sinodo et advocato Luppoldo civili iure in placito 
suo. II. Nr. 754 (ao. 1246 IV.19). DœBNER, Urkundenbuch der Stadt Hildes- 
heim, I. Nr. 188: Conradus episcopus ... praesidentibus nobis iudioio et 
Bertholdo advocato de antiquo foro residente pro tribunali. Vgl. auch unten 
Anm. 80. 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 109 


79) Vgl. LÜNTZEL, Geschichte der Diözese und Stadt Hildesheim, 1858, 
II. p. 121. Andere Beispiele vgl. Hildesh. Urkb. I}. Nr. 296 (ea. ao. 1280), 
Nr. 616 (ca. ao. 1240): Cum pro petitione canonicoram Montis Henede 
presideremus (Conradus episcopus) cause. 

80) Die älteste mir bekannte Gerichtsurkunde ist die Übertragung des 
Eigengutes des Heinrich von Insula zu Förste, die am Ort ad piscinas statt- 
fand, aus dem Jahr 1189. Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 474 (ao. 1189). Zeugen: 
Hugo advocatus (der Bruder des Schenkers und wohl Gerichtshalter), Lippol- 
dus de Eschere, Lippoldus filius advucati, 

Everhardus de Embrike: ebenfalls bekannte Dienstmannsfamilie, vgl. Hildesh. 
Urkb. I. p. 743. 

Matheus de Barem, Luderus de Sutherem, Conradus de Sutherem: vgl. I. 
Nr. 592 (ao. 1204): Conrad von Sorsum unter Ministerialen. I. Nr. 678 
(ao. 1215 III. 24): Luderus miles de Sutherem. 

Ferner Nr. 730 (ao. 1219). Die hier erwähnten Brüder Volcmar und 
Ludolf von Ysissem gehören wahrscheinlich zur Familie von Itzum. Diese 
erscheinen bis 1215 V. 1 (I. Nr. 679) als bischöfliche Dienstleute. Ein Vol- 
marus de Issem ao. 1239 als Dienstmann der Grafen von Pyrmont (II. Nr. 550). 
Die Brüder Volcmar und Ludolf von Ysissem übertragen ihr Eigen zu 
Wennerden bei Sarstedt an das Kloster Escherde. Die Urkunde ist nicht 
ausdrücklich als Gerichtsurkunde bezeichnet. Jedoch muß das Geschäft als 
Eigentumsübertragung im echten Ding stattgefunden haben, und von den 
Zeugen heißt es, presentes erant cum hec facerent: 


Arnoldusde Vorenholte: Nr. 692 (ao. 1204) unter hildesheimischen Mini- 
sterialen. II. Nr. 1116 (ao. 1259 IX. 14): Heinrich de Vorenholte, Lehns- 
herr des Ritters Engelbert Surink. III. Nr. 651 (ao. 1288 X. 29): 
Arnold und Brüder, Eigentümer einer Mühle zu Jeinsen. Nr. 1128 
(ao. 1297 II. 8): Reiner de Vorenholt, Zeuge in einem Geschäft über 
Güter in der großen und kleinen Grafschaft. 

Henricus de Genhusen. Reinbertus de Jenhusen: Zeuge in comicio des 
Grafen von Lauenrode, II. Nr. 404 (ao. 1234). 

Lyppoldus de veteri foro: bekannter hildesheimischer Ministerial, 
vielleicht Vogt und Gerichtshalter, seit 1204 (I. Nr. 589 XI. 7) als 
iuvenis advocatus bezeichnet. 

Arnoldus Covot: aus der Familie der Freien von Flöthe, damals Hildes- 
heimer Ministerial, I. Nr. 674 (ao. 1214 V. 20). 

Bernardus de Embereke: hildesheimischer Ministerial, vgl. II. Nr. 144 
(a0. 1225—1227), Nr. 249 (a0. 1227), Nr. 294 (ao. 1230). 

Ludolfus Colink: aus der Familie der Herren von Betheln, vgl. III. Nr. 81 
(ao. 1264 ca.), hildesheimische Ministerialen. 

Theodericus de Bernethen, (Baruten, südlich von Sarstedt), III. 
Nr. 1412 (ao. 1808 IL. 22): Ludolf von Bernten, Lehnsmann des Ritters 
Adolf von Holte. Vgl. Note Nr. 82. 


110 W. Wittich 


Godescalcus de Covinge. IT. Nr. 417 (ao. 1235 VII. 4): Hermannus et 
Godescalcus de Covinge unter den liberi des greveding des Vogts 
Bertold. Vgl. Note Nr. 81. 

Johannes dapifer: aus der Familie von Sorsum (Sutherem), III. p. 817 
(ao. 1244 IV. 9). 

Volcmarus dives, Conradus Peutingus, Everhardus Galle, 
Ludolfus filius Eckehardi Rufi: wohl hildesheimische Bürger, 
die jedoch auch sonst als Echtedingszeugen vorkommen I. Nr. 649 
(ao. 1211). Vgl. I. p. 762. Nr. 696 (ao. 1217 VII. 2). 

Johannes de Senethe. I. Nr. 667 (ao. 1213 XI. 13): derselbe unter 
hildesheimischen Ministerialen als servus, oder ist es der hildesheimische 
Bürger gleichen Namens Nr. 638 (ao. 1210 VI. 2)? — 

Arnoldus de Blikkenstede: hildesheimischer Ministerial I. Nr. 674 
(ao. 1214 V. 20) oder ao. 1194. 

Conradus de Wasle: in der gleichen Urkunde I. Nr. 674 unter hildes- 
heimischen Ministerialen. — 


Die wichtigsten Grafengerichtsurkunden aus dem bischöflichen Ostfalen 
handeln über den Verkauf der Erbgüter der Edelherren von Depenau zu 
Giesen an das Kloster St. Godehard; vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 416 (ao. 1235 
vor VII. 4), Nr. 417 (ao. 1235 VII. 4). Nr. 416: Dehinc eadem bona in comicio, 
quod vulgariter dicitur grevedincg . .. resignavi excepto filio meo Volrado, 
qui presens esse non poterat ... 


Bertoldus advocatus Montis, qui eidem presedit placito ...: 
Bertold, Vogt des Moritzstifts aus der Familie von Altenmarkt, ist zugleich 
Vogt des Bischofs im bischöflichen Ostfalen, vgl. DOEBNER, Urkundenbuch 
der Stadt Hildesheim, I. Nr. 188 (ao. 1246 IV. 19). 

Huic placito preerant liberi: 

Widoldus de Embereke; der Name Widold ist sonst im Geschlecht 
von Emmerke nicht bekannt. Jedoch ist die Zugehörigkeit des Widold zur 
Ministerialenfamilie von Emmerke nicht zweifelhaft. 

TheodericusetBertoldus deRothinge; diese beiden sind sicher 
Mitglieder der angesehenen Familie der Dienstleute vom Rössing. Dietrich 
wird oft erwähnt, vgl. II. p. 663. Bertold von Rössing (Beyer) IV. Nr. 861 
(a0. 1317). 

Theodericus de civitate ist höchst wahrscheinlich ein Bürger von 
Hildesheim, vgl. IL. p. 609. Über seine Identität mit Theodericus de Ber- 
nethen (Barthenem?) vgl. oben p. 30 u. 31. 

Diese liberi sind unzweifelhaft die Grafschaftsschôffen; sie werden in 
Nr. 417 liberi . .. eiusdem placiti procuratores genannt. Die folgenden Zeugen 
zerfallen in Geistliche und Ministerialen. Unter den Ministerialen stehen 
zuerst die Ritter (milites), dann die Knappen (servi). Die Dienstleute sind, 
soweit ersichtlich, bischöflich. — | 

Nr. 417 (Regest): Volrad von Depenowe gibt seine Zustimmung zur Ver- 
üußerung seines Vaters Dietrich: subscriptis testium nominibus, qui fuit 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 111 


Bertoldus advocatus, qui eidem presedit placito, . ..es folgen hildes- 
heimische Ministerialen; ... liberi etiam eiusdem placiti procuratores: 

Hermannus et Godescalcus de Covinge. Gottschalk von 
Covingen nur I. Nr. 730 (ao. 1219), wohl ebenfalls als Grafschaftsschöffe 
erwähnt. Es ist denkbar, daß er ein Grafschaftsfreier war. 

Tidericus et Johannes etEilardus de Rotdinge gehören zur 
Ministerialenfamilie von Rössing. Über Johannes vgl. I. Nr. 679 (ao. 1215 V. 1). 

Jordanus, Jodolfus et Thetmarus de Barthenem. Sie 
gehören höchstwahrscheinlich zu der I. Nr. 730 (ao. 1219) erwähnten Familie 
von Barnten. Nur Ludolf von Barnten als Lehnsmann der v. Holte er- 
wähnt. Er war möglicherweise Hildesheimer Bürger. 


81) Das Dorf Covingen ist eine Wüstung bei Eldagsen. Es befand sich 
dort eine Mühle des Moritzstifts (III. Nr. 1409, nach ao. 1302) und eine Mühle 
und drei Hufen der Edelherren von Adenoys, die ao. 1304 V.6 an das Kloster 
St. Michael in Hildesheim übergingen (III. Nr. 1473, ao. 1304 V. 6). Nach 
der Urkunde Nr. 1409 (ao. 1302) gehörte Covingen zur Obedienz Barnten 
des Moritzstifts, muß also unweit von Barnten zu suchen sein. Beide Dörfer, 
Barnten und Covingen, lagen nahe beieinander im Gau Scotelingen, vgl. 
LixTzeL, Ältere Diözese, p. 129 u. 130. 


82) Urkb. d. Hist. Vereins f. N.S. IV. (Marienrode) Nr. 136 (ao. 1303 II. 22)- 
Adolfus miles dictus de Holte bezeugt, daß das Kloster Marienrode a Ludolfo 
de Berenten in Dammone iuxta Hidensem commorante ... quandam insulam 
aput Leinam inter Berenten et Roddinge situm, que vulgariter Besenwerdere 
dicitur, emptionis titulo comparasset. Ego quia ipsius ad me proprietas per- 
tinebat recepta eius resignatione a predicto Ludolfo, qui eam a me in pheudo 
tenuit, ipsam dicto monasterio .. . dedi. 

Stadt Hildesh. Urkb. ed DÖBNER III. Nr. 395 (ao. 1409 IV. 2): Heineke 
von Barnten. Nr. 487 (ao. 1411 IV. 21), Nr. 898 (ao. 1419 VII. 7) Nr. 998 
(ao. 1422 IV. 25). p. 329 Cord von Barnten. 

Urkb. d. S. Hannover, Anhang Bürgerbuch 1303—1369, ao. 1357 Henninc 
de Bernten, ao. 1367 Bertold van Bernte. 

83) HEcK (Der Sachsenspiegel und die Stände der Freien, p. 361 ff.) zweifelt 
daran, daß die in den beiden bischöflichen Grafengerichtsurkunden vom Jahr 
1235 als Schöffen auftretenden Widold von Emmerke und Dietrich, Bertold, 
Johann und Eilard von Rössing Angehörige der gleichnamigen Ministerialen- 
geschlechter gewesen seien. Sein Hauptbedenken gegen die Zuweisung be- 
steht darin, daß in der Familie von Emmerke der Name Widold nicht vor- 
kommt, und daß im Rittergeschlecht von Rössing nur die beiden häufigen 
Namen Dietrich und Johannes sich finden. Außerdem meint er, daß die 
Bezeichnung liberi für dienstmännische Schöffen sehr unwahrscheinlich sei. 
In Ostfalen findet sich allerdings diese Bezeichnung nicht, dagegen ist 
sie in Westfalen und schon in Engern sehr häufig, vgl. Wirricx, Grund- 
herrschaft, p. 132 * (Anlagen) Anm. 2, und ferner Westfälisches Urkundenbuch IV. 
(Paderborn) Nr. 2488 ao. 1298 . . . insuper liberis nostris hominibus . . . Johanne 


112 W. Wittich 


de Alvessen. Dieser ist ein ritterlicher Dienstmann (Nr. 1142 und 1161). 
Für die Zugehörigkeit von Dietrich und Johannes von Rössing zum gleich- 
namigen Ministerialengeschleeht entscheiden meines Erachtens die beiden 
Vornamen, die sich zur selben Zeit in der Ritterfamilie von Rössing finden. 
Für die Zugehörigkeit Widolds von Emmerke entscheidet die Tatsache, daß 
in den beiden älteren Grafengerichtsurkunden von 1189 und 1219 Mitglieder 
des Ministerialengeschlechts von Emmerke unzweifelhaft unter den Dinggenossen 
auftreten, vgl. Anm. 80. Ich bin daher der festen Überzeugung, daß die 
in den Urkunden von 1235 auftretenden Schöffen von Emmerke und Rössing 
gleichen Stammes mit den Ministerialengeschlechtern dieses Namens waren. 
Ich halte es auch für höchst wahrscheinlich, daß sie mit den gleichnamigen 
Ministerialen identisch bezw. selbst dienstmännisch waren. Es ist jedoch 
denkbar, daß sie selbst Grafschaftsfreie waren und so die freigebliebene 
Linie eines in seinen übrigen Gliedern ministerialisch gewordenen Geschlechts 
bildeten. Wir würden also hier einen ähnlichen Zusammenhang zwischen 
(rafschaftsfreien und Ministerialen feststellen, wie wir es bereits bei der 
Familie von Lopke (Anm. 56) getan haben. Jedoch halte ich die dienst- 
männische Stellung der liberi für wahrscheinlicher. 


84) Hildesh. Urkb. II. Nr. 404 (ao. 1234): Dietrich von Depenowe gibt 
mit Zustimmung seiner Frau und seiner Söhne zwei Hufen in Algermissen 
an St. Godehard: ... mansos ... presentibus comitibus Conrado scilieet 
et Heinrico de Lowenroth ... in comicio resignavi. Es findet hier eine 
Auflassung vor dem echten Ding der Grafschaft der Grafen von Lauenrode 
statt. Wahrscheinlich gehörte Algermissen zur kleinen Grafschaft, de im 
Jahr 1246 der bischöfliche Vogt in einer Streitsache über Güter zu Alger- 
nissen das Urteil fällte. Denn inzwischen war die kleine Grafschaft an den 
Bischof abgetreten worden. Vgl. oben p. 19 ff. — und DŒBKNER, Urkundenbuch 
der Stadt Hildesheim I. Nr. 188 (ao. 1246 IV. 19). 


lluius actionis testes sunt comites iam dicti et milites: 


Olricus de Ilthenem: II. Nr. 146 (ao. 1225—1247) unter Hildesheimer 
Ministerialen. Urkundenbuch der Stadt Hannover ed. GROTEFEND- 
FIEDLER, Nr. 24 (ao. 1259 VII.): Derselbe unter Burgmannen der Burg 
Lauenrode. 


Everardus de Alten, Hildebrandus de Herberge: Ministerialen der 
Grafen von Lauenrode, II. Nr. 414 (VI. 1 ao. 1235). 


Vulcoldus de Hanese: Die Familie von Hahnensee ist spätestens 1248 (vgl. 
II. Nr. 691 ao. 1243 XII. 22) in der welfischen Dienstmannschaft 
II. Nr. 301 (ao. 1230): Zeuge bei Geschäft des Grafen von Poppen- 
burg; ob dessen Ministerial? — Ein Thidericus de Hanense erseheint 
schon 1196 (I. Nr. 522) in unsicherer Stellung, doch wohl als hildes- 
heimischer Dienstmann. 1234 Volcoldus wohl lauenrodischer Dienstmans. 


Volcoldus Clamator ist sicher lauenrodischer Dienstmann, vgl. IL Nr. 445 
(a0. 1236 II. 16) u. Nr. 662 (ao. 1242 VII. 17). 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 113 


Hinricus de Winninghusen: II. Nr. 452 (Hildesh. Urkb. ao. 1286 V. 3) 
unter bischöflichen Ministerialen. Trotzdem scheint er ao. 1284 lauen- 
rodischer Dienstmann zu sein, da er 1225 unter solchen erscheint, vgl. 
Urkundenbuch der Stadt Hannover Nr. 4 (ao. 1225 ca.), auch Lehnsleute 
der v. Depenau, vgl. a. a. O. Nr. 20 (ao. 1257 VI. 28): Conrad von 
Winninghausen. 

Bertoldus de Eiem (Eime). II. Nr. 684 (ao. 1241 VI. 6): Bertoldus de 
Eihem unter servi des Hildesheimer Bischofs. 


Winandus frater domini Bertrammi: Dieser Winandus ist nach Ur- 
kundenbuch der Stadt Hannover ed. GROTEFEND-FIEDLER, p. 5, Anm. 3 
der erste Vogt von Hannover, der urkundlich erwähnt wird. Er 
gehört wahrscheinlich der Familie von Wagenzelle an und ist sicher 
lauenrodischer Dienstmann. 

Halto de Netthe, Bertrammus de Croppenstede: Beide er- 
scheinen bei dem Geschäft der v. Depenau zu Giesen als Zeugen unter 
hildesheimischen servi. Vgl. U. Nr. 416 (ao. 1235 vor VII. 4) u. 
Nr. 417 (ao. 1235 VII. 4). Jedoch scheinen sie keine lauenrodischen 
Ministerialen gewesen zu sein. Die de Nette erscheinen häufig bei 
Geschäften der Grafen von Woldenberg, vgl. II. Nr. 398 (ao. 1234 
X. 26) u. Nr. 797 (ao. 1247 bis 1252). Nr. 570 (ao. 1240 VI. 21): unter 
servi; ob des Bischofs oder des Grafen von Woldenberg ? 


Cives de Lowenroth, Eilardus, Symon Sutor et Bodo filius 
suus, Johannes de Wilflede, Nandvicus Vitulus, Con- 
radus de Rethen, Volcoldus de Emee, Waltherus filius 
Esici, Albertus et Heinricus de Hottenem, Reinbertus 
de Jenhusen, Ludolfus filius Eilardi Pollicis. Diese 
Personen sind sämtlich hannoversche Bürger, vgl. Urkundenbuch der 
Stadt Hannover, Nr. 4 (ao. 1234). Jedoch sind einige dieser Bürger 
auch als Dienstleute oder vielleicht als Freischöffen nachweisbar. Vgl. 
Anm. 86. 

85) Conradus de Rethen, vgl. Urkundenbuch der Stadt Hannover 

Nr. 3 (ao. 1215 wohl als Bürger), Nr. 17 (ao. 1255 ca.): dominus Conradus, 

dominus Rabodo fratres de Rethem milites, Burgmannen der Lauenrode. 

Hildesh. Urkb. II. Nr. 146 (ao. 1225—47): Conradus de Rethen unter Hildes- 

heimer Ministerialen. 

Volcoldus de Emne, Hildesh. Urkb. I. Nr. 522 (ao. 1196 ca.): Heinricus 

de Emne Zeuge, wahrscheinlich bei Eigenübertragung. Nr. 526 (ao. 1196, 

1197), Nr. 581 (ao. 1197): Constantinus und Fridericus de Emne, ebenfalls 

Eigenübertragungen. Nr. 522 (ao. 1196): bischöfliche, St. Michaelsmini- 

sterialen, dann als Zeugen Godescalcus de Osterode, Bernhardus de Tithe, Rein- 

holdus de Hottenem, Fridericus, Constantinus, Heinricus de Emne, Thidericus 
de Hanense. 


Albertus et Heinricus de Hottenem, Hildesh. Urkb. I. Nr. 654 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtachaftsgrechichte. 1V. 8 


114 W. Wittich 


(ao. 1212 IV. 30), Heinricus unter Hildesheimer Ministerialen. Nr. 522, 596, 581 
(ao. 1196—1197): Reinholdus de Hottenem mit Emne und Hanense. 
Reinbertus de Jenhusen, Hildesh. Urkb. I. Nr. 668 (ao. 1218): Rein- 
hardus miles de Jenhusen. Nr. 689 (ao. 1216): Ludeger de Geinhusen unter 
Ministerialen der Grafen von Hallermund. Nr. 730 (ao. 1219): Henricus de 
Genhusen unter bischöflichen Ministerialen, Eigentumsübertragung. 


86) Vgl. S. Ld.R. lib. I. Art. 2882 u. 3. v. ZALLINGER, Schöffenbarfrese, 
p. 227-287. p.237: alle Männer eines schöffenbaren Geschlechts . .. waren 
in allen Grafschaften zur Ausübung des Schöffenamts berechtigt, wo das 
Geschlecht bezw. die einzelnen Grundbesitz (Eigen) hatten. HFcK, Sachsen- 
spiegel etc., p. 251—256. Vgl. unten p. 36 ff. ($ 5). 

87) Vgl. oben Anm. 73 die Ergebung des Freien Ekbert an den Bischof 
von Hildesheim. In der Ergebung der Herren von Barmstede an den Ers- 
bischof Gerhard von Bremen ao. 1257 ist von Auftragung des Eigens keine 
Rede mehr, vgl. SUDENDORF, Urkundenbuch Bd. IX, p. 210. 

88) Hildesh. Urkb. I. Nr. 751 (ao. 1220 ca.): Filii Arnoldi Covoti Symon 
et Arnoldus ... super quibusdam bonis in Flothede et in Wenethusen 
diu moverunt questionem pro eo, quod sine consensu suo vendita esse dicebant, 
patre suo respondente, quod tempore vendicionis bonorum illorum ambo innati 
erant, preterea quod illa bona suum beneficium hereditarium non 
erant, sed ea in beneficio racione hominii et non nostre (des Bischofs) 
ministerialitatis habebat et unum mansorum in proprietatem emerat, 
unde ei talia bona dimittere et mansum sic habitum vendere sine filiorum 
suorum consensu, eciam si tunc nati fuissent, bene licebat. Entscheidung 
im Kapitel, daß der Vater dies beschwören solle und dann die Söhne abzu- 
weisen seien. Vgl auch I. Nr. 567 (ao. 1202). 

89) Vgl. SCDENDORF, Urkb. IX. p. 188 (ao. 1203): Eine nobilis matrona 
soll Güter iure ministerialis ecclesiae besitzen dürfen, non obstante titulo 
libertatis. 

Hildesh. Urkb. III. Nr. 662 (ao. 1283): Güter werden verliehen jure 
feodali ministerialium, quod vulgo dicitur hovelen. 

90) Erblichkeit der Hoflehen, auch Frauen erben, vgl. Hildesh. Urkb. I. 
Nr. 201 (ao. 1132—1141): ... ministerialis ecclesie nostre Lamburg nomine 
beneficium, quod illa a nobis paterna successione susceperat . .. — Vgl. auch I. 
Nr. 751 (ao. 1220). Nr. 581 (ao. 1197). II. Nr. 262 (ao. 1228). 

Auch Dienstrecht des Grafen O. von Teklenburg 8 9, Hildesheimer 
Dienstrecht, bes. $$ 4 u. 6. 

91) Nur ausnahmsweise gibt der Dienstherr der Ministerialen diesen Lehen 
racione hominii (iure liberorum), vgl. Hildesh. Urkb. U. Nr. 5756. Die Regel 
ist, freies Lehen hat der Dienstmann vom fremden Herrn, II. Nr. 689. 

92) Hildesh. Urkb. I. Nr. 567 (ao. 1201). 

98) Vgl. Note 88 u. Hildesh. Urkb. I. Nr. 200 (ao. 1182). III. Nr. 189 
(ao. 1268 II. 26). 

94) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 200 (ao. 1132), Nr. 487 (eo. 1198). 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 115 


Cod. dipl. Anhalt. ed. v. HEINEMANN, I. Nr. 419 (ao. 1150). 

Im 13. Jahrhundert wird dieses Beispruchsrecht nicht mehr erwähnt. 

Hildesh. Urkb. I. Nr. 581 (ao. 1203), Nr. 589 (ao. 1204) III. Nr. 189 
{ao. 1268). Ein Konsensrecht des Herrn scheint sich erhalten zu haben, vgl. 
HECK, Sachsenspiegel etc., p. 552 Anm. 3 und III. Nr. 190. 

95) Die gewöhnliche Bezeichnung ist proprietas (vgl. die in den vor- 
stehenden Anmerkungen zitierten Urkunden). 

Jedoch kommt auch hereditas bezw. hereditarius vor, z. B. Hildesh. 
Urkb. I. Nr. 200, 222, 225, 348 (partim hereditario, partim benefleiali iure 
possederant) u. 8. w. 

Selten ist patrimonium, z. B. Annales Stederburgenses, ao. 1182 VI. 13 
(M. G. h. SS. XVI. p.216). Hildesh. Urkb. II. Nr. 47 (oben Eigen?). 

Ebenfalls selten ist allodium für proprietas. Jedoch kommt es vor, z.B. 
Walkenrieder Urkundenbuch I. Nr. 175 (ao. 1231): Heinrich von Libenrode 
gibt de suo allodio ... tantumdem in recompensationem feodi ... Danach ist 
HECK, Sachsenspiegel etc., p. 552 ff. zu berichtigen. 


96) Vgl. über die Beschaffenheit der Eigengüter die Beilage über die älteren 
Standesverhältnisse der Herren von Alten, $ 3, daselbst p. 174 Anm. 1 auch 
Nachweise über die Erbhölzer (Sundern). 

97) Vgl. LüntzEL, Geschichte der Diözese und Stadt Hildesheim, 1868, 
I. p. 294. 

98) Die folgende Aufzählung der nach dem Ort des Eigens heißenden 
Dienstmannsgeschlechter ist nicht erschöpfend, nur die bezeichnendsten Bei- 
spiele sind aufgeführt. Vom Hildesheimer Urkundenbuch wird nur der Band 
und die Urkundennummer zitirt. 

Escherde I. 581. Altendorf I. 242. Hollenstedt I. 664. Rössing, SUDEN- 
DORF II. 40. Gustedt, SCDENDORF I. 476. Dinklar III. 99, 208. Kemme 
III. 98. 268. Sorsum II. 900. Mehle I. 200. Agersheim (Eggersen) I. 348. 
Schwiecheldt I. 317.348. Bethmar I. 560. Rosenthal II.709. Giesen II. 800. 
Rautenberg III. 189. Ebelingerode (Piscina) II. 270, ferner Urkb. Walken- 
ried I. 516. Westerlinde (Linnethe), Annal. Stederburg. M. G. h. SS. XVI. 
p. 219. Vimmelse, a. a. O. p. 216. Levedhe (Lewe), a. a. O. p. 217. Hemstide, 
a. a. O., 229. Mahner II. 656. Garbolzum III. 876. 

99) Vgl. LÜNTZEL, Geschichte der Diözese und Stadt Hildesheim, 1858, 
II. p. 92. 

100) So glaube ich bestimmt, daß die Vogtsfamilie von Altenmarkt mit 
den Herren von Escherde eines Stammes ist, vgl. Anm. 201. Ebenso 
gehören die Truchsessen im 12. Jahrhundert wahrscheinlich dem Geschlecht 
von Ochtersum an, vgl. Anm. 8. Die Herren von Piscina sind eines Stammes 
mit dem Geschlecht von Ebelingerode und haben in Ebelingerode ihre Eigen- 
güter, vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 270 (ao. 1229). Urkb. d. S. Walkenried 
Abt. 1 Nr. 357 (ao. 1263) u. 464 (ao. 1281). 

101) Vgl. v. ZALLINGER, Schöffenbarfreie, p. 227 u. 228. 

Gegen ZALLINGER jetzt HECK, Sachsenspiegel, p. 251 —-256. Ich glaube 


116 W. Wittich 


nicht, daß HECK die Haupteinwendungen ZALLINGERS gegen die Darstellung 
des Sachsenspiegels entkräftet hat. 


102) Vgl. v. ZALLINGER, Schöffenbarfreie, p. 233. 
HECK, Sachsenspiegel etc., p. 253. 
103) Vgl. oben Anm. 80. 


104) So erscheint Luppold von Escherde, dessen Hantgemal sicher zu 
Escherde im bischöflichen Ostfalengau lag, als Dinggenosse, wohl auch als 
Schöffe in dem echten Ding des Grafen von Wohldenberg zu Holle im 
Ambergau, vgl. Kalenberger Urkundenbuch ed. v. HODENBERG, IIL p. 16 
(ao. 1186). Über Eigen der Familie v. Escherde zu Ammenhusen und Walden- 
husen im Ambergau vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 421 (ao. 1183 III. 12). 


Ebenso erscheint Luppoldus de Escherde in der Gerichtsurkunde der 
Grafen von Woldenberg (a. a. O. Nr. 504 a. 1194 vor X. 28); unter den 
Zeugen daselbst auch der in der großen Grafschaft beheimatete Dietrich 
v. Alten, vgl. die Beilage, p. 132—138. 


106) Hec'x (Sachsenspiegel etc., p. 500 —515) bestreitet jede ständische Be- 
deutung des Hantgemals, ja er meint, daß für die Auslegung des Sachsen- 
spiegels die Bedeutung Heimat im geschichtlichen Sinn, Ort der Herkunft, 
vôllig ausreicht. Er verneint also, für den Sachsenspiegel wenigstens, sogar 
die Bedeutung des Wortes als Grundbesitz besonderer Art. Seine Polemik 
zegen die herrschende Ansicht ist insofern gerechtfertigt, als diese das Hant- 
gemal fälschlich als das unteilbare Stammgut eines Geschlechts, an dem die 
(teschlechtsrenossen nur Miteigentum oder Näherechte besitzen, ansieht. Wie 
im folgenden gezeigt werden wird, hatte das sächsische Hantgemal eine ganz 
andere tatsächliche und rechtliche Beschaffenheit. Im übrigen halte ich 
meine Ansicht über das Hantgemal in allen Stücken aufrecht. Gegen HEcK 
tällt entscheidend ins Gewicht die Stelle S. Ld. R. III. Art. 29 $ 1: Die man 
mut sik wol to sime hantgemale mit sinem eide tien, al ne hebbe he’s under 
ime nicht. Der Schöffenbare hat im Prozeß über das Hantgemal das Beweis- 
recht mit dem Eineid, auch wenn er nicht im Besitz ist. Under ime hebben 
heißt überall im Sachsenspiegel so viel wie detinere, in Gewahrsam halten, 
vgl. HomEYERr, Sachsenspiegel, 8. A. I. p. 486. Es ist also der körperliche 
Besitz des Hantgemals gemeint. Die bloß historische Beziehung auf einen 
Ort: der Herkunft ist hier nicht ausreichend. Die Auslegung HECKS als 
Heimat im geschichtlichen Sinn oder Ort der Herkunft scheitert also schon 
an dieser Stelle. Eine eingehendere Auseinandersetzung mit der Anschauung 
HECK<, die dieser selbst noch nicht abschließend begründet hat (p. 504), ist 
mir leider an dieser Stelle nicht möglich. Ich gebe daher im folgenden 
meine Ansicht über die Bedeutung des Hantgemals, die ich lange vor dem 
Iirscheinen des Hi:ckschen Werkes niedergeschrieben hatte, unverändert 
wieder. Ich glaube übrigens, daß wenigstens ein Teil der Bedenken Hxcks 
gegen die ständische Bedeutung des Hantgemals durch meine Auffassung 
“ehoben wird. 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 117 


106) Vgl. HOMEYER, Über die Heimat nach altdeutschem Recht, insbesondere 
über das Hantgemal, Berlin 1852, p. 43 u. 44. 

107) Vgl. HOMEYER a. a. O., p. 45-68. Über die Urkunde p. 18 ff. 

108) Vgl. S. Ld.R. lib. III. Art. 26 $ 2. 

109) Vgl. v. ZALLINGER, Schöffenbarfreie, p. 237. 

110) Vgl. S. Ld.R. I. Art. 51 $ 4: Svelk scepenbare vri man enen sinen 
genot to kampe an sprikt, die bedarf to wetene sine vier anen unde sin 
hantgemal unde die to benomene oder jene weigeret ime kampes mit rechte. 

111) Vgl. S. Ld.R. III. Art. 298 1: Nen scepenbare man darf sin hant- 
gemal bewisen noch sine vier anen benümen he ne spreke enen sinen genot 
kampliken an. Die man mut sik wol to sime hantgemale mit sinem eide 
tien, al ne hebbe he’s under ime nicht. 

112) Vgl. HOMEYER, Heimat nach altdeutschem Recht, p. 48 u. 44. 

ZALLINGER, Schöffenbarfreie, p. 227. 

113) Vgl. Monumenta Boica, Bd. VII. p. 433—6503. 

H. PETz, Drei bayrische Traditionsbücher aus dem 12. Jahrhundert, 1880. 

Eine ähnliche Stelle findet sich Monumenta Boica, II. p. 173 ff., 12. Jahr- 
hundert: „Fuit in Bavarie Provincia comes illustris prosapie Chuno vocatus ... 
cuius genuinus et cognationis et posterorum eius postmodum communis locus 
usque hodie Uranthenhausen nuncupatur.“ 

114) Vgl. HAUTHALER, Salzburger Traditionsurkunden, C. Od. 100a, 68, 
44b. F. E. KLEINMAYERN, Nachrichten vom Zustande der Gegenden und 
Stadt Juvavia, 1784, Anhang, p. 145, 155, 175 u. 194 (Urkunde... . et dempsit 
partem unam pro libertate tuenda ao. 963—976). 

115) Vgl. F. E. KLEINMAYERN, Juvavia, p. 194. 

116) Vgl. Homevir, Die Heimat nach altdeutschem Recht, p. 24—29. 

117) Indifferent sind S. Ld.R. I. 51 $ 4, III. 26 8 2, III. 29 $ 1 erster 
Satz. Der zweite Satz über das Beweisrecht des Schöffenbaren mit Eineid 
spricht für körperlichen Besitz des Hantgemals bei allen Schöffenbaren. 

118) Vgl. HOMEYER, Sachsenspiegel, Bd. I. (3. Auflage, Berlin 1861) 
p. 401 (unter Besitz) u. p. 485 (unter under). 

119) Vgl. HosEYeEr, Heimat, p. 66; über das forum duelli als echtes forum 
und die anderen Gerichtsstände als auswendige fora vgl. HOMEYER a. a. O., 
p. 54—61. 

120) Vgl. S. Ld.R. I. 34 S 1. HOMEYER, Heimat, p. 4 Anm. 5. HECK 
(Sachsenspiegel etc., p. 94—97) meint, die halbe Hufe sei nicht das Besitz- 
minimum des Pfleghaften gewesen, sondern der Minimalbesitz, bei welcheiu 
die Dingpflicht des Schöffenbaren gesichert erschien. Er bezieht die Stelle 
überhaupt nicht auf Pfleghafte, sondern nur auf Schöffenbare. 

121) Vgl.v. UsLAR, Geschichte der Grafen von Winzenburg, 1895, p. 309. 

122) Genau mit denselben Worten bezeichnet in einer thüringischen Ur- 
kunde vom Jahr 1122 der schöffenbarfreie Mann Heinrich von Bunrode sein 
Stammgut. Henricus de Bunrode de parentibus natus liberis, judiciariae 
dignitatis, cum non haberet filios hereditatis suae successores . . . . tradidit 


118 "W. Wittich 


ecclesiae . ... Reinartsbron... in ius proprium natalium suorum princi- 
palem locum Bunrode dictum (HOMEYER, Heimat, p. 85). Er begründet 
die VeräuBerung des Hantgemals mit seiner Kinderlosigkeit. Nur für seine 
Söhne hatte das Hantgemal eine rechtliche Bedeutung. Die Mitglieder seiner 
Sippe haben ihrerseits ihr Hantyemal, am Ort des Namens. Da er keine 
Söhne hat, so hat das Hantgemal nur noch für ihn selbst eine Bedeutung, 
und er schenkt aus frommer Gesinnung wohl in höherem Alter dieses Frei- 
heitsgut an das Kloster. 


123) Vgl. Hildesh. Urkh. I. Nr. 368 (ao. 1174 X. 19—21). Über diese Ur- 
kunde und ihre Bedeutung vgl. HEcK, Sachsenspiegel, p. 510ff. Auch HEck 
gibt zu, daß hier eine Übersetzuug von Hantgemal vorliegt. Seine sonstige 
Würdigung weicht natürlich von unserer Auffassung völlig ab. 


124) So ist das Stammgut der Grafen von Lauenrode wahrscheinlich im 
Dorf Letter nahe bei ihrem Familienkloster Marienwerder zu suchen. Im 
Dorf Letter haben alle Mitglieder des Geschlechts Eigengut, das sie an 
Marienwerder schenken. Zeitschrift des H. V. f. N.S. 1858, p.1ff. Kalenb. 
Urkb. VI., Hildesh. Urkb. III. Nr. 1561 (ao. 1806 I. 20). 

125) Vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 355 (ao. 1232). 

126) Vgl. Annales Stederburgenses (M. G. h. SS. XVII. p. 215) ao. 1182 
bis 1184: Bodo von Saldern gibt 18 jugera und eine area; p. 216, sein Bruder 
Ludolf gibt dasselbe, beides zu Lefforde. 

127) Hildesh. Urkb. I. Nr. 581 (ao. 1208): ... quidam ecclesie nostre mi- 
nisterialis Luppoldus de Escherthe... in proprietate sua Escherthe cenobium 
fundare disponens.... Die Vogtei wird ihm und seinen Söhnen auf 
Lebenszeit übertragen. 

128) Hildesh. Urkb. II. Nr. 274 (ao. 1229): Die Brüder Lippold und Diet- 
rich von Escherte sind Lehnsherrn über eine halbe Hufe zu Escherde. 
Nr. 467 (ao. 1236): Dietrich von Escherde verkauft drei Hufen und1l area 
zu Escherdc. Nr. 1007 (ao. 1256): Lippold (iunior) vom Altenmarkt Vogt 
(wohl aus dem Geschlecht von Escherde) gibt 40 Morgen. und 1 Hofstätte 
‚in Escherde an das Kloster Escherde, Lehen des Heinrich Westfal. Hildesh. 
Urkb. III. Nr. 72 (ao. 1264 XI. 6): Johann von Escherde gibt seine Güter 
zu Escherde an das Kloster Escherde. Nr. 81 (ao. 1264): Item et ipse 
Lippoldus de Esherte et dominus Johannes et Jordanis dicti de Escherte 
donaverunt nobis proprietatem super sedecim iugera et aream unam 
in Escherte pro remedio anime sue et amicorum suorum in Christo defanct. 
Nr. 219 (ao. 1268): Wohl das gleiche Geschäft. Nr. 700 (ao. 1285 Il): 
dimidius mansus habens XVI iugera in Escherte. Nr. 789 (ao. 1288 II. 1): 
Die von Bruggen von denen von Escherde mit 2 Hufen in Alt-Escherte 
belehnt. Nr. 1121 (ao. 1296): Dietrich und Hugo v. Escherde Lehnsherren 
über 40 Morgen und 1Hof zu Escherde. Nr. 540 (a. 1280): Jordan und 
Ludold von Escherde, Lehnsherren über 2 Hufen und 1 Hof zu Escherde. 

In ähnlicher Weise sind die Mitglieder der stammverwandten Familien 
Piscina und Ebelingerode im Dorf Ebelingerode begütert, vgl. Anm. 87, 98 u. 100. 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 119 


129) Hildesh. Urkb. II. Nr. 270 (s. a. ca. ao. 1229): Lippold vom Alten 
Markt (de veteri foro), Vogt des Moritzstifte, schenkt dem Kreuzstift 9 Morgen 
ia Nordstemmen. Nr. 271 (ao. 1229 VIII. 15): Bischof Konrad bestätigt die 
Sehenkung mit seinem Bann nach Findung des Olricus de Berningeroth (wohl 
sicher Eigentum). Dazu Hildesh. Urkb. I. Nr. 241 (ao. 1146 VIII. 3): Lin- 
delfus advocatus hat 50 jugera und zwei Höfe daselbst zu Lehen. Dieser 
Liudolfus gehört der Familie de Insula an, die mit denen von Altenmarkt 
gleichen Stammes ist. Vgl. JANICKE a. a. O., p. 769, 810 u. 812. I. Nr. 225 
(ao. 1141): Erbgut in Heisede des Vogts Liudoldus. 


130) Urkb. des H. Vereins f. N.S. IV. (Marienrode) Nr. 182 (ao. 1311 
VI. 29). Hildesh. Urkb. II Nr. 800 (no. 1247—64): Heinrich von Giesen 
verzichtet auf zwei Hufen zu Giesen in curia nostra (des Kreusstifts) sicut 
antea Holle (wohl im Grafengericht zu Holle). 


131) Hildesh. Urkb. II. Nr. 560 (ao. 1240) u. Nr. 701 (ao. 1248—1216). 
Der Stand des Werner von Bethmar ist unsicher. Er heißt Wernerus quidam 
de Bethmere. Es ist möglich, daß er ein Grafschaftsfreier war. Ein naher 
Verwandter, Johannes de Bethmar, erscheint als bischöflicher Knappe II. 660, 
875, 989, III. 70, 1059. Andererseits erscheint im Jahr 1281 (III. 569) eine 
Litonenfamilie des Kreuzstifts, deren Vornamen auf Verwandtschaft mit der 
Familie des Werner deuten. Es ist denkbar, daß die Familie verarmte und 
dann in die Hörigkeit des Klosters kam. 

Ähnlicher Vorbehalt des Ritters Hermann von Betheln beim Verkauf von 
Gütern zu Betheln, jedoch hier wahrscheinlich nicht Eigentum, Nr. 1089 
(a0. 1259), Nr. 1099 (ao. s. d.), Nr. 1062 (ao. 1258). 

132) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 734 (ca. ao. 1219). II. Nr. 883 (ao. 1251): 
Theodericus miles de Holle habuit in villa Luttenem aream unam et tria 
jugera. Einer seiner Söhne, Bertoldus, verzichtet apud Bethmere (im echten 
Ding) darauf. 

133) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 158 (ao. 1108). 

134) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 280 (ao. 1152 X. 13). 

Eine der vorbehaltenen Hufen war bischöfliches Lehen, die anderen 
sicher Eigen des Gründers. 

135) Westfälisches Urkb. IV. Nr. 2554 (ao. 1299 IV. 6). 

136) Vgl. Anm. 106. 

137) Vgl. Wırrıcan, Die Grundherrschaft in Nordwestdeutschland, 1896, 
p. 117* (Anlagen). 

HEcK, Altfriesische Gerichtsverfassung, 1894, p. 227, 242, 248. 

138) Annales Laurissenses, ao. 777 (M. G. h. SS. I p. 158). 

Vita Hludowici, cap. 24 (M. G. h. SS. II. p. 619). 

139) HECX, Sachsenspiegel etc., p. 510 u. 611. 

140) v. ZALLINGER, Schöffenbarfreie, p. 282. 

141) Vgl. Heck, Sachsenspiegel etc., p. 510 u. 511. Daselbst auch die 
folgenden Einzelheiten über die Herren von Wöltingerode. * 

142) Vgl. Anm. 122, 126, 129. 


120 W. Wittich 


So erledigt sich auch der Einwand HEcKs (Sachsenspiegel etc. p. 508 
u. 5ll), der gegen die Natur des Hantgemals als rechtlich erhebliches Eigen 
die Tatsache anführt, daß bei Veräußerungen solcher Güter immer nur ein 
enger Erbenkreis, nicht aber das ganze Geschlecht (die Sippe) konsentierte. 
Das Hantgemal war eben kein unteilbares Stammgut, das die Freiheit eines 
ganzen Geschlechts bedingte, sondern die im Sondereigentum befindliche par- 
ticula proprietatis, an der nur die nächsten Erben ein Recht und ein 
Interesse hatten. 

143) Vgl. HOMEYER, Heimat, p. 67, 80-85. 

144) Vgl. oben p. 34 und Anm. 98. 

145) Vgl. oben p. 9—16 und Anm. 19. 

146) Vgl. Anm. 20. 

147) Vgl. oben p. 16—18 u. 26. 

148) Vgl. LENTZEL, Ältere Diözese Hildesheim, 1837, p. 114. 

149) Über die Familie v. Eilstrenge vgl. oben Anm. 8 und p. 3 u. 4. 

Über die Familie v. Ödelum vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 444 (ao. 1186), 
Nr. 665 (ao. 1213 IV. 18), Nr. 679 (ao. 1215 V. 1) Kalenb. Urkb. III. p. 16, 
u. 8. W. 

Über die v. Schwiecheldt vgl. p. 54 u. 66. 

150) Vgl. WEBER, Die Freien bei Hannover, p. 2. 

151) Iiten, hildesh. Ministerialen, Hildesh. Urkb. II. Nr. 244, lauenrodische 
Dienstleute, II. Nr. 404. 

Ahlten, vgl. die Beilage; hildesh. und lauenrodische Dienstleute. 

Bilm, vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 380, hildesheimische Dienstleute. 

Höver, Hildesheimische Ministerialen, Hildesh. Urkb. I. Nr. 681. 

Sehnde, hildesh. Dienstleute, Hildesh. Urkb. I. Nr. 592, 638 (Bürger zu 
Hildesheim), 730. Ministerialen der Grafen von Lauenrode, Urkb. d. Stadt 
Hannover Nr. 4. 

Dolgen, Hildesh. Urkb. II. 102, III. 211, wahrscheinlich woldenbergische 
Dienstleute. 

Harber, hildesh. Dienstleute, Hildesh. Urkb. II. 641. 445. Lauenrodische 
Dienstleute, Hildesh. Urkb. III. 22 u. I. 649. 

Lopke, vgl. oben p. 19 u. 55 als hildesheimische Dienstleute. Als lauenrodische 
Dienstleute Hildesh. Urkb. II. Nr. 823 u. Urkb. d. St. Hannover Nr. 11a u. b. 

152) Vgl. Urkb. der Stadt Hannover Nr. 165 (ao. 1329 IX. 29). Lehns- 
leute der Herzoge 424 (ao. 1365 II. 3). 

153) Vgl. Zeitschrift des Harzvereins für Geschichte ed. JACOBS IV. (1871) 
p. 34 ff. Hildesh. Urkb. I. Nr. 174 (ao. 1117 V. 11). 

154) Vgl. Hildesh. Urkb. III. Nr. 1113 (ao. 1296 XII. 4). 

155) Vgl. oben Anm. 153. 

SUDENDORF, Urkundenbuch etc., IX. p. 55 (ao. 1886 VI. 20): Die von Salder 
verkaufen das ganze Dorf Evern vor dem (tografen zum Hassel an das Dom- 
kapitel zu Hildesheim. 

156) Vgl. Anm. 161. 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 121 


Über die v. Schwiecheldt als hildesheimische Dienstmannen vgl. p. 54 
u. 55. Als welfische Dienstleute z. B. Hildesh. Urkb. III. Nr. 22, 55. Die 
welfischen Herzoge waren Herren des Geschlechts als Nachfolger der Grafen 
von Lauenrode. 


157) Hildesh. Urkb. I. Nr. 730 (ao. 1219). II. Nr. 404 (ao. 1234). 
Kalenberger Urkundenbuch III. p. 16 (ao. 1186). 


158) Über die Lopke vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 265 (ao. 1228): ob nicht 
vielleicht Hantgemal und Eigen? 

Über die v. Harber und ihre bischöflichen Lehngüter daselbst Hildesh. 
Urkb. II. 641 (ao. 1241 XI. 24). Lehngüter des Geschlechts vom Grafen von 
Lauenrode, Zeitschrift d. H. V. für N.S., 1887, p. 148, 149, 150. 

Über den Lehnsbesitz der v. Ödelum zu Ödelum Hildesh. Urkb. I. Nr. 666, 
II. 836. 


159) Vgl. über Eigengüter der v. Ilten zu Ilten Altensches Urkundenbuch, 
p. 53: Sattelhof zu Ilten. 

Der v. Alten zu Ahlten vgl. die Beilage $ 3. 

Der v. Schwiecheldt zu Schwiecheldt p. 54 u. 55 u. Anm. 161. 


160) Hildesh. Urkb, I. Nr. 317 (ao. 1160 III. 7). 


161) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 348 (ao. 1169 XII. 21): Abt Arnold von 
St. Godehard kauft, um sich als guten Haushalter zu zeigen, alios tredecim 
mansos in eadem villa... et (wohl de) duobus fratribus Heinrico et Burg- 
hardo centum marcis consensu matris eorum Imika et sororum, quos partim 
hereditario iure partim beneficiali iure possederant. 


162) Vgl. Hildesh. Urkb. I. Nr. 407 (ao. 1181), 447 (ao. 1186—1190). 
Hildesh. Urkb. II. p. 666 (Index). IH. p. 907 (Index). 


163) Hildesh. Urkb. I. Nr. 678 (ao. 1215 III. 24). Auch in dem wahrschein- 
lich zur kleinen Grafschaft gehörigen Dorf Solsche war das Geschlecht von 
Schwiecheldt mit Eigen angesessen, Asseburger Urkb. I. Nr. 180 (um 1284). 

164) Vgl. oben p. 19 und Anm. 158. 

165) Vgl. v. ZALLINGER, Die Schöffenbarfreien des Sachsenspiegels, 
p. 27 u. 28. Dazu jetzt HECK, Sachsenspiegel etc., p. 302—323, 362—869. 

166) v. ZALLINGER, Die Schöffenbarfreien des Sachsenspiegels, p. 259 und 
260. p. 179: In der Grafschaft Mühlingen sind in der zweiten Hälfte des 
12. Jahrhunderts die ritterlichen Geschlechter (dieses Bezirks) in ihrer Masse 
noch Nobiles, d. h. Freie. Desgl. in der Grafschaft Seehausen, p. 91. Desgl. 
für die Grafschaft Aschersleben, p. 128, 136. Desgl. für den Gau Serimunt 
p. 152. 

167) Vergl. v. ZALLINGER, Schöffenbarfreie, p. 128, 268, 269. Dazu HECK, 
Sachsenspiegel, p. 549—579. 

168) Vgl. Heck, Der Sachsenspiegel etc., p. 302—560. 

169) Die erste Erwähnung des Halt von Biewende als Grafschaftsherr 
finde ich Hildesh. Urkb. I. Nr. 766 (ao. 1220-1237 IV. 18). Halt trat 1258 
in den Deutschen Orden, Hildesh. Urkb. II. Nr. 1069 (ao. 1258 V. 14). Seine 


122 W. Wittich 


Söhne Helmolt und Gunzelin 1259 noch als Lehnsherren erwähnt, I. Nr. 1111 
(ao. 1259 VIII. 1). 

Die Herren von Asseburg vielleicht schon 1253 im Besitz der Grafschaft, 
Asseb. Urkb. I. Nr. 274 (ao. 1253 V. 8). Sicher Grafschaftsherren, Asseb. 
Urkb. I. Nr. 334 (ao. 1268 IV. 2). 


170) Hildesh. Urkb. II. Nr. 261 (ao. 1228 VII. 12): coram testibus sub- 
scriptis Helmoldo filio meo, Alberto et Friderico fratribus de Winnimostede, 
Heithinrico de Ummenem (?), Ludolfo milite, Marquardo gogravio, Heinrico 
Noretse, Christiano de Esekenrothe, Sculteto Roperto, Rodolfo precone, Hen- 
rico plebano. 

Dazu Hildesh. Urkb. II. Nr. 375 (20. 1283): Heinricus Noretsen, Ministerial 
des Edlen Halt von Biewende. Zeugen Christianus, Marquardus, Fridericus 
milites et Albertus de Biwinde. 

Die Brüder Albert und Friedrich von Winningstede sind sicher identisch 
mit dem Ritter Friedrich und dem Albert von Biewende der Urkunde Nr. 375. 

Die Lesung Heidenreich von Ummenem ist unsicher. Sie waren wohl 
hildesheimische Dienstleute, Hildesh. Urkb. III. Nr. 179 (ao. 1267). 

Der Ritter Ludolf ist wohl identisch mit Liudolfus de Honlinden, einem 
welfischen Ministerialen, I. 504, 748, 756 (ao. 1220—1237 VI. 18). 

Der Scultetus Ropertus ist sicher identisch mit dem prefectus Ropertus 
de Dalem, I. 756 (ao. 1220—1237 VI. 18). Vgl. auch die Zeugenreihe dieser 
Urkunde mit derjenigen von II. 261. 

Es sind also 5 von den 8 Rittern mit Sicherheit als Ministerialen der 
Edelherren von Biewende anzusehen. 

171) Vgl. Heck, Sachsenspiegel, p. 350. 

172) Hildesh. Urkb. I. Nr. 766 (ao. 1220—1237 VI. 18). Hildesh. Urkb. IL 
Nr. 490 (ao. 1287 vor XI.) Asseb. Urkb. I. Nr. 384 (ao. 1268 IV. 9). 

178) Vgl. Asseb. Urkb. I. Nr. 884 (ao. 1268 IV. 2): Johannes de Senstode 
filius Hilleberti. Braunschweiger burgenses, Urkb. d. Stadt Braunschweig ed. 
HÄNSELMANN, 1900, II. p. 480 (ao. 1818). 

174) Hildesh. Urkb. II. Nr. 490 (ao. 1287 vor XI.): Albertus et Ekkehardus 
cives et alii quamplures. HÄNSELMANN, Urkb. d. 8. Braunschweig, II. p. 54 
hält sie für Bürger. 

Asseb. Urkb. 1. Nr. 334 (ao. 1268 IV. 2): Fredericus Grifo, Teoderices 
Tympo, Luderus iuxta vadum. Dazu Urkb. d. S. B. II. p. 580 u. 668. 

175) Vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 261 u. 490. Für die Identität beider Per- 
sonen spricht: 1. der gleiche Vorname, 2. das gleiche Objekt der Veräußerung: 
14 iugera, 3. der gleiche Erwerber, der Propst von Dorstadt, 4. die Beziehung 
der späteren Urkunde auf frühere Leistungen des Erwerbers, 6. entsehei- 
dend: die Miterben sind in beiden Urkunden frater et filia des Ver&nßerers. 

Vgl. auch HÂNSELMANN, Urkb. d. S. B., I. p. 540. 

176) Vgl. Urkb. der Stadt Braunschweig ed. HANSELMANN, II. p. 264 
(a0. 1802 IX. 21), 468 (ao. 1318), 540 u. s. w. 

177) Vgl. Hildesh. Urkb. II. Nr. 1111 (ao. 1969 VIII. 1). 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 123 


178) Vgl. Asseb. Urkb. I. Nr. 334 (ao. 1268 IV. 2). 


179) Hildesh. Urkb. II. Nr. 513 (ao. 1238 IX. 28): Heinrich von Kissen- 
brück belehnt vom Grafen von Woldenberg. III. Nr. 169 (ao. 1267 vor X. 11), 
Nr. 183 (ao. 1267). Eine Nonne Adelheid von Kissenbrück zu Dorstadt, II. 
Nr. 867 (ao. 1251 V. 26). Die Tochter des Dietrich Tosewulle hieß Adel- 
heid, II. 216 (ao. 1228 VII. 12). 


180) Asseb. Urkb. II. Nr. 1390 (ao. 1391 XI. 14) u. 1391. Berta, Witwe 
Hermanns von Kissenbrück, der daselbst in Kissenbrück gewohnt hatte, und 
ihre Söhne Boldwin, Sywert und Hans zu Kissenbrück versetzen an die von 
Asseburg den Zehnten zu Roden, Lehen von Wernigerode, das Leibgeding 
der Berta, und 2 Hufen regensteinsches Gut. 
181) Als solche betrachte ich die Zeugenschaft des Ritters Heinrich von 
Kissenbrück bei dem Kauf des Bürgers Dietrich von Kissenbrück zu Wester- 
biewende. Hildesh. Urkb. II. 1111. 
Ferner heißt ein Sohn der Berta von Kissenbrück Hans, vgl. die vor- 
stehende Anm. Hans heißt auch der Sohn des Bürgers Erembert von Kissen- 
brück zu Braunschweig, Urkb. d. S. Braunschweig II. p. 468 (ao. 1818). 
182) Vgl. Hildesh. Urkb. III. Nr. 1284 (ao. 1300 XII. 20). Dazu Asseb. 
Urkb. II. Nr. 775 (ao. 1317 VI. 29), 911 (ao. 1328 V. 11), 912 (ao. 1328 V. 11). 
183) Vgl. v. HAMMERSTEIN-LOXTEN, Der Bardengau, 1869, p. 497. 
184) Vgl. oben Anm. 14, Ergebung der fratres de Barmestede an den Erz- 
bischof von Bremen ao. 1257 V. 
185) Vgl. Denıo, Geschichte des Erzbistums Bremen-Hamburg, Berlin 1877, 
Bd. II. p. 80. 
186) Vgl. v. SPiLCKER, Geschichte der Grafen von Everstein, Arolsen 1833, 
p. 118ff. Derselbe im Archiv für Geschichte und Altertumskunde Westfalens 
ed. WIGAND, I. (1823) Heft 1. R. SCHRÔDER, Die Gerichtsverfassung des 
Sachsenspiegels, Weimar 1886, p. 32—886. 
187) Ich will nur zwei der charakteristischsten Urkunden anführen und den 
Stand der auftretenden Zeugen nachweisen. Westfälisches Urkundenbuch IV. 
ed. HOOGEWEG, Nr. 2488 (ao. 1298 IV. 25): Graf Otto von Everstein ent- 
bindet die Güter des Klosters Hardehausen in seiner Freigrafschaft, die 
dieses von scabinis et hominibus liberis erworben hat, von der Grafschafts- 
abgabe. Das (seschäft wurde vollzogen sub tilia in villa Louene astantibus 
nostris scabinis liberis videlicet: 
(NB. Die folgenden Nummern und Seiten sind die des Westf. Urkb. IV.) 
Regenbodone de Ahusen: derselbe consul in Geigmar, p. 1218. 
Hermanno de Alvessen: gehört zur Ritter- und Bürgerfamilie von A., 
vgl. p. 1216 und unten. 

Herm. de Dasborch (fehlt im Original): gehört zur Bürgerfamilie von 
D. von Warburg, p. 1254. 

Conrado de Scherve: gehört der Bürgerfamilie zu Warburg an, p. 1598. 

Hermanno Longo: Hermannus Longus, Lehnsmann des Bischofs von 
Paderborn, resigniert diesem 2 Häuser in Louene, Nr. 2148 (ao. 1291 IV. 1). 


124 W. Wittich 


Insuper liberis nostris hominibus: 
Heinrico de Dusele (Dössel): Bürgerfamilie zu Warburg, p. 1268. 
Haroldo de Baddenhus: ob zur Ritterfamilie dieses Namens gehörig? 
p. 1223. 


Johanne de Alvessen: Ritter, vgl. Nr. 1142 u. 1151 (ao. 1268). 

Helmico de Dosele: s. oben. 

Heinrico de Louene, Goscalco fratre suo: bekannte Ritterfamilie, 
p. 1341. v. SPILCKER, Everstein Nr. 28 (ao. 1206). 


Udone de Alvessen: s. oben. 

Hermanno de Dasborch: 3. oben. 

Heinrico Tuike et Gos(vino?) Randenberch: wohl Bauern; die 
Schwestern des G. Randenberch sind Wachszinsige, Nr. 1452 (ao. 1276) — 

v. SPILCKER, Geschichte der Grafen von Everstein, 1833, Nr. 41 (ao. 1225): 

Otto Graf von Everstein bestätigt dem Kloster Hardehausen den Besitz von 

Freigütern in seiner Grafschaft, die dieses von Freien zu Lebzeiten seines 

Vaters erworben hatte, distinguentes que a scabinis conquisita sunt et ab 

aliis qui liberi dicuntur. 

Dazu Westf. Urkb. IV. Nr. 289, Notizen über die gleichen Erwerbungen. 

De Scabinis hec: 

De Conrado et flio suo Siboldo (8'/s mans.); de Bertoldo fratre 
Conradi et filiis suis conversis (3 mans. 4 iugera): nach 289 
Familie von Vrekenhusen senst nicht bekannt. 

De Regenhardo (2'!/, mans.): Wahrscheinlich Regenhard dictua Vriline, 
Nr. 873 ein Johann Friling erwähnt, dessen Erben famuli sind. - 

De Bertrammo (2'/s mans.) 

De Ernesto et Tiderico de Ermwerdessen (l mans.): Familie von 
Erwitzen, Bürger zu Brakel, p. 1268, dominus Fredericus de E., Nr. 2121. 

Summa XIV mansi et dimidius. De aliis qui liberi dicuntur ista: 

De Reinboldo, Olrico, Hermanno et Andrea filio Reinboldi 
(2 mans. et 10 iugera), Nr. 289 a. 

De Brunone, hermanno, Meinolfo, Heriberto (45 iugera), Nr. 289a. 

De tribus fratribus Ludolfo, Eskelino, Tiderico (2 mans. 19 iugera), 
Nr. 289 a. 

De Sigebodone (4 mansos): dieser Nr. 289a nicht erwähnt. 

De Dodone et filiis suis (40 iugera): desgl. 

De Thetmaro et fratre suo Tiderico et filiis Thetmari (40 iugera), 
Nr. 289a. Vielleicht Thetmar und Hermann de Nutlon, Bürger zu 
Marsberg, p. 1364. 

De Ludberto et filüs Rucen (1 mans.): Die Rucen sind eine Bürgerfamilie 
zu Bodenwerder und Warburg, p. 1393, und eines Stammes mit der 
Ritterfamilie Holthusen, p. 1316. 

de vidua hildegardi (6 iugera). 

Zeugen: De scabinis Bernhardus, Hermannus Bercule: Brüder aus 
dem freien Rittergeschlecht Berkule, p. 1227. 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 125 


Heinricus et suus frater Godefridus de Pikelssen: v. Peckelsheim, 
Burgmannen zu Warburg, p. 1382. Gottfried, Schöffe, Nr. 221. 
Hesceles de Lutwardessen: Lutwardessen, Bürger zu Wolfshagen, 
p. 1345, vielleicht Luthardessen, Rittergeschlecht, p. 1345. 

Tidericus de Wormlo: derselbe, Korveyer Dienstmann, Nr. 227 (ao. 1234 
II. 8). 

Bertrammus de Scerue: Bürgerfamilie in Warburg, vgl. auch die 
Urkunde Nr. 2488. 

Alii vero nonscabiniConradus plebanus de Wethen, Thidericus 
noster dapifer, Gerold de Helmere: vgl. Nr. 5 (ao. 1202) u. 
1286. Altfreie Ministerialen auch Bürger zu Geismar, p. 1302. 

Udo de Weplethe: gehört zur Warburger Bürgerfamilie Wepelde, p. 1434. 

Tidericus Salentin: Bürger zu Paderborn, p. 1896. Derselbe, Schöffe, 
Nr. 221 (ao. 1233). 

Arnoldus cognomento Guttherre: Bürger zu Warburg u. Fritzlar. 
Guchterus, p. 1288. Arnoldus Guthere, Bürger zu Warburg, Nr. 577. 

Vgl. ferner v. SPILCKER, Geschichte der Grafen von Everstein, Arolsen 1833, 
Nr. 19 (ao. 1187, eversteinsche Gerichtsurkunde), 28 (a0. 1206), 35 (ao. 1219), 
565 (ao. 1236), 56 (ao. 1236 XII. 8), 82 (ao. 1249), 238 (ao. 1290), 389 (ao. 
1366 IX. 5), 390 (ao. 1370 II. 9). 

Westfälisches Urkundenbuch IV. Nr. 169 (ao. 1229), 189 (ao. 1230), 221 
(ao. 1233), 2120 (ao. 1290). 

188) Vgl. v. SPILCKER, Geschichte der Grafen von Everstein, p. 119. 

v. SPRUNER-MENKE, Historischer Handatlas, Gotha 1880 (3. Auflage), 
Karte Nr. 39. 

189) Westfälisches Urkundenbuch IV. (Paderborn) Nr. 119 (ao. 1223— 1254). 

190) v. SPILCKER, Everstein, Nr. 67 (ao. 1240), 76a (ao. 1245 eversteinsche 
Urkunde). 

Westfäl. Urkb. IV. Nr. 376 (ao. 1246), 579 (ao. 1254: Hier zweifelhaft, 
ob korveyer oder dasselscher Dienstmann, doch wohl für die letztere Dienst- 
barkeit zu entscheiden). 

191) Westf. Urkb. IV. Nr. 537 (ao. 1253). 

192) Westf. Urkb. IV. Nr. 444, 484, 485, 579. 

193) Westf. Urkb. IV. Nr. 755 (ao. 1258 VIII. 11). 

194) Westf. Urkb. IV. Nr. 904 (ao. 1262 VI. 4), 969 (ao. 1263 XII. 3), 
2096 (ao. 1290 IX. 3), 2124 (ao. 1290 ca.). 

195) Westf. Urkb. IV. Nr. 719 (ao. 1257): Der Edelherr Konrad von 
Schönenberg ist der nepos des Grafen Adolf von Dassel. 

196) Westf. Urkb. IV. Nr. 2096 (ao. 1290 IX. 3). 

197) Westf. Urkb. IV. Nr. 755 (ao. 1258 VIII. 11), 760 (ao. 1258 X. 9), 
782 (ao. 1259 III. 7). 

198a) v. SviLCKER, Everstein, Nr. 67 (ao. 1240), 76a (ao. 1245). 

198b) Westf. Urkb. IV. Nr. 760 (ao. 1258 X. 9). 

199, Westf. Urkb. IV. Nr. 767 (ao. 1258 IX. 15). 


126 | W. Wittich 


200) Westf. Urkb. IV. Nr. 797 (ao. 1259 V. 26). 


201) Vgl. Westf. Urkb. IV. Nr. 189 (ao. 1280): Theodericus de Wurmiho 
liber homo. Nr. 227 (ao. 1284): sicher Korveyer Dienstmann. IV. Nr. 221 
(ao. 1233): Hermannus homo libere conditionis. 

v. SPILCKER, Everstein, Nr. 49 (ao. 1288): Die hier erwähnten homines 
liberae conditionis Gerold, Conradus etc. gehören der Familie von Helmern 
an, vgl. Westf. Urkb. IV. Nr. 5 (ao. 1202). Diese sind Korveyer Dienstleute. 

Cod. dipl. Westf. ed. ERHARDT, II. Nr. 382 (ao. 1177), 487 (ao. 1189). 

v. SPILCKER, Everstein, Nr. 82 (ao. 1249). 

Vgl. auch oben Anm. 187. 


202) Henricus Burmester, vgl. Westfälisches Urkundenbuch IV. Nr. 148 
(ao. 1226): Godescalcus Burmester unter paderbornischen Ministerialen. 

Bernhardus Longus. Bernhardus Longus civis in Bodenwerdere. Nr. 2340 
(a0. 1296): Everhardus Longus civis in Geismar. Hermann Freischöffe in der 
Grafschaft der Grafen von Everstein, Nr. 2488 (ao. 1298). 

Theodericus de Hengildirn (Henglarn), wahrscheinlich eine Bürger- und 
Ministerialenfamilie zu Paderborn. Nr. 217 (ao. 1238 VII. 27) u. 2413 (ao. 1296). 

203) Über Hadebrachtshausen oder Adebrachteshausen vgl. Westf. Urkb. 
IV. Nr. 289a und Nr. 760 (ao. 1258 IX. 9) p. 408 Anm. zu Nr. 760. 

204) Vgl. über das Folgende vor allem LÜNTzEı, Die ältere Diözese Hildes- 
beim, Hildesheim 1837, p. 82—84. 

WÜRDTWEIN, Subsidia diplomatica Bd. VI. Nr. 185 (ao. 1258): Ergebung 
der Freien von Bordere. IX. Nr. 19 (ao. 1263 I. 18): Ergebung der Freien 
von Stemwede. 

HECK, Sachsenspiegel etc., p. 721, Anm. 2. 

205) Vgl. Hoyer Urkundenbuch ed. v. HODENBERG, Abt. 2—8 (Bd. IL.) 
Hannover 1855, Abt. 7 (Archiv Schinna) Nr. 72 (a0. 1312 XII. 26): Der Abt 
von Schinna kauft die Proyteshufe in Bordere von seinem Vorgänger. 
77 (ao. 1321): Der Knappe Albert Proyt verkauft an das Kloster Schinna 
einen mansus dictus proyteshoue situm in Bordere, den er seinem Lehns 
herrn, dem Bischof von Minden, zur Übertragung resigniert. 

206) Der Kanonikus Arnold von Schinna unter den Zeugen bei der Er- 
gebung der Freien von Bordere an den Bischof von Minden. WÜRDTWEIN, 
Subs. dipl. IV. Nr. 185 (ao. 1268). 

Hoyer Urkb. II. Abt. 7 Nr. 35 (ao. 1255): Canonicus Arnoldus de Schinna 
schenkt libera bona in Almoltere und Schinna, nachdem er sie zuerst dem 
Grafen von Hoya als dem „Patron“ der Güter, dann dem Johannes dictus 
Vrilinch und allen seinen consanguinei angeboten hatte. Dieser Johannes 
Vrilinch ist ein Knappe. Nr. 74 (ao. 1316 V. 2): er baut einen mansus in 
Schinna. Nr. 99 (ao. 1338 IV. 25). Nr. 41 (ao. 1258 XII. 4): Bestätigung im 
Freiding. 

Weitere Schenkung Nr. 51 (ao. 1271 VII. 23): Lehnshufe zu Schinna 
Nr. 53 u. 54 (ao. 1274 IV. 5): Bestätigung der ersten Schenkung 1?/, Hufen 
zu Schinna und 1'!', Hufen zu Anemolter durch den Herzog von Sachsen. 


Altfreiheit u. Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen. 127 


207) Vgl. Heck, Der Sachsenspiegel etc., p. 300 u. 570. 

208) Vgl. WrrricH, Die Grundherrschaft in Nordwestdeutschland, 1896, 
p- 116* ff. 

Wrrrich, Die Frage der Freibauern, Weimar 1901, p.22ff. (Auch in 
der Zeitschrift der Savignystiftung für Rechtsgeschichte, Bd. XXII, germa- 
nistische Abteilung, p. 264 ff.) 

Die Anschauung ist von Heck (Altfriesische Gerichtsverfassung, Weimar 
1894, p. 224, 225, 284) zuerst ausgesprochen worden. 

Während des Druckes ist der vierte Band des Urkundenbuches des Hoch- 
stifts Hildesheim und seiner Bischöfe, bearbeitet von Dr. H. HooaEwes, 
Hannover und Leipzig 1905 (Urkunden d. d. 1310—1840), erschienen. Leider 
konnte ich ihn nur an einer Stelle (Anm. 80) benützen. 


La Sicile Agricole au dernier Siècle de la Répul 
Romaine, 
Par 
Jérôme Carcopino (Rom). 


La situation de la Sicile agricole au dernier siècle 
République Romaine a été déjà l’objet de plusieurs tr 
Dans son beau livre sur la population du monde Gréco-R 
M. BELOCH en a marqué les traits essentiels !). Dans une br 
sur les conditions de la Sicile au temps de Verrès, M. FRA? 
a su habilement tirer parti des renseignements que lui fı 
saient les Verrines sur les chiffres de la production à 
époque”). Peut-être estimera-t-on cependant qu'il y a plac 
une étude nouvelle, où le détail des choses soit examin 
une précision qu'excluait le caractère général du liv 
M. BELOCH, pour laquelle d’autres textes que le texte essenti 
Verrines, et notamment les pages si instructives de Diopo 
les guerres serviles, soient utilisés, et qui enfin se propose d’: 
à la description des faits économiques l’analyse du milieu 





1) BELOUH, Die Bevölkerung der griechisch-römischen Welt, 1 v 
Leipzig 1886, p. 266—273. 

2) FRANCHINA, Le condisioni economiche della Sicilia ai tempi d 
1 vol. in-8°, Palermo 1897. Le livre de M. FRANCHINA est à la fc 
étendu et plus restreint que le présent travail: plus étendu puisqu’ 
question non seulement de la culture des céréales, à laquelle nous nt 
nerons ici, mais des autres cultures et des industries diverses du pa: 
restreint puisque l’auteur s’y borne à donner une évaluation de la pro 
Je ne parle pas de la brochure de PIETRO PAnpucct: Statistica eco 
agraria dell’ Italia alla fine della Repubblica e nei primi secoli dell 
1 vol., 74 p. in-8°, Montevarchi 1903. C'est une traduction sans criti 
l'index mis par JAHN à l’édition de PLINE L’ANCIEX. 


F 





v 


La Xicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 1929 


qui les a eonditionnes? Le sujet présente de grandes difficultés : 
celles d’abord auxquelles se heurte tout essai d'histoire écono- 
mique appliquée à l'antiquité, par la faute des documents, et le 
manque presque absolu de données statistiques; et celles qui 
dérivent de la nature même de notre principale source: les dis- 
cours de CICÉRON contre Verrès. Car si l’orateur, qui connait le 
pays dont il parle pour avoir exercé à Lilybée les fonctions de 
questeur!), et qui a étudié sa cause sur place pendant plusieurs 
semaines *), abonde en renseignements, multiplie les exemples «t 
les chiffres, ils est rare néanmoins qu’il nous mette directement en 
contact avec la réalité; il faut, pour parvenir jusqu’à elle, fran- 
chir toute une série de raisonnements, des illegalites de Verrès 
inférer les dispositions de la loi qu'il a violée, de la loi remonter 
aux faits qu'elle a pour but de régir, auxquels elle a bien dû 
s'adapter et que, par conséquent, elle suppose. Mais ces ob- 
stacles ne sont pas insurmontables; on peut compter les vaincre 
avec beaucoup de prudence, en procédant lentement, par enquêtes 
partielles et méticuleuses. Nous nous proposerons toute une 
suite de petits problèmes, sur les méthodes de culture, les ren- 
dements obtenus, les fluctuations des cours, la division de la 
propriété, l’importance numérique de la classe agricole dans la 
province; c’est seulement après avoir isolé ces questions et essayé 
de les résoudre séparément qu’il nous sera permis de porter 
un Jugement sur la situation de la Sicile antique, et de la com- 
parer utilement à la Sicile d'aujourd'hui. 


I. Caractère extensif de la culture Sicilienne. 


Les agronomes latins admettaient tous que la terre ne peut 
porter deux ans de suite la même culture. Ils ont distingué 
entre deux systèmes: celui où la terre se repose d’une culture 
par une ou plusieurs autres; et le système où la terre se repose 
par l’absence de culture. Ils ont appelé le terrain où le premier 
système — l’assolement — est en vigueur: ager restibilis, et le terrain 


1) Cıc., Div. in Cuecil., 1, 2. 
2) Exactement cinquante jours. Cf. Cıc., Verr., I, 2, 6. 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 9 


130 Jérôme Carcopino 


où le second — la jachère — est appliqué, s'appelle «ger no- 
ealis!) ou novale?). | 

L’ager restibilis réclame des fumures dont CATON préconise 
l'usage *) et COLUMELLE détaille les variétés“). Les novaliı peuvent 
très bien s’en passer. De ces deux systèmes lequel a jadis adopté 
la Sicile? Aujourd'hui, en Sicile, la règle c’est la jachère, ou, 
pour parler plus exactement la culture extensive, fondée sur 
l'alternance des céréales, des pätures et de la jachère propre- 
ment dite). Faut-il admettre qu’autrefois la culture était inten- 
sive et que les procédés maintenant suivis sont inférieurs à 
ceux des anciens? | 

Nous croyons au contraire que les méthodes n’ont pas varié. 

Il convient d’abord de noter que la culture extensive est 
en quelque sorte imposée par les conditions météorologiques de 
l’île. En effet l’assolement présuppose la fumure. On ne peut 
d’autre part se procurer de l’engrais que si les bestiaux stationnent. 
La stabulation est elle-même impossible si l’on ne peut assurer 
aux bestiaux enfermés à l’&table une provision de foin suffisante. 
Mais pour avoir des prairies donnant deux ou trois coupes an- 
nuelles il faut de l’eau. Or la Sicile est un pays où le niveau 
pluviométrique est très has°). La culture extensive de la Sicile 





1) VARRON, L. L., V, 89: « Ager restibilis qui restitulur ac reseritur 
quotannis : contra qui intermittitur a novando novalis». 

2) PLine, N.H.. XVIII, 19 (49), 176: «Novale est quod alternis annis 
seritur>. 

8) CATON, De R. R., 61: «Quid est bene agrum colere? bene arare? quid 
secundum ? arare? quid terlium? stercorare». 

4) CoLuM., I, 14: « Tria igitur stercoris genera sunt praecipue : quod ex 
uribus, quod ex hominibus, quod ex perudibus confits. 

5) Dr Rupini, Terre incolte e latifondi (dans le Giornale degli Economisti 
1895, X. p. 170): «La coltura dei cereali deve in Sicilia essere fatta di regola 
estensiva: grami e allevamento di bovint sono due industrie gemelle.» 

De même SaıvioLı, Le latifundium Sicilien dans le Devenir social 
1895, p. 452: «La culture du blé alterne avec les prairies naturelles (pâtures) 
et les jachères». La superticie totale des terres soumises à cette alternance 
est d'environ un million et demi d’hectares; cf. sur ce point Paur, Giniw, 
Notes sur l'Italie contemporaine, 1 vol. in-12°, Paris 1902, p. 86. 

6) Cf. T. Fischer, La Penisola Italiana, 1 vol. in-4°, Turin 1902, 
p. 353 -354 et la carte p. 360. 


La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 131 


est donc liée à la sécheresse de son climat’) et on ne peut 
admettre que la Sicile ancienne ait pratiqué une culture intensive 
sans supposer du même coup qu’elle avait un climat tout different 
du climat d'aujourd'hui. L’hypothèse en soi n’est pas absurde. 
Les quantités d'humidité utilement absorbées par la terre peuvent 
se modifier, au cours des temps, sous l'influence continue de 
causes purement humaines, du déboisement par exemple; mais 
de ces variations légères, portant plus encore sur la régularité 
des précipitations et leur répartition entre les différentes saisons 
de l’année, que sur leur chiffre total, à un renversement complet 
il y a loin, et les Verrines nous permettent de constater que le 
changement de climat n’a pas été suffisant pour entraîner avec 
lu un changement des méthodes culturales ?). 


Nous y lisons en effet que les propriétaires ont à la fois un 
vl'icus et des pastores, c’est à dire que leurs exploitations se 
divisent — comme elles se partagent encore aujourd’hui —, en 
champs de céréales et en pâturages. Ainsi la fortune d’Apollonius 
de Panorme est constituée en immeubles et en biens mobiliers: 
les biens mobiliers sont des créances; les immeubles se sub- 
divisent en troupeaux et en fermes «pecore et villis»*). Il en 
va de même pour C. Matrinius, chevalier Romain. Mais le 
fait le plus caractéristique à cet égard, c’est la saisie à laquelle 
les percepteurs des dimes procèdent sur les terres des trois frères 
Numenius, Sostratus et Nymphodorus. «Apronius, nous dit CICÉRON, 
enleva l'attirail, emmena les esclaves, poussa devant lui le trou- 


1) C’est ce que montre très bien Di RUDINI, op. cit., p. 170—171: «Man- 
cando gl’irrigui che permettono tre ed anche quattro tagli di fieno, manca 
quindi la possibilità di quelle grandi provviste di foraggio che rendono utile 
la stabulazione; mancano à concimi e mancando questi ne consegue la neces- 
sità di quella rotasione per la quale si supplisce al difetto di concimi», 

2) Le climat Sicilien n’a pas varié dans ses conditions essentielles, suivant 
THEOBALD FISCHER, Beiträge zur physischen Geoyraphie der Mittelmeer- 
länder, besonders Siziliens, 1 vol. in-8°, Leipzig 1877, p. 166. 

3) Cıc., Verr., U, V, 8, 20: « Praetermittam illud etiam, de quo ante dixi, 
fFortunas ejus ita constitutas fuisse familia, pecore, villis, pecuniis creditis>. 

4) Cic., Verr., IL, V, 7, 15: «Ab equite Romano C. Matrinio ..., quod 
ejus villicos pastoresque tibi in suspicionem venisse dixeras, HS DC abstulisti». 


132 Jérôme Carcopino 


peau conne instrumentum diripuit, familiaın abduxit, pecus abegit»!). 
On comprend bien que sur les terres où se faisait la moisson 
il ait trouvé un attirail de culture (faux, faucilles, voitures de 
transport); on comprend qu'il y ait trouvé les esclaves réunis: 
la moisson est l’époque de l’année où la famwlia est rassemblée 
et où sa force éclate à tous les yeux”). Mais comment expliquer 
la présence de ce petit bétail que désigne le mot pecus? Elle 
demeure inintelligible si l’on n’admet pas l’alternance, dans le 
temps et l’espace, de la prairie naturelle et du guéret. Ainsi 
les moutons étaient mis dans les champs où le blé venait d’être 
fauché; le blé était semé dans les pâtures que les moutons 
avaient fumées. Hier comme aujourd’hui les pâturages et les 
cultures étaient en Sicile deux produits conjoints *). 


Quelle durée doit-on attribuer aux phases de cette alternance ? 
Aujourd'hui on ne saurait poser de loi à cet égard: la longueur 
du repos accordé à la terre dépend de sa fécondité“). De même 
dans lPantiquité la rotation des cultures n’a pas dû suivre un 
type uniforme. Il est naturel qu’elle ait changé suivant les périodes, 
les régions, la situation des cultivateurs. La loi sur les dimes 
nous donne sur ce point une indication précieuse. Une de ses 
dispositions contraignait les cultivateurs à déclarer chaque année 
le chittre de jugères qu’ils avaient ensemencés®). Si l’alternance 
avait été soumise à des règles fixes, il eût été facile de savoir 
pour une année donnée le nombre de jugères emblavés, car le 
même chiffre fût revenu tous les deux, ou tous les trois, ou tous 
les quatre ans, suivant le coefficient de rotation des cultures, et 
la prescription de la loi eût été au moins superflue. Ce qui la 


1) Cıc., Verr., IL, 111, 23, 57. 

2) Cic., Verr., U, V, 12, 29: «Cum in areis frumenla sunt, quod et familiue 
congreyantur et magnitudo servilii perspicitur». 

8) Cf. Vite COMBES DE LESTRADE, En Sicile (Guide du Touriste et du 
Savant), 1 vol. in-12, Paris 1902, p. 336: «La culture des céréales se faisant 
à laide de la jachère, il faut utiliser les herbes qui croissent spontanémen: 
pendant la période de soi-disant repos. De là les pâturages, qui n’exi- 
steraient plus, s’il élait possible de semer continuellement sur les mêmes terres. 

4) Dr RUDINI, op. cit., p. 171: «accordando all: terre secondn + casi uno 
e due anni di riposo». 

5) Cic., Verr., TI, I, 15, 38 et 51, 120. 


La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 133 


justifie, c’est précisément le fait que l'étendue des emblavurex 
par rapport à la superficie totale du domaine variait en une 
même année d’une propriété à l’autre, et dans chaque exploitation 
d’une année à l’autre. | 

Pour calculer d’après la surface emblavée la surface totale 
«un domaine, il faut en principe multiplier la surface emblavée 
par le coefficient de rotation des cultures, par 2, si cette rotation 
est biennale, par 3, si elle est triennale etc. Mais au milieu de ces 
fluctuations quel coefficient adopter? — Aujourd’hui on doit le 
fixer à 2,5 non seulement parce que ce chiffre est une moyenne 
entre la rotation biennale et la rotation triennale dont nous 
constatons la coexistence en Sicile, mais parce que le troisième 
mode de fractionnement des terres du latifundium sicilien, et le 
plus répandu, est le suivant: 2 parcelles en blé, 2 parcelles en 
päture, une parcelle en jachère proprement dite (maggese)'), ce 
qui précisement donne une coefficient de 2,5. Sans nous dissi- 
ınuler la part d’arbitraire qui entre dans un pareil choix, et 
parce que le silence des textes ne nous laisse pas d’autre parti, 
c’est également au coefficient 2,5 que nous nous arreterons pour 
l'antiquité. 


II. Rapport de la récolte à la semence. 


Aujourd’hui les semailles se font en Sicile après que les 
grosses pluies d'automne ont rendu au sol brûlé par la chaleur 
de l’été toute la force de ses principes vegetatifs; et comme les 
plus hautes précipitations s’y produisent à une date assez avancée 
de la saison, les semailles y sont plus tardives que dans le reste 
de l'Italie: elles ne commencent guère en Sicile que le 20 novem- 
bre; cette date est comprise dans la période que leur assignait 


1) Damiant, Atti della Giunta per la Inchiesta Agraria e sulle condizioni 
della classe agricole, in-4°, Rome 1885, XII, 2, p. 52: «I latifondi si divi- 
dono in cinque porzioni: sopra due delle quali si semina il frumento, du: 
si lasciann a pascolo ed uno a maggese: ovvero un terzo a frumento, un 
terzo a pascolo ed un terso a maggese. E pure in uso la rotasione seguente 
ma nei terreni piu ricchi: 1° anno, maggese, 2° e 3° anno, frumento; 4° ann 
pascoln». 


134 Jérôme Carcopino 


déjà PALLADIUS, entre le 23 octobre et le 8 décembre!) A cet 
égard, les choses se sont passées jadis comme elles se passent 
aujourd’hui. Il n’en va pas de même pour la moisson. Au- 
jourd’hui le blé est récolté en Sicile au commencement de juin?). 
La moisson était bien plus tardive du temps de Verrès. C’est 
seulement au milieu de l'été que les familiae d’esclaves sont 
groupées pour la faire). Un édit de Verrès ordonne que le 
cultivateur ait livré sa dime avant les kalendes de Sextilis, c’est 
à dire à la date du premier août“) (C’est donc dans le mois 
de juillet que les blés sont fauchés. Chose curieuse: la récolte 
des Siciliens du temps de CICERON est d’un mois en retard sur 
celle des Siciliens d’aujourd’hui?°). 

Quel était le rapport de la récolte à la semence, et quelle la 
productivn à l’hectare? CICERON nous renseigne pour Léontini 
mais pour Léontini seulement. «Dans un jugere®) de Léontini, 


1) PALLADIUS, XI, 1: «Justa satio est a decimo kalendas novembres 
usque ad sextum idus Decembres». 

2) NISSEN, Italische Landeskunde, 3 vol. in-8°, Leipzig 1880-1901, 
I, p. 400. 

8) Cıc., Verr., Il, V, 12, 29: «Cum vero aestas summa esse coeperat, 
cum in areis frumenta sunt, quod et familiae congregantur>. 

4) Cıc., Verr., I, III, 14, 36: «Ut ante kalendas Sextilis omnes decumas 
ad uquam deportatas haberent». 

5) Nissen, (op. cit., I, 400) donne de ce fait, qui n’est pas isolé, une 
raison plausible: c’est, dit-il, que les températures en dessous de 7°, trop 
basses pour permettre à la plante de germer, duraient alors vingt jours de 
plus qu’aujourd’hui, ce qui retardait de 20 jours la maturité des épis. 

6) Il va nous arriver, à tout instant, au cours de ces discussions, de parier 
de jugères et de médimnes, de modii et de sesterces. Toutes les fois que 
la clarté de l'exposition l’exigera nous donnerons les équivalents en hectares, 
hectolitres et francs. Le jugère (cf. HuL'rscH, Römische Metrologie, 2me édit. 
in-8°, Berlin 1882, p. 85—86 et 659, et BoucHÉ-LECLERCQ, Manuel d’Insti- 
tutions Romaines, in-8°, Paris 1883, p. 572—574 et 580) vaut 25 ares 182; 
le modius 8 litres 75; le médimne 52 litres 63, le sesterce 21 centimes. Pour 
simplifier les calculs nous évaluerons toutes ces mesures en chiffres ronds, 
le jugère au quart de l’hectare; le médimne au :/ hectolitre. Dans la fixation 
du cours des grains à l’hectolitre nous supposerons qu’il n’y a que 10 modü 
dans un hectolitre et par compensation nous élèverons le sesterce à 25 centimes. 
Le procèdé est peu scientifique; comme ses chances d'erreur se neutralisent, 
il nous conduira néanmoins à des résultats suffisamment approchés: 12 modii 


La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 135 


par une règle à peu près constante, on sème un médimne de 
blé environ. La terre rend huit fois la semence quand l’année 
est bonne, dix fois quand tous les dieux s’en mêlent.» «In jugero 
Leontini agri medimnum fere tritici seritur perpetua atque aequabili 
satione; ager efficit cum octavo, bene ut agatur; verum ut omnes 
dii adjuvent, cum decumo»!). M. J. BELOCH adopte ces chiffres 
sans l’ombre d’une hésitation ?). M. Hozm*) et M. FRANCHINA‘) 
en contestent au contraire la véracité. (Comme eux, nous pen- 
sons que CICÉRON, pour augmenter les sympathies dont ses 
clients pouvaient être l’objet, a diminué le chiffre de leurs affaires 
et masqué toute une part de leurs bénéfices. 

Cet intérêt de CicÉRON est trop évident. Les exactions de 
Verrès apparaîtront comme d'autant plus odieuses que les victimes 
seront plus misérables, et, la condition des cultivateurs étant d'autant 
plus mauvaise qu’ils sèment davantage pour récolter moins, il 
y a fort à parier pour que CICÉRON ait grossi le chiffre de la 
quantité semée, diminué la quantité récoltée à Léontini: c’est 
ce dont nous allons nous rendre compte. 

1° Le chiffre de la quantité semée a été grossi. En effet la 
moyenne des semences fixée par les agronomes latins®) — cinq 
modii — est d'un modius inférieure‘) au chiffre indiqué par 
CicÉRON. Mais dira-t-on la quantité de semence varie suivant 
les terrains, et il se pourrait que le sol de Léontini reclamät 
une semence supérieure à la moyenne? Il se pourrait, mais il 
n’en est rien. Léontini est tout le contraire d’un sol maigre 
et pauvre. Or les sols riches sont ceux qui produisent la 
plus grande quantité de grains avec la plus petite quantité de 


— 106 litres x 21 centimes = 22 francs 05; 10 modii = 87 litres x 25 cen- 
times = 21 francs 75; l’écart, on le voit, n’est pas très considérable. 

1) Cıc., Verr., I, IU, 47, 112. 

2) J. BELOCH, op. cit., p. 272. 

3) Hozu, Geschichte Siziliens im Alterthum, 3 vol. in-8, Leipzig 1877 
bis 1898, I, p. 36. 

4) FRANCHINA, op. cil., p. 19. 

5) VARRON, De KR. R., 1, 44: «Seruntur fabae modii IV in jugero, iri- 
dick V». — PLixE, N. H., XVIIL 198: <Serere in jugera temperato solo justum 
est tritici aut siliginis modiis Vi. 

6) Un médimne vaut en effet six modiü, exactement. 


136 Jérôme (‘'arcopino 


semence !). COLUMELLE va jusqu’à soutenir que les terres me- 
diocres seules exigent une semence de cinq modii; à son avis 
les terres grasses doivent se contenter de quatre modii?), chiffre 
de deux modii inférieur à celui donné par CICÉRON. Enfin si 
l'on se reporte à la quantité semée aujourd’hui dans la région 
de Sicile qui fut autrefois l’ager Leontinus, on constate qu'elle 
est exactement égale à la quantité moyenne précitée. On y semait 
en 1894, 1 hectolitre 75 par hectare”), ce qui fait exactement 
43 litres 75 ou 5 modii par jugère. Pour toutes ces raisons nous 
conclurons que CICÉRON a outrepasse la vérité dans l’appréciation 
des semences. 

Il s’est au contraire laissé distancer par elle dans l’appréciation 
de la récolte. Cette récolte aurait été, d’après lui, de 8 médimnes 
au jugère ou 16 hectolitres à l’hectare dans les bonnes années, 
10 médimnes au jugère ou 20 hectolitres à l’hectare dans les 
années excellentes. Ces chiffres en eux-mêmes seraient satisfaisants : 
ce sont les chiffres des bonnes terres de France“). Néanmoins 
ils sont inférieurs à ce que fut la réalité. 

D'abord il est à noter que l’inexactitude par défaut que noux 
venons de constater crée maintenant une présomption d’inexacti- 
tude par excès, l’une et l’autre devant attirer à Verrès une plus 
vive réprobation. Il est à remarquer ensuite que ces chiffres ne 
correspondent ni avec l’idée que CICERON et d’autres encore 
donnent par ailleurs de la fertilité de Léontini, ni avec les notions 
que nous trouvons chez les agronomes anciens sur le rapport de 
la récolte à la semence dans les sols riches. Il est entendu que 
Léontini est situé dans la région de la Sicile la plus féconde 


1) PuixE, N. H. XVIO, 199: « Pinguia arva ex uno semine frutierm 
numerosum fundunt, densamque segetem ex raro semine emittunt»., 

2) COLUMELLE, II, 9: eJugerum agri pinguis plerumque modios tritici 
quatuor, mediocris quinque : si est lactum solum adorei novem, si mediocre 
decem desiderat:. 

3) Ce chiffre est donné par la Real-Encyklopädie de PAULY-WIESOWA, 
l, p. 276, v° Ackerbau. 

4) Cf. PAUL Guio, op. eit., p. 63. La production moyenne en Sicile est 
actuellement de 11 hectolitres environ par hectare, en Angleterre de 31h. 6, 
en France de 15 à 17 hl, en Autriche de 16 hl. en Hollande de 28 hl, en 
Danemark de 27 hl, en Vénétie de 33 hl. 


La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 137 


«in uberrima Siciliae parte» ?). Léontini est à la tête de la pro- 
duction: <caput est rei frumentariae» *); c’est le roi des cantons, 
«principes rei frumentariae»°). Au dire de DioDoRe le blé poussait 
à létat sauvage dans la terre de Léontini comme dans la terre 
de toutes la meilleure“), et Héraclès, racontait la légende, en 
voyant le pays, n'avait pu retenir un cri d’admiration®). D'autre 
part il ressort d’un texte de VARRON qu’en Italie un grain de blé 
produisait couramment dix grains). Si done CICERON nous 
avait transmis des renseignements exacts, nous aurions à nous 
demander comment il a pu nous célébrer comme supérieure la 
fertilité d’un pays où la semence rend au maximum ce que l'Italie 
rend en moyenne: 10 pour 1? Enfin les données de CICÉRON 
sont contredites par les affirmations des géographes anciens ct 
ne concordent pas mieux avec celles des géographes modernes. 
PLINE rapporte scriensement que le blé rendait 100 grains pour 
un dans la plaine de Leontini «cum centesimo quidem Leontini 
Siciliae campi fundunt» '); et même si on considère cette fécondité 
comme exceptionnelle, du moins est-on obligé de convenir qu'une 
telle exception s'accorde mal avec la règle que CicÉRON voudrait 
faire prévaloir. Les statistiques lui donnent tort aujourd'hui 
encore. Assur&ment, en 1892, 1 hectolitre 75 de semence n’a 
produit à l’hectare que 7 hectolitres 11 de récolte dans la plaine 
de Léontini*). Assurément, dans les dernières années, la moyenne 
générale de production du blé dans l'île n’a été que de 11 hec- 
tolitres 31 à l’hectare*), la terre ne rend ainsi que six ou sept 


1) Cic., Verr., II, III, 18, 47. 

2) Cic., Verr., U, HI, 18, 47. 

3) Cıc., Verr., IX, LI, 46, 109. 

4) Diop., V, 2, 4-—6. 

») Dion., IV, 24, 1. 

6) Cf. Varkox, De R.R., I, 44, 9: « Ut ex eodem semine aliubi cum decimo 
redeat, aliubi cum quinto decimo, ut in Etruria locis aliquot. In Italia in 
Subaritano dicunt etiam cum centesimo redire solitum: in Syria ad Gadara 
et in Africa ad Bysacium ilem ex modio nasci centum». 

7) Pıme, N. H., XVII, 10, 9. 

8) Ces chiffres sont donnés dans la Real- FEncyklopädie de PAULY -WISSOWA, 
art. Ackerbau, I, 275. 

9) PAUL GHIO, op. cit., loc. cit.: «La moyenne de ce rendement atteint lout 
juste 11 lectolitres par hectare». Dans les dix dernières années le rendement 


138 Jérôme Carcopino 


fois plus de grains qu’on n’y en a semé. Mais le premier de 
ces chiffres, relatif à la plaine même de Leontini, est emprunté à 
une année qui a été la plus mauvaise d’une période de dépression 
générale dans la production Sicilienne!). Quant à la moyenne 
des dix dernières années, calculée sur l’île tout entière, elle ne 
saurait valoir pour le canton de l’île le plus fertile. Et en 
réalité des rendements beaucoup plus forts nous sont habituelle- 
ment signalés dans cette région: 10 à 16 grains pour 1 dans 
les années ordinaires, 28 grains pour 1 dans les années privi- 
légiées, soit un rendement exceptionnel de 39 hectolitres à l’hectare 
et un rendement moyen de 23 hectolitres 50 litres”). Est-il 
donc admissible, quand les procédés de culture n’ont pas changé, 
que la production antique ait été inférieure à la production mo- 
derne? Est-ce admissible, quand on n’a jamais cessé depuis lors 
de demander du blé à la terre, sans jamais la renouveler ni 
l’enrichir? Est-ce admissible surtout quand les conditions elima- 
tériques étaient plus favorables à la production autrefois qu’au- 
Jourd’hui? La Sicile antique était un pays boisé. ATHENEE parle 
des forêts qui couvraient l’Etna, et où Hiéron fit prendre le bois 
dont il construisit les navires de sa flotte*). DIoDorE nous dresse 
un tableau enchanteur des Montes Heraei avec leurs chênes 
gigantesques, leurs vignes, leurs pommiers dont les fruits suf- 
firent à nourrir toute une armée Carthaginoïise“). Aujourd'hui 
tous ces arbres ont disparu. Ils n’exercent plus sur les pluies 
leur action modératrice. (Certes, ainsi que le dit FiscHEr, ilya 
trois mille ans comme aujourd’hui, il y avait une saison sèche et 
une saison pluvieuse; mais elles étaient moins nettement séparées; 
la première était moins longue et moins intense; la forêt con- 
servait plus longtemps qu’aujourd’hui l’humidité et la fraîcheur. 


a 666 de 11,31, cf. Bollettino di Legislazione e Statistica commerciale, ann. 
1902, p. 1506. 

1) Voici la moyenne de production de cette période en hectolitres et à 
l’hectare. En 1891, 11 hi 74; en 1892, 6 hl 38; en 1893, 7 hl 55; en 1894, 
9 hl 66. Cf. Gassetta Ufficiale du 24 mars 1896, n° 70 p. 7. 

2) Cf. les chiffres donnés par Fıscien, op. cit., p. 158; Nissen, op. cit. 
I, p. 361; HOLM, op. cit., ID, p. 161. 

55) ATHENEE, V, 206. 

4) Dionork, IV, 84, 1. 


La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 139: 


et, plus tard au printemps, plus tôt à l’automne, condensait en 
pluie la vapeur d’eau charriée par les vents équatoriaux !). 
Quelle vraisemblance que la terre ait alors produit moins qu’au- 
jourd’hui, quand elle bénéficiait de pluies plus régulières et plus 
également réparties ? 


En contradiction avec les faits comme avec les textes, CICERON 
nous a trompés sur les deux termes du rapport de la récolte à 
la semence et l’a diminué volontairement. ! 


Essayons maintenant de déterminer le rapport véritable. Les 
accusations de CICERON contre Apronius vont nous aider. 


Apronius fut décimateur pour le canton de Léontini la troi- 
sième année de la préture de Verrès, soit en 71. A en croire 
l’orateur il poussa jusqu’à la perfection l’art d'exploiter les con- 
tribuables, au point de réaliser sur une dîme affermée pourtant 
beaucoup plus que son prix — 36000 médimnes — 18900 hec- 
tolitres — un bénéfice personnel plus gros que la dime elle- 
même, jusqu’à 400000 modii = 35000 hectolitres?). Il va de. 
soi que plus le chiffre d’adjudication consenti par Apronius était 
exagéré moins le gain était légitime. CICÉRON a donc tout par- 
ticulièrement insisté sur l’exageration de l'enchère, 36000 mé-. 
dimnes, une erreur ou plutôt une folie*), si l’enchérisseur avait 
été honnête, et qui l’eût mené droit à la ruine s’il s'était con- 
tenté, comme la loi lui en créait l’obligation, de demander à 
chaque cultivateur le dixième de sa récolte et non sa récolte 
tout entière. Et la preuve que l'enchère aurait été insensée si elle 
n’eüt été criminelle, c’est qu'en évaluant selon les prévisions les 
plus favorables le produit total de la récolte à Léontini, on ne: 
pouvait dépasser une dime de 30000 médimnes —= 15 000 hecto-. 
litres. Mais cette dernière assertion ne repose elle-même que 
sur des chiffres dont nous contestons l’exactitude: chiffre de 
l’ensemencement, un médimne par jugère, que nous avons démontré- 


1) Cf. FISCHER, op. cit., p. 166. 

2) Cıc., Verr., II, III, 46, 111. 

8) Cıc., Verr., Il, DI, 47, 113: «In Leontino jugerum subscriptio ac- 
professio non est plus XXX. Decumae XXXVI medimnum venierunt.. 
Erravit aut potius insanivit Apronius». 


140 Jérôme Carcopino 


supérieur à la réalité; chiffre du rapport de la récolte à la se- 
mence, 8 ou 10 pour 1, que nous lui soupçonnons inférieur. 

En effet un autre acquéreur, C. Minucius s’etait présenté devant 
Verrès cette année là et avait offert de la dîme de Léontini un 
chiffre beaucoup plus élevé. «Si je prouve, dit CicERoN à Verrès, 
si je prouve que Verrès aurait pu vendre la dime beaucoup plus 
cher, et qu’il n’a pas voulu l’adjuger à ceux qui mettaient des 
enchères sur Apronius, et qu’il l’a adjugée à Apronius beaucoup 
moins cher qu'il n'aurait pu la leur adjuger à eux mêmes, si je 
le prouve, est-ce qu’Alba lui-même, Alba le plus ancien, je ne 
dis pas de tes amis, mais de tes amants, pourra t’absoudre»!)? 
CicÉRON a bien senti la contradiction: il a mis entre les deux 
griefs une distance respectable. Il reproche a Apronius d’avoir 
acheté cher la dime de Léontini aux chapitres 47 et 48; à Verrex 
de la lui avoir vendue trop bon marché aux chapitres 63 et 64. 
Il a eu soin encore d’ajouter que Minucius se fût bien gardé 
d'offrir de la dime un prix supérieur à sa valeur reelle, s'il 
n’avait su que les nouveaux édits prétoriens donnaient au déci- 
mateur toute latitude de se rattraper aux dépens des contri- 
buables?). Mais cette raison explique seulement pourquoi Minu- 
cius a proposé 41000 médimnes de la dime de Léontini, au 
lieu de son prix véritable; elle ne prouve pas que ce prix ait 
été de 30000 médimnes, estimation de CICERON, plutôt que de 
36000 médimnes, estimation d’Apronius. 

La meilleure preuve qu’Apronins a dû payer la dime son prix, 
mais rien que son prix, c’est qu'il n’a été dans l'affaire que 
l'associé, le prête-nom de Verrès”). Si réel) qu'on suppose 

1) Cic., Verr., IL Il, 63, 148: «Si doceo pluris aliquanto potuisse ven- 
dere neque iis voluisse addicere, qui contra Apronium licerentur, et Apronio 
multo minoris quam aliis potueris vendere, si hoc doceo, poteritne te ipse 
Alba, tuus antiquissimus, non solum amicus sed etiam amator absolvere?:. 

2) Cıc., Verr., II, Il, 64, 150: «Quia tuis novis edictis et iniquissimis 
iastitutis plus aliquanto se quam dcumas ablaturum videbat, idcirco longius 
progressus est:. 

3) Cette association de Verrès et d’Apronius, CICÉRON ne se contente 
pas de l’affirmer, il la prouve. Ce n’est pas un bruit forgé à Rome pour 
les besoins de la cause. L’accusation est née en Sicile, il y a longtemps, 
non de là haine d’un adversaire, mais de l'évidence des faits (Cıc., Verr., 


La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 141 


son désir de conclure avec les fermiers de l’impôt des conventions 
avantageuses pour l'Etat, et par conséquent pour lui-même, dont 
elles accroissaient le prestige auprès de la plèbe romaine et des 
comices électoraux, le préteur néanmoins n'avait aucun intérêt 
à adjuger la dîme au delà de sa valeur; et puisqu'il était bien 
décidé à l’adjuger à Apronius envers et contre tous, on ne voit 
pas pourquoi il aurait laissé monter à son détriment les enchères 
jusqu’à un prix déraisonnable. 

Nous sommes donc autorisés à conclure que 36000 médimnes 
représentaient l'évaluation tout au plus optimiste du dixième 
de la récolte totale de Léontini pour l’année 71, ce qui porte 
cette récolte totale à 360000 médimnes = 180000 hectolitres. 
Or 30000 jugères = 7500 hectares seulement ont été ensemencés; 
le rendement a donc été de 12 médimnes = 72 modiü au jugère, 
soit 24 hectolitres à l’hectare. Et comme on sème à Léontini 
une quantité constante de grains, environ 5 modii par jugère 
(1 h! 75 à l’h°), la récolte de 71 fut à la semence comme 14 est 
à 1. Mais il ne faut pas prendre pour rendement moyen de la 
Sicile entière le rendement du seul canton de Léontini: on 
tomberait dans l'erreur inverse de celle qu’a commise CICÉRON, 
et les résultats, cette fois, pècheraient par excès. 

Pouvons-nous connaître ce rendement moyen? Les chiffres 
précités de CICÉRON vont nous en fournir indirectement une éva- 
luation probable et approchée. CicÉRON, en effet, n’a pu tromper 
ses lecteurs sur le rendement de Léontini qu’autant que leur 


IL, I, 61, 141). Timarchides, un des appariteurs de Verrès, l'écrit dans une 
luttre à Apronius (Cıc., Verr., II, III, 67, 157). Verrès l’a avoué lui-même 
en travaillant d’abord à empêcher le scandale qu’aurait à coup sûr provoqué 
la sponsio déposée par L. Rubrius sur le point de savoir «si Apronius n’avait 
pas répété bien souvent qu’il était l’associé du préteur dans les dimes» (Cıc., 
Verr., OD, LU, 57, 132); et ensuite en contraignant sans jugement le chevalier 
Romain P. Scandilius à verser 5000 sesterces, montant de la sponsio qu'il 
avait déposée à son tour en des termes identiques (Cıc., Verr, U. TITI. 
60, 135). Enfin le préteur qui a succédé à Verrès, L. Metellus, la reconnu 
également, puisque il s’est opposé à ce que le sénateur L. Gallus intentât à 
Apronius une action pour menaces et violences, sous le prétexte qu'une 
condamnation prononcée contre l’ancien décimateur préjugerait la question 
de la culpabilité de l’ancien préteur (Ci. Verr., IT. ITI. 65, 152). 
4) Cf. Cic., Verr., II, II, 16, 40. 


142 Jérôme Carcopino 


ignorance le permettait. Or s’il était permis d'ignorer le chiffre 
exact du rendement des terres de Léontini, quelques-uns pou- 
vaient savoir à peu près ce que rapportaient dans leur ensemble 
et en moyenne les terres de Sicile. CICERON ne pouvait guère 
faire descendre le rendement de Léontini au-dessous du rende- 
ment qui leur était généralement attribué. Aussi a-t-il dû se 
contenter de ramener la récolte de Léontini à la moyenne des 
récoltes. Sa supercherie aurait consisté, selon nous, à parler du 
plus fertile des cantons de l’île comme d’un canton ordinaire, et 
a réduire une production exceptionnelle au chiffre de la pro- 
auction normale. Et nous n’avons qu’à appliquer au reste de 
l'île les chiffres que CICÉRON nous a donnés pour Léontini, et 
à conclure qu’en Sicile un jugère produisait 8 médimnes de blé 
dans les années ordinaires (16 hectolitres à l’hectare) et dix 
médimnes dans les années excellentes (20 hectolitres à l’hectare). 
La moyenne de production serait donc soit le premier de ces 
deux chiffres soit un chiffre à peine plus élevé: + 8 médimnes 
— + 48 modii par jugère. Et comme la quantité de semence 
employée gravitait chaque année autour de 5 modii par jugere 
(1 u! 75 par h°), la récolte était à la scmence comme + 48 est 
a 5, soit comme 10 est à 1. 


III. Les cours des céréales. 


Quel était le cours du blé en Sicile au temps de Cicéron? 
Sons la préture de Verres, le blé valait à Petra 15 sesterces 
le medimne, scum esset medimnum HS XV»!). On le payait 
le même prix à Lipara. «Par les dieux immortels, s’écrie CıcErox. 
Verres a-t-il done vendu si bas la dime de Lipara, que la cité 
ait pu de son propre mouvement ajouter, séance tenante, 30000 
sesterces aux 500 médimnes qui lui étaient déjà demandés, ce 
qui fait 2000 medimnes en «us» ?)? (Chacun de ces 2000 mt- 


1) Cıc., Verr., U, IT, 39, 90. , 

2) Cıc., Verr., Il, III, 37, 84: =/psi (Liparenses) accipere decumas el 
numerare Valentio coguntur lucri HS XXX. Per Deos immortlales! Utrum 
tibi sumes ad defensionem, tanione minoris te decumas vendidisse, wi ad 
medimna DC HS X XX statim sua voluntate civitas adderet, hoc est tritici 
medimnum II an...?». De même Cie, Verr., IL, III, 74, 173. 


La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 143 


dimnes était donc taxé à 15 sesterces, ce qui met le cours 
à 6 francs 30 l’hectolitre (valeur intrinsèque). A Agyrium au contraire 
quand Apronius vient réclamer en sus de la dime un bénéfice 
personnel de 33000 médimnes, le blé vaut 18 sesterces le médimne. 
CicérRox remarque en effet avec beaucoup de justesse que les 
cultivateurs d’Agyrium eussent certainement mieux aimé, le jour 
de l’adjudication, offrir de leur dîme 2000 médimnes de plus, 
que de donner ainsi 600000 sesterces à Apronius!): 600000 
sesterces constituent l’équivalent en argent des 33000 médimnes, 
ce qui met le médimne à 18 sesterces *) et l’hectolitre à 7 francs 50. 
Enfin il est arrivé sous la préture de Verrès que le blé s’est 
vendu 12 sesterces le medimne, 5 francs l’hectolitre*). Mais ce 
cours devait être assez rare puisque Verrès s’en vantait comme 
d’un fait extraordinaire: egloriabatur». Ces trois cours sont diffé- 
rents: cherchons par une autre voie le prix moyen du blé en 
Sicile à cette époque. 

Après la dîme qu'ils doivent acquitter sans que l’Etat les 
indemnise, les cultivateurs des ccivifates decumanae» sont tenus 
encore 1° de fournir une seconde dîme de blé, 2° de participer 
à un impôt extraordinaire de 800000 modii, 3° de satisfaire à 
toute les réquisitions du préteur approvisionnant sa cella. 


Mais ces trois contributions sont remboursees par l'Etat, la 
première à raison de 3 sesterces le modius, 18 sesterces le mé- 
dimne, 7 francs 50 V’hectolitre?); la seconde à raison de 3 se- 
sterces !/2 le modius, 21 sesterces le medimne, 8 francs 75 l’hecto- 
litre); la troisième à raison de 4 sesterces le modius, 24 sesterces 


1) Cıc., Verr., Il, UI, 30, 72: «Imperas ut Apronio dent lucri tritici 
nedimnum AAXI. Profecto si pretium exquisisses diligenter, tum cum 
vendebas, X ınedimnum potius addidissent quam HS DC. postea. 

2) 600000 est un chiffre rond pour 594.000. 

3) Crc., Verr., I, UI, 75, 174: «Modius fuit autem te praetore, ut tu 
in multis epistulis ad amicos tuos gloriaris, HS II». 

4) Cıc., Verr., U, IH, 70, 163: Pretium autem constitutum decumano 
in modios sinqulos HS III. 

5) Cic., Verr., II, LI, 70, 163: - Pretium autem ronstitutum . . . imperato 
HS III S.. 


144 Jérôme Carcopino 


le médimne, 10 francs l’hectolitre!} L’un de ces trois tarit 
représente-t-il le cours moyen que nous voudrions connaître? 
Le dernier tarif lui est supérieur: CicERON aceumule les épi- 
thètes pour louer le Sénat de la munificence dont il fit preuve 
en portant à ce taux de 4 sesterces l'estimation du modiu: 
coptime ac benignissime egisset, large liberaliterque aestimasset» ). 
Les deux autres tarifs semblent se rapprocher davantage de la 
moyenne. Au lieu qu’un simple sénatus-consulte en décide comme 
du précédent, ils ont été établis par une loi°), une fois pour toutes, 
et par conséquent d’après les cours les plus habituels. Suivant 
CiCÉRON le tarif de 3 sesterces ‘/2 le modius est supportable, 
«{olerabiliss, en temps ordinaire“), ce qui laisse supposer quil 
est calqué sur la moyenne même des cours. Mais, dans le même 
passage, l’orateur est bien obligé de convenir que sous la préture 
de Verrès ce fut une bonne aubaine pour les cultivateurs. Pent- 
être même le mot folerabilis ne correspond-il pas à la réalité? 
Peut-être CICERON représente-t-il comme simplement tolérables 
des conditions dont les Siciliens étaient les premiers à se féli- 
citer? Le tarif de la seconde dime, dont CICÉRON a moins parlt, 
cadrerait mieux encore, selon nous, avec la notion d’un cours 
moyen. Il est d’une application beaucoup plus étendue que le 
précédent; nous en trouvons un exemple dans la préture de 
Verrès où il coïncide précisément avec le plus haut prix que 
CICÉRON nous ait signalé. Aussi, quand nous aurons à calculer 
la valeur en argent d’une certaine quantité de blé, est-ce à raison 
de 18 sesterces le médimne = 7 francs 50 l’hectolitre, que nous 
effectuerons l'opération requise. Mais, à vrai dire, il n’y a pas 
eu de cours moyen du blé dans la Sicile des deux derniers 
siècles avant l’ère. De notre temps la multiplicité des centres 


1) Cic., Verr., II, II, 81, 188: « Nam cum ex senatus consullo et ex 
leyibus frumentum in cellam ei sumere liceret idque frumentum ita aest- 
masset : IIS quaternis tritici modium». 

2) Cic., Verr., Il, III, 88, 204. 

3) Cic., Verr., II, III. 75, 174: <Est enim modius lege aestimatlus. 
Ct. Ibid. TI, U], 70, 163. 

4) Cie, Verr., I, Il, 75, 174: «Cum aeslimalio legis ejusmodi sit, ut 
eeleris temporibus tolerabilis Sieulis, te praetore, etiam grata esse debuerits. 


La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 145 


de production, la rapidité des communications qui les unissent - 
au reste de la terre, les savantes combinaisons des taxes doua- 
nières règlent la production et égalisent les prix: ainsi de 1800 
à 1890 le prix moyen du blé en France a été de 21 francs les 
cent kilogrammes avec un maximum de 36 francs 16 en 1817 
et un minimum de 14 francs 48 en 1860!) Les variations 
étaient autrement considérables dans l'antiquité en général et 
dans la Sicile Romaine en particulier. Comme aujourd'hui le 
blé était d'autant moins cher que la récolte était plus abondante 
(et c'est pourquoi Verres se glorifie dans une lettre à un ami 
d’avoir vu sous sa préture le blé de Sicile tomber à 2 sesterces 
le modius = 5 francs l’hectolitre; il se vendait alors d'autant mieux 
qu’on en avait moins à vendre”); mais par suite du plus grand 
isolement des centres producteurs on passait bien plus vite d’une 
plus grosse mévente à une plus pauvre disette; et réciproque- 
ment. La Sicile semble à première vue trop petite pour que 
le blé ait été estimé a des prix très différents dans des ventes 
faites en même temps sur différents points de son territoire. Et 
CICERON déclare avec une belle assurance que tout cultivateur 
de Sicile aurait, n'importe où dans l’île, trouvé à acheter du blé 
au prix où il aurait vendu le sien sur place”). Mais d’un aveu 
échappé à CICÉRON deux paragraphes plus bas, il ressort qu’à la 
même date, certains cantons de Sicile vendaient leur blé cinq francs 
soixante l’hectolitre, et certains autres neuf francs‘). On ne peut 
pourtant pas regarder comme négligeable un écart de 35 °/,. Les cours 
passent par les plus extraordinaires vicissitudes d’une année à l’autre. 
Sex. Peducaeus gouverna la Sicile deux ans. La première année 


1) GAROLA, Les Céréales, 1 vol. in-12°, Paris 1895, p. 25; moyenne 16 fr. 80 
à l’hectolitre. 


2) Cic., Verr., I, IL, 98, 227: « Annona porro pretium nisi in calamitute 
fructuum non habet; si autem ubertas in percipiundis fructibus fuit, conse- 
quitur vilitas in vendundis, ut aut male vendundum intellegas, si bene 
processil, aut male perceptos fructus, si recte licet vendere». 

8) Cic., Verr., II, II, 83, 192: «In Sicilia vero ... quo quisque vehere 
jussus esset, ibi tantidem frumentum emeret, quanti domi vendidisset». 

4) Cıc., Verr., Il, II, 84, 194: « Verum enim vero, cum esset HS binis 


aut ciiam ternis, quibus vis in locis provinciae . . .». 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgesehichte. IV. 10 


146 Jérôme Carcopino 


le blé était à vil prix; la seconde il était hors de prix‘). Dans 
une même année, d’une saison à l’autre, les variations sont stupé- 
fiantes. Au mois de mars 74, C. Sacerdos arrive dans sa pro- 
vince de Sicile, où d’ailleurs il ne resta qu'un an. Son premier 
soin est d’approvisionner sa cella; mais les cultivateurs lui de- 
mandent de bien vouloir exiger d’eux une contribution en argent 
au lieu de l'impôt en nature, car ils auraient trop perdu à le 
payer: le blé valait alors cinq deniers le modius, soit 50 franes 
l’hectolitre*). La même année, eodem tempore, après la moisson, 
«post messem», M. Antonius Creticus, revêtu de l’imperium 
uequum, débarque dans l’île et exige à son tour du blé «in ce/- 
lam> des cultivateurs Siciliens: mais cette fois ils offrent leur 
blé pour rien; il est tombé en quatre mois à un prix dérisoire 
esumma in tvilitite»®). Du reste, d'une manière générale, on peut 
dire que le cours du blé se règle sur le cours des saisons‘). 
Jadis comme aujourd’hui plus on s’eloignait des mois où l'on 
fait la récolte, et plus le blé était cher. Mais les limites entre 
lesquelles le cours du blé se déplace étaient jadis beaucoup plus 
éloignées l’une de l’autre”). Nous manquons de données pre- 
cises sur le cours de l’orge. Nous savons seulement que l'orge 
tait comprise dans le frumentum in cellum; et que le Sénat, en 
même temps qu'il avait fixé le prix du blé à 4 sesterces, avait 


1) Cıc., Verr., Il, III, 93, 216: «Sex. Peducaeus biennium provincian 
obtinutt. Cum alter annus in vilitate, alter in summa caritate fuerit ...» 

2) Cıc., Verr., I, I, 92, 214: «Sacerdos ut in provinciam venit, fru- 
mentum in cellam imperavit. Cum esset ante novum tritici modius denariis V, 
peliverunt ab eo civitates ut aestumaret». 

3) Cic., Verr., U, II, 92, 216: « Eodem tempore Antonius denarüs IL 
austimavit post messem summa in vilitate, cum aratores frumentum dare 
gratis mallent». 

4) Cıc., Verr., U, II, 92, 215: «Quod nisi omnis frumenti ratio ex 
temporibus esset et annona...» L’&cart entre le prix de Sacerdos et celui 
de Creticus tient à ce que Creticus fit sa réquisition post messem, tandis que 
Sacerdos y procéda ante novum. 

5) L'année 1902—1903 a été en France une de celles où la différence 
des cours suivant les saisons s’est fait le plus vivement sentir (il a même 
été question de suspendre le droit de 7 francs par quintal métrique). Le 
cours le plus bas a été de 14 francs: le cours le plus haut de 21 francs, 
l’écart de 7 francs environ. 


La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 147 


estimé l'orge à 2 sesterces le modius, soit 5 francs l’hectolitre !). 
Or nous avons constaté que le prix légal du blé requis in cellum 
était supérieur à son prix vénal. Il est naturel par conséquent 
de penser que l'orge requise in cellam était également surfaite. 
Du moins le rapport du prix de l’orge au prix du blé !/s, est- 
il à retenir, quels que soient du reste les termes de ce rapport. 
Si dans nos calculs nous supposons que le prix ordinaire dn blé 
est de 3 sesterces le modius, nous sommes donc tenus d’assigner 
à l’orge un cours moyen de 1 sesterce ‘/1 le modius, soit 9 se- 
sterces le médimne, soit 3 francs 75 l’hectolitre. Mais les raisons 
qui ont fait subir tant de changements, et de si considérables, 
aux prix du blé, subsistent pour l’orge, et nous admettons que 
le cours en a varié tout autant. Les chiffres moyens auxquels, 
au milieu de toutes ces fluctuations, nous nous sommes arrêtés, 
sont très élevés, si on les compare à ceux, par exemple, que 
nous donne POLYBE pour la Lusitanie et la Gaule cisalpine, en 
des passages que M. CoRsETTI a analysés”). En Lusitanie le 
cours du blé aurait été de 9 oboles le médimne, soit 3 francs 
l’hectolitre; celui de l’orge de 1 drachme le médimne, soit 2 fr. 
l’hectolitre *). En Gaule cisalpine le cours du blé aurait été 
4 oboles le médimne soit 1 fr. 50 l’hectolitre et celui de l’orge 
de 2 oboles le médimne, soit O fr. 75 l’hectolitre“). Cette supé- 
riorite des cours Siciliens s'explique par la facilité de l’exporta- 
tion qui empêchait les méventes locales. Elle n’est guère com- 
patible avee une main d'œuvre à vil prix, et nous prépare déjà 
à l’idée que la Sicile antique n’était le pays, ni des grands do- 
mains en la possession d’un seul propriétaire, ni des multitudes 
d'esclaves au service d’un seul maître. 


IV. Production totale et superficie cultivée. 


Les discours de CICÉRON vont également nous permettre de 
déterminer, en partant du chiffre des dimes, le chiffre de la pro- 





1) Cıc., Verr., Il, III, 81, 188: « Cum ... id frumentum senatus ita aestu- 
masset: HS quaternis trilici modium, binis hordei». 

2) CORSETTI, Sul prezzo dei grani nell’ antichità classica, dans les 
Studi di Storia antica de BFLOCH, Rome 1893, fasc. 2 p. 88, 89. 

3) POLYBE, XXXIV, 8, 7. 

4) POrYBE, Il, 16, 1. 


118 Jérôme Carcopino 


duction totale du blé en Sicile pendant la préture de Verrèt. 
Nous lisons au chapitre 70 du discours de re frumentaria que 
chaque année le préteur était chargé d'acheter aux villes sou- 
mises à la dîme une quantité de blé égale à celle qu’elles ve- 
naient de fournir gratuitement de ce chef. Mais cette seconde 
dîme était remboursée à raison de 3 sesterces le modius = 7 franc 
50 l’hectolitre. A cet effet Verres reçut chaque année, pendant 
les trois ans de sa préture, une somme d'environ 9 millions de 
sesterces; c’est donc que les contribuables lui avaient livré 
3 millions de modii ou 500000 médimnes. La récolte totale, 
supérieure dix fois à ce nombre, s'élevait donc à cinq millions 
de médimnes ou 2500000 hectolitres'). Mais l’inconvénient 
de ce premier calcul est de reposer en dernière analyse sur un 
chiffre rond dont CICÉRON avoue lui-même l’inexactitude et l'excès: 
«fere ad nonagiens». 

Nous pouvons approcher la vérité de plus près. En payant 
les cultivateurs, le scribe retenait ‘/2: des sommes qu'il était 
chargé de leur distribuer au nom du preteur?). Or Verrès avoua, 
lors de son procès, que son scribe avait réalisé de la sorte, en 
trois ans, un bénéfice de 1300000 sesterces*). En multipliant 
cette somme par 25, nous obtenons le total des sesterces que le 
scribe avait reçu mission de répartir entre les cultivateurs, de 
l’année 74 à l’année 70, soit 32500000 sesterces. Il est vrai 
qu'avec ces 32500000 sesterces le scribe n'avait pas seulement 
remboursé la seconde dime mais encore une contribution sup- 
plémentaire de 800000 modii, prelevés annuellement en dehors 
de la seconde dime et remboursés au tarif de 3 sesterces !: 


1) Cıc., Verr., IT, LIL, 70, 163: «Emundi duo yenera fuerunt, unum 
decumanum, alterum quod praeterea civilatibus aequaliter esset distributun ; 
illius decumani tantum, quantum ex primis decumis fuisset. Pretium auten 
constitutum decumano in modios singulos HS III. Ita in annos singulos 
Verri decernebatur, quod aratoribus solveret in alteras decumas [HS] fere ad 
nonagiens». 

2) Cic., Verr., II, III, 78, 181: «Scribue nomine de tota pecunia binae 
quinquogesimae detrahebantur». 

8) Cıc., Verr., U, DI, 80, 184: «Tu ex pecunia publica HS terdeciens 
seribam tuum permissu tuo cum abstulisse fateare, reliquam tibi ullam defen- 
tionem pulas esse P» 


La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 149 


le modius = 8 francs 75 l’hectolitre. Pour avoir le prix de la 
seconde dime, il faut donc défalquer les 8400000 sesterces, 
affectés pendant les trois ans au remboursement de cet impôt 
extraordinaire, des 32500 000 sesterces précités. Restent exac- 
tement 24100000 sesterces pour le payement pendant trois ans, 
et par conséquent 8033333 sesterces pour le payement pen- 
dant un an de la seconde dîme. A raison de 3 sesterces le 
modius le montant de la dime s'élève à 447400 médimnes; et 
nous avons une récolte totale de 4474000 médimnes, soit 2 237 000 
hectolitres. — M. FRANCHINA prétend que ce chiffre est au dessous 
de la vérité et que nous n’avons aucun moyen de savoir dans 
quelle mesure il lui est inférieur!) En effet, selon M. FrAn- 
CHINA, le gain du scribe qui sert de fondement à toutes ces 
évaluations n’est que le gain avoué par Verres; et nul doute que le 
preteur et Hortensius n’aient dissimulé aux yeux des juges quel- 
ques parcelles de la vérité accusatrice. Mais Verrès n’a pas 
cherché à cacher un seul sesterce des bénéfices réalisés par son 
scribe, et cela parce qu'il n’a pas convenu de leur illegitimitc, 
et que de l'effort même tenté par CICÉRON pour démontrer aux 
juges que c'était là une pratique nouvelle, inouie, il résulte que 
Verrès avait simplement invoqué l'autorité, dans l’occasion plus 
ou moins décisive, de la coutume. Aussi, quoi qu'en pense 
M. FRANCHINA, pouvons nous considérer 4474 000 médimnes comme 
le chiffre de la production totale moyenne des années 73, 72 et 
71 dans les cantons de la Sicile soumis à la dîme. C’est dans 
cette restriction que réside toute la difficulté. Le chiffre que nous 
venons d'établir si péniblement comprend tout le blé des cantons 
edecumani», mais il ne comprend qu’une partie du blé des cantons 
«immunes> celle qui fut récoltée sur des terres, qui, par suite de 
cession à des propriétaires ou à des locataires étrangers à ces 
cantons, ne participent plus à leur immunite?). Il ne comprend 
pas un grain du blé récolté en terre franche. Il est impossible 
dans ces conditions de l’étendre à la Sicile tout entière; et force 


1) FRANCHINA, 0p. cit., p. 12—13. 
2) Cf. mon article dans les Mélanges d’Arch. et d’Hist., année 1905, t. 
XXV, p. 1. 


150 Jérôme Carcopino 


nous est de recourir à une troisième méthode dont les eonelusions 
précédentes pourront toujours servir à contrôler les résultats. 
Au cours du troisième livre des Verrines, CICÉRON nous indique 
les prix auxquels furent adjugés les dimes des 8 cantons !): 
1° Herbita 5130 médimnes Verr. II, IH, 32, 76 sq. 


29 Acesta 830 » „ I, II, 36, 83. 
3° Lipara 600 » » IL, II, 37, 84. 
4° Amestratus 800 » » II, II, 39, 87. 
5° Petra 3000 » „ II, III, 39, 90. 
6° Thermae 8000 “ „ I), II, 42, 99. 
7° Henna 8200 » » II, IH, 42, 100. 
8" Leontini 36000 IT, IO, 48, 113. 


Les huit dimes additionnées forment un bloc de 62560 mé- 
dimnes = 31280 hectolitres. Chacune d’entre elles est done 
évaluable, en moyenne, à 7820 médimnes — 3910 hectolitres. 
Or nous avons le droit de considérer cette moyenne des dîmes 
comme représentant bien le dixième des récoltes; en effet, si l’ane 
d’entre elles, la dime d’Herbita, a été démesurément grossie ls 
troisième année, — et nous avons atténué cette chance d'erreur 
en prenant la moyenne des dîmes des trois années —; si une 
autre, celle de Léontini, a pu être taxée d’exagération par CICÉRON 
dont l’argumentation sur ce point ne nous a pas du reste con- 
vaincu, il semble que toutes les autres aient été adjugées à leur 
valeur par un magistrat qui les voulait assez hautes pour qu'on 
ne pt l’accuser de trahir les intérêts de Rome, et assez basses 
pour qu'il pût encore y ajouter un gain personnel par l’inter- 
médiaire des décimateurs, et qui finalement se trouvait condait 
à les vendre au juste prix. La moyenne des récoltes que nous 
déduirons de cette dîme moyenne sera donc de 78200 mé- 
dimnes = 39 100 hectolitres par canton. D'autre part nous avons 
le droit de considérer ce dernier chiffre comme la moyenne des 
récoltes non seulement pour les 8 cantons précités mais pour tous 
les cantons de l’île; car, en premier lieu, rien ne nous autorise 
à à établir une différence, au double point de vue de l'étendue, 


1) Toutes ces dîmes, sauf celle d’Herbita, qui est une moyenne, se 
rapportent à la troisième année de Verrès, soit à 71 av. J.-C. Au reste les 
dimes ne semblent pas avoir varié beaucoup d’une année à l’autre. 


La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 151 


et de la productivité, entre les cantons soumis à la dîme et ceux 
qui en sont exempts'); et ensuite, s’il est bien vrai que dans 
la liste malheureusement trop courte que CICÉRON nous a permis 
de dresser, il n’entre que 8 cantons, du moins appartiennent-ils 
à toutes les classes et peut-on dire que tous les ordres de gran- 
deur y sont représentés, depuis Lipara et Amestratus, minuscules 
et misérables, jusqu’à Léontini, ecapnt re frumentariae», en passant 
par Thermae et la plaine d’Henna, dont CiCÉRON nous a laissé 
une si riante description?). Dès lors pour connaître la produc- 
tion en blé de toute la Sicile, nous n'avons qu’à appliquer les 
règles ordinaires de la statistique, et à multiplier par la moyenne 
de production par canton le chiffre total des cantons. Or 
nous avons démontré ailleurs) que la province de Sicile, au 
temps de CICÉRON, comprenait 3 cantons relevant de cités fédérées, 
5 cantons relevant de cités libres et exemptes, 57 cantons soumis 
à la dime, en tout 65 cantons. D’oü il suit qu’en 71 av. J.-C., 
dernière année de la préture de Verrès, il a été récolté dans 
toute la Sicile environ 5083 000 médimnes -:: 2 541 500 hectolitres 
de blé. L’écart entre ce dernier chiffre et le chiffre auquel nous 
étions parvenus par la méthode précédente représente la part 
des cantons immunes dans la production totale. Et la pro- 
duction était en 71 av. J.-C. moitié plus faible que la moyenne 
de production des trois années 1896, 1897, 1898“). 

D n’a été jusqu'ici question que du blé. Le mot frumentum 
que CICERON emploie en parlant des secondes dimes est en 
soi quelque peu ambigu. C’est la transcription exacte du mot 
français grains, et il désigne indifféremment suivant les cas le blé 
{triticum) ou l'orge (hordeum). Mais d’abord dans notre passage 
il ne comporte que la première de ces deux acceptions’). D’autre 


1) Léontini, le premier des cantons de Sicile par la richesse, est le dernier 
par sa condition juridique d’ayer publicus. Cf. sur ce point mon article 
loc. cit., p. 43 sq. 

2) Cıc., Verr., IL III, 48, 107. 

3) Cf. mon article des Mélanges d’Arch. et d’Hist., loc. cit., p. 3 sq. 

4) Cette moyenne est évaluée à 5622494 hectolitres par l'Annuario 
‚Stalistico Italiano de 1900, p. 396. 

5) Quand il s’agit en effet du frumentum empium À 3 sesterces le modius, 
CICÉRON (Verr., II, TU, 70, 163) n'indique jamais qu’un seul tarif. Or il 


152 Jérôme Carcopino 


part, sur les 8 dîmes qui nous ont servi à établir notre moyenne, 
2 sont évaluées en médimnes sans autre spécification, celles de 
Petra et Amestratus. Mais les six autres sont expressément 
évaluées en médimnes de blé ftritici medimna). Cette déclaration 
formelle ne laisse aucun doute sur leur nature, en même temps 
qu’elle nous permet d'interpréter le silence de CICÉRON sur la 
nature des deux premières. Pas n’était besoin d’insistance: toutes 
ces dimes étaient citées ensemble (sauf celle de Léontini, on les 
trouve toutes du chapitre 36 au chapitre 39 du discours de re 
frumenturia). Implicitement ou explicitement les 8 dîmes sont 
des dîmes de blé, et la production calculée sur leur moyenne 
est la production en blé. 

Pourtant la Sicile produisait une autre céréale au temps de 
CicÉRox. L’orge y était cultivée aussi; et sur l’orge les Romains 
ont fait peser une dîme également). Est-il possible d'évaluer 
de façon approximative la production de l'orge? 

À coup sûr elle était inférieure à celle du blé. En général 
cette culture deplaisait aux Romains). Dans un jugère il fallait 
en semer un modius de plus que de blé); on n’en récoltait 
pas davantage pour cela‘). Elle ne rapportait presque rien et 
le cultivateur de Sicile la vendait toujours moitié moins cher 
que son blé?) Dans les Verrines l'orge disparaît, pour ainsi 
dire. Et si la plupart des méfaits attribués par CICERON aux 
décimateurs ont été commis dans la dime du blé, ce n’est point 
parce que l'orge valant un moindre prix, les décimateurs négli- 





n’est pas admissible que l’orge dont le prix sur le marché était de moitié 
inférieur au prix du blé, dont la taxation légale dans le cas du frumentum 
aestimatum était deux fois moins élevée que celle du blé (2 sesterces au lieu 
de 4) ait bénéficié d’un tarif équivalent à celui du blé, supérieur de plus du 
double à sa valeur réelle. Aussi bien frumentum a-t-il quelquefois le sens 
restreint du grain par excellence, du blé, et peut on citer une phrase de 
PLINE (N. H. XVII, 23, 192) où frumentum s'oppose à hordeum aussi nettement 
que érilicum. 

1) Cf. Cic., Verr., I, IH, 30, 72 et II, IL, 34, 78 sq- 

2) Cf. MOMMSEN-MARQUARDT (trad. Humbert) XV, 86 (MARQUARDT, Vie 
privée, II, 36). 

3) VARRON, I, 44: «Serunturfabae modii IV'in juger, tritici V, ordei VI». 

4) Pı.me, N. H., XVII, 10, 94: «Nihil est tritico fertilius». 

5) Cf. supra, ce que nous avons dit A propos des cours. 





w 





154 Jérôme Carcopino 


en argent, une première fois à Agyrium, une seconde fois à 
Herbita. Comme dans les deux cantons les décimateurs viennent 
de réaliser des bénéfices sur le blé, ne pourrait on comparer ces 
bénéfices entre eux, et en conclure, la dime demeurant en prin- 
cipe égale au dixième de la production totale, que là où le 
bénéfice est le plus fort, là aussi la production est la plus forte, 
et dans la même proportion ? 

À Agyrium le gain du percepteur de la dîme du blé s'élève 
a 30000 médimnes!). Le gain du percepteur de la dîme de 
l’orge s'élève à 30000 sesterces, ce qui, à raison d’un sesterce 
!/a par modius (3 francs 75 par hectolitre) fait un peu plus de 
3300 médimnes. Suivant ce raisonnement le rapport de l’orge 
au blé à Agyrium devait être cette année là de 1 à 10. A Herbita 
le problème est plus complexe. CICÉRON nous donne bien pour 
la troisième année de la préture de Verrès le gain des déci- 
mateurs du blé et le gain des décimateurs de l’orge. Mais le 
gain sur le blé, par suite de l'élévation incroyable et vexatoire 
de la dîme, a été ramené par Verrès à la différence du prix de 
l’adjudication, tel qu’il avait été primitivement fixé (soit 8100 me- 
dimnes), et du prix auquel l’adjudication se trouva ultérieurement 
réduite (soit 7500 médimnes). Le Zucrum du décimateur fut 
donc cette année là de 600 médimnes. Mais on ne peut prendre 
un bénéfice aussi extraordinairement bas pour un des termes de 
la comparaison. Le plus sûr est encore de tabler sur un gain 
moyen évalué d’après l'écart entre cette dime maxima de 8100 
médimnes et 5130 médimnes, moyenne des dîmes d’Herbita 
pendant les 3 années de la préture de Verrès. Le gain moyen 
du décimateur de blé est donc de 2970 médimnes. D’autre 
part le gain du deeimateur de l’orge s’est élevé en 71 à 12000 
sesterces, c’est à dire à la valeur de 8000 modii = 1340 médimnes 
d'orge. Herbita, selon cette méthode, n’aurait pas tout à fait 
produit moitié moins d'orge que de blé. 

Mais si elle est un peu plus rigoureuse que la précédente, 
cette méthode est encore bien conjecturale et téméraire. On 
suppose que la dîme reste constante, et un des rares exemples 
D Cf Cıc, Verr, U, UI, 80, 72. 

2) Cıc., Verr., IL ITI, 34 $ 78 sq. 





La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. B6. 


qu’on puisse choisir, la dîme d’Herbita, a constamment varié. 
On suppose que le même décimateur compte pour des dîmes 
égales des bénéfices égaux; on oublie que les décimateurs pour 
le blé ne sont pas toujours les mêmes que les décimateurs pour 
l'orge’). Si encore ette méthode conduisait à des résultats con- 
cordants! Mais à Herbita nous trouvons 2 fois moins d'orge que 
de blé, tout au plus; à Agyrium dix fois moins. Et deux cas ne 
suffisent pas à qui veut établir une moyenne. 

Faut-il donc nous résigner à l’ignorance entière, et n’avons-- 
nous rien à retenir des recherches auxquelles nous venons de 
nous livrer? D'abord elles nous ont confirmé que la culture de 
l’orge étais moins développée que celle du blé. Ensuite si elles 
n’ont pu nous révéler la proportion exacte de cette inférioritt, 
du moins se dégage-t-il de la considération des bénéfices réalisés 
sur le blé à Herbita, où ils furent presque trois fois plus forts 
que sur l’orge, et à Agyrium, où ils furent près de 11 fois plus 
forts, l’impression très nette qu’on ne peut, sur de telles données, 
évaluer la production de l’orge à plus de la moitié de la pro- 
duction du blé, ni compter, par conséquent, pour l’année 71, 
sur plus de 2541500 médimnes = 1270750 hectolitres d’orge?).. 
Ce n’est d’ailleurs pas un chiffre que nous donnons; c’est une 
limite que nous posons aux chiffres qu’on pourrait donner. 
Tâchons en dernier lieu d'évaluer, grâce à tous ces résultats, la 
superficie cultivée en céréales sous la préture de Verrès. 

D’abord la superficie cultivée en blé. La récolte totale mon- 
tait à 5083000 médimnes — 2548500 hectolitres. Nous avons 
vu d’autre part que la terre de Sicile rapportait alors environ 


1) Cf. à Herbita Docimus et Aeschrio. 

2) De 1896 à 1898 la production du blé en Sicile a été en moyenne de 
5622494. hectolitres (Annuario statistico Italiano 1900, p. 396). Pendant la 
même période la production de l’orge a ét6 de 2958 000 hectolitres en moyenne 
(Bollettino di legislagione e statistica commerciale, Decembre 1902, p. 1506). 
Le rapport du blé à l’orge est égal à ?jı environ. Mais le rapport était 
plus élevé encore dans la période quinquennale précédente. Moyenne de la 
production du blé de 1890 à 1894: 6121737 hectolitres (Gazzetta ufficiale 
1896, 24 mars, n° 70 p. 7). Moyenne de la production de l'orge pendant la 
même période 1473085 hectolitres (Gazzetta ufficiale, I. cit., p. 10). Le rapport 
du blé à l’orge est supérieur dans ce cas à ?lı. 





156 Jérôme Carcopino 


8 médimnes au jugère — 16 hectolitres à l’hectare. Cette récolte 
a donc mûri sur 635375 jugères ou 158843 hectares. La 
superficie de la Sicile, île et îlots, étant de 26600 kilomètres 
carrés’), la culture du blé sous Verrès occupait 6,20 pour cent 
de l’ensemble du territoire, c’est à dire trois fois moins qu'elle 
n’en couvre de notre temps?). 

En vertu d'opérations semblables*) le maximum d'orge 
2 541 000 médimnes (chiffre rond) donnerait une superficie maxima 
en orge de 317625 jugères — 79406 hectares. Le total des 
emblavures au temps de Verrès n’a donc pu dépasser 238250 
hectares; en le multipliant par 2,5, coefficient de jachère, on 
trouverait que les terres susceptibles de culture, et alternativement 
converties en pâture et ensemencées en céréales, couvraient au 
plus 595625 hectares, les deux cinquièmes de l'étendue qu’elles 
couvrent aujourd’hui“). 


V. Les formes de la propriété. 


Plus ou moins consciemment influencés par la vue du présent, 
nous nous figurons d'ordinaire la Sicile antique — celle qu'a 
connue CICÉRON — comme déjà soumise au régime des Zatifundia. 
«Sicilia latifundüs civium komanorum tenebatur» écrit FLoRUS?) 
avant de raconter les horreurs des guerres serviles. Et c’est en 
effet le souvenir des guerres serviles qu'on invoque pour affirmer 
l'existence des /atifundia dès l’époque de la République Romaine. 
C’est précisément d’après l’histoire de ces guerres, telle qu’elle 
nous est exposée, non chez FLorts, dont nous suspectons le 

1) Exactement 25 631,5 kilomètres carrés suivant BELOCH. 

2) De 1870 à 1874 NISSEN, op. cit., I, 445, évalue le pourcentage der 
surfaces emblavées à 19,35. 

3) Le rendement de l’orge est aujourd’hui du moins à peu près égal au 
rendement du blé, avec une légère supériorité de l'orge (cf. Gasretta Ufficiale 
du 24 mars 1896, n° 70 p. 7 et 10; les comparaisons, pour la période 
yuinquennale 1890-1894). 

4) 1500000 hectares, suivant M. Guio, op. cit. 2. cit.: C'est un résultat 
analogue que donne en tenant compte de la jachère l’Annuario Statistico 
de 1887--1888 pour l’année 1881, ou, pour être plus exact, pour les années 
1879 1888 (ef. p. 710 711). 

5) Fronux, LIL, 20. 


La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 157 


récit brillant mais vague et fantaisiste, mais par DIODORE, qui 
s’inspira, en l’occurrence, de Posrponius, et dont les fragments, 
que nous avons conservés présentent de cette période un tableau 
minutieux et vivant), que nous nous efforcerons de montrer 
1° que le latifundium, de la conquête romaine à la première 
guerre servile, a consisté en pâturages; 2° que, dans le dernier 
quart du second siècle avant l'ère, le latifundium s'est, en plus 
d’un point, résolu en propriétés plus restreintes, et que la culture 
des céréales a, en même temps, gagné du terrain sur les pâturages. 

La première remarque qui vient à l’esprit, quand on lit DIODORE, 
c'est que les esclaves qui se sont révoltés étaient des bergers 
— exclusivement — vous. Si d'aventure on a lu le passage où 
VARRON énumère les qualités d'endurance physique et d’énergie 
morale qu'il exige des esclaves auxquels il confie la garde de 
ses troupeaux”*), on ne s’etonnera point que des bergers aient 
été les plus pressés de secouer le joug et les plus capables de 
disputer la victoire aux armées Romaines. (Couverts de peaux 
de loup ou d’une dépouille de sanglier, armés de piques, de 
pieus et de massues, suivis de chiens énormes, d’ailleurs résolus 
à tout, ils parcouraient la Sicile, terribles à voir, et donnant 
toujours l'impression d’une armée en marche). Les esclaves 
de Damophilos qui s’insurgèrent les premiers étaient des bergers 
chargés de garder les immenses troupeaux de bœufs qu'il avait 
dans la plaine d’Henna?). Cleon le Cilicien qui se joignit 
bientôt à Eunous et s’empara d’Agrigente, gardait les chevaux 


1) Sur les sources de DIODORE cf. PAULY-WissoWA, R. E. V' p. 690; 
et WACHSMUTH, Einleitung in das Sludium der alten Geschichie, 1 vol. 
in-8°, Leipzig 1895, p. 100 sq.; sur les sources de DIODORE sur les guerres 
serviles, cf. Hoı.ır (d’après J. Lalumia), op. cit., III, 897—898. 

2) VARRON, De R. R., I, 10. 

3) DioporE, XXXIV, Exec. de virt. et vit. 699, Didot, I, 29—80: «Toïç 
Dè vopsüctv dypavAlag yeysvnpévns xal axeufjg aTpattwtıxiic, sdAdywç Anavrag 
Evenınnlövro ppovnnatos xal Ypdaoug. Ileptpépovtes Yap béralax xal Adyxac 
al narabporag dEtoldyoug xai Sépuata Abıwv 7 avdypwv daxsracnävor T& 
dœopata, XatanAnutixNv elxov mv rpécodiy xal rolsmady Epymv où réppo 
xemuévnv. Kovüv ts dAxipwv &poroux ouvenépevoy £xdotp . . .». 

4) Diop., XXXIV, De virt. et vit., 600, Didot, II, 34: «drı Aaupéproc 
-..raurAndeic 88 Booxnuétwv dyélag xEexTNLÉVOG». 


158 Jérôme Carcopino 


de son maître). CICERON nous conte, dans cet ordre d'idées, 
deux anecdotes significatives. M’. Aquilius avant de quitter la 
Sicile, qu’il avait enfin pacifiée (100 av. J.-C.), interdit aux esclaves, 
afin de prévenir leurs insurrections éventuelles, de porter une 
arme sur eux. Quelques années plus tard, le préteur L. Domitius 
apprend qu’un sanglier de dimensions extraordinaires a été tué: 
il admire d’abord une aussi belle prise, puis demande qui l'a 
faite; on lui répond que c’est un berger: il le fait venir et mettre 
en croix?). Plus tard quand Verrès, désirant soutirer de l’argent 
à Apollonius de Panorme, le menace de mettre à mort ses es- 
claves pour cause de complot, il n’est pas embarrassé pour dé- 
montrer au propriétaire l’existence de la conjuration: elle a été 
concertée, affirme-t-il avec aplomb, par le chef des troupeaux”). 
On ne craignait plus que les bergers au temps de Cicéros. Ik 
avaient toujours été les seuls esclaves redoutables parce que sezk 
ils avaient le nombre et l’organisation. 

En effet ils appartenaient tous à de grands propriétaires. 
Les maîtres d’Athenion possédaient 200 esclaves“). Damo- 
philos en avait eu jusqu’à 400°). Or les agronomes latins 
estimaient qu'un esclave suffisait pour 80 brebis, et qu’il n’était 
pas besoin de plus de deux esclaves pour cinquante chevaux‘. 
Dans ces conditions on demeure confondu du nombre des têtes 
de bétail et de l’étendue des biens fonds. Rivalisant de mollesse 
et de luxe‘), ces grands propriétaires se reposaient sur d'autres 


m > 


1) Dıov., XXXIV, De virt. et vit., p. 601, Didot, IL, 48: «KAdev ydp we 
KiitE...xar& Tv ZixsAlav voneug Yayovag inxopopflowve. 

2) Cıc., Verr., II, V, 3, 7: «Cum audisset pastorem cujusdam fuisss 
eum vocari ad se jussisse ... statim deinde Jussu praetoris in crucem esst 
sublatums. 

8) Cic., Verr.. IE, V, 7, 17: «Nominat iste serrum quem magistrum pecoris 
esse diceret, cum dicit conjurasse. ..». 

4) Diop., XXXVI, Didot, IV, 1. 

5) Diop., XXXIV, e Phui. erc. 521—529, Didot, IL 11. 

6) VARRON, De R. R., II, 10—11: «Ego in ociogenas hirtas oves singulo: 
pastores constitui, Atticus in cenlenas. Ad equarum gregem quinquageneriun 
bini homins:s». 

7) Diov., XXXIV, Exe. de virt. ei vitiie, 600, Didot, II, 34: «od pévor 
NV Tpuphv tov xata Ztusliav ‘Italtxdy ECHAmosv>. 


La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 159 


du soin de gérer leurs biens. Damophilos, qui se faisait suivre 
dans tous ses déplacements par une escorte en armes, menait un 
train quasi royal), et persécutait ses esclaves au lieu de les 
commander”). Athénion, l’un des chefs de la seconde guerre, 
était l’intendant de ses propriétaires *). La hiérarchie, qu’impo- 
sait aux familiae trop nombreuses l'incapacité de leurs maîtres, 
formait les cadres de la révolte. 

Il y avait parmi ces grands propriétaires des Siciliens comme 
Damophilos; mais la majorité se composait de chevaliers Romains, 
venus, après la conquête, occuper les terres en friche dont les 
longues luttes avec Carthage avaient fait un désert, et livrer cet 
«ger publicus que l'Etat leur abandonnait — plaine et mon- 
tagne —, à leurs bergers, à leurs bouviers, aux gardiens de leurs 
haras“). Ceux-ci pliaient à leurs intérêts la volonté des gou- 
verneurs‘) Les uns et les autres faisaient cause commune‘) 
contre les petits propriétaires et accablaient de tracasseries et de 
mauvais traitements tous ceux qui n'étaient ni assez riches, ni 
assez forts pour leur résister. 

Il y avait en effet une autre classe de possédants, classe 
tros inférieure au double point de vue de son recrutement et de 
ses ressources, et dont DIODORE nous signale la présence: c’est 
la classe des cultivateurs qui vont eux mêmes labourer leurs 
champs et qui abritent dans des constructions en bois le grain 
de leurs récoltes }. La conduite des éleveurs à leur égard fut 


m ——— 


1) DIODORE, L. c.. «ini pèv yap tig Xopacs Innoug Te noluteleïg xai 
tetpaxükxAous drhvag pet’ olxetiüv atpatimtixvy neptyeto' Tpög BE TOutotc 
AT. À ...». 

2) Cf. Drop., XXXIV, Didot, 1, 36 et 87. 

3) Dron., XXX VI, 5, 1: «l'ivetar Dè Tobreev dpxnyoc Adnviwy dvona obtoc 
olnovönoc &y duotv Adeipoiv.. .2. 

4) STRABON, p. 273, VI, 2, 6: «ty odv dpnpiav xatavoñoavtss Poopaloı 
xataxtnodpevor té te dpn xal tüv nedimv a nAslore Innopopßotz xal BouxdAotc 
xai Hotuéot nap&dooav>. 

6) Cf. la faiblesse du préteur Licinius Nerva Dion., XXXIV, 111, 8. 

6) Drop., XXXIV, De virt. et v., 599: «xal yap tv Ztxeltwtv ol roAlodg 
nAobtoug Xexrınnevor dinpalüvto rpös tas Tüv ‘Italtwrüy dnespnpavelac 
ze xai rÂAsoveElags. 

7) Diop., XXXIV, Eicc. Vatican, 102: «ol pèv änootätat obts Tag 


160 Jérôme Carcopino 


inqualifiable : il déplait aux éleveurs de nourrir et vêtir leur 
bandes innombrables d'esclaves: ils les encouragent au vol et 
à l'assassinat. Des esclaves de Damophilos s'étaient plaints à 
lui d’être obligés d'aller tout nus et lui avaient demandé des 
vêtements. «Et quoi, leur répondit Damophilos, est-ce que ceux 
qui passent à pied dans le pays vont aussi tout nus? est-ce 
qu'ils ne peuvent pas vous fournir tout de suite les vêtements 
dont vous avez besoin»)? Et pour les punir de n’avoir pas 
su mieux se tirer de la misère, Damophilos les fit attacher à 
des colonnes et rouer de coups. Le conseil fut partout entendu. 
Les pâtres nus, affamés, commencèrent par tuer les voyageurs 
isolés sur les routes; puis envahissant la nuit les propriétés 
des plus faibles, ils s’en emparèrent par la violence, faisant 
main basse sur les provisions qui y étaient amassées, massacrant 
les malheureux qui essayaient de résister*). Les gouverneurs 
montrèrent quelque velléité de mettre fin à de telles scènes de 
violence. Mais les maîtres des esclaves mirent les gouverneurs 
à la raison. Le pillage n’était plus seulement permis aux bergers; 
il leur était commandé par les grands de Sicile ®). 


Ce qui fait mieux encore éclater cet antagonisme des deux classes 
possédantes, mais inégalement possédantes, c’est l'attitude toute 
différente des esclaves, lorsque, renonçant à ces prises médiocres, 
ils se tournèrent contre leurs maîtres et s’approprièrent leur 


énadAste ävsmöpıkov oùte Tac dv adrTalg xThosıg xal xaprëY 
Anoykosig dAupatvovio, tüv 08 npög Ti;v Yewpylav Öppunxörwv dnelyovtor. 

1) DIObORE, XXXIV, Exec. Vatican, 100—101, Didot, Il, 38: «ötı Axpépuos 6 
"Evvaldg note rpocedévtwvy dut Tıvav olxstüv Yuıvav xal Ztalsyopévey bxip 
éodñtog, ox Nv&axero nv Evraukıy, AA’ dınov» ti yép; ol dd tic xopac öder- 
ropoövisg Yupvol Badilouot, xai ox étolpny rapéxovrtar Tv Xoprnyriav Ti 
xpelay Exovorv iuatimv; rènétafe npoadTjoa. rois xlocı xal nÂmy&c éppophosc 
dEanéoterlsy drepnpéveg». | 

2) Drovorex, XXXIV, Lucerpt. de virt. et vit. 599, Didot, II, 28: «dr& 88 thv ti 
zpopiig Ivdstav... Tö npütov &v Tolg Anıpavsordrog Ténotc Tobg xx” Eva zul 
800 tac Ödornopiag rotounévoug épéveuov: dura Ent Tüc Tüv dobsvectéper 
enabAsıg voxtés ddpéor auvrpsxovisg, dEñpouv Big Tabrag anal Tàs wrhoss 
Sihpnafov nai tobs &vtotauévous dvipouve. 

8) Cf. WALLON, Histoire de V’Esclavage dans l’Antiquité, 3 vol. in-$". 
2me 6d. Paris 1879, II, 293 et 294. 


La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine 161 


richesses. Alors ils respectent les cultivateurs qui se rendent 
à leur champ, ne touchent pas un grain de blé, ne commettent 
ni pillage ni incendie!) Et ici les affirmations de CICERON 
confirment celles de Diopore. Des cultivateurs, craignant de faire 
une dépense inutile ont pu ne pas ensemencer; les mouvements des 
troupes ont pu en empêcher d’autres de faire la moisson ces années- 
là: toujours est-il que pas un des cultivateurs Siciliens n’a trouvé 
la mort dans les guerres serviles. Verrès, à lui seul, leur a fait 
plus de mal qu’Eunous et Athénion réunis). 

Ainsi d’un premier examen des fragments de DioDoRe il résulte 
que les éleveurs et les cultivateurs formaient, à l’époque de la 
première guerre servile, deux classes de propriétaires différentes, 
antagonistes. La comparaison des deux guerres serviles entre 
elles va nous montrer la décadence des éleveurs et l’importance 
croissante de la classe agricole. La première guerre a été conduite 
par deux chefs entre autres, Eunous de Syrie, le plus puissant 
de tous, et Cléon de Cilicie, qui seul pouvait lui disputer la 
prééminence. Or la révolte d’Eunous a pris naissance à Henna 
qui est au centre même de la Sicile*). Cléon est parti vrai- 
semblablement d'un point plus occidental, puisque son premier 
acte a été de mettre le siège devant Agrigente, et sa première 
victoire de s’en emparer“). Ce n’est qu’ensuite, et après que 
les effectifs des armées serviles se furent considérablement grossis, 
que la guerre gagna la portion orientale de l’île, et, de proche 
en proche, arriva jusqu'aux murs de Tauromenium. Primitivement 
Vest de l’île était demeuré tranquille: ainsi, quand ïls eurent 


1) Sur ce changement à vue, cf. DIODORK, XXXIV, Exc. Vatican., 102; 
até supra p. 159 n. 7. 

2) Cıc., Verr., IX, II, 54, 125: «Cum bellis Carthaginiensibus Sicilia 
vexata est, et post nostra patrumque memoria cum bis in ea provincia 
magnae fugilivorum copiae versatae sunt, tamen aratorum interiio facta 
nulla est. Tum sementi prohibita aut messe amissa frucius annuus interibat, 
tamen incolumis numerus manebat dominorum atque aratorum». 

3) Drop. XXXIV, Excerpt. e Photio, 524-529, Didot, II, 6: Eunous chef 
de la révolte était au service d’Antigöne d’Henna, et le premier noyau de 
son armée fut constitué par la familia de Damophilos d’Henna. 

4) DiopoRE, XXXIV, Excerpt. de virt. et vit., 601, Didot, II, 43: «KAdov 


yép tic KE... xatétpexe Ty nölıy Tüv "Axpayavslvav.. .». 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 11 


162 Jérôme Carcopino 


massacré Damophilos et sa femme Mégallis, les premiers esclaves 
en révolte, voulant témoigner à la fille unique de leurs maîtres toute 
la gratitude qu’ils éprouvaient pour ses bienfaits, résolurent de 
lui épargner la vue des horreurs que la guerre entraînerait 
inévitablement, et la firent conduire sous la protection d’une 
escorte, et avec toute sorte d’egards, à Catane où elle avait 
encore des parents et où elle devait trouver la sécurité et la 
paix'). Rupilius prit le chemin contraire; quand le consul eut 
reconquis Tauromenium, il dut faire la route en sens inverse et 
mettre le siège devant Henna. Quand Henna eut succombe à 
son tour, il partit de cette ville pour purger le reste de l’île des 
dernières bandes de «fugitivi»?). Le vent de la révolte avait 
soufflé d’ouest en est, mais la tempête avait ébranlé la Sicile 
entière. La seconde guerre fut moins terrible. Elle est née de 
trois soulèvements distincts. La première bande de rebelles s'était 
formée sous le commandement d’Oarios dans la région d’Halicye”). 
Nous ne saurions dire exactement où s'était établi ce P. Clonius, 
chevalier Romain, dont les 80 esclaves formèrent le premier noyau 
de la seconde armée; mais le fait que Licinius Nerva, ayant traversé 
le fleuve Alba pour les surprendre, était passé à côté d’eux sans 
lex. voir‘), et s'étant replié sur Heracléa avait envoyé contre 
eux Titinius avec six cents soldats de la garnison d’Henna®), 
indique qu’ils venaient d’un point situé au nord d’Heracl£a et 
à l’ouest du fleuve Alba, vraisemblablement dans la région com- 
prise entre Triocala et Entella®). Quant au troisième groupe, 
Athenion l’avait recruté entre Ségeste et Lilybée”). La première 





1) DioDorE, XXXIV, De virt. et vit., 600, Didot, IX, 89: «npoyerpradusvo 
2’ &E adt@v tobç évdétous Dv Sxtevéotatos NV 'Eppslac, Aschyayov sic Katévar 
rpög Tttvag olxsloug>», 

2) Diop., XXXIV, Æ Photio, Didot, DI, 21: «’Exsidev int tv "Evver 
éASwv napanınolug éroAtépust», et 23: «dvrsüdev “Pouriliog énitpéyev Sim 
nv Zinsilav.... navrög adthv nAsuvdépwos Anstnpiovs. 

3) Divp., XXXVI, Didot, I, 4. 

4) Diop., XXXVI, Didot, IV, 2. 

5) DiovorE, XXXVI, IV, 8. 

6) On s’expliquerait ainsi l'intervention de la garnison d’Henna. 

7) DiouoRE, XXXVI, E Phot., 629—536, Lidot, V, 1: exepl 83 ti 
‚Arysoralov xal Atufaltuy xpav, Erı dè Tüv Amy TÜV rAnotoyéper, 


La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 163 


rmée fut taillée en pièces presque sur place. La seconde, vic- 
yrieuse de Titinius, alla mettre le siège devant Murgentia et 
at conduite par Salvius dans la plaine de Léontini. Mais Salvius 
tait dépaysé dans la plaine orientale: il revint bientôt sur ses 
as. Pendant ce temps Athénion, qui avait échoué devant Lilybée, 
e subordonnait à Salvius. Les deux armées opéraient leur 
onction devant Triocala!). Salvius, chef incontesté de tous 
>s réfractaires, proclamé roi sous le nom de Tryphon, s’empare 
e cette place, la fortifie, s’y enferme comme dans sa capitale. 
ès lors tous les combats se livrent autour de Triocala. Trois 
énéraux Romains y sont envoyés jusqu'à ce qu’enfin, Tryphon 
tant mort de sa belle mort, et Athénion ayant été tué, leur 
uccesseur Satyros se fut rendu à la discrétion d’Aquilius. Ainsi 
1 révolte s'était retranchée cette fois derrière le fleuve Alba 
u’Athénion n'avait jamais franchi, et que Salvius-Tryphon n'avait 
ransgressé que pour le repasser bientôt après. La seconde 
verre servile n’a été l’œuvre que des bergers de l’ouest, et c’est 
ans l’ouest qu’elle s’est cantonnée. 

Mais la révolte n’a pas seulement rétréci les limites de son 
héâtre: elle a fortement réduit le chiffre de ses effectifs. Dans 
a première guerre, le premier contingent fourni par la familia 
.e Damophilos s'élevait à 400 esclaves ?); il en comprenait 6000 
u bout de trois Jours grâce à l'alliance d’Eunous avec Achaios°). 
‚e concours apporté par Cléon le Cilicien porte ce nombre à 
0000). Enfin Rupilius se heurte à une masse formidable 


.——— [m mn 


woost TTpög Anöcracıy TA TANIG Toy olnsıwv. Tivsrar dE Toütwv Apxnyös 
Admvlov Övopa». 

1) Sur l’ordre de Salvius qui traite Athénion comme un roi son général, 
f. DiovorE, XXXVI, E Phot., Didot, VII, 2: «Atavoobpsvog 88 Ta Tptéxæla 
atalaBéotar xal xataoxebagar BaslAera, nenne [Tpipwv] xai rpèç "Adnvlove, 
ETATEHTÖHEVOG abtov WE aTparyyöv Bacıleüg». 

2) Dıov., XXXIV, E Phot., 524—529. Didot, Il, 11: «ebddç odv tstpa- 
ogious av ÖpnodouAwv ouvndporoav»r. 

3) Diop., XXXIV, E Phot., Didot, Il, 16: «@v ny ‘AXæôg xai Tobvone 
at To yévos dvnp nal BouAÿ xai ystpi drapepwv, al Ev tptolv Apäpaıg rAslouç 
&v ébaxtoxtAiwy . .. xadondlioag ...». Ces 6000 deviennent 10000: «ëyuv 
Ên orpatıwrag ÜTÈP Toùg Luploug». 

4) Dıon., XXXIV, Didot, II, 18: «<nAñdoc Ovtss Dtopdprots. 


164 Jérôme Carcopino 


de 200000 rebelles!) La seconde guerre éclate à Halicye 
dans la familia de deux frères que DIODoRE nous représente 
comme très riches: et cependant Oarios, chef des rebelles, n’a 
que 30 esclaves sous ses ordres”). Après trois jours la troupe 
d’Oarios n’est encore que de 230 combattants ®). Licinius Nerva 
les écrase sans difficulté. Les esclaves de Clonius sont 80 au 
début‘), mais grâce à l’activité et à la propagande de Salvius, 
ee contingent grossit très vite: 6000 hommes, puis 22000 hommes 
dont 20000 fantassins), enfin 30000 hommes‘) nombre que 
l’armée de Salvius n’a jamais dépassé. Les hommes d’Athénion, 
partis 200°), étaient 1000 après cinq jours‘), et atteignirent 
un maximum de 10000°). — Récapitulons: dans la première guerre 
200000 esclaves s’insurgent; dans la seconde, en additionnant 
les trois groupes que nous venons d’énumérer nous n’obtenons 
qu'un total d’un peu plus de 40000 hommes!°). La seconde 


1) Diop., loc. cit.: «per’ où noAd di dSpoifstar to obotnpa abt®v sis 
nuptädaçs elxocı». 

2) Dıov., XXXVI, Didot, II, 4: «npütor tig dAsudsplag dvrsmaonvro 
xatà ınv "Alıxvaimv xopav désAgüv dvolv psyaloniobtaov olxéta tTpté- 
xovra, &v hysito "Odpıog Övonas>. 

3) Diop., XXXVI, II, 4—5: «dv adtÿ t1ÿ vuxti ouvéBpauov nAsicog 
av éxatoy Etuoot. Kai étépous Zoùlous wnAtouévouc öydonxovra:. Done 80 
+ 120 + 80 — 230. 

4) Drop., XXX VI, IV, 1: «llénAtov KAéyiov vivépevov innéa “Popalev ol 
3oülot xatédpaEav 8yYohxovta Övieg». 

5) Diop., XXXVI, IV, 5: «dv dAlyp xpéveo xatsoxsudodnoav Exxeic pèy 
nisioug Tüv droyıliwv, rsboi dE obx EAdTTous Tüv Bropupleavs. 

6) Dion., XXXVI, VO, 1: «Zaldutos . . . 7Yporosv ärıläxtong Evèpag oda 
dAatrouc tv TpLanuplmv». 

7) Diop., XXXVI, V, 1: “énetos T@v Gtxst@v npürov pèv tobc be’ demröv 
<etæynévouc rspli Braxoclong Övracs. 

8) Diop, loc. cit.: «Enarta toùç ysttmüvras bots évrévts fnépatc guvay Piveı 
nisloug toüv Xıllav>. 

9) Dıon., XXX VI, V, 3: «Téloç AYpolsa; brèp toùç poplouc Eröipmes ... 
+0 AudBarov xoltopusive. 

10) Nous n’avons pas de raison de révoquer en doute l'exactitude des 
chiffres fournis par DioporE. La multiplicité et la précision des détails sont 


autant de gages de leur authenticité. Sur ce point d’ailleurs, cf. BELoCH, 
op. cü., p. 300. 


La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romafne. 165 


guerre servile a mis en ligne cinq fois moins d'hommes que la 
première. Comment expliquer une telle disproportion ? 

Est-ce par la différence des causes qui ont provoqué l’un et 
l’autre soulèvement? Le premier a résulté de la cruauté d’un 
seul maître, Damophilos d’Henna. Le second a été motivé par 
le refus du preteur Nerva de se conformer plus longtemps à un 
sénatus-consulte qui intéressait la presque totalité de la classe 
servile de Sicile, puisqu'il ordonnait l'émancipation des esclaves, 
originaires des nations alliées du peuple Romain, et qui, en 
quelques jours d’application, avait déjà provoqué 800 affran- 
chissements”). Ainsi la guerre la plus générale procède de la 
cause la plus étroitement localisée, et les causes générales n’ont 
entraîné que des soulèvements particuliers; quelle singulière con- 
tradiction et comment la résoudre ? 

En réalité, ce que nous prenons pour la cause de la guerre 
de 133 n’a été que l’occasion qui révèle la cause. Car si la 
mutinerie d'une familia s’est étendue à la Sicile entière, c'est 
que les motifs de mécontentement qui l'avaient excitée, c’est que 
les raisons qui lui avaient permis de s'organiser et de vaincre, 
alors se retrouvaient partout, décisives, agissantes. Et de même 
qu’il faut chercher dans le déplorable régime des latifindinr la 
source de son extension et de sa gravité, de même, si l’on veut 
savoir pourquoi la guerre de 101 ébranla la Sicile d’une moins 
terrible secousse, il faut admettre que ce régime a, dans l’intervalle 
qui la sépare de celle de 133, subi de très graves atteintes *). 

Il ne faut pas oublier en effet que dans cet intervalle, en 
133, Ti. Sempronius Gracchus avait fait passer sa loi agraire, 
et qu’elle répondait à des nécessités si urgentes que les ennemis 
les plus acharnés du tribun ne purent se dispenser de l’appliquer. 


1) Licinius Nerva fut interrompu dans sa tâche pas les doléances des 
publicaius propriétaires d'esclaves, dont l’exécution du sénatus-consulte 
décimait les fumilias et contrariait les intérêts. Cf. Diopore, XXXVI, IU, 
3: «ol 8’ èv dEwpaor cuvöpdpovreg Trapsxélouvy TOY GTpaTnYöv ÄTOCTTVaL 
zadıng ns éntBolñc. ‘O 8’ elte yphpacı natodelc elte xdApırı doudeücag, 
rc mèv TÜV xpırnpiwv Tobrwv onoudiig Andorn, xal Tobg npocrövrag änl To 
tuxeiv tig Eleudsplag éminmAmttov slg Toüg löloug xuploug npogétattev Eravaa- 
TPÉPELV». 

2) Cf. Hors, op. ci#., DI, p. 113. 


166 Jérôme Carcopinn 


Dans une inscription qu’un adversaire de Ti. Gracchus, P. 
Popilius Laenas consacrait à sa propre gloire, il se reconnaissait, 
entre autres mérites, celui d’avoir contraint «les éleveurs à se retirer 
de l’ager publicus devant les cultivateurs», et à leur profit: «primus 
fecei ut de agro poplico — aratoribus cederent paastores» *). Comme 
le montre MOMMSEN, dans la notice du Corpus qui accompagne l'in- 
scription, c’est aux actes du consulat de Popilius Laenas que se rap- 
portait l’éloge. Orce P. Popilius Laenas fut consul en 132, et il avait 
pour collègue. P. Rupilius, le vainqueur d’Eunous et le pacificateur 
de la Sicile. N’est-il pas probable que celui-ci a rempli dans 
l’île une tâche analogue à celle de Popilius dans la péninsule? 
Les textes ne nous disent point qu'il ait été question de la 
Sicile dans la Lex Sempronia, mais cette éviction des «possessores> 
qui s’opérait en vertu de la loi en Italie, où elle bouleversait 
des droits plus anciennement acquis que partout ailleurs, n’a- 
t-elle donc pu s’opérer parallèlement en Sicile en vertu des pouvoirs 
que le Sénat avait conférés à P. Rupilius?)? Dans les quelques 
textes — à la vérité trop brefs — où il nous est parlé de lui, 
P. Rupilius nous apparait moins comme le général qui est venu 
à bout d’une insurrection formidable que comme un législateur 
dont le code était encore observé, soixante ans après, à l’époque 
des Verrines?). CicÉRON nous a transmis le dispositif de quel- 
ques unes des /eges Rupzliae, et Valère Maxime nous dit quil 
fixa les droits des Siciliens: «eumdem (Rupilium) jura dantem 
.. . (Siculi) viderunt» *#). Or Rupilius n'aurait pu faire œuvre 
sérieuse de réorganisation s’il ne s'était pas attaqué tout d’abord 
au problème agraire. La guerre servile avait révélé toute l’étendue 
du mal. Elle avait fourni aux réformateurs de Rome le plus 
décisif de leurs arguments”). Rupilius ne pouvait ni s’en dissi- 


1) C. I. L., 1, p. 154, n° 551. 

2) Cic., Verr., U, II, 16, 40. 

3) Cıc., Verr., IT, II, 13, 32 et Cit., Verr., II, IL 16, 40 etc. 

4) Var. Max., VI, 9. 8. 

5) Cf. LANGE (Trad. Berthelot-Didier), Histoire intérieure de Rom 
jusqu’à la Bataille d’Actium, 2 vol. in-8°, Paris 1888, II, p. 9: «Enfin pos 
dessiller les yeux des nobles, Ti. Gracchus espérait donner comme exempl 
et comme preuve de la nécessité d’une réforme Podieuse guerre que les esclave 
de Sicile avaient suscitée en 133». 


La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 167 


ınuler les causes, ni ignorer le moyen d’en prévenir le retour. 
Et il a dû hésiter d'autant moins à appliquer à la Sicile le 
remède employé par Popilius en Italie que les possessions de 
l'ager publicus Sicilien étaient relativement plus récentes et ne 
remontaient pas plus haut que la fin de la première guerre 
punique. Pour toutes ces raisons nous nous croyons en droit de 
faire honneur à Rupilius également du mérite dont s’est vanté 
son collègue de 132, P. Popilius Laenas ; et nous pensons qu’il fut 
le premier, en Sicile, à procéder à des assignations de terres et 
a remanier le cadastre de l’ager publicus. L’&chelonnement sur 
plusieurs années de ces répartitions nouvelles expliquerait qu’elles 
aient pu se faire sans provoquer des récriminations et des colères, 
dont il eût été bien extraordinaire que l’histoire ne nous transmit 
pas l’écho. Il expliquerait aussi que les textes qui nous parlent 
de Rupilius aient laissé dans l’ombre la partie de son œuvre dont 
il partage l’accomplissement avec quelques-uns de ses successeurs. 
Quant aux répartitions elles-mêmes, elles nous expliquent non 
seulement pourquoi nous avons vu, de la première à la seconde 
guerre servile, diminuer l'importance des effectifs formés par les 
pâtres en révolte, et se rétrécir sur la carte le champ de leur 
action, mais encore pourquoi de la seconde guerre servile à 
l’Empire la Sicile n’a cessé de jouir d’une entière sécurité. 
CICERON nous dit bien que les esclaves sont encore dangereux 
au moment où la moisson les rassemble dans les champs ?): 
mais à parler franchement le péril d’un soulèvemeut est beaucoup 
plus une réminiscence qu’une réalité. Il est question au Livre V 
des Verrines d’un commencement de complot dans la fimilia de 
Leonidas de Triocala?); mais on est fondé à suspecter la véracité 
d’une délation dont Verrès sait tirer un si bon parti. Au surplus, 
le préteur est coutumier du fait: il forge les conjurations d’esclaves 
les plus invraisemblables pour faire chanter les maîtres; et sous 





1) Cıc., Verr., Il, V, 12, 29: «Cum vero aestas summa esse coeperat, 
quod tempus omnes Siciliae semper praetores in itineribus consumere con- 
suerunt propterea quod tum putant obeundam esse maxime provinciam, 
cum in areis frumenta sunt, quod et familiae congregantur et magnitudo 
servilii perspicitur». 

2) Cıc., Verr, I, V, 4 et 5. 


168 Jérôme Carcopino 


prétexte de rétablir l’ordre dans des régions qui n’ont jamais été 
si calmes, il voudrait soutirer de l’argent à Apollonius Geminus 
de Panorme!), et en soutire effectivement à Eumenidas d’Ha- 
licye?). En réalité rien ne troublait la tranquillité du pays, 
et comme CICÉRON le dit ailleurs, «aucune guerre domestique ne 
pouvait alors surgir dans la province», <nullum est malum do- 
mesticum quod ex ipsa provincia nasci possit»?). Cette sécurité 
de la Sicile est d’autant plus significative qu’à la même époque, 
en Italie des esclaves s’agitaient: CIicÉRON, nous dit le PsEupo- 
ASCONIUS, CICERON (au retour de son enquête sur Verrès) dut, en 
quittant la Sicile, prendre la voie de mer à partir de Vibo, et 
cela autant pour éviter les esclaves fugitifs que pour échapper 
à une attaque concertée par l’ex-préteur‘). La transition était 
brusque et le contraste absolu: il est vrai qu’en Italie le mouve- 
ment de concentration des fortunes terriennes, à peine arrêté par 
les lois agraires, était perpétuellement allé depuis en s’acc&lerant; 
les céréales s'étaient progressivement retirées devant la concurrenee 
des blés provinciaux; et sur les immenses herbages des Zatifundia 
les «families d'esclaves restaient menagantes. 

C'est qu’en effet des formes de propriété différentes déter- 
minaient alors des modes d'exploitation diftérents. Dans lin- 
scription que nous citons plus haut les grands possessores d’ager 
publicus sont désignés par le terme professionnel d’éleveurs, les 
petits propriétaires auxquels on assigne 30 jugères sur l’excédant 
des possessiones par celui des cultivateurs: «ut de agro poplico 
«ratoribus cederent paastores». Les domaines parcellaires étaient 
labourés, les latifundia laissés en pâture. Et sans doute les 
translations de propriété et les assignations, dont nous considérons 
Rupilius comme le promoteur, ont eu, en Sicile, pour inévitable 


1) Cıc., Verr., U, V, 7, 16 sq. 

2) Cıc., Verr., I, V, 7, 16. 

3) Cıc., Verr., II, V, 4, 8: «Cumque haec a servorum bello pericula & 
praeorum institutis et dominorum disciplina provisa sint, nullum est malum 
domesticum quod ex provincia nasci possit». 

4) Argumentum Ps. Asconii in C. Verrem Actio prima (ORELLI p. 126): 

«(Cicero) quia pedestre iler ex Sicilia et propter ” fugtiinns et propter Verrie 
insidias devitabat a Vibonc transiit.» 


La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 169 


corollaire, une extension des céréales au détriment des herbages ; 
et jamais la culture du blé n’a dû être plus florissante en Sicile 
que dans la période qui sépare la seconde guerre servile de la 
préture de Verrès. 


VI. La nature des exploitations agricoles. 


Nous venons de réagir contre cette idée que les cultures de 
Sicile étaient, au temps des Romains, soumises en majorité au 
régime du latifundium, comme le sont aujourd'hui les terres à 
céréales. Ce n’est pas à dire pour cela que les grandes exploitations 
agricoles y aient été inconnues alors. Dans un canton au 
moins elles devaient former la majorité: celui de Léontini. Nous 
savons que le territoire emblavé de ce canton comprenait, 
pendant la troisième année de la préture de Verrès, 30000 jugères 
= 7500 hectares”), Nous savons d'autre part que pendant cette 
même année ces 7500 hectares appartenaient à 32 cultivateurs 
seulement *). Les emblavures occupaient donc en moyenne 937 
jugères = 235 hectares par exploitation. Mais les emblavures 
n'étaient qu’une partie de la propriété: il faut multiplier leur 
étendue par le coefficient de rotation des cultures (2,5) pour 
obtenir l’etendue totale de l'exploitation. (Chacun des cultivateurs 
de Léontini possédait en moyenne 588 hectares. A coup sûr 
cette moyenne ne signifie pas que les 32 domaines de Léontini 
avaient tous ces dimensions, ou des dimensions à peu près 
semblables; plusieurs parmi eux pouvaient demeurer bien en dega 
des 588 hectares; mais plus on en admet qui soient au dessour 
de ce niveau, plus ce niveau est dépassé par ceux qui sont au 
dessus; et il n’en faut pas plus pour démontrer l'existence de 
très grands domaines à Léontini”). 


1) Cıc., Verr., D, III, 49, 116: «Professio est agri Leontini ad juge- 
rum XXX». 

2) Cıc., Verr., II, III, 51, 120. «Zecita tandem quot acceperit aratores 
agri Leontini Verres— LXXXLILI— quot annotertio profiteantur — XXXII. 
II et L aratores ita vid.o dejectos, ut iis ne vicarit quidem successerints, 

3) Il se peut très bien qu'il y ait eu des petits domaines à Léontini; 
ce seraient alors ceux des 52 cultivateurs qui de 73 à 71 abandonnèrent la 
partie et firent le vide devant Verrès. 


170 Jérôme Carcopino 


Mais la situation de Léontini est exceptionnelle "), et il serait 
imprudent de conclure de Léontini au reste de la Sicile. Il est 
à remarquer d’abord que de tous les cantons dont le chiffre global 
nous est donné, Léontini est celui dont la dime est la plus 


ensuite que de tous les cantons dont le chiffre des cultivateurs 
nous a été transmis par CICÉRON, Léontini est celui où la densité 
de la population agricole est la plus faible*), 84 cultivateurs en 73, 
32 en 71. Ces deux particularités contradictoires font de Léontini un 
véritable cas limite; elles le placent à une des extrémités de 
l'échelle des grandeurs domaniales: elles interdisent d’y chercher 
la mesure ordinaire des propriétés de Sicile. 

Il est un autre canton où nous pouvons obtenir la moyenne 
des exploitations — avec moins de rigueur il est vrai: nous nous 
assurerons qu'elle est tout autre qu’à Léontini dans le canton 
d’Herbita*): malheureusement à Herbita, CICÉRON n'indique pas 
le nombre des jugères ensemencés, et nous ne saurions l’atteindre 
que par voie médiate, en partant du chiffre de la dîme. Mais 
ici une nouvelle difficulté se greffe sur la première. Car les 
dîmes indiquées par CICERON pour les trois années 73, 72, 71 
étant d'autant plus fortes que le nombre des cultivateurs et par 
conséquent des champs ensemencés est plus faible, et s’élevant 
au fur et à mesure que celui-ci s’abaisse°), ont été certainement 
adjugées par Verrès au dessous d’abord, au dessus ensuite de 
leur valeur réelle®). Nous prendrons en conséquence pour base 


1) Sur les causes de cette exception cf. mon art. dans les Mél]. d’archéol. 
et d’hist., année 1905, t. XXV. p. 32. 

2) Cf. Lipara (600 Médimnes), Herbita (5130 M.), Thermae (8000 M.); 
cf. supra p. 160. 

8) Léontini 84, Mutyca 187, Agyrium 250, Herbita 252. 

4) Cf. Cıc., Verr., Act. IT, LIO, ch. 32 et 33. 

5) La dime d’Herbita la première année = 3000 médimnes (II, III, 3, 
75); = 7500 médimnes la troisième année (Cıc., Verr., I, IIL, 88, 77). La 
première année Herbita compte 250 cultivateurs, 120 la troisième année (Cr. 
Verr., Il, IH, 51, 120). 

6) Cela est si vrai que la dernière année Verrès fut obligé de oasser 
Padjudication et de ramener le prix de la dime de 8100 à 7500 médimmes 
(Cic., Verr., U, II, 33, 77). 


La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 171 


de nos calculs la moyenne des trois dîmes, soit 5130 médimnes. 
Une dîme de 5130 médimnes suppose une récolte totale de 51 300 
médimnes. Et puisque 1 jugère produit environ 8 médimnes, 
cette récolte a mûri sur une surface de 6412 jugères -- 1603 hec- 
tares. Combien y avait-il de cultivateurs à se partager ces 1603. 
hectares? 252 si l’on adopte le chiffre du recensement de 73, 
120 si l’on adopte celui du recensement de 71'). Dans le. 
premier cas chaque cultivateur a ensemencé 25 jugères 50 ou. 
6 hectares 57 ares; dans le second cas 54 jugères environs ou 
14 hectares. Mes ces calculs fondés sur la dîme du blé ne com- 
prennent point la superficie cultivée en orge. En portant la pro- 
duction totale de l’orge au maximum que nous lui avons assigné ?), 
et en supposant que le rendement de l'orge au jugère est égal 
au rendement du blé nous n’elevons pas les résultats précédem- 
ment acquis, le premier à plus de 37 jugères 25, 9 hectares 31, 
le second à plus de 81 jugères, 20 hectares, 25 ares. Ce n’est 
pas tout: multiplions ces totaux par le coefficient de jachere: 2,5; 
nous n’aurons jamais que 93 jugères, 23 hectares dans le premier 
cas, et dans le second, 202 jugères ou 50 hectares 50 ares par 
domaine. Or des moyennes aussi peu élevées, si elles n’excluent*) 
pas la grande propriété, dénoncent la présence de petits domaines 
et en multiplient le nombre d’autant plus qu’on arrondit davantage 
la circonférence des /rtifundia voisins. Aussi bien trouvons nous 
ailleurs qu'à Herbita des exploitations moyennes et des propriétés 
parcellaires. C’est par exemple un domaine moyen que celui de 
Polemarchus de Murgentia. L’annee où Apronius vint lui réclamer 


1) Cf. Cıc., Verr., U, III, chap. 51, $ 120. 

2) Nous avons établi qu’on ne saurait évaluer la production de l’orge 
à plus de la moitié de la production du blé, cf. supra p. 155. 

8) Nous avons cru devoir tirer du discours De re frumentaria ces 
données statistiques que ni M BELOCH, ni M. FRANCHINA n’ont utilisées, 
puisqu'ils se bornent, celui-ci à la détermination du chiffre de la production 
totale du blé, celui-là à la détermination du chiffre de la population totale 
de la Sicile. Nous ne sommes point d’ailleurs dupes de l'illusion qui con- 
sisterait à accepter ces chiffres comme absolument conformes à la réalité. Ap- 
pliquée à l’histoire ancienne, la statistique ne saurait préciser les traits de 
cette réalité; elle ne peut que tracer les limites extrèmes entre lesquelles cette 
réalité est contenue. 


172 : Jérôme Carcopino 


700 médimnes, Polemarchus n’avait ensemencé que 50 jugeres'). 
A supposer ce qui n’est point sür’), que cette superficie ne 
contienne point les champs cultivés en orge, en multipliant le tout 
par 2,5 coefficient de jachère, la propriété de Polemarchus ne dé- 
passera pas néanmoins 47 hectares. Enfin ce sont des propriétés 
parcellaires que celles des cultivateurs qui ne labourent qu’un 
jugère à la fois. Si Verrès les a décimés, si, sous l’oppression 
dont il les accablait, ils ont laissé là leur champ et leur charrue, 
leur nombre avant Verrès était considérable, et ils formaient au 
dire de CICÉRON une grande multitude: emrgnus numerus ac magna 
multitudo»?). — Ainsi nous avons rencontré en Sicile des ex- 
ploitations agricoles de toutes les dimensions, de 25 ares à 600 
hectares comme à Léontini; mais des passages des Verrines que 
nous venons d'étudier il résulte que les grands domaines étaient 
l'exception et la petite minorité, les petits domaines la grande ma- 
jorité et la règle. 

Ces domaines étaient indistinctement exploités par les Siciliens 
indigènes et les Romains immigrés après la conquête“). Toutefois 
l’élément national semble avoir prévalu jusqu’à l’époque de Verrès. 
Sans quoi on s’expliquerait malaisément la hâte que mirent les 
villes sous ce préteur, à racheter la perception de leurs dîmes 
aux décimateurs: elles n’eussent pas été aussi généreuses pour 
leurs vainqueurs°). Les arr/orcs Siciliens l’emportent avec 
Polemarchus de Murgentia®), Eubulidas ’), Sostratus, Numenius, 


1) Cıc., Verr., Il, III, 25, 56: Polemarchus est Murgentinus vir bonu: 
atque honestus. Ei cum pro Jugeribus quinquaginta medimna DCC decumur 
smperarenturs. 

2) Car CicERoN dit „medimna“ sans spécifier „medimna trilici“, et si la 
dime de l’orge est adjugée à un autre décimateur que la dime du blé, les 
deux dimes peuvent être acquises également par la même adjudicataire. 

8) Cic., Verr., D. III, 11, 27: «Quid? qui singulis jugis arant, qui ab 
upere ipsi non recedunt, quo in numero maynus ante le praetorem numcrus 
ac magna multitudo Siculorum fuit, quid facient Pr. 

4) Cf. Cıc., Verr., IT, II, 64, 155: «Modo aratorum honestissimorum et 
Siculorum et civium Romanorum maximum numerum abs le ab alienasti:». 

5) Cf. les exemples cités par Cıc., Verr., IT, II, 27, 68; 32, 75; 839, 88. 

6) Cıc., Verr., II, II, 23, 56. 

7) Cic., Verr., I, II, 23, 56. 


_ 


La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 173. 


Nymphodorus'), Xeno de Menae”), Nympho de Centuripae’). 
Enfin CICÉRON nous apprend que la classe la plus nombreuse des 
propriétaires était composée de Sieiliens*). Mais les Romains aussi 
cultivent en Sicile’). Nous rencontrons à Léontini un simple 
citoyen C. Matrinius®) et la femme du consulaire C. Cassius’”), 
à Aetna un chevalier Q. Lollius®), à Ségeste un sénateur C. 
Annaeus Brocchus?). 

Les Siciliens exploitent en général des terres de moindre 
étendue ‘°) que les Romains, qui ne seraient pas venus de Rome 
pour un lopin de quelques jugères; et c’est ainsi que la femme 
de C. Cassius et C. Matrinius, inscrits à Léontini, appartiennent 
au canton par excellence de la grande propriété. 

Chose curieuse, quand les Siciliens se trouvent en possession 
le très grands domaines, c’est en qualité de locataires et non de 
propriétaires. Ce sont des locataires que Nympho de Centuripae 
et Dioclès de Panorme surnommé Phimès. Or la récolte totale 
de Nympho s'élevait l’année où il eut maille à partir avec le 
décimateur de Verrès à 7000 médimnes -. 3500 hectolitres !!), 


1) Cıc., Verr., II, II, 28, 67. 

2) Cıc., Verr., II, II, 22, 66. 

3) Cıc., Verr., II, DI, 21, 53. Ajouter à cette liste Phimès de Panorme. 
Cıc., Verr., U, 10, 40, 98. 

4) Cıc., Verr., I, I, 11, 27: «qui singulis jugis arant, quo in nu-- 
mero ... magna multitudo Siculorum fuit». 

5) Cıc., Verr., II, IH, 5, 11: «In hac causa frumentaria cognoscenda 
haec vohis proponite, judices, vos de civium Romanorum qui arant 
in Sicilia bonis cogniluros>». 

6) Cıc., Verr., Il, III, 24, 60: «Qui C. Matrinium judices Leontinis - 
ta publico biduum tenuit». 

7) Cıc., Verr., U, II, 41, 97: «In C. Cussio, cum is eo ipso tempore 
primo istius anno consul esset, tanta improbitate usus est, ut, cum ejus uxor, 
femina primaria, paternas arationes haberet in Leontino ...». 

8) Cıc., Verr., IX, IH, 29, 61: «Qui (Q. Lollius) cum araret in Aetnensi». 

9) Cıc., Verr., IL, LI, 40, 93: «Huic eidem Symmacho (in agro Sege- 
stano) C. Annaeus Brocchus senator homo eo splendore, ea virlute qua omnes 
eristimalis, nummos praeler frumentum coactus est dare». 

10) Cf. supra n. 4. 

11) Cıc., Verr., IT, II, 21, 54: «Sic Apronius decumanus non decumam 
debitam ... sed tritici VII milia medimnum ex Nymphonis arationibus: 
tollit». 


174 Jérôme Carcopino 


ce qui avec une moyenne de production au jugere de 8 médimnes 
donne une superficie emblavée de 875 jugères — 219 hectares. 
Il est plus malaisé mais non pas impossible de trouver l’étendue 
dn domaine de Phimès. CICERON nous dit en effet que Phimès, 
bousculé par les décimateurs, dut consentir à leur remettre 16 000 
sesterces - 4000 francs et 654 médimnes — 327 hectolitres de 
grains!) Or ce dernier chiffre représente selon nous la dime de la 
récolte. En effet il convient de remarquer tout d’abord que 654 
médimnes ne font pas un chiffre rond. Ce nombre ne semble 
pas avoir été imposé par l'arbitraire du décimateur à l’adhésion 
du contribuable?) La complication du compte est un premier 
indice qu’il a été fait directement sur le produit de la moisson 
et qu'il équivaut à peu près au dixième de la récolte de Phimès. 
Il faut noter ensuite que si l’on convertit les 654 médimnes en 
une somme d'argent, à raison de 18 sesterces le médimne”), on 
n’obtiendra que 11772 sesterces . 2943 francs, soit les deux 
tiers des 16000 sesterces 4000 francs réclamés en sus de la 
contribntion en nature. Par conséquent, si nous limitons à la 
«somme des 16000 sesterces le bénéfice personnel du décimateur. 
il est encore supérieur d’un tiers à la dîme elle-même et est 
égal aux plus lucratifs que nous rencontrions au cours des Verrines; 
et puisque CICERON n’a point souligné d’une mention spéciale 
l’avidité du décimateur, nous n’avons pas lieu de croire quil 
faille encore ajouter à ce gain déjà considérable toute une part 
des médimnes exigés. Ce qui achève d'entraîner notre conviction. 
c'est le passage que nous lisons quelques lignes plus bas dans 
le même paragraphe du discours. Nous voyons que le même 
décimateur auquel Phimès eut affaire, Symmachus, contraignit 


1) Cic., Verr., II, III, 40, 93: «Arabat is (Phimes) agrum conductum 
in Segeslano ... Pro decuma cum pulsatus a Venerio esset, decidit HS XVI 
et medimnis DCLIIID. 

2) Le plus compliqué des „lucra“ est celui exigé par Bariobal à Amestratus: 
il demande 850 médimnes au lieu des 800 qui lui sont düs, plus 1500 ses- 
terces (Cic., Verr., IX, II, 39, 89). Cf. au contraire des lucra de 2000 mé- 
dimnes (Cıc., Verr., D, III, 37, 84 et II, III, 38, 86), de 88800 médimnes et 
21000 médimnes (Cıc., Verr., II, II, 32, 75), de 3000 médimnes (Cıc., Verr., 
IT, III, 42, 100). 

3) Sur les cours du blé cf. supra p. 142 sg. 


La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 175 


un voisin de Phimès dans le canton de Ségeste, le sénateur C. 
Annaeus Brocchus à lui donner de l'argent en plus du grain 
régulièrement perçu‘). Pourquoi donc vouloir que d’une ex- 
ploitation à l’autre Symmachus ait varié ses procédés? Il est 
bien plus vraisemblable d'admettre qu'il a usé auprès de Brocchus 
de la tactique qui venait de lui réussir auprès de Phimès. S'il 
en est ainsi, ler 16000 sesterces constituent le bénéfice extra- 
légal et personnel de Symmachus et les 654 médimnes de grain 
représentent la dime de la récolte de Phimès. Et cette récolte 
d’environ 6540 medimnes : 3270 hectolitres suppose une super- 
ficie emblavée de 817 jugères --: 205 hectares. Les fermes prises 
à ferıne par Phimès et par Nympho étaient, on le voit de vastes 
exploitations: magna: arationes conductas habebat, comme dit 
CıcEron en parlant de ce dernier *). 

Or Nympho est un richard*); Phimès appartient à une fa- 
mille noble et illustre“). C’est l’habitude qu’en Sicile les hommes 
riches louent de vastes étendues de terres pour les faire valoir°). 
Les citoyens de la cité la plus opulente de l’île sont aussi ceux 
qui ont contracté le plus grand nombre de baux et nous trou- 
vons les habitants de Centuripae installés en fermiers, un pen 
partout à la fois, sur le territoire d’Aetna comme sur celui de 
Leontini‘). Il semble que le fait en lui-même ait frappé CICÉRON : 


1) Cic., Verr., O, III, 40, 98: Cf. la comparaison des deux passages 
Pro decuma cum pulsatus a Venerio | Annaeus Brocchus nummos praeter 
esset, decidit HS XVI et medimnis | frumentum coactus est dare, 
DCLIIN. ( 

2) Cf. Ci, Verr., IT, Il, ch. 21, 68: «Is (Nymph:) cum arationes 
magnas conductas haberetr. Tout au plus pourrait ou soutenir que dans les 
654 médimnes de la récolte de Phimès sont comprises les fernae quinqua- 
gesimae que le décimateur prenait en plus de la dime: la dime proprement 
dite ne serait alors que de 614 médimnes, ce qui d’ailleurs ne réduirait la 
superficie emblavée que de 50 jugères et par conséquent ne modifierait pas 
sensiblement nos conclusions. 

3) Crc., Verr., H, IH, 21, 53: «Homines locupletes sicut ille est». 

4) Cıc., Verr., II, III, 40, 93: « Diocles est Panhormitanus, Phimes cog- 
nomine, homo illustris ac nobilis». 

6) Cıc., Verr., Il, III, 21, 53: «Is cum arationes magnas haberet, quod 
homines etiam locupletes in Sicilia facere consuerunt». 

6) Cic., Verr., II, III, 45, 108: «Centuripini qui agri Aetnensis multo 


176 Jérôme Carcopino 


il l’a signalé à ses lecteurs, mais il nous a laissé le soin d'en 
proposer une explication. 

Le fait doit tenir, dans la plupart des cas, à la location 
censorienne des terres composant, en Sicile, l’ager publicus populı 
Romani. Les censeurs, en effet, avaient tout intérêt, pour sim- 
plifier et en même temps pour assurer le recouvrement des rede 
vances, à attribuer l’ager publicus, en quelques lots énormes 
à un petit nombre de locataires, riches par ailleurs et présentan 
des garanties; et il est à noter que le canton de Léontini dont tan 
de cultivateurs sont citoyens de Centuripae, rentre précisémen 
tout entier dans la catégorie des terres domaniales'). Comm: 
nos capitalistes modernes recherchent des concessions dans le 
pays neufs que l’État s’est appropriés, les capitalistes d’alor 
obtenaient de l'État Romain des terres à défricher, et les met 
taient en valeur, avec tous les moyens dont ils disposaient. Vue 
à travers les Verrines, leurs exploitations apparaissent comm 
parfaitement organisées, munies de tous les outils indispensables 
peuplées de travailleurs. Nympho, par exemple, n’a reculé » 
devant les frais, «magna impensr magnoque instrumento», ni de 
vant la peine, car lui-même intelligent et actif veille à l’utili 
sation des dépenses et à la coordination des efforts, «cum kom 
gnarus et industrius . . . cas... tueretur» ?). Comme les con 
cessions d'aujourd'hui, ces grandes fermes sont louées à bas prix 
Ainsi Phimès a loué sa ferme six mille sesterces = 1500 francs” 
La somme est dérisoire si l’on admet que le bail, à longue échéance 
porte non seulement sur les terres emblavées (205 hectares) mai 
encore sur les terres en jachères (512 hectares en tout): elle me 
l’hectare à 2 francs 95. Elle est encore bien faible si la locatio: 
annuelle ne porte que sur les terres ensemencées: dans ce ca 


mazximam parlem possid.nt. Arant enim tota Sicilia fere Centuripinis. - 
Ibid. 48, 114: «Centuripini qui numerus in agro Leontino mazimus est: 
Sur la richesse de Centuripae cf. Verr., IL IV, 28, 50: «in civitate totiu 
Siciliae mulio maxima et locupletissima». 

1) Sur la situation de l’ager Leontinus, voir mon article de Afél. d’arcl 
et dhist., loc. cit., p. 48 sq. 

2) Cic., Verr., U, III, 21, 58. _ 

8) Cıc., Verr., I, DI, 40, 98: «Conductum habebat HS sex milibus: 


La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 177 


elle met l’hectare à 7 francs 35. Dans les deux cas la rede- 
vance au propriétaire est inférieure de près de moitié à la rede- 
vance au fisc. Et si Phimès doit acquitter 1500 francs ou 6000 


> % 


sesterces à celui-là, il doit acquitter à celui-ci 654 médimnes de 
blé c’est-à-dire une somme de 11 772 sesterces ou 2943 francs). 


VII. Recensement de la classe agricole. 


M. DarEstE a déjà calculé le nombre des cultivateurs de Sicile 
pendant la première année de la préture de Verr&s?). En 73 
av. J.-C., il y avait à Léontini 84 cultivateurs; il y en avait 
187 dans le canton de Mutyca, 252 dans celui d’Herbita, 250 
dans celui d’Agyrium*). M. DARESTE a pris une moyenne de 
200 cultivateurs par canton“) et multiplié cette moyenne par 


1) Qui l’emportait dans la pratique du bail à court terme ou du bail à 
longue échéance? Dans la pénurie de renseignements dont nous souffrons, nous 
ne pouvons rien affirmer. Toutefois trois raisons militent en faveur de la 
location annuelle. 1° Une raison de texte: les termes „araliones con- 
ductas“ semblent exclure de la conductio tout a qui n’est pas „labours“ (il 
est vrai que Phimès a loué „agrum“). 2° Une raison logique. Pourquoi le 
locataire qui loue en vue de la culture des céréales tiendrait-il à ce que la 
possession de terres improductives lui fût allouée? Avec des baux à court 
terme il peut chaque année affermer une nouvelle exploitation et pour un 
moindre sacrifice obtenir autant de bénéfices. 3° Une raison juridique: le 
droit civil Romain (et il est probable que les Romains qu'il favorisait en 
étendirent l'application à la Sicile) prévoit pour les biens ruraux deux caté- 
gories de contrats de louage 1° des taux faits pour plusienrs années. 
2°) des taux limités à l’année agricole. Or si dans le premier cas les mau- 
vaises années sont censées trouver dans les bonnes une suffisante compensation, 
dans le second le fermier a droit à une remise de fermage (remissio mercedis) 
si la récolte n’a pu être perçue par suite d’un cas de force majeure (invasion, 
inondation, grêle) (cf. P. F. Ginarn, Traité élém. de Droit Romain, in-8°, 
Paris 1901, 3me éd., p. 567 n. 4). En Sicile comme partout ailleurs l'intérêt 
du locataire est d’obtenir le second bail. Mais en Sicile il arrive que le loca- 
taire est ordinairement plus fort, parce que plus riche, que le propriétaire. 
Le second bail a donc dû prévaloir. 

2) DARESTE, De conditione et forma Siciliae, 1 vol. in-8°, Paris 1860, 
p. 30. 

3) Cıc., Verr., II, UI, 51, 120. 

4) Cette moyenne est en réalité supérieure de 8 unités à la moyenne 
arithmétique réelle. Nous la conserverons néanmoins pour neutraliser les 


chances d’erreur par défaut qu’introduit dans les calculs le canton de Léon- 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgesehichte. IV. 12 


178 Jérôme Carcopino 


le ehifire des cantons. Nous avons vu que la Sicile contemporaine 
de CICÉRON ne comprenait pas plus de 65 cantons!) Combinde 
avee cette estimation, la methode de M. DARESTE nous amène 
done à fixer à 13000 environ le nombre des eultivateurs de 
Sicile en l’année 78. 

Que représente ce chiffre par rapport à l’ensemble de la po- 
pulation? Bien peu de ehose, si Fon en croit M. DARESTE. 
Qu'est-ce en effet que 200 cultivateurs par canton, alors que sur 
le territoire de la seule cité de Centuripae, on eomptait, au temps 
de CiCÉRON, 10000 citoyens *), ce qui donne à ce territoire une 
population totale d’au moins 40000 habitants ? 

Mais le raisonnement de M. DaresTE est plus spécieux que 
convaincant; car s’il est bien vrai qu’au moment où CICERON rédige 
les Verrines Centuripae comprend 10000 citoyens, il faut observer 
d’une part que l’orateur fait de ce nombre un mérite exceptionnel 
aux Centuripin:, et d'autre part que la moyenne de 200 par 
canton à laquelle M. DARESTE s'est arrêté ne peut en aucune 
manière représenter la part de Centuripae dans le recensement 
total des cultivateurs. En effet, les C'uturipin:, à l’etroit dans 
leurs frontières ont débordé sur les cantons voisins. Ils forment 
la majorité des cultivateurs de Léontini*); ils détiennent la plus 
rande partie du territoire d’Aetna “); ils labourent dans toutes 
les parties de la Sicile à la fois®). Et peut-être, à eux seuls, 
dirigent-ils un plus grand nombre d’exploitations que tous les 
autres Siciliens réunis”). On ne saurait donc tirer de la compa- 


tini, dont la population, concessionnaire de l’ager publicus, doit être très in- 
férieure aux chiffres ordinaires. 

1) Cf. supra p. 161. 

2) Cıc., Verr., Il, II, 68, 163: </tecitarem decreta Centuripinorum, lau- 
darem illam civitatem, id quod verissime possem, commemorarem X milia civium 
ess: Centuripinorum fortissimorum fidehissimorumque sociorum . . .». 

8) Cıc., Verr., Il, II, 48, 114: «Tum aratores Centuripini, qui numerus 
in agro Leontino maximus est». 

4) Cıc., Verr., II, IO, 45, 108: «Immo etium Centuripini qui agri 
Actnensis multo macimam partem possident». 

5) Cıc., Verr., loc. cit.: «Arant enim fere tota Sicilia Centuripini». 

6) Cic., Verr., II, HI, 45, 108: « Ipsi aratores Centuripini qui numerus 
ext in Sicilia marimus hominum honestissimorum et locupletissimorum». 


La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 179 


raison entre le chiffre de la population civique de Centuripae et 
la moyenne des cultivateurs par canton les conclusions pessimistes 
qu’en a déduites M. DARESTE; et c’est avec le chiffre de la po- 
pulation totale de l’île qu’il convient de confronter le nombre des 
cultivateurs. 

La population de la Sicile est évaluée aujourd’hui !) à 3 604 191 
habitants. Elle était bien plus faible autrefois ?). Au V?megidcleavant 
l'ère la population de la Sicile était à peu près équivalente à celle 
du Péloponnèse: «Les Athéniens, dit THUCYDIDE, faisant voile vers 
la Sicile, ignoraient la grandeur de l’île et le nombre des habitants 
Hellènes et Barbares, et ne se doutaient pas qu'ils se mettaient 
sur les bras une guerre pas de beaucoup inférieure à celle qu'ils 
faisaient contre le Peloponnese>°). Cette infériorité à peine 
sensible. THUCYDIDE la déduit évidemment de la double compa- 
raison des superficies et des populations des deux pays. Or la 
superficie du Péloponnèse comprend 5400 kilomètres carrés des 
moins que la Sicile“). Et alors de deux choses l’une: ou l’on 
admet que THUCYDIDE s’est trompé dans l'appréciation des sur- 
faces, mais alors il faut convenir de l’insignifiance de son erreur, 
et on n’a pas le droit d'affirmer à priori qu’il s’est trompé da- 
vantage dans l'appréciation des populations; ou l’on maintient 
que THUCYDIDE n’a point commis d'erreur, et il faut conclure que 
la Sicile était alors d'autant moins peuplée que le Péloponnèse 
qu'elle est plus étendue. Dans le premier cas on devrait évaluer 
la population de la Sicile à un chiffre supérieur à la population 
du Péloponnèse mais proportionnel à la supériorité de sa super- 
ficie, c’est à dire supérieur d’un cinquième ; et dans le second cas à un 
1) C’est du moins le total de l’addition des chiffres fournis par le dernier 
recensement des différentes provinces de la Sicile, cf. l’Almanach de Gotha, 
1904, p. 931. 

2) Sur cette question de la population de la Sicile, voir les deux opinions 
contradictoires de HoLm, op. cit., II, p. 392—894, et de BELOCH, op. cit., 
p. 266—273. Nous nous rangeons à l’avis de M. BELOCH. 

3) Tauc., VI, 1: «ini ZixsAlay nleboavıss xataotpépaodar, sl düvarvro, 
&narpot ol noÂdoi Övrsg Tod peyédoug tig vhoou xal Tüy évorxoüvrwy TOD 
nAndoug nai “EAlhvoy xai Bapñäpwv xal tt où noA1G tivi bnobéeotspov 
néAeuov Avnpoövro 7) Töv npög Telornovvnaloug». 

4! La superficie du Péloponnèse n’est que de 20148 Km’. 


180 Jérôme Carcopino 


chiffre inférieur de la même quantité. Le mieux consiste, à notre 
avis, à ne point se faire illusion sur la rigueur des ces proportions, 
et à conclure simplement, que pour THUCYDIDE, qui n’était armé 
ni de mesures géodésiques ni de données statistiques exactes, 
mais qui avait assez de clairvoyance pour qu'aujourd'hui nous 
tenions compte encore de ses affirmations, les deux populations 
étaient à peu près équivalentes. Or la population du Péloponnèse 
à la fin du V"*siècle est justement évaluée à 706000 habitants 
environ'). (C'est autour du même chiffre qu'à la même époque 
nous ferons graviter la population de la Sicile. 

Mais de l'expédition de Nicias à la préture de Verrès cette 
population de Sicile n’a-t-elle point connu, à défaut d’une multipli- 
cation rapide, la continuité d’une lente et graduelle croissance ? 
Les luttes entre Syracuse et les Carthaginois, puis entre les 
Carthaginois et les Romains l’ont au contraire affaiblie. Apres 
la première guerre punique, les vainqueurs, au dire de STRABON, 
durent installer leurs troupeaux dans de véritables déserts *). En 
admettant que l’émigration Romaine ait comblé bien des vides, 
il faut encore compter avec les pertes que firent subir à la po- 
pulation servile les répressions de 132 et de 101. Aussi pouvons- 
nous supposer qu'au temps de Verrès la population Sicilienne 
n’est pas très différente de ce qu’elle était au V”® siècle; et cette 
opinion est confirmée d’ailleurs par les chiffres de la consommation 
à cette date’). La Sicile produisait alors 5083000 médimnes 
de blé, et au maximum 25415000 médimnes d'orge‘). Or les 
Siciliens devaient conserver au moins ‘+ de la récolte pour les 
semences de l’année suivante, et ”/ı» pour l'exportation à Rome. 
Il est donc impossible que les Siciliens aient consommé plus de 


1) BELOCH, op. cit., p. 149. 

2) Cf. SrrABON, p. 273, VI, 2, 6: «tv obv épnuiav xatavorjoavısg Popaîiors. 

8) Cette méthode est bien incertaine: c’est la seule que nous permette 
la pénurie des documents. Elle fut pour la première fois appliquée à la Sicile 
par DUREAU DE LA MALLE, Économie Politique des Romains, 2 vol. in-8*®, 
Paris 1840, II, p. 380. Parce qu’il ne fait aucune part à l’exportation, D. D: 
A MALLE arrive à un total de 1190592 habitants, et parce qu'il croit que la 
dime se limite à l'ancien royaume d’Hieron, il considère cette population 
comme celle du royaume d’Hieron exclusivement. 

4) Cf. supra, p. 158. 


La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 181 


60°; de la récolte, soit plus de 3049800 médimnes de blé et 
1 524 900 médimnes d’orge. Or d'après les calculs de BæcKux!) 
et de BELOCH*?) la consommation par tête et par an s'élève à 
6 médimnes pour le blé, et 7 médimnes pour l'orge. A ce compte, 
la consommation en blé suppose 508300 consommateurs; la 
consommation précitée en orge en suppose 217847. Du chiffre 
de la consommation totale nous déduisons une population totale 
de 726147 habitants. Le chiffre est considérable et l’on se de- 
mande seulement comment CICÉRON a pu faire de 13000 culti- 
vateurs la classe prépondérante en Sicile*), alors qu’ils forment 
à peine ‘/55 de la population totale (2 %/0). 

C’est il convient de préciser la portée du mot aratures 
dans les Verrines. Par là Cıckron entend designer non point 
tous ceux qui vivent du travail de la terre, mais ceux-là seuls 
qui, inscrits sur les registres des cités, dirigent une exploitation, 
soit qu'ils la possèdent en propre, soit qu'ils l’aient à bail. 
Ce que nous devons dire, pour être exact, c’est qu’il y avait 
en Sicile, au temps de Verrès, 13000 domaines indépendants les 
uns des autres. Or 1° même en faisant abstraction des domaines 
compris dans l’ager publicus, même en defalquant les domaines 
qui, appartenant à un même propriétaire, faisaient double et 
triple emploi, le chiffre devait encore être énorme pour une 
époque où l’on n’arrivait plus à trouver à Rome 2000 propriétaires 
fonciers“). 2° si l’on compte en outre tous ceux qui à quelque 
titre que ce fût concouraient à la mise en valeur du sol et par 
suite à la richesse et à la force de la classe agricole sicilienne, 
elle apparait vraiment considérable. Nous avons calculé que la 
superficie des terres ensemencées s'élevait à 953000 jugeres?). 
Or Saserna, cité par VARRON, évalue à 8 jugères la surface en 


1) BOECKH, Sluutshaushaltung der Athener, me 6d. (Fränkel). 2 vol. 
in-8°, Berlin 1886, T. I, p. 98. 

2) BELOCH, op. cit., p. 83. 

8) Cf. Cıc., Verr., II, IL, 97, 226: «Quid est enim Sicilia si agri- 
cultionem sustuleris ac si aratorum nomen extinxeris Ps 

4) Cıc., De of., Il, 21, 78: «Non esse in civitate duo milia hominum 
qui rem haberent». 

5) Cf. supra, p. 156. 


182 Jérôme Carcopino 


céréales pour la culture de laquelle suffit l’activité d’un seal 
homme’). La superficie précitée suppose donc au moins 119125 
travailleurs des champs. Si donc on englobe dans ce nombre 
les 13000 chefs d'exploitation ?), si on admet qu'ils se font aider, 
dans une tâche à laquelle ils mettent la main eux mêmes, par 
106125 auxiliaires (que les détenteurs de grandes exploitations 
salarient ou achètent suivant qu'ils s’adressent à la main d'œuvre 
libre on servile, mais que les petits propriétaires recrutent dans 
leur propre famille), on voit que les aratores et leurs subordonnés 
— c'est à dire toute la population agricole de la Sicile — 
forment le sixième environ — 17°/o — de sa population totale. 
I est vrai que cette proportion est encore inférieure — mais 
de deux douzitmes seulement — à la proportion actuelle”). 


Conclusion. 


Essayons maintenant de coordonner les résultats obtenus an 
cours de cette enquête: ils ne laisseront pas, à première vue, 
de nous surprendre. 

Une classe agricole qui, par rapport à l’ensemble de la po- 
pulation, a été, jadis, numériquement inférieure à ce qu’elle est 
maintenant; une surface de terres en friche bien plus considérable 
hier qu'aujourd'hui; un chiffre de production moins élevé dans 
la Sicile ancienne que dans cette Sicile contemporaine, pourtant 
si pauvre et si misérable dès qu'on a quitté la merveilleuse 
floraison des eyrımi qui s’épanouit sur les flancs de l’Etna 
pour s'engager dans les champs à blé de l'île occidentale: 
voilà certes une conclusion que la lecture des anciens ne nous avait 


mu mm nn 0 _ 


1) VARRON, De I. K., I, 18: «Saserna scribit satis esse ad jugera VIII 
hominem unum». 

2) II est injuste de les comprendre tous. Le sénateur C. Annaeus 
Brocchus, par exemple, ne devait pas travailler à sa terre. Le chiffre que 
nous donnons au total est donc un minimum. 

3) Le dernier recensement par professions que nous ayons consulté 
est celui de 1881. En 1881, sur une population totale de 2927 901 habitants 
la Sicile comprenait 697728 cultivateur: ou employés agricoles, soit 1 culti- 
vateur sur 4,2 Siciliens (28°). Cf. le Censimento della prpolasione del regne 
d’Italia al 31 dicembre 1881, 4 vol. in-8°, Rome 1884, III, p. 661. 


La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 188 


mensongères les affirmations de CICÉRON, de Dıovork et de PL 
quand ils nous vantent l’opulence, la fertilité, la prospérité Siciliennes? 
Ce fameux grenier de la République Romaine, dont parle CATON '), 
était-il vide? Et devons-nous terminer cette étude sur la coa- 
statation à demi consolante*) que la triste réalité du présent 
marque un progrès sur la réalité plus triste encore qui l’a précédée ? 

Nous ne le pensons pas: bien loin d’infirmer la tradition lit- 
téraire, nos calculs, à les examiner de plus près, la fortifient, 
et c’est en faveur de l'antiquité qu’ils témoignent en fin de compte. 

La Sicile antique a été la plus riche, puisque si elle pro- 
duisait deux fois moins de céréales, c'était pour une population 
cing fois moins nombreuse. La Sicile antique a été la plus 
féconde puisque, si elle a produit denx fois moins de céréales, 
c'était une surface trois fois moins étendue; et puisque de l’hectare 
de terre elle obtenait seize hectolitres de blé au lieu des onz 
qu'il rend aujourd'hui. Que l’agriculture Sicilienne soit tombée 
dans une profonde décadence, la preuve est faite. Notre enquête 
va nous dire pourquoi ? 

Tout le monde admet aujourd’hui que l’abaissement de l’agri- 
culture Sicilienne tient surtout à une division défectueuse de 
la propriété. Mais les conservateurs opposent aux revendications 
des laboureurs Siciliens l’inexorable immutabilité des lois na- 
turelles”). A les entendre, en effet, ce n’est point le Zatifundium 
qui a créé la culture extensive; c’est la culture extensive qui 


nutricem plebis Romanae Siciliam rominabat». 

2) Cf. l'expression de cette tendance optimiste dans l’intéressant article 
de M. BARBAGALLO: «La produzione media relativa dei cereali e della vite 
nella Grecia, nella Sicilia e nell Italia antica, dans la Rivista di storia 
antica, VIII, 1903, p. 477—504. Cf. notamment le début: «I! mondo classico 
e apparso a noi moderni come l’Eldorado della popolosità e della richerza, 
e la voce wnanima degli siudiosi, contro tutte le norme della demografia, 
lo hanno decantato di gran lunga piw popoloso del contemporaneo etc. 

3) Cf. par ex. l’article déjà cité du Mis pr Rupint. Voir notamment ce 
qu'il dit p. 162: «Per me il latifundo esiste dove s’impone la culiura 
estentiva, il latifundo cessa dove comincia la cultura intensiva.» Et p. 170: 
«Il latifundo dunque non e causa delle condisioni sociali e agrarie, che 
abbiamo descritte. Esso ne è la consequensa logica, necessaria e inevitubile.e 


184 Jérôme Carcopino 


entraîne inévitablement la création du Zatifundium; or la culture 
extensive est liée elle-même à la sécheresse du climat Sicilien; 
en sorte que la misère des classes agricoles en Sicile procède, 
de toute nécessité, des conditions géographiques de l’île. Ad- 
mettrons-nous donc que la supériorité de la Sicile ancienne 
s'explique uniquement par un changement de climat survenu 
depuis lors, une diminution des chutes de pluie, ou tout au moins 
une rupture, déterminée par le déboisement, dans l’équilibre de 
leur répartition, et par les conséquences que cette modification 
a entrainées ? 

Qu'elle se soit produite, c’est possible, et nous n'y contre- 
dirons point; mais quoi qu’il en soit, c’est la culture extensive 
que la Sicile ancienne a pratiquée; et la culture extensive n'a 
pas empêché, quand la loi agraire de Ti. Gracchus eut reçu 
son application dans l’île, le morcellement des Zatifundia incultes 
en plus petits domaines ensemencés de blé et d'orge. 

Nous conclurons donc que par lui seul et en soi le changement 
des formes de propriété a contribué à modifier la situation éco- 
nomique de la Sicile. Les cultivateurs Siciliens étaient, par 
rapport à la population totale, à peine moins nombreux naguère 
qu’à présent, tandis qu'ils étaient établis sur une étendue de 
terrain bien plus restreinte naguère qu’à présent. Chaque parcelle 
de cette étendue pouvait donc être mieux cultivée; labourée, semée, 
fauchée avec plus de soin. Et elle l'était en effet. Le gros 
capitaliste de jadis, au lieu de se désintéresser comme maintenant 
de ses domaines, d’en vivre éloigné, d’en affermer les parts à 
de pauvres ouvriers sans ressources, qui parfois, plutôt que 
d'attendre de leur travail un bénéfice aléatoire, dérobent pour 
leur consommation personnelle tout ou partie du grain qu’on leur 
donne à semer, le gros capitaliste contemporain de CicÉRon et 
que molesta Verrès louait des terres et les faisait valoir en personne. 
Et puis le gros capitaliste était à cette époque l’exception ; c’étaient 
les petites propriétés qui dominaient. Les laboureurs Siciliens 
travaillaient alors avec d'autant plus d’ardeur qu'ils travaillaient 
pour leur compte. 

Il n’est pas niable que la réalité économique, en relation 
étroite avec les conditions géographiques, ne fagonne, dans une 





La Sicile Agricole au dernier Siècle de la République Romaine. 185 


large mesure, l’ordre social, et ne l’adapte à ses successives 
transformations. Mais il n’est pas non plus contestable que 
l’ordre social, tel que les lois humaines le déterminent, ne réagisse 
à son tour sur la réalité, et qu’à la meilleure répartition des forces 
sociales correspondent toujours leur rendement le meilleur et 
leur effet le plus utile. A défaut du simple bon sens, la lecture 
des Verrines suffirait à nous en convaincre. 


Miszellen. 





Der „faber publice probatus“ der Lex Alam. LXXIV 5. 
Von 
Carl Koehne (Berlin). 


Eine Stelle des Alamannischen Volksrechts, die sich auf die 
unfreien Schmiede bezieht, hat bis in die neueste Zeit zu vielen Miß- 
verständnissen Anlaß gegeben, welche auch zur Annahme solcher 
gewerblicher Einrichtungen für das 8. Jahrhundert geführt haben, 
die erst viel später entstanden sind. Eine richtige Erklärung jener 
Quellenstelle ist auch noch nirgends veröffentlicht worden, so vielfach 
man sich auch in jüngster Zeit mit den Anfängen des deutschen Hand- 
werks beschäftigt hat. Lex Alam. LXXIV 5 lautet: 

Faber aurifex aut spatarius, qui publice probati sunt, occidantur, 
40 solidos componat, 
beziehungsweise in der leichter verständlichen Form der meisten, 
indes nach Ansicht des neuesten Herausgebers späteren Texte: si 
oceidantur, 40 solidis componantur !). 

Der erste Forscher, der sich mit dieser Quellenstelle beschäftigte, 
GFRÖRER (Geschichte der d. Volksrechte II 1866 8. 144) übersetzte 
das uns hier allein interessierende Sttick dieser Stelle mit „des Schmieds, 
Goldarbeiters oder Schwertfegers, die öffentlich geprüft sind“. Er 
meint, „mit klaren Worten“ werde „hier die öffentliche Prüfung von 
Handwerkern, die Sklaven sind, erwähnt“. „Man“ müsse „demnach 
den Schluß ziehen, daß in gewissen schwäbischen Orten, etwa zu 
Straßburg, zu Konstanz oder Augsburg, Innungen von freien Meisters 
bestanden, welche das Recht hatten, Zeugnisse tiber die Tüchtigkeit 
von Handwerkern auszustellen.“ 

Diese Ausführungen GFRÖRERS wurden allerdings schon 1870 von 
Wartz’)abgelelhnt. Indesmeint auch dieser Forscher, daßdamals „Knechte 
und Hürige“ als Handwerker „wohl mit Genehmigung ihres Herr 
und vielleicht gegen Abgaben anderer Art als die, welche Landbaners 


1) MG. LL. V, in 4° p. 189. 
21 VG. IL, in der zweiten Aufl. S. 211, ebenso II, 1 in der dritten Aufl. 
(1852) 8, 972. 


Der „faber publice probatus“ der Lex Alam. LXXIV 6. 187 


zahlten, auch für Fremde arbeiteten“. Da Warrz dafür gerade auch 
unsere Stelle der Lex Alam. zitiert, so muß dies seiner Ansicht nach 
nicht nur in Burgund, wo es durch Lex Burg. XXI 2 bezeugt ist, 
sondern auch im eigentlichen Deutschland, wenigstens in Alamannien, 
der Fall gewesen sein. 


Ebenso meint VON INAMA-STERNEGG (D. W.G. 18. 143), daß an jener 
Stelle Leibeigene gemeint seien, „die ftir größere Kundschaft arbei- 
teten“; sie seien „als Öffentlich erprobte Handwerker bezeichnet“, und 
damit sei „ihre Eigenschaft als Gewerbetreibende besonders zum "Aus- 
druck gebracht“: 


Neuerdings hat nun Dann in dem 1902 erschienenen Bd. IX 1 der 
„Könige der Germanen“ die Ansicht GFRÜRERS mit folgenden Worten 
wenigstens teilweise wieder aufgenommen: 


„Unfreie Zimmerleute (sic!), Gold- und Waffonschmiede werden 
sogar öffentlich geprüft und erhalten dann für deren Herren ein Wer- 
geld von 40 sol.“ 

Diese Ansicht teilt aber auch der neueste Herausgeber der Lex 
Alam., indem er die wirtschaftlichen Zustände ihrer Entstehungszeit 
wit den Worten schildert ’): 

„Mannigfache Berufe von Sklaven werden aufgezählt, ja von einer 
Art öffentlicher Approbation ist die Rede.“ 

Zunächst handelt es sich indes hier nicht um drei Arten von Hand- 
werkern, wie GFRÖRER und DAHN annehmen, sondern nur um zwei, die 
Gold- und die Waffenschmiede, welche sonst in dieser Zeit als Eisen- 
schmiede bezeichnet werden. Nur die Verschiedenheit des Materials 
hat zur Verteilung der Schmiedearbeit an zwei besondere Gruppen 
von Unfreien geführt. Dies geht klar aus folgender Stelle des Pactus. 
Alam. hervor: 

III 27 Si faver ferrarius occisus fuerit, 40 solidos componat. 

28 Si aurifex fuerit, 50 solidos componat ?). 

Offenbar hat der Pactus hier wie an anderen Stellen 3) in der Lex 
Alam. nur eine genauere Ausführung erhalten. Dies kann mit um so 
größerer Sicherheit behauptet werden, als auch die Lex Salica €) von 
den in Betracht kommenden Stoffbearbeitern nur den Eisen- und Gold- 
schmidt, die Lex Burgund.5) den Goldschmidt, Silberschmidt, Eisen- 
und Bronceschmidt, die lex Romana Burgundionum 5) den Goldschmidt 
und Eisenschmidt, die lex Visigothorum 7) den Goldschmidt and Silber- 





1) N. Arch. X, S. 496. 

2) LL. V, in 4° p. 26. 

3) Vgl. SCHROEDER, DRG. S. 245, vun AMrRA Grundr. d. germ. Rechte’, 
S. 16. 

4) XXXV, 6 (ed. HESSELS, Sp. 56): fabrum ferrarium aut aurifice. 

5) tit. X (LL. IL, in 4° p. 50, 51): 2. Qui aurificem lectum occiderit, CC 
solidos solvat. 3. Qui fabrum argentarium ... 4. Qui fabrum ferrarium ... 
u. tit. XXI 2 (ibid. p. 60): Quicumque vero servum suum aurificem, argen- 
tarium, ferrarium, fabrum aerarium . 

6) I, 6 ar p. 127): pro aurifice electo C, pro fabro ferrario L . 

7) VII, 6 1 (LL. I, in 4° p. 311): Aurifices aut argentarii vel quicumque 


188 Carl Kohne: Miszelle. 


schmidt, die lex Frisionum'} den Goldschmidt kennt, während die 
übrigen Volksrechte überhaupt nichts auf diese Handwerke speziell 
Bezügliches enthalten. Das Capitulare de villis nennt auch ausdrück- 
lich als Schmiede die Eisenschmiede einerseits, die Gold- oder Silber- 
schmiede andererseits?). Neben dem Schmidt (Grobschmidt) und dem 
Goldschmidt noch einen besonderen „Schwertfeger“ anzunehmen oder 
„fabri* an unserer Stelle mit Dann als „Zimmerleute“ zu fassen, liegt 
also kein Grund vor). Andererseits darf man aber in dem spatarius 
wohl auch nicht mit MERKEL *) den Waffenknecht gemeint finden, der 
uns als „swertdrago armiger“ in einigen altdeutschen Glossen entgegen 
tritt. Allerdings ließe sich dafür außer den Glossen von St. Peter im 
Schwarzwalde und Admont, welche jener Gelehrte°) zitiert, auch eine 
Trierer Glosse aus dem 12. Jahrhundert anftlihren, welche gerade dea 
hier zu erklärenden Ausdruck „spatarius“ mit Schiltknecht gleich- 
stellt®); bei dieser Auffassung würde auch der „spatarius“ eine Paral- 
lele in dem „servus fiscalinus, qui ostem facit“ in den Zusätzen zum 
Bayrischen Volksrechte finden, der offenbar mit dem „hiltiscalch“ iden- 
tisch ist, welcher in dem Schenkungsbuche von St. Emmeran in Regens- 
burg erwähnt wird’). Indes findet sich für spatarius in einem alten 
Glossare auch die Bedeutung „Schwertmacher“ 8), und vor allem weist 
die erwähnte Übereinstimmung mit dem Pactus darauf hin, daß wir 
in dem spatarius einen Grobschmidt zu sehen haben, der nur von 
seinem wichtigsten Arbeitsprodukte genannt ist. 

Noch mehr als das Wort „spatarius“ bedarf der Ausdruck „pu- 
blice probatus“ einer besseren Erklärung, als sie ihm bisher zuteil 
geworden ist. In der Tat ist nämlich den Worten „publice probati 
weder zu entnehmen, daß irgendwelche mit bestimmter Stoffbearbeitung 
beschäftigten Hörigen Öffentlich geprüft wurden, noch daß sie für 
andere Personen als für ihre Herren arbeiteten. 

Was zunächst „probatus“ betrifft, so bedeutet dies Wort durchaus 
nicht nur denjenigen, der eine bestimmte Prüfung bestanden hat, 


artifices. Im Rubrum sind sie als „quorumcumque metallorum fabri“ zusam- 
mengefaßt. 

1) Judicia Wulemari 10 (LL. III, p. 699). 

2) c. 45 (ed. BOR&TIUS p. 87): fabros ferrarios et aurifices vel argentarios 

3) Daß bei den Römern Zimmerleute mitunter auch als „fabri tignarii®, 
seltener „lignarii“, Fabrikanten von Fuhrwerken als „carpentarii fabri“ be- 
zeichnet wurden (vgl. BLUEMNER, Technologie der Gewerbe bei Griechen und 
Römern I, S. 241 u. 825 mit Note 4), kommt für uns um so weniger in Be 
tracht, als im Römerreiche faber ohne näheren Zusatz „durchweg auch des 
Metallarbeiter“ bezeichnet (ibid. II, S. 166). 

4) In seiner Ausgabe der Lex Alam. (LL. III in fol., p. 78 Note 28). 

5) À. a. 0. 

6) Althochdeutsche Glossen hera. von AUG. HEINR. HOFFMANN (1898) 
S. 12 Nr. VII: sciltknet — scutarius, scutifer, item armiger et spatarius. 

7) S. Lex Baiuw. Add. I, 1 in LL. III, p. 450 mit Note 1. 

8) 8. DiEFFENBACH, Glossarium Latino-Germ. (1857) p. 545: spatarim 
achwert macher. Das Vokabular, das diese Angabe enthält, ist spätestens 
1021 geschrieben, geht aber auf ältere Quellen zurück. 


r „faber publice probatus“ der Lex Alam. LXXIV 5. 189 


sondern auch ganz allgemein: anerkannt, vorzüglich, bewährt, ttichtig. 
In dieser Bedeutung ist es nicht nur sowohl in den Briefen des älteren 
und jtingeren Plinius') und im Corpus iuris Justinians?) mehrfach 
bezeugt, sondern kommt auch in der Lex Alam. selbst vor. Tit. LXXVIII, 4 
dieses Gesetzes sagt, von der Tötung fremder Hunde sprechend: Bonus 
canis porcaritius ... componat; vel si veltrives, leborarius proba- 
tus cum occiderit, cum 3 solidis componat, was dem Sinne nach 
gleichbedeutend in anderen Texten mit: 

Si veltrum leporalem probatum aliquis occiderit, cum 3 solidis 
componat 
gegeben wird). 

Auch sonst werden in den Volksrechten Tötung und beziehungs- 
weise auch Diebstahl zur Jagd abgerichteter Tiere dann mit einer 
höheren Buße belegt, wenn sich diese Tiere bereits bewährt hatten‘). 
Dies wird in der angeführten Stelle in Hinsicht auf den zur Hasenjagd 
abgerichteten Hund mit „leporarius probatus“ gegeben. Dieselbe Be- 
deutung hat „probatus“ auch in allen Glossaren, in denen es einfach 
mit „bewert, gepruffet“, wie probare mit „beweren, erfarn, erkennen“ 
übersetzt wird5) Welches deutsche Wort aber dem „probatus“ in 
unserer Stelle entsprochen hat, geht klar aus der Identität von 
„wärian" und „gäwärian“ mit „probare“, von „daz piwarta“ mit 
„probatum“ im Althochdeutschen hervor ®). 

Wenden wir uns nun zur Bedeutung von „publice“. Dies Wort 
hat hier wie „publicus“ auch sonst oft in derselben Zeit keinerlei Zu- 
sammenhang mit der „res publica“, sondern heißt nur „vor der Öffent- 
lichkeit“. So wird z. B. verboten, an Sonntagen vor der Öffentlich- 
keit (in publico) gewisse Arbeiten vorzunehmen z. B. zu waschen’), 
und die Münzer sollen stets „publice“, d. h. im vollen Lichte der 
Öffentlichkeit, prägen *). Demnach ist der „aurifex publice probatus“ 
der lex Alamannorum im wesentlichen identisch mit dem „aurifex lectus“ 


1) S. die bei Forcellini s. v. probatus zitierten Stellen, namentlich operum 
probatissimi artifices (Plin. ep. 9, 19). 

2) S.1.38 4 Dig. de lib. exh. (XXII, 80): vir omnibus modis probatus, 
L 17 $ 1 Dig. de testam. tut. (XXVI, 2): bene probati et idonei atque honesti 
tutores, 1. 8 Cod. de professoribus (X, 53): a probatissimis approbati, 1.1181 
Cod. Qi potiores (VIII 17): probatae atque integrae opinionis virorum. 

L. V in 4°, p. 142, 143 vgl. Ro'rt, Gesch. des Forst- und Jagdwesens 

1873) S. 61. 

4) Vgl. Lex Sal. XXXIIL, 2,3, Lex Bai. XIX, 5 und zu letzterem WaGnrkr 
in Germania, Zt. f. d. Altertmsk. 29 (1884), S. 118. 

6) Vgl. DIEFFENBACH, a. à. 0. p. 460. 

6) S. rar F, Althochdeutscher Sprachschatz I, Sp. 923, 924. 

7) S. Karls des Gr. Admonitio generalis von 781 c. 81 (ed. "BORETIUS p. 61). 

8) Capitul. de moneta c. 820 c. 2 (p. 299). Vgl. zu „publice* auch 
Decretum Compendiense a. 757 c. 18 (Capitul. p. 39): alteram in publico (sc. 
in matrimonium) accepit, Pippini Capit. Suessionense 744 p. 29 c. 2: haeresim 
publiciter condempnaverunt, Lex Sal. XLVI, 6 (in Cod. 6 bei HESSELS Sp. 302): 
publice festucam iactare u. ibid. 4: publice nominare, sowie meine Schrift 
über das Recht der Mühlen bis zum Ende der Karolingerzeit (1904), S. 26. 


190 H. Wopfner: Miszelle. 


vder ,electus“ der beiden Burgundischeu Volksrechte ‘); mit dem 
„öffentlich erprobten“ wie mit dem „ausgesuchten“ Goldschmiede ist 
ein allgemein als solcher anerkannter, vorzüglicher Geldschmidt 
emeint. 

ö Nach dem Alamannisehen Volksrechte soll also den Schmieden 
nur dann ein höherer Wert zuerkannt werden, wenn sie aieh bereits 
ala solehe bewährt hatten. Sie konnten aber nichtedesto wenige 
lediglich in der Wirtschaft ihres Eigentümers beschäftigt gewesen sein 
Gewiß ist es kein Zufall, daß nur in den Gesetzen, welche die lediglich 
auf römischem Kulturgebiete sich niederlassenden germanischen Völker 
schaften, Burgunder und Westgoten, sich gaben, auch die Bestrafung 
unfreier Goldschmiede behandelt ist, welche, für andere Personen als 
ihre Herren arbeitend, Materialunterschlagungen begehen?). Sind doch 
sonst die Deliktstatbestände des westgotischen Gesetzes mehıfach bei 
Kodifikationen anderer Germanenstämme benutzt und nur mit abweï 
chenden Straffolgen versehen worden’). Für jenen Deliktafall aber 
fehlten auf deutschem Gebiete die wirtschaftlichen Voraussetzungen 
So wenig wie sie sind aber auch öffentliche Prüfungen der Handwerker 
irgendwie durch die erwähnte Stelle der Lex Alam. bezeugt. 


Freie und unfreie Leihen. 
von 
H. Wopfner (Innsbruck). 


in seinem Werke, betitelt „Die soziale und politische Bedeutung 
er Grundberrschaft im früheren Mittelalter“, hat G. SEELIGER die 
bisher meines Wissens allgemein von der Forschung beobachtete Schei- 
dung der bäuerlichen Leihen in freie und hufrechtliche (unfreie) als 
unberechtigt zu erweisen getrachtet. Da ich in meinen „Beiträgen 
zur Geschichte der freien bäuerlichen Erbleihe Deutschtirols im Mittel- 
alter“ 4) diese Scheidung als berechtigt vorausgesetzt hatte, suckte ich 
den hier vertretenen Standpunkt gegenüber SEELIGER in einem Auf- 
satze „Freie und unfreie Leihen im späteren Mittelalter“ 5) zu recht- 
fertigen. 

In Anbetracht des Umstandes, daß die freie bäuerliche Erbleihe in 
Deutschtirol erst seit dem 13. Jahrhundert eine namhafte Rolle spielt 
und erst in dieser Zeit deutlicher hervortritt, kam es mir vor allem 
darauf an, die Berechtigung der Scheidung in freie und unfreie Leihen 
1) S. die oben S. 187 Note 6 u. 7 zitierten Stellen. 

2) Lex Burg. XXI, 2 (p. 60), Lex Visig. VII, 6, 4 (p. 311). 

3) Vgl. BRUNNER, DRG. I 8. 300, 301 mit Note 4. 

/ D ATRRKE, Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtageschichts. 
67. Heft. 
L Ho) Vierteljabrschrift für Social- und Wirtschaftsgeschichte, Jahrg. 1905, 
. Heft. 


Freie und unfreie Leihen. 191 


für das spätere Mittelalter, also etwa für die Zeit des 1% bis 15. Jahr- 
hunderts, zu erweisen. 

Als frei bezeichnete ich in beiden Untersuchungen jene Leihen, 
welche das Verhältnis zwischen Leiheherrn und Beliehenen rein sachen- 
rechtlich ordneten, also keinerlei persönliche Abhängigkeit des Leihe- 
manns vom Grundherrn herbeiführten. Während ich in meiner älteren 
Arbeit, welche die Erbleihe Deutschtirols behandelte, die unfreie Leibe 
mit der Leihe zu Hofrecht identifizierte, sah ich mich auf Grund der 
Ausführungen SEELIGERs veranlaßt, diese Gleichstellung von „Leihe 
zu Hofrecht“ und „unfreier Leihe“ nur mit bestimmten Einschränkungen 
aufrecht zu erbalten!). Einmal hob ieh hervor, daß zu unterscheiden 
sei zwischen einer Leihe nach strengerem und leichterem Hofreeht, 
und daß nur die Leihe zu strengerem Hofrecht als unfrei bezeichnet 
werden dürfe. Andererseits kam ich zum Ergebnis, daß im früheren 
Mittelalter nicht jede unfreie Leihe eine Leihe nach Hofrecht sein muß. 
Es wird sich also wohl zur Vermeidung von Irrtümern empfehlen, die 
Bezeichnung der unfreien Leihen als Leihen zu Hofreeht lieber ganz 
fallen zu lassen. 

Da ich SEELIGERS Ausfübruugen in seiner „Untersuchung der so- 
zialen und politischen Bedeutung der Grundherrschaft“?) in dem 
Sinne verstanden hatte, daß er die Scheidung von freien und unfreien 
Leibea überhaupt und nicht bloß hinsichtlich des früheren Mittelalters 
verwerfe, suchte ich in meinem Aufsatz über freie und unfreie Leihen 
direkte Belege für die Berechtigung dieser Scheidung beizubringen. 


In seiner jüngeren Abhandlung beschränkt nun SEELIGER ausdrück- 
lich seinen Widerspruch gegen die erwähnte Finteilung der Leihe- 
verhältnisse auf das 10. und 11. Jahrhundert: „... entschieden leug- 
nen mußte ich, daß im 10. und 11. Jahrhundert die bäuerliche 
Leihe an sich zur Hörigkeit oder auch nur zur persönlichen 
Abhängigkeit vom Herrschaftsgericht geftihrt, daß es Leihen gegeben 
habe, die den Beliehenen kraft grundherrlicher Gewalt persönlich unter 
die herrschaftliche Gerichtsbarkeit brachten. Hofrecht und hofreeht- 
liche Leihen im Sinne der üblichen Ansicht begegnen nicht, können 
nicht begegnen“). 

Läßt sich aber in der Tat das Vorhandensein unfreier Leihen im 
angegebenen Sinn für das 10. und 11. Jahrhundert nicht dartun? Das 
eine, dinkt mich, steht fest: Wenn schon im 14. Jahrhundert unfreie 
Leihen erweislich sind, bei welchen die Unfreiheit gleichsam als Real- 
last auf dem Leihegute liegt, so daß jeder Übernehmer eines der- 
artigen Leiheguts der Unfreiheit verfällt, so muß die Entstehung 
der unfreien Leihe einer bedeutend früheren Zeit zugewiesen werden. 
Eine derartige Gestaltung von Rechtsverhältnissen bedarf doch regel- 
mäßig zu ihrer Entwicklung eines bedeutenden Zeitraumes und einer 
lang vorhergehenden Übung, d. h. es mußten unfreie Leihen tatsäch- 


1) Vierteljahrsehrift für Social- und Wirtschaftsgeschichte, II. 7. 
2) S. 181 u. 191. 
3) Histor. Vierteljahrschr. VILI. 321. 


192 H. Wopfner: Miszelle. 


lich schon lange in Übung gewesen sein, bevor jener Prozeß der Radi- 
zierung zum Abschluß kam. 

Ein direkter Nachweis des Bestandes solcher unfreier Leiheverhält- 
nisse gestaltet sich freilich um so schwieriger, als wir Aufzeichnungen 
über dieselben für die ältere Zeit nicht erwarten dürfen, da derartige 
unfreie Leiheverhältnisse in älterer Zeit anscheinend nur ein kurz 
fristiges Nutzungsrecht gewährten!). Kurzfristige Leiheverhältnisse 
wurden aber in der Regel einer schriftlichen Fixierung unwert er- 
achtet ?). 

Wenn ferner, wie SEELIGER in Übereinstimmung mit andern Forschern 
beobachtet hat, in zahlreichen Grundherrschaften nur unfreie grund- 
herrschaftliche Hintersassen erscheinen), so findet eine solche Tat- 
sache in der Annahme unfreier Leiheverliältnisse unstreitig die ein- 
fachste Erklärung. 

Was besagt endlich eine Urkunde von 9684), welche von einem 
Innehaben grundherrlicher Güter seitens der Hintersassen „iure inge- 
nuitatis“ spricht, anderes, als daß die Hintersassen ihre Leihegfter 
ohne nachteilige Folgen für ihren Stand nutzen mögen. Hätte es nicht 
Leiheverhältnisse gegeben, welche die standesrechtliche Stellung des 
Leihemanns minderten, so hätte die Versicherung, daß die Güter zu 
treiem Recht genutzt werden sollen, keinen Sinn. 

Was nun die Entstehung der freien Erbleihe betrifft, 80 stimme 
ich SEELIGER darin vollkommen bei, daß dieselbe nicht erst im 12. 
und 13. Jahrhundert erfolgte). RIETSCHEL hat gleichfalls das Vor- 


1) Vierteljahrschrift für Social- und Wirtschaftsgeschichte, IL 16. 

2) Wie sehr man sich davor hüten muß, aus dem Fehlen von Aufseich- 
nungen bestimmter Leiheverträge Schlüsse auf die Häufigkeit des Vorkom- 
ınens der betreffenden Leiheverhältnisse zu ziehen, zeigen am besten die 
Ausführungen DorscHs (Österreich. Urbare, I. Abteil. I. Band CXLIII) über 
das „Freistiftrecht“, ein bäuerliches Besitzrecht, welches eine bloß einjährige 
Nutzung gewährte. Obwohl dasselbe schon im 18. Jahrhundert im Herzog- 
tum Österreich stark verbreitet war, schöpfen wir die Kunde über dasselbe 
nicht aus etwa vorhandenen Leihebriefen, sondern verdanken dieselbe nur 
dem Anlaß, daß es sich um die Ablösung eines besseren Besitzrechts durch 
das Freistiftrecht oder die Konstaticrung handelte, daß in einem spesiellen 
Fall ein Freistiftrecht und nicht ein besseres Besitzrecht vorgelegen sei 
Vgl. Vierteljahrschrift für Social- und Wirtschaftsgeschichte, IT. 9 f. 

8) SEFLIGER (Forschungen, i. d. Hist. Vierteljahrschr., Jahrg. 1905, 
321 Anm. 1) bemerkt, in dieser Hinsicht habe es allerdi stets unfreie 
Leihegüter gegeben, in fränkischer Zeit ebenso wie in nachfränkischer, doch 
stellt er in Abrede, daß die bäuerliche Leihe im 10. und 11. Jahrhundert 
allgemein zur Unfreiheit geführt habe. Es dürfte nun SEELIGER wohl == 
zugeben sein, daß die ältere bäuerliche Leihe von Rechts w keines- 
wegs allgemein eine standesrechtliche Wirkung ausüben mußte Faktisch 
muß sie diese Wirkung doch in sehr vielen Fällen geäußert haben, wie die 
Tatsache zeigt, daß viele Grundherrschaften nur unfreie Hintersassen auf- 
zuweisen haben. 

4) Histoire de Metz 79. Zit. Warrz, Deutsche Verfassungsgesch. V', 
300 Anm. 1. 

5) Ich habe dementsprechend in meiner Untersuchung der freien bäuer- 


Freie und unfreie Leihen. 193 


kommen freier Erbleihen in früheren Jahrhunderten nicht in Abrede 
gestellt!).. Wenn ich hier wie auch in meinen früheren Arbeiten zu- 
gebe, daß die Entstehung der freien Leihen keineswegs erst dem 
13. Jahrhundert angehört, so halte ich andererseits nach wie vor daran 
fest, daß die Ausbreitung freier bäuerlicher Erbleihen erst seit 
dem 11. und 12. Jahrhundert, in Tirol insbesondere erst seit dem 
13. Jahrhundert, erfolgte. Über ein häufigeres Vorkommen der- 
artiger Erbleiheverhältnisse in früherer Zeit müßten wir doch einiger- 
maßen unterrichtet sein, da langfristige Leiheverträge naturgemäß der 
Aufzeichnung bedurften und derselben auch teilbaftig wurden. 

Obwohl ich gern bekenne, aus SEELIGERs Untersuchung viel ge- 
lernt zu haben, so glaube ich doch gegenüber SEELIGER bemerken zu 
müssen ?), daß zwischen seiner Auffassung von der Geschichte der 
freien bäuerlichen Erbleihe und der meinen noch erhebliche Verschieden- 
heiten bestehen. Wenn ich auf Grund der Ausführungen SEELIGERS 
davon abging, die Identität von unfreier Leihe und Leihe zu Hofrecht 
fernerhin aufrecht zu erhalten, und ebenso die Unterstellung unter das 
grundherrliche Gericht nicht mehr als Kennzeichen der freien Leihe 
erkenne, so gehen unsere Ansichten doch noch in wesentlichen Punkten 
auseinander, vor allem in der Frage nach der Berechtigung der Schei- 
dung in freie und unfreie Leihen. 

SEELIGER findet es unvereinbar, daß ich in meinem Aufsatz über 
treie und unfreie Leihen jene Meinung, welche im Hofrecht das Standes- 
recht der Hörigen sieht, nicht als die herrschende ansehen will, während 
ich doch in meiner Einleitung zur Geschichte der bäuerlichen Erbleihe 
Deutschtirols von einer Ausgleichung der standesrechtlichen Verschieden- 
heit unter den Mitgliedern der Hofgenossenschaft spreche. Demgegen- 
über möchte ich folgendes bemerken: Wenn ich davon gesprochen habe, 
daß seit dem Ausgang des Mittelalters die Mitglieder der Hofgenossen- 
schaft zu dem einen Stand der Hörigen verschmolzen, sowie daß das 
Eintreten in ein hofrechtliches Leiheverhältnis eine Minderung der 
Freiheit mit sich gebracht habe, so ist damit noch nicht gesagt, daß 
ich das Hofrecht als Standesrecht der Hörigen ansehe. Als Standes- 
recht kann dasselbe nach HEUSLER?°), dem ich mich in genannter Ein- 
leitung vielfach anschloß, nur dann angesehen werden, wenn das Hof- 
recht Folge der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stande, etwa zum 
unfreien Bauernstande, wäre. Dies ist aber nicht der Fall, da es auch 
unfreie Bauern gibt, welche des Hofrechtes darben *). 


lichen Erbleihe Deutschtirols nur von einer Ausbreitung, nicht von einer 
Entstehung derselben im 13. u. 14. Jahrhundert gesprochen. 

1) Zeitschr. f. Rechtsgesch. XXII., german. Abteil. 208 und 230. 

2) SEELIGER behauptet (Histor. Vierteljahrschr. VIII. 3, 308 Anm.), daß 
ich im wesentlichen seinen Standpunkt angenommen hätte. 

3) Institutionen des deutschen Privatrechts, I. 89. 

4) SEELIGER findet es merkwürdig, daß ich MAURER und GIERKE unter 
jenen anführe, „welche schon die richtige Eigenschaft des Hofrechtes erkannt 
haben, nämlich daß es nicht Recht der Hörigen sei“. Ich habe 9. 8 Anm. 5 
meines Aufsatzes über freie und unfreie Leihen bemerkt: „Schon MAURER, 
a. a. O. IV. 12, und GIERKE, a. a. O. I. 157, wiesen auf die innerhalb des 

Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtechaftsgeschichte. IV. 13 


194 H. Wopfner: Miszelle. Freie und unfreie Leihen. 


Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen der ISEELIGERschen 
Auffassung von der Entwicklung der freien bäuerlichen Erbleihe und 
der meinen besteht in der Bedeutung, welche wir der precaria für die 
Ausbildung der freien bäuerlichen Leihe zuerkennen. Hierauf ist je- 
doch SEELIGER in seinem jüngsten Aufsatze noch nicht eingegangen. 


weiteren hofrechtlichen Verbandes auftretenden Sondergruppen von Hinter- 
sassen verschiedenen Standes hin. 

Ich wollte mich hiemit nur gegen die von SEELIGER (Bedeutung der 
Grundberrschaft 179) vertretene Ansicht wenden, wonach er es als Grundirrtum 
der üblichen Ansicht erklärt, „daß die Grundherrschaft uniformierend auf 
dem Gebiete des Standesrechtes der Hintersassen gewirkt habe“. Er selbst 
führt ja als Beweis gegen diesen Irrtum der üblichen Ansicht „die Ver- 
schiedenheit des Personenrechtes der einzelnen Schichtungen der Unfreien“ 
an. Da nun schon MAURER wie GIERKE diese Verschiedenheit der Schich- 
tung anerkannten, so kann ihnen, wie mir scheint, auch von BEELIGER 
(a. a. O. 179) nicht die irrige Meinung von der uniformierenden Wirkung 
des Hofrechtes zugeschrieben werden. 


Literatur. 





SIEGFRIED RIETSCHEL, Das Burggrafenamt und die hohe Gerichtsbar- 
keit in den deutschen Bischofsstädten während des früheren Mittel- 
alters. Leipzig, Veit & Comp., 1905. XI u. 344 S. 10 Mk. 


Das mittelalterliche Burggrafenamt hat der Forschung bisher er- 
hebliche Schwierigkeiten bereitet. Die Kompetenzen der Burggrafen 
waren so verschiedenartig, daß es schwer gefallen ist, den ursprüng- 
lichen Charakter des Amtes zu bestimmen. Zwar ist man einig dar- 
über, daß weitaus die meisten „Burggrafen“ Burgkommandanten waren, 
aber gerade die ältesten und wichtigsten Burggrafen schienen in erster 
Linie Träger der hohen Gerichtsbarkeit, also wirkliche Grafen, zu sein. 
Sprachlich konnte man die Burggrafen an sich ebensowohl als Stadt- 
grafen wie als Burgkommandanten auffassen. So ist es verständlich, 
daß die herrschende Meinung seit ARNOLD eigentliche und uneigentliche 
Burggrafen unterschied. Erstere galten als wirkliche Stadtgrafen, 
letztere sollten entweder die hohe Gerichtsbarkeit verloren haben oder 
von vornherein nur Titularburggrafen gewesen sein. 

In dem vorliegenden Buche wird die Untersuchung von neuem auf 
der breitesten Grundlage aufgenommen. Für jede deutsche Landschaft 
werden die über das Burggrafenamt vorliegenden Nachrichten gründlich 
gesammelt und geprüft. Zur Aufklärung der gerichtlichen und mili- 
tärischen Funktionen der städtischen Burggrafen wird die hohe Gerichts- 
barkeit in den Bischofsstädten und das Alter der Stadtbefestigungen 
in die Untersuchung einbezogen. Die Hauptergebnisse des Verfassers 
sind m. E. unanfechtbar. Alle Burggrafen, auch die städtischen, sind 
Burgkommandanten (Grafen im weiteren Sinne). Die Burggrafen als 
solche haben mit der hohen Gerichtsbarkeit in den Bischofsstädten 
nichts zu tun. Vielmehr fällt seit den ottonischen Privilegien in fast 
allen Bischofsstädten die hohe Gerichtsbarkeit dem bischöflichen Vogte 
zu. Nur in Köln übt sie der vom Bischof belehnte Gaugraf aus, in 
Regensburg teilen sich der unabhängige Gaugraf und der bischöfliche 
Vogt in die hohe Gerichtsbarkeit. Dieser Sachverhalt ist nur durch 
den Umstand verdunkelt worden, daß weitaus die meisten städtischen 
Burggrafen zugleich das Vogt- oder das Gaugrafenamt bekleideten. 
Ferner weist RIETSCHEL nach, daß die städtischen Burggrafen bis 
zum Anfang des 12. Jahrhunderts in lateinischer Sprache regelmäßig 
praefectus urbis oder ähnlich genannt werden, nie comes urbis. Das 
ist ein deutlicher Beweis, daß die Zeitgenossen die Burggrafen scharf 
von den wirklichen Grafen unterschieden (8. 319). 

Bis zum Ausgang des 12. Jahrhunderts waren die Burggrafen über 


196 Referate. 


das deutsche Sprachgebiet sehr ungleichmäßig verteilt. Zahlreich 
kommen sie nur in Flandern, den nordöstlichen Marken und den Ost- 
alpen vor. Je nach der Beschaffenheit ihrer Burg und den ihnen 
überwiesenen Nebenfunktionen ist ihre Stellung sehr verschieden. 
Auf die wichtigste Gruppe, die der Präfekten, deren Burg eine Stadt 
war, gehe ich weiterlin näher ein. Für Flandern war schon bekannt. 
daß das Land in Burggrafschaften eingeteilt war, in denen die Burg- 
srafen zugleich gerichtliche Funktionen versahen. Dieselbe Organi- 
sation weist jetzt RIETSCHEL für die Mark Meißen nach. Er führt 
iiberzeugend aus, daß das dortige ursprünglich königliche, später mark- 
gräfliche Burggrafenamt im Laufe des 11. Jahrhunderts geschaffen 
worden ist. — In dem Korveyer Burggrafenamt sieht RIETSCHEL 
(3. 275) nur eine durch Usurpation in der Mitte des 12. Jahrhunderts 
vorübergehend eingeführte Einrichtung. Er hat übersehen, daß schon 
im Jahre 1106 in einer Korveyer Urkunde Heriboldus urbanus pretor 
zwischen dem Schenken und dem Truchseß als Zeuge erscheint (Warrz, 
Urkunden zur deutschen Verfassungsgeschichte, Nr. 14). Die spätere 
Usurpation bestand also darin, daß Rabano erbliche Ansprüche auf 
das Burggrafenamt erhob und die Zuständigkeit desselben auszudehnen 
suchte. Allerdings ist dieser in einer Klosterimmunität ausgetibte 
Burgbann eine auffallende Erscheinung. Wir werden uns an die her- 
vorragende militärische Bedeutung der Burg Korvey erinnern, deren 
Burgbann im Jahre 940 sich auf die Bevölkerung von 4 Nachbargraf- 
schaften erstreckte (M.G. DD. I, Otto I. 27). Den dem Abte verliehenen 
Burgbann scheint schon damals ein Vertreter (wohl der spätere Burg- 
wraf) ausgeübt zu haben. 

Die weitaus grüßte rechtsgeschichtliche Bedeutung kommt der- 
jenigen Burggrafen zu, welche Befehlshaber befestigter Städte wareı. 
Solche Burggrafen, welche abweichend von den anderen regelmäßig 
den Titel praefectus (urbis) führen, begegnen uns in 11 Städten: 
Köln, Trier, Mainz, Worms, Speier, Würzburg, Regensburg, Magdeburg, 
Utrecht, Straßburg, Augsburg. Eben diese 11 Städte sind nun nach 
RIETSCHEL (3. 322) innerhalb des deutschen Sprachgebiets des Reichs 
die einzigen, welche bis zum Ausgang des 11. Jahrhunderts ummauert 
waren. Seine eingelienden Untersuchungen machen einen überzeugenden 
Eindruck. Nur hinsichtlich Passaus halte ich es gegen RIETSCHEL 
(8. 77) für völlig sicher, daß die Stadt im Jahre 976 befestigt war. 
Was hätten die possessores der civitas Passau, deren Grundstücke is 
der urbs lagen, mit der ihnen zum Lohn für ihre Treue vom Kaiser 
gewährten Zollfreiheit auf allen Wasserstraßen des Reiches anf: 
sollen, wenn sie nicht Kaufleute waren (M.G. DD. IL Otto IL 137)? 
An die familia in der Domimmunität darf man gewiß nicht denken 
(s0 RIETSCHEL, Markt und Stadt S. 135, Anm. 2). RIETSCHELS 
gründe erledigen sich bei der Annahme, daß das suburbium vielleicht 
der Ungarngefahr wegen im 10. Jahrhundert ummauert worden war. 
Trotzdem ist es nicht befremdlich, dass in Passau kein Burggraf nach- 
zuweisen ist. Wie weiterhin zu besprechen ist, sind die Stadtpräfek- 
turen in den befestigten Städten, also vermutlich auch in Passau, vor 
970 eingeführt worden. Schon 977 aber ließ der Kaiser die Befesti- 


Referate. 197 


gungen Passans schleifen (vgl. UnLırz, Jahrbücher des Deutschen Reichs 
unter Otto II. und Otto III., Bd. I S. 100). 

Von den städtischen Burggrafen wird der Regensburger um 970, 
der Kölner 1032 zuerst erwähnt, die tibrigen tauchen allmählich bis 
zum Beginn des 12. Jahrhunderts auf. Nirgends erfahren wir, in 
welchem Zeitpunkt das Amt begründet wurde. Bei dieser Sachlage 
1äßt es RIETSCHEL (S. 326) dahingestellt, ob alle diese Burggrafonämter 
gleichzeitig entstanden oder nach dem Vorbild des Regensburger 
Amtes die übrigen im 11. Jahrhundert geschaffen worden sind. Er 
hat mehrere Urkunden nicht beachtet, auf welche gerade durch seine 
Forschungen erst das rechte Licht fällt. Es sind die oft besprochenen 
Diplome Ottos I. und seiner Nachfolger für St. Maximin (M.G. DD. I, 
Otto I. 391, HI, Otto II. 42, Otto III. 62, III, Hear. II. 94). Nach der 
Angabe der wahrscheinlich nicht vollzogenen, aber sicher gleichzeitigen 
Urkunde von 970 gewährt Otto I. der in predicta Trevirorum urbe 
aliisque imperii nostri civitatibus vel prefecturis wohnenden familia 
des Klosters gewisse Vergünstigungen. Die 3 folgenden Urkunden von 
973, 990 und 1005 gewähren ähnliche Rechte in singulis civitatibus 
imperialibus (regalibus) vel prefectoriis. Schon ARNOLD und HEUSLER 
haben erkannt, daß die praefecturae oder praefsctoriae civitates dieser 
Urkunden die burggräfliehen Städte sind. Sie fallen mit den befestigten 
Städten (civitates) des Reichs zusammen, wie das ja auch RIETSCHEL 
für das 11. Jahrhundert, wenigstens für das deutsche Spraehgebiet, 
festgestellt hat. M. E. wird man nicht mehr daran zweifeln können, 
daß das Burggrafenamt um die Mitte des 10. Jahrhunderts in den 
obengenannten Städten durch königliche Anordnung gleichzeitig ein- 
geführt worden ist. 

In einem Punkte scheinen die St. Maximiner Urkunden den Ergeb- 
nissen RIETSCHELS zu widersprechen. In den Städten des französischen 
Sprachgebiets des Reiches fehlt das deutsche Burggrafenamt; wahr- 
scheinlich gilt dies auch für Metz (S. 192 ff... Dagegen ist mindestens 
für eine dieser Städte, was RIETSCHEL nicht beachtet hat, eine Ein- 
riehtung nachzuweisen, welehe die Einreihung auch dieser Städte unter 
die praefectoriae civitates wohl rechtfertigen konnte. Die bischöfliche 
Urkunde von 1069 tiber die Rechte des Touler Grafen (Wartz, Ur- 
kunden, Nr. 8) bezeugt in ihrem Eingang, daß dessen Vorgänger (seit 
dem Ende des 10. Jahrhunderts) hane urbem rexerunt et defensaverunt. 
Da dem Grafen, wie RIETSCHEL mit Recht betont, die hohe Gerichts- 
barkeit in Toul selbst nicht zusteht, kann die Stelle nur 80 gedeutet 
werden, daß er, wie z. B. der Trierer Burggraf, der militärische Be- 
fehlshaber und Verteidiger der Stadt war. Eine Bestätigung liefert 
8 11. Das einzige Amt in der Stadt, bei dessen Besetzung der Graf 
mitwirkt, ist ein militärisches: die eustodia portae. Wir dtirfen also 
sagen, daß dem Grafen von Toul als solchem zugleich die Funktionen 
eines Burggrafen zustehen. Ich vermute nun, daß das gleiche für die 
Grafen von Verdun, Metz und Cambrai ursprünglich galt. So würde 
sich die dem Metzer Grafen zugeschriebene Stadtpräfektur einfach 
erklären. Höchst wahrscheinlich war der Touler Graf schon Stadt- 
kommandant, ehe im 10. Jahrhundert die Grafschaft dem Bischof ver- 


198 Referate. 


liehen und die Stadt abgetrennt wurde; darum dürfte die lothringische 
Einrichtung älter als die verwandte deutsche sein. 

Sind nun, um zum deutschen Sprachgebiet zurückzukehren, die 
ältesten Burggrafen königliche oder bischöfliche Beamte gewesen? 
Der Regensburger war zweifellos königlich; RIETSCHEL (8. 326 f. 
neigt dazu, für die übrigen das gleiche anzunehmen, und obige Er- 
örterungen scheinen zunächst diese Auffassung zu bestätigen. Die 
Frage ist um so weniger mit Sicherheit zu beantworten, als wir den 
senauen Zeitpunkt der Einführung des Amtes nicht keunen und nur 
mit RIETSCHEL vermuten können, daß er erst in die spätere Regie- 
rungszeit Ottos I. fällt. Da das Amt offenbar vom König eingeführt 
worden ist, wird man annelımen dürfen, daß die Burggrafen dem 
König für Instandhaltung und Verteidigung ihrer Festung verantwortlich 
waren. Dagegen ist es mir wahrscheinlich, daß, abgesehen von Regens- 
burg, wo der Bischof die volle Stadtherrschaft nie erlangt hat, die 
Ernennung der Burggrafen den Bischöfen von vornherein tiberlassen 
wurde. In 7 Städten ist das Amt regelmäßig mit dem des bischöf- 
lichen Vogts bezw. Grafen verbunden; RIETSCHEL selbst bemerkt (8. 329). 
daß diese Verbindung ursprünglich zu sein scheint. Es ist auch w- 
wahrscheinlich, daß in den weit auseinanderliegendeu Städten schon 
im 11. Jahrhundert die Ernennung der Burggrafen so gleichmäßig auf 
die Bischöfe übergegangen sein sollte. Speziell für Augsburg vgl 
BERNERS beachtenswerte Ausführungen (Zur Verfassungsgeschichte der 
Stadt Augsburg, 9. 38 ff.). 

Naclı der trümmerhaften Überlieferung hat RIETSCHEL scharfsinnig 
die Amtsstellung der städtischen Burggrafen im einzelnen rekonstruiert. 
Treffend erscheinen mir z.B. die Ausführungen über das Recht, Über- 
bauten zu brechen (8. 331f.). Nicht ganz befriedigen die Darlegungen 
über die Weiterentwicklung des Amtes. Mit Recht stellt RIeTScHEL 
(S. 329) fest, daß das Amt an Originalität früh Einbuße erlitten hat, 
daß man vielfach die Funktionen des Burggrafenamts nicht mehr unter- 
schied von denen anderer, mit ihm verbundener Amter. Den früh- 
zeitigen Verlust der wichtigsten Funktionen hat RIETSCHEL d 
nicht hervorgelioben. Wie die wenigen Nachrichten aus dem 11. Jahr- 
hundert aus Regensburg und T'rier erkennen lassen (8. 330), war der 
Burggraf vor allem Befehlshaber der in die Stadt gelegten Besatzung, 
der milites'). Dasselbe dürfte noch 1105 bei dem Burggrafen von 
Speier der Fall gewesen sein. Dagegen trage ich Bedenken, mit 
RIETSCHEL (S. 330) in den 1000 Schilden, welche neben 500 Pfand 
im Jahre 1117 die Ausstattung der Burggrafschaft Magdeburg bildeten, 
die Besatzung dieser Stadt zu sehen. Dem Wortlaut der Nachricht 

1) Über die älteren städtischen Besatzungen liegen wenig Nachrichten 
vor. Ich darf wohl auf die Gasse der 110 stets mit Roß und Waffen ver- 
sehenen Ritter in der nordfranzösischen Stadt St. Riquier aufmerksam machen. 
Siehe das interessante, in Lors Ausgabe von HArıuLı', Chronique de l'abbaye 
de St. Riquier, S. 306 ff., abgedruckte Abgabenverzeichnis. Es dürfte dem 
11. oder 12. Jahrhundert angehören. Die herkömmliche, auch vom Hersor 
geber S. XXVTIT übernommene Angabe, cs sei ein Bestandteil des Zineregisters 
von 831, ist unglaubwürdig. 


Referate. 199 


nach ist eher an eine periodische Abgabe wirklicher Schilde zu denken, 
welche ursprünglich für den Fall einer Belagerung aufbewahrt werden 
sollten. Weiterhin verschwindet, obwohl die Quellen viel reichlicher 
fließen, jede Spur davon, daß der Burggraf eine Besatzung befehligt. 
Spätestens seit der Mitte des 12. Jahrhunderts, in Köln anscheinend 
sogar schon 1074, jedenfalls 1106, liegt eben die Bewachung und Ver- 
teidigung der hier besprochenen Städte, soweit nicht auswärtige Hilfe 
herangezogen wird, ausschließlich in den Händen der Bürger. Von 
den Ministerialen sind bekanntlich nur Hof- und Verwaltungsbeamte 
und einzelne bald im Bürgertum aufgehende Elemente in den Städten 
in verschiedenem Maße zurückgeblieben!). Dem Burggrafen ist besten- 
falls noch ein Rest militärischer Amtspflichten geblieben. Den Straß- 
burger Burggrafen des I. Stadtrechts kann man noch in einem abge- 
schwächten Sinne als Stadtkommandanten bezeichnen. Er wacht noch 
darüber, daß die Stadtmauer nicht beschädigt wird. Den Schmieden 
aber, welche Schlösser und Ketten für die Stadttore anfertigen, liefert 
die Stadtgemeinde Material und Beköstigung; die Bürgerschaft, nicht 
mehr der erzbischöfliche Beamte, sorgte also offenbar für die Instand- 
haltung der Befestigungen. Bei den tibrigen Burggrafen ist von mili- 
tärischen Aufgaben nichts mehr zu entdecken, sie hielten nur manche 
Einnahmequellen, die aus dem ehemaligen Amte herrührten, fest. 

Die Mannigfaltigkeit des späteren städtischen Burggrafenamtes be- 
wirkt, daß RIETSCHELS Darstellung auch in manche dem Thema an 
sich ferner liegende Gebiete, wie die niedere Gerichtsbarkeit oder das 
Zunftwesen, eingreift und auch hier viele Belehrung bietet. Im folgenden 
gehe ich seinen Ausführungen über die Verfassnng einzelner Städte 
näber nach. 

Der Kölner Verfassungsgeschichte hat RIETSCHEL kürzlich einen 
hervorragenden Dienst durch den Nachweis geleistet, daß die in dem 
bekannten Schied Erzbischof Philipps dem Inhalt nach wiedergegebene 
alte Rechtsaufzeichnung unzweifelhaft echt ist und spätestens dem be- 
ginnenden 12. Jahrhundert angehört. Ich möchte noch darauf auf- 





1) In Köln war anerkanntermaßen schon im 12. Jahrhundert die Ministe- 
rialität bedeutungslos. Doch führt eine im sogenannten „deutschen Dienst- 
recht“, einem Ministerialenweistum aus dem Ende des 12. Jahrhunderte, 
aufgezeichuete Bestimmung ($ 11) wohl in eine Zeit zurück, in der noch 
zahlreiche Ministerialen in Köln selbst wohnten. Die Häuser der Ministerialen 
daselbst sollen, solange sie ihnen gehören, frei vom Hofzins sein. Da der 
letztere im 12. Jahrhundert nur noch geringe Bedeutung hatte und von den 
Erzbischöfen sehr früh zum Teil verschenkt worden ist, wird man den Ur- 
sprung der Bestimmung viel früher suchen (siehe FRENSDORTF, Mitteilungen 
aus dem Kölner Stadtarchiv, H. 2 S. 37 ff. Die beiden uns vorliegenden 
Fassungen des Weistums sind, was der Herausgeber verkannt hat, von ein- 
ander unabhängige Übersetzungen eines verlorenen lateinischen Originals. 
Dies beweisen handgreifliche Übersetzungsfehler in $$ 9 und 11 und besonders 
der Umstand, daß die beiden Fassungen einen wesentlich gleichen Inhalt 
mit völlig verschiedenen Ausdrücken wiedergeben). — Auf die vielumstrittene 
Frage nach der Natur des Kölner Hofzinses kann ich hier nicht näher ein- 
gehen. Ich vermute, daß der Hofzins in der Römerstadt auf eine alte Grund- 
steuer zurückgeht. 


200 Refcrate. 


merksam machen, daß hier (KEUTGEN, Urkunden, Nr. 17 & 15) schon 
magistri scabinorum et civium Coloniensium erscheinen. Bisher war 
das Btirgermeisteramt hier zuerst um 1180 nachzuweisen, während 
Burmeister der Sondergemeinden etwa 50 Jahre früher auftretes. 
Jetzt erhält die Priorität des Bürgermeisteramtes, für welehe auch 
innere Gründe sprechen, eine &ußere Stütze. — Die Eigentümlichkeit 
der Kölner Gerichtsverfassung hat RırTscHEL nach OPPERMANNS Vor- 
gang darin erkannt, daß hier die bischöfliche Gerichtsgemeinde in der 
gräflichen aufgegangen ist. Der Burggraf ist zugleich der vom Erz- 
bischof belehnte Kölngaugraf. Nicht ganz richtig hat RIETSCHEL m.E. 
die Stellung des Stadtvogts aufgefaßt. Die vorhin erwähnte alte Rechts 
aufzeichnung nennt ihn scoltetus archiepiscopi und die neueste For 
schung ist darin einig, daß seine Stellung im wesentlichen die eines 
Schultheißen ist. Fraglich kann nur sein, ob er der Schultheiß der In- 
munitätsgerichtsgemeinde oder der des Grafen war. RIETSCHEL (8. 164£.) 
wirft diese Frage gar nicht auf; er faßt den Stadtvogt ohne Begriis- 
dung als gräflichen Schultheiß auf. Da er sofort selbst schwerwiegende 
Gegengrtinde geltend macht, sieht er sich zu der Annahme genötigt, 
daß das Amt mit dem eines bischöflichen Vogts verschmolzen worden 
ist (S. 164 f.). Die richtige I,ösung hat schon OPPERMANN gegeben 
(Westdeutsche Zeitschrift XXI S. 19)'): Der Stadtvogt ist der Schuk- 
heiß des bischöflichen Immunitätsgerichts. Wie seine Kollegen in den 
meisten anderen Bischofsstädten, wird er vom Erzbischof ernannt und 
ist auf die niedere Gerichtsbarkeit beschränkt. Während das Gericht 
des Stiftsvogts in Köln weggefallen ist, ist das des Schultheißen mit 
dem gräflichen Niedergericht verschmolzen worden. Daher ist in diesem 
der Vorsitz zwischen Graf und Stadtvogt geteilt. Den Nachfolger des 
gräflichen Schultheißen oder Centenars wird man in dem Untergrafea 
zu sehen haben, .dem als Vertreter des auch in der erzbischöflichen 
Verwaltung vielbeschäftigten Vogts ein Untervogt zur Seite tritt. Der 
Vogtstitel des Kölner erzbischöflichen Schultheißen dürfte daher rühren, 
daß ihm zugleich die Verwaltung eines Teils der erzbischöflichen Eis 
künfte übertragen war und die Ein- und Absetzung der Schultheißen 
auf 12 erzbischöflichen Höfen zustand. 

Die dem Schiede Erzbischof Philipps zugrunde liegende ältere 
Rechtsaufzeichnung weist dem Burggrafen außer in den echten Di 
auch im iudicium de hereditatibus infra Coloniam sitis den alleini 
Vorsitz zu. Die nächstliegende und m.E. richtige Deutung hat 
ARNOLD gegeben: Für die Erledigung der städtischen Grundstücks 
prozesse reichten die 3 echten Dinge nicht aus, sie mußten darum is 
gebutenen Dingen verhandelt werden. Auch ohne Rücksicht auf unsere 
Quellenstelle wäre kaum anzunehmen, daß der Burggraf jetzt den 
Vorsitz in Kölner Grundsttickssachen und die mit ihm verbundegen 
Einkünfte zur Hälfte an den Stadtvogt abgab. Diese Gerichtsbarkeit 
blieb vielmehr gräflich, wenn auch vermutlich regelmäßig der Untergraf 


—— 


1) Dagegen ist eine weitere Hypothese OPPERMANNS, die Existenz eines 
besonderen Schöffenkollegr der Rheinvorstadt (ebenda S. BR ff), m. E. m 
haltbar. 


Referate. 201 


den Vorsitz führte RIRTSCHEL (8. 153) leugnet, daß der Burggraf 
„noeh im 12. oder gar 13. Jahrhundert“ auch nur beanspruchen konnte, 
daß alle Grundstücksprozesse vor sein Forum gehörten. Er hat zu- 
nächst übersehen, daß der Schied das iudieium de hereditatibus nur 
aus der alten Rechtsaufzeichnung tibernimmt. Im Eingang der Urkunde 
wird nur noch ein Streit über den Vorsitz im echten Ding und über 
das Reclıt, Vorbauten zu brechen, erwähnt. Dem Vogte war es schon 
im Laufe des 12. Jahrhunderts gelungen, das besondere iudicium de 
hereditatibus zu beseitigen. Im übrigen sehe ich nicht ein, warum 
der Burggraf, dem noch im 13. Jahrhundert der Vorsitz in allen Pro- 
sessen wenigstens zur Hälfte zustand, in Grundsttickssachen nicht den 
alleinigen Vorsitz haben konnte. RIETSCHELS eigene Deutung der 
Stelle auf die „Wirkung des Königsfriedens über Grundstücke“ be- 
friedigt um so weniger, als Friedewirkungen außerhalb des echten 
Dings hier nicht nachgewiesen sind. 

8. 166 läßt RıETScHEL die Frage offen, ob die Gerichte der Kölner 
Vorstädte Oversburg (Airsbach) und Niederich alte Hundertschaften 
sind. M. E. ist sie entschieden zu verneinen. Beide Gerichtsbezirke 
sind viel kleiner als die Altstadt Kölns innerhalb ihrer Mauern, und 
es fehlt jede Spur davon, daß sie ehemals wesentlich größer waren. 
Daß die Dörfchen Overich und Niederich vor den Toren Kölns eigne 
Hundertschaften bildeten, ist ganz unglaubhaft. Dagegen ist es höchst 
wahrscheinlich, daß die Stadtumwallung von 1106, in welche diese 
beiden Bezirke einbegriffen wurden, den Anlaß zur Bildung oder 
Umgestaltung der in Frage stehenden Gerichte gab. Erst sie gab den 
Bezirken die späteren Grenzen. So wenig sie auf alte Pfarrgrenzen 
Rüeksicht nahm, wird sie den alten Gerichtsgrenzen entsprochen haben. 
Siehe KEUSSEN, Westdeutsche Zeitschrift XX S. 64 ff. Die vorstädtische 
Bevölkerung der durch die Umwallung geschaffenen Städte wurde nun 
zu je einer einheitlichen Gerichtsgemeinde zusammengefaßt und nach 
dem Muster der Altstadt organisierte. Daher finden sich hier wie 
dort ein Untergraf und ein Untervogt als Stadtrichter. (OPPERMANN 
(Westdeutsche Zeitschrift XXI 8. 32), der in diesen Gerichten eben- 
falls Neubildungen sieht, hat den Zusammenhang mit der Stadtumwal- 
lung wohl nur deshalb nicht erkannt, weil er mit anderen den Arnoldus 
comes noster des Niedericher Weistums mit einem Burggrafen des 
11. Jahrhunderts identifiziert. M. E. kann er nur ein Graf des Niede- 
richs gewesen sein, sonst würden die Niedericher nicht von „unserem“ 
Grafen sprechen (siehe Hönıger, Kölner Schreinsurkunden II, 1 
8. 52, $ 8 des Statuts; vgl. auch & 1). 

Bei Straßburg sind zunächst einige Bemerkungen über die dor- 
tigen Handwerksverbände zu berichtigen. Die pellifices sind zweifellos 
hier wie überall Kürschner und nicht, wie RIETSCHEL (8. 26 Anm. 3) 
behauptet, Gerber. Ich verweise nur darauf, daß die duodeeim inter 
pellifices später als die Zwülfer der Kürschner auftreten (BRUCKER, 
Straßburger Zunft- und Polizeiverordnungen, 8. 322). Die Gerber 
(rintsutere, gerwere, cerdones) werden im I. Stadtrecht noch mit den 
Sehuhmachern unter der Bezeichnung sutores zusammengefaßt, im Burg- 
grafenrecht erscheinen beide Gewerbe als ein kombiniertes burggräf- 


202 Referate. 


liches Handwerk (S. U.B. IV,2 8.204 f.). Ferner bestreitet RIETSCHEL 
(8.26 Anm. 4) mit Unrecht, daß das Burggrafenrecht die Rechte sämt- 
licher damals noch burggräflicher Handwerke verzeichnet. Die im 
I. Stadtrecht außerdem erwälnten Handwerke der Kürschner, Hand- 
schuhmacher, Wirte und Obsthändler fehlen auch in dem sicher voll- 
ständigen Verzeichnis von 1263. Die gegen DETTMERINGS Darstellung 
gerichteten Einwürfe sind also unzutreffend. 

Die Gewerbegerichtsbarkeit des Burggrafen und anderer bischöf- 
licher Beamten leitet RIETSCHEL (S. 27) mit KEUTGEN aus der obrig- 
keitlichen Marktaufsicht her. Nun unterstehen dem Schultheiß als 
Stadtrichter die Fleischer, Würfelmacher, Weinrufer und Makler (8. U.B. 
1V,2 8.192 ff). Von Sondergerichten dieser Gewerbetreibenden erfahr:n 
wir nichts; es ist anzunehmen, daß tiber ihre Vergehungen hier wie 
anderwärts im ordentlichen Gericht verhandelt wurde. Jene meist vom 
Burggrafen geleiteten Sondergerichte stellen m. E. ein Privileg für die 
Handwerker dar, welche von ihresgleichen, nicht von der gesamten 
Straßburger Gerichtsgemeinde abgeurteilt zu werden wtinschen. Auch 
im Straßburger Haudwerksgericht sind gemäß der alten deutschen 
Gerichtsverfassung Richter uud Urteiler verschiedene Personen. Richter 
sind der Burggraf (bezw. der Fischerobermeister) und der von ihm 
ernannte Meister, in letzter Instanz der Bischof; Urteiler sind entweder 
sämtliche Handwerksgenossen oder eine bestimmte Zahl hierfür eiv- 
wesetzter Handwerker (Achter der Schuhmacher und Gerber, Zwölfer 
der Kürschner, wahrscheinlich auch Vierer der Handschuhmacher). 
Siehe namentlich das Burggrafenrecht. Weitere Bedenken gegen 
KEUTGENS Amtertheorie habe ich in meiner Besprechung seines Buchs 
„Ämter und Zünfte“ (Westdeutsche Zeitschrift XXIII 8. 72 ff.) vor 
gebracht. 

Weitaus die meisten, aber nicht alle diese Handwerksgerichte sind 
dem Burggrafen zugewiesen. Gegen KEUTGEN stellt RIETSCHEL (8. 27) 
mit Recht fest, daß das I. Stadtrecht nur fast alle Handwerke als 
burggräflich bezeichnet. Im Anschluß an GOTHEM leitet RIETSCHEL 
diese Funktion des Burggrafen aus seinem Amt als Stadtkommandant 
her und beruft sich namentlich auf die militärische Bedeutung der 
meisten burggräflichen Handwerke. Seine Gründe sind aber wenig 
iiberzeugend. Für die Kürschner, Wirte und Böttcher fehlt jede Be- 
ziehung zum Kommandantenamte. Aber auch die nachweislichen mili- 
tärischen Leistungen der anderen Handwerker dienen nur in einem 
Falle (bei den Schmieden) zum Teil der Befestigung oder Verteidigung 
der Stadt, also dem Wirkungsbereich des Burggrafen. Zudem ist es 
sehr zweifelhaft, ob der Burggraf noch Truppenbefehlshaber war, als 
ihm die Handwerksgerichte übertragen wurden. Zwischen 1132—1118 
ist das Amt wahrscheinlich längere Zeit unbesetzt geblieben; denn es 
ist schwerlich ein Zufall, daß 9 Urkunden der Jahre 1137—1147 nur 
den SchultheiB als Zeugen nennen, während vor- und nachher beide 
Beamte zusammen aufzutreten pflegen. Seit der Wiederbesetzung der 
Stelle genießt der Burggraf ein geringeres Ansehen (RIETSCHEL, 8. 23). 
Ich möchte annehmen, daß dem neuen Burgyrafen außer den Resten 
des alten Amtes mit den diesem zugewiesenen Einnahmen als Haupt- 


Referate. 203. 


beschäftigung die Gerichtsbarkeit über das organisierte Handwerk 
übertragen wurde. Nur aus besonderen Grtinden werden einzelne 
Handwerksgerichte anderen Beamten überwiesen. Für die Fischer war 
der Truchseß, schon nach dem I. Stadtrecht Aufseher der bischöflichen 
Fischgewässer, der gegebene Obermeister (S. U.B. IV,2 S.263). Ver- 
mutlich waren die Bäcker des Bannbrots wegen ebenfalls einem Hotf- 
beamten untergeordnet. Die Zimmerleute erhielten wolıl erst, als sie- 
(vor 1263) dem Burggrafen untergeordnet wurden, ein eigenes Gericht. 
Die Fleischer endlich, denen noch im 14. Jahrhundert der Zunftzwang 
fehlt, unterstanden, wie schon bemerkt, dem ordentlichen Gericht 
(8. U.B. IV, 2 S. 192 und 198). 

Bei Augsburg verwirft RIETSCHEL mit Recht die verbreitete: 
Annahme, der Burggraf habe ursprünglich die hohe Gerichtsbarkeit 
ausgeübt. Versehentlich zählt er (8. 38 Anm. 3) auch BERNER (Zur 
Verfassungsgeschichte der Stadt Augsburg, 8. 42) zu den Vertretern 
der bekämpften Ansicht; dieser hat sich vielmehr schon in RIETSCHELS 
Sinne geäußert. Mit Recht stellt RIETSCHEL (S. 40) fest, daß der 
Augsburger Burggraf die Funktionen eines Schultheißen ausübt. Da. 
eine spezifisch burggräfliche Amtstätigkeit diesem Beamten mindestens 
seit der Mitte des 12. Jahrhuuderts abgeht, dürfen wir ihn trotz des 
Burggrafentitels seit dieser Zeit geradezu als den SchultheiB von 
Augsburg bezeichnen. RIETSCHEL (S. 41f.) freilich schreibt ihm da- 
neben nach SCHRÜDERS Vorgang das Amt des Ortsvorstehers zu. Er 
beruft sich auf die Gerichtsbarkeit des Burggrafen über unrecht Maß 
und Gewicht, sodann auf die ihm zustehende Lebensmittelpolizei. 
Hier ist zunächst zu bemerken, daß nach Artikel 64 f. des Stadtbuchs 
tiber unrechtes Gewicht, sowie über die unrechten Wein- und Ge- 
treidemaße des Großhandels der Vogt richte. Der von RIETSCHEL 
allein zitierte Artikel 124 bezieht sich speziell auf die Handwerker 
und Kleinhändler der Lebensmittelbranche. Aus der Aufsicht über 
die letzteren ist offenbar auch das in Artikel 65 erwähnte Gericht 
über die unrechten kleinen Maße entsprungen, die eben vornehmlich 
beim Kleinverkauf von Lebensmitteln zur Anwendung kamen. Diese 
Lebensmittelpolizei und -gerichtsbarkeit wird nun vor dem Auftreten 
des Rats in deu süddeutschen Städten, auch in den älteren, ditchwe; 
von herrschaftlichen Beamten, besonders den Stadtrichtern, ausgetibt. 
Wohl finden sich in manchen rheinischen Städten Heimburgen. Ob 
dieselben aber ursprünglich Ortsvorsteher waren, ist mindestens sehr 
zweifelhaft; in den Quellen erscheinen sie nur als niedere Polizei- 
organe, die mit den Gerichtsbütteln auf einer Stufe stehen. M.E. hat 
der Augsburger „Burggraf“ einfach als Schultheiß den Lebensmittel- 
verkehr zu beaufsichtigen. 

In Regensburg haben nach RIETSCHEL (S. 298 f.) die gräfliche 
Gerichtsgemeinde unter dem Burggrafen (später dem Herzog) und 
seinem Schultheiß und die Immunitätsgerichtsgemeinde unter Vogt und 
Propst gesondert fortbestanden. Ich halte diese Auffassung für un- 
richtig. Nur der besondere Gerichtsstand der Stiftshörigen erhielt sich, 
die Bürgerschaft wurde zu einer Gerichtsgemeinde vereinigt. Alle 
Bürger hatten 3 Vogtsdinge und 3 Burggrafendinge zu besuchen, 


204 Referate. 


niederer Richter war allein der burggräfliehe Schultbeiß. Ich folge 
hier GENGLERS Auslegung des Stadirechts von 1230 (KEUTGEN, Ur- 
kunden, Nr. 160). In Regensburg übten Bischof und Burggraf (Herzog) 
viele landesherrliche Rechte gemeinsam aus; ich nehme nun an, daß 
bei der Begründung dieses Kondominats auch die Gerichtsverfassung 
neu geregelt wurde. Bischof und Herzog waren Gerichtsherrn übe 
alle Bürger (vgl. Stadtrecht von 1230 8 5). 

Für Regensburg ist es besonders schwer, die Kompetenzen de 
Burggrafen, des Gaugrafen und des Herzogs auseinander zu halten, 
da diese Würden seit ca. 1200 sämtlich in einer Person vereini 
waren, und wenig ältere Zeugnisse vorliegen. RIETSCHEL nimmt aue 
hier die Scheidung mit Scharfsinn vor. Außer dem herzoglichen Palast 
(S. 91) ist aber m, E. auch das in $ 9 des Stadtrechts von 123% 
bezeugte Gericht als ursprünglich herzoglich anzusehen, da der 
Herzog auch über die Ministerialen der Kirche richtet. Die Zunft- 
hoheit des Herzogs rührt entschieden nicht, wie RIETSOHEL (8. W) 
annimmt, aus seinem Burggrafenamte, sondern aus dem Gaugrafenamte 
her, da der andere Gerichtsherr, der Bischof, an ihr teilnimmt. Die 
Parallele mit dem Straßburger Burggrafen ist irreleitend. Dieser nimmt 
nur die Rechte des Bischofs wahr, jener übt die anderwärts nur den 
Bischöfen zustehenden Reclıte aus. 

Ich habe in dieser Besprechung dem Widerspruch Außerlich mehr 
Kaum gegeben als der Zustimmung und Bewunderung. Um so mehr 
möchte ich am Schluß betonen, daß der Verfasser in der Hauptsache 
über das Wesen des Burggrafenamtes und die hohe Gerichtsbarkeit 
in den Bischofsstädten völlig überzeugende Anfklärung gebracht hat. 
Da das vorliegende Buch den ersten Band von RIETSCHELS Unter 
suchungen zur Geschichte der deutschen Stadtverfassung bildet, darf 
man hoffen, daß wir bald auch mit der früher angekündigten Arbeit 
über die schwierigen Probleme der Gemeindeverfassung der Römerstädte 
beschenkt werden. HEINRICH VON Læscx. 


W. voN SOMMERFELD, Privatdozent an der Universität Berlin. Beiträge 
zur Verfassungs- und Ständegeschichte der Mark Brandenburg im 
Mittelalter. 1. Teil. Erschienen in Veröffentlichungen des Vereins 
für Geschichte der Mark Brandenburg. Leipzig 1904. 


Die Studie SOMMERFELDS stellt zunächst an den Leser eine große 
Zumutung. Der Verfasser erlaubt sich, seinem Büchlein von 168 Seiten 
nicht weniger als 58 Berichtigungen und Zusätze vorauszuschicken, 
worunter die Berichtigungen weitaus den größten Teil ausmachen. 
Wenn man erwägt, daß z. B. in der ScHröDErschen Rechtsgeschichte 
(4. Auflage) von 970 Seiten nur 37 Berichtigungen und Nachträge 
verzeichnet sind, so dürfte man Herrn SOMMERFELD für seine späterea 
Werke etwas mehr Sorgfalt in formaler Hinsicht empfehlen, 

Die vorliegenden Beiträge sind wissenschaftlich sehr wertvoll. 
Die vollständige Beherrschung des Stoffes und die sorgfältige Ams- 
legung der Quellen springen sofort in dje Augen. Dabei ist SOMWER- 
FELD vorsichtig. Er bringt keine Konstruktionen, wo dies die Quellen 
nicht gestatten; er will nichts Sicheres geben, wo sich sichere Schlüsse 


Referate. 205 


nicht ziehen lassen. Leider ist der Stoff, namentlich für die ältere 
Zeit, oft äußerst spärlich, und trotz einer weitgehenden Vergleichung 
der brandenburgischen Verhältnisse mit den Verhältnissen anderer 
Marken muß sich der Verfasser häufig mit Vermutungen oder rein 
negativen Ergebnissen begnügen. 

Die Arbeit ist in zwei Bücher geteilt, die sich historisch unge- 
zwungen ergeben, in die voraskanische Epoche (von der Mitte des 
10. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts) und in die askanische Epoche 
(von der Mitte des 12. bis zum Anfang des 14. Jahrhunderts). 

Im ersten Kapitel wird kurz die äußere Territorialbildung be- 
sprochen. Dabei zeigt sich deutlich, welch große Schwankungen das 
Markgebiet durchzumachen hatte. Eine kleine Karte wäre hier sehr 
erwünscht, namentlich auch zur Klarlegung der spätern Verhältnisse 
des eigentlichen Markgebietes zu den Grafschaften, welche nur in einer 
zufälligen Verbindung mit der Mark standen (Seite 131). 

Im zweiten Kapitel spricht der Verfasser die Vermutung aus, daß 
der Boden der Altmark bereits in der Zeit vor der Eroberung durch 
die Deutschen durchweg in grundherrlicher Abhängigkeit von prin- 
cipes gestanden habe, so daß der einzelne Ackerbauer kein Eigentum 
hatte (S. 20). Zur Begründung dieser Vermutung darf man aber 
jedenfalls nicht die Abgabe heranziehen, welche wozop oder zipkorn 
genannt wurde. Diese Getreideabgabe scheint einen Öffent- 
lich rechtlichen, keinen grundherrlichen Charakter 
gehabt zu haben. Die Quellen weisen auf einen engen Zusammen- 
hang dieser Abgaben mit der Gerichtsbarkeit hin. In einer Urkunde 
von 1154 (abgedruckt bei GAuTscH in Mitteilungen des Freiburger 
Altertumsvereins, Heft 5 S. 489) heißt es, daß die Flamländer ver- 
pflichtet werden, von 15 Hufen Landes in jedem Jahre, pro justitia 
que zip vocatur, 30 nummos zu entrichten. In Urkunde von 1277 
(ebenda) kaufte der Bischof von Merseburg das Gericht zu Eichsfeld 
und dazu annonam quae zip vulgariter appellatur quam in eodem 
districtu sive sede judiciali annis singulis colligi consuevit, nec non 
et viginti et septem modios tritici et totidem avenae de zip quod 
seniores ad judicium Horburg pertinentes colligere consueverunt. Auch 
in der vom Verfasser (Seite 20 À, 4) angezogenen Urkunde von 1176 
(Cod. Pomer. Dipl. Nr. 41) tritt der Zip in unmittelbarer Verbindung 
mit dem Gerichte auf. Der Slawenherzog Kasimir I. bestimmt zu- 
gunsten einer Kirche in Camin: Homines eciam ipsius ecclesie iure 
ecclesiastico non iudicio subiaceant seculari eosque ab omni 
exactione insuper Naraz, Oszep, Gaztitua ratione — — — ceteris 
que serviciis et rebus dandis secundum morem gentis nostre penitus 
esse volumus absolutos. 

Die Wahrscheinlichkeit, daß die genannte Leistung eine Abgabe 
war, welche auf Grund der Gerichtsgewalterhoben wurde, 
wird bestärkt durch die spätere Entwicklung. SOMMERFELD sagt Seite 44, 
daß das engere Markgebiet nach der Eroberung als Eigentum der Reichs- 
gewalt angesehen wurde, daß es anderes Grundeigen in der Mark niclıt 
gegeben habe. Die slawischen Principes hätten also im großen und 
ganzen ihren Grundbesitz an den erobernden König abtreten müssen. 


206 | Referate. 


Ein Beweis hierfür liege darin —-: wenigstens was die Altmark betrifft —, 
daß der Vertreter der Reichsgewalt einen Grundzins, Markrecht genannt, 
erheben dürfe. Dieses Markrecht trage nicht „eigentlich einen öffent- 
Jichrechtlichen Charakter, sondern beruhe auf dem gewissermaßen 
privaten Besitztitel des Königs am gesamten Areal des unterworfenen 
Siawenlandes“ (8. 62). Selbst wenn es richtig ist, ein solches Eigen- 
tum des Königs anzunehmen, eine Frage, auf die ich hier nicht weiter 
eingehen kann, so scheint es mir doch auch hier unrichtig, das Mark- 
recht nicht als eine gerichtsherrliche Abgabe auzuseben. Die vom Ver- 
fasser angezogene Stelle bei Warrz (V.G. VII. 391) führt unter anderen 
eine Urkunde von 985 Sept. 30 an (M. G. Dipl. II 420). In dieser 
Urkunde überweist Otto III. der bischöflichen Kirche zu Passau die 
Abgaben, welche die auf den Gütern der Kirche in der Mark des 
Grafen Luitbold angesiedelten freien Kolonen dem Fiskus zu entrichten 
hatten, nämlich quicquid nostrae publicae exactioni iuditiaria 
potestate deberent. Diese nicht näher bezeichnete Abgabe war 
also sicher eine Gerichtsabgabe. Ferner heißt es bei RIEDEL (Cod. 
Dipl. Brand. I 5, 21, SOMMERFELD S$. 44 A.1) in einer Urkunde von 
1188, daß Markgraf Otto II. einer Kirche gegeben habe: in villa etiam 
Garlip jus marchie, quod communi vocabulo marcrecht nuncupatur... 
Auctoritatem, quam ... vmnibus in christo fidelibus et deo sacrificare 
volentibus de mansis ad nostram jurisdictionem pertinen- 
tibus prestantes, ut pretaxate aecclesie secure offerant et salutem 
anime sue inde constituant. Ahnlich eine zweite Urkunde bei RIEDEL 
(Cod. Dipl. Brand. Io, 25, SOMMERFELD 98. 44 A. 1) von 1190. Mark- 
sraf Otto II. schenkt dem Stifte Stendal 20 Talente: ad computum 
20 talentorum feodi nostri quod ad nostram pertinet jurisdie- 
iionem et communi vocabulo margrecht nuncupatur praedictae 
ecelesiae ... contra didimus. Es liegt kein Grund vor, dem Worte 
jurisdictio hier eine andere Bedeutung als Gerichtsbarkeit beizulegen 
und das Markrecht nicht als Ausfluß dieser Gerichtsbarkeit aufzo- 
fassen. 

Seite 61 belıauptet SOMMERFELD, das brandenburgische Markrecht 
sci gleichbedeutend mit dem magdeburgischen census, der im 12. Jabr- 
hundert überall 2 Schilling auf die Hufe betrug und deshalb als Re- 
kognitionszins des königlichen Eigentums anzusehen sei. Aber diese 
(Gleichstellung scheint nicht zuzutreffen. In einer Urkunde von 1164 
(U.B. des Klosters U. L. F. zu Magdeburg (ed. HERTEL) Nr. 33 heißt 
es: Talis est conventio scilicet ut annuatim solvant de quolibet manso 
duos solidos in censu, duos modios siliginis et duo avenae ad id quod 
more totius transalbine provincie wozzop nominatur et preterea om- 
nium segetum seu fructuum plenariam decimationem. Es werde 
also census, wozzop und decimatio deutlich voneinander geschieden. 
Wenn in dieser Urkunde eine Abgabe dem Markrecht entsprochen hat, 
so kann dies nur der wozzop gewesen sein. Da dieser aber dem 
census scharf gegenübergestellt ist, so sind für eine Identität vos 
brandenburgischem Markrecht und magdeburgischem census keine An- 
haltspunkte gegeben. 

Nach dem Gesagten ist es richtiger, den frühern wozop und das 


Referate. 207 


spätere Markrecht als öffentlich-rechtliche, aus der Gerichtsgewalt des 
Königs bezw. des Markgrafen fließende Abgaben zu betrachten. 

Bei Besprechung der Bistümer Brandenburg und Havelberg in 
ihrem Verhältnis zur Mark weist der Verfasser nach, daß noch im 
12. Jahrhundert von einer völligen Exemtion der Bistümer von der 
markgräflichen Gewalt nicht gesprochen werden kann. Die Bisttimer 
blieben dem markgräflichen Gebiete einverleibt. Selbst als im Jahre 
1179 durch Privileg Markgraf Ottos I. das Brandenburger Domkapitel 
eximiert wurde, geschah diese Exemtion nur excepta communi edifi- 
catione urbis Brandenburg et justo bello pro patria (Seite 51), Auch 
die altmärkischen Güter auswärtiger Klöster und Kirchen standen unter 
dem Markgrafen. Selbst wo die Markgrafen die Vogtei nicht inne- 
hatten, waren die Hintersassen zur Landesverteidigung und zum Burg- 
bau und etwa noch zu andern Leistungen verpflichtet. Es ist voll- 
ständig richtig, wenn der Verfasser diese Tatsachen mit den eigen- 
tümlich märkischen Verhältnissen in Verbindung bringt. Sehr interessant 
ist denn auch die Beobachtung, daß die märkischen Bauern bis ins 
13., ja vielleicht bis ins 14. Jahrhundert hinein waffenfähig blieben 
(8. 62). Wenn wir bedenken, daß in manchen Gegenden des Südens 
der Bauer schon im 11. Jahrhundert als nicht mehr waffenfähig ange- 
sehen wurde (vergl. Die Entstehung der Landeshoheit im Breisgau 1904 
S. 47), so müssen wir die Ursache für die Verschiedenheit in der 
speziellen Lage der östlichen Provinzen erblicken. 

Im Kapitel Verwaltung und Gerichtswesen tritt SOMMERFELD für 
Einheitlichkeit der Mark mit Rücksicht auf die Verwaltung ein. Den- 
noch fehlte eine Einteilung der Mark nicht. Sie zerfiel in Burgwarde, 
welche nicht nur militärische, sondern auch gerichtliche Bedeutung 
hatten (S. 61. 79). 

In den Ausführungen über das Gerichtswesen geht der Verfasser 
auf die alten Streitfragen ein, warum in der Mark kein Königsbann 
herrsche und was das „Dingen bei markgräflicher Huld“ bedeute. 
Die Voraussetzung des Königsbannes ist nach SOMMERFELD das echte 
Ding, welches wiederum zusammenhängt mit dem Stande der Schöffen- 
barfreien, dem alten deutschen Stammesgebiet mit den echten Ding- 
stätten und einer nach deutschem Rechte lebenden freien Stammes- 
gemeinde. Da die Mark ein echtes Ding in diesem Sinne nicht kennt, 
fehlt in ihr der Königsbann. Ob dieses Ergebnis den neuesten For- 
schungen von HECK (Der Sachsenspiegel und die Stände der Freien, 
S. 747 ff.) standhalten kann, ist sehr zweifelhaft. Heck faßt das 
Problem tiefer und kommt daher zu einem ansprechenderen Resultate. 
Zwar hat schon SOMMERFELD die richtige Erkenntnis gehabt, daß der 
Königsbann den Charakter einer außerordentlichen, missatischen Gewalt 
gehabt habe (8.65), und daß daher seine Delegierung in die Zeit falle, 
in welcher das missatische Institut verschwand (8. 68). Ja er betont 
sogar an einer Stelle ausdrücklich, daß der Königsbann nicht in die 
verliehene allgemeine Amtsgewalt eingeschlossen sei (8. 65). 
Aber die scharfen Konsequenzen aus diesem gewiss richtigen Gruud- 
gedanken zieht er nicht. Der Ansicht von SOMMERFELD möchte ich 
noch speziell entgegenhalten, daß auch im Sachsenspiegel das Gericht 


208 Referate. 


unter Königsbann nicht immer ein echtes Ding ist. Neben dem echten 
Ding unter Königsbann, welches vom Grafen alle 18 Wochen ab 
gehalten wurde, kennt das Rechtsbuch auch gebotene Gerichte 
unter Königsbann. Diese wurden ausgelegt, wenn es die Notwendigkeit 
erforderte. So kann z. B. das in IL 3 $ 2 genannte Kampfsgericht 
ein gebotenes Gericht unter Königsbann sein. Den Beweis für diese 
Behauptungen werde ich in meiner demnächst erscheinenden Studie 
Fürst und Graf im Sachsenspiegel erbringen. 

Daß das markgräfliche Ding im Gegensatz zum Grafengericht alle 
6 Wochen stattfand, wie es Ssp. III 65 $ 1 verlangt, findet der Ver- 
fasser nicht bestätigt in den Urkunden. Er irrt wohl nicht, wenn er 
in der Bestimmung «des Rechtsbuches vornehmlich das Verbot sieht. 
daß das Gericht öfter stattfinden dürfe. Neben dem österreichischen 
Landrecht, das zur Begründung dieser Vermutung angeführt wird, 
hätte er auch die Glosse zitieren können, welche vom Grafengerieht 
sagt (zu Ssp. III 61 $ 1): do mitt will er bewaren, daz der greve 
nicht stetiglichen dinge das her die landlute nicht vorterbe do mitte 
und dor uff alezu vil gewette ginge uff das dy lantlute nicht arm 
daruon wurden (Leipziger Codex v. 1474 8. 181). Diese Stelle unter- 
stützt die vorgetragene Ansicht 

In der Untersuchung über das Dingen bei markgräflicher Hull 
wird von SOMMERFELD ausgeführt, daß Huld im Ssp. im Sinne von 
Huldigung aufzufassen sei und daß die Worte Sep. IH 65 $ 1 be 
deuten: bei der dem Markgrafen von der Gerichtsgemeinde geleisteten 
Huldigung. Da die Kontrollnachrichten aber eine derartige Eidesleistung 
als Kennzeichen der Marken nicht erwähnen, so wird schließlich nor 
das negative Ergebnis festgehalten, daß das Dingen bei markgräflicher 
Huld keine erhöhte Gerichtsgewalt oder gar eine Gerichtshoheit des 
Markgrafen bedeute. Die markgräfliche Gerichtsbarkeit hatte im 
(runde keinen andern Charakter als diejenige der andern Reichsbeamten; 
denn auch der Markgraf hielt nicht aus eigener Machtvollkommenbeit 
Gericht ab. In dieser Hinsicht stimmt HECK im oben genannten Buche 
mit SOMMERFELD vollständig überein, so daß die Idee von einer Gerichts 
barkeit des Markgrafen zu eigenem Rechte (im Gegensatz zum Lehen) 
nun endgültig beseitigt sein dürfte. Daß wir in den Worten „bei mark- 
sräflicher Huld“ einen eigenartigen Markgrafenbann zu suchen haben, 
ist durch das Hscksche Werk höchst wahrscheinlich gemacht wordes. 

Im Kapitel „Der Markgraf und das Reich“ wird die allmähliche 
Umwandlung des Amtes in ein Lehen veranschaulicht und der Auf 
fassung entgegengetreten, daß sich die Landeshoheit in den Marken 
besonders früh entwickelt habe. Das Markt-, Münz- und Zollregal 
wird, wie nachher im zweiten Buche (Kapitel 2) ausgeführt ist, wahr 
scheinlich erst unter König Konrad IIL erworben (8. 120). Noch 
später geht das Exemtionsrecht auf den Markgrafen über. 

Daß das gerichtliche Exemtionsrecht für die landesherrliche 
Stellung eines Dynasten recht eigentlich ausschlaggebend ist und daß 
sich dieses Exemtionsrecht erst 1184 in der Hand des Markgrafes 
nachweisen läßt (RIEDEL, Cod. Dipl. Brand. I 17, 1), ist vom Ver 
fasser nicht genügend hervorgehoben worden (8. 120). 


Referate. 209 


Das zweite Buch, die askanische Epoche, wird eingeleitet mit all- 
gemeinen Bemerkungen über die politischen Verhältnisse der Marken, 
wobei ein feines Verständnis für die ganze Kolonisationsbewegung zu- 
tage tritt. Die Bedeutung des ersten Kapitels („Die Erweiterung des 
Markgebietes“) beruht darin, daß scharf unterschieden wird zwischen 
jenen Gebieten, welche nach Erwerb durch den Markgrafen selbständig 
blieben, welche also als eigene Gerichtsbezirke neben der Mark weiter- 
bestanden, und jenen Gebieten, welche in den eigentlichen Markverband 
aufgenommen wurden. Wie im übrigen Deutschland, so zeigt sich auch 
hier kein gemeinsamer Rechtsgrund für die verschiedenen Erwerbungen 
(S. 115). Im 3. Kapitel wird auf die innere Entwicklung der mär- 
kischen Landesverwaltung näher eingegangen. Auch hier wird wieder 
die richtige Unterscheidung gemacht zwischen den Grafschaften der 
Markgrafen, welche auf altem Reichsboden lagen, und den altmärkischen 
Vizegrafschaften, welche eine ganz andere Öffentlich-rechtliche Bedeu- 
tung hatten. Auf diese Weise erklärt sich denn auch der scheinbare 
Widerspruch, daß in der markgräflichen Grafschaft Billingshôhe unter 
Königsbann Gericht gehalten wird, eine Tatsache, welche z. B. nach 
der Auffassung von BORNHAK (SOMMERFELD 131 A. 3) keine Erklärung 
finden konnte. Diese Vizegrafschaften sind aber Kometen am mär- 
kischen Verfassungshimmel. Sie lassen sich erst seit der zweiten 
Hälfte des 12. Jahrhunderts nachweisen und sind bis gegen die Mitte 
des 13. Jabhrhunderts sämtlich verschwunden. Ihre Beseitigung ist 
in der Hauptsache durch das markgräfliche Haus selbst veranlaßt 
worden ($. 140). 

Von den ständischen Verhältnissen werden im 4. Kapitel die 
Ministerialität und der Ritterstand besprochen. Die bertihmte Ver- 
schiebung in den Klassen der Edelfreien (SOMMERFELD klingt das Wort 
Freiedle schöner) und der Ministerialen wird nach der Zeugenmethode 
von VON ZALLINGER nachgewiesen, einer Methode, deren absolute Zuver- 
lässigkeit freilich neuestens von HECK (a. a. O. 8. 304 ff.) bezweifelt 
wird. — Im allgemeinen entspricht die märkische Entwicklung den 
ostsächsischen Verhältnissen. Eigentümlich ist die Erscheinung, daß 
gegen Ausgang der askanischen Periode die Klasse der Edelfreien 
wieder verstärkt wird durch Leute, welche bisher Ministeriale oder 
Ministerialgenossen gewesen waren (8. 153). Es wäre interessant, 
näher zu untersuchen, auf welche Ursachen die Erhöhung dieser Ge- 
schlechter zurückzuführen ist. Ebenso bedarf es noch einer eingehen- 
den Prüfung, ob das Rechtsverhältnis zwischen den Dienstmannen und 
dem Markgrafen in naclıaskanischer Periode wirklich jedes persönliche 
Band eingebüßt hatte, so daß die Dienstverpflichtungen eine rein ding- 
liche Nator annahmen und der Belehnte durch Aufgabe des Gutes sein 
Dienstverhältnis einseitig lösen konnte. 

Es ist zu wünschen, daß SOMMERFELD mit weiteren solchen Bei- 
trägen die verfassungsgeschichtliche Literatur bereichere, und wenn 
er seinen Plan durchführt, eine abgeschlossene „Verfassungs- und 
Ständegeschichte der Mark Brandenburg im Mittelalter“ (siehe Vorwort) 
zu geben, werden wir ihm sehr dankbar sein. 

Leipzig. Hans FEHR. 

Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 14 


210 Referate. 


1. B. ESCHENBURG. Das Liegenschaftswesen im lübeckischen Staats- 
gebiet. Historische und statistische Beiträge. 1904. Lübeck. Lüibeke 
u. Nöhring. 95 8. 

2. P. REHME. Die Lübecker Grundhauern. Ein Beitrag zur Rechts- 
pure von den Reallasten. 1905. Halle a. d. S. Max Niemeyer. 

8. 

3. E. F. FEHLING. Lübeckische Stadtgüter Bd. L 1904. 192 8. 

Bd. IL. 1905. 210 8. Lübeck. Lübcke u. Nöhring. 


Diese 3 Bücher mögen wegen der nahen zeitlichen Folge, in der 
sie erschienen sind, und wegen der inneren Beziehung, in der sie su- 
einander stehen, hier gleichzeitig besprochen werden, soweit sie Beitr 
zur Wirtschaftsgeschichte bieten. Man kann sagen, daß sie, jedes in 
seiner Art, eine ganz wesentliche Bereicherung unserer Kenntnis 
bringen. 

Sie behandeln das Liegenschaftawesen und damit Material für die 
Beurteilung des Bodenproblems im ltibeckischen Freistaat. Das Buch 
ESCHENBURGs8 gibt in ganz vorzüiglicher knapper Weise eine Darstellung 
derrechtlichen Bestimmungen für das Liegenschaftswesen seit dem Anfang 
des 19. Jahrhunderts; REHME behandelt ein obsolet gewordenes, aber 
dennoch praktische Bedeutung beanspruchendes Institut, eine Sonderart 
von Grundzinsen in historischer und dogmatischer Darstellung; das 
FEHLINGsche Buch beschäftigt sich in 2 Bänden mit einem besonderen 
Problem des Liegenschaftswesens, der Verwaltung des im Staatseigen- 
tum befindlichen, landwirtschaftlich genutzten Grund und Bodens, s0- 
weit er nicht in der Form der bäuerlichen Pacht benutzt worden ist 
oder heute benutzt wird, und zwar seit seiner Erwerbung durch die 
Stadt oder den Staat bis in die neueste Zeit. 

Bei ESCHENBURG tritt die formale Betrachtung der Verwaltung auf 
juristischer Grundlage, bei REHME die historische Darstellung, bei 
FEHLING die rein fiskalische, verwaltungsmäßige Anschauung der heu- 
tigen und der vergangenen Zeiten je nach der Persönlichkeit der 
Verfasser auch im einzelnen lebhaft hervor. 

Alle 3 Bücher sind aus den Akten direkt herausgearbeitet und 
bieten daher zuverlässiges Material; aber die Gesichtspunkte, aus denen 
sie entstanden sind, waren durchaus verschieden, und die Autoren haben 
ihren Schriften deutlich den Charakter der Tendenz aufgeprägt, die 
sie an die Durcharbeitung ihres Stoffes herangedrängt hat. So sind 
die Bücher ESCHENBURGS und FEHLINGs nicht im eigentlichen Sinne 
wirtschafts-historische Darstellungen geworden; ESCHENBURG hat das 
auch wohl nur in sehr beschränktem Maß gewollt, FEHLING macht in- 
dessen diesen Anspruch. 

ESCHENBURG hat in seinem Liegenschaftswesen die Resultate dar- 
stellen wollen, die ihm bei der Bearbeitung der 1900 in Ltibeck ein- 
gerichteten Grundakten publizistischer Darstellung würdig erschienen 
sind. Lübeck besaß, wie ja durch PAULIS und REHMES Untersuchungen 
bekannt ist, ein ausgebildetes, von den Zuständen im tübrigen Deutsch- 
land abweichendes Grundbuchwesen, das in einzelnen seiner Formen, 
in seinen Grundlazen zu nicht unwesentlichen Teilen auf das Recht 
des 13. Jahrhunderts zurückging, wenn auch natürlich im Lauf der 


Referate. 211 


Jahrhunderte große Umbildungen stattgefunden haben. Dieser ganze 
Bau mußte mit der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches und 
der damit verbundenen Übertragung der Grundbuchführung von der 
bisher funktionierenden Verwaltungsbehörde, dem Hypothekenamt, auf 
eine Abteilung des Amtsgerichtes im großen und ganzen verschwinden, 
völlig sogar, was die Form angeht; Reste des alten Grundbuchrechtes 
sind dagegen partikularrechtlich erhalten geblieben. So war denn 
jetzt die Zeit für einen Rückblick gekommen. ESCHENBURG geht nun 
in seinen selbständigen historischen Darlegungen mit Rücksicht auf 
die vorhandene Darstellung REHMEs nicht bis in die ältere Zeit zurück. 
Er führt nach kurzer zustimmender Rekapitulation der Ergebnisse 
REHMES den bisher nie dargestellten Zustand unter dem kurzen fran- 
zösischen Regime in Lübeck (August 1811 bis Februar 1814) vor. 
Die damals sofort eingeführte französische Verwaltungspraxis ist hier 
im Gegensatz zu Elsaß-Lothringen, wo sie ja in der eingreifendsten 
Weise, nicht weniger als in Frankreich selbst zur Geltung gelangt 
ist, in Lübeck mit der französischen Herrschaft absolut, ohne eine 
Spur zu hinterlassen, verschwunden. Eine rechtshistorische Bedeutung 
für die Entwicklung des ganz eigenartigen Lübeker Grundbuchwesens 
und damit für die deutsche Rechtsgeschichte hat diese Episode nicht 
gehabt, da jedesmal nach der im März 1814 und Juni 1814 erfolgten 
Abwerfung des französischen Joches der Senat die Geltung der alten 
Grundbiicher, der Ober- und Niederstadtbücher, samt den Nebenbüchern, 
sofort wieder hergestellt hat. Es ist bedauerlich, daß ESCHENBURG 
es versäumt hat, an dieser Stelle auf die sohweren Bedenken einzu- 
gehen, die dieses Vorgehen des Senats für die Praxis der späteren 
Zeit hervorgerufen hat. Denn es steht fest, daß eine Reihe von Ein- 
tragungen, die während der französischen Zeit erfolgt sind, erst nach 
Jahrzehnten zu weiterer Verhandlung Anlaß gegeben haben, wo sie 
dann verschiedenen Mißverständnissen preisgegeben waren. 
ESCHENBURG hebt für diese kurze französische Periode mit Recht 
hervor, daß offenbar die Rücksicht auf die finanziellen Ergebnisse des 
französischen Enregistrementsytems, dessen Einführung objektiv einen 
Bückschritt gegen das vorhandene Lübecker Verfahren bedeutet hat, 
aeben der Idee der französischen Rechtsgleichheit aller Landesteile, 
auch der neuerworbenen, Napoleon veraulaßt habe, das vorhandene 
bessere System zu beseitigen. — Sodann wird die Neueinrichtung des 
Grundbuches durch die neue Stadtbuchordnung vom 6. Juni 1818 be- 
handelt. Durch sie ist die Einrichtung der Realfolien erfolgt, während 
die bereits ausgebildeten Grundsätze des Liegenschaftsrechts der 
früheren Periode tibernommen sind. Insofern geht die Entwicklung 
des Lübecker Grundbuchwesens lückenlos bis zum Jahre 1900, wenn 
auch eine Reihe von Anordnungen in der Zwischenzeit (1863, 1868, 
1872, 1877, 1880, 1889) ergangen sind. Da die „Stadtbuchsordnung* 
von 1818 nur für die im sog. Ober- und Niederstadtbuch eingetragenen 


Grundstücke — ESCHENBURG spricht bedauerlicherweise an dieser 
Stelle nicht von der Einordnung der in die Landwehr-Rente- und 
Gartenbücher eingetragenen Grundstücke — galt, wurde schon am 


22. März 1820 eine „Hypothekenordnung für das Stadtgebiet“ 


212 Referate. 


(— Staatsgebiet) erlassen. Leider ist die durch diese Verordnung 
begründete Reform nicht in einem Zuge durchgeführt, sondern die 
Anlegung der Realfolien aus den alten Oberstadtbtichern, die nicht 
sofort geschlossen sind, hat bis in die 60er Jahre des 19. Jahr- 
hunderts gedauert. | 

Gerade dadurch sind aber um die Wende des 19. und 20. Jahr- 
hunderts eine Reihe von Streitigkeiten hervorgerufen, Denn auch für 
das 19. Jahrhundert gilt die von REHME bereits für das Mittelalter 
festgestellte Beobachtung, daß durch die individuelle Auffassung und 
Protokollierung der buchführenden Beamten im wesentlichen Fortbil- 
dungen des geltenden Rechtes herbeigeführt worden sind, unabhängig 
von den vorhandenen Anordnungen. Nun lagen den Verwaltungsjuristen 
besonders der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Durchschnitt jeden- 
falls die Probleme des älteren deutschen Rechtes recht fern — die 
Wissenschaft der deutschen Rechtsgeschichte befand sich doch noch 
in ihren ersten Anfängen —, und so haben sie häufig durch Mißver- 
ständnis ihnen obsolet erscheinender Rechtsinstitute, wie z. B. des Ober- 
eigentums, schwere Eintragungsfehler Legangen. Die Darstellung 
ESCHENBURGs übergeht das. Verschlimmert ist der damalige Zustand, 
und damit die Sachlage für die heutige Praxis, was ESCHENBURG 
ebenfalls nicht hervorhebt, dadurch, daß Lübeck weder die große 
Reformzeit des beginnenden 19. Jahrhunderts noch die neue Gelegen- 
heit von 1900 dazu benutzt hat, eine Ablösungsgesetzgebung für die 
Reallasten zu schaffen. So haben sich in Lübeck mittelalterliche Ver- 
hältuisse auf dem Gebiet der Reallasten bis heute erhalten. 

Auf die juristischen Einzelheiten der vortrefilichen Darstellung 
ESCHENBURGS kann hier nicht eingegangen werden. ESCHENBURG be 
handelt in $ 2 die rechtliche Qualität der neuen Oberstadtbticher, in 
3 3 die der neuen, 1900 angelegten Grundbticher. Ftir Ltibeck sind 
durch die Reform von 1900 den alten, für die Wirtschaftsgeschichte 
hervorragend wichtigen 74 Bänden der alten Oberstadtbticher, den 
29 Bänden der französischen Zeit und den 47 Bänden neuer Stadt- 
bticher 11787 neue Grundbuchbände hinzugefügt. In einem statistisch- 
dogmatischen Teil gibt ESCHENBURG dann die Resultate seiner Unter- 
suchung dieser neuen Bände, indem er die Zahl und die Arten der 
Grundstücke, ihre Größenverhältnisse, die Zahl der zwischen 1900 
und dem 1. April 1904 erfolgten Eigentumsveränderungen, die Noten 
und Eigentumsbeschränkungen, Altenteile, Erbbaurecht und Vorkaufs- 
recht, Kanon und Renten, Pfandposten, Hypotheken und Grundschuld 
behandelt. Leider hat ESCHENBURG es, wie er im Vorwort sagt, ab- 
sichtlich, versäumt, seinen Standpunkt gegentiber den drängenden Auf- 
gaben des lübeckischen Staats im Liegenschaftswesen zum Ausdruck 
zu bringen. Das Buch hätte durch Ausführungen über die noch vor- 
handenen Wirkungen des Obereigentums, über Grundhauern, Renten, 
Wortzinsen und die Ablösungsfrage bei Reallasten sowohl an histori- 
schem Wert wie als Baustein für die praktische Bodenpolitik Lübecks 
sehr gewonnen. Ich möchte die Hoffnung aussprechen, daß der Ver- 
fasser in einer weiteren Auflage, die dem Buch mit seinem vortrefflich 
bearbeiteten statistischen Material zu wünschen wäre, auch auf diese 


Referate. 213 


Seiten des Lübeckischen Liegenschaftsrechtes eingeht. Da es leider 
keinem Zweifel melir unterliegen kann, daß durch das Fehlen einer 
modernen Ablösungsgesetzgebung, in der alle jene Institute und Pro- 
bleme zur Klarstellung und Entscheidung zu gelangen hätten, die 
Bodenfrage und die Besiedlung im Lübecker Freistaat nicht allein 
höchst unklar, sondern sogar volkswirtschaftlich höchst bedenklich 
gestaltet worden sind, ist es notwendig, in wissenschaftlich einwand- 
freier Begründung den unbedingt nötigen Übergang von den veralteten 
Zuständen zu neuem Leben vorzubereiten). 

1) Ein praktisches Beispiel aus den Akten möge die Richtigkeit dieser 
Ansicht illustrieren. Das Protokoll des Bürgerausschusses vom 17. Januar 1906 
lautet wie folgt: 

14. 

„Senatsdekret vom 6. Januar d. Js., lautend wie folgt: 

Der Dampfbäckereibesitzer . . . ist grundbuchmäßiger Eigentümer der 
... Grundstücke Nr. 59 und, 59a und hat durch Kaufvertrag die Nachbar- 
grundstücke Artikel 1212 und ... Nr. 57 von dem grundbuchmäßigen 
Eigentümer ... erworben. Auf den drei erstgenannten (Grundstücken ruht 
zugunsten des Staates eine Grundhauer von Mk. 0,60 bezw. 0,75 bezw. 0,90. 
Der Eigentümer... hat beim Finanzdeparteinent beantragt, in die Ablösung 
dieser Grundhauer gegen Zahlung einer Ablösungssumme von Mk. 1500 zu 
willigen. Das Finanzdepartement hat seinem Antrage zugestimmt unter der 
Bedingung, daß er die ... etwa 50 bezw. 55 bezw. 95 qm großen Flächen 
an den lübeckischen Staat abtritt. Dabei hat das Finanzdepartement an- 
genommen, daß diese Flächen später zur Verbreiterung der ... Allee er- 
forderlich würden. ... hat sich zu dieser Abtretung bereit erklärt und will 
auch die durch die Umschrift entstehenden Kosten tragen. 

Das Finanzdepartement hat beantragt, daß die Baudeputation ermächtigt 
werde, diesen Grundstücksstreifen für den Staat zu erwerben. 

Die Baudeputation, vom Senat hierüber gehört, hat ... dargelegt, daß 
der jetzt geltende Bebauungsplan vom 22. Juni 1903, abweichend von dem 
vom 16. Juli 1894, eine Verbreiterung der ... Allee an der Ostseite auf 
dieser Strecke zwar nicht vorsehe, daß aber nichtsdestoweniger der gestellte 
Antrag befürwortet werden müsse, da erhebliche Gründe dafür sprechen, 
an dieser Stelle den früheren Bebauungsplan wieder herzustellen. Es kommt 
insbesondere in Betracht, daß an beiden Seiten der Straße schon eine größere 
Anzahl von Häusern in die nach dem Bebauungsplan von 1894 maßgebende 
Baufluchtlinie eingerückt ist und daß von den Grundstücken an der 
Ostseite mit Ausnahme eines einzigen, auf dem eine Grund- 
hauer zugunsten des Staates nicht lastet, das für die 
Straßenverbreiterung erforderliche Gelände kostenlos dem 
Staate zufallen wird. 

Der Senat hat diese Darlegungen als zutreffend anerkannt. 

Der Bürgerausschuß erteilte die beantragte Mitgenehmigung“ (zum Erwerb). 

Die Höhe der von dem Eigentümer angebotenen Ablösungssumme ent- 
spricht einer Kapitalisierung mit ca. 670 °. 

Man wird wohl sagen dürfen, daß ein derartiger Ablösungssatz bei 
Vorhandensein einer gesetzlichen Regelung der Ablösung von Reallasten 
undenkbar wäre. Hier wird eine derartige Kapitalzahlung einfach durch die 
Notlage des Eigentümers erzwungen, weil ohne Ablösung der Staat die freie 
Verfügung des Eigentümers über sein Grundstück verweigert. | 
| In einem zweiten Fall, der im Herbst 1906 sich ereignet hat, betrug die 
Kapitalisierung eines Zehnten von 10,60 Mk. sogar 20000 Mk. also ca. 2000 °/, 


216 Referate. 


Wenn wir diese Resultate REHMES nach ihrer praktischen Beden- 
tung zusammenfassen, so läßt sich kurz sagen, daß REHME festgestellt 
hat, daß weitaus die meisten Grundhauern Wortzinse und als solche 
ablösbar sind, abgesehen von 3 ihm bekannt gewordenen andere 
Grundhauern, so daß also die Wahrscheinlichkeit besteht, daß jede 
Grundhauer alter Wortzins ist. Da es aber keine positive Vorschrift 
gibt, nach der eine Grundhauer als Wortzins zu behandeln wäre, so 
kann diese Wahrscheinlichkeit nicht die Kraft einer Vermutung im 
Rechtssinn gewinnen. Falls aber eine solche Vermutnng zu erweisen 
wäre, würde die grundsätzliche Ablösbarkeit aller Grundhauern zu 
behaupten sein. Nach REHME bleibt also dem Grundhauerpflichtigen 
die Last des Beweises über die Qualität der Reallast. Falls er den 
Beweis, daß die Grundhauer alter Wortzins sei, nicht führen kann, ist 
der Grundhauerberechtigte in der Lage, die Ablösung zu verweigern. 

Die unter A 1, 2 und 4 angeführten Darlegungen REHMES halte ich 
für völlig erwiesen. Anders die Behauptung REHMEs A3, daß keine 
weiteren Ablösungsgesetze gegeben sind (REHME p. 67), sowie B 1 (p. 44), 
B2 und B 3. 

In Lübeck hat eine Gesetzgebung über die Ablösung der Real- 
lasten stattgefunden. Das hat REHME übersehen. Ich habe bereits 
1903 (in den Lübeckischen Blättern vom 7. Juni Nr. 23 p. 289 —294 
in einem kurzen Aufsatz über Obereigentun und Grundhauer darauf 
hingewiesen, daß im sog. Kevid. Statut von 1584 Lib. UL Tit. VID 
Art. 12 die Bestimmungen des von REHME verwandten Cod. II vor 
1294 über die Ablüsbarkeit der Grundzinsen zusammengefaßt sind. 
Es heißt dort ganz allgemein: Wil Jemandt die Rente aus seinem 
Hause oder andern stehenden Erben auslösen ete. — — 

Das rev. Statnt hat nun ohne jeden Zweifel den gesamten 1584 
vorhandenen Rechtsstoff kodifiziert. Man kann also gegen REHNE 
ohne weiteres feststellen, daß die letzte, partikularrechtlich noch nieht 
beseitigte Kodifikation des Lübecker Stadtrechts die Ablösbarkeit der 
Grundhauern, die unter den allgemeinen Begriff Renten fallen, erhärtet 
(vgl. REHME p. 42 über das bei l’AULI Wieboldsrenten p. 114 zitierte 
Gutachten des Lübecker Syr.dikus BENEDIKT WINKLER von 1635). 

Aber nicht allein das rev. Statut beweist die grundsätzliche Ablös- 
barkeit der Grundhauern, sondern das Gewohnheitsrecht zeigt dasselbe. 
In der bei REHME p. 36 zitierten Stelle (Nr. 28 1659) sagt der Buch- 
führer selbst klar und deutlich: „grundhuer oft worzinse“. Er stellt 
also ohne jeden Vorbehalt beide Institute einander gleich. Gewohs- 
heitsrechtlich steht eben die Identität von Grundhauer und Wortzins, 
und wit der Ablösbarkeit der letzteren auch die der ersteren durch- 
aus fest. 

Was dann die Behauptung REHMEs (p. 67, 68) angeht, daß der 
Lübecker Staat sowohl in der ersten wie in der zweiten Hälfte des 
19. Jahrhunderts nicht der Ansicht gewesen sei, daß die Grundhauern 
grundsätzlich ablösbar seien, so dürften die angeführten beideu Beispiele 
nicht das beweisen, was REHME in ihnen sieht. Der Grund daftr, 
daß das Finanzdepartement an den Senat und dieser in einem Fall 
sogar an die Bürgerschaft heraugetreten ist, um Beschlüsse über eine 


Referate. 217 


in Frage stehende Ablösung zu fassen, hat nicht darin gelegen, daß 
man die grundsätzliche Ablösungsberechtigung des Grundhauerpflich- 
tigen in Zweifel zog, sondern in der Sicherung der Behörden gegen 
Angriffe wegen etwaiger zu niedriger Festsetzung der Ablösungsquote. 
REHME geht mit seiner Interpretation zu weit. Auch darin scheint 
mir REHME schon tiber das Ziel hinauszuschießen, wenn er aus der 
Tatsache, daß er 3 Grundhauern gefunden hat, deren Entstehungs- 
grund nicht die Vorbehaltung einer Grundabgabe bei Liegenschafts- 
veräußerung gewesen ist, gegenüber den Tausenden anderer Grund- 
hauern, deren Entstehungsgrund regelmäßig der Vorbehalt eines Wort- 
zinses gewesen ist, ohne weiteres auf die Existenz einer 2. Gruppe 
von Grundhauern schließt, deren rechtliche Qualität nun gerade in der 
Ablösungsfrage grundsätzlich von der der sonst bekannten Grund- 
hauern abweicht, ja allein darin sich unterscheidet. Weit näher dürfte 
es doch liegen, für diese ganz seltenen Ausnahmen — es handelt sich 
um Bestellung von Servituten — anzunehmen, daß es sich um die an sich 
unberechtigte Übertragung des Namens Grundhauer auf ein rechtlich 
an sich ganz anderes Vertragsverhältnis handelt!). Ich bin daher der 
Meinung, daß REHME irrt, wenn er zwei verschiedene Arten von Grund- 
hauern annimmt, von denen die eine ohne weiteres ablösbar, die andere, 
für die er nur 3 Beispiele anführen kann, nicht ablösbar sei. Aus 
den von REHME für die Ablösbarkeit der als Wortzinsen nachweisbaren 
Grundhauern entwickelten Gründen in Verbindung mit der Vorschrift 
des Revidierten Statuts glaube ich also die grundsätzliche Ablösbarkeit 
aller Grundhauern annehmen zu müssen. Wenn auch die Frage nach 
der Ablösbarkeit der Grundhauern der äußere Anlaß zu REHMES Schrift 
gewesen ist und eine Hauptrolle spielt, finden sich in den systemati- 
schen Darlegungen, die er in 3 Teile (1. Sprache, Gesetzgebung, Lite- 
ratur, 2. Grundstückseintragungen, 3. Grund der Konstituierung der 
einzelnen Grundhauern) zerlegt hat, eine Fülle wichtiger Beobachtungen 
über das Lübecker Grundbuchwesen, für die wir dem Autor zu danken 
allen Anlaß haben. Höchst interessant sind seine Ausführungen über 
eine gänzlich isoliert stehende Grundhauereintragung, die in einem 
Prozeß des kigentümers des Gutes Brandenbaum gegen den Lübecker 
Staat umstritten gewesen ist. 

Der Prozeß ist auf Grund der Feststellung REHMES, daß die Kon- 
stituierung der Grundhauer als alter Wortzins nicht zu erweisen sei, 
zugunsten des Lübecker Staats vom Hamburger Oberlandesgericht 


1) Nebenbei sei hier darauf hingewiesen, daß sich in Lübcck eine etwas 
abweichende Behandlung des Laudemiums entwickelt hat. Es ist nicht, wie 
REHME S. 3 annimmt, identisch mit der „vorhure*. Diese ist allerdings, wie 
REHME ganz richtig sagt, eine Abgabe, die der Erwerber eines Gutes an den 
Gutsherrn zu zahlen hatte, das Laudemium dagegen ist eine Rekognitions- 
gebühr des ein Gut Veräußernden an den Obereigentümer (s. auch FEILING, 

tadtgüter, II p. 166). Sie wird noch heute teils in Verbindung mit Vor- 
kaufsrecht des Obereigentümers, teils ohne solches verlangt und gezahlt. 
Besonders häufig ist sie noch bei Ländereien, die sich im Besitz des Staates, 
der Stiftungen und der Kaufmannschaft als Nachfolrerin der alten kormmer- 
zierenden Kollegien befinden, vorhanden. ct: 


218 Referate. 


entschieden worden, eine höchst bemerkenswerte Illustration für die 
große Bedeutung rechtshistorischer Untersuchungen und F'eststellungen 
auch noch für die heutige Praxis. 

Das dritte Buch über Liegenschaftsverhältnisse der freien und Hanse 
stadt Lübeck weist einen grundlegenden Unterschied gegen die soeben 
besprochenen Bücher auf. 

FEHLING hat kein systematisches Buch schreiben wollen; er hat 
nicht etwa eine Agrarpolitik Lübecks, soweit sie in der Verwaltung 
seiner Stadtgüter zum Ausdruck gelangt ist, schreiben wollen, sondern 
er behandelt isoliert voneinander die einzelnen Stadtgtiter, die sich 
heute noch im Besitz der Stadt befinden, ohne ein Gesamtresultat seiner 
Beobachtungen zu geben. Es wäre eine dankbare Aufgabe, das höchst 
interessante Material, das FEHLING aus den Akten des Staatsarchivs, 
besonders aber des Finanzdepartements, exzerpiert hat, nach großen 
Gesichtspunkten zu sammeln und zu einer Darstellung und Kritik der 
Lübecker Agrarpolitik zn verarbeiten. Denn bei dem großen Umfang, 
den der Domanialbesitz dieser Hansestadt seit Jahrhunderten 
hat, kann man sehr wohl Tendenzen der Verwaltung durch die Zeiten 
hindurch verfolgen. 

Neben dem großen wirtschaftshistorischen Wert, den das Buch 
FEuLINnGs durch Erschließung neuen und bisher so gut wie unsugäng- 
lichen Materials hat, liegt sein Hauptwert in der für die Bedürfnisse 
der heutigen Verwaltung praktischen übersichtlichen Zusammenstellung 
des jetzigen Zustandes. 

FEHLING hat nicht alle Güter behandelt, die sieh im Besitz der 
Stadt je befunden haben, sondern nur diejenigen, die sich noch heste 
in ihrer Verwaltung befinden. Sein Zweck ist eben in erster Linie ein 
praktischer. Man wird vielleicht zweifeln können, ob der Verfasser 
nicht zu weit geht, wenn er sein Buch „die aus den Akten geschöpfie 
Darstellung einer Wirtschaftsgeschichte der Lübecker Stadtgüiter“ nennt. 
Aber in dem Sinn, daß uns mit diesen 2 Bänden eine Darstellung 
der technischen Bewirtschaftung der jetzt noch im Besitz Liübecks 
stehenden Landgüter gegeben sei, wird man sich dem Verfasser zu 
großem Dank verpflichtet fühlen. 

Infolge der Beschränkung, die sich FEHLING auferlegt hat, fehlen 
die von WEHRMANN in der Zeitschrift des Vereins für Etibecker Ge- 
sehichte und Altertumskunde VII p. 151 ff. gegebenen Berichte über 
Stockelsdorf und Mori, Groß-Steinade, Eckhorst, Schönböcken, Krempels- 
dorf, Niendorf, Reecke, Kastorf, Schrestaken und Bliestorf. FEHLINGs 
Darstellung ist auf der andern Seite eine höchst erfreuliche Bereiche- 
rung unseres Wissens über die auch von WEHRMANN behandelten Güter 
Crumesse, Niemark, Cronsforde, Moisling, Roggenhorst und 8 
da er die Darstellung bis in die neueste Zeit führt; sum 
behandelt sind von FEHLING Ritzerau, Behlendorf, Albsfelde und 
Karlshof. Die drei ersten sind schon seit tiber 300 Jahren im Besitz 
Lübecks, Karlshof ist erst 1898 angekauft worden und steht somit, 
da der gesamte sonstige Besitz Ltibecks an Stadtgtitern weit älter ist, 
ganz für sich da. Der Grund für seinen Ankauf war auch ein gass 
anderer als die Motive, die in früheren Zeiten zur Erwerbung von 


Referate. 219 


Landbesitz geführt haben. Die notwendige Anlage eines Fabrikviertels 
in Verbindung mit dem Traveufer und die Tatsache, daß Grundstücks- 
spekulanten das Gut anzukaufen beabsichtigten, war der Grund für 
den 1898 erfolgten Ankauf; allerdings sind bisher keine öffentlich. 
bekannt gewordenen Schritte getan, um dies Projekt zu realisieren, 
und so ist Karlshof, trotz seiner ursprünglich anderen Zweckbestim- 
mung, heute noch landwirtschaftlich genutzter Boden in der Verwal- 
tung der Stadt. 

Es kann natürlich nicht der Zweck dieser Anzeige sein, FEHLINGS 
Darstellung der einzelnen Stadtgtiter zu analysieren. Es sollen nur 
einige Beobachtungen hervorgehoben werden, die sich bei der Lekttire 
des tiberaus fesselnd und anregend geschriebenen Buches aufdrängen. 
FEHLING hat seinen Darstellungen dadurch ein ganz besonderes Interesse 
verliehen, daß er die Erzählung der Schicksale der einzelnen Güter 
bis auf das Jahr 1904 durchgeführt hat. Da mit großer, wirklich 
bemerkenswerter Offenheit vom Standpunkt des heutigen Verwaltungs- 
beamten sowohl an der Tätigkeit der Gutspächter wie an dem Ge- 
baren der Herrschaft, hier der im Lauf der Jahrhunderte wechselnden 
Behörden in Ltibeck, Kritik geübt ist, da ferner in vielleicht nicht ganz 
einwandfreier Weise die Namen der Beteiligten bis in die neueste Zeit 
genannt sind, auch wo kein historisches Interesse vorliegt, entbehrt 
das Buch nicht eines gewissen pikanten Reizes. Es ist immer inter- 
essant, ein Mitglied einer Behörde über die Tätigkeit seiner Vormänner 
im Tone des Historikers berichten zu hören. Ob allerdings der alte 
historische und in Lübeck als Inschrift der Eingangsthür zum jetzigen 
Sitzungssaal des Senates tberlieferte Grundsatz, daß man vor der 
Fällung einer Entscheidung immer beide Teile hören solle, in allen 
Fällen bei der vorliegenden Erzählung zu vollem Recht gelangt sei, 
möchte ich dahingestellt sein lassen. Jedenfalls berührt es höchst 
auffallend, daß sich durch die ganze Darstellung FEHLINGs die Tat- 
sache dem Leser immer wieder aufdrängt, daß die verpachtende Be- 
hörde mit keinem Pächter zufrieden gewesen ist, der sich gegen ihre 
Anordnungen nicht vollster Devotion befleißigt hat. Man muß nach 
FEHLInGs Darstellung sagen: die Stadt Lübeck hat fast nur un- 
brauchbare Pächter gehabt, denn die Stadt hat sich ewig fast mit 
allen wegen ihrer ungerechtfertigten Ansprtiche und ihrer Unfähigkeit 
herumschlagen müssen. Immer hat der Pächter schuld. Es gibt nur 
wenig Ausuahmen, und für diese hebt der Verfasser regelmäßig her- 
vor, daß sie verständnisvoll der höheren Einsicht der verpachtenden 
Behörde gefolgt seien. Ich will nur beispielsweise, um den harten 
Vorwurf zu belegen, für die 1. Klasse auf I p. 43, 44, 71, 73, 74, 
95, 115, 117, 119, 128, II 21, 22, 23, 27, 28, 40, 80, für die 2. auf 
I. p. 46, 83, 128, 130, II 10, 13, 32, 52, 53, 80 verweisen. 

Viel Seide habeu die Pächter der Lübecker Stadtgüter offenbar 
nicht gesponnen (vgl. I p. 34, 49, 50, 66, 121). 

Sehr interessant ist das Buch für die Auffassung von ihrer herr- 
schaftlichen Stellung, die die Stadt den Pächtern und den Untertanen 
gegenüber geltend machte (s. L 37, 39). 

Mit großem Bedauern ist zu bemerken, daß der Verfasser zu wenig 


220 Referate. 


auf die rechtliche Konstruktion der seitens der Stadt vorhandenen 
Grundherrschaft, ihre Entwicklung und ihre Folgen eingegangen ist. 
Die wenigen Notizen über Erbpachtverhältnisse, über die Frage, die 
mehrfach aufgetaucht ist, ob die vorhandenen Erbpachten in Zeit- 
pachten umzuwandeln seien, u.8. w. können nicht gentigen. 

Von sehr großem Interesse ist schließlich das Studium des im 
Anhang zu Bd. I mitgeteilten Pachtkontraktes, der heute noch regel- 
mäßig von der Stadt Lübeck ihren Verpachtungen zugrunde gelegt 
wird. Man staunt, wie sich hier in modernem Gewand aus ganz 
mittelalterlichen, feudalen Gedankengängen heraus Reste überwundener 
Zeiten konserviert haben. $ 8 lautet: „Ein Nachlaß am Pachtgelde 
findet überall nicht, auch nicht bei denjenigen Unglücksfällen statt, 
welche gesetzlich einen Anspruch auf Pachtnachlaß begrtinden“. Ich 
will die Rechtsgültigkeit dieser Vereinbarung im Pachtvertrag nicht 
direkt bestreiten, man wird sie aber wohl allgemein höchst bemerkens- 
wert finden. $ 22 Abs. 1 lautet ferner: „Pächter hat die Gebäude 
nebst Zubehör in demjenigen Stande ohne Erinnerung entgegen- 
zunehmen, in welchem sie bei der Übergabe sich befinden“. Dieser 
Ausschluß sonst allgemein anerkannten Rechtes, wie er sich auch 
noch im $ 30 zeigt, dürfte in modernen Pachtkontrakten sonst kaum 
vorkommen. 

Diese Beispiele habeu ein bedeutendes Interesse daher, weil sie 
als Symptome zeigen, wie sich gerade in neuester Zeit die Versuche 
der Verwaltung mehren, den Charakter der Herrschaft über die Pacht- 
güter stärker hervorzukehren. Es ist lehrreich, an der Hand der 
FexziGschen Darstellung sich klar zu machen, wie auf eine Zeit 
schärfster Geltendmachung der Herrschaftsrechte im 16. bis zum Ende 
des 18. Jahrhunderts mit der Zeit der französischen Revolution die 
mehr oder minder vollständige Aufhebung der persönlichen Dienste 
der landwirtschafttreibenden Bevölkerung auch in Lübeck eine gewisse 
Hebung bringt, und wie dann jetzt, unterstützt auch durch den Mangel 
einer Ablösungsgesetzgebung, sich eine schärfere Auffassung der Be- 
deutung der Gutsherrschaft der Stadt geltend macht. 

Wenn das Material auch etwas einseitig bearbeitet ist, wird man 
dem Verfasser für seine Veröffentlichung doch Dank wissen. 


Tübingen. CARL MOLLWO. 


Theodor Ludwig. 
(Geb. 5. Mai 1868 zu Emmendingen, gest. 16. Oktober 1905 zu Straßburg.) 
Von | 
H. Bresslau. 


Ein ungewöhnlich tragisches Geschick ist es gewesen, das im 
Herbste des letzten Jahres einen der begabtesten und meist versprechen- 
den unserer jüngeren Fachgenossen aus unserer Mitte abberufen hat. 
In den Sommerferien hatte THEODOR LUDWIG Beinen Vater, der in 
Baden von einem leichten Typhusanfall heimgesucht war, mit lieben- 
der Sorge gepflegt und war nach dessen voller Genesung noch einige 
Wochen um seiner eigenen Erholung willen in dem lieblichen Oos- 
städtchen geblieben. Kurz vor dem Beginne des Semesters kehrte er 
nach Straßburg zurück, anscheinend in gekräftigter Gesundheit und 
froher Gedanken volle Er wußte, daß man an zwei süddeutschen 
Universitäten ernstlich damit umging, ihn für eine ordentliche Pro- 
fessur vorzuschlagen und ihm so eine reichere und selbständigere 
Wirksamkeit als Lehrer zu eröffnen. In unserer letzten Unterredung 
überlegte er noch mit der ihm eigenen Gewissenhaftigkeit, wie er die 
Übungen des Proseminars im nächsten Winter einrichten wollte; aber 
schon trug er den Keim derselben tückischen Krankheit in sich, von 
der sein Vater genesen war: wenige Tage danach erlag er ihr. Wir 
Straßburger hatten uns darauf gefaßt gemacht, daß er aus unserer 
Mitte scheiden würde, aber niemand hatte daran gedacht, daß wir ihn 
so verlieren könnten. 

In glücklicher äußerer Lage, der einzige Sohn begüterter Eltern, 
deren zärtliche Liebe er in kindlicher Dankbarkeit vergalt, hatte 
LUDWIG seinen Studiengang ganz nach eigenem Ermessen und ohne 
jede Rücksicht auf einen künftigen Erwerb gestalten können. Nach 
zwei Freiburger Semestern kam er im Winter 1887 nach Berlin, wo 
er ein und ein halbes Jahr blieb. Dann nötigte ihn ein schweres 
Nervenleiden, seine Studien zu unterbrechen, die er erst im Winter 
1889, noch nicht völlig hergestellt, in Freiburg wieder aufnahm, um 
sie schließlich in vier Straßburger Semestern (Winter 1892 bis Sommer 
1894) zu beenden. Er hat sich während dieser verhältnismäßig langen 
Studienzeit in bemerkenswerter Weise zu konzentrieren gewußt. Philo- 
sophische und philologische Kollegien haben ihn weniger zu interessieren 
vermocht; aber fast in gleichem Maße, wie an den eigentlich historischen, 
hat er an allen drei Universitäten, die er besuchte, an juristischen und. 


222 H. BreBlau 


staatswissenschaftlichen Vorlesungen teilgenommen. So hat er siel- 
bewußt schon als Student die Doppelrichtung eingeschlagen, in der seine 
literarische Tätigkeit sich bewegen sollte. Nach dem Abschluß seiner 
Studien blieb Lupwıc unserem Straßburg getreu; hier hat er am 
24. Juli 1894 promoviert, hier ist er im Juni 1897 Privatdozent und 
im Juni 1902 auBerordentlicher Professor geworden. 

Die Eigenart seiner Begabung tritt gleich in Lupwıgs Erstlings- 


- a nF 


arbeit, der zu einem stattlichen Bande angewachsenen Promotionsschrift : 


„Die Konstanzer Geschichtschreibung bis zum 18. Jahrhundert‘ 
(Straßburg 1894) !) deutlich hervor. Den Ausgangspunkt seiner Unter- 
suchung bildete eine Bemerkung W. ARNDTS aus dem Jahre 1879. 


ARNDT hatte beobachtet, daß ein von ihm aufgefundener Brief . 


Innocenz’ Il. in auffallender Weise gewisse Mitteilungen späterer Kon- 
stanzer Geschichtschreiber bestätigte, die in gleichzeitigen Chroniken 
nicht nachweisbar waren; er hatte daran die Frage geknüpft, ob 
aicht in den jüngeren Konstanzer Bistumschroniken Spuren eines ver- 
lorenen Geschichtswerkes des 11. und 12. Jahrhunderts auffindbar 
seien. Auf diese Fragestellung hatte ich LUDWIG aufmerksam ge 
macht; und wenn er sich darauf beschränkt hätte, lediglich dieser An- 
regung nachzugehen, so würde er uns eine jener fleißigen und nicht 
annützlichen quellenkritischen Dissertationen geliefert haben, von denen 
zwölf auf ein Dutzend gehen. Dies aber war nicht Lupwics Art. 
Ganz selbständig verallgemeinert er das Thema, und statt einer Unter- 
suchung über eine einzelne Frage der Quellenkritik wagt er sich an 
eine Gesamtgeschichte der Konstanzer Historiographie durch acht Jahr- 
hunderte. Darin verbindet er mit exakter Handschriftenforschung und 
scharfsinniger Kritik, die in verlorenen, aber rekonstruierbaren Quellen 
Spuren anderer verlorener Werke aufdeckt und uns so aus dem 16. 
bis 18. über das 14. in das 12. Jahrhundert zurückführt, feinsinnige 
literarhistorische Ausftihrungen über die einzelnen Schriftsteller, in 
denen das Persönliche und Individuelle ebenso zu seinem Rechte kommt, 
wie der Zusammenhang, in dem das Leben des einzelnen mit der all- 
gemeinen geschichtlichen Bewegung seiner Zeit steht. Und indem 
nun dies alles in klarer und geschmackvoller, die Schwierigkeiten des 
spröden Stoffes spielend überwindender Darstellung vorgetragen wird, 
so ist daraus ein Buch entstandeu, das kaum noch irgendwo den An- 
fänger verrät, und das nach Inhalt und Form ebensogut eine Habili- 
tationsschrift wie eine Promotionsarbeit hätte darstellen können. 
Nach nur zwei Jahren folgte auf diese quellenkritische und literar- 
historische Arbeit das schöne Buch „Der badische Bauer im 18. Jahr- 
hundert“ (Straßburg 1896), das Lupwıc mit einem Schlage einen ebren- 
vollen Platz in der Reihe der deutschen Wirtschaftshistoriker verschafft 
hat. Seine staatswissenschaftlichen Interessen waren in Straßburg 
unter Knapps Leitung auf die Agrargeschichte gelenkt worden ?), und 





1) Kleine _Nachträge dazu sind in der Zeitschrift für die Geschichte des 
Oberrheins N. F. (Bd. X und XII) erschienen. 

2) Ein Zeugnis davon ist die aus einem Vortrage in KNAPPs Seminar 
erwachsene Abhandlung „Die Umwandlungen in der ländlichen Verfassung 
Böhmens seit 1618“ in SCHMOLLERS Jahrbuch Bd. XX. 


Theodor Ludwig. 293 


es ist unverkennbar, daß insbesondere das grundlegende Buch WITTICHs 
über die Grundherrschaft in Nordwestdeutschland einen starken Ein- 
fluß auf ihn ausgelibt hat, dessen er selbst in der Vorrede zu seiner 
eigenen Schrift dankbar gedenkt. Deren Anlage und Disposition schließt 
sich eng an das von WITTICH gegebene Vorbild an: zuerst eine fein ge- 
ordnete und durchsichtige Beschreibung der Lage der badischen Bauern 
um die Mitte des 18. Jahrhunderts, dann eine rückwärtsschreitende 
Darstellung der Verhältnisse seit dem Ausgang des Mittelalters (weiter 
zurück ist LUDWIG mit gutem Grunde nicht gegangen), endlich eine 
breit und fest fundamentierte Geschichte der Reformgesetzgebung in 
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Soweit ist LUDWIG dem Vor- 
bilde Wrrrichs gefolgt. Innerhalb dieses Rahmens aber geht er seine 
eigenen Wege, die nur zum Teil durch die vom Nordwesten abweichen- 
den Verhältnisse des badischen Territoriums oder, wie man sagen darf, 
Südwestdeutschlands überhaupt bedingt sind, zum andern Teile aber 
der eben Lupwia eigenttimlichen geistigen Richtung entsprechen. Diese 
erkennen wir, wenn in dem letzten Abschnitt des Buches die Persönlich- 
keiten der für die Reform maßgebenden Männer viel stärker hervor- 
treten als bei WITTICH, wenn uns der Markgraf Karl Friedrich selbst 
und seine Berater, Schlettwein, Schlosser und Edelsheim, in sorgfältig 
gezeichneten, lebensvollen Bildern vor die Augen geführt werden. Im 
ersten Abschnitte aber ist es die scharf und klar durchgeführte und 
höchst fruchtbare Scheidung zwischen Grundherrschaft, Leibherrschaft 
und Gerichtsherrschaft, die, wenn ich nicht irre, Lupwıgs Buch eine 
besondere Bedeutung in der agrargeschichtlichen Literatur gibt. Gewiß 
hat Lupwıe weder diese Begriffe zuerst definiert, noch die Ausdrücke 
dafür geprägt; jedoch so bestimmt und präzis, wie bei ihm, ist, soviel 
ich sehe, die Sonderung der aus diesen drei Wurzeln stammenden 
Abhängigkeitsverhältnisse der ländlichen Bevölkerung unseres Gebietes 
vorher nirgends als das für die Erkenntnis maßgebende Prinzip heraus- 
gehoben worden. Aber seither ist in allen neueren Arbeiten diese 
Scheidung jeder allgemeinen Schilderung der südwestdeutschen Land- 
bevölkerung zugrunde gelegt worden, und wenn sie uns heute voll- 
kommen geläufig ist, so wollen wir nicht vergessen, daß sie das zu 
großem Teile erst durch Lupwıcs Verdienst geworden ist. 

Wiederum nach zwei Jahren (Straßburg 1898) hat Lupwic ein 
drittes Buch („Die deutschen Reichsstände im Elsaß und der Ausbruch 
der Revolutionskriege“) erscheinen lassen, auf dessen Entstehung, 
wenn ich mich recht erinnere, VARRENTRAPP einen gewissen Einfluß 
ausgeübt hat. Im Mittelpunkt des Buches steht, wie es der Titel 
anzeigt, eines der größten Probleme der politischen Geschichte der 
Neuzeit; den Weg zu seiner Lösung hat Lupwıc umsichtig vorbereitet. 
Er beginnt mit einer ganz ausgezeichneten, auf den grindlichsten 
-Quellenstudien beruhenden Schilderung der Verfassung und Verwaltung 
des Elsaß und seiner einzelnen Territorien im 18. Jahrhundert. An 
diese Schilderung schließt sich eine eingehende Darstellung der poli- 
tischen Verhandlungen zwischen den elsässischen Ständen, dem Reich, 
‚dem Kaiser und Frankreich in den Jahren 1789—1791 und eine wohl- 
‚durchdachte Analyse der darauf bezüglichen publizistischen Literatur 


224 __ H. BreBlau 


an; 68 ist LUDWIGS besonderes Verdienst, daß er dabei die bedeutende 
Rolle, die der Fürstbischof August von Speyer in diesen Verhandlungen 
und Erörterungen gespielt hat, ins hellste Licht gestellt hat; auch 
bier weiß er uns nicht bloß für den Verlauf der Dinge, sondern auch 
für die Männer, die diesen Verlauf beeinflußt haben, lebhaft zu interessieren. 
Zu dem großen Problem selbst aber nimmt er inmitten der stark von- 
einander abweichenden Anschauungen von RANKE, SYBEL, SOREL und 
anderen eine selbständige Stellung. Sein fein abgewogenes und ein- 
leuchtend begründetes Urteil, daß die Elsässersache für die Frage 
nach dem Ursprung des Revolutionskriegs weder die große Bedeutung 
gehabt habe, die ihr SOREL zuschrieb, noch eine 80 untergeordnete, wie 
etwa GLAGAU augenommen hat, daß ihr Verlauf zwar schließlich durch 
den allgemeinen Gang der Dinge bestimmt worden, aber darum doch 
nicht ohne Einfluß auf diesen selbst gewesen sei, scheiut mir!) durch- 
aus das richtige getroffen zu haben. 

Seit diesem Buche hat LupwiG eine größere wissenschaftliche Ar- 
beit nicht mehr veröffentlicht. Seine ganze Kraft widmete er den Vor- 
arbeiten für ein umfassendes \Verk über die Entstehung des neuen 
badischen Staates im Zeitalter Napoleons I. In eifrigster Tätigkeit 
beutete er die Karlsruher und Pariser Akten aus; er hatte die Samn- 
lung des Materials bereits abgeschlossen und manche Teilentwürfe 
ausgearbeitet; er hoffte im Laufe dieses Jahres mit dem Drucke des 
ersten Bandes beginnen zu können. Aber ehe er sich auf das Kranken- 
bett legte, hat er selbst den Wunsch ausgesprochen, daß im Falle 
seines Todes von diesen Entwürfen nichts veröffentlicht werden solle, 
und man würde, wenn überhaupt, so doch gewiß nur dann das Recht 
haben, diesem Wunsche zuwiderzuhandeln, wenn wirklich vollkommen 
abgeschlossene Teile des Buches vorlägen, was nicht der Fall ist. 3o 
wird von dieser letzten großen Arbeit LupwiGs der Wissenschaft nichts 
zugute kommen, als das von ihm gesammelte Aktenmaterial, das auf 
dem Karlsruher Staatsarchiv deponiert werden soll. 

Um LupwiGs Bedeutung und seine Stellung in der Wissenschaft 
zu würdigen, reichen aber die drei Bücher aus, die wir besprochen 
haben. Er war ungewöhnlich gebildet, im besten Sinne des Wortes, 
und ungemein kenntnisreich. Er besaß eine außerordentliche Viel- 
seitigkeit des Interesses und des Verständnisses; Fragen der politisc!en 
und der Literatur-, der Wirtschafts-, der Verfassungs- und Verwaltungs- 
geschichte war seine Teilnahme gleichmäßig zugewandt. Er verstand 
es, aus der verwirrenden Masse der Einzelheiten das Große und Be- 
deutende hervortreten zu lassen, die leitenden Gedanken herauszuheben 
und die maßgebenden Personen deutlich vorzustellen. Und mit dieser 
Gelehrsamkeit und dieser Versatilität des Geistes verband er die Kunst 
fesselnder und geschmackvoller Darstellung, die alle seine Schriften 
so erfreulich macht; nicht bloß als Geschichtsforscher, sondern auch 
als Geschichtschreiber berechtigte er zu frohen Erwartungen. Denn 
noch war seine Entwickelung nicht abgeschlossen; sie bewegte sich in 


1) Trotz Gr.agAUvs Widerspruch in der Historischen Zeitschrift 84, 496. 


Theodor Ludwig. 225 


aufsteigender Linie; und an dem Wachstum seiner Kräfte freuten sich 
mit ihm selbst alle, die ihm nahe standen. 

Deren waren nicht allzuviele; denn, liebenswürdig und freundlich 
gegen jedermann, war Lupwie doch im Innersten seines Wesens zurtick- 
haltend und erschloß sich nur wenigen ganz. Aber wem er sich gab, 
der wußte, was er an ihm besaß. Ein vornehmer Mensch, von idealer 
Gesinnung, den Blick stets auf das Höchste gerichtet und alles Kleine 
und Niedrige weit von sich weisend —- so lebt THEonoR LUDWIG im 
Gedächtnis seiner Freunde fort. 





Bag Für die Redaktion bestimmte Mitteilungen und Manuskripte sind zu 
richten an Dr. K. Kaser, Wien VIII, Feldgasse 28. Rezensionsexemplare 
bittet man an die Verlagsbuchhandlung oder an Prof. Dr. G. v. Below, 
Freiburg i. Br., Tivolistr. 12, zu senden. 





Druck von W. Kohlhammer in Stuttgart. 


Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 15 


Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittel- 

alter und die Bedeutung der Wikinger für die Entwick- 

lung des europäischen Handels und der europäischen 
Schiffahrt. 


Von 
Alexander Bugge (Christiania). 


Deutsche, französische und englische Geschichtsforscher künı- 
mern sich nur wenig um die Geschichte der skandinavischen 
Völker während der Zeit, da sie wie bei einer neuen Völker- 
wanderung nach den Niederlanden, Frankreich, den britischen 
Inseln und Rußland strömten, Städte und Klöster plünderten, 
fremde Heere schlugen und neue Reiche und Niederlassungen 
gründeten: in Irland, in England, in Frankreich (Normandie) und 
in Osteuropa, wo das russische Reich von schwedischen Wikingern 
in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts gegründet wurde). 
Die Germanisten interessieren sich allerdings für die Eddagedichte, 
diesen köstlichen Schatz der altgermanischen Poesie. Aber nur 
wenige wissen, daß die verrufenen Normannen auch für die Ent- 
wicklung der mittelalterlichen Kultur, des Handels und der Schiff- 
fahrt Europas eine große Bedeutung gehabt haben. 

Die nordischen Wikinger waren nicht nur wilde Seeräuber, 
sie waren auch unternehmende Kaufleute, die in jeder Weise 
Reichtum zu gewinnen suchten. Überall, wo sie hinkamen, 
gründeten sie neue Städte und Handelsniederlassungen und 
brachten weit entfernte Länder miteinander in Verbindung. Darin 
liegt auch die große ökonomische Bedeutung der Wikingerzeit: 


1) Der Anfang der Wikingerzüge wird um das Jahr 798 gesetzt, da die 
Wikinger Lindisfarne, ein Kloster an der Küste Northumberlands, plünderten. 


In der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts hören die Wikingerzüge auf. 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 16 


228 Alexander Bugge 


die Wikinger öffneten neue Verkehrswege und bereicherten die 
westeuropäischen Märkte mit neuen Waren, neuen Erzeugnissen, 
mit Pelzwerk aus dem nördlichen Norwegen und aus Rußland, 
mit Stockfisch aus Norwegen, mit nordländischen Edelfalken und 
mit russischem Wachs. Früher gelangten orientalische Erzeug- 
nisse, wie Seidenstoffe, Gold- und Silberdraht und Spezereien, nur 
über Italien, Spanien und Südfrankreich nach Mittel- und West- 
europa. Die Wikinger eröffneten wieder die alten Verkehrswege aus 
dem Schwarzen Meere über Rußland nach den Ostseeländern und 
brachten dadurch Westenropa mit dem Orient in direkte Verbindung. 
Die Norweger, Schweden und Dänen betrieben für einige Jahr- 
hunderte den Großhandel in den Ländern an der Ostsee und Nordsee. 

Obschon die Quellen für die Geschichte dieser Zeit sehr arm 
sind, erschen wir doch aus ihnen, welche lebhafte Handelstätig- 
keit im 9., 10. und 11. Jahrhundert überall in den nordischen 
Ländern herrschte. Landschaften, die jetzt ganz außerhalb der 
großen Verkehrsstraßen liegen, hatten damals eine große Be- 
deutung. Eine der am meisten hervortretenden und reichsten 
Provinzen des damaligen Norwegens war z. B. Hälogaland (jetzt 
Nordland), die nördlichste Landschaft des Landes an der Küste 
des Éismecres. Hier wohnten viele der größten norwegischen 
(Geschlechter und mehrere große Dichter. Schon im 7. Jahr- 
hundert machten halogische Könige Kriegsfahrten nach Jütland, 
wo sie auch mit schwedischen Königen kämpften. Es ist sogar 
möglich, daß die Einwohner von Halogaland schon im diesen 
alten Zeiten die Orkneyinseln besuchten '). 

In der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts „wohnte am nörd- 
lichsten von allen Norwegern“ an der Grenze der Lappen ein 
Häuptling namens Ottar (Ohtherce). Er ist. der erste Polar- 
fahrer, den wir kennen; er umsegelte als der erste Norweger die 
Küste Finmarkens und die Kolahalbinsel und entdeckte das Weiße 


1) Die nördlichste Provinz des heutigen Norwegens, Finmarken, wurde 
im Mittelalter nur von nomadisierenden Finnen oder Lappen bewohnt. Die 
Städte Finmarkens sind nur ungefähr hundert Jahre alt. Die Festung Var 
döhns stammt doch aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts. Von den alten 
Fahrten der Könige von Häloraland erzählt das im 10. Jahrhundert verfaßte 
Gedicht Häleygjatal. Vel. A. Buese, Vikingerne IL S. 38 £. 


Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 999 


Meer. Später kam er nach England und erzählte Alfred dem Großen 
von seinen Reisen. Dieser hat in seiner Übersetzung des Geschichts- 
schreibers Orosıus die Reise Ottars wiedererzählt. Ottar erzählt 
auch von dem Reichtum der nordländischen Häuptlinge und sagt, 
daß dieser hauptsächlich in den Abgaben der Lapländer bestehe: 

„Diese Abgaben bestehen aus Tierfellen, Vogelfedern, Walfisch- 
knochen und den Tauen, die aus Walfisch- und Seehundfellen 
gemacht werden. Ein jeder bezahlt je nach seiner Geburt. Der 
Vornehmste soll fünfzehn Marderfelle, fünf Renntierfelle, ein 
Bärenfell, zehn „Amber“-Federn, ein Bären- oder Otterwams 
und zwei 60 Ellen lange Schiffstaue aus Walfisch- oder Seehunds- 
fellen bezahlen!).“ Später wurden diese Abgaben an den König 
bezahlt; aber auch die königlichen Befehlshaber, die mit dem 
Eintreiben der Steuern (der Finnferd) und mit dem Finnkaup 
(Monopol des Handels mit den Finnen) belehnt wurden, erwarben 
dadurch große Reichtümer?). Auch durch Handel und Raubzüge 
nach dem Weißen Meere, wo die durch Pelzhandel reichgewordenen 
Bjarmen wohnten, erhielten die nordländischen Großen viel köst- 
liches Pelzwerk. Die Fahrt nach dem Lande der Bjarmen wurde 
mit der Entdeckung Ottars eifrig betrieben. Der norwegische 
König Harald Graafeld („Grauwams“) machte um das Jahr 870 
einen Zug nach dem Weißen Meere und kämpfte mit den Bjarmen 
am Gestade der Dwina, welcher Fluß in einem gleichzeitigen Ge- 
dieht zum erstenmal erwähnt wird’). In der ersten Hälfte des 
11. Jahrhunderts machte der nordländische Häuptling Thore Hund 
ınit anderen Großen aus Hälogaland einen Zug nach dem Lande 
Biarmen, wo sie viel Grauwerk, Biber und Zobel kauften und 


1) ALFREDS Orosius, hg. v. SWEET, S. 18. 

2) Die Egils Saga, Kap. X und XIV, erzählt z. B. von Thorolv Kvel- 
dulfsson, der in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts von König Harald 
mit der Finnferd belehnt wurde. Er zog mit 90 Mannen und viel Kauf- 
ınannsgut nach Finmarken, handelte mit den Finnen und trieb die Steuern 
ein. Mit dem Könige der Kwänen, der den nordischen Namen Faraviür 
trägt, machte er auch einen Zug gegen die Kareler und machte reiche Beute 
aus Biber-, Zobelfellen und Grauwerk. 

3) SNORRE, HEIMSKRINGLA, Saga Haralds gräfelds, Kap. 14. Sowohl 
SNuRRE als seine Quelle, der Dichter Glumr Geirason, erwähnen, daß Harald 
„an der Dwina* (& Vinu bordi) kämpfte. 


230 Alexander Bugge 


später auch eine reiche Beute machten. Auf der Rückreise besuch- 
ten sie einen Ort am nördlichsten in Finmarken, der Geirsver 
(jetzt Gjesvær) genannt wird'). Aus diesem im 11. Jahrhundert 
vorkommenden Namen, sowie aus anderen, sehr alten norwegischen 
Ortsnamen an der Küste Finmarkens (z. B. dem Fjordnamen 
Alten, aus an. allfr „ein Schwan“) ersehen wir, daß die Nor- 
weger schon während der Wikingerzeit die Küste Finmarkens 
und den Weg nach dem Weißen Meere regelmäßig benutzen, ja daß sie 
vielleicht schon an der Küste Finmarkens Niederlassungen hatten. 

Eine andere Einnahmequelle für Hälogaland waren die großen 
Kabeljaufischereien, die noch heute den größten Reichtum des nörd- 
lichen Norwegens ausmachen. Die Indogermanen haben es seit ur- 
alter Zeit verstanden, Fische zu trocknen. Das Wort „Dorsch“ (an. 
borsk) ist mit dem russischen treskà „Stockfisch“ urverwandt, 
welch letzteres Wort ferner mit der Wurzel ters- „zu trocken“ in Zu- 
sammenhang steht. Auch der norwegische Kabeljau wurde getrock- 
net und weithin versandt. Das Zentrum des Kabeljaufangs, Vaagen in 
Lofoten, war schon um das Jahr 1000 ein Hauptort des nördlichen 
Norwegens. Während der Fischerzüge wurde dort ein Markt, Vags 
stefna, gehalten, der aus dem ganzen nördlichen Norwegen besucht 
wurde. Es war eineganze Flotte von Fischerbooten, diesich bei Vaagen 
versammelte; die Sagas sprechen öfters von dem Vaga-floti?). 

Sowohl Pelzwerk wie Stockfisch wurde schon um 900 nach 
den britischen Inseln ausgeführt. Der nordländische Häuptling 
Thorolv Kveldulvson, der um diese Zeit lebte, schickte, wie die 
„Egils Saga“ (K. 17) erzählt, ein Schiff nach England mit Stock- 
fisch, Häuten, Hermelin (ljös vara?), Grauwerk und anderen 
Tierfellen, die er in Finmarken bekommen hatte; „und das war 
außerordentlich viel Gut“. Gegen das Ende des 10. Jahr- 
hunderts lebten zwei aus Halogaland gebürtige Kaufleute namens 
Sigurd und Hauk; sie scheinen besonders nach England Handel 
getrieben zu haben?). Auch der früher erwähnte Thore Hund 


1) Heimskringla, Ölafs saga helga, K. 138. 

2) Vgl. Heimskringla, Ölafs s. helga, K. 128, 189. 

3) Heimskringla, Saga Ölafs Tryggvasonar, K. 74: Sigurdr er maër 
nefndr, annarr Haukr, beir väru häleyskir ok hofdusk migk fi kaupferdum. 
beir hofdu farit eitt sumar vestr til Englandz. 


Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 231 


(ca. 1020—1030) stand mit England in Verbindung und ver- 
kaufte dort seine Pelzwaren. In der zweiten Hälfte des 11. Jahr- 
hunderts hörte der selbständige Handel Hälogalands mehr und 
mehr auf. Die westeuropäischen Länder bezogen jetzt das Pelz- 
werk, das sie brauchten, aus Rußland über Nowgorod. Die 
norwegische Stadt Bergen ward gegründet und wurde bald eine 
der bedeutendsten Handelsstädte der skandinavischen Länder. 
Die Einwohner Hälogalands zogen es vor, hieher mit ihren 
Waren zu segeln, und nachher dauerte es nicht lange, ehe die 
Kaufleute Bergens sich des ganzen nordländischen Handels 
bemächtigt hatten. Hälogaland war schon im 15. Jahrhundert 
eine der ärmsten Landschaften Norwegens. 

Auch die Einwohner anderer norwegischen Landschaften trieben 
einen ausgedehnten überseeischen Handel, und ihre Heimat wurde 
von vielen fremden Kaufleuten besucht. Von der Landschaft 
Viken (am heutigen Christianiafjord) heißt es im Anfange des 
11. Jahrhunderts: „Das Land wurde sowohl winters als auch sommers 
von vielen dänischen und sächsischen Kaufleuten besucht. Die 
Einwohner von Viken machten auch selbst oft Kauffahrten nach 
anderen Ländern, nach England, Sachsen, Flandern oder Däne- 
mark“ '!). Viele Norweger trieben Handel nach Rußland, wie z. B. 
„Gudleik der Russische“ (Gudleikr gerzki), der zur Zeit Olafs 
des Heiligen lebte und von dem es heißt: „Er war ein großer 
Seefahrer und Kaufmann und sehr reich und handelte nach ver- 
schiedenen Ländern, er segelte oft nach Rußland und wurde 
deßhalb Gudleik der russische genannt“). Ein anderer Kauf- 
mann, der einen Markt an der Mündung des Göta-Elfs besuchte, 
wird „Gille der Russische“ genannt. Die Einwohner von Dänemark 
und Schweden trieben auch sehr früh einen bedeutenden über- 
seeischen Handel; ihre Städte wurden von Einheimischen und 
Fremden besucht und zählten mehrere reiche eingeborene Kauf- 
leute. Schleswig hatte schon um 800 als dänische Grenzstadt 
einige Bedeutung gewonnen. In den fränkischen Annalen wird 


1) Heimskringla, Ölafs s. helga, K. 64. 
2) Heimskr., Öl. s. h., K. 66. 


232 Alexander Bugge 


diese Stadt Sliestorp, „das Dorf an der Slie“, genannt!). Dies 
scheint zu zeigen, daß Schleswig aus einen Dorf allmählich eine 
Stadt geworden ist. Als der heilige Ansgar die Stadt besuchte, 
wurde sie schon Sliaswich genannt und war ein bedeutender 
Hafenplatz, der von Kaufleuten aus allen Gegenden besucht 
wurde (ubi ex omni parteconventusfiebat mercatorum). 
Viele von den Einwohnern waren in Hamburg oder Dorestat 
getauft, und Kaufleute aus diesen Städten kamen nach Schleswig, 
um allerlei Waren zu verkaufen?). Die Stadt hatte sogar ihren 
eigenen Befehlshaber. RIMBERT nennt einen „comes praefati 
vici, Sliaswich videlicet, nomine Hovi“°. In der 
Nähe von Schleswig (am Haddebyer Nor) begann gegen das Ende 
des 9. Jahrhunderts ein anderer Hafenplatz heranzuwachsen. 
Er wurde anfangs æt Hæbum („auf den Heiden“) genannt und 
war noch am Ende des 9. Jahrhunderts ein unbefestigter Ort 
ohne größere Bedeutung‘). Um 900 setzte ein schwedischer 
Häuptling Namens Olav sich hier fest und gründete ein selb- 
ständiges Reich, das bis an die Mitte des Jahrhunderts seine 
Unabhängigkeit behielt. Der Hafenplatz auf den Heiden ward 
jetzt eine befestigte Stadt, die Heidabyr genannt wurde und 
bald eine der bedeutendsten Städte des skandinavischen Nordens 
ward). 

Gegen 900 wurden die ersten nordischen Münzen geprägt. 
Sie sind eine Nachahmung der von Karl dem Großen in Dor- 
stat geprägten Münzen, welche auf dem Avers den Namen 
Carolus — in zwei Zeilen — und auf dem Revers den Namen 
Dor-stat tragen; die Münztypen sind aber auch von den alten 
northumbrischen Münzen und von den Münzen Quentowics be- 
einflußt. Es gibt viele verschiedene Typen; einige zeigen uns 
ein bestimmt nordisches Gepräge und tragen Bilder, die wir auch 
auf nordischen Bildsteinen aus der Wikingerzeit wiederfinden. 


1) Einhardi Annales, ao. 804 und 808. König Godfred zieht sich zurück 
„ad locum [ad portum], qui dicitur Sliestorp“. 

2) RIMBERT, Vita S. Anskarii, c. 24 (PErTZ, Scriptores II, S. 709). 

3) Vita S. Anskarii, c. 81 (PERTZ, II, 715). 

4) ALFRED, Orosius, hg. SWEET, S. 19. 

5) Soruus MÜLLER, Nordiske Fortidsminder I, 240 ff. 


Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 9233 


Der dänische Münzforscher HAUBERG hat nachgewiesen, daß diese 
Münzen aus Dänemark stammen. Ich selbst glaube es wahr- 
scheinlich gemacht zu haben, daß sie in Hedeby, der bedeutendsten 
Stadt des damaligen Dänemarks, geprägt worden sind". Um 
die Mitte des 10. Jahrhunderts fand ein neues Münzen statt, 
und zwar, wie auch HAUBERG und HiLDEBRAND annehmen, in 
Hedeby. 

Man hat diese Münzen in Dänemark, in Norwegen, auf der 
Insel Biörkö, in Mälaren und an der Südküste der Ostsee ge- 
funden. Mit allen diesen Gegenden sowohl als mit Dorestadt, 
Quentowie und Nordengland hat also Hedeby Handelsverbindungen 
gepflegt. 

Nach der Mitte des 10. Jahrhunderts ging es mit der Größe 
Hedebys zurück. Die Stadt kam wieder an Dänemark, hatte 
segen das Ende des Jahrhunderts neue große Kämpfe zu bestehen 
und hörte in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts auf, zu 
existieren. Schleswig wurde wieder die bedeutendste dänische 
Stadt. Das alte Hedeby wurde bald vergessen und mit Schles- 
wig, das jetzt auch den Namen Hedeby annahm, verwechselt. 
ADAM V. BREMEN sagt zum Beispiel: „Sliaswig, quae et 
Heidabi vocatur“, und erzählt, daß die Stadt einen bedeuten- 
den Handel nach den wendischen Ländern, Schweden, Semland 
und Rußland unterhielt. Aus Schleswig segelt man, sagt er, 
nach Jumne und von dort weiter nach Rußland. Aus Ripen auf 
der anderen Seite der jütischen Halbinsel segelte man nach Sachsen, 
Friesland und England. Die Stadt Aarhus, weiter nördlich in Jüt- 
land, stand zur Zeit Apams mit den dänischen Inseln, Schonen 
und Norwegen in Verbindung?). Noch im 12. Jahrhundert war 


1) HAUBERG, Myntforhold og Udmyntninger i Danmark indtil 1146 (Danske 
Videnskabsselskabs Skıifter 1900), Mémoires du Congrès international de 
Numismatique à Bruxelles. A. BuGGE, Vesterlandenes Indflydelse paa Nord- 
boerne i Vikingetiden (Kristiania Videnskabsselskabs Skrifter 1904), S. 265 ff. 
Der schwedische Archäologe HILDEBRAND meint, daß diese Münzen in Birka 
geprägt seien. 

2) ADAM v. BREMEN, Descriptio Insularum Aquilonis, c. 1: Sliaswig, 
quae et Heidabi dicitur. ... Ex eo portu naves emitti solent in Sciavoniam 
vel in Suediam vel ad Semlant usque in Graeciam [s. Rußland]. Alterum 
fecit episcopatum in Ripa, quae civitas alio cingitur alveo, qui ab oceano 


234 Alexander Bugge 


Schleswig, wie bekannt, eine sehr bedeutende Stadt. Aus dem 
alten Stadtrecht Schleswigs ersehen wir, daß die Stadt noch um 
1200 von Fremden aus verschiedenen Ländern besucht wurde. 
Das Stadtrecht erwähnt „hospites de ducatu Saxonie, de 
Frysia, de Hyslandia [Island], de Burgendeholm [Borr- 
holm] et aliunde!). 

Schweden hatte um 800 eine bedeutende und weithin be- 
kannte Handelsstadt namens Birka, die auf der kleinen Insel 
Biörkö in Mälaren lag. Birka war freilich nie eine große Stadt. 
Sie war aber — gleichwie Hedeby — von einem Ringwall um- 
geben, und die Einwohner müssen fast ausschließlich von Handel 
und Schiffahrt gelebt haben, denn die Insel Biörkö ist so klein, 
daß die Einwohner Birkas unmöglich nur von Ackerbau gelebt 
haben können. Birka ist also nicht nur eine der ältesten nord- 
europäischen Städte, sondern auch die erste, deren Einwohner 
ausschließlich von Handel und Schiffahrt lebten. 

Es war kein Zufall, daß der heilige Ansgar Birka besuchte, 
um den Schweden das Christentum zu predigen. Denn die Stadt 
stand schon damals mit dem fränkischen Reiche in Verbindung. 
Wo Birka früher lag, hat man in der Erde karolingische Münzen 
aus dem 9. Jahrhundert und christliche Gegenstände (Amulette 
u. 8. w.) eines deutlich fränkischen Ursprungs gefunden), und 
RIMBERT erwähnt ausdrücklich, daß Birka um die Zeit Ansgar 


influit, et per quem vela torquentur in Frisiam, aut certe in Angliam velin 
nostram Saxoniam ... Arhusan, a qua navigatur in Funen aut Seelant, ave 
in Sconiam, vel usque in Norwegiam. Vgl. Gesta Hammat. ecel. ep. L H, 
c. 19: nam per navim ingrederis ab Sliaswig vel Aldinburc, ut pervenias sd 
Jumne. Ab ipsa urbe vela tendens quartodecimo die ascendes ad Ostrogar 
Ruzziae. 

1) Hansisches Urkundenbuch I, S. 457. Aus dem Namen Burgende 
holm, sowie daraus, daß die Einwohner Bornholms von ALFRED dEM GROSSEN 
(Orosius) Burgendan genannt werden, schließe ich, daß die Ureinwohner 
der Insel Burgunden waren. Der isländische Name der Insel, Borgus- 
darhölmr, ist nur eine spätere Volksetymologie. Man nimmt js suc 
gewöhnlich an, daß die Ureinwohner der Insel Gotland Goten waren. „Ger 
land“ bedeutet „das Land der Goten“; „Bornholm“ bedeutet „die Felsenizsel 
der Burgunden“. 

2) MoxTELitvs, Les temps préhistoriques en Suède, S. 252; HILDEBRAND, 
Sveriges medeltid I, 776. 


Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 235 


mit Dorestat in Verbindung stand‘). Birka wurde des Handels 
wegen von Schiffen aus Norwegen, Dänemark, Wenden und 
Samland besucht?). Man konnte nach Apam v. BREMEN in 
fünf Tagen aus Schonen nach Birka und in anderen fünf Tagen 
aus Birka nach Rußland segeln). Schon in der ersten Hälfte 
des 9. Jahrhunderts besaß Birka viele reiche Kaufleute, einen 
Überfluß an allerlei Gütern und einen großen Geldschatz‘). 
Die Stadt hatte zur Zeit Ansgars ihren eigenen Befehlshaber, 
der von RIMBERT praefectus Bircae genannt wird; wir 
hören auch von Volksversammlungen, die in Birka abgehalten 
wurden. Birka wurde besonders wegen seiner geschützten Lage 
in Mälaren von so vielen Fremden besucht; die Einwohner such- 
ten durch künstliche Mittel den Hafen noch mehr zu schützen, 
indem sie durch große Steinblöcke den Seeräubern die Einfahrt 
in Mälaren erschwerten®). Dies hinderte aber nicht, daß die 
Stadt oft überfallen und geplündert wurde. Zuletzt muß Birka, 
wahrscheinlich um die Mitte des 10. Jahrhunderts, niedergebrannt 
worden sein. Zur Zeit ADAMS v. BREMEN existierte die Stadt 
nicht mehr; die Einwohner waren nach dem naheliegenden Sig- 
tuna übersiedelt. Sigtuna war im 11. und 12. Jahrhundert die 
bedeutendste schwedische Stadt, wo sich die einzige Münzstätte 
des Landes befand. Auch Sigtuna wurde — um 1187 — von 
Seeräubern niedergebrannt, und die Stadt hat nie später ihre 
frühere Blüte wiedererlangt. Stockholm wuchs heran, um später 
die Hauptstadt Schwedens zu werden. 

1) RIMBERT, Vita S. Anskarii, c. 20: Eine sterbende Frau bittet ihre 
Tochter, nach Dorestat zu gehen, um ihr hinterlassenes Geld unter die Armen 
dort zu verteilen: c. 27 werden auch Reisen nach Dorestat erwähnt: Ali- 
quando nempe quidam ex nobis(s. von den Schweden) Dorestadum 
adeuntes huius religionis normam... 

2) ADAM v. BREMEN, Gesta Hammab. eccl. ep., I, c. 62: Ad quam statio- 
nem, quia tutissima est in maritimis Sueoniae regionibus, solent omnes 
Danorum vel Nortmannorum, itemque Sclavorum et Sembrorum naves, aliique 
Scithiae populi pro diversis commerciorum necessitatibus sollempniter convenire. 

8) ADAM v. BREMEN, Descriptio Insularum Aquilonis. c. 21, schol. 121. 

4) Vita S. Anskarii: Proponebat enim eis vicum memoratum Birca, 
quod ibi multi essent negotiatores divites, et abundantia totius boni, atque 


pecunia thesaurorum multa. 
5) ADAM, Gesta Hamm. eccl. ep., I, c. 62. 


236 Alexander Bugge 


Das bedeutendste Zentrum für Handel und Schiffahrt im 
ganzen skandinavischen Norden war jedoch die Insel Gotland. 
Die günstige Lage dieser Insel in der Mitte der Ostsee, ungefähr 
gleich weit von Schweden und von Kurland entfernt, brachte es 
mit sich, daß die Einwohner schon zur Zeit der Völkerwanderung 
eine ausgedehnte Schiffahrt trieben und große Reichtümer besaßen. 
Während der Wikingerzeit stieg die Bedeutung der Insel noch 
mehr. Die auf Gotland um die Mitte des 13. Jahrhunderts in der 
Landessprache verfaßte und auf alter Überlieferung beruhende 
„Guta Saga“ (Historia Gotlandiae) sagt: „Als die Goten noch Heiden 
waren, segelten und handelten sie nach allen Ländern, sowohl nach 
denen der Christen wie der Heiden“). Wegen der Reichtümer, die 
auf Gotland gesammelt waren, wurde die Insel oft von Feinden 
heimgesucht. Mehrere schwedische Runeninschriften erzählen von 
Leuten, die Gotland brandschatzten. So sagt z. B. eine Ein- 
schrift von Torsätra, Upland: „Skule und Folke errichteten diesen 
Stein nach [d. h. zum Andenken an] ihrem Bruder Husbiorn. Im 
Auslande vermehrte er die Kleinodien, zur Zeit als sie auf Gotland 
Schätze nahmen“). Die Guta Saga erzählt: „Während Gotland 
heidnisch war, stritten viele Könige auf der Insel; die Guten 
erhielten doch gewöhnlich den Sieg und wahrten ihre Rechte“. 
Dies war wahrscheinlich die Ursache, warum die Gotländer sich 
in den Schutz des schwedischen Königs gaben und sich ver- 
pflichteten, ihm eine jährliche Abgabe zu bezahlen. 

Ich werde im folgenden mehr von den auswärtigen Handels 
beziehungen (rotlands sprechen. Hier will ich nur hervorheben, 
wie außerordentlich reich die Insel in alten Zeiten gewesen sein 
muß. Von Münzen, die aus dem 10. und 11. Jahrhundert stanı- 
men, hat man auf Gotland allein 67000 Stück (auf 277 Funde 
verteilt) gefunden’). Jedes Jahr macht man neue Münzfunde 

| 1) Die Einwohner Gotlands wurden Gutar, d. h. Goten, und die Insel 
G«utaland „das Land der (Goten“ genannt. Auch die ältesten Runen- 
inschriften Gotlands scheinen es zu bezeugen, daß die Urbevölkerung Gotlands 
toten waren; vgl. S. BUGGE, Norges Indskrifter med de ældre Runer I. 
S. 148 ff. 
2) E. BrartE und S. BUGGE, Runverser, S. 66 f. 


3) HAUBERG, Myntforhold og Udmyntninger i Danmark indtil 1146; 
(Danske Videnskabsselskabs Skrifter, Kopenhagen 1900). 


Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter ete. 937 


und findet wertvolle Goldringe und Schmucksachen. Diese Reich- 
tümer sind nicht durch Kriegszüge nach Gotland gekommen. 
Denn von den auf der Insel gefundenen Münzen stammen zwei 
Drittel aus Westeuropa (aus Deutschland und England); die An- 
nalen und Chroniken erwähnen aber nie, daß Gotländer an den 
Wikingerzügen teilnahmen. Das auf Gotland gefundene Gold 
muß also durch Handel und friedlichen Verkehr nach der Insel 
gelangt sein. 

Die größte Bedeutung der nordischen Völker für die Handels- 
geschichte liegt doch darin, daß sie überall im Auslande, wo sie 
im 9., 10. und 11. Jahrhundert als Eroberer hinkamen, Städte 
und Handelsniederlassungen gründeten. Dadurch wurde dem 
ganzen Verkehrsieben des nördlichen Europas neues Leben ein- 
gehaucht und der Welthandel in neue Bahnen gelenkt. Einige 
von diesen Niederlassungen — besonders am südlichen Gestade 
der Ostsee — stammen sogar aus dem Ende des 8. Jahrhunderts. 
An der Küste von Mecklenburg lag wahrscheinlich eine Hafen- 
stadt, die nach EINHARD (Annales, ao. 809) „auf dänisch Reric 
genannt wurde“ (lingua Danorum Rerie dicebatur). Die 
Stadt stand um 800 unter dänischer Oberhoheit und war von 
dänischen Kaufleuten bewohnt, wodurch der dänische König von 
den entrichteten Zöllen ein großes Einkommen hatte. 

Rerie wurde im Jahre 808 von König Godfred, den Gegner 
Karls des Großen, zerstört; die dort wohnenden dänischen Kauf- 
leute wurden nach Schleswig gebracht’). Die Stadt kann doch 
nieht gänzlich zerstört worden sein, denn Thrasco, der Herzog 
der Abodriten, wurde das folgende Jahr (809) „in emporio 

1) PERTZ, Scriptores I, S. 195: Godefridus vero, priusquam reverteretur, 
destructo emporio, quod in oceani litore constitutum, lingua Danorum Reric 
dicebatur, et magnam regno illius commoditatem vectigalium solutione prae- 
stabat, translatisque inde negotiatoribus, soluta classe ad portum, qui Sliestorp 
dieitur, cum universo exercitu venit. Vgl. STEENSTRUP, De Danske og Ven- 
derne, wo zuerst auf die Bedeutung Rerics aufmerksam gemacht ist. — Der 
Name Reric ist nicht dänisch, sondern slawisch und steht mit Reregi, 
dem Namen eines wendischen Stammes in Mecklenburg, in Zusammenhang. 
Vgl. ADAM vox BREMEN, Gesta Hammab. eccl. ep., 1. II, c. 18: Deinde 
secuntur Obodriti, qui nunc Reregi vocantur, et civitas eorum Magnopolis. 
jetzt Mecklenburg, ein Ort in der Nähe von Wismar]. 


238 Alexander Bugge 


Reric“ von den Leuten Godfreds getôtet!). Später ist doch die 
Stadt ganz verschwunden. 


Im 9. Jahrhundert trieben die Dänen, wie wir aus dem Reise- 
-bericht WULFSTANS ersehen können, auf Truso Handel. Diese 
Stadt lag an dem Sec gleichen Namens (jetzt Drausen), nicht 
weit von der Mündung der Weichsel?). Ob es auch dort eine 
‚dänische Handelsniederlassung gab, wissen wir aber nicht. 


Die berühmteste Handelsstadt am südlichen Gestade der Ost- 
see war iın 10. und 11. Jahrhundert Julin oder Jumne, die außer- 
halb der Mündung der Oder auf der Insel Wollin lag. Hier 
setzten die Dänen sich in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts 
unter dem König Harald Gormsson, augenscheinlich des Handels 
wegen, fest”). Unter den Dänen wurde Julin eine feste Burg; 
zur selben Zeit wurde auch der Hafen befestigt; die Stadt wurde 
«leshalb eine „Seeburg* (sæborg) genannt. Der Eingang zum 
Hafen konnte durch Eisentür geschlossen werden und wurde 
durch ein Kastell oder einen steinernen Turm verteidigt. Die ganze 
Anlage ist in der ,Jomsvikingasaga“ ausführlich geschildert‘). 
Ich bezweifle allerdings, daß die Einzelheiten dieser Schilderung 


1) Per'rz I, S. 196, Einhardi Annales, ao. 809. 

2) ALFRED, Orosius, hg. v. SwEET, S. 19f.: Wulfstan sæde bæt he 
geföre of Hædum, bæt he ware on Truso on sufan dagum and nihtum... 
bonne cymed Ufing [s. Elbing] eastan in Estmere [s. Frisches Haff] of dem 
mere de Truso standed in stade. 


3) Knytlingasaga, K. 1 (Fornmannasogur, B. 11): Haralds Gormsson var 
tekinn til konungs i Danmork eptir fodur sinn, ...ok hafdi hann mikit 
jarleriki i Vindlandi; hann lét bar gera Jörmborg ok setti bar herlid mikit, 
hann setti beim mäla ok rétt, en beir urmu landit undir hann. 


4) Jomsvikingasaga, K. 23: ok bar letr hann [d. h. der dänische 
Häuptling Palnatoki] gera brätt i sinu riki sæfarborg eina mikla ok 
rammgerva, b4â er Jérnsborg er kollud sidan. par lætr hann ok gers hofa 
pâ uppi i borginni, at liggja mättu i 300 langskipa senn, svä at Pau von 
oll lest innan borgar. par var um büit med mikilli vélfimni, er i var lagt 
um i hofnina, ok bar var sem dyr væri gervar, en steinbogi mikill yfir uppi 
en fyrir dyrunum voru järnhurdir, ok lestar innan 6r hofninni. En & stein 
boganum uppi var gerr kastali einn mikill, ok bar valslongur i. Sumr blutr 
borgarinnar stöd dt & sæinn, ok eru bar kalladar sæborgir, er svä eru gerrar, 
ok af bvi var innan borgar hofnin. 


Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter ete. 239. 


korrekt sind. Jedenfalls wurde doch Julin unter den Dänen eine 
feste Burg mit einer stark befestigten Flottenstation. Die Herr-- 
schaft der Dänen scheint in der ersten Hälfte des 11. Jahr- 
hunderts verloren gegangen zu sein. Die Burg wurde 1043 von 
König Magnus von Norwegen und Dänemark zerstört"). Doch 
nennt noch ADAM v. BREMEN Jumne eine große Stadt: „Est 
sane maxima omnium quas Europa claudit civitatum, 
quam incolunt Sclavi cum aliis gentibus, Graecis 
(s. Russen) et barbaris“?). 

Vielleicht gab es auch an der Südküste der Ostsee andere 
dänische Niederlassungen. Eine Insel an der Westküste von 
Rügen, die durch eine Sturmflut im Jahre 1308 von dieser Insel 
abgetrennt wurde, heißt noch jetzt Hiddensee. Die Insel, wo- 
die dänischen Könige in alten Zeiten oft ihre Flotten sammelten,. 
wird bei Saxo Grammaticus Hythini insula genannt; in den 
eddischen Gedichten heißt sie Hedinsey. Der Name ist echt 
nordisch, aus Hedinn, einem nordischen Namen, und ey 
„Insel“°). Die südöstliche Spitze der Insel Rügen heißt in 
einem norwegischen Gedichte aus dem Ende des 10. Jahr- 
hunderts Staurr. Dieser Name ist auch nordisch und ist wohl 
aus an. Staurr „Stab, Stock“ zu erklären‘). Beide Namen 
zeugen von einer alten dänischen Niederlassung auf Rügen. 
Andere wendische Namen sind von den skandinavischen Völkern 
umgeändert worden und kommen in dieser Gestalt schon in den 
eddischen Gedichten vor, z.B. Orvasund, d. h. Stralsund, der 
schmale Sund, der die Insel Rügen vom festen Lande trennt 
und wo die Stadt Stralsund jetzt liegt. Dieser Sund ist nach 
der Insel Strala, jetzt Danholm, südwestlich von der Stadt 
Stralsund, genannt. Daraus istOrvasund, „der Sund der Pfeile“ 


1) Knytlinga Saga, K. 22. 

2) ADAMUS, Gesta, 1. II, c. 19. 

3) Eine ältere deutsche Form des Namens ist Hiddensoe (Strals. 
Stadtbuch 6, Nr. 89), wo die Endung -oe deutlich dem nordischen -ey ent- 
spricht. | 

4) Heimskringla, Olafs saga Tryggvasonar, K. 89: 

„Styrir l6t at Stauri 
stafnviggs hofud liggja“. 

In der Prosa heißt es: „fyrir Staurinum“. 


240 Alexander Bugge 


eine Übersetzung. Diese Übersetzung lag nahe, denn das Wappen 
der Stadt Stralsund war im Mittelalter ein Pfeil (strâl). 
Andere Ortsnamen, die ebenfalls in den Gedichten von dem 
dänischen König Helgi Hundingsbani und seinen Kriegszüge 
nach der Ostsee vorkommen, sind: Varinsfiordr, d.h. der 
Meerbusen am Ausflusse der Warnow bei Warnemünde), und 
Svarinshaugr (der Hügel „Swarins“), d.h. Suerin, Sueri- 
num, Schwerin im Lande des Abodriten®).. Die kleine Insel 
Danholn bei Stralsund hat möglicherweise auch einen nordischen 
Namen. Dieser Name, der im Mittelalter Daneholm geschrie- 
ben wurde), entspricht an. Danahölmr („der Holm der Dänen‘). 
Aus der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts (ca. 1066) stammt 
die von einem Norweger verfaßte Dichtung von der Brävalls- 
Schlacht, die wir aus dem isländischen Sogubrot und aus der 
lateinischen Version des Saxo Grammaticus kennen‘). Im Ge 
folge des Dänenkönigs Harald Hilditand sind als Hauptanführer 
drei Schildjungfrauen, Vebjorg, Heidr und Visma. De 
Vebjorg folgen Krieger aus Jütland, Angel und Friesland. Mit 
Heidr komnit ein Mann aus Slien. Diese zwei Schildjungfrauen 
sind die poetischen Repräsentanten der dänischen Städte Hedeby 
(Heidabær) und Viborg (Vébjorg). Das Heer der Wenden 
wird von Visma geführt; diese muß folglich der poetische Re- 
präsentant eines wendischen Ortes sein. Dieser Ort ist meiner 
Ansicht nach Wismar’). Zwar wurde die Hansestadt Wismar erst 
1237 gegründet”). Es gab aber früher an derselben Stelle eine 


11 Hier wohnten nach ADAM v. BREMEN und HELMOLD die Warnabi 
(Warnavi); ihr Land hieB Warmouve. Die Namensformen Warin, Waris 
kommen in Chron. cpisc. Merseb. vor (Scriptores rerum Germ. 10, 191, 3) 

2) S. BUGGE, Helgedigtene, S. 130 ff. Der Name Zvarin kommt 1174 
vor; Ann. Sfederb., Scriptores rerum Germ. 16, 211, 42; Leges 2, 211, 14 
Zuarina civitas, ao. 1018 (TIHETMAR, Script. 3, 862, 20). 

3) Stralse Stadtbuch 2, Nr. 146. Das Wort holm kommt doch auch in 
Niederdeutschen vor. 

4ı Vel. X. Bruiux, Norsk Sagafortellinz i Island (Norsk historiak Tid- 
skrift. 19011, 8.79 ff: JES-EN. Undersögelser til nordisk Oldhistorie, S. 3 f: 
AXEL OLkIK in Archiv für nordisk filologi X. 

5) Nach den ungedruckten Aufzeichnungen Professor Sophus BuGGFs 

6° ‘'ion. Slav., Lasperr. 107. 


Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 241 


dische Niederlassung. Ein Ort Wismer wird schon 840 er- 
nt (Nordelb. Chron. 9f.). 
Aus den isländischen Sagen ersehen wir, daß der Hafen 
mars in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts von dänischen 
iffen besucht wurde. Hier landeten z. B. die dänischen Könige 
n Grathe und Knut Magnusson auf einem Zug nach Wenden ?). 
lem slawischen Wismar hat wohl, wie in Julin und in dem 
n Reric, eine Niederlassung von nordischen Kaufleuten exi- 
+, und die Stadt hat in irgendeiner Weise mit Dänemark in 
bindung gestanden. Sonst können wir es nicht verstehen, 
um die Schildjungfrau Visma im Heere des Harald Hilditands 
ıpf. Wismar war wahrscheinlich ursprünglich der Name 
t der Stadt, sondern des Meerbusens bei Wismar (Vizmar 
'n) und bedeutet vielleicht „das ruhige Meer“ (Wis-mari). 
Nordischen gibt es ähnliche Fjordnamen, z. B. Grenmarr 
Norwegen?). Der Name Wismar ist doch meiner Ansicht nach 
ıt nordisch, sondern stammt aus der altgermanischen Zeit 
ist von den Slawen beibehalten worden. 
Wie die Dänen an der Südküste der Ostsee, so haben die 
weden an der Küste der baltischen Länder sehr früh, viel- 
at schon im 8. Jahrhundert, Niederlassungen gehabt. 
RIMBERT erzählt in seiner Lebensbeschreibung des heiligen 
gars, daß die Einwohner von Kurland lange unter schwedischer 
rschaft standen. Als Ansgar im Jahre 853 nach Schweden 
1, hatten sie sich aber schon längst wieder unabhängig ge- 
ht. -— Die schwedische Herrschaft in Kurland gehört also 
ırscheinlich dem 8. Jahrhundert an. — Später machten die 
ıen einen Kriegszug nach Kurland; sie wurden aber geschla- 
und entkamen mit genauer Not. Als der König der 
weden dies hörte, wollte er es versuchen, die schwedische 
rschaft in Kurland zu erneuern. Er sammelte eine große 
te, kam unerwartet nach einer kurländischen Stadt namens 
>burg, in welcher 7000 Krieger standen, und zerstörte und 


1) Knytlingasaga, K. 108 (Fornmannasogur XI, S. 851): ok kom Knütr 
ıngr fyrri med sinn her i Vizmar hofn, en Sveinn konungr kom med 
bûum ok Sjélendingum ok Hallendingum ok Skänungum. 

2) Nach einer Mitteilung Professor S. Buuers. 


242 Alexander Bugge 


plünderte sie". Zwar mißlang der Versuch, Kurland wiederz- 
erobern. Die Erzählung ist aber dennoch sehr interessant und 
wichtig. Das Merkwürdigste ist Seeburg als der Name einer kır- 
ländischen Stadt. Seeburg ist kein litauischer oder slawischer, 
sondern ein deutscher oder nordischer Name. Da aber die 
Deutschen um 800 mit Kurland noch gar keine Verbindung 
hatten, ist es, wie der dänische Forscher JOHANNES STEENSTREP 
meint, der zuerst die Aufmerksamkeit auf diese Erzählung ge- 
richtet hat?), viel wahrscheinlicher, daß Seeburg ein nordischer 
Name ist und das altnordische Sæborg („befestigte Stadt mit 
einem befestigten Hafen“) wiedergibt. Wie wir schon gehört 
haben, wird ja auch Jomsborg eine sæborg genannt. Der Ver- 
fasser der „Jomsvikingasaga“ schreibt sogar, daß eine besondere 
Art von befestigten Städten oder Burgen diesen Namen gewöhn- 
lich tragen (ok eru bær kalladar sæborgir, er svaeru 
gjörvar). Wie Jomsborg, so ist wohl auch die kurländische 
„Seeburg* des Handels und der Schiffahrt wegen von den 


1) RimBERT, Vita S. Anskarii, c. 80 (PERTZ, Scriptores II, S. 718): Nec 
praetereundum quoque videtur, qualiter Domini virtus post hanc profectionem 
jam dictis Sueonibus patefacta est. Gens enim quaedam longe ab eis poaits. 
Cori vocata, Sueonum principibus olim subiecta fuerat; sed iam tune din erat. 
quod rebellando eis subiici dedignabantur. Denique Dani hoc scientes tempore 
supradicto, quo dominus episcopus iam in partes Sueonum advenerat, navium 
congregata multitudine ad eandem perrexerunt patriam, volentes et bons eorum 
diripere, et eos sibi subiugare. Regnum vero ipsum quinque habebat civitates. 
Populi atque inibi manentes, cognito eorum adventu, conglobati in unum, 
coepere viriliter resistere et sua defendere. Dataque sibi victoria, medietate 
populi Danorum caede prostrata, medias quoque naves eorum diripuerust. 
auro et argento spoliisque multis ab eis acceptis. Quod audiens praedice 
rex Olaf populusque Sueonum, volentes sibi nomen adquirere, quod facere 
possent quae Dani non fecerint, et quia sibi etiam antea subiecti fueirnt, 
innumerabili congregato exercitu, illas adierunt partes, et primo quidem 
improvise ad quandam urbem regno ipsorum, vocatam Seeburg, in qua erant 
septem milia pugnatorum, devenientes, penitus illam devastando et spoliando 
succenderunt. Diese schwedische Expedition wird vielleicht auch in der 
romantischen, „Ingvars saga vidförla“ [Antiquités russes, hg. v. Rarn IL 148] 
erwähnt: „pä er beir frendr voru frumvaxta, Onundr ok Ingvarr, var # 
bjod i missætti vid Ölaf konung, er Seimgalir heita, ok hofdu ekki skatt 
soldit um hrid; bâ sendi Olafr konungr Onund at heimta skatt“. 

2) J. STEENSTRUP, De Danske og Venderne. 


Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 243 


Schweden erbaut worden, und zwar wie Jomsborg an der Mün- 
dung eines großen Flusses. 

Ist die Mutmaßung zu kühn, daß Seeburg an der Mündung 
der Düna in der Nähe von Riga lag? — Riga wurde später in 
weiterem Sinne zuweilen zu Kurland gerechnet'). Auch später 
trieben, wie wir aus den schwedischen Runeninschriften des 10. 
und 11. Jahrhunderts ersehen können, die Schweden einen aus- 
gedehnten Handel nach den baltischen Ländern. 

Der am meisten benützte Weg ging um Kap Domesnäs, die 
Nordspitze Kurlands, dessen Name nordischen Ursprungs ist?), 
und weiter nach der Mündung der Düna, wo die Stadt Riga 1201 
von Bischof Albert von Apeldern gegründet wurde. Diejenige 
schwedische Landschaft, die bei dieser Fahrt besonders beteiligt 
war, scheint Södermanland, südlich von Mälaren, gewesen zu 
sein. Vier Runensteine aus Södermanland sprechen von Fahrten, 
nach Semgallen (d. h. dem südlichsten Teil des Herzogtums Kur- 
land), nach der Mündung der Düna und nach Samland (d. h. der 
Halbinsel zwischen Deine, Pregel und dem Meer). Auf dem 
einen heißt es: Si(g)rid let ræisa stæin benna at Svæin 
sinn bönda. Hann oft siglt til Sæimgalla Iyrum 
knarri um Dömisn&s, d. h. „Sigrid errichtete diesen Stein 
zum Andenken an ihren Mann Svein. Er ist oft nach Semgallen 
gesegelt mit kostbarem Handelsschiffe um Domesnäs“”).. Auf 
dem zweiten lesen wir: „Roar, der Sohn von Gume, errichtete 
diesen Stein zum Andenken an Andar, den Vater Slodes, und 
an seinen Vater. Er verteilte Gold im Lande der Semgallen“ “). 
Auf einem dritten Runenstein aus Södermanland heißt es: „Sumur 
hieb [d. h. diese Runen] zum Andenken an Stein, der im Osten 


1) Hansisches Urkundenbuch I, Nr. 240 A. 1, 246. 

2) Die Endung -näs ist nordisch und bedeutet , Vorgebirge“. Auch 
Dagô ist ein nordischer Name. Noch wird ja auf Dagö und Oesel schwedisch 
gesprochen, nicht erst seit der Schwedenherrschaft im 17. Jahrhundert, sondern 
seit uralten Zeiten. 

3) E. BRATE u. 3. BUGGE, Runverser, S. 200. An. knyrr, Gen. knarrar 
bedeutet „Schiff“, besonders „Handelsschiff“. 

4) Runverser, 8. 214: Röanr Guma son ræisti at stæin pansa 
Audar fadur Slöda ok œptr sinn fadur. Gulli hann & Sem- 


gallum skifti. 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtechaftsgeschichte. IV. 17 


944 Alexauder Bugge 


an der Mündung der Düna gestorben ist“!). Auf einem vie 
ist zum Andenken an den Verstorbenen geschrieben: fé oriSæ 
„er zog nach Samland“?). 

Auch die Insel Gotland war an diesem Handel vielfach 
teiligt. Dies dürfen wir aus den ältesten Urkunden der S 
Riga schließen. Die Einwohner Rigas genossen das jus G 
landie; ihre Münze war diemarca Guttensis. DieGutten: 
d. h. die Eingeborenen Gotlands, nicht die auf der Insel wohı 
den Deutschen, genossen in Riga und in den übrigen „por 
Livoniae“ seit 1211 Zollfreiheit und andere Vorrechte, 
waren dem Bischof Albert von Riga, wie er selbst beurkun 
bei der Einführung des Christentums in die baltischen Läı 
besonders behilflich gewesen *). 

Noch im Anfange des 12. Jahrhunderts gab es vielleich 
Samland und Kurland nordische Handelsniederlassungen. 
diese Zeit lebte in Samland ein reicher Kaufmann nam 
Vidgautr, von dem die isländische „Knytlingasaga“ erzäh 
Er trieb, wie wir aus der Saga ersehen, auf Kurland, Nowgo 
(Holmgardr) und Schleswig Handel und war ursprünglich 
Heide; erst später wurde er auf Veranlassung des Herzogs K 
Lavared (} 1131) getauft. Das Merkwürdigste bei dieser 
zäblung ist, daß der aus Samland gebürtige Kaufmann den ı 
dischen Namen Vidgautr trägt. Er stammte folglich, obse 
Heide, aus einer alten nordischen Niederlassung in Ostpreul 
Denn wir können doch nicht annehmen, daß der isländis 
Sagaschreiber diesen seltenen und auf Island und in Norwe 
nicht gebräuchlichen Namen erfunden habe. 

Seine große Bedeutung erlangte der nordische Handel 
Osteuropa erst nach der Gründung des russischen Reiches du 


1) Runverser, S. 183, vgl. S. 406: Sumu : hauka : stan : sumik : {1 
austr : i : tuna : asu : (asu ist statt usa umgeschrieben). 

2) Runverser, S. 215. 

3) Hansisches Urkundenbuch I. Nr. 88, 194 A. 1, 240 A. 1. 

4) Knytlingasaga, K. 87—90 (Formannasügur B. XI): „Vidgautr het m: 
bann var ættadr af Sämlandi, hann var madr heidinn, hann var kaupı 
ok vel mentr um marga hluti, han sigldi jafnan kaupferdir i Austr 
but var ut sumar, er hann sigldi austan at Kürlandi ...“ Das Folgende 
zählt von seinen Besuchen in Schleswig und Nowgorod. 


Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 9245 


schwedische „Russen“ um 8621). Die schwedischen Eroberer 
Rußlands waren nicht nur große Krieger, sie waren auch unter- 
nehmende Kaufleute. Als solche trieben sie nach den Ländern 
am Schwarzen Meere und nach Konstantinopel einen ausgedehn- 
ten Handel. 907 wurde der erste Handelsvertrag zwischen dem 
Großfürsten der Russen Oleg (= an. Helgi) und dem oströmischen 
Kaiser geschlossen). 912 und 945 wurden neue Handelsver- 
träge zwischen den Russen und den Griechen geschlossen’). 
945 schickte der russische Großfürst Igor (= an. Ingvarr) eine 
zahlreiche Gesandtschaft nach Konstantinopel. Die verschiedenen 
russischen Fürsten schickten jeder einen Gesandten, welche alle 
nordische Namen tragen. Dann folgten auch 25 Kaufleute, von 
welchen wenigstens 23 nordische Namen tragen und die laut des 
Vertrags von dem russischen Großfürsten Igor ausgeschickt waren‘). 

Diese russischen Kaufleute bildeten eine eigene Organisation ; 
sie standen unter dem Schutz des Großfürsten und hatten silberne 
Siegel, während die Gesandten goldene hatten. Sie werden bei 
NESTOR gost) („Gäste“) genannt. Das Wort gostj, sowie das 
urverwandte nordische gestr bedeuten auch „zureisender Kauf- 
mann, angekommener Fremder“. In Norwegen war auch gestr 
ein Titel, der von einigen mehr untergeordneten Hofbeamten, 
welche im Dienste des Königs Reisen machten, benützt wurde. 


1) Die „Russen“ oder „Waräger“, die unter Rurik (= Rörekr) das russische 
Reich gründeten, stammten wahrscheinlich aus dem östlichen Schweden, wo 
lie Küste von Upland noch jetzt Roßlagen genannt wird; die Schweden 
werden von den Einwohnern Finnlands noch „Ruotselainen“ genannt. 
Vgl. die Chronik NEstors, ao. 6370. 

2) NESTOR, ao. 6415. 

3) NESTOR, 80. 6420 und 6453. 

4) Die Namen der Kaufleute sind: Adun = an. Audunn, Adulb 
Audulfr, Ingivlad = Ingivaldr, Oljeb = Aleifr, Frutan = 
Frosti(), Gomol=Gamall, Kuci=?,Emig=Hemingr, Turbid= 
borfidr, Furstjen = Freysteinn, Bruny = Brüni, Roald = 
Hröaldr, Gunastr=Gunnfastr, Frastjen=Freysteinn, Igeld= 
Ingjaldr, Turbern=borbjvorn, Mony=Mäni, Ruald=Hröaldr, 
Svjen=Sveinn, Stir=Styrr, Aldan =Halfdanr, Tirej= Tiuri 
(schwedische Runeninschriften ?), Aspubran=Äsbrandr (?), Wuzljeb= 
slaw. Wseslaw (?), Sin Korobié = an. Sveinki (?). 


246 Alexander Bugge 


Waren die russischen „Gäste“ in ähnlicher Weise an den (iroß- 
fürsten geknüpft? 

Laut des Handelsvertrags sollten die russischen Kaufleute 
aus Kiew, Cernigow und Perejaslaws in Konstantinopel einen 
monatlichen Unterhalt genießen. Sie durften aber nur durch ein 
einziges Tor und ohne Waffen in die Stadt hineinkommen. Es 
durften nicht mehr wie fünfzig Kaufleute auf einmal kommen, 
und jeder von ihnen durfte nicht für mehr als fünfzig Gulden 
Seidenstoffe kaufen. Es waren vornehmlich Seidenstoffe, gold- 
gewirkte Stoffe und auch Wein, was die Russen in Konstantinopel 
kauften. Von den Arabern bekamen sie kostbare Gewänder, 
Stiefel aus Saffian und Gewürze. Selbst brachten sie den Griechen 
und Arabern Pelzwerk, Wachs und Sklaven!), Der Pelzhandel 
hatte schon im 10. Jahrhundert eine große Bedeutung, wie wir 
aus vielen Stellen bei NESTOR ersehen können?). Die Stenern 
wurden gewöhnlich in Fellen, besonders in Marderfellen, bezahlt, 
und die Großfürsten besaßen in Pelzwerk große Reichtümer. Die 
altrussische Mark (Grivna) bestand aus 50 Einheiten; eine Ein- 
heit hieß Kuna („Marderfell“)°). 

Nicht nur die früher erwähnten südrussischen Städte, wie Kiew, 
sondern auch Nowgorod nahm an dem Handel mit Griechenland und 
Konstantinopelteil. Unter den russischen Städten, die ihre Boote nach 
Konstantinopel schickten, wird von KONSTANTIN PORPHYROGENNETOS 
auch Nemogarda (s. Nowgorod) erwähnt‘), Der Handel mit 
arabischen Kaufleuten, die mit ihren Waren pach Südrußland 
kamen, hatte ebenfalls eine sehr große Bedeutung. Der arabische 
Reisende ACHMED IBn FODHLAN, der im 10. Jahrhundert lebte, 
hat, wie bekannt, die Sitten der russischen Kaufleute, die er hier 
traf, geschildert. \Velche Reichtümer durch den arabischen Handel 


1) tr. Nesron, Kap. XXVII (ao. 6453), wo cs erzählt wird, daß Igor 
den byzantinischen Gesandten heim Abschiede Pelzwerk, Sklaven und Wachs 
schenkte. 

2) 7. B. Neston, Kap. AXXIV (ao. 6477) Vgl. KARAM&IN, (teschichte 
des russischen Reiches I, S. 200, 384 f. 

3) Hansisches Urkundenbuch I, Nr. 50, A. 1. 

4) De administrando imperio, cap. 9: "Ort 1& dnö tic Em 'Pwoias pové- 
Eva xatepxôpeva dv Kwvotavtivounédet elol pèv dAnö tou Nepoyapddo... 


Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 247 


ach Rußland und weiter nach dem skandinavischen Norden 
amen, verstehen wir, wenn wir hören, daß in den nordischen 
ändern zusammen 36188 arabische (sogenannte „kufische“) 
ilbermünzen gefunden sind; von diesen stammen 22902 aus 
sotland '). 

Sowohl NESTOR wie KONSTANTIN PORPHYROGENNETOS (912-—959) 
childern uns den Weg, welchen die russischen Kaufleute be- 
ützten, wenn sie in ihren Booten nach Griechenland fuhren. 
ie fuhren zuerst den Dnjepr hinab bis Cherson und ruderten 
ann über das Schwarze Meer nach der Mündung der Donau. 
ei den bekannten Stromschnellen in dem Dnjepr mußten sie, 
ne Kaiser Konstantin erzählt, ihre Boote verlassen und sie über 
‚and tragen. Diese Stromschnellen hatten nach KONSTANTIN 
De administrando imperio, cap. 9) sowohl slawische wie russische 
d. h. nordische) Namen. Die letzteren lassen sich beinahe alle 
us dem Altnordischen erklären, obwohl die Übersetzungen des 
elebrten Kaisers nicht immer ganz richtig sind. Der erste 
Vasserfall wurde nach Konstantin sowohl von den Slawen wie 
on den Russen Ecoouxñ (d. h. „schlafe nicht“) genannt. Dies 
t nicht richtig; denn Essupi ist eine slawische Namensform 
ne 8’pi). Der zweite Wasserfall wurde von den Russen OvAfopoi 
enannt (= an. Holmfors oder Hulmfors, d. h. „der Wasser- 
all der Insel“, nicht, wie es übersetzt wird, „die Insel des Wasser- 
alle“). Der russische Name des dritten Wasserfalls soll T’eAxvöpt 
ein, d.h. an. Gellandi oder Gjallandi, „der Schallende, der 
rausende“; nach Kaiser KonNSTANTIN soll es „der Lärm des 
Vasserfalls“ bedeuten. Der vierte Wasserfall soll im Russischen 
Aceıpap heißen, d. h. Eiforr, „der stets Ungestüme“ (aus ei, 
immer, stets“, und forr, ,ungestüm“). — Der Name dieses 
Vasserfalls findet sich auch mit Runen geschrieben (Aifur) auf 
em gotländischen Pilgaard-Stein. — Der fünfte Wasserfall hieß 
m Russischen Bzpouwopos, d. h. an. Bärufors, „der Wasserfall der 
Velle“ (aus bara, „Welle“, und fors, , Wasserfall“). Der sechste 


1) Sogar Sachen aus Indien sind durch den arabischen Handel nach dem 
lorden gekommen. Das Nationalmuseum zu Stockholm sowie das Gymnasium 
u Wisby besitzen Muschelschalen, die aus dem indischen Ozean stammen 
nd die in gotländischen Gräbern aus der Wikingerzeit gefunden sind. 


248 Alexander Bugge 


Wasserfall hieß im Russischen Aczvrı, d. h. an. Læjandi, „der 
Lachende“ ; der Bezirk auf den beiden Seiten des Flusses Glom- 
men in Norwegen oberhalb des Wasserfalls Sarpen (bei Sarps- 
berg) wurde gleichfalls im Mittelalter Læiande genannt. Der 
siebente Wasserfall wurde von den Russen Zroouxouv!) (in jüngeren 
Handschriften Zpoufouv) genannt, d. h. „die Stromschnellen* 
(? vgl. norw. Stryk, n. ,Stromschnelle“ und schwed. dial. struk, 
n. „Strömung“). Wenn Strubun die richtige Namensform 
ist, ist der Name aus an. straumr („Strom, Strömung“) abge- 
leitet ?). 

Wenn also die Stromschnellen im Dnjepr um die Mitte des 
10. Jahrhunderts alle nordische Namen hatten, dann können wir 
daraus schließen, wie häufig der Fluß von nordischen Kaufleuten 
befahren wurde. Denn es können nur die Kaufleute gewesen 
sein, welche den Stromschnellen ihre nordischen Namen gaben. 
Es gab in der Nähe keine wohnhafte nordische Bevölkerung. 

Nrstors Bericht (cap. IV) über die Dnjepr-Fahrt ist gleich- 
falls sehr interessant. Er sagt u. a.: 

„Es gab einen Weg von dem Lande der Waräger (d. h. von 
der skandinavischen Halbinsel) nach Griechenland, und au 
Griechenland auf dem Dnjepr bis zum Slowotj, aus dem Slowotj 
bis in den großen Ilmersee; aus diesem See fließt der Wolchow 
und fällt in den großen See Newo (Ladoga). Dieser See ver- 
einigt sich bei seiner Mündung mit dem warägischen Meere, und 
auf diesem Meere geht man bis nach Rom und aus Rom bis 
nach Konstantinopel, und von daher kommt man in den Pontus: 
in diesen fällt der Dnjepr, der, aus dem Okowischen Walde kom- 
mend, gegen Süden fließt. Die Düna kommt aus demselben Walde 
und fällt in das warägische Meer.“ 

Aus der Schilderung NESToRs ersehen wir deutlich, daß die 
nordischen Völker auch an der Fahrt nach Konstantinopel teil- 
nahmen. Er sagt ja: „Es gab einen Weg von dem Lande der 
Waräger nach Griechenland“, und nennt die Ostsee „das wars 


1) In Strukun ist vielleicht die Endung -un der an. bestimmte Artikel 
für Neutr. Plur. -in. 

2) Die Namen sind von V. THOMSEN, Det ryska rikets grundläggning 
(Stockholm 1882), S. 60 ff. erklärt. 


Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 249 


gische Meer“. Aus mehreren Runeninschriften von Schweden 
und der Insel Gotland können wir dasselbe schließen. 

So heißt es z. B. auf einem Stein von Fjuckby, Upland: 
„Dyir Steuermann errichtete diesen Stein zum Andenken an seine 
drei Söhne. Der aber hieß Aki, der im Auslande umkam; Jufur 
steuerte das Handelsschiff, kam an griechische Häfen, starb zu 
Hause‘). Ingvar haute [die Runen ein].“ Auf einem anderen, 
ebenfalls upländischen Stein heißt es: „Thorstein errichtete [dieses 
Denkmal] zum Andenken an seinen Sohn Erinmund; er kaufte 
dieses Gehöft und erwarb sich im Osten in Rußland Güter“ °). 

Noch deutlicher sprechen gotländische Steine aus dem 11. Jahr- 
hundert von Fahrten nach Südrußland und der Balkanhalbinsel. 
Auf einem großen und prachtvoll geschmückten Stein von Sjonhem 
(jetzt in Wisby) heißt es mit einem merkwürdigen Gemisch christ- 
licher und heidnischer Gefühle’): ropuisl : auk : ropalf : Pau: 
litu : raisa : staina : eftir : sünir : pria : pina : eftir : ropfos : 
han : siku : blakumen : i : utfaru : 

gub : hialbin : sial : robfosar : 
gub : suiki : Pa : ar : han suku : 

„Rodwisl und Rodelv, Mann und Weib, errichteten Steine zum 
Andenken an ihre drei Söhne. Diesen [Stein errichteten sie] 
zum Andenken an Rodfos. Ihn betrogen Walachen auf der Reise 
im Auslande. 

Gott helfe der Seele des Rodfos! 

Gott betrüge diejenigen, die Rodfos betrogen!“ 

Auf dem jedoch schwer zu deutenden gotländischen Pilgaard- 
Stein scheint von einer Fahrt nach Aifur die Rede zu sein“). 
Aifur ist wahrscheinlich die früher erwähnte Stromschnelle in 
dem Dnjepr, die von KONSTANTIN ’Asıpap genannt wird. 


1) Runverser, 8. 38 f.: tuir : sturimapr riti : stain : pinsa : aftir 
sanu : sina : sa hit : aki: sansuti furs : iufur sturpi hari [s. knari]: 
! kuam || an krik. || hafnir: hauna tu || uh ikua. 

2) Runverser, S. 340: Purtsain << kiarbiftiririnmunt >< sunsin- 
aukaubti binsa bu auk >< aflapi x austr x i karbum. Gardariki oder 
i Gardum waren die gewöhnlichen nordischen Namen für Rußland. 

3) LILIEGREN, Runenurkunder Nr. 1592. 

4) H. Pıryınc: in „Nordiska studier“; AboLr NOREEN zugeeignet [Upsala 
1904], S. 175 ff. 


950 Alexander Bugge 


Auch die „Guta Saga“ spricht in dunkeln Worten von den 
Fahrten gutnischer Männer nach Südrußland und Griechenland. 

Das wichtigste Zeugnis von der Bedeutung dieses Handels 
haben wir aber in den früher erwähnten, auf Gotland gefundenen 
22900 arabischen Münzen. Diese stammen beinahe alle aus dem 
Ende des 10. und dem Anfang des 11. Jahrhunderts. 

Die meisten nordischen Kaufleute fuhren jedoch nicht den 
weiten Weg nach dem Schwarzen Meere und Konstantinopel, 
sondern zogen es vor, Nowgorod zu besuchen. Nowgorod wurde 
bald die größte russische Handelsstadt und eine der bedeutendsten 
Städte der nördlichen Europas. Die Stadt hatte eine merkwürdig 
freie Verfassung, die sich wahrscheinlich unter skandinavischem 
Einfluß entwickelt hatte. Überhaupt haben die nordischen Völker 
für die Entwicklung des russischen Handels eine sehr große Be- 
deutung gehabt, und besonders verdankt Nowgorod ihnen sehr 
viel. Noch im 12. Jahrhundert war Nowgorod in den Augen 
des aus Kiew gebürtigen Chronisten NESTOR eine warägische 
Stadt!) Eine russische Urkunde nennt im Jahre 1199 die in 
Nowgorod verkehrenden Gotländer „Waräger“ 2). — Das Wort 
„Waräger (Bapark) existiert noch im Russischen; es bedeutet 
aber jetzt „ein herumziehender Krämer, Hausierer, Ankäufer“). 

Rußland selbst und mehrere russische Städte tragen in des 
isländischen Sagas nordische Namen, 7. B. Gardar oder Garda- 
riki „Rußland“. Holmgardr „Nowgorod“, Aldeigjuborg 
.Altladoga“, Kenugardr „Kiew“, Surdalar „Susdal“, Sma- 
lenskia „Smolensk“ und Palteskia. 

Merkwürdiger ist es aber, daß Ortschaften an der Fahrstraße 
nach Nowgorod in deutsch-lateinischen Urkunden aus dem 
15. Jahrhundert nordische Namen tragen, z. B. Biörkö, „die 
Birken-[nsel“ im Finnischen Meerbusen; Aldagen (= Aldeig- 
juborg); Ritsagen auf der rechten Seite des Wolchows, ober- 
halb Altladogas (russisch Veritin): Dhrelleborch bei Nowgorod 
(= an. prelnborg, eine Übersetzung des russischen Cholopij 


Lo Nuston, K. XV (ao. 6370). 
2) Hansisches Urkundenbuch I, Nr. 50. 
3) PAWLOWSKY, Russisch-Deutsches Wörterbuch (3. Aufl.), S. 108. 


Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 251 


ovrodok); Wolchowminne, „die Mündung des Wolchow“ (aus 
n. mynni .Mündung“); Gestevelt, später Gostinopole am 
echten Ufer des Wolchow (aus an. gesir „Gast, fremder Kauf- 
yann“)'). 

Die Gotländer hatten schon um das Jahr 1000 in Nowgorod eine 
ste Niederlassung. — In einer Urkunde aus dem Jahre 1023 betreffs 
iner Brücke über den Wolchow werden Gotländer und Waräger 
rwähnt?). Die Gotländer, welche Nowgorod besuchten, hatten 
- gleich wie die nordischen Kaufleute in London — ihre eigene 
irche und ihren Gildehof. Die Kirche war dem heiligen König 
av von Norwegen geweiht. Der ursprüngliche Gildehof wurde 
chon früh (um 1200) von den Gotländern verkauft’); später 
atten sie einen anderen Hof. Die eingeborenen Gotländer (die 
tutar) trieben noch im 13. Jahrhundert einen bedeutenden 
[andel auf Nowgorod. 

Fürst Alexander Newski erneuerte im Jahr 1259 die alten 
jandelsverträige zwischen Nowgorod und der deutschen Gemeinde 
af Gotland, Lübeck und den Goten. Der deutsche Bote [d. h. 
as Wisby] hieß Shiword [Sivert], der lübeckische Dietrich und 
er gotische Olsten, ein echt nordischer Name [= Holmsteinn], 
er nicht, wie der gelehrte Herausgeber des Hansischen Ur- 
undenbuchs es tut (I. Nr. 532), durch das deutsche Holste 
iederzugeben ist‘). 

Die Ausfuhr von l’elzwerk nach Westeuropa ging hauptsäch- 
ch über Gotland und über Schleswig, wo die Einwohner in der 
‚sten Hälfte des 12. Jahrhunderts und früher eine jährliche Ab- 
abe von Marderfellen an den König bezahlten’), und wo die 


1) Vgl. Hansisches Urkb. 1. Nr. 663. 

2) KARAMSIN, Gesch. des russischen Reiches. 

3) Lübeckisches Urkundenbuch I, S. 699 eine Urkunde, die wahrscheinlich 
‚m Jahre 1231 ist: Item curiam gilde, quam iidem Gutenses 
endiderunt, non tenentur renovatione pontis aliquatenus 
rocurarc. 

Vgl. Hanserezesse I, Einleitung S. XXIX. 

4) Holmsteinn (geschrieben hulmstain) kommt auf schwedischen 
uneninschriften öfters vor (Runverser, S. 158, 199, 328). 

5) Hansisches Urkundenbuch I, S. 457 (Auszug aus dem alten Stadtrecht 
hleswigs): Sciendum est preterea dominum Svenonem regem ... quatuor 


259 Alexander Bugge 


Gerber schon früh eine wichtige Rolle spielten. Wie grolse Reich- 
tümer der einzelne Kaufmann durch den Pelzhandel erwerben 
konnte, ersehen wir aus der Geschichte Vidgauts, der beim Ab- 
schiede dem Herzog Knut Laward von Schleswig 200 Timber 
(d. h. 8000 Felle) Grauwerk schenkte'). 

Noch in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts beherrschten 
die skandinavischen Völker den Ostscehandel. NESTOR nennt ja 
die Ostsee „das warägische Meer“. Als Kaiser Friedrich I. 1188 
die Stadtgrenzen von Lübeck bestimmte, gewährte er allein unter 
allen Fremden „den Russen ?), Gotländern, Normannen (s: Nor- 
wegern) und den andern Völkern des Ostens“ freie Zu- und Ab- 
fahrt bei Lübeck?). Später wurden die Nordländer überall von 
den Deutschen verdrängt: in den baltischen Ländern wuchsen 
deutsche Städte empor; die Lübecker lösten die Gotländer al 
Herrscher im Kontor zu Nowgorod ab; der selbständige Handel 
der Gotländer hörte allmählich auf; Schleswig hörte auf, die 
wichtigste Stadt am südlichen Gestade der Ostsee zu sein und 
mußte Lübeck den Vorrang einräumen. Es ist aber der Ruhn 
der skandinavischen Völker, daß sie zuerst diejenigen Verkehr-- 
straßen eröffneten, welche die deutschen Städte an der Ostse 
später reich und blühend machten. Die Hanseaten sind fast überall 
in die Fußtapfen der nordischen Völker getreten. 

Die Ausfuhr von russischen und norwegischen Pelzwaren, vut 
Seidenstoffen und Goldstücken, die aus dem inneren Asien stamu- 
ten, von dänischen Heringen®) und norwegischem Stockfisch. 


petitiones Sleswicensium admisisse. Quarum prima est, ut ımardurinas 
pellem non reddant. 

1) Knytlinga saga, K. 88 [Fornmaunasogur XI, 3. 325): Sidan vor 
büin ferd hans, ok ädr enn Vidgautr færi 4 burt, mælti hann til hertogs: 
herra! ... per skulid piggja af mér 40 serkja grärra skinna en 5 tämber ern 
ı serk hverjum, en 40 skinna i timbr. 

2) Rutheni, d. h. die warjägischen Einwohner von Nowgorod, die not 
im 12. Jahrhundert eine bedeutende Schiffahrt trieben. 

8) Urkundenbuch der Stadt Lübeck I, Nr. 7: Rutheni, Gothi, Nor 
manni et cetere gentes orientales absque theloneo etabsqu” 
hansa ad civitatem sepius dictam ueniant et libere recedaut 

4) Die Heringfischereien an der Küste von Schonen scheinen schop im 
Jahr 1000 existiert zu haben. Man nimmt nämlich jetzt gewöhnlich a 


Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 253 


Iles dies verlieh dem Handel der Dänen, Schweden und Nor- 
reger in jenen alten Zeiten eine viel größere Bedeutung als 
eutzutage, obschon seit dem Ende des Mittelalters ein neuer 
‚usfuhrartikel, norwegisches und schwedisches Holz, hinzugekom- 
ıen ist. 

Seit alters segelten dänische, norwegische und wohl auch 
otländische Schiffe nach den altberühmten niederländischen Städten, 
esonders nach Utrecht, Duerstede und Sluis. Des Handels wegen 
uchten die Wikinger im 9. Jahrhundert sich öfters Duerstedes 
der Dorestats dauernd zu bemächtigen. Zwischen 835 und 850 
rurde Dorestat mindestens viermal von dänischen Wikingern ge- 
lündert, während Quentowic 842 von ihnen heimgesucht wurde. 
n der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts waren dänische Fürsten 
ıehrmals vom Kaiser mit Dorestat, Friesland und Rustringen 
elehnt').. Noch im 10. Jahrhundert gab es in Utrecht wie in 
landern dänische Wikingerkolonien ?). 

Schon im Anfange des 9. Jahrhunderts stand Dorestat mit 
Jänemark in lebhaftem Handelsverkehr. Ein besuchter Verkehrs- 
reg führte aus Dorestat und Friesland nach dem südlichen Jüt- 
ind”). Als der heilige Ansgar Schleswig besuchte, gab es dort 
iele Leute, die schon vorher in Dorestat oder Hamburg ge- 
auft waren (Multi namque inibi erant christiani, qui 
el in Dorestado vel in Hammaburg baptizati erant‘). 
Ind als dann die erste Kirche in Schleswig errichtet wurde, gab 
s eine große Freude unter den Kaufleuten aus Hamburg und 
Jorestat, die jetzt ungehinderter als vorher die Stadt besuchen 
lurften. Sogar zwischen Dorestat und dem fernen Birka in 
fälaren bestand zur Zeit Ansgars ein Verkehr. RIMBERT erzählt 


aß Halöre, wo ein bekannter, schon um diese Zeit in Flateyjarbök erwähnter 
[arkt gehalten wurde, in der Nähe von Falsterbod und Skanör lag. 

1) Vgl. PERTZ, Scriptores I (Rudolfi Fuldensis Annales, Prudentii Trecensis 
‚nnales, Hincmari Remensis Annales). 

2) STEEXSTRUP, Danske Kolonier i Flandern og Nederlandene (Dansk 
istorisk Tidsskrift IV, R. VI, 494 ff.); Normannerne II, 55, 157 f. 

3) RIMBERT, Vita 9. Anskarii, c. 8 (von dem vertriebenen dänischen 
‚önige Herioldus, der in seine Heimat zurückkehrt): Inde egressi per Dore- 
tatum, et vicina Fresonum transeuntes, ad confininia Danorum perverunt. 

4) Vita S. Anskarii, c. 24. 


254 Alexander Bugge 


im seiner „Vita S. Anskarii“ (c. 20) von einer Frau in Birka, 
die vor der Ankunft des heiligen Ansgar sterbend ihrer Tochter 
auferlegte, mit ihrem hinterlassenen Gelde nach Dorestat zu 
sehen, um es dort unter die Armen zu verteilen‘, Wir haben 
schon von den bei Birka gefundenen fränkischen Sachen gehört. 
Auch Norwegen scheint mit den Niederlanden einen ganz leb- 
haften Verkehr unterhalten zu haben. Friesisches oder nord- 
französischer Tuch war im 9. Jahrhundert bei den Königshöfen 
bekannt?). Die norwegischen Häuptlinge trugen mit Vorliebe 
Schwerter aus Flandern oder aus den Rheinlanden. In „Yng- 
lingatal“, einem Gedichte des norwegischen Skalden Thiodolf 
von Hwine (aus der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts), wird 
für „Schwert“ das Wort flæmingr „Flamländer“ (d.h. ein fis- 
misches Schwert) benützt). Die Gegner des norwegischen Königs 
Harald härfagri waren in der Schlacht von Hafrsfjord (872) mit 
englischen Speeren und fränkischen Schwertern bewaffnet (vigra 
vestrenna ok valskra sverda)‘) Ein in Schweden in 
der Nähe von Upsala gefundenes Schwert aus der Wikingerzeit 
ırazt auf der Klinge den Namen des Verfertigers, Ingelrem 
oder Ingebrant, mit lateinischen Buchstaben, nicht mit Runen, 
geschrieben; dieser Name ist aber nicht nordisch, sondern deutsch 
oder fränkisch. Die meisten in Norwegen gefundenen Wikinger- 
schwerter tragen als Fabrikmarke den auch nicht nordischen, 
sondern wahrscheinlich fränkischen Namen Ulfberht, der gleich- 
falle mit lateinischen Buchstaben geschrieben wird’). 

1) Vita S. Anskarü. c. 24: Factumque est gaudium magnum in ipso looo, 
ita ut etiam gentis huius homines absque ullo pavore, quod antea non licebet, 
et negotiatorer tam hinc, quan ex Dorestado, locum ipsum libere expeterent. 
«t hoc occasione facultas totius boni ibi exuberaret. 

2) In „Sigurdarkvida in skamma“ (Str. 66) wird die sterbende Brynhid 
in valaript vel fäd (schön gefürbtes Tuch aus Valland oder Frankreich) 
gewickelt. Valaript kann hier nicht „Totenkleid“, welches valript heißen 
würde, bedeuten. 

3) In Rigspula, einem der ältesten eddischen Gedichte, wird für „Speer 
Jas Wort frakka (d. h. ein fränkisches Spees. aus Frakki „ein Franke: 
benntzt. 

4) So steht es in dem gleichzeitigen Gedicht des Skalden Thorbiorn Hornklofe. 


5) A. BUsan, Vesterlandenes indflydelse pas Nordbærne i Vikingetides 
-Kristiania Videnskabsselskaha Kkrifter, 1904]. S. 210 ft. 


Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter ete. 255 


Der Verkehr zwischen Norwegen und Dänemark und den 
fiederlanden wurde auch nach der Wikingerzeit fortgesetzt. Laut 
iner Urkunde vom Jahr 1122 waren die Norweger, die nach 
trecht kamen, von allen Zollabgaben befreit. Von den Dänen, 
ie um des Handels willen die Stadt besuchten, sollte jeder 
chiffsführer (singuli, qui magistri dicuntur navium) 

Denaren bezahlen‘). Im Jahre 1308 wurde in Brügge 
in Handelstraktat auf fünf Jahre zwischen dem norwegischen 
‚önig Hakon V. und dem Grafen Robert von Flandern ge- 
ehlossen; die Norweger durften frei nach Flandern segeln. 
m ihre Waren dort zu verkaufen und andere zu kaufen, 
it Ausnahme von denen, die seit alters verboten waren. Keine 
öheren Zölle als diejenigen, die seit alters entrichtet wurden, 
urften von ihnen abgefordert werden?). Diese Bestimmungen 
euten darauf, daß es schon ältere Handelsverträge zwischen 
landern und Norwegen gab. Die Flamländer haben, wie be- 
annt, nie einen eigenen Seeverkehr von größerer Bedeutung 
nterhalten. Es müssen also die Norweger gewesen sein, die 
ach Flandern segelten, nicht das Umgekehrte. Schon im 
ahre 1308 kann man in Brügge eine „Straße der Norweger“ 
achweisen°), auch ein Zeugnis von der Bedeutung des nor- 
'egischen Handels. Später hörte die norwegische Schiffahrt 
ach Flandern ganz auf; die Norweger wurden von den Hanseaten 
erdrängt. 

Auch die Einwohner von Gotland, nicht nur die in Wisby 
ngesiedelten Deutschen, haben jedenfalls um 1300 nach den 
andrischen und niederländischen Städten Handel getrieben. 

Eine noch größere Bedeutung hatte der Handelsverkehr zwischen 


1) Hansisches Urkundenbuch, [, Nr. 8: Dani cum mercandi causa introie- 
nt civitatem, «le capite suo singuli, qui magistri dicuntur navium, quatuor 
enarios dent. Nortmannos ab omnimodo theloneo liberos esse cognoscimus. 

2) Orig. im Archiv v. Lille, Nr. 4625: ... ita quod homines domini regis 
ei [s. regis Norwegie] ad Flandriam et ipsius domini comitis ad Norwegiam 
ım mercibus suis et rebus aliis libere valeant interim navigare, ibidem in 
‘no morari secure, res suas vendere et alias aptas eisdem vendere, nisi 
las que interdicte fuerant ab antiquo. Nec debet ab ipsis aliud theolonium 
cigi vel custuma nisi qualia fuerant antiquitus exsoluta. 

3) Hans. Urkb. III, Nr. 674 und Anm. 1. 


956 Alexander Bugge 


den nordischen Ländern und den britischen Inseln. Ich brauche 
nur daran zu erinnern, welche Bedeutung die Dänen und Norweger 
für das Aufblühen des Städtewesens, des Handels und der Schif- 
fahrt gehabt haben. Städte, wie Grimsby (an. Grimsbÿr) und das 
jetzt nicht mehr existierende Ravenser (an. Rafnseyrr), beide 
an der Mündung der Humber, sind von ihnen gegründet. 
Andere, wie Whitby (an. Hvitabyr) in Yorkshire und Derby 
(an. Dyrabyr), haben ihre angelsächsischen Namen mit neuen 
nordischen vertauscht. Erst nachdem die Wikinger in der zwei- 
ten Hälfte des 9. Jahrhunderts Northumberland erobert hatten, 
wurde York, wie in der Römerzeit, wieder eine volkreiche und 
blühende Stadt. Die römischen Mauern wurden erneuert und 
ein neues Kastell gebaut, das freilich schon aın Ende der 920er 
Jahre von König Ethelstan niedergerissen wurde. Nach der zu 
Anfang des 12. Jahrhunderts verfaßten Vita S. Oswaldi soll die 
Stadt im 10. Jahrhundert nicht weniger als 30000 Einwohner 
gehabt haben. Diese Zahl ist freilich übertrieben. Noch zur 
Zeit Williams des Eroberers (um 1085) war doch York eine be- 
deutende Stadt, und ihre Bedeutung muß, wie wir aus dem 
„Domesday Book“ ersehen können, früher eine größere gewesen 
sein. Es waren in der Stadt im ganzen 1247 bewohnte Häuser. 
Zur Zeit Edwards des Confessors muß die Zahl eine größere gewesen 
sein. Denn die Häuser der einen von den sieben sceyrae (engl 
Shire), in welche die Stadt eingeteilt war, waren später nieder- 
gerissen, um für neue Burganlagen Platz zu geben. Um die 
Mitte des 11. Jahrhunderts muß York mindesten 1400 bewohnte 
Häuser gehabt haben. Rechnen wir für jedes Haus fünf Eir- 
wohner, so muß die Einwohnerzahl ungefähr 7000 betragen 
haben'). Möglicherweise ist die Einwohnerzahl eine noch größere 
gewesen; denn es sind vielleicht viele Hütten der Armen nicht 
mitgerechnet. Auch Lincoln, Derby, Nottingham, Stamford und 


1) Domesday, I, f. 298a: In Eboraco civitate Tempore Regis Edward 
practer scyram archiepiscopi fuerunt VI scyrae. Vna ex his est uastets ia 
castellis. In quinque fuerunt Mille & quadraginta & XVIII mansione 
habitatae. 

In scyra archiepiscopi fuerunt T. R. E. hospitatae ducentae mansione 
undecim minus. 


Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 257 


Leicester, die sogenannten „fünf Burgen“, und Chester, welche 
alle früher unter der Herrschaft der Dänen und Norweger ge- 
standen hatten, gehörten noch zur Zeit Williams des Eroberers 
zu den blühendsten Städten Englands und hatten eine eigen- 
tümliche Selbstverwaltung. 

Alle diese ehemals nordischen Städte hatten im 11. Jahr- 
hundert eine eigentümliche, aus nordischen Verhältnissen ent- 
wickelte Selbstverwaltung, an deren Spitze in jeder Stadt zwölf 
lagmanni oder iudices standen. Das Wort lagmann ent- 
spricht an. logmadr. Die englischen lagmanni waren jedoch 
nicht, wie die späteren norwegischen und die schwedischen „Lag- 
männer“, vom Volke oder vom König eingesetzte Richter und 
Leiter der Volksversammlungen. Sie waren vielmehr Mitglieder 
der Iogrétta (so wurde bei den nordischen Thingversammlungen 
der engere Ausschuß genannt, der alle Sachen vorbereitete und 
in der Wirklichkeit auch entschied, ehe sie dem Volke vorge- 
bracht wurden). Ursprünglich gab es in England lagmanni 
suwohl auf dem Lande wie in den Städten. Über ihre Wirk- 
samkeit heißt es in „Leges Edwardi Confessoris“ (Gesetze der 
Angelsachsen, hg. v. LIEBERMANN, I., S. 669): „Quodsialiquis 
emerit, quod stulte emit perdat; et forisfacturam! 
Et postea inquiret iusticia per lagemannos et per 
meliores homines de burgo uel de hundredo uel uilla, 
ubi emptor ipse manserit, de quali vita ipse est, et 
si antea audierunt eum calumpniari de exlegalitate“. 
Allmäblich wurden aber die lagmanni eine ausschließlich 
städtische Obrigkeit; sie saßen nicht nur im Hundertgericht der 
Stadt, sondern leiteten auch die Verwaltung. Das Amt, das 
schon zur Zeit des „Domesday Book“ erblich geworden war und 
dessen Inhaber zu den höchsten Spitzen der Gesellschaft gerech- 
net wurden, existierte noch am Ende des 13. Jahrhunderts in 
Stamford. Das Amt der lagmanni hat sich wohl in derselben 
Weise wie das der Schöffen (scabini) entwickelt‘). 


1) Über die lagmanni vgl. Domesday Book, (unter Chester, Cambridge 
u. a. m.); I. STEENSTRUP, Normannerne IV; A. BUGGE, Vikingerne I, und II. 
Über lagmanni in Stamford vgl. Rotuli Hundredorum; MaAtTI.AND, Domes- 
day and Beyond. 


258 Alexander Bugge 


Das Geldsystem war in diesen Städten, wie wir aus dem 
„Domesday Book“ ersehen können, noch am Ende des 11. Jabr- 
hunderts überall das nordische. Die höchste Werteinheit war die 
Mark (an mork, lat. marca), die von England aus auf dem 
Festlande Eingang fand. Auch die speziell nordische halbe Mark 
kommt als Werteinheit in angelsächsischen Urkunden vielfach 
vor. Eine kleinere Werteinheit ist die ora (=an.eyrir, ‘/s mork). 
Nach marca und ora wurde nach dem Domesday Book in York. 
ın den „fünf Burgen“ und in Chester gerechnet. 

Überall in den vormals nordischen Städten blühte im 11. Jahr- 
hundert der Handel, besonders mit den nordischen Ländern und 
mit den nordischen Niederlassungen in Irland. Nach der früher 
erwähnten Vita S. Oswaldi war York am Ende des 10. Jahr- 
hunderts „unglaublich voll von Waren, die Kaufleuten gehörten, 
die von allen Seiten, aber besonders von den nordischen Völkern 
kamen“ '). Ein anderer Geschichtschreiber des 12. Jahrhunderts, 
der 1144 gestorbene WILLIAM VON MALMESBURY, spricht auch vou 
dem Handel Yorks und sagt, daß die Stadt von Schiffen aus 
Deutschland und Irland (d. h. aus den nordischen Städten Ir- 
lands, Dublin und Waterford) besucht wird”). Eine bedeutende 
Handelsstadt an der Ostküste Englands war auch Grimsby, das 
im Anfange des 12. Jahrhunderts besondere von Schiffen aus 
Norwegen, den Orkneyinseln, Schottland und den Hebriden be 
sucht wurde’). Schon zur Zeit Heinrichs I. (1100—1135) wird 
der Handel der Norweger auf Grimsby in Urkunden erwähnt‘). 


1) Vita S. OswAunı 454 (vgl. STEENSTRUP, Normannerne III, 184): Est 
civitas Eboraca metropolis totius gentis Northamhimbrorum ... quae tamen 
gaudet de multitudine populorum, non minus virorum ac mulieräm, exceptis 
parvulis et pubetinis, quam triginta millia cadem civitate numerati sunt; 
quae in credibiliter est repleta, et mercatorum gazis locupletata, qui undique 
adveniunt, maxime ex Danorum gente. Dani ist hier wie gewöhnlich m 
der alten Literatur Englands ein Gesamtname der skandinavischen Völker; 
vgl., daß die alten Norweger und Isländer ihre Sprache donsk tunga „dänische 
Zunge“ nannten. 

2) Gesta Pontificum 8 99 (Prologus libri III): Eboracum . . . includit medio 
sinu sui naves a (rermania et Hibernia venientes. 

3) Vgl. das isländische Flateyarbök II, S. 440 (Orkneyinga bâttr). 

4) Die aus der Zeit Heinrichs II. stammende Urkunde, woraus wir dies 
ersehen können, ist bei Gross, The Gild Merchant II, 377, gedruckt und 


Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 259 


Die bedeutendste Handelsstadt an der Westküste von England 
war im 11. Jahrhundert unbestreitbar Chester an der Dee. Der 
Verkehr zwischen dieser Stadt und den noch von den Nachkom- 
men der Wikinger beherrschten Städten Irlands war besonders 
lebhaft. So sagt z. B. WILLIAM von MALMESBURY (Gesta Ponti- 
ficum $ 172): Transmittitur a Cestra Hiberniam reve- 
hunturque civitati necessaria, ut quod minusnatura 
soli habet labor negotiantium apportet. Aus dem 
„Domesday Book“ ersehen wir, daß der Pelzhandel für Chester 
eine sehr große Bedeutung hatte. Die Stadt bezahlte zur Zeit 
Edward des Confessors eine jährliche Abgabe von Marderfellen 
an den König (Civitas de Cestre ... Hæc civitas tune 
reddebat de firma XLV libras II timbres pellium 
martrinium). Für den Pelzhandel gab es in Chester genaue 
Bestimmungen: Wenn ein Schiff Marderfelle in die Stadt führte, 
durfte der Eigentümer sie nicht verkaufen, bevor er sie dem 
Vogte des Königs gezeigt hatte (Si habentes matrinas pelles 
juberet prepositus regis ut nulli venderent donec 
sibe prius ostensas compararet!). Der König hatte also, 
wie der norwegische König in gleichen Fällen, das Vorkaufsrecht. 
Da Chester an der Westküste von England liegt, ist es nicht 
wahrscheinlich, daß der Pelzhandel nach dieser Stadt durch Dänen, 
Gotländer oder Deutsche getrieben wurde. Es liegt näher, an 
die Norweger zu denken, unter deren Herrschaft Man, die Hebriden 
und die Orkneyinseln standen. Wir wissen auch sonst, daß die 
Norweger im 11. Jahrhundert nach der Westküste Englands Han- 
del trieben. So bezahlte z. B. die Stadt Worcester jährlich an 
den König einen norwegischen Falken (In civitate Wirecestre 

. et adhuc redelebat X libras denariorum de XX 


lautet: „Henricus [II] Rex Anglie et Dux Normannie et Aquitanie et Comes 
Andegauie omnibus Norrensibus qui veniunt ad portum de Grymesby vel ad 
alios portus meos de Lincolscire salutem. Precipio quod faciatis Prepositis 
meis Lincolnie omnes rectitudines et consuetudines quas solebatis facere 
tempore regis Henrici aui mei, Prepositis Lincolnie; et prohibeo ne quis 
vestrum detineat eis theoloneum vel aliam consuetudinem iniuste superdicem 
librarum foris facturam. Teste W. filio Johannis, apud Wirec. (Record Office, 
Confirmation Roll, 2 Rich. 3, pars 2. mem. 8.) 


1) Domesday Book I, fol. 262b. 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 18 


260 Alexander Bugge 


in ora aut accipitrem norrescem)!). Norwegische (und 

isländische) Falken wurden überhaupt im 12. und 13. Jahrhundert 

vielfach nach England eingeführt und werden immer in den 

königlichen Rechnungen (Pipe Rolls) aus dieser Zeit erwähnt?) 

Die norwegischen Falkenhändler sind wahrscheinlich nicht selbst 
direkt nach Worcester gekommen, sondern mit ihren Schiffen 
nach dem nicht weit entfernten Bristol gesegelt. Denn Bristol 
wurde im Anfang des 12. Jahrhunderts von norwegischen Schiffen 
häufig besucht. Die größte Bedeutung für Bristol hatte überhaupt 
der Verkehr mit Norwegen und mit den nordischen Städten in 
Irland. So sagt z. B. WILLIAM von MALMESBURY: In eadem 
eivitate est vicus celeberrimus, Bristou nomine, in 
quo est portus navium ab Hibernia et Noruegia et 
ceteris transmarinis terris venientium?). 

Eine Reihe nordischer Ortsnamen am Bristolkanal zeugen noch 
von dem Handel und der Schiffahrt nordischer Völker, Namen wie 
Bardsey (an. Bärdsey, eine Insel in der Nähe von der Südspitse 
von Wales), Tenby'), Uxwich (an. Uxavik), Flatholm (an. Flat- 
holm), Graßholm, Steepholm u. a. m. Daß wirklich in mehreren 
Städten am Bristolkanal im Mittelalter Leute, und zwar Kauf- 
leute, von nordischer Abstammung lebten, können wir aus alten 
Urkunden ersehen. Nachdem die Engländer 1170 und 1171 
Dublin erobert hatten, bekam diese Stadt eine zum größten Teil 
neue Bevölkerung. Diese stammte, wie die Eroberer selbt, meistens 
aus den englischen Niederlassungen in Südwales. Die Name 
dieser Neubürger von Dublin sind noch bewahrt und zeiges 
eben aus den oben erwähnten walisischen Städten viele nordisebe 
Namen’). Aus Cardiff (de Cardif, de Kardif) waren die 


1) Domesday Book I, fol. 172a. 

2) Vel. Rotuli Chartarum, hg. v. Hırvy, L Pars 1, S. 106 (ao. 1209): 
König Johann gibt Brianus de Therefeld ein Lehen gegen unum austurcum 
Norensem jährlich. 

3) Gesta Pontificum L. IV ($ 154). Unter Noruegia sind wohl auch 
die norwegischen Besitzungen auf den britischen Inseln, d. h. die Insel Man, 
die Hebriden und die Orkney- und Shetlandinseln, mit einbegriffen. 

4) In Tenlıy, dem Namen einer kleinen Stadt an der Südküste von Wales 
ist die Endung -by nordisch (= an. bÿr „Gehöft, Stadt“). 

5) Die folgenden Namen finden sich alle in Chartulary of S. Mary (Berum 


Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 961 


folgenden gebürtig: Torkail (an. Porkell), Swein (an. Sveinn), 
Juor (an. Ivarr), Salmund (an. Salmundr), Robertus filius 
Sewardi (an. Sigurdr?), Robertus filius Turkildi (an. porkell), 
Johannes Ithun (an. Jotunn?), Steiner (an. Steinarr). Aus 
Swansea (de Sweinesea) waren: Godapridus (an. Gudfrodr) 
und Ricardus filius Sigari (an. Sigarr). Aus Haverfordwest 
(de Hauerford) waren: Fin (an. Finnr), Thurgot (an. bor- 
gautr), Johannes Anfin (an. Arnfinnr) Aus Cardigan (de 
Cardigan) stammte Sewale (an. Sigvaldi oder Sævaldi). 
In Bristol, einer Stadt, die doch nie unter der Herrschaft der 
Wikinger stand, muß es auch eine nordische Kolonie gegeben 
haben, ganz wie man heutzutage in allen englischen Großstädten 
Kolonien von Deutschen findet. Um 1200 waren die folgenden 
Dubliner Neubürger aus Bristol (de Bristollo, de Bristowe) 
gebürtig: Thurstinus (an. porsteinn) palmer, Ulf (an. Ulfr), 
Johannes filius Thurstani draper (an. borsteinn), Willielmus 
blundus (an. blundr, ein gewöhnlicher Beiname), Johannes 
Wethfoten (an. vidfötrinn „Holzfuß“, d. h. „Stelzfuß“, aus 
vidr „Holz“)'), Johannes Norensis (d. h. J. der Norweger) und 
Hamundus (an. Hämundr). 

An wichtigsten war jedoch die nordische Schiffahrt nach Lon- 
don, der seit alters größten Handelsstadt Englands. Über den 
Handel der skandinavischen Völker nach dieser Stadt im 9. und 
10. Jahrhundert wissen wir leider nichts Genaueres. Die isländischen 
Sagas erwähnen nur gelegentlich, daß Norweger und Isländer 
London besuchten. Erst aus dem 11. und 12.- Jahrhundert be- 
sitzen wir genauere Nachrichten. Schon um das Jahr 1040 
hatten die dänischen Kaufleute und Seeleute, die London be- 
suchten, ihre eigene Kirche und wahrscheinlich im Zusammen- 
hang damit auch eine Kaufmannsgilde Ganz in der Mitte von 
London, am Übergang zwischen dem Strand und Fleet, liegt eine 


Britannicarum medii aevi script.) 1, S. 141, 160, und in Historical and 
Municipal Documents of Ireland (Rer. Brit. script.), S. 5, 7, 10, 11, 12, 20, 
25, 33, 38, 41, 42, 46, 139. 

1) In der Sagazeit trugen mehrere Leute, die Stelzfuß hatten, den gleich- 
bedeutenden Namen tr&fötr ,HolzfuB“, aus tré „Baum, Holz“ und fötr 
„Fuß“. 


269 Alexander Bugge 


Kirche, die den Namen St. Clemens Danes führt. Diese 
Kirche, in lateinischen Urkunden Ecelesia Sancti Clementis 
Danorum genannt’), wird 1040 zum erstenmal erwähnt, als der 
Sohn Knuts des Großen, König Harald mit dem Zunamen Harafod 
(„Hasenfuß“), hier seine letzte Ruhe fand. Der heilige Clemens. 
dem diese Kirche geweiht war, war der Schutzheilige der See- 
fahrer und Kaufleute und hatte auch in dänischen und nor- 
wegischen Hafenstädten Kirchen, die ihm geweiht waren. Wir 
dürfen daraus schließen, daß die St. Clemens-Kirche vorzugsweise 
eine Kirche für dänische und andere nordische Kaufleute, die 
London besuchten, gewesen ist?).. Weniger bekannt ist es, daß 
die Dänen in London eine Gildehalle hatten, die später von den 
Kölnern gekauft wurde. Die Kölner besaßen, wie bekannt, in 
London ein ,Gildehalle“ (gildhalla) genanntes Haus, das zum 
erstenmal 1157 genannt wird. In diesem Jahre nahm König 
Heinrich IT. die Kölner und deren Haus in London in seinen 
Schutz und versprach ihnen, keine neue Abgabe aufzuerlegen 
„nequede domo suaLondonensi (gildhalla sua) neque 
de rebus neque de mercaturis suis aut aliquibus 
aliis ad eos spectantibus“?°). 

Über die Gildehalle der Kölner heißt es in einer Londoner 
Aufzeichnung aus der zweiten Hälfte der 13. Jahrhunderts: De 
la ferme des Coloniens, cestassavoir de la saille des 
Deneis, est pris par an XL souls‘) Die Gildehalle der 
Kölner wurde also la saille des Deneis „die Halle (s. die 
tildehalle) der Dänen“ genannt. Dies ist wohl dahin zu verstehen, 
daß die dänischen Kaufleute in London früher ihre Gilde und 


1) Rotuli Chartarum I, Pars 1, S. 3 (ao. 1199): Ecclesiam Sci. 
Clementis que dieiturDanorum extra civitatem London ilusem. 

2) Vgl. WORSAAE, Minder om de Danske og Nordmaendene i England, 
Skotland og Irland, S. 38 f. 

3) Hans. Urkb. I, Nr. 14, vgl. Nr. 40. 

4) Das Wort Gildhalla wurde gewöhnlich nur von den Engländern, 
nicht von den Deutschen benutzt. In der ältesten Kopie von der Urkunde 
von 1157 (aus 1326) fehlen nach: de domo sua Londonensi die zwei 
Worte gildhalla sua. Über Gildhalla ist in einer Abschrift aus dem 
15. Jahrhundert zugefügt: scilicet dat is de halle. 

Liber Albus I, S. 229 (in Munimenta Gildhallae Londoniensis, hg. v. Ru.EY). 


Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 963 


ihre eigene Gildehalle in London hatten. Seit dem Aufhören 
der Dänenherrschaft in England ging aber der dänische Handel 
nach London mehr und mehr zurück; daher haben (im Anfang 
des 11. Jahrhunderts) die Dänen ihr Haus an die Kölner ver- 
kauft, ganz wie der hanseatische Stahlhof in London um die 
Mitte des 19. Jahrhunderts verkauft wurde. Die Dänen genossen 
(wohl seit der Zeit der Dänenherrschaft) in London verschiedene 
Vorrechte. ‘Es heißt hierüber in einer Aufzeichnung aus dem 
Anfang des 13. Jahrhunderts: Botsate Danorum. Ly Daneis 
ount Botsate; ceo est a savoir, sojour lut lan; mes il 
ount la lei de la citee de Londres, de aler par tuten 
Engletere, a foire et a marche?). Die Dänen durften 
sich also das ganze Jahr hindurch in London aufhalten und ge- 
nossen das Recht der Londoner, alle auswärtigen Märkte und 
Messen zu besuchen. Das Wort botsate ist nordisch (= isländ. 
budseta, d. h. Aufenthalt in einer Bude oder in einem Kauf- 
mannshaus) ?). 

Die Dänen, die so große Vorrechte in London genossen, hatten 
ihrerseits auch einige Verpflichtungen: sie sollten das Bischofs- 
tor (Bishopesgate), das wichtige Tor, wodurch der Verkehr 
von Norden her in die Stadt geleitet wurde, erhalten und daselbst 
Wache halten. Als aber der dänische Handel nach London mehr 
und mehr aufhörte, kam es dahin, daß die Dänen ihre Ver- 
pflichtungen nicht mehr beobachteten. Die Deutschen (oder wohl 
ursprünglich die Kölner) mußten die Verpflichtungen der Dänen 
übernehmen; sie unterließen es aber auch, das Bischofstor zu 
erhalten. Über das Verhältnis der Deutschen zu dem Bischofstor 
heißt es im Jahre 1275 in einer Aussage von Geschworenen: 
„Item jurati dicunt, quod Teutonici sunt liberi in 
civitate sicut et cives eorum pro porta, que vocatur 
Bissopesgate, quam sumptibus ipsi eorum in bono 
statu et competenti sustentari deberent, et nichil 
faciunt ad maximum dampnum et dedecus domini 
regis et eivitatis. Item dieunt, quod Teutonici non 


1) Liber Custumarum 1, S. 63 (in Munimenta Gildhallae Londoniensis). 
2) Vgl. STEENSTRUP, Normannerne IV, 380. 


964 Alexander Bugge 


sustinent portam, que vocatur Bisshopesgate, quam 
bene sustentare deberent, pro qua liberi sunt in 
civitate ad grave dampnum civitatis. Item porta de 
Bisshopesgate, quam gentes Danorum antiquitus 
solebant sustinere et debebant pro libertate, quam 
habebantincivitateLondoniensi, nunc per defectum 
ipsorum velpotius ballivorum eivitatis fere corruitur 
ad terram ad magnum periculum civitatis. 

Es ging aber, wie wir schon gehört haben, mit dem Handel 
der Dänen allmählich zurück. Noch im Anfange des 13. Jabr- 
hunderts segelten jedoch einige dänische Schiffe nach England. 
Dänische Kaufleute und dänische Schiffe in England werden in 
Urkunden aus den Jahren 1207, 1208, 1215, 1220, 1224 und 
1226 erwähnt”). Die großen dänischen Pferde, die noch jetzt 
rühmlichst bekannt sind und aus Jütland vielfach ausgeführt 
werden, wurden schon 1226 nach England eingeführt. Es heißt 
in einer Urkunde aus diesem Jahre (Rotuli litterarum clausaram II. 
S. 133): Rex Vicecomiti Norf. salutem. Precipimustibi 
quod de equis qui venerunt apud Jernemutam et 
Ludingeland deterra Regis Dacie venales: emi faciar 
ad opus nostrum V. vel sex palefrenos de melioribus 
ad opus nostrum. 

Wie wir gehört haben, unterhielt Ripen in Jütland schon zur 
Zeit ADams von BREMEN mit England einen lebhaften Verkehr. 
Diese Stadt schickte noch im 13. Jahrhundert die meisten dänischen 
Schiffe nach England. König Johann nahm 1208 Nikolanr 
Marinellus, Burger aus Ripen, in seinen Schutz?). Ein anderer 


1) Rotuli litterarum patentium I, 5.83 b, 85; Rotuli litterarum clausarum l, 
S. 190, 198, 419; II, S. 81, 600b, 617b. 

2) Rotuli litterarum patentium 1, pars 1, S. 85 [A. D. 1208]: Rex omni- 
bus etc. Sciatis quod suscepimus in custodia et protectione nostra Nicolaum 
Marinellum civem Ripensem et navem suam et omnes res et mercandisa: 
suas. Et ideo vobis mandamus et firmiter precipimus quod ipsum Nicolaum 
et navem suam et omnes res et mercandisas suas defendatis et custodiatir 
et non faciatis vel fieri permittatis ei vel suis molestiaın aliquam vel gravamen. 
Volumus et precipimus quod idem Nicolaus possit salvo et sine inpedimento 
ire per totam terram nostram et redire cum rebus et mercandisis suis et 
negociari, inde faciendo rectar et debitas consuetudines quamdiu nos et Rex 


Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 265 


Kaufmann aus Ripen, der um dieselbe Zeit lebte, war Riche- 
winus de Rippa, mercator de Denemarch (Rotuli litt. 
claus. I, S. 613). Um 1300 war Ripen wohl die einzige dänische 
Stadt, die noch Schiffe nach England schickte. In den Jahren 
1303—1323 wurde King’s Lynn von 6 Schiffen aus Ripen be- 
sucht. Der Handel von Ripen kam aber mehr und mehr in die 
Hände von Deutschen und Niederländern. Kaufleute, wie Pape 
de Ripe und Maynkyn ffan Rypen, waren aus Geburt keine 
Dänen. Dagegen tragen Osgen de Ripe, Falco de Ripe 
und Reynerus de Ripe dänische Namen). 

Wie die Dänen unterhielten auch die Norweger mit London 
einen lebhaften Verkehr und genossen daselbst wichtige Vor- 
rechte. Im Liber Custumarum, wo die Rechtsgewohnheiten Lon- 


Denemarchie fuerimus amici. Et in huius rei testimonium has litteras nu. p. 
ei iu fec. Teste me ipso apud Wudestok. VI die Julii anno regni nostri X°. 

1) Public Record Office, London; Custom Rolls, King’s Lynn: 

1303, 8 Juni: De Petro de Ripe pro heydukes et wadmol valoris 521,: £ 
in naui que vocatur Crilannd — Inde custuma — 1853. 

De Osgen de Ripe pro cinerihus et wadmol val. 24 £ in eadem naui 
-- eust. — 65. 

De Pape de Ripe pro pice et wadmol val. 40s. in eadem naui 
cust. — 6 d. 

De predicto Petro pro bladis et aliis marcandisis val. 38 £ exeundo in 
eadem naui — cust. — 98. 6 d. 

Le predicto Osgen pro plumbo blado et aliis marcandisis val. 28 £ in 
eadem naui — cust. — 68. 1 d. ob. 

1305, 29 August: De Falcone de Ripe pro veteribus pannis val. 608. 
intrando apud Blakeneye in naui que vocatur Wilfaire — cust. — 7 d. o. 

1306, 23 Mai: De Nicholao de Ripe pro siligine val. 14 £ intrando apud 
Blakeneye et pro sagmine val. 37s. in naui scilicet Lithfot — cust. — 3». 
2 d. o. 9. 

1306, 2 December: De Reynero de Ripe exeundo in Naui que vocatur 


XX 


......... 


valoris 168. — Inde cust. — 78. 3d. 
1323, 11 Mai: Nauis Maynkyn de Rypen intrauit xi di Maij. 
Idem Maynkyn pro 14 lastis allecis val. 25 £ — 6s. 3d. 
Idem Maynkyn pro 20 quarteriis ordei val. 4 £ — 12d. 
Idem Maynkyn pro 6 barellis siliginis val. 208. — 3 d. 
1323, 12 mai: Nauis Maynkyn ffan Rypen exiuit xij die Maij. 
Idem Maynkyn pro 30 libris sterlingorum — 7s. 6d. 


266 Alexander Bugge 


dons im 13. Jahrhundert aufgezeichnet sind, heißt es (I, S. 63) 
gerade nach dem Stück „Botsate Danorum“ über die Frei- 
heiten der Norweger: „Botsate Norwegiorum. Ly Noreis 
ount Botsate; ceo est asavoir, sejour tut lan; mes 
ceo devez savoir, qe dehors la cite ne poent aler en 
nul lieu pur marche faire“ Die Norweger durften sich 
also wie die Dänen das ganze Jahr hindurch in London auf- 
halten; sie genossen aber nicht das Recht der Londoner, andere 
Märkte zu besuchen. Während der dänische Handel schon früh 
seine Bedeutung verlor, segelten noch im Anfange des 14. Jahr- 
hunderts jedes Jahr viele norwegische Schiffe nach den Hafen- 
städten an der Ostküste Englands. Vom 5. Februar 1303 bis 
19. Mai 1304 wurden z. B. Lynn und naheliegende Städte von 
30 norwegischen Schiffen besucht!),. Im Laufe des Jahrhunderts 
wurden die Norweger gänzlich von den Hanseaten verdrängt. 
Das hanseatische Kontor in Bergen unterhielt aber fortwährend 
einen sehr bedeutenden Handel mit England, besonders mit Boston 
und Lynn. 

Von großer Bedeutung war schon früh der Handel der Got- 
länder nach England. Es ist möglich, daß die Goten oder „Gutar“, 
wie sie sich selbst nennen, schon im 7. und 8. Jahrhundert einen 
Verkehr mit den britischen Inseln unterhielten. Man hat nämlich 
in Gotland mehrere Steine gefunden, die aus dieser Zeit stammen 
und mit merkwürdigen Ornamenten geschmückt sind. Wir sehen 
auf diesen Bildsteinen Sonnenräder, Spiralen und andere Orna- 
mente, die mit den Ornamenten auf schottischen Bildsteinen aus 
den ersten Jahrhunderten des Mittelalters eine merkwürdige Ähn- 
lichkeit zeigen. Die vielen gotländischen Bildsteine aus dem 10. 
und 11. Jahrhundert zeugen bestimmt davon, daß die angel- 
sächsische und irische Kunst einen großen Einfluß auf die got- 
ländische geübt haben. Dies können wir aber nur dadurch er- 
klären, daß die Gotländer mit Irland und England friedliche 
Beziehungen unterhalten haben. Dazu kommt, daß man in Gotland 


1) Public Record Office, Exchequer Q. R. Customs N. W. 1889. Ve. 
A. BUGGE, Studier over de norske Byers Handel og Selvstyre, S. 200 ff, 
wo ein Auszug aus den „Custom Rolls“ gedruckt ist. 


Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 267 


ınehr als 14000 angelsächsische und irische Münzen gefunden hat, 
die Hälfte dessen, was man im ganzen skandinavischen Norden 
gefunden hat!). Daß das britische Gold meistens durch Handel 
und nicht durch Kriegszüge nach Gotland gelangt ist, kann wohl 
kaum bezweifelt werden. Die gotländischen Runeninschriften 
erwähnen überhaupt sehr selten Wikingerfahrten der Goten. 
Wisby war im 10. und 11. Jahrhundert noch ein unbedeuten- 
der Ort und wurde zuerst durch die sich dort niederlassenden 
Deutschen eine wirkliche Stadt. Die gotischen Kaufleute, die 
Nowgorod und England besuchten, wohnten alle auf dem Lande 
und waren Bauern. Nachdem Wisby emporwuchs und ein be- 
deutendes Handelszentrum wurde, ging es, wie bekannt, mit dem 
Handel der einheimischen Goten allmählich zurück. Wir müssen 
dies aber nicht so verstehen, als ob die Deutschen sich des ganzen 
gotländischen Handels bemächtigt hätten. Sowohl im 13. als im 
14. Jahrhundert begegnen wir im Ausland vielen bedeutenden 
sotländischen Kaufleuten, die echt nordische Namen tragen und 
möglicherweise gar nicht Mitglieder des Hansebundes waren. 
Besonders lehrreich ist es, zu verfolgen, wie der Handel der 
Goten nach England auch nach der Wikingerzeit fortgesetzt wurde. 
Die Gotländer besaßen, wie es scheint, ebenso früh wie die 
Dänen und die Norweger in London wichtige Handelsprivilegien. 
In einem von einem Londoner (um 1200?) verfaßten Zusatz zu 
den sogenannten „Leges Edwardi Confessoris“ heißt es: 
„Guti vero similiter cum veniunt, suscipi debent et 
protegi in regno isto sicut coniurati fratres nostri 
et sicut propinqui et proprii ciues regni nostri: 
exierunt enim quondam de nobili sanguine Anglorum“?). 
Der gelehrte Herausgeber, Professor Liebermann, versteht unter 
Guti „Jüten als Vertreter der Dänen, die im 12. Jahrhundert 
Londonern gleich standen“. Ich finde diese Vermutung nicht wahr- 
scheinlich. Denn warum sollte der Schreiber Jüten anstatt Dänen 
schreiben? Und zweitens bedeutet ja das Wort Guti sprachlich 


1) Man hat in Norwegen, Schweden und Dänemark zusammen 30063 
angels. Münzen gefunden; HAUBERG, Myntforhold i Danmark. 
2) Gesetze der Angelsachsen, hg. v. LIEBERMANN I], S. 658. 


268 Alexander Bugge 


nicht Dänen, sondern Goten oder Gotländer (Gutar), Nact— 
meiner Ansicht müssen wir unter Guti die eingeborenen got— 
ländischen Kaufleute, die London besuchten, verstehen. Die 
deutschen Kaufleute Gotlands können im 12. Jahrhundert noct— 
keine Vorrechte in England gehabt haben. 

Noch im 13. Jahrhundert waren es vorzugsweise die Goten selbst „ 
die mit England in Verbindung standen. König Heinrich III. vorm 
England gestattete 1235 Peter Galve, Botulf Byrkin, Sigfried un? 
Jakob de Albo, Kaufleuten aus Gotland, und ihren Genossen den 
Handel in England auf drei Jahre). Von den hier genannten vier 
Kaufleuten tragen jedenfalls Botulf Byrkin und Sigfried Bonde 
entschieden nordische Namen; die zwei anderen Namen können 
sowohl nordisch wie deutsch sein. Zwei Jahre später (1237) 
verlieh König Heinrich allen Kaufleuten von Gotland (omnibu: 
mercatoribus de Guthlandia) Zoll- und Abgabenfreiheit in 
England?). Ich glaube, daß wir unter diesen mercatores de 
Guthlandia nicht nur die deutschen Kaufleute Wisbys, sondern 
überhaupt alle gotländischen Kaufleute verstehen müssen. In 
demselben Jahre (1237) werden noch zwei Kaufleute von Got- 
land (de Gutland) erwähnt; der eine ist der obengenannte 
Botulf Byrkin, der andere ist ein Deutscher namens Gerhard. 

Der gotländische Handel auf England muß ganz bedeutend 
gewesen sein. Allein in den Jahren 1237, 1242, 1244, 1248. 
1255 kaufte König Heinrich III. von England für 1216 Pfund 
Sterling Pelzwerk und Wachs von gotländischen Kaufleuten °). 

Noch im Anfange des 14. Jahrhunderts standen viele ein- 
gchorene Goten mit England in Verbindung. Von Kaufleuten, 
die 1304—1305 dem König von England Grauwerk verkauft 
hatten, waren die folgenden aus Gotland: Augustinus, Es- 
waldus, Nicholaus, Finder und Olavus*) Von diesen 
tragen Finder (= an. Finn) und Olavus (= an. Ölatr) entschie- 
den nordische Namen. Finder hat jedenfalls Gutnisch gesprochen ; 
denn sein Name hat die altnordische Nominativendung-r. Die 


1) Hans. Urkb. I, \r. 270. 

2) Hans. Urkb. I, Nr. 281. 

3) Hans. Urkb. I, Nr. 283, 322, 333, 359, 176. 
4) Hanseakten aus England, Nr. 32. 


Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 269 


Namen Nicholaus (=an. Nikoläs) und Augustinus (=an. Eysteinn) 
wurden auch in Schweden und Norwegen getragen. Nur Es- 
waldus und Bodekinus sind deutsche Namen. Die hier genann- 
ten Kaufleute besuchten die Märkte in London und St. Bothulfs 
(Boston). Andere Kaufleute aus Gotland segelten in den Jahren 
1303—1307 nach King’s Lynn, Kingston-upon-Hull und andereu 
Städten an der Ostküste Englands. Von diesen tragen mehr als 
die Hälfte nordische Namen '). Ein gotländischer Kaufmann hat 
sich besonders hervorgetan, nämlich Sigleif oder Selef (Siglavus) 
Susse?). Er hatte sein Hauptgeschäft in Lynn, stand aber mit 
Gotland und mit Bergen in Norwegen in lebhafter Verbindung. 
Zuletzt wurde er „Kaufmann des Königs und Bürger in Lynn“. 
Ja, er wurde sogar im Jahre 1316 als Gesandter des Königs 
von England nach Norwegen geschickt’). Sigleif Susse wird 
in den ältesten Urkunden, wo sein Name vorkommt, mercator 
de Gutlandia genannt. Er war aber nicht, wie die deutschen 
Kaufleute in Wisby, Mitglied des hansischen Bundes. Er hatte 
nämlich vor englischen Gerichten einen langjährigen Prozeß mit 
zwei deutschen Kaufleuten, Hildebrand von Neuhofen (de Noua 
Curia) und Hildebrand Sundermann, wegen etwas Kupfer, das 
norwegische Räuber (depredatores de Norwagia) im Jahre 1307 
aus der Gildehalle der Deutschen in London gestohlen hatten. 
In den Urkunden, die diese Sache angehen, wird Sigleif Susse 
immer mercator de Gutlandia genannt. Die zwei deutschen 
Kaufleute waren dagegen „de societate illorum mercato- 
rum de Allemannia qui habent domum in eiuitate 
nostra Londoniensi que Gildhalle (!) Teutonicorum 
vulgariter nuncupatur“*). 


1) A. BUGGr, Gotlændingernes Handel paa England og Norge (Norsk 
Historisk Tidsskrift 3 R. B. V) S. 19 ff. 

2) Selef ist ein echt gotischer Name, = an. Sigleifr. 

3) Patent Rolls, anno 9 Edward II. Er wird hier Siglawus Sussi 
genannt. 

4) Record Office London, Custom Rolls, Nr. 129, anno 25 Edward I. 
Calendar of Close Rolls, Edward II, 1307---1318, S. 651, 569. Ancient Petitions, 
Nr. 3662. 


970 Alexander Bugge 


Die Gotländer, die von alters her England besuchten, ge- 
nossen, wie wir gesehen haben, schon im 12. Jahrhundert Vor- 
rechte, wenn sie nach England kamen. Sie brauchten also nicht 
Mitglieder des hansischen Bundes zu sein und waren es, wie es 
scheint, auch nicht. Meiner Ansicht nach hat der hanseatische 
Bund nie die ganze Insel Gotland, sondern nur die Stadt Wisby, 
ja vielleicht sogar nur die daselbst wohnenden Deutschen in sich 
geschlossen. 

Auch aus der Sprache können wir die Bedeutung des Handels 
zwischen England und den skandinavischen Ländern ersehen. 
Das englische Wort für „Seide“ silk (angelsächsisch seole, seoloe) 
scheint aus dem altnordischen silki entlehnt zu sein. Dieses 
Wort steht, wie man annimmt, seinerseits mit dem gleichbeden- 
tenden kirchenslawischen 3elku in Verbindung, welches letztere 
Wort wieder aus dem mongolischen sirgek „Seide“ hergeleitet 
ist. Wir können durch dieses Wort den Weg der orientalischen 
Seidenstoffe aus Zentralasien durch Rußland und weiter über 
den skandinavischen Norden nach England verfolgen. Ein anderes 
Wort, das auch für die Handelsgeschichte interessant ist, ist 
girfalco „Edelfalke“, dessen erster Teil aus dem altnordischen 
geirr „Speer“ zu stammen scheint. Gerade die edelsten Falken 
kamen ja, wie schon früher erwähnt, aus dem hohen Norden. 
In dem alten Londoner Rechtsbuch, dem sogenannten „Liber 
Albus“ (Munimenta Gildhalle Londoniensis I, S. 230), gibt es 
einen Abschnitt über Zoll, den man von fremden Woll- und 
Leinenwaren zu entrichten hatte. Unter diesen Tuchen werden 
.leyne d'Espagne, wadmal, mercerie, canevas“ u. a. m. 
genannt. Das Wort Wadmal ist nordisch (= an. vadmäl) und 
bezeichnet ein grobes wollenes Tuch, das aus Norwegen oder 
Island kam. 

Auf der anderen Seite sind viele Worte, die für die Handels- 
geschichte von Bedeutung sind, schon im 10. und 11. Jahrhundert 
aus dem Angelsächsischen ins Nordische übergegangen, z. B. 
mangari „Kleinhändler, Krämer“ (aus ags. mangere, engl. 
monger), das schon in einem Gedichte des isländischen Skalden 
Kormak (10. Jahrhundert) vorkommt, flür „Weizenmehl“ (= engl. 
flour, aus lat. flos), kiædi „Tuch, Kleid“ (aus ags. clad, 


Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 971 


selten clæd, Dat. *clæde), næpa ,Rübe“ (ags. næp, aus lat. 
napus), käl „Kohl“ (ags. cawel, aus lat. caulis)'). 

Gleich wie die schwedischen Eroberer, die das russische Reich 
gründeten, haben auch die Norweger und Dänen, die in Irland 
Reiche und Niederlassungen gründeten, das Verkehrsleben neu 
belebt und den Handel in neue Bahnen gelenkt. In Irland gab 
es ursprünglich keine von Mauern umgebenen Städte. Die Iren 
wohnten in offenen Dörfern; sie trieben keinen Handel und keine 
Schiffahrt nach fremden Ländern; keine Münzen wurden geprägt, 
und keine fremden Kaufmannsschiffe besuchten die Insel. Die 
ersten irischen Städte sind von den Wikingern im 9. und 10. Jahr- 
hundert gegründet worden: Dublin ca. 840 von dem Norweger 
Turgeis (borgestr), Waterford etwas später und Limerick und 
Cork in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts?).. Bei Cork 
hatten die Wikinger schon um 866 eine feste Burg (caistail 
daingen)*) Dublin wird im Jahre 941 als eine starke, von 
Wällen und Gräben umgebene Festung (dün trom) geschildert‘). 
Von ihren befestigten Städten aus standen die Normannen oder 
»Ostmänner“ (Ostmanni) schon früh mit fremden Ländern in 
lebhafter Verbindung. Sie segelten nicht nur nach den nahe- 
liegenden englischen Städten Bristol und Chester, von deren Ver- 
bindung mit England wir schon gehört haben, sondern auch nach 
dem südwestlichen Frankreich. Schon in der zweiten Hälfte des- 
9. Jahrhunderts standen die Normannen von Waterford, Cork 
und Limerick mit den reichen Weindistrikten des südwestlichen 
Frankreichs in lebhafter Verbindung. Wir ersehen dies aus einer 
Notiz in dem sogenannten „Cormacs Glossar“, das von König 
Cormac von Münster (im südwestlichen Irland) um 900 geschrieben 


1) Das nordangelsächsische cäl (noch jetzt kale, kail) ist wieder aus. 
dem Nordischen entlehnt. 

2) Dublin war, wie jetzt alle Forscher, auch Professor HEINRICIT ZIMMER, 
einräumen, eine norwegische Niederlassung, ebenso Waterford ; Limerick und 
Cork waren vielleicht dänische Niederlassungen. 

3) Three Fragments, hg. v. O’DONOVAN, S. 166— 169. 

4) Vgl. „The Circuit of Muirchertach“, ed. E. HoGan (Dublin 1901), 
S. 20—21, ein gleichzeitiges Gedicht, das die Reise des Königs Muirchertach 
rund Irland schildert. 


272 Alexander Bugge 


wurde. Es heißt in diesem alten Glossar: „Epseop fins in th 
Sea-Laws, i. e. a vessel for measuring wine among (apud) the 
merchants of the Norsemen (gen. pl. gall) and Franks“!). Aus 
dieser merkwürdigen Notiz ersehen wir nicht nur, daß die noms 
wegischen und dänischen Ansiedler im südwestlichen Irland, w— 
Cormac lebte, nach Frankreich Schiffahrt trieben, um dort Wei_ 
zu kaufen, sondern auch, daß dieser Handel schon vor 900 eim æ 
so große Bedeutung gewonnen hatte, daß ungeschriebene Gesetz e 
(,Sea-Laws“) für den Verkehr der Franken und der „Ostmänner“ 
sich gebildet hatten. Für die Bedeutung des Weinhandels be- 
sitzen wir auch mehrere späteren Belege. Es waren überhaupt die 
nordischen Ansiedler, die den Iren den Wein, den sie brauchten, 
verschafften. Der große irische König Brian Borumha, der 1014 
in hohem Alter fiel, hatte einen Hofdichter namens Mac Liag, 
von dem noch mehrere Gedichte erhalten sind. In einem von 
diesen beschreibt der Dichter den Königssitz Brians in Kincora 
am Shannon und die Steuern und Abgaben, die ihm von allen 
irischen Königen und Stämmen entrichtet wurden: Als Tribut 
von den Leuten von Ath Cliath (d. h. Dublin), von den Normannen 
mit den braunen Schielden, sollte er 150 Fässer Wein haben; 
als Tribut von den Leuten von Limerick, von dem Stamme des 
eisernen Olavs, sollte er jeden Tag eine Tonne roten Wein 
haben ?). 


1) CoRMAC’s GLOSSARY, transl. by O’DoxovAN, ed. WHITLEY STOKER, 
S. 67. Das Wort epscop (oder richtiger escop) scheint nach WHITLEY 
STOKES aus lat. scyphus zu stammen; fina ist Gen. von fin „Wein“. 
Gall „ein Fremder“ war der gewöhnliche irische Name für die Wikinger. 
2) Das Gedicht, das in zwei Papierhandschriften in Royal Irish Academy, 
23 
Dublin, G8 
riogh. Der Abschnitt von Dublin und Limerick lautet: 
Ar g-cäin 6 lucht Atha Cliath 
ö Dhanaruibh na doinnsciath 
tri chaogad dabhach fiöna 
do geibh mis no gnaith mhiolla. 
Ar g-cäin 6 lucht Luimnigh luirc 
6 clanna Amlaoi iarnuigh 
tonna gach aonlä d’fion derg 
6 na Gallaibh fa gnaith mhedhg. 


und 9° aufbewahrt ist, beginnt: Boraimhe baile na 


Die nordeuropäischen Verkchrswege im frühen Mittelalter ete. 273 


Es ist sogar möglich, daß die nordischen Ansiedler in den 
Städten Irlands im 10. Jahrhundert nach Spanien Schiffahrt 
trieben. Limerick wurde im Jahr 968 von den Iren erobert. 
Die alte irische Saga, die davon erzählt, beschreibt ausführlich 
die reiche Beute, die die Iren bei dieser Gelegenheit machten. 
Es heißt in der englischen Übersetzung von dieser Saga: „They 
[d. h. die Iren] carried away their jewels and their best property, 
and their saddles beautiful and foreign, their gold and their 
silver; their beautiful woven clotlı of all colours and off all kinds; 
their scarlet and silken cloth, pleasing and variegated, both 
scarlet and green, and all sorts of cloth in the like manner“! 
Woher bekamen die Einwohner Limericks ihre vielfarbigen 
Seidenstoffe und „ihre schönen ausländischen Sättel“ (a sadlaiei 
alli allmarda)? Sie können dieselben nur durch Handel mit 
fremden Ländern bekommen haben, wahrscheinlich durch Ver- 
binduug mit Spanien, wo die Mauren, wie bekannt, eine blühende 
Seidenfabrikation hatten und dessen Lederindustrie in ganz 
Europa berühmt war. Auch Dublin war schon um die Mitte des 
10. Jahrhunderts eine durch Handel und Schiffahrt blühende 
Stadt. Als der irische König Muirchertach im Winter 941—942 
nach Dublin kam und sich vor der Stadt lagerte, bekam er als 
Tribut viele Sachen, welche die Einwohner von Dublin nur durch 
Handel mit England und Frankreich bekommen haben können. 
Er heißt in einem gleichzeitigen Gedichte: 

„A supply of his full store was given 
to Muirchertach son of Niall 

of bacon, of good and perfect wheat; 

also was got a blood-debt of red gold. 


Joints (of meat) and fine cheese (were given) 
by the very good and very pure Queen, 


ler Dichter nennt die Dubliner Danair „Dänen“, obschon sie norwegischen 
Ursprungs waren, weilDanairin Munster ein Gesamtname der skandinavischen 


Völker war. 
1) Cogadh Gaedhel re Gallaibh („The War of the Gaedhel with the Gaill“), 


he. v. Top (Rerum britann. medü aevi script.), S. 89. Die Sage ist früh im 
11. Jahrhundert verfaßt. 


974 Alexander Bugge 


and then was given, (a thing) to hear, 
a coloured mantle for each chieftain“ *). 


Als in diesem Gedichte erwähnte fremde Erzeugnisse nenne 
ich Weizenmehl, Käse und farbige Mäntel. Die Iren essen noch 
heute keinen Käse und trieben im Mittelalter sehr wenig Acker- 
bau. Die Mäntel heißen matal, ein Wort, das aus dem lateinischen 
mantellum stammt, aber nicht direkt, sondern durch das gleich- 
bedeutende nordische mottull ins Irische gekommen ist. Im 
Jahre 1014 wurde, wie bekannt, bei Clontorf, in der Nähe von Dublin. 
eine große Schlacht ausgefochten. Die irischen Chronisten, welche 
diese Schlacht erwähnen, sprechen auch von den vielen fremden 
Kaufleuten, welche zur Zeit der Schlacht in Dublin waren. Nor- 
wegen und Island standen im 10. und 11. Jahrhundert mit Irland 
in lebhaftem Verkehr. Ein Isländer im 9. Jahrhundert hieß Rafn 
Limerickfahrer (Hrafn Hlymreksfari), weil er lange Zeit in 
Limerick in Irland gelebt hatte (er lengi hafdi verit i 
Hlymreki à Island, Landnamabök II, K. 22). Von anderen 
Isländern, wie Torodd oder Gudleiv, dem Sohne Gudlaugs des 
Reichen, wird es erzählt, daß sie als Kaufleute nach Dublin 
segelten*). Ein Häuptling im westlichen Norwegen namens 
Brynjulv gab um 900 seinem Sohne ein Kaufmannsschiff, um 
damit nach Dublin zu segeln; „denn“, sagte er, „diese Fahst ist 
jetzt die berühmteste“ (Sü ferd er nü frs»gst)’) Irisch- 
nordische Kaufleute besuchten Island. So heißt es z. B. in 
„Eyrbyggjasaga“ (K.50): „Denselben Sommer, als das Christen- 
tum auf Irland durch Gesetz eingeführt wurde (d. h. Jahr 1000), 
landete ein Schiff bei Snefellsnes (ein Vorgebirge im westlichen 
Island); es war ein Dubliner Schiff; an Bord waren viele Leute 
aus Irland und den Hebriden, dagegen nur wenige Norweger“. 
Die Ladung des Schiffes bestand aus englischen Betttuchen, 
Seidenstoffen und anderen Putzwaren. Ja bis nach Norwegen 
und Rußland dehnten die Bewohner der nordischen Städte Ir- 


1) The Circuit of Muirchertach (M6irthimchell Eirinn uile dorigne Muir- 
chertach Mac Neill), hg. und übersetzt v. Hocan, S. 20 f. 

2) Eyrbyggja Saga, K. 29 und 64. 

3) Egils Saga, K. 22. 


Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 975 


lands ihre Handelsverbindungen aus. Der isländische Häuptling 
Hoskuld besuchte um die Mitte des 10. Jahrhunderts die Brennö- 
Inseln (Brenneyar) an der Mündung des Götaelfs, wo ein vom 
ganzen Norden besuchter Markt gehalten wurde. Als Hoskuld 
cines Tags mit seinen Freunden spazierte, um den Markt anzu- 
sehen, sah er etwas abseits von den anderen Buden ein präch- 
tiges Zelt. Hoskuld ging da hin und in das Zelt hinein. Beim 
Eingange saß ein Mann, der in Purpur gekleidet war und einen 
russischen Hut auf dem Kopf trug. Hoskuld fragte nach seinem 
Namen. Er nannte sich Gilli. „Viele kennen mich aber,“ sagte 
er, „wenn sie meinen Zunamen hören; ich bin Gille, der russische 
(Gilli enn gerzki) genannt.“ Hoskuld antwortete, daß er oft 
von ihm gehört hätte und daß er als einer der reichsten in der 
Genossenschaft der Kaufleute gelte (kalladi hann heira 
manna audgastan er verithofdu ikaupmannalogum)'). 
Gille war ein Sklavenhändler. In seinem Zelte saßen hinter 
einem Vorhang zwölf Sklavinnen. Hoskuld kaufte eine, die, wie 
es sich später zeigte, eine geborene Irin war, Melkorka hieß und 
die Tochter des Irenkönigs Myrkjartan war (Melkorka Myr- 
kjartansdöttir). Sie wurde später die Mutter des bekannten 
isländischen Häuptlings Olav Paa (d. h. „der Pfau“). Diese Ge- 
schichte muß wahr sein. Denn Merkorka ist ein echt irischer 
Name, = Mael Curcaigh (die Dienerin des heiligen Curcach)?). 
Myrkjartan ist wahrscheinlich das irische Muirchertach. 
Auch der Name Gilli ist irisch, = ir. gilla, „junger Mann, Diener“. 
Mit gilla- als erster Teil zusammengesetzte Namen waren in 
Irland sehr häufig, Namen wie Gilla mac liac, Gilla mö 
Chäidbeo u. a. m. Für die Wikinger lag es sehr nahe, in 
solchen zusammengesetzten Namen Gilla als einen selbständigen 
Namen aufzufassen. Die Folge war, daß Gilli*) in den nor- 
dischen Ansiedlungen Irlands als Personenname benützt wurde, 
während Gilla allein nie als irischer Name vorkommt. Ein in 


1) Laxdela Saga, K. 12. Ich wage nicht, aus dem Ausdruck kaup- 
mannalog zu schließen, daß die nordischen Kaufleute Vereine oder Gilden 
hatten. 

2) In der Aussprache wurde gh nicht gehört. 


3) Das nordische Gilli heißt in Gen., Dat. und Acc. Gilla. 
Vierteljabrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 19 


976 Alexander Bugge 


Irland geborener König von Norwegen hieß Haraldr Gill 
Ein Bischof von Limerick in der ersten Hälfte des 12. Jah = 
hunderts trug ebenso den namen Gilli. In Northumberland, vom 
in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts norwegische Königs 
aus dem Königshause von Dublin herrschten, kamen viele irisch—a 
Namen in Gebrauch. Wir finden im „Domesday Book“ unter 
diesen Namen auch solche, die mit gilla- zusammengesetzt sin«zä 
z. B. Ghilebrid, Ghillemichel und Gillepatric; auch der 
Name Ghille kommt vor. Der Kaufmann „Gille der russische“ 
war also in einer der nordischen Niederlassungen Irlands ge- 
boren; er handelte mit irischen Sklaven, die überall sehr beliebt 
waren, und mit anderen westeuropäischen Waren. Er stand vor- 
zugsweise mit Rußland (d. h. mit Nowgorod) in Verbindung und 
hatte dort sein Vermögen erworben; dies ersehen wir aus seinem 
Zunamen „der russische“. Auf dem Wege nach Rußland mußte 
er die Brennö-Inseln passieren. Weil dort eben Markt war, hat 
er daselbst sein Zelt aufgeschlagen und seine Waren ausgestellt, 
und Hoskuld hat die hübsche Irländerin gekauft. 

Die Handelsgeschichte Nordeuropas während der Wikingerzeit 
zeigt uns den großartigen Unternehmungsgeist der nordischen 
Völker. Diese waren nicht nur kühne Seefahrer, die nach dem 
Weißen Meer, nach Island, Grönland und Nordamerika segelten. 
Sie eröffneten neue Verkehrswege und leiteten für längere Zeit 
(bis zum Ende des 11. Jahrhunderts) einen nicht unbedeutenden 
Teil der orientalischen und griechischen Ausfuhr über Rußland 
und den skandinavischen Norden nach Westeuropa. Der be- 
deutendste Pelzhandel (die Ausfuhr aus dem nördlichen Norwegen 
wie aus Rußland) ging gleicherweise durch ihre Hände. Wir kön- 
nen überhaupt sagen, daß sie es zuerst waren, die West- und 
Osteuropa miteinander in direkte Verbindung brachten. Wie in 
Osteuropa, so lenkten sie auch in Westeuropa Schiffahrt und 
Handel in neue Bahnen. Für Irland und überhaupt für die 
Küsten der irischen See hat ihre Wirksamkeit eine besonders 
sroße Bedeutung gehabt. Aber auch für die Entwicklung des 
norddeutschen Handels und des hanseatischen Bundes ist ihre 
Wirksamkeit folgenreich gewesen. Wo früher nordische Nieder- 
Jassungen lagen, bei Wismar, an der Mündung von Oder und 


Die nordeuropäischen Verkehrswege im frühen Mittelalter etc. 277 


Düna und an mehreren anderen Orten, sind im 12. und 13. Jahr- 
hundert deutsche Städte emporgewachsen. Die Einwohner von 
Gotland gründeten in Nowgorod den Hof, wo die Deutschen 
später Herren wurden. Die in Wisby wohnhaften Deutschen be- 
mächtigten sich allmählich des ganzen gotländischen Handels, 
um später selbst von Lübeck verdrängt zu werden. Manche 
sehen in Wisby die Wiege des hanseatischen Bundes. Es ist 
jedenfalls der Erinnerung wert, daß nordische Kaufleute, die 
Gotland besuchten, schon um die Mitte des 12. Jahrhunderts in 
Gilden vereinigt waren. Eine der ältesten dänischen Gilden, die 
wir kennen, war die Gilde der Seefahrer, welche Gotland be- 
suchten. Diese Gilde wurde von Waldemar dem Großen be- 
stätigt. Ist es auch ein Zufall, daß die dänische Gildehalle in 
London von den Kölnern gekauft wurde? Überhaupt haben 
meiner Ansicht nach die Hanseaten viel von den Verbindungen 
und Gilden der ausländischen Kaufleute in London gelernt. Die 
nordischen Völker waren nie zahlreich, und es fehlte ihnen an 
Kapital. Das südliche Gestade der Ostsee wurde wieder, wie zur 
Zeit des Tacıtus, ein deutsches Land. Deutsches Volkstum wurde 
in den baltischen Ländern das herrschende. An der Mündung 
der segelbaren Flüsse wuchsen deutsche Städte, wie Lübeck, 
Danzig und Riga, empor, Städte, welche die natürlichen Be- 
herrscherinnen des Ostseehandels wurden und bald auch den 
eigenen Handel der Gotländer, Schweden, Dänen und Norweger 
erobern sollten ?). 


1) Diese Abhandlung ist während eines Aufenthalts in Freiburg i. Br. 
geschrieben. Ich habe daher nicht alle meine Quellen genau angeben können. 
Für gütige Hilfe bin ich Professor v. BELOW in Freiburg und Professor 
F. LIEBERMANN in Berlin vielfach verpflichtet. 


Hansische Handelsgesellschaften, 
vornehmlich des 14 Jahrhunderts. 
Von 
F. Keutgen (Jena). 


Einleitung: 
Allgemeine handelsgeschichtliche (Gesichtspunkte. 


Inhalt: Weitere Bedeutung eines begrenzten Stoffes 3. 278. — I. Grund- 
fragen der Handelsgeschichte: Maßstäbe S. 280. — Hansischer Handel und 
englische Staatseinkünfte S. 283. — I. Stadtwirtschaft S. 284. — IU. Groß- 
handel S. 286. — IV. Handelsgewinn contra Grundrente 8. 288. — Landadel 
S. 289. — Städtische Ursiedler: Lübeck, Hamburg, Konstanz S. 291. — An- 
lage des Handelsgewinns S. 294. — V. Charakter der Händlerklasse: SOMBART 
und BÜCHER contra BERTHOLD VON REGENSBURG $. 297. — VI. War Handek- 
gewinn möglich ? S. 300. — S. Juetta S. 301. — LEONARDO PISANO S. 802 - 
UzzAN0 S. 304. — Der Berufskaufmann von heute und früher S. 306. — 
VII. Raubhandel und Gelegenheitshandel als Vorstufen S. 308. — VIII. Das 
psychologische Problem und SOMBARTs Methode S. 309. — Abgrenzung des 
Untersuchungsfeldes und Einheitlichkeit der germanischen Geschichte 8. 311. 
-- IX. Der Erwerbstrieb bei unseren Vorfahren und die Klagen der Mora- 
listen S. 315. 


„Hansische Handelsgesellschaften, vornehmlich des 14. Jahr- 
hunderts“: das scheint ein engbegrenzter Stoff, von Bedeutung 
nur für wenige Spezialisten. Aus der Geschichte ein wirtschafts- 
und rechtsgeschichtlicher Gegenstand, innerhalb der Gesamtwirt- 
schaftsgeschichte einer aus der Geschichte des Handels. Auf 
diesem schon umschriebenen Gebiete weitere Beschränkung auf 
den deutschen Handel, vielmehr den norddeutschen, auf eine 
Form deren er sich bediente, und endlich nur während rund 
eines Jahrhunderts. Wie ist da Teilnahme in weiteren Kreisen 


Hansische Handelsgesellschaften. 279 


der Geschichtstorscher, der Volkswirtachafts- und Rechtslehrer 
zu erhoffen ? 

Allein, indem sich eine jede Wissenschaft aufbaut auf Einzel- 
erkenntnissen, bemißt sich der Wert jedes von diesen nach der 
Geltung, die ihm für die Ausgestaltung der Gesamterkenntis 
innewohnt, die jene Wissenschaft anstrebt. 

Auch eine scheinbar engbegrenzte Erkenntnisgruppe kann 
daher, nach dem Licht, das sie über die allgemeinen Zusammen- 
hänge der Wissenschaft verbreitet, in die sie sich einreiht, un- 
vermutete Bedeutung besitzen. Ob diese dem, was über die 
hansischen Handelsgesellschaften des 14. Jahrhunderts ein Histo- 
riker zutage fördert, für die Nationalökonomie und die Juris- 
prudenz zukommt, ist es nicht meines Amtes zu beurteilen. 
Doch sei festzustellen gesucht, inwiefern sich die eigentlich 
gesebichtliche Betrachtung von der juristisch-rechtshistorischen 
und der nationalökonomisch-wirtschaftsgeschichtlichen Fruktifi- 
zierung desselben Erkenntnisgegenstandes unterscheidet. 

Den Juristen fesselt an den rechtsgeschichtlichen Erscheinungen 
das Recht, den Nationalökonomen an den wirtschaftsgeschicht- 
lichen die Wirtschaft. Sie sehen sie sich in erster Linie darauf- 
hin an, wie sie sich in ihre allgemeinen Erkenntnisse einfügen, 
ıhr besonderes wissenschaftliches System durch sie sich vertiefen 
und bereichern laßt. 

Den Historiker interessiert die Geschichte. Ihm sind, auch 
wenn er sich vorzugsweise mit Rechts- und mit Wirtschafts- 
geschichte beschäftigt, nicht Recht und Wirtschaft die eigentlichen 
Ziele der Erkenntnis. Rechts- und Wirtschaftsgeschichte gelten 
ibm nur als Strömungen in dem Bett der einen allgemeinen 
Geschichte. Er will auch nicht etwa bloß mit ihrer Hilfe die 
politischen Vorgänge sicherer würdigen lernen. Sondern sie 
sind ihm schlechthin Seiten des allgemeinen Menschenlebens, 
das er in allen seinen Auswirkungen und allen seinen ursäch- 
lichen Verbindungen zu überblicken und zu verstehen strebt. 
Sie helfen notwendig mit zur Rundung des Bildes der Vorzeit. 
Er will zuletzt die Menschen selber kennen lernen, und als 
Quelle dienen ihm alle Äußerungen ihres Lebens. 

Dem tiefer Schauenden sind selbst die Formen der Handels- 


280 F. Keutgen 


gesellschaften Bausteine der Erkenntnis der Menschen selbst, 
ihrer Denkweise, ihrer Fähigkeiten, ihres praktischen Können:. 
Der Weg führt von dort unmittelbar zur Ausdehnung des Handels 
und seiner Rolle im gesamten Wirtschaftsleben, wie zu einem 
Einblick in die Begabung unserer Vorfahren für die selbständige 
Ausgestaltung ihres Rechtes, und von da und da ist nur ein 
Schritt zum Beispiel zu der Frage, wie weit sie es verstanden 
haben, sich in Denken und Handeln einer alles anfressenden 
geistlichen Bevormundung zu erwehren. 

Doch auch umgekehrt läuft der Weg. Sollen die Formen 
kaufmännischer Vergesellschaftung nicht bloß nach rein formalen, 
juristischen, sondern nach allgemeineren geschichtlichen Gesichts- 
punkten gewürdigt werden, so wird es nötig sein, zuvor über 
einige Fragen der weiteren deutschen Handelsgeschichte Ver- 
ständigung zu suchen: dem sollen die diesmal gebotenen Blätter 
gewidmet sein. Indes darf die Erwartung ausgesprochen werden, 
daß auch die reine Form von dem so gewonnenen Hintergrund 
sich um so klarer abheben wird. 

Auch das heutige Recht und die heutige Wirtschaft sind nur 
unlösbare Glieder des gesamten Menschheitslebens, und der Jurist 
nur und der Nationalökonom wird seine Wissenschaft für Mit- 
und Nachwelt wirklich fruchtbar machen, der sie unter diesem 
(resichtspunkte pflegt. Deshalb muß auch ihm zuletzt die rein 
geschichtliche Betrachtung der rechtlichen und der wirtschaft- 
lichen Dinge zugute kommen: gleicht doch die Anschauung des 
Lebens der Menschen in der Vorzeit nur einem Blick aus der 
Vogelperspektive, im einzelnen weniger deutlich, dafür mit um 
so freierem Überblick über die Zusammenhänge. 


l. 


Ein wissenschaftlicher Betrieb der Handelsgeschichte, zumal 
der deutschen, ist alles in allem so neu, steht so sehr noch in 
den Anfängen, daß selbst über die Grundbegriffe und Kategorien 
Unklarheit herrscht. Zu diesen darf man an erster Stelle den 
Maßstab zählen. Eben der Umstand, daß über die Maßstäbe 
die anzulegen sind, keine Einigkeit besteht, macht ja einen 
guten Teil der Diskussion so unfruchtbar. Der eine sagt, der 


Hansische Handelsgesellschaften. 281 


leutsche Handel im ,Hochmittelalter“ war bedeutend, der andere 
eugnet es. 

Dieser nimmt zu seinem Maßstab den heutigen Handel. 
sewiß kann es lehrreich sein, Früheres mit Heutigem zu ver- 
Jleichen : aber was gibt uns die Berechtigung dieses als Norm 
‚ufzustellen? Wie werden sich die Dinge in aber 500 Jahren 
usnehmen? Bis jetzt sieht nur ein Teil aller Europäer sich 
o gekleidet, untergebracht und genährt, wie er wünschte; neben 
lem Verkehr in der City ist selbst der im Kanal „unbedeutend“; 
ınd unsere Beherrschung der Naturkräfte fängt erst an. Der 
Iistoriker zum mindesten sollte nicht in jenen Fehler verfallen. 

Ich selbst habe mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß 
eben den Massenumsätzen der zweiten Hälfte des 19. Jahr- 
underts schlechthin aller frühere Handel fast verschwindet :). 
ch betone das, da man gerade an mir es als singulär 
otiert hat, daß ich den hansischen Handel in seiner Blütezeit 
ls bedeutend hingestellt hatte. Aber will man früheren Handel 
n heutigem messen, dann muß man über allen Handel vor 
‚usnützung der Dampfkraft zur IIerstellung und Bewegung von 
fassengütern den Stab brechen: auch die Fugger kannten nur 
[and- und höchstens Wasserkraftbetrieb, Frachtwagen und kleine 
chiffe. (Gegenüber der neuesten Entwicklung besteht zwischen 
ırem Zeitalter und dem der Limburg und atte Wolde kein 
resentlicher Unterschied. In der Handelsgeschichte also beginnt 
ie Neuzeit mit dem Jahr 1830. 

Für die historische Betrachtung weit richtiger wäre der Ver- 
leich einer Vergangenheit mit einer früheren. Was ist im 
eschichtlichen Verlauf geworden? darf des Geschichtsforschers 
rage lauten. Bedeutendes: heute im Vergleich mit allem ehe- 
aligen; so auch im 13. und 14. Jahrhundert neben allem von 
yrdem. Im Vergleich mit dem im 10. und 11. Jahrhundert 
rhandenen kann man die Entwicklung des Handels von damals 
ır als außerordentlich bezeichnen; und es wäre berechtigt, 
hon unter diesem Gesichtspunkte den Handel jener Zeit einen 
:deutenden zu nennen. 


1) Der „Gro ßhandel im Mittelalter“. Hansische Geschichtsblätter, 
XIX. Jahrgang 1901, (Leipzig 1902) S. 68. 


989 F. Keutgen 


Allein, so kämen wir aus einer Relativität in die andere. 
Für die historische Betrachtungsweise, in dem Sinne, wie ich 
sie vorhin skizziert habe, gäbe erst den Ausschlag, ob wesent- 
liche Einwirkungen des Handels auf den gesellschaftlichen Organis- 
mus bestanden. Wir müssen suchen, den Maßstab aus der Zeit 
selbst zu gewinnen. Im karolingischen, im ottonischen, noch im 
salischen Zeitalter sind solche Einwirkungen gering, wenn sie 
auch nicht übersehen werden dürfen, — wie gegenüber der Theorie 
von der geschlossenen grundherrschaftlichen Wirtschaft immer 
wieder betont werden muf. 

Wer den deutschen Handel des 13. und 14. Jahrhunderts 
als möglichst geringfügig hinzustellen sucht, übersieht, daß nur 
durch ihn auch bei uns die vorherrschende Naturalwirtschaft 
zurückgedrängt, der durch sie bestimmte Aufbau des Staates 
verwandelt werden konnte. Auf welchem ersten Wege auch 
immer die größeren Mengen an Edelmetall den Kassen des 
Staates und der Großen zugeflossen sein mochten: wie sollte es 
möglich sein, den öffentlichen Organismus umzugestalten, wenn 
nicht der Handel das Geld durch alle seine Adern leitete? 

Der geldwirtschaftliche Zustand verwirklichte sich von dem 
Augenblicke an, wo der Staat anfing, seine Beamten und seine 
Truppen bar zu besolden, und, soweit die Beamten noch auf 
direkte Bezüge von den Untertanen angewiesen wurden, diese 
Bezüge doch in der Hauptsache ebenfalls in barem Gelde be- 
standen; wo der Staat anfing, ein Steuerwesen auszubilden und 
eine zentrale Finanzverwaltung. 

Was in aller Welt sollten Beamte und Truppen mit dem 
Gelde anfangen, wenn sie nichts dafür kaufen konnten, ihre 
Lebensbedürfnisse nicht wesentlich durch Barzahlungen zu be- 
streiten waren? U'nd wie sollten die Untertanen Steuern zahlen, 
wenn sie nicht für ihre Erzeugnisse, landwirtschaftliche oder 
gewerbliche, einen ständigen Markt fanden? 

Indessen brauchen wir, um uns zu überzeugen, daß auch der 
hansische Handel in diesem Sinne bedeutend war, uns nicht 
mit allgemeinen Reflexionen zu begnügen, noch mit dem Hinweis 
auf die geldwirtschaftliche Organisation der Hansestädte. Wich- 
tiger ist schon, was hansisches Geld für die Regierung des eng- 


Hansische Handelsgesellschaften. 283 


lischen Staates hieß: denn, wie man es fertig bringen will, den 
hansischen Handel im Zeitalter der Eduarde für unbedeutend zu 
erklären, wenn von hansischem Gelde die Weiterführung der 
kriegerischen Politik jener Großmacht abhing, bleibt unerfindlich. 

Allein unmittelbarer noch läßt sich die Größe des hansi- 
schen Warenhandels, an dem uns besonders gelegen ist, 
demonstrieren durch den Vergleich seiner Umsätze mit dem, 
was sich sonst durch Geld damals erreichen ließ. 

Lübecks Außenhandel zur See betrug im Jahre 1368 über 
4!/2 Millionen Mark heutiger Währung, der Hamburgs 1371 über 
3'/. Millionen, Stralsunds 1384 über 3 Millionen Mark!). Man 
hat viel Wesens von der Kleinheit dieser Zahlen gemacht’). 
Allein da gleichzeitig ganz England mit all seinen reichen Groß- 
srundbesitzern an Steuern jeglicher Art höchstens 5 Millionen 
Mark im Jahre aufzubringen vermochte?), so bleibt doch wohl 
nichts übrig als unsern Seehandel von damals in der Tat als 
reeht bedeutend anzuerkennen. Die Ausfuhr der preußischen 
Städte und der vier wendischen, Lübeck, Rostock, Wismar und 
Stralsund. sowie ihre Einfuhr aus nichthansischen Städten, zu- 
sammen aber belief sieh in 1'/s Jahren 1368/69 auf heutige 


1) STIRDA, Revaler Zollbücher und -Quittungen des 14. Jahrhunderte. 
(Hans. Gesch.-Quellen, Bd. V) S. LVIf. Die Berechnung beruht auf dem 
Pfundzoll, der in kriegerischen Jahren erhoben wurde und zwar von der 
eigenen Ausfuhr, sowie von der Einfuhr aus bundesfremden Häfen. Es ist 
daher durchaus nicht unwahrscheinlich, daß in Friedenszeiten der Handel 
noch wesentlich höhere Zahlen erreichte. 

2) SUMBART, Der moderne Kapitalismus. Bd. 1, S. 167. 

3) Nach den Berechnungen von STUBBs, Constitutional History, vol. LI, 
$ 282, betrug unter Eduard III. und Richard II. „the sum which under the 
»reatest pressure the country could furnish“ etwa { 120,000 (nicht die „Durch- 
schnittseinnahme des königlichen Haushalts“, wie SouBarr I, S. 242 über- 
setzt). Nach STIEDA, Revaler Zollbücher, Inhalt S. XIl, war 1 © höchstens 
gleich Mk. 37.50 heutiger Währung. Zur Sicherheit gehe ich etwas höher. 
SOMBART. a. a. ()., nimmt einen Multiplikator von 60 bis 60 und hängt 
außerdem eine Null zu viel an, so daß er auf 60—70 Millionen 
Mark kommt! - - Daß er umgekehrt Kaiser Siegmunds Einkünfte mit 
H. 13000.— um reichlich ebensoviel zu niedrig ansetzt, hat NuaLisch be- 
merkt (Hti.bEBRANDs Jahrbücher III. F., Bd. 28 S. 243), der zugleich die 
Unzuverlässigkeit einiger anderer seiner Zahlen vachweist. 


284 F. Keutgen 


Mark 23,252,320.—!), oder auf 1 Jahr reduziert = 15'/: Mil- 
lionen Mark, oder mehr als dreimal soviel wie die gesamten eng- 
lischen Staatseinnahmen! Um aber zum Vergleich das heutige 
Verhältnis heranzuziehen so betrugen im Jahre 1903 die gesamte 
deutsche Einfuhr und Ausfuhr über alle Grenzen nicht ganz 
11?/» Milliarden, die britischen Staatseinnahmen im engeren Sinne 
aber gleichzeitig nicht ganz 3 Milliarden Mark ?). Zieht man in 
Betracht, daß oben nicht nur Hamburg, Bremen und die kleineren 
wendischen Städte, sondern auch Köln und der ganze süddeutsche 
Handel fehlen, so hat unser Außenhandel auch heute 
noch nicht ein gleich günstiges Verhältnis wieder 
erreicht. Gewiß ein überraschendes Ergebnis!?) 


IL. 


Als so erfreulich aber die Möglichkeit, in dieser Weise einen 
unmittelbaren Maßstab anzulegen, auch zu begrüßen ist, so wird 
darum die vorangehende kurze theoretische Erörterung nicht 
überflüssig: es leuchtet ohne weiteres ein, wie eng sie mit der 
Stellung zusammenhängen muß, die man zu dem Problem der 
„Stadtwirtschaft“ einnimmt‘). 

Glücklicherweise bricht sich in dieser Frage immer mehr die 
allein richtige und für den Historiker annehmbare Erkenntnis 
Bahn, daß man es auch hier nicht mit einem lange Jahrhunderte. 
„das Mittelalter“, hindurch gleichen Zustande zu tun hat, sondern 
mit einem Wachstum, einer Geschichte. Das stadtwirtschaftliche 
System ist ein Erzeugnis der städtischen Entwicklung. Es ver- 


1) STIEDA, a. a. O., S. XXXII. 

2) Gothaischer Hofkalender, 1906, S. 517 und 8. 796. 

8) Verdient durch ausführlichen Hinweis auf die Relativität der Maß- 
stäbe hat sich neuerdings NUGLISCH gemacht: HıLbEenraxns Jahrbücher 
a. à. O. S. 239 ff. 

4) Hierüber im allgemeinen: v. Bkı.ow, „Über Theorien der wirt- 
schaftlichen Entwicklung der Völker, mit besonderer Rücksicht auf die Stadt- 
wirtschaft des deutschen Mittelalters“. Hist. Zeitschr. Bd. 86. — DERSELBE, 
„Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft (über den Begriff der 
Territorialwirtschaft)“. Hı.nenranns Jahrbücher IH. F. Bd. 21. — Ferner 
H. SıievERING, „Die mittelalterliche Stadt“ (diese Vierteljahrschrift, Bd. Il. 
S. 177—218). 


Hansische Handelsgesellschaften. 285 


steht sich daher von selbst, daß es nicht in den Anfängen der 
Städtegeschichte schon fertig da stand. Denn — und das ist 
der zweite Hauptpunkt, der nicht beständig genug berücksichtigt 
worden ist — es handelt sich bei der „Stadtwirtschaft“ um die 
Frucht einer bestimmten Wirtschaftspolitik, nicht um das Ergebnis 
des freien Spiels wirtschaftlicher Kräfte. Die Sache liegt nicht 
so, — der Urfehler der Anschauung, die man der Kürze halber 
als die Büchersche bezeichnen kann — als ob die Anfänge 
des Städtewesens beruhten auf einer großen Zahl kleiner Mittel- 
punkte fast ausschließlich für den Orts- und Nachbarschaftsverkehr'). 
Sondern, wenn die Bedeutung der deutschen Frühstädte für 
diesen auch groß war, so sind sie wirtschaftsgeschichtlich doch 
noch wichtiger als Stationen des Fernhandels. Nach und nach 
erst haben Motive verschiedener Art zu Ausgestaltung und Ver- 
schärfung des Fremdenrechts geführt: Eifersucht der ortsansäßigen 
Produzenten, väterliche Fürsorge der Obrigkeit für Produzenten 
und Konsumenten — ähnlich wie in der Ausbildung des Zunft- 
wesens. Gleichzeitig aber trat eine Differenzierung unter den 
Städten ein. Die einen sanken immer tiefer als bloße Hand- 
werker- oder gar Bauernstädte, während andere, günstiger ge- 
legene oder glücklicher geleitete, zu Großhandelsstädten auf- 
hlühten. 

Aber auch wirtschaftspolitisch betrachtet ist der Begriff der 
Stadtwirtschaft vielfach in einem zu engen Sinne gefaßt worden, 
— in einem engeren als BÜCHER wohl selbst gewollt hat, wenn 
auch wesentlich infolge seiner Schilderung städtischer Wirt- 
schaftsverhältnisse. Wirtschaftspolitisch würde der Begriff der 
Stadtwirtschaft bestehen können auch bei ausgedehntem inter- 
lokalem und internationalem Handel der Bürger, vorausgesetzt 
nur, daß dieser Handel durchweg polizentrischen Ordnungen 
unterlag. Das träfe jedoch nur in beschränktem Maße zu: regel- 
mäßig nur, soweit er sich mit dem Vertrieb bestimmter städtischer 


1) Diesem Punkte ist neuerdings besondere kritische Aufmerksamkeit 
gewidmet worden durch H. FLAMM, Der wirtschaftliche Niedergang Frei- 
burgs i. Br. und die Lage des städtischen Grundeigentums im 14. u. 15. Jahr- 
hundert. Karlsruhe 1905. Ich komme an anderer Stelle in dieser Zeitschrift 
darauf zurück. 


286 F. Keutgen 


Industrieerzeugnisse, vorzugsweise der Tuche einer Stadt befaßte, 
deren auswärts bekannte Güte im Interesse der städtischen Ar- 
beiter- oder Handwerkerschaft unvermindert gehalten werden 
sollte. Die gemeinsamen handelspolitischen Maßnahmen des Hanse- 
bundes gehen über den stadtwirtschaftlichen Rahmen doch weit 
hinaus. 


IL. 


Es ist ohne weiteres klar, daß mit der Vorstellung, die man 
sich von der größeren oder geringeren Rolle des auswärtigen 
Handels der Städte macht, auf das engste die von dem Vor- 
handensein oder der Ausdehnung eines Großhandels zu- 
sammenhängt. 

Ich habe schon früher unumwunden die Bedeutung der Fest- 
stellungen v. BELows in diesem Punkte anerkannt’). Allein 
es ist eine Sache für sich, ob es im 13., 14., 15. Jahrhundert 
einen Stand von Großhändlern gegeben hat, oder ob damals ein 
Teil der Kaufmannschaft, sei es ausschließlich, sei es vorzugs- 
weise dem Großhandel oblag. 

Nachdem wir aber einmal dank v. BELows Forschung wissen, 
daß die damalige Zeit den angedeuteten Standesunterschied nicht 
kannte, oder erst zuletzt anzuerkennen anfing ?), — eine wesent- 
lich verfassungsgeschichtliche Frage — scheint mir wirtschafts- 
geschichtlich die Betonung der an zweiter Stelle angeführten 
Tatsache von erster Wichtigkeit. Es kommt wenig darauf an, 
ob die Männer, die gewohnheitsmäßig Großhandel trieben, ge- 
legentlich auch einmal im kleinen verkauft haben: das Gegen- 
teil wird sich ja, wie alles Negative, kaum je mit gegen alle 
Einwände geschützter „Exaktheit“ beweisen lassen. Auch ist 
der Grad der Beteiligung an beiden Arten des Handels bei ver- 
schiedenen Männern ein verschieden starker gewesen. 


Die Hauptsache bleibt doch — und daran wird man, glaube 
ich, nicht mehr zweifeln können — daß in allen größeren 


Handelsstädten eine nicht verächtliche Anzahl Männer gewohn- 
heitsmäßig Großhandel trieb. 


1) Mein „Großhandel“ (oben S. 281 Anm. 1) 3. 71f., S. 126. 
2) Mein „Großhandel“ 8. 107, 8. 118ff., S. 123f. 


Hansische Handelsgesellschaften. 2847 


Ich weise noch einmal auf den Unterschied hin, der zwischen 
Wittenborg und Geldersen nicht zu verkennen ist’). Auch 
Geldersen importiert und exportiert; aber Notierungen über 
Kleinverkäufe sind in seinem Journal häufig. Bei Wittenborg 
dagegen trägt nicht nur das auswärtige Geschäft einen groß- 
artigeren, vielverschlungeneren Charakter, sondern Kleinverkäufe 
finden sich nur in ganz geringer Zahl und an Personen, die 
ihm entweder nachweisbar oder wahrscheinlich nahe gestanden 
haben, — gerade wie auch heute jeder Großhändler, sofern er 
zum sofortigen Gebrauch geeignete Artikel führt, an Verwandte 
und gute Freunde im kleinen gelegentlich davon abgibt. Man 
kann nicht einwenden, daß nur Kreditverkäufe angeschrieben 
wurden; denn bei Geldersen sehen wir ja, eine wie große 
Rolle der Kredit gerade im Kleinverkehr gespielt hat. 

Unter diesen Gesichtspunkten ist auch die Klage der Lüne- 
burger Gewandschneider von 1387 so bedeutungsvoll, die 
mir bei meinem Aufsatz in den Hansischen Geschichtsblättern 
noch entgangen war: 

Item umme de Engelandesvarere was en old wonheyt, dat 
se ere want nicht en moten tosnyden mer, alse se dat ute dem 
lande brochten. Also plegen se dat to vorkopende ganz in 
helen stucken ”). 

Unmöglich kann man da sehen wollen das „Bestreben der 
Kaufleute, vor allem am Kleinhandel Anteil zu erhalten“) 
Hätten die Lüneburger Englandfahrer in der Tat dieses Bestreben 
gehabt, hätten sie regelmäßig die Tuche, die sie einführten, 
auch zu verschneiden gewünscht, so wüßte ich nicht, was sie 
gehindert haben sollte, der Gewandschneiderzunft beizutreten. 
Was uns jene Stelle lehrt, ist also, daß um 1387 in Lüneburg 
gewisse Leute ein regelmäßiges Geschäft daraus machten, Tuche 
aus England einzuführen, die sie an die Gewandschneider in 
ganzen Stücken absetzten. Gelegentlich aber mochte es ihnen, 


1) „aroßhandel“, S. 117. 

2) BODEMANN, Die älteren Zunfturkunden der Stadt Lüneburg. (Quellen 
u. Darstellungen z. Gesch. Niedersachsens I. 1883) S. 75. 

3) v. BELOW, „Die Entstehung des modernen Kapitalismus“ (Hist. Z. Bd. 91) 
S. 4571, 


288 F. Keutgen 


oder einigen von ihnen, auch passen, einen Restbestand zu ver- 
schneiden, aber zu selten, als daß es sich gelohnt hätte, die 
Kosten der Mitgliedschaft in der Gewandschneiderzunft auf sich 
zu nehmen. Wobei es immer noch möglich bleibt, daß es sich 
nur, wie bei Wittenborg, um Abgabe an Nahestehende handelte, 
und die Zunft schon das als einen Eingriff in ihre Rechte be- 
trachtete. 

Diese Auffassung wird weiter bestätigt durch die Jahrmarkt- 
ordnung von um 1400, wonach „Bürger“, die nicht zu den 
Gewandschneidern gehörten, die aber 

hadde halet wand over see und over sand ut Vlanderen, 

.es auf dem Markte ausschneiden durften‘), Diese Bürger wird 
man zu den kleinen Leuten rechnen, von denen bekannt ist, daß 
sie gelegentlich ein oder ein paar Stück Tuch sich mitbringen 
jießen, eben um auf dem freien Jahrmarkt einen kleinen Profit 
zu machen: „Englandsfahrer“ waren sie offenbar nicht. 

Ähnlich: wenn die Hanse sich wiederholt für ihre Angehörigen 
in England um das Recht des Kleinhandels bemüht hat, so folgt 
daraus durchaus nicht, daß sämtlichen hansischen Kaufleuten 
dort für ihre Person an dessen Ausübung gelegen war. Was 
wir z. B. über die schon genannten großen Wollhändler wissen, 
möchte für sie der Annahme widerstreben. 

So reich und angesehen deshalb die Gewandschneider in 
vielen Städten auch gewesen sind, so wird man doch nicht zu- 
geben können, daß der ausgedehnte Großhandel jener Zeiten, 
dessen Vorhandensein natürlich auch v. BELOW zugibt, in den 
Händen von Kleinhändlern und etwa einigen „unfreiwilligen* 
Großhändlern gelegen habe. 


IV. 


Mit allem diesen möchte nun bereits die Frage bis zu einem 
gewissen Grade präjudiciert sein, die seit SomBArts Buch über 
den „Modernen Kapitalismus“ (1902) zu lebhafter Debatte an- 
geregt hat, — die Frage, ob vor Mitte des 15. Jahrhunderts in 
Deutschland Vermögen durch Handelsgewinn erworben zu 
werden pflegten und erworben werden konnten, oder ob das, 


Hansische Handelsgesellschaften. 289 


wie SOMBART beweisen will, wesentlich nur durch Anhäufung 
von Grundrenten geschah. Denn, wenn in der Tat der 
deutsche Handel bereits im 14. Jahrhundert so bedeutend war, 
wie wir gesehen haben, wenn er sich nicht in der Hauptsache 
auf Orts- und Nachbarschaftskleinverkehr beschränkte, und wenn 
endlich die berufsmäßige Pflege des Großhandels weit verbreitet 
war, so läßt das alles bereits auf die Unhaltbarkeit von SOMBARTS 
These schließen. Dennoch und trotz allem, was inzwischen 
darüber geschrieben worden ist, wird sie uns wegen ihrer Wichtig- 
keit fürunser eigentliches Themaeingehenderzu beschäftigen haben '). 

Von einer Seite des Problems können wir absehen: der 
Kapitalanhäufung in den Städten aus ländlicher Grundrente. 
Mit dem Nachweis der Herkunft eines wesentlichen Teiles 
des städtischen Patriziats aus dem Landadel — 
wenigstens soweit Deutschland in Frage kommt — hat SOMBART 
es sich so leicht gemacht, daß eine Widerlegung sich für Alle, 
die mit der älteren Geschichte der deutschen Städte und den 
neueren Forschungen darüber vertraut sind, erübrigt. Er beruft 
sich im wesentlichen auf unkritische, mindestens längst überholte 
Werke, die hauptsächlich durch ihren Stoffreichtum die Vor- 
stellung großer Anschaulichkeit erwecken. Ob gelegentlich auch 
einmal der Nachkomme eines Ministerialen oder Landadligen 
es durch Handel zu Reichtum gebracht hat, ist gleichgültig: — 
wobei im Interesse von SOMBARTS Theorie noch der Nachweis 
geführt werden müßte, daß jener das konnte dank einem aus 


ee 


1) Vgl. über SomBarr die oben S. 284 Anm. 4, S. 285 Anm. 1 u. 8. 287 
Anm. 3 zitierten Arbeiten von SIEVEKRING, FLAMM und v. BELOW. Ferner 
JAKOB STRIEDER, Zur Genesis des modernen Kapitalismus (1904); RUDOLF 
HÄPKE, „Die Entstehung der großen bürgerlichen Vermögen im Mittelalter“ 
(SCHMOLLERS Jahrbuch, N. F. Bd. 29, (1905) S. 1051—1087); A. NuGLIScH, „Zur 
Frage der Entstehung des modernen Kapitalismus* (HıLDEBRANDs Jahr- 
bücher III. F. Bd. 28 (1904) S. 238—251l. G. BECKMANN, „Die Bedeutung 
des Handels im Wirtschaftsleben des Mittelalters‘ (Beil. Allg. Ztg. 1904 
Nr. 106—108). Andere Besprechungen, wie die von POHLE (HILDEBRANDS 
Jahrbücher, II. F. Bd. 26), kommen für die augenblicklich interessierenden 
Fragen weniger in Betracht. — Ich habe es nicht für nötig gehalten, im 
folgenden jedesmal auf ergänzende oder verwandte Beobachtungen in den 
genannten Arbeiten zu verweisen. 


290 | F. Keutgen 


Grandrente akkumulierten Kapital, und nicht etwa dieses Mit- 
glied der Familie zu dem bürgerlichen Erwerbszweig gegriffen 
hatte, weil es verarmt war und ein ritterliches Leben nicht fort- 
setzen konnte’). Nicht in Betracht kommt ferner, daß in 
späterer Zeit, nachdem die Gegensätze zwischen Bürgertum und 
Adel an Schärfe.verloren hatten, wohlhabende Edelleute in der 
Stadt sich niederließen, wenn auch mit dem Agregatreichtum 
der Stadt dadurch vielleicht die Grundrente steigen mochte. 
Weniger einfach und zugleich schwerwiegender ist das Pro- 
blem, soweit städtische Grundrenten in Frage kommen. 
So dankenswert von seiten mehrerer Kritiker Somparrs der 
Nachweis der bürgerlichen Herkunft der einzelnen Patrizier- 
geschlechter und ihrer Beteiligung am Handel ist, so wird damit 
die Sache doch nicht erschöpft. SOMBART freilich hat sich auch 
hier die Quellen- und Literaturbenutzung zu bequem gemacht, 
indem er eine gewaltige Vorstellung davon zu erwecken sucht, 
ein wie großer Teil des städtischen Grund und Bodens sich 
von Anfang an in wenigen Händen vereinigt zu finden pflegte. 
So beruft er sich auf MAURER, Geschichte der Städtever- 
fassung I S. 101, dafür, daß in Zürich, Worms, Magde- 
burg, Mainz, Soest, Speyer, Straßburg der Grundbesitz 


1) So verhielt es sich doch auch mit Whittington nnd andern „younger 
sons“. (SOMBART I, S. 310.) Sie wurden Kaufleute, nicht weil sie ein an- 
gehäuftes Kapital möglichst gewinnbringend verwenden wollten, sondern weil 
sie ihr Brot verdienen mußten. Durch Tüchtigkeit arbeiteten sie sich aus 
ziemlicher Armut. zu Reichtum empor. Gelang das gerade manchen dieser 
jungen Edelleute, so lag das daran, daß der ,gentleman“, persönliche Be- 
gabung vorausgesetzt, seinen Beruf freier und kühner anpackte als ein 
„roturier*. Deshalb haben auch „gentlemen“, „younger sons“ die englischen 
Kolonien begründet, nicht „eity-clerks“. Vgl. Clive in Indien, oder „Gover- 
nor* Pitt, den Großvater des „Great Commoner“: „Als Kind aus einer 
kinderreichen Familie von jung an auf eigenen Erwerb angewiesen u. s. w.“ 
(SALOMON, William Pitt I, S. 2f). Hatte ein solcher es dann zu Vermögen 
gebracht, so stand ihm auch eine reiche und standesgemäße Heirat offen. 
(SOMBART a. a. O.). — Anders liegt die Sache, wenn in Italien der Land- 
adel gezwungen worden war, sich in den Städten niederzulassen, wenngleich 
man auch da zweifeln darf, ob die begüterten Familienhäupter und nicht viel- 
mehr mittellose jüngere Söhne sich der Kaufmannschaft zuwandten. Za 
meinem speziellen Thema steht das jedoch in keiner Beziehung. 


Hansische Handelsgesellschaften. 291 


der Vollbürger in den Anfängen so groß gewesen sei, „daß er 
von Kolonen angebaut werden mußte“ '). Allein MAURER nennt 
an der Stelle nicht „Vollbürger“, sondern geistliche und weltliche 
Grundherren. 

Ferner behauptet SomBarT „in den Kolonialgebieten“, „in 
Lübeck wie in Hamburg sind es offenbar bäuerliche An- 
wesen, Eigen oder Anteile in Hufengröße, die den dort siedeln- 
den „Kaufleuten“ vor allem natürlich [!| zum Betrieb einer 
Bauernwirtschaft [!] von dem Grundherrn überwiesen werden“ ?). 
Er beruft sich dafür auf Paunı, Lübeck. Zustände I 42ff., 
und Hamburger UB. Nr. 285°). Von Hufen ist jedoch bei 
PauLzr — „natürlich“ — nirgends die Rede und in der Ham- 
burger Urkunde erst recht nicht. Freilich glaubt PauLı, daß 
bei der Gründung Lübecks die ersten Ansiedler größere Grund- 
stücke erhielten, die er als „Erben“ von den „areae“ mit je 
einer „domus“ unterscheiden will. Aber diese „Erben“ sind bei 
ihm noch lange keine Hufen, wohl aber jene Siedler „die ohne 
Zweifel zum größeren Teil wohlhabenden Kaufleute“. Allein 
mögen auch PAuLı und FRENSDORFF*) Recht und diese ersten 
Siedler in der Tat größere Grundstücke erhalten haben, so kann 
doch kein Zweifel sein, daß es von vornherein in der Absicht 


2) S. 286. 

8) = meine Urkunden zur städt. Verfassungsgeschichte Nr. 104 a. 

4) Die Stadt- und Gerichtsverfassung Lübecks im XII. u. XIII. Jahr- 
hundert (1861) S. 10. Vgl. auch Pauuı, Wieboldsrenten (Abhandlungen aus 
dem Lübischen Recht, IV, 1865), und PAUL REHME, Das Lübecker Ober- 
stadtbuch (1895), der den von PAULI angenommenen rechtlichen Unterschied 
zwischen Erbe und area oder domus leugnet (S. 28). Die Wortzinsen sind 
verschieden hoch, doch zu niedrig, als daß sie zu irgend einer Kapital- 
anhäufung selbst bei ausgedehntem Grundbesitz hätten führen können. Auch 
nicht nach den Erhöhungen, die vorkommen. Das eigentümliche der Gründung 
Lübecks liegt darin, daß bei der Neugründung durch Heinrich den Löwen 
die Bewohner der älteren Stadt nur aus der Nähe zurückzurufen waren, 
man deshalb keines „locator“ bedurfte. Diese Urbürger mögen, im Gegensatz 
zu den späterhin Zuströmenden, sogleich größere Grundstücke erworben haben, 
je eine Mehrzahl von areae umfassend, und zwar zinsfrei und auf dem Wege 
des Kaufes, wie es von dem Johanneskloster bald nach 1182 urkundlich über- 


liefert ist (Lübecker Urkb. I Nr. 6; meine Urkunden Nr. 97). 
Vierteljahrschr, f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV, 20 


292 F. Keutgen 


geschah, diese hier wie überall in ,areae“ zerteilt weiter zu 
verleihen, schon deshalb, weil es bei einer Stadt auf zahlreiche 
Bewohnerschaft ankommen mußte. Schon HELMOLD berichtet, 
daß bald nach Neugründung der Stadt durch Heinrich den Löwen 
Bischof Gerold die Verlegung seines Bischofssitzes von Alden- 
burg nach Lübeck beantragt habe u. a.: 

Eo quod civitas hec esset populosior'). 

Am meisten beweisend aber ist das Schicksal der größeren 
Komplexe, die Heinrich eben an die geistlichen Institute ver- 
gabt hatte: mit ihnen wurde sofort in der angegebenen Weise 
verfahren, wobei aber — nebenbei bemerkt — die Größe des 
verliehenen Grundstückes für die Abschätzung der an Private 
überlassenen nicht verwandt werden darf. Mag aber auch die 
Gründungsgeschichte Lübecks manche singulären Züge aufweisen: 
die Hamburger Urkunde kennt jedenfalls nur „areae“, von 
denen außerdem noch der Zins auf ewig erlassen wird ($ 5). 

In den weitaus meisten Städten, daran wird man nach 
namentlich RiETSCHELs Forschungen nicht mehr zweifeln, wurde 
der Boden sogleich in mäßige Hausbauplätze von gleicher Größe 
zerteilt den Ansiedlern zugewiesen. Dennoch ist SOMBART in soweit 
Recht zu geben, als, wie im neuen Lübeck, so auch in einigen 
der alten Städte die Uransiedler über etwas größeren Grund- 
besitz verfügten, von dem sie in der städtischen Aufschwungs- 
periode gerade so an zuströmende Neubürger ausgeliehen haben 
werden, wie die Gründer der Städte „aus wilder Wurzel“ das 
für diesen Zweck beiseite gesetzte „praedium“. Ich habe das bei 
den ,Rômerstädten“ schon früher wahrscheinlich zu machen 
gesucht‘). Neuerdings hat BEYERLE solche altfreien Grund- 
eigentümer in Konstanz zum erstenmal des näheren in vollem 
Umfange nachgewiesen’). Aber er hat doch auch gezeigt, daß 


1) Slavenchronik I, c. 89. 

2) Meine Untersuchungen über den Ursprung der deutschen Stadt- 
verfassung, Kap. V. 

3) Grundeigentumsverhältnisse und Bürgerrecht im mittelalterlichen 
Konstanz. Bd. I. Einleitung u. S. 66ff. „Mit nichten befindet sich der 
Grundbesitz von Konstanz in Händen einiger weniger Eigentümer, die denselben 

als Zinseigen oder Zinslehen austaten, vielmehr bildet den Hauptkomplex der 


Hansische Handelsgesellschaften. 293 


ihre Zahl auf engem Raum keine geringe war, und daß sie jahr- 
hundertelang auf das zäheste an ihrem Eigentum festhielten und 
Weiterverleihung an Neubürger und Nichtbürger die Ausnahme 
bildete. 

Indessen ist das alles für die Frage, die uns beschäftigt nur 
von sekundärer Wichtigkeit. Tatsache bleibt, daß wir im 13. 
und 14. Jahrhundert in den Händen mancher Bürger mehr 
Grundeigentum vereint sehen, als sie selbst verwohnten. Ob das 
uralter Geschlechtsbesitz war, oder käuflich erworben, zusammen- 
geheiratet oder zusammengeerbt, ist für den Kern der Frage 
nebensächlich. Bürger haben Bauplätze ausgeliehen, Häuser, 
Läden, Zimmer vermietet und beziehen Grundrenten. Daß ein 
großer Teil der Einwohnerschaft dergestalt zur Miete wohnte, 
bedarf weiter keines Nachweises. Das Vorhandensein einer zahl- 
reichen Klasse minderbemittelter Städter, eines städtischen Prole- 
tariats auf der einen, eines Patriziats auf der andern Seite, 
dessen Machtstellung zum guten Teil auf der Eigenschaft seiner 
Mitglieder als Mietsherrn und Hauseigentümer beruhte, darf als 
altbekannte Tatsache bezeichnet werden. Es ist ferner zu er- 
innern an die große Rolle, die die Grundrenten als Kapitalan- 
lage im städtischen Leben gespielt haben. Was also soweit an 
SOMBARTS Ausführungen abgelehnt werden mußte, trifft nur die 
Außenwerke. Das eigentliche Problem fängt erst an. 

Andererseits würde freilich auch für SOMBART noch nichts 
wesentliches gewonnen sein, selbst wenn der positive Nachweis 
geführt wäre, daß einzelne Bürger in der Tat ihre Grundrenten 
zu einem Handelskapital zusammengespart hätten. Denn es 
kann hier nur auf allgemeine Bewegungen ankommen, nicht auf 
das, was einzelne fertig gebracht haben. 

Was nun aber diese allgemeine Vermögensbewegung inner- 
halb des Bürgertums betrifft, so lehrt alles, was bisher von der 
Forschung darüber ans Tageslicht gebracht worden ist, das 
Gegenteil des von SOMBART geforderten. Die Ausdrucksweise 


Stadt freies Allod der Bürgerschaft“. (S. 6.) Ferner bes. 8. 6: ,... Alt- 
geschlechter, nur vereinzelt haben einige von diesen ihren Besitz parzelliert 
und in Zeiten empfindlichen Wohnungsmangels an Zugewanderte als Zins- 
lehen ausgeliehen“. 


294 F. Keutgen 


der Quellen, alles was sie von „reichen Kaufleuten“ von den 
frühesten Zeiten an zu erzählen wissen, läßt keinen Zweifel dar- 
über, daß nach Ansicht der Zeitgenossen diese „Kaufleute“ ihren 
Reichtum durch ihr Geschäft erworben hatten. Oder wir sehen, 
daß in Städten wie Köln, Dortmund, Bremen, die Ge 
wandschneider, Berufskaufleute wenn irgendwelche, einen 
wichtigen Bestandteil der herrschenden Schicht abgeben'!). Wir 
entnehmen ferner vielfachen Angaben, daß die Kaufleute als 
gemachte Leute ihr Erworbenes in Grundbesitz und Renten an- 
legen; daß sie sich vom Geschäft zurückziehen; daß ihre Nach- 
kommen Ritter werden: ganz wie noch heute. 

Und das gemahnt uns, daß es von vornherein mehr Wahr- 
scheinlichkeit für sich hat, daß gerade Kaufleute ihren Grund- 
besitz spekulativ ausnutzten als Siedler von ländlichem Habitus. 
Sogar BÜCHER, der ja von dem Handel selbst des 15. Jahr- 
hunderts eine äußerst geringe Meinung hat, muß mitteilen, daß 
damals die Frankfurter Kapitalisten bei Abschluß eines Handels- 
gesellschaftsvertrages sich vorzubehalten pflegten 

die gewalt und macht nach eyner yeden Frankenforter messe 
und beschehener rechenunge nach myner gelegenheit eyn somme 
gulden myns gewynes us dem handel zu nemen und mir die 
furter an gulten oder erbguttern anzulegen; doch das die achte- 
dusend gulden hauptguts inne dem gewerbe ungemyndert von 
uns ligen pliben sollen die gemelten funf iare lang”. 

Der Fall ist von 1502, einem Zeitpunkt also, wo nach 
SOMBART das umgekehrte Verfahren recht im Schwange sein 
sollte. 

Ganz natürlich: wer Renten hatte, wird mit ihnen, den gleich- 
mäßig einlaufenden, die täglichen Ausgaben bestritten, dagegen 
den außerordentlichen Gewinn aus dem Großhandel bald so, bald 
so verwandt haben: wie ja auch in dem angetührten Beispiel die 
Möglichkeit 1 im Auge behalten bleibt, den Gewinn zur Vergrößerung 





DA Vgl. besonders meinen „Großhandel im Mittelalter“, Hans. 
Gesch.-Blätter 1901 (1902) S. 74 ff. 

2) Die Bevölkerung Frankfurts a. M. im 14. u. 15. Jahrhundert, Bd. I 
S. 247, nach KRIEGK, Deutsches Bürgertum im Mittelalter, N. F. (1871) 
S. 448f. 


Hansische Handelsgesellschaften. 295 


des ,Hauptguts“ im Geschäft zu lassen. Zu den ,Erbgütern“ 
aber gehôren auch die Landgüter und Dôrfer, die um jene Zeit 
Bürger so vielfach — eben dank ihrem Handelsgewinn — er- 
werben. 
Genau so war indessen schon jener Regensburger Kauf- 
mann Willihalm verfahren — ein Freigelassener, kein „Alt- 
geschlechter“ oder Landadliger —, der im Jahre 983 seine 
curtilia infra murum et extra praedictae urbis aedificiis sive . 
aliter possessa et praedia huic adiacentia et Püchilinga et Eccol- 
vinga cum mancipiis in pago Tüonahgowi in comitatu Paponis, 
et Atasveld in pago Nordgewi in comitatu Heinrici, et Alpurc 
et Perc in pago Tûonahgewi in comitatu Liudpoldi 

der Abtei S. Emmeram vermachte !). 

Da indes SOMBART an jedem aus den Quellen gewonnenen 
Augenschein — dem ja doch keine durch statistische Vollständig- 
keit erlangte Sicherheit innewohnt — wenig liegt, sofern er mit 
der Theorie in Widerspruch steht, — SOMBART sagt in einem 
andern Falle einmal: „Die ökonomische Ratio geht hier aus- 
nahmsweise mit dem Quellenmaterial parallel“ *): — so wollen 
wir ihm weiter auf dem theoretischen Felde nachgehen. 

Hier würde die Sache zunächst, wie folgt, liegen. 

Daß die ganze städtische Entwicklung eine Blüte von Handel 
und Gewerbe zur Voraussetzung hat, gibt natürlich auch SOMBART 
zu. Dann würde sich die Frage so stellen: Der städtische 
Reichtum war also in erster Hand das Erzeugnis von Handel 
und Gewerbe. Mußten indes etwa die Handel- und Gewerbe- 
treibenden einen so großen Bruchteil ihrer Einnahmen für Miete 
oder Bodenpacht an die Grundbesitzer abführen, daß diesen 
allein aller Gewinn zufloß, von den „Kaufleuten“ aber keine 
nennenswerte Anzahl etwas Erhebliches zurücklegen konnte? 

Das würde vor allem voraussetzen, daß Grundeigentümer 
und „Kaufleute“ zwei getrennte Klassen wären. Diese Voraus- 
setzung aber trifft nicht zu. Die Kaufleute waren zugleich selbst 


1) Meine Urkunden zur städt. Verfassungsgeschichte, Nr. 73. Dort 
steht entsprechend der Vorlage „praedicta* statt dem „praedia* der Vor- 
urkunde, MG. DO I 298. 

2) 8. 177?. 


296 F. Keutgen 


Grundeigentümer. Für die meisten kam die Zahlung von Grund- 
rente an Dritte gar nicht in Frage, abgesehen von einem rein 
nominellen Arealzins an den Stadtherrn. Geradezu unglaublich 
ist es, daß SOoMBART sie sich als Besitzlose mit den Zünften 
gegen die Geschlechter erheben läßt '). 

In den weiteren Kreisen der Gewerbetreibenden indes gab 
es ebenfalls wohlhabende Haus- und Grundbesitzer neben be- 
sitzlosen Proletariern. Es gab reiche und arme Gewerbe. Es 
gab, trotz aller Zunftregulierungen, auch innerhalb desselben 
Handwerks Groß und Klein: ein Umstand, der allein schon be- 
weist, daß auch hier Ersparnisse möglich waren. Ich erinnere 
an die Frankfurter Wollenweber, die 1432 für jede Messe je 4, 
8, 10, 12, 16, 24 und 36 Tuche herstellen konnten und durften, 
je nach dem Beitrage, den jeder zu Zunftzwecken zu zahlen im 
Stande war?). 

Überhaupt aber ist die ganze These widersinnig. Handel 
und Gewerbe, die Städte, hätten gar nicht aufblühen können, 
wenn es nicht möglich gewesen wäre, durch Handel und Ge- 
werbe zu Wohlstand zu gelangen, mithin Vermögen zu akkumu- 
lieren. Mir wenigstens scheint das weiter keines Beweises be- 
dürftig. Für den Durchschnittsgewerbetreibenden könnte es nur 
dann als ausgeschlossen erachtet werden, wenn die sämtlichen 
Handwerker und Krämer als Heimarbeiter für Rechnung der 
„Grundbesitzer“ als kapitalistischer Unternehmer gearbeitet hätten, 
was natürlich nicht der Fall war und auch SoMBART in seine 
These durchaus nicht passen würde. Freilich noch viel weniger, 
daß wirklich in einer Reihe von Städten, Straßburg, Speyer, 
Ulm, Köln, Frankfurt, bis zum 14. Jahrhundert von zu- 
sammengehörigen Handwerken, wie Weber und Wollschläger, 
je das es zu Wohlstand brachte, das es verstanden hatte, das 
andere mit seinem Betriebe von sich abhängig zu machen. Und 
zwar war das geschehen mit durchaus kapitalistischer Tendenz 
durch Pflege der kaufmännischen Seite *). 


1) S. 288. 

2) Meine Urkunden zur städtischen Verfassungsgeschichte Nr. 286, 
S. 387. 

3) Mein „Großhandel“, S. 97 ff. 


Hansische Handelsgesellschaften. 297 


SOMBART aber möchte im Interesse seiner Hypothese die 
Kaufleute zu Handwerkern und beide in ihrer Gesamtheit zu 
möglichst proletarierhaften Existenzen herabdrücken. 

Deshalb muß es nach ihm auch „in den mittelalterlichen 
Städten, wenigstens soweit sie Handel trieben, von Händlern 
und Handelshilfspersonen förmlich gewimmelt“ haben'). Die 
„wimmelnde Schar kleiner und kleinster Händler“ wird mit 
der verglichen, „wie sie auf den Jahrmärkten von Konitz und 
Krotoschin uns heute begegnen“ ?). 

Deshalb müssen Venediger Urkunden des 10. Jahrhunderts 
herhalten, um zu beweisen, „daß nur wenige Kaufleute auch nur 
ihren Namen unterschreiben konnten“*). Der Tuchhändler muß 
„sich wohl auch einmal wieder hinter den Webstuhl“ gesetzt 
haben‘): eine Verkennung einer der elementarsten Tatsachen 
der Handels- und Gewerbegeschichte, durch die wir belehrt sind, 
daß gerade Tuchhändler und Weber sich auf das schroffste 
gegenüberstanden. In manchen Städten durften zwar die Weber 
ihr eigenes Erzeugnis auch ellenweise verkaufen; in einigen 
haben zwar nicht sie, aber die Wollschläger mit Erfolg sich so- 
gar auf den Export geworfen. Jedoch nirgends haben die 
Tuchhändler, die Gewandschneider, deren Hauptgeschäft in dem 
Handel mit fremden Tuchen bestand, sich zu der mechanischen 
Tätigkeit des Webens herabgelassen oder auch nur herablassen 
dürfen °). 

Man wird erinnert an BÜCHER, der einmal den bäurischen 
Kleinhändler auf dem Wochenmarkt als Typus des „mittelalter- 
lichen“ Kaufmanns hinstellt. Und warum? Weil in einer Frank- 
furter Wochenmarktsordnung von 1420 die Händler als 
Kaufleute bezeichnet werden‘). Daß „Kaufmann“ ein weiter Begriff 


1) S. 169. 

2) S. 174. Vgl. noch S. 227 Z. 5: „das wimmelnde Volk von Händlern“. 

3) SOMBART, S. 178 nach Font. rer. Austr. XII. S. 22ff. u. 28 ff. 
Woher weiß SOMBART übrigens, daß die Zeugen der beiden Urkunden, die 
nur mit einem Kreuz unterschrieben, Kaufleute waren? Es müssen unter 
den Zeugen auch andere gewesen sein, z. B. Schiffer. 

4) SOMBART, S. 177. 

5) Mein „Großhandel“ S. 92 ff. 

6) Bücher, Die Entstehung der Volkswirtschaft, 3. Aufl. (1900) S. 139 ff. — 


298 F. Keutgen 


war, ist längst bekannt; für den Wochenmarkt aber konnten 
doch die höheren Klassen der Händler nicht in Frage kommen. 
In der Tat ein eigenartiges pars pro toto! Es ist nicht richtig, 
daß sich an die Bewohner der Städte „der Name der Markt- 
oder Kaufleute in dem Maße mehr“ anheftete, „als die Bedeutung 
des Marktes für ihren Nahrungsstand zunahm“. Vielmehr finden 
sich die Bezeichnungen „mercatores, negotiatores, emptores“ 
statt Bürger gerade in der Frühzeit der Städte, ehe die Berufs- 
arten, in die sie sich schieden, schreibenden Klerikern deutlich 
geworden waren. Und mag auch gelegentlich die ganze Menge 
der auf dem Markte Handelnden als mercatores zusammengefaßt 
werden — nicht deshalb werden sie Kaufleute genannt, weil 
sie ihre Lebensbedürfnisse in größerem Umfange einzukaufen 
gezwungen waren als die Bauern. Wenn die Bezeichnung für 
den Stand „Kaufmann“ lautet und nicht „Verkaufmann“, trotz- 
dem, wie BÜCHER sagt, sein „hervorstechendstes Merkmal ... in 
seinem Verhältnis zum Publikum . . nicht seine Gewohnheit 
zu kaufen, sondern zu verkaufen“ ist, so rührt das sehr einfach 
daher, daß man ursprünglich die zweiseitige Handlung unter 
dem einen Begriff des ,Kaufs“ zusammenfaßte: ganz natürlich, 
denn beim Tausch von Ware gegen Ware gibt es zwischen 
kaufen und verkaufen keinen Unterschied. Wollte man trotzdem 
wie BÜCHER aus der Bevorzugung des einen Ausdrucks vor dem 
andern einen Schluß ziehen, so müßte es doch der sein, daß 
man unter einem Kaufmann ursprünglich gerade den Berufs- 


Vgl. auch meine Untersuchungen über den Ursprung d. deutschen Stadt- 
verfassung (1895) Kap. VIa und b. Ferner die oben S. 284 Anm. 4 zitierte 
Abhandlung von SIEVEKING passim. BÜCHER behauptet, die neuere Literatur 
über die Entstehung der deutschen Städteverfassung habe die sehr weite 
Bedeutung des Wortes Kaufmann übersehen! Unrichtig ist auch, daß „1075 
der Abt von Reichenau mit einem Federstrich die Bauern von Allensbach 
und ihre Nachkommen in Kaufleute verwandeln kann“ (BÜCHER, 8. 139 Anm.). 
Er gab ihnen nur die Erlaubnis, im Schutz bürgerlichen Rechts bürgerlichem 
Erwerb nachzugehen. Aber das führte zu nichts. 25 Jahre später gründete 
einer seiner Nachfolger deshalb Radolfzell und sorgte diesmal für Ansiedler 
von auswärts, wie wieder 20 Jahre später Konrad von Zähringen in Frei- 
burg. 


Hansische Handelsgesellschaften. 299 


kaufmann verstand, der erst kaufte, was er verkaufen wollte, 
nicht den Handwerker und Hôker, der nur 

vendiderit ...res, quas vel manibus suis fecerit vel que 

creverint ei, 
der schon in dem ältesten Straßburger Stadtrecht so schön von 
dem mercator, der 

res... causa lucri emerit 
unterschieden wird ?. 

Wenn man unterschied, war jedenfalls nur dieser der Kauf- 
mann und galt als Typus des Kaufmanns: dafür bürgt die 
Schilderung BERTHOLDS VON REGENSBURG, eines Mannes, der 
nicht hinter Klostermauern schrieb, sondern das Leben kannte: 

Wir möhten der koufliute niemer enbern, wan sie 
füerent üz einem lande in daz ander daz wir bedürfen, 
wan ez ist in einem lande daz wolveile, sö ist in einem andern 
lande jenz wolveile; unde dävon sullent sie diz hin füeren und 
jenz her?). 

Die Herren von Krotoschin und Konitz kenne ich nicht. 
Freilich, wollte man einwenden, daß nicht ihresgleichen die 
Träger der großen städtischen Geschichte des 12. bis 15. Jahr- 
hunderts gewesen sein, die Kriege der Hanse geführt und im 
Rheinischen oder Schwäbischen Bunde sich Fürsten entgegen- 
gestellt und mit Königen verhandelt haben können, so würde 
SOMBART erwidern, daß nicht die Händler- sondern die Grund- 
besitzerklasse diese Politik gemacht habe. Jene „handwerks- 
mäßigen Händler“ aber, „die in der früheren Zeit“ [d. h. bis Ende 
des 15. Jahrhunderts in den Ländern nördlich der Alpen, bis ins 
14. Jahrhundert hinein in Italien]?) „allein da sind, aber natür- 


1) Meine Urkunden zur städt. Verfassungsgeschichte Nr. 126 $ 52 u. 
die vorangehenden $$. 

2) BERTHOLD VON REGENSBURG. Vollständige Ausgabe seiner Predigten. 
Von Franz PFEIFFER (Wien 1862) S. 18 f. 

3) SOMBART 8. 164f. Ferner S. 188: „der berufsmäßige Handel des 
Mittelalters, genauer gesprochen der Handel Italiens bis tief in das 14., der 
des übrigen Europa(s) bis in das 16. Jahrhundert hinein, trägt das unverkenn- 
bare Gepräge der Handwerkshaftigkeit*. Vgl. aber auch S. 399 und Nuc- 
LISCH (oben S. 289 Anm. 1) S. 247. Ferner unten S. 301. 


300 F. Keutgen 


lich auch in späterer Zeit nicht verschwinden“, dürfen deshalb 
„so gut wie gar keine Beziehungen zu dem reichen Kaufmanns- 
stande haben, den wir am Ende des Mittelalters in den großen 
Städten antreffen“; es darf „keine Brücke zwischen jenen beiden 
Gruppen“ geben, „ja nach der ganzen Struktur der mittelalter- 
lichen Gesellschaft nicht“ haben geben können; und der „Gegen- 
satz zwischen Reichen und Armen“ darf bei Leibe nicht „das 
Ergebnis eines Differenzierungsprozesses ursprünglich homogener 
Elemente“ gewesen sein'). Es braucht kaum gesagt zu werden, 
daß das nichts als petitio principii ist. Ebenso, wenn SOMBART 
auch für die ältere Zeit die Existenz „weniger größerer . . . 
Kaufleute“ neben der Masse der bloß handwerksmäßigen Händler 
zwar zugibt, sie aber schlechtweg als „meist gar nicht berufs- 
mäßig“ bezeichnet?). Oder wenn es heißt, daß das Vermögen 
der Händler „ja noch [!] großenteils in Liegenschaften angelegt 
war“). Oder daß in Augsburg Ende des 15. Jahrhunderts 
von den „70 Personen, die ein Vermögen von je mehr als 
6000 fl. . . . besitzen... ., sicher [!] nur ein kleiner Teil der 
Berufshändlerkaste“ angehörte‘). 

Über die Berufsmäßigkeit der größeren Händler später: erst 
müssen wir dem Problem noch von einer andern Seite näher 
treten. 


VI. 


Haben wir bisher aus der allgemeinen Sachlage geschlossen, 
daß der städtische Reichtum notwendig das Erzeugnis von 
Handel und Gewerbe gewesen, und daß von diesem Arbeitser- 
trag nicht etwa der größte, oder überhaupt ein erheblicher Teil 
aus den Händen der „Arbeiter“ in die einer Grundbesitzerklasse 
übergegangen ist, so bleibt dennoch übrig, unabhängig davon 
zu untersuchen, ob nach den damaligen Verhältnissen an sich 





1) S. 284. 

2) S. 174. HÄrKE bemerkt umgekehrt mit Recht, daß gerade die ganz 
kleinen Geschäftsleute nicht alle berufsmäßige Händler waren. Am oben 
S. 289 Anm. 1 a. 0. S. 1081. 

8) S. 171. Es handelt sich um das Jahr 1429. 

4)A.2.0. 


Hansische Handelsgesellschaften. 301 


ein beträchtlicherHandelsgewinn wahrscheinlich war. 
Denn eben hieran ist für unsere besonderen Zwecke weit mehr: 
gelegen als an der Beantwortung der Frage, ob sich allenfalls: 
auch aus Grundrenten ein Vermögen ansammeln konnte. 

Zunächst: stand in Deutschland im 13. oder 14. Jahrhundert 
von einem bestimmten Kapital ein größerer Gewinn zu erwarten, 
je nachdem man es in Grundrenten oder im Handel anlegte? _ 

Hierauf antwortet in klassischer Kürze eine der Handels- 
geschichte seit langem bekannte Stelle der Vita 8. Juettae 
(gest. 1228) verfaßt von ihrem Zeitgenossen HuGo, Kanonikus- 
in Floreffe!): Als Witwe gestattet die Heilige aus Sorge für 
ihre Kinder, 

ut pecunia, quae sibi provenerat ex substantiola sua, publicis 
negotiatoribus accommodaretur, ut supercrescentis lucri nego- 
tiantium particeps esset, sicut multi et honesti secundum 
saeculum idem facere consueverant. 

SOMBART würde diese Stelle ohne Zweifel sehr willkommen 
heißen, wenn sie von Zuständen des ausgehenden 15. Jahr- 
hunderts spräche. Juetta lebte in Huy; ihr Vater, dessen Rat 
sie in der Sache befolgte, war Kellerer des Bischofs von Lüttich. 
Ich meine, man wird diese Gegenden doch wohl kaum zu dem 
Flandern rechnen, wo SOMBART einmal neben Italien bereits- 
seit dem 13. Jahrhundert und noch früher „in größerem Stile 
Geld- und Handelsgeschäfte gemacht“ werden läßt”): es wäre 
sonst nur noch ein Schritt, auch zugunsten Kölns, kurz aller am 
Handel reger beteiligten Gebiete, eine Ausnahme zu konstatieren; 
z.B. Medebach, wo es ja schon Mitte des 12. Jahrhunderts üblich 
war, einem Mitbürger sein Geld zu geben „ut inde negotietur“ °). 
Auch wird man nicht zweifeln dürfen, daß wirklich kein Fall 
von „akkumulierter Grundrente“ vorliegt. Das Wesentliche ist 


1) AA. SS. 13 Jan. I p. 868: Juetta, nicht Ivetta, wie sich in der 
Literatur fast allgemein findet, der Bollandist aber nur mit den Capitalen 
der Überschrift druckt. 

2) SOMBART, S. 291. Um ein Geschäft „größeren Stils“ handelt es sich 
hier natürlich auch nicht. 

3) Stadtrecht von 1165 $ 15. Meine Urkunden zur städtischen Ver-- 
fassungsgeschichte Nr. 141. 





‘302 F. Keutgen 


doch, daß in einer mitteleuropäischen Landschaft Anfang des 
13. Jahrhunderts ganz allgemein die Beteiligung am Handel für 
gewinnbringender gegolten hat als die Anlage desselben Kapitals 
in Grundrenten. Und noch dazu für „mündelsicher“. 


Es konnte ja auch nicht anders sein: man braucht wiederum 
nur einen Blick auf die wohlbekannten allgemeinen wirtschaft- 
lichen Verhältnisse jener Zeit zu werfen: die tausendmal be- 
schriebene Verarmung der kleineren Grundherren, ihr Haß auf 
die „Pfeffersäcke“. Größeren Grundherrschaften, zahlreichen 
Klöstern, erging es sogar noch schlimmer: sie verfielen dem Ruin, 
wenn sie nicht — wie mehrfach geschildert — es verstanden, 
rechtzeitig ihren Betrieb in rationellere, kaufmännischere Geleise 
überzuführen !). 

Später ist es wohl den Grundbesitzern wieder besser ge- 
gangen — auch das ein vielfach behandeltes Thema — aber 
doch eigentlich erst dann, als auch nach SOMBART es sich ge- 
lohnt (sich zu lohnen angefangen) hätte, überschüssige Kapitalien 
im Handel anzulegen. Und jetzt fingen auch sie, die — anders 
als jene städtische Witwe — nach ihrer sozialen Stellung in 
der Hauptsache doch einmal auf Grundrenten für ihren Lebens- 
unterhalt angewiesen bleiben mußten, häufiger an, sich spekulativ 
an Handelsunternehmen zu beteiligen; denn erst jetzt vermochten 
sie das dazu nötige Geld, so wenig es war, zu erübrigen. — 


Um die Geringfügigkeit des Handelsgewinns für den Durch- 
schnittskaufmann recht drastisch zu erweisen, bedient sich Sou- 
BART eines jener Blender, mit deren Hilfe er es liebt, die Lektüre 
seines Buches schmackhafter zu machen. 


Er zitiert ein Rechenexempel LEONARDO PısAanos, eines Rechen- 
meisters aus dem Anfange des 13. Jahrhunderts: 

Quidam pergens negotiando Lucam, fecit ibi duplum et expendit 

inde d. 12. Qui egrediens inde, perrexit Florentiam fecitque 


1) Statt aller: H. PIRENNE, le livre de l’Abb& Guillaume de Ryckel 
1249—1272) Polyptique et comptes de l’abbaye de Saint-Trond. Gent 1896. 
Unterbleiben der Reform mit folgendem Ruin in Werden: R. KÖTZScHKz, 
Studien zur Verwaltungsgeschichte der Großgrundherrschaft Werden an der 
Ruhr. 1901. 


Hansische Handelsgesellschaften. 303: 


ibi duplum et expendit d. 12. Cum rediret Pisas et ibi faceret 
duplum et expenderet d. 12, nil ei proponitur remansisse'). 

Dieses Exempel, sagt SOMBART, habe ihm „wie mit einem 
Blitzlicht die mittelalterlichen Handelsverhältnisse zu erhellen“ 
geschienen ?). 

Nun ist aber auf den ersten Blick klar, daß es sich um kein 
Beispiel aus der Praxis, sondern nur um ein witziges Mittel 
handelt, den Witz der Leser, der Lernenden zu üben. Der ganze 
Kunstgriff beruht auf der Annahme eines minimalen Anfangs-- 
kapitals, eines so kleinen, wie es in Wirklichkeit auch im. 
13. Jahrhundert niemals ein Kaufmann auf die Handelsreise mit-- 
genommen hat — nämlich zehn und einen halben Pfennig! 

Mit 10'/s Pf. „Kapital“ verließ der Quidam Pisa. In Lucca 
verwertete er es mit 100°/, Gewinn, hatte aber 12 Pf. Aus- 
lagen; so blieben ihm nur noch 9 Pf. Damit zog er nach 
Florenz weiter, gewann wieder 100°/,, mußte aber auch wieder: 
12 Pf. ausgeben. Mit den 6 Pf., die ihm jetzt noch übrig waren, . 
kehrte er nach Pisa heim. Noch einmal gelang es ihm, sein 
Kapital durch glücklichen Handel zu verdoppeln; da er aber‘ 
zum drittenmal 12 Pf. verbraucht hatte, so besaß er zuletzt 
nichts. 

Und das soll typisch für „mittelalterliche* Handelsverhält-- 
nisse sein! Wie konnte denn überhaupt irgend ein Handel 
leben, auch nur in den bescheidensten Grenzen, wenn die Un- 
kosten höher waren als das Kapital? Nein, schon wenn 
unser pisanischer Freund statt mit 10!/» Pf. mit dem doppelten 
„Betriebskapital“, mit 21 Pf., ausgezogen wäre, so würde es. 
sich nach dem dreimaligen Umsatz vervierfacht haben (21 >< 2 
= 42 — 12 = 30 x 2 = 60 — 12 = 48 x 2 = 96 — 12 = 84). 
Und wenn er etwa gar 21 f& aufgewandt hätte, ein immer noch 
kleiner, aber doch unter wirklichen Verhältnissen annehmbarer 
Betrag, so würde ihm — denn warum sollten seine Spesen sich 
dadurch erhöhen? — gelungen sein, es beinah zu verachtfachen 
218 <2=-2 F — 12 Pf. = A1 1981 x 2-83 


1) I, 8. 218; vgl. S. 191. 
2) S. 226. 


304 F. Keutgen 


18 6 — 12 Pf. = 838817 x 2 = 167 8 14ß — 12 PL. 
= 167 ff 13 ß. Fehlen an der Verachtfachung 7 ß). 

Selbstredend beschränkt sich SOMBART nicht auf dieses „Bei- 
-spiel“ und behauptet auch nicht, daß im 13. und 14. Jahr- 
hundert alle geschäftlichen Unternehmungen so schlecht abge- 
laufen seien. Er gibt vielmehr eine ganze Reihe höchst dankens- 
werter Gewinnberechnungen nach Handlungsbüchern und andern 
‚Quellen. Aber sein Hauptbeispiel einer detailierten Spesenbe- 
rechnung nach Uzzano von 1442 für den englisch-florentinischen 
Wollhandel krankt wieder an einem gerade SomBARTS Theorie 
schädigenden Umstande '). 

SOMBART rechnet bei einem enormen Preisaufschlage einen 
mäßigen Gewinn von 5!1/—22°/o oder im Durchschnitt von 
13*/1°/, heraus. In den Spesen aber steckt eine Seeversiche- 
rungsprämie von 12—15°/, des Wertes. Fiele diese fort, so 
würde sich also der Gewinn sehr wesentlich erhöhen. Mit 
andern Worten: der Umstand, daß das Beispiel dem „Spätmittel- 
alter“ angehört und Verhältnissen, „die schon eine hochent- 
wickelte Organisation des Frachtverkehrs und der Seeassekuranz 
aufweisen“, hat gerade dazu beigetragen den Verdienst nicht 
höher, sondern niedriger zu gestalten, ganz nach dem wohlbe- 
kannten Paradigma: je größer die Sicherheit, desto niedriger 
der Gewinn. Für eine frühere Zeit, für primitivere Verhält- 
nisse also kann man bei größerer Unsicherheit auf einen höheren 
Gewinn rechnen. Wenn es gut abläuft! 

Hieran aber hängt eine der allerwesentlichsten Folgerungen! 

Schon bei dem Beispiel aus Uzzano muß die große Varia- 
bilität des Gewinns auffallen. Nun aber behauptet ja niemand, 
daß in jener Epoche alle Geschäfte großen Gewinn abgeworfen, 
daß alles im Handel angelegte Kapital zu Akkumulationen ge- 
führt habe, daß alle Kaufleute reich geworden seien. 

Im Gegenteil! Bei der außerordentlichen Unsicherheit des 
Verkehrs, bei den vielfachen Gefahren zu Wasser und zu Lande, 
den Chikanen der Gewalthaber mancherlei Art ist ja mit einem 
großen Prozentsatz von totalen Verlusten zu rechnen, auch Ver- 


1) S. 221f. 


Hansische Handelsgesellschaften. 305 


lusten am Leben. Man kann nur staunen, allein schon nach 
dem was man wieder und wieder vom Raubrittertum liest, daß 
überhaupt ein ersprießlicher, einigermaßen regelmäßiger Handels- 
verkehr möglich war. Man wundert sich schließlich, daß noch 
Leute wagten, mit begehrenswerten Waren in die Welt hinaus- 
zuziehen. 

Dazu die Schrecknisse der Seefahrt, die Kriegsgefahren: es 
kostet einen Aufwand von Vorstellungskraft, alle dem gegenüber 
sich die Wirklichkeit einer Handelsblüte in irgend einem Sinne, 
an deren Existenz ja freilich trotzdem nicht zu zweifeln ist, vor 
Augen zu halten. Überhaupt eins der interessantesten Probleme, 
das jedoch in den Geschichtsbüchern meist nur in einem schemen- 
haften Hintergrunde zu bleiben pflegt: wie vereinigen sich zahl- 
lose Gewalttaten mit dem im ganzen doch wohlgeordneten und 
in beständiger Weiterbildung begriffenen Wirtschafts- und Rechts- 
leben!)? 

Wie zahlreiche Kaufleute also, von denen wir nichts wissen, 
mögen auf ihren Fahrten zugrunde gegangen sein! Wie viele 
mehr das eine Mal gewonnen, das andere Mal verloren haben. 
Allein das läßt immer noch die Möglichkeit eines ansehnlichen 
Überrestes von solchen, die regelmäßig Glück hatten, bald mehr, 
bald weniger gewannen, und zuletzt sich ein Vermögen an- 
sammelten. Mehr aber wird nicht verlangt! 

Nur muß für den Durchschnitt doch noch einmal betont 
werden, daß regelmäßig auf einen mäßigen Gewinn mit ziemlicher 
Sicherheit gerechnet werden konnte. Nicht nur wäre sonst die 
ganze städtische Entwicklung unmöglich gewesen; nicht nur 
weist jene ,Mündelsicherheit“ im Falle der heiligen Juetta 
‚darauf bin: sondern vor allem auch das System der Ver- 
gesellschaftungen, das wir noch näher kennen lernen werden, 
das ein Vorwiegen glücklicher Ausgänge zur Voraussetzung hat, 
and bei dem wir auch an wiederholten Abschlüssen zwischen 
denselben Teilhabern die nicht unbedeutende Höhe der Gewinne 
erschließen können?). 


1) Korrespondenzblatt des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und 
Altertumsvereine 1904 Sp. 21. 


2) Vgl. auch SOMBART, I. S. 228. 


306 F. Keutgen 


Ein grundsätzlicher, methodologischer Gesichtspunkt aber ist 
folgender. 

Durchschnitte mögen sehr belehrend sein bei Untersuchungen 
über die Lage des Handwerks: der Handel, zumal der Grof- 
handel, der Fernhandel ist dafür zu vielgestaltig. Immerhin 
läßt sich dieses sagen: die große Mehrzahl auch der ihm ob- 
liegenden Kaufleute bringt es keineswegs zu Reichtum. Sie 
sind zufrieden, wenn sie sich schlecht und recht durchschlagen, 
ihre Kinder unterbringen und bestenfalls an ihrem Lebensabend 
ein bescheidenes Einkommen verzehren können. Gewöhnlich ist 
der einzelne dann nicht viel weiter, als wo sein Vater aufgehört 
hatte. Hat er gut „verdient“, so lange er noch regsam war, 80 
pflegen bei zunehmendem Alter Geschäft und Verdienst oft genug 
zurückzugehn, und er kann sich freuen, wenn nicht plötzliche 
Veränderungen der großen Handelswege ihn schon zu unelastisch 
treffen, sich ihnen anzupassen. So ist es heute und so wird es 
von je gewesen sein. 

Die große Mehrzahl der eigentlichen Kaufleute, der Grossisten 
an den alten Sitzen des Großhandels, in England wie in Deutsch- 
land, und vermutlich in Frankreich ebenso, lernt und betreibt 
auch heute noch ihren Beruf in „empirisch-traditioneller“ Weise?). 
Die, die dem Handel neue Bahnen weisen und Reichtümer 
sammeln sind eine Minderzahl. Sie freilich erregen die Auf- 
merksamkeit wie der Moralisten und Theologen im Zeitalter der 
Fugger, so der Nationalökonomen heute. Die andern aber, die 
große Masse mit ihrem mäßigen Gedeihen, liefern für Blüte und 
Aufschwung des Handels den sichern Grund. 

SOMBART begeht den Fehler und verfängt sich in dem Wider- 
spruch, daß er zwar für heute die Großkapitalisten, einschließlich 
der ,Mammuth“detaillisten wie Whiteley, Wanamaker, Field, 
als die Typen des Kaufmanns behandelt und die große Masse 
der normalen kleinen und mittleren Grossisten übersieht: mit 
einem gewissen Recht, insofern jene die Bewegung „machen“, 
die zu schildern seine Aufgabe ist. Ähnlich mit den Fuggern 


1) Bis ans Zopfige Wehe dem jungen Manne an einem deutschen 
Kontor, selbst im Auslande, dem es einfallen sollte, einen deutsehen Brief 
mit „lateinischen“ Buchstaben zu schreiben! 


Hansische Handelsgesellschaften. 307 


und Welsern und einigen ihrer Zeitgenossen. Dagegen vordem 
will er umgekehrt nur die Kleinen und Allerkleinsten als Typen, 
ja überhaupt als Berufskaufleute gelten lassen; die Führer des 
hansischen Handels aber werden zu Gelegenheitshändlern herab- 
gesetzt, nur weil er nicht will, daß der regelmäßige Handel aur 
sich es zu etwas gebracht haben könne. 

In bezug auf den Berufscharakter der Wittenborg und 
Geldersen als Kaufleute, die zugleich Ratherren und Grund- 
besitzer waren — genau wie die, die heute im Bremer, Hau- 
burger oder Lübecker Senat sitzen — darf ich auf das ver- 
weisen, was ich in den Hansischen Geschichtsblättern gegen 
Bücher ausgeführt habe. Um so mehr als auf BÜCHER, so un- 
haltbar dessen Schlußfolgerungen gerade über den Frankfurter 
Großhandel sind, auch SOMBART wiederum fußt?). 

SOMBART findet in dem Handlungsbuche „eines solchen Rats- 
herrn“ nur alle 14 Tage einen Eintrag und fragt: „was hätte 
der arme Mann mit seiner Zeit anfangen sollen, wenn er wirk- 
lich ... Berufskaufmann gewesen wäre“?)? Und was, wenn er 
es nicht war? Sal er, wie der Rentner der „Fliegenden Blätter“, 
den ganzen Tag und verdiente sauer sein Brot mit Couponab- 
schneiden? Den Gewandschneider — und das war doch schließ- 
lich auch Ratherr Geldersen — und den Krämer läßt SomBarr 
„hinter dem Ladentisch stehen und Elle und Wage fleißig 
führen“°). Ja, glaubt er, daß es bei dem ein- und ausge- 
gangen ist wie bei Wertheim? Wie verbrachten die Menschen 
damals überhaupt ihre Zeit? 

Schon HäÄrkeE, der überhaupt eine erfreuliche (leider so 
seltene!) Vertrautheit mit dem Wesen der Kaufmannschaft und 
dem Leben des Kaufmannsstandes zeigt, hat betont, wie viel 
mehr Zeit man sich ehemals zu allen Geschäften nahm‘). .Wie 


1) Mein „Großhandel“, S. 111f. — Daß Büchers Einschätzung des 
Frankfurter Großhandels im 15. Jahrhundert unrichtig war, ergibt sich auch 
aus HUMMEL, „Die Mainzölle von Wertheim bis Mainz“. Westdeutsche 
Zeitschrift Bd. XI (1892), bes. S. 330 ff., S. 335. 

2) S. 293. 

3) S. 177. 

4) A. a. O. (oben S. 289 Anm. 1) S. 1086 f. 

Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 21 


308 F. Keutgen 


langsam wird man gedacht und gesprochen, wie gründlich die 
angebotenen und erhaltenen Waren geprüft, die Verpackung und 
Verladung beaufsichtigt haben! Daß aber, auch wenn man nur 
auf die großen Züge, die Abschlüsse selbst sieht, gerade Wit- 
tenborgs Handelsbetrieb die Aufmerksamkeit eines ganzen 
Mannes erheischt hat, hoffe ich in dem Schlußkapitel meiner 
Abhandlung darzutun. 

SOMBART aber greift noch zu einer weiteren Hilfshypothese. 


VIL. 


Zwischen den bloßen Gütertausch durch die Produzenten 
selbst und den berufsmäßigen Handel sollen sich als dessen 
Vorstufen einschieben zwei andere Entwickelungsstufen: 
der Raubhandel und der Gelegenheitshandel'). 

Er erklärt, daß die „dem einseitigen Handel zugrunde 
liegende* Idee die „dem natürlichen Menschen allein verständ- 
liche ist: daß nämlich der Erwerb der als Verkaufsobjekt dienen- 
den Waren nicht auf dem Wege eines freihändigen Kaufs zu er- 
folgen habe, sondern tunlichst durch entgeltlose oder entgelt- 
niedrige Wegnahme der Waren“?). „Entgeltniedrig“, d.h. Ab- 
nahme gegen ein Scheinentgelt, Elefantenzähne gegen Glas- 
perlen. Nun mag es ja gewiß dem „natürlichen Menschen“ sehr 
angenehm sein, wenn er die Dinge, die er um hohes Entgelt 
zu verhandeln hofft, seinerseits so gut wie unentgeltlich erwerben 
kann; allein, daß das der ihm „allein verständliche“ Modus sei, 
ist wiederum nichts als „petitio prineipii“. 

Sind auch Raubhandel und Gelegenheitshandel als interes- 
sante Begleiterscheinungen ohne weiteres zuzugeben, so fehlt doch 
jede Notwendigkeit für ihre Annahme als Vorstufen des berufs- 
mäßigen Handels. 

Das Gegenteil ergibt bereits eine sehr einfache Erwägung: 
schon rein psychologisch bedarf der Übergang vom Gütertausch 
der Produzenten zum berufsmäßigen zweiseitigen Handel durch- 
aus keiner Zwischenstufen. Wenn es „natürlich“ und „verständ- 
1) S. 162 ff. 
2) S. 164. 


Hansische Handelsgesellschaften. 309 


lich“ schien, schwere Arbeit zu leisten, um Waren für den Ver- 
kauf herzustellen — und zwar regelmäßig, also berufsmäßig —, 
so war es ebenso natürlich und verständlich, sie gegen ein billiges 
Entgelt mit der Absicht des Wiederverkaufs berufsmäßig zu er- 
werben. Oder, nachdem anfangs die Produzenten gewißer Waren 
sie selbst gewohnheitsmäßig zum Verkauf auf ferne Märkte ge- 
tragen hatten'), bedeutete es nur einen Schritt, bis einzelne An- 
gehörige des Hauses berufsmäßig allein den Vertrieb, andere 
allein die fernere Herstellung übernahmen. 

Der Fortschritt vom Gütertausche zum Handel ist also auf 
dem Wege der Arbeitsteilung erfolgt. Raubhandel und Gelegen- 
heitshandel sind daneben aufgetreten, wie sie ja bis in die 
neueste Zeit neben dem berufsmäßigen Handel weiterbestehen. 
Aber der wirtschaftsgeschichtliche Fortschritt ward nicht durch 
sie gegeben. Es steht eben mit ihnen wie mit so manchen 
„Wirtschaftsstufen“, bei deren Konstruktion man logische und 
historische Folge verwechselt hat. Es leuchtet ja so ein: „Güter- 
tausch die einfachste Form, einseitiger Handel; Raubhandel, im 
Grunde auch noch einseitig, nähert sich doch schon dem reinen 
Handel; Gelegenheitshandel, zweiseitig, aber noch nicht berufs- 
mäßig; berufsmäßiger zweiseitiger Handel, höchste Stufe“. Das, 
wie gesagt, ist die logische Abfolge, aber der historischen ent- 
spricht sie nicht! Warum nicht auch Neger und Rothäute für 
Vorstufen des Kaukasiers erklären? 


VIIL. 


Auf Psychologie läuft eben bei SoMBART überhaupt alles 
hinaus. Die Theorie von der Kapitalakkumulation aus Grund- 
renten freilich war wohl ein fertig mitgebrachtes Dogma; doch 
davon abgesehen, liegt neben verschiedenen kleineren, wie wir 





1) Vgl. O. SCHRADER über den hesiodeischen Bauer, der „selbst 
sein Schiff sich zimmert und selbst die Überproduktion seiner Arbeit nach 
auswärts verfährt“. Linguistisch-historische Forschungen zur Handelsgeschichte 
und Warenkunde I., S. 69. Bei Schrader bildet dann aber der Seeraub keines- 
wegs den Übergang von diesem „einseitigen Handel“ zum zweiseitigen, wie 
man nach der von SOMBABT, 8. 189f., eingehaltenen Reihenfolge glauben 
könnte! Eher umgekehrt. 


310 | F. Keutgen 


soeben eins betrachteten, ein großes psychologisches Pro- 
blem bei ihm allem übrigen zugrunde. Überhaupt darf man 
sich durch die Fülle seines Materials ja nicht täuschen lassen: 
SOMBARTs Methode ist keineswegs die induktive. Er verfährt 
durchaus deduktiv, und seine in der Tat erstaunliche Belesenheit 
dient im Grunde nur dazu, seine auf deduktivem Wege ge- 
wonnenen Schlüsse zu illustrieren. 

So richtig und wesentlich es daher sein mag und wirklich 
ist, die Falschheit dieser Schlüsse auf dem umgekehrten Wege, 
also quellenmäßig, aufzudecken; so bleibt doch als Hauptsache 
die Aufgabe, den Kernfehler der ganzen Deduktion selbst — 
nachdem deren Ergebnisse sich einmal als verkehrt erwiesen — 
in ihrem Ausgangspunkt zu zeigen. 

Die Entstehung des modernen Kapitalismus wird von 
SOMBART zurückgeführt auf die Geburt des „spiritus capitalis- 
ticus“ oder, wie er es auch wohl ausdrückt, des „economical man“. 
Der Kapitalismus konnte erst entstehen, nachdem in den Menschen 
der kapitalistische Unternehmungsgeist geboren war. Das 
ist der Angelpunkt des ganzen SomsArTschen Buches. 

Dieser kapitalistische Geist muß also irgendwann einmal ge- 
boren sein; es muß eine Zeit gegeben haben, wo er noch nicht 
lebte. Das kann natürlich nur das „Mittelalter“ gewesen sein — 
was vor dem liegt, interessiert für die Entstehung des modernen 
Kapitalismus nicht: die Geburt muß in dessen Ende fallen. 
Und so sind denn die ersten Partien des Buches dem Nachweis 
gewidmet, daß in diesem „Mittelalter“ von kapitalistischem Geist 
weit und breit keine Spur sich findet. 

Nun wird man gerne zugeben: ohne kapitalistischen Unter- 
nehmungsgeist kein Kapitalismus, einerlei ob man im übrigen 
die „psychologische“ Methode der Erklärung geschichtlicher 
Vorgänge für mehr oder weniger erschöpfend hält. Man wird 
ferner als selbstverständlich anerkennen, daß in einer Epoche, 
wo der Kapitalismus herrscht, der kapitalistische Geist weiter 
verbreitet und intensiver ausgebildet ist, als zu Zeiten, wo der 
Kapitalismus noch eine verhältnismäßig geringe Rolle spielte. 
Allein, wenn man nach diesen Voraussetzungen eine Geburts- 
stunde des kapitalistischen Geistes feststellen will, so wird man 


Hansische Handelsgesellschaften. 311 


veit weniger von vorgefaßten Meinungen ausgehen müssen, als 
# in diesem Falle geschehen ist. — 

Schon in seinem „Geleitwort“ springt dieser Gedanke der 
xeburt des kapitalistischen Geistes zu einem bestimmten Zeit- 
yunkt als der zentralwirksame heraus. SOMBART sucht nach 
inem ordnenden Prinzip. Er verwirft — für seinen Zweck 
nit Recht — das teleologische und hält sich an das kausale'): 
nit der selbstverständlichen Einschränkung, daß auch der kausal 
xruppierende „bestimmte Komplexe von Phänomenen“ stets „in 
eleologische Gedankenreihen“ einzugliedern haben wird?). Als 
etzte Ursachen aber, „auf die wir soziales Geschehen zurück- 
ühren wollen“, erklärt er — natürlich nicht ohne weitere Be- 
ründung — „die Motivation lebendiger Menschen“ an- 
ehen zu wollen, „menschliches Handeln bezw. die Motive oder 
‚weckreihen, unter denen es erfolgt“?). 

Es liegt aber im Interesse der Einheitlichkeit der Erklärung, 
enes „obersten Postulats theoretischen Denkens“*), daran, 
mter den vielen zusammenwirkenden Motiven eines als das 
ührende herauszugreifen. Wollte man jedoch „das gesamte 
oziale Leben oder wenigstens das Wirtschaftsleben aus einer 
inzigen Motivreihe“ ableiten, so hieße das „ganz gewiß den 
heoretiker zu einem unerträglichen Banausentum verdammen“°). 
fehr Aussicht auf einen  befriedigenden Ausweg aus diesem 
Jılemma bietet es dagegen, wenn es gelingen sollte, „je für 
'estimmte, historisch abgrenzbare Wirtschafts- 
‘erioden je verschiedene Theorien zu formulieren“. 
Ind das Ziel lautet also: „einheitlich geordnete Erklärung 
us den das Wirtschaftsleben einer bestimmten 
‚poche prävalent beherrschenden Motivreihen der 
ührenden Wirtschaftssubjekte“®). 

Die Abgrenzung einer solchen Wirtschaftsperiode aber, die 


312 F. Keutgen 


Feststellung ihres Beginnes, erfolgt durch „kausalen Regressus“. 
Den Punkt, „wo wir [!] die prävalenten Triebkräfte einer 
Wirtschaftsperiode ihre Wirksamkeit beginnen lassen“ [!], 
finden wir durch Rückverfolgung der wirtschaftlichen Erschei- 
nungen nach Wirkung und Ursache bis dahin, wo „eine Reihe 
von Umständen sich als vorhanden ergibt, deren Auflösung in 
der oben gekennzeichneten Art aus Gründen der wissenschaft- 
lichen Arbeitsteilung nicht möglich ist, die also vom sozialen 
Theoretiker als originäre Bedingungen der Wirksamkeit jener 
treibenden Motive notwendig zu konstituieren sind“). 

Mit all dem kann ich mich, bis auf einen durch „[!]“ ge- 
kennzeichneten Punkt, einverstanden erklären. Nicht jedoch mit 
der Art, wie SOMBART in seinem konkreten Falle die Ab- 
grenzung der Wirtschaftsperiode, die ihn interessiert, 
bewerkstelligt. 

Hier scheint mir sein Regreß nicht weit genug getrieben, 
sind seine Gedankenreihen doch nicht ganz „lang“ genug aus- 
gefallen. Er hat uns in seiner subjektivistischen Weise etwas 
zu viel von dem „wir... beginnen lassen“ gegeben, statt 
eines objektiven „es beginnen“. Er hat es mit der empirischen 
Feststellung des Beginns zu leicht genommen. Er ist hängen 
geblieben an dem Schema dreier „großer Epochen“, die 
seit dem Niedergang der antiken Kultur in dem wirtschaftlichen 
Leben der europäischen Völker aufeinander gefolgt seien: die 
„bäuerlich-feudaler Organisation“; die „der handwerksmäßigen 
Organisation“; und drittens die vorwiegend „kaufmännischen 
Wesens“, „in der wir heute noch leben“ ?). 

Versteht sich, daß er die Anfänge der dritten Periode in 
der zweiten sucht. Allein dieses Schema hätte für ihn über- 
wunden sein sollen. Die Beginnsetzung hätte weniger einfach 
empirisch, sie hätte strenger theoretisch begründet werden 
müssen. Und ich glaube, daß SomBarT eine strengere historische 
Schulung, eine ausgebreitetere Quellenkenntnis jener Frühzeit, 
ein reiner historischer Geist dazu verholfen haben würde. 


1) S. XXVII. 
2) 8. XXXIf. 


Hansische Handelsgesellschaften. 313 


Die theoretische Begründung! SomBaRT hat ihre Notwendig- 
keit natürlich nicht übersehen: das ergibt sich ja schon daraus, 
daß die Abgrenzung von Wirtschaftsepochen im allgemeinen 
den Angelpunkt seines Systems ausmacht. Aber zuletzt findet 
er die Grenze, den Punkt, über den sein Kausalregreß nicht 
weiter kann, eben doch auf empirischem Wege. 

Ließe er sich indes nicht auch theoretisch genauer bestimmen ? 

SOMBART selbst bietet bis zu einem gewissen Grade die 
Handhabe dazu, indem er sagt, daß der „kapitalistische Geist 
als treibende Kraft des modernen Wirtschaftslebens“ sich zu 
entfalten beginnen konnte nur in einer eigenartigen Welt, „d.h. 
in einer bestimmten Natur, unter bestimmten Rassen, 
mit einem bestimmten Ausmaß technischen Könnens, auf einem 
bestimmten Niveau geistiger Kultur, im Rahmen einer be- 
stimmten Rechts- und Sittenordnung“'). An einer andern Stelle 
faßt er umgebende Natur, Eigenart der Rasse und Ausmaß tech- 
nischen Könnens als naturale oder absolute Bedingungen des 
Wirtschaftslebens zusammen‘). Allein da verlangt man nach 
strengerer Unterscheidung. „Ausmaß technischen Kônnens“, 
„Niveau geistiger Kultur“, ,Rechts- und Wirtschaftsordnung“ 
hätten mit als Gegenstand der Forschung gesetzt, in ein- 
dringenderer Weise, als geschehen, dazu gemacht werden müssen: 
umgebende Natur und Eigenart der Rasse allein sind wirklich 
absolute oder primäre Bedingungen. 

Daß diese Unterscheidung unterlassen ist, daß SOMBART hier 
einen Gedankensprung gewagt hat, daran krankt zuletzt der 
ganze historische Abschnitt seines Werkes. 

Als primäre Bedingungen zweiter Ordnung erst — man ge- 
statte diesen scheinbar nicht ganz logischen Ausdruck, der aber 
sogleich seine Erklärung finden wird — wäre diesen beiden an- 
zureihen eine gewisse Gesamtheit der Erzeugnisse menschlicher 
Betätigungen, an deren Erforschung der Kausalregreß des 
Sozialtheoretikers notwendig eine Grenze finden muß. 

Ich begreife darunter einmal das Ausmaß menschlicher Er- 
rungenschaften — einschließlich des technischen Könnens 

1) S. XX VIII. 

2) 8. XXV. 


314 F. Keutgen 


— das die in Frage stehende ,Rasse“, die wir von einer 
bestimmten Natur umgeben vorfinden, bei ihrem Eintritt in 
die „Geschichte“ mitbringt, dessen „vorgeschichtliche“ Weiter- 
verfolgung sich regelmäßig der Arbeitsmethode unseres Forschers 
entziehen würde. Ferner aber die Gesamtheit menschlicher Er- 
rungenschaften, die jener Rasse auch später noch von aus- 
wärts zugeflossen ist. Und endlich die Ereignisse der poli- 
tischen Zeitgeschichte, die die Wandlungen der Wirt- 
schafts- und Rechtsgeschichte mitbestimmt haben und doch 
ebenfalls notwendig jenseits des Arbeitsgebietes des Sozial- 
theoretikers liegen. 

Es handelt sich bei der Anerkennung dieser „primären Be- 
dingungen zweiter Ordnung“ also wesentlich um Arbeitsteilung, 
wie bei SoMBaRrTs Einreihung des technischen Könnens unter 
die absoluten Bedingungen auch. Sie sind nicht in sich primär 
in demselben Grade wie umgebende Natur und Rasse, insofern 
es sich bei ihnen um unmittelbare Produkte menschlichen Geistes 
und menschlichen Wollens handelt. Es wäre ihnen gegenüber 
nicht wie bei jenen nötig zu weiterer Erforschung in das Gebiet 
der Naturwissenschaften hinüberzusteigen, wenn auch zum Teil 
in das Grenzgebiet der Prähistorie, einschließlich der dem Sozial- 
theoretiker ebenfalls notwendig fremden Sprachvergleichung. Sie 
würden ihm bei nur einiger Erweiterung seiner Arbeitsmethoden 
wohl zugängig sein. Allein er muß sie aus praktischen Gründen 
als primäre gelten lassen. 

Diese methodische Reinlichkeit der Unterscheidung jedoch 
— und das ist nun die Hauptsache — hat, wie fast immer, 
auch praktische Bedeutung. Es handelt sich ja um die Ab- 
grenzung des Arbeitsfeldes selbst, und es ist wesentlich, daß 
wir uns über die Gründe der Abgrenzung völlig klar sind. 
Denn es läuft hier nicht etwa hinaus auf eine bloße bereicherte 
Aufzählung der von SOMBART angenommenen primären Be- 
dingungen; sondern die gegebene begriffliche Abgrenzung wird 
es erst ermöglichen, die in Untersuchung stehende Entwicklung 
wirklich bis in ihre letzten Wurzeln innerhalb des abgegrenzten 
Gebietes zu verfolgen. 

Denn indem SoMBART eine der kapitalistischen vorangehende 


\ 


Hansische Handelsgesellschaften. 315 


Wirtschaftsperiode mit einem „bestimmten Ausmaß technischen 
Könnens“, einem „bestimmten Niveau geistiger Kultur“, einer 
„bestimmten Rechts- und Wirtschaftsordnung“ konstatiert und 
demnach hier die Anfänge der Erscheinung, die ihn eigentlich 
interessiert, des Kapitalismus, sucht, ist die Folge, daß er diese 
Periode, die er unter dem Begriff des „europäischen Mittelalters“ 
zusammenfaßt, möglichst scharf in Gegensatz zu der folgenden 
-kapitalistischen“ setzt. Hier also liegt der letzte Grund seiner 
schiefen Darstellung so vieler Erscheinungen innerhalb jener 
Periode, und deshalb ist es ihm passiert, daß er so zahlreiche 
Wurzelfasern des Kapitalismus abschneidet. 

Es ist gerade angesichts des von SOMBART geforderten Kausal- 
regresses nicht angängig, durch die Geschichte des Untersuchungs- 
objektes, das zuletzt allein durch Eigentümlichkeiten der Rasse 
und der umgebenden Natur sich begrenzt, willkürlich einen 
Strich zu ziehen und zu erklären: hier kann ich anfangen. Wir 
verlangen vielmehr, daß er, der Sozialtheoretiker, die Geschichte 
der durch Rasseneigentümlichkeit verbundenen Völker als Ein- 
heit faßt, daß er die Erscheinungen, deren Ursachen er nach- 
spürt, zurückverfolgt, soweit sich innerhalb der Geschichte jener 
Völker noch Spuren davon finden. Nur davon ist er der Natur der 
Sache nach entbunden, daß er den Regreß weiter treibe bis in die 
Prähistorie hinein, oder in das klassische Altertum oder die 
Kultur der Byzantiner und Orientalen. Da darf er sich darauf 
beschränken, festzustellen, was übernommen wurde: falls nicht 
besondere Gründe dagegen sprechen. 

Dann wird ihm auch die Wirtschaftsgeschichte jener Völker 
als die Einheit erscheinen, die sie der Natur der Sache nach 
sein muß. Und er wird davor bewahrt bleiben, künstliche Gegen- 
sätze zu konstruieren, die der geschichtlichen Wirklichkeit wider- 
sprechen. 


IX. 


Wenn es sich also um das Problem handelt, das Auftreten 
des kapitalistisch empfindenden, kapitalistisch denkenden, kapi- 
talistisch wollenden und handelnden Menschen zu verfolgen, 80 
ist es gewiß richtig, daß SOMBART es ablehnt, mit einer umfassen - 


316 F. Keutgen 


den Analyse der menschlichen Psyche seine Untersuchung ein- 
zuleiten!. Er hat es nur mit der Psyche des Volkes oder der 
Völker zu tun, in deren Bannkreis der moderne Kapitalismus 
geboren und großgeworden ist. Ob z. B. bei den Orientalen 
angeborene psychische Rasseneigentümlichkeiten, oder klimatische 
oder geologische, hydrographische Verhältnisse, oder etwa die 
Wucht religiöser Vorurteile es verhindert haben, daß unserm 
modernen Kapitalismus ähnliche Erscheinungen bei ihnen ent- 
standen sind, liegt außerhalb seiner Befugnis zu ergründen. 
Falsch aber ist es, innerhalb der Geschichte des einmal zur 
Untersuchung stehenden Volkes radikale Abwandlungen der 
Psyche anzunehmen. Wohl mag zu verschiedenen Epochen bald 
die eine, bald die andere Seite jener Psyche stark in Aktion 
treten: an der Einheit der Rassenpsyche selbst, über alle Epochen 
hin, hat er als an einer Grundtatsache festzuhalten. Durch 
nichts ist bisher erwiesen, daß zu verschiedenen Zeiten der 
Grundcharakter der Seele eines Volkes sich verändert habe. 
Und übrigens würde der Forscher mit einer solchen Annahme 
auch gegen seinen Satz von der Rasse als einer seiner primären 
Bedingungen verstoßen. 

Hier aber eben liegt der Grundfehler SoMBARTS in der Be- 
urteilung der „vorkapitalistischen“ Periode: in der Annahme 
einer radikalen Umwandlung der Psyche der modernen Völker, 
soweit sie wenigstens wirtschaftlich gerichtet ist. Nur einmal 
entschlüpft ihm, entgegen all seinen sonstigen mühevollen Dar- 
legungen — jedenfalls aus den Tiefen angeborener richtigerer 
Erkenntnis heraus — die Frage: „warum sollte es denn anders 
wie heute zugegangen sein?“, nämlich, daß dem, der da hat, 
gegeben wird®). Auch in diesem Falle freilich ce n’est que le 
premier pas qui coûte. Diesen ersten Schritt zu tun aber waren zu 
allen Zeiten Viele bereit, und jeder auf seine Weise. 

„Warum sollte es denn anders zugegangen sein 
als heute?“ das ist die Frage, die man wieder und wieder 
beim Lesen des 14. Kapitels, das von dem „Erwachen des Er- 


1) 8. XX. 
2) 8. 269. 


Hansische Handelsgesellschaften. 817 


werbstriebes“ handelt, an den Rand schreiben, dem ganzen. 
Kapitel als Kontra-Motto vorsetzen möchte. 

Ich übersehe nicht, daß SomBarT zugibt, daß überall „dem 
Menschen die sehnende Sucht nach dem glänzend gleißnerischen 
Golde innewohnt“!). Aber wenn „dieses Goldfieber“ zuzeiten 
„einen akuten Charakter annimmt“, so ist das stets dann eingetreten. 
wenn sich der Menschheit plötzlich ungewöhnliche Möglich- 
keiten darzubieten schienen, den Goldhunger zu be- 
friedigen. Das „ausgehende Mittelalter“ bietet da keine Be- 
sonderheit: wir haben keinen Grund zu zweifeln, vielmehr wir 
wissen, daß die „auri sacra fames“ genau so stark gefühlt und 
ihrem Geheiß eben so eifrig gehorcht wurde schon auf dem 
ersten Kreuzzug, ja schon auf jedem Zug der Völkerwanderung. 

Gewiß sind es interessante Probleme, — oder nach SOMBART 
Tatsachen — ob oder inwieweit infolge der vielen Glaubens- 
kriege eine Verweltlichung der Lebensauffassung eingetreten sei”), 
und ob der Protestantismus die Entwicklung des Kapitalismus 
wesentlich gefördert habe’). Aber wenn wirklich „während 
[NB] des europäischen Mittelalters die Wertung des Geldbesitzes 
an Intensität zunimmt“ ), so hat wenigstens mir stets geschienen, 
daß das geschehen ist nach Maßgabe der Zunahme der Mög- 
lichkeiten das Geld zweckmäßig zu verwerten, und zwar 
schon von den ersten Zeiten an. Und hier lägen doch wohl 
die eigentlichen Einzelprobleme gerade für den Geschicht- 
schreiber der Anfänge des Kapitalismus! 

Wenn CaALvın geäußert hat: „quis dubitat pecuniam vacuam. 
inutilem omnino esse?“, so ist das „eine historisch nachfolgende“ 
Erscheinung“ °) nur bei einem Theoretiker. Die Praktiker dagegen, 
alle ordentlichen grundherrschaftlichen Verwaltungen haben stets so 
gedacht, geistliche wie weltliche. Es ist falsch, daß alle „die 
Fürsten und Könige, die Bischöfe und Päpste, die Klöster und 
Orden, . . . in deren Händen ja die erste Akkumulation von 





4) S. 381. 
5) S. 379. Nach NEUMANN, Geschichte des Wuchers in Deutschland, S. 493. 


318 F. Keutgen 


größeren Geldbeträgen erfolgt“ ist, der Auffassung gehuldigt 
haben, daß das Geld nur „zum Ausgeben da sei“!); oder wenn 
‘sie so unerfahren dachten, so taten es doch ihre Verwalter nicht. 
Der Gedanke dagegen, daß, wer reich ist, „damit das Privilegium 
erworben habe, sich um wirtschaftliche Dinge nicht [zu] kümmern 
zu brauchen“ ?), ist auch heute noch nicht ausgestorben: der 
„Ideenkreis des Ritters“ aber darüber ist ebensowenig maß- 
gebend für seine Zeit, wie für die unsrige der des Leutnants 
oder des Studenten. 

Nicht der entfernteste Beweis ist dafür erbracht, daß wir es 
mit dem „Ergebnis einer ganz und gar neuen Gedankenreihe“ 
zu tun haben, „wenn man begreifen lernte: zur Vermehrung des 
Geldes könne . . . auch die bisher unbewußt [!] geübte normale 
— wirtschaftliche Tätigkeit dienen“°). Die Wegelagerei der 
Raubritter hat unter dem Zwang der Staatsgewalt aufgehört, 
nicht dank vertiefter wirtschaftlicher Einsichten auf seiten jener 
Herren; während andere gewaltsame Mittel zu „rascher Bereicherung“ 
_ auch heute noch ihre Freunde finden. „Goldgräberei“ hat im 
19. Jahrhundert üppiger geblüht als je im „Mittelalter“, während 
„Bauernschinderei* und „Alchemisterei* sich zur höheren Bauern- 
fängerei verbunden haben. Nein, ich wenigstens kann es mir in 
der Tat nicht vorstellen, „welches ungeheure Raffınement dazu 
gehörte, den Gedanken zu fassen: durch Wirtschaften sei Geld 
zu verdienen“ “). 

Gänzlich unzulässig ist es, sich darauf zu berufen: „In Italien 
vernehmen wir schon im 14. Jahrhundert die Klagen der Mors- 
listen über die zunehmende Sucht nach dem Golde“; oder 
daß WIMPHELING seine Zeit beklagenswert nenne, „in welcher 
das Geld zu regieren angefangen“. Wie kann ein ge- 
schulter Forscher derartigen Klagen das Gewicht historischer 
Zeugnisse beilegen ? 


1) S. 378. ,Ausgeben“ natürlich im Gegensatz gedacht zu „gewinn- 
bringend anlegen“. 

2) S. 378. 

3) S. 388. 

4) S. 388. 

5) S. 388. 


Hansische Handelsgesellschaften. 319 


SOMBART ereifert sich einmal über die Verquickung 
ethischer Gesichtspunkte mit den nationalökonomischen bei 
Untersuchung wirtschaftsgeschichtlicher Probleme’), und der- 
gleichen trübt ja in der Tat manche wirtschaftsgeschichtliche Dar- 
stellung. Doch bei SOMBART selbst, so sehr er sich kraft rich- 
tiger Erkenntnis und geistiger Freiheit davon loszumachen strebt, 
fühlt man durch alles einen ethisch orientierten Untergrund hin- 
durch, und eben dadurch, scheint mir, wird er immer wieder 
zu einer Überbewertung subjektiver Äußerungen verführt, die zu 
seiner sonstigen Klugheit in merkwürdigem Gegensatz steht. 


Genau wie mit WIMPHELING verhält es sich mit den Äuße- 
rungen LUTHERS, der REFORMATIO KAISER SIEGMUNDS und. 
Anderer. Ganz natürlich, daß der glänzende Aufschwung des 
Handels, der unerhörte Einfluß der großen Handelsgesellschaften 
lebhaftere Proteste auf seiten derer hervorriefen, die mit, dem. 
Wesen wirtschaftlicher Vorgänge minder vertraut waren: genau 
wie heute die Trusts, die Warenhäuser, die Konsumvereine, das 
Termingeschäft, die Börse. Aber folgt daraus, daß bis dahin 
das Streben nach kapitalistischer Verwertung des Geldes, das: 
nur nicht so den Außenstehenden augenfällig gewesen war, über-- 
haupt nicht existiert hätte? 


Zu allem Überfluß unterscheidet schon im 13. Jahrhundert 
BERTHOLD VON REGENSBURG genau so zwischen erlaubtem und 
unerlaubtem Handel wie KuPPENER im Anfange des 16.°): 


“ Unde der koufman: swaz im ze gewinne gevellet an dem. 
koufe, daz er durch gewin koufet âne gevaerde (daz mein ich:. 
daz er niht für hät gekoufet ff die lenge der zit ff daz 
naeher, unde niht gedinges gît üf daz jär umbe daz tiurre), 
oder dämite dü nieman betriugest, daz häztü mit rehte, wan 
man dînes amtes in keine wise geräten mac. . . . sullent sie 


1) S. 210. 

2) BERTHOLD VON REGENSBURG, Predigten. Ausgabe von FRANZ 
PFEIFFER. Bd.1,S.18ff. In die Lücke gehört die oben S. 299 angeführte 
Stelle bis „dävon“. Leider ist diese reiche geschichtliche Fundgrube ohne 
Register! — Über KUPPENER, SOMBART S. 175! nach NEUMANN, Geschichte 
des Wuchers, S. 594 f. 


‘320 F. Keutgen 


diz hin füeren und jenz her, dävon sullent sie ir lön ze rehte 
haben: daz ist ir gewin, den sie ze rehte gewinnent“. 


Geradezu unerschöpflich aber ist er in seiner Verdammung 
des ,gîtigen“ : 

Nû sich, gitiger! sit ich hiute anhuob ze predigen, stt bist 
dû vil lihte sehs pfenninge richer worden an dinem wuocher 
oder an diner satzunge oder an dinem fürkoufe oder an dinem 
dingesgeben in daz jär ff daz tiurre. 


Und so bejammert im Anfange desselben 13. Jahrhunderts 
der Kanonikus von Floreffe eben die „auri sacra fames“ im 
Erwerbsleben'), über die SOMBART in Italien „schon im 14. Jahr- 
hundert“ Klagen vernimmt?). 


Als geradezu wunderlich aber muß man die Art bezeichnen, 
wie es SOMBART gelingt, in seiner Behandlung der Frage der 
Bedeutung des Zinsverbotes das Verhältnis von Ursache und 
Wirkung völlig zu verkehren. Diesen Punkt, der natürlich für 
den ganzen Aufbau seiner These von zentraler Wichtigkeit ist, 
glaubt er denen gegenüber, die den praktischen Belang des 
Zinsverbotes sehr niedrig anschlagen, mit der Behauptung abtun 
zu können, „daß ein Gewinn ohne technisch ausführende Arbeit, 
d. h. ohne sichtbare Hantierung an Gegenständen der äußeren 
Natur für alle in handwerksmäßigen Anschauungen befangene[n] 
Zeiten in der Tat nur als unehrlich, als unstatthaft angesehen 
werden konnte“ *), (wobei unter den Begriff „sichtbare Hantierung 
an Gegenständen der äußeren Natur“, selbstverständlich auch 
die gewaltsame Aneignung fällt). 


SOMBART will glauben machen, das kirchliche Zinsverbot sei 
nur ein Ausdruck der Volksstimme gewesen, und das Zins- 
nehmen würde geächtet worden sein, auch wenn ein kirchliches 
Zinsverbot nie bestanden hätte?). Denn es sei „für das naive 
Empfinden“ die „Idee eines zinstragenden Darlehens* „gräßlich“ 


1) Vgl. oben S. 301. 
2) S. 383. 
3) S. 184. 
4) S. 186. 


Hansische Handelsgesellschaften. 321 


gewesen; nur im Verkehr mit Fremden habe sie entstehen können, 
mit Juden und Lombarden !). 


Welche Verkennung des Sachverhalts! Was in aller Welt 
hat die kanonische Lehre mit dem naiven Empfinden zu tun, 
außer daß sie auf allen Gebieten beständig mit ihm im Kampf 
liegt? Für das naive Empfinden war es vielmehr „gräßlich“, 
etwas hergeben zu müssen ohne Entgelt. Schon der Germane 
tat das nicht: er war ja auch von jener Lehre noch unberührt. 
Selbst die Schenkung verlangte ihren Lohn. Nur durch Ent- 
richtung eines Scheinpreises, durch Verwandlung in einen Schein- 
kauf, wurde sie rechtskräftig. Freihändige, unentgeltliche Gabe 
war also offenbar ein Begriff, der ihm nicht recht in den Kopf 
wollte. Oder sie wurde mit einer Auflage verbunden, „durch 
deren Erfüllung die Gunst nachträglich verdient werden mußte“?). 


Die christliche Liebestätigkeit mußte dem Germanen erst an- 
erzogen werden; es ist bekannt, wie schwer es ihm wurde, sich 
in den ganzen christlichen Ideenkreis der Demut, der Hingabe 
und was damit zusammenhängt, hineinzufinden. Auch übte er jene 
noch später vorzugsweise nur im Kreise geschlossener Brüder- 
schaften, die an die Stelle der alten Sippen getreten und ihm 
in ihren Zielen verständlich waren. Mag sein, daß dann unter 
kirchlicher Zucht die Wohltätigkeit überhaupt verbreiteter war 
als unter uns; ich lasse das und seine Gründe dahingestellt und 
weise nur, um vor übereilten Kausalverknüpfungen zu warnen, 
auf die außerordentliche Wohltätigkeit im protestantischen Eng- 
land und im kapitalistischen Nordamerika. Was soll man aber 
dazu sagen, wenn für die frühere Zeit SOMBART solche Liebes- 
tätigkeit geradezu zum Prinzip des Wirtschaftslebens erhebt? 


Weil gelegentlich, wie in einer Venediger Urkunde von 1187, 
an den Gemeinsinn der Bürger sich berufen wird, dem Vater- 
lande mit ihrem Vermögen beizustelien, soll das zinslose Darlehen 
der Stadtbürger an die Stadt ursprünglich selbstverständlich ge- 
wesen sein? 


1) S. 186. 
2) SCHRÖDER, Deutsche Rechtsgeschichte 4. Aufl. S. 284f.; HEUSLER 
Institutionen, Bd. I, S. 81. 


322 F. Keutgen 


- Weil einmal im 12. Jahrhundert ein Privatmann „vicinis suis 
indigentibus nummos non tamen ad usuras accommodabat“, — 
nota bene: „non tamen“ — soll der Bürger vom Mitbürger, wenn 
er Geld brauchte, es haben bekommen können, „wie man heute 
dem Freunde in der Not aushilft und nur auf dessen Drängen 
sich die vorgestreckte Summe verzinsen läßt“ ? 

„Eine der beliebtesten Formen“, sagt SOMBART, „in denen die 
Klöster während der frühen Zeit des Mittelalters ihren Hinter- 
sassen und Gläubigen mit materiellen Diensten zu Hilfe kamen, 
war die Geld- oder Güterleihe, bei der jedoch abermals von 
Zinszahlung keine Rede war!).“ 

Das alles mag ja vorgekommen sein. Wenn es aber maf- 
gebend gewesen sein soll: woher der städtische Rentenkauf? 
Woher der private Rentenkauf? Und worauf beruht das ganze 
kirchliche Wirtschaftssystem, wenn nicht auf der entgeltlichen 
Güterleihe ? 

Die Kirche erklärt dem Volke ihr Zinsverbot beim Gelddar- 
lehen damit, daß es heiße, Gott seine Zeit stehlen, da man dabei 
durch den bloßen Flug der Zeit, des allgemeinen Gutes, ohne Ar- 
beit sich bereichere; und wenn BERTHOLT so eindringlich predigte, 
mochte manch gläubiges Gemüt es andächtig in sich aufnehmen. 
Sie suchte einen Unterschied zu begründen zwischen der zins- 
lichen Landleihe, ohne die sie nicht bestehen konnte, — denn 
daß das Land Frucht trug, sah jeder — und der Geldleihe, deren 
Ertragsfähigkeit für den Schuldner weniger klar vor Augen lag 
und in der Tat von Umständen abbing. Allein man fand sehr 
bald, daß ausgeliehenes Geld ebenfalls Frucht tragen konnte. 

Gewöhnlich wird der Rentenkauf als das übliche Mittel an- 
geführt, das Zinsverbot zu umgehen, und zweifellos hat er eine 
große Rolle im Wirtschaftsleben gespielt. Allein am sinnfälligsten 
war doch die Fruchtbarkeit des Geldes im Handel, und Darleihung 
eines Kapitals gegen Beteiligung am Handelsgewinn und Handels- 
risiko schien daher erlaubt und nicht gegen das Zinsverbot zu 
verstoßen, auch wenn man selber weiter keine Arbeit dabei ver- 
richtete. Wir haben gesehen, wie sehr verbreitet diese Übung 


1) Alles S. 185'. 


Hansische Handelsgesellschaften. 323 


bereits Anfang des 13. Jahrhunderts war; ja wir dürfen sagen, 
Mitte des 12. Jahrhunderts: denn sonst hätte jener Satz nicht in 
das Medebacher Stadtrecht Aufnahme gefunden '!). 

Freilich glaubte Juettas frommer Biograph seine Heldin deshalb 
entschuldigen zu müssen: man sei nicht gleich anfangs völlig 
heilig; auch habe man damals die Sache noch nicht so streng 
genommen. Allein die Kirche hat vieles verboten, was dennoch 
beständig geübt wurde. 

Ganz unverständlich ist es, wenn SOMBART sagt: „Objektiv fand 
aber die Ächtung oder Verachtung des Zinsnehmens ihre Recht- 
fertigung in dem Umstande, daß der Regel nach, ja in der über- 
wiegenden Mehrzahl aller Fälle, tatsächlich das Geld nicht die 
Kraft besaß, sich aus sich selbst heraus zu vermehren, solange 
es nämlich noch keine Kapitalsqualität angenommen hatte, d.h. 
seine Verwendung noch keine Steigerung der Produktivität der 
Arbeit herbeizuführen vermochte“ ?). Eine geradezu mystische 
Vorstellung! Als ob gar auch noch ein innerer Wandel mit dem 
Gelde vor sich gegangen sei! Nein, die Sonnenstrahlen, die seine 
Triebkraft weckten, schienen längst: nur noch nicht mit Sommerglut. 

Ich habe an anderer Stelle ausgeführt, daß nichts irriger sein 
kann, als die „Idee der Nahrung“, die Idee, daß jeder sein Aus- 
kommen finden solle, aus Bescheidenheit oder Beschränktheit 
der Werbenden zu erklären. (Von einem „und nichts darüber“ 
steht übrigens nirgends etwas!) Ich beschränke mich deshalb hier 
auf den Hinweis’). In der Tat kann man sich die Mehrzahl 
der Menschen gerade in der Frühblüte des Erwerbslebens gar 
nicht erwerbsgierig genug vorstellen. Erst als die starrende 


Phalanx der immer wiederholten Vorschriften, — obrigkeitliche, 
brüderschaftliche, — individuelles Streben eingeschüchtert und 


bei den Geschützten träge Sättigung bewirkt hatte, erst da wurde 


1) Vgl. auch das Soester Stadtrecht unsicheren Datums, aber in diese 
Teil fraglos noch älter als das Medebacher, $ 30: „Si quis concivi suo bona 
sua ad negociandum commiserit*. Meine Urkunden Nr. 139. 

2) SOMBART, S. 185. 

3) Ämter und Zünfte, S. 242 ff. — Die „Volksstimme“ verurteilte den 
Wucher vorzugsweise, wenn das „Volk“ durch den Borg einmal besonders 
arg in die Klemme geraten war. 

Vierteljahrsehr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte, IV. 2 


334 F. Koutgen 


die „Nahrung“ bei diesen wie bei den Ausgeschlossenen Losung. 

Der Fernhandel indes blieb alles in allem frei. Bei ihm 
konnte jeder sein Glück versuchen. 

Es war nötig, nicht nur uns durch raschen Überblick darüber 
klar zu werden, was er nach seiner Menge bereits für das ge- 
samte damalige Leben bedeutet haben muß. Sondern es durfte 
vor allem kein Zweifel darüber bleiben, daß unsere Vorfahren 
— mochten sie durch äußere Umstände, „objektive Bedingungen“, 
noch so schwer gehemmt sein — im Innern ein ebenso lebhaftes 
Gewinnstreben empfanden wie die Heutigen und es ebenso mann- 
haft zu betätigen wußten, ehe wir es versuchen, nunmehr die 
Formen der Vergesellschaftung zu würdigen, die sie sich zu jenem 
Zwecke schufen. 


Note sur la fabrication des tapisseries en Flandre 
au XVI: siècle. 


Par 
Prof. Dr. Henri Pirenne (Gand). 


Contribution à Phistoire de Pindustrie capitaliste. 


Dans un travail récent j’ai essayé d'exposer la transformation 
radicale subie par l’industrie drapière en Flandre au cours du 
XVI° siècle!) On y verra comment, ruinée dans les grandes 
villes par la concurrence anglaise et incapable de modifier ses 
procédés de fabrication à cause des entraves que lui imposait 
le régime corporatif, la draperie émigra dans des bourgs et des 
villages où elle se donna une organisation toute nouvelle. Non 
seulement elle modifia sa technique et trouva dans la confection 
d’etoffes légères, sayes, serges et ostades, une source nouvelle 
de prospérité, mais elle s’imprégna encore d’un caractère nettement 
capitaliste. Dans la région d’Hondschoote et d’Armentitres où 
elle s’est implantée, le spectacle qu'elle présente contraste 
violemment avec celui que nous offre l’économie urbaine du 
moyen âge. Affranchie de la réglementation et du protectionnisme 
municipal, le capitalisme la dirige à son gré. Elle ne produit 
plus que pour la vente en gros au marché d'Anvers. Elle reçoit 
l'impulsion soit de commissionnaires en draperie, soit de grands 
marchands commandant à la fois des centaines de pièces. Les 
riches drapiers> qui dirigent sur place la fabrication, présentent 
déjà dans ses traits principaux la physionomie du manufacturier 





1) Une crise industrielle au XVIe siècle. La draperie urbaine et la 
«nouvelle draperie» en F'landre. Bulletin de l’Académie royale de Belgique, 
Classe des lettres, 1905, p. 489. 


396 Henri Pirenne 


des temps modernes, tandis que les ouvriers qu’ils employent, 
tombés au rang de simples salariés, se confondent en une masse 
inorganique de prolétaires. Libres de la surveillance que le métier 
exerce sur l'artisan urbain, mais aussi privés de la tutelle qu'il 
leur fournit, ils sont livrés sans défense à l’exploitation du capital. 

Cette curieuse évolution de l’industrie drapière dans les Pays- 
Bas constitue sans doute un remarquable phénomène de ce que 
l’on pourrait appeler l’histoire économique de la Renaissance. 
Elle est d'autant plus significative qu’elle ne se trouve point 
isolée. Dans le même pays et à la même époque, les diverses 
industries d'exportation rompent comme elle, sous l'influence 
prépondérante du capital, avec les principes traditionnels de 
l’économie urbaine. Je voudrais le montrer rapidement par 
l’histoire de la fabrication des tapisseries, que l’on n’a guère 
étudiée jusqu'ici qu’au point de vue artistique, mais qui présente 
aussi, au point de vue économique, un intérêt singulier. 

C’est vers le milieu du XIV® siècle que cette fabrication, 
depuis longtemps déjà florissante à Arras, se répandit dans le 
bassin de l’Escaut'). La dispersion des artisans artesiens par 
Louis XI en 1477, châtiment imposé à la ville pour sa fidélité 
à la maison de Bourgogne, les fit affluer vers la Belgique et y 
stimula les progrès d’une industrie déjà puissamment favorisée 
par les goûts luxueux de l’époque. L’énorme richesse des Pays- 
Bas pendant les règnes de Philippe le Beau et de Charles-Quint, 
augmenta encore sa prospérité. Mais celle-ci s'explique surtout 
par des raisons techniques. La perfection à laquelle l’exercice 
séculaire de la draperie avait porté dans les Pays-Bas l’art de 
la teinture, assurait aux tapisseries l'éclat et la solidité des 
couleurs, en même temps que les peintres et les dessinateurs 
dont fourmillait le pays, leur fournissaient des modèles en 
quantités inépuisables. Il suffira de rappeler ici que l’on rencontre, 





1) A. GUESNON, Décadence de la tapisserie à Arras depuis la seconde 
moitié du XVe siècle, p. 6 (Lille 1884). En 1456, les échevins d’Arras se 
plaignent au duc de Bourgogne que les marchands et ouvriers «de haulte 
liche» se retirent à Valenciennes, Tournai, Bergues et ailleurs (ibid., p. 7). 
Le plus ancien tapissier d'Arras mentionné en dehors de cette ville apparait 
à Tournai en 1352. PiINCHART, Histoire de la tapisserie en Flandre, p. 73. 


Note sur la fabrication des tapisseries en Flandre au XVI® siècle. 397 


parmi les fournisseurs de cartons pour tapisseries, les noms des 
artistes les plus célèbres du temps: Bernard van Orley (1492—1542), 
Pierre Coucke (1502—1550), Michel Coxie (1499—1592), et bien 
d’autres. 

D’Arras, l’industrie des tapisseries de haute lice se répandit 
tout d’abord à Lille et à Tournai, où elle existait déjà au 
XIV° siècle, pour se propager ensuite à Mons, Binche, Enghien, 
Audenarde, Grammont, Ath, Lessines, Courtrai, Gand, Alost, 
Bruxelles, Douai, Ypres, Bruges et Middelbourg-en-Flandre. 
Dès 1398, les échevins de Tournai la soumettaient à un réglement 
qui est le plus ancien de ce genre dont on connaisse l’existence 
dans les Pays-Bas’). En 1448, le. métier des legwerkers était 
institué à Bruxelles”); à Audenarde, sa charte constitutive date 
de 1441°), à Alost, de 1496“). Ces textes ne présentent d’ailleurs 
aucun caractère particulier. Les stipulations qu’ils renferment 
sur l'apprentissage, la maitrise, la juridiction corporative, la 
surveillance du travail etc. se conforment aux principes bien 
connus de l’organisation économique des artisans médiévaux. 
Telle qu’ils nous la représentent, la tapisserie, au XV° siècle, 
constitue une industrie urbaine et partant astreinte au régime 
de l’économie urbaine. Mais elle ne devait pas tarder à s’y 
soustraire. 

Dans toutes les villes, en effet, où elle se développa puis- 


1) PINCHART, op. cit., p. 73. SoIL, Les tapisseries de Tournai, p. 358. 

2) A. WAUTERS, Les tapisseries bruxelloises, p. 35. 

8) J. vAN DER MEERSCH, Histoire des manufactures de tapisseries de 
da ville d’Audenarde, dans La Flandre, 1884, p. 11. Ce travail repose 
essentiellement sur les règlements donnés au métier des tapissiers, dont les 
copies authentiques se trouvent insérées dans le registre intitulé «Charters 
der Neringen», conservé aux Archives d’Audenarde. Je lai consulté pour 
contrôler les assertions de l’auteur, qui se borne à résumer ou à traduire 
partiellement en français les stipulations qu’il renferme. Il est inutile d’avertir 
le lecteur que je n’ai en vue, dans ces quelques pages, que de faire ressortir 
le caractére capitaliste de l’industrie de la tapisserie à Audenarde. J'ai 
laissé de côté une foule de particularités intéressantes qui mériteraient 
amplement d'être étudiées. 

4) D. VANDE CASTEELE, Documents concernant la corporation des 
tapissiers d’Alost, dans les Annales de la société d’Emulation pour l'étude 
de Phistoire de la Flandre, 3° série, t. VIII, p. 378. 


328 | Henri Pirenne 


samment, elle se transforma bientôt en industrie d’exportation: 
ce ne fut plus le marché local, ce furent les marchés extérieurs 
qui déterminèrent sa production. Dès lors, elle rompt le cadre 
étroit de l’économie urbaine, c’est-à-dire de cette économie pro- 
tectionniste et anti-capitaliste appropriée à la nature des petits 
métiers chargés de subvenir aux besoins divers de la population 
municipale. Orientée vers le grand commerce comme la draperie 
flamande ou comme la «batterie» dinantaise'), elle ne pourra pas 
plus qu’elles échapper à l’influence du capital. Elle y &chappera 
d’autant moins que, depuis la fin du XV°* siècle, le capitalisme 
se déploie avec une vigueur croissante et qu’il possède précisé- 
ment dans les Pays-Bas, à Anvers, son foyer le plus intense. 
A partir des premières années du XVI° siècle, on la voit obéir 
à l’irrésistible attraction de ce grand port. Elle se détourne de 
Bruges, restée fidéle aux habitudes surannées du commerce mé- 
diéval, pour écouler ses produits dans l’emporium cosmopolite 
qui attire aux bords de l’Escaut les représentants de toutes les 
nations. Elle y possède un entrepôt permanent, le tapesierspand 
où les acheteurs trouvent en tout temps un assortiment complet ?). 
C’est d'Anvers que viennent les commandes qui activent les 
ateliers. En 1539, lorsque Marie de Hongrie y fait saisir les 
tapisseries d’Audenarde alors en révolte, le capitaine de cette 
ville lui écrit qu’il a trouvé «le peuple et commune d’icelle en 
sy grandt tourble, perplexité et lamentation, que toutte créature 
humaine auroit pitié de les veoir et oyr les crys et pleurs des 
pauvres ouvriers qui de coustume euvrent à journée au faict et 
négociation de la tappisserie, en sorte que, en grant inextimable 
nombre ce sont venu vers moy, comme cappitaine de ladite 
ville, priant voulloir advertier Vostre Majesté de leur totale éminente 
ruyne et destruction, plaindant ameirement qu'il ont desjà este 
pluisseurs jours, eulx et leurs enfans, en grant pouvreté et famyne, 
à cause que leurs maistres tappisseurs, se véant que ne peullent 


1) H. PIRENNE, Les marchands batteurs de Dinant au XIVe d au 
XVe siècle. (Vierteljahrschrift für Social- und Wirtschaftsgeschichte, t. II, 
p. 442) 

2) Il fut construit en 1551. Voy. MERTENS et ToRrrs, Geschiedenis van 
Antwerpen, t. IV, p. 96. 


Note sur la fabrication des tapisseries en Flandre au XVI: siècle. 399 


faire leur prouffyt de leur marchandyse, qui pour le présent est 
arresté en Anvers, ne leur peullent plus donner à ouvrer, et 
que partant desjà beaucop d’eulx leur convient mendier et querre 
l’hamonne d’huys en huys en grant povereté et misère» !). 

On reconnait facilement ici le tableau d’une crise économique 
dans un centre manufacturier. Mais il ne faudrait pas croire que 
toutes les villes où se pratiquait la fabrication des tapisseries 
présentassent le même spectacle qu’Audenarde. Dans la plupart 
d’entre elles, notre industrie ne jouit au XVI® siècle, que d’une 
importance secondaire. Seul Bruxelles constitue une exception 
glorieuse à cet égard. Durant les règnes de Charles-Quint et de 
Philippe II et jusque fort avant dans le XVII® siècle, ses ateliers 
furent sans rivaux pour la beauté et la finesse de leurs produits. 
La marque qui depuis 1528 attestait l’origine de ceux-ci (un 
écusson flanqué de deux B) resta célèbre pendant cette période 
sur tous les marchés de l’Europe. Mais Bruxelles s’attacha sur- 
tout à la confection des pièces de luxe. Sa fabrication, sur 
laquelle on ne possède malheureusement que des renseignements 
très incomplets, semble l’avoir emporté par la qualité beaucoup 
plus que par la quantité. La place qui lui revient dans 
l’histoire artistique de la ville ne correspond pas à celle qu’elle 
prend dans son histoire sociale. Il ne paraît point, en effet, 
que les travailleurs qu’elle occupait aient été jamais assez 
nombreux pour pouvoir donner à la population locale les 
earactères que l’on est accoutumé à rencontrer dans tous les 
groupes d’hommes parmi lesquels domine la grande industrie 
d'exportation *). En 1544, dans un cortège formé par les 
métiers bruxellois, la corporation des tapissiers fut moins 
largement représentée que celles des bouchers et des merciers °). 


1) GACHARD, Relation des troubles de Gand sous Charles-Quint, p. 238. 
2) GUICHARDIN, Description des Pays-Bas (édit. de 1582), p. 96, dit 
que la richesse de la bourgeoisie de Bruxelles consiste essentiellement en 
biens fonds. Il ne la considère donc pas comme vivant surtout d'industrie. 
3) WAUTERS, op. cit., p. 132. — Un tableau de Stallaert conservé au musée 
de Bruxelles et datant du commencement du XVII: siècle, représente une 
procession de tous les métiers et indique le nombre des maitres de chacun 
d’eux. Les tapissiers en ont 108, mais il y en a 130 chez les tourneurs, 


330 Henri Pirenne 


Et si, en 1572, le nombre des ouvriers haute-lisseurs atteignait 
à Bruxelles le chiffre relativement fort élevé de plus de 2000 
hommes”), il suffit de constater que la ville comptait à cette 
date de 30 à 40000 habitants”), pour reconnaître qu'ils ne 
possédaient point, dans l’ensemble de sa population, une impor- 
tance aussi considérable que leur réputation pourrait le faire croire 
au premier abord. 

Mais il en allait autrement à Audenarde. Dès le commence- 
ment du XVI° siècle, l’industrie de la tapisserie s'était développée 
dans cette petite ville avec une énergie et une rapidité extra- 
ordinaires. Tandis que dans les autres localités de la Flandre 
flamingante, la décadence de la draperie urbaine à la fin du 
moyen âge avait eu pour conséquence soit un arrêt soit une 
diminution plus ou moins sensible de la prospérité, Audenarde, 
en 1531, est si «fort peuplée et marchande et accroissant de 
jour à autre de peuple et marchandise», qu’il faut élever 


4 


le nombre de ses échevins de sept à neuf?). En 1539, ses 


magistrats exposent à la gouvernante des Pays-Bas que «la 
négociation et marchandise de la tapisserie est le principal 
membre et soustènement de la villes“); et la même année, le 
bailli estime «qu'il y a plus de douze ou quatorsse mille, que 
hommes, femmes, que enfans, qui vivent dudit mestier de la 
tappisserie» °). Ce chiffre est sans doute fort exagéré, mais son 
exagération même fait apparaître en pleine lumière le caractère 
économique d’Audenarde. Manifestement nous nous trouvons iei 


500 chez les merciers, 201 chez les ferronniers, 200 chez les ffripiers etc. 
Voy. HENNE et WAUTERS, Histoire de la ville de Bruxelles, t. IL, p. 54. 

1) Pıor, Correspondance du cardinal Granvelle, t. IV, p. 427. 

2) En 1526, Bruxelles comprenait 5956 maisons, 22 hopitaux, 18 couvents 
et quelques hôtels (WiLLEMS, Brabantsche Yeesten, t. II, p. XLIID. Depuis 
lors jusqu'au milieu du XVIe siècle, la population devait avoir augmenté. 
M. G. DES MAREZ, L'organisation du travail à Bruxelles, p. 471, n., estime 
qu'en tous cas, elle ne dépassa jamais 40000 habitants, même à l’époque de 
la plus grande splendeur de la ville. 

3) Recueil des ordonnances des Pays-Bas,, 2° série, t. III, p. 149. 

4) GACHARD, Relation des troubles de Gand, p. 232. 

5) Ibid., p. 233. Au commencement du XVIIe siècle, on évaluait même 
ce nombre à 20000 personnes. VAN DER MEERSCH, op. cit., p. 320. 


Note sur la fabrication des tapisseries en Flandre au XVI® siècle. 331 


en présence d’un centre de grande industrie. La production et 
l'exportation des tapisseries constituent la ressource essentielle de 
la ville. Elle ne peut se soutenir sans elles, et, à côté d’elles, 
l’activité des autres métiers ne sert qu’à subvenir à l’alimentation 
locale. Bref, c’est une physionomie moderne bien plus qu’une 
physionomie médiévale qu’Audenarde nous présente dès la première 
moitié du XVI° siècle. 

Sans doute on pourrait relever de nombreuses analogies 
entre le tableau qu’elle nous offre et celui que l’on constate 
au moyen âge dans la plupart des villes flamandes. Jusque 
vers la fin du XIV* siècle, Bruges, Ypres, Gand, Termonde, 
Courtrai etc. ont connu comme elle, grâce à la draperie, la même 
préponderance écrasante d’une branche d’industrie sur toutes les 
autres. Comme elle, c’est pour le marché international qu’elles 
ont produit, et, comme elle enfin, elles ont vu leurs ouvriers 
industriels tomber dans une situation bien voisine de celle des 
prolétaires. Mais ces ressemblances sont compensées par des 
différences considérables. Les cités drapières du moyen âge 
restent fidèles, en effet, aux principes de l’économie urbaine. Si 
elles ne parviennent point à l’imposer dans toute sa rigueur à 
l’industrie d'exportation, elles en conservent toutefois les parties 
essentielles. Au fonds, l’esprit de leur organisation économique 
reste protectionniste et anti-capitaliste. Elles réservent à leurs 
bourgeois le monopole de la fabrication de leurs étoffes. Elles 
interdisent impitoyablement l'exercice du tissage dans le plat-pays. 
Enfin, si les marchands de drap qui fournissent à leurs ateliers 
la matière première et en reçoivent les tissus fabriqués nous 
apparaissent déjà comme des capitalistes, ce ne sont encore que 
des capitalistes très modestes): il ne faut voir en eux que de 
riches bourgeois engageant dans les affaires le surplus de leurs 
revenus, obligés de s'associer en compagnies temporaires pour 
effectuer toute opération de quelque importance, ignorant enfin ces 
faillites et ces banqueroutes qui, à partir de la fin de moyen âge, 
deviennent un des phénomènes les plus symptomatiques de 


ee m nn 


1) G. Espinas, Jehan Boine Broke. (Viertejahrschrift für Social- und 
Wirischaftsgeschichte, t. II, p. 34 et suiv). 


332 Henri Pirenne 


l’histoire sociale. En somme, les villes drapieres de Flandre 
telles qu'elles se sont développées au XII et au XIV*® siècle 
nous représentent un stade intermédiaire entre l’économie médiévale 
et l’économie moderne. Isolées par leur industrie d’exportation 
au milieu d’une époque d’industrie locale, elles annoncent l'avenir 
mais sans réussir à se dégager complètement des entraves que 
leur imposent la coutume, les idées régnantes, les nécessités de 
la politique municipale et surtout le développement encore 
insuffisant du grand commerce et du capitalisme. 

C’est au contraire sous l’action de ces deux forces 
que se déploie, au XVI° siècle, la manufacture audenardaise. 
Contemporaine de la puissante transformation économique qui, 
à l’époque de la Renaissance, bouleverse et décuple la circulation 
des biens, donne l'essor à l’esprit d’entreprise, laisse le champ 
libre à toutes les ressources et à tous les abus de la spéculation, 
permet enfin à l’individualisme de se révéler dans le monde des 
affaires comme il se révèle dans la vie intellectuelle, elle s’adapte 
rapidement aux conditions au milieu desquelles elle grandit. 
Comme les nouveaux foyers d'activité industrielle qui se forment alors 
en Angleterre, comme les villages et les bourgs de Flandre où la 
draperie contrariée dans les villes par une organisation surannée 
va s'épanouir en pleine liberté, elle rompt avec la tradition 
séculaire de l’économie urbaine. Ses hautelisseurs ont beau 
constituer un métier, en fait, ils ont perdu tous les traits propres 
à l’artisan du moyen-âge. L'industrie est désormais dirigée et 
dominée par des emarchands et entremetteurs>!), Ce sont des 
entrepreneurs capitalistes, des exportateurs en relations constantes 
avec Anvers, qui remettent les commandes aux maîtres-tapissiers, 
devenus, en réalité, de simples contre-maîtres. Sous ceux-ci, les 
ouvriers ne constituent plus qu’une masse de salariés, si miséra- 
blement payés que la moindre crise les réduit à la misère et 
qu'ils n’ont aucun espoir d'améliorer jamais leur condition. Il 
se rencontre toutefois, parmi eux, des spécialistes mieux rétribués. 
Ce sont les «Constenaers» que leur habileté technique rend 
indispensables pour les operations les plus delicates du travail. 


1) GACHARD, Relation des troubles de Gand, p. 231. 


Note sur la fabrication des tapisseries en Flandre au XVI: siècle. 33% 


Aussi, s’efforce-t-on de les retenir dans la ville. Les maîtres. 
qui les emploient spéculent habilement sur leur insouciance ou 
sur leurs besoins: ils leur ouvrent un large crédit, les endettent, et 
les empêchent ainsi de se séparer d’eux'). Il faut admettre, 
de plus, que les étrangers étaient fort nombreux parmi les com- 
pagnons du métier ?), la population locale, ne suffisant certainement. 
pas à assurer le recrutement de ceux-ci. Et dès lors, on peut 
apprécier déja combien l’ouvrier tapissier d’Audenarde s’écarte 
de l’artisan du moyen âge et se rapproche du travailleur moderne. 
Sans doute le métier organisé en 1441 ne disparait pas. Mais 
il ne se maintient que pour la forme. En 1544, une ordonnance 
dont nous parlerons plus loin traite de «minuties>, ces fondations 
charitables et religieuses qui avaient joué jadis un si grand rôle 
dans la vie corporative. Enfin, les évènements dont la ville fut 
le théâtre en 1539 lorsqu'elle s’associa à la révolte de Gand, 
ne peuvent laisser aucun doute sur le caractère prolétarien de 
sa classe laborieuse. Les documents relatifs à ce curieux épisode- 
de l'histoire sociale du XVI° siècle nous montrent le souleve-- 
ment d’une plèbe misérable et brutale qui, faute d'organisation 
et d'esprit de corps, ne parvient point à tirer parti de la force 
que lui donne le nombre et s’agite dans le vide jusqu’au moment 
où la famine la contraint bientôt de se remettre à l'ouvrage). 

Pendant que les artisans se transforment en purs salariés n’ayant. 
d’autres ressources que leur travail, une classe de capitalistes se 
constitue au dessus d’eux. Il y a beaucoup de riches dans la 
ville, écrit le bailli en 1539, «par quoy les povres, s'ils venoient 
jusque la, y trouveriont bien à péchier»“). Ainsi Audenarde 


1) Voy., en 1553, les plaintes des tapissiers de Gand contre ceux d’Aude-- 
narde: «De meesters gheven zomtijds den zelven cnapen (constenaers) so vele 
ghelds op de handt, dat sij naermaels qualicken maghtich zifn tleve te ver-- 
dienen oft hemlieden te restitueren, haudende midts de selve cnapen so thaer- 
waert gheobligiert, dat sij nerghens en moghen andere meesters zoucken».. 
Placcaerten van Vlaendren, t. I, p. 626. 

2) VAN DER MEERSCH, loc. cit., p. 194. 

8) VAN LERBERGHE et RONSE, Audenaerdsche Mengelingen, t. I, p. 40- 
et suiv. 

4) GACHARD, loc. cit., p. 258. 


334 Henri Pirenne 


nous présente aussi clairement que possible ce contraste entre 
le capital et le travail que fait ordinairement apparaître la grande 
industrie. Nul doute que les riches dont il est question ici ne 
soient les marchands de tapisserie qui règlent la production et 
tiennent en leur dépendance les masses ouvrières. Il est im- 
possible de les considérer comme appartenant à cette aristocratie 
bourgeoise, de propriétaires fonciers ou de rentiers qui, dans 
toutes les villes non manufacturières, conserve la première 
place dans la hiérarchie sociale. S'il en était ainsi, en effet, on 
ne comprendrait point la haine que leur portent les «menues 
gens», et d’ailleurs, avant la fin du moyen âge, Audenarde 
n'avait pu posséder de grandes fortunes. Nous sommes donc 
obligés de conclure que celles qu’elle présente au XVI° siècle 
sont de date récente, qu’elles ont leur source dans l’industrie et 
non dans la possession du sol, et que leurs détenteurs enfin 
-appartiennent à ce groupe de «nouveaux riches» dont l’influence 
fut si considérable sur le mouvement économique des temps 
modernes. Il suffira, pour faire apprécier l'importance de ces 
marchands, de dire que chacun d’eux occupait de trente à soixante 
ateliers !). 

Le régime capitaliste ne modifia point seulement les conditions 
d'existence de l’ouvrier urbain, il eut encore pour résultat de 
faire déborder l’industrie de la ville dans les campagnes environ- 
nantes et de ruiner ainsi l’un des principes les plus essentiels 
de l’économie urbaine. Deux motifs expliquent ce phénomène 
caractéristique: d’une part, le bon marché de la main d'œuvre 
rurale, de l’autre, l’absence à la campagne de ces règlements 
qui, dans les villes, soumettent la fabrication à des prescriptions 
minutieuses, à l'inspection du pouvoir public, à l’obligation de 
l'apprentissage etc. Le capital, pour développer toute sa puis- 
sance, a besoin d’être libre dans son action. Un curieux docu- 
ment de 1560 le déclare avec une clarté parfaite. «Bonne partie 
de ceux qui exercent le métier, y lit-on, se retirent au plat pays 
et aux champs, et ce non seulement pour ouvrer à leur plaisir, 
mais aussy pour estre exempts des maltotes et impos, aussy 


1) VAN DER MEERSCH, 0». cit., p. 321. 


Note sur la fabrication des tapisseries en Flandre au XVI: siècle. 336. 


pour éviter les visitations et esgardz ausquels sont assubjectis- 
ceulx qui demeurent ès villes fermées: à quoy ung chascun est 
d’aultant plus enclin que naturelement l’home désire vivre en: 
liberté, sans estre subject à loix ne aultre charge» !). 

A cette époque, la manufacture des tapisseries occupe depuis 
longtemps déjà, tout autour d’Audenarde, des quantités d'hommes, . 
de femmes et d'enfants, dans les paroisses d’Edelaer, de Nukerke, 
d’Etichove, de Volkeghem, de Kerkhem ete. Tous les dimanches, 
l'ouvrage effectué pendant la semaine est apporté aux marchands. 
de la ville, en échange de la matière première qui sera mise en 
œuvre la semaine suivante*). Cette organisation affecte, on. 
le voit, les caractères principaux du système moderne de l’indu-- 
strie à domicile. Elle en produit aussi toutes les conséquences 
sociales. Si elle affranchit les artisans du contrôle perpétuel 
qui s’exerce sur eux dans les villes, elle les réduit en revanche 
à la plus misérable condition. Isolés en face du patron qui les. 
emploie, ils sont forcés de se contenter d’un salaire dont ils. 
cherchent à compenser l'insuffisance par un travail exténuant. 
Ils mettent en réquisition tout leur ménage: leurs enfants, dès 
l’âge de sept ans, sont associés à leur labeur°). Plus pauvres 
encore que les prolétaires urbains, ils revent comme eux d'une 
révolution sociale, mais plus qu'eux encore, ils sont incapables- 
d'agir avec suite et de s'organiser. Leurs soulèvements éclatent 
aussi brusquement qu'ils s’appaisent. En 1539, ils abandonnent 
leurs métiers pour emplir du bruit de leurs plaintes et de leurs 
menaces, le marché et les rues d’Audenarde. En 1566, c’est- 
parmi eux, comme parmi les masses ouvrières des environs de 
Hondschoote et d’Armentières que surgira le tumulte des icono-- 
clastes. 

La naissance de cette industrie rurale préoccupa d’assez bonne 
heure les pouvoirs publics. Non sans doute que ceux-ci aient- 
été animés de la moindre sollicitude à l'égard des travailleurs. 


1) GUESNON, Inventaire chronologique des chartes de la ville d'Arras, 
p. 402. 

2) VAN DER MEERSCH, 0p. cît., p. 308. — En 1520, ces villages. 
fabriquaient déjà des tapisseries. Ibid., p. 87. 

3) GUESNON, loc. cit., p. 408. 


‘886 Henri Pirenne 


{on sait suffisamment que la XVI° siècle ne connut point de 
véritable législation sociale en matière économique), mais pare 
qu’elle soulevait des questions de police générale fort importantes. 
Tout d’abord, les maitres-tapissiers des villes protestaient énergi- 
quement contre la concurrence que leur suscitait au dehors m 
capitalisme soucieux de son seul intérêt. D’autre part, le trarail 
rural n’etant point surveillé contrefaisait sans scrupule les tapir 
series urbaines et lançait sur le marché des produits de qualit 
médiocre, au risque de discréditer la manufacture nationale. 
Manifestement les fabricants qui l’alimentaient ne cherchaient 
qu’à réaliser des profits rapides, ils étaient devenus complètement 
étrangers à ce souci de perfection et de «loyauté» qui avait été 
l'honneur de l’industrie réglementée du moyen âge. Si le capits- 
lisme décuplait la production, c'était trop souvent au détriment 
de sa qualité, et la liberté qu’il cherchait à la campagne aboutis- 
sait tout à la fois à lui asservir les ouvriers et à ravaler la 
qualité de leur travail. Le document que nous avons déjà cité 
expose très bien la situation: «Plus, entre aultres inconvéniens, 
dit-il, ne convient douter que les haultelicheurs résidens ès villes 
seront tenus de eulx en départir, par faulte de povoir livrer 
la marchandise au pris que les champestres le pourront laisser, 
car indubitablement l’on ne poelt ignorer que l’ouvrier cham- 
pestre a le moien d’avoir la pièce d’ouvraige dix ou douze 
patars meilleur marché que cestui de la ville, et ce pour plusieurs 
raisons: si comme qu’ilz n’ont aulcun interrest des impos et 
maltotes, ilz ne sont en péril d’aucunes amendes sy leurs pièces 
sont trop courtes ou moins larges qu’il n’appartient; ilz ne sont 
empeschez de besoigner aussy bien en temps incommode qu'en 
temps commode, aussy bien de nuict comme de jour; ilz ont 
leurs demeures à vil pris, comme aussy tous vivres nécessaires 
à la sustentation de leurs corps et de leurs serviteurs, et pa- 
reillement les fillets servans à leur stil; et d’avantaige, la pièce 
trouée ou gastee ne leur est de moindre valeur que les meil- 
leures, parce que elle ne sera point desployée qu'elle ne soit 
envoiée et eslongée de cent, deux cens ou trois cens lieues de 
chemin, là où finablement le débitteur se trouve trompé et déceu, 
et par ce moien lui est donné occasion de ne solliciter de rechief 


Note sur la fabrication des tapisseries en Flandre au XVI® siècle. 337 


semblable marchandise, au détriment, sy que dit est, du pays; 
laquelle marchandise, toutesfois, n’est vilipendée par le marchant 
-qui en a l’envoy, ayant plus grand regard à son proffit parti- 
culier que au bien publicque, tellement que, non sans cause, 
lesdictz haultelicheurs champestres sont et ont esté supportez 
par aulcuns marchans, lesquelz sollicitent telle marchandise afin 
de l'avoir à vil pris, et sy la font composer telle, sans que on 
leur puist faire marchandise trop supportée et trop peu taxée, 
tellement que évidantement l'esprit, l’industrie, la diligence et 
science n’ont lieu, et sy ne peuent profitter pardessus ce que 
dessus, condescendant aux aultres faultes et fraudes que com- 
mettent lesdictz haultelicheurs champestres, et espécialement au 
dedans de leurs pièches ... A quoy partant il plaira à Vostre 
Majesté de pourveoir de remède ad ce convenable et expédient, 
extirpant ladicte haulteliche desdictz lieux champestres, en ren- 
voiant lesdietz ouvraiges aux villes auxquelles proprement elles 
eompetent et appartiennent, attendu la police qui y est observée, 
et non point aux lieux champestres, qui ne requièrent que gens 
de labeur»'). 

Si ces inconvénients étaient surtout sensibles à Audenarde, 
ils existaient aussi dans toutes les autres villes adonnées en 
Flandre à la fabrication des tapisseries. Partout le capitalisme 
agissant de même produisait les mêmes effets. La pétition à 
laquelle nous empruntons les lignes que l’on vient de lire fut, 
en effet, adressée en 1560 à Philippe II par les villes de 
Gand, Bruges, Ypres, Arras, Valenciennes, Lille, Douai, Or- 
<hies, Tournai, Audenarde, Courtrai, Alost, Termonde, Grammont 
et Lannoy. Précédemment déjà des plaintes analogues s’étaient 
fait entendre, et le gouvernement avait pris des mesures, dès 
1534, contre la ctapisserie champestre» de la châtellenie de 
Lille. Mais c’est surtout en 1544 qu'il s’etait efforcé de remédier 
au mal par la promulgation d’une ordonnance générale applicable 
à tous les Pays-Bas”). On peut considérer cette longue ordon- 


1) Ibid., p. 403. On constatait déjà des abus analogues en 1515. VAN 
DER MEERSCH, 0p. cit., p. 83. En 1582, on avait décidé de n’accepter aucun 
franc-maitre qui ne fût bourgeois. Jbid., p. 90. 

2) Placcaerten van Vlaendren, t. I, p. 610. Cf. pour l'application, les 


338 Henri Pirenne 


nance comme la première manifestation en Belgique de la poli- 
tique mercantile de l’État. Elle nous montre en tous cas une 
tentative intéressante de substituer, dans le domaine restreint 
d’une industrie, les principes de l’économie nationale à ceux de 
l’économie urbaine. Elle se garde bien d’adopter le point de 
vue protectionniste des villes. Elle ne supprime point la manu- 
facture rurale: elle s’applique seulement à en redresser les abus. 
Elle prétend obvier à ses «fraudes et déceptions ... tant pour 
le bien de noz pays que pour la conservation de la négociation 
de la tapisserie». Pour y arriver, elle soumet les ateliers ruraux 
à l’observation des règlements qui, dans les villes voisines, déter- 
minent les procédés de fabrication; les ouvriers de la campagne, 
devront, comme les ouvriers urbains, satisfaire aux obligations de 
l'apprentissage; les , Winkelmeesters“ des villages seront obligés 
de s’affilier à la corporation de tapissiers la plus voisine et 
d'en respecter les keures et statuts. Bref, ce sont des 
considerations techniques, ce ne sont point des considerations 
d'intérêt local qui inspirent l’ordonnance de 1544, et, en la 
publiant, Charles-Quint a fait déjà, pourrait-on dire, du Colbertisme 
avant Colbert. 

Du reste, cette ordonnance ne fut pas appliquée. Le capita- 
lisme cherchait trop äprement la eliberté» pour consentir à se 
soumettre à la tutelle de l’État, après avoir échappé à celle 
des villes. Les ouvriers eux mêmes la supportaient avec peine. 
En 1553, on les voit émigrer vers Gand où l’édit de 1544 n'a 
pas été promulgué «zouckende meer lyberteit dan restrictien»!). 
D'autre part, la pétition de 1560 prouve éloquemment que les 
mesures prises seize ans plus tôt étaient tombées en désu- 
étude. 

Néanmoins, l'ordonnance de 1544 présente un très vif intérêt 
pour l’histoire économique de XVI° siècle. Elle achève de mettre 
en pleine lumière la disparition de l’économie urbaine dans les 
centres manufacturiers soumis à l’action du capitalisme, dis- 


détails donnés par VAN DER MEERSCH, op. cit., p. 187, et VAN DE CASTEELE, 
loc. cit, p. 383. 


1) Placcaerten van Vlaendren, t. I, p. 626. 


Note sur la fabrication des tapisseries en Flandre au XVI: siècle. 339 


yarition dont cette rapide esquisse donne, semble-t-il, un exemple 
ignificatif!). 

Gand, 27 janvier 1906. 

1) Il est évident que l’économie urbaine se maintint dans les villes qui 
ıe connurent pas la grande industrie d'exportation, c’est à dire dans le plus 
rand nombre des villes M. von BELOW l’a parfaitement démontré: Der 
Intergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft, dans les Jahrbücher für 
Vationalökonomie und Statistik, 1901. Mais il importe de ne pas oublier 
m’& côté des villes restées fidèles au conservatisme économique, les circon- 
tances en amenèrent d’autres A adopter le régime nouveau que l’on vient 
’étadier pour l’une d’entre elles. 


Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtsehaftsgeschichte. IV. 28 


Miszellen. 


Bemerkungen zur italienischen und fränkischen Precaria. 
Von 
Ludo M. Hartmann. 


Es ist die herrschende Meinung, daß die fränkische precaria an das 
römische precarium angeknüpft werden mtsse, und in verschiedenen 
Formen hat man sich abgemüht, die Wandlungen dieses angeblich ein- 
heitlichen Institutes darzulegen. In Wahrheit hat jenes römische 
Rechtsinstitut mit der mittelalterlichen precaria nichts als den Namen 
gemeinsam. Denn was für das precario possidere wesentlich und 
charakteristisch ist, die unbedingte jederzeitige Widerruflichkeit, findet 
sich in den vielen precaria-Formeln und precaria-Urkunden nur aus- 
nahmsweise!), und dem mittelalterlichen Prekaristen werden umgekehrt 
regelmäßig eine Anzahl von Verpflichtungen auferlegt, die mit dem 
Wesen des römischen precarium nicht gut verträglich sind. Und wenn 
man den angeblichen Zusammenhang nicht juristisch, sondern historisch 
betrachtet, so liegt doch die Frage nur allzu nahe, wieso aus dem 
römischen Institute, das in der Spätzeit des römischen Reiches nur 
eine minimale Bedeutung hatte, da „magis ad donationes et beneficii 
causam, quam ad negotii contracti spectat precarii condicio“?), da es 
mehr in der Gewährung einer unverbindlichen Gefälligkeit als in der 
Rechtsform für eine wirtschaftlich relevante Tatsache bestand — 
geradezu eine der Grundlagen der mittelalterlichen Rechtsverhältnisse 
hätte werden sollen. 

In der Tat aber bezieht sich precaria in der neueren Anwendung 
des Wortes gar nicht auf den Rechtsinhalt, sondern auf die Form des 


1) Vgl. Roru, Feudalität und Untertanverband, 145 ff. — Warrz, D. V.G. 
II, 1, 291. — SEELIGER, Die soz. u. polit. Bedeutung der Grundherrschaft 
im frühen Mittelalter (1903), 13 ff. — Diese kurzen Bemerkungen sind über- 
haupt durch SEELIGERs interessantes Buch angeregt. — Während des 
Druckes kommt mir die Schrift von P. 8. LEICHT, Livellario nomine (Estratto 
dagli Studi Senesi in onore di L. Moriani, 1905) zu, welche die Entwicklung 
des libellus und seines Verhältnisses zur Emphyteuse in den verschiedenen 
Teilen Italiens eingehend behandelt. 

2) D. 43, 26, 14 (Paulus). 


Bemerkungen zur italienischen und fränkischen Precaria. 341 


Vertragsabschlusses, der möglicherweise auf verschiedene rechtliche 
Inhalte angewendet werden kann. In Italien heißt der Pachtvertrag 
auf 19 oder 29 Jahre „libellus“ von der Eingabe, in welcher der 
Pächter um Überlassung der Parzelle bat, so wie es im Cod. Just. 
XI, 66, 2 geschildert ist: „ii quos commoditas (privatae rei) prae- 
diorum ad ea postulanda sollicitat, adeant tuae dicationis (sc. comitis 
rerum privatarum) officium et modum suae deliberationis indicant per 
libellos“; der Vertrag wird nach dieser Eingabe, in welcher schon alle 
Bedingnisse angeführt waren, bezeichnet, obwohl auf ihn noch das 
„praeceptum“ des Verpächters folgte, bis beide, libellus und praeceptum, 
in eine Urkunde verschmolzen. Ebenso war „precaria“ in Italien der 
technische Ausdruck für die Emphyteuse auf 3 Generationen, weil die 
„petitio“ des Emphyteuten der Verleihung vorangehen mußte, wie sich 
schon aus der ältesten derartigen Urkunde, die uns erhalten ist (MARINI, 
Pap. dipl. n° 132), ergibt!). Precaria ist also hier und anderswo 
nicht ein Vertrag auf widerrufliche Überlassung einer Sache oder eines 
Rechtes — ein Vertrag, der übrigens niemals schriftlich abgefaßt zu 
werden brauchte —, sondern die Bittschrift, in welcher um Überlassung 
einer Sache in irgendeiner Form Rechtens ersucht wurde, erst in 
weiterer Folge auch der Vertrag oder das Rechtsverhältnis selbst, das 
gemäß dieser Bittschrift festgesetzt wurde. Der Hinweis auf diese 
postulatio, petitio, precaria fehlt denn auch schwerlich in irgendeiner 
der fränkischen Formeln, welche die Grundlage für die verschiedensten 
Rechts- und Leiheverlältnisse bilden wollten. SEELIGER?) sagt mit 
Recht: „Nur das eine Gemeinsame ist zu bemerken: Precaria ist die 
Leihe, die durch eine Bitturkunde bewirkt wird“. 

Der Untersuchung hat es wohl auch in diesem Falle geschadet, daß 
man sich allzu sehr daran gewöhnt hatte, zwischen dem Ende der 
direkten Herrschaft des römischen Reiches in den einzelnen Provinzen 
und der Konstituierung der neuen Königreiche einen Riß zu sehen, 
wo doch in Wirklichkeit nur allmählicher Übergang auf der Grundlage 
der durch das römische Recht geregelten Verhältnisse beobachtet werden 
kann, allmähliche Weiterentwicklung, in welcher allerdings die lebens- 
unfähigen Gebilde, die ihre Kraft schon verloren hatten, wie z. B. die 
Kurien, und sich den Anforderungen der Zeiten nicht mehr anpassen 
konnten, rasch zugrunde gingen, was aber lebensfähig war, wie nament- 
lich dierömische Grundherrschaft, die kirchliche Organisation u. s. w., trotz 
mancher Modifikationen der neuen Gesellschaft seine Gesetze auferlegte. 
Hätte man dies nicht lange Zeit übersehen, so hätte man den deut- 
lichen, wenn auch nicht vollständigen Hinweis von ROTH auf die Ge- 
setzesstgllen, welche die eigentliche rechtliche Wurzel der Landleihen 
auch im Frankenreiche waren, nicht zu widerlegen oder in seiner 
Wichtigkeit zurtickzudrängen versucht. 


1) Vgl. hierzu meine Analekten, Zur Wirtschaftsgeschichte Italiens im 
früheren Mittelalter (1904), 7f. — Der Sprachgebrauch precaria = emphy- 
teusis ergibt sich auch aus dem Vergleiche von Capit. Olon. a. 822—8 c. 1 
(M. G. Capit. I, p. 316) mit Capit. Olon. eccles. a. 825 c. 10 (M. G. 
Capit. I, p. 327). 

2) SEELIGER, a. 8.0. 21. 


342 Ludo M. Hartmann: Miszelle. 


Abgesehen von der Parzellenpacht, die uns im italienischen Mittel- 
alter als libellus auf 19 oder 29 Jahre entgegentritt, kennt die Gesetz- 
gebung der spätrömischen Kaiser, welche sich mit dem Verbote der 
Veräußerung von Kirchengut beschäftigt, zwei Arten von Vergabung 
unbeweglichen Gutes. Die eine ist der ususfructus und wird geregelt durch 
eine Konstitution K. Leos vom Jahre 470, die von ROTH herangezogen 
worden ist‘). Hier heißt es unter anderem: „Si... oeconomus huius 
regiae urbis ecclesiae perspexerit expedire, ut desideranti cuiquam 
certarum possessionum atque praediorum, urbanorum scilicet sive rusti- 
corum, ad ius ecclesiasticum pertinentium temporaria usus fructus 
possessio pro ipsius petitione praestetur, tunc eius temporis quod 
inter utrosque convenerit, sive in diem vitae suae ab eo qui 
desiderat postuletur, pacta cum eo qui hoc elegerit ineat oeconomus 
atque conscribat, per quae et tempus, intra quod hoc praestari placuerit, 
statuatur et manifestum sit, quid quacumque acceperit ad vicem huius 
beneficii gratia, praestando quidem ecclesiastici praedii pro 
tempore usufructu, post statutum autem tempus et placitum temporum 
redituum proprietate ad ius et dominium ecclesiasticum recurrente 
firmiter: ita scilicet, ut sive completo spatio, quod inter eos fuerit 
constitutum, seu mortis suae tempore, si hoc quoque convenerit, is 
qui possessionem ecclesiasticam et certorum redituum usumfructum 
habendi gratia pacto interveniente susceperit, non minus quam alterius 
tantae quantitatis, quantae acceperat reditus, cum ipso praediorum 
dominio et rebus immobilibus eorumque colonis et mancipiis ecclesiae 
derelinquat“. Diese Bestimmungen, namentlich auch das Verbot der 
Vergabung des ususfructus für länger als Lebenszeit, wurden von 
Justinian in Nov. 7 (c. 4) vom Jahre 535 auf alle Kirchen des römi- 
schen Reiches ausgedehnt und nochmals in Nov. 120 (c. 9) vom 
Jahre 544 bestätigt. Es ist nun unzweifelhaft, daß in diesen Bestim- 
mungen alle konstitutiven Elemente einer Gruppe von fränkischen 
Formeln, und zwar in der Vulgataübersetzung der Novellen in genau 
denselben Worten, wie in diesen, enthalten sind. Unter diesen Formeln 
finden sich petitiones der Belehnten und andererseits entsprechende 
prestariae der verleihenden Kirche, die sich auf jene zurtickbeziehen; 
der Belehnte besitzt usufructuario ordine und empfängt das Gut 
durch beneficium der Kirche für Lebenszeit; es wird ausdrück- 
lich bestimmt, daß das Gut beim Tode des Belehnten ohne Tradition 
an die Kirche zurückfällt; in den Fällen, welche sich am nächsten an 
jene gesetzlichen Bestimmungen anlehnen, übereignet der Belehnte der 
Kirche ein zweites bisher in seinem Eigentum befindliches Gut, das 
mit dem anderen nach seinem Tode an die Kirche fällt, zahlt aber 
der Kirche, wie es dem römischen ususfructus entspricht, keinen Zins. 

In Italien ist diese Form der Belehnung nicht gebräuchlich. An 
ihre Stelle ist die seit langem gebräuchliche, von Justinian genau ge- 
regelte Emphyteuse getreten; auch sie begründet ein dingliches Recht, 
wie der ususfructus; allein im Gegensatze zu diesem setzt sie eine 


1) Cod. Just. I, 2, 14, 9. 


Bemerkungen, zur italienischen und fränkischen Precaria. 343 


Zinszahlung des Belehnten voraus; ist der Belehnte zwei Jahre hinter- 
einander mit der Zahlung des Kanons im Rückstande, so verliert er 
sein Recht; außerdem ist es für diese Form der Belehnung wesentlich, 
daß der Belehnte zu wirklicher Bewirtschaftung und Melioration des 
Grundstückes ausdrücklich verpflichtet wird, da ursprünglich diese 
Form der Leihe gerade für solche Ländereien angewendet wurde, 
welche erst urbar gemacht werden sollten. Da bei der Emphyteuse 
der Kirche der Gegenwert für die Leihe im jährlichen, seiner Höhe 
nach in der Regel durch altes Herkommen bestimmten Kanon entrichtet 
wurde oder werden sollte, richten sich die Kirchenschutzgesetze 
nicht so schr gegen eine Übervorteilung in dieser Beziehung, wie da- 
gegen, daß das Eigentumsrecht der Kirche in Vergessenheit geraten 
könnte; aus diesem Grunde hat Justinian die kirchliche Erbpacht auf 
3 Generationen beschränkt und auf diese Weise die rechtliche Form 
für die italienische precaria geschaffen, obwohl er später selbst diese 
Beschränkung nur für die Kirche von Konstantinopel aufrecht erhielt 
und allen andern Kirchen- das Recht zurückgab, Emphyteusen nicht 
nur auf Zeit, sondern auch mit rechtlich unbegrenzter Dauer abzu- 
schließen !). Daß aber der ususfructus bei der Verleihung von Kirchen- 
gütern in Italien nicht durchdrang, läßt sich vielleicht darauf zurück- 
führen, daß in dem Dekrete des Papstes Symmachus vom Jahr 502, 
das gegen die Verschleuderung des Kirchengutes gerichtet ist, für den 
ländlichen Grundbesitz der römischen Kirche nicht nur jede Vergabung 
auf ewige Zeit, sondern auch der ususfructus ausdrücklich unter Strafe 
gestellt wurde?). Dies sollte allerdings damals nur für die römische 
Kirche gelten, während in den Provinzkirchen die alten Gebräuche 
nicht angetastet werden sollten. Allein es wäre begreiflich, wenn 
auch in dieser Beziehung die römische Kirche für die anderen unter 
der Herrschaft des römischen Reiches in Italien stehenden Kirchen 
tonangebend geworden wäre. Erst in karolingischer Zeit greift die 
fränkische Form der precaria nach Norditalien hinüber, nach Bergamo, 
Verona, Mailand, wo sich im 9. Jahrhundert dieselben Formen der 
usufructuarischen precaria finden), wie nördlich der Alpen, doch ohne 
daß sie die italienische Form, die Emphyteuse auf 3 Generationen, 
hätten zurückdrängen können, die vielmehr die herrschende blieb. 

Der Unterschied zwischen jener fränkischen und dieser italienischen 
precaria ist also ganz durchgreifend und beruht auf dem Unterschiede 
zwischen ususfructus und emphyteusis. — LOENING{) hat nun aller- 
dings versucht, die fränkische precaria auf die Pachtform zurück- 
zuführen, die im römischen Reiche bei Gemeinde- und Tempelländereien 
üblich war. Sein Hauptargument ist, daß bei diesen die fünfjährige 





1) Vgl. meine Analekten a. a. O. S. 5; mein Tabularium S. Mariae 
in Via Lata I, p. XXVII; MOMMSEN in Zeitschr. f. Soc.- u. Wirtsch.-Gesch. 
I, 44. — Cod. Just. I, 2, 24, 5; Nov. 7 c. 3; Nov. 120 c. 6. 

2) Röm. Synode von 602 c. 14ff., abgedruckt in M. G. Auct. ant. 
XI, 449 ff. Den übrigen Kirchen Italiens ist nur verboten, ultra usumfructum 
zu veräußern: ebd. 392. 

8) Vgl. Cod. dipl. LANG. 109, 111, 151, 196, 198, 301, 333. 

4) LOENING, Gesch. des deutschen Kirchenrechts II, S. 714 f. 


344 Ludo M. Hartmann: Miszelle. 


Pachtzeit üblich war, und daß in einer Anzahl von fränkischen Precaris- 
formeln zwar nicht gerade diese Frist festgesetzt ist, aber festgestellt 
wird, daß auch bei lebenslänglicher Verleihung das Eigentum nicht 
ersessen werden dürfe, sondern die Verleihung gelten solle „acsi semper 
per quinquennium renovata fuisset“. LOENINGS Argument fällt aber 
in sich zusammen, wenn man weiß, daß bei den Römern die übliche 
Pachtzeit bei Grundstücken überhaupt, nicht nur bei Gemeinde- und 
Tempelländereien, ein lustrum betrug, wie aus verschiedenen Stellen 
der Gesetzbücher hervorgeht!). Jene Klausel, gleichbedeutend mit 
der anderen: „de quinquennio in quinquennium sit renovata“, d. h. 
die Precaria sei so, als ob sie von lustrum zu lustrum erneut sei, 
scheint aber auch keineswegs, wie wohl angenommen wurde, für eine 
tatsächliche regelmäßige Erneuerung nach je 5 Jahren zu sprechen; 
eine solche erscheint vielmehr geradezu dadurch ausgeschlossen, daß 
die Precaria eben ausdrücklich auf Lebzeiten des Belehnten abge- 
schlossen ist ?). 

Nichtsdestoweniger hat die Formel ihren guten Sinn. Die ganze 
Schutzgesetzgebung für das Kirchengut ging davon aus, daß Kirchen- 
gut nicht entfremdet werden solle. Die größte Gefahr einer Ent- 
fremdung lag aber in den langfristigen Landleihen, da im Verlaufe 
einer oder dreier Generationen das Eigentumsrecht der Kirche um so 
leichter in Vergessenheit geraten konnte, wenn überhaupt von dem 
Beliehenen kein Zins entrichtet wurde. Um also kein Präjudis zu 
schaffen — wie in den Formeln öfters gesagt wird — und um die 
Ersitzung auszuschließen, wird ausdrticklich ausgemacht, daß in dieser 
Beziehung das rechtliche Verhältnis derart sein solle, als ob der Ver- 
trag von 5 zu 5 Jahren erneuert würde, oder es wird auch ein Rekog- 
nitionszins ausbedungen; in manchen Fällen wird auch die Klausel in 
betreff der 5 Jahre mit einem Zinse kombiniert, und mitunter scheint 
es auch, als ob der Zweck der Klausel dem Diktator der Formel nicht 
mehr klar wäre. Daß man gerade 5 Jahre wählte, kann immerhin 
durch die Anlehnung an die für einen solchen Zeitraum gewohnheits- 
mäßig abgeschlossenen Pachtkontrakte erklärt werden, wenn auch von 
Anfang an rechtlich und wirtschaftlich zwischen der Zeitpacht (locatio, 
uio$woıc) auf der einen und dem ususfructus und der emphyteusis auf der 
anderen Seite ein ganz scharfer Gegensatz bestand, und wenn auch, 
trotzdem der ursprüngliche römisch-rechtliche Gegensatz zwischen obli- 
gatorischem und dinglichem Rechte geschwunden sein mag, der wirt- 
schaftliche Gegensatz in voller Schärfe bestehen blieb. 

Bei der usufructuarischen precaria, ebenso wie bei der italienischen 
Emphyteuse, scheidet das verliehene Gut aus der Grundherrschaft und 
damit aus der Wirtschaft des Verleihenden vollständig aus®), geht 


1) Vgl. D. XIX, 2, 9, 1; 13, 11; 24, 2. Auch im italienischen Mittel- 
alter finden sich infolgedessen Leihen auf 5 Jahre. — Die tibrigen juristischen 
Ausführungen LOENINGs a. a. O. können ebensogut auf ususfructus und em- 
phyteusis Anwendung finden. 

2) A. M. LOENING a. a. 0. u. ROTH a. a. O. 171. 

3) Vgl. meine Analekten S. 14, 66 und SEELIGER a. a. O. 8. 86, 40f. 


Bemerkungen zur italienischen und fränkischen Precaria. 345 


in eine andere Wirtschaft über, ist nicht mehr „ad usum et utilitatem“ 
der verleihenden Kirche da, sondern eben im ususfructus des Belehnten. 
Eben weil aber der Belehnte nicht zur Wirtschaftseinheit der ver- 
leihenden Kirche gehört, kann er zwar in Italien regelmäßig Geldzins, 
im fränkischen Reiche einen Rekognitionszins oder auch mehr zahlen, 
aber nicht innerhalb der Grundherrschaft für ihren eigentlichen Betrieb 
Dienste leisten:). Es ist demnach selbstverständlich, daß in den 
meisten Fällen, in welchen ein der Kirche geschenktes Gut vertrags- 
mäßig dem Schenker auf Lebenszeit überlassen wird, die Güter nicht 
nur formell-juristisch, sondern auch wirtschaftlich als selbständig zu 
betrachten sind, weil eben das Gut, das schon bisher wirtschaftlich 
selbständig war, nicht oder erst nach dem Tode des Schenkers in die 
Gutswirtschaft einbezogen wird. Es ist aber auch natürlich, daß die 
mächtigen Herren, welche sich auf dem Wege der precaria ein Gut 
von der Kirche zu verschaffen wußten, ihre wirtschaftliche Selbständig- 
keit dabei wahrten, indem das Gut tatsächlich aus dem Wirtschafts- 
verbande der Kirche losgelöst wurde. Wenn es aber vorkommt, daß 
auch Verträge, für welche jenes wirtschaftliche Kriterium nicht zutrifft, 
als precariae bezeichnet werden, so sind diese auf eine Stufe zu 
stellen mit dem italienischen „libellus“ und diesem wesensgleich; die 
Bezeichnung rührt eben, wie beim „libellus“, von der Form des Bitt- 
gesuches her, aus welcher sich ja auch die Parzellenpachtverträge 
entwickelt haben. 

Zu den Leihen der letzteren Art, welche sich auf Grundstücke 
beziehen, welche in die Gutswirtschaft aufgenommen sind, gehören 
auch die von SEELIGER herangezogenen Urkunden aus St. Gallen, 
welche ausnahmsweise”) auch precariae genannt werden. Daß sie 
aber auf ganz andere Ursprünge zurückgehen, wie die usufructuarischen 
Leihen des Westens, ergibt sich nicht nur aus ihrer Form, sondern 
namentlich auch daraus, daß sie regelmäßig nicht nur für die Person 
des Beliehenen, sondern für dessen ganze posteritas abgeschlossen 
werden, die dadurch in die Wirtschaft des Klosters St. Gallen ein- 
bezogen, und zwar nicht hörig, aber wirtschaftlich abhängig gemacht 
wird. Hier kann eben natürlich von den Beschränkungen, die für den 
ususfructus und die Emphyteuse galten, nicht die Rede sein, da es 
sich um ein wirtschaftlich und rechtlich ganz anderes Verhältnis handelt. 
Das gleiche gilt auch von den Urkunden aus Freysing. 

SEELIGER?) hat aber gewiß sehr richtig gesehen, daß „ein be- 
stimmter Unterschied zwischen den Mansen des herrschaftlichen Hufen- 
bauers und den Benefizien zu machen ist“; er sagt mit Recht: „ver- 
schieden ist die Stellung innerhalb der grundherrlichen Organisation, 





1) Die beiden von SEELIGER a. a. O.S. 17 angeführten Formeln: Marc. II, 
41 und Brrur. 2 stimmen auch sonst mit den übrigen usufructuarischen 
precaria-Formeln nicht überein; es ist hier kein ususfructus, sondern ein 
Kolonatsverhältnis (accola) gemeint; precariae werden die Urkunden hier aller- 
dings auch wegen ihrer Form genannt; vgl. die ital. „libelli* im gleichen 
Sinne. 

2) z. B. Trad. Sang. 22, 120, 271. 

3) SEELIGER, 8. a, 0. 41 ff. 


546 Ludo M. Hartmann: Miszelle. 


verschieden die eigentliche wirtschaftliche Funktion gegentiber der 
Grundherrschaft, verschieden daher auch — besonders später — die 
herrschaftliche Macht über das Leiheland und über die Beliehenen“ 
— und „Benefizialland ist nicht Gutsland“ ; (die Benefizien) „sind unter- 
schieden von niederen Leihen dadurch, daß sie nicht dem engeren 
rutsverband angehörten“. SEELIGER bezieht dies nur auf die Benefizial- 
leihen der späteren Zeit. 

Aber diese Scheidung geht schon auf die römische Grundherrschaft 
zurück; und gerade in den Formeln und Urkunden, durch welche dem 
Belehnten Abgaben, namentlich persönliche Dienste auferlegt werden, 
welche sich mit der gekennzeichneten Stellung außerhalb der Guts- 
herrschaft schwerlich vertragen würden, ist keine Rede vom ususfructus, 
der in den anderen Fällen gemäß den römischen Gesetzen in mero- 
wingischer Zeit durch die precaria begründet wird‘); dies kann kein 
Zufall sein. Die Urkunden von St. Gallen z. B. enthalten keinen usus- 
fructus, fallen gar nicht unter die kaiserliche und kirchliche Gesetz- 
gebung; sie beziehen sich auf Verhältnisse, die in keiner Weise unter 
den Gesichtspunkt der alienatio fallen können. 

LOENING*) hat nun zuerst darauf hingewiesen, daß, wie nament- 
lich aus den altertümlichsten uns erhaltenen Formeln, denen von 
Angers, hervorgelit, wenigstens in gewissen Teilen des merowingischen 
Reiches tatsächlich Verhältnisse bestanden, in denen der Belehnte frei 
über das geliehene Gut verfügt. Das Recht der Kirche auf das Gut 
wird zwar bei der Veräußerung durch den Belehnten ausdrücklich 
durch die Klausel: „absque praeiudicium sancti illius“ o. ae. an- 
erkannt; eine zeitliche Begrenzung der Leihe ist aber nicht vorgesehen, 
und von einer Abgabe an den kirchlichen Eigentümer ist wenigstens 
nicht die Rede. Es scheint sich hier in der Tat um dauernde Ver- 
leihungen von der Art zu handeln, wie sie durch Gesetze oder Canones 
verboten waren, sei es nun, daß sie zu einer Zeit begründet waren, 
in welcher die Kirchenschutzgesetzgebung noch nicht durchgegriffen 
hatte, oder daß sie auch praeter legem abgeschlossen worden waren. 
Jedenfalls kann man aus dem Vorkommen, sogar aus dem häufigen 
Vorkommmen derartiger Leihen in gewissen Gegenden nicht darauf 
schließen, daß die Bestimmungen in betreff des Schutzes der Kirchen- 
güter nicht bekannt oder nicht in rechtlicher Geltung gewesen wären. 
Es ist vielmehr bezeichnend, daß eine Formel für solche dauernde Ver- 
leihungen nicht überliefert. ist und daß man auf deren Existenz nur 
zurückschließen kann: denn dies spricht dafür, daß dem Verfasser 
oder Samnier der Formeln die Verbote wohl bekannt waren. Daß 
die Verbote aber tatsächlich nicht tiberall durchgegriffen haben, lernen wir 
ja nicht nur aus den Erwähnungen aus dauernder Leihe entspringender 
Rechtsverhältnisse, sondern auch aus der Notwendigkeit wiederholter 
Einschärfung der Veräußerungsverbote. 

1) Mau vgl. die übrigen merowingischen Formeln mit den von SEELIGER 
S. 17 angeführten Fällen, welche beweisen, daß die precaria auch mit Dienst- 
leistungen etc. verträglich war. 

2) LOENING, a.a.0. S. 717fl. — Form. Andeg. lc, 7, 8, 21, 22, 
26, 37, 40. 


Bemerkungen zur italienischen und fränkischen Precaria. 347 


Jedenfalls war gegenüber der Bestimmung der Synode von Agde 
von 506, welche nicht nur die Veräußerung im allgemeinen verbot, 
sondern auch in den Begriff der Veräußerung die Vergabung zu usus- 
tructus einschloß und diese wie den Verkauf nur ausnahmsweise mit 
Billigung und Unterschrift mehrerer benachbarter Bischöfe zuließ, 
der später geduldete Rechtszustand eine Milderung'); von der Em- 
phyteuse ist auch hier überhaupt nicht die Rede; sie mußte natürlich 
als dauernde Veräußerung gelten, da die Einschränkung auf drei Gene- 
rationen noch nicht erfunden war. Nach der Synode von Epao war 
zwar ein Tausch zum Nutzen der Kirche dem Bischof gestattet, da- 
gegen Verkauf nur mit Zustimmung des Metropoliten?). In der 
Synode von Massilia von 533 wurde ein Bischof verurteilt, weil er 
Häuser der Kirche gegen die Canones ohne Zustimmung einer Synode 
.perpetuo iure“ veräußert hatte?). Diese Bischöfe standen allerdings 
uoch nicht unter fränkischer Herrschaft, und seit Beginn der fränkischen 
Herrschaft kam es vor, daß durch den König oder auch durch andere 
„potentes“ gegen Recht und Kanon Kirchengut prekaristisch vergeben 
wurde). Allein, wie sich aus einem Kanon der Synode von Orléans 
vom Jahre 5385) ergibt, wurde prinzipiell die Unveräußerlichkeit von 
Kirchengut festgehalten; die Bischöfe dürfen Kirchengut nicht ver- 
äußern noch auch „per contractus inutiles obligare“; es sind offenbar 
nicht „ungültige“ Verträge, sondern solche gemeint, welche der Kirche 
keinen Nutzen, keinen Gegenwert bringen, im Geg gensatze zu Verträgen, 
wie sie in jener Konstitution K. Leos gestattet sind. Daß in der Tat 
Vergabung auf Lebenszeit gestattet war, ergibt sich aber aus einem 
Kanon der Synode von Orléans von 54156); dies sind offenbar die 
usufructuarischen Verträge im Sinne K. Leos. — Jedenfalls mußte, 
da die kanonische Bestimmung der Unveräußerlichkeit des Kirchenguts 
immer wieder anerkannt, aber auch immer wieder eingeschärft wurde, 
irgendeine Regel anerkannt sein, welche bestimmte, was als Veräuße- 
rung, alienatio, anzusehen sei, was nicht; und da ist es begreiflich 
senug, wenn die Kirche die genauen Bestimmungen K. Leos, ob nun 
das Gesetz in Gallien publiziert wurde oder nicht, herübernahm. In 
der Tat sind ja auch die überlieferten Formeln derart, daß an ihrem 
römischen Ursprunge nicht gezweifelt werden kann. — 

Genau der Vorschrift K. Leos entsprechen die Formeln Marc. II, 
39 und Turon. 6: Übernahme eines Kirchengutes zu ususfructus, 
las nebst einem zweiten Grundstücke nach dem Tode des Belehnten 
an die Kirche zurückfällt; die Gegenleistung des Belehnten besteht 
also hier nur in der Abtretung eines zweiten Gutes, das nach der Vor- 
schritt K. Leos ebensoviel wert sein soll, wie dasjenige, welches er 

1) Council. Agathon. (bei Mansi VIII, 325) c. 7. Vgl. hierzu u. zum 
folgenden LOEnIxG II, 214 f. 

2) Conc. Epaon, c. 12 (M. G. u : Ps t. I, p. 22). 

3) Conc. Massil,, M. G. a. a. O. 

4) Conc. Arvern. a. 535 c. 5; N urel. a. 541 c. 25; Paris. a. 506 
bis 573 c. 1 (M. G. a. a. 0. p. 67, 98, 142). Vgl. LOENING a. a. O. G91 ff. 

5) Conc. Aurel. a. 538 c. 18 (M. G. a. a. O. p. 77). 

6) Conc. Aurel. a. 541 c. 34: „in die vitae suac“. 


348 Ludo M. Hartmann: Miszelle. 


von der Kirche erhalten hat. In den Formeln Sal. Merk. 33, 34f., 
Sal. Lindenb, 3 und Turon. Add. 3, die alle aus späterer Zeit 
stammen, leistet der Belehnte außerdem noch einen jährlichen Zins; 
es ist dies offenbar eine Fortentwicklung, durch welche sich die Kirche 
noch mehr vor Entfremdung ihres Gutes zu schützen suchte, wenn 
auch Zinszahlung mit dem alten ususfructus nicht recht verträglich 
war. Daneben kommen allerdings auch andere Formen, scheinbar 
ohne Gegenleistung, vor; diese erklären sich aber, wie schon LOENING 
bemerkt hat!), daraus, daß eine Schenkung des zu Belehnenden 
vorausgeht und dieser seine Schenkung natürlich von bestimmten 
Voraussetzungen oder Bedingungen, z. B. Überlassung des ususfructus 
an ihn, abhängig machen konnte. — Dagegen kommt die alte „remunera- 
torische Precaria“, durchaus als die regelmäßige und rechtmäßige be- 
trachtet, noch im 9. Jahrhundert vielfach vor?). — 

Die weltliche Gewalt war nun allerdings für die Vergabungen ihres 
eigenen Gutes in keiner Weise an Einschränkungen gebunden, und 
bekanntlich ist das Königsgut in merowingischer Zeit einfach verschenkt 
worden. Übergriffe auf das Kirchengut durch die precariae verbo regis 
kamen zwar vor, waren aber nicht die Regel — ebenso wie sich 
Justinian ausdrücklich vorbehalten hatte, wenn es das Staatswoll er- 
heische, gewisse Ausnahmen von den Schutzbestimmungen, die er zu- 
gunsten des Kirchenguts erlassen, zugunsten des Staates eintreten zu 
lassen?). In der Karolingerzeit, als das merowingische Königsgut 
vertan war, wurden bekanntlich die königlichen Vergabungen aus 
Kirchengut zur dauernden Einrichtung. Daß jetzt die Schutzbestim- 
mungen nicht mehr eingehalten werden, ist selbstverständlich; denn 
es handelte sich ja bei diesen Vergabungen nicht mehr darum, der 
Kirche, sondern dem Belehnten einen wirtschaftlichen Vorteil zu- 
zuwenden. Der maiordomus oder König trat also kraft der Machtvoll- 
kommenheit, die er in Anspruch nahm, vom Kirchen- (wie vom eigenen) 
Gute den einfachen ususfructus ab. Der Doppelzehent wird erst später 
zur teilweisen Entschädigung der Kirche und als Rekognitionszins zu- 
gestanden und durchgeführt, ist nicht eine ursprüngliche Rechtsfolge 
der Vergabung. Und nach wie vor bleibt, wie rechtlich der ususfructus, 
so wirtschaftlich der Umstand für das beneficium charakteristisch, daß 
das verliehene Gut aus der Wirtschaft des Eigenttimers ausgeschaltet ist. — 

Der Entwicklungsgang der Leiheverhältnisse dürfte also der gewesen 
sein, daß der Gegensatz zwischen wirtschaftlich abhängiger und wirt- 
schaftlich selbständiger Leihe, zwischen locatio und ususfructus schon 
im römischen Rechte vorgezeichnet war; daß der ususfructus an kirch- 
lichem Gute durch kaiserliche und kirchliche Schutzbestimmungen 
geregelt und eingeschränkt war; daß aber durch die Übergriffe der 
neuen Königsgewalt auf das Kirchengut diese Einschränkungen weg- 
fielen und das beneficium der karolingischen Zeit entstand. 


1) Vgl. LOENING a. a. 0, 706. 

2) Vgl. RoTH, Feudalität, S. 147 ff. und namentlich Concilium Mel- 
dense-Parisiense c. 845—847 c. 22 (M. G. Capit. II, p. 404). 

3) Justin. Nov. 7 c. 2. 


Ph. Heck: Die kleinen Grundbesitzer der brevium exempla. 349 


Die kleinen Grundbesitzer der brevium exempla. 
Von 
Ph. Heck (Tübingen). 


I. Problem. H. Nichterwähnung der Eigenwirtschaft. III. Unterscheidung 
und Wesen der mansi serviles. IV. Schlußfolgerung. 

I. Die Angaben, welche die „brevium exempla (ad) describendas- 
res ecclesiasticas et fiscales“!) hinsichtlich der Zusammensetzung 
kleiner Lehen und Prekarien in karolingischer Zeit enthalten, haben 
für die grundherrliche Theorie WITTICHS eine besondere Bedeutung. 

Der Ausdruck „Grundherrschaft“ wird in den Publikationen der- 
Knappschen Schule und namentlich von WITTICH?) in einem besonderen 
technischen Sinn?) gebraucht, und zwar als Gegensatz zu der späteren 
Gutsherrschaft. Grundherr in diesem Sinn ist nicht jeder größere: 
Grundbesitzer, sondern nur derjenige, der nicht von dem Ertrage einer 
Eigenwirtschaft, sondern von Abgaben lebt, der „Grundrentner“ ist. 
Den Gegensatz bildet jeder Eigenwirt ohne Rücksicht auf die Art und 
Größe seines Betriebes, nicht nur der Bauer, der persönlich arbeitet, 
sondern auch der Gutsherr, der Gesinde und Frondienste verwendet 
und nur die Leitung selbst oder durch einen Verwalter austibt. Mit 
Rücksicht auf diesen Sprachgebrauch und wegen einzelner Wendungen 
hatte ich in meiner Untersuchung über die karolingischen Gemein- 
freien 4) angenommen, daß WırTich bei den Vollfreien, die er als Grund- 
herren bezeichnet, die Eigenwirtschaft negiere oder als bedeutungslos 
hinstelle. Dieser Vorstellung galt meine damalige Polemik. WITTICH 
hat in der Replik5) meine Deutung als irrig bezeichnet und dabei er- 
klärt, daß er gleichfalis die Eigenwirtschaft als Mittelpunkt jeder 
grundherrlichen Wirtschaft annehme. Die noch verbleibenden Diffe-: 
renzen würden mich nicht zu einer neuen Erwiderung veranlaßt 
haben, wenn WITTICH seine Ansicht festgehalten hätte. Aber das ist 
nicht der Fall. Vielmehr ist WITricH nachträglich zu derjenigen An- 
sicht gelangt, die ich irrigerweise bei ihm vermutet hatte. Mein 
Irrtum hat sich wenigstens als ein prophetischer herausgestellt. 
WırTicH®) folgert gerade aus den oben erwähnten Angaben der brevium 


1) Mon. Germ. L. II, 1 S. 250 ff. (von dem Herausgeber um 811 angesetzt). 
Die Originalurkunden, die den Registraturvermerken zum Vorbilde gedient 
haben, lassen sich nicht auffinden. 

2) Vgl. Wirricu, Artikel „Gutsherrschaft* in dem „Handwörterbuch der- 
Staatswissenschaften“ und „Grundherrschaft in Nordwestdeutschland“, Leipzig 
1896, S. 1, 7, 12ff., 16 ff. 

3) Diese Begriffsbestimmung ist deshalb zu betonen, weil das Wort 
gewöhnlich für den größeren Grundbesitzer verwendet wird, so z. B. in den 
Untersuchungen v. G. CARO. 

4) Beiträge zur Rechtsgeschichte der deutschen Stände im Mittelalter, 
I. Die Gemeinfreien der karolingischen Volksrechte, 1900. 

5) Die Frage der Freibauern, Zeitsch. der Savignyst. G. 22 8. 272, 276, 
279, 80 und passim. 

6) a. a. OD. S. 344. 


350 Ph. Heck: Miszelle. 


exempla, daß es kleine Lehen ohne Eigenwirtschaft gegeben habe. 
Er hat diese Erkenntnis sofort auf Allod übertragen und bei der Aus- 
legung der Heerbannkapitularien verwertet. 

Deshalb gilt es, die Grundlage dieser neuen Ansicht zu prüfen. 

II. In den brevium exempla sind an Privatgütern inventarisiert 
6 Prekarien und 6 Benefizien des Klosters Weißenburg. Die Auf- 
zeichnung beschränkt sich in allen diesen Fällen auf die Erwähnung 
von Herrenhof, Wiesen, Weinbergen und abhängigen Hnfen!). Eine 
eigene Ackerwirtschaft, die vom Herrenhofe aus betrieben werde, 
wird nicht ein einziges Mal erwähnt. WiırrTich folgert nun aus der 
Nichterwähnung ohne weiteres, daß keine Wirtschaft existiert hat. 
Man kann diese Auslegung als „Negationshypotliese“ bezeichnen. Wenn 
sie richtig wäre, so würde mit ihr ein sehr bedeutsames Ergebnis ge 
wonnen sein, denn die Beispiele des Formulars haben zweifellos typische 
Bedeutung. Das Formular mußte die normalen Verhältnisse bertick- 
sichtigen, wie sie bei den Revisionen gewöhnlich vorkamen. Das ganz 
ausnahmslose Fehlen der Eigenwirtschaft würde daher sehr bedeutsam 
sein. Aber die Auslegung WITTIcHs ist nicht richtig, sie wird der 
Eigenart der Quelle nicht genügend gerecht. Das Formular enthält 
Muster abgekürzter Beschreibungen. Es ist betitelt „brevium exempla“. 
Die Tätigkeit des Registrierens wird als „breviare“ bezeichnet ?). Bei 
einer derartigen Quelle kann die Nichterwähnung eines sonst zweifel- 
losen Besitzteils auch darauf beruhen, daß dieser Gegenstand als selbst- 
verständlich galt, schon durch die Erwähnung eines anderen Teils als 
Pertinenz gegeben erschien. In allen Beispielen begegnet uns die casa 
lominicata, der Salhof. Sobald wir annehmen, daß bei jedem Sal- 
hof Salland vorhanden war, dann erscheint es doch als möglich, daß 
die Worte casa dominicata den Fronhof ebenso einschließlich des 
Landes bezeichnen, wie mausus vestitus den ganzen Besitz der ab- 
hängigen Bauern an Land und an Gebäuden zusammenfaßt. Der Er- 
kenntniswert der Quelle würde bei einer solchen „Kürzungshypothese“ 
nicht geringer sein als bei der Negationshypothese WrTricHs. Nur 
würde die vermittelte Erkenntnis die entgegengesetzte sein. Wenn 
das Vorhandensein von Salland bei einer casa dominicata so selbst- 
verständlich war, daß es als Beispiel einer zulässigen Kürzung weg- 
gelassen werden konnte, so erbringt diese Erscheinung den glattesten 
Nachweis für die ausnahmslose Verbindung der Eigenwirtschaft, also 
das gerade Gegenteil der von WITTICH gewonnenen Erkenntnis. 

Bei isolierter Betrachtung der Quelle und Nichtbeachtung der beson- 
deren Qualität der ablıängigen Hufen würden allenfalls 3) beide Deutungen 
1) Die regelmäßige Formel lautet „recepit“ oder „habet“ „cum casa 
dominicata mansos vestitos serviles (VI), de vineis picturas (V), de prata ad 
carradas (XX)“. Die Zahlen variieren natürlich. 

2) Vgl. a. à. 0. c. 9: „eurtes VII, de quibus hic breviatum non est“, 
©. 16: „Et sic cetera breviare debes“, c. 23: „Et sic cetera de talibus rebus 
breviare debes, c. 24: „Item adbreviandum de praediis“. 

8) Allerdings würde die Negationshypothese mit der Verbreitung der 
mansi absi sich abfinden müssen. GERBERT (c. 19) hat neben dem Herren- 
hause 5 Hufen. Aber sie sind alle wüst. Supponiert man Eigenwirtschaft, 


Die kleinen Grundbesitzer der previum exempla. 351 


möglich sein. Aber der Ausschlag vollzieht sich mit voller Bestimmtheit 
zugunsten der zweiten, sobald wirentweder die anderen Nachrichten heran- 
ziehen oder die abhängigen Hufen näher ins Auge fassen. 

Die übrigen Nachrichten der Karolingerzeit ergeben, wie dies WITTICH 
selbst anerkannt hat!), daß bei jeder Grundherrschaft eine eigene Acker- 
wirtschaft den Mittelpunkt bildete. Diese Erkenntnis ergibt sich nament- 
lich für die kleinen Lehen geistlicher Anstalten?). Die Eigenwirtschaft 
aller Grundbesitzer erscheint somit als typischer Zug. Andererseits 
haben auch die Angaben der brevium exempla typische Bedeutung. 
Dabei sind es dieselben realen Verhältnisse, deren Spiegelbilder uns 
in den brevium exempla und in den übrigen Nachrichten entgegen- 
treten. Wir haben zwei Bilder desselben Objekts. Wenn nun von 
den beiden dem Wortlaute nach möglichen Deutungen der brevium 
exempla die Ansicht WITTICHs den schroffsten Gegensatz, die Kürzungs- 
hypothese aber volle Übereinstimmung ergibt, so kann doch kein 
Zweifel darin obwalten, daß nur die "übereinstimmende Deutung zu- 
lässig ist. 

III. Zu demselben Ergebnisse führt auf unabhängigem Wege die 
Betrachtung der abhängigen Hufen. 

Sowohl bei den Hufen des Fronhofs Stapfinsei und des Bistums 
Augsburg wie bei den kleineren Besitzungen des Klosters Weißenburg 
werden mansi ingenuiles und mansi serviles unterschieden. Aber das 
Zahlenverhältnis dieser beiden Kategorien ist ein sehr verschiedenes. 
Bei den Fronhöfen des Bistums überwiegen die mansi ingenuiles. 
In Stapfinsei finden sich 23 Freihufen und 19 Knechtshufen. Im - 
ganzen Besitze des Bistums Augsburg stellen sich die Zahlen auf 1041 
und 466, so daß die Gesamtzahl der Freienhufen mehr als doppelt 
so groß ist als die Gesamtzahl der Knechtshufen. Bei den kleineren. 
Besitzungen stehen sich dagegen nur 10 Freienhufen und 84 Knechts- 
hufen gegenüber. Die Zahl der Knechtshufen ist also mehr als 8mal 
so groß als die der Freienhufen?). Ebenso ist beachtenswert, daß: 
von den 12 kleineren Besitzern 10 ausschließlich Knechtshufen haben. 
Nur ? Lehensbesitzer*) haben neben zahlreichen Knechtshufen (6 und 21; 
auch Freihufen (6 und 4). Es handelt sich um die beiden größten 
Lehen. Angesichts der Schärfe des Gegensatzes, der typischen Be- 
deutung der Beispiele und anderer Bestätigungen) ist kein Zufall an- 


so sind diese Hufen als Zuschlag zu dem Hofland zu denken. Verneint man 
die Eigenwirtschaft, so wird die Lebensweise unverständlich. 

1) Vgl. oben Anm. 5. 

2) Vgl. die Statuten ADALHARDs, Gemeinfreie, S.294. WITTICH, a. a. O. 
S. 280. 

3) Die Zahl der Bebauer verhält sich wie 6:63; es sind 10mal so viel 
mansi serviles vestiti vorhanden als ingenuiles vestiti. 

4) HEIMBERTH (c. 17) hat mansos serviles 6, ingenuiles vestitos 2, absos 4. 
WALTHARI (c. 22) hat bei 2 Herrenhöfen 18 mansos serviles vestitos, absos 3, 
mansos ingenuiles vestitos 4. 

5b) INAMA-STERNEGG betont wiederholt, daß bei den weltlichen Grund- 
herren das Dominicalland und der Besitz an Unfreien, bei kirchlichem Besitz. 
das Zinsland und die Zahl der abhängigen Freien überwiegen. Vgl. Wirt- 


:3523 Ph, Hecks Miszelle. 


‚zunehmen. Das Überwiegen der mansi serviles bei den kleinen welt- 
lichen Besitzungen muß mit der Art ihrer Bewirtschaftung zusammen- 
hängen und ist deshalb geeignet, uns über diese Verhältnisse nähere 
Auskunft zu gewähren. Der Unterschied zwischen den mansi ingenuiles 
und den mansi servilea hängt, wie allgemein anerkannt, mit dem 
Stande des ursprünglichen Inhabers zusammen. Dies beweisen die von 
Standesbezeichnungen entnommenen Ausdrücke. Dafür fällt ins Ge 
wicht, daß in der Mehrzahl der Fälle noch der Stand des Bebauers 
und die Qualität der Hufen miteinander tübereinstimmen!). Dafür 
spricht endlich die durchschnittlich verschiedene Art der Belastung. 
Die Verschiedenheit tritt schon in den brevium exempla selbst bei 
der Beschreibung des Fronhofs Stapfinsei deutlich hervor. Ba 
den Fretenhufen finden sich neben geringeren Ackerfronden und 
Diensten auch größere Abgaben. Einzelne Hufengruppen sind dabei 
verschieden belastet. Die Knechtshufen sind ganz gleichmäßig be- 
"handelt. Sie entrichten eine geringfügige Abgabe?). Dagegen müssen 
ihre Besitzer die halbe Arbeitszeit, drei Tage in der Woche, fronden. 
Die Knechtshufen sind somit nicht Zins-, sondern Diensthufen. Dieses 
Ergebnis ist zu verallgemeinern wegen der typischen Bedeutung des 
Inventarformulars und wegen anderweiter Belege. Auch in dem Polyp- 
tichon IRMINONIS tritt z. B. bei aller Verschiedenheit im einzelnen 
der prinzipielle Unterschied noch deutlich hervor. Die Freienhufen 
leisten nach der Berechnung GUERARTS°) durchschnittlich 0,6 Prozent 
ihrer Belastung in Abgaben und 0,4 in Diensten. Bei den mansi 
serviles sind die entsprechenden Zahlen 0,3 und 0,7. Das Verhältnis 
ist daher das umgekehrte. Der Zusammenhang dieser Belastungs- 
verschiedenheit mit dem Stande des ersten Inhabers liegt nun sehr nahe, 
Der servus war persönlich zu ungemessenen, oder, nach alamannischem 
und bayerischem Volksrecht, doch zu hohen Frondiensten verpflichtet 
(3 Tage in der Woche). Der ingenuus brauchte nur diejenigen Dienste 
zu leisten, die er speziell übernommen hatte. Die gesetzliche drei- 
tägige Fronpflicht der servi tritt uns in Stapfinsei noch ungebrochen 
entgegen. Die individuellen Verschiedenheiten im Polyptichon erklären 
sich unschwer aus späteren Ablösungen. 

Der Unterschied der mansi ingenuiles und serviles erscheint nun 
aber als eine ständige Eigenschaft des Bauernguts. Er ist un- 
abhängig von dem Stande des derzeitigen Bebauers und von der Exi- 
stenz eines Bebauers überhaupt. Wir finden ingenui im Besitze von 
mansi serviles und servi im Besitze von mansi ingenuilest). Wir finden 
vor allem, daß auch bei den mansi absi, den unbesetzten Gtitern, 
bei denen gar keine Belastung zur Zeit vorhanden war, die zu der 


schaftsgeschichte 1 S. 119, 20, 130, ferner S. 148, 149 (für kleine Grund- 
besitzer), S. 160, 161, 304, 358 ff. 

1) Vgl. GUERARD, Polyptique de l’abée Irminon S. 588 u. 307 a. A. 

2) Die Jahresabgabe einer jeden Hufe beträgt 1 Frischling, 5 Hühner, 
10 Eier, 1 Hemd und 1 Tuch. 

8) Vgl. Gukrarv S. 894 und $. 897. 

4) Vgl. die Nachweisungen bei GUÉRARD a. O. S. 570. In zahlreichen 
Fällen sitzen ingenui auf mansi serviles und servi auf mansi ingenuiles. 


Die kleinen Grundbesitzer der previum exempla. 353 


Eigenwirtschaft des Herrn gezogen waren oder wist lagen, dennoch 
die Eigenschaft als ingenuiles oder serviles in den Berichten hervor- 
gehoben ist. Juristische Beziehungen bestanden bei dem mansus absus 
nicht‘). Die ständische Qualität der Hufe ist somit eine konstante 
Eigenschaft des Landes, nicht bedingt durch Rechtsbeziehungen. Diese 
Konstanz erklärt sich nur dadurch, daß die tatsächliche Beschaffenheit 
des Bauernguts, seine Ausstattung mit Gebäuden und Inventar und 
vor allem seine Größe der wirtschaftlichen Bestimmung als Zinshufe 
oder als Diensthufe angepaßt war. Schon die einfachste wirtschaft- 
liche Erwägung mußte dazu führen, dem Zinsbauern, der mehr Produktions- 
zeit hatte, und außer seinem Unterhalte noch größere Abgaben produ- 
zieren sollte, auch mehr Land zu geben als dem Fronder, der nur 
die halbe Arbeitskraft frei hatte, aber auch fast nur seinen Lebens- 
unterhalt gewinnen sollte. Jede Gleichstellung im Landbesitze wäre 
unwirtschaftlich gewesen, entweder Verschwendung bei dem Besitzer 
der Diensthufe oder Knauserei in Hinsicht des Zinsbauern. Dem- 
entsprechend ist schon von verschiedenen Seiten festgestellt worden, 
daß die mansi serviles durchschnittlich erheblich kleiner waren als 
die mansi ingenuiles. — Nach GUERARD?) verhalten sich die mansi 
ingenuiles und serviles im Durchschnitt fast wie 3:2 (10,59 Hektar 
und 7,43 Hektar). Auch INAMA-STERNEGG betont die auffallende Kleinheit 
der Knechtsgüter?).. Endlich finden sich gerade im alamannischen 
Gebiete in den späteren Nachrichten kleine Bauerngüter unter der 
Bezeichnung Schupposen, die höchstens 15 Morgen umfassen. Ihre 
Identität mit den mansi serviles der Karolingerzeit kaun nach den 
neuesten Forschungen BEYERLES*) keinem Zweifel unterliegen. 

Eine solche Verschiedenheit der realen Beschaffenheit konnte natür- 
lich durch den Wechsel der Bebauer nicht beseitigt werden. Sie er- 
klärt allein und ungezwungen, weshalb auch bei der Registrierung der 
mansi absi die Angabe der ständischen Qualität vorgeschrieben war. 
Die Angabe gab Auskunft über die Größe der Hufe und deshalb auch 
über die wünschenswerte Standeseigenschaft der fehlenden Kolonen. 

Diejenige Bedeutung, die der Unterschied der beiden Gutsarten bei 
den unmittelbaren kirchlichen Besitzungen hat, muß ihm nun ebenso bei 
den kleinen Prekarien und Benefizien unserer Quelle zukommen. Dies 
fordert die durchaus gleichartige Verwendung der gleichen Bezeichnungen 
in den brevium exempla, namentlich die Ausdehnung des Unterschiede 
auf die mansi absi der kleinen Besitzer. Ebenso aber auch die 
Erwägung, daß die Prekarien und die Benefizien zu einem erheblichen 
Teil früher unmittelbarer Besitz der kirchlichen Anstalt gewesen sind. 
Der mansus servilis kann durch Verleiliung seine Größe und Ein- 
richtung und deshalb auch die dadurch bedingte Funktion als Dienst- 


1) Vgl. z.B. Brev. ex. Nr. 9: „mansos ingenuiles vestitos 1006, absos 36, 
serviles vero vestitos 421; absos 46. Vgl. ferner c. 12, 13, 17, 18, 19, 20, 
21 u. 22. 

2) A. a. 0. S. 894, 97. 

3) Vgl. a. a. O. S. 180, 158, 315, 372. 

4) Vgl. K. BEYERLE, Ergebnisse einer alamannischen Urbarforschung 
in Breslauer Festgabe für „Dahn“, S. 92 ff. 


354 Ph. Heck: Miszelle. 


hufe nicht ändern. Hätten die kleinen Besitzer Zinshufen gewollt, 
so würden sie eben aus dem kirchlichen Vorrate mansi ingenuiles 
erbeten und erhalten haben. Deshalb scheint es mir sicher zu sein, 
daß von den 12 Besitzern unserer Quelle 10 ausschließlich Diensthufen 
und die beiden andern neben wenigen (4:2) zinsenden Hufen auch eine 
weit erheblichere Anzahl (6:18) von dienenden Hufen besessen haben. 

Diese Erkenntnis ist von mehrfacher Bedeutung: 

Erstens wird unsere Annahme, daß in allen Fällen bei der casa 
dominicata die Eigenwirtschaft des Sallands mitinbegriffen ist, voll- 
kommen bestätigt. Das geringfügige Wiesen- und Weideland konnte 
die Arbeitskraft der Fronbauern schlechterdings nicht aufbranchen. 
Alle diese Herren müssen Ackerland in Eigenwirtschaft gehabt haben, 
auf dem sie die Frondienste ausnützten. 

Zweitens aber tritt die Bedeutung der Eigenwirtschaft für den 
Haushalt der Herren in ein helles Licht. Die 10 kleinen Grundbesitzer 
konnten von ihren mansi serviles nur geringfügige Abgaben beziehen!}. 
Dagegen hatten sie auch, abgesehen von dem anzunehmenden Gesinde?) 
und der eigenen Arbeitskraft, erhebliche Frondienste zur Verfügung, 
deren Ausnützung in ihrer Eigenwirtschaft ihnen den eigentlichen Lebens- 
unterhalt liefern mußte. Die Grundbesitzer, in denen WITTICH ein 
schlagendes Beispiel rein grundherrlicher Lebensführung findet, sind 
überhaupt keine Grundherren, sondern typische Eigenwirte mit 
ganz geringfügigem Abgabenrecht. Nur die beiden großen Lehens- 
besitzer können neben ihrer entsprechend bedeutenden Eigenwirtschaft 
(6 und 18 reine Dienstbauern) noch etwas erheblichere Zinsbezüge 
gehabt haben (2 und 4 Zinsbauern). 

Der territoriale Umfang der vorhandenen Eigenwirtschaften läßt 
sich freilich nicht ziffermäßig feststellen. Im allgemeinen werden wir 
wohl annehmen dürfen, daß der Dienstbauer, der mit seiner halben 
Arbeitskraft etwa 15 Morgen für sich bestellte, mit der anderen Hälfte 
Arbeitskraft ungefähr ebensoviel Land für seinen Herrn bearbeitete. 
Aber die Wahrscheinlichkeit von Gesindearbeit und eventuell Eigen- 
arbeit des Herrn einerseits, das Vorhandensein von Weinbergen und 
Wiesen andererseits, sowie die Verwendung der mansi absi machen die 
Rechnung ganz unsicher. Immerhin ergibt die Zahl der Diensthufen 
eine starke Vermutung dafür, daß die Eigenwirtschaft meistens erheb- 
lich mehr als 30 Morgen umfaßte. Ftir den Walthari mit 2 Salhöfen 
und 18 Fronbauern dürften mindestens 240 Morgen anzusetzen sein. 

IV. Die typische Bedeutung der brevium exempla gestattet eine 
präsumtive Verallgemeinerung auf diejenigen Gebiete, in denen uns 


1) Dies erhellt, wenn man einmal den Umfang der Abgaben (oben S. 852) 
und andererseits den Umstand berücksichtigt, daß die Zahl der abhängigen 
Bauern sehr klein ist, z. B. Unroh (c. 12) einen mansus vestitus, Meginhart 
(c. 20) nur zwei hat. 

2) Reine Gesinde- und Selbstwirtschaft dürfte bei dem Vasallen Gerbert 
(a. a. O. Nr. 19) vorliegen. Er hat zwar 5 mansos serviles. Aber sie sind 
alle absi. Auch bei Unroh (c. 12) und Meginhart (c. 20) wird ein ähnlicher 
Zustand anzunehmen sein. 


Die kleinen Grundbesitzer der previum exempla. 355 


ınansi serviles begegnen. Die kleinen Besitzungen dieser Gebiete, 
bei denen WırTicH das Schwergewicht auf die Abgabenwirtschaft legt, 
sind ausschließlich Eigenwirtschaften, betrieben mit Hilfe von Fron- 
diensten. Ob man solche Eigenwirtschaften von 30—240 Morgen als 
größere Bauernwirtschaften oder als Zwergformen der Gutsherrschaft 
bezeichnen will, ist eine Frage von sekundärer, mehr terminologischer 
Bedeutung. Von einer auf dem Bezuge von Abgaben beruhenden 
Wirtschaftsform, von einer Grundherrschaft im technischen Sinn, kann 
gar nicht die Rede sein. 

Das gewonnene Resultat ist nun nicht nur von selbständiger Bedeutung, 
sondern auch bei der Auslegung anderer Nachrichten aus karolingischer 
Zeit verwertbar!). Nicht jede abhängige Hufe beweist die Existenz 
einer Grundherrschaft. Der mansus servilis ist regelmäßig Element 
der Eigenwirtschaft. 

Nachtrag: Der vorstehende Aufsatz hat dadurch eine besonders 
aktuelle Bedeutung erlangt, daß WITTICH in seiner neuesten, soeben 
erschienenen Arbeit bei einer Rekapitulation seiner Ansicht Grundherr 
im Sinne von Grundrentner und — nicht nur Bauer —, sondern dies- 
mal Kleinbauer als abschließende, alle Formen erschöpfende 
Gegensätze hinstellt?). In welche Alternative gehören unsere Grund- 
besitzer? Schlechterdings in keine von beiden. — WiTricxs Vorrat 
an Anschauungsbildern ist lückenhaft. Unsere Grundbesitzer fallen 
bei seiner Einteilung in einen leeren Raum, wo sie zahlreiche Schicksals- 
genossen finden, denn solche Formen waren nicht nur in der Karolinger- 
zeit häufig, sondern auch in den nächsten Jahrhunderten. 


1) Dies gilt beispielsweise für die Statuten Adalhards. Aus dem Um- 
stande, daß auch bei den kleineren Vasallen (unter 4 Hufen) eine familia 
erwälnt wird, folgert WITTICH a. a. 0. S. 280, daß die Eigenwirtschaft bei 
keinem Vasallen mehr als eine Hufe betrug und deshalb bei den größeren 
der Rentenertrag den Ertrag der Eigenwirtschaft überwog. Diese Deduktion 
erledigt sich durch die Analogie der brevium exempla. Die Beschränkung 
der Eigenwirtschaft auf eine Hufe von dem Umfange der abhängigen ist 
an dieser Stelle wie sonst, z. B. Freibauern S. 338, willkürlich. Auch für Sachsen 
ist es wahrscheinlich, daß eine Eigenwirtschaft der Edelinge im Umfange 
von 3 (4) Lathufen verbreitet war. 

2) Altfreiheit und Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachsen, diese 
Ztschr. 4 S. 77. Die Formulierung geht dahin, daß „die vollfreien Sachsen“ 
„nicht als Bauern sich ernährten, das heißt eine Hufe mit eigener Hand 
bestellten, sondern daß sie kleine Grundherren waren, die in der Hauptsache 
von den Abgaben ihrer anf wenigen Hufen angesiedelten Hörigen lebten“. 


Vierteljabrechr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 24 


356 Ph. Heck: Miszelle. 


Die neue Hantgemaltheorie Wittichs, 
Von 
Ph. Heck (Tübingen). 


I. Problem und Hauptstelle. II. Die alte Deutung (Legitimations- 
deutung). II. Die neue Deutung (Vindikationsdeutung). IV. Die 
Abwägung. 

WITTICH hat in seiner Arbeit „Altfreiheit und Dienstbarkeit des 
Uradels in Niedersachsen!) zu verschiedenen Ansichten Stellung ge- 
nommen, die ich in meinem Buche „Der Sachsenspiegel und die Stände 
der Freien“ ?) vertreten habe. Ich will aus den Differenzpunkten zu- 
nächst das Hantgemalproblem herausgreifen, weil es sich, wie mir 
scheint, selbständig erledigen läßt und dabei geeignet ist, als Stichprobe 
bei der Vergleichung unserer Arbeiten zu dienen°). 

Die herrschende Meinung sieht in dem Hantgemal des Sachsen- 
spiegels ein Stammgut von ständischer Bedeutung. Nur derjenige ge- 
hörte zu den Schöffenbaren, in dessen Geschlecht sich ein solches 
Stammgut vererbte. Das Stammgut war unteilbar und jeweils im Be- 
sitze des Âltesten. Diese Ansicht läßt sich daher als Theorie des 
ständischen Geschlechtsguts bezeichnen. Sie ist von HOMEYER 
begründet worden und bis vor kurzem unbestritten gewesen. Die Nach- 
prüfung hatte mich*) zu dem Ergebnis geführt, daß diese Ansicht für 
den Sachsenspiegel wie für die übrigen Stellen unbegründet ist. Im 
Sachsenspiegel bezeichnet hantgemal einfach die Heimat, das Stamm- 
gut im historischen Sinn, das ein Herausforderer neben des 
Taufnamen seine Ahnen anzugeben hat, um dem Gegner die Prüfung 
seiner Abkunft zu ermöglichen (historische Deutung). 

Auch WITTICH hat sich gegen die herrschende Meinung erklärt. 
Aber er hat nur die Unteilbarkeit und das Recht des Ältesten bean- 
standet, dagegen die ständische Bedeutung noch stärker betont. Nach 
WITTICH war nur derjenige vollfrei, der 1. Eigenttimer eines Sttioks 
Erbgut war und 2. dieses Erbeigen zum Zeichen der Freiheit in „un- 
mittelbarem Besitz“ hatte, „körperlich besaß“. Die Ansicht Wrrrions 

1) Diese Zschr. 4 S. 1ff., auch als Buch erschienen. Die Vorrede der 
Buchausgabe ist eindringender Würdigung zu empfehlen. 

2) Beiträge zur Rechtsgeschichte der deutschen Stände im Mittelalter II, 
Halle a. S 1905 (zitiert Sachsenspiegel). Unsere Arbeiten sind in der Haupt- 
sache gleichzeitig entstanden. Ich habe, ohne WrrricHs Arbeit zu kennen, 
die rechtsgeschichtlichen Voraussetzungen verneint, auf denen die Resultate 
Wirricts aufgebaut sind. Deshalb mußte Wirr ıch Stellung nehmen. 

8) Die Hypothesen Wirrice, die sich auf die Ministerialität beziehen, 
lassen sich nicht ebenso isoliert besprechen, sind aber ebenso unrichtig. Es 
liegt gar keine Wahrscheinlichkeit dafür vor, daß die niedersächsischen 
Ministerialen in ihrer Mehrzahl, geschweige denn in ganz überwiegender 
Mehrzahl altfreien Ureprungs srewesend sind. 

4) Vgl. meine Stellungnahme: „Die Gemeinfreien der karolingischen Volks- 
rechte“, Halle a. S. 1900, S. 107, 420, eine teilweise Begründung: Sachsenspiegel 
S. 500 fl. 


Die neue Hantgemaltheorie Wittichs. 367 


kann der herrschenden Lehre als die Theorie des ständischen 
Einzelguts gegenübergestellt werden. In der Annahme, daß die zur 
Ministerialität übergetretenen altfreien Geschlechter sich das Stammgut 
vorbehielten und sich dadurch vor den altdienstmännischen auszeich- 
neten, ist WITTICH dem Vorgange ZALLINGERS und SCHRÖDERS gefolgt!). 

WirtTich hat bei seiner Polemik gegen die herrschende Lehre sich 
auf eine einzige Stelle des Sachsenspiegels berufen, nämlich auf III, 29,81. 
Er folgert aus dieser Stelle, daß jeder Schöffenbare Eigentum und 
körperlichen Besitz seines Hantgemals haben muß. An derselben 
Stelle, meint er ferner, müsse auch meine Ansicht „scheitern“ ?). 
Historische Beziehung genüge nicht, es werde körperlicher Be- 
sitz gefordert. 

Diese „Hauptstelle“ WiTTICHs hat im Zusammenhange folgenden 
Wortlaut: 

B. HI, Art. 29, $ 1, „Nen scepenbare man ne darf sin hantgemal 
bewisen, noch sine vier anen bentimen, he ne spreke enen sinen 
genot kampliken an. Die man mut sik wol to sime hant- 
gemalemitsinemedetien, al ne hebbe’s under imenicht. 
$ 2. Svar so tvene man en erve nemen solen, die eldere sal delen 
unde die jüngere sal kiesen.“ 

Die Schlußfolgerungen, die WITTICH aus den im Drucke hervor- 
gehobenen Worten gezogen hat, waren mir anfangs in ihrem Aufbau 
unverständlich. Wie kann WıTrıcH die Unentbehrlichkeit körper- 
lichen Besitzes aus Worten erschließen, welche sagen, daß es auf Besitz 
überhaupt nicht ankommt (al ne hebbe ’s under ime nicht)? 

Schließlich hat sich folgendes herausgestellt: Es gibt eine alther- 
gebrachte und völlig unbestrittene Auslegung der Stelle. Auf ihr be- 
ruht die herrschende Lehre und ebenso meine eigene Ansicht. Sie ist 
mit WırrTıcas Theorie nicht vereinbar. WITTIcH hat seinen Ausftih- 
rungen eine ganz andere, völlig neue Deutung der Stelle zugrunde 
gelegt, aber unbewußt, ohne diese Auslegungsverschiedenheit zu be- 
merken. (Aufmerksamkeitsiticke). Diese neue Auslegung würde die 
Ausführungen WiTricxs rechtfertigen. Aber sie erweist sich als un- 
möglich, und damit fällt Wrrricxs Hantgemaltheorie. 

II. Die hergebrachte Deutung besteht darin, dass man den Hant- 
gemaleid, der in Satz 2 gestattet wird, auf die in Satz 1 behandelte 
prozessuale Sachlage, die Legitimation des Herausforderers bei kämpf- 
licher Ansprache, bezieht und beschränkt. Man kann diese Auslegung 
als Legitimationsdeutung bezeichnen. 

Nach der Legitimationsdeutung wird der Hantgemaleid über eine 
Inzidentfrage geschworen. Die Eidesleistung hat nur die Wirkung, 
dass die in Satz 1 geforderte Boweisung erbracht ist, der Zweikampf 
nicht mehr wegen dieser Pflicht geweigert werden kann. Dagegen tritt 
keine weitergehende Wirkung ein. Namentlich wird dem bisher nicht 
hesitzenden Schöffenbaren, der den Eid geleistet hat, keineswegs der 


1) ZALLINGER, „Die Schöffenbarfreien des Sachsenspiegels“ 1887 S. 245, 
248, 265. SCHRÖDER, Lehrbuch, S. 444 Anm. 35 
2) Anm. 106. 


358 Ph. Heck: Miszelle. 


Besitz des Hantgemals übertragen. Auf die Erlangung des Hantgemal- 
guts, auf einen Prozeß um Erbe oder Eigen bezieht sich die fragliche 
Stelle iiberhaupt nicht. Diese Beziehung des Hantgemaleids auf die 
kämpfliche Ansprache ist althergebracht. Sie findet sich schon in den 
Glossen und ist von zweien der gründlichsten Kenner des sächsischen 
Prozeßrechts, von HOMEYER!) und von PLANcK?), als ganz selbstver- 
ständlich vertreten worden. Auch ich habe sie deutlich erkennbar 
meinen von WITTICH für gescheitert erklärten Ausführungen zugrunde 
gelegt”). Sie wurde allerdings niemals ausführlich erörtert und als not- 
wendig nachgewiesen, weil sie als selbstverständlich erscheinen mußte 
und noch niemand an ihrer Richtigkeit gezweifelt hatte. Stillschwei- 
gend angenommen ist sie auch in den übrigen Darstellungen des säch- 
sischen Ständewesens, welche die Theorie des Geschlechtsguts ver- 
treten, und in den übrigen Darstellungen des sächsischen ProzeBrechts. 
Denn bei der abweichenden, von WırrTıcH vertretenen Interpretation, 
auf die ich gleich zurtickkomme, würde die Theorie des Geschlechts- 
guts evident quellenwidrig*) und wirden alle Darstellungen des sächsi- 
schen Prozeßrechts in hochwichtigen Fragen unvollständig und un- 
richtig sein. 

Bei Zugrundelegung dieser hergebrachten Legitimationsdeutung er- 
gibt nun die 'Iauptstelle WırrTıcas durchschlagende Argumente für die 
historische Deutung und gegen Wrrrics eigene Theorie. 

Das erste Argument liefert Satz 1 in der Beschränkung des 
Hantszsemalbeweises auf den einzigen Fall der kämpflichen An- 
sprache. Ich habe den Erkenntniswert dieses Umstands schon in 
meinem Buche?) besprochen, will darauf verweisen und nur bemerken, 
daß die Beschränkung der Beweisgelegenheit mit der großen juristi- 
schen und sozialen Bedeutung, welche das Hantgemal nach WIrTrTich 
sehabt haben soll, noch weniger vereinbar ist, als mit der herrschenden 
Lehre. Dagegen muß ich als neu in Ergänzung meiner früheren Aus- 
führungen hervorheben, daß der zweite Teil der Hauptstelle vielleicht 
noch bedeutsamer ist durch die Fallunterscheidung und die sich 
anschließende Erbteilungsvorschrift. 

Der Spiegler gestattet den Eineid schlechthin für alle Fälle und 
hebt die Zulässigkeit für den Fall hervor, dass der Herausforderer das 
Hantgemal nicht „unter sich“ hat!) Damit sind zwei juristisch 


1) Über die Heimat nach altdeutschem Recht, insbesondere über das 
hantgemal in „Abhandl. der Berl. Akademie“ 1852, S. 28 oben, S. 28, 8. 68. 

2) Gerichtsverfahren I, S. 791 Zschr. f. deutsches Recht, 10 S. 222 Anm. 26 
(der Hantgemalcid wird als Beispiel des Inzidentzverfahrens angeführt). 

3) Vgl. a.a.0. S. 506: „Bei der Herausforderung muß der Kläger das 
hantgemal nennen. Aber er beweist die erforderliche Beziehung durch seinen 
hloßen Eid.“ 

4) Vgl. S. 361. 

5) Sachsenspiegel S. 501 tl. 

6) Es widerspricht der Wortfassung, wenn HoMEYER à. a. O. S. 28 den 
Eid auf den Fall des Nichtbesitzes beschränkt. Auch sachlich ist diese Be- 
schränkung untunlich. Der besitzende Prätendent konnte wohl das Land 
vorzeigen, aber die Hantgemalsqualität, die Stammgutseigenschaft ließ sich. 


Die neue Hantgemaltheorie Wittichs. 359 


gleichbehandelte Alternativen gegeben. Mit Rücksicht auf die Bedeu- 
tung von „unter sich haben“ '!) lassen sich die beiden Alternativen 
bezeichnen als die Fälle des „Besitzes“ und des „Nichtbesitzes‘‘ oder 
noch schärfer als die Fälle der „Eigenherrschaft und der „Fremd- 
herrschaft“. Der Eineid wird für den ersten Fall als besonders nahe- 
liegend gedacht. Aber er wird auch ftir den zweiten Fall ungeachtet 
geringerer Selbstverständlichkeit zugelassen. Die Funktion, welche dem 
Hantgemal bei der kämpflichen Ansprache zukomint, kann es in beiden 
Fällen gleichmässig erfüllen, nicht nur bei Eigenherrschaft, sondern 
auch bei bestehender Fremdherrschaft. Von dieser Unterscheidung 
springt nun der Spiegler scheinbar unvermittelt über zu dem bekannten 
Satze, daß bei Erbteilung der Altere teilt und der Jüngere wählt. 

Der Gedankengang des Spieglers scheint mir zu der historischen 
Deutung sehr gut zu stimmen. Wenn Hantgemal einfach das Gut ist, 
auf dem die Vorfahren gesessen haben, so konnte die derzeitige Sach- 
lage eine zweifache sein. Einmal konnte das Gut sich grade in der 
Hand des Herausforderers befinden (Fall der Eigenherrschaft), oder 
aber das Gut konnte in fremde Hand gekommen sein (Fall der Fremd- 
herrschaft). Und zwar konnte diese Entfremdung für den Prätendenten 
sich vollzogen haben durch Veräußerung, oder aber dadurch, daß das 
Stammgut bei einer Erbteilung an eine andere Linie oder an einen 
anderen Erben gekommen war. In beiden Unterfällen konnte es als 
naheliegend erscheinen, der Entfremdung einen Einfluß auf die Be- 
weisart einzuräumen, bei Entfremdung größere Anforderungen zu 
stellen. Bei dieser Auffassung wird es verständlich, daß der Spiegler 
die Relevanz der Fremdherrschaft ausdrücklich verneint. Zugleich 
wird aber begreiflich, wie EykE dazu gekommen ist, unmittelbar an 
die Besprechung des Hantgemalbeweises jene Vorschrift über die Art 
der Erbteilung ($ 2) anzuschließen. EykE hat bei dem Falle der 
Fremdherrschaft der zweite Unterfall vorgeschwebt, die Entfremdung 
durch Erbteilung*). Somit scheint es mir, daß diejenige Vorstellung 
vom Hantgemale, die ich vertrete, sich ganz genau in die Umrißzeich- 
wie man sie auch denken möge, nicht durch den Augenschein, sondern nur 
in anderer Weise erhärten. 

1) Der Tatbestand des „unter sich haben“ ist nicht auf den körperlichen 
Besitz beschränkt, sondern umfaßt jede Art tatsächlicher Herrschaft, auch 
die mittelbare Herrschaft des Verleihers und Verpächters, den mittelbaren 
Besitz des heutigen Rechts. Dies ergibt sich unter anderem mit voller Be- 
stimmtheit aus dem bekannten Satze, daß der Klage um Gut nur derjenige 
zu stehen braucht, der das Gut „unter sich“ hat. Vgl. Ssp. Bd. I, 16 
(Gegensatz „nicht haben“) und PLANCK, Gerichtsverfahren I, S. 402, 408. — 
Daß aber diese Klage auch gegen Verpächter und Verleiher ging, ist sicher 
und noch nie bezweifelt worden. 

2) Vielleicht hat eine Reflexion über den Grund der Gleichbehandlung 
vermittelt. Der Gedankengang würde gewesen sein: Die Gleichbehandlung 
ist richtig, denn es kann jemand ohne sein Zutun sein Stammland einbüßen, 
z. B. bei der Erbteilung. Es gilt ja nicht die Vorschrift, daß jeder Erbe 
Naturalteilung aller Grundstücke fordern kann. Vielmehr gilt der Satz: der 
Altere teilt, der Jüngere wählt. Eine große Prägnanz des Ausdrucks ist 
auch sonst dem Spiegler eigen. 


360 Ph. Heck: Miszelle. 


nung der Quelle einpaßt. Dagegen ist für die beiden anderen Deutungen 
die Einpassung schlechtbin unmöglich. Mit der herrschenden Lehre 
ist die Fallunterscheidung noch vereinbar. Der Fall der Eigenherr- 
schaft läßt sich auf die Stellung des Geschlechtsältesten, die Negation 
des Innehabens auf die Stellung der anderen Geschlechtsgenossen 
beziehen. Ein Widerspruch ergibt sich aber hinsichtlich der Ideen- 
assoziation, welche doch zwischen $ 1 und $ 2 möglich sein muß. 
Wenn der Spiegler bei seinem Hantgemale an ein unteilbares, dem 
Ältesten vorbehaltenes Stammgut gedacht hätte, so wäre es ihm meines 
Erachtens psychologisch nicht möglich gewesen, sofort eine Vorschrift 
über Erbteilung auszusprechen, welche den Grundsatz der Simultan- 
sukzession voraussetzt, jedes Vorrecht des Ältesten negiert und das 
Stammgut von dieser Behandlung nicht ausnimmt. Schon daraus 
scheint mir hervorzugehen, daß der Spiegler mit hantgemal die 
Vorstellung eines unteilbaren oder dem Altesten besonders zuge- 
wiesenen Stammguts nicht verbunden hat. In meinem Buche hatte 
ich bei der Polemik gegen die herrschende Lehre dieses Argument 
noch nicht verwertet. Einfach deshalb, weil ich erst bei der Beschäf- 
tigung mit WırTıcas T'heorie die Bedeutung des $ 2 für die Deutung 
von $ 1 erkannt habe. Dennoch scheint mir diese neue Erwägung 
vollkommen durchschlagend zu sein. Es liegt einer der Fälle vor, 
in denen das Ergebnis indirekter Schlüsse nachträglich durch einen un- 
mittelbaren Beweis bestätigt wird. Diesmal danke ich die Bestätigung 
der Anregung WITTIcHs, wenn auch einer ungewollten. Die neue Theorie 
WITTICHs scheitert vollständig und zwar nicht erst an dem Zusammenhange 
mit $2, sondern schon an der vom Spiegler zugrunde gelegten Fallunter- 
scheidung. Wer behauptet, nur dasjenige Land sei Hantgemal gewesen, 
das im Eigentum und im körperlichen Besitze des Prätendenten stand, der 
behauptet zugleich, daß ein in Fremdherrschaft befindliches Gut nicht 
als Hantgemal genügen konnte. Diese Ansicht WITTIcHs wird deshalb 
durch die Gleichstellung von Eigenherrschaft und Fremdherrschaft, 
wie sie die Quelle mit Sicherheit gibt, völlig widerlegt. Wenn die 
Legitimationsdeutung, die herkömmliche Beziehung des Satzes 2 auf 
Satz 1, richtig ist, dann ist die neue Hantgemaltheorie WITTICHs mit 
ihrer Grundlage, dem Sachsenspiegel, nicht vereinbar. Im tibrigen 
würde die Theorie WITTICHS von dem Stammgut, das notwendig in 
natura geteilt werden muß, wenn nicht einer der Erben die Vollfrei- 
heit verlieren soll, mit der Anfügung und dem Inhalt der Erbteilungs- 
norm ebensowenig harmonieren, wie die herrschende Lehre. Der $ 2 
ergibt, daß für Stammgüter nur das gewöhnliche Erbrecht galt. 

HI. Wrrricx hat nun gar keine Bedenken gegen die Richtigkeit 
der hergebrachten Auslegung geltend gemacht. Er hat auch nicht 
versucht, die Konsequenzen, welche für ihn so ungiinstig sind, zu ent- 
kräften, sondern er hat weder die Auslegung noch ihre Konsequenzen 
erwähnt. Andererseits ist er nicht mit dem Anspruche aufgetreten, 
eine neue Auslegung zu geben. Aber er hat tatsächlich seinen Aus- 
führungen eine völlig neue, nach dem isolierten Wortlaute der 8. 2 aller- 
dings mögliche Deutung zugrunde gelegt. Ich will diese Auffassung 
als Vindikationsdeutung bezeichnen. Sie geht dahin, daß der 


Die neue Hantgemaltheorie Wittichs. 361 


Hantgemaleid auf den Fall der Legitimation nicht angewendet, dafür aber 
auf einen besonderen Rechtsstreit um Hantgemalgut bezogen wird, auf 
eine Klage und Eigen, eine Vindikation des Stammguts. Der Hant- 
gemaleid erscheint jetzt als ein tief eingreifendes prozessuales 
Vorrecht des Schöffenbaren. Er kann Land dadurch behalten oder, 
wenn er es nicht besitzt, erlangen, daß er mit seinem Eineide die 
Eigenschaft dieses Landes als Hantgemal beschwört. Daß Wrrricx 
wirklich die Vindikationsdeutung seinen Ausführungen zugrunde ge- 
legt hat, ergibt sich einmal aus der Art der Verwertung. Vom Stand- 
punkt der Legitimationsdeutung aus ist alles, was WITTICH sagt, voll- 
kommen unbegreiflich, seine eigene Ansicht, seine Polemik gegen die 
Theorie des Geschlechtsguts, seine Behauptung, daß die historische 
Deutung an der besprochenen Stelle scheitere. Dagegen wird alles 
schlüssig und durchsichtig, sobald man die Vindikationsdeutung zu- 
grunde legt. Zunächst gilt das von der Polemik gegen die herrschende 
Theorie des ungeteilten Geschlechtsguts und gegen meine Annalıme 
einer lediglich historischen Beziehung‘). Wenn der Schöffenbare mit 
seinem Eineid sich jederzeit den Besitz seines Hantgemals verschaffen 
konnte, dann war natürlich der Alteste des Geschlechts nicht allein 
zum Besitze berechtigt, dann muß jeder Schöffenbare sein eigenes 
Hantgemal gehabt haben. Ebenso ist dann die historische Deutung 
unzulässig. Wenn der Obsieg des Klägers damit gegeben war, daß er 
die Eigenschaft des streitigen Landes als Hantgemal beschwor, dann 
konnte Hantgemal nicht schou jedes Gut sein, auf dem die Familie 
früher gesessen hatte, sondern nur dasjenige, an welchem der Kläger 
noch Eigentum und Besitzrecht hatte. Aus der Erkenntnis, daß die Be- 
ziehung des Schöffenbaren zu seinem Hantgemal zum Besitze berech- 
tigendes Eigentum ist, folgt ferner der von WITTICH ausgesprochene 
Satz, daß nur Grundeigentümer zu dem Stande der Schöffenbaren 
gehören, vollfrei sein können. Die Vindikationsdeutung ist daher ge- 
eignet, die negativen wie die positiven Schlußfolgerungen zu recht- 
fertigen, die WITTICH aus der besprochenen Hauptstelle gezogen 
hat. Zu demselben Schlusse zwingen einzelne Aussprüche. WITTICH 
nennt den Hantgemaleid ein Prozeßprivileg des Schöffenbaren, das 
ihm wegen der großen Bedeutung des Hantgemals gewährt sei?). Er 
spricht von Beanspruchung des Besitzes *), von dem „Rechtsstreite über 
das Hantgemal“*). Es ist deshalb völlig sicher, daß WITTicH die 
hergebrachte Auslegung durch die neue Vindikationsdeutung ersetzt 
hat’). Aber dieser Ersatz beruht nicht darauf, daß Wrrricx die 





1) Diese Unvereinbarkeit der herrschenden Lehre und meine Ansicht mit 
der Vindikationsdeutung ist so offenkundig, daß von dieser Auslegung aus 
beide Ansichten als geradezu bloßstellend töricht erscheinen. WITTICH ist 
so höflich gewesen, mildere Ausdrücke zu gebrauchen. Aber daß er mir eine 
solche Gedankenlosigkeit zutraute, ist immerhin schmerzlich. 

2) A. a. O. S. 38. 

3) À. a. O. $S. 40. 

4) A. a. O. S. 117 Anm. 106. 

5) Auch Professor RIETSCHEL ist, unabhängig von mir, hinsichtlich der 
Auffassung WITTICHs zu demselben Ergebnisse gelangt. 


362 Ph. Heck: Miszelle. 


Legitimationsdeutung geprüft und als gar nicht erwähnungswert ver- 
worfen hat. Vielmehr sind zwei Umstände seiner Aufmerksamkeit ent- 
gangen: 1. daß die Beziehung des Eids auf die Legitimation möglich 
ist und 2. daß sie den beiden von ihm verworfenen Ansichten zu- 
grunde liegt. Nur dieser Aufmerksamkeitslücke!) dankt Wrrrica 
die Siegesfreude bei Polemik und Aufbau. 

IV. Die Abwägung der beiden Deutungen gestaltet sich sehr ein- 
fach. Die alte Auslegung ist einwandfrei. Die Vindikationsdeutung 
scheitert bei dem Versuche der Durchführung an unüberwindlichen 
Hindernissen, 

Eine Klippe steht ganz im Vordergrunde. Ihre Sichtbarkeit er- 
klärt, weshalb noch niemand vor WITTich die Vindikationsdeutung 
vertreten hat. Die Viudikationsdeutung ist unmöglich aus dem nahe- 
liegenden nnd einleuchtenden Grunde, weil sie durch den ersten Satz des 
Artikels 29 unmittelbar ausgeschlossen wird. Der Spiegler sagt ja in 
Satz 1, daß es nur einen Fall gibt, in dem der Hantgemaleid not- 
wendig wird. Dieser eine Fall ist die Legitimation bei Herausforde- 
rung. Folgerichtig nicht der Fall der Vindikation. Es ist ausge- 
schlossen, daß EyYKE diesen bestimmten Ausspruch getan hätte, wenn der 
Hantgewaleid bei der so wichtigen und häufigen Klage um Eigen eine 
Rolle gespielt hätte. Es ist vollends unmöglich, daß er sich selbst 
sofort desavouiert und an die Verneinung die entgegengesetzte Bejahung 
ohne Erklärung angeschlossen hätte. So verfährt überhaupt niemand, 
geschweige denn der Worte wägende EyKEE. 

Dieser erste Einwand ist nicht nur offensichtlich, sondern auch so 
glatt durchschlagend, daß es überflüssig erscheinen könnte, die Mög- 
lichkeit der Vindikationsdeutung noch weiter zu untersuchen. Ich will 
dies dennoch tun der Sicherheit halber und vor allem deshalb, weil 
die ganze Hantgemaltlıeorie WWITTICHs und sein genealogisch-statistisches 
Endergebnis mit der Vindikationsdeutung fallen. 

An den ersten Einwand schließt sich sofort ein zweiter: WITTIOn 
kann nur die exklusive Vindikationsdeutung brauchen, die Annahme, 
daß der Spiegler bei Satz 2 an den Legitimationsfall gar nicht gedacht 
hat, auch nicht nebenbei. Denn schon die kumulative Einbeziehung 
des Legitimationsfalls würde durch die Fallunterscheidung die Theorie 
WırTichs ausschließen. Nach Wortlaut und Zusammenhang muß aber 
der Spiegler an den Beweis bei Legitimation gedacht haben. 

Die Prüfung des Zusammenhangs ergibt auch dadurch ein weiteres 
Bedenken, daß diejenige Ideenverbindung zerstört werden wiirde, 
die nach meiner Deutung von Satz 2 zu dem nächstfolgenden $ 2 hin- 
überleitet und daß der Inhalt der Erbteilungsvorschrift mit WITTicas 
Vorstellung von der Realteilung des Stammgutes im Widerspruch 
steht ?). | 
1) Auf einer ebenso großen Aufmerksamkeitslücke beruht die Behauptung, 
daß ich den Ursprung der Ministerialität aus der Hörigkeit bestreite. Wer 
die Ministerialität des 12. und 13. Jahrhunderts als eine Art der „Hörigkeit* 
bezeichnet, muß die altsächsische Mundlingschaft erst recht unter denselben 
Oberbegriff einstellen. 

2) Vgl. oben S. 860. 


Die neue Hantgemaltheorie Wittichs. 363 


Das unmittelbar sachliche Ergebnis ist die prozessuale Norm, daß 
bei Vindikation von Stammgut nur der Eineid entscheidet. Dieser 
Rechtssatz ist aus prozessualen Gründen abzulehnen. Es läßt sich 
dies mit Sicherheit behaupten. Wir haben in bezug auf das sächsische 
Beweisrecht sehr reiche Quellen, die öfters und in gründlichen Unter- 
suchungen behandelt worden sind. Ich hebe die Arbeiten von 
HOMEYER, LABAND und PLANCK hervor. Einem Forscher, der 
im Sachsenspiegel ein neues Prozeßprivileg entdeckt zu haben glaubt, 
kann diese Literatur manches bieten, wenn er sie benutzt. Unteranderem 
die Erkenntnis, daß die Vindikationsteilnng unserer Stelle auf ein 
doppeltes prozessuales Bedenken »tößt. 

In der Spiegelstelle wird der Hantgemaleid gleichmäßig vorge- 
schrieben für die beiden Fälle des Besitzes und des Nichtbesitzes. Das 
würde auf den Prozeß bezogen heißen: „Das Beweisrecht ist das 
gleiche für den besitzenden Beklagten und für den nichtbesitzenden 
Kläger“. Demgegenüber ist es ein Fundamentalsatz des deutschen 
Prozeßrechts, daß das Beweisrecht bei der Klage um Gut durch den 
Besitz des Streitobjekts beeinflußt wird. Nirgends wird eine Aus- 
nahme für Stammgut gemacht. Durch einfache Negation konnte der 
Satz auch gar nicht geändert werden. Jedem, der mit der Vindikations- 
deutung Ernst macht, drängt sich die Frage auf: Was nun, wenn 80- 
wohl Kläger wie Beklagter in bezug auf das streitige Land den Hant- 
gemaleid leisten? Grade die Kürze der Bemerkung zeigt deutlich, daß 
der Spiegler an eine Klage um Gut gar nicht gedacht hat. 

Zweitens ist zu beachten, daß der Hantgemaleid von dem Beweis- 
führer allein geleistet wird ohne Zeugen oder Eideshelfer. Das An- 
wendungsgebiet des Eineids war zur Zeit des Spieglers ein sehr be- 
schränktes. Aber es umfaßte unter anderem Incidentstreitigkeiten. Des- 
halb ist der Eineid nicht auffallend, wenn man die Legitimationsdeutung 
zugrunde legt. Dagegen mußte der nicht besitzende Kläger bei der 
Vindikation von Eigen ganz andere Beweise erbringen. Nach Ssp. 
Il, 44, $ 3 braucht das Zeugnis von 6 schöffenbaren freien Männern, 
wer, ohne unmittelbaren Besitz zu haben, um Eigen klagt. Dieser 
Satz ist für jedes Eigen ausgesprochen, gilt also auch für Erbeigen. 
Und Unzulässigkeit des Eineids gilt nach sächsischem Prozeßrecht ganz 
allgemein für die Klage um Eigen!). Die Durchführung des Eineids 
beim Hantgemal würde eine analogielose Singularität darstellen. Sie 
ließe sich nicht durch die Altertümlichkeit des Instituts erklären. Im 
Gegenteile, der Eineid zeigt ein um so geringeres Anwendungsgebiet, 
je weiter wir in die Vergangenheit zurückgehen. WTITTICH nimmt an, 
daß das Institut des Hantgemals ein sehr hohes Alter hatte und schon 
im 12. Jahrhundert im Absterben begriffen war. Bei einer solchen 
Datierung muß der Eineid als prozessuales Entscheidungsmittel für 
die Klage um Eigen völlig ausscheiden. 

Das mittelbare sachliche Ergebnis würde der Satz sein, daß nur der 
Eigentümer eines Stammlandstücks zu dem Stande der Schöffenbaren 
oder Vollfreien gehören konnte. Der Mann, der sein Erbgut veräußerte, 


lı Vgl. z. B. PLanck, U, S. 134 ff. 


364 Ph. Heck: Miszelle. Die neue Hantgemaltheorie Wittichs. 


hörte auf, vollfrei zu sein. WITTICH hat diese Konsequenzen gezogen 
oder, genauer, diese schon in seinen früheren Arbeiten !) durchscheinende 
Ansicht jetzt bestimmter formuliert. Aber die Abhängigkeit der Voll- 
freiheit vom Grundeigentum widerspricht, wie ich an anderer Stelle 
gezeigt zu haben glaube?), den bestimmten Angaben der Quellen und 
dem Gesamtaufbau der sächsischen Standesgliederung. Die Eigentums- 
theorie der Schöffenbaren ist auch in ihrer jetzt von WITTICH gege- 
benen Formulierung?) schlechthin unannehmbar. Die Konsequenz 
steht im Einklange mit den übrigen Qualitäten der neuen Auslegung. 

Aus diesen Gründen ist von der Vindikationsdeutung abzusehen. 
Die alte Auslegung ist die einzig mögliche, aber sie ist auch unbedenk- 
lich und durchaus sicher. Sie führt zu der historischen Deutung von 
Hantgemal und ist mit der Hantgemaltheorie Wrrricas schlechterdings 
nicht vereinbar. 

Neben dem Sachsenspiegel hat WrrricH noch unterstützende Belege 
angeführt. Er beruft sich auf die an sich nicht sehr auffallende Er- 
scheinung, daß in verschiedenen Urkunden bei der Veräußerung größerer 
Komplexe einzelne Teile ausgenommen oder vorbehalten werden. Aber 
diese Wahrnehmungen haben für seine Ansicht keine selbständige Be- 
deutung. Der ganze Gedanke, daß ein für die Standeszugehörigkeit 
bedeutsames Stammgut existiert hat, und ebenso die Vorstellung von 
seiner Beschaffenheit beruhen auf dem Sachsenspiegel, und zwar auf 
der irrtümlichen Auslegung der Hauptstelle. Mit der Aufklärung dieses 
Irrtums löst sich der ganze Aufban. 

Die Behandlung des Hantgemalproblems durch Wrrricx ist als 
Stichprobe seiner Arbeitsmethode gewählt worden. Diese Probe 
zeigt zwei Eigentümlichkeiten: Mangel an Schärfe bei den eigenen 
Gedanken und Unterschätzung der Gedanken anderer. Bei etwas 
schärferem Denken hätte WITTICH von selbst die richtige Auslegung 
finden müssen. Er wäre aber auch olıne eigenen Scharfsinn zu diesem 
Ergebnis gelangt, wenn er sich die pflichtgemäße Mühe gegeben hätte, 
die Literatur zu studieren und die Ansichten anderer in ihrem Aufbau 
zu verstehen, bevor er über sie aburteilte. Die übrigen Teile der Ar- 
beit WITTicHs sind nun, soweit sie Neues bringen, ganz von der gleichen 
Qualität. Dies gilt ausnahmslos für die einzelnen Hilfshypothesen 
ebenso wie für die Endresultate, Die beiden Grundmängel kehren 
immer wieder. WITTICH hat überall anderen zu viel Menschlichkeiten 
zugetraut und sich selbst zu wenig. Auf derselben psychischen 
Disposition beruhen auch die sonstigen Urteile, die WITTICH in seiner 
Untersuchung und in der Vorrede zu der Buchausgabe tiber meine 
Arbeitsergebnisse gefällt hat. 

1) Vgl. Grundherrschaft S. 120*, Freibauern, Zschr. Sav.-G. 9.22 S. 299, 298. 
2) Sachsenspiegel S. 528—536. 

3) Ob Wirricx sich über den Stand der Schöffenbaren eine einheitliche 
Vorstellung gebildet hat, bleibt bei Vergleichung von S. 87 ff. und 8. 75 
zwelieibalt. 


La vie économique de Lyon sous Napoléon. 365: 


La vie économique de Lyon sous Napoléon. 
Par 
S. Charléty (Lyon). 


Lyon tint une grande place dans le souci qu’eut Napoléon de- 
rétablir en France la prospérité matérielle. Il y créa ou y reconstitua 
des institutions économiques propres à y favoriser le commerce et 
l'industrie ; il y soutint attentivement les efforts individuels ou collectifs 
par des faveurs spéciales; il s’employa même à chercher et rèussit 
parfois à trouver pour Lyon des compensations aux pertes causées par: 
le blocus continental. Mais sa politique générale contraria ses tenta- 
tives, en diminua la portée, en affaiblit les résultats. Au total, l’in- 
dustrie et le commerce lyonnais souffrirent plus de la conduite de 
Napoléon qu'ils ne bénéficièrent de ses soins. 


I. Les institutions nouvelles: Projets de réglementation du 
travail, chambre de commerce, conseil des prudhommes, livret 
d’acquit, tarif. 


La décadence des principales industries lyonnaises était, en l’an VIII, 
dûment constatée. Plus qu'aucune autre, la fabrique de soieries avait 
souffert de la Révolution et de la guerre. Depuis 1793 elle avait perdu. 
sa clientèle étrangère’). A l’intérieur, le changement des habitudes 
relatives au costume et à l’ameublement, la diminution du luxe, lui 
avaient porté un grave préjudice: les femmes ne portaient plus d’étoffes 
brochées, les hommes s’habillaient de drap: velours, satin, taffetas, 
rubans, passementeries, galons, broderies avaient disparu du costume. 
L'usage s'était de plus en plus répandu du papier peint et des ta- 
pisseries d'ameublement. Un grand nombre d'ouvriers en soie avaient 
quitté la ville, et on ne recrutait presque plus d’apprentis. Le nombre 
des métiers en activité avait baissé de moitié — La chapellerie la 
plus importante, après la soierie, des industries lyounaises, occupait 
à la fin du XVIII: siècle de nombreux ouvriers à Lyon, à Moruaut, à 
S' Andéol, à S' Symphorien sur Coise; le succès de la guerre d'Amérique 
lui avait ouvert aux Etats-Unis et aux Indes espagnols un important 
marché. Mais la guerre l’avait fermé l'Espagne, autre bon client, en 
avait profité pour établir à l'entrée des chapeaux de Lyon des droits 
presque prohibitifs: Lyon n’exportait plus de chapeaux. — Les tissages 
du Beaujolais souffraient de la hausse des cotons et de la ruine des 
indienneries de Tarare, qui, depuis la guerre n’imprimaient plus pour 
les colonies les étoffes beaujolaises. La mousseline de Tarare était 
éprouvée par le droit de 45 francs nu les cotons filés étrangers 





1) Un rapport de Roranp du 17 déc. 1792 pour le premier semestre 
de 1792 (Arch. nat., F'? 252) constate une considérable augmentation de lu 
vente des produits lyonnais à l’étranger jusqu’au mois de juillet. La déca- 
dence et le chômage commencèrent en août. 


366 S. Charléty: Miszelle. 


(anglais sourtout), ne trouvent pas assez bas prix dans lea files 
français les qualités fines qu’il lui fallait. — Les verreries de Lyon 
et de Givors végétaient péniblement. — Seuls les papiers peints de 
Lyon et S' Genis-Laval et le commerce de l’épicerie prospéraient : les 
premiers avaient bénéficié de la décadence des soieries chères, et le 
second grandissait au détriment de Marseille, parce que les impor- 
tateurs préféraient à la voie de mer pur sûre la route de terre, c'est 
à dire, celle de l'Italie et des Alpes qui aboutissait à Lyon. 

La décadence de l’activité lyonnaisse inquiéta le gouvernement. 
Sollicité d'indiquer des remèdes, le Bureau consultatif du commerce!) 
dressa le 27 pluviose au IX (16 février 1801) une liste de vœux 
C'étaient: le rétablissement des quatre paiements, la mise en activité 
de l'hôtel des monnaies, des règlements pour les manufactures, la 
création d’un musée d’art et d'industrie, d’une école de chimie, d'une 
école de commerce, et un code commercial. Les indications d'avenir 
8’y mêlaient, comme on voit, aux regrets d’un passé aboli. Le gouverne- 
ment donna aux Lyonnais quelques satisfactions immédiates. Si les 
„quatre paiements“?), antique mécanisme de banque, ne furent pas 

1) Créé en l’an V: composé de 12 négociants élus par leur collégues. 

2) L'usage était à Lyon et il subsister jusqu'à 1793 de ne créer d'effets 
qu'aux quatre échéances du 1‘ mars, le" juin, 1°” septembre, 1°" décembre; 
à ces dates, les négociants de Lyon, organisés en chambre de compensation, 
opéraient les paiements par virements de parties; le solde seul se réglait en 
numéraire. Ce mécanisine est bien exposé dans un mémoire rédigé en 1802 
par le conseil de commerce de Lyon: 

«Les quatire payements de cette place, appelés payements des Rois, des 
Pâques, d’Aofıt et des Saints, se trouvaient placés à égales distances dans 
chacune des quatre saisons de l’année. L’ouverture s’en faisait publiquement, 
dans la Loge des changes, le premier jour des mois de mars, juin, septembre 
et décembre, par le prévôt des marchands, assisté du greffier du tribunal de 
commerce qui en dressait procès verbal cn présence de quatre syndics du 
commerce et des négociants qui voulaient y assister. 

«Entre le 1°" et le 7 des mois ci-dessus cités, on présentait les lettres 
de change pour en exiger l'acceptation. En cas de refus, le porteur était en 
droit de faire faire, le 7, un protét à défaut d'acceptation et de le pourvoir 
en garantie contre le tireur et les endosseurs. 

«Le 16 et les jours suivants, jusqu’au 30 inclusivement, les négociants le 
rendaient avec leurs commis dans la Loge des changes, et Là, pendant deux 
heures, communiquant avec leurs créanciers et leurs débiteurs, ils proc&daient, 
tout à la fois, au payement et à la recette par forme de virements ou de 
compensation, et par un transport effectué de son débiteur à son créancier. 

«Le 30 du mois était un terme fatal pour le protét des lettres de change 
non acceptées, ou qui étaient survenues depuis le 7. 

«Les 3 premiers jours non fériés du mois suivant étaient consacrés à solder 
en espèces ce qui n’avait pu être payé en virement, et le dernier de ces trois 
jours on faisait protester les lettres de change acceptées qui n'avaient pas 
été paytes... 

«Un débiteur qui ne payait pas au terme fatal de ce troisième jour, était 
par le fait, réputé failli. Celui qui ne paraissait pas dans la Loge des 
changes dès les premiers jours consacrés aux virements, contractait une mau- 
vaise note, indice presque certain de l’état douteux de sa fortune et avant- 
coureur de sa déroute. À cette sévérité de principes se joignait l'obligation, 


La vie économique de Lyon sous Napoléon. 367 


rétablis, la Bourse du commerce fut crée et le nombre des agens de 
change fixé à 50. — L'hôtel des monnaies tout délabré qui servait 
d’entrepöt aux marchands de vin fut réparé, les machines et les fonderies 
rétablies sous la direction de Séguy (pluviôse an IX; fev. 1802). — 
Un entrepôt fut créé à Lyon (20 floréal an XIII; 10 mai 1805) pour 
les denrées coloniales ou étragères non prohibées, à l'exception des 
objets manufacturés: elles y entraient en franchise: le négociant 
importeur n’en payait les droits qu’en les enlevant de l’entrepöt. 

Mais la plus importante des nouvelles institutions fut la chambre 
de commerce. Un arrêté consulaire du 24 déc. 1802 la reconstitua; 
elle fut installée le 14 mars 18031). Formee de 15 membres élus 
par 50 ou 60 commerçants „des plus distingués“ choisis à l’origine par 
le préfet, puis se renouvelant eux-mêmes par tiers chaque année, elle 
avait pour fonction de „presenter des vues sur les moyens d’accroitre 
la prospérité du commerce, de faire connaître au gouvernement les 
causes qui en arrêtent les progrès, d'indiquer les ressources qu’on peut 
le procurer, de surveiller l’ex&cution des lois et arrêtés concernant la 
contrebande. „Le décret de constitution mettait les frais des chambres 
de commerce à la charge des municipalités; puis, celui du 23 sept. 1806 
leur constitua un budget pris sur les patentés des deux premières 
classes. Mais Lyon fut l’objet d’une exception: on n’y appliqua pas 
le décret de 1806, et la chambre de commerce fut pourvue des ressources- 
fournies par le monopole du conditionnement des soies; le droit à 
percevoir fut fixé (17 avril 1806) à huit centimes par kilogramm. — 
La chambre de commerce devint l'organe officiel du haut commerce 
Iyonnais; elle transmit ses réclamations et formula ses doctrines. 

On eut vite la mesure de son goût pour les nouveautés: les mesures 
décimales, les billets de la Banque de France, l'acceptation des lettres 
de change, tout ce qui changeait s’anciennes habitudes, fut de sa part 
l’objet d’une vive opposition. Elle se distingua surtout par l’acharne- 
ment quelle mit à combattre le régime de liberté du travail déjà 
dénoncé en l’an IX par le Bureau consultatif. Reprenant à son compte 
le vœu relatif au rétablissement de l’ancien Règlement de la „Grande 
Fabrique“ — on désignait ainsi l’industrie de la soierie — sans aucun 
souci de la néfaste expérience qu’en avait fait le XVIII siècle, de sa 
condamnation dans l'opinion générale, de son abolition solennelle enfin, 
la chambre de commerce affirma la nécessité de revenir à un régime 
auquel à son avis, la Fabrique devait sa prospérité passée. Encore si 
sa prétention eût été passagère; en un temps, où se manifestait un 


salutaire pour chaque négociant, de se rendre compte lui-même, quatre fois 
au moins par an, de ses entreprises et de ces moyens, de son actif et de son 
passif. La Loge des changes était en quelque sorte un théâtre public sur 
lequel chaque négociant venait librement et de son plein gré, se faire juger 
par ses pairs et mériter, riche ou non, leur confiance et leur estime par la 
manière avec laquelle il satisfaisait à ses engagements.» (Mémoire du conseil 
de commerce, du 24 ventôse an X, 15 mars 1802 cité par COURTOIS, Histoire 
des Banques en France, p. 334). 

1) Elle remplaca le conseil de commerce créé le 1° fév. 1802 et réuni 
pour la dernière fois le 28 fev. 1803. 


368 S. Charléty : Miszelle. 


retour offensif des habitudes autoritaires, une tentative de la bourgeoisie 
fabricante pour reconquérir des privilèges abolis, eüt paru à coup sûr 
audacieuse, mais point étonnante. Mais le persévérant entötement qu'elle 
mit pendant toute la durée de l’empire à soutenir ses vues, indiqua 
un goût manifestement profond pour une réaction oppressive et 
rétrograde. 

Le premier projet de règlement émanait d'une commission de 
fabricants réunir en l’an IX, présidée par Terret. Il rééditait La plu- 
part des prescriptions anciennes : l’obligation de déclarer ,, l’état positif 
qu’on désirait embrasser dans les travaux de la Fabrique, celui de 
manufacturier-marchand, de commis, d’apprenti d’ouvrier, de chef d’atelier. 
C'était la hiérarchie reconstituée, le classement obligatoire, l'interdiction 
à une catégorie inférieure d’empieter sur la supérieure. On n’osait pas 
formellement rétublir les prescriptions qui d&fendaient aux chefs d’atelier 
de vendre à d’autres qu'aux marchands, mais de précautions étaient 
prises pour conserver à ceux-ci le monopole de la vente; de sorte que 
tout le reste de la corporation leur demeurait subordonné: „Nul chef 
d'atelier ne pourra travailler pour son compte qu'il n'ait préalablement 
acquitté tout ce qu'il pourrait devoir aux manufacturiers-marchands 
pour le compte desquels il aurait travaillé, tout de compte d'argent 
qu'en compte de matières“. Encore le président de la commission 
déclarait-il dans son discours de clôture que c'était une „innovation 
dangereuse“ que d’avoir supprimé l’infranchissable barrière qui réparait 
le chef d'atelier de marchand: „Elle était une source de prospérité 
même pour les chefs d'atelier; elle assurait la bonne fabrication dans 
les mains de négociants instruits qui étaient en état, par leur crédit, 
leur expérience et leurs avances, d'empêcher la vente à vil prix de 
marchandises que l’homme peu aise est souvent obligé de sacrifier pour 
subvenir à ses besoins“. Le règlement prévoyait enfin un âge (14 ans) 
et des délais fixes pour la durée de l'apprentissage, du compagnonnage, 
et des taxes à payer pour passer d’une condition à l’autre .. .!). 

Le projet des manufacturiers-marchands n’eut pas de succès. L’ex- 
intendant du commerce, Tolozan, consulté par le préfet, n’osa pas y 
adhérer sans faire des réserves significatives : l'apprentissage commençait 
trop tôt; des enfants de 14 ans n'étaient pas encore propres au travail 
très dur de la Fabrique: le minimum de 16 ans était nécessaire: „La 
virilité commence alors; il est certain qu'elle est plus tardive dans 
cette ville qu’à la campagne, parce que beaucoup des pères et de mères 
sont attaqués de la maladie scrofuleuse, et qu’en général, le sang qui 
coule dans leur veines est toujours rachitique.“ L'apprentissage devait 
finir le jour où l'apprenti serait capable de faire le chef d'œuvre et de 
payer la taxe; le prolonger au delà c'était ne connaître que l'intérêt 
du manufacturier à qui l'apprenti rendait à la longue les mêmes 
services que l’ouvrier, et à moins de frais. Tolozan n’osait pas attaquer 
ouvertement la hiérarchie; du moins il y voulait une place pour de 
pauvres filles, les tireuses de cordes, condamnées à subir sans espoir 


1) Ce projet signé Terret, président, Micol et Menu, secrétaires, a été 
imprimé, Lyon, an IX. in-8°. 


La vie économique de Lyon sous Napoléon. 369 


toutes les tortures de la misère et de la déchéance physique: „ce 
triste métier exige la plus grande attention pour ne pas se tromper 
sur une multitude de cordes à tirer successivement afin que l’ouvrier 
passe sa navette avec l'exactitude nécessaire pour former le dessin. 
La position dans laquelle la tireuse est obligée de se tenir debout 
toute la journée, souvent très avant dans la nuit sans autre point 
d'appui que celui de ses jambes qui sont fixes et comme clouées dans 
le même espace de terrain devient à la longue si pénible que bientôt 
ses jambes sont exposées à voir des varices se former dans leurs 
différentes parties; les infirmités augmentent et l’obligent de renoncer 
à un genre d'occupation de laquelle elle n’a retiré d'autre avantage 
que celui de retourner dans le lien de la naissance aussi pauvre que 
lorsqu'elle en est sortie, mais avec tous les lignes avant-coureurs 
de la caducité.“ La misère de leur condition pouvait du moins être 
atténuée par l'espoir d’en sortir; Tolozan demandait qu’au bout de 5 ans 
elles fussent admises dans la classe des apprentis, et que la 6° année 
elles fussent gratuitement inscrits parmi les chefs d'atelier. Nouveauté 
hardie, car „les anciens règlements ne permettaient qu'aux filles de 
maîtres-marchands de s'asseoir sur la banquette des métiers“ 1)! 

La liberté de travail, dont personne à Lyon ne paraissait se soucier, 
fut fort à propos défendue par le gouvernement. Il resta sourd aux 
revendications des négociants lyonnais. La chambre de commerce qui 
les reprit à son compte ne le trouve pas mieux disposé. Son ardeur 
fut pourtant tenace à les soutenir. Dans de copieux mémoires adressés 
au ministre de l’intérieur Chaptal, son porte-parole, le fabricant Déglise 
disait, infatigable, la soierie perdue si la vente de l’étoffe était permise 
aux ouvriers. A l'entendre, ils volaient la matière première à eux 
confiée par le fabricant, et pouvaient ainsi vendre à bas prix, „faire 
tomber les produits au dessous du cours“. (C'était l'argument favori 
du haut commerce contre la , liberté illimitée“. Si, depuis la Révolution, 
on voyait ce scandale, des chefs d’atelier sans avances et sans crédit 
se faire marchands, c'est qu'ils vivaient de „rapines et de vols; le 
besoin fait enfanter le crime“. Comme la soierie, la chapellerie était 
victime du mème mal: „n’est-il pas de notoriété publique que la liberté 
illimitée du commerce a fait élever plus de 80 petites manufactures 
qui, pour mieux les désigner, seraient plutôt 80 repaires de recélage ?“ 
Ces petits chapeliers qui vendaient avec une réduction de 15 à 20 %u 
ne subsistaient évidemment que par le vol. Merveilleux argument qui 
expliquait tout, mais qui mettait surtout en relief la colère de l’aristo- 
cratie marchande dépossédée du monopole que lui avaient conféré les 
anciens réglements. Elle ne voulait pas voir que la brusque émanci- 
pation du travail avait permis — en un temps où la forme de la 
production n’exigeait pas encore un outillage coûteux — à de simples 
chefs d’atelier jusque là réduits à la condition de salariés de travailler 
pour leur compte et de se faire vendeurs. Elle ne se consolait pas 
que la „liberte illimitée“ ait réduit ses bénéfices, et le passé de la 


1) Lettre au préfet, du II floréal an IX (1° mai 1801). Bibl. de Lyon» 
F" coste, ms, 1009, 


370 S. Charlöty: Miszelle. 


manufacture si troublé, si agité de révoltes et de miseres, lui appa- 
raissait idyllique. Déglise rappelait avec émotion „ces temps heureux 
où chacun se tenait dans les bornes de son état et à son genre 
d'industrie; l'artisan n'aurait pas quitté son atelier ni le laboureur sa 
charme pour entreprendre au hasard un commerce. La confiance était 
établie sur la bonne foi et les relations commerciales étaient fondées 
sur l’honneur et la probité ...“ Depuis la liberté illimitée, il n'était 
question que de protöts, de poursuites et de banqueroutes; les ouvriers, 
groupés dans les associations secrètes du compagnonnage tenaient 
maîtres et entrepreneurs dans un ,état de dépendance“. Habitudes et 
sectes à détruire! Déglise proposait la création d’un bureau d’ins- 
eription et de placement surveillé par la chambre de commerce. Tout 
ouvrier ou ouvrière serait tenu de s’y faire inscrire; nul ne pourrait 
employer un ouvrier qui ne fut porteur d’un bulletin de ce bureau; 
et le bulletin ne serait délivré que sur présentation d’un livret d’acquit 
constatent que l’ouvrier s'était acquitté de toutes ses obligations vis 
à vis du précédent patron !). 

Le gouvernement ne s’émut pas; en 1810, la chambre de commerce 
lui présentait encore un projet de règlement qui était presque copié 
sur celui de 1744! Il le repoussa. La „liberte illimitée“ triomphait 
Toutefois, prenant en considération la complexité des rapports qui 
unissent les deux parties contractantes et associées dans la fabrique 
de soieries, le marchand-fabricant qui fournit la matière première et le 
chef d'atelier qui travaille sur son métier, il prit des mesures destinées 
à cessurer entre elles la loyauté des relations. La loi du 22 germinal 
au XI fut (12 avril 1803), complétée et précisée par l'arrêté consulaire 
du 19 primaire au XII (11 déc. 1803) et par la loi du 6 mars 1806: 
la fraude et la mauvaise foi étaient prévenues par l'obligation d’une 
comptabilité précise et publique qui liait les deux parties. Les chefs 
d'atelier furent soumis à l'obligation du livret d’acquit; chaque métier 
en comporte deux dont l’un est déposé chez le fabricant qui le fait 
travailler; les livrets portent l'indication du compte en argent et en 
matières afférent à chaque métier. Quand le chef d'atelier cesse de 
travailler pour le fabricant, il doit solder son compte, où s’il lui reste 
une dette, la faire constater, de manière que le nouvel employeur en 
prenne la responsabilité vis à vis de l’ancien. Il est interdit à un 
fabricant d'engager un chef d'atelier sans livret. 

L'application de cette loi fut confiée A une juridiction spéciale en 
qui revivait l'attribution de l’ancien consulat lyonnais relative à ls 
police des arts et métiers. Elle fut accordée aux négociants de Lyon 
par Napoléon lors de son passage en 1805; la loi du 18 mars 1806 
institua le Conseil des prudhommes „pour terminer par voie de cond- 
liation les petits différends?) qui s'élèvent journellement soit entre les 
fabricants et les ouvriers, soit entre les chefs d’atelier et les compag- 


1) Les manuscrits de Déglise sont aux Archives municipales de Lyon. 

2) Il juge, en dernier ressort jusqu’à 60 frs., au dessus avec appel au 
tribunal de commerce, les différends professionnels; et il juge, comme arbitre, 
dans les litiges relatifs aux marques de fabrique. 


La vie économique de Lyon sous Napoléon. 371 


nons ou apprentis“. La prépondérance patronale y fut toutefois mar- 
quée par l'avantage du nombre (5 marchands-fabricants contre 4 chefs 
d'atelier) donné aux marchands dans le conseil des prudhommes. 
L'institution rendit d’ailleurs des services !); d’abord purement lyonnaise 
et réservée à la manufacture de soierie, elle fut peu à peu imitée dans 
d’autres villes et par d'autres industries. A Lyon la bonneterie, la 
passementerie, la chapellerie furent autorisées en 1808 4 s’y faire 
représenter, et le nombre des prudhommes fut porté de 9 à 15. 

Il ne resta donc de toute la campagne menée par les fabricants 
pour un retour à l’ancien régime que deux institutions nouvelles, le 
livret d’acquit et le conseil des prudhommes. Elles ne touchaient pas 
à la liberté du travail ?). 

Tout en souhaitant l’&troite subordination de l’ouvrier au fabricant, 
la chambre de commerce se préoccupe d'attirer à Lyon et d’y retenir 
par des faveurs une nombreuse population ouvrière nécessaire à la 
“ prospérité de la Fabrique. Car son recrutement devient difficile; les 
apprentis sont rares; il y a, parmi les ouvriers, beaucoup de vieillards 
usés. La main d'œuvre sera plus chère si elle plus rare. De là des 
demandes qui étonneraient, en d’autres temps, d'un adversaire aussi 
malveillant pour les ouvriers. La chambre de commerce voudrait que 
les tisseurs fussent exempts de la conscription pendant quinze ans; 
qu'on diminuit les taxes sur le pain et sur la viande qui font la vie 
chère, l'impôt des portes et fenêtres si dur aux ateliers qui ont besoin 
de lumière. Enfin, après tant de manifestations hostiles, elle va jusqu'à 
prendre à son compte une des plus anciennes revendications du prolé- 
tariat lyonnais, un tarif fixe du prix des façons. Et le plus fongueux 
défenseur de l’ancien régime, Déglise déclare sur le ton d’une généreuse 
indignation: „Il est impossible aux ouvriers de Lyon de réclamer moins 
que ce qui est nécessaire à la vie, et on leur refüse ce qu’on accorde 
aux animaux ... N'a-t-il pas toujours été question de punir les ouvriers 
de toutes classes lorsqu'ils ont demandé de vivre en travaillant? ... 
Sans un minimum, ou tarif révisé d'année en année, le sort de nos 
chefs d'atelier et ouvriers sera toujours exposé au caprice et à la 





1) On peut juger de son activité d’après les chiffres suivants donnés par 
le Journal de Lyon du 28 janvier 1812: en 1807, 407 conciliations; en 1808, 
852: en 1809, 825: en 1810, 1218: en 1811, 1041. Un conseil fut créé à 
Tarare en 1810; un autre à Amplepuis en 1811. L'institution fut radi- 
calement changée en 1848. 

2) La seule profession réglementée à Lyon fut celle des boulangers. Il 
fallait, d’après la loi du 6 nov. 1813, pour l'exercer, une permission du maire 
accordée: 1° Sous condition de verser à titre de garantie, dans le dépôt de 
la ville, 45 sacs de farine (de 125 kil. chaque) pour les boulangers de 
1°" classe, 30 pour ceux de 2°, 20 pour ceux de 3°; 

2° de garder dans son magasin un approvisionnement de 50, 80 ou 20 
sacs suivant la classe. 

Les 24 boulangers les plus anciens nomment un syndic et des adjoints 
qui règlent le nombre de fournées aux quel est astreint chaque boulanger. 

Obligation est faite aux boulangers de peser le pain; 

Obligation de prévenir le main six mois d'avance quand on veut quitter 
la profession; le main libère au bout des six mois la réserve et la garantie. 

Vierteljabrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 95 


372 S. Charléty: Miszelle. 


cupidité des hommes qui ne connaissent d’autre interöt que leur insa- 
tiable prétention de vivre au milieu des calamités publiques ... II 
faut des lois, dit-on, pour donner du pain à celui qui travaille 18 heures 
dans la journée. Oui, certainement, il en faut; car, sans loi et sans 
arrêté du gouvernement, il sera condamné à mourir de faim en 
travaillant !).“ 

La cause que défendait Déglise ne demandait pas qu'il s’échaufñfit 
à ce point. Le tarif annuel débatter entre fabricants et chefs d’atelier 
n'était pas une nouveauté bien hardie. L'ancien consulat avait fixé 
un tarif en 1779 sous la pression impérieuse des ouvriers menaçants. 
La défaite des Grévistes de 1786 avait permis de l’abolir, mais en 17%, 
on l’avait rétabli: celui de 1793, sans valeur pratique à cause des 
troubles, du siège et de la terreur qui suivit, était tombé en désuétude. 
Depuis ce temps, le prix des façons était retombé au cours de 1779. 
D'ailleurs, le tarif n’avait rien de dangereux pour les fabricants. 
Quand on tomba d'accord pour le rétablir, sa rédaction en fut confiée 
au conseil des prudhommes et à la chambre de commerce. Sans nul 
doute, les fabricants y purent imposer leur manière de voir. Ce fut, 
pour parler comme la chambre de commerce, „une loi de famille, un 
frein moral qui retient par la puissance de l’opinion ceux qui seraient 
tentés de spéculer sun la détresse de l’ouvrier; d'autre part, une règle 
pour les prudhommes appelés à se prononcer sur les contestations qui 
peuvent s'élever entre le maître et l’ouvrier pour le prix des fagons?)“. 
Les ouvriers ne pouvaient se soustraire aux volontés patronales puisque 
la seule arme effica ce contre elles, la cessation collective du travail 
leur était interdite. On refit donc des tarifs. Le premier parut le 
28 fev. 18075); il ne concernait que les étoffes unies; ce n’est que 
le 18 juin 1811 qu'un autre tarif donna le prix des étoffes façonnéex. 

Au total, le gouvernement de Napoléon résista efficacement aux 
tendances autoritaires et reactionnaires des fabricants de Lyon; il ne 
se prêta pas à un recul de la législation. Les mesures de réglemen- 
tation auxquelles il adhéra donnaient sans doute un rôle prépondérant 
aux fabricants dans les conflits possibles entre le capital et le travail. 
mais ne leur conféraient pas le pouvoir oppressif qu'ils réclamaient. 
Bien plus, il y avait en elles des éléments de progrès. Remanié- 
plus tard, en 18484), dans un sens égalitaire, l'institution des prud- 
hommes s’est facilement adaptée aux besoins et aux aspirations démo- 
cratiques ; le livret d’acquit de la Fabrique lyonnaise a été jugé assez 
utile pour être excepté de l'abolition des livrets d'ouvriers prononcée 
par la loi du 18 juillet 1890: patrons et ouvriers ont un intérêt égal 
à la loyauté des transactions; seule l'habitude du tarif se perdit sous 
la Restauration: c’est le refus qu'une partie des patrons opposa à 


1) Observations sur un yrojet relatif aux manufactures, adressés ü 
Chaptal, par DEGLISE, Lyon, an X, in-8°. 

2) Deliberation de la chambre de commerce, 9 juill. 1812, citer par 
PARISET, Histoire de la chambre de commerce, II, p. 89. 

3) Bulletin de Lyon, 11 mars 1807. 

4) Les dispositions rétrogrades de la loi de 1853 qui avaient annulé la 
réforme de 1848, ont été À leur tour abolir par la loi du 2 février 1880. 


La vie économique de Lyon sous Napoléon. 373 


son rétablissement qui provoqua la première grande insurrection so- 
ciale du XIX‘ siècle, celle des tisseurs lyonnais de 1831. 


IT. Grandeur et décadence du commerce lyonnais de 1800 à 1814. 
Lyon et le Blocus continental. 


La Fabrique lyonnaise n'eut pas de meilleur client que Napoléon. 
La vie de cour fut pour elle une source importante de bénéfices. 
L'emploi obligatoire du velours dans les costumes officiels fut considéré 
par les Lyonnais comme une marque spéciale de la faveur du gou- 
vernement; ils en remercièrent Chaptai et Talleyrand par l'envoi 
d’habits brodés!). C'était le retour à un luxe depuis longtemps 
aboli: le prix d’un habit très riche variait de 1800 à 2600 frs., d’un 
manteau de cour, de 2400 à 8000 frs. Les étoffes de Lyon meublirent 
les palais imperiaux?). Napoléon faisait les commandes, surveillait 
les fournitures en client minutieux; il s'étonne (2 sept. 1807) que 
„!a tenture verte avec les bordures roses tissues en or, qui a été 
placée dans son cabinet à S' Cloud, il n’y a pas beaucoup plus d’un 
an, soit déjà passée“). Et sur son ordre, le grand-juge fait une 
enquête, poursuit le mauvais teinturier#). Mais sa sollicitude pour 
Lyon persiste: en 1810, les députés du commerce de Lyon lui deman- 
dent de nouveaux encouragements: il n’oppose pas la moindre difti- 
culté: que les députés fussent connaître à combien doivent s'élever 
les commandes; qu'ils s'entendent avec Daru. Il ajoute même que 
le gouvernement est disposé à se faire le courtier de la Fabrique; il 
achètera des étoffes qu'il revendra lui-même à l’étranger. Le règlement 
qui impose aux courtisans de porter des étoffes de Lyon sera étendu 
aux cours du gouverneur de Turin, de la grande-duchesse de Toscane, 
dn vice-roi d'Italie, du roi de Naples). 

Napoléon protège les inventeurs. Lassalle®), dessinateur et meca- 
nicien, vend ses procédés à la ville de Lyon pour 1500 frs. de rente 
viagere'). C'est sur l’ordre de Napoléon que la ville acquiert les 
machines de Jacquard moyennant une pension viagère de 3000 frs. 
réversible par moitié sur la tête de sa femmef). Jacquard sera en 


1) Voir les lettres de remerciments du 80 ventôse et du 28 germinal 
an X (Arch. mon. T°). 

2) En l'an XD et en l'an XIII, les commandes faites pour S' Cloud, 
Fontainebleau et les Tuileries s'élèvent en velour, brocard et damas à 
712708 frs. Voir le détail dans le compte signé LEFUEL, ms. 1010 du fonds 
Coste de la Bibl. de Lyon. 

2 Note au ministre de l’intérieur (Correspondance de Napoléon, t. XVI, p. 5). 

4) Ibid., p. 431; 23 mars 1808. 

5) Note sur le mémoire des députés de Lyon, 19 déc. 1810 (Corr. Nap. 
XXI, 326). 

6) Voir sur Lassalle (1723-—1804) une notice dans le Bulletin de Lyon, 
16 ventôse XII. 

7) Délibération municipale du 16 fructidor an XI, approuvée par décret 
du 8 brumaire an XII. 

8) Délibération du 9 ventôse an XIII approuvée par décret daté de Berlin 
le 27 oct. 1806. Voir Zulletin de Lyon, 3 déc. 1806. 


374 S. Charlöty: Miszelle. : 


outre logé et nourri gratuitement à l’hospice de l’Antiquaille „comme 
directeur des ateliers formés dans cet hospice“, et il s'engage à faire 
bénéficier Lyon de ses inventions ultérieures. 

Napoléon est soucieux de la prospérité de Lyon; il est satisfait 
quand il la croit retablie'). Les crises de la Fabrique l’inquiètent: 
il y cherche des remèdes. 

Dans les premières années du Consulat, les statistiques signalent 
un progrès. La population travailleuse de la Fabrique atteint en l’an X 
le chiffre de 1789 (28246 personnes); le nombre des métiers occupés 
augmente sensiblement (8500 en l'an IX; 9490 en l’an X). Pourtant 
la Fabrique est loin d'utiliser toutes les matières premières qui sont à 
sa portée; elle ne consomme que des soies françaises *). Elle ne met 
pas, en œuvre la riche production du Piémont récemment annexé. Ce 
qui lui manque, c’est la clientèle extérieure. Même malaise, même 
insuffisance dans la chapellerie, la draperie, les cotonnades de la 
région de Tarare. Aussi les réclamations, les plaintes aboutissent toutes 
à la même formule: il faut augmenter l'exportation. 

Le moyen le meilleur, le plus sûr, c’est la paix. C’est anssi celui 
dont l’espoir toujours prochain échappe toujours. Le traité d'Amiens 
cause une grande joie. Même après la déception de la rupture, on ne 
peut croire pourtant à la guerre continuelle. Chaque victoire est un 
présage de paix. En 1806, les manufacturiers et commerçants de Lyon 
demandent „une paix générale et maritime“ qui permettra „l’exports- 
tion libre et dans tous les pays ..., et la facilité d’en retirer en 
échange et sans aucune rétribution soit les denrées coloniales, soit les 
matières premières qui doivent servir à alimenter chapellerie, draperie, 
cotonnerie“%). La paix, c’est la révision des traités de commerce, 
c'est la certitude pour la France victorieuse d’obtenir des concessions. 
Espoir qui rend la guerre tolérable. Mais jusqu'ici, conquêtes et 
victoires françaises n’ont profité qu'aux voisins, aux vaincus. 

Voici l'Italie, le plus proche voisin de Lyon, le pays dont l'Em- 
percur est roi; elle est plus fermée que du temps où Joseph IX était 
maître de la Lombardie. Le traité de commerce jadis signé avec 
la République cisalpine, est resté lettre morte depuis le 2 messidor 
an VII (20 juin 1799); Marengo a liberé l'Italie des Autrichiens, mais 
aussi du tarif qui les liait aux Français: tandis que leurs marchandises 
ont des faveurs à leur entrée en France, les nôtres sont grevées davan- 
tage. Qu'on ait au moins „quelques égards aux produits des manu- 
factures françaises“! 

Le gouvernement s'’émeut. Un délégué, Isnard, est chargé 
d'étudier en Italie la concurrence faite aux Lyonnais. Quand il passe 
à Lyon, les négociants lui répètent leurs griefs, l’hostilité des pouvoirs 
publics italiens, l'impossibilité de trouver „A Milan aucune autorité, 


1) Lettres à Murat, 13 avril 1805, à Cambacérès, 24 avril 1805 (Corr. 
Nap. X, 316, 342). 

2) Mémoire de DÉGLISE, 27 brumaire an XI. 

3) Mémoire adressé au préfet relativement aux moyens d'augmenter 
dans l'étranger la consommation des produits des fabriques, 80 avril 1906 
(Arch. nat. F1? 620), 


La vie économique de Lyon sous Napoléon. 375 


aucun représentant français qui puisse appuyer leurs réclamations 
auprès du gouvernement italien ...; dans un pays dont S. M. ’Em- 
pereur et Roi est souverain et qui est gouverné en son nom, les négo- 
ciants français ... manquent des moyens de protection auxquels ils 
ont recours avec succès dans les pays étrangers“!). En Italie. Isnard 
observe que les dol&ances lyonnaises, exagérées sans doute comme il 
est naturel, sont cependant fondées. L’exportation de chapellerie qui 
vallait un million est tombée à 100 000 frs. depuis que la douane ita- 
lienne perçoit 18 frs. par douzaine de chapeaux, soit 23°/o du prix de 
fabrique. La soierie forme encore , l’objet le plus riche et le plus 
considérable de nos exportations dans le royaume d'Italie“; Lyon n’y 
a aucune concurrence étrangère à craindre „et la fabrique locale n’ar- 
rivera jamais à égaler des produits“; mais cette fabrique a la soie à 
bon marché, copie les dessins lyonnais, et sa douane grève de 25°/o 
les étoffes Iyonnaises qui supportent déjà 4°/o de frais de transport. 

La chambre de commerce se félicita de la mission de Isuard, en 
somme favorable à ses vues; mais il fallut batailler longtemps encore 
pour atteindre le résultat désiré, l’abaissement des tarifs. Avec une 
persévérance tenace et toute lyonnaise, elle accumula les doléances et 
les chiffres: Côme et Milan ont chacune 2000 & 2500 métiers qui 
alimentent l'Allemagne et la Russie par les foires de Francfort et de 
Leipsic: Mantoue, Crémone, Vigevauo, Novare, Modène, Bologne, Fer- 
rare, Cesene, Rimini, Brescia, Bergame ont des filatures prospères; 
quelques unes fabriquent l’étoffe (mouchoirs de Novare, rubans de 
Reggio, gazes de Bologne); Venise fait le velours, le ruban, le galon; 
Padoue copie les façonnés de Lyon. On dit et redit sans cesse qu'il 
est pénible de penser que les manufactures de Lyon „bien loin de 
retirer le moindre avantage des changements qu'ont produit nos 
victoires en Italie“, en ont souffert. Dans l'Italie mieux gouvernée 
qu’autrefois, l’industrie grandit, à l’abri de tarifs de guerre*)... 

Les Lyonnais finirent par gagner leur procès. Le 20 juin 1808, 
un traité négocié par Cretet et Marescalchi réduisit de moitié les 
droits d’entrée des marchandises françaises en Italie et des marchan- 
dises italiennes en France. 

Le désir de conquérir les marchés de l'Europe centrale était 
d'autant plus vif chez les Lyonnais que les marchés d'outre-mer leur 


1) Isnard au ministre de l’intericur, 28 oct. 1806 (Arch. nat. F'? 535). 
2) Voici l’état comparatif dressé pour quelques articles par le mémoire 
de la chambre de commerce (Arch. nat. F1* 534). 


Tarif actuel Tarif de 1787 
gazes de soie . . . 9 fr. la livre 8 1. 12 sols 
étoffes en dorure . 12 , , , 4 , 10 „ 
bas de soie . . . 6, » » 3» 6 „ 
rubans . . . . . 6, nn 3 » 6 » 
galons or et argent 6 „ ,  », 4 , 10 „ 
chapeaux de laine . 24 „ ,, douzaine 7„ 4 


Un mémoire de 1810 du Bureau consultatif des manufactures (Arch. 
nat. F!? 620) évalue la valeur d’une livre d’étoffes. de soie fabriquées à 70 frs. ; 
et au même prix une livre de rubans. 


376 S. Charléty: Miszelle. 


furent interdits; la rupture avec l'Angleterre les avais compromis; le 
Blocus continental les ferma. „Le Blocus ruinera beaucoup de villes 
de commerce, Lyon, Amsterdam“, écrivait Napoléon le 15 déc. 1806!). 
En effet, la crise qu'il causa à Lyon fut d'abord très dure et générale. 
En réparant l'Angleterre du continent, Napoléon, disait la chambre de 
commerce, avait ,brisé la chaîne qui unit toutes les nations commer- 
cantes“. C'était sur Londres que la plupart des clients étrangers 
assisnaient les remboursements par lesquels ils payaient les producteurs 
francais; c’6taient les anglais qui transportaient ou qui permettaient 
aux neutres d'apporter leurs marchandises aux ports d'Anvers, Nantes, 
Bordeaux, Marseille, Livourne. Le Américains y envoyaient les cotons 
dont s’alimentaient les tissages de Tarare et du Beaujolais, les denrées 
coloniales, les drogues de teinture utiles aux fabriques: ils char- 
geaient en retour des vins, des eaux-de-vie, des objets manufacturés. 
Déjà les soieries de Lyon, comme les dentelles de Caen, les batistes 
de Valenciennes, la quincaillerie de Paris trouvaient acheteurs aux Etats- 
Unis. Les exportations des soieries de Lyon en Amérique, qui valaient 
en 1787 272500 frs. montaient en 1806 à 986378 frs. pour la bonne- 
terie de soie, à 69797 pour les dentelles, à 4567653 pour l’étoffe, à 
121278 pour la passementerie et 1015090 pour les rubans, soit en 
tout à 7389370 frs.?). Le Blocus anéantit ce trafic naissant et pros- 
père. Il fallait donc que le Blocus fournit lui-même un remède aux 
maux qu'il causait, ouvrit aux produits français l'Europe cetltrale 
fermée comme la France aux produits d'outre-mer. 

Les Lyonnais n'étaient certes pas des inconnus sur le continent: 
L'Allemagne et la Russie avaient été leurs bonnes clientes. Mais, 
depuis 1805, les Allemands n'achetaient plus rien; si les Russes, 
malgré la prohibition des tissus façonnés qui remontait à 1793, ache- 
taient encore en contrebande pour 25 millions par an, la guerre de 
Pologne menagait de rniner ce trafic: ,, Neuf courriers de Russie sont 
en arrière à cette heure, écrivait la chambre de commerce à Napoléon 
le 11 déc. 1806; nous ne recevons ne remises ne commissions. Cepen- 
dant notre place a des engagements majeurs qu'elle ne peut remplir 
qu'avec le retour de ses avances, et l’ouvrier à qui le travail de 
chaque jour apporte la subsistance du lendemain n’a plus d’autre 
perspective qu’une affreuse misère. „Les Russes payaient par traites 
sur Hambourg; mais les communications de Hambourg étaient inter- 
ceptées avec la Russie comme avec Lyon“. Ainsi les traites que nos 
négociants avaient faites sur Hambourg depuis trois mois pour compte 
russe sont à échéance et ne sont pas payées, parce que les fonds qui 
doivent y faire face ne sont pas arrivés de Russie. DéjA cinq maisons 
de Hambourg ont suspendu leurs paiements“. Le remède c'était done, 
encore et toujours, la paix bienfaisante si avidement réclamée: „La 
France ne peut suffire aux efforts absorbants qu’exige un état de 
zuerre prolongé sans mesure; la tension extrême qui résulte de ces 
efforts fatigue et énerve tout les ressorts de la société.“ 


1) Lettre à Louis (Lettres inédites de Nap., publiées par Lacestre, I, 89) 
2) Relevé du commerce avec les Etats-Unis (Arch. nat. F'? 564), 


La vie économique de Lyon sous Napoléon. 377 


La paix se fit attendre; l'hiver de 1806— 1807 fut terrible aux 
ouvriers de Lyon. Le traité de Tilsit procura enfin le résultat désiré. 
Lyon prend alors sa revanche des mauvaises années; le blocus lui 
apporte les compensations escomptées; la ville deveint le grand marché 
des soies. Tous les droits sur les soies d'Italie venant à Lyon sont 
supprimés tandis qu’elles sont grevées de 30 sous si elles sortent par 
la frontière autrichienne. Si, de Lyon, ces soies gagnent le Rhin pour 
alimenter les fabriques allemandes, elles ne payent que 20 sous à la 
sortie de France; en sorte que, le détour des soies italiennes par Lyon 
ne coûtant que 3 sous, il y a 7 sous de benefice pour les sujets du 
prince Eugène à les envoyer à Lyon, même si elles sont destinées à 
la consommation allemande !). 

Le Blocus a une autre conséquence, inattendue. 11 fait de Lyon 
un important marché du coton et des denrées coloniales. Le coton 
du Levant y arrive par la Méditerranée, à un prix énorme, il est vrai, 
à cause du droit de 50 frs. par quintal porté en 1810 à 400 frs.?); 
mais la soierie profite.de la hausse du coton. Et malgré le prix, la 
prohibition des produits anglais permet de vivre à la petite industrie 
cotonnière du Beaujolais, d’Amplepuis, de Thizy, de Chauffailles, de 
Tarare, de Charlieu, de Neuville. La filature locale ne pent, il est 
vrai, fournir au tissage les fils fins (du n° 60 au n° 300), mais la 
contrebande y supplie dans une large mesure. 

La statistique de la Fabrique de soieries accuse un progrès rapide. 
De 10960 en 1807, le nombre des métiers passe à 11357 en 1809. à 
13000 en 1810. Lyon vend les deux tiers de ses étoffes, gants et 
bas de soie, .aux foires de Leipsic, d’où elles le répandent en Alle- 
magne et en Russie. Il lui arrive de ne pas suffire aux commandes. 
Napoléon s'étonne, en 1810, que „les demandes d'étoffes de soie de 
la manufacture de Lyon qui avaient été faites à la foire de Leipsic 
n'aient pas été remplies en très grande partie“°). On fabrique autant 
qu'on peut, et plus qu’on ne peut, au risque de compromettre la répu- 
tation de la Fabrique. Il en sort, à en croire la chambre de com- 
merce, „des étoffes abjectes que les fabriques de Suisse, de Prusse et 
d'Italie ne voudraient pas avoir faites“4). 

Prospérité brillante, mais factice, qu’un incident, subitement, détruit. 
En scpt. 1810, la baisse du change en Russie, le relèvement des droits 
de douane en Allemagne, un ralentissement dans la consommation 
parisienne arrêtent 3000 métiers. En janvier 1811, la crise est 
plus aiguë, 14000 ouvriers tombent à la charge de l'assistance pu- 
blique5). On députe à Paris. Mais que faire? „On peut convenir, 
répond l'Empereur, pour les permis américains que chaque bâtiment 
exportera des étoffes de Lyon pour la moitié de la valeur de sa car- 
gaison. (Cette condition peut-être étendue aux permis ottomans et aux 


1) Lettre de Napoléon à Eugène, 2 oct. 1810 (Corr. Nap. XXI, 165). 
2) Et à 600 frs. pour le coton des Etats-Unis. 
3 D’après une lettre du Préfet du Rhône au maire de Lyon, 27 juin 1810 
(Arch. mun. T°). 

4) Lettre à Mottet, 26 nov. 1809, citée par Pariset IL 112. 

5) Rapport du maire du 29 juin 1811 (Arch. nat. F! III, Rhône, 5). 


378 S. Charléty: Miszelle. 


licences simples“ !). Plaisant remède dont personne n’iguore l'inefti- 
cacité. La situation s'aggrave en 1811: plus de la moitié des métiers 
d’etoffes unies tombe en chômage. L’ouvrier émigre. La misère géné- 
rale provoque une diminution de consommation qu'on voit au döfieit 
de l'octroi municipal: il rend 1500000 frs. en 1811 au lieu des deux 
millions ordinaires. Il y a tant de pauvres en 1812 que les ressources 
des hospices et des particuliers sont insuffisantes; le gouvernement 
intervient, fait distribuer à Lyon et dans le département des „soupes 
à la Rumford‘“ . . .?) 

Les désastres de 1813 provoquent une panique économique. Le 
numéraire manque, et les billets de la Banque perdent leur crédit 
parce que la Banque de Paris a retiré an comptoir de Lyon deux 
millions de numéraire et les a remplacés par des actions de la Banque. 
„Les derniers évènements, écrit le préfet Bondy au ministre de l'in- 
térieur, ont fait resserrer l'argent & tel point que les affaires sont 
presque entièrement interrompues et les paiements arrêtés. (Cet état 
de choses est du principalement aux craintes très vives que l’on a sur 
l'Italie avec laquelle Lyon faisait des affaires considérables. Déjà 
six maisons de cette ville ont failli depuis quinze jours. Plusieurs 
autres chancellent“ . . .5) En janvier 1814, la crise est encore plus 
grave. Le Journal de Lyon, si discret à l'ordinaire, croit devoir en 
parler, et son langage, qu'il s'efforce de faire rassurant, ne l'est guere: 
Quelques malheurs particuliers viennent d’affliger le commerce de 
cette place. Un petit nombre de maisons, respectables par leur pro- 
bite, importantes par leur fortune et l'étendue de leurs affaires, ont 
été forcées de suspendre leurs paiements. La nécessité de rembourser 
des capitaux considérables réclamés par les capitalistes, la difficulté 
des circonstances qui arrêtent momentanément toute vente de mar- 
chandises et suspendent toutes les transactions commerciales, ont 
amené ces évènements facheux; mais ils ne sauraient porter aucune 
atteinte à la juste réputation de solidité et d’honnêteté dont jouit le 
commerce de Lyon depuis tant de siècles“ t). 

Toute l'activité factice un instant créée par le Blocus s’effoudre 
sans retour quand l’Europe se retourne contre son vainqueur et l’écrase. 
Il ne reste plus aux mains des Lyonnais que les témoignages encom- 
brants de leur passagère renaissance au commerce international: 
„L’occupation des provinces illyriennes, écrit la chambre de commerce 
au ministre de l'intérieur, le 5 janvier, a rompu nos communications 
avec le Levant. D'autre part, toutes les fabriques de coton de 
l'Empire s'étant pour ainsi dire arrêtées, toute vente de matière 


1) Note du 19 déc. 1810 (Corr. Nap. XXI, B38). 

2) Décret du 14 mars 1812. — Les soupes à la Rumford ont été in- 
ventées à Munich par un philanthrope dans les ateliers de charité qu'il 
dirigeait. Une société philanthropique les a popularisées à Paris en 1799. 
C'est une soupe aux légumes cuits. On calcule qu’une ration d’une livre et 
demie revient à 2!/, sous et nourrit autant que °’, de livre de pain bis qui 
coûtent 3 sous ‘/4. 

3) 15 nov. 1813 (Arch. nat. F7 4289). 

4) Journal de Lyon, 6 janvier 1814. 


La vie économique de [yon sous Napoléon. 379 


première a été suspendue. Notre entrepôt renferme 19000 balles qui 
n'ont pas un acheteur . . . L’invasion de la Suisse ferme toutes nos 
communications avec l'\llemagne ... Aucuns débiteurs de l'étranger 
ni de l’intérieur ne payent; il ne se vend aucune marchandise à aucun 
prix; on ne peut négocier aucune valeur en portefeuille. La conster- 
nation — nous pourrions dire le désespoir — est générale ... Quel 
remède à tant de maux? Un seul, c’est la paix!“ 

Toute industrie, tout commerce chavirent dans la tempête de l'in- 
vasion. Quand les Lyonnais, après le naufrage, comptent leurs morts 
et leurs blessés, ils aperçoivent qu'il faut définitivement renoncer au 
rêve entrevu de Lyon grand marché international du continent, Ce 
qui surnage du désastre, c'est l’antique soierie, qui, malgré ses crises 
périodiques, reste la source durable du travail et de la richesse. Et 
chefs d'atelier, compagnons, apprentis, tireuses de corde retournent 
au métier qui remplit les rues sombres de son tic-tac monotone. 


Literatur, 


Die Traditionen des Hochstifts Freising L Band (744—926). Heraus- 
gegeben von THEODOR BITTERAUF (Quellen u. Erörterungen zur 
bayerischen u. deutschen Geschichte, Neue Folge, IV. Band). Mit 
einer Tafel. München, Rieger, 1905. 8°. CVII u. 792 Seiten. 


Mit Freude muß es der Wirtschaftshistoriker begrüßen, daß die 
bayerische Akademie, dem für Brixen und Salzburg gegebenen Beispiel 
folgend, eine Neuausgabe der Traditionsbticher der altbayerischen Bis- 
timer beschlossen hat. Waren auch die Editionen, die einst MEICHEL- 
BECK, PEZ, Morrrz, die Editoren der Monumenta Boica und andere 
geliefert haben, für ihre Zeit brauchbare, zum Teil sogar hervorragende 
Leistungen, den Ansprüchen, die man heute an ÜUrkundeneditionen 
stellt, wollen sie nicht mehr recht genügen. Und dabei handelt es sich 
um Quellen, die gerade fir die Rechts- und Wirtschaftsgeschichte des 
früheren Mittelalters, insbesondere der Karolingerzeit, von einzigartiger 
Bedeutung sind, und die genau ebenso, wie die in der jtin Zeit 
so gründlich und oft durchgearbeiteten St. Gallener Traditionen, im 
Vordergrund der wirtschaftsgeschichtlichen Forschung stehen müßten. 
Dazu wird die neue Ausgabe das Ihrige beitragen. 

Der vorliegende Band beginnt mit den besonders wichtigen Frei- 
singer Traditionen, vor allem mit dem bertihmten Renner Cozrohs aus 
dem 9. Jahrhundert; er bietet die Traditionen und Kommutationen 
der Freisinger Bischöfe bis Bischof Dracholf (907—926). Daß nach 
den Ergänzungen, die MEICHELBECKs Edition durch Graf HUNDT und 
KarL ROTH erfahren hat, völlig neues Material aus dieser älteren 
Periode nicht zu erwarten war, ließ sich voraussehen; das wird erst 
der zweite Band aus dem Liber censualinm und dem Wolfenbütteler 
Codex bringen. Aber trotz alledem stellt die Neuausgabe durch ihre 
textliche Verbesserung einen großen Fortschritt dar und verdient volles 
Lob. Ob der Herausgeber mit seiner (von der Unterscheidung zwischea 
Bischofs- und Kapitelsurkunden abgesehen) rein chronologischen An- 
ordnung des Stoffes bei den Diplomatikern auf allgemeine Zustimmung 
rechnen kann, steht für mich nicht außer Zweifel; der Rechts- und 
Wirtschaftshistoriker wird nichts dagegen haben, daß er mit der An- 
ordnung der Codices gebrochen hat. Höchstens hätte es sich vielleicht 
— auch aus sachlichen Gründen — empfohlen, die Scheidung zwischen 
Traditionen und Kommutationen beizubehalten; gerade die letzteren 
bieten nämlich durch die Gegentiberstellung der beiderseitigen, an- 
nähernd gleichwertigen Tauschobjekte fir den Wirtschaftshistoriker 
ein besonderes Interesse. 


Referate. 381 


In der Einleitung hat der Herausgeber sich nicht darauf beschränkt. 
seine Editionsgrundsätze klarzulegen und den Leser über Literatur, 
Quellenüberlieferung, Diplomatik und Chronologie zu orientieren, sondern 
schon den Versuch gemacht, sein Quellenmaterial für die wirtschafts- 
seschichtliche Forschung nutzbar zu machen. Ein Abschnitt von hei- 
nahe 50 Seiten (8. LX ff.) betitelt sich „Zur Wirtschaftsgeschichte“ ; 
außerdem findet sich manche rechts- oder wirtschaftsgeschichtliche 
Bemerkung in dem vorhergehenden Abschnitt zur Spezialdiplomatik 
und Chronologie. Die Meinungen, ob man Quellenpublikationen der- 
artige längere, den Stoff schon vorläufig verarbeitende Einleitungen 
beigeben soll, sind bekanntlich geteilt. Jedenfalls aber muß man an- 
erkennen, daß Verfasser sich im ganzen mit guter Sachkenntnis dieser 
Aufgabe entledigt hat. Als besonders beachtenswert will ich die aller- 
dings noch genauerer Verarbeitung bedürftigen Bemerkungen über die 
Stände (S. LXXV ff.) und den auf S. LXXXXVIII ff. gemachten Ver- 
such, für das Dekanat Freising ein Grundbuch der Karolingerzeit an- 
zulegen, hervorheben. Interessant ist ferner die Tatsache, daß wieder- 
holt mehrere hobae de silva beziehungsweise de terra arabili erwähnt 
werden, die Hufe also offenbar einfach als Flächenmaß verwendet 
wird (8. LXXXVI; vgl. dazu noch Nr. 758, 847, 1000). Übrigens 
wäre auch die Frage aufzuwerfen, ob nicht ager ebenfalls ein Flächen- 
maß bedeutet (vgl. Nr. 794, 836, 1033). Zu S. LXXX möchte ich be- 
merken, daß aus der Bezeichnung von Freising als urbs meniis con- 
structa, civitas etc. nicht zu viel geschlossen werden darf; man hat 
darunter nur die ummauerte Domfreiheit zu verstehen, nicht an eine 
ummauerte Stadt zu denken. Unrichtig ist es, wenn Verfasser auf 
«derselben Seite die von Personennamen abzuleitenden zahlreichen Orts- 
namen -ing als Namen von Einzelhöfen auffaßt. Wenn etwas in 
der Ortsnamenforschung sicher feststeht, so ist es, daß gerade diese 
patronymisch gebildeten Ortsnamen auf -ing (entsprechend dem schwä- 
bischen -ingen) typische Bezeichnungen der Sippendörfer sind‘). Aber 
diese kleinen Ausstellungen sollen der Anerkennung, die wir dem 
Werke schulden, keinen Abbruch tun. 

Möge der zweite Band bald erscheinen und möge er neben 
einem guten Sachregister auch eine Beigabe erhalten, die einer der- 
artigen Publikation erst ihren richtigen Wert verleiht, eine brauchbare 
Karte, auf der, möglichst unter Einzeichnung der Dekanatsgrenzen 
und Gaugrenzen, sämtliche Freisinger Besitzungen ersichtlich sind. 
Dann erst werden die Mühen, die Verfasser auf die Feststellung der 
einzelnen Ortschaften verwandt hat, ihren Lohn finden. 

Tübingen. SIEGFRIED RIETSCHEL. 


1) Gerade für die Urtsnamenforschung und die damit in Zusammenhang 
stehende Besiedelungsgeschichte wird die nene Ausgabe mit ihrem korrekterem 
Text von großem Nutzen sein. Hier bleibt gerade für Bayern noch viel zu 
tun übrig. Merkwürdig wenig ergibig ist das Material für die Gaugeschichte. 
Nur in 6 Urkunden werden Gaue erwähnt, und zwar nur in 8 bayerische 
(Nr. 19, 177, 494), in den 3 übrigen fränkische (Nr. 166) oder schwäbische 
(Nr. 381. 730). 


382 Referate. 


SIGMUND RixZLER, Nachtselden und Jägergeld in Bayern. Im Anhang: 
„Jägerbücher des Herzogs Ludwig im Bart von Bayern“. Ingolstadt 
(1418 u. folgd. J.) (Abhandlungen der K. bayer. Akademie der 
Wissenschaften IH. Kl. XXIII. Bd. OI. Abt. S. 537—631). München, 
K. b. Akademie der Wissenschaften, 1905. 4°, 


Das Herbergs- oder Gastungsrecht, das die deutschen Könige und 
später die deutschen Landesherren für sich und ihre Beamten von 
ihren Untertanen in Anspruch genommen haben, ist bisher in der 
Wissenschaft ziemlich ‘stiefmütterlich behandelt. Gewiß hat es in 
Deutschland nie die Bedeutung besessen, wie das entsprechende droit 
de gîte in Frankreich; immerhin hat es nicht an deutschen Territorien 
gefehlt, in denen wenigstens zeitweise diese Herbergspflicht als eine 
schwer drückende Last empfunden wurde. Zu diesen Territorien ge- 
hörte am Anfang des 15. Jalırhunderts der Teil Bayerns, der unter 
der Herrschaft des jagdliebenden Herzogs Ludwig im Bart von Bayern- 
Ingolstadt stand, und zwar war eg die Pflicht der Beherbergung und 
Verpflegung der herzoglichen Jäger, die sogenannte „Nachtselde“ oder 
das als Ablösung dieser Herbergspflicht geforderte „Jägergeld“, was 
besonders bei den geistlichen Grundbesitzern als schwere Belastung 
empfunden wurde und auf ihre Beschwerde sogar den Kaiser und das 
Basler Konzil zum Einschreiten veranlaBte. Aus der Zeit Ludwigs 
stammen nun zwei je in doppelten Exemplaren vorhandene Jägerbticher 
von 1418 und 1433, in denen der beträchtliche Etat der herzoglichen 
Hofjagd und vor allem die dieser Jagd dienenden Einnahmequellen 
verzeichnet sind. 

Diese beiden Jägerbücher sind hier zum erstenmal bekanntge- 
macht, das ältere nahezu vollständig, vom jüngeren die Inhaltsangabe. 
Der Herausgeber hat aber dieser Ausgabe eine selbständige Abhand- 
lung vorausgeschickt, in der er die Nachtselden und das Jägergeld 
in Bayern von den ersten Anfängen bis zur Aufhebung im Jahre 1808 
eingehend behandelt, wobei auch wenigstens für die älteren Zeiten 
gelegentlich auf andere Territorien Bezug genommen wird. Daß wires 
mit einer durch Beherrschung und geistiger Durchdringung des Stoffes 
ausgezeichneten Musterleistung zu tun haben, bedarf bei einem Werke 
RIEZLER8 keiner besonderen Erwähnung. Dadurch, daß sie ein biaher 
ziemlich vernachlässigtes Stück deutschen Wirtschaftslebens uns ent- 
hüllt, ist sie uns besonders wertvoll. Die klare, anschauliche Dar- 
stellung wird der schönen Arbeit wohl auch außerlialb der eigentlichen 
Fachkreise, insbesondere bei Freunden der Jagd, Leser verschaffen. 
Diese seien besonders auf den interessanten Exkurs tiber Bären und 
Bärenjagd in Bayern und Nordtirol (8. 609 ff.) hingewiesen. Die 
dort gegebene Erklärung des „Perlach“ als Bärenzwinger scheint mir 
möglich, aber nicht unbedenklich; vielleicht hat das Wort gar nichts 
mit dem Bären, sondern mit dem ebenfalls .‚ber“ genannten Zuchteber 
zu tun. 


Tübingen. SIEGFRIED RIETSCHEL. 


Referate. 383 


HERMANN FLAMM, Der wirtschaftliche Niedergang Freiburgs i. Br. und 
die Lage des städtischen Grundeigentums im 14. und 15. Jahr- 
hundert. Ein Beitrag zur Geschichte der geschlossenen Stadtwirt- 
schaft. (Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badischen Hoch- 
schulen, herausgeg. von C. J. Fuchs, E. GOTHEIN, K. RATHGEN und 
G. v. SCHULZE-GÄVERNITZ, VIII. Band, à. Ergänzungsband.) Karls- 
ruhe, BRAUN, 1905. 180 S. Mk. 3.20. 


Eins von den Büchern, die wir brauchen: sorgfältige ortsgeschicht- 
liche Untersuchung bestimmter Entwicklungsreihen auf Grund ein- 
gehender Lokalkenntnis. Hier handelt es sich um eine doppelte Reihe. 
Einmal wird des näheren nachgewiesen, daß auch in Freiburg auf 
eine Periode freien Verkehrs, steigenden Reichtums und wachsender 
Bevölkerung seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts mit der 
Herrschaft der Zünfte eine Periode zunehmender Verkehrsbeschränkung 
folgt, die erst Anfang des 16. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreicht 
und von einem Bevölkerungsrlickgang begleitet ist. Zweitens wird in 
Zusammenhang damit die Bewegung des Grundbesitzes verfolgt. Im 
einzelnen freilich bleibt manches problematisch, und einiges möchte ich 
schlechthin anders interpretieren als FLAM. 

Schon 1890 hatte H. MAURER den Ursprung der Freiburger , Edeln‘ 
in jenen „mercatores personati“ nachgewiesen, die einst Konrad vou 
Zähringen zur Gründung seiner Stadt berufen hatte!). Bereits Mitte 
des 13. Jahrhunderts hat ein Teil ihrer Nachkommenschaft es zu 
solchem Reichtum gebracht (damals bauten sie das Münster!), daß er 
zu ritterlichem Leben übergehen kann. Andere sind im Geschäft 
geblieben und stehen in der Verfassung von 1293 als politisch an- 
erkannte Gruppe der „kouflüte“ neben jenen. Eine dritte gleich- 
berechtigte Gruppe bilden die „antwerklüte“2). Wer sind nun diese? 
Ohne Zweifel großenteils spätere Einwanderer. Allein ebenso zweifel- 
los wird man auch unter jenen „mercatores personati“ neben reinen 
Händlern bereits Handwerker suchen müssen. Dafür spricht neben der 
allgemeinen Erwägung, daß in einer neugegründeten Stadt Handwerker 
vor allen nötig sind, der Umstand, daß jedem der 24 „coniuratores 
fori“, die an der Spitze der jungen Gemeinde stehen, eine Bank unter 
einer der drei Lauben zugewiesen wird, der Fleisch- und der Brot- 
neben der Tuchlaube 3), Ich möchte wenigstens annehmen, daß damit 


1) Z.G. OR. N. F., Bd. I, S. 474—504. 

2) FrLAMN, 8. 46, scheint die Stelle in der Verfassung von 1293 über die 
Zusammensetzung der neuen Vierundzwanzig entgangen zu sein (SCHREIBER, 
Urkb. Bd. I, S. 132 unten): „Und süln derselben iungesten vierundzweinzig 
ehtüwe sin von den edeln und ehtüwe von den kouflüten und ehtüwe von 
den antwerklüten“. Daher auch der Irrtum FLamms 8. 62 2. 4 ff. 

3) Die Zuweisung der Bänke kommt freilich erst im „Rotel“ vor ($ 77). 
Ich halte die Bestimmung aber für alt, wenn man auch an ‘sich der Erzählung 
nicht zu viel Wert beizulegen brauchte, daß die drei Lauben „per iuramentum 
a prima fundatione civitatis sunt instituta“. Ihre Identifizierung, FLAMM S. 46. 
Doch brauchen sie nicht von Anfang für jene drei Gewerbe reserviert gewesen 
zu sein. — Befremdlich sind FLAMMs Bemerkungen S. 41: „Kaufleute . 
wollte der Gründer... ... nicht hörige Handwerker. Wäre ea ihm um Hand- 


384 Referate. 


ein dauerndes Zusammengehen von Gewerbe und Stadtverwaltung be- 
zweckt war. Erst im 13. Jahrhundert also hätte sich dann zwischen 
Kaufleuten und Handwerkern jene Differenzierung durchgesetzt. Nicht 
alle Abkümmlinge der „mercatores“ aber können es zu Reichtum ge- 
bracht haben; die ärmeren also werden sich mit den ärmeren unter den 
späteren Einwanderern vermischt haben. 

FLAMM freilich nimmt von vornherein einen Unterschied an zwischen 
„mercatores personati“, die er fast mit den „coniuratores fori“ zu 
identifizieren scheint, und einer großen Masse von „simplices burgenses“. 
Diese Auffassung hängt zusammen mit seiner Theorie von der Ge- 
schichte des Grundeigentums in Freiburg, die eigentlich das Rückgrat 
seines Buches liefert, und darum, und weil sie seine ganze Dar- 
stellung der älteren Verfassungsgeschichte beeinflußt, ist hier näher 
darauf einzugehen. 

FLAMM glaubt, daß bei Gründung der Stadt die bekannten ,areae“ 
von 50 X 100 Fuß nur gewissen „mercatores personati“, im wesent- 
lichen gleichbedeutend mit den 24 „coniuratores fori“, den übrigen 
„simplices burgenses“ dagegen nur ein „proprium valens marcham unam“ 
zugewiesen worden sei, das nach $ 40 des Stadtrechts, nach $ 23 der 
Rotels die Grundlage des Bürgerrechts bildete). Diese H othese 
ist jedoch unhaltbar. Zunächst: wenn einmal (Rotel $ 40) von 
„simplices burgenses“ die Rede ist, so soll damit der 
gegen beamtete Bürger, nicht gegen eine höhere Klasse ausgedrückt 
werden: nicht ein bloßer Bürger, und wäre es auch der reichste Edle, 
sondern nur Ratmänner sollen nach Köln appellieren. Zweitens: wenu 
FLAMM auch RIETSCHELS Untersuchungen über die Entstehung des 
Tennenbacher Stadtrechttextes noch nicht kennen konnte, 80 hat er 
doch übersehen, daß $ 40 des Stadtrechts den Zusätzen, nach der 
bisherigen Anschauung vom Ende des 12. Jahrhunderts, angehört, nicht 
aber der Gründungsurkunde von 1120°). Meiner Meinung nach kann 


mm nn men e 


werker zu tun gewesen, so hätte er deren leicht einige Hundert von seinen 
Fronhöfen zusammenrufen und zu einer großartigen Fronhofwirtschaft ver- 
einigen können. Unbegreiflich wäre dann nur, wie der Herzog dazu kam, 
diesen Hörigen freie Schultheißenwahl u. s. w.“ Was besteht denn für eiue 
Beziehung zwischen den Begriffen Handwerker und hörig? — In einem gr- 
wissen Widerspruch steht dazu die Aufzählung von Edelleuten, die gra 
sewordene Handwerker sind“, S. 88. Unrichtig ist (S. 70), daß die - 
macher dem Herzog für die „regalis expeditio“ Schuhe, s0 Del er will, liefern 
müssen. ,Quoscunque voluerit post primos meliores“, also von jedem Schul- 
macher das zweitbeste Paar. Stadtrecht $ 9. 

1) 8. 44. Vgl. auch S. 45 Z. 6 v. u. — FLAMM ist meine Besprechung 
von GOTHEINS Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, G.G. A. 1898, ent- 
gangen, wo ich S. 555 die Gildetheorie bereits abgewiesen habe. 

2) RIETSCHEL, Die älteren Stadtrechte von Freiburg im B u. Viertel- 
jahrschrift für Social- u. Wirtschaftsgeschichte, 1905. Der Stadtrodel kann 
ibri ens spätestens 1248 entstanden sein und nicht frühestens Mitte des 

ahrhunderts, wie RIETSCHEL 8. 14 des Sonderabdrucks sagt. Nach der 
Verfassungeänderung von 1248 konnten die ,coniuratores fori* nicht mehr 
als die „viginti quatuor consules“ bezeichnet werden, wie Bodel 
24, 40 u. 76 ff. und eine Urkunde von 1236 (SCHREIBER, Urkb. I, 8. 49 am 


Referate. 385 


kein Zweifel sein, daß, soweit der Platz reichte, jedem Ankômmling, 
der nur imstande war, ein Haus darauf zu erbauen und den niedrigen 
Zins zu entrichten, eine Normalarea zugewiesen wurde: das beweist 
ja auch die Aufteilung des gesamten Stadtareals in solche areae. 
Kleinere Bauplätze waren von seiten des Stadtherrn überhaupt nicht 
zu haben: dafür spricht, daß überall, wo Städte gegründet wurden, 
der ganze Boden nach einem bestimmten Maße zerteilt wurde. 

Gewiß würde man erwarten, daß nun der Besitz einer Normalarea 
auch zur Grundlage des Bürgerrechts gemacht worden sei; allein 
offenbar ist nichts darüber bestimmt gewesen. Es wäre an sich ja 
möglich, daß 1 Mark den Wert einer unbebauten area darstellte. Daß 
dann der Zins von 1 $ zu hoch sein würde, um noch als nomineller zu 
gelten, kann man nicht einwenden, weil er de facto von dem bebauten, 
also viel wertvolleren Grundstück, zu entrichten war!). Allein man 
hat es offenbar erst später notwendig gefunden, eine solche Bestim- 
mung über das Bürgerrecht aufzunehmen, nachdem einerseits viele 
kleine Leute in die Stadt gezogen waren, die auf fremdem Grund und 
Boden Unterkunft fanden, andererseits aber auch die Nachkommen der 
ersten Ansiedler nicht mehr sämtlich in der Lage waren, sich eigene 
areae zu verschaffen: kurz, nachdem der Boden vergeben war und die 
weitere Parzellierung der areae und der auf ihnen errichteten Häuser 
begonnen hatte. Das zeigt ja die neue Bestimmung der Stadtrechte 
von 1275 und 1293, wonach Bürger ist, wer ein Hausachtel im 
Werte von zwei Mark besitzt, auf Grund dessen nach seinem Tode 
auch noch alle seine Kinder, „swil der ist“, das Bürgerrecht ge- 
nossen, solange sie nur in ungeteiltem Besitz blieben’) Über das 
Verhältnis dieses Hausachtels zu dem proprium aber sich den Kopf 
zu zerbrechen, scheint mir zwecklos, und FLamms Annahme, daß die 


deun von da an gab es nur 4 „consules“ aus der Zahl der 24 alten und 
24 neuen „coniurati“. Entsprechend datiert auch WerTtı, Rechtsquellen des 
Kantons Bern; I. Stadtrechte, Bd. I, Das Stadtrecht von Bern (Sammlung 
Schweizerischer Rechtsquellen II) S. LIV, auf den sich RIFTSCHEL im übrigen 
beruft. WELTts Gründe, S. IL ff., für späte Ansetzung des Rotels passen 
jedoch sämtlich ebensogut für das Jahr 1218 wie für 1248. Ich möchte 
daher einstweilen den Übergang der Herrschaft auf die Grafen als Anlaß 
der Aufzeichnung annehmen. Insbesondere ist schlechterdings nicht einzusehen, 
warum man nicht schon 1218 (auch 1200!) irrtümlich einen Berthold für den 
Gründer gehalten haben sollte; ferner, warum man 1218 in Freiburg nicht 
ebensogut „consules“, wie in Basel und Straßburg ein „consilium“ 
(meine Urkunden Nr. 110 u. 111) gekannt haben soll, mag jene Bezeichnung 
auch in Flumet erst 1228 zu belegen sein; und ob ein Zolltarif sich 98 Jahre 
unverändert erhalten konnte, läßt sich auch nicht aprioristisch entscheiden. 
4tar nichts besagt das Vorkommen „überseeischer Waren“. 

1) Vgl. hierzu meine Besprechung von FLAMM, Geschichtliche Orts- 
beschreibung der Stadt Freiburg i. B., in der Hist. Vierteljahrschrift, Bd. VIII, 
(1906) S. 544 ff., die FLAMM nicht mehr hat berücksichtigen können. S. 545 
Z. 4 v. u. steht dort durch einen Druckfehler, daß die Basler Hofstätten 
40 Fuß breiter waren, statt breit. Und S. 547 Z. 8f. habe ich mich in der 
Korrektur von FLAMMs Verhältnisberechnung geirrt. 

2) ScHreiter. Urkb., Pd. I, S. 78f., 8. 129. Dazu FıAamm 9. 101 ff. 


386 Referate. 


Grundrente bis 1300 oder 1350 auf das Sechzehnfache gestiegen sei, 
sehwebt in der Luft!). Nur die Erhöhung der Wertsumme verdient 
Beachtung: sei es, daß Geldentwertung darin ihren Ausdruck findet, 
sei es eine Tendenz, die Berechtigung einzuengen, so wäre wohl zu 
schließen, daß zwischen Annahme des älteren und des jtingeren Satzes 
keine gar zu kurze Zeit verflossen war. — Auch die Klausel „proprium 
non obligatum“ scheint FLAMM mir nicht richtig auszulegen. Wen 
eine Rente auf dem Hause steht, so ist das doch nicht gleichbedeutend 
mit Verpfändung?). Sonst hätten ja in kurzer Zeit fast sämtliche 
Hauseigentümer ihr Bürgerrecht verlieren, oder man hätte zu der Fiktion 
seine Zuflucht nehmen müssen — die FLaus freilich für möglich hält —, 
daß jedesmal ein Teil des Besitztums im Mindestwert von 1, später 
2 Mark zinsfrei und deshalb zur Grundlage des Bürgerrechts dienlich 
geblieben sei. Erst wenn die auf einem Hause lastenden Renten eine 
gewisse Höhe erreicht hatten, konnte doch dies einer Verpfändung 
gleich erachtet werden. 

Das führt auf eine der auffallendsten Erscheinungen. Im 15. und 
16. Jahrhundert waren zahlreiche Häuser dermaßen mit Renten über- 
lastet, daß bei der Zwangsveräußerung überhaupt kein Kaufpreis zu 
entrichten, sondern nur die Verpflichtung zu übernehmen war, die 
Renten weiter zu bezahlen5). Zu einem sehr großen Teile aber handelte 
es sich bei diesen Renten um Seelgeräte, und kaum könnten die ver- 
heerenden Wirkungen frommer Impulse greller beleuchtet werden, als 
e8 hier geschieht. "Erstens war in diesen Fällen irgendeine wirtschaft- 
liche Gegenleistung für die Reute ja nicht empfangen worden. Dam 
aber sehen wir um ihr Seelenheil besorgte Sterbliche ihre Nachkommen 
mit einer ruinösen und für deren Seelenheil doch wohl keineswegs 
förderlichen Schuldenlast beladen. Da nun das pflichtgemäße Lesen 
der Seelenmessen die Beschaffung ausreichender Arbeitskräfte bedang, 
so finden wir ferner Freiburg um 1390 im Besitze einer Schar von 
77 Weltgeistlichen neben der Insassenschaft zahlreicher Klöster*). 
Und da die überlasteten Häuser häufig keine Abnehmer fanden, so 


1) 8. 103. FLAMM gelangt zu der merkwürdigen Dohlußfölgerung, das 
die Erhöhung der Bürgerrechtsvoraussetzung von Mk. 1.— auf Mk. 2.— eine 
Erleichterung gewesen sei, weil er vermutet, daß das erste den Wert eines 
wanzen Hauses repräsentiert habe. Falls es eine Erleichterung war, so doch 
jedenfalls Bun, wenn der Geldwert um so viel gefallen war. 

S. 96 

AN In den Jahren 1444-1459 ist der 11.—12. Teil der ganzen Stadt 
zwangsweise versteisert worden, von 1494—1520 der 7.—8. Teil der Stadt. 
FLAMM S. 113 ff. 

4) S. 120. Ein Beispiel der Stiftung von Seelenmessen in fem | Bin 
liefert das Testament des Edlen Johann Sneueli vom 9. Okt. 1847 ( 

Urkb. I, S. 865 ff.), der seine Jahrzeit an nicht weniger als 44 Stellen in in 
und um Freiburg begehen ließ. Am Münster stiftet er eigene | zwei und bei 
den Kartäusern fünf Priesterpfründen zu dem Zweck. Bei aller Frö 

keit trifft er jedoch Vorkehrung für andere Verwendung des Geldes, fais 
einer der Dotierten seiner Pflicht nicht nachkäme. Er scheint seine Leute 
gekannt zu haben. 


Referate. 387 


rurden sie niedergelegt, der Boden von den Stiftern eingezogen, und 
ie verarmten Bewohner verließen die Stadt. 

Selbstredend waren jedoch nicht alle Rentenüberlastungen, die zu 
‚wangsveräußerungen geführt haben, religiösen Ursprungs. Auch private 
släubiger haben Häuser, die ihnen zugefallen waren, niedergelegt oder 
ait Nachbarhäusern in eins zusammengeschlagen. Und daß bei Über- 
astung mit Renten bei der Handänderung häufig kein Kaufpreis heraus- 
prang, ist im Grunde doch nur dasselbe, wie wenn heute der Käufer 
ines bis zu seinem vollen Werte mit Hypotheken belasteten Grund- 
tückes auch nichts dafür zu zahlen hat, falls er die Hypotheken 
ibernimmt. Der Unterschied besteht nur darin, daß die Höhe des 
len Renten ideell zugrunde liegenden Schuldkapitals meist unbekannt 
var und deshalb auch nicht ausdrücklich tibertragen werden konnte. 
'erner jedoch hat FLAMM einen für die Würdigung der ganzen Er- 
cheinung, wie mich deucht, wesentlichen Gesichtspunkt nicht genügend 
rerücksichtigt. Viele der tüberlasteten Häuser, die niedergelegt oder 
ait‘anderen vereinigt wurden, verdienten nämlich offenbar nicht er- 
alten zu werden. Noch heute gibt es in Freiburg 4 Häuser von nur 
0—30 qm Grundfläche, 4 von 30-40 qm, 8 von 40—50 qm, 9 von 
0—60 qm u. s. w. gegenüber den etwa 450 qm der ursprünglichen 
janplätze! Selbst von jenen kleinsten ist eins aus zwei noch winzigeren 
usammengelegt worden’). In die Gesamtzahl der heutigen 730 Häuser 
ler Freiburger Altstadt (so der Adreßkalender mit Sonderzählung von 
Iinterhäusern u. dergl. gegen 656 Häuser nach dem Grundbuch) sind 
icht weniger als 426 Häuser durch Zusammenlegung aufgegangen, die 
or Mitte des 15. Jahrhunderts, zum Teil bis 1530 noch ein eigenes 
)asein geführt haben. Ohne Zweifel hatten auch diese größtenteils 
u den Miniaturhäusern gehört?). So bedeutete ihre Beseitigung — 
ınd dies eben ist der Gesichtspunkt, den ich bei FLAMM vermisse — 
loch auch eine Gesundung, die freilich ein günstigeres Ergebnis für 
lie Stadt gehabt hätte, wenn nicht gleichzeitig ein so sehr großer 
l'eil des städtischen Bodens durch das Umsichgreifen der Klöster 
ürgerlicher Bewohnung entzogen worden wäre?). 

Allein nicht nur durch die übermäßige Belastung ihrer Häuser, auch 
lurch die „Mittelstandspolitik“ der Zünftler sind die Kleinen zur Stadt 
inausgetrieben worden — wie am andern Ende der gesellschaftlichen 
itufenleiter Edle und GroBkaufleute. Rigorose Handhabung des 
’aragraphen, nach dem nahe Verwandte nicht zusammen im Rat 
itzen durften, machten seit 1391 den oberen Ständen die Besetzung 
uch nur der wenigen Ratsstühle unmöglich, die die demokratische 
’erfassung von 1383 ihnen gelassen hatte*%). Hübsch ist die Beobach- 


1) S. 144. 
2) Das ist auch FLAMMs Ansicht. S. 145. Nicht ganz klar ist mir ge- 
“orden, wie die Tabelle S. 144 mit der Berechnung S. 142 stimmt. 


3) Eine Gesundung läßt auch Fı.ımm eintreten, aber erst später durch 
esondere Reformmaßregeln. S. 150 ff. 

4) S. 54. 

Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 26 


388 , Referate. 


tung, daß die achweren Verluste bei Sempach damals die Edien an 
erfolgreichem Widerstand gegen die Handwerker verhindert haben. 

Zu überschätzen aber scheint mir FLAMM die Bedeutung eines 
andern Umstandes bei der Entstehung der geschlosseneren Stadtwirt- 
schaft, nämlich den Einfluß der Feindschaft der Landesherren und der 
von ihnen gegründeten zahlreichen neuen Märkte und Städtchen*?). Bei 
ihnen war das Wesentliche der Wunsch, die eigenen Territorien zu 
heben, nicht der, die älteren Städte zu schädigen. Leider ist die Auf- 
fassung viel zu sehr verbreitet, ala wäre das erste Ziel jeder ener- 
gischen Wirtschaftspolitik der Schade anderer. Jedenfalls wtirden ohne 
die Schutzpolitik der Zünftler jene Maßnahmen den Städten nicht viel 
haben anhaben können. Bemerkt FLAMM doch selbst, daß die Stadt 
in vielen wichtigen Punkten das Bild eines Kämpfers bietet, der selbst 
die Waffen seines Gegners schärft?).. Wenn FLAMM in dem Aufkom- 
men der landesherrlichen Macht die prima causa für den Niedergang 
Freiburgs*), in der Konkurrenzgründung zahlreicher Märkte durch die 
Fürsten den Anlaß für die Ausbildung der geschlossenen Stadtwirt- 
schaft?) sehen will, so trägt er dem psychologischen Moment der 
Engherzigkeit und angeborenen Beschränktheit der zünftischen Ele- 
mente nicht genügend Rechnung, die auch ohne Gegnerschaft der 
Fürsten zu den gleichen Bestrebungen geführt haben würden. Der 
Verfolg einer freieren Wirtschaftspolitik durch die Stadt dagegen hätte 
ohne Zweifel gegenüber den neuen Landstädtchen eine Differenzierung 
zugunsten der älteren Handelsmittelpunkte bewirkt, wie sie in der 
Tat dort eingetreten ist, wo Umstände die andauernde Pflege des 
Fern- und Großhandels durchsetzen ließen. Vorsiehtig warnt FLaun 
zwar vor übereilter Verallgemeinerung des in Freiburg Gefundenes; 
allein es würde eben doch schärfer zwischen örtlichen und allgemein- 
“ültigen Ursachen zu scheiden sein. 

Die Deutung der Vorgänge im Frühjahr 1368 scheint mir ins- 
berondere auch nicht ganz glticklich®). Überhaupt neigt FLAMM, wie 
nicht wenige iüngere Historiker, unnötig zur Konstatierung von Feind- 
seligkeiten und Gewaltsamkeiten: 80, indem er von einem willkürlichen 
Regiment der Grafen spricht?) oder die Vierundzwanzig die Markt- 
aufsicht gewaltsam sich anmaßen oder an sich reißen I&8t5), wobei 
außerdem nicht zwischen Aufsicht und dem KRecht, Statuten zu erlassen, 
unterschieden ist?). Ebenso die Erklärung der Verfassungsänderungen 


1) S. 53. 

2) Hauptsächlich das 1. Kapitel. 

3) S. 166. 

4) S. 165. 

5) 8. 13. 

6) S. 13; vgl. S. 1641. Ferner im nächsten Heft den Eingang meiner 
..Hansischen Handalsgesellschaften‘. 


7) S. 42. 
8) S. 45 u. 59. 
9) Unrichtig und unklar ist auch die Krklärung von Botel $ 75 


(FLAMM S. 45): „Bei Gericht bilden sie [die 24] nur den Umstand und haben 
sogar nur Zeugenfunktion, aber doch [!] schon die eines Untersuchungsrichters*. 


Referate. 389 


von 1275 und 1293). Vgl. übrigens noch v. BELoOws Besprechung, 
Kritische Blätter, April 1906. 

Auch mit FrLamms Interpretation meiner Lehre vom Ursprung der 
Zünfte kann ich mich durchaus nicht einverstanden erklären ?). 

Doch das und einiges andere, das zu bemerken wäre, ist minder 
wichtig neben den bedeutenden positiven Ergebnissen des Buches. 
Bei jeder künftigen Behandlung der hier besprochenen höchst wichtigen 
Fragen in weiterem Rahmen wird es beständig um Auskunft anzu- 
gehen sein. 


Jena, 10. März 1906. F. KEUTGEN. 


Professor Dr. ERNST, Die direkten Staatssteuern in der Grafschaft 
Wirtemberg. Stuttgart 1904. (Sonderabdruck aus den Wtrttem- 
bergischen Jahrbüchern für Statistik und Landeskunde, Jahrgang 1904, 
I, 54—90 u. U, 78—119.) 

Die ausgebreitete Literatur über das territoriale Steuerwesen Deutsch- 
lands ist durch die vorliegende Arbeit wesentlich bereichert worden. 
Wenn sich auch im ganzen und großen die anderwärts gemachten 
Beobachtungen bestätigt finden und der Mangel an älterem Material 
den Verfasser hindert, zu wichtigen prinzipiellen Fragen Stellung zu 
nehmen, so bieten dafür die auf sorgfältigen archivalischen Forschungen 
beruhenden Darlegungen für das 14. und besonders ftir das 15. Jahr- 
hundert eine wesentliche Vertiefung unserer bisherigen Kenntnisse. 
Übrigens beschränkt sich die Darstellung nicht streng auf das Mittel- 
alter, sondern bietet manche Ausblicke bis ins 19. Jahrhundert. 

In einem ersten Abschnitt behandelt ERNST die ordentliche Steuer. 

Über den Ursprung dieser Abgabe muß er sich wegen Mangels an 

Quellen eines Urteils enthalten. Im 13. Jahrhundert tritt die Steuer 

als fertige Institution entgegen und ändert bis zum 19. Jahrhundert 

ihren Charakter nicht wesentlich. Sie zeigt ihrer ganzen Natur naclı 
ziemliche Verwandtschaft mit der nordwestdeutschen Bede und steht 
ihr näher als der vielfach anders gestalteten in manchen wesent- 
lichen Punkten abweichenden bayrisch-österreichischen ordentlichen 

Steuer. Sie ist eine Abyabe von Grund und Boden, ist von der Ge- 

meinde als Ganzem an den Landesfürsten zu leisten und erscheint früh- 

zeitig fixiert. Die Fixierung wird streng festgehalten, in manchen Ge- 
meinden bis ins 19. Jahrhundert. Die Gemeinde erscheint also als Träger 
der Steuer dem Staate gegenüber, ist aber dafür bei der Anlage der Steuer, 

bei der Bestimmung der Steuerobjekte und -subjekte, des Steuerfußes n.s. f. 

fast selbständig. Eine besondere Stellung der Städte in der Steuer- 

verwaltung scheint nicht bemerkbar zu sein: wenigstens scheidet ERNST 


Vielmehr fungieren sie dort als Geschworene, indem sie durch Inspektion der 
Wunde die Schuld feststellen. 

1) S. 47, 48, 52. 

2) S. 61 f. 


390 Referate. 


nicht zwischen der Steuer auf dem platten Land und in den Städten. 
Begründet ist dieser Umstand wohl in der Württemberg und einigen 
kleineren schwäbischen Territorien eigentümlichen Amterverfassung, 
naclı welcher die einzelnen Ämter Stadt und Land gleichmäßig un- 
fassen. Die Landstädte konnten in dieser engen Verbindung mit dem 
umgebenden platten Land nicht zu einer exemten Stellung in der 
Steuerverfassung gelangen. Von großem Interesse ist der Vergleich 
der Steuersummen der nahe beieinander liegenden Reichs- und Land- 
städte, der sich kaum bei einem andern Territorium so anschaulich 
durchführen läßt. Die Steuern, welche die Reichsstädte an das Reich 
abzuführen hatten, erscheinen durchwegs niedriger als die der Land- 
städte an den Landesherrn. Schon dieses Beispiel zeigt, wieviel 
Neues auch von allgemeinerem Belang sich aus ERNSTS Arbeit 
sewinnen läßt. Ich kann natürlich nicht näher auf die einzelnen 
Kapitel der Darstellung eingehen. Die bekannten Fragen nach dem 
Ansatz, der Umlage, der Einhebung, dem Termin, Art der Zahlunz, 
Objekt, Subjekt, Nachlaß der Steuer u. s. f. werden in eingehender 
Weise besprochen. Ich möchte nur noch auf den gelungenen Nach- 
weis aufmerksam machen, daß in Württemberg eine prinzipielle Steuer- 
freiheit des Klerus, wie sie nach Kirchen- und Reichsrecht gefordert 
wurde, nie zur Anerkennung und Durchführung gelangte. Diese Be- 
obachtung stimmt auch mit der jtingst für andere Territorien gemachten 
überein. 

Neben der „gewöhnlichen“ Steuer erscheinen als ordentliche Ab- 
gaben noch die Speisung und das Vogtrecht. Die Speisung ist eine 
Leistung von untergeordneter Bedeutung und erscheint als „Ersatz für 
den Unterhalt, welchen die Glieder eines Gerichtsbezirkes dem Richter 
und seiner Begleitung schuldig sind“. 

Die Abgaben,‘ die an die Vogtei anknüpfen, sind wie anderwärts 
so auch in Württemberg zu auf den einzeinen Gütern lastenden nutz- 
baren Rechten herabgesunken und erhalten sich in dieser Form an 
vielen Orten bis ins 19. Jahrhundert. 

Eine Spezialität der württembergischen Steuerverfassung ist der 
Landschaden. Der Landschaden ist eine Abgabe, welche die Gesamt- 
heit der Gemeinden als Vergtitung der Ausgaben für Fuhren und für 
die peinliche Gerichtsbarkeit an den Grafen leistet. Die einzeinen 
Geweinden haben aber dabei nicht für die auf ihrem Gebiete gemachten 
Auslagen aufzukommen, sondern es werden die Ausgaben im gesamten 
Lande summiert und sodann nach einem bestimmten Verhältnis unter 
die Gemeinden verteilt. Der Landschaden kam in der ersten Hälfte 
des 15. Jahrhunderts auf und wurde Anfang des 16. Jahrhunderts 
durch Herzog Ulrich aufgelassen. Die rechtliche Grundlage für seine 
Erhebung dürfte das schon von den Grafen der fränkischen Zeit aus- 
geüibte Recht, von den Untertanen gewisse Dienste und Fronen zu 
fordern, gebildet haben. Diese Dienste und Fronen wurden im Laufe 
der Zeit meist in Geldzahlungen umgewandelt. In Württemberg wurden 
diese Zahlungen in ein besonderes System gebracht, welches in steuer- 
politischer Hinsicht einen großen Fortschritt bedeutet. 

Neben diesen ordentlichen Abgaben tauchen in Wiirttemberg schon 


Referate. 391 


im 13. Jahrhundert außerordentliche Steuern auf. Sie werden von den 
Grafen in dringenden Notfällen gefordert. Während gerade diese 
außerordentlichen Steuern in anderen Territorien einen mächtigen 
Hebel bei der Ausbildung der landständischen Macht bilden, haben 
sie in Württemberg diese Wirkung erst spät ausgeübt. Sie werden 
vom Landesfürsten einfach kraft seiner Landeshoheit gefordert. Eine 
ständische Verwilligung findet sich erst am Ende des 15. Jahrhunderts, 
und erst im 16. Jahrhundert erscheint sie ala Regel. Im übrigen er- 
scheinen diese außerordentlichen Steuern in Art und Wesen eng ver- 
wandt mit den von andern Territorien her bekannten Systemen. Die 
Repartitionssteuer wird ähnlich der ordentlichen Steuer einfach als 
(semeindelast behandelt, während wir bei der Quotitätssteuer ein plumpes 
Einschätzungsverfahren der einzelnen Vermögen finden. Die Stellung 
der Steuern im Staatshaushalt behandelt ERNST nur vorübergehend, 
da er in einer von ihm in Aussicht gestellten Spezialarbeit über die 
württembergischen Finanzen im 15. Jahrhundert darauf näher eingehen 
will. Die zahlreichen interessanten Beilagen dürften noch in manch 
anderer Hinsicht Verwertung finden. 


Wien. Privatdozent Dr. LUDWIG BITTNER. 


Hans VON VOLTELINI, Die ältesten Pfandleihbanken und Lombarden- 
privilegien Tirols. Innsbruck, Wagner, 1904. 70 S. kl. 8°. 


Die interessante und eindringende Untersuchung behandelt die bis- 
her nicht genügend beachtete „Urgeschichte“ der Beziehungen Tirols 
zum Geldhandel. Nach einer Einleitung, die die wirtschaftlichen und 
kulturellen Bedingungen Tirols feinsinnig würdigt, geht VOLTELINI auf 
die Spuren fremder Kaufleute in Tirol ein, zuerst der Venezianer, 
Tridentiner, Veronesen, Brescianer, dann besonders der Floren- 
tiner; daß diese sich „vor allen“ dem Geldhandel zugewendet 
hätten, wie VOLTELINI nach DAVIDSOHN angibt, bestreite ich. Die 
Senesen und Römer waren ihnen zeitlich voraus, auch war damals ein 
reiner (reldhandel für eine ganze Stadt (außer für Rom, den Versamm- 
lungsort des ganzen Abendlandes) nicht möglich; die Bedeutung der 
Florentiner Tuchindustrie ist ja bekannt, und in Siena lag es natürlich 
ebenso. Daß „Deutschland im allgemeinen von den Florentinern 
weniger als Schauplatz ihrer Tätigkeit erkoren sei“ (S. 19), ist irrig; 
Johann XXI. z. B. hat den ganzen deutschen Zehnt zwei Florentiner 
Banken zugewiesen. Immerhin ist es auffallend, wie rege die Be- 
ziehungen der Arnostadt gerade zu Tirol sind; da lernen wir nun eine 
Anzalıl Namen kennen, deren Zugehörigkeit zu ihren Firmen VOLTELINI 
nicht näher untersucht hat (auch dem Ref. ist es bei einigen Stich- 
proben nicht überall gelungen, sie festzustellen, öfter aber kann man 
weiter kommen). Eine besondere Rolle spielt das Haus Frescobaldi, 
mit dem zuerst der bekannte Herzog Meinhard II. anknüpfte. Die 
Gründe, die VOLTELINI für dessen Wahl vermutet, erscheinen nicht 
recht stichhaltig; es liegt wohl so, daß diese Firma, die von ihrer 
einstigen Stellung als Verwalterin des Kreuzzugszehnten von halb 


399 Referate. 


Deutschland nur noch — seit Martin IV. — die Provinz Salzburg be- 
halten hatte, dem Herzog deshalb am besten bekannt war; auch ihr 
selbst muß daran gelegen haben, ihren Geschäftskreis auf Tirol aus- 
zudehnen, das ja ohne Mehrkosten zu erreichen war. Neben Waren- 
handel, besonders mit Luxusartikeln, wie Geschmeide, feinerem Tuch. 
Südfrüchten für den Hofhalt brachte ihnen vor allem das Pfandleih- 
geschäft reiche Erträge. Wichtig ist, daß vorher unter den Tirolern 
zinslose Darlehen üblich waren (8. 25); eine neue Tatsache, die Ref. 
den Forschern zur Beachtung empfiehlt, die für die früheste Geldwirt- 
schaft, ja schon für die Naturalwirtschaft den Zins als selbstverständlich 
erklären. Die Florentiner mit ihrem großen Betriebskapital waren in 
dem Augenblick willkommen und notwendig, wo die geringen Mittel, 
die sich zinslos beschaffen ließen, nicht ausreichten. Erinnert sei, daß 
Tirol als Paßland Gelegenheit bot, auch manchem durchreisenden 
Welschlandfahrer Kredit zu vermitteln (8. 16. 37, ein Regensburger). 
Neben den Frescobaldi und den ihnen nahestehenden Rossi treffen wir 
als Inhaber der Leihbanken in Tirol und Görz die Abbati aus Florenz, 
Bologneser, Mantuaner und einige aus Trient. Die Einheimischen 
hielten sich zurück, wirtschaftlich unentwickelt und diesen nicht un- 
bedenklichen Geschäften noch lange abgeneigt. Am meisten verdiente 
man am Verzugszins und den verfallenen Pfändern; daneben kommen 
Usuren (8. 26, 50) vor. Die schlechte Regierung der Nachfolger Mein- 
hards trug zuerst zum Gedeihen der Banken bei, da sie sich oft Geld 
auf die einträgliche Pacht vorstrecken ließ; am Jahresschluß wurde 
abgerechnet, und wenn sich für die Kaufleute ein Überschuß ergab. 
so erhielten sie ihn häufig in dem vielbesungenen Tiroler Wein und 
andern Naturalien, deren Verwertung ihnen als gewiegten Kaufleuten 
nicht schwer gewesen sein wird. Daß die Pfandscheine aus Bozen 
kein Schuldverhältnis, sondern ein Depositum bekennen, ist wohl keine 
wucherische „Verschleierung des Tatbestandes“ ; wozu hätte sie denn 
bloß diese Leihbank für nötig gehalten? Es sind Formen, die während 
der Übergangszeit in Italien ihre Analoga haben, wenn sie auch dem 
italienischen Handelsrecht des 13. Jahrhunderts gegenüber rtickständig 
waren. Der Inhaber der Bozener casana, Caspar (8. 28), ist doch wohl 
identisch mit dem S. 30 genannten Caspar E. Poldi aus Trient, wo 
manche Zwischenzustände der deutschen und italienischen Entwicklung 
herrschten. Daß Clemens V. auf dem Konzil von Vienne auch solche 
Verträge — übrigens unter Einschränkung — zu den wucherischen 
rechnete, nimmt bei der Schärfe seiner Bankgesetzgebung nicht Wunder. 
Den Bankcrott der Frescobaldi setzt VOLTELINI S. 49 (vgl. 24) um 1311 
zu früh an. Davisonn (Forsch. II. n. 672) zeigt, daß die Firma. 
wenn auch aus Florenz vertrieben, noch 1315 bestand und gerade da- 
mals in Zablungsschwierigkeiten war. Den Niedergang der Leihbanken 
verschuldeten die Verpfändungen unter dem Titularkönig Heinrich und 
seiner Tochter Margarete Maultasch, auch das Vordringen der Juden 
in Tirol seit dem Ende des 13. Jahrhunderts; zu den vielen inter- 
essanten Angaben von VOLTELINI über diese möchte ich bemerken, daß 
die Meinung, die Juden seien seit dem Ende des 12. Jahrhunderts 
vom Warenhandel verdrängt worden, in letzter Zeit (ScHAUB, Kampf 


Referate. 393 


gegen den Zinswucher 166 f. und öfter) sehr bestritten ist. Leider 
gibt VOLTELINI 8. 20f. nicht die Namen der senesischen Kaufleute an, 
die nach der unbekannten Urkunde Clemens’ IV. von 1266 X 4 im 
Wiener Staatsarchiv mit Bischof Egno von Trient in Streitigkeiten 
geraten waren; das Material über derartige Beziehungen von Banken 
und Prälaten ist so wichtig, daß jeder Baustein willkommen ist. Die 
S. 15 erwähnten schwer verständlichen Zeugenaussagen von 1216 
über das Ripaticum in Trient würden wohl durch italienische Urkunden 
beleuchtet werden. Zum Schluß werden die Tiroler Lombardenprivi- 
legien behandelt und die vier erhaltenen, die durch ilır Alter (1304—19, 
dazu eine Notiz von 1297) sehr wichtig sind, abgedruckt. Über die 
Grundlagen des Lombardenrechts, in deren Beurteilung VOLTELINI der 
bekannten Hypothese SCHULTES widerspricht, scheint mir das letzte 
Wort noch nicht gesprochen. Daß VOLTELINI die italienischen Geld- 
leute wesentlich günstiger beurteilt als herkömmlich, erscheint dem 
Ref., der mehrmals dafür eingetreten ist, auch in diesem Falle richtig 
und begründet. Möchte doch die überaus lehrreiche Schrift, der wir 
bisher eigentlich nur die Arbeit von PATETTA über die Senesen in 
England an die Seite zu stellen haben, bald für andere Landschaften 
nachgeahmt werden. 


Rom.  FEDOR SCHNEIDER |). 


D'AHLMANN-WAITZ, Quellenkunde der deutschen Geschichte. 
Unter Mitwirkung von P. HERRE, B. Hier, H. B. MEYER, 
R. SCHOLZ herausgegeben von E. BRANDENBURG. 7. Aufl. 
Erster Halbband. Leipzig, Dieterichsche Verlags- 
buchhandlung (Theodor Weicher), 1905. 366 S. 


1894 ist die 6. Aufl. vom „DAHLMANN-WAITZ“ erschienen. Über 
seine Unentbehrlichkeit ein Wort zu verlieren, wäre gäuzlich über- 
flüssig. Bei der mächtig anschwellenden historischen Literatur ist jede 
neue Auflage mit größtem Dank aufzunehmen. Die verbältnismäßig 
stärkste Vermehrung hat in der letzten Zeit wohl die Literatur zur 
Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte erfahren, und daher hat unsere 
Zeitschrift ganz besonders Anlaß, die 7. Auflage des vorliegenden 
‘Werks, von der jetzt der erste Halbband erschienen ist, dankbar zu 


1) Die hier angezeigte Schrift von H. v. VOLTELINI ist ein Sonderabdruck 
aus den „Beiträgen zur Rechtsgeschichte Tirols“ (Festschrift zum 27. deutschen 
Juristentage), Innsbruck 1904, Verlag der Wagnerschen Universitätsbuch- 
handlung. Diese „Beiträge“ bringen außer jener Untersuchung nachfolgende 
Abhandlungen: H. Woprer, Zur Geschichte des tirolischen Verfachbuches ; 
A. v. WRETSCHKoO, Die Geschichte der juristischen Fakultät an der Universi- 
tät, Innsbruck 1671—1904 ; Die Rechtshandschriften der Universitäts-Bibliothek 
in Innsbruck; CasPar SCHWARZ, Die Hofpfalzgrafenwürde der juristischen 
Fakultät Innsbruck. Zur Würdigung dieser Abhandlungen vgl. die Aus- 
führungen von Srrrz in der Zeitschrift der Savigny-Stiftung, Germ. Aht.. 
Bd. 26, S. 387 ff. D. Red. 


394 Referate. 


begrüßen. Die Bibliographie der Rechts-, Verwaltungs- und Wirtschafts- 
geschichte haben Dr. HiLLIGER und namentlich Dr. MEYER verzeichnet. 
Hier war wohl die schwierigste Aufgabe zu lösen. Denn auch wenn 
man von dem großen Umfang der betreffenden Literatur absieht, 80 ist es 
nirgends schwerer als hier, die richtige Auswahl zu treffen. Bei dem 
eigenttüimlichen Entwicklungsgang der deutschen Geschichte kommen 
sehr viele Werke der provinzial- und ortsgeschichtlichen Literatur nicht 
bloß für die Wirtschafts-, sondern auch die Verfassungsgeschichte in 
Betracht. Ein Buch mit einem rein ortsgeschichtlichen Titel enthält 
manchmal wertvollere Beiträge zur Verfassungs- und Wirtschafts 
geschichte als eines, das im Titel ausdrücklich auf diese hinweist. 
Und wie in dieser Hinsicht, so ergibt sich eine Schwierigkeit auch 
aus der Frage, wie weit man alle einzelnen Disziplinen der Rechts- 
geschichte berücksichtigen soll. Bei der vorigen Auflage unserer 
Bibliographie lag die Sache noch erheblich einfacher als heute nach 
dem starken Ausbau der Rechts-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte. 
An diese Kompliziertheit der Aufgabe hat man sich zu erinnern, wenn 
man bei etwaigen Unebenheiten des neuen Versuchs zu einem gerechten 
Urteil gelangen will. Jedenfalls darf man den Bearbeitern das Zeug- 
nis geben, daß sie sich um vielseitige Information ernst bemtiht haben. 
Im folgenden möchte ich einige Korrekturen und Bedenken anbringen. 
Ich füge auch einige Notizen über Arbeiten bei, die nach dem Druck 
des vorliegenden Halbbandes erschienen sind. Vollständigkeit erstrebe 
ich natürlich nicht. 

Warum fehlen bei Nr. 636 MEILLERs Regesten der Salzburger Erz- 
bischöfe? Nr. 668 lies Albert statt Abert, Nr. 690 Knipping statt 
Knieping. Die in Nr. 730 erwähnten Teile des Urkb. der Stadt Braun- 
schweig sind doch nicht sämtlich 1861 erschienen (jetzt liegen vor: 
Bd. 1—3, 1861— 1905). Von Nr. 831 erschien die 3. Auflage 1904. 
S. 62, wo uns allgemeine Quellenwerke zur städtischen Rechts- und 
Wirtschaftsgeschichte genannt werden sollen, wird je eine einzelne 
Edition der Zunfturkunden einer Stadt (Riga), der Rechnungen einer 
Stadt (Hamburg) und der Aufzeichnungen tiber den Liegenschafts- 
verkehr einer Stadt (Kiel) notiert. Warum nur gerade diese? Sollten 
hier nicht alle wichtigeren Editionen genannt werden, 80 wären zu- 
sammenfassende Überblicke, wie sie STIEDA über die städtischen 
Finanzen und auch die Editionen der Stadtrechnungen gibt (Nr. 1585), 
zu notieren gewesen. Von KoxLERs Beiträgen zur Geschichte des 
römischen Rechts (Nr. 1439) ist das erste Heft 1896, das zweite 1900 
erschienen. Im übrigen vgl. zur neuesten Literatur tiber diese Materie 
meine Schrift: Die Ursachen der Rezeption des römischen Rechts in 
Deutschland (1905). Der Verfasser der hannoverschen Verfassungs- 
und Verwaltungsgeschichte (Nr. 1462 und 1493) heißt Mere. Nr. 1491 
lies Schottmüller, Nr. 1499 Plehn.” Zu den Arbeiten tiber Reichshof- 
gericht und Reichskammergericht (Nr. 1503 f.) kommt jetzt die ein- 
gehende Untersuchung von LECHNER hinzu. Sind von Wagners Finanz- 
wissenschaft (Nr. 1515) alle Teile in 3. Auflage erschienen? Es wäre 
zweckmäßig gewesen, hier einfach auf das erste Heft des dritten Teils 
(Leipzig 1886), welches den Titel ,Steuergeschichte“ trägt, zu ver- 


Referate. 395 


weisen. Die Arbeiten über Steuergeschichte auf S. 109 sind nicht 
zweckmäßig ausgewählt. Von meinem älteren Deutschen Städtewesen 
(Nr. 1576) ist 1905 die 2. Auflage veröffentlicht. Zu Nr. 1590 vgl. 
Histor. Zeitschr. 61, S. 303 und die Erörterungen von NUGLISCH mit 
EULENBURG in den letzten Bänden der Zeitschr. für Socialwissenschaft 
und der Jahrbücher für Nationalökonomie. Unter „Bevölkerung der 
Städte“ S. 113 müßten doch auch die Arbeiten über die Pfahlbürger 
genannt werden (da die Literatur über die Lehnsfähigkeit der Bürger 
hier berücksichtigt ist). In Parallele mit ROTH v. SCHRECKENSTEINS 
Patriziat ist auch SKELIGS Buch über die Hamburger Bürgerschaft 
venannt (Nr. 1592). Allein dieses ist anderer Art: es will (aus einem 
praktischen Zweck heraus, im Zusammenhang der neuen politischen 
Kämpfe in Hamburg) nur die Entstehung des modernen Instituts der 
Bürgerschaft) erklären. Nr. 1591 lies KNIEKE. Die Nr. 1605 notierte 
Arbeit von RIETSCHEL hätte mit in den Vordergrund des Abschnitts 
xestellt werden sollen. Sie wird Nr. 1700 unter Agrarverfassung an 
ausgezeichneter Stelle genannt, während sie es doch mehr mit dem 
Städtewesen zn tun hat. Zu Nr. 1627 füge E. SCHUMANN, Verfassung 
und Verwaltung des Rates in Augsburg von 1276—1368 (Kieler Disser- 
tation von 1905), zu Nr. 1632 WELTI, Das Stadtrecht von Bern I 
Aarau 1902): die hier gegebene Einleitung ist von der größten Wichtig- 
keit für die Erforschung der bernischen Verfassungsgeschichte. Hinter 
Nr. 1611 ist einzuschalten: BısLe, Die öffentliche Armenpflege der 
Reichsstadt Augsburg (Paderborn 1904). Zu Nr. 1640 vgl. Zeitschr. 
des Aachener Geschichtsvereins 19, S. 227 ff. Unter den Verfassungs- 
„eschichten niederrheinischer Städte wird die kleine Schrift von LIESE- 
GANG, Recht und Verfassung von Rees (Nr. 1642) genannt. Aber es 
zibt niederrheinische Ortsgeschichten, die viel mehr verfassungsgeschicht- 
licheu Inhalt haben als jene. Statt der Arbeiten PHILIPPIS über Osna- 
brück, die Nr. 1649 notiert werden, wäre besser dessen Verfassungs- 
reschichte der westfälischen Bischofstädte (1894), die später (Nr. 4253) 
erwähnt wird, genannt worden. Zu Nr. 1680 füge RENNEFAHRT, Die 
Allmend im Berner Jura (Breslau 1905). Von RoscHErs „Ansichten 
der Volkswirtschaft“ (Nr. 1751) ist die 3. Auflage (1878) anzuführen. 
Sollte unter „Allg. Wirtschaftsgeschichte“ (S. 124) nicht die Literatur 
über Bankwesen eingeordnet werden können? Bei der Münzkunde 
(S. 23f.) ist noch nicht LUSCHIN VON EBENGREUTH, Allg. Münzkunde 
und Geldgeschichte (1904) erwähnt. Nr. 1776 lies Kmiotek. Zu 
Nr. 1780 füge A. GERBER, Beitrag zur Geschichte des Stadtwaldes 
von Freiburg i. B. (1901), zu Nr. 1807 meinen Aufsatz: Ist die Schweiz 
ein Paßstaat? Beilage zur Allg. Zeitung 1903 Nr. 56 (vgl. auch Histor. 
Zeitschr. 91, S. 436 Anm. 1), zu Nr. 1813 Kolmar SCHAUBE, Der Ge- 
brauch von hansa in den Urkunden des Mittelalters (vgl. Histor. 
Zeitschr. 96, S. 267). Bei DOoRENs Schrift (Nr. 1812) durfte die 
Warnungstafel nicht fehlen, die KEUSSEN (Korrbl. d. westd. Zeitschr. 
1893 Sp. 57) aufgerichtet hat. In Nr. 2047 lies Abt. 1901 (Bd. 22). 
OrTTos Schrift über das Handwerk (Nr. 1842) ist 1905 in 2. Auf- 
lage, von STAHLS Buch nur der 1. Bd. erschienen. S. 246 fi. gibt 
HiLLıcer höchst detaillierte Literatur über Straf- und Privatrecht 


396 Referate. 


und Prozeß für die fränkische Zeit, während Meyer S. 313 ff. tür 
die folgende Zeit derartige Literatur nicht bietet. So dankenswert 
an sich HILLIGERS Mitteilungen sind, so gehen sie doch wohl tiber die 
Zwecke, die durch „DAHLMANN-WAITZ“ verfolgt werden, hinaus. 8. 314 
wird behauptet, daß „die Lehen- und Dienstrechte ganz verstreut ver- 
öffentlicht“ seien. Tatsächlich gibt FÜRTH in seiner Darstellung 
(Nr. 4127) doch eine hübsche Kollektion von Dienstrechten. Zu Nr. 4122 
und vielen anderen Nummern kommt jetzt Heck, Der Sachsenspiegel 
und die Stände der Freien (1905) hinzu. Nr. 4133 lies Goecke, Nr. 4141 
(bei Dieterich) 1892. EcKERTs Schrift über den Fronboten (Nr. 4136: 
ist auch als Verlagswerk in Leipzig erschienen. Daß bei Nr. 4283 
zu KEUTGENS „Ämter und Zünften“ SANDERS Aufsatz erwähnt wird, 
ist bibliographisch nicht zu tadeln. Aber es mag hier hervorgehoben 
werden, daß er sachlich aufs höchste zu bedauern ist. Wie konnte 
SANDER (im Gegensatz zu den reinlichen Unterscheidungen, die er selbst 
in seinem Buch über den Haushalt Nürnbergs gemacht hat) sich zu 
den unglaublich oberflächlichen, alles vermischenden Vorstellungen 
SCHMOLLERS (vgl. Zeitschr. für Socialwissenschaft 1904, S. 304 ff.) be- 
kennen! Vgl. zu den Rezensionen über KEUTGENs Buch SEELIGERS 
Histor. Vierteljahrschrift 1904, S. 549 ff. In Nr. 4286 lies Dettmering. 
Zum Schluß mag auf die kritischen Bemerkungen von HOLDER-EG6GER 
im Neuen Archiv 30, S. 727 hingewiesen werden. 

Wenn wir im obigen manche Ausstellungen gemacht haben, 80 mag 
doch nochmals unser Dank für die selbstlose Arbeit, die in einer solehen 
Bibliographie steckt, ausgesprochen werden. 


Freiburg i. B. G. v. BELOW. 


Druck von W. Kohlhammer in Stuttgart. 


Gand et la Circulation des Grains en Flandre, du 
XIV’ au XVII: siècle. 


Par 
G. Bigwood (Bruxelles). 


Preface. 


Chapitre I. Généralités. 
Du droit d’étape en général. — Les villes d'étape dans les anciens 


Pays-Bas. 
Chapitre II. Gand et la navigation fluviale en Flandre. 
S 1° Le transit obligatoire des grains par Gand. 
$ 2. Le privilège de rupture de charge. 
$ 8. Le mesurage obligatoire. 


Chapitre III. L’étape des grains à Gand. 
$ 1°" Son origine et ses causes. 
$ 2. Organisation de l'étape. 
$ 3. Le marché aux grains. 
$ 4. Le commerce des grains et l’approvisionnement de la ville. 
$ 5. La lutte pour la liberté. 


Conclusions. 


La configuration géographique d’un pays influe directement 
sur les conditions qui régissent la circulation des biens, et sur- 
tout des denrées de première nécessité. La répartition et l’em- 
placement des villes jouent iei un rôle prépondérant, lequel est 
d'autant plus grand que les centres urbains sont plus peuplés 
et que les moyens de communication sont plus directs. : 

Il suffit de jeter un coup d’eil sur la carte du comté 
de Flandre pour se convaincre que la ville de Gand a dû néces- 
sairement exercer une influence marquée sur le mouvement des 
marchandises et par suite, sur la marchandise par excellence du 
moyen-âge, les céréales, base de l’alimentation. 

Centre urbain de premier ordre, dont les environs immédiats 


étaient peu fertiles, situé au confluent de deux cours d’eau im- 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte, IV. 97 


398 G. Bigwood 


portants en communication directe avec la mer, comme aussi par 
les affluents de l’Escaut et de la Lys, en relations faciles avec 
le comté tout entier et les pays voisins, Gand apparait comme 
le centre vers lequel tout converge, ou du moins vers lequel tout 
peut être facilement contraint de converger. 

Poussés par une nécessité dont ils se rendaient plus ou moins 
consciemment compte, les Gantois se sont efforcés d’assurer à 
leur ville le monopole de la circulation sur l’Escaut et la Lys 
et à leur marché aux grains une abondance et une régularité 
capables de maintenir le prix des céréales à un taux modéré. 

Dans la poursuite de ce double but, Gand se heurte à des 
difficultés et à des résistances et c’est l’objet de ces quelques 
pages que l’histoire de cette lutte et l'exposé de ses résultats !). 


I. 


Généralités. 


Du droit détape, en général. Les villes d’6tape dans les 
anciens Pays-Bas. 


C’est au moyen du droit d’etape que les grands centres ont, 
en général, agi sur la circulation des marchandises et les courants 
du commerce. Mais sous cette dénomination uniforme se cachaient 
des institutions très différentes. Au haut moyen-âge, les lieux 
d’étapes sont essentiellement des sièges de marchés dont le but 
spécial est d’assurer l’application des mesures restrictives prises 
relativement aux exportations de marchandises ”?); dans la suite, 
l'institution apparaît sous des formes variées, qui purent se 
ramener à trois. Sous le nom de jus geranü, elle consiste 





1) Bibliographie. V. GAILLARD, Anciennes Institutions commerciales. 
Privilège d'étape: l'étape des Grains à Gand. Messager des sciences histo- 
riques, 1849, p. 232 à 258. — EM. VARENBERGH, La maison de P Etape. 
Messager des sciences historiques, 1872, p. 1 à 10. «Quelques points d'histoire 
à propos de l’incendie de l’Etape». Bulletin du cercle historique et archéo- 
logique de Gand, 1896, p. 60à 82. Za maison de l’Etape, Inventaire archéo- 
- logique de Gand, 2° fasc., Avril 1897. — FR. DE POTTER, Gent. II, 482 à 498. 
— DIERICX, Mémoires sur la ville de Gand, II, p. 195 et sqq. 

2) Sur l’évolution générale des stapulae, cf. HUVELIN, Essai historique 
sur le droit des Marchés et des Foires, Paris 1897, p. 204 et sqq. 


(and et la circulation des Grains en Flandre, du XIV° au XVIII s. 399 


essentiellement à obliger les marchandises en transit à être 
déchargées, marquées et pesées avant d'aller plus loin, mais sans 
devoir être mises en vente dans la ville. Le jus stapulae propre- 
ment dit comportait précisément l’obligation de mettre en vente 
ou de rebrousser chemin. Enfin la troisième forme de l'institution 
est connue plus particulièrement sous le nom de jus emporti et 
entrainait l’obligation de ne rien vendre et de ne rien acheter 
qu'aux habitants de la ville !). . 

Les privilèges de Gand à l’égard de toutes marchandises, 
rentraient dans la première de ces catégories et en ce qui concerne 
les céréales, se rapprochaient beaucoup de la troisième. 

Les anciens écrivains belges et hollandais se sont occupés 
du droit d'étape, car il est peu de villes des Pays-Bas d’une 
moyenne importance qui n'ait joui de privilèges d'étape plus ou 
moins étendus. La définition qu’ils en donnent varie légèrement 
et est généralement inspirée par l'institution existant dans la 
ville dont ils parlent”). 

Sans entrer ici dans la discussion à laquelle a donné naissance 
l'origine du mot, disons que l'expression flamande stopele était 
fréquemment remplacée par celle de uplegk, exprimant la même 
idée, celle de mettre en tas, accumuler. Des textes français du 
moyen-äge traduisant littéralement l’expression flamande parlent 
du missus?). 


1) HuveELin, doc. cit. et les auteurs cités en notes. 

2) ADRIANUS JUNIUS, Batavia. Plantin 1588, p. 248. 

Jon. LOCCENIUS, De jure maritimo et navali, Holmiae 1652, lib. I, 
c 10 n° 8, „jus stapulae est potestas sistendi in suo foro, restringendique 
merces speciali emporii beneficio certis civitatibus competens“. 

GUICCIARDIN, Description de tous les Pays-Bas, 1625, p. 228 et 884. 

BOXHORNIUS: Theatrum Hollandiae, p. 100: „Est autem stapula jus 
quo potestas conceditur aliundi invectis mercibus quasi manum injiciendi, ab 
instituto cursu retrahendi, ac denique ita sistendi ut non priusqüam publico 
foro divenditae ibi fuerint, alio transferuntur. Ita autem dicitur a STAPELEN 
quod in unum aliquid coarcervare designat“. 

Cf. Louvrex: Recueil contenant less Edits et Règlements faits pour le 
pais de Liège, etc. III, p. 182, en note de l’ordonnance du 7 Septembre 1571. 

3) Cf. BOXHORNIUS, loc. cit. — DUCANGE, v° Stapulum. Les Yprois 
æurent à Commines «certain upslach, que l’on nomme estaple». Mémoire 


400 G. Bigwood 


La plupart des villes du Nord de la France et des Pays-Bas 
ont joui du droit d'étape. 

En dehors de Gand, deux se sont vu reconnaître une étape 
de céréales: Douai et Tournai. 


Douai était un de ces endroits que l’on a si heureusement 
qualifiés de nœuds du transit régional ').. Forc&ment les bateaux 
qui avaient remonté l’Escaut et la Scarpe devaient y décharger 
leurs cargaisons; c'était la aussi que les producteurs ou les 
marchands pouvaient emprunter la voie fluviale pour le transport 
des marchandises destinées à la Flandre ou au Hainaut. De bonne 
heure, l’etape des grains devint l’objet principal du commerce et 
la source de la prospérité locale ?). 


L'étape, à Douai, consistait essentiellement d’une part dans 
l'obligation d’exposer en vente au marché tous blés amenés dans 


« 


la ville, même destinés à être embarqués pour descendre la 
rivière, et de l’autre dans la défense pour les marchands d'acheter 
ou de faire acheter des grains dans un rayon de cinq lieues de 
la ville”). 


L'importance du commerce de blé de Douai est attestée par les 


cité, note 1 p. 402. Le «droict d’estaple et missus». «Le missus et grain non 
franc». Replique du magistrat à Gand, Janvier 1612. Ancien Conseil Privé 
carton: grains. Le magistrat de Tournai (Juin 1557) appelle le droit d'étape, 
le «droit de missus». Archives de Gand, série 147bis, reg. 2, p. 52. De 
même celui de Tournai (29 Octobre 1565) et celui d'Arras (2 Juin 1546). 
Archives de Gand, série 349, n° 108. Les lettres de Henri VIII (26 février 
1514, n. st.) emploient la même expression. Ord. des Pays-Bas, 2e série, t. I, 
p. 286. Au XVIIIes. le mot stapel regt, finit par désigner tout impôt 
frappant le transit. Décret de l’empereur Joseph IT, du 27 Avril 1788. 
Placards de F'landre, VI, p. 815. 

1) H. PIRENXE, Les villes flamandes avant le XIIe siècle. Ann. de l'Est 
et du Nord, I, p. 22. 

2) Cf. Actes des 25 Juillet 1402, 25 Décembre 1410 et 28 Juillet 1433 
cités par Espınas, Les finances de la commune de Douai des origines au 
X Ve siècle, p. 244, note 2. 

3) Cf. bans du 27 Février 1399 et de 1400; Archives communales de 
Douai, registre A A 95 et les documents cités à la note précédente. Je dois 
la connaissance de ces bans à l’extrême amabilité de Mr G. Espinas. 


Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV: au XVIIIles. 401 


accords conclus au XIV® siècle par cette ville avec Gand!) et 
avec Bruges”*). 

Ce commerce était encore important au début du X VIT: siècle”), 
mais la prise d’Arras et les guerres de l’époque lui furent 
fatales À). 

Quant à Tournai, l'étape consistait pour les échevins «quand 
bon et expedient leur a semblé, prendre et lever la sixiesme 
partie des grains passans en (notre dite) ville par la rivière 
d’Escault, pour y tenir estable certaine espace de temps, pour 
estre venduz au peuple.» Il dépendait donc des consaux que 
l’étape fut ou non appliquée. Il semble même qu'ils soient restés 
si longtemps sans exercer leur droit, qu’ils aient craint qu’on 
le leur contestât. Aussi profitent-ils de la conquête de la ville par 
Henri VIII, pour se faire confirmer leur privilège”). 

En fait, l'étape de Tournai, si tant est que les consaux aient 
usé de ce droit, ne parait avoir eu aucune importance, mais les 
marchands de Tournai furent en étroite relation avec Gand dont 
ils fréquentaient le marché. 


IL. 


Gand et la navigation fluviale en Flandre. 


8 I Le transit obligatoire des Grains par Gand. 


De tout temps les voies de communication fluviales ont 
prévalu en Flandre, dont le sol se prêtait mal à l'établissement 





1) 4 Novembre 13567, DE LIMBURG-STIRUM, Cartulaire de Louis de 
Male, I, p. 607. 

2) 16 Juin 1396, Archives du Nord-Lille, B 1598, fol. 41vo. 

8) Requête des échevins de Douai, 28 Juillet 1627. Archives de Gand, 
liasse 38, p. 57. 

4) Lettre des échevins de la ville de Douai au Gouverneur Général, 
13 Mars 1641, Anc. Conseil Privé, carton grains. 

5) Lettres de Henri VIII autorisant la ville de Tournai à lever un droit 
sur les grains (?) qui passent en cette ville par l’Escaut. Westminster. 
26 Février 1513 (1514, n. st.). Ord. des Pays-Bas, 2° série, t. I, p. 286. 
Cf. les prétentions de Tournai à un «missus» au XVI: siècle, p. 447. 


402 G. Bigwood 


de grandes routes '). Les villes n’hésitèrent pas à faire à grands 
frais des travaux d'art en vue de vaincre les difficultés que 
rencontrait l’établissement de canaux”). L'importance des cours 
d’eau et l'utilité qu’ils présentaient ont amené les villes, con- 
fotmement au droit de l’époque”), à revendiquer et à se faire 
reconnaître la propriété du courant des eaux et des rives qui 
les bordaient ‘). 

Au XIV® siècle, il n’existait guère que deux voies permettant 
facilement aux productions de la partie méridionale du comté et 
des principautés limitrophes de se diriger vers la mer. La 





1) «... et duquel pays de West, où quel est assise la dicte ville d’Yppre, 
la terre est tele et si mole tenace et parfonde en la saison d’iver, que on 
n’y puet mener par charroy vivres, denrées, ne marchandises d’une ville à 
autre, Et pour ce d'ancienneté et par nécessité contraincte a esté trouvé et 
advisé, pour le bien publique dudit pais et des habitans d’icelui, de faire 
audit West païs cours ou courans d’eaues que l’on appelle, ou langaige 
commun oudit païs, l’Ypprelet, binlauvard, le linque et autres courans qui 
ont plusieurs branches servans aux villes dudit païs vers occident.» Mémoire 
des Yprois au Parlement de Paris, charte n° 892 de l’Inventaire de J. Dıe- 
GERICK, II, p. 168. Sur l’état des chemins du Franc de Bruges, cf. préam- 
bule des lettres de Charles V du 12 Décembre 1515. — CH. LAURENT, Re 
cueil des Ordonnances des Pays-Bas, 2° série, I, p. 444. 

2) «Et pour ce que la terre dessus dicte en plusieurs lieux est mal dis- 
posée pour y faire rivière, car elle est en aucuns lieux haulte et en autres 
basse, l’on a d’anchienneté trouvé et advisé d’y faire certains engins que l'on 
appelle overdrachs, par lesquels l’on retient l’eaue. Et sont iceulx over- 
drachs édifiés assis au travers de l’eaue, lesquelx édifices par roes et cordes 
l’on tire pardessus la terre retenant les dictes eaues, les nefs, tant chargiez 
comme wides, d’une eaue à l’autre, soit en avalant ou en montant.s Même 
mémoire. 

Les francs bateliers de Gand dépensèrent 325000 florins pour construire 
l’écluse de Pamele-lez-Audenarde, plus de 275000 florins pour la construction 
de celle de Harlebeke, et 215000 florins pour rendre la Lys navigable, par 
l'établissement d’une écluse à Commines. Cf. Mémoire des magistrats de 
Gand (XVIII: s.). Archives de Gand, série 180, carton 29. Sur les overdraghs 
et les conditions de navigation en West Flandre, voir DESCHAMPS DE Pas, 
Annales du Comité flamand de France, VI, 210, et GILLIODT8, Glossaire de 
l’inventaire des archives de Bruges, v° overdrach. 

8) Cf. CH. Duvivier, L’Escaut est-il flamand ou Brabangon? Bull. 
Acad. Royale de Belgique, 1899, p. 722. 

4) Sur les droits d’Ypres sur l’Yperlée, voir le mémoire déjà cité. 


Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV* au XVIII" 8 403 


première utilisant la Lys et l’Escaut, passait par Gand. La 
seconde était celle qui avait Ypres pour centre. 

Grâce à l’Yser canalisé dès 1251, Ypres était en communi- 
cation fluviale directe avec Nieuport, d’où il était facile aux 
navires de se rendre par divers cours d’eau à Furnes, Dunkerque, 
Bruges, Gravelines, etc.!). L’Yperlée, depuis 1166, servait de 
communication entre Ypres et Bruges par Dixmude*). Restait 
à assurer les communications d’Ypres avec l’Artois et le Hainaut. 
Pour ce faire les Yprois établissent sur la Lys, rivière qu'ils 
soutenaient être publique*), une étape on entrepôt, d'abord à 
Commines puis à Warneton, au moyen d’une chaussée qu'ils firent 
paver“). Désormais, ils peuvent «mener et deschargier blez, par 
eulx achetez, prins et levez esdictes villes de Béthune et Lisle et 
autres, audit lieu de Warneston et d’illec les mener par charroy 
a Yppre et illee dispenser ou vendre publiquement à autres 
marchans, fuissent de dehors ledit païs ou de dedans. Et iceulx 
blez l’en a mené par lesdictes eaues aucunes fois d’Yppre à 
Bruges, à Diquemue, à Neufport et autre port sans ce que iceulx 
d’Yppre aient esté aucunement en ce troublez, ne empeschiez de 
leurs drois, possessions et saisines par quelque défense ou ordon- 
nance faiz par lesdis contes et contesses de Flandres’). 

1) Cf. le mémoire cité qui donne quelques détails. 

2) WARNKÖNIG, Hist. de Flandre, trad. Gheldolf, II, p. 187. | 

3) «Et laquelle rivière (la Lys) est publique et loist à ung chascun dy 
navier et mesmement les dicts d’Yppre y ont de tout temps mené et fait 
mener blez amont et aval, leurs laines, fruis, blé et autres denrées et mar- 
chandises.» — IBIDEM. 

4) «Et afin que yceulx d’Yppre peussent avoir fréquentation et communics- 
. tion de marchandise vers Orient et France avecques ceulx des païs d’Artois 
et de Haynau, et des païs et villes de Douay, Orchies, Cambray, Béthune et 
autres lieux vers France, ceulx d’Yppre de sy longtemps qu’il n’est mémoire 
du contraire, ont mené et fait mener leurs denrées et marchandises venant 
de dehors et dedens le dit païs de Flandres, et de la dicte ville d’Yppre à 
Commines sur ladicte rivière du Liz, où ils eurent certain upslagh que l’on 
dit estaple. Et depuis pour la profondeur des chemins ont eu le dit estaple 
à Warneton aussi sur le Liz, qui est à deux lieues dudit lieu d’Yppre et en 
la juridiction d’iceulx d’Yppre, et, par urgent nécessité, a convenu aux dicts 
d’Yppre faire paver le chemin jusques audit lieu de Warneton, car autre- 
ment ilz n’eussent pu avoir accès à la dicte rivière du Lis. Memotre cité. 

5) Ibidem. 


404 G. Bigwood 


Les choses durèrent ainsi jusqu’en 1424. Cette année la, 
sur l'intervention des Gantois qui étaient menacés de voir leur 
commerce détourné de la voie ordinairet), le comte de Flandre, 
Philippe le Bon, prononça comme arbitre sur le différend survenu 
entre les deux villes. Il décida?) que les grains étrangers, 
descendant par la Lys pour être déchargés à Warneton et trans- 
portés de là par l’Yperlée ne pourront être menés hors du pays, 
et que toutes autres marchandises «venant de dehors le dit pais 
de Flandre» remontant l’Yperlée et arrivant à Warneton, ne pourront 
remonter la Lys pour sortir du comté. 

Du coup, le commerce extérieur et de transit d’Ypres était 
atteint et Gand se voyait sur le point de réaliser le monopole 
qu'il ambitionnait. 

Toute transgression était frappée d’une amende de soixante 
livres parisis, tant à charge du batelier que du marchand et afin 
d’amener l'observation de la sentence, le duc Philippe autorisa 
l'établissement d’un commis à Warneton qui pouvait «prendre le 
serement des marchans et navieurs, illec passans, qu’ilz ne men- 
raient point lesdis grains, biens et marchandises hors dudit 
pais de Flandre, contre la dicte ordonnance» °), 

Ypres appela de la sentence et envoya des délégués au 
nombre de douze auprès de Philippe alors à Lille à qui ils 
signifièrent l’appel de leurs mandants. Le duc de Bourgogne 
les fit emprisonner pendant douze jours. Pour mieux réserver 
ses droits et marquer sa protestation, le magistrat refusa de 
rendre désormais la justice; d’accord avec son souverain, alors 
absent du comté, «pour la paix, union et transquillité du pais 


1) En 1416, on canalisa l’Yperlée jusqu’à l’Ecluse en passant par Bruges. 
O. DELEPIERRE, Précis analytique, t. I, p. 64. Sur le désir de Bruges d’être 
en communication avec la Lys et l’opposition de Gand, voir PIRENXNE, His 
toire de Belgique, II, p. 189. 

2) Sentence du 12 Mai 1424. Placards de F'landre II, p. 659; Archives 
de Gand, série 110bis n° 1 f. 4. Le préambule de la sentence mentionne que 
les parties ont été longuement entendues, néanmoins dans leur mémoire au 
parlement de Paris, les Yprois soutiennent qu’elle a été rendue «sans les 
oyr ne appeller». On n’a malheureusement plus les pièces de procédure et les 
mémoires échangés. 

3) Mémoire cité. 


Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV* au XVIII-8. 405 


de Flandre» l'appel fut tenu en surséance et «eurent iceulx 
d’Yppre provision de faire loy sans préjudice de leur dit appel !). 

Ypres fit donc ajourner le comte et intimer les parties adverses 
«aux bretesques de la dicte ville de Lisle, veu que audit lieu 
de Gand l’on ne povoit avoir seur accès»), Il aurait voulu 
pouvoir réunir des témoignages relatifs aux atteintes portées à 
ses droits, mais son prévôt n’y put réussir. L’affaire resta plusieurs 
années en surséance. En 1432, les Gantois se plaignant des 
innovations introduites depuis le traité de Tournai (18 Dé- 
cembre 1385)°), annoncèrent leur intention de supprimer ou faire 
supprimer l’Yperlée lui-même. Ils envoyèrent onze députés auprès 
du magistrat de Bruges et de celui du Franc, mais sans succès. 
Philippe le Bon nomma une commission de cinq membres chargés 
de se rendre sur les lieux et d’écouter les intéressés. Elle était 
autorisée à suspendre au besoin la navigation, tous les droits 
saufs et en attendant la décision du prince“). 

Sur l’instigation des Gantois et malgré les protestations des 
délégués de Bruges, du Franc et naturellement aussi d’Ypres, 
les commissaires firent enfoncer des poteaux dans le cours de 
la rivière près de Nieuport®). Seules de petites barques pouvaient 


1) Mémoire cité. Lettre de non préjudice de Philippe le Bon, du 2 Juin 
1433 et arrêt du Parlement de Paris, du 5 Juin 1483. — DIEGERICK, nos 885 
et 886. 

2) Ibidem. 

3) Cf. PIRENNE, Histoire de Belgique, t. II, p. 200. 

4) ... «Et sur ce commist lesdiz Monseigneur de Haluin et de Moekerke, 
chevaliers, Hector de Veurhout, Maistre Guillaume le Zadelaire et Tristram 
le Stier, ausquelx il donna povoir de mettre de par lui et de son auctorité 
estaques ès lieux dudit Yppellet ou bon leur sembleroit, afin que aucunes 
nefs n'y paissaissent plus grandes que par les diz commis seroit advisé et 
lesquels estaques y demourroient jusques à ce que par le dit seigneur en 
fuist autrement ordonne.» Mémoire cité. 

5) «Non obstant laquèle appellacion (que fit Ypres dès qu'elle connut 
l'ordonnance) les dis commissaires à la requeste et pourchas d’iceulx de Gand, 
ont fait mettre et asseoir estaques audit cours d’Yppellet en dehors de la 
dicte ville de Neufport assez près d’un overdrach nommé en langaige du 
païs Traghesoverdrach d’un costé le lieu dit Nieuwendam *) en l’éritaige d’iceulx 
d’Yppre à la longueur de huit à neuf piez d'ouverture. Mémotre cité. 

*) Nieuwendamme. Fort, dépendance de Mannekensvere. 


406 G. Bigwood 


réussir à passer'). Les Gantois ne mirent plus de retenue dans 
l'expression de leur joie et des bateliers de Gand injurierent des 
marchands d’Ypres dans le port de Damme”. Après que les 
commissaires comtaux eussent indagu& dans diverses localités 
notamment à Commines et à Verwicq en vue de s’enquérir du 
régime de la Lys, Philippe rendit le 5 décembre 1432) une 
ordonnance réglant la navigation de l’Yperlée. 

Il fit enlever les poteaux qui obstruaient le cours de la rivière 
et autorisa la navigation entre Bruges d’un côté et Calais et 
St Omer de l’autre, libre de toute entrave, même pour les 
marchandises de provenances étrangères. Les villes de West- 
Flandre avaient également la libre navigation de l’Yperlée, mais 
la sentence de 1424 devait restée en vigueur notamment en ce 
qui concernait les grains descendant la Lys, débarqués à Warneton 
pour être transportés jusqu’à l’Yperlée; ils ne pouvaient sortir 
du pays. Les Gantois obtenait le droit de placer à Warneton 
deux gardes qui pouvaient exiger des marchands et des bateliers 
le serment que les blés qu’ils débarquent ne sont pas destinés 
à sortir du pays par la rivière yproise. L’amende était doublée 
et, de plus, le comte comminait un bannissement de dix ans. 
Les Gantois s’empresserent de faire défense «aux bailli, advoe 
et eschevins dudit lieu de Warneston» de laisser «passer par la 
dicte rivière du Liz en amont aucuns biens, vivres et marchan- 
dises sur peine d’estre de ce puniz»*), fait d'autant plus extra- 
ordinaire que Warneton ressortissait d’Ypres et non de Gand. 
Quoiqu'il en soit, Warneton obéit et fit respecter l’ordonnance. 

De celle-ci évidemment les Yprois avaient interjeté appel au 
Parlement de Paris devant lequel ils hâtèrent la procédure. Les 


1) «Et combien que les dictes estaques aucunes nefs qui y soulaient 
passer, comme aucuns grans houchemens ou flectes, n’y povoient passer, toutes 
voies les dis de Gand, non contens de ce, firent tout que, par leur importu- 
nité, les diz commissaires firent encoires plus restressier la dicte ouverture et 
estaquèrent tèlement qu’ilz n’y pouoient passer que bien petites et estroictes 
nefs pour mener compenages». Mémoire cité. 

2) Ibidem. 

3) DIEGERICK, n° 884. L’ordonnance rappelle les faits qui l’ont motivée 
et est d’accord avec le mémoire des Yprois, lequel la paraphrase. 

4) Mémoire cité. 


Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV: au XVIL*s. 407 


commissaires du prince ajournés et les échevins de Gand 
intimés firent défaut malgré trois sommations de comparaître. 
Le 16 juillet 1435, le Parlement par son arrêt rétablit les Yprois 
dans tous les droits et privilèges dont ils jouissaient autrefois 
quant à la navigation sur la Lys et !’Yperlee'), La guerre 
empêcha l'arrêt d’être mis a exécution et Charles VII dut, le 
4 Janvier 1437 (n. st.)?), ordonner à ses huissiers du parlement 
de l’exécuter et d’ajourner quiconque chercherait à y mettre 
obstacle. | 

Les Gantois restèrent en fait en possession de leur privilège 
et sous la régence de Maximilien jugèrent le moment opportun‘) 
pour se le faire confirmer solennellement. Par lettres patentes 
du 14 Avril 1486“), Maximilien et Philippe le Beau confirment 
et au besoin octroient le droit d’étape tel que le duc Philippe 
le Bon l’avait consenti, en 1424, et tel que les échevins et les 
deux doyens de la ville le leur avaient précisé dans leur requête. 
Cette dernière représentait que «toutes manières de grains venans 
et deschendans par navire ou autre bateau de hault et parmy la 
rivière du Lys ou de l’Escault jusques au courant de Flandres 
pour estre venduz et delivrez hors de (nostre) pays de Haynnau 
en d’autre pays, villes, places ou contrées de dehors (nostre) dit 
pays de Flandres, par chariot ou autrement parmy nos villes de 
Courtray, Audenarde, Alost, Tenremonde, Grandmont, Menene, 
Ruplemonde, Hulst, Axele et Assenede et avec ce que les grains 
qui ont creu dedans icellui pays de Flandre et mesmement au 
quartier et es chastellenies de nos dittes villes, lesquels l’on veult 
vendre et mener hors de (nostre) dit pays de Flandres, doivent 
aussy estre amenez en nostre ditte ville de Gand comme a leur 
vray estaple». Gand rappelait qu'il avait l'habitude d'envoyer 
des députés en plusieurs villes de Flandre afin de poursuivre 
ceux qui contrevenaient à cette obligation, mais que les troubles 


1) DIEGERICK, n° 892. 

2) DIEGERICK, n° 900. 
| 3) Le roi des Romains rappelle expressément l’aide qu’il reçut des francs 
bateliers. 

4) Du Bois et d'HONDT, Coutumes de Gand, II, p. 87; ces lettres ont. 
été rendues exécutoires par celles du 14 Juin 1486. Ibidem p. 89. 


408 G. Bigwood 


qui avaient marqué les derniéres années avaient nui à ses pré- 
rogatives et par suite au tonlien du prince établi sur l’Escant 
et la Lys. 


L'opposition fut générale. On la prévoyait, car Gand avai 
chargé un huissier de la chambre de conseil en Flandres de 
publier les lettres d’octroi qu'il venait d'obtenir. Les 2 et 3 Sep- 
tembre 1486, il se présenta à la chambre des échevins d’Alost, 
sommant ces derniers de lui laisser faire les publications requises. 
On lui déclare que la ville avait appelé et appelait de nouveau. 
Même demande et même réponse, le 3 Septembre, à Termonde. 
Du 15 au 19 Septembre, l’huissier se rendit à Hulst, Axele, à 
Assenede et à St Nicolas. Sauf à Assenede, où l’écoutète et les 
échevins consentirent à faire la publication demandée, partout 
l'huissier fut accueilli de la même façon). 


Qu’advint-il de ces appels? Faut-il voir dans la lutte judiciaire 
qui s'était engagée la cause pour laquelle Ypres songea à exécuter 
la condamnation aux dépens dont Gand avait été frappé en 1435 
par le Parlement de Paris? Toujours est-il que nous voyons 
la ville d’Ypres en décembre 1499, faire vidimer l'ordonnance 
de Charles VII du 4 Janvier 1436 (1437 n. st.) et l’arrêt du 
parlement du 16 Juillet 1435 °). 


Aucune solution n’intervint?) et de rechef les Gantois s’adres- 
serent au souverain. Cette fois-ci, c’est Charles V, leur concitoyen, 
qui est saisi de la question et la solution qu'il lui donne ne 
pouvait être douteuse. Pour éviter toute discussion, le prince 
d'Espagne accorda à sa ville natale par forme de nouveau privilège 
le droit d'étape de tous grains venant de Béthune, Aire, Lille ou 
d’ailleurs, le long de la Lys, arrivant à Warneton et destinés à 


1) Procès verbal du 22 Septembre 1486. Ibidem p. 40. 

2) DIEGERICK, nos 1356, 1357 et 1358. 

8) Le préambule de l’édit du 4 Avril 1514 (a. st.) reproduit la requête 
des échevins et doyens de la ville lesquels rappellent les raisons justifiant 
leur privilège, les décisions antérieures (1424, 1432 et 1486), l’opposition des 
villes flamandes notamment d’Ypres, l’appel au Parlement de Paris et insistent 
sur ce que leur prétention ne vise que le transit des grains destinés à l’ex- 
portation hors de Flandre. 


Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV: au XVIII 8 409 


l'exportation, lesquels sont tenus de suivre le cours d’eau jusqu’à 
Gand !). 

Toute tentative de se soustraire à cette obligation et de 
prendre une autre voie est punie d’une double amende de soixante 
livres parisiss (Comme mesure préventive, Charles autorise la 
ville de Gand, à établir deux gardes à Warneton et dans ses 
environs, si nécessité il y a, lesquels ainsi que tous les officiers 
du prince, ont le droit d'exiger des marchands, des bateliers et 
de tous autres à Warneton et dans les environs, le serment que 
leur marchandise ou cargaison n’était pas destinée à l'exportation, 
en violation du droit d'étape; peine en cas d'infraction: 60 livres 
parisis. Charles V déclara sa décision exécutoire nonobstant 
opposition ou appel, la connaissance de celui-ci réservée au conseil 
de Flandre. 

Les prévisions de Charles V se réalisèrent. L'opposition fut 
unanime: pour la vaincre, il ordonna à tout huissier ou officier 
de justice de faire publier dans les villes intéressées le privilège 
qu’il a concédé aux Gantois, de le faire mettre à exécution 
nonobstant les réclamations, protestations et appels, et d’ajourner 
devant le conseil privé quiconque s’opposera à la dite exécution 
ou refusera de se soumettre (12 Août 1515) ?). 

Les Gantois sans perdre de temps firent arrêter à Dixmude 
deux bateaux chargés de grains, ce qui amena Ypres, à envoyer 
le 18 Août 1515, son pensionnaire fondé également de pouvoirs 
des villes de Bruges, Lille, Béthune, Warneton, Nieuport, à Dix- 
mude où sur la place du marché, en présence dù bailli et de 
l’écoutête, il déclara appeler de la décision du prince, et somma 
l’écoutête de relacher moyennant caution suffisante les deux 
bateaux. Cette démarche resta sans effet *} 

Le 21 Août, l’huissier d'armes Martin de Beer se présenta à 
la salle échevinale où il somma les avoué et échevins d’Ypres, 
sous peine d’une amende de mille livres d’or chacun, de faire 


1) Lettres du 4 Avril 1514 (1515 n. st.). — CH. LAURENT, Recueil des 
Ordonnances des Pays-Bas, 2° série, t. I, p. 351. 

2) DIEGERICK, n° 1460 et Archives de Gand, série 110bie, n° 1 f. 88 à 86. 

3) DIEGERICK, n° 1458, Instrument notarié dressé par Pierre Bollin, 
notaire apostolique du diocèse de la Morinie. 


410 G. Bigwood 


immédiatement la publication des lettres d'octroi. Les échevins 
répondent qu'ils ont appelé et appellent de nouveau. Fort des 
lettres du 12 Août, l’huissier les met en état d’arrestation aux 
Halles. Le 25, voulant faire lui-même la publication, il trouve 
la bretèque fermée, ainsi que la porte donnant accès aux cloches, 
mais apercevant une fenêtre ouverte à côté de la bretèque, il 
s’avanga jusque-là et y publia à haute voix l’ordonnance. I 
leva ensuite les arrêts des échevins et du sous-bailli et les ajourna 
à comparaître le 11 Septembre devant le conseil privé ?). 

Martin de Beer continua sa tournée: le 28 Août il est à 
Armentières, le 31 à Lille, le 3 Septembre à Dixmude, le 4, à 
Nieuport, le 5 à Furnes, le 7 à Bruges. Partout il reçoit le 
même accueil et il ajourne les magistrats de ces localités devant 
le conseil privé ?). 

Le procès dut suivre son cours *); le 2 Décembre 1516, Charles V 
y intervint pour décider que tous droits saufs, tous les attentats 
commis contre l’ordonnance du 4 Avril 1514 (1515 n. st.) devaient 
être réparés de part et d'autre et que la clause nonobstant 
opposition ou appellation insérée dans l'octroi sera tenue en 
surséance. Il ordonnait, en outre, une enquête“). Celle-ci devait 
se tenir dans les six semaines, néanmoins nous le voyons, le 
28 Mai 1517°), ordonner à tous huissiers ou officiers de justice, 
de faire mettre cette sentence à exécution nonobstant toute voie 
de recours. 

Le monopole d'exportation échappait donc à Gand. Il ne 
réussit pas à le ressaisir. Après la révolte des Gantois, la charte 
de 1486 leur fut confisquée. Du reste, les défenses réitérées‘) 
d'exporter le blé rendaient illusoire tout privilège de cette nature. 


1) Déclaration de Martin de Beer, huissier d’armes, du 21—25 Août 
1515. Instruments notariés dressés par Wautier Domeneit, notaire aposto- 
Jique du diocèse de la Morinie des 21 et 25 Août 1515. — DIEGERICK, 
nos 1461, 1462, 1463. Il y a quelques divergences de détail. 

2) Archives de Gand, série 110bis, n° 1 f. 37, 38, 39, 81 vo, 40. 

8) Les archives de l’ancien conseil privé sont perdues pour cette époque. 

4) DIEGERICK, n° 1471. 

5) DIEGYRICK, n° 1477. 

6) Cf. notamment les ordonnances des 8 Mai 1515, 12 Décembre 1516, 
26 Novembre 1520, 19 Août 1522, 19 Novembre 1522, 24 Mars 1524, 18 Oe- 


Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV’auXVIlles. 411 


$ 2. Le privilège de rupture de charge. 


A la tête de l'opposition de Gand, se trouvait naturellement 
le métier des bateliers, des francs navieurs. Ce métier, un des 
plus puissants et riches de la ville, avait réussi à obtenir de 
nombreux privilèges. 

Il chercha à s’assurer le monopole de la navigation sur la 
Lys et l’Escaut ainsi que la Lieve. Mais ce ne fut que lentement 
qu’il y arriva et il se heurta à de vives oppositions. 

La plus ancienne que nous connaissions remonte au milieu 
du XIV® siècle. Un conflit s’eleva entre Gand et Douai et plus 
spécialement entre les bateliers des deux villes. Il se termina 
par un accord conclu du consentement du comte le 4 Novembre 1357. 
Il fut entendu que les marchands de Douai pourront descendre 
V’Escaut avec leurs bateaux et leur personnel jusqu’au port de 
Gand, sans que les bateliers gantois aient à s’en mêler. Si les 
marchands de Douai chargeaient leurs blés à Tournai sur des 
bateaux de Gand, ils pouvaient circuler sur le fleuve et même, 
dépassant Gand, charger en aval et remonter vers Douai, le tout 
sans «deschargier en autre neif». Par contre, l’emploi des bateaux 
et des bateliers gantois était obligatoire lorsque les douaisiens 
voulaient charger à Gand des marchandises y arrivant par la 
Lieve !). 


tobre 1527, 23 Septembre 1531. — CH. LAURENT, Recueil des Ordonnances 
des Pays-Bas, 2ème série, I, p. 397 et 444, II, p. 48; 228: 247; 815; 481; 
II, 232. 

1) «Item quant as navieurs de la dicte ville de Gand sur les complaintes. 
que les bonnes gens de Douay faisaient des nouveletes à euls faites sur la 
rivière, tant en la ville de Gand comme à avaler d’Audenaerde; accordé est 
que toutes fois que les marcheans de Douay avaleront d’Audenaerde à Gand 
étant leurs neifs chargiés de blé, il porront demourer sur leurs dictes neifs 
à tout telles gens et mesnies qu’il auront amenez et avaler jusques entre 
les deux pons de Gand dessus dis, sans ce que. les navieurs de Gand s’en 
aient à entremettre sil n’y sont appellés. 

«Item que en cas que les dessus dis de Douay auront chargiés leurs bleis 
à Tournay sur nefs de Gand et avaleront en ycelle ville; accordé est que 
ycelles neifs tant ainsi comme elles seront chargiés porront passer et passe- 
ront par la rivière quand elle sera ouverte et avaler sans remettre ou vindier 
en autres neifs, se dont nest qu'il le requierent proprement; et semblable- 


112 G. Bigwood 


Plus d’un siècle plus tard, nous voyons Charles le Téméraire 
(16 Janvier 1470)') n’accorder le libre passage par Gand pour 
les blés menés de Douai, Valenciennes, Lille ou Béthune en 
destination de Bruges que s'ils sont chargés sur des dornekins 
de Gand. 

Du reste, à ce moment, le métier des francs navieurs ou 
vry-schippers, connu également sous le nom de ’t geselschap van 
den Watere?), est constitué avec tous ses droits et son organi- 
sation interne. Déjà par son ordonnance de novembre 1436, 
Philippe le Bon lui confirme ses droits sur l’Escaut, la Lys et 
la Lieve avec tous leurs affluents*). Aux termes de ces privi- 
lèges, en amont de Gand, «chascun marchant pourra prendre tel 
navire desd. francqs navieurs que bon luy semblera et pour le 
pris qu’il pourra convenir avecq le navieur qu’il choisira*)», tandis 


ment en cas que les marcheans de Douay achatereront aval la rivière par- 
dessus Gand aucunes marchandises et feront chargier es nefs quil auront 
menées, ycelles neifs porront repasser par la ville de Gand paisiblement et 
monter amont sans deschargier en autre neif. 

«ltem quant de l’avoir et marchandises quelconques venans par la Lieve 
à Gand et qu’on charge en la dite ville, aussi dont ceulx de Douay se do- 
loient, pour tant qu’il ne pooient l'avoir ainsi venans chargier en leurs neifs 
ou autres telles comme il leur plaisoit; accordé est que pour tant que les 
navieurs de Gand maintiennent que chils poins reguarde leurs franchises, libertés 
et usaiges compris es privilèges dicelle ville, lesquels mons le contes (a) 
confirmiés et jurés, que chils poins demeure aus dis navieurs de Gand tous 
jours, moyennans et faisans as bonnes gens et navieurs de Douay favorable- 
ment toutes amitiés pour le marchandise soutenir et avanchier.» — DE LDI- 
BURG STIRUM, Cartulaire de Louis de Male, I, p. 607, n° DCLIV. 

1) Archives de Gand, série 180, carton n° 18. «Item ordonnons aussy 
que les Dornekins de Gand qui auront chargé bledz es villes de Douay et 
Valenciennes pourront passer par ladicte ville de Gand pour aller en nostre 
ville de Bruges tout sur un fonds sans décharger comme font les Dornekins 
qui viennent des villes de Lille et Béthune, sans ce qu’ilz soient tenux de 
deschargier et charger en aucuns navires.» 

2) DE PorrER, Gent, II, p. 7 à 57 et Archives de Gand, série 180, 
carton 18. 

3) Placards de F'landre, III, p. 660 et DE Porrer, Gent, IIL p. 10—11 
(note). Sentence des échevins, du 11 Février 1444. Arch. de Gand, série 180, 
Carton 18. 

4) Lettres patentes de Charles le Téméruire, du 16 Janvier 1470. 


Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV°au XVIII-s 418 


qu’en aval, de Gand, à Anvers, le salaire était fixe et de plus 
les marchands devaient employer le batelier dont c’était le tour’). 

Les nécessités de leur profession leur avaient fait adopter 
des bateaux de formes et de dimensions différentes”). Les plus 
grands, connus sous le nom de pleyten ne pouvaient être conduits 
que par les maîtres; les compagnons pouvaient mener des 
duermescepe dits sneys, quant aux cnopen, ils ne pouvaient jamais 
avoir la direction d’un bateau. 

Le privilège des Gantois à l'égard des autres bateliers flamands 
est consacré dans une ordonnance de Charles le Téméraire, rendue 
après enquête, le 1° Septembre 14755), à propos d’un procès 
intenté au métier des francs-bateliers; s’il y a un franc-batelier 
ou simplement un bateau avec un valet, à Bruges, à Anvers, à 
Damme ou à l’Ecluse et que quelqu'un veut transporter du blé 
ou d’autres marchandises au-delà de Gand, en passant par cette 
dernière ville, la préférence lui sera donnée. 

Des marchands de grains d’Anvers ne respectèrent pas ces 
privilèges et le magistrat de Gand les condamna à payer aux 
bateliers le frêt dont ils avaient été privés. Mais en 1485 
Maximilien, tout en permettant aux bateliers de Gand de charger 
à Anvers et dans tous les ports de mer, autorisa les Anversois 
à en faire autant à Gand, avec cette différence qu'ils ne pouvaient 
conduire leur chargement au delà de leur propre domicile {). 

Par son édit du 30 Avril 1540, Charles V avait d’un trait 
de plume anéanti tous les privilèges des Gantois et supprimé 
les métiers. Plusieurs villes®) voulurent profiter des dispositions 
de l'Empereur à l'égard de sa ville natale et lui présentèrent un 
mémoire lui exposant les dommages qu’elles avaient essuyés de 
la part des bateliers gantois. Après une série d'incidents de 


1) Mêmes lettres patentes. Les doyens du métier devaient visiter les 
bateaux aux moins une fois l’an. 

2) Sur les nombreuses dénominations de bâtiments, voir Dx POTTER, 
loc. cit., p. 37—89. 

3) Archives de Gand, série 180, carton 18. 

4) DE POTTER, Gent, III, p. 10. 

6) Anvers, Malines, Courtrai, Audenarde, Menin, Lille, Douai, Orchies, 
Mons, Valenciennes, Aire, St Omer, S' Venant et Armentières. 

Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 28 


414 G. Bigwood 


procédure, Charles V rendit le 14 février 1540 (a. st.)') une 
sentence qui va fixer pour longtemps le droit des intéressés. 

Il commença par rappeler?) que les rivières de l’Escaut et 
de la Lys appartiennent au souverain et que la liberté de la 
navigation prétendue par les villes en était exclue. Puis i 
réglementa l’usage des deux cours d'eau. Tout batelier peut mener 
toutes marchandises à Gand, et peut en cours de route rompre 
charge et changer de bâtiment. Les marchandises amenées à 
Gand sur d’autres bateaux que ceux des bateliers de la ville ne 
peuvent passer en transit qu'après avoir été déchargées et rechargées 
sur un bâtiment gantois. Il va de soi que ces derniers peuvent 
transiter librement. 

On voit de suite que l'intérêt des marchands sera de toujours 
recourir à des bateliers et à des bateaux gantois chaque fois 
qu’ils ne seront pas certains de ne pas devoir dépasser Gand, 
ne fût ce que pour partie de leur cargaison. 

Ces avantages entrainaient des obligations et l’édit en impose 
de nombreuses. C'était surtout l'obligation d’être toujours prêts, 
de se soumettre deux fois l’an à l'inspection des échevins, de 
charger là où il plait au marchand, d'effectuer le voyage aussi 
rapidement que possible, de se contenter de salaires fixés par 
l’edit, le tout sous la responsabilité du métier tout entier vis à 
vis du marchand préjudicié*). 

A la suite du creusement du canal du Sas de Gand (1547), 
les Gantois obtinrent de Charles V*) que les marchandises venant 

1) Placards de Flandre, III, p. 668. Des édits des 24 Juillet et 
12 Décembre 1541 achevèrent de réorganiser le métier. Ibidem, p. 673 
et p. 674. 

2) Une décision antérieure du 7 Octobre 1540 avait déjà décidé ces deux 
points. Il est à noter que Charles V était bien disposé à l’égard des bate- 
liers, qui avaient pris son parti contre la ville en révolte. 

3) L’edit prévoit que les navires allant de Gand vers la mer (demy 
pleytes, seyen, dornickins ou bacquets) ont pleine charge quand ils ont 
52 muids de blé, mesure de Gand, bien que les bateliers puissent être con- 
traints de charger 90 muids. La pleine charge des navires venant d'Anvers 
ou Malines, à destination de Tournai, Condé, Valenciennes, Lille, Courtrai, etc. 
est de 42 à 43000 livres ou de 13 à 14 lasts de harengs. 


4) Ordonnances des 21 Mars 1551 et 6 Décembre 1556. Placards 
de Flandre, UI, p. 677 et 680. 


Gand et la circulation des Grains en Flandre, duXIV’auXVIll’s. 415 


du Sas ne pourraient être déchargées ailleurs qu’à Gand et autrement 
que par les soins exclusifs du métier des francs navieurs. 


La situation créée par l’édit de 1541!) valut au métier des 
bateliers la tranquillité et la prospérité. Ce n’est pas cependant 
que des difficultés ne surgirent de temps à autre. (C’est ainsi 
que la question des salaires leur valut quelques procès. 


Cette prospérité suscita des concurrents. A côté des cfrancs 
navieurs», Gand comptait des bateliers libres qui ne jouissaient 
pas du privilège des autres. Désireux de supplanter leurs rivaux, 
ils proposèrent au prince de leur accorder le libre passage et de 
les dispenser de la rupture de charge, offrant de payer une taxe 
sous forme de nouvelles impositions. L'offre était tentante et les 
francs-bateliers comprirent le danger. Le magistrat de la ville 
les appuya et fit valoir les raisons qu’avaient eues les comtes 
de Flandre d'accorder au métier le monopole dont il jouissait, 
acquis en réalité à beaux deniers comptants en de multiples 
occasions *). Les Etats de Flandre eux-mêmes intervinrent et 
ge firent appuyés par une consultation des professeurs de droit 
de l’Université de Louvain ?). 


Par arrêt interlocutoire du conseil privé du 29 février 1648, 
ils eurent à justifier de leurs titres à leur privilège et par arrêt 
définitif du 26 Novembre 16635), il fut décidé qu'ils n'avaient 
pas fourni de justifications de nature à empêcher le Roi d'accorder 


1) Les édits de Novembre 1436 et du 14 Février 1541 furent confirmés sur 
requête du métier par les Archiducs, le 12 Maï 1608 et par le roi le 18 Août 
1622. Placards de Flandre, III, p. 676. | 

2) Accords conclus le 24 Janvier 1579 et le 21 Octobre 1592 entre les 
bateliers de Gand et les marchands d’Anvers et des provinces Wallonnes. 
Arrêts des 29 Juillet 1611, 13 Juillet 1615 et 7 Juin 1616. Ancien Conseil 
privé, carton grains et Placards de Flandre, II, p. 682; 685; 687; 
688; 690. 

3) Les échevins de Gand au Gouverneur Général, 17 Avril 1650. DE POTTER, 
Gent, I, p. 483, 484. 

4) Placards de Flandre, IIL, 693. Ce procès se complique d’une récla- 
mation parallèle poursuivie par les villes du Brabant, soutenues par nombre 
d’autres. Décision interlocutoire des commissaires du 29 Décembre 1651 et 
6 Février 1652. Arch. de Gand, série 154 bis, portefeuille 82. 

6) Archives de Gand, série 154bis, portefeuille 82. 


416 G. Bigwood 


aux bateliers non francs le droit de passer et de repasser par 
Gand, sans devoir y décharger. 

Bruges s’empressa de profiter du principe ainsi proclamé et 
demanda pour ses bateliers le libre passage par Gand. Elle 
l'obtient pour autant qu’il s’agit du commerce de et vers les ports 
du pays (29 Janvier 1664)!). Tournai obtint le même droit?) 
(1° Juillet 1665). 

Par arrêt de révision du 23 décembre 1670°), le Conseil 
privé tout en accordant aux bateliers libres de Gand, le passage 
par cette ville, reconnut aux seuls Francs-Navieurs, le droit de 
charger à Gand et d’y embarquer les marchandises. Malgré ce 
monopole restreint, la situation des bateliers empira et le magistrat 
fit de nouvelles démarches en leur faveur“), mais sans réussir”). 
Au début du siècle suivant, ils furent plus heureux quand ils 
obtinrent du conseil d’etat, le 13 Janvier 1711%), qu’il éconduisit 
les bateliers d’Audenarde qui réclamaient pour eux la même 
liberté. Pendant donc la première moitié du XVIII siècle, 
l'obligation de décharger à Gand existait pour tout le monde 
sauf pour les bateliers de Gand, francs ou non, ceux de Bruges et 
ceux de Tournai. Au milieu du siècle, les Ecclésiastiques et 
Membres de Flandre obtinrent le droit de faire approfondir le 
canal de Gand à Bruges et d’y faire de nouvelles coupures, mais 
l'octroi’) qui leur fut accordé stipula que «tous bateliers, marchands 
et autres y pourront naviger librement tant en montant qu’en 
descendant et de là passer dans toutes les rivières de la province, 
en toute tranquillité De plus, pour la plus grande aisance et 


1) Placards de F'landre, 11I, 694. Cf. les ordonnances des 29 Janvier 
et ler Août 1664 réglementant la navigation d’Ostende vers l’intérieur du 
pays. Zbidem, p. 695 et 697. 

2) DE PoTTER, Gent, IL, p. 14. 

3) Placards de F'landre, II, p. 694. 

4) DE POTTER, Gent, Ill, p. 15: requête du magistrat en date du 
81 Octobre 1676, demandant que tout au moins pour les produits nationaux 
la rupture de charge subsistât à Gand. 

5) Le décret du 10 Avril 1699 (Placards de Flandre, IV, p. 706) maintint 
en faveur des non francs bateliers de Gand le droit de passage. 

6) Placards de Flandre, IV, p. 706. 

7) 7 Janvier 1761. Placards de Flandre, V, p. 744. 


Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV° au XVIII°s. 417 


avantage du commerce on ne sera pas obligé d’observer le tour 
de Rolle prescrit par le métier des Bateliers, mais il sera à un 
chacun de faire choix de tel batelier qu’il trouvera mieux convenir 
pour son intéret et utilité particulière». (Cette double liberté 
n’était accordée qu'aux flamands, rien n’était innové à l’égard 
des étrangers à la province !). 

De pareils principes rompant avec les traditions et heurtant 
de puissants intérêts devaient provoquer de vives oppositions. 
Tandis que la plupart des villes de Flandres insistent pour 
Papplication de l'octroi, les francs bateliers de Gand, de Bruges 
et d'Ostende se plaignent, les premiers insistant surtout pour 
qu'on interdit le libre chargement à Gand et la faculté de naviguer 
à vide sur l’Escaut et la Lys. Marie Thérèse) considérant que 
tout privilège doit venir à cesser quand le bien public le requiert 
et que la question est purement une mesure de police, confirme 
la liberté concédée aux seuls flamands mais rétablit par provision 
le tour de role pour le commerce interne des Pays-Bas. Il 
était cependant permis aux bateliers de transporter leurs propres 
marchandises, et à tout marchand de choisir tel bateau qu'il 
trouvait convenable quand il le chargeait seul en entier. Comme 
conséquence de la suppression du libre choix, on rétablit la 
responsabilité du métier. L’Impératrice ne s'était pas expliquée 
clairement sur la situation spéciale de Gand. Sur requête des 
bateliers de cette ville, le gouverneur général reconnut à la fois 
l'obligation du tour de rôle et le monopole pour les francs bateliers 
de charger à Gand les marchandises à transporter aux lieux dé 
destination ?). 


Peu après, les tendances libérales reprirent le dessus. En 1763, 
les bateliers de Tournai obtinrent le libre passage par Gand et 
il fut admis que tant les bateliers de la Flandre que ceux de 
Tournai-Tournaisis auraient la liberté réciproque de décharger 
leurs cargaisons en tout ou en partie dans les lieux de leur 


1) Décret confirmatif du 18 Juillet 1758. Ibidem, p. 758. 

2) Edit intreprétatif du 27 Janvier 1756. Ibidem, p. 772. 

3) Charles Alexandre de Lorraine au magistrat de Gand, 18 Septembre 
1755. Placards de Flandre, V, p. 775. 


418 G. Bigwood 


passage, d’y en charger d’autres, à l'aller comme au retour) 
Une tentative du métier gantois de faire rapporter cette mesure 
echoua?); bien plus, elle fut suivie d’une concession identique 
accordée aux bateliers de Mons*) Les provinces de Flandre, 
Hainaut, Tournai Tournésis étaient donc soumises au même 
régime. 

Mais les francs bateliers de Gand, soutenus par le magistrat 
étaient tenaces et influents. Ils firent si bien“) qu’ils amenèrent 
le gouvernement à révoquer ctoutes les dispositions édictées pour 
procurer le libre passage par la ville de Gand» et à réglementer 
à nouveau la matière «en vue de n’exempter du changement de 
fond ou Last-Breken, que les parties du commerce pour lesquelles 
la liberté de passage par la susdite ville de Gand est essentielles. 
En conséquence‘), on proclama la navigation libre pour tous 
ceux qui ne passeront pas par Gand. Dans cette dernière ville, 
les francs bateliers ont le monopole exclusif de prendre charge, 
comme la faculté de faire changer de fond les marchandises qui 
y passent, sauf les exceptions prévues et limitativement énoncées. 
Parmi ces exceptions figurent les marchandises chargées sur des 
bateaux appartenant à des bateliers belges transportant des 
marchandises en destination d’un port de mer, et ne faisant que 
traverser Gand sans s'arrêter au delà. 

Tout batelier belge venant de la mer peut transiter par Gand 
avec son bateau et un bateau d’allègement. Les francs bateliers 
doivent, à la volonté du marchand, passer Gand sans y rompre 
charge. Quant aux bateliers non francs de Gand, à ceux de 


1) Charles de Lorraine au magistrat de Tournai, 18 Mai 1768. Ibidem, 
1164. 

2) 19 Octobre 1763. Ibidem, p. 998. 

3) 31 Octobre 1763. Ibidem, p. 998. 

4) En 1765 déjà (30 Novembre) ils obtinrent que le gouverneur général 
prit en considération leurs plaintes et requit du magistrat une série de ren- 
seignements et de documents pour éclairer sa religion. Archives de Gand, 
série 180, carton 29. — En 1767, ils remirent une supplique au gouverneur 
général de passage à Gand, et enfin, ils n’hésitèrent pas, en 1769, à fomenter 
une véritable petite émeute dans la ville — DE POTTER, Gent, II, 
p. 18 et ss. 

5) Règlement du 8 Novembre 1769. Placards de Flandre, VI, p. 997. 


Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV* au XVIIIe. 419 


Bruges, Ostende, Nieuport, Mons et Tournai, si le nouveau 
règlement leur accorde en principe la liberté de passage, il la 
limite par des dispositions restrictives dont la portée générale 
est de créer autour de Gand, jusqu’Audenarde, Courtrai et Ter- 
monde, une zone dans laquelle tout transbordement doit être 
effectué par les francs bateliers gantois. L'obligation du tour de 
role subsiste et l’on fixe le montant du fret et les salaires de la 
main d'œuvre. Des ordonnances ultérieures étendirent et con- 
firmerent les cas de libre passage‘): on est au début du règne 
de Joseph IH et la tendance est à la liberté. 

La multiplicité des exceptions fut une source de contestation. 
Les bateliers de Gand suscitèrent des difficultés à leurs rivaux, 
firent des saisies, agirent en justice et finalement se virent inter- 
dire de faire, notamment à l'égard des bateliers de Tournai, tout 
arrêt ou saisie, ils n’eurent que la faculté d’acter les contra- 
ventions qu'ils constateraient et de les communiquer au Gou- 
verneur général (21 Avril 1784) °). 

Ce fut le prélude d’une mesure plus radicale. Joseph II cinhérant 
dans les principes de liberté de commerce et de navigation entre 
les différentes Provinces et les différens sujets soumis à sa domi- 
nation aux Pays-Bas», décide que la liberté de passage sera 
générale pour ses sujets et que tous les procès seront tenus en 
surséance (10 Mars 1785)°). 

Les troubles des dernières années du règne de Joseph II 
favorisèrent l’opposition du métier gantois qui ne désarmait pas. 
Les procès reprirent contre les bateliers de Tournai; malgré un 
decret de surseance (3 Janvier 1788), les saisies de bateaux 
continuèrent. Les Etats de Flandre furent appelés à intervenir‘). 

Cette lutte du métier des Francs Bateliers est caractéristique. 
La corporation s'était formée à un moment où seul le monopole 
pouvait assurer des communications convenables pour le public 


1) 16 Mai 1780, 24 Février 1781, 12 Mai 1781, 8 Avril 1782, 7 Dé- 
cembre, 1782. Placards de Flandre, VI, p. 1006, 1007, 1008, 1020, 1016. 

2) Placards de Flandre, VI, p. 1022. 

3) Ibidem. 

4) Dépêche de l’Empereur au Conseiller-Procureur général à Tournai. 
Archives de Gand, série 180, carton 29. 


420 G. Bigwood 


et des bénéfices suffisants pour qui en jouissait. Devenue puis- 
sante et riche, elle n’hésita pas à faire de grands sacrifices, les 
uns pour soutenir ses princes ou sa patrie, les autres pour améliorer 
la navigation fluviale en Flandre!). Elle se considérait comme 
ayant acquis à titre onéreux les privilèges dont elle jouissait et 
dont le souverain ne pouvait la priver sans faillir à ses obligations. 

Mais des arguments aussi personnels devaient être soutenus 
par d’autres d’une portée plus générale. Les partisans du privilège 
gantois, flattant l'intérêt fiscal du prince, soutinrent que la rupture 
de charge était le seul moyen d’empécher la fraude dans la 
perception des divers droits et tonlieux. L'exemple allégué des 
Provinces Unies, qui s'étaient lors de la paix de 1648, réservé 
un droit identique pour toutes les marchandises arrivant dans 
leurs ports, la ruine de certaines industries flamandes, l’avantage 
des bateliers hollandais au détriment des belges étaient autant 
de corollaires que Gand faisait découler de ses affirmations. 

Plus sérieuse était l'argumentation des gantois quand ils 
disaient que Gand n'était pas une ville marchande, mais «fondee 
sur factorie, comme propre à cela, pour la commodité des rivières 
dont elle abonde, au transport des marchandises qui 8’y amènent 
de Hollande, Zelande et aultres endroitz»”). 

Mais si puissantes que furent longtemps ces considérations, 
elles devaient céder devant les nécessités économiques nouvelles: 
l'union des provinces belges, l’augmentation de leur trafic intérieur, 
leur interdépendance toujours plus grande, le principe de liberté et 
d'égalité de tous °). 








1) A plusieurs reprises le magistrat de Gand rappela les nombreux prêts 
consentis aux comtes de Flandre par les «Francs Navieurs», leur intervention 
dans les luttes intestines en faveur des princes contre les éléments d&mocra- 
tiques ou calvinistes de Gand, leur participation à des expéditions militaires, 
la construction d’écluses à leurs frais, etc. Archives de Gand, série 180, 
carton 29, et DE POTTER, Gent, III, 23 à 31. 

2) «Et de faict, l'on ne donnoit d'ancienneté aux habitans (se meslant 
du traficq et commerce) la qualité de marchant, mais de facteur, comme pré- 
prosez à la décharge et recharge de la marchandise au nom de ceulx qui en 
estoient les maistres et propriétaires.» Mémoire non daté (environ 1650). 
Archives de Gand, série 154bis, portefeuille n° 32. 

3) Nous verrons plus loin, à propos de l'étape des grains et des impôts 
_ sur la vente des céréales, ces mêmes principes invoqués par les opposants. 


Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV* au XVIII° 8. 421 


Le métier des Francs Bateliers disparut avec tout l’ancien 
régime lors de la conquête française !. 


$ 3. Le mesurage obligatoire. 


Les privilèges s’enchainent et s’engendrent. Celui des francs 
bateliers que nous venons d'étudier, aidé par le privilège de la 
ville que nous étudierons au chapitre suivant, produisit un autre 
droit exorbitant: le privilège des portefaix et des mesureurs jurés. 

Il est évident que le transbordement d’un bateau et le charge- 
ment en un autre nécessitaient l'intervention de portefaix et qu’ils 
s’accompagnaient d’un mesurage. Ce dernier était indispensable 
non seulement en vue de déterminer la quantité de blé soumise 
à l'étape, mais encore afin d'établir la base sur laquelle se 
levaient les droits de muddegeld?) et de zaemencoperie”). Ce fut 
même d’après le résultat de ce mesurage que se percevaient les 
droits de tonlieu à Termonde, à Rupelmonde, au Sas de Gand, etc. t). 
Entre bateliers et marchands le fret se payait également d’après 
le mesurage effectué à Gand. L'usage même s’introduisit de 
charger les bateaux au moyen de grands conduits ou tuyaux, 
en sorte qu'ils arrivaient à Gand sans qu’on en connut l'importance 
du chargement. Aussi pour éviter toute fraude les marchands 
faisaient convoyer leurs bateaux d’un valet ou garde des grains, 
lequel faisait procéder au mesurage; à leur défaut c'était le fac- 
teur (mackelaer) qui s’en chargeait?). 

Portefaix et mesureurs jurés s'étaient constitués en corporations 
sous le nom de Vrye Pynders et de Vrye Corenmetersf). A 
côté d’eux existerent de bonne heure des portefaix et des mesureurs 


1) Le 13 pluviose, an VII, on vendit comme bien national, l’ancienne 
maison des bateliers, pour la somme de 850200 frs. Archives de Gand, 
série 180, carton 29. 

2) Voir page 449. 

3) Voir page 449. 

4) Déclarations après enquêtes des échevins de Termonde et de Rupel- 
monde des 22 et 28 Avril 1574. Archives de Gand, série 349, n° 108. 

5) Enquêtes tenues par les notaires publics (vers 1574). Ibidem. 

6) Sur ces deux métiers voir: DE POTTER, Gent, III, p. 67 à 76; 1à 6 
VARENBERG, loc. cit. p. 8 et ss. — DreriCx, Mém. II, p. 122. 


499 G. Bigwood 


non francs qui furent en lutte constante avec les métiers officiels :). 
La concession Caroline (30 Avril 1540)°) supprima ces deux 
corporations et dès lors les fonctions de portefaix et de mesureurs 
des grains furent erigés en offices à la collation du premier 
échevin qui choisissait parmi les trois surenchérisseurs les plus 
élevés *). 

Les mesureurs et les portefaix eurent de nombreux conflits 
avec les marchands et les facteurs faisant le commerce à Gand. 
Ces litiges portaient quelquefois sur le salaire qui leur était dû‘), 
le plus souvent sur l'étendue du privilège leur concédé‘). 

Ce privilège consistait tout d’abord en ce qu’il était défendu 
de pouvoir transporter du blé arrivé à Gand, avant qu'il n’eut 
été mesuré avec les mesures officielles. Chaque transport devait 
être renseigné par le portefaix et consigné dans les livres du 
comptoir de l’étape‘). 

Si le privilège des deux corporations n’était pas contesté 
quand il s'agissait de blé arrivé à Gand ou qui y était trans 
bordé, par contre il l'était quand les portefaix et les mesureurs 
prétendaient exiger leur salaire de marchands qui ne faisaient 
que passer par Gand sans y décharger. Lorsqu’en 1664, des 
mesures favorables à la liberté furent prises, on ne reconnut plus 
le privilège que pour le blé soumis à l'étape ?). 

Immédiatement les intéressés firent un nouvel effort, rappelèrent 
les décisions antérieures qui leur avaient été favorables, soutinrent 


1) Sur le confit entre les vry et les onvry pynders, voir les ordonnances 
échevinales de 1399, 12 Novembre 1415 et 3 Mars 1498, citées dans de Poiter. 

2) Du Bots et d’HoxDT, Cout. de Gand, II, p. 140. 

3) Règlements des 13 Mars 1594, 6 Novembre 1784 (art. 61), etc. Ibiden 
p. 429, 478, etc. 

4) Cf. notamment une sentence du 5 Août 1886. Archives de Gand, 
série 349, n° 108. 

5) L’ordonnance du 15 Avril 1669 dans son préambule rappelle les sen- 
tences des 21 Mars 1438, ler Août 1510, 18 Août 1539, 10 Janvier 1595. 

6) Ordonnance des échevins du 25 Septembre 1685 rendue après deux 
décisions de justice en vue d'empêcher de nouveaux procès. Archives de 
Gand, série 95bis, n° 11, f. 40 vo. 

7) Ordonnance du 16 Janvier 1668. Archives de Gand, série 110bis, n° 1, 
f. 57. 


Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV* au XVIII’s. 493 


que leur intervention était indispensable pour fixer la levée des 
impôts et que s’il arrivait en fait que des grains n'étaient pas 
mesurés, c'était par faveur pour les marchands qui gagnaient du 
temps. Ils obtinrent gain de cause et le roi, par son édit du 
15 Avril 16691), reconnut leur droit, tout en réservant aux 
marchands la faculté de prouver le contraire. 

Ce ne fut que sous Marie-Thérèse, quand les principes de 
liberté triomphèrent plus complètement qu’au siècle précédent, 
qu’une ordonnance du 8 Novembre 1769*), proclama la liberté 
pour tous les intéressés de s'adresser à qui bon leur semblait, 
les dispensant «de tout assujettissement quelconque à quelques 
corps de métiers». 


II, 
L’Etape des Grains à Gand. 
$ 1 Son origine et ses causes. 


Lorsque les marchands s’installèrent dans le portus Gandensis, 
entre l’Escaut et la Lys, ce fut d’abord en face du château et. 
au bord de la rivière qu'ils s’établirent. La plus vieille partie 
du portus est précisément située devant l’eau (Quai aux Herbes, 
Graslei); c’est là que se trouvent les premières demeures et les 
plus anciens hangars des nouveaux venus. A proximité, ils 
établirent le forum, le marché au blé”). 

La partie de la Lys comprise entre le pont au bétail 
(Veebrugge) et le pont S* Michel désignée fréquemment par 
l'expression «tusschen brugghen» prit plus spécialement le nom 
de portus. Ce fut le port de Gand et durant de longs siècles, 
c'est la, en face de la Lieve, que s’arrêtaient les bateaux pour 
y décharger leurs cargaisons ou pour prendre un nouveau charge- 
ment. | 

Il est infiniment probable qu’à raison seule de l’importance 
de l’agglomération urbaine, tout batelier passant par la ville se 


— 


1) Archives de Gand, série 110bis, n° 1 f. 58vo, 

2) Art. XXVI. Placards de Flandre, VI, 997. 

8) Cf. Des MAREZ, Etude sur la propriété foncière dans les villes du 
Moyen-äge et spécialement en Flandre, 1898, p. 9. 10. 


494 G. Bigwood 


rendit de lui-même au portus et que tout marchand cherchät à 
écouler tout ou partie de ses marchandises au marché de Gand. 
L’attraction de la ville, la nécessité pour elle de s’alimenter du 
dehors, fit que naturellement de presque tous les coins du comté, 
les producteurs dirigèrent leurs produits vers la ville. De tous 
ceux qui lui étaient ainsi amenés, celui qui l’intéressait par dessus 
tout était le blé, indispensable à l’alimentation d'une population 
d'année en année plus dense, qui depuis longtemps avait renoncé 
à l’industrie agricole. 

De cette préoccupation des chefs de la population urbaine, 
que l’on retrouve du reste dans toutes les villes du moyen âge, 
naîtra la réglementation du marché avec ses traits caractéristiques 
d'une période économique nettement accusée"). A Gand, elle 
devait provoquer en outre le droit d'étape. 

Peu à peu, l'usage de décharger et d’entreposer à Gand tout 
ou partie des grains chargés sur les bateaux passant par la ville 
devint obligatoire: la coutume naquit et s’imposa. 

A quel moment précis, l’usage prit-il ainsi le caractère d’un 
privilège de la ville? Aucun texte connu à ce jour ne permet 
de l’affirmer, mais il est certain qu’au XIV® siècle la réglemern- 
tation du marché aux grains, se constitue et en même temps 
celle de l'étape. Des évènements accidentels, comme une mauvaise 
récolte, ont pu être l’occasion de certaines des mesures que nous 
voyons les échevins prendre à cette époque, maïs elles rentrent 
néanmoins dans le même ordre d'idées et ces circonstances n'en 
ont été que l’occasion ?). 

C'est ainsi que le 28 Avril 1350, les échevins obligent tout 
poorter qui a acheté du blé hors de l’échevinage de Gand à le 
porter à «l’etape>°), et qu’à la même époque tous marchands, 





1) Voir plus bas. 

2) C'est à l’occasion d’une famine que le 20 Novembre 1851, Louis 
‚de Male ordonne à son bailli de Gand de visiter avec les commissaires de la 
ville, les maisons et greniers de toute la chatellenie, et de contraindre chsem 
de ceux qui ont du blé à envoyer au marché de la ville trois gerbes par 
semaine. -— DE LIMBURG-STIRUM, Cartulaire de Louis de Male, I, 892. 

8) «Vort so wat mann die portre es ende coren coept buten scependom 
van Ghend, dat hij dat coren te Ghend bringhe ten staple ende els nieuwers 


Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV*° au XVIIIes. 495 


appartenant ou non à la ville, s’ils sont libres d’acheter du blé 
où ils veulent et de le conduire à Gand, sont tenus de laisser 
eau port» la moitié de ce qu'ils ont amené à l'étape, sauf à faire 
de l’autre moitié le meilleur usage qu'ils pourront}. Pareille 
prescription des échevins ne faisait que consacrer un état de 
choses ancien qui avait même déjà soulevé de l’opposition, 
notamment de la part des «navieurs» de Douai; l’accord du 
4 Novembre 1357 *), accorda à ceux de Gand «pour bien commun 
et pour obvier as malices et fraudes qui en che se poroient faire, 
que toutes les fois que nefs chargiés de blés et grains venront 
de la ville de Douay et aussi d’autres villes en la ville de Gand 
entre deux pons à leur estaple anchien, elles y seront tenues de 
demourer se il plaist as eschevins de la dicte ville de Gand, 
iusques à ung moys ou deux ou troys, en cas que la ville de 
Gand aura évident nécessité de estre pourveue et garnie de grains; 
et ycelle garnie souffisamment ou que li blés sera venus à 
raisonable et convenable feur, au regart des eschevins de la ville 
de Gand, les dessus dis de Douay porront avaler atout tele 
quantité de blés comme il auront et aler la en mieux leur plaira». 

Une ordonnance scabinale de l’année suivante (1° Juin 1358) °) 
précisa que tout blé arrivé d’amont, par les rivières à Gand 
devait être employé, pour moitié, à l’usage de la ville, l’autre 
moitié étant destinée au plat pays. 








en voere, up 4 #.» — N. DE PAUW, Voorgeboden der stad Gent in 
de XIVe eeuw., p. 48. Cf. même prescription le 1“ Juin 1358. Jbidem, 
p. 70. 


1) «Het is geordineert dat alle coepliede, wie zij zijn, vremde ofte poer- 
ters, zullen moghen bringhen ende coepen coeren buten, ende bringhent 
binnen Ghend ten staple ende van dat zij bringhen zullen zij de eene heelt ute 
moghen voeren omme hare beste der mede te doene, ende dander heelt sal 
binnen der poerd bliven» 1360, (?). Ibidem, p. 62. 

2) Voir plus haut, p. 411. «Premièrement, que quant ad che que ceulx 
de Gand maitenaient que la moitié du blé qui venroit de la dicte ville de 
Douay & Gand, par la riviere devoit estre mise sus en greniers, et aucune 
fois tout si nécessité esoit.» 

3) «Dat van al den Koerne dat van boven bi den rivieren binnen der 
stede van Ghend vort an commen zal, dat daerof de gherechte eelt binnen 
der stede bliven moet, ende dadt der binnen ghesleten moet siin, ende die 
eelt moet vore te lande siin ghedaen.» N. DE PAUWw, loc. cit., p. 70. 


4196 G. Bigwood 


Peu après (5 Novembre 1364), les échevins et le grand conseil 
de la ville, rendent une ordonnance organisant l'étape !). 

Il est donc certain que vers la fin de la première moitié du 
XIV: siècle, le privilège de l'étape était en vigueur à Gand. Il 
ne semble pas qu’on puisse le faire remonter au delà. En effet, 
nous voyons qu’à cette époque si le principe est certain, la mesure 
dans laquelle le droit s’exerce n’est pas encore fixée et les 
détails d'exécution sont encore peu précis. 

Certains historiens gantois ont voulu s'arrêter à une date 
exacte, et ont choisi celle de 1323, parce qu’en cette année la 
les échevins de Gand avaient fait démolir un immeuble situé au 
Quai aux herbes (Graslei) appelé den Spicker, pour en faire ls 
maison de l’Etape (Stapelhuus) ?). 

L’immeuble dont s’agit est manifestement antérieur au 
XIV®siècle; son style le classe parmiles monuments du XIT° siècle’). 
De plus on ne voit pas qu'il ait appartenu à la ville“). 


1) «Dit es de ordonnanche van den stapel van den coerne gheordineert 
bi onsen heeren scepenen ende bi den groeten rade van der stede van Ghend. 
Elle commence comme suit. „Int eerste, dat al tkoeren, wien dat toebehoort 
es hij poortre ofte vremde, sal commen al hier binnen Ghend als ten ghe- 
rechten stapele, ende dat tusschen brugghen vercocht sal moeten worden 
sonder fraude in gherechter coopmanscepen.» Ibidem, p. 84. 

2) DIERICX, Mém. sur la ville de Gand, LI, p. 156. — De Portz, 
Gent, I, 478 (avec réserve). — VARENBERGH, La maison de PEtape, Mess. 
des sc. hist. 1872, p. 8. 

8) VARENBERGH, Inventaire Archéologique de Gand, 2° fasc., 1897. «Ce 
monument présente un singulier spécimen architectonique, de prime abord, on 
le croirait de style roman byzantin. Plus large que haut, construit en 
moëllons, à large pignon triangulaire, couronné d’espèces de marches cot- 
vertes en tuiles plates, à double versant, ce bâtiment se compose de quatre 
étages, bâtis en retrait sur le rez de chaussée; ce qui a permis d’y ménager 
une galerie, pour faciliter l’accès aux étages. Les baies des fenêtres du res 
de chaussée tout rectangulaires, ainsi que celles des deux étages supérieurs. 
Celles du premier étage, au nombre de sept, sont à plein-cintre, sans aucus 
ornement, garnies d’un simple treillage en fer. Les six fenêtres du second 
ont la même forme, mais plus caractérisée, le tympan en est plein et soutens 
par une colonnette ou pilier central, de forme hexagonale, avec tailloir et 
base, servant de battée pour les volets, qui s’y trouvaient placés pour éventer 
les grains. Les cintres n'ont pas d’archivolte et sont formés d'un simple 
assemblage de claveaux, ou construction à plate-bande; ces cintres sont légère- 


Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV® au XVIII 8. 497 


Gand se montra très jaloux de son privilège et veilla constam- 
ment à ce qu’on n’y portät pas atteinte. Pour le justifier, il fit 
valoir toutes les raisons qu'il y avait eu de le lui reconnaître. 

Dès 1456, Philippe le Bon ayant fait défense d'exporter des 
grains hors des villes, gouvernances et bailliages d’Arras et de 
Sens, les Gantois lui representerent!) que sans l'étape, le 
ecommun peuple» ne pourrait vivre, qu’en outre les marchands 
et bonnes gens du Brabant, de la Flandre, de Hollande et de 
Zélande avaient l’habitude de s’approvisionner à Gand «comme 
à l’estaple pour le vivre et sustentation de noz subjects des d* 
pays et villes, laquelle estaple à cause de ladite marchandise des 
d° bledz et grains est le principal membre de bien publique et 
gouvernement du commun peuple de nostre dicte ville de Gand 
sans laquelle marchandise icelle nostre ville ne ledit commun 
peuple d’icelle et de nos dictz pays ne pourroient nullement vivre 
ne eulx entretenir»). L’abstention des laboureurs et marchands 


ment surbaissés. La dernière fenêtre à droite de cet étage est placée en 
dehors du pignon; elle est surmontée et flanquée de deux meurtrières; du 
côté opposé le bâtiment est terminé par un mur de refend, qui empêche 
l’accès à la galerie et monte jusqu’au quatrième étage. Ces fenêtres s'appuient 
sur un cordon saillant, et à la hauteur du pied droit, elles sont reliées égale- 
ment par un cordon qui se répète aussi aux étages supérieurs.» 

4) DE POTTER (Gent, Il, 479) donne la liste de ses propriétaires depuis 
1349. 

1) Lettre de Philippe de Bourgogne au grand bailli de Hainaut, 15 Jan- 
vier 1456. Archives de Gand, série 110°i, n° 1 f. 6. S’appropriant les termes 
de la requête des échevins de Gand, Philippe le Bon disait: «comme en 
icelle nostre ville laquelle est la principale et première nommée de toutes 
les villes de nostre comté et pays de Flandres ait eu de tout temps la prin- 
cipale et plus belle estaple de bledz et aultres grains de nostre dict pays et 
comté de Flandres, d'Artois, de Haynnau, de noz villes de Douay, Bethune, 
Lens et de toutes autres marches, ont accoustumé de amener par les rivières 
de l’Escault et du Lys, et aussi par terre à charroy et aultrement leurs bles 
et grains comme au droict estaple du pays, desquels blez et grains ainsy 
amenez en nostre dicte ville des marchands qui les y ammainnent sont tenuz 
selon les drois et ordonnances dudict estaple descharger, laisser mectre sus 
et de vendre en nostre dicte ville la quarte partye pour le vivre, sustentation 
et despence du commun peuple d’icelle lequel autrement ne pourroit vivre 
ne estre soustenu en aucune manière ...» 

2) Ibidem. 


498 G. Bigwood 


de blé augmente la cherté du grain sur le marché gantois et va 
avoir pour conséquence de contraindre les habitants «de eulx 
absenter et de aller demourer ailleurs, qui seroit cause de la 
totalle dépopulation, ruyne et désolation d’icelle nostre dicte ville 
laquelle par les dernières guerres et mortalitez qui y ont esté 
est désia très fort dépeuplée et désolée et au très grand grief 
préjudice interest et dommaige> des Gantois'). Le duc permit 
à tous d'amener du blé et de le vendre à Gand, nonobstant 
toutes défenses antérieures. 

Beaucoup plus tard, lorsque le droit sera menacé, les Gantois 
rappelleront que les comtes de Flandre l'ont établi <cognaissans 
ladicte ville par la commodité des Rivieres et aultrement, estre 
la plus propice pour y constituer comme une grange publicque 
servant aux nécessittez tant d’icelle que de toute la comté de 
Flandres, et aultres provinces voysines»*). D'un autre côté ce 
droit, exercé dans l'intérêt de tous a «pour effet d’obvier aux 
complotz et monopoles que les marchans d’enhault en temps de 
nécessité sont accoustumez de faire pour augmenter la chierté et 
indigence>°). 


8 2. Organisation de l'étape. 


À quoi s’appliquait l'étape? Les premiers textes ne permettent 
pas de préciser et semblent par la généralité de leurs expressions 
s'appliquer à tous les grains“). En fait, le droit ne s’est exercé 
qu'à l’égard du froment et du seigle destinés plus spécialement 
à l’alimentation publique. L’épeautre était soumis à un régime 
spécial (droit de grute), quant à l’orge il était exempt®). Seuls 





1) Ibidem. 

2) Requête du magistrat, du 25 février 1589. Archives de Gand, 
série 110, n°1 f.52vo, Cf. celle en tête de l’ordonnance du 8 Octobre 1687. 
Ibidem, p. 51. Cf. également divers mémoires du magistrat contenus à ls 
liasse 108, série 349 des Archives de Gand. 

8) Ibidem. Cf. Requête de Juillet 1572 qui reprend les mêmes arguments 
et signale que de Gand où il est concentré, le hl& peut être facilement dis- 
tribué aux autres villes. Archives de Gand, série 95t', n° 11, fol. 36. 

4) Voir les textes du paragraphe précédent. 

5) E. VARENBERGH, Maison de l'étape. Mess. des sc. hist. 1872, p. 6. 
DE POTTER, DO, 484. | 


Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV* au XVIII*s8. 499 


donc les blés durs étaient soumis à l’étape, les blés mous y 
étaient soustraits. Les brasseurs désiraient que l’orge ou plus 
exactement le soucrion y fût soumis, car cela efit eu pour consé- 
quence d’en diminuer le prix. Ils soulevèrent un conflit et ob- 
tinrent des échevins le 6 décembre 1436!) une décision favorable, 
assimilant le soucrion au blé dur et ordonnant le prélèvement 
ordinaire du quart. Mais en 1478°), il fut décidé qu’etant au 
contraire du grain mou, il n’était pas soumis à l’étape. 

Si le droit d'étape ne s’est pas toujours appliqué aux mêmes 
espèces de céréales, il a également varié quant à l’étendue de 
son application. 

En 1350, c'était, en principe, la moitié de tout blé amené 
en ville qui devait y rester et la totalité en cas de nécessité, et 
en 1357, c'est contre cette obligation que les Douaisiens protes- 
taient. L'accord du 4 Novembre 1357, leur impose l’entreposage 
du chargement complet, mais laisse à l’arbitraire des échevins 
de les contraindre à en vendre une partie. Que cet accord ait 
subsisté ou non, le 1° Juin 1358 les échevins obligent la moitié 
de tous blés venant d’amont par les rivières, à rester en ville. 
Par contre l’ordonnance du 5 Novembre 1364 prescrit que tout 
blé arrivé à Gand, doit être vendu «tusschen brugghen» on être 
entreposé jusqu’à ce qu'il soit vendu”). 

Peu de jours après (18 Novembre 1364)“, on oblige les 
blés arrivant par bateau, à être vendus ou entreposés dans les 
huit jours. Enfin le 23 Novembre 1366, revenant sur l’édit 
de 1364, une nouvelle ordonnance n’impose que le dépôt de la 
moitié des blés arrivés d’amont à Gand’). 

Une modification importante se produisit au début du XV° siècle; 
les Yprois avaient approfondi l’Yperlée et l’on a déjà vu comment 
cette tentative d’Ypres de détourner le commerce qui jusque là 
suivait la voie de la Lys avait été le point de départ d’une lutte 
séculaire. Convaincus, de la nécessité de faire une concession, 


1) Archives de Gand, série 110bis, n° 1 f. 26. 

2) Ibidem. 

3) N. DE PAUW, De voorgeboden der stad Gent, à leur date. 
4) Ibidem, p. 85. 

5) Ibidem, p. 96. 
Vierteljabrschr. f. Social- nu. Wirtschaftsgeschichte. IV. 29 


430 G. Bigwood 


les Gantois, le 30 Avril 1419!) convinrent que désormais le 
droit d’etape relatif aux grains descendant la Lys ne consisterait 
plus que dans le depöt du sixieme. 

Cette situation spéciale subsista jusqu'à la fin, malgré la 
généralité des termes dont Philippe le Bon se sert en 1456, 
quand dans ses lettres du 15 Janvier, il s’adresse à ses officiers 
du Hainaut et de l’Artois, et leur rappelle que les marchands 
arrivant à Gand par l’Escaut ou la Lys comme par la voie de 
terre, sont tenus de déposer et de vendre le quart de leurs bles®). 

Charles le Téméraire ayant fait défense à ses sujets de chanter 
marchandement» les marchés de France, prévoit qu’il y aura 
désormais abondance de blé sur le marché gantois et qu'il est 
désormais inutile de prélever le quart de ce qui s’y amène, le 
cinquième ou le sixième suffira”) (16 Janvier 1470). 

L’ordonnance du 3 février 1485 (n. st.), qui est fondamentale 
revint au quart, pour tout bateau chargé de grains‘). 

Postérieurement à cette date, et vraisemblablement, à l’époque 
de la prosperite d'Anvers, le droit d'étape sur les blés remontant 
l’Escaut fut réduit au sixième. En 1565, à en croire une requête 
des échevins de Gand, leur droit consistait à prélever un quart 
de «tous grains venans en bas des rivières de l’Escaut et Lise 
et le VI® de ceux allans contremont icelles rivières»°). Cependant 
en 1587 mis en demeure par le conseil privé de s'expliquer sur 
leur privilège les Gantois disent qu’il consiste à «retenir le quart 
des grains y venans d'en hault par l’Escaut et le sixiesme de 
ceulx venans par la Rivière de la Lys et semblable sixiesme des 
grains qui devant les troubles souloient venir de Zéelande et 
autres quartiers d’embas la Rivière»°). 








1) Archives de Gand, reg. O. O. f. 177, lett. N. La charte originale 
semble perdue, car l’acte du 30 Avril 1419, en copie authentique dans la 
liasse Schepenen Keure, Stapel, 1573 (Archives de Gand), ne parle pas de 
pareille convention, qui est, cependant, certaine. 

2) Archives de Gand, série 110bis, n° 1 f. 6. 

8) Archives de Gand, série 180, carton 18. 

4) Duois et d'HONDT, Coutumes de Gand, I, p. 16. 

5) 18 Décembre 1565. Ibidem, p. 378. 

6) Archives de Gand, serie 110bis, n° 1 f. 51. 


Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV* au XVIII 8, 431 


Ces quotités ne furent plus modifiées ". 

Le dépôt obligatoire s’appliquait-il à tous les bles?), quelle 
qu'en fut la provenance? Une distinction semble avoir toujours 
existé. Les textes du XIV® siècle ne parlent en effet que des 
blés achetés hors de l’échevinage, ou supposent qu'il s’agit de 
blés amenés par des marchands. Ceux du XV°® ne visent que 
les blés, objets du commerce. Enfin l'ordonnance du 3 février 1485 
{n. st.) fait clairement la distinction, dans son article 24. Le blé 
que des bourgeois qui ne font pas le commerce de grains, peuvent 
recevoir soit de leurs terres, soit du chef de rentes, même amené 
à Gand par bateau, est libre et peut être transporté sans 
formalités où il plait à leur propriétaire. Ce blé reste évidemment 
soumis aux prohibitions d'exportation quand elles existent. 

Par contre tout blé erü en Flandre, amené par bateau pour 
être vendu à Gand, doit être débité soit sur le bateau même, 
soit au marché. Des précautions spéciales étaient prises pour 
assurer la stricte observation de cette disposition”). 

La façon dont s’exergait l'étape n’a pas été toujours la même. 

Au début, il est évident que la vente du blé se faisait sur 
bateau, dès l’arrivée, «intwater» et que seul le grain non vendu 
s’engrangeait jusqu'à ce qu'il fut acheté par les marchands‘). 


1) Pour faciliter la perception, on exigea en 1504 que les bâtiments 
eussent une certaine contenance fixe et portassent gravée l'indication de 
celle-ci. Archives de Gand, série 110bis, n° 1 f. 25. — Ordonnance analogue 
du 29 décembre 1604. Dugotïs et d'HONDT, Coutumes de Gand, I, p. 468. 

2) Il est entendu que par cette expression, j'entends désormais le froment 
et le seigle, seuls soumis à l'étape. 

3) Défense aux mesureurs de mesurer et aux porteurs de porter de ce 
grain avant que le dépôt n'ait été effectué; «sauf pour les marchands ayant 
leurs greniers à Gand et à concurrence de 12 muids au maximum, obligation 
de déposer» entre les ports, et autorisation nécessaire pour vendre, pour 
mesurer ou transporter. Art. 7 et ss. de l’édit du 8 Février 1485 (n. st.). 

4) «Vort dat gheen koeren op sinen bodem dore varen sal, ende al dat 
niet vercocht wert intwater sal men uplegghen elc onder sinen weert, ende 
daer salt bliven ligghende toter tijt dat coopman comt diet coept, ende die 
coepre saelt voeren daert hem ghelieven sal omme der mede te doene sijn 
profijt.»2 Ordonnance de l’&tape du 5 Novembre 1364. — N. DE PAUW, De 
voorgeboden der stad Gent in de XIVe eeuw., p. 84. C’est la seule façon 
également de comprendre l’accord intervenu le 4 Novembre 1367 entre Gand 


432 G. Bigwood 


Mais bientôt, quand l'étape ne frappa plus qu’une fraction de 
cargaisons, une réglementation plus compliquée se fit jour. 


La règle devint que lorsque des bateaux chargés de blés 
arrivaient à Gand, les marchands, ceux qui en avaient la garde 
ou à leur défaut les bateliers devaient déclarer aux gardes de 
l'étape la quantité de blé et à qui il appartenait. Cette déclaration 
devait être préalable à toute manipulation quelconque et était 
sanctionnée par une amende’). Sauf une tolérance en faveur 
d’une quantité très minime”), le transbordement n’était autorisé 
qu'après le dépôt «entre les ponts» du quart ou du sixième. 
C'était la que le grain non franc devait être mesuré; c'était là 
aussi que tout portefaix était tenu de porter le grain à lui confié. 


À partir de ce moment, ce blé était en quelque sorte mis 
hors commerce et sequestré. La durée de cette immobilisation 
a varié. A la fin du XV° siècle, elle est de huit ou quinze jours 
et même plus au gré des gardes de l'étape. (Ceux-ci peuvent 
pendant ce temps prohiber toute vente. Passé le délai minimum 
de huit jours, le marchand pouvait obtenir la permission de 
vendre sur place pendant huit jours, aux boulangers, aux brasseurs 


et Douai conférant aux échevins de Gand le droit de retenir le blé amené 
par bateau jusqu’à ce que le prix des grains en ville, leur parut raisonnable. 
Le 18 Novembre 1364, les échevins décident que les bateaux ne peuvent 
rester plus de huit jours, et que le blé non vendu doit être entreposé: „Ds 
alle deghene die koren bringhen bi scepe, dat sij dat koren ver coepet 
moeten binnen VIII daghen ofte upper lieghen ende de rivieren der a 
rumen bin den selven tide, up de boete van 4 & diet liete, enwarre datter 
koren in laghe dat men niet sien mochte, dat sal moghen, gat metr 
hebben.» Ididem, p. 85. — K. STALLAERT (Glossartum van verouderdt 
rechistermen, etc.) reproduit ce passage avec un point d’interrogation. 


1) Sur cette réglementation voir, sauf indications contraires, l’ordonnantt 
fondamentale du 3 Février 1485 (n. st.) Les dispositions de cette ordon- 
nance qui ne fait que codifier les usages reçus se retrouvent en germe dans 
un règlement scabinal, du 23 Novembre 1866. — N. DE PAUW, loc. ci. 
p. 96. 

2) Quatre à cinq muids par pleyte. Sur la contenance du pleyte, d. 
ordce du 29 Décembre 1604 qui la fixa A 240 muids de Gand. Le bateau 


de Tournai était de 45 muids de Gand. Dunois et d'HONDT, Coutumes de 
Gand, II, 465. 


Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV’ au XVIII 8. 433 


et aux habitants de la ville, après quoi il était libre de le porter 
a marché, mais restait tenu de la vendre dans la ville. 

À l'occasion d’un procès, vers 1587, le magistrat de Gand 
appelé à préciser ce qu’il entendait par droit d’étâpe informa le 
. @onseil Privé qu’il consistait à retenir les quantités connues «pour 
ie terme de trois mois au plus hault»!). 

Au début du XVII® siècle, le droit comportait de «mectre sus 
a grenier par les mesureurs juréz et y laisser pour le terme 
de six sepmaines sans pouvoir vendre les grains déposés» ?). 

Enfin à la fin du XVII: siècle, à une époque où l’autorite 
diminue considérablement les inconvénients résultant de l'étape, 
le terme était de trois semaines‘). 

I pouvait se faire qu’un marchand désirât substituer à du 
blé déposé à l’étape une quantité égale de blé de même nature 
qe son dépôt avait précisément affranchi. Il lui était loisible 
de le faire, s’il obtenait l'autorisation des gardes de l'étape et 
moyennant dépôt du nouveau grain avant tout enlèvement“). 
Cette faculté permit souvent aux «facteurs» en blé de substituer 
du blé de qualité inférieure °). 

Pour plus de facilité et éviter toute fraude, les diverses 
@pces de blé, comme les différentes qualités étaient entreposées 
kparément. 

Dans le même but, aucune opération ou manipulation con- 
tmant les grains, dès l'instant de l’arrivée du bateau, ne pouvait 





l) Cf. ordonnance du 8 Octobre 1587. Archives de Gand, série 110 bis, 
"1 f. 51. 

2) Requête du magistrat de Gand, Octobre 1611. Archives générales du 
loyaume ; ancien conseil privé, carton intitulé grains. 

8) Art. 9 du règlement du 18 Avril 1674. — Dugois et d’HonDT, Cow- 
times de Gand, II, p. 594. 

4) Règlement du 8 Février 1485, art. 5; du 16 Mai 1673, art. 8. 
Archives de Gand, série 110bis reg., n° 1 f. 107. Un conflit s'éleva à la fin du 
Ile s., entre Gand et Douai et Béthune qui se plaignaient qu'on exigeät 
d'eux nonobstant un dépôt dans les greniers, un prélèvement pour chaque 
Partie sortant de la ville. Décision des échevins sur requête du 6 Mai 1594. 
Archives de Gand, TT. fo. 120. 

5, Cf. plainte des boulangers (XVIe s.). Archives de Gand, série 
Ibis, liasse 38. (Cf. ordee du 24 Février 1592. Archives de Gand, TT. 
L 114. 


434 G. Bigwood 


plus se faire sans le consentement des gardes de l'étape. Il er 
était spécialement ainsi du mesurage et du portage qui ne pou- 
vaient s'effectuer que par les membres des corporations des 
Mesureurs de bles et des portefaix (pijnders). Ceux-ci étaient 
tenus de faire au bureau de l’étape des déclarations précises & 
d’en obtenir une autorisation écrite et scellée des gardes. Ils 
doivent en outre, à partir du XVII: siècle, tenir due notice des 
quantités par eux retirées des bateaux ou des greniers !). 

Toutes ces opérations se faisaient sous la direction et le 
contrôle des gardes de l’étape (stapelheeren ou stapelhouders). A 
quand remonte exactement la création des gardes de l'étape? Les 
documents que nous avons pu connaître ne le disent pas express#- 
ment. Dès les débuts de la réglementation du marché aux grains, 
il existe des employés spéciaux chargés de la surveillance, de 
la taxation, etc. ?) et il est probable qu'ils eurent à s’occuper 
également de l'étape’). L'accord conclu le 4 Novembre 1357 
entre Gand et Douai, n’en fait pas mention; de plus cet accord 
réserve expressément aux échevins l'appréciation de la durée de 
l’entreposage. Mais une ordonnance communale du 23 Novembre 
1366“) mentionne un «her Janne van Meeren» qui sans avoïr 
aucun titre spécial semble bien avoir des fonctions que les gardes 
exercèrent ultérieurement. Quoi qu’il en soit, le règlement de 
1485 nous montre les stapelhouders en pleine activité. 

Les gardes étaient nommés pour un an par les échervins & 
à leur entrée en fonctions, ils prêtaient un serment solennel’) 


1) Articles 11 du règlement de 1485 et 6 de celui de 1625 (Archives de 
Gand, série 110bis reg., n° 1 f. 96.) 

2) Voir plus bas. 

3) «Item ghaven zij Janne van Zele ende Janne Crommeline, die ve 
sorghen ten coorne up den art ende up de riviere, elken 2 gr. sdages va8 
28 weken dat si der inghingen dat comt, 107 # 68 8 d.» Compte de 132. 
— NaP. DE PAUW en JULIUS VUYLSTEKE, Rekeningen der stad Gent, IL 
p. 248. — «Item gaven sij Janne Huges, die ghine 10 weken up den corenard 
ende up de Leye te versiene ten coorne dat van buten commen soude ER 
arde, van siere pine ende salarisse 26 @ 13 s 4 d.» Compte de 1946. Ibidem, 
II, p. 112. 

4) N. DE Pauw, De voorgeboden der stad Gent, in de XIVr eeux, .% 

5) «Ceci vous jurez: d’être droituriers seigneurs de l’&tape, d'être bo® 
et féal au Seigneur et à la Loi; de bien et fidèlement observer et faire ob 


Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV° au XVIII’s. 433 


et aux habitants de la ville, après quoi il était libre de le porter 
au marché, mais restait tenu de la vendre dans la ville. 

A l’occasion d’un procès, vers 1587, le magistrat de Gand 
appelé à préciser ce qu'il entendait par droit d’étâpe informa le 
conseil Privé qu’il consistait à retenir les quantités connues «pour 
le terme de trois mois au plus hault»’), 

Au début du XVII siècle, le droit comportait de «mectre sus 
au grenier par les mesureurs juréz et y laisser pour le terme 
de six sepmaines sans pouvoir vendre les grains déposés» ©). 

Enfin à la fin du XVIIe siècle, à une époque où lautorité 
diminue considérablement les inconvénients résultant de l’étape, 
le terme était de trois semaines °). 

Il pouvait se faire qu’un marchand désirât substituer à du 
blé déposé à l'étape une quantité égale de blé de même nature 
que son dépôt avait précisément affranchi. Il lui était loisible 
de le faire, s’il obtenait l'autorisation des gardes de l'étape et 
moyennant dépôt du nouveau grain avant tout enlèvement‘). 
Cette faculté permit souvent aux «facteurs» en blé de substituer 
du blé de qualité inférieure ?). 

Pour plus de facilité et éviter toute fraude, les diverses 
espèces de blé, comme les différentes qualités étaient entreposées 
séparément. 

Dans le même but, aucune opération ou manipulation con- 
cernant les grains, dès l'instant de l’arrivée du bateau, ne pouvait 


1) Cf. ordonnance du 8 Octobre 1587. Archives de Gand, série 110bis, 
n° 1 f. öl. 

2) Requête du magistrat de Gand, Octobre 1611. Archives générales du 
royaume, ancien conseil privé, carton intitulé grains. 

3) Art. 9 du règlement du 18 Avril 1674. — Duso1s et d’HonDT, Cow- 
tumes de Gand, II, p. 594. 

4) Règlement du 8 Février 1485, art. 5; du 16 Mai 1678, art. 8. 
Archives de Gand, série 110bis reg., n° 1 f. 107. Un conflit s'éleva à la fin du 
XVIe s., entre Gand et Douai et Béthune qui se plaignaient qu’on exigeât 
d'eux nonobstant un dépôt dans les greniers, un prélèvement pour chaque 
partie sortant de la ville. Décision des échevins sur requête du 6 Mai 1594. 
Archives de Gand, TT, fo. 120. 

5) Cf. plainte des boulangers (XVIe s.). Archives de Gand, série 
114bis, liasse 38. Cf. ordce du 24 Février 1592. Archives de Gand, TT. 
f. 114. 


436 . G. Bigwood 


sortant de Gand chargé de blé; d’un gros par eseye» ou peti 
bateau d’une contenance de dix muids sortant par la Lieve et 
deux gros par «lievelast» ou bateau voyageant spécialement sur 
la Lieve. Toute réclamation d’une somme supérieure était punie 
d’une amende de cinquante livres parisis. Ils avaient droit 
également au tiers, et s’ils étaient les dénonciateurs, à la moitié 
des amendes frappant ceux qui transgressaient les règlements 
sur l'étape !). 

Les gardes de l’étape résidaient à la maison de l'étape où 
ils avaient leur bureau. 


De nouvelles obligations leur furent imposées par l’ordonnance 
du 24 février 1592?). Eux seuls pouvaient délivrer des autor- 
sations de mesurer des grains durs; deux d’entre eux devaient 
continuellement se trouver à leur bureau. Leurs registres devaient 
être tenus au jour le jour, et transcrits au net tons les samedis). 
Tous les mois, ils devaient faire connaître au Collège la quar- 
tité de blés durs arrivés dans la ville, comme aussi s'ils y étaient 
venus par la Lys ou par l’Escaut, ainsi que la quantité des blés 
cétapésr. Deux échevins faisaient mensuellement la visite des 
greniers. 


Avant de suivre plus avant le sort du blé soumis à l'étape, 
voyons rapidement celui de la partie qui en avait été affranchie. 
Ce blé ne pouvait être transbordé qu'après le dépôt du quart 
ou du sixième; on ne pouvait le décharger que pendant quil 
était procédé au mesurage et les francs portefaix avaient la pre 
férence à salaire égal, sur tous autres pour l’emmagasiner. Le 
marchand a le choix de le conserver à Gand pour l’y vendre 
ou de l’exporter. S’il se décide pour ce dernier parti, le batelier 
ou le voiturier doivent charger entre les ponts, obtenir un laisse! 
passer des gardes qui ne peuvent le refuser et se munir d'u 
écrit, scellé par ceux-ci constatant la quantité de blé et sa desti- 


1) Articles 18, 19, 20, 21, 22, 25, 26 et 27 de l'ordonnance de 1485. 
2) Archives de Gand, reg. TT., fol. 114. 


3) Les Archives de Gand renferment de nombreux volumes, mais diff 
cilement utilisables, tenus en exécution de cette obligation. 


Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV° au XVIII 8. 435 


Leur pouvoir était considérable: ils avaient le droit de visiter 
et d’inspecter les greniers des marchands, situés entre les deux 
ponts, de s’assurer si aucune contravention au règlement n’avait 
_été commise et d’en poursuivre la répression devant le tribunal des 
échevins; ils étaient chargés de tenir un registre et d’y inscrire 
tout le grain soumis à l’étape entrant à Gand, en spécifiant la 
quantité de chaque dépôt, où le grain a été déposé, à qui il 
appartient, qui en est le dépositaire, si le grain a été confié à 
un facteur, etc. Ils devaient également noter «pour chaque tas 
de grain déposé suivant le droit d'étape, la date à laquelle ils 
ont donné autorisation de le vendre, et aussi combien ils ont 
permis d’en mesurer et emporter, qui l’a reçu», etc. A leur 
sortie de fonctions, ils devaient remettre à leurs successeurs ces 
registres, ainsi que le sceau dont ils se servaient et le moule à 
couler le plomb. 

La coexistence des gardes de l’étape et des gardes du grain 
du marché (wacht coores ter aerde) avaient amené des conflits; 
afin de les éviter et «pour que chacun connaisse l'étendue de 
son office et de son service et ce qu'il lui faut garder», les gardes 
de l'étape reçurent compétence pour tout grain que l’on vendait 
ou achetait à la Lys. Ils eurent dans la suite connaissance de 
tout ce qui concernait les grains exportés de la ville ou y im- 
portés !. 

Les gardes étaient placés sous la dépendance directe et le 
contrôle des échevins qui avaient le droit en tout temps de 
prendre connaissance des registres, qui punissaient arbitrairement 
tout garde coupable et dont le consentement était nécessaire 
pour permettre aux gardes de composer avec les marchands. Ils 
avaient la connaissance de toutes réclamations. 

Les gardes touchaient un droit de six gros par bateau plat 


server l'étape sur la Lys et cela conformément aux mandements et ordon- 
nances existant à cet égard et ensuite de faire tout ce que de bons et droi- 
turiers seigneurs de l'étape ont l'obligation et le devoir de faire. Ainsi 
vous puissent aider Dieu et tous ses saints.» Du Bois et d'HONDT, Cost. 
de la ville de Gand, II, p. 189, n° CLXVI. 

1) Déclaration des échevins du 28 Février 1598. Archives de Gand, 
série 110bis, n° 1 f. 54. 


436 . G. Bigwood 


sortant de Gand chargé de blé; d’un gros par eseye» ou petit 
bateau d’une contenance de dix muids sortant par la Lieve et 
deux gros par «lievelast» ou bateau voyageant spécialement sur 
la Lieve. Toute réclamation d’une somme supérieure était punie 
d'une amende de cinquante livres parisis. Ils avaient droit 
également au tiers, et s’ils étaient les dénonciateurs, à la moitié 
des amendes frappant ceux qui transgressaient les règlements 
sur l’etape'). 

Les gardes de l'étape résidaient à la maison de l’étape où 
ils avaient leur bureau. 


De nouvelles obligations leur furent imposées par l’ordonnance 
du 24 février 1592*). Eux seuls pouvaient délivrer des autori- 
sations de mesurer des grains durs; deux d’entre eux devaient 
continuellement se trouver à leur bureau. Leurs registres devaient 
être tenus au jour le jour, et transcrits au net tous les samedis”). 
Tous les mois, ils devaient faire connaître au Collège la quan- 
tité de blés durs arrivés dans la ville, comme aussi s'ils y étaient 
venus par la Lys ou par l’Escaut, ainsi que la quantité des blés 
cétapésr. Deux échevins faisaient mensuellement la visite des 
greniers. 


Avant de suivre plus avant le sort du blé soumis à l'étape, 
voyons rapidement celui de la partie qui en avait été affranchie. 
Ce blé ne pouvait être transbordé qu'après le dépôt du quart 
ou du sixième; on ne pouvait le décharger que pendant qu'il 
était procédé au mesurage et les francs portefaix avaient la pré- 
férence à salaire égal, sur tous autres pour l’emmagasiner. Le 
marchand a le choix de le conserver à Gand pour l’y vendre 
ou de l'exporter. S’il se décide pour ce dernier parti, le batelier 
ou le voiturier doivent charger entre les ponts, obtenir un laisser 
passer des gardes qui ne peuvent le refuser et se munir d'un 
écrit, scellé par ceux-ci constatant la quantité de blé et sa desti- 


1) Articles 18, 19, 20, 21, 22, 25, 26 et 27 de l'ordonnance de 1485. 
2) Archives de Gand, reg. TT., fol. 114. 


3) Les Archives de Gand renferment de nombreux volumes, mais diff- 
cilement utilisables, tenus en exécution de cette obligation. 


Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV° au XVIII. 487 


ation; ils sont tenus de rapporter dans la quinzaine un acquit 
e décharge !). 


$ 3. Le Marché aux Grains. 


Le marché aux gralns (Coornaert)?), établi dans la plus 
ieille partie de la ville, communiquait avec le quai aux herbes 
Fraslei, Kornlei) par la rue de l'Etoile et la place aux foins 
Hooiaard), aboutissant en face du pont S* Michel et du pont 
u bétail; de telle sorte qu'il s’etendait immédiatement derrière 
»# constructions établies en face du port de la ville. C’est là 
ue s’erigerent de bonne heure une série de constructions, géné- 
lement en pierre (steenen), affectées à des usages divers tous 
n corrélation avec la circulation et la vente des céréales. 

En face même du port, se trouvaient notamment la première 
ıaison des mesureurs de blé, puis la maison de l'étape, le 
Nhuis, la première maison des portefaix (pijnders), la deuxième 
iaison des mesureurs de blé, la maison des bateliers (het Windas), 
ui leur fut cédée en 1530 par les Meuniers, etc.?). 

Quant aux marché aux grains et aux rues adjacentes, elles 
e comprenaient que des deerien*) ou graenders, c'est à dire 
immenses magasins et greniers. Ces maisons avaient toutes 
n nom, dont certains étaient caractéristiques (de Cooremate, de 
trekele, de ouder sac; het scaec, etc.). 

Ces magasins se rencontraient moins nombreux à de plus 
randes distances du marché. 

1 Articles 2, 6, 16 et 17 du règlement de 1485. Art. 15 de celui de 
325. 

2) Aert (aerde) signifie proprement: marché situé dans le voisinage d’une 
vière ou d'un canal. — K. STALLAERT, Glossarium, L, p. 40. Cf. Dieriıcx, 
[ém. II, 126. Au point de vue de la réglementation, l'aert était „geheele 
a plaetse van de Corenmaert met de Huysen daer ron tomme staende.“ 
èglement du 8 Octobre 1649, art. 8. Archives de Gand, série 110bis reg. 1, 
99. 
8) Sur les maisons du Graslei, du Coornaert, etc., voir G. DES MAREz, 
ce. cit., p. 364 et ss., et le plan annexé. — F. DE POTTER, Gent, II, p. 471 
; 88., III, p. 101 et ss. — Drericx, Mém. II, p. 124. 

4) De beere, qui signifie proprement grain, baie. — KARL SCHILLER et 
UG. LUBBEN, Mittel-niederdeutsches Wörterbuch, V, 569. — Cf. DIERICKZ, 
[&m. II, p. 157, note 1. 


438 G. Bigwood 


Leur nombre varia suivant les périodes de prospérité et de 
décadence; au milieu du XVI® siècle on en comptait 225 pour 
toute la ville!). Quant à leur capacité, on est évidemment réduit 
à des suppositions, mais il est rapporté par Marcus van Vaerne- 
vick, qui fut garde de l’eEtape, que les greniers du Kornlei pou- 
vaient contenir 4000 muids. 

En réalité, il y avait à Gand deux lieux de marché aux 
grains: la place de l’Ecluse, où débarquaient les bateaux de 
Zélande, venant par le Sas, d’une part; le Corenaert, de l’autre. 
Dès le XIV® siècle, les textes font une différence entre le Lei 
et le marché proprement dit, sans que cependant il y ait deux 
réglementations spéciales. Par contre, au XVI° siècle, nous 
trouvons le marché de la place de l’Ecluse (Zeeusche Aert wp 
het Sluyseken) soumis à des dispositions spéciales ?). 

Voyons les d’abord. Il se tenait le vendredi matin depuis 
la cloche du travail jusqu’à 10 heures). Défense d'offrir en 
vente, de vendre ou d'ouvrir les sacs avant que le grain n'ait 
été débarqué et étalé sur le quai. Une fois exposé en vente le 
grain devait être vendu; s’il ne l'était pas à 10 heures, il devait 
être porté au marché“). En principe, les marchands en gros, 
les boulangers et les brasseurs ne pouvaient rien acheter à ce 
marché, ni directement, ni indirectement”), sauf des semences, 





1) Il existe dans le registre KK, fcl. 25vo à 70, un tarif des salaires 
des Pijnders (de loonen van tusschen brugghen) qui indique 924 greniers 
ou magasins, existant en 1545; il y en a 20 au Kornlei, 10 au Hooiaard, 
6 Korte Munt, 18 autour de l'Eglise St Nicolas, 81 au Marché, etc. 

2) Cf. pour le XVe 8. V. VAN DER HAEGHEN, Mess. des Seiences 
hist., 1886, p. 126. Règlement des 15 Octobre 1563 (Archives de Gand, 
reg. DD, f. 97), 15 Novembre 1565 (ibid. DD, f. 177v%0), 11 Octobre 158 
(ibid. cc, f. 38), 10 Octobre 1596 (ibid. GG, 891), 12 Octobre 1609 (ibid. HH), 
8 Octobre 1649 (articles 19 A 81) et 7 Novembre 1676 (1 à 20). Archives 
de Gand, série 110bis n° 1. D'après le préambule de l’ordonnance de 1668, ce 
serait cette année là qu’il aurait été créé. 

8) A l’origine (1563) ce marché commençait le Jeudi à une heure après 
midi pour se terminer le vendredi à 10 heures du 15 Mars à la St Bavon et 
à 11 heures de la St Bavon au 15 Mars. 

4) De 1563 à 1588, cette obligation n'existait pas. 

5) Au début, on leur permit d’acheter pour revendre, mais avec l'obli- 
gation de revendre aux habitants au même prix. 


Gand et la circulation des Grains en Flandre, da XIV* au XVILI-s 439 


et, en ce qui concerne les brasseurs, les grains mous, mais. 
seulement une heure après l’ouverture. Les deux premiers et 
leur personnel ne pouvaient même s'y trouver. Afin d'éviter 
toute confusion à la faveur de laquelle la fraude pourrait 
s'exercer, les porteurs et autres ouvriers ne pouvaient se rendre 
au marché que lorsqu'ils étaient expressément, appelés et il leur 
était formellement défendu d’y acheter pour autrui. Le mesu- 
rage devait se faire avec des mesures marquées, par le vendeur 
lui-même ou quelqu'un de son personnel sans qu’il puisse se 
faire remplacer par quelqu'un de la ville. Les sacs devaient 
avoir une grandeur minima déterminée. Les bateliers devaient. 
s’entr’aider et ne pouvaient décharger que du côté du Kornlei. 
Les grains exposés comme échantillons ne pouvaient pas être de 
meilleure qualité que ceux renfermés dans les sacs, lesquels 
devaient être ouverts. Ce marché n’était pas exclusivement ali- 
menté par les céréales arrivées par eau: les paysans y appor- 
taient aussi leurs grains. Afin d'empêcher que les dispositions 
réglementaires ne fussent tournées, il était défendu d'aller au 
devant d’eux, de leur acheter ou de les arrêter en route. 

Toutes ces prescriptions étaient sanctionnées par la confiscation 
et des amendes. Elles furent fréquemment renouvelées, et les 
échevins se plaignaient souvent des abus et des désordres qui 
se produisaient à ce marché. | 

Nous avons vu que les gardes de l'étape avaient la police 
du marché à la Lys. (Cependant en 1676, les échevins créèrent 
un inspecteur chargé de dresser les contraventions, cru sur son 
serment. 

Voyons maintenant la réglementation du marché aux grains. 
Elle s’est formée lentement et les premiers textes que l’on pos- 
sède, les Voorgeboden du XIV° siècle, nous la montre déjà très 
avancée. Il ne peut être question ici que d’un exposé sommaire. 
destiné à montrer dans quel milieu et sous l’empire de quelle 
législation les blés soumis à l’étape étaient mis en vente’). 





1) Les renseignements qui suivent sont tirés des Voorgeboden der stad 
Gent in de XIVe eeuw., p. N. DE PAUW (passim); de diverses ordonnances 
rapportées par F. DE PoTTER (IU,p. 81, 82); des règlements des 8 Octobre 
1649 et 7 Novembre 1676, déjà cités; 1 Octobre 1668 (Archives de Gand, reg. 


440 G. Bigwood 


Vendeurs. Qui alimentait le marché? Les vendeurs étaient 
de trois catégories différentes: les paysans des alentours, les 
bourgeois et les marchands de blé. 

a) Les paysans y conduisaient leurs blés sur des charrettes ou 
à dos d'animaux domestiques. Les charrettes devaient être remi- 
sées hors du marché. Le propriétaire des grains offerts en vente 
ou l’un des siens devaient être présents, sans pouvoir se faire 
remplacer. Les paysans devaient occuper un côté de la place, à 
l'exclusion des marchands. Defense leur était faite de vendre 
en route. En revanche, ils étaient spécialement protégés contre 
toutes injures ou molestations ?). 

b) Les bourgeois n'étaient qu’exceptionnellement des vendeurs. 
En temps de disette, ou de crise, on obligeait tous les bourgeois 
qui avaient acheté des blés hors de Gand à les mettre en vente 
au marché”. 

c) Les marchands constituaient le groupe le plus important 
On a déjà vu que tout marchand qui n'avait pas réussi à vendre 
son blé au quai, devait à 10 heures le conduire au marché. 
Quiconque avait acheté du blé pour le revendre, devait le porter 
au marché et tout blé acheté par un Gantois sur un franc marché 
de Flandre, devait être porté à Gand et vendu. On obligesit 
en temps de crise les marchands à mettre en vente chaque jour 
de marché, une quantité minima proportionnelle (un vingtième de 
leur provision en 1350). 

Acheteurs. Ils se divisaient en plusieurs groupes et chacun 
d'eux avait une situation spéciale. 

a) Les bourgeois étaient de loin les plus favorises. C'était 
pour eux que le marché avait été créé et fonctionnait. Ils y 


WW, f. 108vo); 21 Novembre 1619 et 25 Juin 1709 (Archives de Gand, 
série 114bis, liasse 38, v° graenen); etc. 

La législation annonaire gantoise ne diffère pas, dans ses grandes lignes, de 
celle des autres villes du moyen âge. Pour Douai: voir les ordces des 23 Août 
1392 ; 27 Février 1399; 1400, aux Archives communales, registre aux métiers, 
série HH. Pour Tournai: ordce des consaux du 31 Octobre 1455. Mém. soc. 
hist. Tournai, XXII, 1893, p. 215. 

1) Voorgebode, de 1343—1344. — N. DE PAUW, loc. cit., p. B6—87. 
2) Voorgeboden, de 1343—1344 ; 10 Octobre 1349; ler Juin 1358. - Loe. 
cit., p. 36—87, 41, 70. 


Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV° au XVIII-s. 441 


avaient accès dès l’ouverture, c’est à dire quand sonnait la cloche 
du travail (dapspaen). Par contre, la quantité qu'ils pouvaient 
acheter à titre de provision était limitée’), et même, quand il 
était établi qu’un particulier avait une provision suflisante pour 
ses besoins pendant un certain temps, il ne lui était plus permis 
de se fournir au marché”). Ce n'était évidemment qu’en temps 
de disette que ces dispositions étaient en vigueur. 

Une disposition intéressante à relever est celle de l’ordon- 
nance de 1364 qui malgré son titre est générale; elle défendait 
aux bourgeois d’une ville étrangère d'acheter à un de leurs con- 
citoyens, et cela par crainte d’exportation ou de fraude *). 

b) Les boulangers et les brasseurs ne pouvaient pénétrer au 
marché qu'à une certaine heure qui varia“). Quelquefois, ou 
limita le maximum de leurs achats); d'autrefois, il leur était : 
défendu de rien acheter‘), ou bien ils ne pouvaient acheter qu'au 
Lei”. 

c) Les meuniers n'étaient pas admis non plus avant la même 
heure que les boulangers, à moins d’y être expressément appelés 
par quelqu'un à raison de leur office. Fréquemment au XIV: siècle, 
les obligea-t-on à rapporter dans la ville une quantité de farine 
égale à celle qu’ils avaient exportée. 

d) Les marchands, en tant qu’acheteurs (voorcoopers), étaient 
considérés comme les ennemis, ceux dont il fallait écarter à 
tout prix les manœuvres tendant à l’accaparement et au mono- 
pole). Au XIV® siècle, il leur était défendu d’acheter sur le 


1) Un setier en 1338; un halster en 1348—1844 à la condition de le donner 
de suite au meunier, ou un viertel pour l’emporter; deux halsters, en 18850, 
destinés au meunier, ou un halster à emporter; un chargement, en 1858; deux 
sacs par tête au XVIIe s. Cf. art. 1 de l’orde du 1er Décembre 1486. Arch. 
de Gand, reg. BB, f. 8. 

2) En 1343—1344, cette limite fut fixée à 6 mois. 

3) N. DE PAUVW, loc. cit., p. 84. 

4) Au XVIIe 8. c'était à une heure en hiver et à deux heures en été. 

5) A quatre halsters, en 1388 et en 1844; à un sac, au marché et à un 
demi muid, au Lei, en 1860. 

6) 28 Avril 1350. 

7) 1er Octobre 1366. 

8) Il ne peut être question ici de développer les mesures minutieuses que 


449 G. Bigwood 


marché en vue d’une revente, avant midi. Au XVII siècle, on 
leur permit d'acheter aux mêmes heures que les brasseurs, et au 
XVIIIe siècle, ce fut à neuf heures du matin. Il leur était 
même défendu d'acheter à certaines époques, certaines espèces de 
céréales. 

A Gand, les marchands en gros de blé s’appelaient beerieleggers. 
Au marché, ils ne pouvaient se mêler aux paysans. Il arrivait 
qu’on leur imposait comme aux bourgeois l'obligation de n’acheter 
ou de ne détenir qu'une provision égale à celle des particuliers. 

Entre ces divers groupes ainsi réunis se formait le contrat 
de vente. Ici encore la réglementation était étroite, elle portait 
sur le prix, sur l’objet même, sur le mesurage et l’enlèvement 
des quantités vendues, la garde des quantités non vendues. 

Prix. Quelque fois l'administration échevinale fixait le prix, 
mais en règle generale, ce dernier s’établissait par la loi de l'offre 
et de la demande. Seulement, il était défendu aux marchands 
et courtiers de prévenir les paysans en route pour le marché ou 
y stationnant du cours du blé et une fois le prix fixé par un 
vendeur, celui-ci ne pouvait plus l’augmenter. Toute manœuvre 
tendant à faire hausser le prix était punie. 


Objet. Inutile de dire que seul le blé exposé au marc : 
était mis en vente. L’acheteur jugeait de la qualité, et le vn 


deur était puni s’il avait dissimulé du blé de qualité inférieure 
sous une couche de qualité meilleure. Il y eut, parait-il, de nom- 
breuses fraudes de ce genre’). Pour les empêcher, le mélange 
de qualités différentes fut défendu. 

Mesuraye. Il devait être fait par les mesureurs jurés et les 
vendeurs ne pouvaient se decharger sur des tiers du soin de le 
surveiller. L’autorit& échevinale réglementait l’emploi des mesures 
officielles. 

Enlèvement du grain vendu. Les portefaix étaient chargés 
de ce soin. Leurs salaires étaient réglementés suivant la distance. 
Une place spéciale leur était assignée, ainsi qu'aux mesureurs, 





les pouvoirs publics crurent devoir prendre durant tout le moyen âge et 
jusqu’au cours du XIXe siècle, pour éviter l’accaparement. 

1) Représentation au sous-bailli, de 1775. Archives de Gand, série 
114bis, ]iasse 35. 





Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV* au XVIII 8. 443 


d'où ils ne pouvaient s’écarter que sur l’appel des intéressés. 
En principe, il était interdit de transporter hors de Gand le 
grain ainsi acheté. Mais les échevins pouvaient délivrer des 
autorisations spéciales 5. Exception était naturellement faite au 
profit des étrangers à la ville qui emportaient chez eux, au plat 
pays, le blé acheté à Gand et destiné à leur consommation per- 
sonnelle. Ils étaient quelquefois soumis à l'obligation de se 
munir de certificats. En période de disette, les échevins inter- 
disaient toute exportation. | 

Consignation du grain non vendu. La règle était que tout 
grain exposé en vente au marché, devait y être vendu; s’il ne 
trouvait pas amateur le premier jour, il devait y être représenté 
au prochain jour de marché. En attendant, le propriétaire avait 
à l’emmagasiner. Cet emmagasinement, à l’origine libre, donna 
ouverture à la fraude en permettant aux revendeurs, boulangers, 
brasseurs, etc. d'acquérir secrètement le blé que le paysan n'avait 
pas écoulé du premier coup. On exigea qu'avant d'enlever du 
marché ce qu’il n’avait pas vendu, le vendeur en fit une décla- 
ration spécifiant la qualité et l’espèce de blé, à qui il apparte- 
nait, où il allait être déposé. Le Conink van de Kinderen était 
chargé de ce soin et aussi de veiller à ce qu'il fût amené au 
marché le jour suivant”). (C'était dans les Aerthuysen que ce 
grain était consigné. 

A côté de cette réglementation locale, les grains étaient à 
Gand, comme ailleurs, soumis aux dispositions des ordonnances 
générales, prohibant notamment l’achat au plat pays, dans les 
granges et fermes, sur pied, etc., la négociation faite en route 
avant l’arrivée à la ville. 

Voyons maintenant les dispositions spéciales aux grains 
soumis à l'étape. Un premier point à relever est qu’ils devaient 
être vendus à Gand, mais ils pouvaient l’être sans être envoyés 
au marché. 





1) Suivant l'édit de 1625 (art. 16) les gardes des portes ne pouvaient 
laisser du grain sortir de la ville que sur le vu de certificats délivrés par 
les gardes de l'étape. 

2) L’ordonnance de 1625 (art. 11) imposait la déclaration aux gardes de 
l'étape, chargés de surveiller la mise en vente au marché suivant. 


144 G. Bigwood 


Mis en vente au marché, ils y étaient exposés à part et 
devaient y être représentés s'ils n’y étaient pas vendus !). 

Tout le monde ne pouvait acheter de ce grain. Les meunier 
et fermiers de moulins ne pouvaient en acquérir. Quant aux 
marchands dits beerieleggers et aux acheteurs de première main 
(voorcoopers), ils ne pouvaient s’en porter acquéreurs que pour 
une quantité maxima de quatre muids. Pour en acheter davar- 
tage, il leur fallait l'autorisation des gardes de l’étape, qui por- 
vaient même diminuer la dite quantité. De ce qu'ils ont acheté, 
ils étaient tenus de porter le quart au marché et de l’exposer 
en vente, avant de pouvoir l’emmagasiner. De plus, tout bou- 
langer, brasseur ou bourgeois pouvaient contraindre ces mar- 
chands en gros à leur abandonner pour le prix par eux payé, 
une quotité de ce qu’ils ont ainsi acheté a la Lys. Le marchand 
devait en toute hypothèse garder la moitié de son acquisition et 
pouvait exiger caution de son acheteur. Les mesurages et les 
transports que toutes ces opérations exigeaient devaient se faire 
par l'intermédiaire des mesureurs et des portefaix jurés ?). 

Quiconque possédait déjà du blé ne pouvait en acheter que 
de l’affranchi et non de celui qui était soumis à l’&tape?). 

Bien que ces dispositions expressément édictées à la fin du 
XV: siècle n'aient plus été reproduites dans les textes postérieurs, 
elles sont restées certainement longtemps en vigueur“). 

Au XVII’ siècle, nous voyons les échevins chercher à déjouer 
la fraude consistant pour les facteurs et marchands (importateurs) 
à faire inscrire au bureau de l’étape, au nom d’un beerielegger 
des grains soumis à l'étape que suivant toute probabilité ils 
emmagasinaient pour leur propre compte et exportaient vers 
d’autres villes. Pour déjouer cette manœuvre, il leur fut ordonné 
de se trouver en personne ou par leur personnel sur le marché 


1) Ordonnance du 24 février 1592. Archives de Gand, reg. TT, 
fol. 114. 

2) Articles 12 à 15 de l’ordonnance du 3 Février 1485 déjà citée et 5 
et 6 de celle du 1er Décembre 1486. Archives de Gand, reg. BB, f. 8. 

3) Article 4 de l’ordonnance du 1er Décembre 1486, déjà citée. 

4) Cf. l'ordonnance du 20 Novembre 1585, Archives de Gand, liasse 38, 
p. 29. 


Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV* au XVIII. 445 


auprès du blé «non franc» et de faire retransporter par les pyn- 
ders, les quantités non vendues, là où elles avaient été entre- 
posées et mesurées pour les en ramener au marché suivant. 
En outre, un mesureur fut spécialement chargé de noter toute 
quantité mesurée et vendue et à la fin du marché de remettre 
cette notice au bureau de l'étape"). 

De même, à raison des quantités énormes rayées du livre 
de l'étape au nom des brasseurs, boulangers ou bourgeois, il 
leur fut prescrit, chaque fois qu’ils désiraient faire rayer du livre 
des quantités de grains déposés, par eux achetés, de se rendre 
en personne au bureau de l’étape et d’y déclarer la quantité de 
blé qu'ils ont acquis et l’usage qu’ils vont en faire, sous peine 
pour ceux qui feraient une fausse déclaration d’être considérés 
comme faussaires ?). 


8 4. Le commerce des grains et l'approvisionnement de Gand. 


Le cadre de cette étude ne comporte pas l’histoire de l’ali- 
mentation de la ville de Gand, ni de l’organisation économique 
du commerce des céréales en Flandre, comme non plus des 
assises de la ville. 

Cependant quelques mots à ce sujet ne sont pas inutiles, car 
ils permettent de se rendre un compte plus exact des conditions 
dans lesquelles le droit d’étape s’est exercé. 

Les environs immédiats de Gand étaient peu productifs *), 
de ‚plus la juridiction du magistrat s’arrétait à une faible distance 
de l'enceinte gantoise. De la d’une part nécessité pour les 
marchands de s’approvisionner dans les autres quartiers du pays, 
et de l’autre, conflits entre le magistrat de Gand et celui des 
principales villes flamandes. 

Le quartier d’Alost particulièrement fertile contribuait large- 
ment à approvisionner la capitale du comté. Tout naturellement 


1) Articles 9 et 10 de l’édit du 8 Octobre 1649, déjà cité. 

2) Article 8 de l’ordonnance de 1625, déjà citée. 

3) «Et estans aussy les terres situées au quartier de notred. ville Ia 
plus part maigres et stériles portans peu de bledz.» Requête du magistrat 
de Gand à S. M., Janvier 1578. Archives de Gand, Scepenen Keure, série 
349, n° 108. 

Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 80 


146 G. Bigwood 


les paysans étaient amenés à y conduire leur grain. Alost voulut 
les contraindre à porter leur blé à son propre marché. (Gand 
obtient qu'ils resteraient libres '). 

Les marchés de S! Nicolas, Lokeren, Hulst et autres furent 
régulièrement visités par les marchands gantois et ceux-ci obtin- 
rent fréquemment qu'on levât en leur faveur les prohibitions qui 
en temps de disette s’opposaient à la vente à destination d’une 
autre ville *). 

Il s’organisa un service régulier de bateaux amenant à Gand 
les jours de marché les grains qui y étaient destinés. C’etaient 
les marktscepen. En 1486, il y en avait quatre venant de 
Courtrai, d’Audenaerde, de Hulst et d’Axel?.. Au XVI: siècle, 
c'était vers Audenaerde, Deinze et Courtrai qu’ils étaient 
dirigés ). 

Les pays voisins Hainaut, Brabant, Zélande, contribuaient 
aussi à son alimentation. L’Artois passait surtout pour le grenier 
de la Flandre, mais la voie naturelle, l’Escaut, obligeait les 
marchands à passer par Tournai. Lorsque cette dernière ville 
appartenait à la France, il arriva souvent que des défenses 
d'exporter arrétassent le commerce de Gand. Celui-ci envoyait 
alors et notamment en 1398 et 1415, des délégués pour prier 
les consaux de lever l’interdiction et de laisser les marchands 
passer avec leurs marchandises. Tournai aida sa puissante voi- 
sine dans la mesure du possible‘). 


1) Requête de Gand au Gouverneur Général et lettre de celui-ci au magir 
trat d’Alost, 21 Juillet 1572. Archives de Gand, série 95bis, n° 11, fol 
36 et 37. 

2) Cf. Apostille sur requête de Janvier 1573, loc. cit., et acte du 5 Juillet 
1631. Archives de Gand, série 95bis, n° 11, f. 39vo, Avis du Conseil de 
Flandre du 3 Novembre 1699. Ancien conseil privé, carton grains. 

8) Article 7 de l’édit du ler Décembre 1486, déjà cité. 

4) DE POTTER, Gent, IO, p. 31. Sur la réglementation de ces bateaux. 
voir acte du 16 Septembre 1504 (DE POTTER, ibid., note). Sur le confit entre 
Charles V et les bateliers, sbid., p. 32. — Cf. accord entre le duc de Bourgogne 
et les échevins d’Audenarde au sujet de deux maerscepen circulant entre 
Audenarde et Tournai — 13 février 1451 (a. st.) — Chambre des comptes 
B 1607, f. 172. Archives de Lille. 

5) Procès verbaux des consaux des 4 Septembre 1398 et 18 Septembre 
1415. Mem., Soc. hist. de Tournai, t. VII, p. 44 et 125. Il est à signaler 


Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV° au XVIII 8. 447 


Au XVI: siècle, Tournai éleva des prétentions à un droit d’étape. 
Gand obtint que ses marchands et bourgeois en fussent exempts, 
mais en 1531, la ville entendit les y soumettre. Des démarches 
amiables ayant échoué’), Gand s’allia avec Douai et obtint de 
Charles V une ordonnance contraignant même par force, les 
magistrats tournaisiens à laisser libre passage aux marchands 
des deux villes, sauf à en exiger caution, au cas où ils vou- 
laient porter l'affaire devant le conseil de Flandre ?). 

Venant ainsi de toutes parts, le blé arrivait à Gand en quan- 
tité relativement considérable. Nous n’avons pas malheureuse- 
ment de données positives directes antérieures au XVIe siècle. 
Vers 1573, le magistrat fit faire une enquête et entendit d'anciens 
seigneurs de l'étape, des fermiers de l’assise qui tous furent 
unanimes pour dire qu'il arrivait en moyenne par semaine à 
Gand de cinq à six cents muids, et que de cinq à six mille 
muids étaient annuellement soumis à l’&tape?). 

Les registres que les gardes de l’étape devaient tenir fourni- 
raient des détails intéressants si l’on ne devait pas, au préalable, 
faire de nombreux calculs que leurs auteurs n’ont pas dressés. 
Certains extraits en ont été faits en leur temps, qui donnent 
notamment ceci: 

au 31 Octobre 1592, il y avait dans les magasins de Gand: 
1486 muids 5 halstres de grains durs affranchis et 1904 muids 
7 halstres de grains non libres, 

au 15 Octobre 1596, il y avait respectivement 617 muids 
6 halstres, et 274 muids 11 halstres, 

au 31 décembre 1617, ces mêmes livres renseignaient 383 muids 


que Gand prétendait pour les besoins de sa cause, faire partie du royaume 
de France. 

1) Gand à Tournai, 19 Février 1581, et Tournai à Gand, 21 Février 
1531. Archives de Gand, série 110bis, n° 1, f. 49 et 48. 

2) Ordonnance du 15 Janvier 1585 (1536 n. st.). — CH. LAURENT, Or- 
donnances des Pays-Bas, 2° série, III, p. 492. Les registres des consaux 
de Tournai constatent que la ville résista, emprisonna même l'huissier chargé 
d'obtenir la relaxation des grains arrêtés, appela devant le conseil de 
Flandre. 

3) Archives de Gand, Scepenen Keure, série 849, n° 108. Le muid de 
Gand était de 6 hect. 33 1. 86. 


448 G. Bigwood 


2 halstres de grains soumis à l'étape, 

le 27 Octobre 1693, les gardes de l'étape font savoir au 
collège qu’à ce jour (et probablement depuis le début de l’an) 
les marchands ont consigné 3848 muids, 

du 1” Juin 1709 au 31 Mai 1710, il était entré à Gand 
1844 bateaux avec des chargements de blé”. 

Le produit des impôts frappant la circulation des céréales, 
fournit également des indices sur l'importance de cette eiren- 
lation. Ils nous font aussi connaître les charges fiscales qui ls 
grevaient ?). 

Les plus anciens comptes de la ville de Gand nous révèlent 
l'existence de deux impôts communaux, l’un, l’assise sur les 
grains, l’autre le Zaemcooperie (voir plus bas). 

L’assise était en principe affermée pour un an et le prix fixé 
par semaine; au milieu du XIV*® siècle il était en moyenne de 
100 livres parisis et les recettes, lors des régies temporaires, don- 
nent sensiblement la même moyenne. 

La ville avait de très bonne heure abandonner à l’hôpital 
des lépreux, le produit du droit de louche (lepelrecht) et du droit 
de strekele (voir plus bas)*)}. Philippe le Bon disposa de ces 
droits parce qu'ils n’avaient pas été établis par un octroi, ce qui 
provoqua un procès au parlement de Paris. 

Au XIIIe siècle, l'abbé de S* Pierre prélevait un tonlieu de 
deux deniers par bateau de moins de 30 muids et quatre deniers 
par bateaux de plus de 30 muids; celui de S‘ Bavon, recevait 
quatre deniers par muid et le châtelain de Gand, un ou deux 
deniers suivant la grandeur de la «navee» et sauf exemptions. 

Au XIV: siècle, il est reconnu au vicomte de Gand un tonlieu 
sur les bateaux chargés de grains naviguant sur le schipgracht. 

C'est au XVI" siecle, que des octrois successivement renou- 
velés ont définitivement réglé les droits de la ville en matière 


1) Archives de Gand, série 147, n° I (feuilles détachées), série 114bt 
n° 35. 

2) Il ne faut pas perdre de vue qu'avant d'arriver à Gand, le grain avait 
déjà acquitté une série de tonlieux. 

8) Archives de Gand, reg. G, f. 292. Ordonnance du 81 Juillet 1478. 
— DIERICx, Mém., I, p. 579. 


Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV* au XVIIIe s. 449 


d'assises sur les grains. L’assise fut connue sous le nom géné- 
rique de emuddegelt»') et comprenait essentiellement un droit de 
un gros par muid sur tout grain entrant en ville et deux ou 
trois gros par muid, suivant la nature des céréales vendues à 
bord ou à quai. 

Cette imposition donna naissance à un violent conflit soulevé 
par Douai, Tournai, Valenciennes, Béthune, S* Omer etc. qui 
s’opposaient à la perception de toute imposition à l’entrée comme 
aussi au paiement de l'impôt par le vendeur lors de la vente). 

Certains impôts se rattachent intimement à l’organisation du 
commerce dont il nous reste à dire quelques mots. 

En dehors des paysans des environs qui vendaient directe- 
ment au marché le produit de leurs champs et des bourgeois 
qui s’y approvisionnaient, le marché gantois était fréquenté par 
les marchands de grains. 

Ces marchands constituaient une véritable association ayant 
ses cclercs» et facteurs. Ils s’appelaient beerieleggers et étaient 
propriétaires ou locataires de grands magasins sis au Lei ou au 
marché au blé, dans lesquels ils déposaient leurs grains. 

Les opérations sur le marché se faisaient par l’entremise de 
courtiers ou facteurs (makelaar)?). 

Au XIV® siècle déjà, Gand levait un impôt, dont la perception 
était affermée, appelé «zuemcooperie van den coorner. (C'était 
un droit d'accise payé par les courtiers. 

Au XVIe siècle, Gand voulut renforcer l'obligation de recourir 
à l’intermédiaire de courtiers, mais se heurta à l’opposition des 
marchands étrangers. Les douze hommes qui avaient été chargés 
par la ville de vendre la moitié des grains soumis à l'étape n’ont 
eu qu’une existence éphémère“). 


1) Pour le detail, voir l'octroi da 10 Décembre 1688. Ancien conseil 
privé, carton impositions; et Jointe des Administrations et affaires des sub- 
sides, reg. 145, fol. 4vo, 

2) Voir les mémoires et les sentences successives, au carton grains, de 
l'Ancien Conseil Privé et aux Archives de Gand, série 95bis, n° 11, 
fol. 38 vo. 

8) Cf. De POTTER, loc. cit., IL, p. 495 et Drericx, loc. cit., U, p. 178. 

4) La sentence de 1533 de Tayspil, (p. 454), les supprime. L’ordon- 
uance qui les avait créés n’a pu être retrouvée. Les courtiers préposés à la 


450 . | G. Bigwood 


L’imposition dite du strekele était acquittée à qui était en 
possession du droit de niveler les mesures de grains. Concede 
par Philippe le Bon à l'hôpital des lépreux, ce droit était 
revendique par la ville qui se substitua en 1458), un certain 
nombre de possesseurs d’immeubles sis au Marché au blé et leur 
confera le droit d’heberger le blé que les paysans n’avaient réussi 
à vendre au marché. C'est l’origine des aerthuizen. Ces maisons 
semblent avoir été nombreuses à l’origine”). Dès le XVI: siècle, 
il n’y en eut que quatre?). Les tenanciers de ces demeures 
avaient le droit de percevoir une certaine taxe par halstre de 
grains*). (C'était là que les non marchands qui n'avaient pas 
vendu leur blé étaient tenus de le déposer jusqu'au jour de 
marché suivant. 

Ces aubergistes (weerders) avaient des obligations particulières: 
ils devaient avoir des mesures legales°), le rouleau dit strekee 


vente des grains non libres prêtaient le serment suivant: «Vous jurez ced: 
de bien et fidèlement vendre au marché et nulle part ailleurs le grain non 
libre qui vous sera livré par les marchands ou les facteurs de la Lys aux 
communs habitants de cette ville pour leur usage et consommation et à tel 
prix qui vous sera par les facteurs ou les marchands déclaré, sans artifice 
ou sans faire avec personne un accord à ce contraire; de tenir ledit grain 
dans votre garde sur un grenier commun, si en une ou plusieurs fois, il n'est 
pas vendu, jusqu'à ce qu’il soit vendu au marché; de donner aux acheteurs 
et vendeurs, à chacun son dû et que dorénavant ni en général ni en parti 
culier, vous ne vous occuperez ni ne vous melerez d'acheter ou de vendre 
quelque autre grain, quelqu’il soit, sous peine d’être poursuivis et punis pour 
fausseté, par mise au pilori et autrement, à la discrétion des échevins. Aina 
Dieu vous soit en aide et tous ses saints.» Du Bois et d'HoNDT, Cout. de 
la ville de Gand, IT, p. 201. 

1) Ordonnance du 9 Août 1458, citée par DE PoTreR, loe. cit., II, 
p. 82. 

2) DE POTTER prétend qu'il y en aurait eu trente une. 

8) DE CLEPPE, het Schalck, de Sack, de Leeuw. 

4) Archives de Gand, Keure-résolutieboek, 157, fol. 49; le 4 Août 1571, 
les échevins afferment pour trois ans „de strekele ende maete van Zee 
maerts op de coornaert danof men ontfaet van ghone die des huereers maete 
besicht eenen penn. par. van elck halster ofte twee penn. par. van elcke zack.“ 

Cf. un avis des échevins de la Keure du 8 Octobre 1546 et une décision 
des vinders de la paroisse de St Nicolas du 9 Avril 1658, sur le même sujet. 
Archives de Gand, reg. KK, f. 817 et 319. 

5) Article 20 du règlement du 7 Novembre 1676, déjà cité. 


Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV au XVIII-s8. 451 


et observer fidèlement leur serment’). De bonne heure, afin 
d’eviter toutes fraudes ou injustices, il leur fut strictement interdit 
de s'occuper d’achat ou de vente de blé?). 


8 5. La lutte pour la liberté. 


On a déja vu combien les privilèges de Gand relatifs à la 
navigation fluviale avaient rencontré d'opposition de la part des 
autres villes et comment ils avaient fini par être supprimés. Il 
en devait être de même du droit d'étape. 

En principe, le droit s’appliquait quel que fut le propriétaire 
ou le destinataire du grain qui y était soumis. Le prince 
lui-même n’y échappait pas. Cependant, nous voyons Charles V 
ordonner au magistrat de laisser passer librement les céréales 


N 


destinées à son hôtel et à son train alors à Audenaerde 
(30 Octobre 1521)°). 

Gand fit opposition au passage des vivres appartenant à 
l’intendance des armées“). Les proveedors rencontraient souvent 
de la part de beaucoup de villes des difficultés de toutes natures; 
pour mettre fin à cette situation, un édit du 18 Mai 1630 
ordonna le libre passage sur production de certificats. Néanmoins 


1) Voici la formule (en traduction) de ce serment: 

«Vous jurez ceci : que vous ne nivellerez aucune espèce de grain mou, nine 
composerez pas à cet égard, que vous ne le ferez ni le laisserez pas niveler 
ou composer, à cet égard par quelque un de vôtres ou de votre famille, que 
vous n’ayez d’abord et avant tout la marque des péagers du blé servant pour ce 
grain, ainsi qu'il convient et qu'il faut à cet effet et conformément à la teneur 
de la criée d'église qui en fait mention, sous les amendes et conventions y 
portées. Ainsi Dieu vous soit en aide et tous ses saints.» Du Boıs et d’HoNDT, 
Cout. de la ville d: Gand, II, p. 200. 

2) „Item men verbiet alle weerden die den strekele houden ten aerde 
dat zij van nu voort an gheen graen hoedanich dat zij en coepen jeghen 
huerlieden gasten of jeghen anderen omme voort te vercoepene ten aerde 
oft in haer huisen ende gheene coopmanscepe van grane en doen up den 
ban van tien jaeren.“ Article 9 du règlement du ler Décembre 1486. 
Archives de Gand, reg. BB, f. 8. Cette prohibition fut toujours confirmée. 

3) Archives de Gand, série 849, liasse 108. 

4) Une décision des échevins du 24 Janvier 1590 décida que les gardes 
de l’étape exigeraient un serment des marchands qui demandaient la fran- 
chise pour le blé destiné aux armées. Archives de Gand, série 110bis, 
n° 1, f. 53. 


452 G. Bigwood 


l’archiduchesse Isabelle dut s’adresser directement au magistrat 
gantois (8 Mai 1631). A la même époque, celui-ci s’opposs 
vivement à ce que les proveedors pussent acquérir du blé soumis 
à l'étape, invoquant l’usage constant. Le gouvernement admit 
une solution mixte: le magistrat dut indiquer aux fournisseurs 
de l’armée les greniers où les marchands avaient déposé du blé 
libre, et ce ne fut qu’en cas d'insuffisance qu’ils purent en acheter 
d’autre *). ; 

Plus nombreuses furent les dérogations consenties aux villes 
voisines. (C'était en période de disette qu’elles se produisaient. 
Quand le blé renchérissait ou se faisait rare sur le marché local, 
une ville se décidait à en faire acheter ailleurs et à le revendre 
en détail, souvent à perte?) En considération du but qu'elle 
poursuivait, elle demandait souvent d’être dispensée de certaines 
prohibitions édictées par le prince”). De nombreuses villes des 
Pays-Bas s’adresserent fréquemment à Gand pour obtenir le libre 
passage. 

Lille, Arras, Valenciennes, Douai, Anvers, Audenarde, Tournai, 
Bruges, Courtrai, notamment achetaient en Hollande, à Amsterdam, 
Middelbourg ou l’une chez l’autre‘) et sollicitaient de Gand 
d’être exemptees de l'étape. Souvent cette demande était favorable- 
ment accueillie, quelquefois elle était repoussée‘); il arrivait 
aussi que l'autorité supérieure contraignait Gand à céder‘) 


1) Ordonnances et lettres de 1626 à 1631. Ancien conseil privé, carton 
intitulé grains. 

2) Pour Gand en particulier voir: pour le XIVe s. les comptes de ls 
ville, pour le XVIe 8. les Scepenen Keure, série 859, n° 108; et d’une façon 
générale la série 147bis des Archives de la ville. ) 

8) Par exemple défence d’acheter du blé au plat pays. 

4) Voir les lettres des magistrats de ces villes à celui de Gand, spéciale 
ment des années 1546, 1556, 1565, etc., aux Archives de Gand, série 147 bis, reg. 2 

5) Apostille sur une requête de Valenciennes, du 28 Octobre 1565. Archives 
de Gand, série 147bis, reg. 2, f. 26. Décision de Marguerite de Parme du 
18 Décembre 1565 sur une requête de Mons. — Du Bois et d'Honpr, Co 
tumes de Gand, II, p. 378. — Gand au Conseil Privé, 11 Décembre 1604. An- 
cien Conseil privé, carton grains. 

6) Le roi à Gand, 13 Décembre 1556, sur requête de Lille. Requête de 
la ville de Bruges, apointée le 27 Novembre 1573, etc. Archives de Gand, 
série 147%, n° 2, p. 5 et p. 59. 


Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV° au XVILI*s. 453 


Quelquefois, Gand se bornait à consentir une réduction sur la 
quotité frappée du droit!) D’autres fois, c'était une simple 
facilité qui était sollicitée. C’est ainsi qu'en 1557 le magistrat 
de Tournai demande qu’on laisse passer le premier bateau sans 
exercer le prélèvement et qu’on reporte celui-ci sur ceux qui 
suivent ?). | | 

D'autres fois, c'était à Gand même que les villes voisines 
desiraient s’approvisionner. La quantité était alors fixée soit par 
Gand, soit par l'autorité supérieure. 

Il faut reconnaître qu’en général, la ville tenait compte des 
circonstances et se bornait à exiger des formalités destinées à 
éviter que sous le couvert d’une opération de bienfaisance faite 
par une ville, ne se cachât une transaction lucrative de marchands. 
Cette tolérance était dictée aux Gantois par leur intérêt même. 
En effet, l'étape rencontra de tout temps une vive opposition qui 
alla grandissant et finit par l’emporter. 

Tous les conflits que ce droit suscita ne sont pas connus. 
Le plus ancien que révèlent les sources, est celui auquel mit fin 
l'accord du 4 Novembre 1357 entre Gand et Douai. Ces deux 
villes d'étapes de grains devaient naturellement entrer de bonne 
heure en contestation*). Douai n’obtint à ce moment que de 
voir fixer et organiser le droit de Gand. Sur un point cependant, 
l'accord semble avoir donné tort à Gand, en ce sens qu'il est 
expressément entendu que pendant toute la durée du séjour forcé 
des bateaux, «nulle nefs chargée de blet de quelconque partie 
que ce puist estre soit à Gand appartenans à bourgois ou à autre 
persone qui que ce soit, ne passera premièrement par faveur ni 
autrement que ce puist estre>, sauf les bateaux destinés à l’ap- 
provisionnement de Malines. 

L’antagonisme inévitable entre deux villes d'étapes de grains 
devait créer au XVI° siècle un vif conflit entre Gand et Douai. 
Vers 1533, la première de ces villes s’opposa au passage des grains 
appartenant à des marchands de Douai et arrêtait même les trois 


1) Cf. Réponse de Gand à Lille, le 18 Novembre 1562. Archives 
de Gand, série 95bis, n° 11, f. 34. 

2) Archives de Gand, série 147 bis, n° 2, p. 62. 

3) Voir p. 411 et 429. 


454 G. Bigwood 


quarts affranchis, destinés à Anvers, à Bruges ou à la Hollande. 
En outre, les échevins commirent douze personnes «pour faire la 
vente de la moietié des dits bledz et grains non francgs sur le 
marché» moyennant paiement de neuf gros par muid. 

De leur côté, les Gantois reprochaient aux échevins de Douai 
d’avoir réduit à dix le nombre de «colletiers>, ce qui, les jours 
d’affluence, retardaient les transactions et les transports, de les 
contraindre & faire remesurer et respaller les grains des Gantois 
deja charges et enfin dans les but &vident de «les retarder en 
leur marchandise et avancer leurs propres marchans», de laisser 
au marché les voitures chargées de grains par eux achetés, 
causant toutes sortes de retards pour empêcher les paysans de 
vendre aux marchands étrangers. 

Les échevins de Douai et les «pere et quatre hommes 
representans les marchands de bledz hantans et frequentans les- 
taple de bledz dicelle ville» présentèrent requête à la gouvernante 
laquelle chargea Pierre Tayspil, president du conseil de Flandre!) 
de faire une enquête et si possible de concilier les parties. 

Les échevins de Gand, des marchands de blés de cette ville, 
et des représentants d'Anvers qui avaient été mis en cause 
répondirent et présentèrent leurs doléances. Des mémoires furent 
échangés et finalement, parties ayant accepté Tayspil comme 
arbitre, il rendit une sentence le 20 Decembre 1533 ?). 

L’arbitre ordonna aux échevins de Gand de laisser librement 
passer les grains francs et de supprimer «les douze hommes qu'ils 
avaient commis pour vendre la moitié du quart des dits bleds 
et grains non francqs sur le marché», par suite, de revenir à 
l'usage ancien suivant lequel le délai de consignation écoulé, le 
grain «polra estre vendu par lesdits marchands aux fourniers, 
brasseurs, cloistres et autres manans et habitans en ladite ville 
de Gand pour leur dépense, provision et usance, et en cas qu'il 
ne le vendent en la manière dessus dite, ils le polront faire 
vendre sur ledit marché par leurs serviteurs et familliers ou par 
tels commis qu'ils voudront pour ce prendre en ladite ville de 


1) Pierre Tayspil, conseiller au Grand conseil de Malines, puis président 
du Conseil de Flandre et enfin presideut du Conseil privé, mourut en 1Bil. 
2) Du Bois et d'HoxprT, Coutumes de Gand, II, p. 130 et ss. 


Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV* au XVIITI-s. 455. 


Gand, pourvu qu'il ne soit blavieur ne soy meslant de marchan- 
dise de grains», et moyennant de prêter serment. 

Par contre, l'arbitre prit acte de l'engagement des échevins. 
de Douai de veiller à ce qu’il y ait toujours assez de colletiers 
sur le marché, laissa à la charge des échevins ou des fermiers 
des droits les frais de remesurage et de respallage chaque fois 
qu'il aura été constaté que les déclarations des marchands étaient 
sincères. Enfin il fixa les heures pendant lesquelles, tant en 
hiver qu’en été, les voitures chargées de blé acheté à l’étape de 
Douai par des marchands forains, y resteront exposées en vente. 

La sentence du 30 Avril 1540, supprimant tous les privilèges, 
droits, coutumes et usages de Gand n’excluant pas le droit d'étape, 
le comprenait implicitement. De fait, il a subsisté. 

En 1569, sur requête des marchands de grains «ter Ley» et 
sur le refus des gardes de l’étape, les échevins ordonnèrent à 
ceux-ci de renoncer à prétendre exercer leur droit sur les blés 
germés que seuls des brasseurs pouvaient utiliser :). 

Ils obtinrent en 1580, le libre passage pour les marchandises 
affranchies vers d’autres villes, moyenant passeport). 

Vers 1573, un effort désespéré fut fait par les villes et les 
marchands d'Anvers, de Douai, d’Aire, de Béthune, etc. Ils 
envoyerent au Gouverneur Général une longue requête lui exposant, 
que les fleuves et cours d’eau sont, de droit, libres de toute 
entrave”), que depuis quelques années Gand, au mépris des 
placards du souverain affranchissant la circulation des grains, se 
permettait de prélever le quart ou le sixième des blés passant 
par la ville. Ils signalent que l'obligation de vendre la quote 
soumise à l’étape a pour effet d’amener une baisse du prix, ce 
qui force les marchands, pour se rattraper, de vendre sur les 


1) Requête et apostille du 21 Avril 1569. Archives de Gand, série 110ble, 
n° 1, f. 28. 

2) Requête et apostille du 4 Janvier 1580, ibidem f. 50. 

3) «... selon tous droictz tant positif que naturelz tous fleuves et rivières 
fluintes (?) et navigables (comme sont celles de la Lys et Escault transitans 
vostre ville de Gand) à jamais soyent esté et doyent estre libres et com- 
munes à ung chacun et que à ceste cause les princes les ayent prins en leur 
sauvegarde et protection et les mis au rang de leurs regales pour les con- 
server à leur naturelle liberte« ... Archives de Gand, série 349, n° 108. 


456 G. Bigwood 


marchés voisins le blé affranchi à un prix plus élevé *). D'après 
eux, le droit d'étape avait pour conséquence d’amasser à Gand 
une quantité notablement supérieure à celle que nécessitait l’ali- 
mentation de la ville, que ses environs, vu leur fertilité, auraient 
seuls suffi à approvisionner ?). 

Sous l’exagération des termes, on se rend parfaitement compte 
du sérieux obstacle que créait le droit d'étape subsistant au 
milieu de conditions économiques et politiques toutes différentes 
de celles qui l'avaient justifié à ses débuts. Requesens com- 
muniqua cette requête au magistrat de Gand avec ordre d'y 
donner satisfaction, à moins que la ville n’eût des raisons à faire 
valoir, ce quelle fit. Elle présenta deux mémoires accompagnés 
d’une serie de pièces justificatives établissant l’ancienneté et la 
généralité du droit qu’elle justifiait par des considérations déjà 
exposées *). 

Une tentative d’arrangement amiable eut lieu en décembre 1573: 
Anvers envoya à Gand un député chargé de négocier la disparition 
du privilège d’étape;- Gand refusa et maintint son droit). 

Aucune suite immédiate ne fut donnée à ce conflit. 

Mais en 1587, une modification importante fut apportée au 


ent 


1) «... les ditz marchans cherchent par après de recouvrer sur le restant 
dud. bledz et soilles, amenez es villes circonvoisines, en haulchant le pris 
dudy restant, iusques au parfournissement et entier recouvrement desd. des- 
pens et interetz par eulx supportez ce qui cause une grande cherté desd. 
grains en toutes les villes circonvoisines.» Ibidem. 

2) «... ce qui vient à monter à une quantité si infinye que par tel 
moyen ilz peuvent amasser aultant des grains en une année qu’ils ne seau- 
royent user et consumer en dix ans, oultre et par dessus ce que la fertilité 
des lieux et pays des alentours est si grande que par le moyen d’iceulx ils 
sont souffisamment pourveuz d’aultant des grains quilz puissent avoir de 
besoing pour la nourriture de leurd habitans de sorte que par le moyen de 
lad. servitude et retiennement desd. grains plus qu’ilz n’ont de besoing, les 
aultres villes circonvoisines non seulement resentent une forte grande chereté 
mais aussy nécessité et disette desd. grains, etc.. ..» Ibidem. 

8) Archives de Gand, série 349, n° 108. 

4) Lettre du magistrat d'Anvers à celui de Gand, 20 Juillet 1576. 
Ibidem. Cette lettre fait un portrait vivant du marchand de blé qui est 
obligé de vendre à Gand un quart de sa marchandise et n’y trouve pas 
d’amateur. 


Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV° au XVIIT-8. 457 


privilège de la ville. Le 10 Septembre de cette année, le roi 
avait tenu en suspens tous privilèges portant atteinte à la libre: 
circulation des grains. Immédiatement Gand protesta, rappela 
les raisons qui avaient justifié son privilège. Le Conseil privé 
le pria de s'expliquer, ce qu'il fit. Afin d'obtenir le maintien 
ultérieur du droit et son rétablissement immédiat, Gand fit des 
concessions et par ordonnance du 8 Octobre 1587, le roi permit 
à la ville de <iouyr et user dudit droict d’estaple pretendu, soulz 
les restrictions et limitations ensuyvantes assavoir, que les grains 
y amenez de dehors le Pays, sans oncques avoir esté vendus à 
quelque marchant ou aultrement changés de main seraient exempts 
de la dicte retenue, et que de pareille exemption iouyrent toutes 
les villes et communautez ensamble les particuliers faisans passer 
par les Rivières de la dicte ville leurs provisions». Le serment 
pouvait être exigé, que les grains étaient effectivement destinés 
à leur usage personnel. De plus on donna aux marchands 
passant à Gand avec leurs grains: «option ou d’estapler, ou 
mettre aux greniers publicqs leur dicte quote de grains, ou bien 
la vendre incontinent en la dicte ville et en tirer promptement 
le payement». Cette situation était concédée à titre provisoire‘), 
mais elle subaista jusqu’en 1673. 

C’est vraisemblablement à raison de ces modérations, que le 
placard de 1589 provoqué par la disette régnante ne reproduisit 
plus la clause touchant la surséance des étapes *). 

Au début du XVII siècle, l'opposition des villes voisines 
porta surtout sur les entraves d'ordre fiscal que leurs marchands 
rencontraient à Gand’°), mais en même temps un certain reläche- 
ment s'étant produit, les échevins jugerent bon de republier les 
dispositions réglant l'étape et d’en imposer l'observation‘). Des 
mesures de contrôle plus sévères furent également prises. 


1) Ordonnance du 8 Octobre 1587, Archives de Gand, série 110bis, n° ], 
f. 51. 

2) Apostille à la requête du magistrat de Gand, 25 Février 1589, ibidem, 
f. 52 vo. 

8) Voir plus haut, p. 449. 

4) Ordonnance de 1625, republiée en 1635, 1639, 1640 et 1641. Archives. 
de Gand, série 110bis, n° 1, f. 95. 


458 G. Bigwood 


Cette reglementation communale sous couleur de regir le 
marché et non l'étape, diminuait les avantages concedes en 1587 
aux marchands. Ceux-ci protesterent et finirent par obtenir du 
roi un édit en date du 16 Mai 1673!) consacrant et étendant 
les principes qui avaient triomphé au siècle précédent. Cet édit 
fut confirmé et précisé par le règlement du 18 Avril 1674 lequel 
contient le dernier état du droit sur la matière ?). 

Etaient exempts de l'étape: a) les grains étrangers*) qui 
depuis leur entrée dans les Pays-Bas n'avaient pas été vendus 
à des marchands ou n’avaient pas changé de mains; — b) les 
grains destinés à l’approvisionnement des villes et communautés, 
ou même des particuliers, mais avec obligation de faire constater 
par actes des magistrats compétents que ces grains étaient pro- 
duits par leur terres ou étaient achetés sur leur ordre et avec 
leurs deniers; — c) les grains qui ayant déjà passé par Gand 
y repassaient pour y être vendus ou pour être reexpédiés dans 
une autre province. 

Les marchands continuaient à avoir l'option de laisser la 
quote sujette à l'étape dans les greniers publics ou de la vendre 
immédiatement en ville; le grain consigné pouvait être acheté 
par les bourgeois, les boulangers et les brasseurs, mais les 
marchands ne pouvaient en acheter qu’à l'expiration du délai de 
trois semaines. Même avant de consigner, comme après l'avoir 
fait, les marchands et facteurs pouvaient vendre aux garnisons 
du roi et les gardes de l’étape étaient tenus de délivrer des 
laisser passer, sur l'attestation du proviseur général ou de son 
délégué. 

Le marchand qui a, à Gand, dans un grenier du blé (seigle 
ou froment) affranchi et qui en a également à faire entrer en 


1) Archives de Gand, série 110bis, n° 1, f. 107 et série 147bis, n° 5, 
f. 124; analysé par GAILLARD, loc. cit. 

2) Du Bois et d’HonDT, Coutumes de Gand, II, p. 594. 

3) On entendait par grain étranger, celui qui provient «d’en dehors des 
dix-sept provinces«, mais en cas d’une cherté telle que le seigle au marché os 
à la Lys, venait à valoir plus de sept florins le sac de Gand (1 h 06,64 I), afin 
d'engager les marchands à amener des grains, le mot étranger signifiait «d’es 
dehors de l’obéissance de S. M.» 


Gand et la circulation des Grains en Flandre, du XIV* au XVIII° 8. 459 


ville, peut, mais une seule fois, acquitter la quote non franche 
de ce dernier à l’aide du premier, en tenant compte bien entendu 
de leur valeur respective. De même, il peut disposer, pour 
l'expédition, de blé consigné, en le remplaçant au préalable par 
de l’autre. Enfin après trois semaines de consignation, les grains 
peuvent être vendus librement pour l’usage et la consommation 
des provinces, pays et villes de l’obeissance de sa Majesté. 
Cependant cette dernière liberté était soumise à une restriction: 
en cas de disette, le magistrat ou les habitants, pour leur 
consommation personnelle pouvaient reprendre pour le tout, la 
partie de grain ainsi vendue; ils pouvaient «aussi la reprendre 
pour une part, toutes les fois que dans le surplus ou restant de 
la partie vendue, il reste encore une quantité telle que le batelier 
(qui avait antérieurement accepté toute la partie) puisse, sans 
attendre et convenablement faire le voyage avec le dit restant et 
surplus, sans dommage ou sans réclamer plus haut frêt à cause 
que la partie n’est plus intacte; le tout aux prix et conditions 
que le susdit grain a été vendu». Il suffisait à l'acheteur pour 
bénéficier de cette disposition de faire connaître son achat aux 
gardes de l'étape, et le retrait devait être exécuté sans retard. 

L'étape tomba de plus en plus en désuétude et Charles VII 
put dire dans son édit du 6 Novembre 1734 réglementant la 
police et l’administration de la ville de Gand que «comme les 
deux offices nommés stapelheeren sont à présent inutiles et à la 
charge de la ville, il les avait supprimés» '). 


CONCLUSIONS. 


L’etude des diverses institutions gantoises, que l’on vient de 
lire, révèle de la part du magistrat urbain et des marchands une 
politique méthodique et suivie, dont le but était clairement indiqué. 

Contraindre tous les exportateurs de blés de la Flandre ou 
des pays qui devaient emprunter ce comté pour atteindre la mer, 





1) Du Bois et d'HONDT, Cout. de la ville de Gand, II, p. 640, art. 76. 
C’est à cette date également que s'arrêtent les registres des gardes de l’étape 
conservés aux Archives de Gand. Il faut cependant observer que l'édition 
de 1765 des Costumen ende weiten der stadt Gendt, renferme encore les 
édits du siècle précédent relatifs à l’&tape. 


460 G. Bigwood 


à transiter par Gand, obtenir pour ses bateliers un monopole de 
transport qui assurait la prospérité de son industrie bateliere, 
enfin prélever sur ce blé amené chez lui de force, presque 
nécessairement par ses propres bateliers, une quotité considérable 
et la jeter au moment jugé opportun sur son marché, telle fut, en 
son ensemble, la politique de Gand depuis le XIV* siècle. 

La mesure dans laquelle ces divers points de son programme 
furent successivement réalisés ou contrecarrés, vient d’être exposée 
dans ces quelques pages. Il n’est pas douteux que dans son 
ensemble cette politique, imposée à Gand par la force des choses 
a réussi à faire, de cette ville, un centre important du commerce 
des bles et à alimenter avantageusement le marché d’une grande 
ville consommant beaucoup, à une époque où un fléchissement 
même minime dans la récolte locale suffisait pour amener des 
crises intenses et de vraies famines. 

Si au point de vue gantois donc, les résultats de cette regle- 
mentation si étroitement égoïste, ont été heureux, il est néanmoins 
certain qu'elle était dirigée contre l’intérêt du reste du pays de 
Flandre et des principautés voisines. C’est grâce au partieu- 
larisme local si vivace au Moyen Age qu'elle a pu se former et 
se faire temporairement accepter. Avec l'unification et la centra- 
lisation pareilles institutions locales, en désaccord avec les vues 
plus larges et plus générales du gouvernement central, ne pouvaient 
manquer d’être attaquées, battues en brêche et finalement sup- 
primées. 

Institutions à raison d’être et à tendance essentiellement 
économiques, triomphant grâce au particularisme local, le transit 
obligatoire, la rupture de charge et l'étape nous apparaissent 
avec tous les caractères des phénomènes sociaux de leur époque 
et du pays où ils se sont produits. 


Hansische Handelsgesellschaften, 
vornehmlich des 14 Jahrhunderts. 
Von 
F. Keutgen (Jena). 


(Fortsetzung von Seite 324.) 


Inhalt: Das 14. Jahrhundert S. 461. — Idee eines allgemeinen Rück- 
gangs S. 462. — Bedeutung der Handelsgesellschaften für die Würdigung 
der allgemeinen Handelszustände S. 465. — See- und Landhandelsgesell- 
schaften S. 466. — Formal juristische Behandlung 8. 470. — Literatur 
S. 471. — I. Das Sendeve S. 474. — Nord- und südeuropäische Gebiete 
S. 474. — Accommodare und commendare 8. 476. — Drei Fälle des portare 
laboratum S. 479. — Begriff des sendeve S. 480. — Sendeve und selschop 
S. 481. — I. Die Gesellschaft mit einseitiger Kapitaleinlage 
S. 486. — Verteilung von Gewinn und Verlust S. 487. — Unterschied 
von der Commenda S. 490. — Vera societas S. 491. — III. Die Weder- 
legginge S. 492. — Zweck des Darleihens der Kapitaleinlage S. 492. — 
Teilungsverhältnis S. 495. — Die Gesellschaft der Söhne Geldersens 8. 500. — 
IV. Gelegenheitsgesellschaft oder Gewerbsgesellschaft S. 502. 
— Definitionen des deutschen Handelsgesetzbuchs 8. 503. — Der Unter- 
nehmer S. 505. — Verkehrung des Verhältnisses bei den italienischen Com- 
mendataren S. 507. — Kennzeichen der Gewerbsgesellschaft S. 508. — Dauer 
S. 509. — Gegensatz des Sendevegeschäfts S. 512. — Unzuverlässigkeit des 
Stadtbuchmaterials S. 514. 


Auf den vorangehenden Blättern habe ich den Weg zu bahnen 
gesucht, um zu einem Verständnis unserer besonderen Aufgabe 
zu gelangen. Diese ihrerseits würde vielleicht nicht erhebliche 
Bedeutung zu besitzen scheinen — da es sich bei ihr vielfach 
um formale Fragen handelt — wenn nicht schon ihre Betrach- 


tung wiederum dienlich wäre zur Erkenntnis der allgemeinen 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. ‘8 


462 F. Keutgen 


Handelszustände des wichtigen 14. Jahrhunderts. Das 14. Jahr- 
hundert bedeutet auch für die Handelsgeschichte den Übergang 
zwischen zwei an Neuschöpfungen ungemein reichen Epochen: den 
13. und dem ausgehenden 15. Jahrhundert. Ohne genaue Kennt- 
nis des 14. Jahrhunderts treten die Neuerungen am Schlusse des 
15. zu unvermittelt auf. Über das 13. Jahrhundert dagegen, nament- 
lich seine erste Hälfte, die eigentlich schöpferische Periode, und 
den Schluss des 12. — denn die Jahrhunderte sind ja nicht 
durch Zauberstriche voneinander getrennt — fliessen die Licht- 
quellen zu spärlich, als daß wir ohne Rückschlüsse von dem, 
was uns in dem heller beleuchteten und vordem in die Welt 
Gesetztes voller ausgestaltenden 14. Jahrhundert entgegentritt, 
den damaligen Zustand recht erkennen könnten. 

In dem 12. und 13. Jahrhundert, die nach außen so glänzend 
sich in der Stauferzeit darstellen, haben wir, wie auf anderen, 
so auch auf dem wirtschaftlichen Gebiet eine Epoche äußerster 
Tätigkeit und kräftigsten Aufschwungs. Ich habe bereits an 
anderer Stelle betont, daß die einengenden Bestrebungen, 
die das ausgebildete Zunftwesen bestimmten — das man ge- 
wöhnlich für das „Mittelalter“ für so charakteristisch hält —, 
erst nachdem zur Geltung gekommen sind und zu dem Zu- 
stande geführt haben, auf dem BücHErs Anschauung von der 
geschlossenen Stadtwirtschaft beruht!). Indessen muß man sich 
doch auch hüten, nun in dieser Richtung zu weit zu gehen, wie 
neuerdings Gefahr droht. Beispielsweise, wenn wirklich in einigen 
auch der größeren Städte schon seit Mitte oder Ende des 
14. Jahrhunderts wirtschaftlicher Stillstand zu einem Bevôlkerungs- 
rückgang geführt haben sollte, wie es nach FLAmMs Unter- 
suchungen über Freiburg i. B. scheint, und wie der Genannte 
mindestens auch für Frankfurt a. M. annimmt, so kann ein 
auf das Allgemeine gerichteter Blick uns auch diesmal -nur 
warnen vor zu weiten, einseitigen Folgerungen?). Haben doch 


1) Ämter und Zünfte S. 247 ff., S. 199. 

2) FLAMM, Der wirtschaftliche Niedergang Freiburgs i. Br. und die 
Lage des städtischen Grundeigentums im 14. und 15. Jahrhundert, ein Bei- 
trag zur Geschichte der geschlossenen Stadtwirtschaft. Karlsruhe 1906. Dazu 
meine Besprechung in dieser Zeitschrift, Bd. IV. S. 388 ff. 


Hansische Handelsgesellschaften. 463 


andere ortsgeschichtliche Forschungen, wie die Schuks über 
Emmerich, erwiesen, dass sogar eine so kleine Stadt während 
des ganzen 15. Jahrhunderts noch Ziel einer nicht zu unter- 
schätzenden Einwanderung, auch von Handwerkern, gewesen 
ist'). Aber selbst, was Freiburg betrifft, so bedeutet der 
Vertrag, den die Stadt am 30. März 1368 mit dem Markgrafen 
von Hachberg und andern Herren der Nachbarschaft schloß, doch 
keineswegs einen „Verzicht, Ziel der landflüchtigen Bevölkerung 
des ganzen Breisgaus zu sein“, und noch weniger einen frei- 
willigen. Nur die Eigenleute darf sie nach diesem Friedens- 
werk nicht mehr zu Bürgern aufnehmen, und die Pfahlbürger 
soll sie aus dem Burgrecht entlassen?). Kurz, hier ist ein. 


1) C. SCHUÉ, Einwanderung in Emmerich, vornehmlich im 15. Jahr- 
hundert. In der Festgabe für HEINRICH FINKE zum 7. August 1904. Von 
1427—1500 haben dort 1109 Aufnahmen zu Bürgerrecht stattgefunden, in 
dem Dezennium 1471—1480 nicht weniger als 234, 1491—1500 228. ScHuk 
hält es für möglich, daß namentlich gegen Schluß der Periode die Liste 
auch einige Namen von Bürgersöhnen enthält, aber groß ist dieser Faktor 
keinenfalls und auch das starke Abflauen der Zahl der Aufgenommenen zu 
Kriegszeiten spricht dagegen. Außerdem ist noch mit solchen Einwanderern 
zu rechnen, die nicht Bürger geworden sind. S. 512 ff. S. 505. Über die 
aufgenommenen Handwerker 8. 500 ff. 

2) SCHREIBER, Urkb. d. Stadt Freiburg, Bd.I, 8.525 ff. FLAmm, 
a. a. OÖ. S.164 f. und S. 13. Erstens wird verabredet, daß Freiburg seine 
Pfahlbürger entlassen und ohne Genehmigung des Herrn niemand mehr als 
Pfahlbürger aufnehmen soll; denn nur von diesen ist in der ersten Bestim- 
mung die Rede; 2. sollen alle augenblicklichen Pfahlbürger binnen 2 Monaten 
in die Stadt ziehen und Bürger bleiben dürfen; 3. „Were ouch daz ieman 
sust der unsern oder deheins under uns oder unserer erben lüte, ez were 
nu oder hienach, gein Friburg, gein Brisach oder gein Nüwenburg in 
der stette eine ziehen wolte und da sessehaft bliben, ane unser eigen- 
lüte, dem sollent wir... es ouch nit weren... .“; 4. sollen die Frei- 
burger auch niemand hindern fortzuziehen „und sollent in ouch dez weder 
an sime libe noch an sime guot nit sumen noch irren, ane geverde“. Die 
Freiburger aber hatten am Tage vorher — mit „geverde“, muß man doch 
wohl sagen -- den Abziehenden eine recht hohe Steuer auferlegt, nämlich 
ein zwanzigfaches „gewerf“‘ und, sofern sie Bürger, nicht bloße „seldener 
und gesessen lüte“ waren, noch 1 ® -$ außerdem. SCHREIBER, 8. 511. In- 
sofern hat Flamın Recht, daß die beiden Handlungen in Zusammenhang 
stehen. Allein der Zweck der Maßregel war nicht die Erschließung einer 
neuen Einnahmequelle, — denn um die einträglich zu machen, hätte Freiburg 


464 F. Keutgen 


Punkt, von dessen weiterer Untersuchung noch wertvolle Er- 
gebnisse zu erwarten stehen. Wird man also keineswegs geneigt 
sein, in der Handelsbewegung auch der eigentlich handel- 
treibenden Gegenden, vor allem der Seestädte, einen Stillstand 
anzunehmen, weil Freiburg im Breisgau im Jahre 1369 zum 
Schutzzoll überging, nachdem es sich im Jahre zuvor bei seiner 
Übergabe an Österreich die Möglichkeit dazu gesichert hatte!) 
so ist es doch andererseits auch unter dem Gesichtswinkel der 
Frammschen Forschungen klar, daß das 14. Jahrhundert einen 
Höhepunkt gebildet hat: von dem aus jedoch, während die 
Schwachen sanken, die Starken sich zu weiteren Höhen auf- 
schwangen, und daß man nicht einfach, an den Taten der 
Fugger und Welser messend, es verächtlich übergehen darf. 
Will man dem Handel jener Zeit gerecht werden, das ergaben 
unsere einleitenden Darlegungen?), so wird man sich von ver- 





sich ja entvölkern müssen, — sondern den Abzug zu verhindern. Die Ab- 
sicht der Stadt ging also durchaus nicht darauf, die Einwohnerzahl einzu- 
schränken. Ganz im Gegenteil, sie wollte möglichst viele Steuerzahler be 
halten. Und wenn sie in dem Vertrage mit den Herren auf ihre Pfahlbürger 
und auf die Zuwendung von Eigenleuten verzichtete, so sind dafür nicht 
mit FLAMM bevölkerungspolitische Gründe zu suchen, sondern es war eine 
ihr von den Herren auferlegte Friedensbedingung, zu der sie sich wider 
Willen bequemen mußte. Die Aufhebung der Abzugssteuer — nach einer 
Verminderung auf zehn Gewerft — im Jahr 1446 (SCHREIBER II, 8. 421 f.) 
geschah denn auch nicht, weil „die Reichen und Edeln sich in ihrer Be- 
wegungsfreiheit nicht hindern ließen und andererseits immer mehr Arme in 
der Stadt zurückblieben“, wie FLAMM 8.13 sagt, sondern weil die Lente 
sich wegen der Steuer scheuten, nach Freiburg zu ziehen. Von Widerwillen 
der Zünfte gegen die bisherige Freizügigkeit ist also bei der Sache nicht 
die Rede. 

1) FLAMM, a.a. O., S.63. SCHREIBER Urkb. I, S. 541 (der neue Zoll- 
tarif, S. 549 ff.): den Bürgern wird bestätigt, daß sie die Gewalt ihre Zölle 
zu mindern und zu mehren „mit guoter gewonheit und besunderer friheit 
herbracht habent“. Eine erste Erhöhung der alten Zölle des Rotels hatte 
1355 stattgefunden (FLAMM, S. 62). Es ist mit jener Behauptung aber ein 
Wink gegeben für die Beurteilung der von WELTI aufgeworfenen Frage, wie 
lange ein Zolltarif sich unverändert erhalten konnte. Wie, wenn die Bürger 
ursprünglich zu jeder Veränderung der Genehmigung des Stadtherrn be- 
durften, es aber in dessen, d.h. seiner ländlichen Untertanen Vorteil lag, 
daß die Zölle niedrig blieben ? Vgl. oben S. 384 Anm. 2. 

2) Oben, besonders 8.283 f. Bei Aufzählung von Besprechungen des 


Hansische Handelsgesellschaften. 465 


schiedenem freimachen müssen. Es hatte sich gezeigt, daß, ver- 
glichen etwa mit den Jahreseinnahmen einer damaligen Groß- 
macht, der hansische Handel in der zweiten Hälfte des 14. Jahr- 
hunderts bedeutender war als selbst der heutige. Und, wohl 
bemerkt Einfuhr und Ausfuhr über See, nicht Verkäufe und 
Einkäufe der Bauern auf dem Wochenmarkt der Kreisstadt. 
Ferner, so wahnhaft der Glaube an zahlreiche Großhändler in 
allen deutschen Städten, zumal schon in der Gründungsepoche, 
gewesen war, so durfte diese wichtige Feststellung doch auch 
nicht in der Folge dazu verleiten, die zahlreichen Händler, die 
den Warenaustausch von Stadt zu Stadt oder gar von Land 
zu Land vermittelten, als philisterhafte Krämer zu denken, neben 
denen etwa nur einzelne Grundbesitzer und Rentenbezieher ge- 
legentlich einmal ein Geschäft größeren Stils bätten unternehmen 
lassen. 

Was aber nunmehr die Handelsgesellschaften betrifft, 
so ergibt die Wesentlichkeit ihrer richtigen Würdigung für das 
Verständnis der damaligen Handelszustände schon der Umstand, 
daß umgekehrt ein gründliches Mißverstehen ihres Charakters 
SOMBART zur Stütze seiner verkehrten Auffassung vom Wesen 
des Handels jener Zeit hat dienen können. | 

Mit vollem Recht zwar bemerkt dieser Forscher!): „Das 
Gesellschaftsrecht und seine Entwicklung vor allem 
gestattet uns tiefe Einblicke in den Artcharakter 
des Handels quo ante“. Durchaus im Irrtum aber befindet 
er sich, wenn er fortfährt: „Es ist bekannt, wie mühsam sich 
die Vorstellung eines quotenmäßigen Anteils der einzelnen Ge- 
nossen an Kosten und Gewinn herausbildet“. Nichts könnte 
deutlicher seine Verkennung der Anschauungen beleuchten, die 
lange vor dem von ihm angenommenen Zeitpunkt der Geburt 
des „spiritus capitalisticus* den Handel beherrschten. 


SOMBARTschen Buches wären noch die Bemerkungen von B. HARMS in seinem 
Aufsatz „Darstellung und Kritik der Wirtschafts- und Betriebssystematik 
im SOMBARTschen „Kapitalismus“ (SCHMOLLERs, Jahrbuch, N. F. 29) S. 1414 ff. 
anzuführen gewesen, wo er das Vorhandensein eines „stark ausgeprägten 
Erwerbstriebes‘ in den älteren deutschen Städten betont. 

1) Der moderne Kapitalismus. Bd. I, 8. 181. 


466 F. Keutgen 


„Die... familienhaften Vereinigungen“, die „nur eine gemein- 
same Kasse“ kennen, „aus der die einzelnen Teilhaber je nach 
ihrem persönlichen Bedarf ihren Unterhalt bestreiten“, — die 
SOMBART zu der Frage Anlaß geben: „Läßt sich das Prinzip 
der Bedarfsdeckung als Zweck wirtschaftlicher Tätigkeit 
schroffer vertreten denken als in dieser alten Anschauungsweise 
von gemeinsamem Nutzen und gemeinsamer Unterhaltung?“ — 
sie sind ja durchaus nicht schlechthin typisch für die älteren 
Handelsgesellschaften. 


An sich schon gilt WEBERs Schilderung, auf die SOMBART 
sich hier beruft, allein dem Zustande der ursprünglichen Haus 
gemeinschaft, dem Ausgangspunkt, der aber schon sehr früh, 
z. B. durch die Lex Rothari, verlassen worden ist‘). Anderer- 
seits sind ja gerade die größten, auch von SOMBART als kapits- 
listisch anerkannten Handelsgesellschaften, die der Fugger und 
viele andere, eben aus solchen familienrechtlichen Gemeinschaften 
hervorgegangen. 


Doch trifft das alles nur eine minder wichtige Seite. Denn 
die Hauptsache ist: Jene aus Familienwirtschaften hervor- 
gegangenen stellen nur eine besondere Art der älteren Handels- 
gesellschaften dar, und zwar, trotz Fugger und Welser, keines 
wegs die handelsgeschichtlich unbedingt wichtigste Art. 


Gerade SoMBArRTs Gewährsmann, WEBER, unterscheidet ein- 
dringend von jenen familienwirtschaftlichen Gesellschaften, die 
wesentlich binnenländischen Ursprungs sind und dem Landhandel 
dienen, die von vornherein auf freier Vereinbarung beruhenden 
Gesellschaften für den Seehandel?). Seine ganze Darstellung 
baut sich auf dieser Zweiteilung auf. Auch SOMBART ist die 
zweite Klasse natürlich wohlbekannt. Allein durch die angegebene 
Art, wie er den Abschnitt über das Gesellschaftsrecht einleitet, 
tut er das Mögliche, den Unterschied zu verwischen: muß doch 
die so weite Verbreitung der freibegründeten Gesellschaften allein 


1) Max WEBER, Zur Geschichte der Handelsgesellschaften im Mittelalter. 
Nach südeuropäischen Quellen (1889). III. Die Familien- und Arbeitsgemein- 
schaften, S. 44 ff. 

2) WEBER, a. a. O., II. Die seehandelsrechtlichen Sozietäten, 8. 15 ff. 


Hansische Handelsgesellschaften. 467 


schon alles entkräften, was er durch die angeführten Worte hat 
sagen wollen. 

Wir haben es nach unserem Thema natürlich nur mit den 
Seehandelsgesellschaften zu tun, müssen uns jedoch 
auch da zunächst mit SomBArTs Bemühungen abfinden, selbst 
diese ihres kapitalistischen Charakters zu entkleiden. Gerade in 
der Commenda, der südeuropäischen Urform, erblickt er nämlich 
„recht eigentlich die Betätigung [Bestätigung?] für den durch 
und durch handwerksmäßigen Charakter jener Zeit“, und warum? 
Weil „sie die vollständige Trennung zwischen Geldbesitzer und 
Händler zum deutlichen Ausdruck bringt“. Weil angeblich „der 
Geldbesitzer steht noch außer jedem Konnex mit der 
Handelstätigkeit selbst, die vielmehr ausschließlich Sache eines 
technischen Arbeiters ist“. Weil angeblich „das zur Verwertung 
überwiesene Geld hat noch nicht im geringsten den Charakter 
des Kapitals angenommen, sondern ist nichts anderes als Betriebs- 
fonds !).“ 

Diese Darstellung der Verhältnisse der Commenda ist jedoch 
falsch. SOMBART bezieht sich auf LAsTiG, nach dem die Com- 
menda „ein Arbeitsverhältnis“ ist; „der Kapitalist, Accomendant, 
zieht eine andere Person (Arbeiter), Accomendatarius, in seine 
Dienste, damit diese mit einem ihr übergebenen Kapital für 
seine (des Kapitalisten) Rechnung aber in eigenem (des Arbeiters) 
Namen gegen Anteil am Gewinn Handelsgeschäfte treibe“ ?). 
„Der Comandatarius oder Komplementar steht einfach im Dienste 
des Comandor oder Accomendans“ u. 8. w.°). Allein wenn 
LASTIG, wie SOMBART selbst zugibt, diese Definition in dem 
SOMBART entgegengesetzten Sinne aufgefaßt haben will, nämlich 
in dem der Commenda als einer Form des kapitalistischen 
Handels, so tut er das mit gutem Grund. 

SOMBART scheint LasriGs Ausführungen so verstanden zu 
haben, als handelte es sich bei der Commenda um ein Ver- 
hältnis analog dem Falle des römischen Rechts, wo ein Herr 


1) SOMBART, a. a O., Bd. I, S. 181 f. 

2) LasriG, Beiträge zur Geschichte des Handelsrechts. GOLDSCHMIDTS 
Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht, Bd. 24, S. 400. 

3) LASTIG, a. a. O., S. 414. 





468 F. Keutgen 


dem Sklaven ein „peculium“ eingeräumt hat, um damit selb- 
ständig ein Gewerbe zu betreiben, von dem der Herr sich einen Teil 
des Gewinnes vorbehält!.,. Dann könnte man in der Tat von 
der Überweisung eines „Betriebsfonds“ als unterschieden von der 
Hingabe eines Kapitals reden. Allein SomBART übersieht, daß 
nach LasTiGs Auffassung — ein für alles weitere maßgebender 
Punkt — der Commendans Unternehmer bleibt, nicht, wie 
es nach SOMBARTS Deutung sein würde, der Commendatar: und 
damit fällt seine ganze Charakterisierung. Eben deshalb nennt 
LasTiG ja auch die Commenda eine Arbeitsgesellschaft?). 
Wenn LasriG gleichwohl die Arbeitsleistung des Commendatars 
so stark hervorhebt, so geschieht das, weil dieser Teilhaber nur 
Arbeit tut; es geschieht, um dieses Verhältnis scharf zu scheiden 
von anderen, wo er außer Arbeit auch Kapital einschießt. Es 
handelt sich also um die Abgrenzung gegenüber anderen Formen 
der Gesellschaft. Außerdem aber liegt LASTIG daran, die eigent- 
liche Commenda, die allein so heißen sollte, zu trennen von dem 
formal gleichen, aber materiell verschiedenen Verhältnis, dem in 
der Folge jener Name ebenfalls beigelegt worden ist, — dem 
Verhältnis nämlich, wo ein bloßer Kapitalist sein Geld in dem 
Geschäft eines anderen anlegt, ihm Geld gegen einen Anteil am 
Gewinn leiht, „accommodat“, ohne Einfluß auf seine Unter- 


1) Vgl. Soum, Institutionen des römischen Privatrechts, $ 88 (8. bis 
10. Aufl.). 

2) LasTiG, S. 409 f. „einseitige Arbeitsgesellschaft, d. h. 
folgendes Rechtsverhältnis: Jemand (A), der ein Unternehmen be- 
ginnen will, auch bereit ist, das erforderliche Kapital und seine 
Arbeitskraft darauf zu verwenden, bedarf noch der unterstützenden. 
oder auch ersetzenden Tätigkeit einer andern Person und zieht eine solche 
(B) deshalb für das Unternehmen heran.“ Dies kann durch Dienstmiete ge 
schehen. „Dagegen liegt... ., wenn dem B für seine Dienste statt eimes 
festen Äquivalentes in Geld ein Anteil an dem durch Mithilfe seiner Arbeit 
erzielten (feschäftsgewinn eingeräumt wird, keine . . . Dienstmiete, sondern 
eine societas, eine Gesellschaft, und zwar eine einseitige Arbeitsgesellschaft 
vor. B ist dem Unternehmer A“ u. s. w. — Eine sehr wesentliche Arbeits- 
beteiligung des Kapitalisten zeigt sich z. B., wenn, wiè häufig, dieser die zu 
verhandelnden Waren an den in der Ferne weilenden Commendatar sendet, 
also auch Einkauf, Verpackung, Verschiffung besorgt, — ein Fall, der Sov- 
BAkRT natürlich auch bekannt ist. 


Hansische Handelsgesellschaften. | 469 


nehmungen auszuüben, — wie in dem früher angeführten Falle 
der heiligen Juetta'). 

Außer alledem aber findet sich ebenso früh in den Quellen 
auch die Gesellschaft mit Kapitaleinlage von beiden Seiten, 
die „societas maris“? Auf „die Höhe der Summen“ 


1) LASTIG, a. a. O., S. 416: „Das volle Gegenstück der einseitigen Arbeits- 
gesellschaft bildet die einseitige Kapitalgesellschaft; so darf man m. E. 
dasjenige Rechtsverhältnis bezeichnen, in welchem jemand behufs Anlage 
in seinem Unternehmen sich von einer andern Person Kapital, Geld oder 
andere Sachen verschafft, unter der Verpflichtung der Rückgabe und Ein- 
räumung eines Anteils am Ertrage statt fester Zinsen.“ „Unternehmer, Ge- 
schäftsherr, Firmeninhaber in der einseitigen Kapitalgesellschaft ist der Kapi- 
talempfänger“. LAsTiG bezeichnet diese Form als Participatio, Stille (Kapital) 
Gesellschaft (vgl. auch LasrtıGs Habilitationsschrift „Die stille Gesellschaft“, 
Halle 1871, S. 81%, Weiter, S. 422 f.: „Wie wenig man juristisch völlig 
heterogene Verhältnisse auseinanderzuhalten bemüht war, erhellt sehr deut- 
lich aus der Subsumtion auch der Comanda oder Accomenda unter die Parti- 
cipatio. ... Während die Hingabe von Kapital durch den Comandor . . 
an den Comandatar nur unabweisliches Mittel zum Zweck ist, fanden nicht 
Wenige darin die causa principalis und fühlten sich veranlaßt, in der 
Comanda oder Accomenda ein Kapitalgeschäft, eine Participatio zu sehen“. 
Vgl. wegen der Bedeutung der Unterscheidung noch unten S. 476f. Wegen 
der H. Juetta oben S. 801f. LasriG führt übrigens aus italienischen Quellen 
des 13. und 14. Jahrhunderts Belege dafür an, daß dort die Anlage von 
Mündel- und Witwenvermögen in dieser Weise sogar Gegenstand gesetzlicher 
Vorschriften war. 8.419 f. 

2) SILBERSCHMIDT, Die Commenda in ihrer frühesten Entwicklung bis 
zum XIII. Jahrhundert (1884), S. 30 f.: „in der Zeit, aus welcher uns die 
ersten Quellen der Commenda erhalten sind, finden wir bereits die beiden 
Formen neben einander“. WEBER, 8.8.0. S. 22: „Soweit rückwärts uns 
die Kommenda bezeugt ist, ebensoweit auch diese Sozietät“. Darüber, welche 
Form man an sich als die ältere betrachten will, kann man übrigens sehr 
verschiedener Meinung sein! Man kann mit SILBERSCHMIDT und WEBER 
den Fortschritt in der Weise vor sich gehen lassen, daß man von einem 
Selbständigerwerden des Kommendatars spricht, der anfangs nicht, später 
aber wohl mit Kapital beteiligt war: das scheint eine logische Weiter- 
entwicklung, und aus der hansischen Geschichte werden wir wirkliche Bei- 
spiele der Art kennen lernen. Es ist aber ebensogut möglich, daß zuerst 
nur gleichberechtigte Kaufleute Geld und Arbeit zusammentaten, ehe man 
den Versuch mit einem abhängigen machte: wie denn für den Norden 
PAPrPENHEM die eigentliche societas, hier fèlag genannt, sogar für allein 
alteinheimisch halten möchte. Vgl. unten S. 478. In Wahrheit wird, wie 


470 F. Keutgen 


kann es dabei unmöglich ankommen: es kann nicht einen be- 
stimmten Betrag geben, von dem an das Geld „Kapitalseigen- 
schaft“ „annimmt“; nur auf die Art der Verwertung kommt es 
an. Ein bloßer Scheingrund SOMBARTs endlich ist es, daß „in 
der bloßen Tatsache des Vorwiegens gesellschait- 
lich betriebener Handelsunternehmungen der aller 
beste Beweis für deren Handwerkshaftigkeit gelegen“ sei’): 
also auch mit der zunehmenden Verbreitung der Aktiengesell- 
schaften würde der Handel immer ‘handwerksmäfiger ? 

Doch wir gehen zur Sache über. 

Es kommt darauf an, das Wesen der im Bereich der 
deutschen Hanse gewöhnlich abgeschlossenen Haı- 
delsgesellschaften zu erkennen: wir hoffen daraus 
Schlüsse ziehen zu können einmal auf die Bedeutung des 
Handels selbst, dann auf die Selbständigkeit der 
deutschen Rechtsbildung in dieser Materie. 

Gewiß ist es ein Schade, wie auch SomBArT bemerkt, daß 
die Literatur über die älteren Handelsgesellschaften fast aus 
schließlich von juristischen Gesichtspunkten beherrscht ist. Denn 
die juristischen Bearbeiter haben, mehr als gut war, die 
ihnen geläufigen, d. h. modernrechtliche und in geringerem 
Maße römische Kategorien zur Bestimmung herangezogen. 
Freilich ist das an sich nicht zu verwerfen: im Gegenteil, ein 
Vergleich mit dem heutigen Recht und seinen begrifflich scharf 
durchdachten Definitionen ist wohlgeeignet, zur Klärung _ bei- 
zutragen und kann deshalb geradezu als methodisch notwendig 
bezeichnet werden. Allein man hat sich nicht immer genügend 
vor Augen gehalten, daß das Recht nicht ein bloß in sich be- 
ruhender und vollendeter Gedankenbau sein soll und kann, und 
daß deshalb die älteren Formen des Gesellschaftsrechts nicht 
nötig in die jetzt als erschöpfend angenommenen Kategorien 
hineinzupassen brauchen. Die Geschichte und auch die Wirt- 
schaftsgeschichte schafft, all unserer begrifflichen Schärfe zum 
Trotz, stets neue und immer wieder neue Gestaltungen. Ein 


— nn een 


in so manchem analogen Fall, absolute Priorität keiner der beiden Möglich- 
keiten zuzuerkennen sein. 
1) SOMBART, a. a. O., S. 182, 183. 


Hansische Handelsgesellschaften. 471 


/ 
Hineinpressen alter Lebensäußerungen in moderne Formen muß 
daher den historischen Sachverhalt verdunkeln \). 

Eine ganz ähnliche Schwierigkeit ergibt sich daraus, daß die 
wissenschaftliche Untersuchung ausgegangen ist von den süd- 
europäischen, vornehmlich den italienischen Gesell- 
schaften: begreiflich wegen ihres reicheren und älteren Quellen- 
materials. Auch da hat die Neigung bestanden, die für Süd- 
europa gewonnenen Ergebnisse unbesehen auf die deutschen 
Verhältnisse zu übertragen. In den Grundzügen waren diese 
bei ähnlichen Voraussetzungen allerdings ähnlich. Allein es 
werden sich doch ganz erhebliche Unterschiede ergeben ?). 

Der Weg, der uns vorgezeichnet ist, wäre also der, die 
Arten der deutschen Seehandelsgesellschaften, soweit es das er- 
reichbare Material zuläßt, bloß aus den deutschen Quellen zu 
erschließen, die italienischen aber nur, soweit ersprießlich, zum 
Vergleich heranzuziehen. 

Unter den bisherigen Untersuchungen tiber die Hansischen Handels- 
gesellschaften ist an erster Stelle zu nennen der Aufsatz von PAUL 
REHME „Die Lübecker Handelsgesellschaften in der ersten Hälfte des 
14. Jahrhunderts“, erschienen in GOLDSCHMIDTS Zeitschrift für das 
gesamte Handelsrecht, Bd. 42 (1894). Er bildet dank dem von seinem 
Verfasser zugänglich gemachten Quellenstoff den Ausgangspunkt für 
die neueren Forschungen. Älter sind u. a. die Abhandlung von 
C. W. Pau: im I. und III. Bande seiner Lübeckischen Zustände im 
Mittelalter (1847 und 1878); ferner F. G. A. SCHMDT, Handelsgesell- 
schaften in den deutschen Stadtrechtsquellen des Mittelalters (GIERKES 
Untersuchungen, Bd. XV, 1883); und Koppmanns Ausführungen in 

1) LasriG, a. a. O., S. 388, macht ENDEMANN (Studien in der Romanisch- 
kanonistischen Wirtschafts- und Rechtslehre) den Vorwurf, daß er „rein 
wirtschaftliche Begriffe und Konstruktionen in das Gebiet des Rechts, bez. 
der Rechtswissenschaft übertrüge“. Das wird durch meine Bemerkungen 
natürlich nicht berührt, da selbstredend jede Wissenschaft ihr eigenes Be- 
griffssystem besitzt und pflegen muß. 

2) Mit großem Recht hat GEFFCKEN einmal bei Besprechung von BRIES 
„Lehre vom Gewohnheitsrecht“ auf die Notwendigkeit hingewiesen, „anstatt 
das deutsche Recht am fertigen Maßstab der fremdrechtlichen Theorie zu 
messen, dasselbe unbefangen und ohne römischrechtliche Voraussetzungen 
als etwas Selbständiges“ zu prüfen. Hist. Vierteljahrsschrift, Bd. VII (1904) 
S. 251. 


472 F. Keutgen 


seiner Ausgabe von JOHANN TÔLNERS Handlungsbuch von 1345 — 1350 
(Geschichtsquellen der Stadt Rostock, Bd. I, 1885). Auch die Arbeiten 
von PAPPENHEIM über „Altnordische Handelsgesellschaften“ in GoLn- 
SCHMIDTS Zeitschrift Bd. XXXVI (1889); von LEPA „Über den Ursprung 
des Kommissionshandels“, GOLDSCHMmTs Zeitschrift, Bd. XXYI 
(1881); und von LEVm, Über das Kommissionsgeschäft im Hanss- 
gobiete, Berliner juristische Dissertation (1887), gehören hierher. Der 
Abschnitt in SCHMOLLERS Abhandlung über „Die geschichtliche Ent- 
wickelung der Unternehmung; XII, die Handelsgesellschaften des 
Mittelalters und der Renaissancezeit“ (Jahrbuch f. Gesetzgebung, N. F, 
Bd. XVII 1893) ist mehr nur zusammenfassend. Seit dem Aufsatz von 
REHME dagegen sind erschienen: einmal, wiederum das Material be- 
reichernd, die Veröffentlichungen der Handlungsbücher des Han- 
burgers VIicKO VON GELDERSEN durch NIRBNHEIM (1895) und der 
Lübecker HERMANN und JOHANN WITTENBORG durch MoLLwo (1901;; 
sodann eine ausführliche Rezension des letztgenannten Buches durch 
den Altmeister Hansischer Geschichte KArL KOPPMANN, Hansische Ge 
schichtsblätter, Heft XXVIII (Jahrgang 1900) und endlich eine scharf- 
sinnige Abhandlung von SILBERSCHMIDT, dem gründlichen Kenner der 
italienischen Commenda, betitelt „Kumpanie und Sendeve“ in dem 
Archiv für Bürgerliches Recht und Handelsrecht, Bd. XXIII (1904). 
Ich selbst hatte die Frage bereits vor dem Erscheinen von SILBER- 
SCHMIDTS Aufsatz bei Gelegenheit meiner Untersuchungen tiber den 
mittelalterlichen „Großhandel“ in Arbeit genommen, doch wuchs sie 
über den damals gesteckten Rahmen hinaus!). Noch ein besonderer 
Grund jedoch ließ mich den Abschluß hinausschieben. 

Das neue Material, das REHME erschlossen hat, ist enthalten in 
dem Lübecker „Nieder-Stadtbuch“ (liber debitorum, der stad 
schuld bok), das seit ziemlich dem Anfange des 14. Jahrhunderts der 
Eintragung von Mobiliarverträgen diente, im Gegensatz zu dem Immo- 
biliargeschäften gewidmeten „Ober-Stadtbuch“, das REHME ebenfalls 
zum Gegenstand einer Untersuchung gemacht hat?). Aus dem vie- 
bändigen Nieder-Stadtbuch hatte zwar bereits C. W. PAULI den Stoff 
für seine Aufsätze geschöpft; aber REHME hat zum ersten Male alle 

1) Vgl. Hans. Geschichtsblätter, Jahrgang 1901 8. 118%. — 
B. KUSKE, „der Kölner Fischhandel vom 14.—17. Jahrhundert“ (Westd. Z. 1905. 
.S. 278) bringt einiges über Handelsgesellschaften, das an sich interessant ist, 
für mich aber höchstens nach Einsicht in die Quelle selbst verwendbar sein 
würde. 

2) P. REHME, das Lübecker Oberstadtbuch. 1896. 


Hansische Handelsgösellschaften. 473: 


Eintragungen über den Abschluß von Handelsgesellschaften während 
des ersten halben Jahrhunderts der Buchfthrung, von 1311—1360, 
etwa 280 an Zahl erschöpfend analysiert, wobei er etwa den vierten 
Teil abdruckte. Während jener Zeit sind nämlich die „Societates“ 
unter besonderer Rubrik eingetragen worden, nachher nicht mehr. 
Gern hätte ich die „scripturae“ des N. St. B. tiber Gesellschaften für 
die Jahre 1311—1360, auch soweit sie von REHME nicht im Wortlaut 
mitgeteilt sind, sowie wenigstens noch die für den Rest des 14. Jahr- 
hunderts eingesehen. Das um so mehr als nach PAULIs Zeugnis und den 
von ihm veröffentlichten Proben aus dem 15. Jahrhundert, die späteren 
Eintragungen sich inhaltlich wesentlich ausführlicher gestalten!). Ja | 
schon aus den jtingeren der von REHME mitgeteilten kann man das ent- 
nehmen und zugleich erkennen, daß diese Ausführlichkeit für unsere: 
Einsicht in die Natur des abgeschlossenen Geschäfts gar nicht un- 
wesentlich ist, wie denn in der Tat manche von den älteren äuBerst 
knappen der von REHME abgedruckten „scripturae“ in dieser Hinsicht 
durchaus keine gentigende Gewähr bieten. Allein die Ltibecker Be- 
hörden sahen sich außerstande, meinem Wunsche, mir einige Bände 
des Buches nach Jena zu schicken, nachzukommen. Mir andererseits 
ist es bisher nicht möglich gewesen, einen Aufenthalt in Ltibeck zu. 
nehmen. So habe ich mich entschließen miissen, von der Beibringung 
erweiterten Materials abzusehen. Indessen bezeugt PAULL daß sich. 
an der Natur der eingetragenen Geschäfte auch während des 15. Jahr- 
hunderts nichts ändert. Hinzu kommt aber noch eins: Schon REHME: 
hatte bemerkt, daß die Registrierung der Gesellschaften eine freiwillige 
war. Immerhin glaubte er, daß man sich der Eintragung in das 
N. St. B. beim Abschluß von Handelsgesellschaften mit Vorliebe be- 
dient habe, da sie „nicht nur den Schuldschein“ ersetzte, sondern 
„sogar einen unwiderleglichen Beweis“ lieferte und „außerdem den 
Gläubiger zum Antrage auf sofortige Zwangsvollstreckung“ berechtigte, 
REHME ging deshalb so weit, daß er jene Einrichtung einer besonderen 
Rubrik der „Societates“ als ein vom Rate geführtes Handelsregister 
bezeichnete?). Allein seitdem sind wir durch WITTENBORGSs Hand- 
lungsbuch eines andern belehrt worden. Dieser angesehene Kaufmann 
hat sich nämlich der Rubrik „Societates“ im Stadtbuch nur ein einziges 
Mal bedient, als er einmal einen Gesellschaftsvertrag mit einem Manne- 
abschloß, mit dem er sonst nicht in Verbindung stand®). Dagegen. 


1) Lübeckische Zustände, Bd. II, S. 86. 
2) GOLDSCHMIDTS Zeitschrift, Bd. 42, S. 367 und 879. 
3) MoLLwo, a. a. O., S. LIT und S. 84 Nr. 71a. 


474 F. Keutgen 


die zahlreichen Verträge mit seinen regelmäßigen Gesellschaftern hat 
er stets nur in sein privates Geschäftsbuch eingetragen. Auch auf die 
Häufigkeit der verschiedenen Arten der Gesellschaften dürfen wir nicht, 
wie REHME noch glaubte, aus ihrem Vorkommen im N. St. B. Schlüsse 
ziehen!). Also läßt sich die entfallene Einsicht in das N. St. B. wohl 
verschmerzen. Außerdem ist es ja stets ein Vorteil, wenn man sein 
Beweismaterial gedruckt vorlegen kann. 


I. 
Das Sendeve. 


Unsere erste und dauernde Aufgabe ist also, uns frei zu 
halten von der Beeinflussung durch jedes anderswoher bezogene 
Begriffsschema, sei es nun moderner, römischer oder italienischer 
Herkunft, so nützlich es gelegentlich sein mag, namentlich die 
einigermaßen wohlgefügte italienische Terminologie zum Vergleich, 
zur Feststellung von Abweichungen heranzuziehen: wollen wir 
die Natur der deutschen Gesellschaftsformen sicher er 
kennen, so müssen wir uns zunächst ausschließlich an die 
deutschen Quellen halten. 

Eben in dem Verstoß gegen diese Regel erblicke ich eine 
Fehlerquelle in der neuesten Arbeit über die Materie, der von 
SILBERSCHMIDT: „Kumpanie und Sendeve“. Diese dient nämlich 
geradezu dem Nachweis, daß die in desselben Verfassers Buche 
über die Commenda „für die romanischen Länder gefundenen 
drei Hauptformen des portare laboratum“, das heißt des An- 
vertrauens von Waren zum Vertrieb am Bestimmungsorte, „auch 
im germanischen Rechtskreise sich wiederfinden, daß sie aber 
auch zur Erklärung der Quellen völlig ausreichen“ ?). Wäre 
das der Fall, so dürfte es sich jedenfalls doch nur aus einer 
unabhängig geführten Untersuchung zum Schluß ergeben. 

SILBERSCHMIDT erklärt nun zwar die Frage, ob die germa- 
nischen Gesellschaftsformen selbständig oder unter dem Einfluß 
der Commenda entstanden seien, für zur Zeit ohne erhebliche 
praktische Bedeutung. Recht in Widerspruch damit fährt er 


1) GOLDSCHMIDTS Zeitschrift, Bd. 42, S. 374. Vgl. noch unten S. 514. 
2) Kumpanie und Sendeve. Archiv für bürgerliches Recht. Bd. XXIIL 
S. 4. 





Hansische Handelsgesellschaften. 475 


jedoch fort: „Denn in der Zeit, in welcher wir die romanischen, 
germanischen und nordischen Formen jetzt nachweisen können, 
besteht der gegenseitige Verkehr und damit der wechselseitige 
Einfluß“ !), Und wenn er auch „die Gleichheit der für die 
Ausbildung der Commenda in Betracht kommenden volkswirt- 
schaftlichen Verhältnisse“ betont ?), also einen Umstand, der die 
unabhängige Entstehung ähnlicher Rechtsnormen begünstigen 
mußte, so geht er gleichwohl alsbald dazu über, die Beeinflussung 
des Nordens durch den Süden Europas des näheren nachzu- 
weisen’). Jedoch weder die Vorschriften des Großen Rates 
von Venedig für die Vicedomini des dortigen Deutschen 
Hauses*), noch ein Brief des Stadtrats von Avignon an die 
Stadt Konstanz’), noch die von SrtieDA dargestellten Han- 
sisch-venetianischen Handelsbeziehungen des 15. Jahr- 
hunderts®) können für die Abhängigkeit des Gesellschaftsrechts 
des Nord-Ostsee-Handelsgebiets von dem der Mittelmeerländer 
— denn nur in dieser Formulierung würde ein richtiges Bild 
vermittelt — etwas beweisen. Und wenn GOLDSCHMIDT „das 
romanische Handelsrecht . . . in der Hauptsache auch im öst- 
lichen und nördlichen Europa rezipiert“ werden läßt, so spricht 
dieser im wesentlichen doch nur von etwas, das „seit dem Aus- 
gang des Mittelalters“ vor sich ging ’). 

Wichtiger ist, daß SILBERSCHMIDT auch den Namen „com- 
menda“ schon im 13. Jahrhundert im Norden entdecken will. 





1) A. a. O., S. 6. 

2) À. a. O., S. 6. 

3) À. a. O., S. 6 f. 

4) MONE, ZGOR, Bd. V, 8.8 $ 18 und S. 11 $ 46, oder THOMAS, Capi- 
tolare dei Visdomini del Fontego dei Todeschi in Venezia (1874), S. XIV 2.4 
und S. XVII $ 8, a. 1268 und 1277. Bei SILBERSCHMIDT S. 6 ergänze nach 
„scribi* „ordinate* und lies Z. 12 ,vicedominorum“ statt ,vicedomini“. 

ö) SCHULTE, Geschichte d. mittelalterl. Handels und Verkehrs zwischen 
Westdeutschland und Italien. Bd. II S. 216. (a. 1402.) 

6) STIEDA, Hansisch-venetianische Handelsbeziehungen im 15. Jahrhundert 
(Rostock! 1894). Dort werden Nr. 37 S. 158 in einem Briefe aus Lübeck 
besprochen „schulden to Venedie van wedderlecginge, seltschopp, reken- 
schoppen, copenschoppen“! SILBERSCHMIDT $. 7. 

7) GOLDSCHMIDT, Vermischte Schriften Bd. II, S. 42f. SILBERSCHMIDT, 
S. 7. 


476 F. Keutgen 


Sein einziger unmittelbarer Beleg dafür aber ist der ,Comme- 
dator“ in einem Verzeichnis von Zahlungen, die im Jahr 1290 der 
Lübecker Reinekin Mornewech im Auftrage seines heimatlichen 
Rates in Flandern zu leisten hatte. Ein Commendator im handel» 
rechtlichen Sinne kann hier indes unmöglich gemeint sein. Die 
Herausgeber des Lübecker Urkundenbuchs haben denn auch ein- 
fach einen „Komtur“ darunter verstanden .. Im übrigen aber. 
und das wird nun zur Hauptsache, beruft SILBERSCHMIDT sich auf 
das in deutschen Quellen vorkommende „accommodare“; dem 
die Identität von „accomodatio und accomodare mit accomendatio 
und accomendare“ glaubt er in seiner „Commenda“ nachgewiesen 
zu haben. 

Dies ist jedoch keineswegs zuzugestehen. Vielmehr wird 
nun die schon berührte Unterscheidung dieser beiden Rechts 
geschäfte durch LasTiG von Bedeutung, die zwar formal gleich, 
materiell aber gewissermaßen entgegengesetzt sind. Mag deshalb 
in manchen italienischen Urkunden der materielle Inhalt des mit 
„accommodatio* bezeichneten Rechtsgeschäfts nicht mehr sicher 
festzustellen sein, so hat doch SILBERSCHMIDT selbst in seiner 
„Commenda* zugeben müssen: „freilich all die angeführten 
Stellen zwingen nicht gerade zur Annahme der Identität von 
commendatio und commodatio; es konnte keine Urkunde ge 
funden werden, in der es direkt heißt: porto hanc commodatio- 
nem“ ?), 

Ausschlaggebend für uns kann jedoch natürlich nur der 
Gebrauch der deutschen Urkunden sein. Da kommt ,,accommo- 
dare“ als „leihen“ häufig vor”); doch nur eine Stelle ist mir 


1) Urkb. der Stadt Lübeck. Bd. U Nr. 78 (a. 1290): „Commendatai 
dabimus CCC marcas“. Vgl. das Register a. a. 0. 8. 1106. b. Deutschorden- 
ritter. 

2) SILBERSCHMIDT, Commenda, S. 98. In seinem Aufsatz „Kumpanie 
und Sendeve* geschieht es ihm eben, wie manchem Verfasser, daß er giaubt, 
früher etwas sicher bewiesen zu haben, was er in Wirklichkeit damals nur 
in Vorschlag gebracht hatte. 

3) So in der mehrfach angezogenen Stelle der Vita 8. Juettae, oben 
S. 301 und 323, wo an eine eigentliche Commenda nicht zu denken ist. En 
irgendwie erschöpfender Überblick läßt sich mangels eines jeden rechtr 
geschichtlichen Glossars natürlich nicht verschaffen. Vgl. jedoch die in des 


Hansische Handelsgesellschaften. 477 


bekannt, wo es vielleicht in einem dem „commendare“ ent- 
sprechenden Sinne verwandt wird: indes liegt eine solche Be- 
deutungserweiterung zu nahe, als daß sie etwas beweisen würde, 
auch wenn sie häufiger wäre!). Denn eben „commendare“ 


Register meiner Urkunden zur städtischen Verfassungsgeschichte ange- 
führten Stellen. Die älteste findet sich in der Erzählung ALPERTS VON 
Merz über das Treiben in Tiel Anfang des 11. Jahrhunderts: Si quis quic- 
quam ab alio mutuum sive accomodatum acceperit (Urkunden Nr. 76). Dann 
Trierer Recht Ende des 12. Jahrhunderte: Camerarius accomodare debet 
equum magistro pellificum (a. a. O. Nr. 181 $8). Münster-Bielefeld 
nm 1221: Si extraneus accomodaverit civi pecuniam (Nr. 144 885). Nürn- 
berg 1219: Item quicunque dominus aut alius creditor alicui Nurembergensi 
accommodata reddere rennuerit (Nr. 157 8 7). Endlich erster Hanserezeß, 
1260—1264: nulla civitas accommodabit ei quicquam (a. a. 0. Nr. 480 86). 
Vgl. noch die folgende Anm. In demselben Sinne wird auch „credere* 
gebraucht. Vgl. das Register meiner Urkunden. 

1) Stadtrecht von Parchim von 1225—1226: „Item quicumque civis 
accommodaverit bona sua qualiacumque alicui extra civitatem et ille non 
solverit, in civitate detineatur, donec solvat vel iusticiam exhibeat“. Meckl. 
Urkb. Bd.INr. 31986. Mehrfach bestätigt und übertragen auf Goldberg und 
auf Plau. A.a.O. Nr. 337 (1227); Nr. 476 (1238); Nr. 428 (1285); Nr. 599 
(1248). Wenn es sich hier wirklich um eine Commenda handelt, so wäre 
dasselbe anzunehmen bei dem „bona sua cuiquam credere“ des Handels- 
vertrags Friedrichs I. mit Flandern 29, V, 11738. Meine Urkunden Nr. 85 
88 4, 5. — Ausgeschlossen ist die von NEUMANN, Geschichte des Wuchers 
S. 422 f. Anm., gewollte Deutung bei den von ihm angeführten Stellen aus 
den Breslauer Stadtrechnungen a. 1808 ff. (Codex dipl. Silesise Bd. III) 
Welcher Art auch die Tuchgeschäfte des Breslauer Rats gewesen, sein mögen 
und wie man sich auch zu GRÜNHAGENS Erklärungsversuch stellen will, von 
Gesellschaftsgeschäften ist dort keine Spur zu erblicken. Vielmehr, wenn 
da steht (S. 20): „Item solverunt pro pannis, quos praeteriti consules accom- 
modaverant, septingentas m.“ etc., so heißt das nichts anderes, als daß der 
Rat des Vorjahres das Tuch auf Kredit übernommen hatte und es nun von 
dem neuen Rat bezahlt wurde. Ebenso S. 21: „Item solverunt pro pannis 
accommodatis apud mercatores“ etc, und S. 81: „Item solutum est de tri- 
ginta pannis accommodatis anno preterito“. Dementsprechend 8. 24: „Item 
consules contraxerunt in debitis 30 pannos de Ypir pro 800 marcis min. 
15 marcis.“ Daß die Notiz 8. 24: „acceperunt apud Jacobum Schertilzcan 
14 pannos, qui constant 100 m. et 27“, den Anteil des Rats am Geschäft 
bezeichnen soll, ist reine Phantasie. Das viel häufigere ,accipere . .. pannos“ 
(gegenüber dem : „accommodare* an nur jenen drei Stellen) bedeutet die 


Entnahme von Tuchen, nicht den Empfang von Geld dafür. Dieses wird 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 82 


478 F. Keutgen 


und „commenda“, worauf es ankommt, haben sich noch nieht 
gefunden. Wohl aber hat die deutsche Kaufmannschaft sich 
ihre eigene Terminologie gebildet, auch wenn man lateinisch 
schrieb: hier nur ein etwas abseits liegendes, aber darum nicht 
minder bedeutsames Beispiel. 

Die alte Soester Schrae von 1350 schreibt vor: 

$ 118: Vortmer. Wey eme sinen borghere sin ghuyt 
bevelid to koypenschapen u. s. w. !). 

Wenn irgendwo, so würde man da erwarten: „bevelin = 
commendare“. Aber nein, die lateinische Vorlage, das älteste 
Soester Stadtrecht, sagt 

$ 30: Item, si quis concivi suo bona sua ad negocian- 
dum commiserit etc. ?). 

Auf keinen Fall endlich kann irgend ein Sprachgebrauch den 
begrifflichen Unterschied aufheben. 

Daß PAPPENHEIM altnordische Handelsgesellschaften schon 
aus dem 10. und 11. Jahrhundert nachgewiesen hat, oder, wie 
er es ausdrückt, „daß zu der Zeit, welcher die ersten, noch ver- 
einzelten Spuren der italienischen commenda entstammen, der 
skandinavische Norden bereits eine eigene, selbständiger Wurzel 
entsprossene Form für die rechtliche Ordnung der mit gemein- 
samem Vermögen Handel Treibenden besaß“, ist SILBERSCHMIDT 
natürlich bekannt’). 

Jene drei Hauptformen des „portare laboratum“ aber sind 
folgende: 
ausgedrückt etwa (S. 28): „summa perceptorum de quadraginta pannis Yperes- 
sibus acceptis apud Brunonem de Olzniez . . . 300 m.*: „empfangen für 4 
von Bruno entnommene Tuche M. 300.* 

1) SEIBERTZ, Urkb, z. Landes- und Rechtsgeschichte Westfalens Bd. II 
(= Landes- und Rechtsgesch. Bd. III) S. 399. 

2) Meine Urkunden Nr. 139. In dem abgeleiteten Medebacher Recht 
von 1165 (Urkunden Nr. 141 $ 15) steht: „Qui pecuniam suam dat alicui 
concivi suo, ut inde negocietur in Datia vel Rucia vel in alia regione ad 
utilitatem utriusque“. Vgl. oben S. 301. Mit seiner Interpunktion hat 
SILBERSCHMIDT natürlich recht; die falsche findet sich aber, so viel ich sehe, 
nur bei LEVIN. 


3) PAPPENHEIM, Altnordische Handelsgesellschaften, Zeitschrift f. d. ges 
Handelsrecht Bd. 36, S. 108. 


Hansische Handelsgesellschaften. 479 


„L. Gegen festen, meist in der Währung des Bestimmungsorts 
ausgedrückten Lohn. 

2. Als eigentliche Commenda, wobei der Empfänger eine 
Quote (meist ein Viertel) des von ihm erzielten Gewinns als 
Entschädigung erhielt. 

3. Als societas maris, später dann auch als societas terrae, 
wobei auch der Empfänger Kapital einlegte, so daß ein Gesell- 
schaftsvermögen entstand, mit welchem er Handelsgeschäfte ab- 
schloß und wobei Gewinn und Verlust nach dem vereinbarten, 
meist der Kapitalbeteiligung entsprechenden Verhältnis am Schlusse 
geteilt wurden“ ). 

In der Tat entspringen diese drei Fälle so sehr der Natur 
der Dinge, daß es nichts weniger als überraschend ist, wenn sie 
sich an anderen Orten, wo man Handel über See trieb, wieder- 
finden. Um so wichtiger, die Abweichungen zu beachten. 

Es handelt sich zunächst um den Begriff des „sendeve“, 
das in den hansischen Quellen so häufig genannt wird. SILBER- 
SCHMIDT und REHME wollen darin die „commenda“ wieder 
erkennen, REHME im engeren, SILBERSCHMIDT in einem weiteren 
Sinne). Begreiflich: die commenda ist in der südeuropäischen 
Handelswelt das hervorstechendste Institut neben der „societas 
maris“. Dieser entspricht im Norden als Gesellschaft mit zwei- 
seitiger Kapitaleinlage die „wederlegginge“ oder „contrapositio“: 
da wird „sendeve“ gewissermaßen von selbst seinen Platz als Korre- 
lativ von „commenda“ einnehmen. Dennoch könnte nichts ver- 
kehrter sein. Wenn das sendeve-Geschäft einer der drei südeuro- 
päischen Möglichkeiten entspricht, so nur der ersten. Die falsche 
Deutung jenes Begriffes beeinflußt aber bei SILBERSCHMIDT und 
REHME weiter die Beurteilung des wirklich der zweiten Stufe 
entsprechenden hansischen Instituts, auf das sie Merkmale des 
„sendeve“ übertragen. 


1) Kumpanie und Sendeve $. 2, 8.4. 

2) SILBERSCHMIDT, Kumpanie und Sendeve, 8. 3, S. 16 ff. besonders 
S. 32 ff.; S.35 „Ich nehme daher an, daß Sendegut bald gegen Gewinnanteil, 
bald ohne solchen mitgegeben wurde und daß für keines von beiden eine 
Vermutung spricht.“ Bei der Versendung ohne Gewinnanteil denkt er aber 
nur an „reine Speditionsleistungen“, also nicht Kommission, worauf es an- 
kommt. 8.16. — REHME, S. 372. 


480 F. Keutgen 


hSendeve“ bedeutet „Sendegut“'). Das ist SILBERSCHMIDT 
bekannt ?), wenn ihm auch die Besprechung von Mozzwos Bauch, 
in der KOPPMANN mit gewohnter Sachkenntnis und Nüchtern- 
heit das Wesen des „sendeve“ dargelegt hat, entgangen zu sein 
scheint?). Der zweite Bestandteil des Wortes findet sich auch 
in den nordischen Benennungen der Handelsgesellschaften, felag 
für die zweiseitige, hjäftlag für die einseitige‘), Waren oder 
Geld werden „to sendeve“, lateinisch „in sendeve, ut sendere, 
nomine sendeve“, also „als Sendegut“, einem Ausreisenden mit- 
gegeben, an einen Auswärtigen geschickt, oder man läßt sie 
auswärts einkaufen und heimsenden ’. REHMES Irrtum war 
bereits von MoLLwo aufgedeckt®). Ja, schon LEviN hatte das 
Rechte erkannt, wenn auch zu vorsichtig vertreten ’).. Um so 
erstaunlicher, daß SILBERSCHMIDT, trotz seiner richtigen Über- 
setzung des Wortes, von neuem in den alten Fehler verfallen 
konnte. Aber freilich um die Sendung einer Person, wie 
MoLLwo und, ihm folgend, RIETSCHEL meinten, handelt es sich 
auch nicht®). Der erste Schritt vom rechten Wege aber war, 
daß alle außer Koppmann das Wort stets weiblich brauchen. 


1) Ferr im Glossar zum Hans. Urkb., Bd. III. „Kommissions-, Spedi- 
tionsgut“. Vgl. auch Kunze, Hans. Urkb. Bd. V S. 697. 

2) A. a. O., S.17: „das gesendete und zum Handel anvertraute Gut.“ 

3) Hans. G.Bl. 1900 S. 208 £. 

4) KOPPMANN, a. a. O., S. 204; PAPPENHEIM, Altnord. Handelsgesell- 
schaften, passim. 

5) „To sendeve (sendewe)“ regelmäßig bei WITTENBORG: Übersicht bei 
- KOPPMANN, 8.204 f. Zu ergänzen die zweite der unten im Text aus WITTEx- 
BORG II S 217 mitgeteilten Stellen. „In, ut, nomine sendeve“, z. B. Nieder- 
stadtbuch, REHME Nr. 21, 24, 41. Auch „ad“ und „pro sendeve“ kommen vor. 

6) WITTENBORGS Handlungsbuch, S. LIV ff. 

7) Levis, a. a. 0., 8.33 ff. Jedoch S.86 f.: „Es wäre aber gewagt, 
diese scharfe Gegenübersetzung ohne weiteres für die Behauptung anzuziehen, 
daß wir es beifder sendeve mit keinem gesellschaftlichen oder gesellschafts- 
ähnlichen Verhältnisse zu tun haben.“ Noch weiter geht er im Zweifel 
S. 38. Doch darf man diese Schüchternheit einem Doktoranden nicht übel- 
nehmen, da bis dahin alle Autoritäten den „Sendevekontrakt“ für eine Ge- 
sellschaft hielten. Vgl. noch unten S. 485 Anm. 4. 

8) RIETSCHEL, Hildebrands Jbb., Bd. 77 S. 150. Im übrigen sagt 
RIETSCHEL richtig: „ist überhaupt keine Gesellschaft und stellt vielmehr die 
älteste Form des Kommissionsgeschäftes dar.“ 


Hansische Handelsgesellschaften. | 481 


Sinn und Geschlecht des Wortes werden besonders unmittelbar 
deutlich an folgenden Stellen in Wittenborgs Handlungs- 
buch: 

II. 217: 7 stucke wasses . . . van deme sendewe, dat 
ic Arnolde mede dede . . .; 

1 mille scones werkes . . . van deme sulven sendewe, 
do Arnolt mit worede [= „fuhr“]'). 

Weiblich kommt es niemals vor). Es wird daher auch 
besser vermieden, einen weiblichen Gebrauch zu dem Zwecke 
einzuführen, um etwa das Geschäft mit Sendegut von dem Gute 
selbst zu unterscheiden. Man wird sich dann eben entschließen 
müssen, Sendevegeschäft zu sagen. 

Dieses Geschäft nun und das im wesentlichen der Commenda 
entsprechende nach den hansischen Quellen auseinanderzuhalten, 
ist nicht schwer. Auszüge aus hansischen Rechtsquellen, die 
„sendeve* einerseits, ,kumpanie“ oder „selschop“ andererseits 
scharf unterscheiden, sind bereits von LEVIN zusammengestellt ?). 
SILBERSCHMIDT sucht in ihrer Gegenüberstellung indes den Gegen- 
satz der Gesellschaft mit einseitiger und mit zweiseitiger Kapital- 
einlage, indem die erste dort nicht als Gesellschaft, sondern nur 


1) Vgl. noch unten 9.483: „in bonis, que theutonice zendevee nuncu- 
pantur“. 

2) WITTENBORGS Handlungsbuch II 275, hat Mollwo aus „to ener senden“ 
durch Konjektur „to ener sende[we]n“ gemacht. Vgl. KOPPMANN, S. 204. 
Der Zusammenhang ergibt die Unrichtigkeit. 

3) A. a. OÖ. S. 36. Besonders deutlich HACH, das alte Lübische 
Recht (1839) Abt IV, XXXII (S. 565): „Ok schal nen kopman van der Hense 
sin gut in Flanderen senden enem de buten der Hense sy tho bevelende... .; 
ok schal nen Henser selschop hebben“ etc. Ferner Rezeß zu Lübeck 
6. Juni 1434 (Hanserezesse, Abt. II, Bd. I 8.206) $ 14: „... nymend in 
de Henze behorende en schal selschop noch kumpanie hebben“ etc. [es folgen 
viele genaue Bestimmungen; dann] $ 15 „...nymend...en schal an 
nymande anders sin gud senden noch bevelen“ etc. Nowgoroder Skra 
Ende 13. Jahrh. (Lüb. Urkb., I S.704; dazu Höhlbaum, Hans. Urkb. HI 
S. 859): „dat he nien güt in kumpanie hebbe mit den Rucen unde ouc der 
Rucen güt nicht ne voere to sendeve“. Nowgoroder Skra von 1346 (Hans. 
Urkb. III Nr. 593 S. 369): „dat si sines egenen güdes eder an kunpenie 
ofte an sendeve eder an jenegerleye dinge“. Ähnlich Nr. 69 vom 22. Febr. 
1346, 86. U... w. 


482 F. Keutgen 


als partiarisches Rechtsgeschäft aufgefaßt sei!. Das ist an 
sich unwahrscheinlich; an eine so feine begriffliche Unterschei- 
dung hätte niemand gedacht; die Gesellschaft mit einseitiger 
Kapitaleinlage gilt stets als Gesellschaft”); der Hanserezeß 
von 1434 läßt in $ 14 und $ 15 auch nicht die Möglichkeit eines 
Zweifels an der Unterscheidung von 
selschop noch kumpanie hebben 
einerseits, 
gud senden noch bevelen 
andererseits?) und, wenn möglich, noch weniger die ausführ- 
lichen Bestimmungen des alten Lübischen Rechts unter den Titeln: 
VII. Welk man myd dem anderen selschop maket; 
VIII. Welk man enem syn gut belavet buten landes, 
die LEVIN und SILBERSCHMIDT nicht berücksichtigt haben ‘). 

Geradezu unbegreiflich aber wird SILBERSCHMIDTS Vemuch 
angesichts der zahlreichen Stellen aus der Praxis. Denn nirgend, 
wo der Tatbestand der Commenda gegeben ist, wird das Wort 
„sendeve“ gebraucht; und nirgend, wo von „sendeve“ die Rede 
ist, kommt jener Tatbestand in Frage. 

Schon die Eintragungen im Lübecker Niederstadtbuch genügen 
zum Beweis: In den von REHME abgedruckten findet sich das 
Wort „sendeve“ viermal: in Nr. 21, 24, 41 und 51: nie handelt 
es sich dabei um Gewinnbeteiligung. 

In Nr. 24, Nr. 41 und Nr. 5l wird eine Gesellschaft gebildet; 
außerdem, von dem Gesellschaftskapital getrennt, übergibt 
der eine Teilhaber dem anderen eine Summe, 

quas ducet ut sendeve, 
nomine sendeve ducendas, 
negociantur in sendeve. 

Und Nr. 21 erklärt nur: 

Johannes de Eversberghe habet 118 marcas argenti sibi 


1) A. a. 0. S. 34. 

2) Ausdrücklich z. B. REHME Nr. 64. Ferner noch das revidierte Lübecker 
Recht von 1568, unten 8.491. Übrigens beruht darauf ja alles, was bisher 
überhaupt über das ältere Gesellschaftsrecht geschrieben worden ist. 

3) Vgl. Anm. 3 auf S. 481. 

4) Hıch, a. a. O., Abt. TV, S.553f. Vgl. unten VIII und 8. 486. 


= 


Hansische Handelsgesellschaften. 483 


per Conradum de Atendorn commissas in sendeve, 
eidem Conrado pertinentes. 

Dagegen findet sich in den neun Eintragungen, die REHME 
als Sendevegeschäfte bezeichnet!), Nr. 14, 18, 20, 22, 33, 36, 
40, 48, 64, die den wesentlichen Tatbestand der Commenda 
enthalten, nirgend das fragliche Wort. 

Genau so verhält es sich mit dem Handlungsbuch Witten- 
borgs, das sendeve ein paar Dutzend Male erwähnt: MoLLwo und 
namentlich KOPPMANN haben das bereits völlig klargestellt ?). 

Endlich aber wissen auch ein paar andere Stellen, die 
SILBERSCHMIDT für seine Anschauung verwerten möchte, von Ge- 
winnbeteiligung nichts: 

Wenn der Handelsgehilfe Johann Retlage in seinem 
Testament vom 6. April 1330 gegenüber seinem Herrn Johannes 
Gheysmar seine Schuld an 100 Mark bekennt, 

specialiter et per se Johanni Gheysmaro pertinentes, 
quia ipsas mecum habuit in bonis que theutonice zendevee 
nuncupantur, 
so besagt das „mecum habuit“ durchaus nur in knappster Form: 
„zur Zeit in meinem Besitz, aber sein Eigentum“ *). Ganz 
anders, wenn es in REHMEs Nr. 12, wo indes nicht von sendeve 
die Rede ist, heißt: 
habent simul . . . eis equaliter pertinentes, 
oder bei Wittenborg I, 7 
habemus in simul. 

Aus einer Wisbyer Vollmacht vom 28. Juni 1346 aber kann 
SILBERSCHMIDT ebensowenig einen Beleg schöpfen. Aus den 
Worten: 

item super tribus timber operis harwerkes ad sendeve 

et una torace super premissa eidem Lamberto commissis, 

ist nur zu entnehmen, daß der Harnisch entweder ebenfalls als 
sendeve ınitgegeben war oder daß er überhaupt nicht veräußert 


1) A.a. 0. S. 372. Dazu SILBERSCHMIDT, 8. 32 ff. 

2) MoLLwo, a. a. O., S. LIV f., und KoppmaAnn, der S. 204 f. die ver- 
schiedenen Möglichkeiten nach WITTENBORG zusammenstellt. 

8) SILBERSCHMIDT, Kumpanie, S. 34 f., Lüb. Urkb. II Nr. 517. 


484 F. Keutgen 


werden sollte’). „Premissa“ bezieht sich auf vorher erwähnte 
Gesellschaftsgüter. Denn in beiden Fällen, 1330 und 1346, 
stand, wie ja auch sonst so häufig, der mit dem Sendeve Be 
auftragte außerdem mit dem Auftraggeber in Gesellschaft: mit 
vollkommener Klarheit aber werden beide Verhältnisse unter- 
schieden. 

Freilich auch einen Dienstvertrag, darin hat SILBERSCHMIDT 
gegen Mozzwo recht, bildet das Sendeveverhältnis nicht‘). 
Mit Sendeve werden nicht nur Diener betraut, sondern ebenso- 
wohl Gesellschafter und selbständige, auswärts ansässige Ge- 
schäftsfreunde. Ferner wird ein mit Sendeve betrauter Diener 
regelmäßig nicht für diesen besonderen Zweck gemietet, sondern 
die Besorgung von Sendeve ist einbegriffen in die allgemeinen 
Obliegenheiten des dauernd beschäftigten Handlungsgehilfen. 
Dagegen notiert Wittenborg mehrfach das Zehrgeld, das er 
seinem mit Sendeve ausziehenden Angestellten gewährt‘). 
Einmal aber macht er hierin eine Ausnahme, und zugleich er- 
halten wir einen Einblick in das Verhältnis während der An- 
wesenheit des „Knechts“* zu Hause in den Pausen zwischen 
seinen Reisen. 

Als nämlich einst sein ständiger Gehilfe Berthold Witten- 
borg mit Gesellschaftsgut beider auszog, notierte der Prinzipal: 

des scal ic eme weder gheven wrighe kost, vant he hir 
to hus is in miner kost; des scal he mi weder weren 
[woren?] sendewe sunder kost, want ich es to donde hebe, 
want he doch ut tut to der se‘). 

Also: wenn Berthold in eigenen oder Gesellschaftsgeschäften 


1) Hans. Urkb., III Nr. 76. 

2) SILBERSCHMIDT, S. 17; MoLLwo 8. LVI. Schon REHME S. 880 gegen 
SCHMIDT. Der an sich berechtigte Einwand verliert jedoch an Kraft, wenn, 
wie hier, als „sendeve* auch Gesellschaften herangezogen werden. 

3) II 60, 118, 119, 236; (65 „to brode“). — Die von SILBERSCHMIDT, S. 98, 
nach SCHULTE, Handelsgeschichte II S. 228, angezogenen Stellen über für 
anbefohlene Waren gezahlten Lohn beweisen für Hansische Gepflogenheiten 
natürlich nichts. 

4) II, 232. Arnold Bardowik dagegen, der zwar auch für Wittenborg 
reist, aber nie als Knecht bezeichnet wird, muß für seine Verpflegung im 
Hause bezahlen: II. 97, 126, 281; (165). Vgl. übrigens den Anhang. 





Hansische Handelsgesellschaften. 485 


ohnehin auszieht, kann er Sendeve seines Herrn ohne Kost mit- 
nehmen. Nach Hause zurückgekehrt, tritt er aber wieder in 
das alte Kostverhältnis ein. SILBERSCHMIDTS gegenteilige Deutung 
— „gewöhnlich scheint der Knecht nur auswärts im Brode des 
Herrn gestanden zu sein“ — erklärt sich wohl eben aus seiner 
Verwechslung des Sendevegeschäfts mit der Commenda '). 

Was die Entschädigung von Gesellschaftern und selbständigen 
auswärtigen Geschäftsfreunden betrifft, so mag sie manchmal in 
der gegenseitigen Leistung guter Dienste Erledigung gefunden 
haben. Solcher Art war vielleicht das Verhältnis zwischen 
Wittenborg und dem angesehenen Kaufmann Laurenz van der 
Borse in Brügge*). Doch kennt eine Danziger Notiz von 
1431 für den ständig auswärts beschäftigten „Lieger“ eine förm- 
diche Provision: 

sulk recht und vrundsc. doen van itzlikem ff grot, alse 
dat to Brugg wonlik und recht is?°). 

Mit Recht hat man das Sendevegeschäft als Kommissions- 
geschäft bezeichnet und Levm als Sendevegeschäft auch die 
Eintragungen im Rigischen Schuldbuch von 1286—1352 
beansprucht, mit denen bereits 1872 H. HILDEBRAND die Be- 
deutung des hansischen Kommissions- und Speditionsgeschäftes 
erwiesen hatte*).. Die Natur des Vertrauensverhältnisses aber 
kennzeichnet am besten das alte Lübische Recht mit den Sätzen: 


1) SILBERSCHMIDT S. 98 £. 

2) Handlungsbuch, Register. SILBERSCHMIDTS Vermutung, daß Witten- 
borgs Schuld an Borse von 19s. 7 d. grot (Handlungsbuch II, 29) Lohn für 
besorgtes Sendeve sei (S. 24), schwebt in der Luft. — Über die Brügger 
Patrizierfamilie van der Burse, die von 1257—1457 vorkommt, EHRENBERG, 
Zeitschr. f. d. ges. Handelsrecht Bd. XXX S. 447. 

3) HırscHn, Danzigs Handels- und Gewerbegeschichte, S. 228 Anm. 952 
nach den Ratsmissivbüchern. Zitiert auch von LEviIn, 8. 247°, und SILBER- 
SCHMIDT, S. 24. 

4) Das Rigische Schuldbuch (1286—1352). Herausgegeben von 
Dr. HERM. HILDEBRAND. Petersburg 1872. Bes. S. XXVI. — Levin S. 39 
bis 41 muß wohl so, wie im Text angegeben, und wie auch SILBERSCHMIDT 
S. 21 getan, verstanden werden. HiLDEBRAND selbst freilich hielt das 
Sendevegeschäft im Gegensatz zum Kommissionsgeschäft für ein Gesellschafts- 
geschäft. Ebenso HÜHLBAUM in seiner Recension, Hans. G.BL Jahrg. 1874, 


486 F. Keutgen 


Deit ein borger einem andern borgere ofte gaste ent 
mede to der se werth to vorkopende to sinem besten [NB!, 
degenne, de dat gut vorkopen schal, de is mechtich w 
donde unde to latende in aller mathe. Unde de em dat 
gut belovet heft, de mot em ok de rekenscop beloren. 
Darumme se ok malk tho, wen he sin gut belovet ofte 
bevelet'). 

Daß dieser Artikel nur das Sendevegeschäft betrifft, ergibt 
sich außer aus seinem Wortlaut selbst, zumal der Stelle 

vorkopende to sinem besten, 

auch daraus, daß unmittelbar vorher die entsprechenden Verhält- 
nisse bei der Gesellschaft geordnet werden, wovon später. 

Fassen wir alles zusammen, so erkennen wir die Verbreitung 
und hohe Bedeutung dieser Geschäftsart und aus dem Namen 
auch ihr hohes Alter. Daraus aber folgt weiter eine weit bessere 
Ordnung und Sicherheit der Zustände, auch der inter- 
nationalen Rechtszustände, als man gemeinhin anzu- 
nehmen geneigt gewesen ist ?). 

Es erweist sich als Vorurteil, daß nur durch Gewinnbeteili- 
gung zuverlässige Gehilfen für den Handel gewonnen werden 
konnten. In festen Brotverhältnis stehende junge Leute be 
sorgen vielmehr wieder und wieder diese Art Geschäfte für ihre 
Prinzipale, die dann freilich unter Umständen ihnen auch gesell- 
schaftsmäßige Beteiligung gewähren. Oder aber im Auslande 
ansässige Kaufleute werden damit in Anspruch genommen. Die 
Prinzipale selbst aber wird man nur betrachten können als 
Berufskaufleute. 


IT. 
Die Gesellschaft mit einseitiger Kapitaleinlage. 


Fehlt dem Süden eine eigene Bezeichnung für das „portare 
laboratum Nr. 1“, so kennt dagegen die hansische Welt keinen 


S, 188. Im Hans. Urkb. Bd. III S. 34: (1882) jedoch erklärt er „an sendeve” 
mit „durch Kontrakt für Kommission und Spedition“. 

1) HAUH, d. alte Lübische Recht, Abt. IV. Kap. VIIL S. 554. 

2) Auch HÔHLBAUM hatte schon Veranlassung genommen, „der Ansicht 
entgegenzutreten, nach welcher der Handel des 18. und 14. Jahrhunderts 


Hansische Handelsgesellschaften. 487 


Sonderausdrack für den Begriff, der im südeuropäischen Gesell- 
schaftsrecht als der zentrale bezeichnet werden muß, die eigent- 
liche Commenda. 

Für die Gesellschaft überhaupt kommen hier in den Quellen 
folgende Namen vor: gheselscap, selscop; kumpanie; 
societas; vera, recta, iustasocietas; wederlegginge; 
contrapositio. Von diesen sind die ersten drei farblos; die 
letzten beiden entsprechen der societas maris, portare laboratum 
Nr. 3; der Sinn von vera, recta, iusta societas wird sich erst 
zeigen müssen. Für das commendaartige Verhältnis selbst, 
portare laboratum Nr. 2, schlägt Koppmann die Bezeich- 
nung quasi-societas vor: mangels einer besseren wird man 
sich damit behelfen können, wenn man nicht etwa der Be- 
quemlichkeit wegen ,Halbgesellschaft“ vorzieht. Untersuchen 
wir ihre Eigentümlichkeiten. | 

Hauptfrage ist die nach der Verteilung von Gewinn 
und Verlust. 

REHME, SILBERSCHMIDT und KOPPMANN meinen alle drei, 
daß bei der Quasi-societas die Gefahr regelmäßig allein vom 
Kapitalisten getragen wurde). Das Gegenteil aber beweisen 
folgende Stellen aus dem Niederstadtbuch: 

(REHMES) Nr. 10: ad dimidiam acquisicionem et for- 
tunam (a. 1312); 

Nr. 22: sub amborum ipsorum eventu et fortuna (a. 1319); 

Nr. 40: sub fortuna et eventu utriusque (a. 1330); 

Nr. 64: quidquid inde Deus lucro dederit, hoc ipsis 
ambobus pertinebit pari sorte, dampnum autem, si quod 
advenerit, . . . ambo hoc idem equanimiter sustinebunt 
(a. 1358). 

Diesem klaren Wortlaut gegenüber wird man nicht auf das 
Gegenteil als das Normale schließen dürfen, wenn bei einigen 
anderen Eintragungen nur die Gewinnverteilung geregelt, ein 
Verlust dagegen überhaupt nicht ins Auge gefaßt erscheint: 





ausschüeflich Properhandel, nie aber Kommissions- und Speditionsgeschäft 
gewesen sei“. Hans. G.BI. 1874 S. 158. 
1) REHME, a. a. OÖ. $S. 387 f.; SILBERSCHMIDT S. 50; KOPPMANN S. 201. 


488 F. Keutgen 


Nr. 14: medietatem lucri cum principali summa sibi 
tradita debet Cristiano applicare (a. 1315); 

Nr. 18: quicquid cum hiis fuerit lucratum equaliter divi- 
dent (a. 1316); 

Nr. 20: lucrum divident equaliter inter eos (a. 1317): 

Nr. 36: medietatem lueri cum sorte principali . . . sibi 
presentabit (a. 1328). 

Man kann angesichts jener früher angeführten Stellen doch 
nur schließen, daß, wenn Verlust eintrat, dieser ebenfalls geteilt 
werden sollte. 

Daher finden sich bei der Gesellschaft mit zweiseitiger Kapital- 
einlage ganz dieselben Formeln ohne Rücksicht auf möglichen 
Verlust: 

Nr. 9: Th. Z. habuit 17 m. arg., ad quas ei posuit A.S. 
17 m. arg. ad dimidiam acquisicionem in societate (a. 1312): 

Nr. 27: ad dimidiam acquisicionem in vera societate 
(a. 1323); 

Nr. 60 und Nr. 62: ad utilitatem amborum et profectum 
(a. 1350 und 1353); 

Nr. 13: medietas reddituum inde proveniencium (a. 1313): 

Nr. 26: de residuo vero, scilicet de lucro, L. debet 
tollere duas partas et J. terciam partem (a. 1328); 

Nr. 56, 57, 65: quicquid ipsi cum hiis Deus luc 
dederit (a. 1347, 1359); 

Nr. 48: tercia pars lucri maneat H. et due partes dno. 
T. (1336). 

Andererseits aber: 

Nr. 11: ad dimidiam fortunam et acquisicionem (a. 1313): 

Nr. 30: in quibus ipsi ambo equaliter stabunt omnem 
eventum et fortunam. Preterea . . . specialiter 80 m. arg. 
dicto T. soli pertinentes, ducendas per eum super lucro 
et dampno solius ipsius T. [wobei das „lucro et dampno* 
offenbar dem „eventum et fortunam“ entspricht] (a. 1324): 

Nr. 37 und Nr. 44: sub fortuna et eventu amborum 
(a. 1329, 1331). 

Bei der großen Mehrzahl der Eintragungen über Gesell- 
schaften mit zweiseitiger Kapitalbeteiligung aber wird offenbar 


Hansische Handelsgesellschaften. 489 


ganz dasselbe, Teilung von Verlust und Gewinn, einfach aus- 
gedrückt durch die Formel „in vera societate“ !). 

Anders liegen folgende beiden Fälle: 

Nr. 1: H. Wackerowe recepit a Florecone 83!/2 m. arg.; 

quicquid in his lucratum fuerit aut perditum, illud secun- 
dum respieit Floreconem (1311); 
Nr. 33: J. Bard habet in bonis ad valorem 32 m. d. 
sibi per dnam. Gretam relictam Morekerken traditarum, 
cum quibus super eventu dicte domine negociabitur et 
mediam partem lucri sibi assignabit (1325). 

Diese abweichende Formulierung erklärt sich am zwang- 
losesten unter der Vermutung, daß in diesen beiden Fällen die 
Geldhergeber nicht kaufmännische Unternehmer, sondern bloße 
Kapitalisten waren, daß hier also das Verhältnis eintritt, das 
wir, LAstıG folgend, im Gegensafz zur commenda accommodatio 
nannten’). Es hindert nichts die Annahme, daß Wackerowe 
und Bard außer dem anvertrauten noch eigenes Kapital besaßen, 
von dem sie einen Verlust selber trugen. Kapitalien anlage- 
suchender Geldbesitzer hätten sie dagegen in ihr Geschäft nur 
unter der Bedingung aufgenommen, daß ihnen selbst davon 
allein ein Gewinn zufiele, während einen Verlust die Eigentümer 
zu tragen hätten. — Im Grunde möchte ich allerdings Nr. 1 
noch anders auffassen, nämlich, „illud secundum“ übersetzen 
„der zweite Teil“: denn sonst, nach dem Wortlaut, würde ja 
nicht nur den einen Gesellschafter der ganze Verlust treffen, 
sondern dem anderen auch der ganze Gewinn zufallen. 

Bei ihrer gegenteiligen Auffassung, wonach dies das Regel- 
mäßige, die Teilung des Verlustes dagegen abnorm gewesen sei, 
sind REHME und SILBERSCHMIDT offenbar wiederum beeinflußt 
durch ihre Vermengung des Sendevegeschäfts mit der Quasi- 
societas *). Beide, sowie KoPppmMANN glauben außerdem, daß 
der Unterschied gegenüber der zweiseitigen Gesellschaft ver- 


1) REHME Nr. 4, 6, 23—25, 27, 29, 32, 34, 85, 38, 41, 42, 45, 46, 50, 
51, 54-57, 59—61, 63; „recta societas“ Nr. 26; „justa 8.“ Nr. 47; auch bloß. 
„in societatem* Nr. 5, 8, 9, 28, 37, 43, 46. 

2) Oben S. 476. 

3) REHME S. 388; SILBERSCHMIDT, S. 50. 


490 F. Keutgen 


schwinden würde, wenn auch bei der einseitigen die Gefahr 
gemeinsam zu tragen gewesen wäre'). Darauf ist zu antworte, 
daß im anderen Falle ein reisender Teilhaber, der auch Kapital 
einschoß, sehr viel ungünstiger gestellt gewesen wäre als der, à 
der nichts hatte: eine widersinnige Annahme. Auch so war 
seine Stellung nicht allzu günstig, da ihm ja kein relativ größerer - 
Gewinnanteil zufallen konnte als dem bloßen Reisenden. Nur 
darin lag sein Vorteil, daß durch die von ihm bewirkte Er 
höhung des Kapitals auch eine absolute Vergrößerung des Gt 

winnes zu erwarten stand. 


Dagegen wird nun wieder ein Unterschied gegenüber der roms # 
nischen Commenda von Bedeutung. Bei dieser blieb allerdings 
der Commendatar vom Verlust frei. Dafür fiel ihm aber auch vom 
Gewinn regelmäßig nur ein Viertel zu, die quarta proficui”) 
Da dem deutschen Reisenden, wie wir oben sahen, die Hälfte 
des Gewinnstes zuerkannt wurde, so war es nur billig, dad 
er auch vom Verluste die Hälfte trug. 

Beispiel Nr. 64 zeigt die Eigentümlichkeit, daß der Vertrag 
als vera societas bezeichnet wird, trotz nur einseitiger Kapital 
beteiligung. Unter vera societas haben die bisherigen Ausleger 
nämlich, was ja nahe lag, geglaubt, den Fall des portare labo 
ratum Nr. 3 verstehen zu müssen, deutsch „wederlegginge*. 
REHME nimmt daher einen Schreibfehler an, was KoPPMANx und 
SILBERSCHMIDT mit Recht ablehnen *). KoPPMANN dagegen meint, 
die Bezeichnung sei gewählt, weil diesmal in einer Quasi-societss 
ausnahmsweise auch die Gefahr geteilt werden sollte. Wir sahen, 
daß das keine Ausnahme war. Auch die Formel, mit der 
Nr. 64 schließt: 

Sie enim ambo presentes ad librum inter se benevols 
concordabant voluntate, 

wird uns nicht davon überzeugen, da sie oder eine ähnliche 

sich in einer geschlossenen Reihe von Eintragungen finde, 

die sich über die ganzen fünfziger Jahre erstreckt: es handelt 





1) KoPPMANX S. 201 f. 
2) SiLBERSCHMIDT, a. à. O. S. 55; Commenda S. 99; WEBER S. 2. 
3) REHME S. 37219; KoPPMANN S. 202; SILBERSCHMIDT S. 35. 


Hansische Handelsgesellschaften. 491 


sich offenbar um eine Eigentümlichkeit des damals amtierenden 
Schreibers '). 

Koppımanns Vermutung dagegen, daß die Wendung „in vera 
societate“ die Gemeinsamkeit von Gewinn und Verlust an- 
zeigen sollte, werden wir gern übernehmen. Jedoch dann nicht 
nur in diesem Falle, sondern, wie wir ja schon aussprachen, 
stets: bedeutete sie, wie allgemein angenommen, nichts weiter 
als zweiseitige Kapitaleinlage, so würde sie in einer großen Zahl 
äußerst knapper Eintragungen unerhört tautologisch sein ?). 

Einer gesetzlichen Regelung ist die Halbgesellschaft in dem 
alten Lübischen Recht nirgends, sondern erst durch das Revi- 
dierte Recht von 1586 unterworfen worden; nun freilich hin- 
sichtlich des Verlustes in einem von unserm Ergebnis abweichen- 
den Sinne: 

Lib. UI, Tit. IX, Art. 1: „Machen etliche Gesellschaft 
mit einander, dergestalt daß einer oder mehrere Geld 
legen, der oder die anderen tun die Arbeit: . . . Ist aber 
kein Gewinn, so teilen diejenigen mit einander, die das 
Geld zusammengetragen; die anderen aber haben ihre 
Arbeit umsonst getan“ °). 

Anerkanntermaßen sind die Revisoren ihrer Aufgabe jedoch 
keineswegs gerecht geworden: stammt doch von dieser Ausgabe 
des Lübischen Rechts, das durch sie „verbessert“, durch Johann 
Ballhorn gedruckt war, der Ausdruck „verballhornen“ *. Und 
gerade in diesem Punkte wird das bestätigt, insofern dies refor- 


1) REHMES Nr. 62 (a. 1853) ebenfalls am Schluß: „Sic enim inter se 
ambo presentes ad librum concordarunt“. Dem entspricht in Nr. 59, 60, 61, 
63, 65 (a. 1350, 1353, 1354, 1359) am Eingange: X + Y „ambo simul 
presentes ad librum dixerunt“ od. „recognoverunt (manifeste)*. Vor ,Sic“ 
ist in 62 und 64 ein Punkt zu setzen; dann bezieht sich jene Formel wie 
diese auf den ganzen Inhalt. Vorher und nachher findet sich unter den von 
REHME abgedruckten Stellen nichts derartiges. SILBERSCHMIDTS besonderer 
Erklärungsversuch S. 35 f. hängt wieder mit seiner falschen Auffassung des 
Begriffes ,sendeve“ zusammen. 

2) Die Beispiele oben 9. 489 Anm. 1. 

3) Zitiert bei LEVIN, 8. 32 1%. 

4) STOBBE, Geschichte d. d. Rechtsquellen, Bd. II S. 295 Anm. 25, vgl. 
S. 296 Anm. 27. 


492 F. Keutgen 


mierte Recht überhaupt nur diesen Fall berücksichtigt, wo einige 
Gesellschafter allein mit Kapital, die andern allein mit Arbeit 
beteiligt sind. 

Jedenfalls spricht die späte Regelung ferner nicht gerade für | 
eine weitverbreitete Anwendung dieses Gesellschaftsverhältnisees, 
das im Süden so sehr im Vordergrund stand. 

Wünschte indes ein Kaufmann einen Reisenden mit Waren 
auszusenden und stand ihm weder ein Vertrauensmann für 
Sendere noch ein kapitalkräftiger Gesellschafter zu Gebote, oder 
wollte er einen kapitallosen Handlungsgehilfen zu gesellschaft- 
licher Beteiligung heranziehen, so konnte er sich eines anderen 
und besseren Ausweges bedienen. Man darf nur nicht glauben. 
wenn etwa das italienische Recht formal vollkommener aus 
gebildet scheinen sollte — worüber ich nicht urteilen will —, 
daß es darum auch materiell einer besseren Regelung der ein- 
schlägigen Dinge gleichkommen müsse. 


III. 
Die Wederlegginge. 


Jene Absicht ließ sich erreichen, indem der Kapitalist dem 
Reisenden ein Kapital vorstreckte, das er in die Gesellschaft 
einschießen sollte. 

MorLwo möchte dies daher als einen Fall der Halbgesell- 
schaft (von ihm societas schlechthin genannt) ansprechen |. 
Privatwirtschaftlich könnte das gelten, insofern der Reisende 
das eine Mal so wenig wie das andere Eigentümer irgend eines 
Kapitals war. Gesellschaftsrechtlich jedoch ist es gleichgültig, 
woher die Gesellschafter ihre Kapitaleinlagen haben: ob ererbt, 
erworben, geborgt und von wem geborgt. Es finden also die 
Bestimmungen über die Gesellschaft mit zweiseitiger Kapital- 
einlage Anwendung. 

Der Gesellschaft mit einseitiger Kapitaleinlage gegenüber 
aber bot dieses Verfahren zweierlei offenbare Vorteile. 

Erstens war geliehenes Geld rechtlich besser sichergestellt 
als zum Handel anvertrautes. Wenigstens das Hamburger 





1) A. a. ©. S. LI. 


Hansische Handelsgesellschaften. 493 


Recht von 1270, das später auch in Lübeck Aufnahme ge- 
funden hat, schreibt vor: 

Art. 404. Of eyn man gut verlust. Sowelk man deme 
anderen syn gud deyt to beholdende unde dat eme ver- 
stolen wert ofte afgherovet ofte ghebrant wert, ofte verlust 
he syn gud daremede, unde dor he up den hilghen waren, 
dat he dat syn darmede verloren heeft unde dat yd is 
ane syne schult ghescheen: he en schal dar nene schult 
ofte not umme lyden. ... So wat over en man dem 
anderen lenet, dat schal he jo unverwuren weder ant- 
worden ofte gelden na syneme werde, ofte dat verstolen 
wert '). 

Daß aber dieser Grundsatz auch in dem uns speziell an- 
gehenden Fall Anwendung fand, zeigt Rehmes Nr. 28 (a. 1323): 

N. de V. habet 10 m. d. sibi a C. filio H. mutuo tra- 
ditas, ad quas ipse C. sibi tradidit alias 10 m. d., cum 
quibus negociabitur in societate, et Jucrum equaliter divi- 
dent. Si vero N. fortuna adversante totam hanc pecuniam 
perdiderit, nichilominus debet Constantino persolvere 10 
m. d. 

Ein anderer Fall findet sich bei Wittenborg II, 236: Witten- 
borg kauft 20 $ Grote. Davon leiht er seinem Gehilfen Bertold 
10 % und legt ihm die anderen 10 % dagegen 

in kumpenie up unser twigher win unde vorlus. 

Für die geliehenen 10 #% aber gibt Bertold ihm 41 Gulden lüb., 
während als Sicherheit für das, 

dat dar noch achterstellich is, 

Waren haften, die Bertold in Lübeck lagern hat. Eine solche 
Sicherstellung würde bei einem in gewohnter Weise zu Handels- 
zwecken anvertrauten, nicht geliehenen Kapital jedenfalls nicht 
üblich gewesen sein. 

Tatsächlich wäre es ja in dem ersten Falle auf dasselbe 
hinausgelaufen, wenn der Kapitalist dem Reisenden das ganze 
Kapital in Halbgesellschaft mit Teilung von Gewinn und Verlust. 
überantwortet hätte, anstatt ihm die Hälfte des Geldes zu leihen 








1) HACH, d. alte Lüb. Recht S. 546. 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 83 


494 F. Keutgen 


und dann eine Gesellschaft mit zweiseitiger Kapitaleinlage mit 
ihm abzuschließen. Die 10 m., die der Reisende auf alle Fälle 
zurückgeben mußte, hätten dann eben seine Hälfte des Verlustes 
dargestellt. Allein der angeführte Artikel des Hamburger Rechte 
macht die Einklagbarkeit in diesem Falle zweifelhaft: um 5 
bedeutsamer die gewählte Form. 

Als normal war doch ein günstiger Ablauf des Greschäftes 
ins Auge gefaßt und nicht nur der eines einzelnen Geschäftes, 
sondern ein dauerndes Verhältnis. Darüber belehren uns REHuEs 
Nr. 48 und 52 (a. 1336 und 1342): 

Herr Thidemann von Güstrow hatte an Heinrich Wunder 
4 % Turnosen übergeben (tradidit), 

cum quibus debet negociari et lucrum totum inde pro- 
veniens sibi soli retinere. Cum autem ipse dominus Thi- 
demannus ab co dictas quatuor libras grossorum sibi reddi 
notorie requisierit, eas sibi restituet; si vero notorie eas 
non rehabere ab eo requisierit, eas sibi totaliter retinebit, 
ita quod nullus proximorum dicti Hinrici sibi quiequid 
iuris possit acquirere in eisdem. 

Dann hatte Thidemann noch 8 f# dazugelegt; mit diesen 
12 % sollte Heinrich Handel treiben, der Gewinn zu ?/s und ';s 
geteilt werden. Sechs Jahre später aber (Nr. 52) bestätigte 
Thidemann vor den Bürgermeistern die Tradition der 4 f und 
stellte jetzt auch Heinrichs Gewinn daraus gegen Forderungen 
seiner Angehörigen sicher '). 

Es handelte sich also um die widerrufliche Schenkung eines 
Handelskapitals oder um ein Darlehen auf so lange, wie der 
Empfänger im Dienste des Gebers bleiben würde. Das hin- 
gegebene Geld brachte dem Empfänger Vorteil und blieb doch 
den Zwecken des Gebers dienstbar: es war ein Mittel, jenen 
dauernd an das Haus zu fesseln und zugleich zu belohnen; 
entsprach übrigens altgermanischen Grundsätzen ?). 

1) Dieser Ratsherr Thidemann von Güstrow ist jedenfalls der- 
selbe, der als Bürgermeister im Jahr 1348 für die Stadt den schönen Codex 
des Lübischen Rechts schreiben ließ, den HAcCuH 8. 66 f. beschreibt. 

2) Vgl. oben S. 321 auch SCHRÖDER, Rechtsgeschichte * 8.284: „der 


Inhalt des durch Schenkung erworbenen Eigentums . . . richtete sich wesent- 
lich nach dem Zweck und dem ausgesprochenen Willen des Schenkers.“ 


Hansische Handelsgesellschaften. 495 


Dabei kam aber auch bereits der folgende Gesichtspunkt ins 
Spiel. 

Der zweite Vorteil nämlich dieses Verfahrens gegenüber der 
„Halbgesellschaft“ war dieser: 

Bei der Halbgesellschaft mußte der Kapitalist, wie wir ge- 
sehen haben, den halben Gewinn hergeben. Bei der Gesellschaft 
mit zweiseitiger Kapitalbeteiligung dagegen konnte sich das 
Teilungsverhältnis nach dem der Einlagen richten. 

Hatte also der Kapitalist einseitig dem Reisenden 300 Mark 
in societatem zum Handelsbetrieb übergeben, so fiel dem Reisen- 
den der Gewinn von 150 Mark zu. Stellten aber von dem 
Kapital von 300 Mark 100 Mark seine von dem Kapitalisten 
hergeliehene Einlage dar, so erhielt er den Gewinn nur von 
diesen Drittel. 

Allerdings trug dann der Kapitalist auch ?/s der Gefahr: 
doch war das rationell und dem mittellosen Handlungsdiener 
gegenüber billiger als die Grundsätze der „Halbgesellschaft“. 

Die Statuten von 1294 (Hachs Codex II) freilich bestimmen 
anders. Sie ordnen bei der Wederlegginge nur für den Verlust 
Teilung nach Verhältnis an, dagegen Halbierung des Gewinnes: 

8 197: Wederleghet iemen den anderen in cumpanie, 
so wane se schichten scholen, is dar hovetghut unde 
winninge, so schal he tovoren upboren dat he tovoren 
hevet utgheleghet; dat andere scholen se like delen. Is 
dar min den hovetgut, so scholen se dat schichten, alse 
se it tosamene gheleghet hebbet na marctale'). 

Als Zweck dieser Begünstigung des mit Kapital Minder- 
beteiligten, der ja ganz regelmäßig der Reisende ist, könnte man 
an eine Entschädigung für seine Arbeit denken. Doch fiele 
dieser Gesichtspunkt weg, wenn, wie so häufig, beide Gesell- 
schafter ein gleich großes Kapital eingelegt hatten. 

Hacns II. Codex von angeblich 1254, aber noch viel später 
in Geltung, fährt denn auch in $ 183 nach „utghelecht“ fort: 

dat ander scholen se schichten, also se tosamende 
hebben ghelecht na marktalen *). 


1) HACH S. 348. 
2) HACH S. 439. 


496 F. Keutgen 


Dagegen greift der sog. Segeberger Codex, den Hacn dem 
Inhalt nach ebenfalls dem 13. Jahrhundert zuweist!), wieder 
auf Gleichteilung des Gewinnes zurück ?). 

Hacx hat nachgewiesen, daß im alten Lübeck durch neue 
Rezensionen des Stadtrechts die älteren durchaus nicht aufge 
hoben wurden; daß man in lateinische Codices noch Sätze ein- 
trug, nachdem man schon deutsche Bearbeitungen besaß; daß 
man an andere Städte, die mit Lübecker Recht bewidmet sein 
wollten, durchaus nicht immer eine Abschrift der neuesten Rervi- 
sion abgab, sondern anscheinend der, die dem beauftragten Be- 
amten gerade zur Hand war”). 

Gegenüber diesem interessanten Wirrwarr in der handelsrecht- 
lichen Gesetzgebung der führenden Hansestadt ist die Praxis 
nach Gutdünken verfahren. Das statutarische Recht hat privaten 
Abmachungen nirgends im Wege gestanden. Häufig hat maı, 
wie schon ein angeführtes Beispiel zeigte‘), auch den Ge- 
winn „na marctale gheschichtet“, wenn auch wegen mancher- 
lei Nebenbestimmungen nicht immer genau. Solche Beispiele 
sind bei REHME noch Nr. 7, 26, 46, 56, 61, 65°). Dreimal 
nur dagegen wird bei verschiedener Kapitaleinlage ausdrücklich 
gleiche Teilung des Gewinnes verabredet. Dabei bleibt wieder 
zweimal die Möglichkeit eines Verlustes unberücksichtigt: in 
Nr. 57 und 62 von 1347 und 1353. In dem dritten Falle da- 


1) A. a. 0. 8. 119, S. 121. 

2) HACH S. 439 in der Anmerkung zu Codex III $ 188: „wes dar denne 
van winninge is, dat schal men like delen.“ 

8) Hacu 8. 3 ff. 

4) REHMES Nr. 48, oben 8.494: „et sic debet cum dictis 12 # gros 
negociari, ita quod tercia pars lucri maneat Hinrico et due partes dno. 
Thidemanno“. 

5) In Nr.7 ist das Teilungsverhältnis des Gesellschaftsvermögens wie 
1 zu 3; auBerdem nimmt der Prinzipal 32 m. arg. vorweg. In Nr. 26 sind 
40 m. d. gegen 318 m. d. gelegt: diese werden beiderseits vorweggenommen, 
der Gewinn 1 zu 2 geteilt. Die Teilhaber hatten schon vorher in Gesell- 
schaft gestanden und abgerechnet. In Nr. 46 ist das Verhältnis der Kapi- 
talien wie der Gewinnteilung 1 zu 3, in Nr. 56 1 zu 2. Bei Nr. 61 wie 
1 zu 3: dazu sind 100 m. d. geliehen, die nicht werben. In Nr. 65 endlich 
Kapitalverhältnis 60 zu 400 m. d., Gewinnteilung 1 zu 3. Beide Teilhaber 
sind tätig, jeder mit einem Diener. 


Hansische Handelsgesellschaften. 497 


gegen, Nr. 16 von 1315, wo das Kapitalverhältnis 27 und 72 
ist, wird Halbierung auch des Verlustes ausgemacht, also im 
Widerspruch mit allen Statuten. Hauptkapitalist ist diesmal 
eine Witwe: das könnte ihren ungünstigen Gewinnanteil er- 
klären, das für sie um ebensoviel zu günstige Risiko aber viel- 
leicht der schon mehrfach berührte Umstand, daß die Gefahr 
überhaupt nicht als allzu ernst betrachtet wurde. 

Das Merkwürdigste ist wohl, daß alle diese anscheinend dem 
Gesetz ins Gesicht schlagenden Abmachungen in das amtliche 
Stadtbuch eingetragen werden konnten. Es muß nach all dem 
Angeführten doch durchaus zweifelhaft bleiben, ob bei den zahl- 
reichen Eintragungen von Kapitalzusammienlagen von 1 zu 2 ohne 
weitere gebuchte Abrede (Nr. 4, 6, 29, 41, 42, 45, 47, 49, 50) 
die Bestimmung gleicher Gewinnteilung in der Tat Platz griff 
und nicht vielmehr stillschweigend die logisch folgerichtige 
Teilung nach dem Verhältnis der Einlagen. Ich verweise 
besonders auf Nr. 50 von 1347, wo der Hauptkapitalist zwar 
erst zu 6 m. arg. 12 legt, dann aber zu diesen 18 noch einmal 
18 m. arg. — beide Male heißt es, „in vera societate“ —, im 
ganzen also wie 5 zu 1, mögen zwischen den beiden Trans- 
aktionen auch fünf Jahre liegen‘). Ist da eine Gleichteilung 
des Gewinns wahrscheinlich ? 

So sehen auch die Handlungsbücher Teilung nach Ver- 
hältnis vor: WITTENBORG II 56, 110, 179, 187, 302, 318, N. 
St. B. 7la; und in Hamburg, GELDERSEN I 554, 582. 

SILBERSCHMIDT will indes (und zwar gegen REHME und STOBBE) 
die Statuten sogar so verstehen, daß auch das Kapital bei der 
Abrechnung halbiert werden sollte: „vorweggenommen soll nur 
das werden, bezüglich dessen dies vereinbart war, im übrigen 
wird nach Köpfen geteilt“. Er geht von dem Grundsatz aus, 
daß dies das einzig zulässige Verfahren sei, wo eine „wirkliche 
societas vorliegt“, ein wirkliches „Gesellschaftsvermögen“ ge- 
bildet worden ist ?). 





2) SILBERSCHMIDT, Kumpanie und Sendeve 8. 55 ff., S. 58. REHME 
S. 391. STOBBE, Z. f. das ges. Handelsrecht, Bd. VIII $. 58 f., der für die 
Teilung nach Markzahl auch noch die Goslarer Statuten aus der Mitte 


498 F. Keutgen 


Aber was heißt „wirkliche societas“? Mag in den Quellen 
noch so oft „vera societas“ stehen, so berechtigt das doch nicht, 
Grundsätze des modernen Gesellschaftsrechts in das altdeutsche 
hineinzutragen. Mag auch durch das Zusammenlegen von Kapi- 
talien ein Gesellschaftsvermögen in gewissem Sinne entstanden 
sein, so doch nicht in einem so strengen, daß man daraus alle 
möglichen, dem modernen Juristen geläufigen Folgerungen ziehen 
darf. Bei kurzfristigen Gesellschaften mit sehr verschieden 
starker Kapitalbeteiligung würde jener Grundsatz zu der ur 
erhörtesten Ungerechtigkeit, ja Ungereimtheit geführt haben. 
Nach Ablauf der wenigen Jahre, auf die eine Gesellschaft ge : 
schlossen war, hätte sich der schwächere Kapitalist in der Lage . 
gesehen, stets außer der Hälfte des Gewinns auch noch einen 
Teil der Einlage seines Gesellschafters zu beanspruchen. Es 
wäre gar nicht ausgeschlossen gewesen, daß der stärkere Kapi- 
talist mit einem Verlust hätte abziehen müssen, auch wenn 
die Gesellschaft mit Vorteil gearbeitet hätte. Z. B. Einlagen 
200 + 100; nach drei Jahren Gesellschaftsvermögen gestiegen 
auf 380; die Halbierung ergibt für jeden 190. Wenn trotzdem 
eine ganze Reihe von Urkunden — SILBERSCHMIDT führt REHME 
Nr. 2, 12, 13, 19, 25, 27, 30, 35, 59, 60, 63 an — deutlich 
„ergeben .., daß das Gesellschaftsvermögen jederzeit jedem der 
beiden Teilhaber zur Hälfte gehört“, so kann man eben nur 
schließen, daß in allen diesen Fällen das Kapital von vornherein 
zu gleich und gleich zusammengeschossen war’). Dann aber 
war der Satz gegenstandslos. Es ist willkürliche Annahme, dad 
dann, wenn die Beteiligung wie 2 zu 1 war (Nr. 4, 6, 29, 4l, 
42, 45, 47, 49, 50), die Arbeit des einen Teilhabers „einem 


des 14. Jahrhunderts (GÖscHEN S. 102, 10), ferner aus dem 16. Jahrhundert 
PURGOLD und die Nürnberger und Frankfurter Reformen allegiert und sog#! 
auf ein altindisches Recht verweist, das Teilung von Gewinn und Verlus 
nach Verhältnis der Einlagen oder nach Übereinkunft verlangt. 

1) Alle diese Eintragungen außer Nr. 25 geben nur den Bestand det 
Gesellschaftsvermögens und die Gleichheit des Eigentums daran an, et" 
nach der Formel: „X et Y habent simul Z m. den. eis equaliter pertinente“ 
(Nr. 12); oder „bona que X habet, medietas pertinet Y et medietas ipsi X 
(Nr. 80); oder ähnlich. Nach Nr. 25 werden 26 m. den. gegen 24 m. de 
gelegt: wohl ein Schreibfehler ? 


Hansische Handelsgesellschaften. 499 


Viertel des Kapitals, wie bei der romanischen Commenda gleich- 
gestellt“ worden sei!): sahen wir doch bereits, daß man in 
Deutschland diesen Ansatz nicht kannte. 
Wie ersichtlich, deutet SILBERSCHMIDT den Satz der Statuten 

von 1294 

so schal he tovoren upboren dat he tovoren hevet utghe- 

leghet, 

auf Vorwegnahme nur der Nebenkapitalien, die in vielen Fällen 
dem Reisenden unter mancherlei Bedingungen außer dem Gesell- 
schaftsgut mitgegeben wurden, z. B. als mutuum, von denen es 
heißt 

nec perdere debent nec lucrari (Nr. 54). 
Diese Deutung ist jedoch keineswegs allein möglich: es kann 
auch das Kapital gemeint sein, das jeder „ausgelegt“ hat. Eine 
Handschrift sagt denn auch ausdrücklich statt „dat“, 

sinen hovetsummen den: 
wie denn überhaupt die Mannigfaltigkeit der Lesarten an dieser 
Stelle als ein Fingerzeig dafür gelten kann, daß schon den Zeit- 
genossen die Fassung unklar schien’). Für SILBERSCHMIDTS 
Deutung des „tovoren utleggen“ könnte dann zwar, wenn auch 
nicht notwendig, der Codex III zu sprechen scheinen. Im wesent- 
lichen aber entscheidet er mit seinem 

schichten, also se tosamende hebben ghelecht na mark- 

talen, 

gegen ihn. Ich weiß nicht, warum diese Redaktion des Lübecker 
Rechts, die mindestens in diesem Punkte klar ist, in unserer 
Literatur gegenüber der unklaren von 1297 so stiefmütterlich 
behandelt wird’). — 


1) SILBERSCHMIDT S, 56. 

2) HAcH S. 349. 

3) REHME berücksichtigt den Codex III gar nicht, sondern nur den von 
1297: S. 390 ff. SILBERSCHMIDT berührt ihn nur in einer sehr merkwürdig 
formulierten Anmerkung (8 S. 58), die sich gegen STOBBE wendet. — Die 
Abrechnung REHME Nr. 66 (a. 1360) gehört überhaupt nicht hierher. Es 
handelt sich offenbar um eine ,Halbgesellschaft“: die 1000 m. den. stellen 
das Anfangskapital dar, das Westphal seinem „Socius“ Stormer anvertraut 
hatte; die 350 m. d. aber sind der bisherige Gewinn, an dem Stormer nach 
den Satzungen der Halbgesellschaft die Hälfte zukommt. Die Fortsetzung 


500 F. Keutgen 


Methodisch ungemein lehrreich sind einige Notizen, die wir 
in dem Rentenbuch Vickos von Geldersen finden über 
eine Gesellschaft, die nach seinem Tode seine Söhne schlossen '). 

In 8 66 berichtet der älteste, Johannes, daß er mit seinem 
Bruder Vicko Gesellschaft gemacht habe, und zwar so, daß er 
ihn zu seinen 150 m. ebenfalls 150 m. legte. Stürbe Vicko 
ohne Erben, so solle Hans die 150 m. wieder haben. Zu diesen 
300 m. aber leiht Hans an Vicko 100 m., und zu diesen 400 m. 
legt er weitere 400 m.: 

aldus heft he 800 $ in desser cumpenyge. 

Der Gewinn soll geteilt werden. 

Unde wan wy desse cumpenyge scheden, su schal he 
my de händert mark tuvoren gheven ute desser cumpenige, 
de ik em ghelenet hebbe. 

Also: anscheinend völlige Bestätigung von SILBERSCHMIDTS Aus 
legung der Lübecker Statuten von 1294: nur die besonden 


der Gesellschaft mit dem jetzigen Gesamtvermügen von 1350 m. d. ändert 
an diesen Grundtatsachen nichts. Nur daß die 350 m. nun gewissermaßen 
gemeinsames, bei Auflösung der Gesellschaft wie der weitere Gewinn zu 
teilendes Kapital darstellen, nachdem Westphal seine 1000 m. vorweg ge- 
nommen hat: „Conradus Westphal et Otto Stormer, socius suus, computs- 
verunt de societate sua et habuerunt de computatione facta marcas 1350, 
quarum 1000 m. den. pertinent Conrado soli inantea, et residuum pertinet ipsis 
ambobus equa sorte mercimoniali“. Das bestätigt auch der weitere Wortlaut: 
„Has autem 1350 m. d. ipse O. obtinebit in vera societate mercimoniali. Ei 
quandocunque ipse C. rehabere vult suas 1000 m., quas ipse habet cum O. pre 
dicto, et dividere secum alia bona superflua et cum eis superlucrate, tum 
ipse C. hoc sibi debet preintimare per dimidium annum; et sic ipse O,. sili 
eciam preintimabit, quando separari vult ab ipso C. vice versa. Ipse tame 
O. predictas 1350 m. habet solus pre manibus, cum eis mercimonia(s) ex 
ercendo; et C. nichil habet de pecunia supradicta“. — PAULL, Zustände II 
S. 38 f., versteht $ 197 wie SILBERSCHMIDT, gibt aber zu, daß die Rechte 
anderer Städte (Hamburger rev. Statuten von 1603 II, 10. Art. 4.; Nürnberger 
Ref. von 1564 Tit. 18, Ges. 4.; Frankfurt a. M. Ref. von 1578 TI. 2, Tit. 98, 
& 3) und der Lübecker revidierte Art. I, den er jedoch „etwas unklar“ nennt 
{ohne Grund: er ist nur unvollständig), abweichen, sowie unter Hinweis 
auf seine Nr. 89 (a. 1440), „daß übrigens schon frühe [was heißt „frühe“ ?] 
die Gresellschaftsverträge in Lübeck nicht immer den Rechtsbestimmungen 
sich anschlossen“. 
1) NIRRNUEIM, Das Handlungsbuch Vickos von Geïdersen, 8. 125 ff. 


Hansische Handelsgesellschaften. 501 


geliehenen 100 m. werden bei Auflösung der Gesellschaft zuvor 
zurückgezogen. Alles übrige, das ganze zusammengelegte Kapital 
der Gesellschaft, wird anscheinend halbiert, obgleich das Ver- 
hältnis der Einlagen 150 zu 550 ist: offenbar Entschädigung 
für die Arbeit des „Kommendatars“! Allein die ersten gegen- 
gelegten 150 m. sollten im Todesfalle doch auch zurückgegeben 
werden ? 

Nun aber ersehen wir aus 8 59, daß all dies Geld außer 
Vickos ersten 150 m. und den geliehenen 100 m. aus einer 
väterlichen Erbschaft von 750 m. stammt, an der doch wohl 
beide Brüder Anteil hatten, so daß ihre spätere Teilung bei 
Auflösung der Gesellschaft nichts Wunderbares mehr hat, — aus 
väterlichen Geschäften, deren Abwicklung Vicko, der jüngere 
Bruder, in Händen hatte. 

Merkwürdig verwickeln sich aber die Verhältnisse im weiteren. 
Nach & 67 haben die Brüder die ersten 300 m., von denen ge- 
redet wird, als ob sie innerhalb des Gesamtkapitals von 800 m. 
ein Sonderdasein führten, zum Abschluß einer Gesellschaft mit 
Arnd Wrede in Lübeck benützt. Jetzt, Michaelis 1396, fünf 
Jahre nach Abschluß ihrer eigenen ersten Gesellschaft, wünscht 
Johannes Geldersen, an der Gesellschaft mit Wrede nicht mehr 
mit Gewinn und Verlust beteiligt zu sein. Er läßt jedoch seine 
150 m. darin, d.h. er leiht sie nun seinem Bruder: 

unde vor desse 150 % schal he my gheven 10 m. ü 
rente des jares. 
Etwas ganz Neues! Das ließ bisher noch nichts ahnen, daß 
von den Darlehen, die einem Gesellschaftskapital zugelegt zu 
werden pflegten und die nicht mit „werben“ sollten. Zinsen 
genommen wurden’). Welch neues Licht, und wie sehr viel 
rationeller erscheint danach dies Verfahren! 

Vielleicht hängte man diesen Zinsgenuß nicht gern an die 
große Glocke, wenn man auch wohl gute Freunde als Zeugen litt. 
In ein paar weiteren Buchungen aus dem Jahre 1401 nämlich 


1) Nicht uninteressant ist der Zinsfuß von 6°/,°/o: das alte Deutsche 
Handelsgesetzbuch schrieb bei Gelegenheitsgesellschaften „feste Verzinsung 
der Einlagen ohne Rücksicht auf Gewinn und Verlust mit 6°‘ vor. COSACK, 
Handelsrecht S. 725, II, 2) a2. Vgl. unten S.513 Anm. 1. 


502 F. Keutgen 


(&$ 103, 103a), nach Hans Geldersens Tode, wird durch die Vor- 
münder seiner Kinder der Vertrag erneuert, wonach, wenn auch 
Vicko — jedoch ohne Erben — gestorben sein sollte, die ibm 
von seinem Bruder ,gegebenen“ 150 m. an dessen Kinder 
zurückgegeben werden sollten. Von Zinsen hören wir da nichts 
mehr. Im übrigen war die Gesellschaft zwischen den Brüdern nach 
siebenjährigem Bestehen im Jahre 1398 aufgelöst worden: Vicko 
schuldete damals an Hans 530 m. 

Diese so viel reichlicheren Mitteilungen lassen immer noch 
vieles unsicher, über mehr als einen Punkt klären sie uns auf: 
ihr Hauptinteresse liegt doch schließlich in der Warnung vor 
dem guten Glauben, als wäre in kurzen Notizen, wie die des 
Lübecker Niederstadtbuchs, alles enthalten, was zur juristischen 
und sogar wirtschaftlichen Charakterisierung der gebuchten Ge 
sellschaften nötig gewesen wäre. 


IV. 
Gelegenheitsgesellschaft oder Gewerbsgesellschaft? 


Bis so weit hat sich unsere Untersuchung in der Hauptsache 
auf das Formale beschränkt, wenn sich auch hin und wieder 
Blicke in das Wesen des älteren norddeutschen Handelsbetriebes 
selbst auftaten. Zu einem allgemein höheren Interesse jedoch 
wird sie sich erheben, indem wir eingehen auf die Frage: 
können die hansischen Handelsgesellschaften, oder eine be 
deutende Gruppe unter ihnen, als Gewerbsgesellschaften 
gelten, oder waren sie schlechthin Gelegenheitsgesell- 
schaften? Ihre Beantwortung wird ausmünden in die der 
weiteren Frage, ob der hansische Handel überhaupt als ein ge 
werbsmäßiger anzusprechen ist. Dabei wird es sich behufs 
leichterer Verständigung empfehlen, die Grundsätze heranzuziehen, 
die der Gesetzgebung über die heutigen Handelsgesellschaften 
zugrunde liegen, die offene Handelsgesellschaft, die Kommandit- 
gesellschaft und auch die stille Gesellschaft, die freilich unter 
die Handelsgesellschaften nur in weiterem Sinne gerechnet wird, 
während die Aktiengesellschaft weniger in Betracht kommt. Diese 
maßgebenden Grundprinzipien aber sind am klarsten ausgesprochen 


Hansische Handelsgesellschaften. 503 


in den authentischen Definitionen des Handelsgesetzbuchs 
für das Deutsche Reich vom 10. Mai 1897. 


„Eine Gesellschaft, deren Zweck auf den Betrieb eines 
Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher Firma gerichtet ist, 
ist eine offene Handelsgesellschaft, wenn bei keinem der 
Gesellschafter die Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern 
beschränkt ist“: Handelsgesetzbuch $ 105. 


Im Unterschied davon ist eine solche Gesellschaft „eine 
Kommanditgesellschaft, wenn bei einem oder bei einigen 
von den Gesellschaftern die Haftung gegenüber den Gesellschafts- 
gläubigern auf den Betrag einer bestimmten Vermögenseinlage 
beschränkt ist (Kommanditisten)“: Handelsgesetzbuch $ 161. 


Endlich: „Wer sich als stiller Gesellschafter an dem 
Handelsgewerbe, das ein anderer betreibt, mit einer Vermögens- 
einlage beteiligt, hat die Einlage so zu leisten, daß sie in das 
Vermögen des Inhabers des Handelsgeschäfts übergeht. Der 
Inhaber wird aus den in dem Betriebe geschlossenen Geschäften 
allein berechtigt und verpflichtet“: a. a. O. $ 335. 


Wir sehen: alle drei Formen der Gesellschaft gehen aus auf 
den Betrieb eines Handelsgewerbes. Dagegen ist das Charakte- 
ristische der Gelegenheitsgesellschaft die „Vereinigung 
mehrerer Personen zum nicht gewerbemäßigen Abschluß von 
Handelsgeschäften“ ). Damit ist zwischen Handelsgesellschaft 
und Gelegenheitsgesellschaft ein kontradiktorischer Gegensatz 
festgestellt: die Begriffe schließen sich aus. 


Das neue deutsche Handelsgesetzbuch läßt deshalb den Be- 
griff der Gelegenheitsgesellschaft, den das alte kannte, überhaupt 
fallen; denn, wie Cosacx es ausdrückt, „die handelsrechtlichen 
Gesellschaftsformen sind einer derartigen Vereinigung entweder 
rechtlich unzugänglich“ (wie die offene oder die stille Gesell- 
schaft, da sie „einen ‚Gewerbebetrieb‘ als Gegenstand des Ge- 
sellschaftsunternehmens voraussetzen“) „oder passen wenigstens 
tatsächlich nicht für sie“ (wie die Aktiengesellschaft, die „offenbar 





1) Cosack, Lehrbuch des Handelsrechts. 4., auf Grundlage des Handels- 
gesetzbuchs vom 10. Mai 1897 umgearbeitete Auflage (1898), S. 725 II. 


504 F. Keutgen 


für den Abschluß vereinzelter Geschäfte zu schwerfällig organi- 
siert ist“) '). 

Daraus folgt: läßt sich bei den hansischen Gesellschaften 
gewerbemäßiger Handelsbetrieb als Zweck nachweisen, so sind 
sie ohne weiteres als Gewerbsgesellschaften anzusprechen. 
Hiergegen würde auch nicht aufkommen können, wenn sie etwa 
trotzdem in formaler Hinsicht Merkmale der Gelegenheitsgesell- 
schaft aufweisen sollten; denn nicht die Form, sondern nur das 
zugrunde liegende Prinzip, Gleichheit des Wesens und der Ab- 
sicht, können bei derartigen Begriffsbestimmungen den Ausschlag 
geben. 

Hieraus aber ergibt sich sogleich ein Weiteres: ist nach 
Lage der Quellen der Zweck der Gesellschaft selbst nicht augen- 
scheinlich, so wird es darauf ankommen, die Absicht der Teil- 
nehmer festzustellen. Es wird darauf ankommen, ob die Gesell- 
schafter den Gesellschaftsvertrag eingegangen sind im Verfolg 
eines regelmäßig betriebenen Handelsgewerbes, auch wenn er 
formell sich nur auf ein Einzelgeschäft zu beziehen scheint, 
nach dessen Abwicklung er sein Ende erreicht. 

Liegen nicht alle Teilhaber einer Gesellschaft persönlich dem 
Betriebe des Handelsgewerbes ob, so wird entscheidend sein die 
Absicht des Unternehmers: 

Die Teilhaber einer Aktiengesellschaft können Aktionäre ge- 
worden sein im Verfolg ihres ordentlichen Handelsgewerbes: so 
wird manchmal eine offene oder eine Kommanditgesellschaft in 
eine Aktiengesellschaft umgewandelt. In sehr vielen Fällen jedoch 
sind viele von den Aktionären nur gelegentliche Teilnehmer, 
auch wenn sie übrigens dem Gewerbe eines Kaufmanns obliegen. 
Sofern jedoch der Zweck der Aktiengesellschaft selbst und ihrer 
Unternehmer sich auf den Betrieb eines Handelsgewerbes richtet, 
ist sie dennoch auf alle Fälle Gewerbsgesellschaft. 

So ist auch die Kommandit- und selbst die stille Gesellschaft 
Gewerbsgesellschaft, kommt diese doch dadurch zustande, daß 
sich jemand „an dem Handelsgewerbe, das ein anderer betreibt, 
mit einer Vermögenseinlage beteiligt“ °), wobei also der Ge- 

| 1) CoSACK, a. a. À. 

2) Vgl. oben S. 503. 


Hansische Handelsgesellschaften. 505 


werbebetrieb des „anderen“ den Ausschlag gibt. Insofern aber 
die stille und, was wichtiger ist, die offene und die Kommandit- 
gesellschaft nicht, wie die Aktiengesellschaft, juristische Personen 
sind, so werden sich bei ihnen Absicht der Gesellschaft und 
Absicht der Teilhaber überhaupt nicht trennen lassen. Um so 
mehr hat die Absicht der Gesellschafter auch als die des gemein- 
samen Unternehmens zu gelten. 

Es wird nun methodisch richtig sein, wenn auch sachlich 
erst auf einer späteren Stufe von erheblicher Bedeutung, die Frage 
aufzuwerfen, welcher von den beiden Teilhabern der normalen 
hansischen Handelsgesellschaften — sei es mit einseitiger oder 
zweiseitiger Kapitaleinlage — als Unternehmer zu gelten hat. 
Freilich wird sie durch alles bisher Gesagte bereits präjudiziert 
erscheinen: doch macht REHMES eigentümliche Stellungnahme 
ihre ausdrückliche Beantwortung jetzt unumgänglich. 

REHME spricht nämlich fortwährend von dem Reisenden, dem 
kapitalistisch nicht oder (meist) minder Beteiligten als dem „Unter- 
nehmer“ — ohne weitere Begründung, obgleich er sich damit 
in offensichtlichem Gegensatz zu der bisherigen allgemeinen Auf- 
fassung befindet. Daß jener Reisen „unternimmt“, kann für 
seine rechtliche Stellung zur Gesellschaft doch nicht entscheidend 
sein: besser, er „übernimmt“ sie. 

Es ist indes klar, wie sich die Auffassung der gesamten 
sowohl juristischen wie wirtschaftlichen Verhältnisse verschieben 
muß, je nachdem wir uns den Handel getragen denken von 
einer großen Anzahl kleiner, kapitalarmer Händler, die mit 
Waren, die ihnen größtenteils nur anvertraut sind, jedoch als 
selbständige Unternehmer, bald hier, bald dorthin reisen. Oder 
ob die eigentlichen Träger eine kleinere Zahl kapitalkräftiger, 
ansässiger Kaufleute waren, die zusammenhängende Komplexe: 
von Geschäften von Hause leiten und die verschiedensten aus- 
wärtigen Häfen in einem Interesse durch jüngere, ihnen zum. 
Teil assoziierte Leute besuchen lassen. 

Für die Beurteilung des Wesens der Handelsgesellschaften 
und des Handels selbst kommt so gut wie alles darauf an, ob. 
ein Mann wie Hermann Mornewech, der nach PauLt in den 
Jahren 1323—1335 im Niederstadtbuch als Teilhaber an 18 ver- 


506 F. Keutgen 


schiedenen Sozietäten auftritt, als bloßer Rentner Teile seines 
Vermögens in 18 verschiedenen kaufmännischen Unternehmungen 
anlegte, oder ob er als aktiver Kaufmann im Laufe der Jahre 
zu 18 verschiedenen Malen mit Berufsgenossen zu geschäftliche 
Unternehmen sich verband, Gesellschaftsverträge abschloß und 
erneuerte'). 

Da versagt allerdings das Stadtbuchmaterial, wenn man & 
allein nimmt: ein Handlungsbuch, wie das Johann Wittenborg. 
wird indes an dem Sachverhalt keinen Zweifel lassen. Auch 
bei den Geschäften, die die Großschaffer des Deutschen 
Ordens in dessen Interesse leiteten, versteht es sich, daß der 
Orden Unternehmer war, nicht etwa die auswärtigen „Lieger“'). 

So haben denn auch bis auf REHME alle Forscher die Sache 
‚aufgefaßt: selbst BÜCHER, der, soweit Frankfurter Verhält 
nisse in Frage kommen, den Kommendator oder socius sta 
nicht als Berufskaufmann gelten lassen will, bezeichnet doch ihn 
wenigstens als den Geschäftsunternehmer *). 

Nur als Mitunternehmer wird der gesellschaftlich beteiligte 
Handlungsgehilfe — denn das war doch schließlich auch im 
romanischen Gebiet die ursprüngliche Stellung des Kommendatan 
— zu gelten haben; und nach außen mag er unter Umständen 
als Unternehmer aufgetreten sein: nicht aber als Unternehmer im 


1) Pau, Lübeckische Zustände Bd. I S. 140. Auf die Art dieser Tei- 
haberschaft „an 18 verschiedenen Sozietäten* wird noch zurückzukomme 
sein. Unten VI. 

2) Handelsrechnungen des Deutschen Ordens. Herausgeg. v. C. SATTLES 
(1887). — Derselbe, Der Handel des Deutschen Ordens in Preußen s. Z. s. Blüte. 
Hans. G.Bl., Jahrgang 1877 S. 59 ff. — Vielleicht legt REHME Wert darauf: 
„Wie die gesamte Geschäftsführung besorgt auch die Teilung der Unter- 
nehmer (25), während der Kapitalist quittiert‘‘ (S. 390). In Nr. 25 steht: 
„Cum autem dividere voluerint, quicquid dictus Albertus habuerit, totum illud 
debet equaliter dare predicto Johanni dimidium“. Es versteht sich indes von 
selbst, daß wer das Geschäft besorgt hat, auch Rechnung ablegen muß. 
Das bedeutet aber nicht mehr, als wenn eine Köchin Rechnung ablegt über 
ihre Einkäufe auf dem Markte. Daß jener Wendung kein tiefer Sinn bei- 
wohnt, zeigt auch Nr. 18: „quicquid cum hiis fuerit lucratum, equaliter 
divident“; und Nr. 20: „lucrum divident“. 

8) BÜCHER, die Bevölkerung Frankfurts a. M., Bd. I S. 247. Dazu obes 
S. 807 und Hans. G.Bl., Jahrg. 1901, S. 111. 


Hansische Handelsgesellschaften. 507 


Gegensatz zum Kapitalisten. Der Grad der Mitunternehmerschaft 
kann natürlich ein verschiedener sein, von der materiell durchaus 
untergeordneten Stellung des nur am Gewinn beteiligten An- 
fängers bis zu der vollständigen Gleichbeteiligung eines eben- 
bürtigen Kaufmanns. 

In Italien hat sich allerdings im Laufe der Zeit das 
Verhältnis vielfach umgekehrt. Zwar haben sich auch im Nor- 
den Kommendatare, die ursprünglich bloß Beauftragte waren, 
wenn es ihnen glückte, schließlich wohl selbständig gemacht: 
dann sind aber sie nunmehr zu Hause geblieben, haben andere 
ausgeschickt und sind Kommendatoren geworden. Allein in 
Italien haben sie ihr eigentliches Gewerbe in dem Maße aus- 
gebildet, daß nun der einzelne von ihnen Kapitalien einer Mehr- 
zahl von socii stantes in sein Geschäftsunternehmen übernahm. 
Die Kommendatoren aber sind damit aus eigentlichen Unternehmern 
zu bloßen Kommanditisten geworden: ein wichtiger Schritt auf 
dem Wege der Weiterentwicklung des Gesellschaftsrechts !). 
In Deutschland aber findet sich nichts dem Entsprechendes. 

Es ist doch etwas anderes, wenn Geldersen und Witten- 
borg das Gevattergeld ihrer Söhne, die Ersparnisse ihrer 
Mägde an ihren Geschäften sich beteiligen lassen, oder wenn 
spekulationslustige Rentner, Edelleute, Geistliche ihr Geld in die 
großen süddeutschen Gesellschaften stecken: hier bleibt Unter- 
nehmer der „socius stans“, der es von Anfang an gewesen ist, 
der aber durch einen stillen Teilhaber sein Kapital verstärken 
läßt. — Es kommt da wieder der früher berührte Unterschied 
zwischen „commendare“ und „accommodare“ ins Spiel ?). 








1) WEBER, z. G. d. Handelsgesellschaften S. 20. SILBERSCHMIDT, Com- 
menda, S.29, sieht das Wesentliche in dem Übergang von der „Waren-“ 
zur „Gseldkommenda“. In den hansischen Quellen vermag ich keinen derartigen 
Unterschied zu erkennen. Zwar ist in einigen Eintragungen des Lübecker 
Niederstadtbuchs von Waren die Rede, in anderen von Summen; allein es 
kann nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, daß beides sozusagen kon- 
vertible Begriffe waren. 

2) Oben S. 476. Hierher gehört natürlich auch das „pecuniam publicis 
negotiatoribus accommodare, ut supercrescentis lucri particeps sim“, oben 
S. 301. — Über die Faktoren in London, die 1468 angeblich jeder mehrere 
Kölner Kaufleute vertraten, vgl. unten Abschnitt VI am Ende. 


508 F. Keutgen 


Wir kehren nun zurück zu dem Problem Gewerbsgesellschaft 
oder Gelegenheitsgesellschaft. 

In der Literatur herrscht da durchaus die Tendenz vor, die 
hansischen Handelsgesellschaften als Gelegenheitsgesellschaften 
aufzufassen. MoLLwo erklärt sie „ausnahmslos“ dafür, und 
zwar „ganz im Gegensatz zu den gleichzeitigen Verhältnissen 
im romanischen Rechtsgebiet“). Daß er sich mit diesem 
„Gegensatz“ irrt, zumal indem er sich dabei auf GoLDscHmr 
und WEBER beruft, hat schon SILBERSCHMIDT bemerkt). REHME 
sucht zu erweisen, daß zwar nicht alle Lübecker Gesellschafts 
formen, aber doch wederlegginge und ,sendeve“ (lies quasi- 
societas oder Halbgesellschaft) Gelegenheitsgesellschaften waren’). 
STIEDA, in RoscHERs Nationalökonomik des Handels und Ge 
werbfleißes, erklärt die Gelegenheitsgesellschaft für „die Haupt- 
form der Handelsgeschäfte“ „im Mittelalter“; er nennt int 
besondere als solche die „vera societas . . ., in den deutschen 
Quellen als wedderlegginge bezeichnet“ *). SILBERSCHMIDT drückt 
sich immerhin zurückhaltender aus: er läßt nur die societas 
im romanischen Gebiet wie in Deutschland „für lange Zeit‘ Ge- 
legenheitsgesellschaft bleiben°). Doch gibt er keine Grenze an, 
wo sie zur Gewerbsgesellschaft übergeht: hätte er das versucht, 
so würde er wohl zu einer tiefergreifenden Erörterung des Prinzips 
der Gelegenheitsgesellschaft geführt worden sein. 

Überhaupt aber hat die Forschung über die italienischen wie 
deutschen Gesellschaften, als Kennzeichen der Gelegenheitsgesel- 
schaft ein ganz anderes vorausgesetzt als das vom heutigen Recht 
zugrunde gelegte, angegebene: nämlich, daß die Vereinigung 
zum Zweck eines Einzelgeschäfts erfolgt sei, nach dessen 


1) Wittenborgs Handlungsbuch, Einleitung S. L, S. LO. 

2) SILBERSCHMIDT, Kumpanie und Sendeve, S. 86 f. Morwo gilt 
keine Seitenzahlen an, wo GOLDSCHMIDT und WEBER sich in jenem Sint 
geäußert hätten. SILBERSCHMIDT seinerseits scheint die Meinung der 8% 
nannten Autoren mehr aus ihren allgemeinen Angaben zu erschließen. 

3) REHME, a. a. O., S. 376. Näheres darüber unter V. 

4) 7. Aufl. S. 187, S. 190. — Dem deutschen „wederlegginge“ entspricht 
vielmehr im lateinischen „contrapositio.“ 

5) À. a. O., S. 36. 


Hansische Handelsgesellschaften. 509 


Abwicklung die Gesellschaft sich von selbst auflöste, da der Ver- 
trag erfüllt war. 

Dann aber hat man stillschweigend dafür untergeschoben 
Gesellschaften, die abgeschlossen "waren auf eine kurze Zeit, 
wie man sie sich für die Erledigung eines überseeischen Ge- 
schäftes genügend dachte. Durch dieses quid pro quo, ein 
solches Verlassen des Prinzips, mußten indes die Quellen der 
Erkenntnis von vornherein getrübt werden. Und zwar erhellt 
die Wichtigkeit der Klarstellung dieses Punktes sogleich aus 
folgendem: | 

Maßgebend ist bei jener Definition der frühen südeuropäischen 
. Handelsgesellschaften als Gelegenheitsgesellschaften — denn um 
südeuropäische hat es sich zunächst wiederum gehandelt, — näm- 
lich ein besonderer juristischer Gesichtspunkt gewesen: 

„Wer im Seehandel Gläubiger oder Partizipant geworden ist, 
der — so etwa ist der Gedankengang — ist beides nicht für 
einen, resp. an einem kontinuierlichen Gewerbebetrieb geworden, 
er kreditiert, resp. partizipiert vielmehr zum Behuf, resp. an der 
einzelnen Unternehmung der speziellen Seefahrt, — denn der 
Seehandel ist kein einheitlicher Betrieb, sondern eine Serie 
einzelner Unternehmungen, deren jede ihr individuelles Risiko 
hat“). 

Man sieht, daß es sich um eine juristische Konstruktion 
handelt, die in Zeitumständen begründet war und den Zeit- 
bedürfnissen entsprochen haben mag. Wollten wir heute noch 
an ihr festhalten, so würden wir auch heute noch im Seehandel 
nur Gelegenheitsgesellschaften haben. Heute aber — mag auch 
ein Kaufmann zu eigenen Zwecken Gewinn und Verlust an 
jedem einzelnen größeren Unternehmen für sich besonders be- 


1) WEBER, 8.2.0. 8.16. Vorher: „Schon das römische Recht hatte 
im foenus nauticum und der lex Rhodia besondere Rechtssätze aufgestellt 
unter Rücksichtnahme auf die besondere Art des Risikos, welches der See- 
handel zu tragen hat. Gerade diese Institute“ treffen wir „in den frühesten 
mittelalterlichen Rechtsquellen wieder an. Aber das Mittelalter, weniger als 
das antike Recht sich bindend an die Konsequenzen der juristischen Analyse, 
hat die Tragung der Gefahr auf diesem Gebiet überhaupt selbständigen 


Regeln zu unterstellen versucht“. 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftegeschichte. IV. 34 


510 F. Keutgen 


rechnen können — findet juristisch nur das Risiko an der Ge- 
samtheit aller Unternehmungen einer Gesellschaft Berücksich- 
tigung. Sobald also die einzelnen Seehandelsunternehmen rascher 
aufeinander folgten, sobald sie anfingen, eine ununterbrochene 
Kette von Unternehmungen derselben Teilhaber zu bilden, verlor 
jener Gesichtspunkt seine Berechtigung, und mußte man ihn 
fallen lassen. 

Dieser Augenblick aber tritt ein, sobald man die Gesell- 
schaften nicht mehr für eine einzelne Reise abschloß, sondern 
auf Zeit. 

Im Landhandel hatte sie deshalb auch von vornherein nicht 
Platz gegriffen. Denn es „legte der äußere Gang des Land- 
verkehrs den Gedanken der Risikoteilung nicht so nahe wie die 
Besonderheit des Schiffsverkehrs“. Deshalb wird „hier die 
Sozietät nicht auf ein individualisiertes Unternehmen abgeschlossen, 
sondern auf eine bestimmte zeitliche Dauer des Betriebes ein- 
gegangen“ !). 

In der hansischen Handelswelt des 14. Jahrhunderts aber 
finden wir jenen Augenblick längst vorüber. Es ist allein 
üblich, Gesellschaften auf Zeit abzuschließen, und zwar entweder 
auf eine Reihe von Jahren oder auf unbestimmte Dauer. Von 
Gesellschaften für einzelne Fahrten, sei es nach England, nach 
Flandern, nach Bergen, nach Rußland, ist nirgend etwas vermerkt. 

Die meisten Eintragungen des Niederstadtbuchs, die REHME 
mitteilt, sind zu skelettartig, als daß man irgendetwas Greif- 
bares aus ihnen schließen könnte: sie berichten nur, daß Geld 
hergegeben oder zusammengelegt worden ist mit der Absicht, 
den Gewinn zu teilen, ohne irgendeine Befristung. Doch bleibt 
eine genügende Anzahl, um uns darüber aufzuklären, wie die 
Sache gemeint war. 

Mehrfach heißt es: 

cum autem dividere voluerint, 
oder ähnlich: so Nr. 18, 25, 26, 36, 45, 62: bei einseitiger 
Kapitalbeteiligung ist es der Prinzipal, der „will“, sonst beide. 
In Nr. 60 ist die Rede von einem 

tempus oportunum, 


1) WEBER, 8. 37. 





Hansische Handelsgesellschaften. 511 


wo eine gewisse Summe aus der Gesellschaft zurückgezogen 
werden soll. Vgl. auch Nr. 66. Nach Nr. 48 (a. 1336) soll 
H. Wunder die ihm von Thidemann von Güstrow zum Handels- 
betrieb gegebenen 4 m. arg., zu denen Güstrow noch 8 m. arg. 
legt, wie bemerkt, so lange behalten, bis dieser sie 
sibi reddi notorie requisierit. 
Es wird aber zugleich in Aussicht genommen, daß er sie nicht 
zurückverlangen wird. In Nr. 52 wird 6 Jahre später diese Ab- 
machung bestätigt '). 
Nr. 50 (a. 1342) schließt mit den Worten: 
et ambo recognoverunt, hunc contractum societatis eorum 
quinque annis preteritis fuisse factum. 
Das ungeschickte Latein vieler dieser Buchungen würde die 
Deutung vielleicht nicht ganz ausschließen, daß dieser Vertrag jetzt 
erst auf fünf künftige Jahre geschlossen worden sei. Allein die 
besonderen Umstände zeigen, daß in der Tat die Gesellschaft 
schon bestanden hatte und jetzt auf unbestimmte Zeit mit ver- 
stärktem Kapital erneuert wurde: nämlich, nachdem er ursprüng- 
lich 12 zu 6 m. arg. gelegt hatte, gibt der Prinzipal jetzt gegen 
jene 18 weitere 18 m. arg.*). Ebenso handelt Nr. 23 von Er- 
neuerung einer schon bestehenden Gesellschaft, deren Anfangs- 
kapital von 5 + 10 m. den. sich durch Gewinn auf 27 m. den. 
vermehrt hatte: hierzu legten der Prinzipal und sein neu ein- 
tretender Bruder weitere 27 m. den. 
Diese Zwischenabrechnungen sind von besonderem: Interesse. 
So auch Nr. 26 (a. 1323): 
Hec societas facta est, non obstante divisione inter eos 
facta et infra in hoc libro notata ante nativitatem Christi 
a. 1322. 
Ähnlich Nr. 66: 
computaverunt de societate sua et habuerunt de compu- 
tatione facta m. 1350. . . . Has autem 1350 m. d. ipse 
Otto obtinebit in vera societate mercimoniali. Etc. 
Dabei wird eine Kündigungsfrist von einem halben Jahre ver- 
abredet. 
1) Vgl. oben 8. 494. 
2) Vgl. oben S. 497. 


512 F. Keutgen 


Ferner kennt Nr. 46 

pecunia que vertitur inter ipsum Vrowinum et suum 
dominum Conradum de Atendorn in societate: 

aus dem Kapital dieser Gesellschaft nämlich entnimmt Vrowin 
145!/s m. den., die er Godeko Traveneman zu dessen 48!/, m. d. 
„in vera societate“ zulegt. 

Endlich mit Auflösung des Verhältnisses durch den Tod des 
Reisenden rechnet Nr. 64. Darum will SILBERSCHMIDT hier eine 
über das Gewöhnliche „hinausgehende, auf Lebenszeit des 
Rud. Wittenborg begründete Gesellschaft“ erkennen!). Mit 
Unrecht: denn es kann kein Zweifel sein, daß ganz regelmäßig 
ein Zusammenarbeiten auf so lange in Aussicht genommen wurde, 
wie es sich lohnte und man sich vertrug, — natürlich, wenn 
möglich, mit allmählicher Erhöhung des Kapitals. Also gerade 
wie bei einer offenen Handelsgesellschaft von heute. 

Unter all den von REHME mitgeteilten Eintragungen finde ich 
nur eine, die — scheinbar — abweicht: 

Nr. 43 (a. 1330): Th. de R. habet 100 m. et 1 fertonem 
argenti sibi et Rotghero R. pertiuentes equaliter in societate. 
Medietatem vero huius pecunie . . . dictus Th. predicto 
Rothgero restituet in Carnisprivio. 

Offenbar handelt es sich indes hier nicht um Neugründung einer 
Gesellschaft, sondern um Feststellung des Ergebnisses einer 
Abrechnung mit Fristbestimmung für die Auskehrung des An- 
teils des einen Teilhabers *). 

Was aber unsere Forscher irregeführt hat, ist — außer 
etwa von italienischen Zuständen mitgebrachten Vorstellungen 
— offenbar wieder ihre falsche Auffassung des Sendeve- 
geschäftes, dessen Vermischung mit den Gesellschaftsge- 
schäften. Bei dem Sendevegeschäft handelt es sich und kann 
es sich nur handeln um Kauf und Verkauf bestimmter Waren- 
posten. Jedes Sendevegeschäft bildet in der Tat eine Trans- 
aktion für sich. Darum ist es jedoch kein Gelegenheitsgeschäft, 
denn es erfolgt ja im regelmäßigen Betriebe eines Handels- 





1) Kumpanie und Sendeve S. 35 f. 
2) Nr. 39 gehört nicht hierher: ein Vertrag über die Einstellung von 
Schweinen zur Mast kann nicht als Norm für die Handelsgesellschaften gelten. 


Hansische Handelsgesellschaften. 513 


gewerbes: es steht eben auf einer ganz anderen Ebene. Nun 
jedoch wird klar, wie wichtig es gewesen ist, seine Natur gleich 
eingangs festzustellen. 

Es versteht sich bei alledem, daß die Zuweisung der han- 
sischen Gesellschaften des 14. Jahrhunderts zu der Kategorie 
der Erwerbsgesellschaft oder aber der Gelegenheitsgesellschaft 
nicht erfolgen darf nach Maßgabe einer juristischen Definition, 
die zufällig heute oder zu irgendeinem anderen Zeitpunkt auf- 
gestellt worden ist!) Für uns haben diese Definitionen an 
sich nur den Wert, uns Gesichtspunkte für unser Urteil an die 
Hand zu geben, uns mit den in Frage kommenden Prinzipien 
bekanntzumachen. Es konnte sich daher bei unserer Unter- 
suchung der hansischen Gesellschaften unter diesem Gesichts- 
punkte nicht um eine Klauberei handeln, ob ihre Dauer noch 
genau einer ursprünglich für die Gelegenheitsgesellschaft geltenden 
entspricht. Man würde sie trotz längerer Fristen immer noch 
dieser Klasse zuweisen dürfen, wenn wirklich damals Händler 
und Geldbesitzer nur nach zufällig sich bietender Gelegenheit 
Gesellschaftsverträge miteinander eingegangen wären, wenn 
auch auf eine Reihe von Jahren und hätten sie sie nach deren 
Ablauf gelegentlich auch wieder erneuert. So hat man sich die 
Sache ja vorgestellt: das geht auf PaAuLı zurück, der zuerst das 
Niederstadtbuch benützt hat. Allein so ist es eben regelmäßig 
nicht gewesen. Das Ausschlaggebende vielmehr ist, daß die in 
Lübeck — und jedenfalls ebenso in den anderen Seestädten 
— ansässigen Kaufleute im Verfolg ihres Handelsgewerbes ge- 
werbsmäßig Gesellschaften abschlossen, und zwar nicht mit 
diesem oder jenem, bald so, bald so, sondern meist immer 
wieder mit denselben Personen, de facto lebenslänglich. 

Das ließen schon die besprochenen Eintragungen des Lübecker 
Niederstadtbuchs erkennen. Aber dabei ist immer noch eins zu 
beachten: im allgemeinen wurden im Stadtbuch, wie schon be- 


1) Dahin gehört, daß das frühere Deutsche Handelsgesetzbuch vor dem 
10. Mai 1897 bei Gelegenheitsgesellschaften feste Verzinsung der Einlagen 
mit 6° ohne Rücksicht auf Gewinn und Verlust vorschrieb. Es wird nie- 
mand einfallen, das gegen den Gelegenheitscharakter der alten Gesellschaften 
zu urgieren. 





514 F. Keutgen: Hansische Handelsgesellschaften. 


merkt, nur die Gesellschaften mit neuen Freunden eingeschrieben, 
die also wirklich einen mehr gelegentlichen Charakter trugen 
oder tragen konnten. Wie denn Wittenborg erst nach 15 Jahren 
selbständiger kaufmännischer Tätigkeit sich jenes Buches einmal 
zu diesem Zwecke bedient hat. Man tat es auch wohl, wenn 
Sicherung gegen Dritte erwünscht schien, wie für jenen Heinrich 
Wunder gegenüber seinen Verwandten. Daraus ergibt sich aber, 
daß die große Masse der eigentlichen Gewerbagesell- 
schaften überhaupt nicht im Stadtbuch erscheinen, 
daß das Stadtbuch allein die Forschung geradezu irreführen 
mußte. Unsere Nachrichten über jene sind mit den privaten 
Büchern der Kaufleute, in denen sie allein verzeichnet standen, 
zugrunde gegangen. Besser noch indes, als aus Wittenborgs z- 
fällig erhaltenen Aufzeichnungen, erkennen wir, wie gewaltig der 
Verlust ist mit einem Schlage, wenn wirunsder Hundert- 
tausende lübischer Mark erinnern, auf die selbst in 
Kriegsjahren jährlich sich der lübische Außenhandel belief, und 
die lächerlichen Tausende, wenn es hoch kommt, da- 
neben.halten, die in den einzelnen Jahren im Stadtbuch ver- 
zeichnet stehen !). 


1) STIEDA, Revaler Zollbücher- und Quittungen (Hans. G.Qu. Bd. Vi 
S. LVO gibt den Lübecker Außenhandel für 1368 an mit Mark Lüb. 490116; 
1369 Mk. 252288; 1878 Mk. 421440; 1388 Mk. 228480; 1884 Mk. 293760. 
Oskar WENDT, Lübecks Schiffs- und Warenverkehr in den Jahren 1868 und 
1369 (Lübeck 1902) S. 80 f. berechnet für 1868 Lüb. Mk. 4238 688, für 
1369 Mk. 259 891!1/2. 


(Schluß im nächsten Heft.) 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien Régime. 
Dargestellt auf Grund zweier Briefe !). 
Von 
Dr. Ottomar Thiele. 


Die Ursachen, welche die schriftstellerisch-nationalökonomische 
Tätigkeit François Quesnays und damit die Entstehung des 
Physikoratismus’ veranlaßten, lagen in den eigentümlichen wirt- 
schaftlichen und sozialen Verhältnissen, in welchen sich Frank- 
reich zur Zeit des Ancien Regime befand ?). Ungesunde Zustände 
in der Bevölkerung, zerrüttete Finanzen, einseitige Entwicklung 
der vom Staate bevorzugten Luxusmanufakturen und Rückschritt 
in den wichtigsten Handels- und Industriezweigen, vor allem 
aber eine völlig daniederliegende Landwirtschaft — die waren 
es, welche den berühmten Leibchirurg Ludwigs XV. zu national- 
ökonomischen Studien und zur Vertiefung in die Wirtschafts- 
probleme seiner Zeit anregten. Als Arzt gewohnt, das Übel in 


1) Die nachfolgende Veröffentlichung soll im wesentlichen einen Beitrag 
zur Kenntnis der QuUESnAYschen Schriften bilden. Sie wurde durch einen 
bisher unbekannten Brief QUESNAYS über die zeitgenössische Agrarpolitik 
veranlaßt, welchen der Verfasser der obigen Abhandlung in den Archives 
Nationales zu Paris fand. Das Schriftstück (Sign.: K. 906) bildet die Er- 
widerung auf einen Bericht, den der Intendant von Soissons, auf Geheiß 
des Contrôleur Général über die Agrarverhältnisse seiner Generalität verfaßt 
hat. Zum vollkommenen Verständnis des QuEsnAYschen Briefes ist auch 
dieses „M&moire“ mit veröffentlicht worden, zumal es einen interessanten und 
lehrreichen Einblick in die Anschauungen eines Agrarpolitikers der Praxis 
jener Zeit gewährt. 

2) Man vergl. darüber die grundlegende Arbeit von STEPHAN BAUER, 
Zur Entstehung der Physiokratie in ConrAps Jahrbüchern f. Nationalökon. 
u. Statistik, 1890. S. 113 ff. 





516 Ottomar Thiele 


seinem Ursprunge zu erforschen, um es von da aus zu heilen, 
mußte sich seine Aufmerksamkeit als Volkswirt gleichsam von 
selbst!) auf denjenigen Teil des wirtschaftlichen Lebens richten, 
welcher gewissermaßen dessen Grundlage bildet, d. h. auf die 
landwirtschaftliche Urproduktion, die am meisten der Besserung 
bedürftig war. Wie 50 Jahre später, ein volkswirtschaftlicher 
Autodidakt gleich ihm, David Ricardo, dem er auch in der Me- 
thode ungemein ähnelt, von den wirtschaftlichen Tagesfragen (der 
Währungs- und Zollpolitik) seiner Zeit und seines Landes aus- 
gehend, zu einem Nationalökonomen der Theorie allerersten Ranges 
wurde, so bereits Frangois Quesnay. Und in der Tat, die sozialen und 
wirtschaftlichen Verhältnisse, welchen sich die beiden gegenüber- 
sahen, waren ernst und wichtig genug, um die Aufmerksamkeit 
solcher Geister auf sich zu ziehen und in hohem Grade zu be 
schäftigen. 

„Die hauptsächlichsten Handelsartikel Frankreichs“, sagt 
Quesnay?) in seinem für die „Enzyklopädie“ verfaßten Artikel 
über „Getreide“, „sind Wein, Getreide, Branntwein, Salz, Hanf, 
Lein und Wolle nebst anderen Produkten der Viehhaltung. 
Allein, obwohl die Manufakturen der Leinenzeuge und Grob- 
tuche den Wert von Hanf, Lein und Wolle bedeutend zu er- 
höhen und vielen Menschen, welche man in diesen einträglichen 
Industrien beschäftigen kann, Unterhalt gewähren würden, 50 
findet man doch heute, daß Produktion und Handel der meisten 
dieser Waren in Frankreich fast vernichtet sind. Seit langem 
haben die Luxusmanufakturen die Nation auf Abwege geführt: 
Wir besitzen weder die zur Fabrikation der schönen Stoffe und 
feinen Tücher erforderliche Seide noch Wolle und haben un 
somit einer Industrie in die Arme geworfen, welche uns fremd 


1) Seine praktischen Erfahrungen — er hatte von Kind auf mit der Land: 
wirtschaft Fühlung gehabt, da sein Vater nicht nur Notar, sondern auch 
Gutspächter war — und seine späteren naturwissenschaftlichen Studien habe2 
seine „physiokratischen“ Neigungen zweifellos in hohem Grade begünstigt 

2) Der Artikel ,Grains“ befindet sich in den Oeuvres DE Quasxar def 
Collection des principaux Economistes, herausgegeben von E. DAIRE, Paris 1846: 
deegl. auch in den Oeuvres économiques et philosophiques de F. QuEsxAlı 
welche A. OxcKEN (Frankfurt, 1888) veröffentlicht hat. 





| 
j 





François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 517 


war und in der man nach und nach eine solche Masse von 
Menschen verwendet hat, daß das Reich entvölkert und das 
Land verödet wurde. Den Preis unseres Getreides hat man 
künstlich herabgesetzt, damit Manufakturen und Handwerk bei 
uns billiger arbeiten können, als im Auslande. Menschen und 
Reichtümer haben sich in die Städte zusammengezogen; die 
Landwirtschaft, der fruchtbarste und vornehmste Zweig unseres 
Wirtschaftslebens, die Quelle der Einkünfte des Königreichs, gilt 
nicht mehr als die Grundlage unseres Reichtums: Sie scheint 
nur noch den Bauer und Pächter zu interessieren, deren Arbeiten 
man nach dem Bedarfe des Volkes, das selbst beim Kaufe jener 
Erzeugnisse die Kosten ihrer Gewinnung zu tragen hat, ein- 
schränkt. Man hat vielmehr einen auf der Industrie beruhenden 
Handel und Verkehr, welcher dem Staate Gold und Silber zu- 
führen sollte, für die Grundlage des Nationalreichtums gehalten.“ 

Fürwahr, die merkantilistische Politik der Regierung und die 
dadurch hervorgerufene und genährte allgemeine agrarfeindliche 
Richtung in Frankreich hatten den Verfall seiner Landwirtschaft 
verschuldet und drei Hauptübel gezeitigt, an denen sie dauernd 
zu kranken schien: 1. die Landflucht der Bevölkerung in die 
Städte; 2. das übermäßige Abgabenwesen, besonders des Fiskalis- 
mus, welcher am schwersten die Jändlichen Teile der Bevölkerung 
bedrückte, und 3. die Einschränkung des freien Handels und 
Verkehrs der landwirtschaftlichen Rohprodukte und damit auch 
deren Gewinnung. 

Vor der Einverleibung Korsikas und eines Teiles von 
Lothringen, um 1750 etwa, schätzte man Frankreich auf rund 
16 Millionen Menschen und 100 Millionen Morgen (arpent) Boden- 
fläche, von welcher sich allein mehr als die Hälfte für den Ge- 
treidebau eigneten. In Wirklichkeit waren aber damals nur 
86 Millionen Morgen in Bewirtschaftung!), soweit man diesen 
Ausdruck hier gelten lassen darf, denn über die Hälfte dieses 
Wirtschaftsareals, d. h. die weniger fruchtbaren Äcker waren fast 
‚gänzlich vernachlässigt, so daß also insgesamt mehr als 30 Mil- 
lionen oder */: der Getreidefläche ertraglos blieben ?). 


1) Nach QuEsxAys Artikel über „Fermiers* (Pächter); Oeuvres, a. a. 0. 
2) Nach QUESNAYs Artikel über „Hommes“ (Bevölkerung), der leider noch 


518 Ottomar Thiele 


Wie allgemein in West- und Mitteleuropa, so war auch 
Frankreich zu jener Zeit das extensive Betriebssystem der Feld 
wirtschaft gebräuchlich. Indessen konnte man hier zwei Form 
derselben unterscheiden, nämlich die Großkultur und die Klei 
kultur (grande et petite culture), von denen aber die letztere b 
weitem überwiegte. Sie umfaßte etwa 30 Millionen Morgen odı 
6/6 des der nominellen Bewirtschaftung unterliegenden Gesam 
areals und war besonders seit den 20er Jahren infolge zahlreiche 
Besitz- resp. Pachtveränderungen bis 1750 um rund 15° a 
Kosten der größeren Betriebe gestiegen. Ein sicheres Zeiche 
für den beständig zunehmenden Mangel an Betriebsmitteln ode 
Kapitalien der Bewirtschafter, da die Großkultur von beide 
Systemen das intensivere, kapitalsbedürftigere war. Die Klein 
kultur wurde in der Weise betrieben, daß man von der zur Ver 
fügung stehenden Bodenfläche abwechselnd bloß die Hälfte, un 
zwar ®/, derselben mit Brot- oder Wintergetreide und !/, mit Sommer 
getreide, Hülsenfrüchten etc., bestellte, während die andere de 
Brache überlassen blieb. Dieses System war also im wesent 
lichen eine Zweifelderwirtschaft, die sich nach außen hin aud 
noch dadurch charakterisierte, daß sie vornehmlich mit Ochse 
betrieben wurde, und somit die Haltung einer entsprechende 
Weidefläche beanspruchte. Die Großkultur dagegen ließ di 
Weide frei. Sie arbeitete mit Pferden, besaß nur geringe Vieb 
haltung und stellte sich als die übliche Dreifelderwirtschaft mi 
entsprechender, dreijähriger Rotationsperiode von Wintergetreide 
Sommergetreide und Brache dar. Bei ihr produzierte also jeda 
Morgen innerhalb von 6 Jahren zwei Ernten Brotgetreide und 
auch zwei Ernten Sommergetreide (vorwiegend Hafer zur Füte 
rung der Pferde) und blieb nur 2 Jahre über in der Brache. 
Die Kleinkultur hatte in derselben Zeit zwar drei Ernten Winter- 
getreide — wir sehen von der kleinen Quote Sommergetreide, 
Hülsenfrüchte etc. ab —, dafür aber auch 3 Jahre Brache. Si 
konnte also die natürlichen Kräfte des Bodens weniger auf 
nutzen, mußte sie vielmehr verhältnismäßig schnell ermüden, da 
sie bei der Einseitigkeit ihres Bestellens von einem rationelle 


immer der Drucklegung harrt. Eine Inhaltsangabe davon bei Sr. BaLER, 
a. à. 0. 





François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 519 


Fruchtwechsel entschieden weiter entfernt war, als 'die mit drei- 
jährigem Turnus arbeitende Großkultur. Diese Mängel des Be- 
triebes kamen denn auch in den Erträgen deutlich zum Ausdruck: 
Der in petite culture mit Getreide bestellte Morgen brachte 
im Durchschnitt nur 3 Septiers (das alte französische Getreide- 
maß) hervor, der in grande culture betriebene dagegen 5—8 Sep- 
tiers?). 

Offenbar würde nun bei der obigen Bevölkerungsziffer von 
16 Millionen Menschen und einem Wirtschaftsareal von 36 Mil- 
lionen Morgen die Produktion des Brotgetreides bei regulärem 
Betriebe dem Bedarfe genügt haben, da dem für einen 
reichlich bemessenen Verbrauch von 3 Septiers pro Kopf der 
Bevölkerung”) entstehenden Gesamtkonsum von 48 Millionen 
Septiers eine Gesamtproduktion von rund 50 Millionen Septiers °) 
entsprochen hätte. Allein, die Verhältnisse lagen in Wirklich- 
keit anders. Die Landwirtschaft war durch die Wirtschaftspolitik 
der Regierung gezwungen worden, unter den schwierigsten Ver- 
hältnissen zu produzieren. Eine natürliche und gerechte Preis- 
bildung der Rohprodukte war durch Preistarife und Handels- 
verbote, welch letztere nicht bloß den Export, sondern selbst 
den Verkehr von einer Provinz in die andere hinderten, fast. 
unmöglich gemacht. Die dadurch entstandene schwierige Beschaf- 
fung von Kapital und Arbeitskräften, die drückende Last der 
Abgaben u. s. w. trieben die Produktionskosten des Bewirtschafters 
außerordentlich in die Höhe: Er konnte aus Mangel an den er- 
forderlichen Mitteln meist nur noch die fruchtbarsten Teile seines 
Wirtschaftsareals im ordentlichen Betriebe erhalten während er 
die weniger ertragfähigen, wie bereits erwähnt, vernachläs- 


1) Nach QuEsnAays „Fermiers“ und „Grains“, a. a0. Die Großkultur 
wurde hauptsächlich in Flandern, in der Normandie, Picardie und Isle de 
France betrieben. — Die Unterscheidung der beiden Systeme bildet also die 
Betriebsweise und nicht die Betriebsgröße. 

2) Artk. ,Fermiers“. 

8) Rechnet man auf die Kleinkultur 8 x 12 Millionen Septiers (nach 
den obigen Bemerkungen entfallen auf sie etwa 12 Millionen Morgen Winter- 
getreide im Jahre) und auf die Großkultur 7 > 2 Millionen (?/, von 6 Millionen 
Morgen (Gesamtfläche), so ergibt sich eine Gesamtproduktion von jährlich 
50 Millionen Septiers. 


520 Ottomar Thiele 


sigen mußte. So kam es denn, daß der vorhandene Bedarf 
an Getreide schon in mittleren Jahren nicht mehr befriedigt 
werden konnte, daß in der großen Masse des Volkes Uhnter- 
konsum am wichtigsten Nahrungsmittel herrschte, und in schlechten 
Jahren, die bekanntlich in gewissen Zeitabschnitten, wie gerade 
damals zwischen 1720 und 1760, sich zu häufen pflegen, Teuerung 
und Hungersnöte nicht weichen wollten. In guten Jahren wiederum 
war der kleinere Landwirt, welcher keine Getreidevorräte halten 
konnte, gezwungen, - um jeden Preis zu verkaufen, damit er 
seinen Verpflichtungen nachkommen konnte und nicht ohne Ver- 
dienst gearbeitet hatte. Für den kapitalkräftigen waren dies 
Zeiten der Zurückhaltung, die sich für ihn in dem nächsten 
Teuerungsjahre mit großem Gewinn wieder bezahlt machte. Des : 
halb pflegten viele der in grande culture betriebenen Wirtschaften 
ihre guten Äcker — die weniger fruchtbaren vernachlässigten sie 
ebenfalls, denn für sie spielte weniger ein regelrechter landwirt- 
schaftlicher Betrieb, als vielmehr die kapitalistische Ausnützung 
der Gedtreidekonjunkturen die Hauptrolle — fast ausschliei- 
lich mit Wintergetreide zu bestellen und dabei den Boden durch 
Raubbau zu ruinieren. Da das eigene Wirtschaftsareal su 
ihren Spekulationszwecken vielfach nicht mehr genügte, % 
waren sie darauf bedacht, die ihnen zusagenden mittleren Be- 
triebe durch Kauf oder Pacht zu übernehmen, was ihnen um # 
leichter fiel, als sie infolge ihrer Kapitalskraft die der „undank- 
baren“ Landwirtschaft überdrüssig gewordenen Eigentümer jeder- 
zeit zufrieden stellen und ihre schwächeren Mitbewerber ohne 
Mühe überbieten konnten. Zudem brachte ihnen diese Kot- 
zentration einen gleichzeitigen ökonomischen Vorteil in eine 
Herabminderung der gesamten Wirtschaftskosten, da die für den 
Unterhalt der aufgesogenen Wirtschaften erforderlichen Ausgabea 
an Gebäuden, Viehhaltung ete., welche sonst nicht zu umgehe 
gewesen wären, nunmehr in Wegfall kamen. Auf die Weis 
entstanden allmählich immer mehr Betriebe zu 10—18 Gespannen 
und darüber. Trotz alledem gereichten aber diese Pächter wegen 
ihrer Kapitalskraft der landwirtschaftlichen Produktion verhältnis- 
mäßig noch am meisten zum Vorteil. 

Während somit auf der einen Seite eine fortwährende 21- 





François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 521 


sammenlegung der Wirtschaften, resp. der Grundstücke stattfand, 
erfolgte auf der anderen eine beständig zunehmende Parzellie- 
rung. Das hatte verschiedene Gründe. Wie bemerkt, hatten es 
viele mittleren Pächter, denen weder die geringen und unsicheren 
Erträge ihres Kapitals, noch die Beschwerden ihrer bisherigen Tätig- 
keit mehr behagen mochten, vorgezogen, ihre ländliche Beschäf- 
tigung mit der städtischen eines Rentiers oder Immobilienunter- 
nehmers zu vertauschen. Sie siedelten nach Paris und anderen 
größeren Städten über, taten sich oft zu Gesellschaften oder Kom- 
panien zusammen und pachteten in den verschiedensten Provinzen 
die ihnen geeigneten Wirtschaften auf, die sie dann zerstückelten 
und an Afterpächter, kleine Leute, wie Zwergbauern, Métayers 
(in Soissons nannte man sie Haricotiers)!) vergaben. Bei dem 
großen Landhunger, welcher von jeher der kleinbäuerlichen Be- 
völkerung eigentümlich gewesen ist, fanden sie stets Abnehmer, 
die, da sie nichts zu verlieren hatten, sich zur Zahlung ver- 
hältnismäßig hoher Pachten ohne weiteres verstanden, um ihre 
Verpflichtungen, welche sie in schlechten Jahren nicht einhalten 
konnten, in besseren mit Zins und Zinseszinsen zu erfüllen. 
Den Gesellschaftern selbst war auf diese Weise eine größere 
Regelmäßigkeit in den Erträgen ihrer investierten Kapitalien 
gegeben, da die Ungleichheiten der Ernte, welche Mißwachs, 
Hagelschlag, Teuerung etc. in der einen Provinz verursachten, in 
den anderen durch bessere Verhältnisse meist wieder ausgeglichen 
wurden. Die in den Städten bereits ansässigen Grundeigentümer 
von mittleren Wirtschaften, die weltlichen und geistlichen Groß- 
grundbesitzer taten es ihnen gleich. Sie vergaben ihre Liegen- 
schaften vielfach in Parzellierungs-Generalpacht und vermehrten 
somit die Betriebe der petite culture auf Kosten der mittleren 
und größeren Pachtungen, welche meist in der ertragfähigeren 
grande culture bewirtschaftet wurden. Dazu kam, daß der größere 
bäuerliche Eigenbetrieb durch zunehmende Grundstückzerstücke- 
lung, welche schon seit dem Ende des Mittelalters in Frankreich 
begonnen hatte, allmählich immer mehr und mehr zerstört wor- 


1) So geheißen nach den auch heute noch in Frankreich und besonders. 
in Paris sehr beliebten Bohnen, haricots de Soissons, kurz „soissons“ genannt. 


599 Ottomar Thiele 


den war. Das Fehlen des Anerbenrechtes, welches nur in wenigen 
südlichen Provinzen bestand, hatte diese Parzellierung (auch die 
der Allmenden) sehr begünstigt, und in manchen Gegenden war 
es üblich, daß schon jedes Kind des Bauern seinen eigene 
Bodenanteil besaß). 

Diese Kleinbauern und kleinen Pächter waren ein großes 
Hindernis für die gedeihliche Entwicklung der Landwirtschaft 
Ihre Grundstücke waren vielfach so unbedeutend, daß sie kaun 
für den Unterhalt einer einzigen Familie ausreichten; selbst 
nicht einmal in guten Jahren, weil dann der Ertragsüberschai 
für rückständige Abgaben verwendet werden mußte ?). Sie ware 
gewöhnlich gezwungen, ihre Arbeitskraft und die ihrer Familier- 
mitglieder in die Dienste größerer Besitzer oder Pächter a 
stellen, was wiederum den Betrieb ihres eigenen Anwesens außer- 
ordentlich schädigte. Dem Kleinpächter oder Métayer diente die 
Wirtschaft, besonders in dem Falle, wo er den Zins in Geld nn 
zahlen hatte, mehr zur Gewinnung der Nahrungsmittel für sieh 
und seine Familie als für eine auf den Verkauf der Erzeugnisse 
berechnete Produktion, weil er die Mittel zu seinen Zinszahlunges 
zum größten Teil aus den Erträgen seiner Arbeitsleistungen 
für andere aufzubringen pflegte. Er baute deshalb fast nur solche 
Früchte an, welche die wenigsten Kosten an Arbeit und Kapital 





1) A. BABEAT, La vie rurale dans l’ancien France, 1885 p. 180 ff. 

2) Manche Grundeigentümer, welche das mit der Parzellierung verbu- 
dene Niederlegen ihrer Wirtschafts- und Wohngebäude nicht zugeben wolltes, 
zogen es vor, auf dem Lande zu bleiben. Sie vergaben dann ihre Äcker meist 
im Teilbau, in welchem Falle sich das Verhältnis zwischen Eigentümer und 
Métayer folgendermaßen gestaltete: Der erstere lieferte (Zug-)Vieh und 
Saatgut und empfing die Hälfte des Ertrages der Ernte. Der letztere hatte 
für die Beschaffung der Acker- und Wirtschaftsgeräte, sowie für seinen Unter- 
halt bis zur Ernte zu sorgen. Das Futter für das Vieh lieferte die (Ge 
meinde-)Weide unentgeltlich. War der Eigentümer in die Stadt verzogen, 
so wurde der Ernteertrag nicht geteilt, sondern der Mötayer zahlte eines 
bestimmten Zins für den Acker und für das gelieferte Vieh. Jedoch alles iz 
Geld; welcher Barzahlungsmodus oft dem Teilbauer große Schwierigkeite 
und Bedrückungen verursachte, da ihm die rechtzeitige Beschaffung der 
nötigen Geldmittel in jener Zeit, wo jede landwirtschaftliche Kreditorgani- 
sation fehlte, außerordentlich schwer fiel und er zu Schleuderverkäufen ge 
trieben wurde. (Man vergleiche im allgemeinen darüber QUESNAYB „Fermiers*.) 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 523 


beanspruchten, dafür aber auch weniger nahrhaft waren, als 
Gerste, Hafer, Buchweizen, Mais, Kartoffeln, Hülsenfrüchte und 
andere minderwertigen Produkte. Das waren also die Nahrungs- 
mittel, welche er für seine Familie benötigte, mit denen er 
seine Kinder groß zog! Gute und nährkräftige Kornfrüchte, wie 
Roggen und Weizen (Wintergetreide), kamen für ihn kaum in 
Betracht, da ihre Gewinnung zuviel kostete, ihn zu sehr be- 
schäftigte und die Zeit bis zu ihrer Ernte zu lange währte?). 

Zudem war die Beackerung des eigenen Bodens gänzlich 
ungenügend. Seine Acker- und Wirtschaftsgeräte befanden sich 
im mangelhaftesten Zustande. A. Babeau bemerkt*), daß die 
Form der Pflugschar in einzelnen Provinzen noch aus der Römer- 
zeit überkommen zu sein schien, während Egge, Sense, Hacke, 
Sichel, Holzaxt, Handbeil etc. in dieser Hinsicht dem Mittelalter 
angehören mochten. Die Viehhaltung war in Qualität und 
Quantität gering. Außer den Zugochsen — in einzelnen Pro- 
vinzen kamen an deren Stelle auch 1—2 Pferde vor — hielt er 
meistens nur Schweine, nicht selten auch einen Esel, weniger 
dagegen Kühe oder Schafe zur Ausnutzung der Weide. Die 
Einnahmen daraus waren natürlich gering; doch wußte er sie 
in dem Falle, wo er ein oder zwei Pferde besaß, dadurch 
aufzubessern, daß er für andere Fuhrdienste verrichtete. 

Was nun die mittleren Betriebe von 2—5 Gespannen an- 
belangte, so hatte sich, wie bemerkt, ihre Zahl durch die Land- 
flucht vieler Wirtschafter und durch Auspachtung und Parzellie- 
rung allmählich sehr vermindert; ein Rückschritt, der seit 1720 immer 
unaufhaltsamer zu werden schien. Schon zu Colberts Zeiten hatte 
dieser landwirtschaftliche Niedergang eingesetzt, wie überhaupt die 
Agrarkrise in Frankreich ihren Anfang genommen. Der Preis 
der Pachtungen mußte damals bereits um ?/s ermäßigt werden °). 
Dennoch gingen die Profite, welche die Pächter aus ihren in- 


1) QuEsnAyYs Artk. „Fermiers“. 

2) A. BABEAU, La vie rurale dans l'ancien France, 1885; p. 126 ff.: „La 
charrue, dont la forme parfois ne s’est pas modifiée depuis les Romains, et 
qui naguère encore en Auvergne était garnie de sortes d'oreilles en silex 
taillé .. .* 

3) St. BAUER, a. a. 0. 


524 Ottomar Thiele 


vestierten Kapitalien samt ihrer auf die Bewirtschaftung des 
Gutes gerichteten Arbeitskraft zu erzielen imstande waren, in 
Laufe der Zeit immer mehr herab, und um die Mitte des 
18. Jahrhunderts betrugen sie selbst in guten Jahren höchstens 
1/9a des Ernteertrags!). Kein Wunder; denn, abgesehen vo 
schwer zu erlangendem Kapitalskredit und drückenden Steue- 
abgaben, hatte gerade der mittlere Pächter, resp. Eigentümer, am 
meisten unter dem Mangel an Arbeitskräften und Betriebsmitteln zu 
leiden. Meist zu arm, um eine genügende Anzahl von Knechten und 
Mägden halten zu können, war er auf jene Metayers und Zwerg 
bauern angewiesen, die sich ihre Arbeit gut bezahlen ließen, 
weil sie aus Erfahrung wußten, daß sie den Pächter infolge der 
allgemeinen „Leutenot“ zwingen konnten. Dadurch artete das 
Verhältnis zwischen ihnen und ihren Arbeitgebern nach und nach 
so aus, daß die letzteren fast die Sklaven ihrer Arbeitslente 
wurden und jedem derselben oft mehr an Lohn zu geben hatten, 
als sie selbst nach Bestreitung aller Kosten etc. an eigenem Ver- 
dienst für sich erübrigen konnten ’?). 

Andere Umstände steigerten noch diese üble Lage. Nicht 
nur, daß der Pächter, resp. Besitzer von seinen Arbeitern gerade in 
solchen Zeiten, wie die der Ernte oder Bestellung, wo der Bedarf 
am dringendsten war, vielfach im Stich gelassen wurde (der 
Métayer oder „Colon“ hatte für seine eigene Wirtschaft Sorge zu 
tragen, vielleicht auch für andere, die ihn besser bezahlen konnten, 
Fuhren zu leisten etc.), er mußte auch die Betriebsweise seiner 
Wirtschaft nicht selten nach den Gewohnheiten seiner Arbeiter 
einrichten und dadurch ohne eigenes Verschulden Einbußen am 
Wirtschaftsertrage erleiden. Tatsächlich war er sehon aus diesem 
Grunde vielfach außer stande, zum rentableren System der mit 
Pferden arbeitenden grande culture überzugehen, selbst wenn es 
ihm seine Mittel an Kapitalien gestattet hätten: Die Métayers, 
Zwergbauern und vielfach auch das ständige Gesinde — beson- 
ders in solchen Gegenden, wo die Kleinkultur bei weitem über- 


1) Artk. „Hommes“, a. a. O. 

2) Nach A. BAREAU (La vie rurale, a. a. O. p.130 ff.) betrug der Jahre 
lohn eines solchen Arbeiters zur Zeit Ludwigs XVI. 150 liv. in Geld und 
etwa das gleiche in Naturalien. 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 525 


wiegte — verstanden eben nur den Betrieb der petite culture; 
der Wirtschafter mußte sich diesen Verhältnissen anbequemen. „Die- 
jenigen Eigentümer“, bemerkt Quesnay!), „welche ihr Land 
selbst bestellen, aber in Provinzen leben, wo der Ackerbau im 
allgemeinen mit Ochsen betrieben wird, sind gezwungen, eben- 
falls mit Zugochsen zu wirtschaften, da sie keine Metayers oder 
Knechte finden würden, die mit Pferden umzugehen verständen. 
Sie hätten denn ihre Arbeiter aus anderen Provinzen herbei- 
holen müssen, was aber sehr beschwerlich gewesen wäre.“ 

Der Nachteil, in petite culture zu bauen und auf die schwächere 
Zugkraft der Ochsen angewiesen zu sein, trat um so mehr hervor, 
als die Dorf- und Wirtschaftswege im Gegensatz zu den wenigen 
prächtigen Heeresstraßen, die zwar das ganze Land durchquerten, 
für den Ackerbau aber nur geringe Bedeutung hatten, sich allge- 
mein in dem denkbar schlechtesten Zustande befanden und die 
Grundstücke zudem außerordentlich im Gemenge lagen?). In der 
Regel mußte man daher eine größere Anzahl von Zugvieh halten, als 
bei besseren Verkehrsverhältnissen erforderlich gewesen wäre?), 
und es ist in der Tat behauptet worden“), daß zu Ludwigs XV. 
Zeiten der Transport von Getreide aus England oder Afrika 
nach Frankreich billiger war, als der in einzelnen Kantonen auf 
einer Strecke von nur 10 Meilen Feldwegs. 

Auch herrschte an Zug- und Rindvieh großer Mangel und 
infolgedessen Überteuerung des Materials. Der Viehhandel im 
Innern des Landes war gleich dem Grenzverkehr nach dem 
Auslande durch Prohibitivgesetze unmöglich gemacht, und die in 
den einzelnen Provinzen vorhandenen Bestände befanden sich 
wegen der allgemein ungenügenden Fütterung (eine Folge des 
Rückganges und der Vernachlässigung der Weiden) und infolge 


1) Artk. ,Fermiers“, a. a. O. 

2) Mancher Bauer hatte über 100 Parzellen, von denen die größte oft 
kaum 1 Morgen (arpent) groß war.: (A. BABEAU, La vie rurale, a. a. O. p. 180.) 

3) TURGOT bemerkt darüber (in seinem Oeuvres posthumes): „Les rues et 
les abords de la plupart des villages sont impracticables; les laboureurs sont 
obliges de multiplier inutilement et dispendiensement les animaux de trait 
pour tous les charrois, qu’exige leur exploitation.“ 


4) A. BABEAU, La vie rurale, a. a. O. p. 129. 
Vierteljahrschr, f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 35 


526 Ottomar Thiele 


von Viehseuthen in schlechtem Zustande. Vor allem hatte die 
Rinderpest großen Schaden angerichtet. Sie herrschte zu Beginn des 
18. Jahrhunderts in vielen Ländern Europas und scheint damals 
nach Frankreich von Italien aus, wo sie erschreckende Verhee- 
rungen angerichtet hatte ‘), eingeschleppt worden zu sein. Sehrstark 
wütete sie in den fünfziger Jahren in der Dauphiné in Le Forez 
Vivarais und in der Franche Comte. Von der einst blühenden 
Viehzucht, durch welche sich Frankreich im 16. und 17. Jahrhundert 
ausgezeichnet hatte, waren im 18. nur noch die Reste vor 
handen, obgleich Klima und Boden des Landes sich gerade zu 
diesem Zweige der Landwirtschaft nach wie vor vortrefflich 
eigneten. 

Ähnlich verhielt es sich mit dem Pferdematerial. Bevor 
Richelieu durch seine absolutistische Politik die Grandseigneur 
an den Hof gezogen hatte, lebten diese auf ihren Gütern und 
widmeten sich der Landwirtschaft. Insbesondere richtete sich 
ihre Aufmerksamkeit auf die Pferdehaltung, und sie verstanden 
es, ein vorzügliches Material selbst zu züchten. Es herrschte 
unter ihnen geradezu eine wahre Eifersucht, die besten Tiere 
zu ziehen, wodurch sie den französischen Pferden einen au 
gezeichneten Ruf verschafften. Als später dann der vornehme Adel 
nach Paris übersiedelte, um sich der Hof- und Regierungr- 
angelegenheiten zu befleißigen, wurden die Besitzungen gewöhn- 
lich an Pächter vergeben. Zum Schaden der Pferdezucht; denn 
die Pächter, deren geringere Kapitalskraft nur Teile jener 
sroßen Besitzungen zu bewirtschaften gestattete, konnten sich 
mit der Zucht von Qualität überhaupt nicht mehr befassen und 
fanden es auch meist vorteilhafter, anstatt des teuren Pferde- 
materials, Ochsen zu halten. Schon um die Mitte des 17. Jahr- 
hunderts begann sich ein merklicher Mangel an Pferden ein 
zustellen. Das Material hatte sich im Laufe der Zeit nicht 
nur verschlechtert, es war auch kostspieliger geworden, da sich 
die Fütterung nach und nach erheblich verteuert hatte. Im 
18. Jahrhundert war auch der Staat nicht mehr in der Lage. 


1) Im Kirchenstaat gingen im Jahre 1714 nicht weniger als 27 000 Stück 
und in Piemont sogar 70000 an dieser Seuche zugrunde. 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. " 527 


seinen dringendsten Pferdebedarf für das Heer im Lande zu 
decken, und sah sich in Kriegszeiten gezwungen, große Summen 
für Remonten an das Ausland zu bezahlen'). Auf die Landwirt- 
schaft mußte natürlich der gleichzeitige Mangel an Pferden und, 
wie oben bemerkt, an Zugvieh doppelt empfindlich wirken. 

Die Schafzucht war ebenfalls stark im Abnehmen begriffen. 
Zwar bestanden in Frankreich die blühendsten Textilmanufak- 
turen; allein diese befaßten sich hauptsächlich mit der Fabrikation 
feiner Tücher und Stoffe, konnten also die gröbere Wolle der 
heimischen Produktion nicht verwenden und mußten infolgedessen 
ihre Rohstoffe vom Auslande beziehen?). Ein beständiger Rück- 
gang der Schafhaltung war die Folge davon, so daß schließlich 
diejenigen Landwirte, welche mit Zugochsen wirtschafteten und 
daher genügende Weide besaßen — Quesnay schätzt ihre Zahl auf 
rund 375000°) —, insgesamt kaum ein Drittel von dem Be- 
stand an Herden aufzuweisen vermochten, den sie sonst ohne 
Mühe hätten halten können. 


Ein anderer Zweig der landwirtschaftlichen Produktion, welcher 
1) Im Kriege von 1742—48 kaufte der Staat über 33000 Pferde, meist 
aus Deutschland, an und im Kriege 1755—61 mehr als 17000. Abgesehen 
vom rein finanziellen Gesichtspunkte, war dies natürlich vom politischen sehr 
bedenklich, da der Staat in Kriegszeiten in dieser Beziehung vom Auslande 
abhängig wurde. In einer anderen war er es ebenfalls, und zwar hinsichtlich 
des allerwichtigsten Mittels, das zur Kriegsführung erforderlich ist, des Sal- 
peters und Pulvers. Ursprünglich konnte Frankreich, dank seiner großartig 
organisierten staatlichen Salpeterwirtschaft, seinen Pulverbedarf im Lande 
‚selbst decken. Durch die Einführung des Generalverpachtungssystems ging 
aber dieser einst blühende Wirtschaftszweig schnell zurück und vermochte 
nur ungenügend zu produzieren, was den Staat verschiedentlich in die ge- 
fährlichste Lage brachte. (Man vergl. darüber meine „Salpeterwirtschaft und 
‚Salpeterpolitik“, Zeitschrift f. d. ges. Staatswissenschaft, Ergänzungsheft XV, 
S. 140 ff.) 

2) Der hauptsächlichste Lieferant der Schafwolle für die französischen 
Manufakturen war anfangs England, damals aber schon mehr Spanien, welches 
‚jährlich über 40000 Ballen (& 200 Pfd.) davon exportierte. Die Verschickung 
erfolgte von Bilbao aus nach Rouen und Orléans. Am meisten geschätzt 
war die leonische oder segovische Wolle, welche vorwiegend in den berühm- 
ten Manufakturen von Abbeville, Andelly, Louvier und Elbeuf verarbeitet 
‘wurde. 

3) Artk. „Fermiers“, a. a. 0. 


528 Ottomar Thiele 


in einem so sehr vom Klima bevorzugten Lande wie Frankreich 
zu großer Bedeutung hätte gelangen müssen, der Weinbau, lag in 
gleicher Weise danieder. Auch ihn schädigten die Exportverbote 
und hohen provinzialen Binnenzölle, resp. Prohibitivgesetze der- 
artig, daß die Winzer, so seltsam es klingen mag, weniger eine 
schlechte als eine gute Ernte fürchteten. Das war um so mehr 
zu bedauern, als sich der Wein- und Gartenbau unter Ludwig XIV. 
kräftig entwickelt hatte. Die Pflanzungen waren damals aufer- 
ordentlich vermehrt worden — sie betrugen zu Quesnays Zeiten 
noch über 1!/» Millionen Morgen —, bessere Kulturen und neue 
Sorten, wie die der Champagne etc., hatte man mit gutem Erfolge 
"eingeführt und auf diese Weise die Grundlagen für eine blühende 
und einträgliche, pualifizierte Weingewinnung geschaffen. Zu- 
dem war im Zusammenhange mit dieser Produktion eine blühende 
Branntweinindustrie entstanden und daneben ein reger Obit- 
und Gemüsebau‘). Allein, der Erlös aus den gewonnenen Er- 
zeugnissen wurde durch die obigen Umstände immer geringer und 
entsprach nicht mehr dem Aufwande an Arbeit, Kapital und 
Zeit, den man für eine gedeihliche Entwicklung hätte for- 
dern müssen. Dazu kam noch, daß die Regierung, von unrich- 
tigen volkswirtschaftlichen Erwägungen geleitet, nämlich in der 
Absicht dem daniederliegenden Getreidebau neue Böden zu 
zuführen, der Weinkultur im allgemeinen sehr ablehnend gegen- 
überstand, ihre Verbreitung überall, ja selbst da, wo bessere Er- 
zeugnisse wuchsen, zu verhindern suchte und die Errichtung 
neuer Weinberge von ihrer ausdrücklichen und gewöhnlich sehr 
schwer zu erlangenden Genehmigung abhängig machte‘). 
Der Zustand der Waldungen, der privaten wie der Gemeinden, 


1) VOLTAIRE bemerkt darüber in seinem bekannten Werke, Le siècle de 
Louis XIV.: „On a planté plus de vignes et on les a mieux cultivées; on 8 
fait de nouveaux vins qu’on ne connaissait pas auparavant, tels que ceux de 
Champagne. Cette augmentation des vins a produit celles des eaux-de-rie; 
la culture des jardins, des légumes, des fruits, a reçu de prodigieux accrois- 
sements ...“ (Vergl. auch A. BABEAU, La vie rurale, a. a. O. p. 136 ff.) 

2) Neue Weinberge durften unter Ludwig XV. nur mit besonderer Er- 
laubnis des Contrôleur Général, welche dieser auf eingehende Befürwortung 
seitens des betreffenden Intendanten hin erteilte, angelegt werden. (A. BABEAU, 
La province sous l’ancien régime, 1894. T. II. p. 241.) 


ee -.ns. 





François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 529 


tte ebenfalls unter dem allgemeinen Niedergange schwer zu 
den. Regelrechte Hegung und Pflege des Wildes wurde nirgends 
br beobachtet, und die Schäden, welche das Wild in Wald und 
ur besonders dort anrichtete, wo die Jagd dem Grandseigneur ge- 
rte, waren sehr erheblich. Schwarzwild und Kaninchen zer- 
irten die Saaten. Die Plage der Wölfe nahm in manchen 
egenden derartig überhand, daß der Verkehr auf den Straßen 
ıd die Arbeiten auf den Feldern gefährdet wurden. Viele 
älder, welche früher ein vortreffliches Futter (Eicheln) für die 
chweinemast geboten hatten, wurden durch planlose Abholzungen 
michtet. Man sah in ihnen nur noch eines der wenigen 
inge, deren Verkauf einen leidlich befriedigenden Erlös brachte. 
enn der Bedarf an Bau- und Brennholz war zur Zeit der vielen 
anufakturen, der großen staatlichen, wie privaten Bauten 
chiffsbauten), da Eisenkonstruktionen noch gänzlich unbe- 
innt waren, außerordentlich gestiegen. Die zahlreichen Brannt- 
!inbrennereien, Brauereien, Zucker- und Salpetersiedereien ver- 
auchten alljährlich enorme Quantitäten an Brennholz, zumal sie 
ren Betrieb mit Kohlenfeuerung nicht aufrecht zu erhalten ver- 
ındn. Am meisten wurden dadurch diejenigen Waldungen 
itgenommen, welche an floßbaren Gewässern lagen; und hier 
schah es nicht selten, daß mancher Bauer seine alte Beschäf- 
sung mit der einträglicheren eines Holzhändlers vertauschte. 
on einer ordentlichen Forstwirtschaft konnte natürlich unter 
chen Verhältnissen keine Rede sein; hier, wie überall, der 
'oße Mangel an Kapitalien für einen regelrechten Betrieb und die 
:rvöse Hast, alles zu Geld zu machen, was nur eben möglich war 
ad dabei die geringsten Kosten verursachte. Kurz, die ganze land- 
itschaftliche Produktion war, wie der Intendant von Soissons 
ı seinem Briefe bemerkt, mehr eine Vernichtung, als eine Kultur 
1 nennen. 

Dem entsprach das Meliorationswesen, soweit man überhaupt 
och von einem solchen reden konnte; denn gerade hier pflegt 
ch ja die Kapitalskraft des Landwirtes bekanntlich am deut- 
chsten zu zeigen. Der schon durch die Betriebsweise bedingte 
br geringe Viehbestand der Großkultur war naturgemäß für 
a3 Befolgen einer ordentlichen landwirtschaftlichen Statik (in 





530 Ottomar Thiele 


dem Maße selbstverständlich, wie man sie bei dem damaligen 
Stande der Agrikulturwissenschaft erwarten durfte) unzulänglid, - 
weil es am wichtigsten Bodenverbesserer, den natürlichen Dünge- 
mitteln, gebrach. Doch wurde dieser Übelstand zum Teil da 
durch wieder ausgeglichen, daß es die Mittel der reicheren Be 
wirtschafter an und für sich ermöglichten, dem Mangel af 
andere Weise abzuhelfen. Sie konnten sich den Ankauf von 
fremden Stalldünger und den Bezug von künstlichen Dungstofen 
leisten, welch letzteren damals in der Asche des verbrannten 
Seetanges!) (cendres), in Mergelerde (marne), in Torf-*) und 
Holzasche und in einer eigentümlichen schwarzen Humuserde‘) 
(houille) bestanden. Allein die meisten von ihnen scheuten die 
Kosten der Beschaffung und zogen es daher vor, mit den 
besseren Böden ihres Wirtschaftsareals Raubbau zu treiben, 
als die Wirtschaftskosten durch Ankauf genügender Düngemittel 
zu erhöhen. In der Regel lag es ihnen weniger an der Ausübung 
einer regelrechten landwirtschaftlichen Tätigkeit, als vielmehr, 
um in den Besitz eines Spekulationsobjektes, des Getreides, zu gt- 
langen, mit dessen Hilfe sie hohe Gewinne erzielen wollten. Auch 
der mittlere Besitzer oder Pächter war in jener Hinsicht nicht 
besser gestellt. Er hielt im allgemeinen einen zu kleinen Vie 
bestand, als daß er hinlänglich mit Dungstoffen versehen gt 
wesen wäre. So mußte er denn seinen Bedarf bei den kleinen 
Wirtschaftern, den Metayers, Zwergbauern etc. zu decken suchen, 
die ihren Stalldünger, falls sie überhaupt Ochsen oder Kühe hielten, 
gern veräußerten, da sie ihre Äcker nur selten zu düngen pflegten. 
Doch war er auch hier lediglich auf seine Provinz angewiesen, 
denn der Bezug von natürlichen Düngemitteln war, als den Pro- 


1) Diese Asche wurde meist aus Flandern bezogen. Doch gewann ms 
sie auch anderwärts, da im Jahre 1731 den Bewohnern aller Küsten des at- 
lantischen Ozeans durch besonderes königliches Privileg gestattet wurde, den 
Seetang (Varech) zu sammeln, zu verbrennen und die Asche in das Inner 
des Landes zu verkaufen. 

2) Torfasche war in Amiens schon seit 1550 als Dünger gebräuchlich. 

8) Diese Erde fand sich an einzelnen Stellen des Landes in größer 
oder geringerer Tiefe unter der Oberfläche kulturfähiger Böden vor. Yan 
benützte sie erst seit 1750, wo die erste Grube (houillère) in der Picardie 
entdeckt wurde. 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 529 


hatte ebenfalls unter dem allgemeinen Niedergange schwer zu 
leiden. Regelrechte Hegung und Pflege des Wildes wurde nirgends 
mehr beobachtet, und die Schäden, welche das Wild in Wald und 
Flur besonders dort anrichtete, wo die Jagd dem Grandseigneur ge- 
hörte, waren sehr erheblich. Schwarzwild und Kaninchen zer- 
störten die Saaten. Die Plage der Wölfe nahm in manchen 
Gegenden derartig überhand, daß der Verkehr auf den Straßen 
und die Arbeiten auf den Feldern gefährdet wurden. Viele 
Wälder, welche früher ein vortreffliches Futter (Eicheln) für die 
Schweinemast geboten hatten, wurden durch planlose Abholzungen 
vernichtet. Man sah in ihnen nur noch eines der wenigen 
Dinge, deren Verkauf einen leidlich befriedigenden Erlös brachte. 
Denn der Bedarf an Bau- und Brennholz war zur Zeit der vielen 
Manufakturen, der großen staatlichen, wie privaten Bauten 
(Schiffsbauten), da Eisenkonstruktionen noch gänzlich unbe- 
kannt waren, außerordentlich gestiegen. Die zahlreichen Brannt- 
weinbrennereien, Brauereien, Zucker- und Salpetersiedereien ver- 
brauchten alljährlich enorme Quantitäten an Brennholz, zumal sie 
ihren Betrieb mit Kohlenfeuerung nicht aufrecht zu erhalten ver- 
standen. Am meisten wurden dadurch diejenigen Waldungen 
mitgenommen, welche an floßbaren Gewässern lagen; und hier 
geschah es nicht selten, daß mancher Bauer seine alte Beschäf- 
tigung mit der einträglicheren eines Holzhändlers vertauschte. 
Von einer ordentlichen Forstwirtschaft konnte natürlich unter 
solchen Verhältnissen keine Rede sein; hier, wie überall, der 
große Mangel an Kapitalien für einen regelrechten Betrieb und die 
nervöse Hast, alles zu Geld zu machen, was nur eben möglich war 
und dabei die geringsten Kosten verursachte. Kurz, die ganze land- 
wirtschaftliche Produktion war, wie der Intendant von Soissons 
in seinem Briefe bemerkt, mehr eine Vernichtung, als eine Kultur 
zu nennen. 

Dem entsprach das Meliorationswesen, soweit man überhaupt 
noch von einem solchen reden konnte; denn gerade hier pflegt 
sich ja die Kapitalskraft des Landwirtes bekanntlich am deut- 
lichsten zu zeigen. Der schon durch die Betriebsweise bedingte 
sehr geringe Viehbestand der Großkultur war naturgemäß für 
das Befolgen einer ordentlichen landwirtschaftlichen Statik (in 


539 Ottomar Thiele 


seheimer Vereinbarung vielfach bezahlt werden mußte. Eine 
besondere Rolle spielte dieses Aufgeld bei denjenigen Pad- 
ten, welche die Nutznießer der Kirchengüter vergaben, und 
zwar vornehmlich deshalb, weil man hier an Stelle einer all 
mählichen Erhöhung der Pachtpreise eine entsprechende Ent- 
schädigung in Gestalt jenes ,pot-de-vin“ zu verlangen pflegte. 

Eine weitere Belastung für die Pächter waren die in außer- 
sewöhnlichen Fällen, vor allem in Kriegszeiten, erhobene 
Vingtiemes, welche zwar nominell der Eigentümer vom Er 
trage seines Grundstücks zu bezahlen hatte, von diesem aber 
dadurch abgewälzt wurden, daß sich der Pächter im voraus n 
verpflichten hatte, sie in solchen Fällen anstatt des Grund- 
besitzers zu entrichten‘... Außer dieser Grundstücksteuer pflegte 
bei außerordentlichem Staatsbedarf, und dieser war unter Lud- 
wig XV. zur Regel geworden, noch ein anderer Vingtième, ge 
wöhnlich „sou pour livre“ genannt, erhoben zu werden. Das war 
eine Verbrauchssteuer auf Getränke und Nahrungsmittel, die 
alle Klassen der Bevölkerung gleichmäßig belangen sollte, in 
Wirklichkeit aber am schwersten die Landwirtschaft durch Herab- 
minderung der Preise ihrer Produkte traf. Diese Konsumtions- 
steuer belastete den Landwirt um so mehr, als dieser sowie 
schon beim Verkauf seiner Erzeugnisse in den Städten allerlei 
Markt-, Maß- und Gewichtsgelder, die an Unternehmer verpachtet 
waren, zu bezalılen hatte. 


Wurde auf diese Weise schon der Reinertrag des Landwirte: 
um ein Erhebliches geschmälert, so erfuhr er noch eine weit 
empfindlichere Reduktion durch die drückendste und willkürlichste 
aller Steuern jener Zeit, durch die „taille*. Sie bildete eine Ab- 
gabe vom Ertrage der Arbeit und Betriebsamkeit jedes Ein- 
wohners und belastete im wesentlichen die Handel und Ge- 
werbe treibenden Bürger in den Städten, vor allem aber die dem 
Ackerbau Obliegenden des platten Landes, während Adel, Geist- 
lichkeit und Beamten (königliche, wie private, z. B. der General- 





1) Ein solcher Vingtieme wurde z. B. 1759 beim Ausbruch des Krieges 
erhoben. Er sollte drei Monate nach Friedensschluß aufhören. Die Geistlich- 
keit war davon befreit. (Vgl. Sr. BAUER, a. a. O.) 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 533 


pachtungen etc.) von ihr befreit blieben. Ihre Ungleichheit, 
welche sich fast ausschließlich auf der Seite des politisch 
schwächsten Teiles der Bevölkerung befand, hatte, wie A. Babeau 
bemerkt!), die beste Gewähr für ihren jahrhundertelangen 
Bestand gebildet; denn wäre sie gleichmäßig gewesen, so würde 
sie wahrscheinlich nur wenige Jahrzehnte gedauert haben. Die 
Höhe der Gesamtauflage wurde vom Conseil du Roi?) in jedem 
Jahre nach den vorher zu diesem Zwecke eingezogenen 
Schätzungen der einzelnen Intendanten fixiert, denen dann die 
Repartition der für jede Generalität festgesetzten Quote auf die 
steuerpflichtigen Einwohner überlassen blieb. Die großen Kosten 
ihrer Erhebung, die Bedrückung, welche sie verursachte, ins- 
besondere jedoch die Willkür, mit welcher die Subdelegues die 
Einschätzung zu betreiben pflegten, hatte der taille seit jeher 
die heftigsten Angriffe der Politiker und Volkswirte zugezogen ®). 
Dennoch war man infolge der schlechten Finanzverhältnisse des 
Staates gezwungen, sie beizubehalten. „Die Taille“, sagt ein 
unbekannter Politiker der damaligen Zeit, „ist eine Quelle alles 
Übels; sie bewirkt, daß, wenn der Bauer 10 Taler in der 
“Tasche hat, er sich wohl hütet, das Geld in seine Wirtschaft 
zu stecken, weil sich dadurch seine ohnehin schon hohe Steuer- 
quote noch erhöhen würde.“ Indessen war sie wohl kaum 


1) A. BABEAL, Le village sous l’ancien régime; p. 211. 

2) Zum Verständnis der inneren Verwaltung im Ancien Régime sei fol- 
.gendes hervorgehoben: Das Zentralorgan der gesamten Verwaltung war der 
Conseil du Roi, in welchem sich die drei Gewalten vereinigten; er war zu 
‚gleicher Zeit gesetzgebender Körper, oberste Verwaltungsbehörde und auch 
‚oberstes Gericht. Wie die Gesamtverwaltung sich bei diesem Conseil befand, 
.80 lag die ganze innere Verwaltung in den Händen des dem Conseil angehörenden 
Contrôleur Général. Ihm unterstanden in jeder Provinz oder Generalität ein 
Intendant und diesem wiederum verschiedene Subdélégués in den einzelnen 
Kantonen, von denen mehrere eine „election“ bildeten. Die Zahl dieser letz- 
‘teren Verwaltungsbeamten belief sich je nach Größe der Generalität auf 
fünfzig und mehr. (Man vgl. im allgemeinen darüber A. DE TOCQUEVILLE, 
L’ancien régime et la révolution, 1860; desgl. auch A. BABEAU, La province 
sous l’ancien régime, 1894. T. II.) 

3) „Hauptangriffspunkt von Boisguillebert bis Mirabeau bildet die taille. 
Ihre Willkür bewirkt den Rückgang der Agrikultur, die Angst vor ihr läßt 
die Felder verôden.“ (St. BAUER, a. a. O.) 


534 Ottomar Thiele 


jemals so hart, daß sie jede Rücklage aus dem Ertrage der 
Landwirtschaft unmöglich gemacht hätte, wie vielfach behauptet 
worden ist'). Jedenfalls aber erschwerte sie das Sparen aufer- 
ordentlich ?) und schreckte hauptsächlich vor den so notwendigen 
Meliorationen in der Bewirtschaftung des Bodens und in der 
Viehhaltung ab, weil sie jede Kapitalsinvestierung besonders be 
langte. 

In der letzten Zeit war die taille noch durch eine spezielle 
Steuer, die „Industrie“, welche das Gewerbe auf dem platten 
Lande treffen sollte, ergänzt worden. Man hatte sie zum Schutze 
des städtischen Gewerbefleißes eingeführt und beging auf diese 
Weise den schweren Fehler, die in vielen Gegenden blühende 
Hausindustrie, welche der kleinbäuerlichen Bevölkerung eine 
nicht unbeträchtliche Einnahme verschaffte und ihnen Arbeit und : 
Beschäftigung in den Wintermonaten gewährte, erheblich zu 
schädigen. Solche hausgewerbliche Tätigkeiten wurden vor 
wiegend in Form der Spitzenklöppelei und Spinnerei, der Weber : 
und Strumpfwirkerei (Picardie, Normandie, Champagne), der . 
Uhrmacherei (Jura) u. s. w. geübt. Auch betrieben viele Baum 
Öl- und Getreidemühlen, die sie teils zu eigen besaßen, teil 
von den Grundherren gepachtet hatten’). 

Neben Steuern allgemeiner Art, die nicht bloß die länd- 
lichen Klassen belasteten, wie die Kopfsteuer (capitation), die 
Salzsteuer (gabelle) und jene mannigfaltigen, an die Generd- 
pächter vergebenen Verbrauchsteuern, wurde noch eine besondere 
Militärsteuer (contribution) vom Staate erhoben. Diese war haupt 
sächlich den Dorfgemeinden, welche die meisten Rekruten 2 
stellen hatten, infolge des seit dem Ende des 17. Jahrhundert 
immer größeren Umfang annehmenden Milizwesen (s. später‘) 
auferlegt worden und diente dazu, einen erheblichen Teil der 


1) Im Jahre 1711 schrieb ein Dorfgeistlicher folgende Verse in seiß 
Kirchenbuch: 
„Ce comble des impôts fut un pesant fardeau. 
Mais trop heureux encore, on nous laisse la vie.“ 
(A. BABEAU, La vie rurale, a. a. O. p. 128.) 
2) DERSELBE, Le village sous l’ancien régime; p. 129. 
3) DERSELBE, La vie rurale, a. a. O. p. 322. 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 535 


haltungskosten für die Ausgelosten zu decken. Sie wurde 

Repartition von den Einwohnern der Gemeinde nach Maf- 
ihres Vermögens und ihrer Betriebsamkeit aufgebracht und 
sich beispielsweise für die Provinz der Champagne jäbr- 
af nicht weniger als 30000 livres. !). 


ine weitere Last, welche die Gemeinden im Interesse der 
esverteidigung zu tragen hatten, bestand in den ihnen durch 
jalpeterregal zur Pflicht gemachten Dienstleistungen an die 
ichen Salpetersieder?).. Frankreich hatte seit dem Beginn 
6. Jahrhunderts eine staatlich organisierte Salpeterwirtschatt 
fem Umfange eingeführt, welche das zur Pulverfabrikation 
behrliche Salpetermaterial zu liefern hatte und in der Weise 
ben wurde, daß die durch königliches Patent autorisierten 
êtriers“ die im ganzen Lande befindliche Salpetererde, den 
terausschlag der Wände, Fußböden u. s. w. sammelten 
wslaugten, um Salpeter daraus zu sieden. Da nun die 
terbildung am leichtesten dort erfolgt, wo stickstoffhaltige, 
'he und pflanzliche Produkte in Verwesung übergehen, so 
ı als die gecignetsten und von den Salpetersiedern infolge- 
n am meisten aufgesuchten Fundstätten die Bauernwirt- 
en, mit ihren Viehställen und ihren aus Lehm und Dung 
stellten Wällerwänden, Fußböden, Dreschtennen etc. Am 
ımsten artete das Salpeterwesen in der ersten Hälfte 
8. Jahrhunderts aus, wo es der Staat in Pacht vergeben 

Der Generalpächter, welcher natürlich weniger auf das 
#se des Staates oder gar der Landwirtschaft, als vielmehr 
inen möglichst hohen Profit seines angelegten Kapitals be- 
war und daher die vielen Salpetersieder *) so wenig wie 


A. BABEAU, Le village, a. a. O. p. 264. 

| Dieser Gegenstand ist trotz seiner Bedeutsamkeit in der einschlägigen 
tur nur wenig berücksichtigt worden. Ihn vollständig zu würdigen, 
hier zu weit führen. Es sei daher auf meine „Salpeterwirtschaft und 
erpolitik“, a. a. O. verwiesen, wo die französischen Verhältnisse des in 
- und Westeuropa einst hoch bedeutsamen Salpeterwesens besonders 
rt worden sind, und zwar auf S. 75—93, S. 125—166 u. S. 200 ff. 

‚ Die Zahl der Salpêtriers war um 1750 derartig gestiegen (und zwar 
er wegen der Einträglichkeit des Gewerbes als der der Privilegien), daß. 


534 Ottomar Thiele 


jemals so hart, daß sie jede Rücklage aus dem Ertrage der 
Landwirtschaft unmöglich gemacht hätte, wie vielfach behaupte 
worden ist'). Jedenfalls aber erschwerte sie das Sparen aufr- 
ordentlich ?) und schreckte hauptsächlich vor den so notwendigen 
Meliorationen in der Bewirtschaftung des Bodens und in de 
Viehhaltung ab, weil sie jede Kapitalsinvestierung besonders be 
langte. 

In der letzten Zeit war die taille noch durch eine spezielle 
Steuer, die „Industrie“, welche das Gewerbe auf dem platten 
Lande treffen sollte, ergänzt worden. Man hatte sie zum Schutze 
des städtischen Gewerbefleißes eingeführt und beging auf diese 
Weise den schweren Fehler, die in vielen Gegenden blühende 
Hausindustrie, welche der kleinbäuerlichen Bevölkerung eine 
nicht unbeträchtliche Einnahme verschaffte und ihnen Arbeit und 
Beschäftigung in den Wintermonaten gewährte, erheblich zu 
schädigen. Solche hausgewerbliche Tätigkeiten wurden vor- 
wiegend in Form der Spitzenklöppelei und Spinnerei, der Weberei 
und Strumpfwirkerei (Picardie, Normandie, Champagne), der 
Uhrmacherei (Jura) u. s. w. geübt. Auch betrieben viele Bauen 
Öl- und Getreidemühlen, die sie teils zu eigen besaßen, teils 
von den Grundherren gepachtet hatten?). 

Neben Steuern allgemeiner Art, die nicht bloß die länd- 
lichen Klassen belasteten, wie die Kopfsteuer (capitation), die 
Salzsteuer (gabelle) und jene mannigfaltigen, an die General- 
pächter vergebenen Verbrauchsteuern, wurde noch eine besondere 
Militärsteuer (contribution) vom Staate erhoben. Diese war haupt- 
sächlich den Dorfgemeinden, welche die meisten Rekruten zu 
stellen hatten, infolge des seit dem Ende des 17. Jahrhunderts 
immer größeren Umfang annehmenden Milizwesen (s. später!) 
auferlegt worden und diente dazu, einen erheblichen Teil der 


1) Im Jahre 1711 schrieb ein Dorfgeistlicher folgende Verse in sein 
Kirchenbuch: 
„Ce comble des impôts fut un pesant fardeau. 
Mais trop heureux encore, on nous laisse la vie.“ 
(A. BABEAT, La vie rurale, a. a. O. p. 128.) 
2) DERSELBE, Le village sous l’ancien régime; p. 129. 
3) DERSELBE, La vie rurale, a. a. O. p. 322. 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 535 


Unterhaltungskosten für die Ausgelosten zu decken. Sie wurde 
durch Repartition von den Einwohnern der Gemeinde nach Maf- 
gabe ihres Vermögens und ihrer Betriebsamkeit aufgebracht und 
belief sich beispielsweise für die Provinz der Champagne jähr- 
lich auf nicht weniger als 30 000 livres. !). 


Eine weitere Last, welche die Gemeinden im Interesse der 
Landesverteidigung zu tragen hatten, bestand in den ihnen durch 
das Salpeterregal zur Pflicht gemachten Dienstleistungen an die 
staatlichen Salpetersieder*). Frankreich hatte seit dem Beginn 
des 16. Jahrhunderts eine staatlich organisierte Salpeterwirtschatt 
in großem Umfange eingeführt, welche das zur Pulverfabrikation 
unentbehrliche Salpetermaterial zu liefern hatte und in der Weise 
betrieben wurde, daß die durch königliches Patent autorisierten 
„Salpötriers“ die im ganzen Lande befindliche Salpetererde, den 
Salpeterausschlag der Wände, Fußböden u. s. w. sammelten 
und auslaugten, um Salpeter daraus zu sieden. Da nun die 
Salpeterbildung am leichtesten dort erfolgt, wo stickstoffhaltige, 
tierische und pflanzliche Produkte in Verwesung übergehen, so 
galten als die geeignetsten und von den Salpetersiedern infolge- 
dessen am meisten aufgesuchten Fundstätten die Bauernwirt- 
schaften, mit ihren Viehställen und ihren aus Lehm und Dung 
hergestellten Wällerwänden, Fußböden, Dreschtennen etc. Am 
schlimmsten artete das Salpeterwesen in der ersten Hälfte 
des 18. Jahrhunderts aus, wo es der Staat in Pacht vergeben 
hatte. Der Generalpächter, welcher natürlich weniger auf das 
Interesse des Staates oder gar der Landwirtschaft, als vielmehr 
auf einen möglichst hohen Profit seines angelegten Kapitals be- 
dacht war und daher die vielen Salpetersieder?) so wenig wie 


1) A. BABEAU, Le village, a. a. O. p. 264. 

2) Dieser Gegenstand ist trotz seiner Bedeutsamkeit in der einschlägigen 
Literatur nur wenig berücksichtigt worden. Ihn vollständig zu würdigen,. 
würde hier zu weit führen. Es sei daher auf meine „Salpeterwirtschaft und 
Salpeterpolitik“, a. a. O. verwiesen, wo die französischen Verhältnisse des in 
Mittel- und Westeuropa einst hoch bedeutsamen Salpeterwesens besonders 
erörtert worden sind, und zwar auf 8. 75—93, S. 125—166 u. S. 200 ff. 

3) Die Zahl der Salpêtriers war um 1750 derartig gestiegen (und zwar 
weniger wegen der Einträglichkeit des Gewerbes als der der Privilegien), daß. 


538 Ottomar Thiele 


standen Fronen bloß noch in einzelnen Provinzen?!) und selbst 
wurden sie in der Regel nur gegen Entschädigung verlangt, w 
übrigens auch in manchen Gegenden auf den Champart zutr: 
Viele Bauern waren in Wirklichkeit freie Grundeigentümer. 

Während also, wie wir gezeigt haben, die Wirtschaften d 
Bauern, Metayers und Pächter überall an einem, durch d 
verschiedensten Ursachen hervorgerufenen und genährten Mang 
an wirtschaftlicher Bewegungsfreiheit, vor allem aber an Kap 
talien zu leiden hatten und daher in der Regel außer stan( 
waren, den vollen Ertrag ihrer Güter zu erzielen, geschweig 
ihn denn zu steigern, war es mit denen des niederen Adel: 
welcher vielfach der Landwirtschaft treu geblieben, in diese 
Hinsicht nicht besser bestellt. Seine Lage war infolge der teure 
Zeiten und hohen Lebensanforderungen, die seine soziale Stellun 
von ihm beanspruchte, allmählich immer unsicherer geworden 
und nicht selten hatte er mit der Armut bitter zu kämpfen 
„Trotz seiner Privilegien“, schrieb um 1750 voll Trauer ei 
französischer Landedelmann ?), „richtet sich der Adel tagtäglid 
immer mehr zugrunde und der „tiers état‘ bemächtigt sich da 
Vermögens des Landes.“ 

In der Tat, der „dritte Stand“, und zwar in erster Linie di 
in den Städten wohnende Handel und Gewerbe treibende Bürger 
schaft, die Privatiers, Unternehmer etc., hatten sich allmählich de 
Vermögens des Landes bemächtigt und waren, was noch meh 
ins Gewicht fiel, die Gläubiger ihres an dauernder Finansn0 
leidenden Staates geworden, dessen Anleihen sich fast aus 
schließlich in ihren Händen befanden®). Ihre Kapitalskrañ 
welche die Mittel zum Erwerbe bot, hatte die verarmte Land 
bevölkerung zu großem Teil in die Städte getrieben: „Den 


1) Schon im 16. Jahrhundert durften die gutsherrlichen Fronen nich 
länger als 12 Tage im Jahre dauern und in manchen Gegenden (Lyon z.B. 
nicht mehr als fünf. Später wurden sie immer mehr reduziert. (Darübe 
A. BABEAU, Le village, a. a. O. p. 175 und La vie rurale, a. a. O. p. 1%.) 

2) A. DE TOCQUEVILLE, a. à. O. p. 139. 

3) Dieses MiBverhältnis von wirtschaftlicher Macht und politischer Ohn 
macht des dritten Standes war eines seiner hauptsächlichsten Agitationsmitte 
gegen den Absolutismus. 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 537 


Spannfronen mußten sich alle Einwohner der in Frage kommen- 
den Gemeinden im Alter von 12—60 Jahren beteiligen, widrigen- 
falls sie schwere Bestrafungen zu erwarten hatten. Auch durfte 
sich niemand vertreten lassen oder gar davon loskaufen. Anfang 
und Dauer der Arbeiten war unbestimmt und wurde in jedem 
Falle von den einzelnen Intendanten willkürlich, d. h. je nach 
Bedarf und oft ohne Rücksicht auf die Feldarbeiten, festgesetzt. 

Dazu kamen die kirchlichen Abgaben, und obwohl, wie 
VAUBAN und CONDORCET bestätigen, der Zehnte (Dime) niemals- 
sehr drückend gewesen zu sein scheint, so wurde diese Steuer 
doch vielfach durch Zwangsbeiträge zur Instandhaltung der Kirche: 
und durch eine ,retribution“ an den Ortsgeistlichen beträchtlich 
erhöht. Weit stärker belasteten dagegen die bäuerliche Bevöl- 
kerung die Abgaben an den Seigneur. In Frankreich waren: 
zwar zu jener Zeit nur noch die Reste der grundherrlichen Ge- 
walt vorhanden, aber diese fanden sich in den verschiedensten 
Formen vor; vom Ehrenvasallen (vief d’honneur, der nur die 
nominelle Verpflichtung der „Treue und Huldigung“ hatte) bis. 
zum wirklichen Leibeigenen (serf, von denen es beim Einbruch 
der Revolution noch über eine Million gegeben haben soll). 
Dem entsprach die Höhe der Abgabe, des „Champart“. Am 
leichtesten als Champart foncier, den mancher Vasall als eine 
Art Grundrente zu bezahlen hatte, gestaltete er sich als Champart 
seigneurial am drückendsten (im Lyonnais und Beaujolais z. B. 
betrug er !/—!is der (Getreide-)Ernte, in der Dauphiné dagegen 
nur !/so), und hier kehrte sich der ganze Haß der Bauern gegen 
ihn. Dazu kam noch, daß die Seigneurs den Grundsatz „nulle 
terre sans seigneur“, welcher ursprünglich nur auf die grund- 
herrliche Gerichtsbarkeit (die noch bis zur Revolution allgemein 
bestand) Anwendung gefunden hatte, seit dem 16. Jahrhundert 
auch auf andere feudale Rechte übernahmen, und daß sie z. B. 
in (diesem Sinne vielfach die ziemlich bedeutenden Allmenden 
(an Wald, Wiese und Feld) der Gemeinden für sich beanspruchten,. 
um sie den Bauern wieder als eine Art von Geschenk oder Konzession 
unter Vorbehalt gewisser Rechte zu überlassen!). Indessen be- 


1) Man vergl. im allgemeinen M. KARÉIEW, Les paysans et la question 
paysanne en France dans le dernier quart du 18° scl, 1899, p. 19—75. 


540 Ottomar Thiele 


so daß diese oft gezwungen wurden, in den Städten, wo b 
Erwerbsverhältnisse herrschten, eine Existenz zu suchen. 
taten sie um so lieber, als hier die Annehmlichkeite 
Stadtlebens winkten, welche ihnen bald die Erinnerung a 
öde und verarmte Heimat vergessen ließen. Sie ergriffen 
gewerblichen Beruf oder wurden Beamte, welch letzteres 
infolge des enormen Bedarfes jener Zeit an Subalternen, aı 
und Steuereinnehmern, Wächtern, Kontrolleuren, an Anges 
der vielen staatlichen und privaten Großunternehmen etc. 
allzu beschwerlich fiel. In solchen Fällen kamen sie zwar 
wieder auf das Land zurück — denn die Verwaltung, res 
hebung der vielen Verbrauchssteuern, Binnenzölle etc. hatte 
reiche Beamtenstellen in den Dörfern und Marktflecke 
schaffen — allein, lediglich in der Eigenschaft unprodu 
Zehrer, die dem betriebsamen Teil der Bevölkerung die a 
für sich schon knappen Lebensmittel noch mehr schmälert 

Die unter den kleinbäuerlichen Bewohnern herrschende 
werbsverhältnisse begünstigten die Landflucht noch in stär 
Maße, denn diese Wirtschaften vermochten schon aus natür 
Gründen nicht allen Mitgliedern der Familie Unterhalt zu | 
Die Söhne der kleinen Pächter, Metayers und Bauern, n 
sich gewöhnlich anderwärts nach Arbeit umsehen. Konnten si 
bei den reicheren Bauern oder Pächtern ihrer Heimat nict 
den, was bei der Güterkonzentration nicht selten der Fal 
so wurden sie von selbst in die Städte getrieben, un 
als Lakaien, Bediente, Läufer, Kutscher u. s. w. Unterkui 
suchen. Elend der wirtschaftlichen Lage und Mangel au 
kömmlicher Beschäftigung wirkten also zusammen. 

Noch vermehrt wurde die Bevölkerungsabnahme auf 
Lande durch den seit 1689 von Louvois allgemein eingefi 
Service forcé, die ,Miliz“ genannt!). Sie war in der H 


1) Ursprünglich verlangte man Militärdienste nur ganz ausnahm 
Es gab beispielsweise levées obligatoires en masse unter Ludwig X 
Jahre 1636, als die Spanier Corbie erobert hatten und Paris bedrohte 
spanischen Erbfolgekriege kamen dann die Zwangsrekrutierungen (r 
ments forcés) auf; doch hob man damals vorzugsweise Landstreiche 
Arbeitslose aus, daneben allerdings auch Unverheiratete im Alter von 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 539 


das Wachstum der Bevölkerung“, sagt Quesnay'), „hängt ganz 
und gar von der Zunahme der Vermögensmassen, deren An- 
wendung und der Beschäftigung der Menschen ab. Diese finden 
sich überall dort zusammen und vermehren sich da, wo sie 
Reichtümer erwerben können.“ 

Zweifellos lag im Zurückfließen der Kapitalien aus der land- 
wirtschaftlichen Produktion, welche durch die einseitige Wirt- 
schaftspolitik der Regierung in eine gefährliche Krisis?) geraten 
war, der wichtigste Grund, welcher die rapide Abnahme der 
ländlichen Bevölkerung und die Flucht in die Städte bedingte. 
Am meisten hatten, wie bemerkt, die mittleren Güter darunter 
zu leiden. Von den kapitalskräftigen Großpächtern und Unter- 
nehmergesellschaften aufgesogen oder zerstückelt, geschah es, 
daß von den Ortschaften vieler Gemeinden, wo einst 5 oder 6 
Pächter erster Klasse, d. h. mit einem Areal zu 5—7 Gespannen, 
und vielleicht 8 oder 10 zweiter Klasse zu 2—3 Gespannen vor- 
handen gewesen waren, sich insgesamt nur noch deren 3 befan- 
den, welche durch Arrondierung der Äcker und Wirtschaften, vor 
allem aber durch Aufgeben der geringeren Böden, naturgemäß 
weniger Familien Unterhalt gewähren konnten, als es unter den 
früheren Verhältnissen möglich gewesen war. Und in der Tat 
vermochten sich in solehen Gemeinden, wo einst 15—20 Familien 
vom Ackerbau gelebt hatten, vielfach höchstens 5 bis 6 zu be- 
haupten. Die mittleren Pächter und Besitzer waren zu großem 
Teile in die Städte übergesiedelt und hatten sich anderen und 
einträglicheren Beschäftigungen zugewandt. Diejenigen, welche 
ihrem alten Berufe treu geblieben, waren infolge der schlechten 
Zeiten so mitgenommen worden, daß sie vielfach nicht mehr in 
der Lage waren, die Wirtschaft ihren Kindern zu übergeben, 


1) Artk. „Hommes“. 

2) Es ist außerordentlich interessant, zu beobachten, wie sehr die Wir- 
kungen der damaligen (abgesehen von der „Bauerufrage“) und der modernen 
Agrarkrisis in Frankreich trotz ihrer verschiedenen Ursachen, dort verkehrte 
Wirtschaftspolitik, hier die vernichtende Konkurrenz des billiger produzieren- 
den Auslandes, auf die Bevölkerung einander ähneln. (Man vgl. über die 
heutige, allerdings schon im Abnehmen begriffenen Agrarkrisis das sehr 
lesenswerte Buch von JULES MELINE, Le retour & la terre et la surproduc- 
tion industrielle, Paris, 1906; 4. Aufl. p. 99 ff.) 


540 Ottomar Thiele 


so daß diese oft gezwungen wurden, in den Städten, wo bess 
Erwerbsverhältnisse herrschten, eine Existenz zu suchen. D 
taten sie um so lieber, als hier die Annehmlichkeiten 
Stadtlebens winkten, welche ihnen bald die Erinnerung an 
öde und verarmte Heimat vergessen ließen. Sie ergriffen 
gewerblichen Beruf oder wurden Beamte, welch letzteres 
infolge des enormen Bedarfes jener Zeit an Subalternen, an 
und Steuereinnehmern, Wächtern, Kontrolleuren, an Anges 
der vielen staatlichen und privaten Großunternehmen etc. 
allzu beschwerlich fiel. In solchen Fällen kamen sie zwar 
wieder auf das Land zurück — denn die Verwaltung, resp. 
hebung der vielen Verbrauchssteuern, Binnenzölle etc. hatte s 
reiche Beamtenstellen in den Dörfern und Marktflecken 
schaffen — allein, lediglich in der Eigenschaft unprodukt 
Zehrer, die dem betriebsamen Teil der Bevölkerung die an 
für sich schon knappen Lebensmittel noch mehr schmäle 

Die unter den kleinbäuerlichen Bewohnern herrschenden: 
werbsverhältnisse begünstigten die Landflucht noch in stärkt 
Maße, denn diese Wirtschaften vermochten schon aus natür 
Gründen nicht allen Mitgliedern der Familie Unterhalt zu bi 
Die Söhne der kleinen Pächter, Métayers und Bauern, mul 
sich gewöhnlich anderwärts nach Arbeit umsehen. Konnten sie 
bei den reicheren Bauern oder Pächtern ihrer Heimat nicht ! 
den, was bei der Güterkonzentration nicht selten der Fall 
so wurden sie von selbst in die Städte getrieben, um \ 
als Lakaien, Bediente, Läufer, Kutscher u. s. w. Unterkunft: 
suchen. Elend der wirtschaftlichen Lage und Mangel an d 
kömmlicher Beschäftigung wirkten also zusammen. 

Noch vermehrt wurde die Bevölkerungsabnahme auf d 
Lande durch den seit 1689 von Louvois allgemein eingefübr 
Service forcé, die „Miliz“ genannt‘). Sie war in der Hau 


















1) Ursprünglich verlangte man Militärdienste nur ganz ausnahmsw 
Es gab beispielsweise levées obligatoires en masse unter Ludwig XIIL 
Jahre 1636, als die Spanier Corbie erobert hatten und Paris bedrohten. 
spanischen Erbfolgekriege kamen dann die Zwangsrekrutierungen (rec 
ments forcés) auf; doch hob man damals vorzugsweise Landstreicher 1 
Arbeitslose aus, daneben allerdings auch Unverheiratete im Alter von 18 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 541 


e eine Art von lokaler Reserve für die regulären Truppen, 
he sich aus angeworbenen Freiwilligen rekrutierten. Obwohl 
die Zahl der Miliz im Durchschnitt auf rund 60000 Mann 
in Kriegszeiten sogar auf 90000, so hatte sie doch 
als eine ernstliche Rolle gespielt. Dennoch war die Furcht, 
Milizdienst durch das Los ausgehoben zu werden, unter 
andbevölkerung allgemein verbreitet und gab zu wiederholten 
gebungen Anlaß, die bis in die letzten Jahre der absoluten 
rehie gewährt haben. Um sich dem Militärdienste zu ent- 
op, verließen viele Bauern ihre Dörfer!) und siedelten in 
tädte über, wo sie verhältnismäßig gesichert waren, da das 
den größten Teil, etwa zwei Drittel des gesamten Kon- 
tes, aufzubringen hatte. Quesnay berechnet‘), daß die 
t vor dem Militärdienst und dieser selbst der Landwirt- 
t einen Verlust von nahezu 2 Millionen Arbeitskräften inner- 
von 30 Jahren (seit 1720) zugezogen hatte. Die Miliz loste 
dem Zeitraume von 6 Jahren 40000 Mann, d. h. jährlich 
ähr 7000 Mann auf dem Lande aus, was etwa einem Achtel 
Zahl von denjenigen jungen Leuten der bäuerlichen Be- 
rang entsprach, welche das 17. Lebensjahr vollendeten. 
jienstpflichtige empfing von seiner Gemeinde, die ihn außer- 
noch zum Teil unterhalten mußte (s. oben!), eine einmalige 
badigung von 150, später 100 livres. beim Antritt seiner 
tzeit, genoß während derselben Steuererleichterung und 
seiner Entlassung Befreiung von der „taille* auf die Dauer 
Jahres *). Für die Landwirtschaft war natürlich diese 
ıhme von jungen Arbeitskräften ein empfindlicher Verlust, 
ie noch weit härter traf, als viele Milizsoldaten während 
iemlich langen Dauer ihrer Dienstzeit den Geschmack an 
früheren, beschwerlichen ländlichen Beschäftigung verloren 


ren. (Darüber A. BABEAU, La vie militaire sous l’ancien régime, 1889. 
Bf.) 

‚So verließen im Jahre 1729 beispielsweise nicht weniger als 20 Bauern 
weht vor dem Milizdienste ihr Dorf, das nur 2 Rekruten zu stellen hatte. 
) Artk. „Hommes“. Quxsxay befürwortet hier die Einführung einer 
e permanente“, die aus ständigen Mannschaften gebildet werden solle. 
) A. BapEau, Le village, à à. 0, p. 264. 

meljabrschr. f. Social- u. Wirischafggsschichte, IV. 36 


540 Ottomar Thiele 


so daß diese oft gezwungen wurden, in den Städten, wo bessere 
Erwerbsverhältnisse herrschten, eine Existenz zu suchen. Das 
taten sie um so lieber, als hier die Annehmlichkeiten des 
Stadtlebens winkten, welche ihnen bald die Erinnerung an ihre 
öde und verarmte Heimat vergessen ließen. Sie ergriffen einen 
gewerblichen Beruf oder wurden Beamte, welch letzteres ihnen 
infolge des enormen Bedarfes jener Zeit an Subalternen, an Zol- 
und Steuereinnehmern, Wächtern, Kontrolleuren, an Angestellten 
der vielen staatlichen und privaten Großunternehmen etc. nicht 
allzu beschwerlich fiel. In solchen Fällen kamen sie zwar häufig 
wieder auf das Land zurück — denn die Verwaltung, resp. Er- 
hebung der vielen Verbrauchssteuern, Binnenzölle etc. hatte zahl- 
reiche Beamtenstellen in den Dörfern und Marktflecken ge 
schaffen — allein, lediglich in der Eigenschaft unproduktiver 
Zehrer, die dem betriebsamen Teil der Bevölkerung die an und 
für sich schon knappen Lebensmittel noch mehr schmälerten. 

Die unter den kleinbäuerlichen Bewohnern herrschenden Er- 
werbsverhältnisse begünstigten die Landflucht noch in stärkerem 
Maße, denn diese Wirtschaften vermochten schon aus natürlichen 
Gründen nicht allen Mitgliedern der Familie Unterhalt zu bieten. 
Die Söhne der kleinen Pächter, Metayers und Bauern, mußten 
sich gewöhnlich anderwärts nach Arbeit umsehen. Konnten sie diese 
bei den reicheren Bauern oder Pächtern ihrer Heimat nicht fin- 
den, was bei der Güterkonzentration nicht selten der Fall war, 
so wurden sie von selbst in die Städte getrieben, um hier 
als Lakaien, Bediente, Läufer, Kutscher u. s. w. Unterkunft zu 
suchen. Elend der wirtschaftlichen Lage und Mangel an aus- 
kömmlicher Beschäftigung wirkten also zusammen. 

Noch vermehrt wurde die Bevölkerungsabnahme auf dem 
Lande durch den seit 1689 von Louvois allgemein eingeführten 
Service forcé, die „Miliz“ genannt!). Sie war in der Haupt- 


1) Ursprünglich verlangte man Militärdienste nur ganz ausnahmsweise. 
Es gab beispielsweise levées obligatoires en masse unter Ludwig XII. im 
Jahre 1636, als die Spanier Corbie erobert hatten und Paris bedrohten. Im 
spanischen Erbfolgekriege kamen dann die Zwangsrekrutierungen (recrute- 
ments forcés) auf; doch hob man damals vorzugsweise Landstreicher und 
Arbeitslose aus, daneben allerdings auch Unverheiratete im Alter von 18 bis 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime, 541 


sache eine Art von lokaler Reserve für die regulären Truppen, 
welche sich aus angeworbenen Freiwilligen rekrutierten. Obwohl 
sich die Zahl der Miliz im Durchschnitt auf rund 60000 Mann 
belief, in Kriegszeiten sogar auf 90000, so hatte sie doch 
niemals eine ernstliche Rolle gespielt. Dennoch war die Furcht, 
zum Milizdienst durch das Los ausgehoben zu werden, unter 
der Landbevölkerung allgemein verbreitet und gab zu wiederholten 
Kundgebungen Anlaß, die bis in die letzten Jahre der absoluten 
Monarchie gewährt haben. Um sich dem Militärdienste zu ent- 
ziehen, verließen viele Bauern ihre Dörfer!) und siedelten in 
die Städte über, wo sie verhältnismäßig gesichert waren, da das 
Land den größten Teil, etwa zwei Drittel des gesamten Kon- 
tingentes, aufzubringen hatte. Quesnay berechnet”), daß die 
Flucht vor dem Militärdienst und dieser selbst der Landwirt- 
schaft einen Verlust von nahezu 2 Millionen Arbeitskräften inner- 
halb von 30 Jahren (seit 1720) zugezogen hatte. Die Miliz loste 
in jedem Zeitraume von 6 Jahren 40000 Mann, d. h. jährlich 
ungefähr 7000 Mann auf dem Lande aus, was etwa einem Achtel 
der Zahl von denjenigen jungen Leuten der bäuerlichen Be- 
völkerung entsprach, welche das 17. Lebensjahr vollendeten. 
Der Dienstpflichtige empfing von seiner Gemeinde, die ihn außer- 
dem noch zum Teil unterhalten mußte (s. oben!), eine einmalige 
Entschädigung von 150, später 100 livres. beim Antritt seiner 
Dienstzeit, genoß während derselben Steuererleichterung und 
nach seiner Entlassung Befreiung von der „taille* auf die Dauer 
eines Jabres*). Für die Landwirtschaft war natürlich diese 
Entnahme von jungen Arbeitskräften ein empfindlicher Verlust, 
der sie noch weit härter traf, als viele Milizsoldaten während 
der ziemlich langen Dauer ihrer Dienstzeit den Geschmack an 
ihrer früheren, beschwerlichen ländlichen Beschäftigung verloren 


40 Jahren. (Darüber A. BABEAU, La vie militaire sous l’ancien régime, 1889. 
T. I. p.33 ff.) 
1) So verließen im Jahre 1729 beispielsweise nicht weniger als 20 Bauern 
aus Furcht vor dem Milizdienste ihr Dorf, das nur 2 Rekruten zu stellen hatte. 
2) Artk. „Hommes“. QuEsnAY befürwortet hier die Einführung einer 
„milice permanente“, die aus ständigen Mannschaften gebildet werden solle. 


3) A. BABEAU, Le village, a. a. O. p. 264. 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 36 


549 Ottomar Thiele 


hatten und daher häufig nach der Entlassung in der Stadt blieben, 
um hier ihren Lebensunterhalt auf angenehmere Weise zu ge- 
winnen. 

Die meisten kleinbäuerlichen Familien freilich empfanden den 
Verlust einer jungen Arbeitskraft, der bei dem elenden Zustande 
ihrer Wirtschaften für sie oft nicht vielmehr als eines unnützen 
Zehrers bedeutete, weniger hart. Denn der Lebensunterhalt war 
hier auf das geringste Maß. reduziert, und der Mangel an Schlacht- 
vieh und gutem Brotgetreide hatte die Ernährung dermaßen be 
einträchtigt, daß ein großer Teil der Bevölkerung schon in der 
Kindheit zugrunde ging!). In manchen Zeiten waren die 
Lebensmittel bei der Landbevölkerung so kärglich und der 
Mangel an Arbeitsgelegenheit so sehr hervortretend, daß man 
mit Recht, wie Arthur Young sagt?), eher von einem Überfluß an 
Menschen auf dem Lande, als von einem Mangel derselben 
sprechen konnte. Das galt besonders in Jahren der Teurung, 
welche, durch Dürre, Hagelschlag oder Überschwemmung ver- 
schuldet, infolge der überall vorhandenen Getreideprohibitir- 
gesetze zwar meist lokal beschränkt blieb, aber aus diesem 
Grunde um so schlimmer wütete. Hungersnöte in einzelnen 
Provinzen waren damals periodisch abwechselnde Erscheinungen. 
Die unteren Schichten der Bevölkerung preßten, wie man zu 
sagen pflegt, gegen die Subsistenzmittel; sie konnten ihren auf 
das geringste Maß reduzierten Konsum nicht weiter einschränken 
und verfielen daher dem Elend der Nahrungsnot mit all seinen 
Schrecken. In solchen Zeiten zogen sie in Scharen aus, um 
Brot zu suchen, sie machten den Verkehr auf den Landstraßen un- 
sicher, bettelten bei den reichen Gutsbesitzern, Geistlichen oder 


1) QUESNAY bemerkt darüber in seinem Artikel „Fermiers“: „Dies 
schlechten Nahrungsmittel (die oben erwähnten Erzeugnisse der Kleinbauer, 
wie Buchweizen, Mais, Kartoffeln, Schwarzkorn etc.), welche zum Leben» 
unterhalt dienen und die Gesundheit schädigen, bewirken, daß ein großer 
Teil der Menschen schon in der Kindheit stirbt. Diejenigen, welche einer 
derartigen Ernährung standhalten, welche ihre Gesundheit und Kräfte be 
wahren und intelligent genug sind, flüchten in die Städte: Nur die Schwächstes 
und Unnützesten bleiben auf dem Lande, wo sie für den Staat ebenso un- 
brauchbar sind, als sich selbst zur Last liegen.“ 

2) ARTHUR YOUNG, Voyage en France, I. p. 322 ff. 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 543 


Pächtern und erbrachen, wenn ihnen die Verabreichung von 
Getreide oder anderen Nahrungsmitteln verweigert wurde, die 
Scheunen, Keller und Kornspeicher!). Die Regierung war diesen 
Ausbrüchen gegenüber machtlos und versuchte sie dadurch ein- 
zuschränken, daß sie die betreffenden Provinzen sperrte. „Man 
wird immer wieder Hungersnôte haben,“ sagt François Quesney ?), 
„weil der Getreidebau, welcher in den guten Jahren nur den 
jeweiligen begrenzten Bedürfnissen des Volkes entsprechend 
produziert, in dürren Jahren nicht ausreicht: Hat man denn 
noch nie bemerkt, daß all diese Übelstände lediglich Folgen der 
Verordnungen sind, welche den Handel und die Produktions- 
freiheit des Landmannes hindern? Um dem Mangel an Lebens- 
mitteln vorzubeugen, der niemals eintreten würde, gibt man, 
Gesetze, welche sich der Produktionsfülle und der Bevölkerung 
entgegensetzen !“ 

Wie schon aus diesen Worten ersichtlich, nahm die Regierung in 
dieser wichtigen Frage den einseitigsten Standpunkt ein. Sie be- 
fand sich noch zu sehr im alten Fahrwasser der Wirtschafts- 
politik vergangener Zeiten; ja sie hielt das Elend auf dem Lande 
als Zeichen für den allgemeinen Mangel an Arbeitslust! Im 
Glauben, die wirtschaftliche Lage der ländlichen Bevölkerung 
und den Nationalwohlstand heben zu können, indem man das 


1) A. BABEAU, La vie rurale, a. a. O. p. 129. 

2) Artk. „Hommes“. Man vergleiche dazu die vom selben Geist ge- 
tragenen Worte DAvıp RICARDOs: „In denjenigen Ländern, wo es genug 
fruchtbare Böden gibt, wo aber die Bewohner infolge von Unwissenheit, 
Trägheit und Barbarei allen Übeln des Mangels und der Hungersnot preis- 
gegeben sind, und wo die Bevölkerung, wie man gesagt hat, gegen die Sub- 
sistenzmittel preßt, müßte ein ganz anderes Heilmittel angewandt werden, 
als das, welches altbesiedelten Ländern not tut, wo man infolge der ab- 
nehmenden Bodenerträge alle Übel einer zusammengedrängten Bevölkerung__ 
aus Erfahrung kennen gelernt hat. In dem einen Falle rührt das Übel von 
einer schlechten Regierung, von der Unsicherheit des Eigentums und von 
einem Erziehungsmangel in allen Schichten des Volkes her. Um es glück- 
licher zu machen, braucht man es nur besser zu regieren und zu erziehen, 
denn eine Vermehrung des Kapitals über die Zunahme der Bevölkerung 
hinaus wäre die unausbleibliche Folge davon.“ (Grundsätze der Volkswirt- 
schaft und Besteuerung, übersetzt von O. THIELE; Bd. V der Sammlung 
sozialwissenschaftlicher Meister, herausgegeben von H. WAENTIG, 1906. 8.88 ff.) 


544 Ottomar Thiele 


Volk durch die Not zur äußersten Anstrengung seiner Kräfte 
zwang, wurde sie nicht gewahr, daß auf diese Weise der Ertrag 
der Arbeit infolge wachsenden Kapitalsmangels und ständiger 
Bodenerschöpfung innerhalb einer nach außen geschlossenen 
Staatswirtschaft immer geringer werden mußte, und daß somit 
die schlimmste Ausbeutung von Menschen und Boden betrieben, 
mit anderen Worten, der Nationalreichtum des Landes statt ver- 
mehrt, vernichtet wurde'). 

Dieses geringe Verständnis für die großen Agrarfragen der 
Zeit, welches bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts nicht nur n 
den hierbei zu allererst in Betracht kommenden Kreisen der 
Regierung, sondern ganz allgemein unter den Gebildeten herrschte, 
war damals, wo vornehmlich gesellschaftlicher Luxus und philo- 
sophische Schöngeisterei die leitenden Klassen zu interessieren 
schien, nicht wunder zu nehmen. Die Landwirtschaft war zu 
wenig vornehm und stand zu weit von jener übertriebenen Kultur 
entfernt, als daß man sich um sie hätte bekümmern müssen; 
sie betraf höchstens die „abseits von aller Bildung lebenden" 
Pächter und Bauern, von denen man nur in den Zeiten der 
Zinszahlungen wahrnahm. Dazu kam, daß die Regierung ihr 
Augenmerk ganz auf das Manufakturwesen und den Handel der 
teuren Luxuswaren gerichtet hatte, die im Inlande produziert, 
durch Verkauf an das Ausland Gold und Silber, den vermeint- 
lichen Nationalreichtum, ins Land bringen sollten. Sie schien 
die weisen Worte des berühmten Ministers Heinrichs IV., Sullys, 
dem sie einen großen Teil ihrer Macht und Frankreich seinen 
wirtschaftlichen und politischen Aufschwung schuldete, völlig 
vergessen zu haben, daß, wenn der Bauer reich ist, auch alles 
mit ihm zugleich reich wird”). 


1) QuEsNAY, Artk. „Hommes“; vgl. auch ST. BAUER, a. a. 0. 8. 194 

2) Sully wollte die wirtschaftliche Macht des Staates auf eine blühende 
Landwirtschaft und auf ein geordnetes und sparsames Finanzwesen gründen, 
obwohl er gerade in letzterer Hinsicht beim Könige auf großen Widerstand 
stieß. Sein obiger Ausspruch scheint für den QuEsnAY’schen vorbildlich ge 
wesen zu sein: Pauvre paysan, pauvre royaume; pauvre royaume, pauvre roi 
Überhaupt lehnt sich QUESNAY mehr an Sully an, als man bei seiner sonstigen 
Originalität vermuten könnte. In seiner Abhandlung „Maximes générales da 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 545 


Erst den Physiokraten gebührt das hohe Verdienst, ein all- 
gemeineres agrarpolitisches Interesse nicht nur bei der Regie- 
rung, sondern auch in den höheren Kreisen der Gesellschaft 
wieder erweckt zu haben’). Besonders war es Quesnay, welcher, 
dank seiner nahen Beziehungen zu den einflußreichsten Persön- 
lichkeiten des Staates, in Wort und Schrift für die physio- 
kratischen Gedanken und die Hebung der Landwirtschaft erfolg- 
reich eintrat. Es ist für sein eifriges Bemühen um die Land- 
wirtschaft bezeichnend genug, wenn er in einer seiner Schriften ?) 
ausdrücklich betont: „Unter allen Mitteln der Gütergewinnung 
gibt es kein besseres, reichlicheres, angenehmeres und des freien 
Mannes würdigeres, als die Landwirtschaft... Was mich an- 
betrifft, so kenne ich keinen glücklicheren Lebenslauf als diesen, 
und zwar nicht bloß seiner Nützlichkeit wegen, die dem ganzen 
Menschengeschlechte die Subsistenzmittel verschafft, sondern mehr 
noch wegen des Vergnügens und des Überflusses, den er be- 
reitet; denn der Ackerbau bringt alles hervor, was das mensch- 
liche Leben und der göttliche Kult wünschen kann.“ Gesteigert 
wurden seine edlen Bestrebungen noch von dem Mitgefühl für 
die traurige Lage der bäuerlichen Bevölkerung. „Auch er lernte 
das schreckliche Elend der Bauern kennen“, sagt Graf d’Albon 
von ihm, „und dieser Anblick hat auf ihn ebenso stark gewirkt, 
wie auf Rousseau“. Der Physiokratismus ist gewissermaßen von 
der Bauernfrage geboren worden). 

Die agrarpolitische Agitation der Physiokraten setzte in den 
fünfziger Jahren mit aller Stärke ein‘), und damit begannen 


gouvernement économique d’un royaume agricole“ (Oeuvres, a. a. O.), geht er 
z. B. auf Sullys ,Economies royales“ zurück. 

1) Der Schöngeisterei eines witzigen Kopfes, wie VOLTAIRE, mochte natür- 
lich diese neue Strömung nicht behagen. Seine tiber den Physiokratismus 
spöttelnde Abhandlung, „L’homme aux quarante écus“, ist nur ein Ausbruch 
dieser Gefühle. 

2) In einer Anmerkung der Maximes générales, a. a. 0. 

5) N. KARÉIEW, a. a. O. p. 274. 

4) Die beiden Hauptagitationsartikel QUESNAYS über ,Getreide“ und 
„Pächter“ erschienen Ende der fünfziger Jahre und machten großen Ein- 
druck. Sein Freund und Schüler GournAY unterstützte ihn in seinen 
Bemühungen aufs tatkräftigste. 


546 Ottomar Thiele 


auch die Agrarreformen der Regierung. Allerdings hatte diese 
auch schon vorher, und zwar aus eigener Initiative, wenn die 
Mißstände allzu offenkundig waren und dringende Abstellung er- 
heischten, auf diesem Gebiete manche Betätigung gezeigt; aber 
ohne Nachhalt vorgenommen, waren die praktischen Erfolge 
derselben meist nur vorübergehend oder, falls sie fortdauerten, 
für die eigentliche Landwirtschaft von mehr sekundärer Be 
deutung gewesen. 

So hatte man bereits im Jahre 1714 eine ausführliche Verord- 
nung zur Hebung der Rindviehzucht erlassen und das Schlachten 
des Jungviehs und die Viehausfuhr verboten. Allein das Gute, 
das damit erreicht werden sollte, wurde durch jene gleichzeitig 
stabulierten provinzialen Prohibitivgesetze wieder zunichte ge 
macht, welche den Viehhandel im Inlande lahm legten'). Um 
dieselbe Zeit erfolgten auch Reglements zur Ermunterung der 
Pferdezucht, und die königlichen Gestüte (haras) bemühten sich. 
leider ohne besondere Resultate dabei zu erzielen, in der Auf- 
ziehung eines besseren und zahlreicheren Materials, mit guten 
Beispiele voranzugehen. In den zwanziger Jahren versuchte 
man der daniederliegenden Schafzucht zu helfen: Mehr von 
merkantilistischen, als von rein agrarpolitischen Absichten ge 
leitet, wollte man auf diese Weise die großen Summen Geldes, 
welche die französischen Luxusmanufakturen alljährlich an das 
Ausland für die feine Rohwolle bezahlen mußten, dem Lande er- 
halten. Der Contrôleur Général schickte 1728 ausführliche Iı- 
struktionen, die Schafzucht wieder zu beleben und die Wolle zu 
verschönern und zu verfeinern, an die einzelnen Intendanten 
mit der Weisung, die größeren Grundbesitzer und Pächter zur 
Haltung und Pflege von Schafherden, wie es die englischen 
Landwirte mit so gutem Erfolge taten, zu veranlassen *). Die 
Regierung selbst tat ihr Bestes, um dieses Ziel zu erreichen. 
Sie kaufte, als ihre ersten Anregungen resultatlos verliefen, 
später aus Holland, England und Spanien Lämmer an und ließ 
sie durch die Intendanten an die geeigneten Wirtschaften un- 


1) Ordonnances vom Jahre 1715 und 1717. (Vgl. A. BABEAU, La province 
sous l’ancien régime, a. a. O. p. 246.) 
2) A. Baskav, La province, a. a. O. p. 240. 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 547 


entgeltlich verteilen‘). In Rambouillet nahm sie Kreuzungs- 
versuche mit spanischen Merinos und französischen Schafen vor, 
die vorzüglich ausfielen und nach und nach ein so vortreffliches 
und reichliches Zuchtmaterial lieferten, daß gegen Ende des 
18. Jahrhunderts die Textilmanufakturen ihren Bedarf an feiner 
Rohwolle im Inlande decken konnten. 

Auf ähnlichen merkantilistischen Erwägungen beruhte die He- 
bung resp. Einführung der Seidenkultur und des Krappbaues in 
Frankreich. Die großen Seidenmanufakturen in Lyon pflegten da- 
mals ihr sehr beträchtliches, jährliches Bedarfsquantum ?) aus 
Indien, Spanien und Portugal, zum größten Teile aber aus 
den italienischen Provinzen Piemont, Modena, Turin, Mailand, 
Genua und Parma .zu beziehen, wo die Zucht der Seidenraupe 
außerordentlich blühte. Zwar hatte der Seidenbau in Frankreich 
schon um 1600 seinen Anfang genommen; allein er war im 
Laufe der Zeit immer mehr, bis schließlich zur Bedeutungslosig- 
keit herabgesunken’.. Da man nun glaubte, daß Klima und 
Boden verschiedener französischer Provinzen, wie die Languedoc, 
Provence, Dauphiné, Gascogne etc., denselben ökonomischen 
Vorteil wie jene italienischen Provinzen zu bieten vermochten, 
so beschloß man, die Zucht der Seidenraupe wieder aufzunehmen 
und die nötigen Maulbeerbäume (müriers blancs) anzupflanzen. 
Im Jahr 1732 wurden in den königlichen Baumschulen (pepinières) 
der Dauphine nicht weniger als 340000 Stück weißer Maulbeer- 
bäume gezogen, von denen man über 200000 an die Interes- 


1) So wurden 1768 nicht weniger als 1000 Stück Merinos angekauft und 
7 Intendanten zur Verteilung übergeben. Am meisten bemühte man sich 
um die Hebung der Schafzucht in Burgund, wo sich die Verhältnisse am 
besten dazu eigneten. 

2) Die lyonnaiser Manufakturen verarbeiteten damals mehr als 2 Mil- 
lionen Pfund Rohseide im Jahre, was bei einem durchschnittlichen Preise 
von 15 liv. pro Pfund einen jährlichen Verlust von 30—40 Millionen liv. 
an das Ausland bedeutete. 

3) Im Jahre 1668 gestattete ein Reglement die Wiedereinführung der 
Seidenkultur in den Rhöne- und Loiregegenden. Die Versuche blieben aber 
ohne Erfolg, vermutlich, weil man den gewöhnlichen Maulbeerbaum dazu 
benutzte. Der später verwendete Mürier blanc eignete sich für die fran- 
zösischen Verhältnisse weit besser. 


548 Ottomar Thiele 


senten gratis zu Anpflanzungsversuchen verteilte‘). Auch in 
Burgund und in der Generalität von Orléans fielen die Kulturen 
zur Zufriedenheit aus, und 1750 wurde die Errichtung einer 
großen Generalplantage in der Languedoc zur Lieferung des 
nötigen provinzialen Bedarfes geplant?). Der Erfolg dieser Be- 
mühungen machte sich bald bemerkbar: Nach Verlauf von wenigen 
Jahrzehnten vermochte Frankreich bereits über ?!/s Million Pfund 
Rohseide zu produzieren. | 

Wie bereits erwähnt, verdankte auch der Krappbau oder die 
Garancekultur, die bekanntlich in Frankreich bis gegen Ende 
des vergangenen Jahrhunderts blühte und erst durch die Kon- 
kurrenz des künstlichen Alizarins vernichtet wurde, den nän- 
lichen Ideen seine Einführung. Um den. Garanceimport aus 
Holland und der Levante auszuschalten, die französischen Fär- 
bereien in dieser Hinsicht vom Auslande unabhängig zu machen 
und zugleich der hilfebedürftigen Landwirtschaft zu dienen, lied 
der König Kulturversuche mit Krappsamen unter der Leitung des 
berühmten Gelehrten Duhamel im jardin royal des plantes zu Paris 
vornehmen. — Dieser Garten war damals durch Buffon nicht bloß 
zu einem großen Museum des Naturreiches, sondern auch zur 
hauptsächlichsten landwirtschaftlichen Versuchsstation (für Pflanzen) 
des Landes umgeschaffen worden“) und vereinigte die größten 
Autoritäten auf dem Gebiete der Agrikultur- und Naturwisser- 
schaft“). — Nachdem sich die Krappbauversuche im kleinen be- 
währt hatten, verfaßte Duhamel im Auftrage der Regierung 
eine leicht verständliche Instruktion über die Kultur und Be 
reitung der Garance, welche der Contrôleur General in den ge 
eigneten Provinzen verteilen ließ. Auf Veranlassung des Königs 
wurden später größere Quantitäten Krappsamen von Smyrna a2- 
gekauft und denjenigen Bauern, welche sich der Krappkultur 
1) A. BABEAU, La province, a. a. O. p. 242. 

2) In den 80er Jahren versuchte man auch die Seidenkultur in Lothringen. 
in der Picardie und Franche Comté einzuführen. 

8) Dieser noch heute bestehende botanische Garten wurde 1635 von Guÿ 
de Labrosse, dem Leibarzt Ludwigs XIII, zum Studium der Arzneipflansen 
gegründet und erlangte dann unter Buffons Leitung (seit 1739) seine al- 


gemeinere Bedeutung. 
4) Mau nannte ihn „le foyer des lumières de l’agriculture“. 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 549 


‘widmen wollten, unentgeltlich verabreicht, was denn auch den 
gewünschten Erfolg brachte: Die Garancekultur entwickelte sich 
bald in einzelnen Teilen Frankreichs, besonders in den Rhöne- 
gegenden (Avignon), zu einem blühenden Wirtschaftszweige des 
Landes”). Auch den Anbau von anderen wichtigen Farb- 
pflanzen, wie Wau, Pastel, Färberginster etc. suchte die Regie- 
rung zu fördern, um den blühenden Färbereimanufakturen, welche 
für einen großen Teil Westeuropas und des Orients in Luxusstoffen 
‚arbeiteten, die nötigen Rohmaterialien im Inlande zu verschaffen. 

Mit anderen, aber dem Wesen nach ähnlichen Mitteln ge- 
dachte man der daniederliegenden Landwirtschaft direkt helfen 
zu können. Wir sahen bereits, daß die Regierung, von irrigen 
Erwägungen geleitet, den geringen Anbau von Getreide durch 
Einschränkung des Weinbaues heben wollte. Die im Grunde 
durch sie verschuldeten (Mangel an Absatz!) niedrigen Weinpreise 
und die dadurch hervorgerufene Armut vieler Winzer genügten 
ihr, die Umwandlung der weniger ertragfähigen Weinlagen in 
Getreideäcker überall anzuempfehlen, trotz der in Fülle vor- 
handenen unbestellten Böden und trotz der damit notwendiger- 
weise verbundenen weiteren Reduktion der ländlichen Bevölke- 
rung?). Für die südlicheren Provinzen, wie z. B. für die 
niedere Languedoc, brachte man selbst nicht einmal Getreidebau, 
sondern Olivenpflanzungen an Stelle der Weinkultur in Vorschlag 





1) Allerdings geschah die Initiative der Wiedereinführung des Krapp- 
baues (denn derselbe hatte in Frankreich bereits im Mittelalter geblüht und 
war seit Ende des 16. Jahrhunderts immer mehr, bis schließlich zum Ver- 
‚schwinden zurückgegangen) von privater Seite aus: Ein Armenier, namens 
Althen, führte ihn um die Mitte des 18. Jahrhunderts im Vaucluse durch 
Königliches Privileg ein; 1760 versuchte Franzen ähnliches im Elsaß mit 
gleichem Erfolge. 

2) Da bei der Weinkultur die Verwendung von Ackermaschinen und 
Zugvieh unmöglich ist, so stellt sie sich als derjenige Zweig der Landwirt- 
schaft dar, „welcher“, wie QUESNAY bemerkt, „eine größere Zahl Menschen 
vorteilhaft beschäftigen kann, die Bevölkerung am meisten fördert und den 
größten Handel mit dem Auslande zu bewerkstelligen vermag ... Daher kann 
dieser Wirtschaftszweig zur Bevölkerung des Landes mehr beitragen als der 
Getreidebau, doch ist beim letzteren die Arbeit eines Menschen gewinn- 
bringender“. (Artk. „Hommes“,) 


550 Ottomar Thiele 


und erlief hier eingehende Instruktionen, wie die Olbaumplantage 
am besten anzulegen und das Öl am einfachsten und vortei- 
haftesten zu gewinnen wäre. 

Andere Instruktionen und ,Mémoires“, welche durch die 
Intendanten verteilt wurden, betrafen die Bienenzucht, die Mais 
und Obstbaumkultur etc. Außerdem bemühte man sich um die 
Hebung des vielfach aufgegebenen Hanf- und Flachsbaues!} 
um die allgemeinere Verbreitung der Kartoffelbestellung?), und 
versuchte ferner die Einführung von Tabakpflanzungen. Ma 
empfahl auch neuerfundene Ackergeräte und landwirtschaftliche 
Maschinen, Verfahren zur besseren Konservierung des Getreides 
und Mehles; man erließ Reglements zur Instandhaltung der Wil- 
der, zur Hegung und Pflege des Wildes, zur Vernichtung der 
Maulwurfsgrillen, Kaninchen und Wölfe?) ete. und setzte Pro- 
duktionsprämien aus, um der ländlichen Bevölkerung „den Ge- 
«chmack am Ackerbau anzuerziehen“. 

Von größerer Wichtigkeit war jedoch die Einführung 
eines neuen landwirtschaftlichen Betriebssystems, in Gestalt 
des bekannten Norfolker Fruchtwechsels*),. Diese Neuerung, 
auch Pferdehackwirtschaft genannt, war um 1730 von einem 
Engländer, namens Jethro Tull?), erfunden worden und hatte 
sich in England vorzüglich bewährt. Der Vorzug der neuen 
Wirtschaftsweise bestand hauptsächlich in der Einschränkung der 
Brache und Ermöglichung der Winterstallfütterung durch Anlage 
von künstlichen Wiesen, die durch Saat von Klee, Luzerne ete. er- 








1) In dieser Richtung war besonders der Intendant von Soissons, 
M. Meliand, von welchem der nachfolgende Brief stammt, tätig. Er wollte 
vor allem den Leinbau in seiner Generalität, die einst blühenden „Liniöres de 
Bulle‘ (einer kleinen Stadt nahe bei Clermont), wieder emporbringen. 

2) Um den Kartoffelbau bemühte sich auch der Intendant von Limoges, 
der berühmte Turgot. Er beschäftigte sich selbst mit Anpflanzungsversuchen. 
(A. BABEAU, La province, a. a. 0. p. 239.) 

3) Auf die Tötung eines Wolfes z. B. standen Preise bis zu 24 liv.,-die 
von den Intendanten vergeben wurden. (A. BABEAT, daselbst, p. 250.) 

4) Darüber berichtet ausführlich ST. BAUER, a. a. 0. 

ö) JETHRO TULL hatte seine Erfindung in seinem viel gelesenen Werke 
„New Horschoeing Husbandry, or an Essay on the Principles of Tillage and 
Vegetation,‘ London 1731, beschrieben. 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 661 


zeugt wurden. Sie eignete sich am besten für die Großkultur, für 
welche sie nicht bloß eine Steigerung der Intensität durch eine öko- 
nomischere Ausnutzung der natürlichen Bodenkräfte, sondern auch 
- eine erhebliche Vermehrung der Viehhaltung bedeutete. In der Tat 
waren es denn auch in Frankreich die größeren Grundbesitzer und 
Pächter, welche die „Neue Kultur“ (nouvelle culture) in den 
fünfziger Jahren mit Erfolg erprobten!); die mittleren Wirt- 
schaften freilich standen ihr ablehnend gegenüber, da sie für 
die Besitzer oder Pächter derselben lediglich eine Erhöhung der 
Abgaben an die Empfänger des Zehnts und „Champarts“ (le 
dimeur et le terrageur) bedeutete. Indessen wußte die Regie- 
rung dieser Neuerung einen Teil ihres allgemeinen Nutzens für 
die Hebung der Landwirtschaft dadurch abzugewinnen, daß sie 
für die Verbreitung des Anbaues von Klee und Luzerne Sorge 
trug und bei der Anlage solcher „künstlichen Wiesen“ nicht 
nur Abgabenerleichterungen gewährte, sondern auch zur weiteren 
Ermunterung namhafte Prämien verteilte. 

Allein, so anerkennenswert auch immer all diese verschie- 
denen Maßnahmen waren, mit welchen die Regierung die 
daniederliegende Landwirtschaft zu heben versuchte, so wenig 
trafen sie doch das Grundübel, das die Agrarkrisis verschuldet 
hatte. Sie waren nichts als bloße „Instruktionen“, wie Quesnay 
im nachfolgenden Briefe bemerkt, sozusagen „Kleine Mittel“, 
welche vielleicht dazu dienen mochten, die Erwerbsgelegenheiten 
in der landwirtschaftlichen Produktion zu vermehren und die 
Neigung für die Landarbeit zu stärken. Die Hauptnöte der 
Landwirte freilich, die primären Ursachen des Übels, d. h. der 
mangelhafte Absatz der Erzeugnisse und die durch den Fiska- 
lismus etc. verursachte Unsicherheit und Reduktion des an und für 
sich schon geringen Reinertrages (produit net), vor allem aber 
der Mangel an den notwendigen Kapitalien, welcher letzthin den 
Verfall der Landwirtschaft und die Abnahme der bäuerlichen Be- 


1) Das TuLL’sche Buch wurde ins Französische übersetzt und erschien 1750 
in freier Bearbeitung. Es erregte das größte Aufsehen. Unter den Personen, 
welche die „Nouvelle Culture“ erprobten, befand sich auch QUESNAY. Er 
kaufte 1757 einen ziemlich ausgedehnten Besitz an und erzielte mit Hilfe 
des neuen Betriebssystems sehr günstige Resultate. (Vgl. Sr. BAUER, a. a. O.) 


552 Ottomar Thiele 


völkerung verschuldet hatte, die konnten auf diese Weise nicht 
beseitigt werden. Um das zu bewirken, mußte die Regierung 
andere Wege einschlagen und „Große Mittel“ (les grands moyens, 
wie Quesnay in seinem Briefe ausdrücklich hervorhebt) in Anwen- 
dung bringen. 

„Die Bevölkerung eines Landes“, sagt unser Physiokrat'), 
„nimmt zu oder ab in dem Maße, als seine Einkünfte steigen 
oder sinken. Diese Verminderung oder Zunahme hängt nicht 
vom Volke ab, sondern stellt sich immer als die Folge der Re- 
gierung eines Landes dar. Indessen schreibt die Regierung den 
Verfall der Zustände dem Müfiggang des Volkes zu, und die 
unbebauten Äcker scheinen die Regierung zu rechtfertigen. 
Allein, die Menschen streben alle nach Wohlstand 
und Reichtum und sind niemals träge, wenn sie 
dieses Ziel erreichen können. Ihr Müßiggang ist 
nichts als Unvermögen, und dieses wiederum die 
Folge der Regierung. Sie erzeugt Mutlose und Abtrünnige, 
das Land entvölkert sich und bleibt unbestellt; die Städte ziehen 
die Menschen zusanımen, weil diese hier an den letzten Hilfs 
quellen des Staates unterkommen können, und die Bevölkerung 
ist so zahlreich, wie sie es unter diesen Verhältnissen des Nieder- 
ganges nur sein kann. Nun beklagt man sich, daß es an 
Leuten für die Landarbeiten gebricht; man klagt aber nicht 
darüber, daß diesen Leuten die Mittel fehlen, um Güter und 
Reichtümer hervorzubringen. Man möchte gern viel Getreide 
haben, und man weiß nicht, was der Anbau desselben den 
Landwirt kostet.“ 

Die „Großen Mittel“ also, welche allein von der Regierung 
abhängig waren und sich nicht als jene zahlreichen Instruktionen 
und Reglements darstellten, durch welche man eine größere Be- 
triebsamkeit auf landwirtschaftlichen Gebieten erwecken wollte, 
sie allein konnten die hauptsächlich durch die Regierung ver- 
schuldete Agrarkrisis beseitigen. Worin sollten nun diese Mittel 
bestehen? Es ist aus obigem unschwer ersichtlich: Erstens, in 
freien Absatz der landwirtschaftlichen Produkte, und zweitens, N 
der Sicherheit des landwirtschaftlichen Kapitals, resp. Ertrages. 


1) Artk. „Hommes“, a. a. 0. 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 553 


Was zunächst das erste Mittel, und vor allen Dingen die 
Freiheit des Getreidehandels betraf, so war dieselbe, dank der 
literarischen und agitatorischen Tätigkeit der Physiokraten und 
ihrer Anhänger, durch königliches Gesetz vom 17. September 1754 
für das Inland eingeführt worden. Obgleich nun damit alle 
Binnenschranken, welche den Verkehr mit diesem wichtigsten aller 
Nahrungsmittel bisher gelähmt hatten, beseitigt worden waren, 
so wußte doch die so lange in „Gebundenheit“ gewesene bäuer- 
liche Bevölkerung in guten Jahren noch nicht den richtigen 
Nutzen aus diesem großen Vorteile zu ziehen, ganz abgesehen 
davon, daß es vielen wegen Kapitalsmangels unmöglich war, den 
Anbau ohne weiteres den neuen Verhältnissen anzupassen. 
Andererseits wiederum sah sich die Regierung in schlechten 
Jahren nicht selten gezwungen, in einzelnen Gegenden vorüber- 
gehend zum alten Sperrsystem zurückzukehren‘), damit die 
Teuerung lokal blieb. Eine Besserung konnte hier nur der voll- 
ständig freie Getreidehandel, auch mit dem Auslande bewirken. 
Endlich mußte die Regierung den Verhältnissen Rechnung tragen 
und den Verkehr mit dem Auslande freigeben: Es geschah 
im Jahr 1764. Allein bald stellten sich die für das dem Mer- 
kantilismus noch zu sehr ergebene Frankreich unliebsamen Folgen 
dieses Gesetzes ein: Das billiger produzierende Ausland versah 
einen großen Teil der heimischen Märkte, und das so wie so: 
schon knappe Bargeld wanderte auf diese Weise aus dem Lande.. 
Das mochte natürlich der Regierung nicht behagen, und in der 
Tat führte man nach Verlauf von fünf Jahren das Prohibitiv- 
gesetz wieder ein, erteilte jedoch bei Mißernten Exportlizenzen 
auf 3—6 Monate‘). Bald kam man aber selbst auch davon 
wieder zurück und griff nun, um Hungersnöten vorzubeugen, zu 
dem bedenklichen Mittel, staatliche Getreidemagazine zu errichten. 
und diese von Unternehmern durch Getreideankauf im In- und 
Auslande versorgen zu lassen. Vom Staate unterstützt?), ver- 


1) Das Sperrsystem nahm auf diese Weise wieder so überhand, daß 
die Freiheit des inneren Getreidehandels (Turgots Verdienst) im Jahre 1774 
durch Gesetz v. 13. Sept. von neuem eingeführt werden mußte. 

2) ST. BAUER, a. a. 0. 

3) So subventionierte z. B. Ludwig XV. eine „Compagnie des blés du 


554 Ottomar Thiele 


standen diese ihre Situation vortrefflich auszunützen. Preisstürze 
und Preistreibereien, die den privaten Getreidehandel ungemein 
schädigten, wechselten ab, und es dauerte nicht lange, so er- 
folgten Bankerotte dieser auf Kosten des Kônigs spekulierenden 
Kaufleute, deren Verluste der Staat zu tragen hatte ?). Trotz aller 
Bemühungen traten Hungersnöte und Teurungen in schlechten 
Jahren nach wie vor ein: Die Freigabe des Getreidebinnen- 
handels erwies sich in Anbetracht der vorhandenen Produktions- 
zustände als unzureichend, und zu einem freien Grenzverkehr 
konnte man sich auf die Dauer nicht entschließen. 

Wesentlich besser gestaltete sich dagegen die Lage des Vieh- 
handels. Hier hatte man gleich zu Anfang nicht nur den Binnen-, 
sondern auch den Außenverkehr (seit 1763 durch Gesetz des 
Conseil) freigegeben und alle Abgaben, mit Ausnahme einer 
Kontrollsteuer von !/2°/,, bei Ein- und Ausfuhr des Viehes von 
einer Provinz in die andere, resp. vom Auslande nach dem In- 
lande, aufgehoben ?). Die Wirkungen des Gesetzes machten 
sich bald bemerkbar: Die Viehhaltung nahm überall zu, und in 
den Grenzprovinzen und denjenigen Gegenden, wo gute Weiden 
vorhanden waren, hatte sich die Stückzahl innerhalb von 2 Jahren 
schon verdreifacht. Nicht wenig war dieser Erfolg allerdings 
der Pflege des Veterinärwesens zu verdanken, der man sich seit 
Beginn der sechziger Jahre immer mehr widmete, um der Vieh- 
'abnahme infolge von Seuchen und anderen Krankheiten zu 
steuern. Man errichtete Tierarzneischulen zu Lyon, Limoges’) 
und Alfort und befahl auch beim Ausbruch epidemischer Vieh- 
krankheiten, die von den ersten Symptomen befallenen Tiere ab- 


Roi“, die das Getreide im In- und Auslande auf seine Rechnung ankaufte, 
um es in solchen (segenden, wo Teuerung herrschte, wieder zu verkaufen. 
Der König trug alle Kosten und gewährte der Gesellschaft 2 °/, Vergütung 
beim Einkauf des Getreides und den gleichen Betrag beim Verkaufe. Das 
ganze Spekulationsgeschäft ging also auf Kosten des Königs, resp. des 8% 
wieso schon an dauernder Finanznot leidenden Staates. 

1) St. BAUER, a. «. 0. 

2) Damit war auch zugleich der Bezug von natürlichen Düngstoffen er 
leichtert worden. | 

8) Sie wurde 1767 von Turgot gegründet, mußte aber bereits nach zwei 
.Jahren wieder geschlossen werden, weil die Mittel für den Unterhalt fehlten 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 555 


zusondern und die schwer erkrankten zu tôten. In letzterem 
Falle pflegte der Staat den dritten Teil vom Werte des Stückes 
dem Eigentümer zu vergüten ?). 

Im übrigen soll nicht unerwähnt bleiben, daß der Minister 
Turgot der bäuerlichen Bevölkerung noch nach einer anderen 
Richtung hin, größere Bewegungsfreiheit in ihrem ländlichen 
Berufe zu verschaffen wußte. Er hob 1775 die „fouille*, d.h. 
die außerordentlich lästige Gerechtigkeit der Salpetersieder, in 
den Bauernwirtschaften überall nach Salpetererde suchen und 
graben zu dürfen, auf‘) (nachdem er bereits das Generalver- 
pachtungssystem beseitigt hatte) und gestattete den Gemeinden 
die Ablösbarkeit aller unentgeltlichen Lieferungen und Dienst- 
leistungen an die Salpetersieder in dem Falle, wenn sie für sich 
oder in Gemeinschaft mit anderen eine Salpeterplantage *) auf 
ihre Rechnung anlegten und betrieben. Für die Gemeinden war 
das nicht nur eine wesentliche Erleichterung, es bedeutete zu- 
gleich auch für sie die Möglichkeit, sich einen nicht unbeträcht- 
lichen Gewinn zu verschaffen, da ihnen der Staat die auf diese Weise 
produzierten Salpeterstoffe im laufenden Preise gut bezahlt machte. 

Den Hauptplan freilich, welchen Turgot bei der Übernahme 
des Ministeriums im Auge hatte, die ländliche Bevölkerung von 
der Willkür der Besteuerung zu befreien, und die drückende Last 
ihrer Abgaben an den Staat zu mildern, konnte er nicht zur 
Direbfführung bringen‘) Er scheiterte an demselben Wider- 
stand des Königs und der privilegierten Stände, wie bereits 
16 Jahre vor ihm Silhouette, der damals die .taille“ im Inter- 
esse der Landwirtschaft mindern wollte 5). 

l) A. BABEAU, La province, a. a. O. p. 249. 

2) O. THIrELE, Salpeterwirtschaft, a. a. O. S. 145 ff. 

3) Diese Plantagen, welche in Frankreich nach Verlauf von zwei Jahr- 
zehnten schon allgemein verbreitet waren, erzeugten die salpeterhaltigen 
Stoffe auf künstliche Weise, d.h. durch einen Nitrifikationsprozeß von aller- 
lei pflanzlichen und vegetabilischen Abfällen, Düngstoffen u. s. w. Freilich 
“Chädigten sie dadurch wiederum die Landwirtschaft, indem sie ihr einen Teil 
ihres natürlichen Düngers entzogen. 

4) Man vergleiche darüber LirreErTs Artikel über Turgot im Handwörter- 
buch der Staatswissenschaft; Bd. VII. S. 233. 

5) Darüber ST. BAUER, a. a. O. 





556 Ottomar Thiele 


Damit sind wir bereits bei dem zweiten „Großen Mittel“ ange- 
langt, welches die Regierung zur Beseitigung der Agrarkrisis nach 
Ansicht der Physiokraten anzuwenden hatte: Die Sicherheit des 
landwirtschaftlichen Ertrages. Wie schon Vauban im „Dime royal“ 
eine einheitliche und feste Besteuerung des landwirtschaftlichen 
Reinertrages in Vorschlag gebracht hatte, (an Stelle der vielen Ab- 
gaben und Einzelsteuern, vor allem aber der taille, welche jede 
Art des angewandten Wirtschaftskapitals gesondert belangte), so 
sahen Quesnay und seine Anhänger im „impöt unique“ des 
„produit net“ die beste Möglichkeit, dem Landwirte die Sicher- 
heit seines Kapitals, die Beständigkeit seines Ertrages und 
damit die hauptsächlichsten Bedingungen für eine gedeihliche 
Bewirtschaftung und Kapitalinvestierung zu bieten. Leider war 
an eine Verwirklichung dieses Steuerprojektes bei der schlechten 
Finanzwirtschaft des Staates nicht zu denken. Doch mul es 
den Bemühungen der Physiokraten zugeschrieben werden, wenn 
auf diesem Gebiete wenigstens eine Besserung in gewissen 
Fällen eintrat, d. h. die Gewährung von Steuer- und Abgaber- 
erleichterung bei Urbarmachung von Morästen, Einöden, bei In- 
kulturnahme von verlassenen Böden oder bei Eingehung lang- 
fristiger Pachtungen etc. Indessen gebührt ihnen dieses Ver- 
dienst nur indirekt, denn unmittelbar hatten es die „landwirtschaft- 
lichen Gesellschaften“ (Societes d’agrieultures) zu beanspruchen, 
welche auf Betreiben Quesnays und Gournays!) gegen Ende der 
fünfziger Jahre entstanden, später in allen Teilen des Landes ge 
gründet wurden?) und die mit den Physiokraten ständige Be- 
ziehungen unterhalten zu haben scheinen. Vielfach gingen sie aus 
provinzialen „landwirtschaftlichen Beiräten“ (assemblées) hervor, 


1) Gournay gründete die erste dieser Gesellschaften unter Mitwirkung 
der „Stände“ im Jahre 1757 zu Rennes in der Bretagne. (A. BABEAT, La 
province, a. a. O. p. 234). Doch befaßte sich diese erste Sozietät, wie schon 
ihr Name andeutete, Société d'Agriculture, du Commerce et des Arts, auch 
mit der Hebung der Industrie des Landes. (Man vgl. über ihre Tätigkeit: 
„Corps d’observation de la Société d’agriculture etc., établi par les Etats de 
Bretagne, 1760.) 

2) Diese Sozietäten fanden in Deutschland eine Nachahmung in den 
„Ökonomischen Gesellschaften“, wie sie z. B. in Potsdam, Leipzig, Frankfurt, 
Breslau u. s. w. bestanden haben. 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 557 


lche die einzelnen Intendanten auf Geheiß des Contrôleur ge- 
sentlich zusammenzurufen pflegten, um sich über aktuelle land- 
rtschaftliche Fragen, die speziell ihre Generalität betrafen, von 
aktikern, wie größeren Pächtern und Grundbesitzern, unter- 
hten zu lassen. Auf diese Weise entstanden nach und nach 

21 Provinzen nicht weniger als 18 solcher Societes d’agri- 
ture ?), die es sich angelegen sein ließen, der ländlichen Be- 
lkerung praktische Belehrungen und Ratschläge zu erteilen ?), 
wie auch der Regierung Vorschläge zur Hebung der Land- 
irtschaft zu unterbreiten. Zu letzterem Zwecke traten sie mit 
ner besonderen Körperschaft, dem Comite d’agriculture, in 
erbindung, welches im Jahre 1760 unter dem Contrôleur Général 
bildet worden war und sich aus 5 Staatsräten (Conseillers 
Etat) und 3 auf landwirtschaftlichem Gebiete hervorragenden 
rivaten zusammensetzte°). 

Das erste Projekt, welches dieses Komitee dem Könige 
ar Linderung der herrschenden Agrarnot vorlegte, galt der 
Viederurbarmachung verwahrloster und aufgegebener Äcker. 
kr König willfahrte dem Vorschlage und gewährte durch Gesetz 
om Jahr 1762 denjenigen Landwirten, welche sich diesen 
\rbeiten unterzogen, Befreiung von allen staatlichen Steuern 





1) Jede Sozietät wurde durch besonderen Erlaß des Conseil gegründet, 
wchdem ihre Mitglieder vom Könige ausdrücklich dazu berufen worden 
nren, was ihr Ansehen und damit auch ihren Einfluß wesentlich erhöhte. 
4% gehörten diesen Sozietäten über 2000 Mitglieder an, die unbesoldet tätig 
Karen. 

2) So bildete z. B. Sarcey de Sutières, ein Mitglied der pariser Société 
l'griculture, alljährlich 12 junge Bauernsöhne in der regelrechten Landwirt- 
chaft auf seinem Gute bei Compiègne aus und gewährte ihnen unentgeltlich 
ıterbalt während dieser Zeit. (L’Avant Coureur, 1772 p. 70 ff.) 

3) Das Komitee trat wöchentlich einmal unter Vorsitz des Contröleur 
neral im Louvre zusammen, um die laufenden Geschäfte, besonders die 
orrespondenz mit den Intendanten zu erledigen und nach deren Berichten 
2d Erhebungen ihre Dispositionen zu treffen. Im Jahre 1784 plante man, 
ise Körperschaft zur ,, Société Royale d’Agriculture de France“ umzuwandeln 
nd aus ihr ein Zentralorgan (unter Lavoisiers Leitung) zu schaffen, für das 
cht nur alle Sociétés d’agriculture des Landes, sondern auch alle auf dem 
biete der Agrikulturwissenschaft namhaften Gelehrten Frankreichs und der 


deren Kulturländer gewonnen werden sollten. 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 37 


558 Ottomar Thiele 


und Auflagen (von der , taille“, den ,vingtièmes“ und andere 
„impositions“), allerdings nur für die der Kultur von neuem m- 
geführten Böden‘). Anfangs hatte man die Dauer dieser Ver- 
günstigung bloß auf 10 Jahre bemessen, doch erweiterte man sie 
bald darauf auf dreißig. Das nämliche Privileg genossen übrigens 
auch diejenigen, welche die Trockenlegung von Sümpfen und Mo- 
rästen vornahmen, um auf diese Weise kulturfähige Böden zu 
gewinnen. 

Indessen ist diese letztere Verwaltungsmaßnahme nicht als 
eine gänzliche Neuerung zu betrachten, da schon Heinrich IV.) 
und Ludwig XIV. sich nach dieser Richtung hin in ähnlicher 
Weise betätigt hatten. Allein, die Befreiungen waren damala, 
um nachhaltig zu wirken, von zu kurzer Dauer gewesen, 
denn man pflegte vielfach, zumal die Lasten später unter Lad- 
wig XIV. und seinem Nachfolger immer drückender wurde, | 
die neugewonnenen Äcker nach Ablauf der Vergünstigungsfrit 
wieder zu verlassen. Diese Erfahrungen hatten denn auch das 
„Komitee“ bestimmt, nicht bloß eine längere Dauer des Privilegs 
für jene arbeitsamen Landwirte zu erwirken, sondern auch dafür 
einzutreten, daß den letzteren in allen Fällen, wo sie Wie- 
deraufbereitung alter Böden oder Urbarmachung von Morästen be 
trieben, außerdem noch die Befreiung vom Kirchenzehnt gewährt 
wurde. Die Geistlichkeit war uneigennützig genug, in diesen 
Vorschlag einzuwilligen, den man im Jahre 1766 durch ein be 
sonderes Gesetz zur Ausführung brachte. 

Der Erfolg dieser Reformen ließ nicht lange auf sich warten, 
denn der Eifer an jenen Kulturarbeiten regte sich überall, und in der 
Bretagne z. B. wurden innerhalb weniger Jahre über 86 000 Morges 
dem Ackerbau zugeführt. Der König und der hohe Add 
unterstützten diese Tätigkeit aufs eifrigste®). Vor allem war e& 


1) Diese Vergünstigung hatte man schon 1761 den in der Generalitä 
von Paris wohnenden Landwirten gewährt, und zwar anläßlich der Gründung 
einer Gesellschaft (Compagnie d’agriculture), welche, unter dem Protektorat 
des Generalkontrolleurs stehend, die Aufbereitung der verödeten Äcker is 
dieser Provinz unternehmen wollte. 

2) Heinrich IV. durch Gesetz vom Jahre 1607. 

3) Um diese Kulturarbeiten zu beschleunigen, verstand sich Ludwig XVL 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 555 


zusondern und die schwer erkrankten zu töten. In letzterem 
Falle pflegte der Staat den dritten Teil vom Werte des Stückes 
dem Eigentümer zu vergüten'). 

Im übrigen soll nicht unerwähnt bleiben, daß der Minister 
Turgot der bäuerlichen Bevölkerung noch nach einer anderen 
Richtung hin, größere Bewegungsfreiheit in ihrem ländlichen 
Berufe zu verschaffen wußte. Er hob 1775 die „fouille“, d.h. 
die außerordentlich lästige Gerechtigkeit der Salpetersieder, in 
den Bauernwirtschaften überall nach Salpetererde suchen und 
graben zu dürfen, auf‘) (nachdem er bereits das Generalver- 
pachtungssystem beseitigt hatte) und gestattete den Gemeinden 
die Ablösbarkeit aller unentgeltlichen Lieferungen und Dienst- 
leistungen an die Salpetersieder in dem Falle, wenn sie für sich 
oder in Gemeinschaft mit anderen eine Salpeterplantage *) auf 
ihre Rechnung anlegten und betrieben. Für die Gemeinden war 
das nicht nur eine wesentliche Erleichterung, es bedeutete zu- 
gleich auch für sie die Möglichkeit, sich einen nicht unbeträcht- 
lichen Gewinn zu verschaffen, da ihnen der Staat die auf diese Weise 
produzierten Salpeterstoffe im laufenden Preise gut bezahlt machte. 

Den Hauptplan freilich, welchen Turgot bei der Übernahme 
des Ministeriums im Auge hatte, die ländliche Bevölkerung von 
der Willkür der Besteuerung zu befreien, und die drückende Last 
ihrer Abgaben an den Staat zu mildern, konnte er nicht zur 
Durchführung bringen*). Er scheiterte an demselben Wider- 
stand des Königs und der privilegierten Stände, wie bereits 
16 Jahre vor ihm Silhouette, der damals die „taille“ im Inter- 
esse der Landwirtschaft mindern wollte?°). 


1) A. BABEAU, La province, a. a. O. p. 249. 

2) O. THIELE, Salpeterwirtschaft, a. a. O. S. 145 ff. 

3) Diese Plantagen, welche in Frankreich nach Verlauf von zwei Jahr- 
zehnten schon allgemein verbreitet waren, erzeugten die salpeterhaltigen 
Stoffe auf künstliche Weise, d. h. durch einen Nitrifikationsprozeß von aller- 
lei pflanzlichen und vegetabilischen Abfällen, Düngstoffen u. s. w. Freilich 
schädigten sie dadurch wiederum die Landwirtschaft, indem sie ihr einen Teil 
ihres natürlichen Düngers entzogen. 

4) Man vergleiche darüber LIPPERTS Artikel über Turgot im Handwörter- 
buch der Staatswissenschaft; Bd. VII. S. 233. 

5) Darüber Sr. BAUER, a.a.0. 


556 Ottomar Thiele 


Damit sind wir bereits bei dem zweiten „Großen Mittel“ ange- 
langt, welches die Regierung zur Beseitigung der Agrarkrisis nach 
Ansicht der Physiokraten anzuwenden hatte: Die Sicherheit des 
landwirtschaftlichen Ertrages. Wie schon Vauban im „Dime roval* 
eine einheitliche und feste Besteuerung des landwirtschaftlichen 
Reinertrages in Vorschlag gebracht hatte, (an Stelle der vielen Ab- 
gaben und Einzelsteuern, vor allem aber der taille, welche jede 
Art des angewandten Wirtschaftskapitals gesondert belangte), so 
sahen Quesnay und seine Anhänger im „impöt unique“ des 
„produit net“ die beste Möglichkeit, dem Landwirte die Sicher- 
heit seines Kapitals, die Beständigkeit seines Ertrages und 
damit die hauptsächlichsten Bedingungen für eine gedeihliche 
Bewirtschaftung und Kapitalinvestierung zu bieten. Leider war 
an eine Verwirklichung dieses Steuerprojektes bei der schlechten 
Finanzwirtschaft des Staates nicht zu denken. Doch muß es 
den Bemühungen der Physiokraten zugeschrieben werden, wenn 
auf diesem Gebiete wenigstens eine Besserung in gewissen 
Fällen eintrat, d. h. die Gewährung von Steuer- und Abgaben- 
erleichterung bei Urbarmachung von Morästen, Einöden, bei In- 
kulturnahme von verlassenen Böden oder bei Eingehung lang- 
fristiger Pachtungen etc. Indessen gebührt ihnen dieses Ver- 
dienst nur indirekt, denn unmittelbar hatten es die „landwirtschaft- 
lichen Gesellschaften“ (Sociétés d’agricultures) zu beanspruchen, 
welche auf Betreiben Quesnays und Gournays!) gegen Ende der 
fünfziger Jahre entstanden, später in allen Teilen des Landes ge- 
gründet wurden”) und die mit den Physiokraten ständige Be- 
ziehungen unterhalten zu haben scheinen. Vielfach gingen sie aus 
provinzialen „landwirtschaftlichen Beiräten“ (assemblées) hervor, 


1) Gournay gründete die erste dieser Gesellschaften unter Mitwirkung 
der „stände“ im Jahre 1757 zu Rennes in der Bretagne. (A. Bapkar, La 
province, a. a. O. p. 234). Doch befaßte sich diese erste Sozietät, wie schon 
ihr Name andeutete, Société d’Agriculture, du Commerce et des Arts, auch 
mit der Hebung der Industrie des Landes. (Man vgl. über ihre Tätigkeit: 
„Corps d’observation de la Société d’agriculture etc., établi par les Etats de 
Bretagne, 1760.) 

2) Diese Sozietäten fanden in Deutschland eine Nachahmung in den 
„Ökonomischen Gesellschaften“, wie sie z. B. in Potsdam, Leipzig, Frankfurt, 
Breslau u. s. w. bestanden haben. 


Francois Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 557 


welche die einzelnen Intendanten auf Geheiß des Contrôleur ge- 
legentlich zusammenzurufen pflegten, um sich über aktuelle land- 
wirtschaftliche Fragen, die speziell ihre Generalität betrafen, von 
Praktikern, wie größeren Pächtern und Grundbesitzern, unter- 
richten zu lassen. Auf diese Weise entstanden nach und nach 
in 21 Provinzen nicht weniger als 18 solcher Societes d’agri- 
culture !), die es sich angelegen sein ließen, der ländlichen Be- 
völkerung praktische Belehrungen und Ratschläge zu erteilen ?), 
sowie auch der Regierung Vorschläge zur Hebung der Land- 
wirtschaft zu unterbreiten. Zu letzterem Zwecke traten sie mit 
einer besonderen Körperschaft, dem Comité d’agriculture, in 
Verbindung, welches im Jahre 1760 unter dem Contröleur General 
gebildet worden war und sich aus 5 Staatsräten (Conseillers 
d’Etat) und 3 auf landwirtschaftlichem Gebiete hervorragenden 
Privaten zusammensetzte?°). 

Das erste Projekt, welches dieses Komitee dem Könige 
zur Linderung der herrschenden Agrarnot vorlegte, galt der 
Wiederurbarmachung verwahrloster und aufgegebener Äcker. 
Der König willfahrte dem Vorschlage und gewährte durch Gesetz 
vom Jahr 1762 denjenigen Landwirten, welche sich diesen 
Arbeiten unterzogen, Befreiung von allen staatlichen Steuern 


1) Jede Sozietät wurde durch besonderen ErlaB des Conseil gegründet, 
nachdem ihre Mitglieder vom Könige ausdrücklich dazu berufen worden 
waren, was ihr Ansehen und damit auch ihren Einfluß wesentlich erhöhte. 
Es gehörten diesen Sozietäten über 2000 Mitglieder an, die unbesoldet tätig 
waren. 

2) So bildete z. B. Sarcey de Sutières, ein Mitglied der pariser Société 
d’agriculture, alljährlich 12 junge Bauernsöhne in der regelrechten Landwirt- 
schaft auf seinem Gute bei Compiegne aus und gewährte ihnen unentgeltlich 
Unterhalt während dieser Zeit. (L’Avant Coureur, 1772 p. 70 ff.) 

3) Das Komitee trat wöchentlich einmal unter Vorsitz des Contröleur 
General im Louvre zusammen, um die laufenden Geschäfte, besonders die 
Korrespondenz mit den Intendanten zu erledigen und nach deren Berichten 
und Erhebungen ihre Dispositionen zu treffen. Im Jahre 1784 plante man, 
diese Körperschaft zur , Société Royale d’Agriculture de France“ umzuwandeln 
und aus ihr ein Zentralorgan (unter Lavoisiers Leitung) zu schaffen, für das 
nicht nur alle Sociétés d’agriculture des Landes, sondern auch alle auf dem 
Gebiete der Agrikulturwissenschaft namhaften Gelehrten Frankreichs und der 


anderen Kulturländer gewonnen werden sollten. 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 37 


560 Ottomar Thiele 


bei ihren Pächtern ein größeres Interesse in der Bewirtschaftung 
der Güter, welche sich nicht selten schon seit langer Zeit in 
der Pacht vom Vater auf den Sohn vererbt hatten, und ge 
wannen dabei den doppelten Vorteil, daß ihre Äcker stets in gutem 
Stande blieben, während ihnen der Pachtzins regelmäßig zuging. 
Diese Vorzüge waren zu augenscheinlich, als daß sie der 
Aufmerksamkeit der Sociétés d’agriculture entgangen wären, 
welche sich ja die Linderung der Notlage der Pächter mit zır 
Hauptaufgabe gestellt hatte. Nachdem ihr Vorschlag, die eng- 
lischen Pachtsysteme in Frankreich allgemein einzuführen, bei 
der Regierung kein Gehör fand, wußten sie doch schließlich eine 
Verlängerung der üblichen Pachtfristen zu ermöglichen; dena 
auf ihre Veranlassung hin erließ der Conseil im Jahre 1762 
ein Gesetz, welches alle Pachten, gleichgültig, ob sie auf 6, 9, 
18, 27 oder mehr Jahre liefen, von der Registrierungsgebühr 
und den Abgaben des Demicentième, resp. des Centième (denier) 
befreite; unter der Voraussetzung, daß die Vornahme von Melio- 
rationen kontraktlich zur Pflicht gemacht worden war. 
Außerdem betätigten sich diese Sozietäten noch auf ver 
schiedene andere Weisen!). Sie setzten sich mit den Landwirten : 
direkt in Verbindung, um ihnen den Bezug von gutem Saatkom # 
zu erleichtern, bei dringendster Notlage Unterstützungen?) für 7 
den allerersten Bedarf zu gewähren, bei der Anlegung von 
künstlichen Wiesen behilflich zu sein u. s. w., kurz deren Lage, - 
so gut es ging, zu einer gedeihlicheren Entwicklung zu verhelfen. 4 
So sehen wir denn seit den fünfziger Jahren des 18. Jahr- É 
hunderts auf fast allen Gebieten des landwirtschaftlichen Lebens . 
zahlreiche Reformbestrebungen einsetzen, um die bestehende 
Agrarkrisis zu beseitigen. Gedrängt durch die Notiage der länd- 
lichen Bevölkerung, geleitet von den aufklärenden Ideen d 


Be, tn 










1) Sie veranlaßten auch die Regierung, den lästigen Weidegerecht- 
samen eine größere Beachtung zu widmen und erreichten es in der Tat, daß 
in verschiedenen Provinzen, die Berechtigung der einzelnen Gemeinden, ür 
Vieh auf die abgeernteten Felder der anderen treiben zu dürfen, aufgehobei 
wurden. 

2) Die für diesen Zweck erforderlichen Mittel erhielten sie vom Contröleur 


General auf Grund eines ausführlichen Berichtes. 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 559 


der Marquis de Perusse, welcher sich hierbei außerordentlich ver- 
dienstlich machte. Er siedelte mit Einwilligung des Königs 
200 Familien, „Acadiens“ (insgesamt 2370 Personen, darunter 
auch Ausländer) in der Gegend von Poitou an und machte mit 
deren Hilfe große Strecken wieder kulturfähig. Der König hatte 
diesen Familien eine Gesamtsubvention von 1'/; Millionen livres 
bewilligt, während der Marquis einer jeden 30 Morgen Land 
zuwies und für ihre Unterkunft, desgleichen auch für die Be- 
schaffung von Vieh, Ackergeräten etc. Borge trag, 

Andere Personen des hohen Adels suchten durch private 
Tätigkeit die Kreditnot ihrer Pächter zu lindern und ihnen die 
Mittel zu bieten, den Ertrag ihrer Wirtschaften durch Vornahme 
von Meliorationen aufzubessern. So hatte beispielsweise der 
Marquis de Turbilly in der Generalität von Soissons (Eleetion 
Chäteau-Thierry) seinen Pächtern bereitwilligst geholfen, indem 
er ihnen unentgeltliche Vorschüsse und andere Vergünstigungen 
gewährte. Ein anderer Grandseigneur, der Marschall von Mire- 
poix, hinterließ bei seinem Tode dem Administrator seiner Be- 
sitzungen eine Dotation von 10 Millionen livres für seine Pächter 
mit der Bestimmung, ihnen daraus unentgeltliche Vorschüsse bei 
Hagelschlag, Viehseuchen oder bei Meliorationen zu leihen’). 
Auch viele religiösen Gemeinschaften, geistlichen Orden ete., ließen 
bei der Verpachtung ihrer Ländereien große Nachsicht walten. 
Sie pflegten ihre Äcker auf Lebzeiten, nach Art der englischen 
life tenure (für eine oder mehrere Lebzeiten) zu vergeben, ohne 
den Zins später zu steigern. Auf diese Weise erweckten sie 


dazu, Soldaten zu diesem Zwecke zur Verfügung zu stellen, und beabsichtigte 
1786 sogar alle diejenigen Grundbesitzer, welche sich zur Vornahme der Auf- 
bereitung weigerten, mit einer schweren Steuer zu belegen. 

1) QUESNAY rühmt diese Wohltat des Marschalls in seinem Artikel „Hommes“ 
und fügt hinzu, daß, wenn alle Grandseigneurs diesem Beispiele folgen würden, 
die Not der großen Masse der Pächter bald beseitigt wäre. Die Pächter 
hatten mit der obigen Dotation ihres Gutsherrn keinen Mißbrauch getrieben 
und waren ihren Verpflichtungen pünktlich nachgekommen. — Auch der Staat 
wollte sich auf ähnliche Weise betätigen. Er beabsichtigte im Jahre 1789 die 
Oktroipfennige der großen Städte und den dritten Teil des Kirchenzehnts an 
die Departementskassen abzuführen, um den Landwirten daraus Vorschüsse 
zu leihen. 


562 Ottomar Thiele 


welcher die Agrarreformen durch die Gründung der Agrik 
sozietäten an Umfang und Bedeutung zunahmen. Der Cont 
Général, namens Bertin, welcher dem Physiokratismtis zu 
war!) und mit Quesnsy in näherer Beziehung gestande 
haben scheint, hatte im Jahr 1760 von den einzelnen Intend 
Berichte über die Agrarverhältnisse ihrer Provinzen eingef 
mit dem Ersuchen, zur besseren Orientierung jene Versammli 
einzuberufen, aus denen dann später vielfach Sozietäten ge 
wurden. Da dem Contröleur der Bericht des Intendanten 
Soissons, namens Méliand, welcher sein Amt bereits seit 
Jahr 1748 verwaltete”), von besonderer Wichtigkeit zu sein s 
so schickte er ihn an Quesnay, der sich dadurch zu einer 
führlicheren Erwiderung an Méliand veranlaßt sah. (Abdruc 
beiden Briefe im folgenden Heft.) 


1) A. BABEAU, La province, a. a O. p. 287. 
2) Vgl. den Almanac Royal vom Jahre 1760. 





François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 561 


Physiokraten, begann die Regierung in ihrer Agrarpolitik, sich 
immer mehr von dem veralteten Merkantilsystem loszumachen, 
um sich freiheitlicheren Bestrebungen zu widmen. Leider fand 
sie bei ihren ausführenden Organen, d.h. bei denjenigen, welche 
mit dem Volke in unmittelbare Berührung kamen und ständige 
Fühlung mit ihm bewahrten, nicht das richtige Verständnis für 
die Fragen der Zeit. Die Subdélegués vor allem, welche von 
ihrem Regieren alten Stils und Bevormunden der Bevölkerung 
bis ins Einzelne nicht lassen mochten, zeigten sich für die 
Durchführung der von der oberen Leitung erteilten Reformdirek- 
tiven wenig geeignet, und die bedeutenden Erfolge, welche die Re- 
gierung auf den verschiedensten Gebieten der Landwirtschaft tat- 
sächlich erzielte‘), hätten weit allgemeiner und wirksamer sein 
können, wenn jenes Hindernis zu beseitigen gewesen wäre. 
„Die Subdelegues“, so klagte schon Colbert”), „mißbrauchen 
sehr oft eine Gewalt, die sie nicht auszuüben verstehen und die 
sie so weit zu treiben pflegen, als ihre Einbildung, ihre Leiden- 
schaften und ihre Interessen es ihnen raten; das ist ein großes 
Übel.“ Dieser Übelstand in der Regierung war es denn auch, 
welcher sie bei der großen Masse der Bevölkerung verhaßt und 
in ihren wohlgemeinten Bestrebungen verdächtig machte. Sicher- 
lich hat er in hohem Grade mit dazu beigetragen, daß die überall 
begonnenen Reformen durch die Leidenschaften des Volkes, welche 
die Regierung nicht mehr im Zaume zu halten vermochte, 
schließlich in Revolution umschlugen. — 

Die nachfolgenden beiden Briefe stammen aus der Zeit, in 


1) A. BABEAU bemerkt, daß der Wert der Güter z. B. in der Languedoc 
von 1762—1789 um das Doppelte zugenommen hatte. In Le Maine war die 
Zahl der Pachtungen im Jahr 1777 um */, gestiegen und doch bestand noch 
immer eine starke Nachfrage, ebenso in der Picardie. Der Preis des Viehes 
hatte sich verdoppelt. Die Bevölkerungsziffer auf dem Lande war gestiegen etc. 
(La vie rurale, a. a. O. p. 137 ff.) 

2) A. BABEAU, La province, a. a. O. p. 70. Auch QUESNAY hegt den- 
selben Gedanken, wenn er in seinem Artk. „Hommes“ sagt: „Der Despotis- 
mus ist nie etwas anderes, als eine Verbindung des Herrschers mit einzelnen 
Gliedern des Staates, die mächtiger als der Souverän selbst geworden sind. 
Der Despotismus des Monarchen ist ein Unding, er hat niemals bestanden, 
denn es ist unmöglich, daß er überhaupt bestehen kann.“ 


562 Ottomar Thiele 


welcher die Agrarreformen durch die Gründung der Ag 
sorietäten an Umfang und Bedeutung zunahmen. Der Co 
Général, namens Bertin, welcher dem Physiokratismtis 
war!) und mit Quesnay in näherer Beziehüng gestan 
haben scheint, hatte im Jahr 1760 von den einzelnen Inte: 
Berichte über die Agrarverhältnisse ihrer Provinzen eing 
mit dem Ersuchen, zur besseren Orientierung jene Versämr 
einzuberufen, aus denen dann später vielfach Sozietäten | 
wurden. Da dem Contrôleur der Bericht des Intendant 
Soissons, namens Meliand, welcher sein Amt bereits s« 
Jahr 1743 verwaltete”), von besonderer Wichtigkeit zu sein 
so schickte er ihn an Quesnay, der sich dadurch zu eiı 
führlicheren Erwiderung an Méliand veranlaßt sah. (Abdı 
beiden Briefe im folgenden Heft.) 


1) A. BABRAU, La province, a. a O. p. 287. 
2) Vgl. den Almanac Royal vom Jahre 1760. 


Literatur, 


ALBERT DEMANGEON, La Picardie et les régions voisines, Artois-Cambresis- 
Beauvaisis. Paris, A. Colin. In-8°, 496 pages, XVII planches et 
3 cartes hors-texte. 


La région que M. DEMARGEON s’est proposé d'étudier „ne correspond 
exactement ni 4 l'étendue naturelle d’un terrain particulier, ni à la 
circonseription artificielle d’un territoire administratif": ell6 comprend 
trois anciennes provinces, la Picardie, l’Artois, le Cambrésis, et s'étend 
sur quatre départements, l'Oise, la Somme, le Pas-de-Calais et l'Aishé. 
D’après M. DEMANGEON, la „Plaine Picutrde“ n’a conquis sa pérsonnalité 
géographique qu’à la suite de l'intervention de l’homme, qui, en l’ex- 
ploitant au cours des siècles, lui a donné sa physionvcinie propre. 

L'étude géologique, climatérique ét hydrographique dt pays forme 
la première partie du livre de M. DEMANGEON, Nous #’avons pas ici 
à en examiner la valeur; il notis suffit dé dire que la lecturé n’en ost 
pas trop ardue pour un profane, et qu'elle #6 trouve siigulièrement 
facilitée par l’adjonction de cartes, de schémas et de photographies. 

La seconde partie, toute de géographie hutnaine“, nous intéresse 
davantage: c’est une longue suite de chapitres bien distincts sur l’agri- 
culture, l’industrie, les voies de éommunications, l'économie rurale et 
urbaine, les divisions territoriales, qui forment atıtant de petites mono: 
graphies historiques et descriptives, rösumant l'état des connaissances 
à l'heure actuelle sur la question. 

Le chapitre stir l'agriculture sert très justément de point de départ 
à tous les autres. Le sol en partie couvert de forêts, a 616 défriché. 
au moyen Âge par les moines, et s'est couvert de paturages, de blés 
et de vignes. Les cultures ont évolué: aux vignes ont succédé les 
plantes oléagineuses et textiles dès le XVIe siècle, aux céréales s'est. 
sabstituée la betterave à sucre à partir du XIXe. 

D'une des principales ressources du sol, le paturage, est née l'industrié. 
L'élevage des moutons, très important À l'origine, a dééidé la vocation 
des „villes drapantes“, Amiens, Arras, Beauvais, Saint-Quentin, Abbe- 
ville, qui, de leur situation sur des rivières propices A la teinture des 
étoffes, ont tiré les plus grands avantages. Qüand l'élevage eut fait 
place à la culture intensive, ces villes firent venir leurs laines de 
l'étranger, sans que leur industrie souffrit de cette transformation. 

Avec l’agriculture et l'industrie se sont développées les voies de 
communication. Paris et les Flandres, comme deux pôles, ont attiré 


564 Referate. 


vers le sud et vers le nord les produits manufacturés et l'excédent des 
récoltes. Les routes et les canaux se sont réglés sur ces courants 
commerciaux. Les voies transversales, allant de l’est à l’ouest, ont 
été sacrifiées: la Somme, entre autres, dut à sa mauvaise orientation, 
presque autant qu’à l’ensablement de son estuaire, la déchéance de son 
trafic. Loin de prendre de l'importance de sa jonction avec l'Oise et 
V’Escaut, elle est devenue un simple émissaire, un modeste affluent de 
la grande artère navigable de la région, le canal de Saint-Quentin. 

Pour répondre aux exigences des marchés flamands et parisiens, 
la culture fut poussée jusqu'à son plus grand développement: pas un 
coin laissé sans sillon, pas de terres vaines ou vagues, peu ou point 
de biens communaux. Le sol très morcellé fut partout mis en valeur. 
Ce régime de la propriété a engendré un type d'habitation spéciale, 
où la grange, réceptacle des grains et des récoltes, occupe la place 
principale au détriment des étables. La disposition de ces habitations 
rurales, les lois qui ont présidé à leurs groupements, l'origine et le 
développement des villes, ont fourni à M. DEMANGEON l'occasion d'un 
chapitre attachant, peut-être un des plus originaux de tout le livre. 
Les cartes et les plans qui accompagnent le texte font ressortir les 
types d'agglomération propres à la région, qu'avait déjà fixés M. VAL 
DE LA BLACHE, dans son magistral Tableau de la géographie de la 
France. 

Dans toute cette suite d'études ingénieusement reliées entre elles, il est 
difficile de trouver la place logique d'un chapitre assez caractéristique 
cependant „La côte, les Bas-Champs, les estuaires“. M. DEMANGEON 
en convient lui-même, „par son histoire physique, par la nature de 
son sol, par sa situation, la côte picarde est un pays nettement détaché 
du plateau contre lequel il s’adosse, c’est un territoire original qu 
demande sa place isolée dans la description géographique“. 

C'est en effet une étude speciale que nécessiterait cette côte dont 
la mer ne cesse d’arrondir et d’&mousser les parties convexes, de 
combler les parties concaves. Il y aurait, croyons nous, un grand interet 
À rapprocher, sans sortir de France, ces phénomènes d’alluvionnement 
et d’érosion de ceux qui se produisent sur tout le littoral océanique. 
Peut-être la progression du flot est-elle plus sensible à Ault-sur-mer 
qu'en Médoc, mais à coup sûr son retrait dans le Marquenterre ne 
diffère pas de celui qui s’observe dans la Saintonge, l'Aunis et le Poitou. 
La situation de Saint-Quentin en Tourmont, menacé de l'envahissement 
des sables, se retrouve identique à Escoublac, dans le pays nantais, 
à Soulac, dans le Médoc, à Notre-Dame de Buze, en Arvert. L’„oyat“ 
à l’aide duquel les flamands tentaient de fixer les dunes au XVII: siècle, 
fait penser au „duranme“ qu'on employait dans le même but sur le 
littoral vendéen 1). 

M. DEMANGEON semble s'être interdit tout rapprochement de ce genre. 
I n’a fait qu’esquisser cette étude sans entrer dans les détails qu'un 


1) Le nom scientifique de l’oyat est ammophila arenaria (DEMANGEON, 
p. 195). Sur le duranme ou duream (arundo arenaria), cf. J.-A. CAVOLEAL, 
Statistique de la Vendée, Fontenay-le-comte, 1844, in-8°, p. 166. 


Referate. 565 


pareil sujet comporterait. Mieux que tout autre il doit savoir l’impor- 
tant travail qu'il y aurait à entreprendre sur ce point comme sur 
beaucoup d’autres de son livre. Mais on conçoit qu'il ait dû se con- 
tenter de grouper en synthèse les études partielles, plus ou moins bien 
faites, écrites jusqu'à ce jour. Il a eu recours aussi, il est vrai, aux 
sources originales; on s’en aperçoit à certains passages, par exemple 
au chapitre des divisions territoriales, où il explique la formation, si 
peu connue, de nos départements actuels. Ayant pris pour sujet de 
thèse accessoire les Sources de la Geographie aux Archives nationales, 
il se devait à lui-même de ne pas négliger cette mine de renseigne- 
ments!). Mais ses recherches, comme de raison, se sont limitées aux 
documents de la période moderne, plus accessibles et plus nombreux. 
En définitive l'ouvrage de M. DEMANGEON est une savante compilation, 
un excellent résumé des divers travaux géographiques, historiques et 
économiques parus jusqu'à ce jour sur la région picarde, agrémenté 
de recherches et d'observations personnelles. Cette importante mono- 
graphie, détaillée et compacte, aurait peut-être gagné à être dégagée 
de quelques-uns des faits et des noms propres qui la surchagent, mais 
telle qu'elle est, avec les nombreux renseignements qu'elle contient et 
l'imposante bibliographie?) dont elle est pourvue, elle rendra de grands 
services aux travailleurs qui voudront étudier l'histoire économique et 
sociale de ce coin de France. ETIENNE CLOUZOT. 


1) M. DEMANGEON aurait peut être pu feuilleter les catalogues de la 
Bibliothèque nationale. Sans sortir de la période moderne, il y eut trouvé 
des mémoires aussi importants que ceux qu’il cite dans sa liste de sources 
manuscrites. Le rapport de Willart, inspecteur des ponts et chaussées de 
Picardie en 1776, pour ne citer que celui-là (ms. fr. 8021, ff. 81—190), lui 
eut fourni, croyons-nous, des données précises pour son chapitre si intéressant 
sur l’affaiblissement du débit des sources et leur déplacement. 

2) Dans cette bibliographie, qui ne compte pas moins de 592 articles, 
M. DEMANGEON a cru devoir reproduire les divisions générales de son livre. 
Nous ne voyons pas bien l’intérêt de ce procédé qui offre le grave inconvénient 
de séparer les uns des autres les ouvrages d'un même auteur et de créer des 
lacunes ou des doubles emplois, un même ouvrage pouvant rentrer dans deux 
ou trois catégories différentes. 


Druck von W. Kohlhammoer in Stuttgart, 


Hansische Handelsgesellschaften, 


vornehmlich des 14 Jahrhunderts. 
Von 


F. Keutgen (Jena). 


Fortsetzung von 5. 514 und Schluß. 


Inhalt: V. Die offene Handelsgesellschaft 3. 667, — Renmes Definition 
und Befund S. 568. — Gemeinsamer Betrieb 8, 571. — VI. Das Konkurrenz- 
verbot S. 572. — ScHMipT und REMME 8. 578. — Konkurrenzverbot für den 
tractator S. 575. — Kölner Faktoren in London 8.578. — VII Die Gesamt- 
hand S. 579. — Gemeinsamer Betrieb und unbeschränkte Haftung 5. 580. — 
Wandlungen der Gesamthand 5, 581. — Solidarität der Gesellschaft 8. 585. 
— VII. Die Vertretung 8. 586. — Krediterfordernisse des kaufmännischen 
Verkehrs S. 586. — Seghehards Brief 8. 586. — Verkehr mit Nachbar- 
orten (Geldersen) S. 887. — Haftung des Prinzipals für den Knecht 3. 591. 
— Wittenborg S. 593. — Tülner 8. 598. — Lübecker und Hamburger Statuten 
S. 599. — Der deutsche Kaufmann in London 3. 600. — Anwendung auf die 
Gesellschaft S. 601. — Haftbarmachung Unbeteiligter; Statut Ednards IT. 
S. 602. — Das Lübecker Recht 3. 604. — Privileg Friedrich II. für Nürn- 
berg und späte Einführung der kommanditistischen Idee 8, 606, — In-die- 
Erscheinung-treten der Gesellschaft 8. 607. — Anhang: die Gesellschaften 
Johann Wittenborgs 8. 613—632. 


L'P 
Die offene Handelsgesellschaft. 


Haben wir somit die Masse der hansischen Handelsgesell- 
schaften — sie, die dem Handel das Rückgrat gaben — als Ge- 
werbsgesellschaften zu beanspruchen, so liegt uns, um zum vollen 
Verständnis ihres Wesens zu gelangen, weiter ob, zu untersuchen, 


inwiefern Grundsätze der einzelnen Arten der heutigen Handels- 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftegeschichte. IV. 58 


568 F. Keutgen 


| gesellschaften sich bei ihnen wiederfinden, insbesondere die 
Grundsätze der offenen Handelsgesellschaft. Denn die offene ist 


die Handelsgesellschaft in reinster, vollkommenster Form. Aber, 
wohlbemerkt, unser Ziel ist auch hier nicht eigentlich Iden- 
tifizierung einer oder der anderen früheren Form mit dieser oder 
jener heutigen, sondern nur schärfere Beleuchtung der ehemaligen 
vermittelst der jetzigen: wie wir ja auch keinen Augenblick ver- 
gessen wollen, daß unsere Hauptabsicht nicht in der juristischen 
Definition der älteren deutschen Handelsgesellschaften liegt, son- 
dern mit ihrer Hilfe in der Charakterisierung des hansischen 
Handels. Also: ist mit dieser Einschränkung eine Gruppe unter 
den hansischen Handelsgesellschaften des 14. Jahrhunderts heraus- 
zuheben, die als offene Handelsgesellschaften zu bezeichnen 
wären ? 

Diese Frage wird unter anderem bejaht von REHME, und zwar 
nach Maßgabe des folgenden. 

Er glaubt außer der „sendeve“ (lies Gesellschaft mit eir- 
seitiger Kapitalbeteiligung, Halbgesellschaft oder quasi-societas) 
und der Wederlegginge (oder, wie er sie mit unrichtiger Ider- 
tifizierung gewöhnlich nennt, „vera societas“) noch eine dritte 
Art Gesellschaft in den Lübecker Niederstadtbuch-Eintragungen 
zu erkennen, „die freilich bei weiten seltener vorkommt als jene 
beiden. Sie wird, wenn überhaupt, schlechthin als societas be 
zeichnet; offenbar fehlte ein technischer Ausdruck. Auch bei ihr 
findet ein conponere, contra-(ad-)ponere von Vermögen statt; auch 
bei ihr sind also beide Gesellschafter mit Kapital beteiligt. 
Aber — und das ist das sie von der vera societas unterscheidende 
Merkmal — der Handelsbetrieb geschieht nicht durch eine 
von ihnen, sondern durch beide, oder durch einen oder mehrere 
nuncii oder famuli beider (12, 65). Wir haben es mit der offene 
Handelsgesellschaft zu tun“'). 

“ Sogleich bemerken wir, daß hier für die offene Handelsgesell- 
schaft ein ganz anderes Kennzeichen gefordert wird als das in 
der Definition des Handelsgesetzbuches enthaltene ?). 





1) REHME S. 373. 
2) Oben S. 503. 





wen oo — 


u tt 


tin et LEE. bei EN m EE re 





Hansische Handelsgesellschaften. 569 


Deshalb legt denn aueh SILBERSCHMIDT Verwahrung ein: 
„wenn man nun einmal in geschichtliche Verhältnisse Begriffe 
aus Gesetzen der jetzigen Zeit hineintragen will, dann muß streng 
darauf geachtet werden, daß sämtliche Merkmale dieser modernen 
Rechtsfiguren wirklich vorhanden sind“ '). Das Wesen der offenen 
Handelsgesellschaft aber beruht in der solidarischen Verpflich- 
tung: auf die hansischen Verhältnisse übertragen, müßte es er- 
sichtlich sein, „daß der tractans den andern Gesellschafter in der 
Weise verpflichten wollte, daß dieser unbeschränkt mit seinem 
ganzen Vermögen hafte“ ?). | 

Prüfen wir indes — wie es übrigens auch SILBERSCHMIDT 
tut — REHMES Beweisführung erst einmal von seinem eigenen 
Standpunkte aus. Zunächst ist zu beachten, daß REHME nach 
diesem — wenigstens unter seinem Material — nur sehr wenige 
offene Handelsgesellschaften findet. Allein warum? 

Es tritt uns da wieder sogleich als Kardinalfehler der Glaube 
entgegen, als müsse jedem Ausdruck der Quellen ein eigener, in 
moderner Weise streng methodisch abgegrenzter Begriff ent- 
sprechen. Richtig ist, daß für irgendeine als „offene Handels- 
gesellschaft“ herauszuhebende Art eine besondere Bezeichnung 
in den Quellen fehlt, falsch aber die durch nichts begründete 
Annahme, als hätten die Bezeichnungen wederlegginge und vera 
societas sich auf sie nicht miterstrecken können. Im Gegenteil: 
wenn eine der damaligen Handelsgesellschaften als „vera societas“ 
gelten konnte, so wäre es gewiß die gewesen, bei der beide 
Teilhaber nicht nur Kapital, sondern auch Arbeit einlegten. Und 
durch nichts gerechtfertigt ist es auch, den Begriff der „weder- 
legginge“ so eng zu fassen, als umschlösse er nur den Fall, wo 
beide Gesellschafter zwar Kapital einlegen und einer arbeitet, 
nicht aber auch den, wo beide Gesellschafter sich an der Ge- 
schäftsführung beteiligen. 

Die Folge dieses Methodefehlers ist also, daß für REHME alle 
Gesellschaften ausscheiden, die in seinem Material als „vera 
societas“ oder als „wederlegginge“ bezeichnet sind. Im übrigen 


1) Kumpanie und Sendeve S. 42. 
2) S. 46. 


570 F. Keutgen 


aber schließt er auf das, worauf es ihm ankommt, den gemei- 
samen Handelsbetrieb, auch wieder nur aus bestimmten formel 
haften Wendungen. 

Auf seine Belege im einzelnen einzugehen, würde demnach 
keinen großen Wert haben. Daß die Anführung von Nr. 8 auf 
einem Versehen beruhen muß, hat bereits SILBERSCHMIDT bemerkt: 
sie paßt nicht hierher, und die S. 393 angeblich daraus zitierten 
Sätze stehen überhaupt in keiner der von REHME veröffentlichten 
Eintragungen. Außer in dieser will er dann mit Sicherheit offene 
Gesellschaften nur noch in Nr. 12 und Nr. 65 finden. Für môg- 
lich hält er, daß auch in 59 und 63 „trotz der Bezeichnung als 
vera societas“ eine offene Gesellschaft bekundet wird. Doch 
wird ihm das „unwahrscheinlich, wenn wir mit ihnen 60 und 61 
vergleichen, die wesentlich die gleiche Form haben, aber sicher 
eine wederlegginge betreffen, da nach ihnen nur der eine der 
socii Unternehmer ist“. Endlich sei einmal eine offene Gesell- 
schaft „an einer wederlegginge als Kapitalist (23), ein andermal 
als Unternehmer beteiligt (45)* '). 

Wir können das, wie gesagt, auf sich beruhen lassen: des- 
halb führe ich auch den Wortlaut jener Stellen nicht an. Bei 
REHME aber rächt sich jetzt — außer dem Festhalten an \» 
men — eins: nämlich jene schon gerügte Verwendungsweise des 
Begriffs „Unternehmer“ ?). 

Offenbar läßt sich bei einem gemeinschaftlichen Betrieb der 
Geschäfte das Arbeitsquantum der einzelnen Beteiligten nicht 
messen. Es ist nicht bloß der von zwei Gesellschaftern als im 
Geschäftsbetrieb tätig zu erachten, der nach der Weise jener 
Zeiten die für das Gesellschaftskapital erstandenen Waren im 
Ausland führt, dort verkauft und für den Erlös andere Waren 
einkauft, dessen Tätigkeit deshalb unmittelbar in die Augen 
springt, und der allerdings die meiste Mühe hatte, sondern eber- 
sosehr sein Mitteilhaber, der zwar zu Hause blieb, von dem jener 
aber seine Weisungen erhielt, und der die von ibm draußen net- 
eingekauften und heimgesandten Güter in Empfang nahm und 


1) S. 373 Anm. 24. 
2) Oben S. 506 ff. 


Hansische Handelsgesellschaften. 571 


seinerseits am Orte an den Mann brachte. Dies aber ist das 
Bild, das uns die Handlungsbücher bieten: der wahre Unter- 
nehmer, der Chef des Hauses, wie SILBERSCHMIDT ihn ein- 
mal mit Recht nennt, disponierte und bestimmte auch den Markt, 
dem die Güter zugeführt werden sollten. 

Unter REHMES Material aber müßte man diesen Tatbestand 
zunächst einmal wenigstens bei all den Niederstadtbuch-Ein- 
tragungen als gegeben annehmen, nach denen zwei Personen mit 
gleichen Beträgen an einer Gesellschaft beteiligt sind; sicherlich 
aber nicht nur bei diesen. 

Denn inzwischen hat SILBERSCHMIDT darauf hingewiesen, daß 
auch im romanischen Rechtsgebiet, in der Commenda 
und ihren Abarten, der Commendator oder socius stans häufig 
Arbeit mitleistet. Aus der Form der Gesellschaft läßt 
sich also über gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb 
oder das Gegenteil nichtserschließen. Nach dem Merk- 
nıal des gemeinsamen Betriebes aber müßte die große Mehrzahl 
der hansischen Gesellschaften überhaupt als offene beansprucht 
werden. 

Und ganz unberechtigt wäre das nicht. 

Denn außer dem Merkmal der unbeschränkten persönlichen 
Haftung aller Teilhaber, dem freilich juristisch entscheidenden, 
kennt das Handelsgesetzbuch doch auch noch eine weitere Eigen- 
tümlichkeit der offenen Handelsgesellschaft, eben die, auf der 
REHMES Anschauung beruht, nämlich, daß „zur Führung der Ge- 
schäfte der Gesellschaft . . . alle Gesellschafter berechtigt und ver- 
pflichtet* sind. Freilich kann „im Gesellschaftsvertrage die Ge- 
schäftsführung einem Gesellschafter oder mehreren übertragen“ 
worden sein; dann „sind die übrigen Gesellschafter von der Ge- 
Schäftsführung ausgeschlossen“ '). — Allein als Kriterium schlecht- 
hin für die offene Handelsgesellschaft wird uns jenes nicht genügen. 

Jas Hauptinteresse jener Darlegungen ist vielmehr zunächst 
ein negatives und liegt darin, daß damit der verbreiteten Neigung 
entgegengewirkt wird, unsere wie auch die romanischen älteren 
llandelsgesellschaften als Arten der Kommandit- oder der stillen 


11A.a.0., S 114. 


572 F. Keutgen | 


Gesellschaft oder als Vorstufen dazu auszugeben, weil regelmäßig 
der eine Teilhaber nur Geld hergegeben hätte. Das also ist 
falsch. 

So wichtig das alles aber allgemein handelsgeschichtlich an 
sich ist, und zwar schon die bloße Tatsache der regelmäßigen 
Beteiligung des socius stans am Betrieb, so muß doch eben diese 
geradezu auch als zu selbstverständlich bezeichnet werden (wen 
sie nicht durch Konstruktionssucht verdunkelt worden wäre), 
als daß es an wissenschaftlicher Bedeutung nicht in den 
Hintergrund gedrängt werden müßte durch die Frage nach den 
andern, entscheidenden und von SILBERSCHMIDT hervorge- 
hobenen Merkmal der offenen Handelsgesellschaft: genauer, die 
Frage, inwieweit der socius stans durch den tracta- 
tor haftbar gemacht werden konnte. 

Vorher jedoch haben wir noch einen belangreichen Punkt 
klarzustellen: nämlich, inwieweit es zulässig war oder vorkommen 
konnte, daß ein vergesellschafteter Kaufmann sich selber Kon- 
kurrenz machte. 


VI. 
Das Konkurrenzverbot. 


F. G. A. SCHMIDT hatte in seinem sehr verdienstlichen Buche 
„Ilandelsgesellschaften in den deutschen Stadtrechtsquellen des 
Mittelalters“ (Breslau 1883) folgendes bemerkt: 

„Da die Gesellschaft eine gemeinsame Verfolgung vermôgens- 
rechtlicher Interessen durch gemeinsamen Handelsgeschäftsbetried | 
bezweckt, so sollte es den Mitgliedern eigentlich verboten sil : 
durch Einzelgeschäftsbetrieb die Gesellschaftsinteressen zu schd _ 
digen. Dennoch findet sich kein allgemeines Konkurrenzverbet 
für die Gesellschaften in den Stadtrechten. Im Gegenteil war € 
sehr üblich, daß ein Kaufmann mit Vermögenseinlagen mehrere 
Gesellschaften zugleich angehörte“ ”). 

Aus der Disposition von ScHMiDTs Buche ergibt sich, dab ef 
hierbei nicht die Handelsgesellschaften überhaupt, sondern die, 
die er als offene Gesellschaften ansah, im Auge hatte. Alk 


GE seu … m 


te = an te San 


Hansische Handelsgesellschaften. 573 


deren „Grundgedanken“ gibt er, gleich REHME, an, „daß alle 
Socii in gemeinsamer Handelstätigkeit gemeinsamen Gewinn er- 
streben“ '). Allein, hierin richtiger als jener sehend, erkennt er 
dieses Merkmal den älteren deutschen Handelsgesellschaften in 
weit größerem Umfange zu und namentlich der „vera societas“ °). 

Demgegenüber sieht REHME eben in dem Umstande, daß 
„derselbe Kaufmann zuweilen gleichzeitig in zehn und zwanzig 
Sozietäten sein Geld steckte“, den Beweis, „daß die vera societas 
Gelegenheitsgesellschaft ist“. Die offene Gesellschaft aber ist 
„ihrer Natur nach Gewerbsgesellschaft“. 

Wir sehen davon ab, daß gerade das alte deutsche Handels- 
gesetzbuch, das, als REHME schrieb, in Gültigkeit war, unter 
Umständen auch eine offene Gelegenheitsgesellschaft kannte. 
Wichtiger ist, daß, wie bemerkt, an sich Kommandit- und stille 
(Gesellschaft ebensowenig als Gelegenheitsgesellschaften zu gelten 
haben wie die offene: ein Kriterium für oder gegen die eine oder 
die andere ist hier also nicht zu finden. 

Von wesentlichem Interesse jedoch bleibt die rein sachliche 
Frage, ob an sich ein Kaufmann gleichzeitig an mehreren Ge- 
werbsgesellschaften sich beteiligen konnte. Ganz gewiß war das 
möglich. Gerade bei der offenen Handelsgesellschaft sieht das 
neue Deutsche Handelsgesetzbuch ($ 112) den Fall vor, 
daß ein Gesellschafter „an einer andern gleichartigen Handels- 
gesellschaft als persönlich haftender Gesellschafter teil“ nimmt, 
sowie daß er „in dem Handelszweige der Gesellschaft Geschäfte“ 
macht: nur bedarf er dazu der „Einwilligung der anderen Ge- 
sellschafter“. Mag das immerhin im heutigen Handelsleben nur 
unter besonderen Umständen sich verwirklichen, 8o begünstigten 
es umgekehrt die eigentümlichen Verhältnisse der hansischen 
Epoche. Auch diesmal hat REHME den wirtschaftlichen Tat- 
bestand nicht berücksichtigt, in den uns das Verfahren von 
Männern wieHermann Mornewech — das freilich durch die 
neuerlich veröffentlichten Handlungsbücher erst ins rechte Licht 
gerückt ist — so wertvollen Einblick gewährt. 





1) A. a. 0., 8.61. 
2) 8.44 f. 


574 F. Keutgen 


Der Wettbewerb, der im heutigen Leben eine so ausschlag- 
gebende Rolle spielt, fehlte zwar auch damals nicht, kam jedoch 
weit weniger, man könnte sagen, nur subsidiär, in Betracht. Wir 
sehen ja, daß Kaufleute ihren Gesellschaftern neben dem Gesell- 
schaftsgut auch noch andere Waren „in sendeve“ mitgaben, ihnen 
also nach heutigen Begriffen, oder wenigstens von REHMES Stand- 
punkt aus, zumuten würden, sich selber Konkurrenz zu machen’). 
Wir dürfen annehmen, daß auf gewissen Märkten für gewisse 
Waren stets auf Abnehmer gerechnet werden konnte, und daß es 
ein wichtigeres Problem war, sie ausreichend und regelmäßig mit 
Waren versorgt zu halten, — für den auswärtigen Kaufmann 
also, Transportgelegenheiten und geeignete Persönlichkeiten auf- 
zutreiben, denen man draußen den Verkauf der nach und nach 
angeschafften Waren und den Wiedereinkauf anderer, daheim zı 
verwertender anvertrauen konnte: — was ja übrigens auch heute 
noch eine sehr große Rolle spielt. 

Wenn ein Kaufmann in Lübeck nach Riga einmal mit einem 
Holk einen Posten einer Ware schickte, an dem er mit B be 
teiligt war, und einen Monat später einen zweiten Posten in 
einem Koggen zusammen mit C, so machte er sich weniger 
Konkurrenz, als wenn er nur mit B vergesellschaftet gewesen 
wäre und alles auf einmal gesandt hätte: denn die plötzliche 
Ankunft des doppelten Postens hätte den Markt vielleicht doch 
gedrückt. 

Die 18 Gesellschaften Mornewechs, von denen schon die 
Rede war, verteilen sich über die Jahre 1323—1335. Wir wissen 
aber gar nicht, da weder PauLı noch REHME, denen das Material 
zugänglich gewesen ist, Näheres mitteilen, in wie vielen Fällen 
es sich dabei um Erneuerungen von Gesellschaften mit den 
selben Partnern handelt: schon in den drei von REHME > 
gedruckten (Nr. 29, 32, 34) kommt seine Gesellschaft mit Ratze 





1) Z. B. REHMEs Nr. 51 (a. 1342): „Dominus Bertrammus Heideby ® 
Nicholaus de Sleswik frater domini Nannonis habent pariter 200 m. d. minus 
4m., de quibus 100 m. minus 2 m. dno. Bertrammo predicto pertinent € 
negociantur in sendeve, alie 100 m. minus 2 m. pertinent eis ambobus in 
societate.“ Ferner Nr. 24 und Nr. 41. Bei Wittenborg z. B. II 232, oben 
S. 484. 


. mt 


Hansische Handelsgesellschaften. 575 


borg zweimal vor. Wir wissen nicht, ob nicht PauLı und REHME 
auch Sendeve-Geschäfte unter diesen „Sozietäten“ mitzählen. Und 
endlich wissen wir nicht, inwieweit es sich bei all diesen ver- 
schiedenen Geschäften nicht um ganz verschiedene Waren und 
ganz verschiedene Märkte gehandelt hat. Freilich wissen 
wir anderseits auch nicht, wie viele Gesellschaften Mornewech 
außer jenen noch in seinem Handlungsbuch notiert hat, für die 
er Eintragung im Stadtbuch nicht für nötig gehalten haben mag. 
Kurz, nach rein formalen Gesichtspunkten läßt sich diese Frage 
am wenigsten erledigen. 


Eine ganz bestimmte Kategorie von Konkurrenzverboten kommt 
allerdings in manchen Gesellschaftsverträgen vor, und SCHMIDT 
war wenigstens nahe daran, das Prinzip, das ihnen zugrunde liegt, 
zu erkennen '): sie richten sich gegen den bloßen tractator 
oder Commendatar. Wo von einem oder mehreren dirigierenden 
Kapitalisten ein kapitalistisch gar nicht oder minder Beteiligter 
mit deın Vertrieb der Waren betraut wird, da pflegt ihm die 
Übernahme konkurrierender Aufträge untersagt zu sein. 


So verhält es sich mit dem schon von SCHMIDT angeführten, 
allerdings jüngeren Beispiel, PauLı, Lübecker Zustände III Nr. 95 
(a. 1476): 

Gerd schal noch enwil mit nemande anders selschup 
hebben, id enzy mit des erscreven Cordes vulbord unde 
willen ; 

und vielleicht auch mit PAuLı I Nr. 102 e, jetzt bei REHME 
Nr. 5 (a. 1312): 
qui Wasmodus dicebat, se non habere aliqua bona merca- 
toria extra ista. 


In erster Linie freilich hat wohl durch diese Klausel der 
Unterschlagung eines Teiles des Gewinnes vorgebeugt 
werden sollen. So auch bei REHME Nr. 15 (a. 1315): 

pecunia, quam Hermannus ultra prefatas [bis] 75 m. argenti 
habet, est dimidia ipsius Johannis et dimidia ipsius Her- 
manni; 


I) Scnumir, 8. 50 f. 


576 F. Keutgen 


Nr. 35 (a. 1327): 
protestatus est, quod omnia que habet mobilia sint, et quid 
medietas illorum pertinent Johanni de Verda et medietas 
sibi ipsi. 

Alles, was bei Abrechnung in den Händen des tractator über 
das Kapital hinaus sich vorfand, wurde eben als von ihm ;e 
machter Gewinn angesehen und demgemäß geteilt. Doch unter- 
band das Arbeit für einen Konkurrenten ohne weiteres. 

Ausdrücklich dagegen wird diese untersagt in REHME Nr. 55 
(a. 1347): 

extra istam societatem nullam habebit pecuniam absqne 
scitu ipsius Ghunteri. 

Und nach Reime Nr. 65 (a. 1359) verpflichten sich die (e- 
sellschafter gegenseitig: 

quidquid alter istorum intra Lubeke seu extra emerit vel 
vendiderit, quod campsuram tangere videbitur, hoc ad camp- 
suram eorundem debet pertinere ad usum ipsorum amborun. 

Doch konmt hier nur die besondere Beschränkung auf 
Wechselgeschäfte in Frage. 

Eben die größere Bewegungsfreiheit des Prinzipals gelanst 
noch in eigentümlicher Weise zum Ausdruck in dem Schlußsatz 
von REHMES Nr. 66 (a. 1360): 

Otto predietas 1350 marcas habet solus pre manibus 
cum eis mercimonia(s) exercendo; et Conradus nichil hahet 
de pecunia supradicta. 

Das ganze Gesellschaftskapital ist in Händen des tractater 
Otto. Alles Geld, was etwa bei Konrad angetroffen wird, gehirt 
also nicht in die Gesellschaft. Mit anderen Worten: an Geschäften. 
die Konrad inzwischen mit seinem übrigen Vermögen macht, und 
aus dem daraus fließenden Gewinn hat Otto keinen Teil. 

Ganz unter dieses Schema fällt aber auch das Aachener 
Beispiel vom 1. Mai 1360, das genügendes Interesse bietet, um 
es hier mit heranzuziehen, das aber SCHMIDT offenbar mifver- 
standen hat. Denn Jöhan Heifstrit ist da nicht „der einzi:e 
beteiligte Weinkaufmann“, sondern die andern beiden Teilhaber. 
Wer Dorcant und Kolin Büc, der ja auch einen Keller 

sind die Unternehmer, und Johann ist ihr tractator, wie 


Hansische Handelsgesellschaften. 577 


man eben aus der Klausel ohne weiteres schließen kann, die 
ihn verpflichtet, 
egein ander koumenschaf mit win ce driven, dan in disser 
geselschaf'). 

Es wäre geradezu grotesk, in Heifstrit den Unternehmer, in 
seinen Gesellschaftern aber bloße Kapitalisten zu sehen, anzu- 
nehmen, daß ein Kommanditist oder ein stiller Teilhaber Geld 
in mehrere Gesellschaften steckte und — worauf es hinauslaufen 
würde — deren leitenden Inhabern vorschriebe, daß sie einander 
keine Konkurrenz machen dürften. 

Wäre tatsächlich der tractator als Unternehmer anzusehen, so 
hätte es gerade ihm freistehen müssen, sein Kapital zu nehmen, 
wo er es fand, und sich auclı mit mehreren Kapitalisten zu ver- 
binden: wozu es in Italien ja auch gekommen ist”). 

Den wesentlichen Unterschied zwischen der Stellung des trac- 
tator und der des socius stans in diesem Punkt übersieht auch 
SILBERSCHMIDT*). Er weist zwar noch auf PAPPENHEIM, Alt- 
nordische Handelsgesellschaften, hin, nach dem die Grägäs be- 
stimmt, daß ein felag „gesetzlich (at lögum) nur dann vorliegt, 
wenn (der Unvermögendere unter den Genossen sein gesamtes, 
auf der Fahrt mitgeführtes Gut in die Gemeinschaft eingelegt 
hat‘)“. Er führt ferner einen Fall von 1360 aus dem Lübecker 
Niederstadtbuch an, wonach der eine Gesellschafter bekennt, 

quod omnium bonorum suorum, ubieunque ea habuerit, duo 
denarii dicto domino Johanni pertinent”), 

Allein er will hier und in Renme Nr. 5 und sogar in Nr, 55 
nur den Zweck erkennen, „Durchstechereien zu verhindern ")*, 


1) LOERSCH, Aachener Rechtsdenkmäler, Abt. II Nr.5 8.178f. Danach 
SCHMIDT 8.53 f. Besser, weil nach dem inzwischen gefundenen Original, 
LOERSCH und SCHRÖDER, Urkunden zur Geschichte d. deutschen Privatrechts ' 
Nr. 188. 

2) Vgl. oben S. 607. 

3) Kumpanie und Sendeve, 8. 47 f. Übrigens L $. 47 letzte Zeile 
„Commendatar“ statt „— tor“. 

4) Z. f. d. ges. Handelsrecht. Bd. 56 8. 110. 

5) Nr. 71a, aber nicht etwa hei Remnme, wie man glauben würde, son- 
dern bei Morzwo 8. 84 f. 

6) Vgl. oben S. 575 f. 


278 F. Keutgen 


Die “Konkurrenzklausel“ will er in Deutschland erst „in der 
späteren Entwicklung“ finden, wie in einem Nürnberger 
Vertrag Koler-Kreß-Saronno von 1506, wo $ 10 allen 
Gesellschaftern den Betrieb von sonderlich Gewerbe noch Handel 
ohne Zustimmung der andern untersagt‘. Allein er sieht 
sich doch auch genötigt, jene Aachener Weinhändlergesellschaft 
von schon 1360 anzuführen?. Den springenden Punkt über- 
sieht er. 

Besonders lehrreich in mehr als einer Hinsicht endlich ist das 
vielberufene Verzeichnis von Kölner Kaufleuten und ihren 
Faktoren in London vom 17. August 1468, wo augeblich 
manchmal ein Faktor — wie in Italien — mehrere Kaufleute 
vertritt®.. Das ist buchstäblich richtig, aber nur bei sehr ober- 
flächlicher Betrachtung. Denn der aufmerksame Leser sieht »0- 
fort, daß die so gemeinsam vertretenen Kaufleute gesellschaftlich 
verbunden waren. Dreimal vertritt ein einzelner Faktor einen 
Kaufmann, zweimal zwei und einmal fünf Kaufleute. Fünfmal 
dagegen wird ein einzelner Kaufmann von einem Faktorenpaar 
vertreten, und in weiteren fünf Fällen haben je zwei Kaufleute 
gemeinsam zwei Faktoren. Gerade diese letzten Fälle, nach der 
Formel „Jak. Butschoe und Peter de Syberg, Faktoren des Peter 
Kannengießer und des Andreas Hoecker“, stellen das Verhältnis 
völlig klar. Überhaupt aber ist zu merken, daß alle diese Kauf- 
leute, 27 an Zahl, von denen 8 alleinstehen und 19 zu 8 Gesell- 
schaften verbunden sind, ihre ganz bestimmten Faktoren haben, 
und ebenso die 26 Faktoren, von denen 6 allein, 10 paarweise 


Ss. 271. 

2) S. 48. | 

3) SILBERSCHMIDT, S. 25; Levin, Z. f. d. ges. Handelsrecht Bd. % 
S. 468; LEPA. Kommissionsgeschäft im Hansagebiet S. 24. Das Verzeichnis 
steht aber nicht bei ENNENX und ECKkERTrz, Quellen, wie alle drei Autor? 
sagen, sondern bei ENNEX, Geschichte d. Stadt Köln, Bd. III, S. 704 f. Jets 
besser Hans. Urkb., Bd. IX Nr. 491 S. 348 f. (Beiläufg bedeutet dort 
Nr. 535 Anm. 1 der Name Patynmaker nicht ,Anfertiger von Kelchdeckeln”. 
sondern „Holzschuher“, von „patten“, dem hohen Holzschuh, der in weitem 
(rebrauch war, um durch den Straßenschmutz zu waten. Die Herstellung 
von Patenen wird kaum einen besonderen Erwerbszweig gebildet haben). 


Hansische Handelsgesellschaften. 579 


arbeiten, ihre festen Auftraggeber. Es ist hier also nicht nur 
keine Rede davon, daß ein Faktor oder Kommendatar mehrere 
konkurrierende Kaufleute verträte; sondern wir haben hier den 
Beleg für 16 Kölner Kaufmannshäuser, die mit ebensoviel in 
London etablierten, wenn auch aus Köln stammenden Filialen in 
dauerndem Verhältnis stehen. Daß das Beispiel ein Jahrhundert 
jünger ist als die Zeit, mit der wir uns vorzugsweise befassen, 
nimmt ihm kaum etwas von seiner Bedeutung. 

SCHMIDT zifiert in diesem Zusammenhang noch aus den Ord- 
nungen einer Leipziger Ratskommission von 1464 folgende 
Sätze: 

Item es mag ein burger mit einem uslendischen gaste 
geselschaft haben ... 

Item der burger mag auch dorbei wol einen sunderlichen 
handel haben‘. 

Das scheint fast der Standpunkt unserer neuesten Gesetz- 
gebung. Sieht man aber die Quelle selbst an, so findet man 
alsbald, daß die Verordnung mit diesen Fragen unmittelbar nichts 
zu tun hat, sondern das Fremdenrecht betrifft. Es handelt sich 
darum, daß Waren, die in die Gesellschaft eines Bürgers mit 
einem Fremden gehören, den Regeln für die Waren Fremder 
unterliegen sollen, was aber nicht hindert, daß Waren, die der- 
selbe Bürger etwa noch außerhalb jener Gesellschaft führt, die 
Vorzüge der Waren anderer Bürger genießen. Vorausgesetzt ist 
dabei ja freilich, daß jemand außer einer Gesellschaft, an der 
er beteiligt ist, noch ein eigenes Geschäft betreibt: aber ernstere 
Aufschlüsse über das Gesellschaftsrecht gewährt die Stelle nicht. — 

Nachdem wir indessen in diesem wichtigen Punkte die Stellung 
der Gesellschafter aufgeklärt haben: wie verhält es sich mit ihrer 
Haftung? | 


VII. 
Die Gesamthand. 


Wir präzisieren zunächst unsern Standpunkt. 
Zwei Merkmale charakterisieren die offene Handelsgesellschaft: 


1) SCHMIDT, S. 61. Urkb. d. Stadt Leipzig, Bd. I, Nr. 388 S. 814. 








580 F. Keutgen 


unbeschränkte Haftung aller Gesellschafter und gemeinsamer Be- 
trieb. Das eine-läßt sich als das rechtliche, das andere als das 
wirtschaftliche Moment bezeichnen. Beide bedingen einander und 
können deshalb, mag auch nur das eine juristisch entscheidend 
sein, wohl als gleich wichtig betrachtet werden. Unbeschränkte 
Haftung ohne Beteiligung aller am Betrieb wäre unbillig. Um- 
gekehrt müssen sämtliche Gesellschafter unbeschränkt haftbar 
gehalten werden, weil sie sämtlich in den Betrieb eingreifen. 
Die Haftbarkeit beruht auf der Verantwortung, die mit der An- 
teilnahme an den Geschäften übernommen wird. Folgerichtig 
haftet bei der Kommandite der Kommanditist nur mit seiner 
Einlage, weil er von der Geschäftsführung ausgeschlossen ist. 

Ja, man könnte behaupten, daß das Handelsgesetzbuch sich 
einer Inkonsequenz schuldig macht, wenn es trotzdem bei der 
offenen Gesellschaft den vertragsmäßigen Ausschluß eines Gesell- 
schafters vom Betriebe gestattet: indes wird es fraglos sein Gutes 
haben, daß den Vertragschließenden die Freiheit auch eine 
solchen Abkommens gewährleistet ist. 

Für die Erforschung des Ursprunges der offenen Handek- 
gesellschaft wie für die Feststellung des Zustandes, den die 
Entwicklung in Norddeutschland im 14. Jahrhundert erreicht 
hatte, ist es jedoch eben vor allen Dingen wesentlich, jene Geger- 
seitigkeit von Haftung und Teilnahme am Betrieb im Auge zu 
behalten, und wäre es zunächst auch nur als heuristisches Prinzip. 

Nötig ist aber ebenfalls gerade hierbei, sich stetig zu erinnern, 
daß Rechtsbildung wie Wirtschaftsleben im Flusse begriffen waren, 
daß nicht für alle wirtschaftlichen Möglichkeiten bereits feste 
Rechtssätze in Geltung — gerichtlich oder gar legislatorisch ar 
erkannt — sein konnten, selbst nachdem eine gewisse Übung 
sich schon durchgesetzt hatte. 

Halten wir dies im Auge, so werden wir finden, daß für das 
Aufkommen des Prinzips der vollen Solidarität im deutsche 
Handelsrecht weder italienische Einflüsse anzunehmen sind, noch 
eine Einwirkung der Kommandit- oder der stillen Gesellschaft 

Der Kommandit- und der stillen Gesellschaft ist nicht einmil 
ohne weiteres Priorität vor der offenen zuzuerkennen. 

Fremde Einflüsse aber würden nur dann anzunehmen seit, 


Fan 


Hansische Handelsgesellschaften. 581 


wenn der Grundgedanke der offenen Handelsgesellschaft zu allen 
einschlägigen Grundsätzen des älteren deutschen Rechts in Wider- 
spruch stände, so daß aus einer organischen Weiterbildung sich 
die Neuerung nicht erklären ließe. 

Demgegenüber wird sich zeigen, daß der Grundsatz der offenen 
Gesellschaft durchaus in der Richtung der Weiterbildung des 
älteren deutschen Rechtes lag, und daß dieses durch die wirt- 
schaftliche Entwicklung gewissermaßen mit Notwendigkeit end- 
lich zu seiner Herausbildung und Anerkennung gedrängt wurde, 
so daß zu der Zeit, von der wir handeln, alles hierzu auf dem 
besten Wege war. 

Endlich aber ist auch die Herkunft aus der Hausgemeinschaft 
für das Gebiet der deutschen Seehandelsgesellschaften abzulehnen: 
der Zustand, den wir im 14. Jahrhundert in den deutschen See- 
städten antreffen, rührt vielmehr aus einer anderen Quelle her, 
ringt sich aus Verhältnissen los, in denen die Hausgemeinschaft 
keinen Platz hat. — 

Unter den älteren deutschen Rechtsinstituten kann diese Ent- 
wicklung zur vollen Solidarität der offenen Handelsgesellschaft 
nur anknüpfen an die Gesamthand: es wird also darauf an- 
kommen, zu zeigen, daß die beschränktere Solidarität der Ge- 
samthand bereits zu dem Punkte vorgeschritten war, daß nur 
noch ein Schritt sie von der vollen, in der offenen Gesellschaft 
gegebenen trennte. 

Der ursprüngliche Gegensatz zwischen der Gesamthand und 
der in der offenen Gesellschaft gegebenen Solidarität liegt ja 
darin, daß in der Gesamthand eine Mehrzahl, eine Gesamtheit 
für einen oder für eins bürgt, in der offenen Handelsgesellschaft 
dagegen jeder einzelne sich für das Ganze verpflichtet. 

Der Übergang ist gegeben, wenn bei der Gesamthand für das, 
was alle gemeinsam gelobt haben, jeder einzelne der Gesamt- 
händer in vollem Umfange haftbar gemacht werden kann. Und 
als Ergänzung tritt hinzu, wenn auch für das einer Gesamtheit 
Gelobte jeder einzelne den Anspruch der Gesamtheit vertreten 
darf. 

Beides — namentlich aber das Erste und Wesentliche — 
findet sich in deutschen Rechtsquellen zu zweckdienlicher Zeit 


582 F. Keutgen 


ausgesprochen: in Rechtsquellen, für die fremde Beeinflussung 
in keiner Weise anzunehmen ist. Gerade hier handelt es sich 
vielmehr um notwendige Anpassung an das alltägliche Wirt- 
schaftsleben. 

Jene als Übergang von der primären Idee bezeichnete Auf. 
fassung der gesamthänderischen Verpflichtung spricht mit voller 
Klarheit bereite das Dortmunder Urteilsbuch aus, das in 
einer Handschrift vom Anfang des 14., vielleicht dem Ende des 
13. Jahrhunderts vorliegt. Dort lautet 

8 94: Hedden lude gelovet mit samender hant in breyven, 
der sey enkenten, vor schult: welker van den angesproken 
wert vor gerichte van deme ghenen, deme hey geloret 
hevet, dey moit de schult betalen '). 

In etwas ausführlicherer Fassung begegnet derselbe Satz in 
dem Dortmunder Stadtbuch unter den Zusätzen, die bald 
nach 1355 geschrieben sind: 

& 59. Hebbet twe gelovet alse saghwalden mit sameder 
hant in eme openen breyve vor gelt, weirt der en ange 
sproken vor gerichte van deme manne, deme sey gelovet 
hebbet, umme dat allinge gelt, also dey opene breyf inne 
hevet, dat allinge gelt müt dey man deme klegere betalen. 

Dasselbe besagt die alte Soester Schra von 1350: 

8 52. Lovet lude mit samender hant, so hevet der 
cleghere dey macht, dat hey beclaghen mach, wilkeren her 
wil; unde wilkeren hey beghripet mit gherichte, deme mach 
hey volghen, also eyn recht is°). 

ScHMiDT‘) und nach ihm AvLEr°) zitieren diese Schra as 
„aus dem 14. Jahrhundert mit Zusätzen aus dem 15. Jahrhundert‘ 
und nennen sie zusammen mit „dem Wiener Stadtrecht von 1435*. 


1) FrRENsporrt‘, Dortmunder Statuten und Urteile (Hansische Geschicht# 
quellen Bd. IH) S. 131. Dazu S. 106. 

2) FRENSDORFF, S. 82; dazu S. 63. 

8) SEYBERTZ, Landes- und Rechtsgeschichte des Herzogtums Westfalen 
Bd. III (Urkundenbuch Bd. I) S. 398. 

4) Handelsgesellschaften, S. 68. | 

5) KARL ADLER, Zur Entwicklungslehre und Dogmatik des Gesellschañs— 
rechts (Berlin 1895) S. 63. 


Hansische Handelsgesellschaften. 583 


Wegen dieser Späte hält SCHMIDT „römisch-rechtlich-italienischen 
Einfluß“ für wohl möglich. Ganz abgesehen davon, daß das 
römische Recht, wie allgemein zugestanden ist, die echte Soli- 
darität überhaupt nicht kannte, so übersehen beide Forscher, daß 
gerade der $ 52 nicht zu den „späteren Zusätzen“, sondern zu 
dem ursprünglichen Bestand der Schra von spätestens 1350 ge- 
hört ?). 

Die erwähnte Ergänzung zu den gegebenen Sätzen aber bieten 
die Goslarischen Statuten, die spätestens 1359 aufgezeichnet 
sind: 

Wur lüde lovede tosamene untfat, léstet man dat deme 
sakwolden [d. h. einem, der die Forderung vertritt], men 
is van in allen ledich unde los. 

Es wird aber auch die Möglichkeit vorgesehen, daß Alle 
klagen, oder daß Zahlung an einen Bestimmten vorher ver- 
abredet war?). 

Noch nicht ganz auf diesem Standpunkt steht der vermehrte 
Sachsenspiegel Ende des 13. Jahrhunderts, Landrecht III. 85, 
wo in bezug auf die erste Seite der Frage $ 1 lautet: 

Svar mer lüde den ein geloven tosamene en weregelt 
oder en ander gelt: al sin si it plichtich to lestene, die 
wile it unvergulden is, unde nicht ir iewelk al; mer man- 
lik also vele alse ime geboret, unde alse vern als man in 
dar to gedvingen mach von gerichtes halven, — die, deme 
it dar gelovet is, oder die it mit ime gelovede, of he it 
vor ine vergulden hevet?). 

HOMEYER meint, der Sinn sei wohl: „jeder kann auf das 
Ganze belangt werden, befreit durch seine Zahlung die übrigen 
und kann sie pro rata in Anspruch nehmen“ ‘). Soviel vermag 
ich allerdings nicht herauszulesen, sondern nur:. der einzelne 
Gesamthänder ist verpflichtet nur für seinen Anteil; dafür kann 


1) SEYBERTZ, a. à. O., S. 388 Anmm. 414, 416, 420 u.s. w. ÎILGEN, Deutsche 
Städtechroniken, Bd. XXIV, S. CXLH. 

2) GÜSCHEN, Die Goslarischen Statuten (Berlin 1840), S. 75, Z. 35 ff. 
Dazu S. VI. 

3) HOMEYER, Sachsenspiegel, Landrecht, 3. Aufl. S. 382 f. 


4) S. 383 Anm. 
Vicrteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte, IV. 39 


584 F. Keutgen 


er in Anspruch genommen werden sowohl von dem, dem erge- 
lobt hat, wie von einem, der mit ihm gelobt hat, falls dieser 
seinen Anteil für ihn mitbezahlt hat. 

Daß jeder „auf das Ganze belangt werden“ kann, wird aux 
drücklich abgelehnt. Jedoch, wenn etwa einer der Gesamthänder 
zunächst die ganze Schuld berichtet hat — ohne Dazwischer- 
kunft des Gerichts —, und dann einer seiner Mitgesamthänder 
sich weigert, für seinen Anteil aufzukommen, so kann der, der 
bezahlt hat, ihn gerichtlich dazu zwingen, —- ebensogut wie der 
Gläubiger aller es konnte, solange noch nichts bezahlt war. 

Die anscheinend römisch-rechtlich beeinflußte Glosse erklärt 
nach HoMEXYER, Kaiser Otto der Rote, dem sie die Satzung zu- 
schreibt, habe damit „den Mittelweg zwischen der Haftung aller 
in solidum und pro rata“ eingeschlagen: diese Ansicht ist, wenn 
auch ohne Belang, doch nicht uninteressant. 

Das Komplement bringt im Sachsenspiegel der folgende $ 2: 

Geloven ok vele lüde enem manne ene scult to geldene, 
unde untvan dat gelovede mer lüde: svar man ieneme 
lestet, deme man gelden sal, oder mit sinen minnen maket, 
dar hevet man in allen gelest, den man’t geloved hadde. 

Allerdings ist da nur einer wirklicher Gläubiger, die übrigen. 
die das Gelübde empfangen, erscheinen mehr in der Eigenschat 
von Zeugen: allein es wird doch mit der Möglichkeit gerechnet, 
daß sie alle Ansprüche auf Zahlung der Schuld erheben, und 
die einem, dem eigentlichen Gläubiger, geleistete Zahlung wird 
als ihnen allen geleistet aufgefaßt. Als überflüssig erscheint, da 
auch hierbei die Schuldner in der Mehrzahl auftreten. — 

Wie verhält sich nun zu dieser Theorie der systematischen 
Rechtsquellen die Praxis des Handels? 

Wie fand sie Anwendung auf die Handelsgesellschaften? 

Solehe in einer Gesamthand verbundene Leute sind ja nnd 
lange keine Handelsgesellschaft. Das scheint ADLER überzehen 
zu haben, wenn er, unter fälschlicher Berufung auf Schar, ii 
jenem Satz der Soester Schra bereits „echte Solidarhaft der 
Gesellschaft“ erkennen will’): ScHMiIDT hingegen findet da mit 


1) A. a. 0. $. 63, 


- a bike mûre Annan. mn 


Hansische Handelsgesellschaften. 585 


recht nur „prinzipale solidare Haftung aller durch die gesamte 
Hand verbundenen Personen“ '). 


Die unmittelbare Anwendung der Lehre jener Rechtsquellen 
des 14. Jahrhunderts auf die Handlungsgesellschaft würde ja die 
sein: | 

Wenn die Gesellschafter zu gesamter Hand eine Verpflichtung 
eingegangen sind, kann jeder von ihnen gerichtlich gezwungen 
werden, die ganze Schuld abzutragen: — jeder, also der, dessen 
man habhaft werden konnte, also im Auslande der, der dort das 
Interesse der Gesellschaft vertrat. 


Umgekehrt hatte jeder Gesellschafter, also wiederum ins- 
besondere der auswärts tätige, Recht und Macht, eine Forderung 
an die Gesellschaft einzukassieren oder einzuklagen. 


In solchem Falle würde man gewiß — wenn man die Soli- 
darität zum Kriterium macht — bereits von offener Gesellschaft 
sprechen müssen. 


Allein jener Fall hat ja zur Voraussetzung, daß die Verpflich- 
tungen zu gesamter Hand eingegangen sind. Das aber wird im 
auswärtigen Handel unter den Verhältnissen, die da in Frage 
kommen, sich kaum je ermöglichen lassen, da eben auswärts 
regelmäßig nur einer für die Gesellschaft auftritt. 


Zum springenden Punkt wird daher: ob man bereits zuließ, 
daß ein einzelner die gesamte Gesellschaft verpflichtete, und ob 
der einzelne Handelnde Schulden einfordern konnte, die nicht 
ihm, sondern seinem Teilhaber oder Chef gegenüber eingegangen 
waren. 


Besondere Schwierigkeiten standen also im Handel der An- 
wendung jener Grundsätze über die Solidarhaft entgegen. 

Besondere Erleichterungen in ihrer Anwendung waren aber 
gerade für den Handel dringendstes Bedürfnis. 

Wie hat sich da die Praxis geholfen? Und wie das Recht 
sich dazu gestellt? 

Endlich: ließ die Gesellschaft in geschlossener Gesamtheit 
sich darstellen durch einen einzelnen? 








1) À. a. 0. S. 67 f. 


586 F. Keutgen 


VIII. 
Die Vertretung. 


Eine Antwort, die uns vollständig befriedigen könnte, geben 
die Lübecker und Hamburger Statuten. Allein wir lassen uns, 
wie bisher, nicht an ihr genügen, sondern suchen uns zunächst 
zu unterrichten über den kaufmännischen Gebrauch, in der Über- 
zeugung, daß schließlich auch das Recht gefolgt sein, daß es — 
wenigstens hier in unsern Hansestädten, wo nicht die Vertreter 
unverständiger Volkskreise bestimmten — auf die Dauer sich 
der Gutheißung dessen nicht wird haben entziehen können, was 
sich im Verkehr durchgesetzt und bewährt hatte. 

Um es kurz zu sagen: die Notwendigkeiten des kauf- 
männischen Verkehrs postulieren die volle gegen- 
seitigeHaftungaller Teilhaber, wenn auch unbeschadet derZu- 
lässigkeit vertragsmäßiger Beschränkung als einer Sache a posteriori. 
Der Handel, daran kann kein Zweifel sein, war schon in weitesten 
Umfange auf Kredit begründet: nur zu erinnern ist an 
den verbreiteten Wechselverkehr. Der Kreditanspruch des Kanf- 
ınanns, der Wunsch, dauernd als ein Mitglied der Handelswelt 
bekannt zu sein, mit dem man auf Treu und Glauben verkehren 
könne, machte es unmöglich, sich den von seinem Teil- 
haber eingegangenen Verpflichtungen zu entziehen. 

Hier zunächst nur ein Beispiel, aber ein schlagendes und eins, 
das uns höchst modern anmutet, dafür, wieviel selbst in be 
scheideneren Kreisen der persönliche Kredit bereits zu bedeuten 
hatte: der höchst ehrerbietige Brief des Lüneburger Bürger 
Konrad Zeghehard an Ratsherrn Joh. Wittenborg: 

Amicabili et condigna salutacione premissa. Reverende 
domine, domine Johannes Wittenborch, amice my dilecte. 
lautet die Anrede. 

Der Schreiber erklärt sich notfalls einverstanden mit den 
Zahlungsbedingungen, die der Ratsherr ihm auferlegen wird: 

Sed mihi videtur, quod mei [?] statns tam firmu* 
habeatur, quod non sit necesse vobis fideiussores ponendo: 
„der Ruf meines seit langem wohlbekannten Hauses“ !). 








1) Abgedruckt MorLLwo, S. 66. 


Hansische Handelsgesellschaften. 587 


Die gegenteilige Lehre, wonach der tractator, der auswärts 
Handelnde, nur sich persönlich verpflichtet hätte, setzt primi- 
tive Zustände voraus, die möglicherweise im 12. Jahrhundert am 
Mittelmeer, zumal zwischen Angehörigen verschiedener Religionen 
und verschiedener Kulturkreise, bestanden haben mögen — dar- 
über steht mir kein Urteil zu —, die aber in der hansischen 
Handelswelt des 14. Jahrhunderts längst überwunden waren !). 

Eine andere Frage ist nur, was geschah im Falle der Insol- 
venz: ob der Kaufmann, der auf Kredit ohnehin keinen Anspruch 
mehr erhob, in seiner Absicht, Gesellschaftsverpflichtungen zurück- 
zuweisen, anfangs noch in einem veralteten Rechtszustand Zu- 
flucht fand? Auf lange sicher auch das nicht. — 

Zum Glück besitzen wir ein Material, das es uns erspart, so- 
æleich die spröden Verhältnisse des Überseehandels heranzuziehen. 
Geldersens Handlungsbuch bietet es uns in seinen zahlreichen 
Eintragungen, die Geschäfte mit Kaufleuten der Nachbarstädte 
Hamburgs betreffen, Kaufleuten aus Lüneburg, Lübeck, Kiel, 
Flensburg, Braunschweig, Hannover, Ülzen, Lüchow, 
Heiligenhafen oder dem aus Karls des Großen Grenzordnung 
bekannten Scheesel. Diese Männer machten ihre Einkäufe 
persönlich auf den Hamburger Märkten; Gläubiger und Schuldner 
standen in regelmäßiger persönlicher Berührung in einem Maße, 
wie es zwischen dem Chef eines Hamburger Exporthauses und 
seinen Kunden in Flandern oder England oder in Nowgorod so 
nicht der Fall sein konnte. Dennoch ınußte die Trennung des 
Wohnsitzes zu Kombinationen führen, die über das beim Orts- 
verkehr Gebotene schon beträchtlich hinausgingen. 

Wir finden nun, daß ın zahlreichen Fällen, wenn auch keines- 
wegs regelmäßig, für die bei Geldersen gemachten Einkäufe 
zwei, selten auch mehr Kaufleute gesamthändig haften: 
nicht nur Hamburger, sondern gerade auch auswärtige. 

Sehen wir ab von den wenigen Fällen, wo die so verbundenen 


1) Ganz so schlimm kann es übrigens nach den von SILBERSCHMIDT 
Ss. 45 angeführten Beispielen auch im Süden nicht gewesen sein. Ich ver- 
stehe wenigstens nicht die Verpflichtung des Tractators, zu handeln „ad 
nomen cuius sunt“, wenn damit nicht seine Prinzipale haftbar gemacht 
werden sollten. 


588 F. Keutgen 


Käufer überhaupt Nichtkaufleute waren, sondern etwa holsteinische 
Knappen, die sich zusammen wohl ein Stück Tuch anschafften, so 
bleibt es doch auch dann, wenn es sich um Kaufleute handelte, 
fraglich, ob aus der Gesamthand ohne weiteres auf eine Gesell- 
schaft der so verbundenen geschlossen werden darf. 

Die gewöhnliche Formel lautet: „A. et B. tenentur copulata 
(coniuncta) manu pro“ so viel Stück Tuch, „quos emerunt“ danı, 
»Solvendum“ dann. Darauf folgen Vermerke über geschehene 
Zahlungen. 

Diese Zahlungen erfolgen meistens in mehreren Raten. Diese 
werden eingeführt mit „Dedit“, „Item dedit“, selten mit „De- 
derunt“. Es scheint dem Gläubiger im allgemeinen nicht darauf 


angekommen zu sein, welcher von beiden Schuldnern die Zahlung _ 
leistete, wenn sie nur überhaupt erfolgte. Daraus könnte mar : 
auf eine Gesellschaft der Schuldner mit voller Solidarität schließen - 


wollen. Denn wenn die Schuldner nur durch die Gesamthand 
verbunden waren, so konnte es für Geldersen nach den «- 
geführten Statuten unter Umständen wertvoll sein, aus seinem 
Buche nachweisen zu können, von welchem der Schuldner er 
eine Teilzahlung empfangen hatte. Bei andauernd zu einer be 
sellschaft verbundenen, solidarisch haftenden dagegen mochte e 
gleichgültig scheinen. 

In anderen Fällen dagegen ist der Name des einen oder 
andern Schuldners bei einer oder der andern Rate als der de 
Zahlers notiert. Dabei kommt es vor, daß jeder von zwei Schuld 
nern genau die Hälfte bezahlt hat, oder aber einer mehr als die 
Hälfte, ja das Ganze. Wesentlich ist bei alledem, daß dies 
gemeinsamen Schuldner wirklich auch sämtlich Käufer gewesel 
sind; denn es konnten ja auch an dem Geschäft gar nicht Be- 
teiligte sich mit dem Käufer gesamthänderisch verpflichten. 

Dennoch gibt uns das alles keine näheren Anhaltspunkte z® 
Schlüssen auf ein gesellschaftliches Band zwischen den Schuldner®: 


— auch nicht etwa die halbgeteilten Zahlungen dagegen, wie | 


sich noch zeigen wird. Im allgemeinen gewinnt man den Ein’ 
druck, als ob die Käufer regelmäßig nicht weiter vergesellschafte! 
sewesen seien, sondern daß ein paar Gewandschneider, die etw3 


_.. 





aus Kiel oder Lüneburg zum Jahrmarkt in Hamburg eingetroffen 


Hansische Handelsgesellschaften. 589 


waren, zusammen ihre Einkäufe machten und auf Wunsch Gelder- 
sens in jener Form für einander bürgten. Es sind eben kleine 
Verhältnisse, wenn auch auf seiten Geldersens in diesen Ge- 
schäften regelmäßig nicht solche des Detailhandels: es 
werden fast durchweg ganze Stücke Tuch verkauft, aber stets 
doch nur einige wenige. 

Von ganz anderer Bedeutung ist dagegen, daß häufig die 
Zahlungen geschahen durch die Hand eines Dritten, 
Vierten, Fünften, die überhaupt nicht dem Gläubiger ver- 
pflichtet sind, gar nicht zu den Gesamthändern gehören. Tech- 
nisch wird das im Gegensatz zu „dare“ mit „exponere“ (deutsch 
„utgheven*) bezeichnet. Es heißt dann: ,Dedit ..., quos ex- 
posuit ©. Item dedit..., quos exposuit D“. Es springt in die 
Augen, daß diese mit großer Regelmäßigkeit so ausgedrückte 
Unterscheidung zwischen Begleichung der Schuld und Hingabe 
des Geldes von größter Bedeutung für die Fragen ist, die uns 
beschäftigen). Denn es ergibt sich daraus mit aller wünschens- 
werten Klarheit, daß man durchaus imstande war, die Ver- 
tragserfüllung eines Abwesenden zu trennen von ihrem 
In-die-Erscheinung-treten durch einen von ihm Be- 
auftragten. 

Es handelt sich jedoch hierbei nicht etwa um Anweisung der 
Forderung auf Dritte: das kommt auch vor und wird mit „monstrare, 
demonstrare, exhibere, bewisen“ ausgedrückt. Z. B. Nr. 114: 

Item monstravit mihi ad Crystianum de Heyda in foro 
beati Feliciani [einem der Jahrmärkte] 15 $, quos persolvet 
in nativitate Christi. 

Das war also eine Sache für sich. 

Den Grund zu jenem Verfahren aber, das sich zwar auch im 
Verkehr mit ortsansässigen Schuldnern findet, wird man darin zu 
suchen haben, daß dem auswärtigen Schuldner am Verfalltag 
(oder meist vielmehr zu der Zeit, wo er über Geld verfügte) die 
Reise nicht gelegen war und er deshalb einen Dritten mit der 
Zahlung beauftragte. 


1) Ausnahmsweise kommt ungenau vor: „dedit X, quos dedit Y*. — 
Die Belege sind so zahlreich zu finden, daß es sich nicht lohnt, sie einzeln 
zu zitieren. 





538 Ottomar Thiele 


standen Fronen bloß noch in einzelnen Provinzen!) und selbst da 
wurden sie in der Regel nur gegen Entschädigung verlangt, was 
übrigens auch in manchen Gegenden auf den Champart zutraf: 
Viele Bauern waren in Wirklichkeit freie Grundeigentümer. 

Während also, wie wir gezeigt haben, die Wirtschaften der 
Bauern, Metayers und Pächter überall an einem, durch die 
verschiedensten Ursachen hervorgerufenen und genährten Mangel 
an wirtschaftlicher Bewegungsfreiheit, vor allem aber an Kapr 
talien zu leiden hatten und daher in der Regel außer stand 
waren, den vollen Ertrag ihrer Güter zu erzielen, geschweige 
ihn denn zu steigern, war es mit denen des niederen Adek 
welcher vielfach der Landwirtschaft treu geblieben, in dieser 
Hinsicht nicht besser bestellt. Seine Lage war infolge der teuren 
Zeiten und hohen Lebensanforderungen, die seine soziale Stellung 
von ihm beanspruchte, allmählich immer unsicherer geworden, 
und nicht selten hatte er mit der Armut bitter zu kämpfen. 
„Trotz seiner Privilegien“, schrieb um 1750 voll Trauer en 
französischer Landedelmann ?), „richtet sich der Adel tagtäglich 
immer mehr zugrunde und der ,,tiers état‘ bemächtigt sich des 
Vermögens des Landes.“ 

In der Tat, der „dritte Stand“, und zwar in erster Linie die 
in den Städten wohnende Handel und Gewerbe treibende Bürger- 
schaft, die Privatiers, Unternehmer etc., hatten sich allmählich des 
Vermögens des Landes bemächtigt und waren, was noch mehr 
ins Gewicht fiel, die Gläubiger ihres an dauernder Finansnot 
leidenden Staates geworden, dessen Anleihen sich fast aus 
schließlich in ihren Händen befanden‘) Ihre Kapitalskraft, 
welche die Mittel zum Erwerbe bot, hatte die verarmte Land- 
bevülkerung zu großem Teil in die Städte getrieben: „Dens 


1) Schon im 16. Jahrhundert durften die gutsherrlichen Fronen nicht 
länger als 12 Tage im Jahre dauern und in manchen Gegenden (Lyon z. B.) 
nicht mehr als fünf. Später wurden sie immer mehr reduziert. (Darüber 
A. BABEAU, Le village, a. a. O. p. 175 und La vie rurale, a. a. O. p. 195) 

2) A. DE TOCQUEVILLE, a. a. O. p. 139. 

3) Dieses Mißverhältnis von wirtschaftlicher Macht und politischer Ohn- 
macht des dritten Standes war eines seiner hauptsächlichsten Agitationsmittel 
gegen den Absolutismus. 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 539 


das Wachstum der Bevölkerung“, sagt Quesnay!), „hängt ganz 
und gar von der Zunahme der Vermögensmassen, deren An- 
wendung und der Beschäftigung der Menschen ab. Diese finden 
sich überall dort zusammen und vermehren sich da, wo sie 
Reichtümer erwerben können.“ 

Zweifellos lag im Zurückfließen der Kapitalien aus der land- 
wirtschaftlichen Produktion, welche durch die einseitige Wirt- 
schaftspolitik der Regierung in eine gefährliche Krisis?) geraten 
war, der wichtigste Grund, welcher die rapide Abnahme der 
ländlichen Bevölkerung und die Flucht in die Städte bedingte. 
Am meisten hatten, wie bemerkt, die mittleren Güter darunter 
zu leiden. Von den kapitalskräftigen Großpächtern und Unter- 
nehmergesellschaften aufgesogen oder zerstückelt, geschah es, 
daß von den Ortschaften vieler Gemeinden, wo einst 5 oder 6 
Pächter erster Klasse, d. h. mit einem Areal zu 5—7 Gespannen, 
und vielleicht 8 oder 10 zweiter Klasse zu 2—3 Gespannen vor- 
handen gewesen waren, sich insgesamt nur noch deren 3 befan- 
den, welche durch Arrondierung der Äcker und Wirtschaften, vor 
allem aber durch Aufgeben der geringeren Böden, naturgemäß 
weniger Familien Unterhalt gewähren konnten, als es unter den 
früheren Verhältnissen möglich gewesen war. Und in der Tat 
vermochten sich in solchen Gemeinden, wo einst 15—20 Familien 
vom Ackerbau gelebt hatten, vielfach höchstens 5 bis 6 zu be- 
haupten. Die mittleren Pächter und Besitzer waren zu großem 
Teile in die Städte übergesiedelt und hatten sich anderen und 
einträglicheren Beschäftigungen zugewandt. Diejenigen, welche 
ihrem alten Berufe treu geblieben, waren infolge der schlechten 
Zeiten so mitgenommen worden, daß sie vielfach nicht mehr in 
der Lage waren, die Wirtschaft ihren Kindern zu übergeben, 


1) Artk. „Hommes“. 

2) Es ist außerordentlich interessant, zu beobachten, wie sehr die Wir- 
kungen der damaligen (abgesehen von der „Bauernfrage“) und der modernen 
Agrarkrisis in Frankreich trotz ihrer verschiedenen Ursachen, dort verkehrte 
Wirtschaftspolitik, hier die vernichtende Konkurrenz des billiger produzieren- 
den Auslandes, auf die Bevölkerung einander ähneln. (Man vgl. über die 
heutige, allerdings schon im Abnehmen begriffenen Agrarkrisis das sehr 
lesenswerte Buch von JULES MÉLINE, Le retour à la terre et la surproduc- 
tion industrielle, Paris, 1906; 4. Aufl. p. 99 ff.) 





540 Ottomar Thiele 


so daß diese oft gezwungen wurden, in den Städten, wo bessere 
Erwerbsverhältnisse herrschten, eine Existenz zu suchen. Das 
taten sie um so lieber, als hier die Annehmlichkeiten des 
Stadtlebens winkten, welche ihnen bald die Erinnerung an ihre 
öde und verarmte Heimat vergessen ließen. Sie ergriffen einer 
gewerblichen Beruf oder wurden Beamte, welch letzteres ihnen 
infolge des enormen Bedarfes jener Zeit an Subalternen, an Zoll 
und Steuereinnehmern, Wächtern, Kontrolleuren, an Angestellten 
der vielen staatlichen und privaten Großunternehmen etc. nicht 
allzu beschwerlich fiel. In solchen Fällen kamen sie zwar häufg 
wieder auf das Land zurück — denn die Verwaltung, resp. Er- 
hebung der vielen Verbrauchssteuern, Binnenzölle etc. hatte zahl- 
reiche Beamtenstellen in den Dörfern und Marktflecken ge 
schaffen — allein, lediglich in der Eigenschaft unproduktiver 
Zehrer, die dem betriebsamen Teil der Bevölkerung die an und 
für sich schon knappen Lebensmittel noch mehr schmälerten. 

Die unter den kleinbäuerlichen Bewohnern herrschenden Er 
werbsverhältnisse begünstigten die Landflucht noch in stärkeren 
Maße, denn diese Wirtschaften vermochten schon aus natürlichen 
Gründen nicht allen Mitgliedern der Familie Unterhalt zu bieten. 
Die Söhne der kleinen Pächter, Metayers und Bauern, mußten 
sich gewöhnlich anderwärts nach Arbeit umsehen. Konnten sie diese 
bei den reicheren Bauern oder Pächtern ihrer Heimat nicht fn- 
den, was bei der Güterkonzentration nicht selten der Fall war, 
so wurden sie von selbst in die Städte getrieben, um hier 
als Lakaien, Bediente, Läufer, Kutscher u. s. w. Unterkunft za 
suchen. Elend der wirtschaftlichen Lage und Mangel an aus 
kömmlicher Beschäftigung wirkten also zusammen. 

Noch vermehrt wurde die Bevölkerungsabnahme auf dem 
Lande durch den seit 1689 von Louvois allgemein eingeführten 
Service forcé, die „Miliz“ genannt‘). Sie war in der Haapt 


1) Ursprünglich verlangte man Militärdienste nur ganz ausnahmsweise. 
Es gab beispielsweise levées obligatoires en masse unter Ludwig XIII. im 
Jahre 1636, als die Spanier Corbie erobert hatten und Paris bedrohten. Im 
spanischen Erbfolgekriege kamen dann die Zwangsrekrutierungen (recrute 
ments forcés) auf; doch hob man damals vorzugsweise Landstreicher und 
Arbeitslose aus, daneben allerdings auch Unverheiratete im Alter von 18 ke 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 541 


he eine Art von lokaler Reserve für die regulären Truppen, 
che sich aus angeworbenen Freiwilligen rekrutierten. Obwohl 
ı die Zahl der Miliz im Durchschnitt auf rund 60000 Mann 
ef, in Kriegszeiten sogar auf 90000, so hatte sie doch 
nals eine ernstliche Rolle gespielt. Dennoch war die Furcht, 
ı Milizdienst durch das Los ausgehoben zu werden, unter 
Landbevölkerung allgemein verbreitet und gab zu wiederholten 
ıdgebungen Anlaß, die bis in die letzten Jahre der absoluten 
ıarchie gewährt haben. Um sich dem Militärdienste zu ent- 
ıen, verließen viele Bauern ihre Dörfer!) und siedelten in 
Städte über, wo sie verhältnismäßig gesichert waren, da das 
ıd den größten Teil, etwa zwei Drittel des gesamten Kon- 
sentes, aufzubringen hatte. Quesnay berechnet”), daß die 
cht vor dem Militärdienst und dieser selbst der Landwirt- 
aft einen Verlust von nahezu 2 Millionen Arbeitskräften inner- 
b von 30 Jahren (seit 1720) zugezogen hatte. Die Miliz loste 
jedem Zeitraume von 6 Jahren 40000 Mann, d. h. jährlich 
‘efähr 7000 Mann auf dem Lande aus, was etwa einem Achtel 
Zahl von denjenigen jungen Leuten der bäuerlichen Be- 
zerung entsprach, welche das 17. Lebensjahr vollendeten. 
* Dienstpflichtige empfing von seiner Gemeinde, die ihn außer- 
ı noch zum Teil unterhalten mußte (s. oben!), eine einmalige 
schädigung von 150, später 100 livres. beim Antritt seiner 
nstzeit, genoß während derselben Steuergrleichterung und 
h seiner Entlassung Befreiung von der „taille“ auf die Dauer 
as Jahres). Für die Landwirtschaft war natürlich diese 
nahme von jungen Arbeitskräften ein empfindlicher Verlust, 
sie noch weit härter traf, als viele Milizsoldaten während 
ziemlich langen Dauer ihrer Dienstzeit den Geschmack an 
r früheren, beschwerlichen ländlichen Beschäftigung verloren 


Jahren. (Darüber A. BABEAU, La vie militaire sous l’ancien régime, 1889. 
.p- 33 ff.) 

1) So verließen im Jahre 1729 beispielsweise nicht weniger als 20 Bauern 
Furcht vor dem Milizdienste ihr Dorf, das nur 2 Rekruten zu stellen hatte. 
2) Artk. „Hommes“. QuEsnAyY befürwortet hier die Einführung einer 
ice permanente“, die aus ständigen Mannschaften gebildet werden solle. 
8) A. BABEAU, Le village, a. a. O. p. 264. 

Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 86 


536 Ottomar Thiele 


möglich für ihre Ware, resp. Arbeiten, zu bezahlen pflegte, mußte 
sie für diesen Ausfall auf andere Weise zu entschädigen suchen: 
Er erwirkte nach und nach für die Salpêtriers die ausgedehntesten 
Privilegien, kraft deren sie beispielsweise von den Gemeinden 
freie Wohnung und Siederei, freie Stallung und Fütterung für 
ihr Gespann, freies Brennholz, freie Fuhren, unentgeltliche Ent- 
nahme von Salpetererde und Holzasche (zur Umwandlung des 
kalkhaltigen Salpeterausschlages in Kalisalpeter) zu verlangen 
hatten. Würde man die damaligen Leistungen der Gemeinden 
in Geld umrechnen, so kostete das Pfund Salpeter, welches der 
Generalpächter den ,Salpêtriers“ mit 7 Sous bezahlte, den fran- 
zösischen Staat ungefähr das Sechsfache, was bei einem Ver- 
brauch von 2—3!/s Millionen Pfund im Jahr, eine recht erheb- 
liche Belastung war. Zudem wußten die Salpetersieder ihre 
bevorzugte Stellung zu allerlei Mißbräuchen, Bedrückungen und 
Erpressungen auszunützen. Sie erschienen ohne vorherige Be- 
nachrichtigung in den Bauernhöfen, oft zur Zeit der Ernte oder 
Bestellung, und begannen nun in den Wohnungen, Ställen. 
Scheunen u. 8. w. nach Salpetererde zu graben, rissen die Fuf- 
böden auf, kratzten den Beschlag von den Wänden, unterwüblten 
die Grundmauern in den Kellern und pflegten dabei ihre Auf- 
merksamkeit insbesondere den ihnen unliebsamen bäuerlichen 
Wirtschaften zu widmen, die sie dann oft monatelang mit ihren 
Arbeiten belästigten. Kurz, die Salpetersieder galten allgemein 
als die wahren Geißeln auf dem platten Lande. 

Die anderen Dienstleistungen, welche die Gemeinden, resp. 
die bäuerliche Bevölkerung, für den Staat auszuführen hatten, 
bestanden in Fuhren zur Beförderung der Truppen, Munitions 
und Proviantmitteln etc., und außerdem in den seit den dreißiger 
Jahren allgemein eingeführten Wegebaufronen ?) (corvées), welche 
zur Anlegung und Instandhaltung jener bereits oben erwähnten 
prächtigen Heerstraßen verlangt wurden. An diesen Hand- und 





sie auf 800 begrenzt werden mußte. Über die Privilegien vgl. meine „Sa- 
peterwirtschaft“, a. a. 0.5. 83 ff. u. S. 224. 

1) Sie kamen um 1700 in einzelnen Provinzen in Aufnahme und wurden 
dann 1737- vom Contrôleur General verallgemeinert. (A. BABEAT, Le village. 
a. a. 0. p. 230 ff.) 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 537 


Spannfronen mußten sich alle Einwohner der in Frage kommen- 
den Gemeinden im Alter von 12—60 Jahren beteiligen, widrigen- 
falls sie schwere Bestrafungen zu erwarten hatten. Auch durfte 
sich niemand vertreten lassen oder gar davon loskaufen. Anfang 
und Dauer der Arbeiten war unbestimmt und wurde in jedem 
Falle von den einzelnen Intendanten willkürlich, d. h. je nach 
Bedarf und oft ohne Rücksicht auf die Feldarbeiten, festgesetzt. 

Dazu kamen die kirchlichen Abgaben, und obwohl, wie 
VAUBAN und CONDORCET bestätigen, der Zehnte (Dime) niemals- 
sehr drückend gewesen zu sein scheint, so wurde diese Steuer 
doch vielfach durch Zwangsbeiträge zur Instandhaltung der Kirche 
und durch eine ,retribution“ an den Ortsgeistlichen beträchtlich. 
erhöht. Weit stärker belasteten dagegen die bäuerliche Bevöl- 
kerung die Abgaben an den Seigneur. In Frankreich waren: 
zwar zu jener Zeit nur noch die Reste der grundherrlichen Ge- 
walt vorhanden, aber diese fanden sich in den verschiedensten 
Formen vor; vom Ehrenvasallen (vief d’honneur, der nur die 
nominelle Verpflichtung der „Treue und Huldigung“ hatte) bis. 
zum wirklichen Leibeigenen (serf, von denen es beim Einbruch: 
der Revolution noch über eine Million gegeben haben soll). 
Dem entsprach die Höhe der Abgabe, des ,Champart“. Am 
leichtesten als Champart foncier, den mancher Vasall als eine 
Art Grundrente zu bezahlen hatte, gestaltete er sich als Champart 
seigneurial am drückendsten (im Lyonnais und Beaujolais z. B. 
betrug er ‘/4—1/; der (Getreide-)Ernte, in der Dauphiné dagegen 
nur !/»), und hier kehrte sich der ganze Haß der Bauern gegen 
ihn. Dazu kam noch, daß die Seigneurs den Grundsatz „nulle 
terre sans seigneur“, welcher ursprünglich nur auf die grund- 
herrliche Gerichtsbarkeit (die noch bis zur Revolution allgemein 
bestand) Anwendung gefunden hatte, seit dem 16. Jahrhundert 
auch auf andere feudale Rechte übernahmen, und daß sie z. B. 
in diesem Sinne vielfach die ziemlich bedeutenden Allmenden 
(an Wald, Wiese und Feld) der Gemeinden für sich beanspruchten, 
um sie den Bauern wieder als eine Art von Geschenk oder Konzession 
unter Vorbehalt gewisser Rechte zu überlassen‘). Indessen be- 


paysanne en France dans le dernier quart du 18° sci, 1899, p. 19—76. 


544 Ottomar Thiele 


Volk durch die Not zur äußersten Anstrengung seiner Kräfte 
zwang, wurde sie nicht gewahr, daß auf diese Weise der Ertrag 
der Arbeit infolge wachsenden Kapitalsmangels und ständiger 
Bodenerschöpfung innerhalb einer nach außen geschlossenen 
Staatswirtschaft immer geringer werden mußte, und daß somit 
die schlimmste Ausbeutung von Menschen und Boden betrieben, 
mit anderen Worten, der Nationalreichtum des Landes statt ver- 
mehrt, vernichtet wurde‘). 

Dieses geringe Verständnis für die großen Agrarfragen der 
Zeit, welches bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts nicht nur in 
den hierbei zu allererst in Betracht kommenden Kreisen der 
Regierung, sondern ganz allgemein unter den Gebildeten herrschte, 
war damals, wo vornehmlich gesellschaftlicher Luxus und philo- 
sophische Schöngeisterei die leitenden Klassen zu interessieren 
schien, nicht wunder zu nehmen. Die Landwirtschaft war zu 
wenig vornehm und stand zu weit von jener übertriebenen Kultur 
entfernt, als daß man sich um sie hätte bekümmern müssen; 
sie betraf höchstens die „abseits von aller Bildung lebenden* 
Pächter und Bauern, von denen man nur in den Zeiten der 
Zinszahlungen wahrnahm. Dazu kam, daß die Regierung ihr 
Augenmerk ganz auf das Manufakturwesen und den Handel der 
teuren Luxuswaren gerichtet hatte, die im Inlande produziert, 
durch Verkauf an das Ausland Gold und Silber, den vermeint- 
lichen Nationalreichtum, ins Land bringen sollten. Sie schien 
die weisen Worte des berühmten Ministers Heinrichs IV., Sullys, 
dem sie einen großen Teil ihrer Macht und Frankreich seinen 
wirtschaftlichen und politischen Aufschwung schuldete, völlig 
vergessen zu haben, daß, wenn der Bauer reich ist, auch alles. 
mit ihm zugleich reich wird”). 








1) QUESXAY, Artk. „Hommes“; vgl. auch ST. BAUER, &. 8.0. S. 194 

2) Sully wollte die wirtschaftliche Macht des Staates auf eine blühende 
Landwirtschaft und auf ein geordnetes und sparsames Finanzwesen gründen, 
obwohl er gerade in letzterer Hinsicht beim Könige auf großen Widerstand 
stieß. Sein obiger Ausspruch scheint für den QUESNAY’schen vorbildlich ge 
wesen zu sein: Pauvre paysan, pauvre royaume; pauvre royaume, pauvre roi 
Überhaupt lehnt sich QUESNAY mehr an Sully an, als man bei seiner sonstigen 
Originalität vermuten könnte. In seiner Abhandlung „Maximes générales de 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 545 


Erst den Physiokraten gebührt das hohe Verdienst, ein all- 
emeineres agrarpolitisches Interesse nicht nur bei der Regie- 
ung, sondern auch in den höheren Kreisen der Gesellschaft 
rieder erweckt zu haben’). Besonders war es Quesnay, welcher, 
ank seiner nahen Beziehungen zu den einflußreichsten Persön- 
ichkeiten des Staates, in Wort und Schrift für die physio- 
ratischen Gedanken und die Hebung der Landwirtschaft erfolg- 
eich eintrat. Es ist für sein eifriges Bemühen um die Land- 
rirtschaft bezeichnend genug, wenn er in einer seiner Schriften ?) 
usdrücklich betont: „Unter allen Mitteln der Gütergewinnung 
ibt es kein besseres, reichlicheres, angenehmeres und des freien 
fannes würdigeres, als die Landwirtschaft... Was mich an- 
etrifft, so kenne ich keinen glücklicheren Lebenslauf als diesen, 
nd zwar nicht bloß seiner Nützlichkeit wegen, die dem ganzen 
fenschengeschlechte die Subsistenzmittel verschafft, sondern mehr 
‚och wegen des Vergnügens und des Überflusses, den er be- 
eitet; denn der Ackerbau bringt alles hervor, was das mensch- 
iche Leben und der göttliche Kult wünschen kann.“ Gesteigert 
rurden seine edlen Bestrebungen noch von dem Mitgefühl für 
lie traurige Lage der bäuerlichen Bevölkerung. „Auch er lernte 
las schreckliche Elend der Bauern kennen“, sagt Graf d’Albon 
‘on ihm, „und dieser Anblick hat auf ihn ebenso stark gewirkt, 
vie auf Rousseau“. Der Physiokratismus ist gewissermaßen von 
ler Bauernfrage geboren worden’). 

Die agrarpolitische Agitation der Physiokraten setzte in den 
ünfziger Jahren mit aller Stärke ein“), und damit begannen 


ouvernement économique d’un royaume agricole“ (Oeuvres, a. a. O.), geht er 
. B. auf Sullys „Economies royales“ zurück. 

1) Der Schöngeisterei eines witzigen Kopfes, wie VOLTAIRE, mochte natür- 
ich diese neue Strömung nicht behagen. Seine über den Physiokratismus 
pöttelnde Abhandlung, „L’homme aux quarante écus“, ist nur ein Ausbruch 
ieser Gefühle. 

2) In einer Anmerkung der Maximes générales, a. a. O. 

5) N. KARÉIEW, a. a. 0. p. 274. 

4) Die beiden Hauptagitationsartikel QUESNAYS über „Getreide* und 
Pächter“ erschienen Ende der fünfziger Jahre und machten großen Ein- 
ruck. Sein Freund und Schüler GouRNAY unterstützte ihn in seinen 
jemühungen aufs tatkräftigste. 


598 F. Keutgen 


koften to borge van Henneken Maken sime kumpane Kort 
Westvales. | 

Im N.St.B. 56 ist der Chef Maken allein als Gläubiger ein- 
getragen, während nach dem Handlungsbuch sein „kumpan“ 
Westvales als Verkäufer erscheint '). 

Dasselbe besagen ein paar andere Fälle, die SILBERSCHMIDT 
jedoch ebenfalls für sich verwenden will. 

Hermann Wittenborg notiert in seinem Handlungsbach 
(I. 5l): 

Notum sit, quod Michel famul[us] Johanni[s] de Dulmen 
tenetur mihi 13 m. d. ex parte Johanni[s] de Dulmen. 

Warum sollte der Gläubiger wohl diese Form der Buchung 
gewählt haben, wenn Michel das Geschäft wirklich im eigenen 
Namen abgeschlossen hatte? Offenbar ist hier doch das Haus 
Dulmen für Wittenborg sehr deutlich evident geworden. 

Und endlich, warum soll wohl der jüngere Tölner in seinen 
Geschäftsbuch zweimal eingetragen haben: 

pater meus [tenetur michi] ex societate eorum (Nr. 122 
und 812), 
wenn er wirklich nur mit seinem Vater und nicht mit dessen 
Gesellschaft zu tun hatte? 

Der junge Tölner war früher selbst Mitglied jener Gesellschaft 
gewesen; er hatte noch Forderungen an sie, die ohne ihn weiter 
bestand und in Rostock durch seinen Vater vertreten wurde. 
(tewiß, die Formen des Gesellschaftswesens sind noch nicht ® 
ausgebildet und gefestigt, als daß ganz selbstverständlich der 
junge Tölner gebucht hätte: 

societas patris mei tenetur mihi. 

Aber die Sache war dieselbe. Oder will man behaupten, 
wenn der alte Tölner gestorben wäre, ohne persönlich etwas 21 
hinterlassen, daß dann die Forderung des jungen hätte ausfallen 
müssen? Die Form der Buchung widerspricht dem, und der Ur 
sprung der Forderung macht es unmöglich *). — 


1) Vgl. noch unten S. 622 Anm. 1. 
2) Vgl. auch noch den Zahlungsvermerk der Gesellschaft $ 181: „Her 
nekino Tolner 362 }, quas in nostra societate habuit“. 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 547 


entgeltlich verteilen‘), In Rambouillet nahm sie Kreuzungs- 
versuche mit spanischen Merinos und französischen Schafen vor, 
die vorzüglich ausfielen und nach und nach ein so vortreffliches 
und reichliches Zuchtmaterial lieferten, daß gegen Ende des 
18. Jahrhunderts die Textilmanufakturen ihren Bedarf an feiner 
Rohwolle im Inlande decken konnten. 

Auf ähnlichen merkantilistischen Erwägungen beruhte die He- 
bung resp. Einführung der Seidenkultur und des Krappbaues in 
Frankreich. Die großen Seidenmanufakturen in Lyon pflegten da- 
mals ihr sehr beträchtliches, jährliches Bedarfsquantum ?) aus 
Indien, Spanien und Portugal, zum größten Teile aber aus 
den italienischen Provinzen Piemont, Modena, Turin, Mailand, 
Genua und Parma .zu beziehen, wo die Zucht der Seidenraupe 
außerordentlich blühte. Zwar hatte der Seidenbau in Frankreich 
schon um 1600 seinen Anfang genommen; allein er war im 
Laufe der Zeit immer mehr, bis schließlich zur Bedeutungslosig- 
keit herabgesunken?). Da man nun glaubte, daß Klima und 
Boden verschiedener französischer Provinzen, wie die Languedoc, 
Provence, Dauphiné, Gascogne etc., denselben ökonomischen 
Vorteil wie jene italienischen Provinzen zu bieten vermochten, 
so beschloß man, die Zucht der Seidenraupe wieder aufzunehmen 
und die nötigen Maulbeerbäume (mûriers blancs) anzupflanzen. 
Im Jahr 1732 wurden in den königlichen Baumschulen (pepinières) 
der Dauphiné nicht weniger als 340000 Stück weißer Maulbeer- 
bäume gezogen, von denen man über 200000 an die Interes- 


1) So wurden 1768 nicht weniger als 1000 Stück Merinos angekauft und 
7 Intendanten zur Verteilung übergeben. Am meisten bemühte man sich 
um die Hebung der Schafzucht in Burgund, wo sich die Verhältnisse am 
besten dazu eigneten. 

2) Die lyonnaiser Manufakturen verarbeiteten damals mehr als 2 Mil- 
lionen Pfund Rohseide im Jahre, was bei einem durchschnittlichen Preise 
von 15 liv. pro Pfund einen jährlichen Verlust von 8040 Millionen liv. 
an das Ausland bedeutete. 

3) Im Jahre 1668 gestattete ein Reglement die Wiedereinführung der 
Seidenkultur in den Rhöne- und Loiregegenden. Die Versuche blieben aber 
ohne Erfolg, vermutlich, weil man den gewöhnlichen Maulbeerbaum dazu 
benutzte. Der später verwendete Mürier blanc eignete sich für die fran- 
zösischen Verhältnisse weit besser. 


600 F. Keutgen 


daß der Herr des Verkäufers den Handel widerruft. Wenn 
diese für uns so außerordentlich wichtige Bestimmung der 
lauer Abschrift in den heimischen Lübecker Codices fehl 
wird sich das dadurch erklären, daß sie keinen eigentl 
Rechtssatz enthält. Sie findet sich indes noch in einem 
im Auftrag Alexanders von Polen hergestellten Druck !). 
Die Ergänzung für den Einkauf aber liefert wiederum 


Hamburger Recht 1270°): 


$ 369. En knecht ... enmak ok nen gud up ene [—: 
heren] kopen, de here engheef syne breve darup, sow: 
coft, dat he dat gelde. 


Das ist also der Fall des Lodeke Wisch und der des 
beke’?). 


Oder in andern Codices: 


Ok mach nen knecht kopen binnen edder buten la 
up sinen heren sunder sines heren willen effte breve. 
he dar baven dat mut he sulven betalen. 


Also auch da: soweit der Knecht mit Vollmacht seines H 
kauft, haftet dieser: wie in dem Fall des Schermbeke ‘). 
Verkäufer aber findet seine Sicherheit in der schriftlichen | 
macht, die der Herr dem Knecht ausgestellt hat. 


Die ganze Sache verhält sich mithin genau umgekehrt, 
SILBERSCHMIDT und andere sie sich vorgestellt hatten: sie 
hält sich so, wie es bei einem geregelten Handelsverkehr a 
möglich war. 


Und das alles wird mittelbar weiter bestätigt durch eine 
ordnung für den deutschen Kaufmann in London, 
nach jeder Neuankömmling, der 

des rechten begerende is, 
unter anderem gefragt werden soll, 
ofte he gemedet knecht sy des mannes, deswelken he 


1) Hacın, a. a. O., unter Chiffre P. 
2) Hacn, S. 527. 
3) Oben S. 696. 
4) Oben S. 597. 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 549 


‘widmen wollten, unentgeltlich verabreicht, was denn auch den 
gewünschten Erfolg brachte: Die Garancekultur entwickelte sich 
bald in einzelnen Teilen Frankreichs, besonders in den Rhöne- 
gegenden (Avignon), zu einem blühenden Wirtschaftszweige des 
Landes. Auch den Anbau von anderen wichtigen Farb- 
pflanzen, wie Wau, Pastel, Färberginster ete. suchte die Regie- 
rung zu fördern, um den blühenden Färbereimanufakturen, welche 
für einen großen Teil Westeuropas und des Orients in Luxusstoffen 
‚arbeiteten, die nötigen Rohmaterialien im Inlande zu verschaffen. 

Mit anderen, aber dem Wesen nach ähnlichen Mitteln ge- 
dachte man der daniederliegenden Landwirtschaft direkt helfen 
zu können. Wir sahen bereits, daß die Regierung, von irrigen 
Erwägungen geleitet, den geringen Anbau von Getreide durch 
Einschränkung des Weinbaues heben wollte. Die im Grunde 
durch sie verschuldeten (Mangel an Absatz!) niedrigen Weinpreise 
und die dadurch hervorgerufene Armut vieler Winzer genügten 
ihr, die Umwandlung der weniger ertragfähigen Weinlagen in 
Getreideäcker überall anzuempfehlen, trotz der in Fülle vor- 
handenen unbestellten Böden und trotz der damit notwendiger- 
weise verbundenen weiteren Reduktion der ländlichen Bevölke- 
rung?). Für die südlicheren Provinzen, wie z. B. für die 
niedere Languedoc, brachte man selbst nicht einmal Getreidebau, 
sondern Olivenpflanzungen an Stelle der Weinkultur in Vorschlag 


1) Allerdings geschah die Initiative der Wiedereinführung des Krapp- 
baues (denn derselbe hatte in Frankreich bereits im Mittelalter geblüht und 
war seit Ende des 16. Jahrhunderts immer mehr, bis schließlich zum Ver- 
schwinden zurückgegangen) von privater Seite aus: Ein Armenier, namens 
Althen, führte ihn um die Mitte des 18. Jahrhunderts im Vaucluse durch 
Königliches Privileg ein; 1760 versuchte Franzen ähnliches im Elsaß mit 
‚gleichem Erfolge. 

2) Da bei der Weinkultur die Verwendung von Ackermaschinen und 
Zugvieh unmöglich ist, so stellt sie sich als derjenige Zweig der Landwirt- 
schaft dar, „welcher“, wie QUESNAY bemerkt, „eine größere Zahl Menschen 
vorteilhaft beschäftigen kann, die Bevölkeruug am meisten fördert und den 
größten Handel mit dem Auslande zu bewerkstelligen vermag ...-Daher kann 
dieser Wirtschaftszweig zur Bevölkerung des Landes mehr beitragen als der 
Getreidebau, doch ist beim letzteren die Arbeit eines Menschen gewinn- 
bringender“. (Artk. „Hommes“.) 


602 F. Keutgen 


Damit aber erschien der Außenwelt die Gesellschaft als eine 
Einheit, und die Idee der Mitverpflichtung des „Kumpans“ malte 
sehr bald sich einstellen. 

Vielmehr: für das innere Verhältnis war sie ja von von- 
herein gegeben, da nach dem Gesellschaftsrecht Verluste von An- 
fang an geteilt wurden. Sollte es da Rechtens gewesen sein, 
daß der Gesellschafter daheim seine Verpflichtung zum Tragen 
seines Verlustanteils abschütteln konnte, sobald der Verlust die 
Deckungsmittel überstieg, die der auswärtige in Händen hatte? 

Und noch eins: es ist ja nur zu wohlbekannt, daß der Ge 
danke der Haftbarmachung eines Dritten gerade im 
internationalen und interlokalen Verkehr ein dem naivsten Rechts- 
bewußtsein innewohnender gewesen ist. Kam Gast A. seinen 
Verpflichtungen nicht nach, so hielt man sich ursprünglich an 
seinen Landsmann B., mochte der auch noch so wenig mit der 
Angelegenheit zu tun gehabt haben. 

Dieser barbarische Zustand mochte der Lage der Dinge ent- 
aprochen haben zu der Zeit, als ein englischer König das berühmte 
Privileg den „homines imperatoris“ verliehen hatte, als fremde 
Händler während einer kurzen Kaufzeit in der Themse auftauchten 
und wieder verschwanden. Aber er mußte überwunden werden 
durch Verträge, sobald die Handelsbeziehungen anfingen, sich leb- 
hafter zu knüpfen; sobald den Fremden feste Niederlassungen 
eingeräumt waren, Gäste oft jahrelang im Lande weilten, be 
ständig hin- und hergingen und in den Hansestädten etablierte 
Kaufleute auch in England, Flandern, Norwegen und Rußland 
bekannte Persönlichkeiten geworden waren. 

Videlicet quod ipsi aut eorum bona seu mereimonia inf 
idem regnum et potestatem pro aliquo debito, de qu 
fideiussores aut principales debitores non extiterint, nec pl 
aliqua transgressione facta seu facienda per alios quam pff 
ipsos non arestentnr nec graventur, 

lautet das wichtige Privileg, das Eduard II. von England an 
7. Dezember 1317 den deutschen Kaufleuten von der Gildehalls 
Teuthonicorum in London verlieh, nachdem partielle VerleihungeN 
im 13. Jahrhundert bereits vorangegangen waren '!). Soll etwa 


1) Meine Urkunden z. städt. Verfassungsgeschichte Nr. 482 $ 1 — 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 551 


zeugt wurden. Sie eignete sich am besten für die Großkultur, für 
welche sie nicht bloß eine Steigerung der Intensität durch eine öko- 
nomischere Ausnutzung der natürlichen Bodenkräfte, sondern auch 
- eine erhebliche Vermehrung der Viehhaltung bedeutete. In der Tat 
waren es denn auch in Frankreich die größeren Grundbesitzer und 
Pächter, welche die „Neue Kultur“ (nouvelle culture) in den 
fünfziger Jahren mit Erfolg erprobten‘!); die mittleren Wirt- 
schaften freilich standen ihr ablehnend gegenüber, da sie für 
die Besitzer oder Pächter derselben lediglich eine Erhöhung der 
Abgaben an die Empfänger des Zehnts und „Champarts“ (le 
dimeur et le terrageur) bedeutete. Indessen wußte die Regie- 
rung dieser Neuerung einen Teil ihres allgemeinen Nutzens für 
die Hebung der Landwirtschaft dadurch abzugewinnen, daß sie 
für die Verbreitung des Anbaues von Klee und Luzerne Sorge 
trug und bei der Anlage solcher „künstlichen Wiesen“ nicht 
nur Abgabenerleichterungen gewährte, sondern auch zur weiteren 
Ermunterung namhafte Prämien verteilte. 

Allein, so anerkennenswert auch immer all diese verschie- 
denen Maßnahmen waren, mit welchen die Regierung die 
daniederliegende Landwirtschaft zu heben versuchte, so wenig 
trafen sie doch das Grundübel, das die Agrarkrisis verschuldet 
hatte. Sie waren nichts als bloße „Instruktionen“, wie Quesnay 
im nachfolgenden Briefe bemerkt, sozusagen „Kleine Mittel“, 
welche vielleicht dazu dienen mochten, die Erwerbsgelegenheiten 
in der landwirtschaftlichen Produktion zu vermehren und die 
Neigung für die Landarbeit zu stärken. Die Hauptnöte der 
Landwirte freilich, die primären Ursachen des Übels, d. h. der 
mangelhafte Absatz der Erzeugnisse und die durch den Fiska- 
lismus etc. verursachte Unsicherheit und Reduktion des an und für 
sich schon geringen Reinertrages (produit net), vor allem aber 
der Mangel an den notwendigen Kapitalien, welcher letzthin den 
Verfall der Landwirtschaft und die Abnahme der bäuerlichen Be- 


1) Das TuzL’sche Buch wurde ins Französische übersetzt und erschien 1750 
in freier Bearbeitung. Es erregte das größte Aufsehen. Unter den Personen, 
welche die „Nouvelle Culture“ erprobten, befand sich auch QUESNAY. Er 
kaufte 1757 einen ziemlich ausgedehnten Besitz an und erzielte mit Hilfe 
des neuen Betriebssystems sehr günstige Resultate. (Vgl. Sr. BAUER, a. a. 0.) 


604 F. Keutgen 


Welk man myt encm anderen selscop maken wil, dese 
wol to, weme he sines gudes belovet; wente, wat de ene 
koft ofte vorgift, dat mot de ander betalen, so 
verne alse sin gut kert'). 

Die letzten Worte enthalten natürlich das (Gegenteil einer 

Beschränkung. 
Es wird dann ausgeführt, daß solche Gesellschaft über Vater 
und Mutter, Schwester und Bruder geht: 
wente de ene selschop mach gan to des anderen kisten 
unde nemen gelt unde gut darut; des mach vader unde 
moder nicht doen noch suster ofte broder; — 
zugleich ein Beweis dafür, daß die offene Handelsgesellschaft 
hier nicht aus der Familiengemeinschaft hervorgegangen 
sein kann. 

Indessen ist vertragsmäßige Beschränkung der Haftung zulässig: 
ane dat were sake, dat se under [en] ein ander bescheden- 
heit hebben gemaket, also myt stroffen edder breven erer 
ein up dem anderen to vorschele, also dat de ene nicht 
hogher kopen moghe, wen erer beider gut wert sy, edder 
enen summen geldes mer, wen ere zut wert sy ete.: 

beiläufig ein höchst interessanter Beleg für die spekulative 


Natur, die die Geschäfte angenommen hatten, mit der die 68 . 


setzgebung rechnet! Zum Schluß wird noch einmal versichert: 
wert dat so nicht vorwart tovorne: wes de ene borget, dat 
mach [-- muß] de ander betalen, so verne alse sin gut ker 

Die beschränkte Haftung ist also der durch Vertrag 
erst zu begründende Zustand, die unbeschränkte dr 
primäre, an sich vorausgesetzte. 

An dieser Einsicht darf man sich auch nicht durch den In 
stand irre machen lassen, daß in den Gesellschaftsverträge 
regelmäßig bestimmte Summen zusammengelegt werden. Ei 
Grundkapital, das zunächst zu den Geschäften verwandt werde 
soll, muß allemal bestimmt und aus dem Vermögen der Teilhaber 
ausgesondert werden: Die Haftung wird damit in keiner Weir 





1) Hacn, Abt. IV $ 7 (8. 553£.).. Aus dem Segeberger Codex, (kl, 
wenn auch erst spät geschrieben, seinem Inhalte nach „zu den ältestt? 
deutschen Rezensionen“ des Lübischen Rechts stimmt. Hach S. 121, 119. 


Francois Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 558 


Was zunächst das erste Mittel, und vor allen Dingen die 
Freiheit des Getreidehandels betraf, so war dieselbe, dank der 
literarischen und agitatorischen Tätigkeit der Physiokraten und 
ihrer Anhänger, durch königliches Gesetz vom 17. September 1754 
für das Inland eingeführt worden. Obgleich nun damit alle 
Binnenschranken, welche den Verkehr mit diesem wichtigsten aller 
Nahrungsmittel bisher gelähmt hatten, beseitigt worden waren, 
so wußte doch die so lange in „Gebundenheit“ gewesene bäuer- 
liche Bevölkerung in guten Jahren noch nicht den richtigen 
Nutzen aus diesem großen Vorteile zu ziehen; ganz abgesehen 
davon, daß es vielen wegen Kapitalsmangels unmöglich war, den 
Anbau ohne weiteres den neuen Verhältnissen anzupassen.. 
Andererseits wiederum sah sich die Regierung in schlechten 
Jahren nicht selten gezwungen, in einzelnen Gegenden vorüber- 
gehend zum alten Sperrsystem zurückzukehren‘), damit die 
Teuerung lokal blieb. Eine Besserung konnte hier nur der voll- 
ständig freie Getreidehandel, auch mit dem Auslande bewirken. 
Endlich mußte die Regierung den Verhältnissen Rechnung tragen 
und den Verkehr mit dem Auslande freigeben: Es geschah 
im Jahr 1764. Allein bald stellten sich die für das dem Mer- 
kantilismus noch zu sehr ergebene Frankreich unliebsamen Folgen 
dieses Gesetzes ein: Das billiger produzierende Ausland versah 
einen großen Teil der heimischen Märkte, und das so wie so 
schon knappe Bargeld wanderte auf diese Weise aus dem Lande.. 
Das mochte natürlich der Regierung nicht behagen, und in der 
Tat führte man nach Verlauf von fünf Jahren das Prohibitiv- 
gesetz wieder ein, erteilte jedoch bei Mißernten Exportlizenzen 
auf 3—6 Monate’). Bald kam man aber selbst auch davon 
wieder zurück und griff nun, um Hungersnöten vorzubeugen, zu 
dem bedenklichen Mittel, staatliche Getreidemagazine zu errichten 
und diese von Unternehmern durch Getreideankauf im In- und 
Auslande versorgen zu lassen. Vom Staate unterstützt*), ver- 


1) Das Sperrsystem nahm auf diese Weise wieder so überhand, daß 
die Freiheit des inneren Getreidehandels (Turgots Verdienst) im Jahre 1774 
durch Gesetz v. 13. Sept. von neuem eingeführt werden mußte. 

2) ST. BAUER, a. a. 0. 

3) So subventionierte z. B. Ludwig XV. eine „Compagnie des blés du 


554 Ottomar Thiele 


standen diese ihre Situation vortrefflich auszunützen. Preisstürze 
und Preistreibereien, die den privaten Getreidehandel ungemein 
schädigten, wechselten ab, und es dauerte nicht lange, so er- 
folgten Bankerotte dieser auf Kosten des Königs spekulierenden 
Kaufleute, deren Verluste der Staat zu tragen hatte !). Trotz aller 
Bemühungen traten Hungersnöte und Teurungen in schlechten 
Jahren nach wie vor ein: Die Freigabe des Getreidebinnen- 
handels erwies sich in Anbetracht der vorhandenen Produktions- 
zustände als unzureichend, und zu einem freien Grenzverkehr 
konnte man sich auf die Dauer nicht entschließen. 

Wesentlich besser gestaltete sich dagegen die Lage des Vieh- 
handels. Hier hatte man gleich zu Anfang nicht nur den Binnen-, 
sondern auch den Außenverkehr (seit 1763 durch Gesetz des 
Conseil) freigegeben und alle Abgaben, mit Ausnahme einer 
Kontrollsteuer von !/2°/,, bei Ein- und Ausfuhr des Viehes von 
‚einer Provinz in die andere, resp. vom Auslande nach dem In- 
lande, aufgehoben *. Die Wirkungen des Gesetzes machten 
sich bald bemerkbar: Die Viehhaltung nahm überall zu, und in 
den Grenzprovinzen und denjenigen Gegenden, wo gute Weiden 
vorhanden waren, hatte sich die Stückzahl innerhalb von 2 Jahren 
schon verdreifacht. Nicht wenig war dieser Erfolg allerdings 
der Pflege des Veterinärwesens zu verdanken, der man sich seit 
Beginn der sechziger Jahre immer mehr widmete, um der Vieh- 
abnahme infolge von Seuchen und anderen Krankheiten zu 
steuern. Man errichtete Tierarzneischulen zu Lyon, Limoges”) 
und Alfort und befahl auch beim Ausbruch epidemischer Vieh- 
krankheiten, die von den ersten Symptomen befallenen Tiere ab- 


Roi“, die das Getreide im In- und Auslande auf seine Rechnung ankaufte, 
um es in solchen Gegenden, wo Teuerung herrschte, wieder zu verkaufen. 
Der König trug alle Kosten und gewährte der Gesellschaft 2°, Vergütung 
beim Einkauf des Getreides und den gleichen Betrag beim Verkaufe. Das 
ganze Spekulationsgeschäft ging also auf Kosten des Königs, resp. des s0- 
wieso schon an dauernder Finanznot leidenden Staates. 

1) St. BAUER, a. a. 0. 

2) Damit war auch zugleich der Bezug von natürlichen Düngstoffen er- 
leichtert worden. 

8) Sie wurde 1767 von Turgot gegründet, mußte aber bereits nach zwei 
Jahren wieder geschlossen werden, weil die Mittel für den Unterhalt fehlten. 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 555 


zusondern und die schwer erkrankten zu töten. In letzterem 
Falle pflegte der Staat den dritten Teil vom Werte des Stückes 
dem Eigentümer zu vergüten !). 

Im übrigen soll nicht unerwähnt bleiben, daß der Minister 
Turgot der bäuerlichen Bevölkerung noch nach einer anderen 
Richtung hin, größere Bewegungsfreiheit in ihrem ländlichen 
Berufe zu verschaffen wußte. Er hob 1775 die „fouille“, d.h. 
die außerordentlich lästige Gerechtigkeit der Salpetersieder, in 
den Bauernwirtschaften überall nach Salpetererde suchen und 
graben zu dürfen, auf’) (nachdem er bereits das Generalver- 
pachtungssystem beseitigt hatte) und gestattete den Gemeinden 
die Ablösbarkeit aller unentgeltlichen Lieferungen und Dienst- 
leistungen an die Salpetersieder in dem Falle, wenn sie für sich 
oder in Gemeinschaft mit anderen eine Salpeterplantage *) auf 
ihre Rechnung anlegten und betrieben. Für die Gemeinden war 
das nicht nur eine wesentliche Erleichterung, es bedeutete zu- 
gleich auch für sie die Möglichkeit, sich einen nicht unbeträcht- 
lichen Gewinn zu verschaffen, da ihnen der Staat die auf diese Weise 
produzierten Salpeterstoffe im laufenden Preise gut bezahlt machte. 

Den Hauptplan freilich, welchen Turgot bei der Übernahme 
des Ministeriums im Auge hatte, die ländliche Bevölkerung von 
der Willkür der Besteuerung zu befreien, und die drückende Last 
ihrer Abgaben an den Staat zu mildern, konnte er nicht zur 
Durchführung bringen®). Er scheiterte an demselben Wider- 
stand des Königs und der privilegierten Stände, wie bereits 
16 Jahre vor ihm Silhouette, der damals die ,taille“ im Inter- 
esse der Landwirtschaft mindern wollte 5). 


1) A. BABEAU, La province, a. a. O. p. 249. 

2) O0. THIELE, Salpeterwirtschaft, a. a. O. S. 145 fl. 

3) Diese Plantagen, welche in Frankreich nach Verlauf von zwei Jahr- 
zehnten schon allgemein verbreitet waren, erzeugten die salpeterhaltigen 
Stoffe auf künstliche Weise, d. h. durch einen Nitrifikationsprozeß von aller- 
lei pflanzlichen und vegetabilischen Abfällen, Düngstoffen u. s. w. Freilich 
schädigten sie dadurch wiederum die Landwirtschaft, indem sie ihr einen Teil 
ihres natürlichen Düngers entzogen. 

4) Man vergleiche darüber LrPPERTS Artikel über Turgot im Handwörter- 
buch der Staatswissenschaft; Bd. VII. S. 233. 

5) Darüber ST. BAUER, a. a. 0. 


556 Ottomar Thiele 


Damit sind wir bereits bei dem zweiten „Großen Mittel“ ange- 
langt, welches die Regierung zur Beseitigung der Agrarkrisis nach 
Ansicht der Physiokraten anzuwenden hatte: Die Sicherheit des 
landwirtschaftlichen Ertrages. Wie schon Vauban im „Dime royal: 
eine einheitliche und feste Besteuerung des landwirtschaftlichen 
Reinertrages in Vorschlag gebracht hatte, (an Stelle der vielen Ab- 
gaben und Einzelsteuern, vor allem aber der taille, welche jede 
Art des angewandten Wirtschaftskapitals gesondert belangte), 50 
sahen Quesnay und seine Anhänger im „impöt unique“ des 
„produit net“ die beste Möglichkeit, dem Landwirte die Sicher- 
heit seines Kapitals, die Beständigkeit seines Ertrages und 
damit die hauptsächlichsten Bedingungen für eine gedeihliche 
Bewirtschaftung und Kapitalinvestierung zu bieten. Leider war 
an eine Verwirklichung dieses Steuerprojektes bei der schlechten 
Finanzwirtschaft des Staates nicht zu denken. Doch muß es 
den Bemühungen der Physiokraten zugeschrieben werden, wenn 
auf diesem Gebiete wenigstens eine Besserung in gewissen 
Fällen eintrat, d. h. die Gewährung von Steuer- und Abgaben- 
erleichterung bei Urbarmachung von Morästen, Einöden, bei In- 
kulturnahme von verlassenen Böden oder bei Eingehung lang- 
fristiger Pachtungen etc. Indessen gebührt ihnen dieses Ver- 
dienst nur indirekt, denn unmittelbar hatten es die „landwirtschaft- 
lichen Gesellschaften“ (Sociétés d’agricultures) zu beanspruchen, 
welche auf Betreiben Quesnays und Gournays!) gegen Ende der 
fünfziger Jahre entstanden, später in allen Teilen des Landes ge- 
gründet wurden?) und die mit den Physiokraten ständige Be- 
ziehungen unterhalten zu haben scheinen. Vielfach gingen sie aus 
provinzialen „landwirtschaftlichen Beiräten* (assemblées) hervor, 


1) Gournay gründete die erste dieser Gesellschaften unter Mitwirkung 
der „Stände“ im Jahre 1757 zu Rennes in der Bretagne. (A. BABEAU, La 
province, a. a. 0. p. 234). Doch befaßte sich diese erste Sozietät, wie schon 
ihr Name andeutete, Societ€ d’Agriculture, du Commerce et des Arts, auch 
ınit der Hebung der Industrie des Landes. (Man vgl. über ihre Tätigkeit: 
„Corps d’observation de la Société d’agriculture ete., établi par les Etats de 
Bretagne, 1760.) 

2) Diese Sozietäten fanden in Deutschland eine Nachahmung in den 
„Ökonomischen Gesellschaften“, wie sie z. B. in Potsdam, Leipzig, Frankfurt, 
Breslau u. s. w. bestanden haben. 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 557 


welche die einzelnen Intendanten auf Geheiß des Contröleur ge- 
legentlich zusammenzurufen pflegten, um sich über aktuelle land- 
wirtschaftliche Fragen, die speziell ihre Generalität betrafen, von 
Praktikern, wie größeren Pächtern und Grundbesitzern, unter- 
richten zu lassen. Auf diese Weise entstanden nach und nach 
in 21 Provinzen nicht weniger als 18 solcher Sociétés d’agri- 
culture ?), die es sich angelegen sein ließen, der ländlichen Be- 
völkerung praktische Belehrungen und Ratschläge zu erteilen ?), 
sowie auch der Regierung Vorschläge zur Hebung der Land- 
wirtschaft zu unterbreiten. Zu letzterem Zwecke traten sie mit 
einer besonderen Körperschaft, dem Comité d’agriculture, in 
Verbindung, welches im Jahre 1760 unter dem Contrôleur Général 
gebildet worden war und sich aus 5 Staatsräten (Conseillers 
d’Etat) und 3 auf landwirtschaftlichem Gebiete hervorragenden 
Privaten zusammensetzte?). 

Das erste Projekt, welches dieses Komitee dem Könige 
zur Linderung der herrschenden Agrarnot vorlegte, galt der 
Wiederurbarmachung verwahrloster und aufgegebener Äcker. 
Der König willfahrte dem Vorschlage und gewährte durch Gesetz 
vom Jahr 1762 denjenigen Landwirten, welche sich diesen 
Arbeiten unterzogen, Befreiung von allen staatlichen Steuern 


1) Jede Sozietät wurde durch besonderen Erlaß des Conseil gegründet, 
nachdem ihre Mitglieder vom Könige ausdrücklich dazu berufen worden 
waren, was ihr Ansehen und damit auch ihren Einfluß wesentlich erhöhte. 
Es gehörten diesen Sozietäten über 2000 Mitglieder an, die unbesoldet tätig 
waren. 

2) So bildete z. B. Sarcey de Sutières, ein Mitglied der pariser Société 
d’agrieulture, alljährlich 12 junge Bauernsöhne in der regelrechten Landwirt- 
schaft auf seinem Gute bei Compiègne aus und gewährte ihnen unentgeltlich 
Unterhalt während dieser Zeit. (L’Avant Coureur, 1772 p. 70 ff.) 

3) Das Komitee trat wöchentlich einmal unter Vorsitz des Contröleur 
General im Louvre zusammen, um die laufenden Geschäfte, besonders die 
Korrespondenz mit den Intendanten zu erledigen und nach deren Berichten 
und Erhebungen ihre Dispositionen zu treffen. Im Jahre 1784 plante man, 
diese Körperschaft zur ,, Société Royale d’Agriculture de France“ umzuwandeln 
und aus ihr ein Zentralorgan (unter Lavoisiers Leitung) zu schaffen, für das 
nicht nur alle Sociétés d’agriculture des Landes, sondern auch alle auf dem 
Gebiete der Agrikulturwissenschaft namhaften Gelehrten Frankreichs und der 


anderen Kulturländer gewonnen werden sollten. 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte, IV. 37 


612 F. Keutgen 


nung der Verhältnisse erreicht wie heute, wurden noch häfs 
Gesellschaften auf kurze Zeit und mit wechselnden Teilhaben 
geschlossen: so besaßen dagegen dennoch die führenden Ka 
leute in unseren Hansestädten ihre festen Verbindungen, ihre 
lebenslänglichen Gesellschafter, mit denen gemeinsam sie ihren 
Handelsgewerbe oblagen. 

Nur so, endlich, ist zu verstehen, wie der hansische Handel 
die bedeutende Ausdehnung annehmen konnte, die ziffermälig 
belegt ist, und wie er jahrhundertelang der Gegenstand so ge- 
waltiger politischer Anstrengungen wurde, die eben ausmachen 
die Geschichte der deutschen Hanse. 


Francois Quesnay und die Agrerkrisis im Ancien régime. 559 


der Marquis de Perusse, welcher sich hierbei außerordentlich ver- 
dienstlich machte. Er siedelte mit Einwilligung des Königs 
200 Familien, ,Acadiens“ (insgesamt 2370 Personen, darunter 
auch Ausländer) in der Gegend von Poitou an und machte mit 
deren Hilfe große Strecken wieder kulturfähig. Der König hatte 
diesen Familien eine Gesamtsubvention von 1'/; Millionen livres 
bewilligt, während der Marquis einer jeden 30 Morgen Land 
zuwies und für ihre Unterkunft, desgleichen auch für die Be- 
schaffung von Vieh, Ackergeräten etc. Sorge trug, 

Andere Personen des hohen Adels suchten durch private 
Tätigkeit die Kreditnot ihrer Pächter zu lindern und ihnen die 
Mittel zu bieten, den Ertrag ihrer Wirtschaften durch Vornahme 
von Meliorationen aufzubessern. So hatte beispielsweise der 
Marquis de Turbilly in der Generalität von Soissons (Election 
Château-Thierry) seinen Pächtern bereitwilligst geholfen, indem 
er ihnen unentgeltliche Vorschüsse und andere Vergünstigungen 
gewährte. Ein anderer Grandseigneur, der Marschall von Mire- 
poix, hinterließ bei seinem Tode dem Administrator seiner Be- 
sitzungen eine Dotation von 10 Millionen livres für seine Pächter 
mit der Bestimmung, ihnen daraus unentgeltliche Vorschüsse bei 
Hagelschlag, Viehseuchen oder bei Meliorationen zu leihen’). 
Auch viele religiösen Gemeinschaften, geistlichen Orden ete., ließen 
bei der Verpachtung ihrer Ländereien große Nachsicht walten. 
Sie pflegten ihre Äcker auf Lebzeiten, nach Art der englischen 
life tenure (für eine oder mehrere Lebzeiten) zu vergeben, ohne 
den Zins später zu steigern. Auf diese Weise erweckten sie 


dazu, Soldaten zu diesem Zwecke zur Verfügung zu stellen, und beabsichtigte 
1786 sogar alle diejenigen Grundbesitzer, welche sich zur Vornahme der Auf- 
bereitung weigerten, mit einer schweren Steuer zu belegen. 

1) QUESNAY rühmt diese Wohltat des Marschalls in seinem Artikel „Hommes“ 
und fügt hinzu, daß, wenn alle Grandseigneurs diesem Beispiele folgen würden, 
die Not der großen Masse der Pächter bald beseitigt wäre. Die Pächter 
hatten mit der obigen Dotation ihres Gutsherrn keinen Mißbrauch getrieben 
und waren ihren Verpflichtungen pünktlich nachgekommen. — Auch der Staat 
wollte sich auf ähnliche Weise betätägen. Er beabsichtigte im Jahre 1789 die 
Oktroipfennige der großen Städte und den dritten Teil des Kirchenzehnts an 
die Departementskassen abzuführen, um den Landwirten daraus Vorschüsse 
zu leihen. 


614 F. Keutgen 


und im Niederstadtbuch (MoLLwo) 88 9, 15; sowie als Schuldner, 
Niederstadtbuch 88 10, 20, 21, 32. 

In regelmäßigerer Verbindung als mit den übrigen hat er 
dabei mit seinem Verwandten Markward Wittenborg, dem 
Wechsler (campsor), gestanden, mit dem gemeinsam er auch 
mehrfach als Schuldner im N.St.B. auftritt (88 10, 20, 21; 
sonst Handlungsbuch I 88 15, 16, 24, 25, 27, 32), sowie mit 
Johann von Dülmen ($$ 15, 16, 24, 25, 32, 51); mehrfach, 
wie man sieht, mit beiden gleichzeitig in demselben Unternehmen: 
wie denn auch Markward und Dülmen noch untereinander Be- 
ziehungen haben (N.St.B. 8$ 11, 12 und 16a: eine societas 
mit 1190 m. d. Kapital). Außerdem besaß Hermann Wittenborg 
mit dem letztgenannten von 1310—1318 ein Haus (Ober-Stadt- 
buch, Mozzwo 88 1, 3) und seit dem 14. April 1320 (Lüb. UB, 
Bd. II, Nr. 389) das Dorf Naschendorf „cum omni iure et libertate 
et commoditate et iudicio“ (Handlungsbuch I $ 21). Endlich 
wird Heinrich Volmestene (Handlungsbuch I $ 7, vgl. oben) noch 
von Wittenborgs Witwe als „meus socius“ bezeichnet ($ 52). 

Das mag zu einer ungefähren Vorstellung ausreichen. Im 
übrigen aber sehen wir nur, daß das Verhältnis der Kapital- 
beteiligung ein sehr verschiedenes sein konnte. Der nach der 
üblichen Lehre als ,Kapitalist“ Bezeichnete (weil er die größere 
Einlage macht) war ein andermal der Minderengagierte und borgte 
selbst seine Kapitaleinlage wohl erst zum Teil von seinem Partner 
($ 15). Ferner wird weder je eine bestimmte Reihe von Jabra 
für die Dauer der Gesellschaft angesetzt, noch erscheint diese 
nur für ein Einzelunternehmen eingegangen. Von der Gefahr 
ist, wie im Stadtbuch, nur ausnahmsweise die Rede (88 14, 15} 

Dem entspricht denn auch im großen und ganzen das Ge 
bahren des Sohnes, nur daß wir bei ihm viel reichlichere Auf- 
schlüsse erhalten, wenn auch nicht sogleich in den ersten Jahren. 
Wir stoßen auch hier nirgends auf eine Gesellschaft nach Art 
der doch nicht so sehr viel jüngeren der Veckinghusen und 
Genossen ') oder auch der ungefähr gleichaltrigen der Tölnern 


1) In Srıevas Hansisch-Venetianischen Handelsgesellschaften. Vgl. obe 
S. 475 und S. 609. 


—_— 


ils —. = _ 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 561 


Physiokraten, begann die Regierung in ihrer Agrarpolitik, sich 
immer mehr von dem veralteten Merkantilsystem loszumachen, 
um sich freiheitlicheren Bestrebungen zu widmen. Leider fand 
sie bei ihren ausführenden Organen, d. h. bei denjenigen, welche 
mit dem Volke in unmittelbare Berührung kamen und ständige 
Fühlung mit ihm bewahrten, nicht das richtige Verständnis für 
die Fragen der Zeit. Die Subdélegués vor allem, welche von 
ihrem Regieren alten Stils und Bevormunden der Bevölkerung 
bis ins Einzelne nicht lassen mochten, zeigten sich für die 
Durchführung der von der oberen Leitung erteilten Reformdirek- 
tiven wenig geeignet, und die bedeutenden Erfolge, welche die Re- 
gierung auf den verschiedensten Gebieten der Landwirtschaft tat- 
sächlich erzielte'), hätten weit allgemeiner und wirksamer sein 
können, wenn jenes Hindernis zu beseitigen gewesen wäre. 
„Die Subdelegues“, so klagte schon Colbert”), „mißbrauchen 
sehr oft eine Gewalt, die sie nicht auszuüben verstehen und die 
sie so weit zu treiben pflegen, als ihre Einbildung, ihre Leiden- 
schaften und ihre Interessen es ihnen raten; das ist ein großes 
Übel.“ Dieser Übelstand in der Regierung war es denn auch, 
welcher sie bei der großen Masse der Bevölkerung verhaßt und 
in ihren wohlgemeinten Bestrebungen verdächtig machte. Sicher- 
lich hat er in hohem Grade mit dazu beigetragen, daß die überall 
begonnenen Reformen durch die Leidenschaften des Volkes, welche 
die Regierung nicht mehr im Zaume zu halten vermochte, 
schließlich in Revolution umschlugen. — 

Die nachfolgenden beiden Briefe stammen aus der Zeit, in 








1) A. BABEAU bemerkt, daß der Wert der Güter z. B. in der Languedoc 
von 1762—1789 um das Doppelte zugenommen hatte. In Le Maine war die 
Zahl der Pachtungen im Jahr 1777 um ?/, gestiegen und doch bestand noch 
immer eine starke Nachfrage, ebenso in der Picardie. Der Preis des Viehes 
hatte sich verdoppelt. Die Bevölkerungsziffer auf dem Lande war gestiegen etc. 
(La vie rurale, a. a. O. p. 137 ff.) 

2) A. BABEAU, La province, a. a. O. p. 70. Auch QuEsnay hegt den- 
selben Gedanken, wenn er in seinem Artk. „Hommes“ sagt: ‚Der Despotis- 
mus ist nie etwas anderes, als eine Verbindung des Herrschers mit einzelnen 
Gliedern des Staates, die mächtiger als der Souverän selbst geworden sind. 
Der Despotismus des Monarchen ist ein Unding, er hat niemals bestanden, 
denn es ist unmöglich, daß er überhaupt bestehen kann.“ 


618 F. Koutgen 


kamen Wittenborg selbst nur 90 m. 14 s. zu. Immerhin hätten 
wir hier aus dem Stadtbuch zwei Geschäfte, von denen sich im 
Handlungsbuch keine Spur findet. Und so verhält es sich mit 
noch einem Geschäft aus derselben Zeit. Wenigstens schuldet 
nach N.St.B. $ 48 am 14. Oktober 1856 Thidemann von Lynne 
an Joh. Wittenborg und Gottschalk Wyse 196 m. d., worüber 
wir sonst nichts wissen. 

Als gemeinsame Gläubiger erscheinen dieselben beiden auc 
am 10. August 1357 (N.St.B. $ 51) für 369 m. d. (Schuldner 
Joh. Paternostermaker und Joh. Krukowe), obgleich nach dem 
Handlungsbuch $ 242 Wittenborg nur zu '/s daran beteiligt war. 
Es handelte sich auch diesmal um Einfuhr aus dem Osten: 6 Mille 
Pelzwerk. 

Dieselbe Art von Geschäften betreiben Wittenborg und Wise . 
denn auch weiter gemeinsam: Silber wird nach Dorpat ge 
schickt ($ 267, 268), Wachs und Pelzwerk kommen dafür zurück 
und werden gemeinsam verkauft (88 315, 316, 318; N.St.B. 58)'). 

Dabei aber ist wesentlich folgende. Das Silber geht ar 
Hälfte mit einem Schiff nach Ostern 1358, zur Hälfte mit dem 
nächsten nach Pfingsten. Die erste Partie (3 267) 

bebe ie Wittenborch allenigen utghelenet; 
dennoch ist dieses mit Wises Marke gezeichnet, der auch 
steyt dat eventure half. 

Das nächste Mal soll er 

also wele integen legen sulveres unde senden dat to Darpete 
up user twiger gewin unde vorlus unde eventure. 

Als es aber dazu kommt, notiert Wittenborg ($ 268) 

do sande Gosseallic Wise unde ic ..., dat ung berdi 
tohoret. 

Man kann sich leicht ausmalen, zu wie irrtümlichen Au 
legungen entsprechende Eintragungen im N.St.B. Anlaß gegebe 
hätten, wo wahrscheinlich jedesmal einer von beiden als „Kap 
talist“, der andere als „Tractator“ erschienen wäre. | 

Wenn es nun gilt, die gemeinsamen Geschäfte dieser beider 


1) In $ 315 ist 1359 offenbar Schreib- oder Druckfehler statt 13% 
Vgl. die folgenden Paragraphen und das N.St.B. 


Literatur, 





ALBERT DEMANGEON, La Picardie et les régions voisines, Artois-Cambresis- 
Beauvaisis. Paris, A. Colin. In-8°, 496 pages, XVII planches et 
3 cartes hors-texte. 

La région que M. DEMANGEON s'est proposé d'étudier „ne correspond 
exactement ni 4 l'étendue naturelle d'un terrain particulier, ni à la 
circonscription artifieielle d’un territoire administratif"; elle comprend 
trois Anciennes provinces, la Picardie, l'Artois, le Cambrösis, et s'étend 
sar quatre départements, l'Oise, la Somme, le Pas-de-Calais et l’Aisné. 
D’après M. DEMANGEON, la ,, Plaine Picarde“ n’a conquis 8a personnalité 
géographique qu’à la suite de l'intervention de l’homme, qui, en l'ex- 
ploitant au cours des siècles, lui a donné sa physionomie propre. 

L'étude géologique, climatérique et hydrographique dt pays forme 
la première partie du livre de M. DEMANGEON. Nous n'avons pas ici 
à en examiner la valeur; il nous suffit dé dire que la lecture n’en est 
pas trop ardue pour un profane, et qu'elle se trouve singulièrement 
facilitée par l’adjonction de cartes, de schémas et dé photographies. 

La seconde partie, toute de ,,géographie humaine“, nous intéresse 
davantage: c’est une longue suite de chapitres bien distincts sur l’agri- 
culture, l’industrie, les voies de communications, l'économie rurale et 
urbaine, les divisions territoriales, qui forment autant de petites mono: 
graphies historiques et descriptives, résumant l'état des connaissances 
à l'heure actuelle sur la question. 

Le chapitre sur l’agriculture sert très justement de point de départ 
à tous les autres. Le sol en partie couvert de forêts, a été défriché. 
au moyen âge par les moines, et s’est couvert de paturages, de blés 
et de vignes. Les cultures ont évolué: aux vignes ont succédé les 
plantes oléagineuses et textiles dès le XVIe sièele, aux céréales s'est. 
substituée la betterave à sucre à partir du XIXe. 

D’une des principales ressources du sul, le paturage, est née l'industrie, 
L'élevage des moutons, très important 4 l’origine, a dééidé la vocation 
des „villes drapantes“, Amiens, Arras, Beauvais, Saint-Quentin, Abbe- 
ville, qui, de leur situation sur des rivières propices 4 la teinture des 
étoffes, ont tiré les plus grands avantages. Quand l'élevage eut fait 
place à la culture intensive, ces villes firent venir leurs laines de 
l'étranger, sans que leur industrie souffrit de cette transformation. 

Avec l’agriculture et l’industrie se sont développées les voies de 
communication. Paris et les Flandres, comme deux pôles, ont attiré 


564 Referate. 


vers le sud et vers le nord les produits manufacturés et l’exc&dent des 
récoltes. Les routes et les canaux se sont réglés sur ces courants 
commerciaux. Les voies transversales, allant de l’est à l'ouest, ont 
été sacrifiées: la Somme, entre autres, dut à sa mauvaise orientation, 
presque autant qu’à l’ensablement de son estuaire, la déchéance de son 
trafic. Loin de prendre de l'importance de sa jonction avec l'Oise et 
l’Escaut, elle est devenue un simple émissaire, un modeste affluent de 
la grande artère navigable de la région, le canal de Saint-Quentin. 

Pour répondre aux exigences des marchés flamands et parisiens, 
la culture fut poussée jusqu’à son plus grand développement: pas un 
coin laissé sans sillon, pas de terres vaines ou vagues, peu ou point 
de biens communaux. Le sol très morcellé fut partout mis en valeur. 
Ce régime de la propriété a engendré un type d'habitation spéciale, 
où la grange, réceptacle des grains et des récoltes, occupe la place 
principale au détriment des étables. La disposition de ces habitations 
rurales, les lois qui ont présidé à leurs groupements, l'origine et le 
développement des villes, ont fourni à M. DEMANGEON l'occasion d'un 
chapitre attachant, peut-être un des plus originaux de tout le livre. 
Les cartes et les plans qui accompagnent le texte font ressortir les 
types d'agglomération propres à la région, qu'avait déjà fixés M. VIDAL 
DE LA BLACHE, dans son magistral Tableau de la géographie de la 
France. 

Dans toute cette suite d'études ingénieusement reliées entre elles, il est 
difficile de trouver la place logique d'un chapitre assez caractéristique 
cependant „La côte, les Bas-Champs, les estuaires“. M. DEMANGEON 
en convient lui-même, ,par son histoire physique, par la nature de 
son sol, par sa situation, la côte picarde est un pays nettement détaché 
du plateau contre lequel il s’adosse, c'est un territoire original qu 
demande sa place isolée dans la description géographique“. 

C'est en effet une étude speciale que nécessiterait cette côte dont 
la mer ne cesse d’arrondir et d’émousser les parties convexes, de 
combler les parties concaves. Il y aurait, croyons nous, un grand intérêt 
à rapprocher, sans sortir de France, ces phénomènes d'alluvionnemeat 
et d’erosion de ceux qui se produisent sur tout le littoral océanique 
Peut-être la progression du flot est-elle plus sensible à Ault-sur-mer 
qu'en Médoc, mais à coup sûr son retrait dans le Marquenterre ne 
diffère pas de celui qui s’observe dans la Saintonge, l'Aunis et le Poitou. 
La situation de Saint-Quentin en Tourmont, menacé de l’envahissement 
des sables, se retrouve identique à Escoublac, dans le pays nantais 
à Soulac, dans le Médoc, à Notre-Dame de Buze, en Arvert. L',oyat 
à l’aide duquel les flamands tentaient de fixer les dunes au XVII: siècle, 
fait penser au „duranme“ qu'on employait dans le même but sur le 
littoral vendéen !). 

M. DEMANGEON semble s'être interdit tout rapprochement de ce genre. 
Il n’a fait qu’esquisser cette étude sans entrer dans les détails qu'un 


1) Le nom scientifique de l’oyat est ammophila arenaria (DEMANGEON. 
p. 195). Sur le duranme ou duream (arundo arenaria), cf. J.-A. CAVOLEA, 
Statistique de la Vendée, Fontenay-le-comte, 1844, in-8°, p. 166. 


Referate. 565 


pareil sujet comporterait. Mieux que tout autre il doit savoir l’impor- 
tant travail qu'il y aurait à entreprendre sur ce point comme sur 
beaucoup d’autres de son livre. Mais on conçoit qu'il ait dû se con- 
tenter de grouper en synthèse les études partielles, plus ou moins bien 
faites, écrites jusqu'à ce jour. Il a eu recours aussi, il est vrai, aux 
sources originales: on s'en aperçoit à certains passages, par exemple 
au chapitre des divisions territoriales, où il explique la formation, si 
peu connue, de nos départements actuels. Ayant pris pour sujet de 
thèse accessoire les Sources de la Géographie aux Archives nationales, 
il se devait à lui-même de ne pas négliger cette mine de renseigne- 
ments!). Mais ses recherches, comme de raison, se sont limitées aux 
documents de la période moderne, plus accessibles et plus nombreux. 
En définitive l'ouvrage de M. DEMANGEON est une savante compilation, 
un excellent résumé des divers travaux géographiques, historiques et 
économiques parus jusqu'à ce jour sur la région picarde, agrémenté 
de recherches et d'observations personnelles. Cette importante mono- 
graphie, détaillée et compacte, aurait peut-être gagné à être dégagée 
de quelques-uns des faits et des noms propres qui la surchagent, mais 
telle qu'elle est, avec les nombreux renseignements qu’elle contient et 
l’imposante bibliographie?) dont elle est pourvue, elle rendra de grands 
services aux travailleurs qui voudront étudier l'histoire économique et 
sociale de ce coin de France. ETIENNE CLOUZOT. 


1) M. DEMANGEON aurait peut être pu feuilleter les catalogues de la 
Bibliothèque nationale. Sans sortir de la période moderne, il y eut trouvé 
des mémoires aussi importants que ceux qu'il cite dans sa liste de sources 
manuscrites. Le rapport de Willart, inspecteur des ponts et chaussées de 
Picardie en 1775, pour ne citer que celui-là (ms. fr. 8021, ff. 81—190), lui 
eut fourni, croyons-nous, des données précises pour son chapitre si intéressant 
sur l’affaiblissement du débit des sources et leur déplacement. 

2) Dans cette bibliographie, qui ne compte pas moins de 592 articles, 
M. DEMANGEON a cru devoir reproduire les divisions générales de son livre. 
Nous ne voyons pas bien l’intérêt de ce procédé qui offre le grave inconvénient 
le séparer les uns des autres les ouvrages d’un même auteur et de créer des 
acunes ou des doubles emplois, un même ouvrage pouvant rentrer dans deux 
yu trois catégories différentes. 


Druck von W. Kohlhammer in Stuttgart. 


699 F. Keutgen 


Albrecht Woltvogel kaufte dafür Tuch in Brügge ($ 198). Ferner 
erhandeln dieselben beiden Ostern 1358 48 Poperingsche und 
20 Vervierssche Laken von dem Ratsherrn Scheningh in Lübeck 
auf Kredit für 200 m., und zwar jeder zur Hälfte, 
nicht mit ener sameden hant. 
Trotzdem folgt der Vermerk: 
100 m. hebe wi bitalet ($ 254; ebenso & 292). 

Ein Geschäft, das Wittenborg und Laurensius Pfingsten des- 
selben Jahres zusammen mit Woltvogel und Bardewik unter- 
nahmen, wird später zu berühren sein. Aber noch in demselben 
Sommer kauften jene beiden 50 Vervierssche Laken 

bidde mit ener sameden hand 
für 400 m. von Kort Westphales, Gesellschafter des Johannes 
Maken: wodurch wieder bezeichnenderweise der letztgenannte, 
nicht der „gheselle“, der den Handel abgeschlossen hatte, Gläs- 
biger wird '). 

Alle diese Tuche nun, sowohl die von Seheningh wie die vos 
Maken gekauften, gehen nach Danzig an Joh. Laurensius 
Bruder Heinrich ($$ 289, 292, 319— 322, 325, 326; vgl. auch 310, 
314), von dem bald große Gegensendungen eintrafen. Und zwar 
schickte er gegen die erste Partie — denn die beiden Gresehäfte 
werden säuberlich auseinandergehalten — 300 [Faß? vgl. $ 289] 
Bottichhol2 nach Stralsund, 500 nach Lübeck und 400 nach Wis- 
mar; ferner 11 Stein Ingwer, 120 f Pfeffer und 16 Last Roggen: 
gegen die zweite aber 2400 Scheffel Malz. Da diese jedoch in 
Preußen nur 156 m. Prus. gekostet hatten oder 231 m. 9 s. Lüb., 
während der Einkaufspreis der Partie Tuch sich auf 400 m. Lib. 
belaufen hatte, so zogen Wittenborch und sein Partner auf Heir- 
rich Laurensius für einen Teil des Unterschiedes oder 66 m. Pros. 


($ 325), 


1) In $ 241 sind vor „sime ghesellen“ offenbar die Worte „Henneken 
Maken“ ausgefallen: vgl. $ 319 und N.St.B. 56. MoLLwo hat das nicht 
gemerkt und stempelt im Register Westphales auch zum Handelsgenossen 
des Henneke Laurencius, also den Verkäufer zugleich zam Gesellschafter 
eines der beiden Käufer, was natürlich widersinnig ist. Zudem steht im 
N.St.B. 56 eben Maken als Gläubiger für den Betrag verzeichnet, 

2) MoLLwo setzt S. LXXII die Preuß. Mark = 2 m. Lüb.: im Test 
seines Buches ist der Kurs stets unter l'/: m.: 28'/ s 8 294; 23!/, a und 


Hansische Handelsgesellschaften, 
vornehmlich des 14 Jahrhunderts. 
Von 


F. Keutgen (Jena). 





Fortsetzung von S. 5l4 und Schluß. 


ee ZZ 


Inhalt: V. Die offene Handelsgesellschaft 8. 567. — Remues Definition 
und Befund S. 568. — Gemeinsamer Betrieb 8. 571. — VI. Das Konkurrenz- 
verbot S. 572. — Schmipr und Remme 8. 575. — Konkurrenzverbot für den 
tractator S. 575. — Kölner Faktoren in London 8. 578. — VII. Die Gesamt- 
hand S. 579. — Gemeinsamer Betrieb und unbeschränkte Haftung 5. 580, — 
Wandlungen der Gesamthand $, 581. — Solidarität der Gesellschaft 3. 585, 
— VII. Die Vertretung 3. 586. — Krediterfordernisse des kaufmännischen 
Verkehrs S. 586. — Seghehards Brief 8. 586. — Verkehr mit Nachbur- 
orten (Geldersen) S. 587. — Haftung des Prinzipals für den Knecht 8. 591. 
— Wittenborg S. 593. — Tülner 3. 598. — Lübecker und Hamburger Statuten 
S. 599. — Der deutsche Kaufmann in London 8. 600. — Anwendung auf die 
Gesellschaft S. 601. — Haftbarmachung Unbeteiligter; Statut Eduards II, 
S. 602. — Das Lübecker Recht 8. 604. — Privileg Friedrich II. für Nürn- 
berg und späte Einführung der kommanditistischen Idee 8. 606. — In-die- 
Erscheinung-treten der Gesellschaft 8, 607, — Anhang: die Gesellschaften 
Johann Wittenborgs S. 613—632. 


V. 
Die offene Handelsgesellschaft. 


Haben wir somit die Masse der hansischen Handelsgesell- 
schaften — sie, die dem Handel das Rückgrat gaben — als Ge- 
werbsgesellschaften zu beanspruchen, so liegt uns, um zum vollen 
Verständnis ihres Wesens zu gelangen, weiter ob, zu untersuchen, 


inwiefern Grundsätze der einzelnen Arten der heutigen Handels- 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtechaftegeschichte, IV. 38 


568 F. Keutgen 


wesellschaften sich bei ihnen wiederfinden, insbesondere die 
Grundsätze der offenen Handelsgesellschaft. Denn die offene ist 
die Handelsgesellschaft in reinster, vollkommenster Form. Aber. 
wohlbemerkt, unser Ziel ist auch hier nicht eigentlich Ider- 
tifizierung einer oder der anderen früheren Form mit dieser oder 
jener heutigen, sondern nur schärfere Beleuchtung der ehemaligen 
vermittelst der jetzigen: wie wir ja auch keinen Augenblick ver- 
gessen wollen, daß unsere Hauptabsicht nicht in der juristischen 
Definition der älteren deutschen Handelsgesellschaften liegt, sor- 
dern mit ihrer Hilfe in der Charakterisierung des hansische 
Handels. Also: ist mit dieser Einschränkung eine Gruppe unter 
den hansischen Handelsgesellschaften des 14. Jahrhunderts herau:- 
zuheben, die als offene Handelsgesellschaften zu bezeichnen 
wären ? 

Diese Frage wird unter anderem bejaht von REHME, und zwar 
nach Maßgabe des folgenden. 

Er glaubt außer der „sendeve“ (lies Gesellschaft mit ein- 
seitiger Kapitalbeteiligung, Halbgesellschaft oder quasi-societası 
und der Wederlegginge (oder, wie er sie mit unrichtiger Iden- 
tifizierung gewöhnlich nennt, „vera societas“) noch eine dritte 
Art Gesellschaft in den Lübecker Niederstadtbuch-Eintragungen 
„u erkennen, „die freilich bei weitem seltener vorkommt als jene 
beiden. Sie wird, wenn überhaupt, schlechthin als societas be 
zeichnet; offenbar fehlte ein technischer Ausdruck. Auch bei ihr 
findet ein conponere, contra-(ad-)ponere von Vermögen statt; auch 
bei ihr sind also beide Gesellschafter mit Kapital beteiligt. 
Aber — und das ist das sie von der vera societas unterscheidende 
Merkmal — der Handelsbetrieb geschieht nicht durch einen 
von ihnen, sondern durch beide, oder durch einen oder mehrere 
nuncii oder famuli beider (12, 65). Wir haben es mit der offenen 
Handelsgesellschaft zu tun“). 

_Sogleich bemerken wir, daß hier für die offene Handelsgesell- 
schaft ein ganz anderes Kennzeichen gefordert wird als das in 
der Definition des Handelsgesetzbuches enthaltene ?). 


1) REHME S. 373. 
2) Oben 8. 5083. 


Hansische Handelsgesellschaften. 569 


Deshalb legt denn aueh SILBERSCHMIDT Verwahrung ein: 
„wenn man nun einmal in geschichtliche Verhältnisse Begriffe 
aus Gesetzen der jetzigen Zeit hineintragen will, dann muß streng 
darauf geachtet werden, daß sämtliche Merkmale dieser modernen 
Rechtsfiguren wirklich vorhanden sind“ '). Das Wesen der offenen 
Handelsgesellschaft aber beruht in der solidarischen Verpflich- 
tung: auf die hansischen Verhältnisse übertragen, müßte es er- 
sichtlich sein, „daß der tractans den andern Gesellschafter in der 
Weise verpflichten wollte, daß dieser unbeschränkt mit seinem 
ganzen Vermögen hafte“ ?). 

Prüfen wir indes — wie es übrigens auch SILBERSCHMIDT 
tut — REHMES Beweisführung erst einmal von seinem eigenen 
Standpunkte aus. Zunächst ist zu beachten, daß REHME nach 
diesem — wenigstens unter seinem Material — nur sehr wenige 
offene Handelsgesellschaften findet. Allein warum ? 

Es tritt uns da wieder sogleich als Kardinalfehler der Glaube 
entgegen, als müsse jedem Ausdruck der Quellen ein eigener, in 
moderner Weise streng methodisch abgegrenzter Begriff ent- 
sprechen. Richtig ist, daß für irgendeine als „offene Handels- 
gesellschaft“ herauszuhebende Art eine besondere Bezeichnung 
in den Quellen fehlt, falsch aber die durch nichts begründete 
Annahme, als hätten die Bezeichnungen wederlegginge und vera 
societas sich auf sie nicht miterstrecken können. Im Gegenteil: 
wenn eine der damaligen Handelsgesellschaften als „vera societas“ 
gelten konnte, so wäre es gewiß die gewesen, bei der beide 
Teilhaber nicht nur Kapital, sondern auch Arbeit einlegten. Und 
durch nichts gerechtfertigt ist es auch, den Begriff der „weder- 
legginge“ so eng zu fassen, als umschlösse er nur den Fall, wo 
beide Gesellschafter zwar Kapital einlegen und einer arbeitet, 
nicht aber auch den, wo beide Gesellschafter sich an der Ge- 
schäftsführung beteiligen. 

Die Folge dieses Methodefehlers ist also, daß für REHME alle 
Gesellschaften ausscheiden, die in seinem Material als „vera 
societas“ oder als ,wederlegginge“ bezeichnet sind. Im übrigen 


1) Kumpanie und Sendeve S. 42. 
2) S. 46. 


628 F. Keutgen 


notiert, daß sie auf ihren Prinzipal 30 ff grote trassierten (88 304, 
307) '). 

Endlich wurde Berthold nach Danzig geschickt. Dort ist 
er jedoch am 31. Dezember 1359 gestorben, nachdem er in einem 
Schiffe 7 Last Roggen, einen Ballen mit 16 Stück englisches Tuch 
und „1 sestich“ Flachfisch, sowie in einem andern 8 Last 7 Scheffel 
Roggen heimgesandt hatte, woran er, wie wir sahen, großenteils 
selbst interessiert gewesen war ($$ 350, 351; N.St.B. 8 63) 1. — 

Die Verbindung mit Arnold Bardewik fängt Pfingsten 
1353 an: damals erhielt er Silber und Silbergeld zu Sendere, 
das er in Wieselfellen anlegen („biweren“) sollte ($ 78). Er 
wird also nach Rußland gefahren sein. Eine zweite Mitgale 
von Silber und Silbergeld wird gleich darauf notiert ohne Datum 
($ 81). Lichtmeß 1354 aber kam eine Tonne Pelzwerk von ihm 
gesandt an: er muß also den Winter über im Osten geblieben 
sein. Vielleicht zusammen mit Berthold; denn unmittelbar vorher 
steht auf derselben Seite die Notiz: 

Ic hebe untfangen van Arnoldes wegene 1 tunen werkes, 
de Bolte hir oversande ($ 126). 

Nicht weniger als 50 m. 8'/. Lot lötig Silber wurden ihm 
darauf Ostern zugeschickt ($ 127). Dann ist er zurückgekehrt. 
Denn Pfingsten 1355 mußte er von neuem hinaus, um Tidemanı 
Wise 88 m. lötig und 36 m. d. zu überbringen ($ 146); doc 
noch vor Michaelis des Jahres machte er sich noch einmal auf 
dieselbe Reise mit 78 m. 1'}: ferto lötig und 43 m. 76 s. [?] d. 
zu Sendeve ostwärts zu „bewähren“ (8 168)‘). Als er dam 
Michaelis 1356 von neuem „wegsegelte“, bekam er, außer 60m. 
4'} Lot lötig und 4'» m. d., 228 Ellen Leiwand mit ($$ 2%, 


1) Ich vermute, daß es sich in beiden Paragraphen um dieselbe Sache 
handelt, wenn auch das eine Mal 30, das andere Mal 39 & gedruckt steht 

2) Von den 60 Fischen waren 3 ,centum“ faul geworden und über Berl 
geworfen. Für den Rest gab Wittenborg 18d für Windegeld, 1 s. für da 
Boot zum Herauffahren und 18d für das Herauftragen, d. h. mehr als bei 
Getreide für eine Last. Eine Last wurde bei Heringen zu 12 Tonnen g* 
rechnet, nach NiRxHEIM, Geldersen 8. LXXVILI. Nr. 11. ?? — Statt „bonen“ 
am Schluß von $ 550 ist wohl zu lesen „boden“. 

3) Vgl. oben S. 626 Anm. 3. 

4) Vgl. oben S. 620 Anm. 4. 


Hansische Handelsgesellschaften. 571 


seinerseits am Orte an den Mann brachte. Dies aber ist das 
Bild, das uns die Handlungsbücher bieten: der wahre Unter- 
nehmer, der Chef des Hauses, wie SILBERSCHMIDT ihn ein- 
mal mit Recht nennt, disponierte und bestimmte auch den Markt, 
dem die Güter zugeführt werden sollten. 

Unter Rennes Material aber müßte man diesen Tatbestand 
zunächst einmal wenigstens bei all den Niederstadtbuch-Ein- 
tragungen als gegeben annehmen, nach denen zwei Personen mit 
gleichen Beträgen an einer Gesellschaft beteiligt sind; sicherlich 
aber nicht nur bei diesen. 

Denn inzwischen hat SILBERSCHMIDT darauf hingewiesen, daß 
auch im romanischen Rechtsgebiet, in der Commenda 
und ihren Abarten, der Commendator oder socius stans häufig 
Arbeit mitleistet. Aus der Form der Gesellschaft läßt 
sich also über gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb 
oder das Gegenteil nichts erschließen. Nach dem Merk- 
mal des gemeinsamen Betriebes aber müßte die große Mehrzahl 
der hansischen Gesellschaften überhaupt als offene beansprucht 
werden. 

Und ganz unberechtigt wäre das nicht. 

Denn außer dem Merkmal der unbeschränkten persönlichen 
Haftung aller Teilhaber, dem freilich juristisch entscheidenden, 
kennt das Handelsgesetzbuch doch auch noch eine weitere Eigen- 
tümlichkeit der offenen Handelsgesellschaft, eben die, auf der 
RERMES Anschauung beruht, nämlich, daß „zur Führung der Ge- 
schäfte der Gesellschaft . . . alle Gesellschafter berechtigt und ver- 
pflichtet“ sind. Freilich kann „im Gesellschaftsvertrage die Ge- 
schäftsführung einem Gesellschafter oder mehreren übertragen“ 
worden sein; dann „sind die übrigen Gesellschafter von der Ge- 
‚schäftsführung ausgeschlossen“ '). — Allein als Kriterium schlecht- 
hin für die offene Handelsgesellschaft wird uns jenes nicht genügen. 

Das Hauptinteresse jener Darlegungen ist vielmehr zunächst 
ein negatives und liegt darin, daß damit der verbreiteten Neigung 
entgegengewirkt wird, unsere wie auch die romanischen älteren 
Handelsgesellschaften als Arten der Kommandit- oder der stillen 


1) A.2.0.,8114. 


630 F. Keutgen 


gewesen zu sein, da Wittenborg notiert, mit ihm, Henneke 
Laurensius und Albrecht Woltvogel „to hope“ Pele 
gekauft zu haben: 1 Tonne Werk und 15 Tausend Schönes 
Werk, mit denen Woltvogel dann nach Dordrecht segelte 
(88 239, 240; vgl. 323, 324, 341). 

Im August trat er darauf die schon berührte Reise mit Bert- 
hold nach Schonen und England an ($$ 280, 282, 304, 307). 

Während nun Arnold Bardewik so ununterbrochen für Johann 
Wittenborg tätig war, ist er also auch mit ihm vielfach gesell- 
schaftlich verbunden gewesen: allein durchsichtig sind diese 
Verhältnisse hier noch weniger als die zwischen Johann Witter- 
borg und Berthold, ganz abgesehen davon, daß manchmal noch 
weitere teilnehmen und daß Wittenborg auch wohl für ihn m 
seiner Abwesenheit handelt, Arnold gehörige Waren verkauft u.s.w. 

So empfing Wittenborg, wie bereits bemerkt, vor Michaelis 1351 
von Arnolds wegen eine Tonne Pelzwerk, von Berthold gesandt, 
und verkaufte sie für 204'/ m. (88 126, 97, 127). Dagegen «- 
gibt sich gar nicht, ob Arnold an einer andern Tonne Pelzwerk 
beteiligt war, die er selbst zu Lichtmeß desselben Jahres gesandt 
hatte (8 127). Ausdrücklich als Beteiligter erscheint er erst nach 
Michaelis 1355 und zwar, wie erwähnt, mit 8 Schiffspfund a2 
30 Schiffspfund 3!/: Liespfund Wachs, die Wittenborg verkaufte, 
dieselben, an denen wir auch Gottschalk Wise zu etwa !jı. be 
teiligt sahen ($ 188). Dann wieder Pfingsten 1356 zu ungefähr ‘+ 
an einer Partie Wachs ($$ 178, 172) und Jakobi 1356 zur (kleineren) 
Hälfte an 15'/ Zimmer (je 40 Stück) Hermelin ($$ 180, 2%, 
N.St.B. 8 46); ferner Mitte August zu reichlich ?/s an einer Partie 
Wieselfelle („lasten“) (88 190, 189, 208; N.St.B. 45) '): alles das 
verkauft ebenfalls von Wittenborg. Ebenso verkauft dieser nach 
Michaelis 1357 4970 Stück Schönwerk, die bis auf 100 Stück 
Arnold allein gehörten (8$ 272, 273, 275) ”). 

1) Vor $ 189 fehlt das Verweisungszeichen, entsprechend dem + "2 

190. 

2) Die hier an Gerhard Stokelet verkaufte Partie Pelze kann doch ur : 
möglich dieselbe, wenn auch annähernd gleich große sein, die dieser in dm : 
Schiffe des kleinen Sybrand von Hamburg verloren hatte (MOLLWO, Anm. 54; 
Lüb. U.-B. Bd. II Nr. 1004). Ist auch das Verzeichnis der damals unter- 


Hansische Handelsgesellschaften. 873 


deren „Grundgedanken“ gibt er, gleich REHME, an, „daß alle 
Socii in gemeinsamer Handelstätigkeit gemeinsamen Gewinn er- 
streben“ '). Allein, hierin richtiger als jener sehend, erkennt er 
dieses Merkmal den älteren deutschen Handelsgesellschaften in 
weit größerem Umfange zu und namentlich der „vera societas“ ?). 

Demgegenüber sieht REHME eben in dem Umstande, daß 
„derselbe Kaufmann zuweilen gleichzeitig in zehn und zwanzig 
Sozietäten sein Geld steckte“, den Beweis, „daß die vera societas 
Gelegenheitsgesellschaft ist“. Die offene Gesellschaft aber ist 
„ihrer Natur nach Gewerbsgesellschaft“. 

Wir sehen davon ab, daß gerade das alte deutsche Handels- 
gesetzbuch, das, als REHME schrieb, in Gültigkeit war, unter 
Umständen auch eine offene Gelegenheitsgesellschaft kannte. 
Wichtiger ist, daß, wie bemerkt, an sich Kommandit- und stille 
(resellschaft ebensowenig als Gelegenheitsgesellschaften zu gelten 
haben wie die offene: ein Kriterium für oder gegen die eine oder 
die andere ist hier also nicht zu finden. 

Von wesentlichem Interesse jedoch bleibt die rein sachliche 
Frage, ob an sich ein Kaufmann gleichzeitig an mehreren Ge- 
werbsgesellschaften sich beteiligen konnte. Ganz gewiß war das 
möglich. Gerade bei der offenen Handelsgesellschaft sieht das 
neue Deutsche Handelsgesetzbuch ($ 112) den Fall vor, 
daß ein Gesellschafter „an einer andern gleichartigen Handels- 
gesellschaft als persönlich haftender Gesellschafter teil“ nimmt, 
sowie daß er „in dem Handelszweige der Gesellschaft Geschäfte“ 
macht: nur bedarf er dazu der „Einwilligung der anderen Ge- 
sellschafter“. Mag das immerhin im heutigen Handelsleben nur 
unter besonderen Umständen sich verwirklichen, so begünstigten 
es umgekehrt die eigentümlichen Verhältnisse der hansischen 
Epoche. Auch diesmal hat REHME den wirtschaftlichen Tat- 
bestand nicht berücksichtigt, in den uns das Verfahren von 
Männern wie Hermann Mornewech — das freilich durch die 
neuerlich veröffentlichten Handlungsbücher erst ins rechte Licht 
gerückt ist — so wertvollen Einblick gewährt. 


1) À. a. O., S.61. 
2) S. 44 f. 


574 F. Keutgen 


Der Wettbewerb, der im heutigen Leben eine so ausschlag- 
gebende Rolle spielt, fehlte zwar auch damals nicht, kam jedoch 
weit weniger, man könnte sagen, nur subsidiär, in Betracht. Wir 
sehen ja, daß Kaufleute ihren Gesellschaftern neben dem Gesell- 
schaftsgut auch noch andere Waren „in sendeve“ mitgaben, ihnen 
also nach heutigen Begriffen, oder wenigstens von REHMES Stand- 
punkt aus, zumuten würden, sich selber Konkurrenz zu machen '). 
Wir dürfen annehmen, daß auf gewissen Märkten für gewisse 
Waren stets auf Abnehmer gerechnet werden konnte, und daßes 
ein wichtigeres Problem war, sie ausreichend und regelmäßig mit 
Waren versorgt zu halten, — für den auswärtigen Kaufman 
also, Transportgelegenheiten und geeignete Persönlichkeiten auf- 
zutreiben, denen man draußen den Verkauf der nach und nach 
angeschafften Waren und den Wiedereinkauf anderer, daheim zu 
verwertender anvertrauen konnte: — was ja übrigens auch hente 
noch eine sehr große Rolle spielt. 

Wenn ein Kaufmann in Lübeck nach Riga einmal mit einem 
Holk einen Posten einer Ware schickte, an dem er mit B be- 
teiligt war, und einen Monat später einen zweiten Posten in 
einem Koggen zusammen mit C, so machte er sich weniger 
Konkurrenz, als wenn er nur mit B vergesellschaftet gewesen 
wäre und alles auf einmal gesandt hätte: denn die plötzliche 
Ankunft des doppelten Postens hätte den Markt vielleicht doch 
gedrückt. 

Die 18 Gesellschaften Mornewechs, von denen schon die 
Rede war, verteilen sich über die Jahre 1323—1335. Wir wissen 
aber gar nicht, da weder PAuLı noch REHME, denen das Material 
zugänglich gewesen ist, Näheres mitteilen, in wie vielen Fällen 
es sich dabei um Erneuerungen von Gesellschaften mit den- 
selben Partnern handelt: schon in den drei von REHME ab- 
gedruckten (Nr. 29, 32, 34) kommt seine Gesellschaft mit Ratze- 


1) Z. B. REuMESs Nr. 51 (a. 1342): „Dominus Bertrammus Heideby et 
Nicholaus de Sleswik frater domini Nannonis habent pariter 200 m. d. minus 
4 m., de quibus 100 m. minus 2 m. dno. Bertrammo predicto pertinent et 
negociantur in sendeve, alie 100 m. minus 2 m. pertinent eis ambobus is 
societate.“ Ferner Nr. 24 und Nr.4l. Bei Wittenborg z. B. II 282, oben 
S. 484. 





Hansische Handelsgesellschaften. 575 


borg zweimal vor. Wir wissen nicht, ob nicht PauLı und REHME 
auch Sendeve-Geschäfte unter diesen „Sozietäten“ mitzählen. Und 
endlich wissen wir nicht, inwieweit es sich bei all diesen ver- 
schiedenen Geschäften nicht um ganz verschiedene Waren und 
ganz verschiedene Märkte gehandelt hat. Freilich wissen 
wir anderseits auch nicht, wie viele Gesellschaften Mornewech 
außer jenen noch in seinem Handlungsbuch notiert hat, für die 
er Eintragung im Stadtbuch nicht für nötig gehalten haben mag. 
Kurz, nach rein formalen Gesichtspunkten läßt sich diese Frage 
am wenigsten erledigen. 


Eine ganz bestimmte Kategorie von Konkurrenzverboten kommt 

allerdings in manchen Gesellschaftsverträgen vor, und SCHMIDT 
war wenigstens nahe daran, das Prinzip, das ihnen zugrunde liegt, 
zu erkennen '): sie richten sich gegen den bloßen tractator 
oder Commendatar. Wo von einem oder mehreren dirigierenden 
Kapitalisten ein kapitalistisch gar nicht oder minder Beteiligter 
mit den Vertrieb der Waren betraut wird, da pflegt ihm die 
Übernahme konkurrierender Aufträge untersagt zu sein. 


So verhält es sich mit dem schon von ScHMipDT angeführten, 
allerdings jüngeren Beispiel, PauLı, Lübecker Zustände III Nr. 95 
(a. 1476): 

Gerd schal noch enwil mit nemande anders selschup 
hebben, id enzy mit des erscreven Cordes vulbord unde 
willen; 

und vielleicht auch mit Pauzı I Nr. 102 e, jetzt bei REHME 
Nr. 5 (a. 1312): 
qui Wasmodus dicebat, se non habere aliqua bona merca- 
toria extra ista. 

In erster Linie freilich hat wohl durch diese Klausel der 
Unterschlagung eines Teiles des Gewinnes vorgebeugt 
werden sollen. So auch bei REHME Nr. 15 (a. 1315): 

pecunia, quam Hermannus ultra prefatas [bis] 75 m. argenti 
habet, est dimidia ipsius Johannis et dimidia ipsius Her- 
ınanni; 


1) SCHMIDT, S. 50 f. 


634 Ottomar Thiele 


maux et des remèdes, sur le choix de ceux qu’il faudrait employer 
les premiers. sur les voies que l’on pourrait prendre pour en 
essayer la pratique. et en faire goûter l’exécution. 

C’est ee qui m'a determine, Monsieur, comme j’ai eu l’honneur 
de vous le mander en réponse à votre lettre du 22 août. à 
ecrire une lettre suffisamment instructive sur l’objet dont est 
question. à un grand nombre de ceux qui habitent et cultivent 
leurs biens de campagne, d'habitants des villes qui font valoir 
les leurs par eux-mêmes, d'anciens laboureurs de toutes les 
parties de ma province, pour les engager à m'envoyer des 
memoires détaillés sur tout ce qui concerne l’agriculture en 
seneral et particulièrement dans leur canton. 

Ik y ont tous satisfait avec empressement pour répondre aux 
xteations du Roi, que je leur ai montrées telles qu’elles sont, 
cest à dire, fort éloignées du motif qui excite ordinairement les 
rates toutes les fois que l’on fait les moindres recherches. 

J'ai te tous ces mémoires; j’en ai fait moi-même les extrait, 
ne les ai joints à ceux que j'avais fait sur les conversations, que 
‘avai exes dans les lieux que je venais de parcurir, où j'ai 
rrave partout une grande facilité à parler de cette matière qui 
ext devenue, pour ainsi dire, à la mode par les livres qui ont 
eæ pandus dans le public depuis quelques années, sans avoir 
cut enevre beaucoup de fruit. | 
Je eroin Monsieur. qu'il serait inutile de vous envoyer mn 
naitme des details, qu'exigerait chaque canton, si la connaissance 
“ri er était nécessaire: aujourd'hui, je me bornerai à vous 
raqæet es objets généraux et principaux qui peuvent mériter 
wor ateation. L'application locale pensera aisément aus 
difireærs pars de la province dans le tableau, que je formerii 
mu de la situation des différentes élections et de leurs pr 


doctions 
Objets généraux. 
Tout le monde convient que l'esprit de travail et de peint 
n'et point diminué. on ervit même qu'il est augmenté. I semble 


que ia malnisu:ie donne de l'apprêt pour le travail, mais Ü 
faut pas en conclure que la culture est augmentée. Il est visible 


Hansische Handelsgesellschaften, 577 


man eben aus der Klausel ohne weiteres schließen kann, die 
ihn verpflichtet, 
egein ander koumenschaf mit win ce driven, dan in disser 
geselschaf'). 

Es wäre geradezu grotesk, in Heifstrit den Unternehmer, in 
seinen Gesellschaftern aber bloße Kapitalisten zu sehen, anzu- 
nehmen, daß ein Kommanditist oder ein stiller Teilhaber Geld 
in mehrere Gesellschaften steckte und — worauf es hinauslaufen 
würde — deren leitenden Inhabern vorschriebe, daß sie einander 
keine Konkurrenz machen dürften. 

Wäre tatsächlich der tractator als Unternehmer anzusehen, so 
hätte es gerade ihm freistehen müssen, sein Kapital zu nehmen, 
wo er es fand, und sich auch mit mehreren Kapitalisten zu ver- 
binden: wozu es in Italien ja auch gekommen ist”). 

Den wesentlichen Unterschied zwischen der Stellung des trac- 
tator und der des socius stans in diesem Punkt übersieht auch 
SILBERSCHMIDT?). Er weist zwar noch auf PAPPENHEIM, Alt- 
nordische Handelsgesellschaften, hin, nach dem die Grägäs be- 
stimmt, daß ein felag „gesetzlich (at lögum) nur dann vorliegt, 
wenn der Unvermögendere unter den Genossen sein gesamtes, 
auf der Fahrt mitgeführtes Gut in die Gemeinschaft eingelegt 
hat‘)“. Er führt ferner einen Fall von 1360 aus dem Lübecker 
Niederstadtbuch an, wonach der eine Gesellschafter bekennt, 

quod omnium bonorum suorum, ubieunque ea habuerit, duo 
denarii dicto domino Johanni pertinent”). 

Allein er will hier und in Renme Nr. 5 und sogar in Nr, 55 
nur den Zweck erkennen, „Durchstechereien zu verhindern ")*. 


1) LOERSCH, Aachener Rechtsdenkmiäler, Abt. II Nr.5 5.1781. Danach 
SCHMIDT 8.53 f. Besser, weil nach dem inzwischen gefundenen Original, 
LOERSCH und SCHRÖDER, Urkunden zur Geschichte d. deutschen Privatrechts ' 
Nr. 188. 

2) Vgl. oben S. 507. 

3) Kumparnie und Sendeve, 8. 47 f. Übrigens 1. S. 47 letzte Zeile 
„Commendatar“* statt „-- tor“. 

4) Z. f. d. ges. Handelsrecht. Bd. 56 5. 110, 

5) Nr. 71a, aber nicht etwa bei REHME, wie man glauben würde, son- 
dern bei Moı.Lwo 8.84 f. 

6) Vgl. oben 8. 575 f. 


918 F. Keutgen 


Die “Konkurrenzklausel“ will er in Deutschland erst „in der 
späteren Entwicklung“ finden, wie in einem Nürnberger 
Vertrag Koler-Kreß-Saronno von 1506, wo $ 10 allen 
Gesellschaftern den Betrieb von sonderlich Gewerbe noch Handel 
ohne Zustimmung der andern untersagt‘. Allein er sieht 
sich doch auch genötigt, jene Aachener Weinhändlergesellschaft 
von schon 1360 anzuführen*) Den springenden Punkt über- 
sieht er. 

Besonders lehrreich in mehr als einer Hinsicht endlich ist das 
vielberufene Verzeichnis von Kölner Kaufleuten und ihren 
Faktoren in London vom 17. August 1468, wo angeblich 
manchmal ein Faktor — wie in Italien — mehrere Kaufleute 
vertritt?). Das ist buchstäblich richtig, aber nur bei sehr ober- 
flächlicher Betrachtung. Denn der aufmerksame Leser sieht x0- 
fort, daß die so gemeinsam vertretenen Kaufleute gesellschaftlich 
verbunden waren. Dreimal vertritt ein einzelner Faktor einen 
Kaufmann, zweimal zwei und einmal fünf Kaufleute. Fünfmal 
dagegen wird ein einzelner Kaufmann von einem Faktorenpaar 
vertreten, und in weiteren fünf Fällen haben je zwei Kaufleute 
“emeinsam zwei Faktoren. Gerade diese letzten Fälle, nach der 
Formel „Jak. Butschoe und Peter de Syberg, Faktoren des Peter 
Kannengießer und des Andreas Hoecker“, stellen das Verhältnis 
völlig klar. Überhaupt aber ist zu merken, daß alle diese Kauf- 
leute, 27 an Zahl, von denen 8 alleinstehen und 18 zu 8 Gesell- 
schaften verbunden sind, ihre ganz bestimmten Faktoren haben, 
und ebenso die 26 Faktoren, von denen 6 allein, 10 paarweise 


1) SCHULTE, Geschichte des westdeutschen Handels, Bd. II Nr. 399, 
NS. 271. 

2) S. 48. 

8) SILBERSCHMIDT, S. 25; LEVIN, Z. f. d. ges. Handelsrecht Bd. % 
S. 468; LErA. Kommissionsgeschäft im Hansagebiet S. 24. Das Verzeichnis 
steht aber nicht bei ENNEN und EUKERTrz, Quellen, wie alle drei Autoren 
sayren, sondern bei ENXEN, Geschichte d. Stadt Köln, Bd. III, S. 704 f. Jetzt 
besser Hans. Urkb., Bd. IX Nr. 491 S. 348 f. (Beiläufig bedeutet dort 
Nr. 535 Anm. 1 der Name Patynmaker nicht ,Anfertiger von Kelchdeckeln‘, 
sondern „Holzschuler“, von „patten“, dem hohen Holzschuh, der in weitem 
Gebrauch war, um durch den Straßenschmutz zu waten. Die Herstellung 
von Patenen wird kaum einen besonderen Erwerbszweig gebildet haben). 


Hansische Handelsgesellschaften. 579 


arbeiten, ihre festen Auftraggeber. Es ist hier also nicht nur 
keine Rede davon, daß ein Faktor oder Kommendatar mehrere 
konkurrierende Kaufleute verträte; sondern wir haben hier den 
Beleg für 16 Kölner Kaufmannshäuser, die mit ebensoviel in 
London etablierten, wenn auch aus Köln stammenden Filialen in 
dauerndem Verhältnis stehen. Daß das Beispiel ein Jahrhundert 
jünger ist als die Zeit, mit der wir uns vorzugsweise befassen, 
nimmt ihm kaum etwas von seiner Bedeutung. 

SCHMIDT zitiert in diesem Zusammenhang noch aus den Ord- 
nungen einer Leipziger Ratskommission von 1464 folgende 
Sätze: 

Item es mag ein burger mit einem uslendischen gaste 
geselschaft haben ... 

Item der burger mag auch dorbei wol einen sunderlichen 
handel haben). 

Das scheint fast der Standpunkt unserer neuesten Gesetz- 
gebung. Sieht man aber die Quelle selbst an, so findet man 
alsbald, daß die Verordnung mit diesen Fragen unmittelbar nichts 
zu tun hat, sondern das Fremdenrecht betrifft. Es handelt sich 
darum, daß Waren, die in die Gesellschaft eines Bürgers mit 
einem Fremden gehören, den Regeln für die Waren Fremder 
unterliegen sollen, was aber nicht hindert, daß Waren, die der- 
selbe Bürger etwa noch außerhalb jener Gesellschaft führt, die 
Vorzüge der Waren anderer Bürger genießen. Vorausgesetzt ist 
dabei ja freilich, daß jemand außer einer Gesellschaft, an der 
er beteiligt ist, noch ein eigenes Geschäft betreibt: aber ernstere 
Aufschlüsse über das Gesellschaftsrecht gewährt die Stelle nicht. — 

Nachdem wir indessen in diesem wichtigen Punkte die Stellung 
der Gesellschafter aufgeklärt haben: wie verhält es sich mit ihrer 
Haftung? 


VII. 
Die Gesamthand. 


Wir präzisieren zunächst unsern Standpunkt. 
Zwei Merkmale charakterisieren die offene Handelsgesellschaft: 


1) Scnamipt, S. 61. Urkb. d. Stadt Leipzig, Bd. I, Nr. 383 S. 814. 


638 Ottomar Thiele 


tations de ces terres avec des procurations simulées de régisseurs 
comptables, ou à des habitants des villes, souvent très éloignés 
de ces terres, ou enfin, ce qui est le pire de tout, à des com- 
pagnies dont tous les associés demeurent à Paris, où ils avaient 
perdu leurs emplois dans les sous-fermes, ont imaginé qu’en 
prenant à bail général les grosses terres et biens d’eglise dans 
toutes les parties du royaume, même avec augmentation consi- 
dérable pour les propriétaires, ils pourraient se dédommager par 
les gros gains qu'ils feraient sur les uns, de quelques pertes 
qu'ils pourraient faire sur les autres. Il ne faut pas avoir une 
grande connaissance de la nature des biens de campagne, pour 
être effrayé des abus de cette administration totalement destruc- 
tive de toute culture et amélioration. Ces fermiers à bail général 
ont la même autorité sur ces gros biens que les propriétaires, 
mais ils ne peuvent avoir l'esprit de la propriété. Ils ne pensent 
qu'à l'intérêt de leur bail, à payer exactement pour en avoir un 
second; ne connaissant pas même la gestion des biens de cam- 
pagne, ils ne pensent qu'à forcer les baux particuliers. Ils mor- 
cellent les fermes, désolent les terres, ne les laissent point reposer. 
Ils vexent les fermiers en frais et en poursuites, ils les ruinent. 
Les bâtiments tombent en ruine, les bois sont dégradés, les prés 

sans entretien, c’est comme une destruction plutôt qu'une culture. 

Les biens des maisons religieuses, leur manse n'est pas ainsi 

gouvernée, ni même les terres des propriétaires qui en ont quel- 

que connaissance, qui les afferment en détail, même par leurs 

gens d’affaires; quoique malaisés, le sentiment de leur propriét 

leur fait craindre de perdre leurs fermiers, les force à attendre 

les payements. S'ils ne peuvent faire d'améliorations, du moins 

ils entretiennent et ne détruisent pas. 

Pour remédier à ces vices généraux d’administration totale 
ment destructifs de tout genre de culture, de production, et qu 
font perdre toute idée d'amélioration, ne pourrait-on pas, Monsieur, 
fixer le nombre de charrues qu’un corps de ferme ne pourrai 
excéder; défendre à tout fermier d'exploiter deux corps de fermes 
séparées; défendre la destruction des corps de ferme pour en 
morceller les terres et les diviser en marchés particuliers à des 
haricotiers ignorants; défendre d’affermer une terre à bail general 





Hansische Handelsgesellschaften. 581 


wenn der Grundgedanke der offenen Handelsgesellschaft zu allen 
einschlägigen Grundsätzen des älteren deutschen Rechts in Wider- 
spruch stände, so daß aus einer organischen Weiterbildung sich 
die Neuerung nicht erklären ließe. 

Demgegenüber wird sich zeigen, daß der Grundsatz der offenen 
Gesellschaft durchaus in der Richtung der Weiterbildung des 
älteren deutschen Rechtes lag, und daß dieses durch die wirt- 
schaftliche Entwicklung gewissermaßen mit Notwendigkeit end- 
lich zu seiner Herausbildung und Anerkennung gedrängt wurde, 
so daß zu der Zeit, von der wir handeln, alles hierzu auf dem 
besten Wege war. 

Endlich aber ist auch die Herkunft aus der Hausgemeinschaft 
für das Gebiet der deutschen Seehandelsgesellschaften abzulehnen: 
der Zustand, den wir im 14. Jahrhundert in den deutschen See- 
städten antreffen, rührt vielmehr aus einer anderen Quelle her, 
ringt sich aus Verhältnissen los, in denen die Hausgemeinschaft 
keinen Platz hat. — 

Unter den älteren deutschen Rechtsinstituten kann diese Ent- 
wieklung zur vollen Solidarität der offenen Handelsgesellschaft 
nur anknüpfen an die Gesamthand: es wird also darauf an- 
kommen, zu zeigen, daß die beschränktere Solidarität der Ge- 
samthand bereits zu dem Punkte vorgeschritten war, daß nur 
noch ein Schritt sie von der vollen, in der offenen Gesellschaft 
gegebenen trennte. 

Der ursprüngliche Gegensatz zwischen der Gesamthand und 
der in der offenen Gesellschaft gegebenen Solidarität liegt ja 
darin, daß in der Gesamthand eine Mehrzahl, eine Gesamtheit 
für einen oder für eins bürgt, in der offenen Handelsgesellschaft 
dagegen jeder einzelne sich für das Ganze verpflichtet. 

Der Übergang ist gegeben, wenn bei der Gesamthand für das, 
was alle gemeinsam gelobt haben, jeder einzelne der Gesamt- 
händer in vollem Umfange haftbar gemacht werden kann. Und 
als Ergänzung tritt hinzu, wenn auch für das einer Gesamtheit 
Gelobte jeder einzelne den Anspruch der Gesamtheit vertreten 
darf. 

Beides — namentlich aber das Erste und Wesentliche — 
findet sich in deutschen Rechtsquellen zu zweckdienlicher Zeit 


640 Ottomar Thiele 


32 liv. de droits de contrôle 
150 , demi-centième denier 


182 liv. 
45 „ 108. des 8 8. p. liv. (vingtième) 


227 liv. 10 8. 


Ne serait-ce pas contre ces droits que la liberté peut réclamer 
avec d'autant de succès, que l'intérêt de la ferme ne pourrait 
être objecté, parce qu'ils ne lui produisent rien; les propriétaires 
qui font ces baux, ayant grand soin de les faire sous seing privé; 
à l’égard des ecclésiastiques, ils sont usufructiers, or, les baux 
des usufructiers laïcs subsistent à leur mort, le propriétaire ne 
peut les casser en rentrant en jouissance; ne seraient-ils pas au 
moins aussi favorables que lesdits ecclésiastiques ? Ne pourraient-ils 
pas craindre de même, que les usufructiers n’eussent diminué le 
prix des baux, qu’ils n’esperaient pas devoir finir, pour se procurer 
des pots-de-vin payés comptant? Ce droit dont les ecclésiastiques 
n’usent que trop souvent, ou menacent du moins pour forcer les 
fermiers à une augmentation en pot-de-vin, peut-il être regardé 
comme un privilège de l'Eglise? Sur quoi est-il fondé? Est-il 
ancien? Doit-il subsister, s’il est destructif des biens de l'Eglise? 

On pourrait donc examiner, si l'intérêt de la ferme des domaines 
et celui des ecclésiastiques sont assez réels, et assez forts pour 
balancer l'intérêt évident de la culture, le premier de tous les 
biens. 

Un des grands profits des fermiers, et tous leurs profits 
retournent à la culture, est d’avoir des bles pour garde. Ih 
voudraient tous payer leurs maîtres en argent. L'usage des pays 
de cette province est de faire les baux partie en blé, partie ea 
argent; on n’y connait point, ou peu, les baux à moitié, à tiers 
franc. Ce serait trop gêner la liberté du propriétaire, que de le 
forcer à affermer tout en argent. Mais le même inconvénient & 
trouverait-il en faisant payer des droits de ballage, de mesuragt 
etc. en argent, non pas à un prix fixé pour toujours, mais €1 
prix du marché du jour? Ces droits sont toujours affermés. Le 
bail se règle sur l'appréciation des prix des marchés d’un certain 
nombre d'années. Ce n’est donc point le propriétaire de ces 


Hansische Handelsgesellschaften. 583 


Wegen dieser Späte hält SCHMIDT „römisch-rechtlich-italienischen 
Einfluf“ für wohl möglich. Ganz abgesehen davon, daß das 
römische Recht, wie allgemein zugestanden ist, die echte Soli- 
darität überhaupt nicht kannte, so übersehen beide Forscher, daß 
gerade der $ 52 nicht zu den „späteren Zusätzen“, sondern zu 
dem ursprünglichen Bestand der Schra von spätestens 1350 ge- 
hört '). 

Die erwähnte Ergänzung zu den gegebenen Sätzen aber bieten 
die Goslarischen Statuten, die spätestens 1359 aufgezeichnet 
sind: 

Wur lüde lovede tosamene untfat, löstet man dat deme 
sakwolden [d. h. einem, der die Forderung vertritt], men 
is van in allen ledich unde los. 

Es wird aber auch die Möglichkeit vorgesehen, daß Alle 
klagen, oder daß Zahlung an einen Bestimmten vorher ver- 
abredet war?). 

Noch nicht ganz auf diesem Standpunkt steht der vermehrte 
Sachsenspiegel Ende des 13. Jahrhunderts, Landrecht III. 85, 
wo in bezug auf die erste Seite der Frage $ 1 lautet: 

Svar mer lüde den ein geloven tosamene en weregelt 
oder en ander gelt: al sin si it plichtich to lestene, die 
wile it unvergulden is, unde nicht ir iewelk al; mer man- 
lik also vele alse ime geboret, unde alse vern als man in 
dar to gedvingen mach von gerichtes halven, — die, deme 
it dar gelovet is, oder die it mit ime gelovede, of he it 
vor ine vergulden hevet?). 

HoMEYER meint, der Sinn sei wohl: „jeder kann auf das 
Ganze belangt werden, befreit durch seine Zahlung die übrigen 
und kann sie pro rata in Anspruch nehmen“ *),. Soviel vermag 
ich allerdings nicht herauszulesen, sondern nur:. der einzelne 
Gesamthänder ist verpflichtet nur für seinen Anteil; dafür kann 


1) SEYBERTZ, a. a. O., S. 888 Anmm. 414, 416, 420 u.s. w. ILGEN, Deutsche 
Städtechroniken, Bd. XXIV, S. CXLH. 
2) GÖSCHEN, Die Goslarischen Statuten (Berlin 1840), S. 75, Z. 35 ff. 
Dazu S. VI. 
3) HOMEYER, Sachsenspiegel, Landrecht, 3. Aufl. S. 882 f. 
4) S. 383 Anm. 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 39 


636 Ottomar Thiele 


leur louer leurs fermes de 2 et 3 charrues, même d'en détruire 
les bâtiments dont ils n'avaient pas besoin. Ils ont augmenté 
d’abord la redevance. Ensuite maîtres du pays, ayant éloigné 
les laboureurs moins riches qu'eux, ils font la loi, donnent les 
prix qu’ils veulent des différents corps de ferme qu'ils font valoir 
à la fois, ou des terres des fermes dont on a détruit les bâti- 
ments. Il en résulte que dans les paroisses où l’on voyait 5 
ou 6 fermiers de la première classe, 8 on 10 de la seconde, il 
n’en reste plus en tout que 2 ou 3. Ces deux fermiers trop 
occupés, labourent bien leurs bonnes terres, mais ne cultivent 
point les médiocres. Ils ont moins de bestiaux, de volailles, et 
employent moins de monde que 5 ou 6 fermes de 2 ou 3 charrues 
chacune. Elles faisaient vivre 15 à 20 familles dans une paroisse 
où il n'y en a plus que 5 ou 6. La paroisse est dépeuplée, et 
ces gros fermiers, ne s’attachant qu'au seul objet du blé, ne font 
point d'autre genre de culture ou de commerce. Il est certain, 
que la culture était plus forte et plus générale, la population 
plus nombreuse, quand il y avait dans la paroisse plus de 
différents cultivateurs, qui tous étaient obligés d’y trouver leur 
subsistance. On sent l'inconvénient contraire dans les pays qui 
coupés par différents genres de productions, bois, prairies ete. 
n'ont jamais eu que des fermes de 2 ou 3 charrues. Les fermiers 
de ce pays, restés dans un état de médiocreté, parce qu'ils 
n’ont pu former cet amas de blé, qui ont enrichi ceux dont on 
vient de parler, ont plus éprouvé toute la rigueur des charges 
depuis 20 à 30 ans et, forcés de diminuer d’année en année leur 
culture et leur production, se trouvent presque tous ruinés; leur 
enfants sont hors d'état de prendre des fermes. 

On ne trouve presque plus dans ce pays de fermiers capables 
de soutenir une ferme de 2 ou 3 charrues. Le propriétaire 
obligé de morceller les terres de la ferme, de les diviser en 
marchés particuliers qu’il donne à de petits laboureurs, nommés 
haricotiers, qui sans fortune, n'ayant rien à perdre, ne craignent 
point de prendre les lots des terres à tout prix, sans connaissances, 
comme sans moyens pour la culture, ils la laissent dépérir. ls 
égratignent la terre, ne fument point, n'ayant point de bestiaux: 
et pour gagner de quoi payer leurs impositions, font des voitures 


Hansische Handelsgesellachaften, 585 


recht nur ,prinzipale solidare Haftung aller durch die gesamte 
Hand verbundenen Personen“ '), 


Die unmittelbare Anwendung der Lehre jener Rechtsquellen 
des 14. Jahrhunderts auf die Handlungsgesellschaft würde ja die 
sein: 

Wenn die Gesellschafter zu gesamter Hand eine Verpflichtung 
eingegangen sind, kann jeder von ihnen gerichtlich gezwungen 
werden, die ganze Schuld abzutragen: — jeder, also der, dessen 
man habhaft werden konnte, also im Auslande der, der dort das 
Interesse der Gesellschaft vertrat. 

Umgekehrt hatte jeder Gesellschafter, also wiederum ins- 
besondere der auswärts tätige, Recht und Macht, eine Forderung 
an die Gesellschaft einzukassieren oder einzuklagen. 


In solchem Falle würde man gewiß — wenn man die Soli- 
darität zum Kriterium macht — bereits von offener Gesellschaft 


sprechen müssen. 


Allein jener Fall hat ja zur Voraussetzung, daß die Verpflich- 
tungen zu gesamter Hand eingegangen sind. Das aber wird im 
auswärtigen Handel unter den Verhältnissen, die da im Frage 
kommen, sich kaum je ermöglichen lassen, da eben auswärts 
regelmäßig nur einer für die Gesellschaft auftritt. 

Zum springenden Punkt wird daher: ob man bereits zuließ, 
daß ein einzelner die gesamte Gesellschaft verpflichtete, und ob 
der einzelne Handelnde Schulden einfordern konnte, die nicht 
ihm, sondern seinem Teilhaber oder Chef gegenüber eingegangen 
waren. 

Besondere Schwierigkeiten standen also im Handel der An- 
wendung jener Grundsätze über die Solidarhaft entgegen. 

Besondere Erleichterungen in ihrer Anwendung waren aber 
gerade für den Handel dringendstes Bedürfnis. 

Wie hat sich da die Praxis geholfen? Und wie das Recht 
sich dazu gestellt? 

Endlich: ließ die Gesellschaft in geschlossener Gesamtheit 
sich darstellen durch einen einzelnen? 


1) À. a. O. S. 67 £. 


Brief Francois Quesnays an den Intendant von Soissons. 


Monsieur, 


J'ai lu avec beaucoup d’attention tous les details dans lesquels 
vous êtes entré sur la culture des terres de votre généralité, 
qui est une des plus fertiles du royaume, et qui a les débouchés 
les plus faciles pour le débit de ses productions. Mais ce dont 
j'ai été le plus touché, c’est le zèle et les bonnes intentions qui 
sont exposés avec une candeur et une sincérité très respectable, 
et avec des vues fort lumineuses. 

Comme c'est du gouvernement seul que dépend la prospérité 
ou la dégredation de l'agriculture, et non des instructions que 
l’on prétend donner aux cultivateurs, c’est ce point de vue 
général qui est le plus intéressant. Que faut-il donc attendre 
du gouvernement? Deux choses principales: 1) la liberté du 
commerce des productions de la terre; 2) la sûreté des richesses 
nécessaires pour l'exploitation de la culture. Il n’y a rien de 
plus à desirer, que ce que vous m’en avez dit sur la première 
de ces conditions, mais vous avez presque oublié la deuxième. 

Les richesses de l’exploitation ne doivent rien à l'impôt, c'est 
le produit net qui le doit. Ainsi, quand le laboureur a afferme 
à condition de payer l'impôt, on ne peut l’augmenter dans le 
cours de son bail, sans le rniner, si cette augmentation porte sur 
ses avances d'exploitation. Car on sait avec quelle rapidité le 
dommage s'étend sur la culture, quand on retranche de se 
avances. C’est pourquoi on leur a donné pour devise: noli me 
tangere. Or, comment le fermier qui se charge d’une entreprise 
d'agriculture, peut-il traiter avec le propriétaire qui le chargerait 
de payer un impôt, qui n'aurait ni règle ni mesure assurées”? 


GE 


. L achte, mm 


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= an rien ln “ondlinefinsé -dn.4 - 


Hansische Handelsgesellschaften. 587 


Die gegenteilige Lehre, wonach der tractator, der auswärts 
Handelnde, nur sich persönlich verpflichtet hätte, setzt primi- 
tive Zustände voraus, die möglicherweise im 12. Jahrhundert am 
Mittelmeer, zumal zwischen Angehörigen verschiedener Religionen 
und verschiedener Kulturkreise, bestanden haben mögen — dar- 
über steht mir kein Urteil zu —, die aber in der hansischen 
Handelswelt des 14. Jahrhunderts längst überwunden waren !). 

Eine andere Frage ist nur, was geschah im Falle der Insol- 
venz: ob der Kaufmann, der auf Kredit ohnehin keinen Anspruch 
mehr erhob, in seiner Absicht, Gesellschaftsverpflichtungen zurück- 
zuweisen, anfangs noch in einem veralteten Rechtszustand Zu- 
flucht fand? Auf lange sicher auch das nicht. — 

Zum Glück besitzen wir ein Material, das es uns erspart, so- 
æleich die spröden Verhältnisse des Überseehandels heranzuziehen. 
Geldersens Handlungsbuch bietet es uns in seinen zahlreichen 
Eintragungen, die Geschäfte mit Kaufleuten der Nachbarstädte 
Hamburgs betreffen, Kaufleuten aus Lüneburg, Lübeck, Kiel, 
Flensburg, Braunschweig, Hannover, Ülzen, Lüchow, 
Heiligenhafen oder dem aus Karls des Großen Grenzordnung 
bekannten Scheesel. Diese Männer machten ihre Einkäufe 
persönlich auf den Hamburger Märkten; Gläubiger und Schuldner 
standen in regelmäßiger persönlicher Berührung in einem Maße, 
wie es zwischen dem Chef eines Hamburger Exporthauses und 
seinen Kunden in Flandern oder England oder in Nowgorod 80 
nicht der Fall sein konnte. Dennoch mußte die Trennung des 
Wohnsitzes zu Kombinationen führen, die über das beim Orts- 
verkehr Gebotene schon beträchtlich hinausgingen. 

Wir finden nun, daß in zahlreichen Fällen,. wenn auch keines- 
wegs regelmäßig, für die bei Geldersen gemachten Einkäufe 
zwei, selten auch mehr Kaufleute gesamthändig haften: 
nicht nur Hamburger, sondern gerade auch auswärtige. 

Sehen wir ab von den wenigen Fällen, wo die so verbundenen 





1) Ganz so schlimm kann es übrigens nach den von SILBERSCHMIDT 
S. 45 angeführten Beispielen auch im Süden nicht gewesen sein. Ich ver- 
stehe wenigstens nicht die Verpflichtung des Tractators, zu handeln „ad 
nomen cuius sunt“, wenn damit nicht seine Prinzipale haftbar gemacht 
werden sollten. 


Brief François Quesnays an den Intendant von Soissons. 


Monsieur, 


J'ai lu avec beaucoup d'attention tous les details dans lesquels 
vous êtes entré sur la culture des terres de votre généralité, 
qui est une des plus fertiles du royaume, et qui a les débouchés 
les plus faciles pour le débit de ses productions. Mais ce dont 
j'ai été le plus touché, c’est le zèle et les bonnes intentions qui 
sont exposés avec une candeur et une sincérité très respectable, 
et avec des vues fort lumineuses. 

Comme c'est du gouvernement seul que dépend la prospérité 
ow la dégredation de l'agriculture, et non des instructions que 
l'on prétend donner aux cultivateurs, c'est ce point de vue 
général qui est le plus intéressant. Que faut-il donc attendre 
du gouvernement? Deux choses principales: 1) la liberté da 
commerce des productions de la terre; 2) la sûreté des richesses 
nécessaires pour l'exploitation de la culture. Il n’y a rien de 
plus à desirer, que ce que vous m'en avez dit sur la première 
de ces conditions, mais vous avez presque oublié la deuxième. 

Les richesses de l’exploitation ne doivent rien à l'impôt, c'est 
le produit net qui le doit. Ainsi, quand le laboureur a afferme 
à condition de payer l'impôt, on ne peut l’augmenter dans le 
cours de son bail, sans le ruiner, si cette augmentation porte sur 
ses avances d'exploitation. Car on sait avec quelle rapidité le 
dommage s'étend sur la culture, quand on retranche de se: 
avances. C’est pourquoi on leur a donné pour devise: noli me 
tangere. Or, comment le fermier qui se charge d’une entreprise 
d’agrieulture, peut-il traiter avec le propriétaire qui le chargerait 
de payer un impôt, qui n'aurait ni règle ni mesure assurées? 


Hansische Handelsgesellschaften. 589 


waren, zusanımen ihre Einkäufe machten und auf Wunsch Gelder- 
sens in jener Form für einander bürgten. Es sind eben kleine 
Verhältnisse, wenn auch auf seiten Geldersens in diesen Ge- 
schäften regelmäßig nicht solche des Detailhandels: es 
werden fast durchweg ganze Stücke Tuch verkauft, aber stets 
doch nur einige wenige. 

Von ganz anderer Bedeutung ist dagegen, daß häufig die 
Zahlungen geschahen durch die Hand eines Dritten, 
Vierten, Fünften, die überhaupt nicht dem Gläubiger ver- 
pflichtet sind, gar nicht zu den Gesamthändern gehören. Tech- 
nisch wird das im Gegensatz zu „dare“ mit ,exponere“ (deutsch 
„utgheven*) bezeichnet. Es heißt dann: „Dedit ..., quos ex- 
posuit ©. Item dedit..., quos exposuit D“. Es springt in die 
Augen, daß diese mit großer Regelmäßigkeit so ausgedrückte 
Unterscheidung zwischen Begleichung der Schuld und Hingabe 
des Geldes von größter Bedeutung für die Fragen ist, die uns 
beschäftigen ). Denn es ergibt sich daraus mit aller wünschens- 
werten Klarheit, daß man durchaus imstande war, die Ver- 
tragserfüllung eines Abwesenden zu trennen von ihrem 
In-die-Erscheinung-treten durch einen von ihm Be- 
auftragten. 

Es handelt sich jedoch hierbei nicht etwa um Anweisung der 
Forderung auf Dritte: das kommt auch vor und wird mit „monstrare, 
demonstrare, exhibere, bewisen“ ausgedrückt. Z. B. Nr. 114: 

Item monstravit mihi ad Crystianum de Heyda in foro 
beati Feliciani [einem der Jahrmärkte] 15 $, quos persolvet 
in nativitate Christi. 

Das war also eine Sache für sich. 

Den Grund zu jenem Verfahren aber, das sich zwar auch im 
Verkehr mit ortsansässigen Schuldnern findet, wird man darin zu 
suchen haben, daß dem auswärtigen Schuldner am Verfalltag 
(oder meist vielmehr zu der Zeit, wo er über Geld verfügte) die 
Reise nicht gelegen war und er deshalb einen Dritten mit der 
Zahlung beauftragte. 





1) Ausnahmsweise kommt ungenau vor: „dedit X, quos dedit Y*. — 
Die Belege sind so zahlreich zu finden, daß es sich nicht lohnt, sie einzeln 
zu zitieren. 


u42 Ottomar Thiele 


Je recevais à tous moments des exprès de tous les pays de la 
province. On ignorait partout la liberté rendue par l'arrêt de 1754, 
quoique je l’eusse fait publier dans le temps. Je le fis connaître 
par un grand nombre de lettres qui ne parlaient que de liberté: 
je fis sortir les blés des villes qui craignaient d’en manquer, en 
les assurant que, lorsqu'elles en mangueraient, on leur en 
apporterait, parce que tout commerce libre prend son niveau 
comme l’eau. Je rendis une ordonnance de 2 articles. L'un 
ouvrait l’approvisionnement de tous les marchés, en ordonnant 
que tous ceux que l’on savait avoir des blés, porteraient au 
marché le plus prochain les quantités, par moi arrêtées pour 
chaque semaine sous peine de 100 liv. d'amende. L'autre article 
portait toute liberté de vendre le restant en quelque lieu que 
ce fut. Les prix baisserent sur le champ. 

D’autres objets considérables de productions dans cette pro- 
vince sont les prairies dont une grande partie est en marais, à cause 
de la quantité de moulins, établis sur les petites rivières dont 
les points d’eau sont trop haut. Je ne perdrais pas de vue cet 
objet à la paix, et surtout le dessèchement de 20000 arpents 
de marais entre Marle et La Fère, pour lequel je suis commis 
avec le Grand maître des eaux et forêts. 

Les prés qui ne sont pas de temps en temps retournés, pre- 
duisaient de trop grosses herbes, ou n’en produisent plus. C'est 
une operation de 3 ans de les labourer et mettre en grains 
après quoi on les remet en prés. C’est ce qu’on n'ose fair 
attendre, qu’on les regarde comme navales, et par conséquent 
sujets à la dixme, même lorsqu'ils sont remis en prés. On devrait 
pourvoir à cet abus. 

Les biens communaux sont très éloignés du genre de culture 
dont ils sont susceptibles. Le partage de ces biens serait le 
seul moyen d’en tirer quelque production. 

Les bois font un object capital dans cette province, mais les 
vues de l’inspection des maîtrises leur fait un tort considérable. 

Les vignes ne sont que trop abondantes, ce qui produit une 
misère générale chez le vigneron, quand la recolte manque, ot 
quand elle est trop abondante. Cette année à Château-Thierrr, 
calcul fait des frais, des droits et du prix que se vend le vin, 


Hansische Handelsgesellschaften. 591 


Auch dafür bietet GELDERSENS Handlungsbuch zahlreiche Bei- 
spiele. 

Ein solches Einfordern einer Schuld konnte geschehen ver- 
mittelst einer förmlichen, behördlich beglaubigten Vollmacht. 

Eine solche haben wir in dem Briefe des Hamburger Rats 
an den Rat zu Kiel vom 30. Juli 1368, wonach Geldersen 
drei Kieler Bürger als seine 

veros procuratores plenipotentes 
einsetzt, um in Kiel eine Schuld von 65 m. zu erheben 
nomine suo et ad usum suum. 

Der Schuldner 

predictos denarios persolvet prefato domino Frederico 
et quod cos det tribus, ut predieitur, supradictis '). 

Dabei ist wieder von Interesse, daß der Schuldner die Summe 
an (reldersen bezahlt, indem er sie den Bevollmächtigen gibt; 
noch mehr aber, daß die Erhebung in des Vollmachtgebers Namen 
und zu seinen Händen zu geschehen hat. Gerade die Möglich- 
keit des Handelns im Namen eines abwesenden Bc- 
rechtigten leugnet man: hier finden wir sie in einem amtlichen 
Sehriftstück in festgeprägter Formel. 

Diese Formalität der Ausstellung einer Ratsvollmacht wird 
wohl nur im Falle von Zahlungsschwierigkeiten Platz gegriffen 
haben. Die Sache bleibt aber dieselbe, wenn Geldersen ganz 
regelmäßig Schulden auswärts durch seinen Teilhaber Albrecht 
Lüneborg oder auch einfach durch einen Angestellten, „Knecht“ 
oder „scholer“, einkassiert. Hier also begleichen die Käufer ihre 
Schuld nicht etwa an den, von dem sie die Waren gekauft 
haben — denn das war Geldersen, da die Einkäufe regelmäßig 
auf den Hamburger Jahrmärkten stattgefunden hatten —, sondern 
an dessen Vertreter. 

Die Vertretung des Gläubigers ist also sichergestellt. 
Doch auch für die Verpflichtung des Schuldners durch 
seinen Vertreter gibt GELDERSENS Buch, wenn auch nur 
einen Beleg. 

Eintragung Nr. 239 lautet: 


1) NIRRNXHEIM, Geldersen S. 198 f. 


648 Ottomar Thiele 


On envoya à la Cour un mémoire où l’on montrait si clairement 
les effets funestes de cette ordonnance, que le Contrôleur Général 
en nia l'existence, et que l’exécution en fut arrêtée aussitôt. Une 
pareille ordonnance peut être nécessaire dans quelques cas 
particuliers, comme celui dans lequel vous vous êtes bien trouvé 
pour un moment, et cela parce que le commerce des grains est 
trop borné par la mauvaise police des provinces, et que les 
monopoleurs en peuvent abuser. Mais cette manière de rémedier 
aux facheux effets de cette mauvaise police qui empêche la 
multiplicité des magasins, est aussi cruelle, que le mal quelle 
cause. Si sous ce prétexte on forçait continuellement les laboureurs 
à ne vendre leurs blés que dans les marchés, la moitié des payans 
qui ne vivent que par le crédit, que le laboureur leur fait pendant 
une partie de l’année, du blé qu’ils viennent prendre chez lui: 
si les greniers, dis-je, sont fermés, il faudra donc qu’ils meurent 
de faim. Je passe rapidement sur cet article qui entraine beau- 
coup d’autres inconvénients, que je ne crois pas qu’il soit nécessaire 
de vous développer, parce que je ne vous crois pas disposé à 
soutenir de pareils usages. 

Votre remarque sur les prairies, à l’égard de la dixme qui en 
arrête les réparations, est très importante. Je ne puis me lier 
à votre opinion pour la diminution des vignes. Je conviendrai 
que cette culture nous est peu avantageuse, quoiqu’elle dût nous 
être précieuse. Mais il faudrait remonter aux causes qui y nuisent, 
au lieu de proposer d’en arrêter le progrès qui peut nous fournir 
une richesse immense, et un commerce privilégié que nous devons 
à notre territoire et à notre climat, et que nous détruisons de 
toutes manières. Or le seul remède que Mr° les Intendants v 
ont trouvé, a été de détruire les vignes, elles mêmes au mépris 
de toutes les clameurs de la nation; on est encore plus indigné 
du prétexte qu'ils alléguent. C’est, disent-ils, pour rendre à la 
culture du blé, une partie des terres plantées en vignes. C'et 
dans un royaume où le commerce du blé est défendu, que l'on 
fait arracher les vignes pour étendre la culture du blé. Dans 
un royaume où l’on n’a pas besoin de terres pour le blé, ni 
d’une plus grande quantité de blé, sans liberté d’exportation. 
Dans un royaume où l’on ne consomme qu'environ vingt millions 


Hansische Handelsgesellschaften. 593 


Wir müssen doch berücksichtigen, daß die Urkunden, die wir 
haben, meist nur das innere Verhältnis beleuchten. Wenn heute 
Herr Meier, Teilhaber der offenen Handelsgesellschaft Müller 
& Meier, einen Kauf abschließt, so wird er freilich dem Ver- 
käufer bescheinigen: „wir, Müller & Meier, kauften heute von 
Ihnen“, nicht „ich“. Allein im innern Verhältnis würde auch 
heute Herr Müller an seinen Associé den Auftrag erteilen, „kaufen 
Sie zu dem Preis“. Und es ließe sich sehr wohl denken, daß 
bei Gründung der Gesellschaft beide vor einem Notar einen Ver- 
trag abschlößen, worin es hieße: „Herr Meier wird sich nach 
Batavia begeben, wird dort von Zeit zu Zeit nach Maligabe der 
Verhältnisse Kaffee einkaufen, wird dafür auf die und die Weise 
Zahlung leisten, wird halbjährlich Rechnung legen“. Ob die 
Gesellschaft „nach außen in die Erscheinung tritt“ oder nicht, 
.trâte“ also selbst in diesen Sätzen „nicht in die Erscheinung“. 

REHMES und SILBERSCHMIDTS Interpretation der Quellen aber 
erklärt sich nur daraus, daß beide von vornherein von der Vor- 
stellung beherrscht sind, daß regelmäßig einer der beiden Gesell- 
schafter bloßer Kommanditist ist, der andere allein das Geschäft 
betreibt. 

Sehen wir nun, welches Licht etwa aus den Aufzeichnungen 
der Wittenborgs auf diese Fragen fällt. 

Zunächst haben wir da eine Reihe von Schuldbekenntnissen 
aus dem Lübecker Nieder-Stadtbuch — veröffentlicht von MOLLwo 
im Anschluß an Wittenborgs Handlungsbuch —, die eben 
nur aus der Praxis bestätigen, was die verschiedenen Statuten 
über die Verpflichtung bei der Gesamthand vorschreiben '): eine 
Mehrzahl von Gläubigern kann durch jeden von ihnen ver- 
treten werden: 

Nr. 15 a. 1333: Drei Genannte aus Kiel schulden zu 
gesamter Hand Hermanno de Wittenborch, Lutberto Droghe- 
horne et Makoni de Wittenborch campsori vel uni eorum. 

Nr. 20 a. 1334: H. und M. Wittenborch tenentur c. m. 
Johanni Polono de Wenda vel Ludero de Wenda, genero suo. 

Nr. 26 a. 1335: Mako Wittenborch campsor tenetur Jo- 


1) Morzwo, S. 76 ff. 


646 Ottomar Thiele 


de la population ne doit pas diminuer le revenu. Cette erreur 
est bannie de l’économie politique. Tout s’y calcule par le revenu, 
ou le produit net qui est toujours la mesure de la richesse, et de 
la force d’un état. 2° Vous dites que ces trop gros laboureurs 
ne cultivent que les bonnes terres de leurs fermes, et abandonnent 
les médiocres. C’est sûrement qu’ils ne trouvent pas de profit 
à les cultiver, et ils font bien, car la perte diminuerait leurs 
richesses d’exploitation, et toute leur entreprise croît mal. Faut-il 
donc conclure de la, que les terres médiocres doivent rester 
incultes? Oui, tant que les conditions nécessaires pour les 
cultiver à profit, ne seront pas rétablies. Il en est de même des 
défrichements et de la nouvelle culture (supposé qu’elle fut bonne); 
il est trop tôt de proposer ces améliorations dispendieuses. C'est 
mettre la charrue avant les bœufs; car tant que la culture du 
blé sera réduite à la consommation de la nation, il ne faut pas 
augmenter les récoltes. Cette augmentation qui ferait tomber les 
grains en non-valeur, anéantirait bientôt le peu de culture qui 
nous reste. Les erreurs sur ce point jettent de continuelles 
contradictions dans les raisonnements sur l’état de notre agriculture 
actuelle, et dans les vues que l’on se propose avant le temps 
sur son accroissement, c’est à dire, avant les positis ponendis; et 
c’est précisement cela qui ne doit pas être oublié par l'homme 
d'état, parce que c’est spécialement son objet; lequel étant rempli, 
tout ira bien. On portera de la terre sur les rochers, pour y 
étendre la culture. L'état ne doit s'occuper que de sa partie, d 
non de celle du cultivateur. Et il se trompera toujours, quand il 
imputera à celui-ci les suites des erreurs de l’administration. 
3° Vous dites encore que les trop gros laboureurs ne peuvent 
pas satisfaire au travail de leurs grandes entreprises. Le fermier 
ne doit pas être le travailleur. Un gros fermier est un habitant 
notable, un riche entrepreneur qui est continuellement à cheval, 
pour se porter ponctuellement à toutes les parties de son entre- 
prise. Jugez de là, jusqu’à quelle étendue il peut porter son 
activité et ses soins, et si un terrain de quelque lieu doit sur- 
passer sa capacité, si d’ailleurs il est réellement assez riche pour 
soutenir son entreprise; ne querellez pas les gros fermiers, mais 
procurez nous en beaucoup. 


Hansische Handelsgesellschaften. 595 


ausdrücklich ein Gläubiger für alle eintreten konnte, so haben 
die Gläubiger von Nr. 15 in der Tat einmal eine Handelsgesell- 
schaft gebildet ); nach Nr. 20 war der eine Gläubiger Schwieger- 
sohn des andern; über die von Nr. 26 und 32 wissen wir weiter 
nichts. Bemerkt zu werden aber verdient, daß diese ganze 
Gruppe älter ist als alle die andern Fälle; sie stammt noch 
aus der Zeit von Johanns Vater Hermann Wittenborg: ist 
es da zu viel geschlossen, daß die jüngere Generation es nicht 
mehr für nötig hielt, ausdrücklich zu erklären, daß ein Gläubiger 
für die andern eintreten würde, und es nur noch vermerken ließ, 
wenn einmal von der Regel abgewichen werden sollte? 

Wenn aber die Teilhaber einer Handelsgesellschaft ganz all- 
semein als Gläubiger einander vertreten konnten, mußten sie dann 
nicht auch als Schuldner wechselseitig eintreten, selbst wenn sie 
nicht in der Form der Gesamthand sich ausdrücklich verpflichtet 
hatten ? 

Einstweilen seien noch einige von MoLLwos Auszügen aus 
dem Nieder-Stadtbuch angeführt, die ganz allgemein die Frage 
der Vertretung weiter beleuchten. | 

Da sind erstens Nr. 9 und Nr. 80, wo der Gläubiger bekennt, 
daß die Hälfte der auf seinen Namen eingetragenen Schuld 
einem Dritten zukommt (pertinet): die zwischen zwei Gläubigern 
bestehende Gemeinschaft wird also dem Schuldner und der Öffent- 
lichkeit gegenüber durch einen von beiden vertreten. 

Ferner Nr. 10, Nr. 20 und Nr. 25, wo eingetragen ist, daß 
cin Dritter das Schuldbekenntnis tilgen lassen kann. Am vollsten 
in Nr. 20 

Hermannus de Wittenborch et Mako Wittenborch campsor 
tenentur c. m. Johanni Polono de Wenda vel Ludero de 
Wenda, genero suo, in 133!1/e m. arg. Jacobi. Wernerus 
Holt potest tollere et iubere deleri, si neuter eorum venerit. 

Es wird sich darum handeln, daß auswärtige Gläubiger durch 
einen Lübecker Geschäftsfreund die Schuld erheben und das Be- 
kenntnis streichen lassen. Das Interessante ist, daß dieser Fall 
allgemein vorgesehen erscheint. 


1) Handlungsbuch Hermann Wittenborgs I $ 14. 


596 F. Keutgen 


Vertretung der Gläubiger scheint auch vorzuliegen in Nr. 15, 

die nach den angeführten Worten fortfährt: 
ad manus Bartholomei, predieti J. Piscis avunculi filü. 

Dagegen zeigen den umgekehrten Fall Nr. 6 und Nr. i, wo 
ein Schuldner von den andern beiden, sowie Nr. 47, wo zwei 
der Schuldner von dem dritten, mit dem sie gesamthändig haften. 
der Haftung enthoben werden. So 

Nr. 6: Hermannus de Seedorpe, Detlevus Sakendorpe 
et Johannes Niger makelare tenentur c. m. Makoni de 
Wittinborch campsori in 56 m. d. Martini. Hermannıs et 
Detlevus eximent Johannem Nigrum. 

Auf Nr. 42, wo ein gewisser Roletobe die mit ihm haftbaren 
Andreas de Rostoke und Johannes Hamaa eximiert, kommen wir 
noch zurück. 

Endlich sei hier noch der FallMoLLwo, Nieder-Stadtbuch Nr. 74, 
angeführt: Schuldbekenntnis des Hinricius Wraghe an Joh. Witten- 
borg für 337 m. mit dem Zusatz: 

Arnoldus Bardewik et Johannes Klinghenbergh, filius 
domini Wedekindi, recognoverunt, se a dicto Hinrico 325 m. 
sublevasse ad usum dicti domini Johannis Wittenborch. 

Dritte erheben also eine Summe von dem Schuldner eines 
andern, aber ausdrücklich nicht kraft eigenen Rechts etwa infolge 
einer Anweisung, sondern im Namen des Prinzipals: Wobei noch 
zu bemerken ist, daß der eine von ihnen, Arnold Bardewik, 
wirklich lange Jahre hindurch in Wittenborgs Geschäft tätig war. 

 Indessen sind in dem Handlungsbuch ein paar Stellen, die 
SILBERSCHMIPT für seihe Auffassung glaubt anführen zu 
dürfen). Zunächst IL. 23: 

Wittelie si, dat Lodeke Wisch hevet mi afkoft 20 Pope- 
rensis panni(s) vor 102! m. Dar hevet vore ghelovet 
Claws Wis sin here unde Albrecht Wilenpunt mit ener 
sameden hant, vul to donede up [15. Aug.]. 

Auch MonLLwo versteht, daß hier Wisch im Auftrage von Wis 
gchandelt habe: er bezeichnet es als Sendeve-Geschäft von dem 
missus im eigenen Namen, wenn auch für Rechnung seines Herrn 








1) SILBERSCHMIDT, S. 65. Vgl. MorzLwo, S. LXL 


Hansische Handelsgesellschaften. 597 


abgeschlossen. Allein wie ist es denkbar, daß der Diener das 
Geschäft zwar im Auftrag und für Rechnung seines Herrn, 
aber im eigenen Namen abschloß, wodurch er der allein Ver- 
pflichtete wurde, dennoch aber sein Herr für ihn bürgte? Was 
gäbe das für verzwickte Verhältnisse! Übrigens irrt sich SILBER- 
SCHMIDT noch besonders, wenn er sagt, daß in 28a „derselbe 
Diener ist Schuldner für einen andern Betrag“: es ist vielmehr 
derselbe Herr, Claus Wis; der Diener Lodeke Wisch wird da 
nicht einmal genannt. 

Ähnlich wie in II 23 liegt die Sache in der von SILBERSCHMIDT 
nicht erwähnten Wittenborg II 136: 

... do vercofte ic Morbeken mit Johan Mornewech, is 
sin geselle, 9 scippunt wasses ... vor 237 m. min 2' =. 
... Dar hevet wore ghelovet J. Mornewech, sin here. 

Weiter aber geloben dafür 

Andrews van Rostoc, Hans Hamma, Roletobe. 

Das Merkwürdige ist aber, daß im N.St.B. 42, wo die Schuld 
eingetragen ist, diese drei allein als Schuldner erscheinen, wobei 
Roletobe die andern beiden eximiert; und daß in der anschließen- 
den 42a weiter Mornewech erklärt, für jeden Mangel an der 
Zahlung von seiten der drei aufkommen zu wollen. Daraus er- 
gibt sich klar, daß der im Handlungsbuch als Käufer genannte 
Morbeke gerade nicht haftete, gar nicht als Schuldner galt. Man 
kann als Sachverhalt nur vermuten, daß eigentliche Käufer die 
drei gesamthänderisch Verbundenen waren, sich aber keines guten 
Kredites erfreuten, weshalb der besser akkreditierte Mornewech, 
möglicherweise irgendwie ihr Hintermann, seinen Angestellten 
Morbeke zur Vermittlung des Geschäftes herlieh. Soviel aber 
ist klar, daß die Sache zuletzt an dem Hintermann hangen blieb 
— wie ja übrigens auch in II 23 —; ferner aber wiederum, 
«laß solche vereinzelte Eintragungen viel zu undurchsichtig sind, 
den wahren Charakter des zugrunde liegenden Geschäfts viel 
zu wenig erkennen lassen, als daß man weitgehende Schlüsse 
darauf aufbauen dürfte. 

Völlig klar dagegen ist ein anderer Fall II 319, wonach 
Wittenborg und Laurensiys 50 Vervierssche Laken für 400 m. 
(vgl. $ 241) 


650 Ottomar Thiele 


ardeur, et que la terre paye. On s’en plaint, on les arrête, et 
on dit qu’ils sont paresseux. Quand on se plaint, on n’examiue 
pas, combien un paysan paye de redevance au propriétaire pour 
un arpent de terre qu’il a planté en vignes, ni si cet arpent de 
terre payerait autant de fermage, s’il était employé à une autre 
culture. Cependant c’est par le fermage que l’on peut payer du 
meilleur emploi de la terre, car c'est dans le fermage que 
consiste le revenu du territoire, c’est à dire, le revenu de la 
nation. Je connais un canton près de Paris (Champ) où les 
terres employées à la culture des grains, sont louées par an 
50° l’arpent, au lieu que celles qui sont engagées aux paysan: 
pour la culture des vignes, payent 12! par an aux propriétaires 
Ces terres donnent donc à peu près cinq fois plus de revenu 
que les autres. Or, l’avantage de toute culture et de tout emploi 
des terres, doit se calculer par le produit net, c’est à dire, par le 
fermage que l’on paye aux propriétaires. Car le fermage doi, 
en parlant en homme fiscal, servir de mesure pour l'impit 
territorial, et non pas les hommes, ni leurs bestiaux, ni leur: 
meubles, ni leur contribution, ni leurs facultés d'exploitation swi 
lequel l'impôt dégénerait en spoliation. Ceux qui dirigent l'im- 
position, ne se fixent qu’aux habitants à leur emploi ou à leur 
aisance, comme si ces hommes étaient eux mêmes la terre qui 
produit le revenu. M’* les Intendants n’aiment pas les vigneron. 
parce qu’ils ne sont pas riches, et qu’ils ne peuvent presque pas 
payer d’impositions personnelles, sans faire attention que l'im- 
position bien ou mal entendue sur les vins, C’est à dire, sur le 
produit de leur culture, monte à plus de 100 millions (?), somme 
encore tirée presque toute en pure perte pour l'état sur environ 
1600 mille arpents de terres plantées en vignes. Jugez de là, :i 
aucune autre culture, malgré la misère des vignerons, peut être 
comparable à celle-ci, ct si on doit produire un travail si productif. 
et dire ensuite que les hommes sont paresseux. Les homme: 
ne sont paresseux nulle part, quand ils peuvent jouir de leur 
gain, mais ce n’est pas ainsi qu'on l'entend, c’est pour accroître 
la charge. Les hommes se défient de la punition, et pour n'être 
pas en pure perte pour eux la victime du travail et du fisc, ik 
se réduisent au pur nécessaire physique qui se trouve plus facile- 


Ispagna, in Africa e in Oriente durante l’età imperiale romana. 655 


Nel mondo antico, per le stesse ragioni, per cui i prezzi medii 
differivano dai massimi assai più che nel contemporaneo '), anche il 
divario fra prezzi minimi e medii dovette essere maggiore, ma possiamo 
starcene paghi ad assegnarvi un rapporto di 1 a 3. In tal caso, noi 
veniamo ad ammettere che a Bilbilis, anzi, pud dirsi, nella Celtiberia 
in genere, il prezzo medio del frumento, nei primi del secondo secolo 
di Cristo, oscillö intorno alle L. 6,50 ca. l’hl. 

E invero noi non possiamo andare piü in là. La Celtiberia era 
una regione spopolata, come ci provano testimonianze letterarie ed 
epigrafiche, ed & noto quanto la scarsezza della popolazione influisca 
sul morigerato costo dei viveri, anche in paesi, come la Celtiberia, 
naturalmente sterili e infecondi*). Affatto diverso era l’aspetto e il 
valore economico della Cisalpina, ma i prezzi del frumento, a cui, per 
questo territorio, si poteva, in quello stesso tempo, pervenire, non 
superavano le 5—6 lire l’h].5). 


II. 


Hispalis (Baetica). — Della Betica, e precisamente della sua 
metropoli, Hispalis, noi possediamo un dato di altro genere; possediamo 
una delle cosi dette iscrizioni alimentari, nella quale cosi una donatrice 
si esprime: „... [qui sunt inr. p. n. pueri] ingenui Juncini item puellae 
fingeuuae titianae, eis] quodannis in annos singulos HS L mililum 
usuras semisses] dari volo, quam summam bis in ann[o natali C. Seii 
viri mei] k. mais et meo VII k. maias in aliment[orum ampliationem] 
accipiant pueri ingenui HS XXX nummos, pulellae ingenuae HS XL n., 
quamiquam summam sufficere credo. Si tamen numerus [puerorum 
puellarumque 8. s.] maior erit, pro por[t]ione qua inter masculos [ut 
distribuatur cavi], distribui omnibus volo; quod si amplius erlit in 
legato, item aequabiliterq]ue inter eosdem distribuant|ur qui supererunt 
nummi].“ #) 

Noi abbiamo ad altra occasione) ricercato se, e in quale misura, 
codeste donazioni alimentari possano informare del prezzo del frumento 
nei luoghi, cui esse si riferiscono, e, scostandoci un po’ dall’opinione 
ch" € prevalsa, abbiamo concluso che rappresentano in genere un 
largo equivalente del fabbisogno frumentariv» dei beneficiati, il quale 
tıttavia pud talora variare in dipendenza di motivi estranei a 
qualsiasi aumento o deminuzione del prezzo del grano. La presente 
iscrizione n° & una riprova. Mentre in genere, nelle fondazioni alimen- 
tari, le donne ricevono assegni inferiori ai maschi, esse, questa volta, 


—— ——— 





1» Cfr. RODBERTUS, Zur Frage d. Sachwerths d. Geldesim Alter- 
tum (in Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Se la, 
14. 37; 363 sgg.). 

2) SrnaB. 3, 4, 14. 

3) Cfr. BARBAGALLO, Il prezzo del frumento durante l’età im- 
periale romana in Grecia e in Italia (in Riv. di st. ant. 1906, 
1. p. 69). 

4) C. L L. Il, 1174. 

5) Cfr. BARBAGALLO, op. cit. in Riv. di st. ant. 1906, I, pp. 64—65. 


652 O. Thiele: Fr. Quesnay u. die Agrarkrisis i. Ancien régime. 


lorsqu'ils disent que l’agriculture est devenu à /a mode, et que 
les livres qui se sont si multipliés sur cet objet, n’ont pas encore 
porté un grand fruit; et ils ne s’apperçoivent pas qu’on les regarde, 
et que c’est de leur propre besogne que le public est occupé 
des malheurs qui en résultent. Tous les effets des méprises de 
l'administration politique de l’agriculture, c’est à dire, des fonds 
et des revenus du royaume, peuvent se mesurer, se calculer; c’est 
une partie visible et susceptible de démonstration dans tous les 
points. La connaissance n'en est pas réservée à ceux qui la 
conduisent; elle n’a rien de caché, et tous les hommes sont 
intéressés à l’examiner, à l’approfondir, à la développer, et à la 
manifester par droit de raison et de patrie. La vérité réunit ia 
l'intérêt du souverain, et l’intérêt de la nation. Tous les préposés 
de l'autorité, et tous les citoyens instruits sont éclairés par le 
même flambeau; ils doivent marcher de concert et tendre a 
même but. J’ai observé dans votre mémoire que vous y avancez 
M., à grands pas; il est à souhaiter que vos subordonnes travaillent 
avec plus de lumières, et avec plus de connaissances locales à 
seconder vos bonnes intentions. 


Hansische Handelsgesellschaften. 601 


guder hanteret, und ofte he umme lon denet also eyn 
gemedet knecht ofte nicht 1. 

Der gemietete Knecht wird nicht zu den Rechten der Hanse 
in England zugelassen. Wie konnte er da in eigenem Namen 
handeln? Es wirkt bei SILBERSCHMIDT eben auch hier seine 
falsche Auffassung des Sendeve nach. 

Zugelassen ist allein der Bürger einer Hansestadt, der 

trig up sinen voten steit, leddich van allen loften. 

Wie ist nun die Anwendung des gefundenen auf diesen, falls 
er mit einem Mitbürger daheim vergesellschaftet war? Welchen 
Halt hatte man im Auslande gegenüber seinem abwesenden Teil- 
haber? 

Jeder, der zum Recht des deutschen Kaufmanns in London 
zugelassen sein wollte, mußte sich darüber ausweisen, wer er war. 
Er mußte zwei Bürgen für die Richtigkeit seiner Angaben stellen. 
Es wurde auch nachgeforscht, ob er etwa mit Nichthansen ver- 
gesellschaftet war. 

Mochte das alles auch zunächst nicht zur Feststellung der 
privaten Kreditwürdigkeit des Bewerbers verordnet worden sein, 80 
in zweiter Linie doch wohl. Und auf alle Fälle zeigt es, daß es 
im Auslande nicht allein auf das persönliche Auftreten des Mannes 
und das, was er an Geld und Waren mit sich führte, ankam, 
sondern mindestens ebensosehr auf das, was er zu Hause galt 
und war. 

Bedurfte also auch der Kaufmann, der „frei auf seinen Füßen 
stand“, im Auslande nicht einer Vollmacht seines Teilhabers da- 
heim, wie der mit Sendeve betraute „gemietete Knecht“ der 
seines Herrn, so muß es doch auch seinem Kredit und seiner 
Geschäftsführung von Nutzen gewesen sein, wenn er Briefe vor- 
weisen konnte, aus denen sich ergab, daß er mit, jenem wohl- 
bekannten Lübecker Kaufmann assoziiert war. 





1) LAPPENBERG, Urkundl. Geschichte des Hansischen Stahlhofes zu London. 
Urkunden, S. 107, Art. VI. Der Artikel ist nicht sicher zu datieren, da die 
Handschrift der Statuten des Kontors zu London von 1320—1460 keine zeit- 
liche Reihenfolge innehült. Der nächste datierte Artikel vorher ist Art. IV 
von Himmelfahrt 1447, von dem aber mehrere Bestimmungen auf Rezesse 
von 1366 und 1418 zurückgehen. Vgl. LAPPENBERG, a. a. 0. 


656 Corrado Barbagallo: Miszelle. Il prezzo del frumento in 


benchè noi siamo costretti a integrare il passo colmando una lacuna, 
è certo che ne ricevono uno superiore, e gli uni e le altre, una somma 
inversamente proporzionale al numero dei beneficiati della dotazione. 
Come che sia, noi abbiamo un assegno individuale annuo certo di 
30 sesterzi, cio& di due sesterzi a mezzo al mese. Il consumo medio 
individuale, pur trattandosi di ragazzi, non pud essere gran fatto 
minore delle 4—5 moggia!); ne segue perciö un costo di eirca L. 0,12 
al moggio pari a meno di L. 1,50 l’hl. 

Se non che adesso non si tratta di prezzo, che sia dichiarato minime, 
come quello datoci daMARZIALE per la Celtiberia, ed & questo ciö, che sovra 
ogni altro ci impaccia. Hispalis era una città della fertile Betica, ricca di 
pianure, di pascoli*), eccellente sovra ogni altra regione della Spagna 
„Aiviticultu et quodam fertili et peculiari nitore“, ma ne 
era anche la provincia più popolosa?), il che non doveva influire poco sul 
prezzo delle derrate alimentari. Appunto per questo noi incliniamo a 
credere che l’assegno della donatrice fosse inferiore al puro fabbisogno 
frumentario aunuo dei beneficiati e servisse loro soltanto di sussidio seme- 
strale. Abbiamo visto infatti i prezzi del frumento nella Celtiberia, ove, 
se potevano essere superiori, non potevano indubbiamente distanziarsi 
da quelli della Betica nella misura che la su riferita cifra darebbe. 
Abbiamo visto i prezzi della Cisalpina, che, date la sua quasi identitä di 
condizioni economiche e demografiche con la Betica, potevano solo di 
poco superare gli altri offerti da quest’ ultima®), e non possiamo rite- 
nere ammissibile un cosi grave divario°). L. 1,50 l’h1 potrebbe adunque 
essere, non nelle intenzioni della donatrice, ma nella realtä, il prezzo 
minimo di un hl di frumento della Betica, onde, ragguagliando quello 
medio a tre volte codesta cifra, giungiamo a L. 4,50, cifra perfettamente 
ragionevole. 

A che anno si riferisce la donazione? Essa al certo non puö prece- 
dere, od oltrepassare, i limiti estremi, dell’ età delle istituzioni alimen- 
tari, il 97 di C. e il regno di Diocleziano, ma è forse possibile deter- 
minarne con maggior precisione la cronologia. I fanciulli da beneficiare 
sono ivi detti Juncini. Or bene, codesto nome ricorda quello di due 


1) Cfr. op. cit., in loc. cit. pp. 67—68. Sono assai dolente di dover 
citare ancora una volta me stesso, ma l’argomento, di cui trattiamo, & atato 
cosi poco studiato e le conclusioni nostre si riconnettono tanto a dei pre 
supposti fissati nell’ articolo che richiamiamo, ch’e, pur troppo, impossibile 
fare altrimenti. 

2) Srran. 8, 2, 1; 3. — P£ix., N. H. 3, 7. 

3) Puin., loc. cit. — Strran. 3, 2, 1 sgg. 

4) Nell’ età di Polibio, anzi, la Cisalpina vantava prezzi di frument 
pari alla metä di quelli della Lusitania, che, quanto a condizioni economiche 
e demografiche, tenne, più tardi (cfr. STRAB. 3, 3, 3—-4) un posto intermedio 
fra la Celtiberia e la Betica. Cfr. Por. 2, 15, 1; 34, 8, 7. 

5) Contro questa interpretazione parrebbe cozzare il „guam summam 
sufficere credo“ dell’ epigrafe, riferito a „HS XXX numm os“, ma la 
difficoltA pud eliminarsi, riferendo la frase alla somma totale, il cui interesse 
annuo era rappresentato dai trenta sesterzi etc. etc. La donatrice cio® 
avrebbe ritenuto la somma impiegata sufficiente a fornire, a un tasso deter- 
minato, un determinato interesse. 


Hansische Handelsgesellschaften. 603 


diese Befreiung so weit gegangen sein, daß auch der wirklich 
verpflichtete Dritte für die Schulden nicht haftbar gemacht werden 
konnte, die sein Teilhaber im Verfolg der Geschäfte der Gesell- 
schaft eingegangen war? Nein: seine Haftbarmachung ist die 
notwendige Ergänzung zu jener Befreiung der Schuldlosen. 

Wie sich die Sache in der Praxis gestaltet hat, ist eine andere 
Frage, jedoch nicht eine Frage des Rechts. Unter Hansestädten, 
deren Bürger vertragsmäßig gegenseitigen vollen Rechtsschutz 
genossen wie die eigenen Mitbürger, wird kein Zweifel sein, 
daß die Behörden dem Bürger der Schwesterstadt zur Erlangung 
seiner Rechtsansprüche gegen sämtliche Teilhaber der schuldigen 
Gesellschaft verhalfen, wie gegen den, der die Schuld eingegangen 
war. Im Auslande mag dagegen der Verfolg des Rechts oft 
schwer gewesen sein und bei den Behörden die Neigung vor- 
gewaltet haben, den Landsmann unter allen Umständen zu decken 
— jedoch auch dann, wenn er persönlich schuldig war. Indes 
darf man auch da nicht zu schwarz sehen: es kam darauf an, 
wie der Kläger seine Sache zu verfechten in der Lage war, — 
gerade wie noch heute). 

Endlich aber läßt auch in dieser Hauptfrage das Lübische 
Recht uns nicht im Zweifel: 

Ferner Kunze, | Hanseakten aus England (Hans. Geschichtsquellen Bd. VI) 
S. IX ff. 

1) Auch folgender Fall bestätigt meine Anschauung. Auf dem Jahr- 
markt zu St. Ives hatte im Jahre 1315 der englische Gläubiger eines fremden 
Faktors die bei diesem gefundenen Waren beschlagnahmen lassen, obgleich 
der Schuldner erklärte, sie seien nicht sein Eigentum, sondern das seines 
Herrn, eines Kaufmanns in Guynes. Dieser verklagte darauf den Abt von 
St. Ives, der als Gerichtsherr jener Klage stattgegeben hatte, auf Schaden- 
ersatz; denn nach Handelsbrauch habe er ein Jahr, bis zum nächsten Jahr- 
markt, Zeit gehabt, sein Eigentum nachzuweisen. Der Abt behauptete da- 
gegen, jener hätte noch auf demselben Jahrmarkt mit seinen Ansprüchen 
sich einstellen müssen. Von dem königlichen Gericht wird der Fall einer 
Jury von 48 Kaufleuten aus vier Haupthandelsplätzen überwiesen. Das Ur- 
teil ist nicht erhalten. Allein wir sehen auf alle Fälle, daß zwischen dem 
Eigentum des Faktors (mit „sendeve“ betrauten Knechts) und dem seines 
Herrn unterschieden wurde, mit andern Worten, daß der Knecht die Ge- 
schäfte im Namen seines Herrn machte. Nach GUETERBOCK, Zeitschr. f. d. 


ges. Handelsrecht, Bd. IV S. 18f., dessen Quelle Placitorum abbreviatio, 
8 Edw. II, Trin., ap. Westm., ist. 


v58 Corrado Barbagallo: Miszelle. Il prezzo del frumento in 


g. 7,28 con una lega al titolo di ®®"/ıono. Il suo valore era quindi 
pari a L. 23,69, e quello di un sesterzio, a L. 0,24 ca. Due sestersi 
e mezzo valevano quindi L. 0,60 circa e un hl di frumento, L. 1,50 eirca. 


IX. 


Cartagine (Africa proconsularis). — Di due secoli piü tardo, 
ne riferito alla Numidia, ma all’ Africa proconsularis, e preei- 
samente a Cartagine, cioe ad una grande citt& e a un territorio di 
gran lunga più popoloso del primo!), noi possediamo, sui prezzi del 
frumento, un notevole accenno fornitoci da AMMIANO MARCELLINO. 

Questi narra*) che nel 3675), essendo i Cartaginesi stremati 
dalla carestia, il proconsole Imezio forni alla popolazione il frumento. 
che si teneva in serbo negli horrea publica a disposizione del 
popolo romano, vendendolo a 10 moggia un solidus. Subito dopo, 
al cessare della carestia e al sopraggiungere della nuova mèsse, egli 
ricolmö il vuoto dei granai pubblici. Ma allora il prezzo del frumento 
era di molto diminuito ed egli potè acquistarne per 1 solidus una 
quantità tripla di quella che aveva fornito ai suoi amministrati. Il 
guadagno ricavato lo trasmise all’ erario del principe. Tuttavia, questi 
non credette che i conti di Imezio fossero irreprensibili; dal prezz, 
allora corrente sul mercato, sospett che quegli avesse fatto pagare 
all erario somme maggiori delle reali e percepito guadagni illeeiti, 
onde lo condannö a risarcire il mal tolto. 

Da questa narrazione noi rileviamo che il prezzo medio del fru- 
mento, in quel tempo, non era, come, a prima vista, potrehbe sem- 
brare, quel decimo di solidus, per cui Imezio, in momenti di carestia, 
aveva rivenduto il frumento ai Cartaginesi, ma o il trentesimo di 80- 
lidus, pel quale egli l’aveva acquistato poco di poi, o, stando al 
giudizio dell’ imperatore, un prezzo ancora minore, forse 1/40 o /s- 
di solidus. 

Noi pero, fra le due asserzioni, quella imperiale e l’altra procon- 
solare, siamo indotti ad attenerci a la seconda. Giä AMMIANO Mar- 
CELLINO, che sorvola assai fugacemente ed oscuramente sul metode 
di controllo dell’ imperatore*), introduce il racconto della triste sorte 
di Imezio in una serie di episodi atti a dimustrare la eccessiva e in- 


1) IM BELOCH (Die Bevölkerung d. griechisch-rômischen 
Welt, Leipzig 1886, p. 507) vi ascrive, pci primi dell’ ê. v., 179 ab. per 
km? contro 15, che avrebbero contato l’Africa proconsularis, la Numi- 
dia e la Mauretania, delle quali regioni la Numidia era fra le due men 
popolose. 

2) 28, 1, 17. 

8) Il racconto di AMMIANO MARCELLINO, che contiene un episodio imme 
diatamente successivo al proconsolato di Imezio, si riferisce al 368, ma altr 
fonti più autorevoli ci inducono a credere che codesto proconsolato sia ante- 
riore di un anno e vada riferito al 366—67 (cfr. Tıssot, Fastes de la 
province rom. d’Afrique, Paris 1885, pp. 246 sgg.). 

4) AMMIANO (28, 1, 18) dice soltanto: „Valentinianus, per nundinationen 
suspicatus, .. .* 


Hansische Handelegesellschaften, 605 


beschränkt’). Ich verweise da noch besonders auf die angeführ- 
ten Worte 

edder enen summen geldes mer u. s. w,, 
die mit dem Eingehen von Verbindlichkeiten über das Gesell- 
schaftskapital hinaus rechnen. 

In der Tat liefert Joh. Wittenborgs Handlungsbuch 
ein paar praktische Belege für das Vorkommen eines solchen 
Falles. 

Er und sein Gesellschafter Johann Laurensius hatten von 
dem Ratsherrn Scheningh flandrisches Tuch gekauft, das sie nach 
Danzig schickten. Von dort kamen Bottiehholz und andere 
Waren zurück, die sich aber nicht so schnell verkaufen ließen, 
als die Zahlungen an Scheningh fällig wurden. Um daher dieser 
Verbindlichkeit nachzukommen, sahen sich die beiden Gesell- 
schafter genötigt, ihr Privatvermögen anzugreifen : 

so hebe wi bitalet heren Sceninge van unseme egenen 
gelde nu to user wrowendage 100 m. lub., also dat wi 
noch nin rede ghelt untfangen heben van deme wande. 


Und ebenso ging es mit zweiten 100 m., die am Michaelis- 
tage fällig waren ($ 292)°.. Wir selıen da mit einem Schlage, 
wie kompliziert das geschäftliche Räderwerk bereits war. 


Ein andermal machten Wittenborg und Herr Johann Woltvogel 
sogar eine Zwangsanleihe von 250 m. bei der St. Jakobs-Kasse, 
die sie verwalteten, um 48 Poperingsche Laken bezahlen zu 
können ($ 105). Und die Rückzahlung dieses Darlehens scheint 
ebenfalls nicht so ganz glatt von statten gegangen zu sein: Wolt- 
vogel ist sogar darüber weggestorben ($ 113. Vgl. noch $$ 107—109, 


1) Ich kann deshalb auch den Worten „composnerunt pecuniam suam“ 
in REHMES Nr. 11 nicht die Bedeutung beimessen wie SiLBERsCHMOE 5. 46 f., 
als handle es sich dabei ausnahmsweise um das ganze Vermögen. Inter- 
essant sind nur die Worte „amborum nomine*“. Anders verhält es sich mit 
der von SILBERSCHMIDT 9. 45 Anm. 6 angeführten Urkunde, Mecklenb. Urkb. 
Bd. VIII S. 207, Nr. 5237 [a. 1331], wonach „E, et M. socii dieti Nachtraven“ 
erklären, daß „omnia bona ipsorum in hereditatibus, in redditibus et debitis 
et bonis paratis* ihnen gemeinsam gehören: nur erfahren wir dort nichts 
über die Verwendung als Handelskapital. 

2) Näheres über das Geschäft s. unten 5, 622, 


660 Corrado Barbagallo: Miszelle. Il prezzo del framento in 


ricuperare le tre peggiori, da quelli, gi devastate e abbandonate, le 
tre Mauretanie (Tingitana, Caesariensis, Sitifensis) e il resto della 
Numidia. 

Il passagio dei Vandali altraverso la Berberia non era stato fra 
gli episodi più desiderabili. Un testimonio oculare, Vittorio il Vitese 
nella sua Historia persecutionis africanae provinciae sub 
Genserico et Hunirico regis Wandalorum!), narra del loro 
ingresso in quelle regioni, uno scempio, un saccheggio, un massacro 
universale, il cui contracolpo era stato lo spopopolamento delle eittä 
e delle campagne. A Cartagine, nel massimo focolare della civiltä 
dell’ Occidente africano, Genserico aveva ordinato che tutto l’oro, l'ar- 
gento, le gemme, le vestimenta e gli oggetti preziosi venissero a lui 
offerti, si che in breve aveva spogliato gli abitanti di tutti i beni eredi- 
tati o acquisiti?). Si sono nudriti dei dubbi sulla veridicità dello 
storigrafo e si & giunti fino a definirlo un calunniatore dei Vandali, 
ma le sue notizie sono confermate da tutti gli scrittori contempo- 
ranei) e da documenti ufficiali. Lo storico Procopio riferisce, circa 
la spoliazione dei proprietari del suolo, qualcosa di più dettagliato. 
I loro possessi, immobiliari e mobiliari, erano stati da Genserico distri- 
buiti ai suoi Vandali e le loro persone addette ai medesimi come 
schiavit). E questa narrazione, come l’altra di Vittorio, à confermats 
da due Novellae imperiali5), una del 445 e una del 451, in cui 
si fa calda e dolorosa menzione delle su riferite spoliazioni e del- 
’immiserimento degli abitanti, si approvano i provvedimenti, a cui aveva 
dato mano taluno dei governatori, e qualche altro se ne escogita o se 
ne suggerisce. 

Appunto nella prima delle due Novellae, la quale & datata dal 
22 giugno del 445°), & indicato un prezzo di frumento in quelle pro- 
vince e in quella congiuntura. Pare che i Numidi e i Mauri Sitifesi 
avessero spedito un’ ambasceria all’ imperatore, chiedendo un alle 
viamento degli oneri tributari ed egli, infatti, condona i 7/8 dei tribut, 
frena parecchi degli abusi e mitiga la severità della percezione. Con- 
temporaneamente, perd, si preoccupa delle esigenze militari in tempo 
di guerra e soggiunge: „Militares annonas, cum provinciales pro lon- 
ginqua difficultate itineris in adaeratione persolverint, unius annonae 
adaeratio, quatuor per annum solidis aestimetur. Nec vero necessi- 
tatis occasione in expeditione militi constituto carioris cuiquam ves- 
dere liceat pretia necessariarum rerum; sub hoc modo quo annon 





1) In Monum. Germ. hist., Berolini 1879, III, 1 ed. Halm. 

2) I, 1, 3; 3, 8; 4. 

3) FERRÈRE, De Victoris Vitensis libro qui inseribitur 
„Historia persecutionis etc“, Parisiis, 1898, pp. 55 sgg. 

4) De bello vand. 1, 5, 10 sgg. ed. Haury. 

5) Legum nov. Valent. et Theod. 23; 40 (in Cod.theod., Lipsis 
1736—41, VI, pp. 63; 90—91). 

6) Il BLÜMSER (Der Maximaltarif d. Diocletians, Berlin 18%, 

p. 62) vi appone invece la data del 443, e il RODBERTUS (op. cit, il 

Tahrbücher für N.Ö. und Statistik, 1870, XIV, 36; XV, 218) on 
quella del 4143, ora l’altra del 446. 


Hansische Handelsgesellschaften. 607 


Warum wohl von diesen, zumal sie doch auch kommandi- 
tistische Teilhaber haben konnten? Und welches wäre demnach 
die Stellung der voluntaren Gesellschaften vor dieser Unterschei- 
dung gewesen ? 

Offenbar wird hier doch eine Scheidung innerhalb der volun- 
taren Gesellschaften vorgenommen, oder vielmehr unter ihren 
Teilhabern je nach ihrer Stellung im Geschäft. Alle am Betrieb 
Beteiligten sollen auch in Zukunft unbeschränkt haftbar bleiben, 
und das gilt natürlich ebensowohl für den, der zu Hause das 
Geschäft leitet, wie für den, der für das Geschäft reist. Nur 
für die am Betrieb nicht Beteiligten soll in Zukunft die Haftung 
auf ihre Einlage beschränkt sein. Es ist in beiden Fällen der 
Standpunkt unseres heutigen Handelsgesetzbuches: der, der ge- 
wissermaßen in der Natur der Dinge gegeben ist. Vor der Ord- 
nung von 1464 aber hatte bei weniger feiner Würdigung der 
Rechtsgesichtspunkte offenbar die Neigung bestanden, auch 
bloße Kommanditisten voll haftbar zu machen. — 

Es sei gestattet, jetzt noch einige Belege anzuführen, die ein 
In-die-Erscheinung-treten der Gesellschaft nach außen verbürgen: 
mag es zunächst auch nur ein tatsächliches gewesen sein, 80 
konnte es dennoch nicht ohne rechtliche Wirkung unter dem 
Gesichtspunkt, der uns interessiert, bleiben. 

Einmal wird vorausgesetzt, daß die Gesellschafter über die 
Gesellschaftsgeschäfte Buch führen, und es ist gestattet, sich 
vor der Behörde darauf zu berufen. 

Das zeigen schon Eintragungen im Lübecker Nieder-Stadt- 
buch wie REHME Nr. 63 (a. 1354): 

ubi ista bona sint et a quibus illa tractantur, hoc assere- 
bant in suis papiris esse signatum. 

Ähnlich Nr. 59 (a. 1350))). 

Hırscıht kennt denn auch wirklich einen Fall von 1449, wo 
die Danziger Schöffen die Eintragung in ein Handlungsbuch 
als Beweis für die Löschung einer Schuld annehmen *). 


deutschen Handelsgerichts (Leipzig 1894), S. 55, auf die SILBERSCHMIDT sich 
beruft, bringt nichts weiteres zur Sache. 

1) So auch MoLLwo S. XLVID?. 

2) Danzigs Handels- und Gewerbegeschichte S. 232. MoLLwo 8. XLVI. 





662 Corrado Barbagallo: Miszelle. Il prezzo del frumento in 


consularis di un secolo prima. Ivi, nel 366—67, un trentesimo di 
solidus era il prezzo medio di un moggio di frumento; nel 445, 
nella Mauretania Sitifese e nella Numidia occidentale, relativamente 
assai menv popolose!), un quarantesimo di sulidus nun poteva essere 
un prezzo bassissimo. Naturalmente, non poteva neanche essere 
un prezzo elevatissimo; altrimenti l’imperatore sarebbe andato contro 
gl’ interessi dei suoi soldati, che, com’ & agevole comprendere, dovevano 
stargli a cuore per lo meno quanto quelli delle province dominate, 
Un quarantesimo di solidus era dunque il prezzo medio corrente in 
quegli anni nei luoghi della Mauretania Sitifese e della Numidia occi- 
dentale, nei quali il frumento non poteva acquistarsi direttamente, ma 
bisognava trasportarlo da lontani centri gramiferi‘). Un quarantesimo 
di solidus, in quegli anni, era pari a L. 0,39 circa e un hl di fru- 
mento, a L. 4,50. 

Sul luogo della produzione codesta cifra doveva essere più bassa. 
Di quanto & assai difficile stabilire. Nel 301, nel suo famoso edittu 
De pretiis rerum venalium, l'imperatore Diocleziano aveva pen- 
sato a fissare anche il costo dei trasporti. Per 1200 libbre di carico 
da tragittare su carri, egli aveva fissato, per ciascun miglio, 20 dena- 
rii?).. Ammettendo „pro longinqua itineris difficultate“ 
l’ipotesi di un percorso medio di 25 miglia, avremmo 500 denarii 
per 1200 libbre (== Cg. 400 eirca) cioè, per ettolitro di frumente, 
calcolato in media del peso di Cg. 75, denarii 98e'/#. E, poiche il 
denarius dioclezianeo corrispondeva circa a due ceutesimi, L. 1,57 
per trasporto di un ettolitro di frumento su 25 miglia di percors. 
Diocleziano perd fissava anche il costo dei trasporti a schiena di cam- 
mello, che doveva essere infatti la più consueta maniera di spedizivne 
in Africa*). Dessi erano più a buon mercato. Un carico di cammello, 
che ragguagliava a 600 libbre (ca. Cg. 200)°), costava 8 denariif, 
cioè, calcolando, come sopra, L. 1,50 eirca per hl. di frumento. 

Ma erano questi prezzi anche i prezzi di un secolo dopo, e, per 


1) L’ Africa proconsularis e la Bizacena, pari giü per su, quanw 
a estensione, a l’odierna Tunisia, che, secondo una pubblicazione ufficiale 
del 1897, misura circa km? 130000 (cfr. VIVIEN DE SAINT MARTIN, Nou- 
veau dict. de géographie univ., Paris, Suppl. D-U), vantavano 169 
sedi vescovili; il resto dell’ Africa settentrionale (salvo la Mauretanis 
Tingitana), corrispondente all’ incirca all’ odierna Algeria, che misurs 
km? 540 000—670 000 (VIViEN DE SAINT Martin, op. cit. 1, 74), 297 «cfr. 
Notitia dignitat., ed. Böckına, Bonnae, 1839—53, 615 sgg. Appendice). 

2) Giustamente osserva il RODBERTUS, i pagamenti in danaro, in luogo 
di forniture in natura, vennero sempre calcolati almeno sui prezzi del 
mercato (op. cit., in Jahrbücher f. N.Ö., 14, 861). Un secolo dopo, per 
tutta l’Africa settentrionale, comprese le province migliori redente, il Code 
Justin. (I, 27, 1, 22 sgg; 2, 20 sgg.) fissa un’adaeratio di cinque solidi. 

3) E. D. 17, 3, ed. BLÜNMNER, 

4) CAGNAT, op. cit., 401 sgg. 

b) Sono il carico normale di un cammello (WAnvixcton, Edit de 
Dioclétien, Paris, 1864, ne al $ 14, 9. Il carico massimo arriva fino 8 
Cg. 300 (CAGNAT, op. cit., 403). 

6) E. D. 17, 4. 





Hansische Handelsgesellschaften. 609 


sonderen Handelsmarke für die Gesellschaftsgüter, die nicht 
identisch ist mit den Marken der einzelnen Gesellschafter. Eine 
solche hat STIEDA bei der Gesellschaft der Veckinghusen & Co. 
gefunden '), einen andern Fall aus der zweiten Hälfte des 
15. Jahrhunderts PAuLr?). 

Übrigens waren diese Veckinghusen und Genossen eine 
offene Handelsgesellschaft, an der niemand zweifeln wird. Ihre 
Geschäftsführung unterscheidet sich aber der Art nach durchaus 
nicht von der, wie wir sie auch bei Wittenborg finden, nur durch 
die Ausdehnung und Kühnheit ihrer Operationen: eine Kühnheit, 
die über das Maß des mit damaligen Verkehrsmitteln Möglichen 
hinausging, woran sie notwendig scheitern mußten. 

Eine offene Gesellschaft war auch die der Tölner. Denn 
wenn der ältere Tölner den Verkauf der ankommenden Tuch- 
ballen in Rostock leitete, mußte mindestens einer seiner Teilhaber 
doch wohl in Flandern den Einkauf besorgen ‘). 

Aber daß auch dies Fehlen der Firma nur noch eine Äußer- 
lichkeit sei, zeigt uns der Brief des Breslauer Bürgers Andris 
Sehüler an die Stadt Thorn vom [19.] Dez. [1392]. Hier heißt es: 

bekentnisse . .., das unse kompanye im abekawf- 
ten drissig Körtherische tuch und unsir bursa im eynen 
brif vorsegilten dorobir; 
und wo weiter verwiesen wird auf 
lute ..., dy unsir bursan geld ynne habin. 
Diese 
wellin dem hewptbrive nicht gloubin und sprechin, ich habe 
das gewand uf mich alleyne gekowft. 

Die Schuldner der Gesellschaft wollen in betrügerischer Ab- 
sicht nicht anerkennen, daß der Kläger diesmal als Vertreter 
seiner Gesellschaft gehandelt habe: was denn voraussetzt, daß 
an sich eine solche Vertretung allerdings möglich war. Das ganz 
besondere Interesse des Falls liegt aber darin, daß die Gesell- 


1) Hansisch-venetianische Handelsbeziehungen. 8, 66 fi. 

2) Lüb. Zustände III, 8.35. Urk. Nr. 95 a. 1476: „erer beider merke*, 
(Statt „Bredepeppersche“ lies dort „brede Poppersche*.) 

3) Dies hat KOPPMANN wohl übersehen, wenn er S, XVII Arnold Kop- 
mann und Edeler Witte für bloße Kommanditisten hält, 


610 F. Keutgen 


schaft nicht nur kaufte, sondern ein gemeinsames Siegel — 
ohne Zweifel mit der Handelsmarke — führte '). 

SILBERSCHMIDT hat übrigens selbst die Augen nicht gau 
gegenüber dem wahren Tatbestand verschließen können: An einer 
früheren Stelle seiner Abhandlung war ihm in einem Punkte der 
tiefgreifende Unterschied zwischen deutschen und ro 
manischen Verhältnissen unvermeidlich aufgefallen: er hat 
ihn nur nicht weit genug verfolgt. 

Ich habe schon einmal darauf hingewiesen. Er sagt: „Im 
romanischen Gebiet trifft man immer wieder in den Commenda- 
Verträgen auf die Bestimmung, zu welchem Betrage die fragliche 
Commenda an den Ausgaben der Unternehmung teilnehmen und 
daß andere Commenden, die der Commendatar nehmen wärde, 
auch per libram daran tragen sollten ... Diese Bestimmungen 
vermißt man in den deutschen Quellen“, und er führt 
dann weiter den Unterschied zwischen dem tractator im Süden 
und seinem deutschen Gegenstück aus, den wir schon kennen’. 

Trotzdem und obgleich er ganz richtig Männer wie Geldersen 
und Wittenborg als Prinzipale charakterisiert hat, will er zum 
Schluß den deutschen ,hôvetman“ mit dem italienischen „trar- 
tator“ identifizieren °), wobei der „hövetman“ auch nach ihm 
„natürlich unbeschränkt haftet“. Da hat man das Problem in 
einer Nußschale. 

Trotz aller Einsicht und allen Scharfsinns mußte SrLper- 
SCHMIDT irren, weil er ausgegangen war von der Überzeugung, 
das, was er vor Jahren für Italien gefunden, jetzt in Deutsch- 
land wiederzufinden. Und noch eins: weil er die Sachen zu 
formalistisch behandelt hat. 

Wenn Wittenborgs Magd ihrem Herrn Geld ins Geschäft tut, 
so ist sie Commendator, er Commendatar; aber wenn er seinem 
„Knecht“ Berthold Geld zu Geschäften gegen Gewinnanteil mit- 
gibt, so ist Wittenborg Commendator und Berthold Commendatar: 
Wittenborg rückt in die Stellung seiner Magd — hinauf. 


1, Hans. Urkb., Bd. V Nr. 81. 


2) Kumpanie und Sendeve, S. 25 f. — Vgl. oben S. 507. 
3) S. 68. 


Hansische Handelsgesellschaften. ' 611 


Formal scheint da kein Unter&hied: aber materiell kommt 
les darauf an. SILBERSCHMIDT weiß das auch; er weiß, daß 
lie Beteiligung der Magd Wobeke „mit diesen Dingen nichts 
u tun“ hat”). Aber er hat sich diese Einsicht nicht zu Dienste 
'emacht: er behandelt nachher doch die Beteiligungsart der Magd 
ls das Normale. So war also nicht weit zu kommen: nur 
ollste Berücksichtigung des materiellen Rechts und seiner wirt- 
chaftlichen Voraussetzungen konnte Klarheit schaffen. 

Es ist kaum nötig, zusammenfassend noch viel zu sagen. 

Welcher Art auch seit dem Ende des 15. Jahrhunderts der 
‚influß fremder Rechtsgedanken auf das deutsche Gesellschafts- 
echt gewesen ist, bis dahin hatte es sich selbständig entwickelt. 

Die Stellung des auswärts mit der Ausführung der Geschäfte 
jetrauten war von vornherein in der hansischen Handelswelt 
ine von der im Süden verschiedene. Auch wenn er kein Kapital 
ingeschossen hatte, war er am Verlust wie am Gewinn beteiligt, 
rie ihm denn von diesem die Hälfte, nicht, wie dort, ein Viertel 
ufiel. Noch wichtiger ist, daß im Norden nicht das Traktator- 
um sich zu einem selbständigen Gewerbe ausbildete. Während 
m Süden der Traktator zum Unternehmer wurde, der Aufträge 
erschiedener Commendatoren gleichzeitig annahm, die sich in 
lie Kosten des Unternehmens teilten, blieb im Hansegebiet 
Jnternehmer der socius stans, der Commendatar aber in seinen 
Jiensten; und selbst dann, wenn zwei gleichstehende Kaufleute 
ich vereinigten, von denen einer das Reisen besorgte, war Haupt- 
nann der, der zu Hause blieb. 

Damit aber war die Entwicklung zur Kommanditgesell- 
chaft von Anfang an an die zweite Stelle gedrängt: im 
’ordergrunde steht die offene Handelsgesellschaft, 
vie einst der nicht von romanischen Verhältnissen ausgehende 
SCHMIDT richtig gesehen, wenn auch nicht bewiesen hatte. Der 
'emeinsame Betrieb bedingt die gemeinsame Haftung. Der 
techtsgedanke dieser Solidarität aber knüpft an an den der Ge- 
amthand, von der zu jener zuletzt nur noch ein Schritt war. 
War nun auch noch nicht die Stabilität und die klare Ord- 


1) 8.27. GELDERSEN I, 284 Ähnliche Fälle bei WITTENBORG. 


666 Corrado Barbagallo: Miszelle. Il prezzo del frumento in 


prezzi dei cereali inferiori, si puö immaginare che tremendo e impos- 
sibile lavoro sarebbe, nel 301 a C., stato necessario, per acquistarne 
una più o meno csatta notizia. Il prezzo duuque dei cereali e, nel 
caso nostro, del frumento, segnato nell’ editto, à da intendere come 
prezzo della sezione orientale dell’ impero romano. E che cosi sia, 
ne abbiamo una riprova in quelli, di poco posteriori, che di colä ci 
pronengono. 

Come vedremo fra non guari, esso s’accorda a meraviglia con due 
nuovi prezzi, che troveremo, mezzo secolo di poi, in Antiochia e in 
Costantinopoli. Vero & che questi si riferiscono a grandi metropoli, 
ed è noto come ivi i valori delle derrate alimentari salgano a propor- 
zioni ignorate nei piccoli centri e nei luoghi di produzione. Ma questo, 
se da un lato conferma la nostra ipotesi, che Diocleziano dovette ispi- 
rarsi alle notizie, che a lui, più immediatamente e direttamente, pro- 
venivano dai posti, in cui risiedeva, quali Nicomedia e l’Asia Minore, 
e che, se mai, i suoi maxima peccarono per eccesso, anzichè per 
difetto, dava a lui l’agio di trovarvi contemplati anche i prezzi del- 
l’Occidente, dei cui centri più notevoli poteva forse avere informazioni 
in certo modo rassicuranti. Infatti, il prezzo, ch’egli fisserä per il 
frumento, puö benissimo adattarsi a Roma, durante l’etä imperiale'). 

Ma qual’ era codesto prezzo ? 

Fino a qualche anno addietro, esso costituiva per noi uno dei pü 
intensi e insoddisfatti desideri scientifici Il frammento latino, che 
conteneva i primi righi dell’ editto, non ci dava il prezzo fissato del 
frumento e neanche, per intero, quello dell’ orzo. Solo nel rigo, che 
si riferiva a quest’ ultimo, era parso, ai più recenti editori*), di trave- 
dere un C, che essi avevano interpetrato come l'iniziale di un C (en- 
tum). E, poichè i prezzi erano dati per modius castrensis, nd 
nuovo denarius di rame dioclezianeo, essi avevano opinato che il 
costo dell’ orzo fosse di cento denarii il modius castrensis. Su 
questo fondamento erano germinate le ipotesi per calcolare il prezx 
del frumento. Per primo il SEECK), movend» da qualche altro prezeo 
dell’ orzo e del frumento, noto per l’etä republicana e imperiale, era 
venuto a concludere che il frumento doveva costare una volta e mezzo 
eirca l’orzu e quindi 150 denarii il modius castrensis. 

Il processo del caleolo non era esattissimo. Non bisognava partire 
ai valori concreti, fra loro eterogeneit), che i radi accenni delle 
Gnti esibivano, ma dai prezzi medii, che bisognava ricavarne. Ad 
sgui modo, le cifre, nelle quali si incarna la conclusione del SEECK, 
massane apparire all’ incirca esatte. 

Liverso metodo aveva seguito un altro studioso, il MicaiLn‘} 


Dar BARBAGALLO, op. cit., in loc. cit. 39 sgg. 
xt CE L. HI 2, Ed. 1, 2 (p. 826). — BLÜMNER, op. cit., loc cit 
“tl. III, 1 suppl, loc. cit. (p. 1930). 

à op. cit. p. 459. 

4 Wwnärıs, Kritische Würdigung d. Preise d. Edictum Die 
«ettaui vom nationalökonomischen Standpunkt aus, in Zeit 
A <atife für die gesamte Staatswissenschaft, 1897, p. 27. 

3) vp. cit, in loc. cit., pp. 36 sgg. 


Anhang. 


Die Gesellschaften Johann Wittenborgs. 


Es sei zum Schluß der Versuch unternommen, die Geschäfts- 
führung Johann Wittenborgs im Zusammenhang darzustellen, 
soweit dadurch die Fragen, die uns beschäftigt haben, beleuchtet 
werden. Die geschäftlichen Aufzeichnungen seines Vaters Her- 
mann — übrigens die ältesten, die wir aus dem Hansegebiet 
besitzen — sind zu dürftig und können nur ahnen lassen, wie 
vieles fehlt, um uns einen wirklichen Einblick in seine Kauf- 
mannstätigkeit zu gewähren. 

Er handelte mit Pelzwerk ($8 7, 35, 55, 56, 59, 63), Tuchen 
($ 68, niederländischen $$ 24, 37), Wachs ($ 61), Roggen und 
Heringen ($ 66), Wolle und Schafen ($ 18): bei seinen Gesell- 
schaften aber gibt er fast durchweg nur die Kapitalien an und 
nicht die Waren, in denen sie angelegt werden sollten. 

Solche Gesellschaften — meist als „vere societates“ bezeichnet 
— hat Hermann abgeschlossen mit: Johannes Boghener ($ 1: 
80 m. arg. gegen 40); Thidemann Grope ($ 2: 50 m. [arg.?] 
gegen 50); Johannes Holt ($ 3: 105 m. d. gegen 21; und $ 4: 
10 m. arg. gegen 10); Nicolaus Grabow ($$ 5, 6: 80 m. d. 
gegen 60; Wittenborg hat bei der Teilung 20 m. vorweg zu 
nehmen); Heinrich Volmestene (88 7, 8: 71 m. arg. Nogard. gegen 
142, dazu je 1000 Luchsfelle); Lutbert Droghehorn ($ 14: 60 m. 
gegen 30); Joh. von Dülmen und Markward Wittenborg (88 15, 
25: je 300 m. d., wozu Hermann noch 100 m. d. legt, die er 
vorwegzunehmen haben wird; dabei hat er 200 m. von Mark- 
ward geborgt); und mit Kopekin von Reval ($ 40: 30 m. gegen 
30). Ferner erscheint Hermann mit andern an Geldgeschäften 
beteiligt als Gläubiger in seinem Buche $$ 29, 30, 31, 38, 42 


668 Corrado Barbagallo: Miszelle. Il prezzo del frumento in 


densamente popolata, ricca, industriosa e commerciale'), ed esso riesce 
affatto coerente ai prezzi del framento in Egitto, serbatici dai papıri 
del IH e del IV secolo di C.*). 


IT. 


Antiochia (Siria). Come. accennavamo, il prezzo, segnato nel- 
l’editto di Diocleziano, coincide con quello, che, mezzo secolo di poi, 
si ritrova in Antiochia di Siria sotto il governo di Giuliano l’Apostata. 
Nel 362 di C. sembra clıe questi abbia dato mano a un nuovo tentativo 
di maximum, ch’era destinato a incontrare la stessa sorte del prece- 
dente, sebbene avesse avuto piü ristretti scopi e confini. Vi accenna 
AMMIANO MARCELLINO, presso che con le stesse frasi, con cui i Fasti 
Hydatiani avevano dato notizia dell’ editto di Diocleziano: „Nulla 
probabili ratione suscepta, popularitatis amore, vilitati studebat [int. 
Giuliano] venalium rerum, quae non nunquam secus quam convenit 
ordinata inopiam gignere solet et famemt à). 

A dire il vero, delle ragioni ci furono anche questa volta, e le 
svolge lo stesso Giuliano in quella bizzarra difesa, che di se stessi 
tesse nel suo Misopogon‘). In Antiochia e nei paesi circonvicini 
egli narra, il costo dei generi alimentari era, nel 362, elevatissimo, 
e ciö (salvo che per il grano) accadeva, non per dolorosi eventi natu- 
rali e politici, ma per l’incetta e il monopolio, che i grandi proprietari 
ne esercitavano, onde i prezzi salissero a proporzioni vertiginose. Il 
popolo protestava vigorosamente ed egli fissö il maximum, a cui le 
derrate alimentari avrebbero dovuto vendersi, e, quanto al frumentı, 
mando ad acquistarne nelle città vicine, mando ad acquistarne in Egitte 
e tutti i carichi importati rivendette direttamente al popolo a quindiei 
moggia il sulidus per lo stesso prezzo, per cui allora se ne eran 
dati solo dieci: „nourroyerog ugyvotoy où xura dexa péroa, ai 
nevrexaidexa TOGOLTUY, 000v Eni TWr déxu noôtegor“,. Si era in 
estate 6, cime tale, quest’ ultimo prezzo era tuttavia elevato, ma lin- 
verno essa crebbe ancora finn a cinque maoggia il solidus (m 
vouiouaros)*); ed eziandio in quell’ estate, nel contado, gl’incettaten 
avevano venduto il frumento a più caro prezz» che non in Antiochis, 
dove, d’ogni parte del territerio, la popolazione immiserita accorrevi 
a provvedersi di frumento. — Qui solo, esclama Giuliano, era abb-r- 
danza e buon mercato. Infatti .chi rammenta che in una città, riccı 
e fiorente, il frumento fosse stato venduto 15 moggia il solidas’ 


WıssowA, Realencyklopädie, III, 1, pp. 507—08. — Reerus, Nuora 
geogr. univ.: Asia anteriorc, trad. it., Milano 1891, 557 sgg.; 617 sgg 

1) Beroch, op. cit. 242; 507. Sullo sviluppo cittadino ed economir 
dell’ Asia Minore dopo gl’inizi dell’ ê. v., cfr. MOMMSEN, Röm. Gesch. 
Berlin 1885, V, 331—33. — Rımsay, The hist. Geography of Asia 
Minor, London, 1890, 104 see. 

2) Cfr. BARBAGALLO, Contributo alla storia economica del 
l'antichità, Roma, 1907, pp. 75; 76. 

3) 22, 14, 1. 

4) p. 369. 

d) p. 869 B. 


Hansische Handelsgesellschaften. 615 


Kopmana und Witte”), wo ein einzelner Komplex von Ge- 
schäften die Kräfte der Teilnehmer oder der meisten von ihnen 
vollanf in Anspruch genommen zu haben scheimt. Sondern wir 
geben auch Johann Wittenborg Geselischaftsgesehäfte mit einer 
ganzen Reihe verschiedener Gesckäftsfreunde nach und neben- 
einander machen, ohne daß eins davon jemals für ihn das Ge- 
schäft schlechthin geworden wäre. Ferner erfahren wir auch 
hier so wenig wie bei dem Vater, daß die Gesellschaften auf 
bestimmte Jahre abgeschlossen würden. | 

Den richtigen Gesichtspunkt für ihre Beurteilung gewinnen 
wir erst, wenn wir sie betrachten im Rahmen von Witteaborgs 
Gesehäftsführung überhaupt. 

Hier steht durchaus im Vordergrunde das Sen devegesehäft. 
Wittenborg erweist sich als großer Kaufmann, als Chef eines 
bedeutenden Hauses, das in ununterbrochener Folge Waren ins 
Ausland, nach Schonen, den Niederlanden, Preußen, Lävland 
versendet, für den Erlös von dort andere Güter einführt, auch 
erster Hand draußen Waren einkaufen und nach Lübeck heim- 
schieken läßt, sie hier verkauft oder wieder ausführt: das eben 
ist das Sendevegeschäft. 

Dieser Charakter als Einfuhr- und Ausfuhrhandel im großen, 
der ununterbrockene Fluß, gibt dem (Gesamtgeschäft etwas 
schlechtweg Modernes, können wir auch nicht die fortlaufende 
Verwendung eines bestimmten, vielleicht nach und nach gesteiger- 
ten Geschäftskapitals buchmäßig verfolgen. Anderseits bringt 
er, und zwar gerade in seiner Großzügigkeit, es mit sich, daß 
Witteaborgs Handel sich anflösen läßt in eine Folge von lauter 
Einzelhandlungen: Einkauf bestimmter Warenposten, die im 
ganzen, oder nur in wenige Teile zerlegt, wieder ab- 
gesetzt werden: — anders als bei Geldersen, wo der Ver- 
kauf in zahlreichen geringen Partien an binnenländische Detail- 
listen vorwiegt. Damit aber auch hängt es zusammen, wenn der 
Eindruck von Gelegenheitsgeseilschaften erweckt wird, indem 
Wittenborg an dieser oder jener Gruppe von Unternehmungen, 





1) Johann Tölners Handlungsbuch, herausgeg. von KOPPMANN oben 
S. 471f. und S. 598. 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 4l 


668 Corrado Barbagallo: Miszelle. Il prezzo del frumento in 


densamente popolata, rieca, industriosa e commerciale !), ed esso riesce 
affatto coerente ai prezzi del frumento in Egitto, serbatici dai papin 
del IH e del IV secolo di C.*). 


II. 


Antiochia (Siria). Come. accennavamo, il prezzo, segnato nel- 
l’editto di Diocleziano, coincide con quello, che, mezzo sccolo di poi, 
si ritrova in Antiochia di Siria sotto il governo di Giuliano l’Apostata. 
Nel 362 di C. sembra clıe questi abbia dato mano a un nuovo tentativo 
di maximum, ch’era destinato a incontrare la stessa sorte del prece- 
dente, sebbene avesse avuto piü ristretti scopi e confini. Vi accenna 
AMMIANO MARCELLINO, presso che con le stesse frasi, con cui i Fasti 
Hydatiani avevano dato notizia dell’ editto di Diocleziano: „Nulla 
probabili ratione suscepta, popularitatis amore, vilitati studebat [int. 
Giuliano] venalium rerum, quae non nunquam secus quam convenit 
ordinata inopiam gignere solet et famem“?). 

A dire il vero, delle ragioni ci furono anche questa volta, e le 
svolge lo stesso Giuliano in quella bizzarra difesa, che di se stessr 
tessè nel suo Misopogon‘). In Antiochia e nei paesi circonvicini 
egli narra, il costo dei generi alimentari era, nel 362, elevatissimo, 
e ci (salvo cho per il grano) accadeva, non per dolorosi eventi natu- 
rali e politici, ma per l’incetta e il monopolio, che i grandi pruprietari 
ne esercitavano, onde i prezzi salissero a proporzioni vertiginose. Il 
popolo protestava vigorosamente ed egli fissö il maximum, a cui le 
derrate alimentari avrebbero dovuto vendersi, e, quanto al frument 
mandè ad acquistarne nelle città vicine, mand ad acquistarne in Egitto 
ce tutti i carichi importati rivendette direttamente al popolo a quindid 
moggia il solidus per lo stesso prezzo, per eui allora se ne era 
dati solo dieci: ,7garroyeros ag; Ug10v OÙ xurı dexu nern, 0 alıı 
nevrexaldsxa TOGOTToVv, 0007 Eni TwWv dexa zgöTegov“. Si era in 
estate e, come tale, quest’ ultimo prezzo era tuttavia elevato, ma lin 
verno esso crebbe ancora fino a cinque moggia il solidus (m 
vouiouaroc)5); ed eziandio in quell’ estate, nel contado, _gl'incettatei 
avevano venduto il frumento a più caro prezzr che non in Antiochis, 
dove, d’ogni parte del territorio, la popolazione immiserita accorreri 
a provvedersi di frumento. — Qui solo, esclama Giuliann, era abbr- 
danza e buon mercato. Infatti „chi rammenta che in una cittä, rices 
e fiorente, il frumento fosse stato venduto 15 moggia il solidas! 


WissowA, Realencyklopädie, III, 1, pp. 607—08. — Recnts, Nuora 
geogr. univ.: Asia anteriore, trad. it., Milano 1891, 657 sgg.; 617 sgs. 

1) BrLocn, op. cit. 242; 507. Sullo "sviluppo cittadino ed economite 
dell’ Asia Minore dopo glinizi dell’ &. v., cfr. MOMMSEN, Röm. Gesch, 
Berlin 1885, V, 331—33. — Rausay, The hist. Geography of Asia 
Minor, London, 1890, 104 sgg. 

2) Cfr. BARBAGALLO, Contributo alla storie economica del 
Pantichità, Roma, 1907, pp. 75; 76. 

3) 22, 14, 1. 

+) p. 369. 

5) p. 869 B. 








Hansische Handelsgesellschaften. 617 


für 727 m. 6 d.!); oder, nachdem nachträglich das mitberechnete 
Gewicht der Verpackung abgezogen war, 725 m. minus 13. d. 
Davon gingen wiederum Wise 59 m. 11!/: 8. an, ferner Arnold 
Bardewik, von dem wir noch hören werden, 8 Schiffpfund 
10 (8!/s) %, der Rest Wittenborg allein ($ 188, dazu 88 163, 
181, 183) ?). 

In der Folge ersehen wir erst, wie diese Art Geschäfte ein- 
geleitet werden. 

Vor Pfingsten 1356 kaufen nämlich Wittenborg zu °/s und 
Wise zu °/s 127 m. ‘à Lot Silber. Die geben sie Reineke van 
der Caspele | 

to sendeve, dat he ostwart woren scal up use eventure to 
biwerende ($ 179). 

Hier wäre also das Gesellschaftsverhältnis zwischen Witten- 
borg und Wise in aller Form ausgesprochen. Reineke schickt 
oder bringt dafür heim Wachs und Pelzwerk: 

dat hebe wi worcoft 
an drei Parteien, Tele van Hude, Werner Vredeland und Bernet 
van Hildensem, aber in einem Posten, wahrscheinlich für 537 m. 
5 s. ($ 187). Auch diesmal wäre nach Wittenborg das Geschäft 
gescreven in des stades scultboc to Lubeke anno 56. 

Hier scheint es sich indes nicht zu finden, es müßte denn 
vom Herausgeber übersehen worden sein. Wohl aber stehen 
dort zwei andere Schulden Vredeland und Hildensems an die 
beiden Partner: 340 m. 14 s. am 14. Oct. 56 ($ 47) und 792 m. 
10! s. am selben Tage 1357 (8 53)°). Von dieser letzten 
1) 1 Schiffpfand = 20 Liespfund, je = 14 Pfund oder Markpfund. 

2) Bei $ 188 ist am Rande wohl die Bezeichnung „Fol. 26a“ vergessen. 
Die nach $ 181 [vorläufig] „in miner elpenbenes tavelen“ geschriebenen Ge- 
wichte finden sich in dem Handlungsbuch $ 188. Koppmanx, Hans. G.-Bl. 1900, 
S. 197, hatte also mit seiner Vermutung gegen MoLLwo 8. XLVIIH recht. 
MorLwos Hinweis N.St.B. $ 46 auf Handlungsbuch $ 163 ist irrtümlich, er 
gehört vielmehr zu $ 180. 

3) An sich wäre es ja wohl möglich, daß der N.St.B. 8 47 notierte 
Betrag die Teilschuld der zwei wäre, die hier von den drei Schuldnern 
allein genannt werden. Indes eine solche Annahme widerspricht dem sonst 
Üblichen und würde angesichts des Umstandes, daß die Posten N.St.B. $ 58 


und $ 48 im Handlungsbuch jedenfalls fehlen, auch nicht ausreichen. Der 
Hinweis bei $ 53 auf Handlungsbuch $ 187 ist natürlich falsch. 


670 


ii prezzo del frumente it 





Forse 
fonte, for 
maziom : .. .. 
ne -3biamo notizia per la parte 
» LL . .. .. . 
p . -- - prezzı surriieriti, Posslamy 
vincers'. Ep 
aniena zrero romano, salvo l’Egitte, 
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ai Hatra, Ur e Thilsaphata®), lo strem: 
x. “quan modius unus farinae ruisset reper 
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“at di un prezzo fantastico 1). Ma laccus 
.s LI 21, 110:87 e passim. 
x À mit efr. RFIXHARDT, Der Perserkries à 


san. Sp HH. 
Aurcis qui al solito sta per solidis. 


LA | 
7 2: 


INN 


Hansische Handelsgesellschaften. 619 


Männer zu eharakterisieren, so haben sie ja weder nach heutiger 
Art ihr ganzes verfügbares Kapital dauernd zu einer Handels- 
gesellschaft zusammengelegt, noch eine bestimmte Summe auf 
eine Reihe von Jahren. Anderseits verbinden sie sich doch auch 
nicht bloß gelegentlich zu Geschäften, die sich gerade bieten. 
Sondern sie vereinigen sich ausschließlich zu Geschäften einer 
ganz bestimmten Art oder, besser, haben sich dazu ein für 
allemal vereinigt, verabredet. Denn wenn wir ihre Abrede auch 
nieht besitzen, und wenn ferner nicht behauptet werden kann, 
daß Wittenborg während der Zeit nie ähnliche Geschäfte ohne 
Wise oder Wise ohne ihn gemacht habe, so geht, daß eine der- 
artige Abmachung vorausgegangen war, doeh nicht nur aus der 
Stetigkeit dieser Geschäfte hervor — während Wittenborg doch 
mittlerweile auch ganz andere Geschäfte machte, an denen Wise 
sich nie beteiligt —, sondern es wird unzweifelhaft gemacht durch 
folgenden Umstand. Die beiden Kompagnons haben nämlich, als 
ihre Verbindung begann, einen andern Wise, Tidemann mit 
Vornamen, nach Dorpat geschickt als ihren dauernden Vertreter 
dort, der das ihm von Zeit zu Zeit übersandte Silber in Empfang 
nımmt, es an Wachs und Pelzwerk „bewährt“ und dieses an seine 
Auftraggeber nach Lübeck verschifft. 

Die Juristen unterscheiden Real- und Konsensual- 
vertrag. Nach SILBERSCHMIDT wäre die ,eommendatio“ Real-, 
die „societas“ Konsensualvertrag; dasselbe träfe für die ent- 
sprechenden Formen des deutschen Rechts zu'). Ich glaube 
nicht, daß sich diese Unterscheidung, Begründung des Vertrages 
„durch Hingabe der anvertrauten Sachen“ in dem einen Falle, 
„durch die Verabredung der Parteien“ in dem andern, für die 
hansischen Verhältnisse im allgemeinen bewähren wird. In unserem 
besonderen Fall können wir sie jedoch brauchen: Wittenborg 
und Gottschalk Wise haben sich durch Konsensualvertrag dauernd 
verbunden zu dem russischen Geschäft, in das sie alle verfügbaren 
Kapitalien stecken wollen; die Übergabe der realen Summen 
findet jedoch nur von Fall zu Fall statt. Daher der Schein 
einer Reihe von Gelegenheitsgesellschaften bei 
wirklichem Bestande einer Gewerbsgesellschaft. 


1) Kumpanie und Sendeve 9. 59. 


672 Corrado Barbagallo: Miszelle. Il prezzo del frumento in 


IV. 


Questo & l’ultimo prezzo, di cui noi abbiamo notizia per la parte 
orientale dell’ impero romano. Riandando i prezzi surriferiti, possiamo 
quindi redigere, per le province dell’ impero romano, salvo l'Egitto, 
il quadro che segue dei prezzi medii correnti del frumento: 





frumento 


all’ hl. 


Cronologia | Mercato 












primi dell II Bilbilis (Celtiberia) . 
secolo di C. 
IT secolo di C. Hispalis (Baetica) 


Sicca Veneria (Numidia) . . . . | 


175—177 # |L.1,50 
circa il 367 Cartagine (Africa proconsularis) = „ 5,75 
Mauretanie Sitifensis . .. = 
= 
nn 44 Numidia . | < |” 3,00—4,50 





circa il 301 Asia Minore . . . |, 2 . . . ) © Br 
„ » 362 Antiochia (Siria). . . . . . "18 „.11,50-12,00 


ss er nn rn 





Appendice. 


Esiste ancora un altro dato che ci ricordi un prezzo di frument 
per l’et4 imperiale romana, ma noi lo indichiamo qui in appendie 
perchè da esso & impossibile ritrarre quella media, ch'è stata sempre 
nostra cura ottenere. 


Durante il ritorno dell’ esercito romano, che l’imperatore Giuliano 
aveva condotto contro i Parti, AMMIANO MARCELLINO narra che quels 
mancanza di vettovaglie e di cereali, che giä era cominciata a fari 
sentire in sullo scorcio dell’ avanzata'!), divenne alla fine letteralmente 
insopportabile. I Parti avevano bruciato tutto, e l’esercito traversava 
un paese semideserto. Quand’ esso giunse in quella parte della Me 
sopotamia, che giace intorno ad Hatra, Ur e Thilsaphata?), lo strem 
dei viveri era tanto, che „si unquam modius unus farinae fuisset reper- 
tus“, „aureis decem mutaretur ut minus?j“. 

S’& creduto che qui si tratti di un prezzo fantastico 4). Ma l'accus 


1) AMM. Marc. 24, 8, 2; 96, 2, 1; 1, 10; 8, 7 e passim. 

2) Sul!’ itinerario della ritirata cfr. REINHARDT, Der Perserkriegd 
Kaisers Julian, Dessau, 1892, p. 44. 

8) Amm. Marc. 25, 8, 15. Aureis qui al solito sta per solidis. 

4) BLÜMNER, op. cit., p. 62. 


Hansische Handelsgesellschaften. 621 


fallen die beiden besprochenen, mit Gottschalk Wise gemeinsamen 
Silbersendungen (88 267, 268), die ebenfalls an Tidemann gingen. 
Bis endlich vor Michaelis 1359 Wittenborg noch einmal Wise 
eine Partie Silber „zu Sendeve“ zukommen läßt ($ 343). Wie 
inzwischen dieser Wise für alle seine Bemühungen entlohnt 
worden ist, erfahren wir nicht: namentlich nichts von einer Er- 
neuerung der anfangs eingegangenen Gesellschaft, die doch dem 
Wortlaute nach mit der ersten Warenrücksendung erledigt ge- 
wesen wäre. Über das weitere also können wir höchstens Ver- 
ınutungen anstellen. | 

Wie Tidemann Wise in Dorpat, so war in Danzig Agent 
für die Besorgung des Sendeve Heinrich (Henseke, Hinscke) 
Laurensius. Und auch in diesem Falle war ein Bruder, 
Johann (Henneke) Laurensius, Gesellschafter Wittenborgs 
und machte auch wohl eine Reise für ihn. 

In den Anfängen der Verbindung geht Johann Laurensius 
nach Flandern: dort soll er für Wittenborg 34 fämische Malgen 
und 16 Schilde ,biweren“ ($ 85, 1. August 1351): 

Dat ghelt, dat dede he in Ludeken Buxtehuden in sine 
kisten in sin scip up min eventure. 

Offenbar ist er den Winter über dort geblieben; denn 20 % 
gross., die sein Auftraggeber Ostern 1352 kauft, soll er 

upboren to sendeve, de he mi biweren sal an Cortrikesscen 
lakenen ($ 104). 

Weiter 8 f gr. jedoch erhob und „bewährte“ nicht er, sondern 

Gereke Woghe 

de mit Albrecht Wullenpunde is ($ 106), 
einem mehrfach zugleich mit jenem seinem Angestellten genannten 
Geschäftsfreunde Wittenborgs '). 

Dann hören wir von Laurentius erst wieder Michaelis 1356, 
wo er und Wittenborg „to hope“ 30 # gr. auf Flandern kaufen 

up unser twir win ($ 197). 


1) 8 194: Gereke Woghe, dit mit Albrecht Wellenpund is. $ 845. 
Albr. Wullenpunt und G. Woge kaufen von Wittenborg 7 kurze Löwensche 
Laken, „beyde mit ener sameden hant“. N.St.B. $ 68: 1360 Vigilia Assump- 
cionis Marie. Gherlacus Voghe (socius Alberti Willenpunt) tenetur dno. 
J. Wittenborch 200 olde schilde aut olde matone vel valerum [!] eorum ... 


676 R. J. Whitwell: Miszelle. 


The voyage must have taken an exceptionally long time, for it was 
only on 13 August that Gilbert de Bromley, the receiver and keeper 
of the king’s victuals in the parts of Carlisle received the goods at 
Skinburness. The grain was then measured ‘by the straked measure 
of England’; and whether by reason of the deficiency in the Bristol 
bushel, or ‘par longe demoere en la meer’, the quantities are shown 
as appreciably smaller than those shipped; and the vantage is reduced 
accordingly, though the percentage remains about the same. 

The document quoted in the last note shows (If. 2b) that nearly 
the whole of the cargo of the Peter of Hamelhok was sent by instal- 
ments to Sir Dougal Me Dowal (Dungallo Mc Duwille) constable 
and sheriff of the castle of Dumfries, for the provision of that castle. 
The cost of discharge of the ship and carriage of part of the cargo 
and certain other goods to Dumfries (lf. 6), was at the rate of 4 d. 
for each quarter of grain and salt and amounted in the whole to 53 a. 


ROBERT JOWITT WHITWELL. 


Thesaurario et Baronibus pro Petro de Saut mercatore 
de Burdegala. 


Rex mandanit Thesaurario et Baronibus suis de Scaccario suo apud 
Eboracum breue suum sub priuato sigillo in hec uerba: 

Edward par la grace de dieu Rei Dengleterre seigneur Dirlaund e 
Ducs Daquitaigne au Tresorier e as Barons del Eschequier salutz. Nous 
vous enueoms la peticioun Pieres de Saut Marchant de Burdeaw, 
enclose deinz ces lettres e vous maundoms qe Ja peticioun oie, e bien 
entendue, lui enfacez ceo qe vous yerrez ge face a faire par resoun. 
Done soutz nostre priue seal a Dureame le vij. iour de Nouenbre 
Lan de nostre regne vint e sisime. 

Tenor peticionis talis est: 

A nostre seigneur le Roi supplie Peres de Saut Marchaunt de 
Burdeaus ge les vins ou la vente des vins cest a sauoir Ixxv. Toneans 
de vin e vij Pipes e ses liths e ses boches [L. T. R. huches] e ses 
autres biens qil auoit charge a seint Botolf apres la suffrance de Iı 
guerre prise entre vous sire e le Rei de France les queux vins e autre 
biens vnt este arestuz par vos gentz e venduz. pur dieu, pur pite e pur 
dreiture sire lui fetes delinerer e aquiter, les queux vins e ses autres 
choses furent arestuz pur vn Willam de Cont son vallet qe feust vtlage 
par defaute lui esteaunt en la Duche de Guyene, la quele vtlagene 
sire vous lui auez pardone par vostre lettre patente. E dautrepart le 
dit vallet ne auoit rien en vins ne en les autres biens, einz furent tou 
du dit Peres de Saut seon seigneur, sicome il peust mustrer par 
chartres, e par lettres faites en la ville de Burdeaus. 

Et inspecta per T'hesaurarinm et Barones petitione predicta, es dili- 
genter examinata, quesitum est a prefato Petro, qualiter ostendere velit, 
quod predicta vina sua fuerunt, et quod predictus Willelmus vtlagatus 
nichil proprietatis habuit in vinis illis, et bonis predictis, per quod alique 
modo ea posset forisfacere, qui dieit quod paratus est hoc verificare 
qualitercumque Curia duxerit considerandum. Et quia visum est Curie 


| 


Hansische Handelsgesellschaften. 623 


In dem vielbewegten Jahre 1358 war Joh. Laurensius auch 
noch mit Wittenborg an einem Gersteverkauf beteiligt ($ 253). 
Zweck und Ziel einer Reise, die er nach jenen großen Geschäften 
machte, bleiben uns unbekannt ($ 289). Nach Wittenborgs Tode 
aber erscheint er als einer von dessen Provisores (N.St.B. 83). 

Was seinen Bruder Heinrich in Danzig betrifft, so erhielt der 
noch im Herbst 1358 200 m. Prus., wofür er Gerste, Malz, Stock- 
fisch und Bottichholz besorgte ($$S 302, 330, 333, 335—337; 
vgl. außerdem 294 und N.St.B. 57 über den Kauf des Geldes 
auf Preußen). — 

Ich sehe ab von solchen Männern, mit denen Wittenborg sich 
nur gelegentlich einmal gesellschaftlich verband, wie Albrecht 
Wullenpund ($$S 7, 56, 57, 110), Johannes Woltvogel ($$S 105 
bis 109, 113, 119; vgl. auch oben 8. 605) und der schon ge- 
nannte Albrecht Woltvogel (vgl. auch noch einmal unten S. 630 f.): 
zu seinen regelmäßigen Geschäften bediente er sich vor- 
zugsweise seiner beiden Verwandten Berthold Wittenborg 
und Arnold Bardewik, von denen er Berthold ein paarmal 
geradezu als seinen „Knecht“ bezeichnet ($ 3 und & 30). Bardewik, 
Sohn des gleichnamigen Ratsherrn, des Schwiegervaters Joh.Witten- 
borgs, mag wohlhabender und deshalb in unabhängigerer Lage 
gewesen sein '): die Art seiner geschäftlichen Verwendung war 
dieselbe. 

Auch Berthold wird gesellschaftlich interessiert. Zuerst nur 
mit 5'/} m. gegen ebensoviel, wozu sein Herr noch 4'/s m. legt, 
die nicht gewinnen und verlieren sollen (8 3). 

Na desser tit, 
so fährt derselbe Paragraph fort, ohne daß irgendeine Zeit an- 
gegeben worden wäre, schließen Herr und Diener eine neue 


m Un ln U 


23 3. $ 302; 23°’, s. 8 326. 9. LXXVIII nimmt er selbst die in 8 302 ge- 
gebenen Kurse an. — Die 24 „centum moltes“ $ 325 sind dieselben wie die 
10 -+- 10 + 4 von 88 319-321. — Über die Abwicklung des Geschäftes mit 
Schening vgl. noch oben S. 605. Vielleicht hängt es damit zusammen, daß 
Laurensius um Fronleichnam 1359 bei Wittenborg und Bardewik 185 m. d. 
aufnahın, wofür seine Schwester Taleke, verwitwete Wintzenberch, gesamt- 
händig mit ihm bürgte ($ 306; N.St.B. 59). 
1) Vel. oben S. 484, Anm. 3 u. 4. 


678 R. J. Whitwell: Miszelle. 


descharge, les vins deiuent estre deschargez, e le Mestre paie de son 
fret, si les Marchandz ont vendu tant de lur vins, qe le pussent paer; 
si noun le Mestre deyt lesser vn de ses compaignons au cost des 
Marchandz de mangier, et de boire, pur atendre sa paie. E de la 
premere vente qe soit fete des ditz vins le Mestre doyt estre paez de 
tout son fret loiaument en bon foy T'oatge e petit lotman est sur les 
Marchantz. E quant la Nefe parti de Burdeus le Mestre e les Marchantz 
furent en bone pees, e en bon amour, e ses tote querelha E est 
asauer qe li dit [L. T. R. mestre] a mande e promis au ditz Marchantz 
quil ferra pair e partir, a la droite prise du Roy, e as autres costages 
qe serrunt fetz en la dite Nefe a touz les autres [L. T. R. vina] qe ser- 
rount chargez en la dite Niefe toneu pur toneu pur ensi come est a 
custome entre Marchantz, Mestre, e Mariners. Actum fuit.X®. die 
[L. T. R. exitus] Aprilis Anno domini M° CC? Nonagesimo octauo, Regne 
Phelip Roy de France, le se de Bordeus vacant. En Bertrans de Fal- 
guar chiualer e meire. Testes sunt Roberd de Goseforde, Aleyn de 
Goseforde, W. Alisandre, W. Pelegrin, W. de Contz, Johann Aleyn, e 
Johans de la Trone, qui ceste chartre enquist la quele.P. de Condorilz 
escrist. 

Et dicit idem Johannes quod cum Nauis ante dicta a predictis 
partibus Burdegale cum vinis predictis ducta esset ad quemdam locum 
in mari prope portum sancti Botulphi, qui vocatur Norman depe, 
Magister Nauis illius propter magnitudinem et onus Nauis predicte 
propinquius portui predicto cum eadem accedere non audens ad locum 
illum Nauem illam vinis predictis discarcauit, et in minoribus vasis ea 
poni et ad portum predietum mitti fecit ad implendum conuencionem 
predictam, et eo facto rediit enm Naue predieta apud Jernemutam, et 
liberanit eidem Johanni [sie] cartam frettagii predicti, vt cum vinis predictis 
portum adiret predietum, videlicet apud sanctum Botulphum, et ibidem 
computaret cum predietis Mercatoribus, et ab eisdem reciperet frettagium 
Nauis predicte iuxta tenorem carte memorate; et dicit quod postquam 
venerat et vina predieta de quibus.Cx. dolia et viij. pipe fuerunt 
predieti.P. ad terram discarcauerat, Vicecomes et Coronatores Comitatus 
Lincolnie [L. T. R. et Balliui ville Sancti Botulphi] venientes ibidem et 
inuenientes quemdam Willelmum de Contz, vallettum predieti Petri 
qui quidem Willelmus duobus annis elapsis in Comitatu predicto fuerst 
vtlagatus, quam vtlaghriam Rex sibi postmodum perdonauit, se circa 
vendicionem vinorum predieti Petri intromittere, sexaginta et.xv. dolis 
et.vij. pipas que de vinis predieti Petri fuerunt vendenda arrestarunt 
imponentes eidem Willelmo ea sua fuisse, et per suum forisfactum 
deberi confiscari. Et dieit idem Johannes per sacramentum suum quod 
prefatus WiHelmus nichil proprietatis habuit in vinis illis per quod es 
forisfacere potnit, set quod fuerunt predieti Petri, et non alicuius alterin. 

Et predicti Petrus de Batfosse [sic], Bydan de Bran, Johannes Fre 
teyr, Manaur Turchier et Bydan [L. T.R. de] Contz mercatores iurati 
et separatim super hoc diligenter examinati, dieunt hoc idem quod per 
prefatum Johannem sunerius dietum est. 

Ideo consideratum est quod predietus Petrus vina sua predicta 
rchabeat. Et quod mandetur Vicecomiti et Coronatoribus predictis quop 


Hansische Handelsgesellschaften. 625 


mächtig, Berthold sich an Gewinn und Verlust des Unternehmens 
nach „Pfennigzahl“ beteiligen. Ebenso Arnold, der auch auf 
Reisen ist, für 40 m., und zwar bei ihm als Entschädigung da- 
für, daß Johann versäumt hatte, ihm rechtzeitig 
ene wichte sulveres ostwardes 

zu schicken, die aber eigentlich mindestens 79 m. hätte kosten 
sollen ($$ 302, 281). Natürlich finden wir beide, Arnold und 
Berthold, dann beteiligt an den Waren, die 1358 und 1359 da- 
für aus Preußen kamen: Gerste, Roggen und englisches Tuch 
(88 335, 350, 351) !). 

Während dieser ganzen Jahre war Berthold für seinen 
Prinzipal in Sendeve-Geschäften unterwegs. 


Die ersten Buchungen lassen sich wieder nicht datieren und 
ebensowenig zu den besprochenen Vergesellschaftungen in sichere 
Beziehung setzen. Aber jährlich werden Reisen nach Schonen 
und nach Flandern unternommen. Manchmal läßt sich freilich 
auch das Reiseziel nur erschließen: wie etwa aus der Mitnahme 
von 17 Last „tunnen“ ($ 21)?) und dem Einkauf einer Last 
Salz bei der Abreise — dieses freilich, wie es scheint, für Ber- 
tholds eigene Rechnung ($ 24)°) Auch Geld, 30 m.d., erhielt 
Berthold mit, wie die Tonnen zu Sendeve: diese waren also nicht 


1) Ein Hinweis auf eine gesellschaftliche Beteiligung findet sich auch 
noch $ 75: unter verschiedenen Waren, die Berthold zu Sendeve mit nach 
Schonen nimmt, gehört ihm '/s an einem gestreiften Laken. Vgl. dazu 
das zuletzt im Text besprochene Geschäft: nach Abzug von Arnolds 40 m. 
bleiben von 200 m. 160 m., von denen Berthold 20 m., oder ebenfalls '/s, 
eignen. — Übrigens vgl. noch $ 347, wonach in Bertholds Abwesenheit der 
Knecht Vinke nach Schonen je 6 m. 15 s. zu Bertholds und zu Wittenborgs 
„bihof“. mitbekommt. 

2) Nach MoLLwO, Glossar, wären Kabeljau gemeint; vgl. FErts Glossar 
im Hans. U.-B. Bd. HI unter „tonvisch, tunnevisch“. Ich möchte mich doch 
KorPMANxX S. 189 auschließen, daß es sich um Tonnen handelt, da die Reise 
offenbar ($ 24) nach Schonen geht. Vgl. auch $ 847, wonach Berthold und 
Arnold bei ihrer Abreise von Schonen westwärts dort Tonnen und Salz 
liegen lassen. -— Mit „Recepi“ in $ 21 wäre ein neuer Paragraph zu be- 
ginnen gewesen. | Ä 

3) Merkwürdig ist hier der Gebrauch von „dar quam vore“: nicht gleich 
„dafür kam ein“, sondern „das kostete“. 


678 R. J. Whitwell: Miszelle. 


descharge, les vins deiuent estre desch:rgez, e le Mestre paie de son 
fret, si les Marchandz ont vendu tant de lur vins, qe le pussent paer; 
si noun le Mestre deyt lesser vn de ses compaignons au cost der 
Marchandz de mangier, et de boire, pur atendre sa paie. E de la 
premere vente qe soit fete des ditz vins le Mestre doyt estre paez de 
tout son fret loiaument en bon foy Toatge e petit lotman est sur les 
Marchantz. E quant la Nefe parti de Burdeus le Mestre e les Marchantz 
furent en bone pees, e en bon amour, e ses tote querelha E est 
asauer qe li dit [L. T. R. mestre] a mande e promis au ditz Marchantz 
quil ferra pair e partir, a la droite prise du Roy, e as autres costages 
qe serrunt fetz en la dite Nefe a touz les autres [L. T. R. vine] qe ser- 
rount chargez en la dite Niefe toncu pur toneu pur ensi come est a 
eustome entre Marchantz, Mestre, e Mariners. Actum fuit.X®. die 
[L. T. R. exitus] Aprilis Anno domini M° CC? Nonagesimo octauo, Regne 
Phelip Roy de France, le se de Bordeus vacant. En Bertrans de Fal- 
guar chiualer e meire. Testes sunt lioberd de Goseforde, Aleyn de 
Goseforde, W. Alisandre, W. Pelegrin, W. de Contz, Johann Aleyn, e 
Johans de la Trone, qui ceste chartre enquist la quele.P. de Condorilz 
escrist. 

Ft dicit idem Johannes quod cum Nauis ante dicta a predicts 
partibus Burdegale cum vinis predictis ducta esset ad quemdam locum 
in mari prope portum saneti Botulphi, qui vocatur Norman depe, 
Magister Nauis illius propter magnitudinem et onus Nauis predicte 
propinquius portui predieto cum eadem accedere non audens ad locum 
illum Nauem illam vinis predictis discarcauit, et in minoribus vasis es 
poni et ad portum predietum mitti fecit ad implendum conuencionem 
predietam, et eo facto rediit cum Naue predicta apud Jernemutam, et 
liberanit eidem Johanni [sic] cartam frettagii predicti, vt cum vinis predictis 
portum adiret predietum, videlicet apud sanctum Botulphum, et ibidem 
computaret cum predictis Mercatoribus, et ab eisdem reciperet frettagium 
Nauis predicte iuxta tenorem carte memorate; et dicit quod postqnan 
venerat et vina predicta de quibus.Cx. dolia et viij. pipe fuerunt 
predieti.P. ad terram discarcauerat, Vicecomes et Coronatores Comitatus 
Lincolnie [L. T.R. et Balliui ville Sancti Botulphi] venientes ibidem et 
inuenientes quemdam Willelmum de Contz, vallettum predicti Petr, 
qui quidem Willelmus duobus annis elapsis in Comitatu predicto fuerat 
vtlagatus, quam vtlaghriam Rex sibi postmodum perdonauit, se cima 
vendicionem vinorum predicti Petri intromittere, sexaginta et.xv. dolis 
et.vij. pipas que de vinis predieti Petri fuerunt vendenda arrestarunt 
imponentes eidem Willelmo ea sua fuisse, et per suum forisfactum 
deberi confiscari. Et dicit idem Johannes per sacramentum suum quod 
prefatus WiNelmus nichil proprietatis habuit in vinis illis per quod ea 
forisfacere potuit, set quod fuerunt predicti Petri, et non alicuius alterius. 

Et predicti Petrus de Batfosse [sic], Bydan de Bran, Johannes Fre 
teyr, Manaur 'Turchier et Bydan [L. T. R. de] Contz mercatores iurati 
et separatim super hoc diligenter examinati, dieunt hoc idem quod per 
prefatum Johannem superius dietum est. 

Ideo consideratum est quod predictus Petrus vina sua predicta 
rehabeat. Et quod mandetur Vicecomiti et Coronatoribus predictis quop 


Hansische Handelegesellschaften. 627 


70 8 grote an Ort und Stelle überweisen läßt (88 234—236). 
Dann hat er aber auch einmal, neben Brügger, Tuch von Verviers 
gekauft ($ 233) wahrscheinlich 1358”). Vor dem 8. September 
des Jahres 1357 aber ist er noch nach Schonen gesegelt (88 243, 
270), und 1358 ebenso, diesmal mit Arnold Bardewik. Er 
nahm 160 m. d. zu Sendeve mit und für 20 m. d. Salz, um 
Heringe zu salzen, die größere Summe also um sie einzukaufen: 
es wird mithin zum erstenmal der Zweek dieser Schonen-Fahrten 
deutlich ausgesprochen. Außerdem aber gab Wittenborg ihm 
noch 62 % Ingwer mit 

dat he mi vorcopen scal, unde 28 s. to boteren ($8 278, 

280, 327) 2). 

Gleichzeitig erhalten wir einen Blick in einen Zweig des 
Geschäfts in Lübeck. Berthold und Arnold hatten bei ihrer 
Abreise 14 Last 2 Drömt Malz hinterlassen. Davon hatte jedoch 
Berthold bereits an einen Kunden 4 Last verkauft, die der Käufer 
entweder jenen beiden (!) in Schonen oder an Wittenborg in 
Lübeck bezahlen sollte, — und an zwei andere Kunden je 1 Last, 
wofür Wittenborg das Geld empfing. Wittenborg selbst aber ver- 
kaufte inzwischen den Rest in 8 Partien ($ 280). Es herrscht 
da also vollständige Gegenseitigkeit, und es hängt bloß 
von Umständen ab, welcher der Beteiligten die Ver- 
käufe ausführt und wer das Geld entgegennimmt. 

Von Schonen sind Berthold und Arnold diesmal nach Eng- 
land gezogen, während zur Übernahme der Tonnen und des 
Salzes, die zur Miete in Schonen zurückgelassen wurden, 1359 
ein neu auftretender „Knecht“ Namens Vinke (geschr. Winke) 
entsandt wurde, den Wittenborg ebenfalls gesellschaftlich inter- 
essierte und zwar mit 10 gegen 20 fl.: 

in rekte kumpanie uppe win unde vorlus 
(88 347, 348). Über ihre Geschäfte in England aber ist nur 





_o— 1. 


1) Dieser Ansatz ergibt sich daraus, daß die Notiz unten auf Blatt 29h 
nach andern von 1358 steht. Das folgende Blatt 30a, mit Buchungen 
von 1357, ist eben früher in Benützung genommen. 

2) Der Zusatz „unde 28 s. to boteren“ ist unklar. In einem früheren 
Falle lieh Wittenborg ihm „3 punt to brode lub. den.“: das läßt sich ver- 
stehen ($ 55). 


Literatur, 





9. PIVANO, / contratti agrari in Italia nell’alto medio ero. Torino 1904. 
XV u. 338 SS. — 

F. SCHUPFER, Precarie e livelli nei document! e nelle legqi dell’alto 
medio evo. Torino 1905. 116 SS. (Estr. dalla Rivista italiana per 
le scienze giuridiche vol. XL fasc. I—-IH). — 

P. S. LEICHT, Livellario nomine. Osservazioni ad alcune carte Amiatine 
del secolo nono. Torino 1905. 69 SS. (Estr. dagli Studi Senesi 
in onore di Luigi Moriani). 

S. PIVANO hat mit großem Fleiße in seinem Buche über die Agrar- 
verträge im frühmittelalterlichen Italien vielleicht als erster das reiche 
gedruckte Material, das sich jetzt jährlich vermehrt, und auch un- 
gedruckte Quellen verwertet und stellt als Fortsetzung zwei Bände 
über die Lage der Arbeiter in ihren Beziehungen zu Grund und Boden 
und über die Gtüterverwaltung in Aussicht. Das Unternehmen ist zeit- 
semäß und dankenswert, und mit Rücksicht auf die Größe des Stoffes 
mag man dem Autor auch eine gewisse Breite der Darstellung zugute 
halten. Auch die immer wiederkehrende Betonung der „exegetischen“ 
Methode ist gewiß berechtigt; denn man will in historischen Dingen 
selbstverständlich aus den Quellen herausgelesene und nicht in sie 
hineinkonstruierte Resultate gewinnen. PIVANO, der Jurist ist, hat 
wohl mit gutem Grunde dies sein rein induktives Bestreben betont, 
und wenn auch gerade ihm seine formal-juristische Schulung manchen 
Streich gespielt hat: tamen est laudanda voluntas. 


Die Zusammenhänge von Wirtschaft und Recht, welche doch gerade 
bei einem solchen Thema von ausschlaggebender Bedeutung sind, sind 
P. freilich in seinem formal-juristischen Eifer vielfach verborgen ge- 
blieben; er hat infolgedessen eigentlich auch die Forderungen der 
modernen Jurisprudenz nicht erfüllt, und die Organisationsformen, von 
denen er spricht, treten daher nicht plastisch und lebendig hervor, 
trotz aller Genauigkeit in den Details. So ist es z. B. bezeichnend 
für P.s Arbeitsweise, daß er zwar genau anflihrt (S. 220 Anm. 88; 
in welchen in den „Codex Bavarus“ aufgenommenen Libellarkontrakten 
eine reine Geldabgabe statt der üblichen Naturalabgabe ausbedungen 
ist, aber den auf der Hand liegenden wirtschaftlichen Grund für diese 
Ausnahmen offenbar übersieht: es handelt sich in den sieben angeführten 
Verträgen nicht um landwirtschaftliche Grundstücke, sondern um Ge 


Hansische Handelsgesellschaften. 629 


206). Auch diesmal wird die Fahrt nach Dorpat gegangen 
sein, wie wir ihn denn an dem Wachs und Pelzwerk beteiligt 
sehen, das Wittenborg in diesem wie im vorhergehenden und im 
nächsten Jahre in Lübeck verkaufte ($$ 188, 178, 180, 208, 209; 
vgl. 190, 189, 172, 217). 

Indessen sandte Witteborg ihm wiederum Geldmittel: 25 m. 
3 Lot lötig vor Pfingsten 1357, und zwar offenbar eben nach 
Dorpat ($ 175)'), wofür alsbald nach Jakobi von ihm und 
Thidemann Wise Pelzwerk zurückkam, für Rechnung Witten- 
borgs, Gottschalk Wises und Herrn Wedekind Klingen- 
bergs Kinder ($ 242). Am 3. September kam er von Dorpat 
zurück ($ 250). Vorher finden wir noch eine Notiz, wonach er 
weitere 36'/. m. lötig empfangen hätte ($ 245). Nachdem dann 
aber im Oktober und neuerdings nach Ostern 1358 Abrechnung 
erfolgt war ($$S 272—276) ging es von neuem auf die Reise, 
diesmal aber nach Aachen, vielleicht nur zu einer Wallfahrt 
(S 274)°?). Jedenfalls hören wir von Geschäften auf dieser 
Reise nichts. Pfingsten scheint er auch schon wieder in Lübeck 


1) Es wird auch einer der Überbringer als Dorpater Bürger bezeichnet. 

2) Daß man nach Aachen wallfahrtete, zeigt $ 88: „Oc dede ic Merten 
Husapen 1 aur.; dar ginch he mede to Aken dor siner sele willen“. Andere 
Beiege gibt MouLwo Anm. 101 an. Dagegen kann man aus $ 152 keines- 
wegs folgern, daß Wittenborg 1356 über Aachen nach Brügge gereist sei, 
wie MoLıwo S. XI will. Im Gegenteil. Denn warum hätte wohl Bertram 
von Rostoc die 20 & grote „upboren“ sollen, die Wittenborg vor seiner Ab- 
reise nach Aachen zur Auszahlung in Brügge gekauft hatte, wenn er selbst 
dahin ging? Und warum hätte er wohl geschrieben, „do ic wech ret to Aken“, 
wenn er nach Brügge wollte? Man wird also auch bei Bardewik kein 
weiteres Reiseziel annehmen dürfen. Der Fall würde sonst bei ihm eines 
besonderen Interesses nicht entbehren, da am 1. Mai 1858 die im Januar 
«segen Flandern verhängte Handelssperre in Kraft trat (MoLLwo S. XV). 
Es wäre möglich, daß Bardewik noch vorher eine Schuld von 7'/s ® gr. er- 
heben sollte, die Wittenborg bei Laurenz van der Borse stehen hatte: 
was ihm jedoch nicht gelungen wäre ($ 295). Übrigens ergibt sich aus diesem 
& 295, — „is dat de Vlamesce reyse weder kumut“, — daß Wittenborg sich 
inzwischen aller Berührungen mit Flandern enthalten hat. Bereits KOPPMANN 
{S. 191 £.) hat nachgewiesen, daß Mon.Lwos Hypothese gar zu kühn war, der 
Lübecker Bürgermeister hätte sich während jener Sperre durch ein Geschäft 
mit Löwener Tuch, das jedoch in Dordrecht eingekauft war ($ 341), straf- 
fällie gemacht. 


684 Referate. 


kann, sondern daß in älterer Zeit der Petition die Konzession in irgend- 
einer Form — praeceptum oder adnotatio — gefolgt sein muß, bis 
aus Bequemlichkeitsgründen zwei gleichlautende libelli, von je einem 
Teile unterschrieben, angefertigt wurden!); und es ist mir auch nach 
wie vor wahrscheinlich, daß in zwei von mir zum Beweise heran- 
gezogenen ravennatischen Urkunden (FANTUZZI, Mon. Rav. 9 und 12) 
noch deutliche Spuren der älteren Form der Vertragschließung nach- 
weisbar sind. In dieser Beziehung kann sich allerdings der Ursprung 
der precaria und des libellus nicht wesentlich unterschieden haben. — 

Wenn nun aber ScHUPFER (8. 10 ff.) in hergebrachter Weise den 
Ursprung der precaria in dem römischen precarium sucht, obgleich er 
doch die Verschiedenheit, ja in mancher Beziehung die Gegensätzlich- 
keit der beiden Institute deutlich erkennt, so vermag ich ihm aus den 
oben S. 340 ff. dargelegten Gründen nicht zu folgen. Auch halte ich 
es nicht für richtig, wenn Scx. (9. 82 u. a.) sagt, daß der libellus aus 
der Emphyteuse erwachsen ist, da jene Form schon in den Justinis- 
nischen Novellen als locatio dem dinglichen Rechte gegentibergestellt 
ist. Dagegen hat Scx. in scharfer Weise den Gegensatz zwischen dem 
ausgebildeten Libellarkontrakte und der Emphyteuse hervorgehoben 
und schlließt sich der von MOMMSEN und mir dargelegten Ansicht an, 
daß die wesentliche Verschiedenheit darin besteht, daß durch die 
Emphyteuse das verliehene Grundstück wirtschaftlich aus der Grund- 
herrschaft ausscheidet, während der Libellarier in die Grundherrschaft 
durch seinen Vertrag eintritt. 

Diese Unterscheidung wird auch in der Arbeit von LEICHT an- 
genommen, welche besonderes Interesse durch die Publikation einiger 
neuer Amiatiner Urkunden des 9. Jahrhunderts aus dem Sieneser 
Archive gewinnt. Diese libelli zeigen die vollständige Abhängigkeit der 
Hintersassen, die nichts anderes als Libellarier sind, von der Grund- 
herrschaft, ähnlich wie Luccheser Urkunden, durch die Forinel (8. 9); 
Si aliquis homo vos nobis (sc. dem Grundherrn) quesierit at plaito 
aut advocato nostro pro iusticiam faciendum, ad mandatis nostris 
veniatis et iustitiam adimplere debeatis; auch die vertragsmäßige Aus- 
schließung des „pannaticum“, das nichts anderes ist, als das von den 
Kolonentöchtern zu entrichtende „nuptiale commodum“ bei Papst 
Gregor, weist nach derselben Richtung. LEICHT verfolgt aber auch die 
verschiedenen Formen des libellus in den verschiedenen italienischen 
Territorien und weist namentlich in einigen Fällen sehr gut den Ein 
fluß der eindringenden fränkischen precaria in karolingischer Zeit nach. 
Schließlich versucht er auf Grundlage des so gesichteten Materiales und 
der BRUNNERschen Forschungen über die spätrömische und italienische 
Urkunde auch eine juristische Konstruktion des vielgestaltigen und 
doch einheitlichen libellus. L. M. HARTMANN. 


1) Vgl. Pıvano a. 8. O. 116 ff. u. meinen oben zitierten Aufsatz S. 7 fl. 
Vgl. auch LeicHts Ausführungen a. a. O. 13f. 


nn + 


Hansische Handelsgesellschaften. 631 


Im folgenden Jahre (1358) nahmen die Gesellschaftsgeschäfte 
einen noch ausgedehnteren Charakter an. Ich bemerkte schon 
Bardewiks Beteiligung an zwei großen Einkäufen von Pelzwerk, 
wie es scheint, in Lübeck selbst zusammen mit Johann Witten- 
borg, Henneke Laurensius und Albrecht Woltvogel 
je zu '/ı (88 239, 240, 323, 324). An den Waren, die Woltvogel 
dafür inDordrecht kaufte, Löwensches Tuch sowie, vermutlich 
zum Heimritt, ein Pferd, war Arnold natürlich gleichfalls beteiligt 
(88 339—341, 345): teils Wittenborg allein, teils Wittenborg und 
Woltvogel haben den Verkauf besorgt. 

Endlich hatte Bardewik Anteil an Gerste ($ 335), englischem 
Tuch ($ 350) und Roggen ($ 351) die Berthold aus Preußen 
geschickt hatte. 

Noch schärfer indes beleuchtet wird die Dauer des gesell- 
schaftlichen Bandes vielleicht durch die Notiz, daß Wittenborg ein- 
mal 135 m. d. verborgt, von denen Arnold die Hälfte gehört 
(8 306, N.St.B. 59, wo Wittenborg allein als Gläubiger ein- 
getragen ist; vgl. oben S. 623 Anm. 2). 

Um aber das Bild von den ununterbrochenen geschäftlichen 
Beziehungen zwischen diesen beiden Männern und ihrem Prinzi- 
pal Wittenborg zu vervollständigen, wären noch die zahlreichen 
Bemerkungen über die laufenden Rechnungen zwischen 
ihm und jedem von ihnen heranzuziehen. Wittenborg leiht ihnen 
Geld bei der Abreise, empfängt Zahlungen in andern Beträgen 
wieder, macht Auslagen für sie oder sie für ihn; in Arnolds 
Abwesenheit besorgt Wittenborg für ihn vielfache Familiensachen, 
verwaltet seinen Grundbesitz u. 8s.w. Von Zeit zu Zeit erfolgt 
Abrechnung; und wenn es dann auch woll heißt: 

des is al de... rekenscop dot ($ 58, $ 61), 
so bleibt doch stets ein Saldo vorzutragen: einen endgültigen 
Abschluß gibt es nie. Und so haben auch die andern Kaufleute, 
die auftauchen, ein für allemal ihren „Gesellen“. 

Heute würden bewährte Angestellte mit einem niedrigen 
Prozentsatz an dem Gesamtgewinn der Firma beteiligt werden: 


gegangenen Güter nicht datiert, so bleibt doch sicher, daß das Unglück 


spätestens 1345 geschehen und einer der Beteiligten 1351 gestorben war. 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 42 


632 F. Keutgen: Hansische Handelsgesellschaften. 


Wittenborg nimmt sie, wie andere, unabhängige Kaufleute, oft zu 
gleichen Teilen als Gesellschafter an, aber nicht für das ganıe 
Geschäft, sondern für bestimmte Zweige. Sein Geschäft is 
vielseitig, nicht mit nur einem auswärtigen Punkt wie das der 
Veckinghusen mit Venedig. Darin liegt der Unterschied. $ 
hat er seinen Teilhaber für das Danziger Geschäft, einen anden 
für das Dorpater. Seine jungen Leute müssen zwar nach ver 
schiedenen Ländern reisen; aber sie werden an dem Geschäft- 
zweig interessiert, der ihnen zurzeit zugewiesen ist. Wittenborg 
steht in der Mitte und leitet alles. Auch heute wäre es wohl 
möglich, daß ein Hamburger oder Bremer Kaufmann einen be- 
sonderen Teilhaber für sein Honolulu Haus hätte, der draußen 
säße und nur an dem dortigen Geschäft beteiligt wäre, einen 
andern in Hongkong oder Shanghai und einen dritten für das 
Valparaiso-Geschäft. So muß man sich auch Wittenborgs und 
seiner „Kumpane“ Lage vorstellen. Dadurch erst gewinnen wir 
ein Verständnis für den Handel von vor 500—600 Jahren: im 
einzelnen ist das meiste noch unentwickelt und ungeschickt, aber 
die Grundzüge sind dieselben wie heute, auch die juristischen, 
da sie sich aus den ewig gleichen Bedürfnissen des Handels un- 
gestört hatten herausbilden dürfen. 

Uns diesen Blick eröffnet zu haben und uns dadurch befreit 
zu haben aus der engen Perspektive der juristischen Konstrak- 
tionen: darin liegt der hohe Wert des — übrigens auf den vor 
stehenden Blättern keineswegs ausgeschöpften — Handlungsbucs | 
des Bürgermeisters Johann Wittenborg. 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Anoien Régime. 
Dargestellt auf Grund zweier Briefe. 
Von 
Dr. Ottomar Thiele. 
Fortsetzung von S. 562 und Schluß. 





Brief des Intendanten von Soissons an den 
Contrôleur Général des Finances. 


26 oct. 1760. 


Monsieur, 


Vous m'avez fait l’honneur de me mander par votre lettre 
du 22 août, que le Roi voulait être informé des moyens, d'étendre 
et de perfectionner l’agriculture dans la province où il a bien 
voulu me confier l'exécution de ses ordres; que pour me procurer 
les connaissances nécessaires et locales sur cette matière, je 
pourrais former chez moi des assemblées réglées des per- 
sonnes les plus au fait de la culture, des fonds, et de ce qui y 
est relatif, comme la multiplication des bestiaux et la production 
de leur subsistance. | 

Ces assemblées seront sans doute fort utiles, mais principale- 
ment, lorsqu’après avoir pris une première connaissance de l’état 
actuel de l’agriculture, des vues qui y règnent, des obstacles 
qui l’arrêtent, et des moyens différents que l’on pourrait employer 
pour détruire les uns et affaiblir les autres, je serais en état 
d'approfondir le tout dans ces assemblées de gens dont l’expérience, 
le zèle et la bonne foi me seraient assez connus, pour croire 
que je pourrais utilement discuter avec eux sur la totalité des 


688 Referate. 


autres princes de leur temps, ils obéissent exclusivement à deux mobiles: 
le mobile fiscal, qui les engage à favoriser l’enrichissement de leurs 
sujets pour en faire des contribuables plus productifs, et le mobile 
annonaire, que M" Y. ne signale pas d'une façon générale '), et qui 
les pousse à accumuler dans leur royaume assez de ressources pour 
qu’il puisse se suffire à lui-même, et à empêcher ces ressources d’&migrer 
au dehors. C'est l'intérêt fiscal?) qui les détermine à se faire eux- 
mêmes agriculteurs, industriels, commerçants. L'élevage, intelligemment 
pratiqué dans leurs domaines, les spéculations engagées par eux on 
Italie et même à l'étranger, les entreprises maritimes, les monopoles, 
leur procurent de gros bénéfices (p. 26—37). C’est encore l'intérêt 
fiscal qui les engage à intervenir en toute occasion“) dans les trans- 
actions privées, soit pour assurer le remboursement de certaines créances, 
soit pour accorder des délais à des débiteurs malhenreux, soit pour 
évoquer à leur tribunal certains procès concernant les marchands, soit 
enfin pour trancher certains conflits pendants entre les marchands et 
les officiers royaux (p. 37—44). C'est toujours ce même esprit fiscal 
qui domine le système des impôts frappant le commerce, impôts mul- 
tiples, onéreux, mal assis, et qui gêneraient singulièrement les affaires 
si, dans la pratique, de nombreuses exemptions n'en venaient diminuer 
le poids (p. 45—49) — et le système des monnaies, que Charles I", 
Charles IL et Robert n'hésitent pas, malgré de belles promesses trop 
rarement tenues, à remanier et à altérer sans cesse (p. 49—56). Ils 
essaient d’unifier les poids et les mesures (p. 56—58), et d'assurer la 
prohibition canonique du prêt à intérêt pour les chrétiens, et sa limi- 
tation au taux de 10°/, pour les Juifs (p. 58—60), sans y réussir. 
Les princes angevins n’en exercent pas moins une influence heureuse 
sur le développement de la circulation économique, en faisant régner 
la paix dans le royaume, en garantissant la sécurité des chemins, et 
en les purgeant des bandes de brigands qui les infestent (p. 61—67). 
Ils mettent en état les routes, et y construisent de place en place des 
abris pour les voyageurs (p. 67—71). Enfin ils développent et protègent 
les centres d'échange {p. 71—76). A ce propos, Mr Y. étudie les voies 
commerciales terrestres du royaume, et notamment les deux principales 
d’entre elles: celle qui va du sud au nord, et rattache Naples à Capone, 
Aquila, Pérouse et Florence, et celle qui, par Bénévent et Foggia, relie 
la capitale aux ports de l’Adriatique. Il énumère aussi les principales 
foires. Enumération d’ailleurs un peu insuffisante. Le tableau des 
foires du royaume de Sicile & la mort de Robert (1343) pourrait être 
singulièrement enrichi grâce au chapitre que PEGOLOTTI (Practica della 








1) D en parle seulement p. 55, à propos de l'exportation des monnaies 
royales; p. 102, à propos de l'exportation du bétail; p. 104, à propos de 
l'exportation des plantes textiles; p. 107 et sqq., à propos de l'exportation 
des grains. 

2) C’est improprement que Mr,Y. parle à ce propos (p. 24) du mercantilisme 
royal, puisque mercantilisme a un sens technique, et désigne un système 
économique défini. 

3) Mais Mr Y. a sans doute tort de faire aux Angevins un mérite spécial 
de ces interventions, que tous les souverains pratiquaient comme eux. 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 635 


au contraire qu'elle est diminuée depuis 20 à 30 ans, et par 
conséquent la production. L'esprit de travail ne suffit pas. Ce 
travail consiste par exemple dans les pays de blé, qui sont la 
partie dominante dans cette province, à donner à la terre toutes 
les facons qu’elle demande, à former les engrais qui lui sont 
nécessaires, à faire ces mélanges de terre, de marne, de cendres, 
qui les raniment et les rendent fertiles. Il faut pour ces travaux 
des chevaux (on ne se sert point de bœufs), des bestiaux, des 
domestiques, des moissonneurs, et le temps propre à la culture. 
Or la multiplication des impôts, les convois pour le passage des 
troupes ordinaires, les corvées dans la manutention desquelles 
on ne peut jamais être sûr de ne pas distraire les laboureurs 
dans des jours prétieux pour un labour, les milices et les recrues 
qui dépeuplent les campagnes, les pauvres qui les mondent et 
se font nourrir de force chez les fermiers; tout cela rassemblé 
öte les moyens au laboureur de faire une entière culture. Il a 
moins de chevaux, et ils sont moins bons, il ne peut donner le 
nombre de labours nécessaires à ses terres; il les désole, pour 
ne cultiver que les meilleures, ne les laisse pas reposer, et ne 
cultive point les médiocres. Il ne peut par des travaux couteux 
mettre sa terre en pente à l’abri des ravines que les pluies aug- 
mentent tous les ans. Presque sans bestiaux, faute d’aisance, et 
dans la crainte d’en voir chaque tête taxée à la taille, vice 
destructif, les engrais lui manquent. Hors d’état de faire aucune 
dépense extraordinaire, il n’emploie ni marne, ni cendre. La rareté 
des habitants de la campagne rend les valets, les moissonneurs 
plus rares et plus chers; le laboureur en prend moins, la culture 
retarde, la moisson trop longue en souffre. 

Il est vrai, que dans les bons pays de blé, il y a encore 
d'anciennes familles de gros fermiers qui, devenus très riches 
par les gains qu'ils ont fait, en ne vendant leur blé que dans 
les années chères, sentent moins le malheur des temps; mais ce 
n'est pas un avantage pour la culture en général et pour la 
population. C’est au contraire ce qui prouve, que la malaisance 
a produit les deux inconvénients contraires dans les différents 
pays. Dans ceux des forts et riches fermiers, qui ont 5, 6, 7 
charrues, ils ont persuadé aux propriétaires devenus malaisés, de 


690 Referate. 


des débouchés, facilités de transport; barrières fiscales, etc.) et il aurait 
pu tirer beaucoup plus de fruit des travaux de Ratzel et de son école. 

Les rois angevins témoignent beaucoup de sollicitude pour la pro- 
duction industrielle et agricole. Ils contribuent puissamment à l'essor 
de deux grandes branches d'industrie: mines et métallurgie d’une part 
(p. 77—84); industries textiles!) de l’autre (p. 84—96). C'est même 
à leur seule initiative que ces dernières doivent de s’acclimater à 
Naples. Dans leur politique agricole, s’ils se préoccupent parfois de 
défendre le paysan contre la mauvaise fortune et contre les abus 
administratifs, ils s'efforcent surtout de supprimer ou de restreindre 
l'exportation hors du royaume des denrées les plus indispensables, 
spécialement des céréales, et de frapper leur transport de droits parti- 
culièrement lucratifs pour le trésor (p. 97—126). 

Après cet aperçu general de l'influence des souverains sur les 
principales manifestations de la vie économique, M' Y. examine leurs 
rapports avec les marchands: d'abord avec ceux qu'il appelle les 
régnicoles, et que nous appellerons, plus exactement, les indigènes, puis 
avec les étrangers. Les marchands indigènes jouent un rôle des plus 
médiocres. A l’exception des Amalfitains, qui se distinguent par leur 
initiative, ils seconent rarement leur inertie, malgré les efforts des rois 
pour les galvaniser; ils se bornent à pratiquer le commerce de détail. 
Les grandes entreprises restent aux mains des étrangers. Les princi- 
pales „nations“ étrangères ont dans les cités des établissements (ricus, 
plathea, logia) que des diplômes royaux leur ont permis de fonder 
(p. 193—196). Dans la capitale et dans les villes les plus importantes, 
elles forment des communautés autonomes, à la tête desquelles sont 
placés des cowsuls élus par les marchands, ou désignés par les autorités 
de leur métropole, parmi leurs compatriotes?). L'action de ces consuls 
s'exerce au sein de la nation et dans les rapports de cette nation 
avec les autorités locales. Au sein de la nation, ils prennent en main 
les intérêts généraux de leurs concitoyens, lèvent certaines taxes, 
exercent une juridiction disciplinaire qui, en matière délictuelle, comprend 
les infractions les moins graves, et, en matière civile et commerciale, 
comprend tous les litiges dans lesquels les deux parties appartiennent 
à leurs ressortissants. Ils jugent sommairement, sans formalisme, et 
mercantiliter. Dans les rapports de la nation avec le dehors, ils repre- 
sentent leurs nationaux auprès du souverain, les défendent, produisent 
les réclamations de ceux qui ont été lésés, leur servent de cautions et 


1) On ne s'explique pas bien pourquoi la section consacrée par Mr Y. 
à toutes les industries textiles (soie, chanvre, lin, etc.) a pour titre unique: 
la laine. De même (p. 104), pourquoi le commerce des plantes textiles et de 
l'huile est-il rangé sous le titre: le commerce des grains? 

2) Sauf à Gaete, où les consuls doivent être citoyens de la ville, et 
peuvent être nommés par le roi (YVER, p. 199; p. 201). Mr Y., qui n'a 
utilisé sur cette question ni les excellents travaux de SUHAURBE, ni même le 
livre de MoREL sur l’histoire de la juridiction commerciale, n’a pas tiré de ce 
fait les conclusions qui s’imposaient, et n’a pas souligné les conceptions très 
différentes du consulat que supposent le système suivi à Gaëète et celui suivi 
dans les autres places. 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 637 


à prix d'argent pour le public et même pour les corvées: une 
partie de leurs terres reste en friche. Le propriétaire qui a 
morcellé ainsi les terres de sa ferme en marchés particuliers, qui 
a abattu une partie des bâtiments devenus trop grands pour le 
peu de terres qu’il y a laissées, n’est point payé, se trouve 
trompé dans l'espérance où il était, qu’il tirerait plus de ses 
terres ainsi morcellées à des haricotiers que d’un vrai fermier, 
dont il aurait été obligé de diminuer le bail, et d’attendre le 
payement pour le soutenir. Tous les mémoires de ces pays 
parlent de tort sensible que fait à la culture le grand nombre 
de ces petits haricotiers qui s’est introduit depuis 20 ans. 

La culture et la production souffrent encore considérablement 
d’un genre d'administration des grosses terres qui, s’il n’est pas 
absolument nouveau, s’est fort augmenté depuis 20 ans, et par 
des moyens encore plus destructifs. Les propriétaires des grosses 
terres, les usufructiers des biens de l'Eglise, que ni les uns ni les 
autres n’habitent malheureusement jamais, se ressentunt des 
charges occasionnées par la dernière guerre, qui ont subsisté 
depuis, et ont augmenté dans le cours de celle-ci, ont cherché 
à augmenter leur revenu par l’augmentation du prix des beaux 
de leurs différentes fermes, ou par des pots-de-vin cachés, ou 
la convention cachée, de même d’acquitter les vingtièmes par leur 
fermiers. Ces augmentations forcées, auxquelles les fermiers 
n’ont pu successivement se refuser par la crainte de perdre le 
fruit des dépenses, qu'ils avaient faites pour l’amélioration de 
leurs terres, ou de se livrer à celles qu’entraine le changement, 
et même de rester sans occupation et sans état — ces augmen- 
tations, dis-je, ont épuisé les fermiers. L'activité de leur travail 
n’a pû être accompagnée des moyens nécessaires en chevaux 
pour le labour, en bestiaux pour les engrais, en achat de marne 
et de cendre pour le renouvellement de la fertilité; leur culture 
a diminué chaque année, leur production de même, ils se sont 
ruines et ont envoyé leurs enfants être laquais à Paris. 

Les gros propriétaires laïcs et ecclésiastiques qui ont ainsi 
ruiné leurs fermiers, et ceux qui n’ont point pu amener les leurs 
à ces augmentations forcées, ont pris le parti d'affermer leurs 
terres à bail général à des gens qu’ils ont mis dans les habi- 


692 Referate. 


Le dernier chapitre (p. 335—391) est consacré aux opérations des 
compagnies florentines dans le royaume de Sicile, et c’est à ce propos 
seulement que M" Y. étudie le mécanisme du grand commerce, c'est 
à dire le personnel des compagnies!) (associés, agents, directeurs, 
procuratores et nunci) et leurs opérations (achat et vente de mar- 
chandises de toutes sortes, fournitures militaires, fabrication de mor- 
naies, et surtout affaires de banque: dépôts, prêts, transport d'argent, 
change de monnaies, etc.) soit avec des particuliers, soit avec la curia 
royale. 

"Un appendice comprenant un tableau des monnaies, poids et mesures 
en usage à l’époque angevine, une liste des marchands florentins men- 
tionnés dans les registres du règne du roi Robert, et quelque pièces 
justificatives (modèles d’acceptatio et d'apodira; articles de prêts et 
remboursements; acte de liquidation des comptes de la société des 
Peruzzi) et enfin deux index (index des noms propres — et index des 
matières) — terminent l'ouvrage (p. 401—437). 

L'analyse rapide que je viens de faire suffit à montrer que le titre 
de l'étude présentée par M' Y. ne donne pas une idée exacte de son 
contenu. (Ce titre est à la fois trop étroit et trop large. 

Trop étroit: car cette étude fait une place importante à l’histoire 
e l'industrie, de l’agriculture (p. 77—127) et même de la pêche 
(p. 130 et sqq.). Or, si l’agriculture, l’industrie, et la pêche peuvent 
être sources de richesses commerciales, c’est-à-dire de marchandises, 
et si elles doivent trouver place accessoirement, comme telles, dans 
une monographie consacrée au commerce d’un milieu déterminé, il ne 
s’ensuit pas qu'elles doivent l’être pour elles-mêmes, car elles ne sont 
pas nécessairement liées à un système commercial, puisque, au moins 
dans leur formes rudimentaires, elles existent déjà dans des sociétés 
qui n'ont pas dépassé la phase de l’économie domestique, et n'ont pas 
encore atteint la phase de l’économie d'échange. Il est certain que 
l'acte du laboureur qui vend sa récolte, du tisserand qui vend sa toile, 
du pêcheur qui vend son poisson, ne rentre pas dans la sphère des 
opérations commerciales. Mr Y. n’a pas délimité son sujet à cet égari, 
et il a négligé de définir le commerce: notion claire, semble-t'il au 
premier abord; — notion singulièrement complexe et fuyante quand 
on y regarde de plus près. 

Trop large: car une étude du commerce comporte nécessairement 
l'examen du personnel, de l’organisation matérielle, et des institutions, 
par lesquels se réalisent les affaires commerciales ?)}. Or les rare 
données que Mr Y. s’est préoccupé de réunir sur ces points 8 
trouvent éparses, sans idées générales pouvant leur servir de lien, au 


1) Est-il exact de les désigner, p. 336, sous le nom de sociétés en com- 
mandite ? et le nom même de compagnia ne s’applique-t-il pas, au XIVe siècle, 
à un type social très different de la société en commandite moderne, tt 
beaucoup plus voisin de Ja société en nom collectif ? 

2) Pour apprécier ce qui manque ici au livre de Mr Y., il suffira de le 
comparer à l'excellente étude que Mr Esrınas a donnée dans cette Revu 
Oo, 1904, pp. 34, 219 et 382) sur Jehan Boine Broke, bourgeois et drapier 

ouaisien. 





François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 639 


à toute autre, qu'à un homme qui y demeurerait, ou dans une 
ville à deux lieues de distance de la terre? Serait cela gêner 
la liberté de faire valoir son bien comme on veut? Peut-elle, 
cette liberté, être destructive des bien fonds de l’Etat, contraire 
même aux intérêts des propriétaires? On interdit les prodigues, 
la raison de l'Etat y influe. Pourquoi ne pourrait-on pas fixer 
des règles à leur administration ? 

On se plaint encore généralement de deux obstacles qui 
s'opposent à l'amélioration de l’agriculture, la trop courte durée 
des baux de 9 ans, et la faculté du nouveau titulaire du bénéfice 
de résilier les baux faits par son prédécesseur. Les inconvénients 
de l’un et de l’autre sont palpables. Comment un fermier à son 
aise se portera-t-il à faire une dépense extraordinaire de ges 
terres par l’augmentation de ses bestiaux, pour produire celle des 
engrais, l’achat et le transport des marnes et des cendres, pour 
fertiliser les terres, les travaux pour empêcher qu'elles ne se 
dégradent par les ravines, dans celles qui sont incultes, pour les 
défricher, même les plus mauvaises, comme l’enseigne si bien, 
monsieur le Marquis de Turbilly, dans ses prés, dans ses bois, 
pour les déssecher, les regarnier, les faire garder? Comment 
risquera-t-il des essais de Za nouvelle culture expliquée dans 
plusieurs livres? Comment, en un mot, se livrera-t-il à toutes 
ces dépenses extraordinaires dont les commencements coutent 
beaucoup; les profits sont lents et tardifs, s’il craint de n’avoir 
travaillé que pour un fermier qui, à la fin de son bail de 9 ans, 
offrira un prix cher pour profiter des dépenses faites, et même 
avant l'expiration du bail par la mort, ou le changement d’un 
bénéficier, avec lequel il avait fait ce bail? Ce n'est point la 
seule volonté du propriétaire qui fixe ces baux à 9 ans: beau- 
coup en voudraient faire de 18, en plus; mais ils sont arrêtés 
par les droits auxquels les baux sont sujets, parce qu'on les 
regarde comme des aliénations à temps. Les droits de contrôle 
pour les baux audessus de 9 ans sont du double de ceux de 9 ans. 
De plus, il est dû un droit demi-centième denier pour les biens 
depuis 9 jusqu’à 30 ans, et audessus de 30 ans le centième 
denier. Ainsi pour un bail du prix de 1500 liv. on paye à la 
ferme des domaines: 


694 Referate. 


à la domination angevine. Mais ils ont exercé une influence: trop prv- 
fonde et trop durable sur les relations maritimes pour qu’on puisse les 
passer sous silence 1). Or Mr Y. ne paraît point avoir connu le livre 
d’ALIANELLI Sur les anciennes coutumes et lois maritimes des provinces 
napolitaines ?) ni les principaux travaux que de nombreux chercheurs 
(PARDESSUS, TRAVERS Twyss, WAGNER, LABAND, DE ROZIÈRE, BEL- 
TRANI, SOHUPFER, LAUDATI, ROGADEO, SCHAUBE, etc.) ont consacrés à 
ces statuts. Toutes ces lacunes sur l’organisation et les rouages du 
commerce nous empêchent de pénétrer dans la vie même des affaires. 
Les marchands que Mr Y. nous présente restent des créations livres- 
ques, des abstractions s’agitant, en un milieu mal défini, pour accomplir 
de vagues transactions, que nous ne comprenons point. 

Notons enfin que M' Y. marque un souci peut-être exagéré de 
maintenir rigoureusement le caractère monographique de son étude. 
Il semble se piquer de ne jamais jeter un regard hors du temps et 
du pays qu'il étudie, et de ne jamais généraliser. Cette préoccupation, 
souvent prudente, est poussée si loin ici qu'elle entraîne de sérieux 
inconvénients: elle amène Mr: Y. à isoler les manifestations économiques 
qu'il étudie des grands courants commerciaux de l’Europe occidentale 
an XIIIe et au XIVe siècle, et à présenter comme un peu exceptionnels 
et anormaux des faits très généraux qui ont leurs équivalents dans 
toutes les civilisations marchandes de la même époque. Ainsi bon 
nombre de mesures favorables au commerce dont M' Y. fait honneur 
à l'initiative de Frédéric I, n’ont rien d’original: beaucoup d’autres 
princes avant lui avaient pris sous leur protection les étrangers et 
les juifs, assuré la paix des chemins conduisant aux marchés (p. 4), et 
compris l'utilité des foires périodiques (p. 71). Pourquoi aussi avoir 
systématiquement négligé certains travaux d'ensemble très suggestifs? 
Ainsi la Geschichte des mittelalterlichen Handels und Verkehrs zwischen 
Westdeutschland und Italien, mit Ausschluss von Venedig, de SCHULTE, 
si elle ne fournissait, pour la période antérieure au dernier tiers du 
XIV® siècle, que peu de développements sur les relations commerciales 
de l'Allemagne et de l'Italie méridionale (I, p. 599 et sqq.), se recom- 
mandait tout au moins pour la sûreté et l'abondance de ses développe 
ments généraux (sur les routes, les marchandises, le système des impots 
et des monnaies, etc.)*). Pourquoi n'avoir pas examiné les rapports 
qui existent, soit au point de vue anthropogéographique, soit au print 





1) Ces importants statuts n’ont par de chance avec les récents historiens 
de l'Italie méridionale. Voy. p. ex. les développements sans ampleur ni 
originalité que leur consacre GAY, L'Italie méridionale et l'empire bysantın 
depuis l’avènement de Basile I jusqu’à la prise de Bari par les Normands 
(867—1071). Bibl. des écoles françaises de Rome et d'Athènes. Paris 1904, 
p. 582 —588. 

2) ALIANELLI, Delle antiche consuetudine e leggi maritime delle proviuck 
napolitane. Napoli, 1871. 

8) Je ne crois pas que Mr YvER se soit servi des travaux de COLANGEIW, 
I pesi, le monete e le misure nel commercio Veneto-Pugliese alla fine del XIII 
e al principio del XIV secolo (Trani, 1901) et de ZAMBLER, Le relasion 
commerciali fra le Puglie « la Reppublica di Venezia (Trani, 1898). 





François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 641 


droits qui peut profiter de la garde des grains, mais le fermier 
de ces droits. Ne serait-il pas plus naturel et plus utile pour 
la culture, que ce fut le fermier des terres qui ont produit ces 
grains? Dans ses mains le profit tournerait à la terre; dans 
celles du fermier des droits, il ne fait que multiplier les moyens, 
d'abandonner l’agriculture pour des états moins durs et moins 
utiles à l'Etat. Et c’est parceque l’état de laboureur, de culti- 
vateur est le plus dur du emploi des hommes et le plus nécessaire, 
qu’il est si facheux, devoir subsister tant de voies pour le quitter. 
Les pères n’y élèvent plus leurs enfants, et ils craignent même 
d’avoir des enfants, leur ancienne richesse. 

Le goût des nouvelles cultures pour les terres er grains n’a 
pas encore pris dans cette province. Je n’y connais qu’une 
personne qui en ait fait l’essai; il n’a pas réussi. Le défaut 
d’aisance est un grand empêchement. Je connais cependant une 
objection contre cette culture dont le but est: d'augmenter les 
productions. C’est, dit-on, travailler pour le dimeur et le terrageur. 
Il faudrait trouver des moyens pour faire tomber cette objection. 

La liberté du commerce des grains est un encouragement à 
l'augmentation de leur production. Son contraire produit le 
monopole, diminue la culture. L’essai sur la police des grains 
l’a prouvé. On lui doit cette liberté, rendue dans l’intérieur du 
royaume par l'arrêt du Conseil du 17 septembre 1754"). Il serait 
très important qu’elle fut connue pour l’intérieur par une loi 
publique revêtue de toutes les formes. J’ai éprouvé la nécessité 
de cette publicité, ainsi que l’utilité de la liberté. L’ete de 1757, 
le septier de Paris dont le prix est ici dans les années ordinaires 
de 15 à 17 liv., dans les années chères de 20 liv., monta jusqu’à 
30 liv., et dans toute la province à proportion, mais toujours 
plus chères en remontant en Picardie. On craignait la famine 
à Guise, on empêchait la sortie des blés de toutes les villes. 





1) Dieser damals an die Intendanten auf Verwaltungswege ergangene 
Erlaß, welcher zweifellos physiokratischen Einflüssen zugeschrieben werden 
muß, hatte leider, wie schon aus MELIANDs Worten ersichtlich, seinen Zweck 
verfehlt, da die reichen Grundbesitzer, Pächter und Getreidespekulanten seine 
Durchführung zu verhindern wußten. Erst die Gesetze der sechziger Jahre 
waren von wirklichem Erfolge. 


696 Referate. 


fällen auszugehen, und auf Grund sorgfältiger Analyse des einzelnen 
Weistums die aufgefundenen Erscheinungen naclı bestimmten Gesichts- 
punkten übersichtlich zu ordnen, dürfte am ehesten zu gesicherten 
Resultaten führen. Eine Untersuchung des Verhältnisses der Nieder- 
gerichte zu den übergeordneten Hochgerichten wird (8. 14 Anm. 1) 
als zum Verständnis der niedern Rechtspflege nicht unbedingt not- 
wendig abgelehnt. Im Text wird das Verhältnis hier und da gestreift, 
so daß man ersieht, daß ohne eine solche Untersuchung das Ziel des 
Buches nicht vollständig erreicht wird. Gerade das Hochgericht, 
welches ja in vielen Fällen selbst aus dem Niedergericht hervor- 
gegangen ist, hätte in die Untersuchung eingezogen werden miissen. 
Haben doch die Inhaber der Hochgerichtsbarkeit vielfach noch Teile 
der niederen Gerichtsbarkeit ausgeübt in Bezirken, wo sie nicht Grund- 
herren waren. Ich habe in meinem Aufsatz über „das Hochgericht 
auf der Heide“ (Westdeutsche Zeitschrift XXIV S. 101 ff., namentlich 
S. 192 ff.) Fälle konstatiert, in denen die Niedergerichtsbezirke unab- 
hängig von der Grundherrschaft durch Teilung des Hochgerichts- 
bezirks entstanden sind, dann freilich in die Hände der Grundherren 
gerieten und aufgelöst wurden, wo sie nicht bei dem Hochgerichts- 
herrn geblieben sind. Nur die eingehendste Einzelforschung vermag 
in das Wirrsal der verschiedenen Kombinationen einzudringen, in 
denen die verschiedenen Arten der Untertänigkeitsverhältnisse der 
Bauern zu ihren Herrschaften sich durchkreuzt haben. Das Buch von 
Groscx ist ein schätzenswerter Beitrag zu diesen Forschungen. 
Dr. WILHELM FaBricıus, Darmstadt. 


Zur Rezension sind bei der Redaktion u. a. eingelaufen: 


Ant. v. Pantz, Die Innerberger Hauptgewerkschaft 1625—1783, Graz, Styria. 

Franz Bastian, Die Bedeutung mittelalterlicher Zolltarife als Geschichts- 
quellen; mit einer Beilage: Ein Regensburger Mauttarif aus dem 
14. Jahrhundert. Forschungen zur Geschichte Bayerns Bd. 13, S. 296 ff.; 
Bd. 14, S. 114ff. 

Schäffle, Abriß der Soziologie. Herausgegeben mit einem Vorwort von 
K. Bücher. Tübingen, H. Laupp. 

A. Steinmann ann, Die ostschweizerische Stickerei-Industrie. Zürich, Ed. Raschers 
Erben. 

R. Kaulla, Die geschichtliche Entwicklung der modernen Werttheorien. 
Tübingen, H. Laupp. 

M. Bourguin, Die sozialistischen Systeme und die wirtschaftliche Ent- 
wicklung. Übersetzt von L. Katzenstein. Tübingen, J. C. B. Mohr 
(P. Siebeck). 

Jos. Aug. Lux, Volkswirtschaft des Talents. Leipzig, R. Voigtländer. 

E. Hubrich, Deutsches Fürstentum und deutsches Verfassungswesen. Leipzig, 
B. G. Teubner. 

F. Thalichum, Die Stadtrechte von Tübingen 1388 u. 1493. Tübingen, 
H. Laupp. 

Derselbe, Die Diözesen Constanz, Augsburg, Basel, Speier, Worms nach 
Ihrer, alten Einteilung in Archidiakonate, Dekanate und Pfarreien. 
" Ebenda. 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 645 


que rapporte un arpent de vignes, le proprietaire y perd 121 liv. 
10 8. Ces vignes trop abondantes occupent des terres qui seraient 
très propres aux grains et aux bois. 

Enfin dans les terres des princes et des seigneurs le gibier 
rend inculte le pays, et le détail de la destruction qu’il y cause, 
est effrayant. 

Tels sont, Monsieur, les principaux obstacles qu’&prouve 
l’agriculture, et les causes qui non seulement en arrêtent les 
progrès, mais y font voir une diminution assez forte, pour être 
inquiétante sur l'avenir dans cette province, d’une situation favorable 
à la culture et à la production. Je vais vous faire une courte 
description de ses élections; vous y verrez leur position et les 
productions qui leur sont propres, et l’application de ce qui a 
été dit cy-dessus !). 


1) Es folgt nun eine längere Beschreibung der 7 Elections der Généralité 
von Soissons, nämlich Crépy, Soissons, Laon, Guise, Noyon, Clermont und 
Château-Thierry. Sie ist nach den Berichten der einzelnen Subdélégués zu- 
sammengestellt und dürfte kaum von einigem Interesse sein, da sie nur 
deren Unfähigkeit, die agrarwirtschaftlichen Verhältnisse richtig zu verstehen, 
widerspiegelt. Hier ist sie weggelassen. QUESNAY kommt am Ende seines 
Briefes auf diese Seite des Memoires zurück. Er rügt besonders die in der 
Beschreibung der Election von Soissons enthaltene Bemerkung über deren 
ländliche Bevölkerung: „Im allgemeinen ist der Charakter der Einwohner 
dieses Kreises langsam und träge, ein Zeichen für die Fruchtbarkeit des 
Landes.“ („En général le caractère etc.“) 


696 Referate. 


fällen auszugehen, und auf Grund sorgfältiger Analyse des einselnea 
Weistums die aufgefundenen Erscheinungen naclı bestimmten Gesichts- 
punkten übersichtlich zu ordnen, dürfte am ehesten zu gesicherten 
Resultaten führen. Eine Untersuchung des Verhältnisses der Nieder- 
gerichte zu den übergeordneten Hochgerichten wird (8. 14 Anm. 1) 
als zum Verständnis der niedern Rechtspflege nicht unbedingt not- 
wendig abgelehnt. Im Text wird das Verhältnis hier und da gestreift, 
so daß man ersieht, daß ohne eine solche Untersuchung das Ziel des 
Buches nicht vollständig erreicht wird. Gerade das Hochgericht, 
welches ja in vielen Fällen selbst aus dem Niedergericht hervir- 
gegangen ist, hätte in die Untersuchung eingezogen werden missen. 
Haben doch die Inhaber der Hochgerichtsbarkeit vielfach nooh Teile 
der niederen Gerichtsbarkeit ausgeübt in Bezirken, wo sie nicht Grund- 
herren waren. Ich habe in meinem Aufsatz über „das Hochgericht 
auf der Heide“ (Westdeutsche Zeitschrift XXIV S. 101 ff., namentlich 
S. 192 ff.) Fälle konstatiert, in denen die Niedergerichtsbezirke unab- 
hängig von der Grundherrschaft durch Teilung des Hochgerichts- 
bezirks entstanden sind, dann freilich in die Hände der Grundherren 
gerieten und aufgelöst wurden, wo sie nicht bei dem Hochgerichts- 
herrn geblieben sind. Nur die eingehendste Einzelforschung vermag 
in das Wirrsal der verschiedenen Kombinationen einzudringen, in 
denen die verschiedenen Arten der Untertänigkeitsverhältnisse der 
Bauern zu ihren Herrschaften sich durchkreuzt haben. Das Buch von 
GROSCH ist ein schätzenswerter Beitrag zu diesen Forschungen. 
Dr. WILHELM FABRICIUS, Darmstadt. 


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Ant. v. Pantz, Die Innerberger Hauptgewerkschaft 1625 —1783, Graz, Styria. 

Franz Bastian, Die Bedeutung mittelalterlicher Zolltarife als Geschichts- 
quellen; mit einer Beilage: Ein Regensburger Mauttarif aus dem 
14. Jahrhundert. Forschungen zur Geschichte Bayerns Bd. 13, S. 296 ff.; 
Bd. 14, S. 114ff. 

Schäffle, Abriß der Soziologie. Herausgegeben mit einem Vorwort von 
K. Bücher. Tübingen, H. Laupp. 

A. Btoinmann, 2 Die ostschweizerische Stickerei-Industrie. Zürich, Ed. Raschers 

rDen. 

R. Kaulla, Die geschichtliche Entwicklung der modernen Werttheoriez. 
Tübingen, H. Laupp. 

M. Bourguin, Die sozialistischen Systeme und die wirtschaftliche Ent- 
wicklung. Übersetzt von L. Katzenstein. Tübingen, J. C. B. Mohr 
(P. Siebeck). 

Jos. Aug. Lux, Volkswirtschaft des Talents. Leipzig, R. Voigtländer. 

E. Hubrich, Deutsches Fürstentum und deutsches Verfassungswesen. Leipzig, 
B. G. Teubner. 

F. Thulichum, Die Stadtrechte von Tübingen 1388 u. 1493. Tübingen, 

. Laupp. 

Derselbe, Die Diözesen Constanz, Augsburg, Basel, Speier, Worms nach 
Ihrer alten Einteilung in Archidiakonate, Dekanate und Pfarreien. 
“ Ebenda. 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 645 


Vous savez assez que c’est le roc contre lequel les charrues vont 
se briser. Je ne vous en dis pas davantage. Il ne s’agit pas 
tant d’appeller des hommes à la campagne, que des richesses. 
Et c'est tout le contraire, on ne nous parle que de peupler la 
campagne, et point de l'enrichir. On ne pense pas, que plus 
la culture est opulente, moins elle occupe d'hommes et plus elle 
donne de revenus au Roi et aux propriétaires; et que plus ce 
revenu s’accroit, plus il augmente la population dans les différents 
emplois, et les différents genres de professions nécessaires dans 
un royaume florissant. Mais comment rappellera-t-on des richesses 
dans la campagne, comment les faire sortir des villes, s’il n’y a 
pas de sûreté dans leur emploi à la culture? Il est donc certain 
que, si l’on continue d’exposer le laboureur à une forme d’im- 
position incertaine et arbitraire, la culture périra entièrement, et 
le royaume avec elle. Pourquoi ce point de vue terrible échape-t-il 
à vos réflexions ? 

Revenons à d’autres particularités détaillées dans votre 
mémoire. Je ne puis applaudir à ce que vous dites des gros 
laboureurs et des grosses fermes, que vous ne m’ayez calculé 
la différence des revenus des terres réunies en grandes fermes, 
ou divisées en moindres fermes. Je ne dis pas en petite ferme, 
car vous vous êtes trop bien et trop judicieusement expliqué 
à l’égard de ces dernières. Mais parmi les personnes instruites 
en cette matière, qui a jamais douté que, relativement aux dé- 
penses d'exploitation, les grandes fermes richement cultivées, 
donnent à culture égale beaucoup de produit net, et par consé- 
quence beaucoup plus de revenu à moins d’entretien de bâtiment, 
que de moindres fermes? Examinons vos raisons: 1° Parce que 
les grosses fermes bornent la population, un terrain de 18 charrues 
cultivé par une seule famille de laboureurs, entretiendra moins 
d'hommes, que s’il était divisé à six familles de laboureurs. 
Voyez si ce terrain pourra donner autant de produit net ou de 
revenu étant chargé de six familles de laboureurs, que lorsqu'il 
n’est chargé que d’une famille. On sait aujourd’hui quel état, les 
propriétaires, la population même, ne trouvent pas leur compte 
à se procurer des hommes au préjudice du revenu. L’accroisse- 
ment du revenu doit augmenter la population, mais l'augmentation 


Verlag von W. Kohlhammer in Stuttgart. 


— —— u nn ne 





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François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 647 


Votre remarque est très juste sur les prix forcés des baux 
par les propriétaires ou par leurs fermiers généraux. Ceux-ci 
font la désolation des fermiers particuliers, et ainsi que des 
mauvais propriétaires, les destructeurs de l’agriculture et surtout 
les abbés commendataires. Vous avez bien raison de dire, 
que les meilleurs propriétaires sont Îles moins réguliers. Vos 
réflections sur les baux trop courts ne sont pas pratiquables 
actuellement, il faudrait entrer dans un trop grand détail pour 
vous le démontrer. Je vous dirai seulement, que si les grands 
moyens de faire prospérer l’agriculture, dépendants du gouverne- 
ment, étaient rétablis, la culture ferait de grands progrès dont 
le Roi et les propriétaires devraient profiter, aussi bien que 
les laboureurs; or si l’on faisait aujourd'hui que l’agriculture 
est si dégradée, des baux de 20 ans, le Roi ni les pro- 
priétaires ne profiteraient point pendant cette durée de l’ac- 
croissement des produits procurés par la réforme de l’adminis- 
tration. Vous me direz peut-être qu’à l’égard du Roi, on aug- 
menterait arbitrairement pendant le courant du bail, l’impôt sur 
les fermiers. Mais vous pensez trop bien, pour approuver cette 
conduite, bien plus terrible pour les fermiers et les propriétaires 
que tous les autres fleaux qui affligent les habitants des campagnes. 
Ce n’est donc que par la concurrence des fermiers dans le 
renouvellement des baux, que nous pouvons connaître l’état 
successif de l’accroissement des produits des terres, procuré par 
une meilleure administration du gouvernement, et de l’accroisse- 
ment régulier de l’impöt et du revenu de bail en bail. Mais 
quand l’agriculture sera dans son état parfait, la longueur des 
baux peut être un bon moyen pour l’y maintenir, sans pre- 
judicier aux revenus du Roi et des propriétaires: sauf cepen- 
dant l'espèce de propriété que les fermiers s’attribuent par la 
possession de leurs fermes. Il y a des endroits en Picardie où 
cet abus ne laisse plus aux propriétaires que l’état de rentiers. 

Dans votre beau morceau sur la liberté du commerce des 
grains, il y a un article fort délicat qui est la contrainte de 
porter le blé au marché. Il y eut, il y a quelques années, une 
ordonnance de l’Intendance de Limoges, pour défendre aux 


laboureurs de vendre ou débiter leurs blés dans leurs greniers. 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 48 


FUER SCHRIFTSTELLER 
(Nationalökonomen, Sezialpolitiker, Juristen), 


die auf nachstehenden Gebieten publizieren, empfiehlt es sich, zwecks schneller Verbreitung 
der Kenntnis ihrer Veröffentlichungen, die Titel von Büchern und Aufsätsen kurz vor oder 
sogleich nach deren Erscheinen dem Internationalen Institut für Sosial-Biographie zur 
Aufnahme in die monatlich erscheinende Bibliographie der gesamten Sozialwissenschaften 
(Aufl. inol. Separatausgaben 13400) und in das Bibliographische Jahrbuch zu senden. 
(Berlin W.60 Spichernstrasse 17). Ausser den bibliographischen Angabea werden — eben- 
falls kostenlos — kurze, streng objektive, eines Werturteils sich enthaltende Inhaltsnotizen 
bis zu 8 Druckzeilen Umfang angenommen. 


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Textilindustrie. 89 316 p. Berlin, A. Schultze 06. M. 4.60. 
Das Ergebnis einer sozialstatistischen Enquete die Verf. 
in 62 Fabriken mit Unterstützung von Arbeitgebern und 
-nehmern veranstaltet. Auszüge aus den Lohnbüchern der 
letzten 3 Jahrzehnte. Schlusskapitel behandelt Geschichte 
der Arbeitgeber- und -nehmerverbände der deutschen Textil- 
industrie und der Hauptverbänie des Auslandes, 


Arbeitsgebirte des Institutes: 
Der Arbeitsbereich umfasst die Gegenstände: 


Theoretische und praktische Nationalökonomie (Wirtschaftskunde und Politik der 
Landwirtschaft, Forstwirtschaft, des Bergbaues, Verkebrs- und Ausstellungswesens, Handels 
und Zollwesens, des Gewerbes und der Industrie, des Geld-, Kredit-, Bank-, Börsen- und 
Versicherungswesens). Sozialpolitik (Arbeiterschutz und -Versicherung, Organisationen der 
Arbeitgeber und -nehmer, Streiks, Arbeitslosigkeit und -Vermittlung, Mittelstandspolitik, 
Wohnungs- und Bauweren, Soziale Medisin, Frauenfrage, Genossenschafts-, Armen- und Für- 


sorgewesen und Wohlfahrtspflege). : : sotıl -Geschichte, 
Finanzwissenschaft und -Politik, Nozial- und Wirtschafts-Statistik, Recht, Kri- 
minologie, Handeiswissenschaften, Kolonialwesen, Wirtschafte- und Anthropegeographie, 
Sozialphilosophie. 


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bureau Berlin W. 50, Spichernstrasse 17. 


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wegende Buch ist mit zahlreichen interessanten statistischen Nachweisungen 
über den gegenwärtigen Stand der Produktionstechnik und deren Mängel ver- 
sehen. Die Grundgedanken verdienen allseitige Beachtung und werden in der 
nationalökonomischen Literatur hoffentlich noch zu eingehenderen Studien und 
Ratschlägen Veranlassung geben.* (Prof. Georg Adler, Freiburg i. B.) 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 649 


de septiers, et dont le territoire peut en rapporter plus de cent 
millions. Dans un royaume où le bas peuple est si chargé 
d’impositions et, si vex& de corvées, qu'il est réduit pour la plus 
grande partie à se nourrir de blé noir, de mays, d'orge, d’avoine, 
de pois, de chataignes, et d’autres productions de vil prix. On 
dit que le vigneron perd sur le produit de la vigne, surtout 
dans les années abondantes, et on ne voit pas que dans les 
années abondantes en blé, les laboureurs sont ruinés par le bas 
prix et le défaut de débit, et que les richesses d'exploitation 
anéantissent, ce qui est bien d’une autre conséquence. Pauvre 
nation, voilà vos guides! On dit que l’on écrit plus que jamais 
sur l’agriculture, et que ces écrits n’ont pas encore produit un 
grand fruit. A qui en est-ce la faute? (Ces écrits au moins 
éclairent la nation sur les malheurs, et sur les funestes effets de 
la négligence de ceux qui par état devraient les lire, ou plutôt 
qui en devraient être les auteurs, et qui de tout temps devraient 
les avoir mis à la mode, pour se garantir de l’imputation éternelle 
d’avoir détruit le rayaume. Ce sont les müriers blancs, les 
manufactures de soie et de coton et le commerce mercantil qu'on 
a mis à la mode, au prejudice du commerce et des manufactures 
de laines, au détriment des troupeaux qui doivent fournir les 
engrais. nécessaires pour obtenir de riches moissons. 

Que pensez-vous de cette phrase: ‘Tout le monde convient 
que l’esprit de travail et de peine n’est point diminué, on croit 
même qu’il est augmenté; il semble que la malaisance donne de 
Papprêt pour le travail, mais il ne faut pas en conclure que la 
culture est augmentée.» Cela ne réveille-t-il pas un peu l’idée 
d’une certaine politique; par laquelle on voulait inspirer que la 
misère est un aiguillon pour le travail. Ce n’est plus le temps 
de parler ce langage en matière d’agriculture. Le même esprit 
ne frapperait-il pas encore dans cette autre phrase? «En général 
le caractère des habitants (election de Soissons) est lent et 
paresseux, preuve de la bonté du pays.» Ces expressions ne 
sentent-elles pas encore le vieux stile de l'inhumanité des sub- 
délégués? On force les paysans par des ordres, et par des im- 
pôts à abandonner ou arracher leurs vignes qui peuvent entretenir 
une multitude d'hommes à un travail, auquel elle se livre avec 


2 1. Allgemeines. Werke über mehrere Perioden und einzelne Sozialgebilde. 


Bossakiewicz, S.; Histoire générale, 
chronologique, administrative, bio- 
graphique et épisodique de Saint- 

tienne, depuis les origines jusqu’à 
nos jours; par S. Bossakiewicz. 
III, 546 p. 8°. ill. La Fère, impr. 
la Féroise. 05. Fr. 5,—. 

Bourne, H. Eldridge; A history of 
mediæval and modern Europe. 22, 
502 p. New York, Longmans, 
Green & Co., 05. Doil. 1,50. 


By professor in the College for Women 
Western Reserve University. Designed 
for school use. Each chapter is accom- 
panied by a summary and lists for reading; 
and the work closes with general list of 


books. 
Brockhaus, H. Ed.; Die Firma F. A. 


Brockhaus von der Begründung 
bis zum 100 „Ahrigen Jubiläum, 
1805—1905. X, 441 p. 16 Taf. 
gr. 8°. Leipzig, F. A. Brockhaus, 05. 
. 3,—. 
Bullnheimer, J. A.; Geschichte von 
Uffenheim. XII, 329 P: gr. 8°. 
4 Taf. Ansbach, Brügel & S., 05. 
M. 2,50. 
Burckhardt, Jac.; Weltgeschichtliche 
Betrachtungen. Hrg. Jak. Oeri. 
VIIT, 294 p. 8°. Berlin, Stuttgart, 
W. Spemann, 05. M. 6,—. 
Burns, Ja. J.; Educational history of 
Ohio; a history of its progress 
since the formation of the state; 
with biographies of past and 
resent state officials. 8%. Colum- 
us, O., Historical Publ. Co., 05. 
Doll. 5,—. 
de Cheyssac, L.; Une page d’histoire 
politique: Le Ralliement. 117 p. 
% Paris, lib. des Saints-Peres, 
05. Fr. 3,—. 
A&ıa Ill Orxéxenia Co6ctsennot Ero 
Hmneparopcraro BexuyecTBa raxne- 
aapiu 06% A. C. Ilyuruxé. (Akten 
der Ill. Abteilung der Seiner 
Majestät eigenen Kanzlei über 
A. S. Puschkin.) C.-Ilerep6yprs, 
Ku. mar. Hos. Bpeueux, 06. 


ub. 23,—. 
„Il. Abteilung‘ — berüchtigte Ab- 
teilung über politische Angelegenheiten. 
Dittmann, W.; Die Geschichte des 
D. Kaufmanns. BI. f. j. Kaufl. 05. 
Dez. p. 184—190. 


Duff, E. Gordon; A century of the 
English book trade: short notices 


of all printers, stationers, book- 
binders, and others connected 
with it from the issue of the first 
dated book in 1457 to the incor- 
poration of the Company of Sta- 
tioners in 1557. u. 200 p. 
London, Bibliographical Society, 
printed by Blades, East & Blades, 05. 


Edwards, Tryon; Our country, his- 
toric and picturesque: a complete 
story of its development and pro- 

ess from the first discovery by 

e Northmen to the present time. 
13, 491 p. il. 8°. Detroit, Mich, 
Perrien-Keydel Co., 05. 


Eichmann, J. R.; Die Entstehung 
der Ackerbaukultur. Polit. Anthro- 
pol. Rev. 05. Dez. p. 481-—484. 


Engel, Ed.; Geschichte der englischen 
iteratur von den Anfängen bis zur 
Gegenwart. Anh.: Die nordameri- 
kan. Literatur. 6. Afl. VIII, 538 p. 
gr. 8°. Leipzig, J. Baedeker, 06. 


Engelke, Aug.; Die Provinzial-Taub- 
stummenanstalt zu Schleswig in 
ihrer geschichtlichen Entwickelung 
von 1787 bis 1905. Festschrift. 
V, 138 p. gr. 8% Schleswig, 
J. Berga, 05. M. 2,40. 

Extraits des historiens français du 
XIXe siècle, publiés, annotés et 
précédés d’une introduction sur 
’histoire de France par C. Jullian. 
4. éd. CXXVIII, 688 p. pet. 16°. 
Paris, Hachette, 06. r. 3,50. 


Frazer, N. L; Summary of English 


History. Mus. 222 p. gr. 8°. 
Black’s School History.) London, 
lack, 06. 2 s. 


Garner, Ja. W., and Lodge, H. Cabot; 
The history of the United States; 
with a historical review by j Bach 
McMaster. 4 v., 2000 p. il. pors. 
maps, facsims., 8°. Philadelphia, 
J. D. Morris & Co., 06. Doll. 16,—. 

Green, S. Abb.; An historical 
address delivered at  Groton, 
Massachusetts, July 12, 1905, by 
request of the citizens, on the 
celebration of the two hundrei 
and fiftieth anniversary of the 
settlement of the town; with an 


François Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime. 651 


ment dans les bons pays que dans les mauvais, ce qui attire la 
malédiction des subdélégués sur les bons pays. 

Les détails des élections donnés par vos subdélégués sont 
peu lumineux. Il ne suffit pas de se représenter l’aspect des 
différentes cultures d’un pays, ni de parler vaguement des qualités 
des terres, il faut dépouiller les rapports du produit net de la 
culture avec les dépenses et les reprises des fermiers ou colons, 
et marquer la valeur vénale actuelle des biens fonds distingués 
par la classe, et la quantité renfermée dans chaque classe. Il 
faut déclarer dans le même ordre le prix du loyer par arpent 
de terre, entrer dans le detail des charges du fisc, des dépenses 
d'exploitation, des variations des récoltes, des variations du prix 
des productions. Ce n’est que par cet examen que l’on peut 
juger de l’état de la bonne ou mauvaise culture du pays, de ce 
qu’elle peut fournir au souverain, aux propriétaires, et aux 
différentes classes d'hommes employés aux professions lucratives ; 
car c’est sur le revenu du produit de l'agriculture que porte toute 
la constitution d'un état agricole, son commerce, ses manufactures, 
ses arts et métiers, sa population, ses forces etc. Mais il ne faut 
pas confondre avec le produit net, la retribution et les reprises 
du colon, ses bestiaux, ni rien de ce qui appartient à l’exploi- 
tation de l’agriculture; car ce serait de doubles emplois qui 
jetteraient dans l'erreur. C’est-la cependant où conduisent les 
details confus de vos subdélégués. Quel éclaircissement M. le 
Contrôleur Général pourra-t-il donc tirer de l'exposition qu'ils 
donnent de l’état d'agriculture de leurs élections? Supposez qu’on 
fit imprimer leurs notices, que penserait-on de leur capacité et 
‚du sort des habitants exposés à leur manutention? Ils croyent 
donc que les livres qui paraissent sur l’agriculture, ne sont faits 
que pour traiter du métier de laboureur; qu'ils lisent ces ouvrages 
approfondis et herisses de calculs, ils verront qu'ils traitent de 
l’économie même, et que c’est-là, ce qu’ils prennent pour de - 
simples traités de culture et de travaux champêtres, tandis que 
c'est du gouvernement même des nations agricoles qu'il s’agit 
dans ces ouvrages, et qu’ils sont faits pour ceux qui sont chargés 
de l’administration intérieure de l’état. Or, ceux-ci ne se doutent 
pas, que c’est là la matière qui occupe tant aujourd’hui le publie, 


2 1. Allgemeines. Werke über mehrere Perioden und einzelne Sozialgebilde. 


Bossakiewicz, S.; Histoire générale, 
chronologique, administrative, bio- 
aphique et épisodique de Saint- 
Etienne, depuis les origines jusqu’à 
nos jours; par S. Bossakiewicz. 
III, 546 
la Féroise. 05. Fr. 5,—. 
Bourne, H. Eldridge; A history of 
mediæval and modern Europe. 22, 
502 p. New York, Longmans, 
Oreen & Co., 05. Doll. 1,50. 
By professor in the College for Women 
estern Reserve University. Des 
for school use. Each chapter is accom- 


ed by a summary and lists for 
er the Ywork closes with general list of 


books. 

Brockhaus, H. Ed.; Die Firma F. A. 
Brockhaus von der Begründung 
bis zum 100 jährigen Jubiläum. 
1805—1905. X, 441 p. 16 Taf. 
gr.8°. Leipzig, F. A. Brockhaus, 05. 

| . 3— 

Bullnheimer, J. A.; Geschichte von 
Uffenheim. XII, 329 P: gr. 8°. 
4 Taf. Ansbach, Brügel & S., 0. 

2 


‚50. 
Burckhardt, Jac.; Weltgeschichtliche 
Betrachtungen. Hrg. Jak. Oeri. 
VIII, 294 p. 8°. Berlin, Stuttgart, 
W. Spemann, 05. M. 6,—. 
Burns, Ja. J.; Educational history of 
Ohio; a history of its progress 
since the formation of the state; 
with biographies of past and 
resent state officials. 8°. Colum- 
us, O., Historical Publ. Co., 05. 
de Cheyssac, L.; U histoire 
e c, L.; Une page d’histoire 
politique: Le Ralliement. 117 p. 
% Paris, lib. des Saints-Pères, 
05. Fr. 3,— 
Asa Ill Orxéxenix Coécrseunoï Ero 
Muneparopcraro BexzHuecTBa raune- 
zapiu 06% À. C. Iymeunt. (Akten 
der Iil. Abteilung der Seiner 
Majestät eigenen Kanzlei über 
A. S. Puschkin.) C.-Herep6yprs, 
Ka. mar. Hos. Bpemenn, 06. 


ub. 2,—. 
„Il. Abteilung‘‘ — berüchtigte Ab- 
teilung über politische Angelegenheiten. 
Dittmann, W.; Die Geschichte des 
D. Kaufmanns. BI. f. j. Kaufl. 05. 
Dez. p. 184—190. 
Duff, E. Gordon; A century of the 
English book trade: short notices 


p. 8°. ill. La Fère, impr. 


of all printers, stationers, book- 
binders, and others connected 
with it from the issue of the first 
dated book in 1457 to the incor- 
ration of the Company of Sta- 
ioners in 1557. u. 200 p. 
London, Bibliographical Society, 
printed by Blades, East & Blades, 05. 
Edwards, Tryon; Our country, his- 
toric and picturesque: a complete 
story of its development and pro- 
gress from the first discovery by 
e Northmen to the present time. 
13, 491 p. il. 89. Detroit, Mich., 
Perrien-Keydel Co., 05. 


Eichmann, J. R.; Die Entstehung 
der Ackerbaukultur. Polit. Anthro- 
pol. Rev. 05. Dez. p. 481-484. 


Enge) Ed.; Geschichte der englischen 
iteratur von den Anfängen bis zur 
Gegenwart. Anh.: Die nordameri- 
kan. Literatur. 6. Afl. VIII, 538 p. 
gr. 8°. Leipzig, J. Baedeker, 06. 


Engelke, Aug.; Die Provinzial-Taub- 
stummenanstalt zu Schleswig in 
ihrer geschichtlichen Entwickelung 
von a bis 1905. Festschrit. 

, p. gr. 8°. eswz , 
J. Berga, 05. M. 2, 

Extraits des historiens francais du 

XIXe siècle, publiés, annotés et 
récédés d’une introduction sur 
’histoire de France par C. Jullian. 
4. éd. CXXVIII, 688 p. pet. 16°. 
Paris, Hachette, 06. r. 3,50. 

Frazer, N. L.; Summary of English 
History.  Illus. 222 p. gr. 8°. 
Black’s School History.) London, 

lack, 06. 25. 

Garner, Ja. W., and Lodge, H. Cabot; 
The history of the United States; 
with a historical review by.) Bach 
McMaster. 4 v., 2000 p. il. pors. 
maps, facsims., 8% Philadelphia, 
J. D. Morris & Co., 06. Doll. 16,—. 

Green, S. Abb.; An historical 
address delivered at Groton, 
Massachusetts, July 12, 1905, by 
request of the citizens, on the 
celebration of the two hundred 
and fiftieth anniversary of the 
settlement of the town; with an 


Miszellen. 


Il prezzo del frumento in Ispagna, in Africa e in Oriente 
durante l’età imperiale romana. 


Spagna. 
I. 


Bilbilis (Celtiberia). — Nell’ epigramma 76° del libro 12° dei suoi 
Epigrammata, MARZIALE scriveva: 
Anfora vigessi, modius datur aere quaterno: 
Ebrius et crudus nil habet agricola. 


Il senso dei due versi non ha gran che di dubbio. MARZIALE vuol 
siguificare che l’abbondanza del ricolto frumentario e della vendemmia 
era stata tauta che i prezzi erano andati giù per guisa da elidere 
qualsiasi guadagno: gli agricoltori potevano quindi compiacersi a con- 
sumare per loro uso le proprie derrate; potevano ubbriacarsi 0 scop- 
piare d’ivdigestione, ma non potevano più riuscire a trarne un cen- 
tesimo solo di guadagno. Un modius di frumento valeva quattro aussi 
(= L. 0,20)!) cosicchè, nell’ anno e nella regione, cui MARZIALE si 
nieniva, un ettolitro di frumento costava l’irrisorio prezzo di circa 
L. 2,25. 

L’anno e il luogo, cui MARZIALE allude, ci sono noti. Egli scriveva 
dalla Spagna, e, precisamente, dalla sua città natale, Bilbilis, donde 
egli invierà il libro dodicesimo dei suoi epigrammi, nel 101 diC.?), e, 
secondo si rileva anche dai versi che abbiamo sott’occhio, in su lo 
scorcio dell’ anno, a vendemmia finita. Se non che, si tratta, come 
abbiamo visto, di un anno di ricolto cosi eccessivo, che la domanda 


1) Su l’espressione aere quaterno adoperata da MARZIALE, cfr. il co- 
mento del FRIEDLÄNDER (ed. di MARZIALE, Leipzig 1886, II, 259—60). Sotto 
Traiano e Adriano — gli & noto — il titolo della lega dell’ aureus, che 
pesava g. 7, 28, discende a circa %°/1000 (DUREAU DE LA MALLE, Economie 
politique des Romains, Paris 1840, I, 17 — MommMsen, Hist. de la 
monnaie rom. trad. fr., Paris 1865—75, IL 25); l’asse, quindi, corrisponde 
a L. 0,05 soltanto. 

2) MOMMsEx, Zur Lebensgeschichte d. jüngeren Plinius, in 
Hermes, 3, 123 sgg. 


4 1. Allgemeines. Werke über mehrere Perioden und einzeine Sozialgebilde. 


G.; La genealogia del 
De 5 nell antico diritto indiano. 


Die Entstehung des Darlehns in 


em alten indischen Recht.) Riv. 
it di Sociologia 05. Sept.—Dez. 
p. 523—573. 

Menzies-Fergus son: Logie. A parish 
History. 23 ill. London, A. Gardner, 
05. Ss. 

Needham, R., Webster A.; Somerset 
House, past and present. 344 p. 
89. London, Unwin, 05. 12s. 

Oaeapiä, A.; Onucanie nyremecrsix 
32 MockoBiw M uepes% MockoBi® BB 
Hepcim u o6paruo. Bperenie, nepes. 
UpEMBY. M asareıb JIOBATHHA. 
(Olearij Die Beschreibung der 

eise nach Moskowien und über 
Moskowien nach Persien und zu- 
rück. Einführung Übersetzung, 
Anmerkungen und Register von 
Lowiagin.) C.-IIlerep6yprs, Ho». 
Bpema, 06. Rub, 12, —. 

Palacky, Frantisek, Dejiny närodu 
éeského v Cechäch a na Moravé. 
Die puvodnich pramenuvvypravuje. 
Dil V. V&k Jagellonsk | Krélov ni 
Vladislava II. a Ludvika I. od roku 
1471 do 1526. Sesté vydäni péëi 
Dr. Bohuslava Riegra. (Geschichte 
Böhmens. Band V. 6. Afl.) XIX, 
598 p. Lex.-8. Prag, Bursik & 
Kohout, 06. K 3,80. 

Pfau, W. Clem.; Geschichte der 
Töpferei in der Rochlitzer Gegend 
von den frühesten vorchristlichen 
Zeiten bis auf die Gegenwart 
unter Berücksicht. benachbarter 
Ortsgebiete. 7 Taf. u. 44 Einzel- 
abb. Vereinsnachrichten u. kleinere 
ortsgeschichtl.sowie prähistor. Mit- 
teilgn. IV, 174 u. LXXV p. gr. 8°. 
Mitt. V. f. Rochlitz. Gesch. 4.) 

ochlitz, Pretzsch, 05. KM. 2,—. 

Planck, K.; Deutsche Geschichte 
und deutscher Beruf. XXIV, 
181 p. 8°. Tübingen, Mohr, 05. 

M. 2,50. 

, Gaetano; Genova: ventisei 
secoli di storia. (Genua. 26 Jahr- 
hunderte Geschichte.) 118 p. 8°. 
Genova, Libr. Moderna di G. 
Ricci e C., 05. L. 3,—. 
Preissig, E.; Short outline of the 


history of Austria - Hungary. 29, 
243 p. Brooklyn, N.Y.,05. Don. 1,25. 


Paaamesp, A.; R 
Ilerepßypra 85 Mocxsy. a- 
dischtschew: Reise von Peters- 
burg nach Moskau.) C.-Ierepéyprr, 
Ho». peux, 06. Rub. —.60. 


3 


e Betrachtungen. Oeschrieben zur 


elementary schools. 12, 412,56 p. 
il. pors. maps. New York Burdett 


& Co, 03. lai IL 1,—. 
Emphasis is laid u ic er 
ment and the Pesu er 

deveiopment. Not only are the historical 


lists reading. 

Robinson, D.; A brief history of 
South Dakota. il. rs. maps. 
New York, Am. Book Co., 05. 


Author is of th 
Historical of South Dakota. 
cribes the sa iflces and sucresses of the 
pioneers in the hope of develo in the 
young generation pride in its Incaty and 
patriotic citizenship, in the state. Describes 

e natural features of Dakota and gives 
the history ofthe Indians who tirst occupied 


its soil. 

dberg, Vik.; Kulturhistoriska före- 
läsningar. (Kulturhistorische Vor- 
lesungen.) H. 22/23. V, p. 1—192 
8°. Stockholm, Bonnier, 05. 


Kr. 2—. 

Scelle, G.; Histoire politique de la 
traité négrière aux Indes de Cas- 
tille. Contrats et Traités d’Assiento. 
Etude de droit public et d’histoire 
diplomatique, puissée aux sources 
originales et accompagnée de plu- 
sieurs documents inédits. 1. XXI, 
847 p. 8°. Paris, Larose et Tenin, 06. 
amkro, A.; Pasckassı u3 pyccroi 
ucropiu. BE auyx uacrax. (Schisch- 
ko, L.: Erzählungen aus der rus- 
sischen Geschichte.) C.-Ierep6yprs 


EE 


. Rub. — 
Schriever, Ludw.; Geschichte des 
Kreises Bingen. I. Die allg. Gesch. 
VIII, 408 p. gr. 8°. Bingen a. d. 
Ems, v. Acken, 05. M. 5,—. 
[Henzanp, E.; Kparkiii ouepr» pyccxoll 
KHCTOpiE CH APeBHÉMILHX BpeMeR 10 
Haussa XX »pRa. (Schtschept- 
‘kon: Kurze Darstell der rus- 
sischen Geschichte.) C.-Herep6yprs 
06. Rub. 1,—. 


Ispagna, in Africa e in Oriente durante l’età imperiale romana. 655 


Nel mondo antico, per le stesse ragioni, per cui i prezzi medii 
differivano dai massimi assai più che nel contemporaneo '), anche il 
divario fra prezzi minimi e medii dovette essere maggiore, ma possiamo 
starcene paghi ad assegnarvi un rapporto di 1 a 3. In tal caso, noi 
veniamo ad ammettere che a Bilbilis, anzi, puö dirsi, nella Celtiberia 
in genere, il prezzo medio del frumento, nei primi del secondo secolo 
di Cristo, oscillö intorno alle L. 6,50 ca. l’hl. 

E invero noi non possiamo andare più in lä&. La Celtiberia era 
una regione spopolata, come ci provano testimonianze letterarie ed 
epigrafiche, ed & noto quanto la scarsezza della popolazione influisca 
sul morigerato costo dei viveri, anche in paesi, come Ja Celtiberia, 
naturalmente sterili e infecondi*). Affatto diverso era l’aspetto e il 
valore economico della Cisalpina, ma i prezzi del frumento, a cui, per 
questo territorio, si poteva, in quello stesso tempo, pervenire, non 
superavano le 5—6 lire l’hl.5). 


IT. 


Hispalis (Baetica). — Della Betica, e precisamente della sua 
metropoli, Hispalis, noi possediamo un dato di altro genere; possediamo 
una delle cosi dette iscrizioni alimentari, nella quale cosi una donatrice 
si esprime: „... [qui suntinr.p.n, pueri] ingenui Juncini item puellae 
[ingenuae titianae, eis] quodannis in annos singulos HS L milifum 
usuras semisses] dari volo, quam summam bis in ann[o natali C. Seii 
viri mei] k. mais et meo VII k. maias in aliment[orum ampliationem] 
accipiant pueri ingenui HS XXX nummos, pulellae ingenuae HS XL n., 
quamlquam summam sufficere credo. Si tamen numerus [puerorum 
puellarumque s. s.] maior erit, pro porltlione qua inter masculos [ut 
distribuatur cavi], distribui omnibus volo; quod si amplius erl[it in 
legato, item aequabiliterqlue inter eusdem distribuant[ur qui supererunt 
nummil.‘ *) 

Noi abbiamo ad altra occasione?) ricercato se, e in quale misura, 
codeste donazioni alimentari possano informare del prezzo del frumento 
nei luoghi, cui esse si riferiscono, e, scostandoci un po’ dall’opinione 
ch’ e prevalsa, abbiamo concluso che rappresentano in genere un 
largo equivalente del fabbisogno frumentario dei beneficiati, il quale 
tuttavia puö talora variare in dipendenza di motivi estranei a 
qualsiasi aumento o deminuzione del prezzo del grano. La presente 
iscrizione n° è una riprova. Mentre in genere, nelle fondazioni alimen- 
tari, le donne ricevono assegni inferiori ai maschi, esse, questa volta, 


1} Cfr. RODBERTUS, Zur Frage d. Sachwerths d. Geldesim Alter- 
tum (in Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Se Is, 
14, 357; 363 sgg.). 

2) STRAB. 3, 4, 14. 

3) Cfr. BARBAGALLO, Il prezzo del frumento durante l’etä im- 
periale romana in Grecia e in Italia (in Riv. di st. ant. 19086, 
1, p. 69). 

4) C. IL. I, 1174. 

51 Cfr. BARBAGALLO, op. cit. in Riv. di st. ant. 1906, I, pp. 64—66. 


656 Corrado Barbagallo: Miszelle. Il prezzo del frumento in 


benchè noi siamo costretti a integrare il passo colmando una lacuna, 
è certo che ne ricevono uno superiore, e gli uni e le altre, una soma 
inversamente proporzionale al numero dei beneficiati della dotazione. 
Come che sia, noi abbiamo un assegno individuale annuo certo di 
30 sesterzi, cio& di due sesterzi a mezzo al mese. Il consumo medio 
individuale, pur trattandosi di ragazzi, non puö essere gran fatto 
minore delle 4—5 moggia!); ne segue percid un costo di circa L. 0,12 
al moggio pari a meno di L. 1,50 I’hl. 

Se non che adesso non si tratta di prezzo, che sia dichiarato minim«, 
come quello datoci da MARZIALE per la Celtiberia, ed & questo ciö, che sovra 
ogni altro ci impaccia. Hispalis era una città della fertile Betica, ricca di 
pianure, di pascoli*), eccellente sovra ogni altra regione della Spagna 
„diviti cultu et quodam fertili et peculiari nitore“, mane 
era anche la provincia pit popolosa?), il che non doveva influire poco sul 
prezzo delle derrate alimentari. Appunto per questo noi incliniamo a 
credere che l’assegno della donatrice fosse inferiore al puro fabbisogno 
frumentario aunuo dei beneficiati e servisse loro soltanto di sussidio seme- 
strale. Abbiamo visto infatti i prezzi del frumento nella Celtiberia, ove, 
se potevano essere superiori, non potevano indubbiamente distanziarsi 
da quelli della Betica nella misura clıe la su riferita cifra darebbe. 
Abbiamo visto i prezzi della Cisalpina, che, date la sua quasi identitä di 
condizioni economiche e demografiche con la Betica, potevano solo di 
poco superare gli altri offerti da quest’ ultima*), e non possiamo rite- 
nere ammissibile un cosi grave divario?). L. 1,50 l'h1 potrebbe adunque 
essere, non nelle intenzioni della donatrice, ma nella realtä, il prezzo 
minimo di un hl di frumento della Betica, onde, ragguagliando quello 
medio a tre volte codesta cifra, giungiamo a L. 4,50, cifra perfettamente 
ragionevole. 

A che anno si riferisce la donazione? Essa al certo non puö prece- 
dere, od oltrepassare, i limiti estremi, dell’ età delle istituzioni alimen- 
tari, il 97 di C. e il regno di Diocleziano, ma & forse possibile Jeter- 
winarne con maggior precisione la cronologia. I fanciulli da beneficiare 
sono ivi detti Juncini. Or bene, codesto nome ricorda quello di dae 
1) Cfr. op. cit. in loc. cit. pp. 67—68. Sono assai dolente di dorer 
citare ancora una volta me stesso, ma l’argomento, di cui trattiamo, & stato 
cosi poco studiato e le conclusioni nostre si riconnettono tanto a dei pre 
supposti fissati nell’ articolo che richiamiamo, ch’è, pur troppo, imposaibile 
fare altrimenti. 

2) Srran. 3, 2, 1; 3. — Prix., N. H. 8, 7. 

3) PLIN., loc. cit. — Strap. 3, 2, 1 8gg. 

4) Nell’ età di Polibio, anzi, la Cisalpina vantava prezzi di frumeut 
pari alla metà di quelli della Lusitania, che, quanto a condizioni economiche 
e demografiche, tenne, più tardi (cfr. STRA». 3, 3, 3—4) un posto intermedio 
fra la Celtiberia e la Betica. Cfr. PuL. 2, 15, 1; 34, 8, 7. 

5) Contro questa interpretazione parrebbe cozzare il „guam summan 
sufficere credo“ dell’ epigrafe, riferito a „HS XXX numm os“, ma la 
difficoltà puö eliminarsi, riferendo la frase alla somma totale, il cui interesse 
annuo era rappresentato dai trenta sesterzi etc. etc. La donatrice eioè 
avrebbe ritenuto la somma impiegata sufficiente a fornire, a un tasso deter- 
ıninato, un determinato interesse. 


Ispagna, in Africa e in Oriente durante l’età imperiale romana. 657 


consoli suffecti del secondo secolo di Cristo, l’uno, vissuto intorno 
al 127, che probabilmente ricoperse quella carica insieme con un Sex- 
tus Julius Severus, dopo essere stato legatus Augusti pro 
praetore e che più tardi fu proconsole in Asia; l’altro, un Aemi- 
lius Juncus, vissuto 55 anni dopo, intorno al 182 di C.!). Onde, 
sebbene noi non ne possediamo la certezza assoluta, pure l’ipotesi 
che il nome del nuovo collegio di beneficiandi sia stato calcato su 
quello del console dell’ anno della fondazione ha per sè tutte le pro- 
babilità. 


Africa. 


I. 


Sicea Veneria (Numidia orientale), — A due sesterzi e mezzo 
cinque moggia di frumento ei riconduce un’ iscrizione numida, anch’essa 
alimentare, di Sicca Veneria, l’odierna Kef e l’antica Colonia Julia 
Cirta nova Siccensis. Si tratta di un lascito di un milione e 
trecentomila sesterzi da impiegare al 5°/0o, onde rendano a 300 fan- 
ciulli due sesterzi e mezzo al mese, ciascuno, e —- l’iscrizione soggiunge — 
a 200 fanciulle, sebbene il calcolo sulla somma donata induce a credere 
si tratti di un errore (CC per CCC) in luogo di trecento fanciulle?), 
due sesterzi soltanto?°). 

La data dell’ iscrizione risale alla seconda metà del secondo secolo 
dell’ ê. v. Infatti donatore vi & detto un tal Licinio Papiriano, pro- 
curatore di M. Aurelio Antonino Germanico Sarmatico Massimo. Ora, 
siccome M. Aurelio assunse i nomi di Germanico e di Sarmatico 
nel 175 di C., l'iscrizione non pud essere anteriore a quell’ anno. Nè 
€, probabilmente, posteriore al 177, dopo il quale anno, essendo Com- 
modo divenuto Augusto e partecipando della podestà tribunizia, doveva 
necessariamente nominarsi imperatore insieme col padret). Tuttavia, 
sebbene allora, in Numidia, la popolazione dovesse essere di parecchio 
superiore a quella dell’ età di Roma republicana, allorquando i Numidi 
potevano ancora dirsi un popolo nomade‘), essa doveva riuscire tutt’al 
tro che elevata come l’enorme esportazione dei cereali informa*) 
e al tempo stesso la produzione granifera vi era, come ancor’ oggi, 
notevolissima 7). Cosi essendo, noi non abbiamo nulla a ridire sul 
prezzo indicatoci dall’ epigrafe di Sicca Veneria. Allora l’aureus s'ag- 
girava sempre, come ai tempi di Traiano e di Adriano, intorno ai 


1) von ROHDEN, Aemilius, in PauLy-WıssowA,Realencyklopädie, 
Stuttgart 1893 sgg., I, 550. — DE RuaGiEro, Consul, in Diz. epigr. 
Roma 1900, II, 1, p. 938. 

2) C.I.L. 8, 1641; cfr. il comento del WıLıanns (ibid. p. 200). 

3) Oltre il C. I. L. 8, 1641, cfr. su l’iscrizione GUÉRIN, Voyage archéo- 
logique dans la régence de Tunis, 1862, IL p. 59. — Bull. del- 
l’Istit. di corr. arch. 1863, pp. 140 sgg. 

4) Cfr. Bull. dell’ istit. di corr. arch. 1868, 222 sgg. 

5) App, Lyb. 106. — STrRAB. 17, 3, 15. 

6) Prur. Caes. 65, 1. — FLAv. Jos. B. J. 2, 16, 4. 

7) BOISSIER, L'Algérie romaine, Paris 1888, pp. 45—47. 


v58 Corrado Barbagallo: Miszelle. II prezzo del frumento in 


g. 7,28 con una lega al titolo di *6°/1o00. Il suo valore era quindi 
pari a L. 23,69, e quello di un sesterzio, a L. 0,24 ca. Due sesterii 
e mezzo valevano quindi L. 0,60 circa e un hl di frumento, L. 1,50 eirca. 


IL. 


Cartagine (Africa proconsularis). — Di due secoli più tardo, 
ne riferito alla Numidia, ma all’ Africa proconsularis, e preei- 
samente a Cartagine, cioè ad una grande città e a un territorio di 
gran lunga più popoloso del primo!), noi possediamo, sui prezzi del 
frumento, un notevole accenno fornitoci da AMMIANO MARCELLINO. 

Questi narra*) che nel 3675), essendo i Cartaginesi stremati 
dalla carestia, il proconsole Imezio forni alla popolazione il frument». 
che si teneva in serbo negli horrea publica a disposizione del 
popolo romano, vendendolo a 10 moggia un solidus. Subito dopo, 
al cessare della carestia e al sopraggiungere della nuova mèsse, egli 
ricolmö il vuoto dei granai pubblici. Ma allora il prezzo del frumento 
era di molto diminuito ed egli potè acquistarne per 1 solidus una 
quantità tripla di quella che aveva fornito ai suoi amministrati. Il 
guadagno ricavato lo trasmise all’ erario del principe. Tuttavia, questi 
non credette che i conti di Imezio fossero irreprensibili; dal prezzo, 
allora corrente sul mercato, sospettö che quegli avesse fatto pagare 
all’ erario somme maggiori delle reali e percepito guadagni illeeiti, 
onde lo condannö a risarcire il mal tolto. 

Da questa narrazione noi rileviamo che il prezzo medio del fru- 
mento, in quel tempo, non era, come, a prima vista, potrehbe sem- 
brare, quel decimo di solidus, per cui Imezio, in momenti di carestia, 
aveva rivenduto il frumento ai Cartaginesi, ma o il trentesimo di #0- 
lidus, pel quale egli l’aveva acquistato poco di poi, o, stando al 
gindizio dell’ imperatore, un prezzo ancora minore, forse 1/40 o ‘/5: 
di solidus. 

Noi perd, fra le due asserzioni, quella imperiale e l’altra procon- 
solare, siamo indotti ad attenerci a la seconda. Già AMMIANO Mas- 
CELLINO, che sorvola assai fugacemente ed oscuramente sul metode 
di controllo dell’ imperatore*), introduce il racconto della triste sorte 
di Imezio in una serie di episodi atti a dimvostrare la eccessiva e in- 


I) Benocu (Die Bevölkerung d. griechisch-römischen 
Welt, Leipzig 1886, p. 507) vi ascrive, pei primi dell’ 8. v., 179 ab. per 
km? contro 15, che avrebbero contato l’Africa proconsularis, la Numi- 
dia e la Mauretania, delle quali regioni la Numidia era fra le due mew 
popolose. 

2) 28, 1, 17. 

8) Tl raccouto di AMMIANO MARCELLINO, che contiene un episodio imme- 
diatamente successivo al proconsolato di Imezio, si riferisce al 868, ma altre 
fonti più antorevoli ci inducono a credere che codesto proconsolato sis ante- 
riore di un anno e vada riferito al 366—67 (cfr. Tissor, Fastes de la 
province rom. d'Afrique, Paris 1885, pp. 246 sgg.). 


4) AMMIANO (28, 1, 18) dice soltanto: „Valentinianus, per nundinationem 
suspicatus, .. .* 


Ispagna, in Africa e in Oriente durante l’età imperiale romana. 659 


giusta sospettosità e crudeltà dell’imperatore, ch’era allora Valentiniano I. 
Egli stesso insiste sn la insospettabilitä di Imezio e lo dichiara 
„praeclarae indolis vir“, incapace della scorrettezza attribuitagli. Ma 
v’ha di piü: il proconsole, colpito della condanna imperiale e che, nello 
stesso tempo, aveva, per accuse di lesa maestä, rischiato il capo e 
pagato la sedicente licenza delle sue critiche cou un esilio in Dal- 
mazia!), veniva, un decennio di poi, onorato dai Cartaginesi di due 
statue, l’una in Roma, l’altra a Cartagine, che sono una categorica 
risposta alla ingiustizia imperiale e una implicita protesta contro la 
condanna. 

L’epigrafe infatti, che le accompagna, e ch'è tutta un inno di gloria 
all’ onorato, elogia questo per gli „insignia in rempublicam merita“ 
„et“ „depulsam ab eadem provincia [Africa] famis et inopiae vasti- 
tatem consiliis et provisionibus et quod caste in eadem pro- 
vincia integreque versatus est, neque aequitati in co- 
gnoscendo, neque iustitiae defuerit“?). Ne si tratta di un 
episodio di sovversivo campanilismo provinciale. Queste onoranze, 
che, come l’epigrafe stessa avverte, non erano state da quella regione 
sollecitate per altri proconsoli, recavano il pieno consenso dei nuovi 
imperatori, Valente, Graziano e Valentiniano Il®), e, come tali, segui- 
vano all’ annullamento ufficiale d’ogni condannat). Noi dunque non 
possiamo non attenerci alla relazione di Imezio. Un trentesimo di 
solidus al moggio oscilla intorno a L. 0,50, pari a L. 5,75 l’h1, 
prezzo, che & ragionevolissimo, confrontato con quello della Numidia 
di due secoli prima. ' 


II. 


Mauretania Sitifensis e Numidia oceidentale. — L’ultimo dato, 
che riguarda i prezzi del frumente nell’ Africa romana, cade in mezzo 
a vicende doloruse e lacrimevoli, nel 445 di C. Nel 429 i Vandali 
insieme con gli Alani, gli Svevi ed altre popolazioni barbariche erano 
sbarcati nella Mauretania Tingitana e, marciando verso oriente, erano 
penetrati nella Numidia, dove avevano messo tutto a ferro ed a fuoco. 
Nell’ estate del 431, avevano preso e saccheggiata Hippona; nel 435, 
un trattato aveva riconoscinto la loro conquista di metà della Berberia; 
nell’ autunno del 439, Genserico aveva preso Cartagine e invaso la 
Zeugitana e la Bisacena. Finalmente, nel 442, l’imperatore Valen- 
tiniano III, minacciato da Attila, concludeva un nuovo trattato con il 
re dei Vandali, per cui rinunciava alle province da questi occupate e 
mantenute, la Zeugitana, la Bisacena fino alle Sirti e la parte della 
Numidia a est di Theneste, Sicca Veneria e Vacca?), e si limitava a 


1) AMM. Marc. 28, 1, 19-28. 

2) C. I. L. 6, 1736, vv. 22-24; 6—12; cfr. DE Rossi, Iscriz. onor. 
lat. in Boll. di corr. arch. 1852, pp. 178 sgg. 

8) C. I. L. 6, 1736, vv. 16—18. 

4) Cfr. DE Rossi, op. cit. 181. 

5) MERCIER, Hist. de l'Afrique septentrionale, Paris, 1888, 
I, 144—47. 


10 4. Neuzeit Europas, der europäischen Gründungen und des Weitverkehrs. 


Bax, M.; Ascrpis BE NEPBy! I010BHH 
XIX 8. Jlepes. cz utm. Brin. 1. 
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1715 à 1815 (classe de première, 
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aarhundredes kulturkamp i Norge. 
(Der Ariturkanpf in Norwegen 
während des 19. Jahrhunderts.) 
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de l’Instruction publique sur 
l'Histoire économique de la Ré- 
volution. Révol. franç. 05. 6. 
p. 535—547. 


Péébardeurs ou portelaix Abe 
eurs ou po . 
ders“ a Gand au KVille rc 
Bull. Soc. d’histoire et d’archéo- 
logie de Gand 05. 7. p. 223-224. 


Colletta, Pietro; Storia del reame 
di Napoli dal 1734 at 1852, con 
introduzione e commento di 


Camillo Manfroni. (Geschichte 
des Königreichs Neapel von 


1734—1852, mit Einführung und 
Kommentar von C. Mantroni 
2 vol. XXXIV, 460 u. 492 p. 
16°. Milano, Vallardi, 06. L. 4,—. 


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the United States. gr. 8°. London, 
Macmillan, 05. 5s 


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France sous la troisième Rep 
blique (1870-1905). 80e e. 
72 p. 189, Paris, Picardet Kaan, 06. 


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scropiu Tepmaniz 1806 — 1871. 
Dshiwelegow: Umrisse der 
eutschen Geschichte 1806-1871.) 
200 p. C.-Ilerep6ypre, „ O6mecrseuuas 
Iozssa. 

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30 x 40 rooms XIX cr. #3 3anaxoï 

pont. pauxia. Bimm 183r. 
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der goer und er Jahre des XIX. 


Jahrhunderts. Frankreich im Juli 
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Aouckaa Pär, 05. Rub. —,07. 


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zügl. des Ortskirchenvermö 


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Dr. Thomas Evans: the 


second French empire; ed. E. A. 
Crane, M. D.; Napoleon the 
Third, the Empress Eugénie, the 


Ispagna, in Africa e in Oriente durante l’et& imperiale romana. 661 


adaeramus, iubemus ferri, idest tritici ad singulos solidos italicos 
modios quadraginta et carnis pondo CCLXX, vini sextarios italicos 
ducentos.“ 1) 

Il concetto generale dell’ ordinanza è stato chiaramente illustrato 
dal Rodbertus*). Al contribuente, qualora il luogo, nel quale egli 
avrebbe dovuto tragittare le sue forniture pei soldati („annonas mili- 
tares‘)3), fosse stato troppo lontano („pro longinqua difficultate 
itineris“), era concessa facoltà di corrispondere tutto il suo contri- 
buto annuo per le annone militari in quattro solidi per ciascun sol- 
dato. In relazione a questo prezzo di riscatto („sub hoc modo 
quo annonam adaeramus“), l’imperatore fissa gli equivalenti 
monetarii del frumento, della carne e del vino, che, in casi straordinari, 
duraute le marce, i soldati potevano avere bisogno di acquistare diret- 
tamente. 

Il Mommsen*) e il Dureau de La Malle?) traevano da questo 
la conclusione che l’imperatore, „per soddisfare i soldati, invogliarli 
alla guerra e risparmiarne la borsa“, avesse fissato dei prezzi bassissimi. 
Ma il Dureau de La Malle, che cosi illustra il suo concetto, & in con- 
traddizione con se medesimo e con la realtä, giacché al tempo stesso 
afferma che quella di Valentiniauo era una legge di eccezione in quanto 
si applicava a province esauste dalle desolazioni barbariche. In tal 
caso, i prezzi segnati non potevano, per la contraddizion che 
nol consente, essere „bassissimi“. In questo caso, si sarebbe 
venuti a contradire allo spirito medesimo del rescritto imperiale, e si 
sarebbe rischiato di danneggiare gravemente l’interesse dello stato. 
Questo infatti, con quattro solidi, doveva fornire a ciascun soldato, 
per un anno almeno, il frumento, la carne, il vino esplieitamente elencati 
dall’ ordinanza®) e saldarne le spese del trasporto. Esso non poteva 
quindi aver fissato un contribute in danaro inferiore al costo dei generi, 
che doveva apprestare, e alle spese del loro trasporto, il cui onere 
non doveva esser lieve, giacchè l’adaeratio del contributo avveniva 
nei casi di „longinqua difficultas itineris“. 

E che cosi sia, lo prova il confronto con l'Africa pro- 


1) I testo, che ho sott’ occhio, dice modia e sextaria, ma è una 
svista palese: l’aggettivo italicos 'deve accordare con mo dios; cosi i due 
genitivi tritici e vini richiedono un carnis, che, nel testo, ove & anche 
un pondus in luogo di pondo, & invece carnes. 

2) op. cit., in Jahrbücher für N.Ö. Se 1», 15, 218. 

3) Sul’ annona militaris, cfr. DE RUGGIERO, „Annona mili- 
taris“ in Diz. epigr. Roma, 1897, I, 486. 

4) Das Edikt Diocl. in Berichte d. Sächs. Gesellschaft d. 
Wissenschaft, 1851, estr., p. 78. 

5) op. cit. 1,123. Cfr. SEECK, Adäratio, in PAuLy-WıssowA, Real- 
encyclopädie I, 341. 

6) Forse saranno da aggiungere l’orzo, l’olio, il sale, l’aceto, la paglia, il 
fieno, le legna (Cod. theod. 7, 4, 6 — CAGNAT, L’arm6e romaine 
d'Afrique, Paris 1892, pp. 380; 397—98; cfr. von PREMENSTEIN, Die 
Buchführung einer ägyptischen Legionsabteilung, in Bei- 
träge zur alten Geschichte, 1903, pp. 8 sgg.). 


662 Corrado Barbagallo: Miszelle. Il prezzo del frumento in 


consularis di un secolo prima. Ivi, nel 366—67, un trentesimu di 
solidus era il prezzo medio di un moggio di frumento; nel 445, 
nella Mauretania Sitifese e nella Numidia occidentale, relativamente 
assai meno popolose!), un quarantesimo di sulidus nun poteva essere 
un prezzo bassissimo. Naturalmente, non poteva neanche essere 
un prezzo elevatissimo; altrimenti l’imperatore sarebbe andato contr 
gl’ interessi dei suoi soldati, che, com’ & agevole comprendere, dovevan 
stargli a cuore per lo menu quanto quelli delle province dominate, 
Un quarantesimo di solidus era dunque il prezzo medio corrente in 
quegli anni nei luoghi della Mauretania Sitifese e della Numidia oeci- 
dentale, nei quali il frumento non poteva acquistarsi direttamente, ms 
bisognava trasportarlo da lontani centri graniferi‘). Un quarantesim. 
di solidus, in quegli anni, era pari a L. 0,39 circa e un hi di fru- 
mento, a L. 4,50. 

Sul luogo della produzione codesta cifra doveva essere più basss. 
Di quanto & assai difficile stabilire. Nel 301, nel suo famoso editt« 
De pretiis rerum venalium, l'imperatore Diocleziano aveva peu- 
sato a fissare anche il costo dei trasporti. Per 1200 libbre di carien 
da tragittare su carri, egli aveva fissato, per ciascun miglio, 20 dena- 
riis). Ammettendo „pro longinqua itineris difficultate* 
l’ipotesi di un percorso medio di 25 miglia, avremmo 500 denarii 
per 1200 libbre (= Cg. 400 circa) cioè, per ettolitro di frument, 
calcolato in media del peso di Cg. 75, denarii 98e'/s. E, poiche il 
denarius dioclezianeo corrispondeva circa a due ceutesimi, L. 1,57 
per trasporto di un ettolitro di frumento su 25 miglin di pereors. 
Diocleziano perd fissava anche il costo dei trasporti a schiena di cam- 
mello, che doveva essere infatti la più consueta maniera di spedizione 
in Africat). Dessi erano più a buon mercato. Un carico di cammellu, 
che ragguagliava a 600 libbre (ca. Cg. 200)5), costava 8 denarii®), 
cioè, calcolando, come sopra, L. 1,50 eirca per hl. di frumento. 

Ma erano questi prezzi anche i prezzi di un secolo dopo, e, per 


1) L’Africa proconsularis e la Bizacena, pari giü per su, quanto 
a estensione, a l’odierna Tunisia, che, secondo una pubblicazione ufficiale 
del 1897, misura circa km? 130000 (cfr. VIVIEN DE SAINT MARTIN, Nou- 
veau dict. de géographie univ., Paris, Suppl. D-U), vantavano 169 
sedi vescovili; il resto dell’ Africa settentrionale (salvo la Mauretanis 
Tingitana), corrispondente all’ iucirca all’ odierna Algeria, che misurs 
km? 540 000—670 000 (VIVLEN DE SAINT Martin, op. cit. 1, 74), 297 ıckr. 
Notitia dignitat., ed. Böckıxa, Bonnae, 1839—58, 615 sgg. Appendice). 

2) Giustamente osserva il RODBERTUS, i pagamenti in danaro, in luogo 
di furniture in natura, vennero sempre calcolati almeno sui prezzi del 
mercato (op. cit, in Jahrbücher f. N.Ö., 14, 861). Un secolo dopo, per 
tutta l’Africa settentrionale, comprese le province migliori redente, il Codex 
Justin. (I, 27, 1, 22 sgg; 2, 20 sgg.) fissa un’adaeratio di cinque solidi 

8) E. D., 17, 3, ed. BLÜMNER. 

4) CAGNAT, op. cit., 401 sgg. 

5) Sono il carico normale di un cammello (WADDINGTon, Edit de 
Diocletien, Paris, 1864, ns al $ 14, 9. Il carico massimo arriva fino a 
Cg. 300 (CaaxA'T, op. cit., 403). 

6) E. D. 17, 4. 


Ispagna, in Africa e in Oriente durante l’età imperiale romana. 663 


giunta, quelli dell’ Africa desolata dalle invasioni dei Vandali? Certo, 
neanche questa volta, una risposta categorica pud darsi. Non pud a 
tutta prima non destare preoccupazioni la circostanza che lo stesso 
Diocleziano fissa per 1 hl di frumento il prezzo di L. 11,50 (100 
denarii per 1 modius castrensis)!), sebbene si debba pensare 
che, se il custo dei trasporti a schiena di cammello non poteva riferirsi 
che a l’Africa settentrionale, quello del frumento doveva, nell’ inten- 
zione del legislatore, essere il prezzo universale di tutto l’impero, 0, 
nella migliore ipotesi, della sezione d’impero, cui egli presiedeva. Ma 
le conseguenze non possono essere quali il divario del costo del fru- 
mento potrebbe farcele prevedere. L’Africa settentrionale doveva van- 
tare dei prezzi di frumento assai inferiori a quelli che potevano non 
riscontrarsi nel resto dell’ impero o nelle regioni soggette al governo 
di Diocleziano, ma il nolo del cammello non aveva ragione di subire 
una proporzionale deminuzione. Certo, nel 445, quell’ industria non 
era cusi fiorente come un secolo e mezzo prima, ma, per converso, 
poteva — in seguito all’ invasione dei Vandali — mancarvi il materiale 
primo, l’animale, cosi come, del resto, l’improvvisa indigenza degli 
abitanti poteva consigliare dei noleggi inferiori agli antichi. Fra il 
pro’ e il contro, noi manteniamo la cifra del 3012). Le L. 4,50 
per h1 di frumento, calcolabili sul rescritto, potevano quindi, nel 445, 
discendere benissimo, sui luoghi di produzione, a L. 3,00 circa. 

E anche questa & una cifra assai ragionevole. Verso il 175—77, 
nella Numidia orientale, cioè in uno dei centri più frumentiferi del- 
l'Africa settentrionale, il prezzo del frumento era di L. 1,50 !’hl. La 
Mauretania e la porzione della Numidia, superstite all’ impero d’Occi- 
dente, erano state invece fra le regioni meno fertili di quella mera- 
vigliosa contrada e a questo dovevano l’indipendenza dai Vandali°). 
Per giunta, dal 177 al 445, quel paese era cresciuto, e di parecchio, 
in popolazione e per conseguenza il tenore della vita doveva essersi 
notevolmente elevato. Tuttavia, noi potremmo sospettare che, in anni 
più miti e più lieti, il prezzo del frumento discendesse ivi a cifre 
inferiori, forse a L. 2,50 l'hl. Piü in là è impossibile andare. 


Oriente. 
I. 


Il primo dei dati, che noi conosciamo e che riguardi l'Oriente, non 
si riferisce a nessun mercato determinato, ma è contenuto nel famoso 





1) Cfr. il nuovo frammento dell’ editto di Diocleziano in ‘Eqyrnepie dpxaıc- 
Acyuxn, 1899, p. 150 (1, 18 = C.LL. 3, 2 suppl. p. 23285). 

2) E strano che il Lorıns (A new portion of the Edict of 
Diocletian from Megalopolis, in Journal of hell. Studies, 1890, 
p. 302) ritenga irrisorio codesto prezzo fissato da Diocleziano pei trasporti. Esso 
è invece un prezzo all’incirca pari a quello che sogliono fare i nostri mulattieri. 

3) Il Car (Essai sur la province rom. de Maurétanie césa- 
rienne, Paris 1881, pp. 42—43), con una certa ragione, osservava che gli autori 
antichi non menzionano mai grani di Mauretania, e i documenti geografici 
una sola volta ci fan parola dihorrea, ma solo nella regione tra Sétif e Bougie. 

Vierteljahrachr. f. Social- u. Wirtschaftegeschichte. IV. 44 


14 4. Neuzeit Europas, der europäischen Oründungen und des Weïtverkehrs. 


Bayern. 15. Lfg. III. Bd. 1. T1. 
. 225—304. gr. 8°. Regensburg, 
. Habbel, 06. —,80. 


Schmidt, Eug. K.; Ein Werk über die 
Kommune. Sozialist MH. 05. 11. 
. 966—971. 


Schmitt; Les Elections de 1789 dans 
le Barrois, conférence faite, le 
11 décembre 1904, au comité bar- 
risien de la Ligue de l’enseigne- 
ment, à Bar-le-Duc. 24 p. 12°. 
Bar-le-Duc, imp. Facdouel. 


Seignobos, Ch.; La Période con- 
temporaine depuis 1789. 18% 
Paris, Librairie A. Colin, 05. 

r. 4,—. 
de Staël, Mme.; Des circonstances 
actuelles qui peuvent terminer la 
Révolution et des principes qui 
doivent fonder la République en 
France; par la baronne de Stadl. 
Ouvrage inédit, publié pour la 
première fois, introduct. et des 
notes, par LE Viénot. C, 352 p. 
89. Paris, Fischbacher, 06. 


de Stendhal; Le Rouge et le Noir: 
chronique du XIXe siècle. 520 p. 
180. Paris, Garnier frères, 05. 
Crenuax®, C.; Iloxmomuan Poccis. 
Stepnjak, S.: Unterirdisches 
Bland.) C.-Ierepéyprs 08. 
Rub. — 80. 
Tiffany, Orrin E.; The relations 
of the United States to the 
Canadian Rebellion of 1837—1838. 
123 ne 80%. Westminster, Md., O. 
E. Tiffany, 05. Doll. 1,—. 


Tobien, Alex.; Die Bauernbefreiung 
in Livland. (Festg. f. F. J. Neu- 
mann.) 44 p. gr. 8°. Tübingen, 
Laupp, 05. M. 1,50. 

Tomlinson, Ev. Titsworth; The war 
for independence. 5, 178 p. il. 
(Stories of colony and nation.) 

ston, Silver, Burdett & Con, 06. 
c. 


True stories taken from American 
history, at the time of the Revolution; they 
bring before the minds of the boys au 

iris of the present some of the heroic 
eeds of their forefathers; the book is 
for home reading, or supplementary rea- 
ding in schools. 


Townsend, Malcolm; Handbook of 
United States. Political history for 


readers and students. 441 p. 
Boston, Lothron, Lee & Shepard 
Co., 05. Doll. 1,60. 

Based on the author’s ‘United States’ 
curious facts‘‘, published some years an 


ment containing in- formation concerming 
recent political Guestions. This book semes 
to be well indexed. ds 
Uchersberger Hans; terreich u. 
Rußland seit dem Ende des 15. 
ahrh. 1. Bd. 1488—1605. (Veröff. 
omm. f. neuere Gesch. Österr.) 
XVI, 584 p. gr. 8°. Wien, Brau- 
müller, 06. M. 12,50. 


V H. R.; Third Lord Holland. 
Further memoirs of the 1 
party, 1807—1821; with some 
miscellaneous reminiscences b 
H. R. Vassall, Third Lord Hol- 
land. 15, 420 p. New York, Dutton, 
05. Doll. 5.—. 


Vié, L.; L'Université de Toulouse 
pendant la Révolution 1789-179. 
40 p. kl. 8% Toulouse, imp. 
Privat, 05. 


Vischer, F.; Bericht eines franzö- 
sischen Generals über die poli- 
tische Lage der Schweiz im Jahre 
1804. asler Z. f. Gesch. u. 
Altertumskunde V. 1. p. 275—284. 


Washington’s Household. Account 
Book, 1793—1797. Pennsyivania 
Mag. 05. Oct. p. 385—407. 

Wegl, Frz; Die Schulzustände 
Bayerns bei seiner Erhebung 
zum Königreich. Eine Jubiläums 
Rabe. (Pâdag- Zeitfr. Hrsg. Fr 

eigl. Bd. 11. 1. 7. H.) 64 p. 8°. 
München, J. J. Lentner, D. 


Wendtiand, W.; Die Branden- 
burgisch - Afrikanische Handels- 
kompagnie. D. Ind. 05. 19. 
p. —221. 

Widén, Joh.; Den svenska central 
förvaltningens organisation i 17de 
seklet. (Die Organisation der 
Centralverwaltung in Schweden 
im 17. Jahrhundert.) Statsvetens- 
kaplig Tidskr. 06. 1. p. 1-31. 


Ispagna, in Africa e in Oriente durante l’etä imperiale romana. 665 


nazionale, nella primavera del 1793, furono pari alla media delle mer- 
curiali fra il primo gennaio e il primo maggio 17931). La promessa 
di un rescritto, che ordini la vendita die qualche derrata a prezzi 
minimi, puö farsi per burla o per timore dinnanzi a una folla minac- 
ciosa, ma non Inantenersi senza Coazioni esteriori in un piano regola- 
tore e universale degli scambi, teoricamente inappuntabile come fu quello 
di Diocleziano. 

Dovette, anche allora, trattarsi, invece che di prezzi medii, di una 
media, s’intende, non matematica, ma approssimativa, 0, se quelli ne 
travalicarono, non dovette accadere mai in difetto, ma in eccesso *). 

Nell’ intenzione del suo autore, l’editto doveva valere per tutto 
l'impero. L’afferma esplicitamente l’introduzione, la quale cosi con- 
clude: „Cohortamur ergo omnium devotionem, ut res constituta ex 
commodo pubblico benignis obsequis et debita religione custodiatur, 
maxime cum eiusmodi statuto non civitatibus singulis ac populis 
adque provinciis, sed universo orbi provisum esse 
videatur“3), 

Tuttavia & assai discusso se, praticamente, se ne sia fatta l’appli- 
cazione in tutti i paesi, cui l’editto si riferiva, o non piuttosto in 
quelli, che dipendevano direttamente da Diocleziano, quali l'Egitto, 
l’Asia Minore, la Grecia, da cui soltanto ci provengono gli esemplari 
che ne conosciamo. Il MommsEx {) e il BLÜMNER) son stati della prima 
opinione, il LORING 6) e il SEECK”) della seconda. 

Per il nostro assunto, noi non abbiamo bisogno di risolvere la 
forse irresolubile quistione generale. Noi ci occupiamo del prezzo 
assegnato al frumento, ed & chiaro che, se l’editto, come non v’ha 
dubbio, fu opera personale di Diocleziano, i fondamentali e decisivi sug- 
gerimenti delle sue disposizioni dovettero derivargli da quella porzione 
dell’ impero, cui egli presiedeva e che corrispondeva a l’Egitto, a 
l’Asia Minore e alla Grecia. Le notizie statistiche sui prezzi delle 
varie derrate e delle merci erano allora assai più difficili a conoscere di 
quello che non siano oggi fra tanta copia di pubblicazioni ufficiali®). 
E, quando si pensa che, anche oggi, per certi paesi europei, e non 
fra i meno evoluti, uno straniero & completamente al buio circa i 


1) Mack, Maximum, in Say, Nouveau Dictionnaire d’öcon. 
pol. II, 1892, p. 232. 

2) Tal’® anche l’opinione del SEECK (cfr. op. cit. 459) e lo era stata 
di un altro grande economista italiano, il MrsseDAGLıA, l’imperatore 
Diocleziano e la legge economica del mercato, in Atti del- 
l’Ateneo Veneto, 1866, p. 265. 

3) E. D. praef. 2, 23—26. 

4) Das Diocletians Edictum, in op. cit., pp. b1l—62. 

6) op. cit. 54. 

6) A new portion of the Edict of Divcletian (in Journal of 
hell. Studies, 1890, p. 301). 

7) op. cit., p. 456. 

8) Di mercuriali, ufficialmente redatte, ne possiamo supporre solo in 
Egitto, il paese dai censimenti più perfetti (cfr. NICOLE, Une spéculation 
à la hausse etc. in Revue des études grecques, 1895, p. 326). 


666 Corrado Barbagallo: Miszelle. Il prezzo del frumento in 


prezzi dei cereali inferiori, si puö immaginare che tremendo e impos- 
sibile lavoro sarebbe, nel 301 a C., stato necessario, per acquistarne 
una più o meno csatta notizia. Il prezzo dunque dei cereali e, nel 
caso nostro, del frumento, segnato nell’ editto, & da intendere come 
prezzo della sezione orientale dell’ impero romano. E che cosi sia, 
ne abbiamo una riprova in quelli, di poco posteriori, che di colà ci 
pronengono. 

Come vedremo fra non guari, esso s’accorda a meraviglia con due 
nuovi prezzi, che troveremo, mezzo secolo di poi, in Antiochia e in 
Costantinopoli. Vero & che questi si riferiscono a grandi metropoli 
ed & noto come ivi i valori delle derrate alimentari salgano a propor- 
zioni ignorate nei piccoli centri e nei luoghi di produzione. Ma questo, 
se da un lato conferma la nostra ipotesi, che Diocleziano dovette ispi- 
rarsi alle notizie, che a lui, più immediatamente e direttamente, pro- 
venivano dai posti, in cui risiedeva, quali Nicomedia e l’Asia Minore, 
e che, se mai, i suoi maxima peccarono per eccesso, anzichè per 
difetto, dava a lui l’agio di trovarvi contemplati anche i prezzi del- 
l'Occidente, dei cui centri più notevoli poteva forse avere informazioni 
in certo modo rassicuranti. Infatti, il prezzo, ch’egli fisser& per il 
frumento, pud benissimo adattarsi a Roma, durante l'età imperiale'). 

Ma qual’ era codesto prezzo ? | 

Fino a qualche anno addietro, esso costituiva per noi uno dei più 
intensi e insoddisfatti desideri scientifici. Il frammento latino, che 
conteneva i primi righi dell’ oditto, non ci dava il prezzo fissato del 
frumento e neanche, per intero, quello dell’ orzo. Solo nel rigo, che 
si riferiva a quest’ ultimo, era parso, ai piü recenti editori*), di trave- 
dere un C, che essi avevano interpetrato come l’iniziale di un C (en- 
tum). E, poichè i prezzi erano dati per modius castrensis, nd 
nuovo denarius di rame dioclezianeo, essi avevano opinato che il 
costo dell’ orzo fosse di cento denarii il modius castrensis. Su 
questo fondamento erano germinate le ipotesi per calcolare il prezzo 
del frumento. Per primo il SEECK?), movendo da qualche altro prezso 
dell’ orzo e del frumento, noto per l’età republicana e imperiale, era 
venuto a concludere che il frumento doveva costare una volta 6e mezzo 
circa l’orzo e quindi 150 denarii il modius castrensis. 

Il processo del calcolo non era esattissimo. Non bisognava partire 
dai valori concreti, fra loro eterogenei{), che i radi accenni delle 
fonti esibivano, ma dai prezzi medii, che bisognava ricavarne. Ad 
ogni modo, le cifre, nelle quali si incarna la conclusione del SEECK, 
possono apparire all’ incirca esatte. 

Diverso metodo aveva seguito un altro studioso, il MicHAuiss?), 

1) (ir. BARHAGALLO, op. cit., in loc. cit. 39 sgg. 

2) Cfr. C. I. L. IL, 2, Ed. i, 2 (p. 826). — BLÜMNER, op. cit., loc cit 

C. I. L. III, 1 suppl, loc. cit. (p. 1930). 

3) op. cit. p. 469. 

4) MicuÂLis, Kritische Würdigung d. Preise d. Edictnm Dio- 
eletiani vom nationalökonomischen Standpunkt aus, in Zeit 
schrift für die gesamte Staatswissenschaft, 1897, p. 27. 

5) op. cit., in loc. eit., pp. 36 sgg. 


Ispagna, in Africa e in Oriente durante l’età imperiale romana. 667 


metodo assai complesso e di cui omettiamo l’esposizione perchè essa 
allungherebbe di troppo questa nostra parentesi. 

Se non che, a parte la maggior esattezza teorica del metodo, la 
somma degli elementi ipotetici, su cui il calcolatore era costretto a 
fondarsi, era tale che le conclusioni dovevano riuscirne assai meno 
esatte di quelle del SEECK. Il rapporto, ch’egli veniva a stabilire fra 
il prezzo dell’ orzo e del frumento nell’ edito di Diocleziano, era, in- 
fatti, di 1 a 1,27!) —- il SEECK l’elevava ad 1:1,50 — mentre, come 
vedremo, esso fu in realtä, secondo nuovi documenti epigrafici hanno 
dimostrato, di 1 a 1,672). 

Quest’ ultima notizia ri deve solo alla scoperta di un nuovo fram- 
mento della traduzione greca dell’ editto, trovato appena cinque anni 
addietro, ad Aegira, in Acaia, il quale contiene i due righi che il fram- 
mento latino di Stratonicea, che ci forniva il principio delle tariffe del- 
l’editto, non recava, ed esso ci avverte che il prezzo dell’ orzo non era 
stato di 100 denarii, come affrettatamente s’era indotto dal C, che 
altro non era se non la forma del S, iniziale di un sexaginta, cal- 
cato sul oiyuu greco cosi detto lunare (C), ma solo di sessanta, e 
quello del frumento, di 100 denarii?). 

Qual’ & ora la traduzione in monete contemporanee del denarius 
di rame dioclezianeo? Essa & rimasta fissata, una volta per tutte, 
dopo la scoperta del frammento di Elatea dell’ editto medesimo, ove 
si stabilisce che una libbra di oro fino & pari a 50000 denarii®), 
per cui, tenuto conto della purezza di questo metallo, un denarius 
corrisponderebbe a poco piü di L. 0,02. Ne segue che 100 denarii 
sono eguali a L. 2, prezzo di un modius castrensis (— 1. 17,51)°), 
e L. 11,50 ca., al costo di un hl. 

Mezzo secolo di poi, come abbiamo accennato, il prezzo medio del 
frumento, ad Antiochia e a Costantinopoli, sarà rispettivamente di 
L. 11,50, o giü di li, e di L. 14,75 l’hl, e, nel primo secolo del- 
l’impero, in Roma, esso aveva oscillato fra L. 9 e L. 12,50. Pari 
a quello segnato nell’ editto poteva essere il prezzo medio del fru- 
mento in Grecia, dove, verso la metä del primo secolo di Cristo, lo 
troviamo oscillare fra L. 13—15 l’hl; poteva essere anche qnello della 
Bitinia in genere, ove sedeva Nicomedia, paese, che nell’ età di Dio- 
cleziano vantava un’ assai evoluta vita cittadina, anzi di tutta l’Asia 
Minore, che, se era una regione mediocremente granifera6), era altresi 


1) op. cit. p. 38; cfr. prec. 

2) 1 a 1,67 & anche il rapporto classico dell’etä tolomaica e imperiale 
(Teb. P. I, p. 560, BGU. 560, col. 1, vv. 24; 27) fra il valore dell’orzo e 
quello del frumento in Egitto. 

8) Zrtan, To drataypa Tod AtoxAnttavob, Bdo véa Tendyıa T6 EAANVIATIE 
netappdosws, in "Epnpepis &pxatoloytxn, 1899, p. 164. 

4) E. D. 30, 1a. — MomamsEen, Das diocletianische Edikt über 
die Warenpreise, in Hermes, 1890, p. 26. 

5) MOMMSEN, Das Edikt etc., in op. cit. pp. 58 sgg. — Hurrsch, 
Griechische und römische Metrologie, Berlin 1862, 629 sgg. 

6) Sulla natura del suolo e sui prodotti della Bitinia e dell’ Asia Minore 
nell’ antichità classica e nell’ evo moderno, cfr. D’Huaurs, Une province 
romainesouslar&publique, Paris, 1896. — BRANDIS, Bithynia in PAULY- 


668 Corrado Barbagallo: Miszelle. Il prezzo del frumento in 


densamente popolata, ricca, industriosa e commerciale'), ed essu rieace 
affatto coerente ai prezzi del frumento in Egitto, serbatici dai papıri 
del III e del IV seculo di C.*). 


IL. 


Antiochia (Siria). Come. accennavamo, il prezzo, segnato nel 
l’editto di Diocleziano, coincide con quello, che, mezzo secolo di poi, 
si ritrova in Antiochia di Siria sotto il governo di Giuliano l’Apostata. 
Nel 352 di C. sembra che questi abbia dato mano a un nuovo tentatiru 
di maximum, ch’era destinato a incontrare la stessa sorte del preee- 
dente, sebbene avesse avuto più ristretti scopi e confini. Vi accenna 
AMMIANO MARCELLINO, presso che con le stesse frasi, con cui i Fasti 
Hydatiani avevano dato notizia dell’ editto di Diocleziano: ,,Nulla 
probabili ratione suscepta, popularitatis amore, vilitati studebat [int. 
Giuliano] venalium rerum, quae non nunquam secus quam convenit 
ordinata inopiam gignere solet et famem“?). 

A dire il vero, delle ragioni ci furono anche questa volta, e le 
svolge lo stesso Giuliano in quella bizzarra difesa, che di se stesä, 
tessè nel suo Misopogon!). In Antiochia e nei paesi circonviecini, 
egli narra, il costo dei generi alimentari era, nel 362, elevatissimo, 
e ciö (salvo cho per il grano) accadeva, non per dulorosi eventi natu- 
rali e politici, ma per l’incetta e il monopolio, che i grandi proprietari 
ne esercitavano, onde i prezzi salissero a proporzioni vertiginose. Il 
popolo protestava vigorosamente ed egli fissö il maximum, a cui le 
derrate alimentari avrebbero dovuto vendersi, e, quanto al frumenti, 
mando ad acquistarne nelle città vicine, mandö ad acquistarne in Egitto 
c tutti i carichi importati rivendette direttamente al popolo a quindia 
moggia il solidus per lo stesso prezzo, per cui allora 8e ne eran 
dati solo dieci: ,rgarrôyeros ugyvgor où xura dexa pérou, aid 
nevrexauldsxu TOUOvTov, 0007 Eni tTwy dexa noôregor“. Si era in 
estate e, come tale, quest’ ultimo prezzo era tuttavia elevato, ma l'in- 
verno esso crebbe ancora fino a cinque moggia il solidus (roı 
vouiouaros)*); ed eziandio in quell’ estate, nel contado, gl'incettatori 
avevano venduto il frumento a più caro prezzo che non in Antiochia, 
dove, d’ogni parte del territerio, la popolazione immiserita accorreva 
a provvedersi di frumento. — Qui solo, esclama Giuliano, era abbon- 
danza e buon mercato. Infatti .chi rammenta che in una città, ricca 
e fiorente, il frumento fosse stato venduto 15 moggia il solidus? 





WissowA, Realencyklopädie, III, 1, pp. 507 —08. — Reuzvs, Nuova 
geogr. univ.: Asia anteriore, trad. it., Milano 1891, 557 agg.; 617 «gg. 

1) Brrocu, op. cit. 242; 507. Sullo sviluppo cittadino ed economico 
dell’ Asia Minore dopo gl’inizi dell’ €. v., cfr. MOMMSEN, Rüm. Gesch, 
Berlin 1885, V, 331—33. — Ramsay, The hist. Geography of Asia 
Minor, London, 1890, 104 seg. 

2) (fr. BARBAGALLO, Contribnto alla storia economica del- 
Pantichitä, Roma, 1907, pp. 75; 76. 

3) 22, 14, 1. 

4) p. 369. 

5) p. 369 B. 


Ispagna, in Africa e in Oriente durante l’età imperiale romana. 669 


(,ris uéuvmrau nag vyiv evdmvouuérnc ns nôkeuc nevrexaldexe 
nerge oirov ngaFEvra Tov yovoov;") !). 

n tutto questo passo di Giuliano noi abbiamo T’indicazione di 
un prezzo discretamente elevato (10 moggia per solidus); di un 
prezzo massimo (cinque moggia per solidus), e di un prezzo, che 
Giuliano, nella foga della sua difesa, termina per dire sconosciuto alle 
grandi cittä, ma che, data la carestia dell’ anno precedente (dpogias 
dsivng ind uvyuwvy yevouevnc) e la inevitabile tendenziosità dell’ apo- 
logista, difficilmente pud essere creduto bassissimo nella misura in cui 
Giuliano lo concede, ma che dovette essere un prezzo medio o di poco 
inferiore al prezzo medio di anni più lieti, di 15 moggia al solidus. 
Quindici moggia per solidus dänno, nell’ et4 di Giuliano, per 
Antiochia, una delle città più popolose del mondo antico?), un prezzo 
di L. 11,50 l'hl, identico all’ altro esibito dall’ editto di Diocleziano, 
ch'è giü per su il prezzo del frumento che si riscontra in Roma du- 
rante l'età imperiale, e che noi, per eccesso di scrupolo, possiamo 
elevare fino a L. 12, considerando quest’ ultima cifra come rappresen- 
tante del costo medio del frumento in Antiochia, intorno al 362 di C. 


II. 


Costantinopoli. Ad analoghe conclusioni noi giungiamo per 
Costantinopoli. Suida c'informa che ivi era un luogo detto "Nosiov, 
n0 éorè uodıog“, dove tutti i commercianti di frumento, sia acquistando 
che vendendo, in seguito a un ordine dell’ imperatore Valentiniano, 
sotto minaccia di pene corporali, erano tenuti a ragguagliare la loro 
merce a codesta misura. Dodiei di tali modii di frumento dovevano, 
inoltre, non essere venduti per piü die 1 solidus. Si trattava, come 
si vede, e come se ne dava anche altrove, di un luogo di pubblica 
misurazione, destinato alla vendita e alla compera di grosse partite di 
frumentum e di un maximum speciale pel medesimo). 

La notizia di Suida ci & confermata anche da altri scrittori di 
antichità Costantinopolitane, ma con diversi particolari. Questi infatti, 
concordemente, affermano che Valentiniano fu il primo a introdurre in 
Costantinopoli l’uso del modius e a collocare, in un luogo determinato 
della eittä, un moggio regolature (r0 ££xyor rot uodiov) delle misura- 
zioni commerciali ed aggiungono che l’imperatore ne fissö il prezzo 
in argento e coniö all’ uopo un’ apposita, moneta („rovro ro agyvpiov 
TOUNWORYLOG, Apyvoog dE un UQync éTunw In To vonouea")t). 


1) p. 369 D. Qui Giuliano parla di aurei (toö xpuooi). E questa 
espressione più classica dell’ altra greca corrispondente a solidus (vémoua) 
(MOMMSEN, Hist. de Ja monnaie ete. III, 72, nota), ma si tratta sempre 
di solidi, come ap. 369B. AMMIANO MARCELLINO usa anch’egli (25, 8, 15) 
la parola aureus per solidus. 

2) SrrAn. 16, 2, 6. 

8) Sun. Lexicon: Mévat. 

4) Copınvs, De signis statuis et aliis spectatu dignis Con- 
stantinopoli, p. 3356 (in Corpus script. hist. byz.). — ANONYMUS, Ant. 
Const., pp. b3—54, ed. BANDURIUS, Parisiis, 1711. — Enarration. Chro- 
nogr. antiqu. Constant. INCERTI AUCTORIS, p. 289, ed. BANDURIUS, 


20 1. Allgemeines. Werke über mehrere Perioden und einzeine Sozialgebilde. 


Macaulay; History of England from 
the Accession of James Il. 3 vols. 
816, 864, 748 p. 12°. (Eyeryman's 
Lib.) London, Dent, 06. 1s 


Macpherson, H.; Scotland’s Battles 
for Spiritual Independence. Edin- 
burgh, Oliver & Boyd, 05. 


Mees, M.; Rotterdam in den Loop 
der Eeuwen. 2e stuk afl. I. 48 p. 
49, Rotterdam, W. Nevens, 06. 


Metzel; Die Zwanglose, 1806— 1906. 
Mitt. Ver. Geschichte Berlins 06. 5. 
p. 57—61. (Siehe Soelke.) 


Mitteilungen des Vereins f. hambur- 
gische Geschichte. Hrsg. 
eins-Vorst. 25. Jg. 05. V, 196 p. 
er. 8°. Hamburg, . Mauke Mas 


Münsterberg,O.; Der Handel Danzigs. 
Ein Versuch zur Darstellg. der Ent- 
wickelg. e. deutschen Seestadt des 
Ostens. 58 p. m. 1 Plan. gr. 8°. 

olksw. Zeitfr. Vorträge u. Abh., 
rsg. volksw. Gesellsch. Berlin. 
217. u. 218. H. 28. Jg. 1. u. 2. H. 
217. 218.) Berlin, Simion, 06. 

Noël; Histoire du commerce du monde 
depuis les temps les plus recules 
T. III. Depuis la Revolution fran- 
çaise jusqu” à la guerre Franco- 
Allemande 1870—1871. gr. 8°. 
Paris, Plon-Nourrit, 06. Fr. 20,—. 

Oscannxo - Kyamnoncniñ, A. H.; 
Hcropix pyecroï BETELIETEHNH 
(Owsianiko- Kulikowsky:Ge- 
schichte der russischen Intelligenz.) 
387 p. M.Ca6ıun 06.  Rub. 1,50. 

Pholien, J.; Het gebruik der talen 
in het vormalig rinsbisdom Luik. 
Rechtskundig Tijdschr. 06. 2. 
p- 41—59. 

Plummer A.; English Church History 

m the Death of King Henry VI 
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Quellen zur Geschichte der Stadt 
Wien. Hrsg. m. Unterstützg. des 
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haupt- u. Residenzstadt vom Alter- 


v. Ver- 


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enkultur und e Heimat 
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üere. on 1 on ed Weser 
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gr. 8%. Leipzig 06. M 15,70. 

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Seiler, Friedr.; Geschichte de des ds 
schen Unterrichtswesens. 1. Von 
Anfang an bis zum Ende des 18. 
Jahrh. 116 p. Dasselbe ll. Vom 

des 19. Jahrh. bis auf die 
Gegenwart. 122 p. kl. 80. ml. 


Göschen. 275 u. 276.) Leipzig, 
Göschen, 06. —,80. 
Soelke, Ernst; Die Zwanglose 1905 


© 1906. Festschrift, Berlin, Selbst- 


"De za 


ist eine seit 1806 


a M 


Ispasna, in Africa e in Oriente durante l’età imperiale romana. 671 


blico „mensurae et pondera“, tra cui „modios aeneos seu lapideos“ „ut 
fraudare cupientibus fraudandi adimant potestatem“* e „unusquisque 
tributarius ... sciat quod debeat susceptoribus dare“!). Finalmente, 
anche Valentiniano III, in un editto ai Romani, annuuziava: „Do ponde- 
ribus quoque, ut fraus penitus amputetur a nobis aguntur exagia“?). 

Si comincerebbe quasi a sospettare di un equivoco, che le fonti 
avrebbero commesso fra un Valentiniano e un qualche impera- 
tore di nome simile, quell’ equivoco, in cui uoi ci imbattiimo ad 
altre occasioni fra Valentiniano e Valente?). Cid non ostante, poichè 
la scelta deve farsi, noi dobbiamo a preferenza ripensare al secondo 
Valentiniano. Come abbiamo accennato, noi possediamo del 383 e del 
386, due rescritti imperiali, di cui l’uno, come si rileva dal nome del 
magistrato destinatario, l’altro, dal suo contesto medesimo, si riferiscono 
ambedue all’ Oriente e portano anche la firma di Valentiniano II. 
I due accenni ufficiali coincidono con quello di Snida e delle fonti 
affini. Ora bene, fra le stationes e le nrbes da essi contemplati 
e in cui dovevano istituirssimensurae, pondera emodiosaeneos 
seu lapideos, non poteva cssere dimenticata Costantinopoli. E poichè 
le fonti letterarie da noi citate celebrano un Valentiniano come primo 
introduttore del modius in Costantinopoli, possiamo ammettere che 
egli sia la stessa persona del firmatario dell’ ordinanza. 

Data la cronologia della medesima, sarebbe questi Valentiniano II, 
e l’editto porta la sua firma solo perchè gli atti della legislazione, 
relitivi alle due parti dell’ impero, recavano tutti le firme dell’ uno e 
dell’ altro imperatore. Se non che, per quali ragioni le fonti, di eui 
& a noi pervenuta l’eco, riferiscano il provvedimento a Valentiniano, 
che ebbe solo la pena di firmare, e non già al suo vero autore, Teo- 
dosio, & problema di cni mille potrebbero cssere le ipotesi risolutrici, 
e tutte ugualmente accettabili ed ugualmente infondate. 


Qucsto maximuim cade adunque tra il 383 e il 386. Un dodi- 
cesimo di solidus per moggio da L. 14,75 ca. V’hl., cifra, che, nella 
sua qualitä di maximum, dovette essere un prezzo medio e che si 
accorda benissimo con l’altra, che, pochi anni prima, abbiamo ritro- 
vato in Antiochia, con quella segnato nell’ editto ‚dioclezianeo, ed &, 
del resto, il solito prezzo delle grandi città antiche, i cui mercati, come 
sempre, rimanevano in Sommo "grado indipendenti dalle peculiari carat- 
teristiche delle regioni, cui appartenevano *). 


1) Leg. Nov. D. Theod. 25 (in Cod. theod. 6), p. 61, ed. cit. 


2) Sul concetto di mansiones e di stationes cfr. il comento al 
Cod.theod.], p. 51; IV, 3838 e HuUueErr, Cursus publicus, in DAREM- 
BERG ET SAGLIO, Dictionnaire d'antiquités grecques et romaines, 
1, 2, pp. 1655 —56. 
3) Cfr. BaxpuRrits, Antiquitates constantinopolitanae, Pa- 
risiis, 1791, 11, 691. 
4) Sulle condizioni vittuarie delle grandi città nel mondo antico, cfr. 


POnLMANX, Die Übervôlkerung d. antiken Grossstädte, Leipzig 
1884, 28 sgg.; 54; 57: 64 e passim. 


22 


Larizza, P.; Rhegium Chalcidense 
(Reggio di Cal ria): la storia e 
numismatica dai tempi preistorici 

fino alla cittadinanza romana. 
(Reggio Calabria, seine Geschichte 
und Numismati ‚ von den vor- 
eschichtlichen Zeiten bis zur Ver- 
eihung des römischen Bürger- 
rechts.) 118 p. e 14 tav. 8°. Roma, 
Loescher, 06. L. 20,—. 


’ 
Maschke, Rich.; Zur Theorie und 
Deschichte der gom. Au argesetze. 
p. gr. 8°. Tübingen, J. C. 
B. Mohr, 06 M. 30, 
Oehler, J.; Zum griechischen Ver- 
einswesen. Progr. 30 p. 80. WienO5. 


‚ E.; Handelsgeschichte des 
Altertums. 111. Bd., 2. Hälfte. A. Die 
Römer von 265 bis 30 v. Chr. 
B. Die Römer von 30 v. Chr. bis 
476 n. Chr. 2 Tle. 111, III, 1154 p. 
8°, Leipzig, Fr. Brandstetter, 06. 


Tonnini,S.; La psicologia della civiltà 

iziana. (Die Psychologie der 

tischen Zivilisation.) 520 p. 

10°. (Piccola bibliot. di scienze 
mod. 119.) Torino, Bocca, 06. 


5,—. 

Trumpler; Die Geschichte der rômi- 
schen Gesellschaftsformen. Unter- 
suchungen üb. die Anfänge des 
modernen Gesellschafts- und Kor- 
rationsrechts. Geleitw. os. 
ohler. VII, 87 D Lex.-8°. (Ber- 
liner juristische Beitr. z. Civilrecht 
etc. J. Kohler. 8. H.) Berlin, 
v. Decker, 06. M. 2,25. 





3. Europäisches Mittelalter. 


3. Le moyenäge de l’Europe. 
3. The middle-ages of Europe. 


Abbott, W.C.; The Lon 
of Charles II. Engl. 
April. p. 209—29. 
Batiffol, Louis; Les finances de la 


reine Marie de Médicis. Rev. des 
Deux Mondes 06. 1. Mai. p. 
16699. 





Parliament 
ist. Rev. 06. 


Besser, Gust. Ad.; Geschichte der 
Frankfurter Flüchtlingsgemeinden 


2. Alte Mittelmeerländer. — 3. Europäisches Mittelalter. 


1554—58. VI, 79 p. . 8, 
Hallesche Abh. z. neueren Gesch. 
rsg. G. Droysen. 43. H.) Halle, 
Niemeyer 06. M. 2-—. 
Behrmann, Walt.; Über die nieder- 
deutschen Seebücher des 15. u. 16. 
Jahrh. Diss. (Aus: ,,Mittgin. d. 
geogra h. Gesellsch. in Hambg.“) 

, 11 P: m. 4 Abb. u. 4 
BT. 8%. Hamburg, Friedevichsen, 
5_ 


v. Below, G.; Zur Wirtschafts 
geschichte Italiens im frühen Mittel- 
alter. Beil. z. Allg. Ztg. 06. 12. V. 

Bernheim, Ernst; Das Wormser 
Konkordat u. seine Vorurkunden 
hinsichtlich Entstehung, Formu- 
lierung, Rechtsgültigkeit. VIII,88p. 
gr. 8°. (Untersuch. z. D. Staats- 
u. Rechtsgesch., hrsg. O. Gierke. 
81.H.) Breslau, Marcus, 06. M. 2,60. 


Borchling, Conr.; Literarisches und 
geistiges Leben im Kloster Ebstorf 
am Ausgange des Mittelalters. 
Z. Hist. Ver. f. Niedersachsen 0%. 
4. p. 361—420. 

Bossert, G.; Die Liebestätigkeit der 
vang. Kirche Württembergs von 
der Zeit des Herzogs Christoph 

bis 1650. I. W. Jb. f. Stat. u. 

Landeskunde. Je 05. Stuttgart 06. 

I. p. 1—28 u. Il. p. 66—117. 


Bugge, Alex.; Die nordeuropäischen 

erkehrswege im frühen Mittel- 
alter und die Bedeutung der 
Wikinger für die Entwicklung des 
europäischen Handels und der 
europäischen Schiffahrt. VSchr. 
Soz. u. Wirtschaftsgesch. 06. 2. 
p. 227—71. 

Caffaro, Albino; Pineroliensia; con- 
tributo agli studi storici su Pinerolo, 
ossia vita pinerolese, specialmente 
negli ultimi due secoli del medio- 
evo. Opera postuma. (Pinero 
liensia. Beitrag zu den geschicht- 
lichen Studien über Pinerolo, oder 
pinerolesisches Leben, besonders 
in den zwei letzten Jahrhunderten 
des Mittelalters.) 361, XXI p. 8°. 
Pinerolo, Chiantore-Ma 1, 06. 


L 5.—. 
Chroniken, Die, der deutschen 
Städte vom 14. bis ins 16. Jahr- 


Ispagna, in Africa e in Oriente durante J’età imperiale romana. 673 


è arbitraria. Siamo solo di fronte a uno di quei prezzi massimi, che 
i generi alimentari toccarono in eccezionali contingenze di guerre o 
di assedi, sia pure che da essi non sia possibile ritrarre conclusione 
alcuna sui prezzi medii contemporanei locali. 

Allorchè in Atene il costo medio del frumento era di L. 10 Phi. 
e880, in tempo di assedio, sali a L. 600 ca.!), cioè a un costo 60 volte 
maggiore dell’ ordinario, e, più tardi a L. 2000?), che dovette essere 
un prezzo 2{/0 volte superiore. Adesso siamo di fronte a un valore, 
che supera di 120—150 volte quello del frumento in quel giro di 
anni, ed esso non ha nulla di fantastico, tanto più che si tratta di 
farina, non di frumento, e la farina, com’ & naturale, costa più del 
grano non macinato. CORRADO BARBAGALLO, 


An early Bill of Lading and Charter-party. 


Although the two documents of which copies are appended relate to 
different transactions, they may perhaps be printed together as being 
the earliest of their classes that have been found in English records?), 
and as belonging to the same quarter of a century. 

The bill of lading appears on the Memoranda Rolls of the exchequer 
in the record of the proceedings on the petition of one Peter de Saut, 
a merchant of Bordeaux), which was referred by Edward I to the 
decision of the treasurer and barons of the exchequer 5). 

The great ship ‘Dieu la sauve’ was the property of Godfrey Pil- 
grim of Great Yarmouth®). She had been laden, late in April, 1298, 
with a cargo of wines, chartered to Boston, Lincolnshire, by four 
Bordeaux shippers, one of whom, the petitioner, is described as drapers, 
and another as a clerk. The fact that Master Martin was in holy 
orders did not prevent his sharing in the venture to the extent of 
twenty-two tuns and a pipe of wine. 

1) Prurt. Dem. 33, 2. 

2) Peur. Sylla 13, 1. 

3) So I am informed by my friend, Mr. R. G. MARSDEN, the learned editor 
of two volumes of ‘Select Pleas in the Court of Admiralty’, published by 
the Selden Society. 

4) The only references to him that I have found are in Archives des Basses 
Pyrénées E. 175 (Archives hist. de la Gironde XV. [1874] 189). On 
30 March, 1294, ‘P. de Saut, drapers de Bordeu’ acknowledged the receipt 
of 35 l. of the money current at Bordeaux from Bertrand, lord of Podensac; 
and on the following day he attested another receipt given to the same 
Bertrand (ibid. 190). It seems most improbable that he can have been 
connected with the knight Peter Arnaldi de Saltu, who had seized the castle 
of Saut, entrusted to his brother William by Henry III (Rôles gascons I. 
(1875) Nos. 159, 867, 2765 [1242—53)). 

5) This case is further of interest as being one of the very small number 
of decisions of the exchequer in its judicial capacity entered on the Memo- 
randa Rolls. 

6) On 11 Jan., 1297, Godfrey had obtained a safe-conduct, available up 
to Michaelmas, to take her (either himself or by his men) to Norway to buy 
masts. — Pat. Roll 25 Edw. I, pt. I m. 22 (Calr. 227). 








24 


Karmin, Otto; La lgge del catasto 
fiorentino del 1427. (Zur Finanz- 
chichte der Stadt Florenz ge 
Föriges Katastergesetz von 1427.) 
80 p. 8°. 


L. 3,—. 
K ‚F.;Hansische Handelsgesell- 
schaften, vornehmlich des 14. Jahr- 
hunderts. VSchr. Soz. u. Wirt- 
schaftsgesch. 06. 2. p. 278—324. 
Kirsch, P. A.; Treibende Faktoren 
bei dem schotlischen Aufstande 
in den J. 1745—46 und Nachspiel 


Florenz, B. Seeber. 


desselben. Hist. Jb. 06. 2. p. 
291—315. 
Koehne, C.; Der 


faber blice 

, 

robatus“ der Lex. Alam. LYXIV 5. 

schr. Soz. u. Wirtschgesch. 06. 
IV. I. p. 186-090. 

Rop6, I. T.; Auessu& nyremecrsia »% 
Mockosiw. 1698 x 1609 rr. Ilepes. 
x upamËd. À. I. Maxemms. (Cr 
IPHIOKENÏEME 1Q PHECYHROBB Ha 
OTABIBHLIX AHCTSX MH Ykasarexel. 
(Korb: Tagebuch der Reise nach 
Moskovien. ]. 1698 und 1699. Aus 
d. Deutsch. übersetzt und mit An- 
merkung versehen von A. Malein.) 

p. 4°. C.-Herep6yprs, CyBopux, 
Rub. 10 


Laenen, Jos.; Les Lombards à 
Malines (1295—1457). 87 p. 8°. 
Malines, L. et A. Godenne, 05. 

Fr. —,50 


Lallemand, M. L.; Les soins donnés 
aux malades dans les hôpitaux du 
moyen âge. Acad. des Sciences 
Morales et Polit. 06. Mars. p. 387 


—400. 

Lukinich, J.; Kövär väränak jövedelmi 
forräsai 1566.— böl. (Die 
quellen der Burg, övär [Ungarn] 
im Jahre 1566.) Orig. Dokumente. 
Magyar Gazdasägtôrténeti Szemle 
05. III.—IV. p. 258—61. 

Ugyanaz; Az erdélyi kincstäri javak 

ecslése 1701.— böl. (Schätzung 
derärarischen GüterSiebenbürgens 
vom Jahre 1701.) Orig. Dokumente. 
Magyar Gazdasägtôrténeti Szemle 
05. III.—IV. p. 215—20. 


Mann, H. K.; Live of the Popes in 
the Early Middle Ages. Vol. 2. 
B, 795 8. 8°. London, K. Faul, 

. 12 s, 


innahms- 


3. Europäisches Mittelalter. 


Martin, J.; Gustave Vasa et la rt- 
forme en Suède. Paris, A. Fonte- 
moing, 06. Fr. 10,—. 

Nagaoka, H.; Histoire des Relations 

u Japon avec l’Europe aux XVIe 
et Ile siècles. 89 Paris, 
Jouve, 05. 

Merényi, L.; 1637. esztendöbeli 
jövedelme Palatinus urunk Gnagy- 
sägänak a Jäszok, Kiskunok es 


Bujäki jöszägbeliektöl. Die Güter- 
erträgnisse des ungar. Palatins im 


Jahre 1637.) Orig. Dokumente. 
Magyar Gazdasägtorténeti Szemie 
05. II1.—IV. p. 292. 

Nielsen, Axel; Dänische Preise 
1650—1750. Jb. Natökon. u. Stat. 
06. Febr. p. 289—348. 

W.; Die Fugger und Welser. 


8%. (Handel, Ind. u. Verkehr. 
3. Bd.) Berlin 06. M. 1,—. 
v. Pantz, A.; Die Inne er Haupt- 
gewerkschaft 1625—1783. IX, 179 


p. mit 1 Tafel. gr. 8°. (Forsch. 
z. Verfassungs- und Verw 
geschichte d. Steiermark. VI. 
H.) Graz, „Styria“, 06. K 4,— 
De Pelsmacker, P.; Le courtage à 
Ypres aux Xllle et XIVe siödes. 
Bull. de la Commission royale 
d’histoire. LXXIV. 4. 05 


Pick, Franz; Beiträge zur Wirt 
schaftsgeschichte der Stadt Prag 
im Mittelalter. I. Das er Un- 
geld im 14. Jahrhundert Mitt. 
Ver. Geschichte Deutschen in 
Böhmen 06. III. p. 277—321. 


Pierson, N. G.; Bijdrage tot de ver- 
klaring van middeleeuwsche reken- 
munten. De Economist. 06. 4. 
p. 263—95. 

Pirenne, H.; Note sur la fabrication 
des tapisseries en Flandres au 
XVIe siècle. VSchr. Soz. u. Wirt- 
schaftsgesch. 06. 2. p. 325—30. 

„Pisma polityczne zczasôv pi 
bezkr ea (Politische Schriften 
aus den Zeiten des ersten Inter- 
regnum — XVI. Jh.) Ed. Czubek]. 
XXXVIIT u 7 Verl. der 
Akad. d. Wissensch. Krakau 06. 


Records of the Proceedings of the 
Justiciary Court, Edinburgh, 1661 


An early Bill of Lading and Charter-party. 675 


was supported by five merchants of Bordeaux, in accordance with the 
court’s decision (visum est Curie) that ‘the truth could better be 
ascertained by merchants of the said parts of Bordeaux, and by him 
who was purser in the ship aforesaid, who had and ought’ by his 
position ‘to have cognizance of the goods that were in the ship afore- 
said, whose they were, and in whose name laden in the same ship, — 
than by an inquisition’. 

On this testimony, so taken before the court itself, it was finally 
decided ‘that Peter have back his wines aforesaid, and that order be 
sent to the sheriff and coroners that they cause the wines (or their 
price, if sold) to be restored to the aforesaid Peter without delay’. 


The charter party is a document to which I have no hesitation in 
adding a translation. It would be difficult to find worse spelling in 
the fourteenth century, and probably impossible to find anything 
approaching it in any earlier century. To follow the usual practice, 
and insert ‘sic’ after each erronevus form would lengthen the printing 
inordinately; and a reader glancing casually at the page would suppose 
it had been accidentally peppered with sies. So I must ask readers 
to accept an exact reproduction of what is really a very legible MS. 

Edward II had ordered several sheriffs in the south-west of Eng- 
land to send stores to Skinburness, on the Solway Firth, for the service 
of the army then occupying Carlisle and the adjacent parts cf Scot- 
land. Among these was Sir Walter Scudamore, sheriff of Somerset 
and Dorset, who in accordance with the king’s mandate!) laded the 
Peter of Hamelhok’ with corn, malt and ‘bacons’, agreeing tlıat the 
vantage should be at the rate ef (practicälly) five per cent. Nothing 
need be said as to the other provisions of the charter, except to draw 
ıttention to the steps taken by the sheriff to secure himself from a 
laim by the crown for deficiency in the quantity of corn delivered. 
In this he seems to have acted with scant consideration for the corn- 
traders of Bristol, for the reeve, and for the owners of the market- 
;olls, whom he deprived of their standard bushel. 





1) On 20 Mar. 1312, by letters close of the council, dated at York, the 
sheriff was ordered to provide, under pain of forfeiture, 200 quarters of wheat, 
100 quarters of barley, 200 quarters of oat malt, 100 quarters of beans and 
peas, and 100 bacon-pigs, to be sent by sea to the march of Carlisle, and 
here delivered to the receiver of the king’s victuals for the munition of that 
march, as the king’s clerk, Edmund de la Mare, whom the king was sending 
;o supervise the premises, should inform him on the king’s bchalf, so that 
be victuals aforesaid should be at Skinburness before Whitsuntide [14 May] 
it the latest — (Close Roll 5 Edw. II. m. 8). It is probable, from the 
late of dispatch of the stores, that Edward had needed to send a second 
yeremptory mandate to Scudamore, as he did to the sheriff of Gloucester 
Ibid m. 4) chiding him sharply for not fulfilling an order given on the 
same 20 march. It was no time for gentle language, seeing that on 8 July 
the stock in the hands of the king’s receiver at Carlisle was reduced to 
5 qrs. 6 bus. wheat, 2'’ qrs. barley, 1 bushel of oatmeal and two pipes and 
5!/s iron-hooped barrels of wine, in addition to 25 qrs. 7 bus. salt — (Ac- 
»ounts, Exch., K. R., Bundle 15 No. 25 If. 1). 


676 R. J. Whitwell: Miszelle. 


The voyage must have taken an exceptionally long time, for it was 
only on 13 August that Gilbert de Bromley, the receiver and keeper 
of the king’s victuals in the parts of Carlisle received the goods at 
Skinburness. The grain was then measured ‘by the straked measure 
of England’; and whether by reason of the deficiency in the Bristul 
bushel, or ‘par longe demoere en la meer’, the quantities are ahown 
as appreciably smaller than those shipped; and the vantage is reduced 
accordingly, though the percentage remains about the same. 

The document quoted in the last note shows (If. 2b) that nearly 
the whole of the cargo of the Peter of Hamelhok was sent by instal- 
ments to Sir Dougal Me Dowal (Dungallo Mc Duwille) constable 
and sheriff of the castle of Dumfries, for the provision of that castle. 
The cost of discharge of the ship and carriage of part of the cargo 
and certain other goods to Dumfries (If. 6), was at the rate of & U. 
for each quarter of grain and salt and amounted in the whole to 53 x 


ROBERT JOWITT WHITWELL. 


Thesaurario et Baronibus pro Petro de Saut mercatore 
de Burdegala. 


Rex mandauit Thesaurario et Baronibus suis de Scaccario suo apud 
Eboracum breue suum sub priuato sigillo in hec uerba: 

Edward par la grace de dieu Rei Dengleterre seigneur Dirlanud e 
Ducs Daquitaigne au Tresorier e as Barons del Eschequier salutz. Nous 
vous enueoms la peticioun Pieres de Saut Marchant de Burdeaus, 
enclose deinz ces lettres e vous maundoms ge la peticioun oie, e bien 
entendue, lui enfacez ceo qe vous yerrez ge face a faire par resoun. 
Done soutz nostre priue seal a Dureame le vij. iour de Nouembre 
Lan de nostre regne vint e sisime. 

Tenor peticionis talis est: 

A nostre seigneur le Roi supplie Peres de Saut Marchaunt de 
Burdeaus ge les vins ou la vente des vins cest a sauoir Ixxv. Toneau: 
de vin e vij Pipes e ses liths e ses boches [L. T. R. huches] e ses 
autres biens qil auoit charge a seint Botolf apres la suffrance de I 
guerre prise entre vous sire e le Rei de France les queux vins e autres 
biens vnt este arestuz par vos gentz e venduz. pur dieu, pur pite e pur 
dreiture sire lui fetes delinerer e aquiter, les queux vins e ses autres 
choses furent arestuz pur vn Willam de Cont son vallet ge feust vtlage 
par defaute lui esteaunt en la Duche de Guyene, la quele vtlagerie 
sire vous lui auez pardone par vostre lettre patente. E dautrepart le 
dit vallet ne auoit rien en vins ne en les autres biens, einz furent tour 
du dit Peres de Saut seon seigneur, sicome il peust mustrer par 
chartres, e par lettres faites en la ville de Burdeaus. 

Et inspecta per Thesaurarium et Barones petitione predicta, es dili- 
genter examinata, quesitum est a prefato Petro, qualiter ostendere velit, 
quod predicta vina sua fuerunt, et quod predictus Willelmus vtlagatus 
nichil proprietatis habuit in vinis illis, et bonis predictis, per quod aliquo 
modo ea posset furisfacere, qui dicit quod paratus est hoc verificare 
qualitereumque Curia duxerit considerandum. Et quia visum est Curie 


An early Bill of Lading and Charter-party. 677 


quod veritas inde melius sciri potest per mercatores predietarum partium 
Burdegale, et per ipsum qui fuit bursarius in naui predicta, qui cog- 
nicionem habuit et habere debuit de bonis que fuerunt in naui predicta, 
cuius aut quorum fuerunt. aut sub cuius aut quorum nomine carcata in 
eadem Naui, quam per inquisieionem, quesitum fuit ab eodem Petro, si 
velit probare per mercatores partium predietarum et bursarium Nauis 
predicte vina et bona predicta sua propria fuisse et non alterius; qui 
dieit, quod sic, asserens bursarium predictum et mercatores partium 
predictarum presentes esse in Curia, per quod paratus est legitime 
probare dieta bona sua esse, et non predicti Willelmi vtlagati, nec 
vmquam fuisse. et petit quod ad hoc legitime probandum admittatur. 

Et concessum est ei; et super hoc produxit quemdam Johannem le 
Normaunt de Jernemutha quem dicit bursarium Nauis predicte et 
Petrum de Batelesfosse, Bydan de Bran, Johannem Freteyr, Manaur 
Turchier et Bydan [L. T. R. de] Contz mercatores. 

Et predictus Johannes Juratus et diligenter examinatus super negocio 
isto, dieit per sacramentum suum quod circa finem Mensis Aprilis 
proximo preterito [sic] fuit quedam Nauis que est domini sui Gode- 
fridi Pylrym de Jernemuta que vocatur dieu la Sauue in portu de 
Burdegala, et fuit Magister einsdem Nauis Ricardus de Goseforde, inter 
quem et Petrum de Saut mercatorem de Burdegala, Martinum de Sancta 
Elena, Willelmum Colom et Bertramum Baran Ciues Burdegalenses 
conuenit quod prefatus Ricardus carcaret in Naui sua predicta de vinis 
ipsorum Petri, Martini, Willelmi et Bertrami — CCiij. dolia, et xiiij. 
pipas deinde transducenda vsque sanctum Botulphum in Anglia, capiendo 
ab eisdem mercatoribus pro fretagio cuiuslibet doliorum predictorum 
ivij. solidos sterlingorum. Ita quod pro singulis. xx. doliis allocarentur 
in fretagio. xxj. et inde ostendit quandam cartam inter [L. T.R. dictos] 
Magistrum Nauis et Mercator[es] super conuencione frettagii predicti 
confectam, cuius tenor talis est. — 

Sachent touz ceux qui ceste chartre verrount e orrount, qe P. de 
Saut Drapers de Burdeu, e Maestre Martins de seinte Eleyne Clercs, 
e Guilleme Colom de seint aremedi, e Bertrans Barran Cyteyn de 
Burdeus, ont afrette, e charge, en la Nef nome, la dieu la sauue 
de Gernemute de Richart de Goseforde Mestre, des [sic] cent e.ii]. 
toneus, e.xiiij. pipes de vins, des quex distrent, qe sont au dit.P. de 
Saut.Cx. toneux e.viij. pipes, e au dit Mestre Martin.xxiij. toneux 
e vue pipe, e au dit. W. Colom:xj. toneux e.ij. pipes, e au dit Ber- 
tran.xxx. toneux, e.iij. pipes, a aler a seynt Botolfe pur.viij. souz 
desterlinges dengleterre chescun toneu.xxj. pur xx. et vj. pipes du 
dit. P.e vne pipe du dit Mestre Martin [L. T.R. e. ij. pipes du dit W. 
Colom, e vne pipe du dit Bertran dauantaege, e ij. pipes du dit Ber- 
tran vont] pur le fret de vn tonen, e deus pipes du dit. P. pur le fret de 
vn toneu; e a Norman Diepe la Nef deyt estre alege e descharge des 
auant ditz vins au coust des Marchandz. Et deintz. xxj. iour ourable 
conpres!) qe dieu aura conduit la dite Nefe a sauuete a sa dreite 





1) In L.T.R. roll this word has been altered, apparently to courres: 
cf. the modern ‘running days’. 


28 + 


Mantoux, Paul; La Révolution In- 
dustrielle au XVIIIe Siècle. 343 p. 
gr. 89. Paris, Soc. Nouv. de Libr. 
et d’Ed., 06. 


Maroy, Charles; Une famille de ma- 
rins. (Die Familie van Maestricht.) 
Belgique maritime et colon. 06. 
11. März. 


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L’action, 1863—1870. 8°. Paris, 
F. Alcan, 06. Fr. 10,—. 


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Hainaut en 1806. Ann. du cercle 
archéolog. de Mons. XXXIV. 05. 


p. 340—3. 


Merenyi L.; A domboväri uradalom 
a XVIIT. szäzad elejen. (Die Guts- 
herrschaft Dombovär [Ungarn] zu 
Anfang des 18. Jahrhunderts.) 
ar Gazdasägtôrténeti Szemle 

05. III.—IV. p. 320—38. 


Montarlot, P.; Les Députés de Saône- 
et-Loire aux assemblées de la 
Révolution (1789—9%). T. 1er: 
Assemblée constituante et Assem- 
blée législative. 322 p. 8°. Autun, 
Dejussieu, 05. 


Müller, Leonh.; Die politische Sturm- 
und Drangperiode Badens. I. 
1840—1848. 160 p. 8°. Mann- 
heim, Haas,. 06. 


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. demnité de guerre a Strasbourg 
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au XIXe siècle. Rev. d’Hist. 
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Pérevré, Alfred; Des premiers ra 
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de la Révolution à Verdun, 1689 


Neuzeit Europas, der europäischen Oründungen und des Weltverkehrs. 


—1795. av. nombr. pl. CXXXVIIL 

566 p. 8°. Paris, E. Lechevalier, 

06. Fr. 10,—. 

Robert Candlish and the Disruption 
of 1843. Quart. Rev. 06. April 
p. 418—37. 


Robinson, |. H.; Recent Tendencies 

in the Study of the French Revo- 
lution. Am. Hist. Rev. 06. 3 p. 
520 —48. 

Rosen J. G.; Review of Dr. 
Albert Pfister's americanische 
revolution, 1775—1783. 4 p. 8°. 
Fhiladelphia, German Am. Pres 

. c 


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caise en te à la fin du XVIIIe 
siècle; I. Rev. Hist. 06. Mai—Juin. 
p. 1—20. 

Schouler, Ja.; Americans of 1716. 


13, 317 New York, Dodd, 
Mead & O., 06. Doll. 2—-. 
v. Schullern; Die Entwicklung unserer 


Agrarpolitik im letzten Jahrhundert. 
: jener Landw.-Ztg. 06. 18. p. 


Schwartz, Paul; Die neumärkischen 
Schulen am Ausgang des 18. u. 
am Anfang des 19. Jahrh. Ill, 
221 P- er. 80. (Schr. d. Ver. f. 
Gesch. d. Neumark. 17. H.) 

Landsberg a. W., Schaefier, 05. 


’ 

30om6apr, B.; Comiazusm H comiansoe 
zBuzxenie. Ilepes. Mux. K. u Bı [. 
CB HOBATO COBEPMIEHHO TIepepas- 
TAHHATO  MBAaHis. (Sombart: 
Sozialismus und soziale Beweg- 
ung.) VIII, 341 p. 8° Moczss, 
„CBoborsaa Mricas‘‘, 06. Rub. 1,30. 


Sturmhoefel; Der deutsche Zollverein. 
8°. (Handel, Ind. u. Verkehr. 1. Bd.) 
Berlin 06. M. 


— 
® 


Tallen S. G.; Society in the time 
of Voltaire. (Cornh.) Liv. Age 06. 
31. March. p. 781—93. 


v. Tchernoff, I.; Les Candidatures 
ouvrières sous le Second Empire. 
Rev. Socialiste 06. Fevr. p. 161 —8. 

Thery, E.; Le Septennat de M. Emile 
Loubet au point de vue écono- 


Än early Bill of Lading and Charter-party. 679 


vina predicta vel eorum precium si vendita fuerint predicto Petro restitui 
faciant indilate. — Memoranda Roll (K.R.) 26 and 27 Edward 
I. m. 8. (=L.T.R. 17b). 


Fayt a remembrer ge le Mekerdy procheyn auaunt la Natiuete Seynt 
Johan le Baptiste. lan nostre seygnur le Roy quint. Roberd Chyuailler 
mestre de la Neef qe est apele Peter de Hamelhok resceut al port de 
Brystut en sa Neef auaunt dite de la liuere Sire Walter Skydemor 
Viscounte de Somersete et Dorsete. par le mayns Thomas Odynel sun 
vadlet. en la presence Edmud de la Mare. clerk nostre Seygnur le Roy 
a les porueaunces le Roy sourueer et haster assingne Doux Centz ez 
Dysz quarters de Forment dount les dysz quarters sunt pur la Vauntage 
de mesme les deux centz quarters susdytz. Ez Cynkquaunte deux 
quarters et demy de Orge dount les deux quarters et demy sunt pur 
la vauntage de les Cynkquaunte quarters susdytz. Ez vynt quarters de 
chef breys de Forment. Ez Trente quarters de breys de Curs cest 
asauoyr de Orge et de Auene. Ez vintquatre quarters de Feues ez de 
Poys oue vn quarter pour la vauntage come des altres auaundytz. Ez 
si vous enueopms le Bussel estaundard de la ville de Brystut assele 
del seal de la prouoste de mesme la ville. par le quel le bledz auaun- 
dytz sunt mesuretz par la veue Edmund clerk le Roi auaundyt Pur 
coe qe en ces oures hom aadz perdu en le mensurement en celes parties 
par le mesure ge y est qe ne coe a corde poynt al mesure pardeca. 
Ez vintcynk bacouns les queux choses le dist Sire Walter viscounte des 
Countez auaundyz adz eschatez et purueu en sa baillie par comaunde- 
ment nostre Seygnur le Roy de passer et damener mesmes les vitailles 
sauementes et surementes del port susdytz taunke a Skyrbernasse a 
liuerer yleskes mesmes les vitailles al resceuors del estor nostre Seygnur 
le Roy. Ez si riens des dites vitailles en defalte de dyst mestre ou 
des seons de peryce on en peire ou en nule manere soyent amenusez: 
mesme celuy mestre soyt de coe respoynaunt au Roi ou a dist Viscounte 
si coe ne soyt par tempeste de la meer ou de male gentz robeours ou 
par longe de mere en la meer ge nul countre coe ne put garder me 
ke a la volunte deus. Ez quaunt deux auerunt mys al dyst port soyent 
deliuers de dontz les quinze iours ez si plus demoerent par defalte de 
liuerance soyent au custages le Roy: A cestes choses byen et leaument 
feare soe oblige le dyst mestre et sa partie de sa Neef auauntdyt 
ensemblementes oue ces teires et ces chateux en qui maynz que devyn- 
gunt a la destresse ez al restement des viscountes pur les choses 
auauntdytes qe pur nules Fraunchyses ne soyt lesse e taunke il eyt 
fet gree al dyst Sire Walter viscounte si y coe defaille an les choses 
auauntdytes. En tesmoinaunces des queles choses auxi byen le dyst 
mestre cum le dyst Sire Water viscounte a cestes lettres endentez 
entrechaungablement ount mys lour seals. Ez pur coe que le seal le 
dist mestre a plusours estoyt desconutz le seal de la prouoste de la 
Ville de Brystut adz le dyst Mestre procure estre mys. Done au leu 
lan ez le iour auaundytz. 

[Indorsed] Escudemor. 

Accounts, Exch. KR. Bundle 7 No. 15 (70). 

Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IV. 45 


30 5. Andere Wirtschaftskreise. Ostasien usw. 


History. Jl. of the Bombay Branch 
of the Roal Asiatic. Soc. 05. 
No. EX. Vol. XXIL p. 43—66. 


Mahamahopadhyaya,  Haraprasad 
Shastri; History of Nyayasastra 
from Ja anese Sources. JL of the 
Asiat. Soc. of Bengal 05. 8. p. 
177—80. 


Nachod, Geschichte von Japan. 
Erster Band. (Allgemeine Staaten- 
geschichte, Il. Abteilung: Ge 
schichte der außereuropäischen 
Staaten. Herausgegeben von K 
Lamprecht, 1) 1 vol. XXX, 426 p. 

Gotha, F. A. Perthes, 06 
M. 11,25. 


Druck von C. Heinrich, Dresden. 


BIBLIOGRAPHIE 


DER SOZIAL- UND WIRTSCHAFTS- 
GESCHICHTE 


FUER DIE MONATE 


JULI — SEPTEMBER 1906. 


BEARBEITET VOM INTERNATIONALEN INSTITUT FUER 
SOZIAL-BIBLIOGRAPHIE IN BERLIN. 


Berichtiguugen und Ergänzungen sowie Mitteilungen von Titeln und Inhalts- 
angaben bis zum Umfange von 8 Druckzeilen) von einschlägigen, im Er- 
scheinen begriffenen Schriften und Aufsätzen sind an das Internationale 
Institut für Sozial-Bibliographie in Berlin W. 50, Spichernstrasse 17, zu richten. 


1. Allgemeines. Werke über 
mehrere Perioden und 
einzelne Sozialgebilde. 


1. Ouvr s généraux. 
I. reatires. 


Agahd, Reinhold; Die Heimat der 
Indogermanen. Z. d. Histor. Ver. 
f. Niedersachsen. 06. p. 109-138. 

d’Avenel, Vicomte, G.; Les Riches 
depuis sept cents ans. Rev. des 
deux Mondes. 06. 15 Juillet. p. 
391-414. 

Baasch, Ernst; Zur Geschichte des 
Hamburgischen Heringshandels. 
Hansische Geschichtsbl. 06. 1. 
p. 61—100. 

Badtke, W.: Zur Entwicklung des 
deutschen Bäckergewerbes. Fine 
wirtschaftsgeschichtlich - statis- 
tische Studie. 95 p. 8°. Diss. 
Halle. 05. 

Bastian, Fr.; Die Bedeutung mittel- 
alterlicher Zolltarife als Ge- 
schichtsquelle. Forsch. z. Gesch. 
Bayerns. 06. 1—2. p. 114—135. 

Beck, L.; Geschichte der Eisen- 
industrie in Wales. Stahl u. 
Eisen. 06. 14. p. 861—868. 15. p. 
932-938. 


Du Berry, Marguerite; La den- 
telle. Historique de la dentelle 
à travers les âges et les pays. 
Modèles et dessins de Mme M. 
Songy. VIII 180 p. 12°. Paris, 
Garnier frères, s. d. 06. Fr. 3,50. 

Bilder aus dem alten Berlin. 53 
Taf. 16°. Berlin, H. R. Meck- 
lenburg. 06. Mk. 3,50. 

Bocken, Alex.; Chronik der Stadt 
Berlin vom ersten Bekannt- 
werden des Ortes bis zur Gegen- 
wart. 44 p. kl. 8°. Berlin, E. 
Müller, 06. Mk. —,20. 

Claus, Oskar; Thomas Abbts hist.- 
politische Anschauungen. Lam- 
prechts geschichtl. Unters. Bd. 
III. 1. Gotha, Perches 06. 

‘Abbt, deutscher Philosoph 1738— 
1766; Hauptwerk: Vom Verdienste. 
Berlin 1765. 

Cutler, J. E.; An Investigation into 
the History of Lynching in the 
United States. XIV, 287 p. New 
York, Longmans, Green & Co. 
05 


Darstellungen aus der Geschichte 
der Technik, der Industrie und 
Landwirtschaft in Bayern. Fest- 
gabe der königl. techn. Hoch- 
schule in München zur Jahr- 


Literatur, 


S. PIVANO, / contratti agrari in Italia nell’alto medio ero. Torino 1904. 
XV u. 338 SS. — 

F. SCHUPFER, Precarie e livelli nei documenti e nelle leggi dell’alto 
medio evo. Torino 1905. 116 SS. (Estr. dalla Rivista italiana per 
le scienze giuridiche vol. XL fasc. I—ITI). — 


P.S. LEICHT, Livellario nomine. Osservaziont ad alcune carte Amiatine 
del secolo nono. Torino 1905. 69 SS. (Estr. dagli Studi Senesi 
in onore di Luigi Moriani). 


S. Prvano hat mit großem Fleiße in seinem Buche über die Agrar- 
verträge im frühmittelalterlichen Italien vielleicht als erster das reiche 
gedruckte Material, das sich jetzt jährlich vermehrt, und auch un- 
gedruckte Quellen verwertet und stellt als Fortsetzung zwei Bände 
über die Lage der Arbeiter in ihren Beziehungen zu Grund und Boden 
und über die Giterverwaltung in Aussicht. Das Unternehmen ist zeit- 
gemäß und dankenswert, und mit Rtcksicht auf die Größe des Stoffes 
ınag man dem Autor auch eine gewisse Breite der Darstellung zugute 
halten. Auch die immer wiederkehrende Betonung der „exegetischen“ 
Methode ist gewiß berechtigt; denn man will in historischen Dingen 
selbstverständlich aus den Quellen herausgelesene und nicht in sie 
hineinkonstruierte Resultate gewinnen. PIVANO, der Jurist ist, hat 
wohl mit gutem Grunde dies sein rein induktives Bestreben betont, 
und wenn auch gerade ihm seine formal-juristische Schulung manchen 
Streich gespielt hat: tamen est liudanda voluntas. 


Die Zusammenhänge von Wirtschaft und Recht, welche doch gerade 
bei einem solchen Thema von ausschlaggebender Bedeutung sind, sind 
P. freilich in seinem formal-juristischen Eifer vielfach verborgen ge- 
blieben; er hat iufolgedessen eigentlich auch die Forderungen der 
modernen Jurisprudenz nicht erfüllt, und die Organisationsformen, von 
denen er spricht, treten daher nicht plastisch und lebendig hervor, 
trotz aller Genauigkeit in den Details. So ist es z. B. bezeichnend 
für P.s Arbeitsweise, daß er zwar genau anführt (S. 220 Anm. 88}, 
in welchen in den „Codex Bavarus“ aufgenommenen Libellarkontrakten 
eine reine Geldabgabe statt der üblichen Naturalabgabe ausbedun 
ist, aber den auf der Hand liegenden wirtschaftlichen Grund für diese 
Ausnahmen offenbar übersieht: es handelt sich in den sieben angeführten 
Verträgen nicht um landwirtschaftliche Grundsticke, sondern um Ge- 


Referate. 683 


bäude, von denen man doch unmöglich einen Zins in Getreide oder 
Wein einheben konnte!). 

Infolge der rein systematischen Anordnung sind P. aber auch wich- 
tigere und geradezu entscheidende Erscheinungen entgangen. Historisch 
müßte man das von ihm herangezogene Material zum mindesten auf 
drei Gruppen verteilen: eine römisch-italienische, eine römisch-lango- 
bardische, und eine römisch-fränkische. Die Entwicklung der Rechts- 
und Wirtschaftsformen schöpft allerdings in allen drei Gebieten aus 
der gemeinsamen römischen Rüstkammer, jedoch sind es zum Teil 
verschiedene Formen, die hier und dort bevorzugt werden, und die 
Entwicklung selbst wurde in den drei Gebieten auf verschiedene Weise 
beeinflußt. P. betont nicht die Grundtatsache, daß die fränkische pre- 
caria und wohl auch das Wort in Italien bis zum Ende des 8. Jahr- 
hunderts unbekannt war. Was hier die Stelle der fränkischen precaria 
vertrat und später auch 80 genannt wurde, hat zwar wirtschaftlich die- 
selbe Funktion, aber juristisch anderen Ursprung?). Die libellarischen 
Kontrakte wiederum dürfen nicht betrachtet werden, ohne daß man 
die Einwirkung der langobardischen Gesetzgebung in Erwägung zieht. 

P. aber verschiebt die Probleme vollständig zugunsten seiner 
juristischen Grundthese, deren Beweis er leider als die eigentliche Auf- 
gabe betrachtet: daß nämlich precaria und libellus „Formalkontrakte“ 
seien. Der Altmeister der italienischen Rechtsgeschichte, SCHUPFER 
(a. a. O0. S. 1—9), hat in der ihm eigenen, klaren und überlegenen 
Weise, bei aller Anerkennung des für viele Details nutzbringenden 
Fleißes Prvanos, nachgewiesen, daß diese Grundthese nicht nur 
falsch ist, wenn man von dem herkömmlichen juristischen Begriffe des 
Formalkontraktes ausgeht, über den sich R offenbar nicht klar ist, 
sondern auch, daß die von P. versuchte Konstruktion innere Wider- 
sprüche enthält. In der Tat ist es auch für den Nichtjuristen un- 
begreiflich, wie man precaria und libellus auf eine Stufe mit Stipulation 
oder Wechsel stellen kann. Es scheint mir, daß P. von der unbezweifel- 
baren Tatsache ausgegangen ist, daß sowohl precaria als libellus ihren 
Namen und ihre ursprüngliche. Form dem Umstande verdanken, daß 
das Geschäft von einem Gesuche des einen Vertragschließenden aus- 
geht. Aber daß die Vertragsform ein bestimmtes formales Merkmal 
hat, macht sie noch nicht zu einem Formalvertrag. Von demselben 
Gesichtspunkte des Formalvertrages ausgehend meint offenbar P. sich 
die historische Erklärung für das Eigentümliche der Form der libella- 
rischen Urkunden ersparen zu können, daß nämlich der Petent als 
Aussteller erscheint, daß die Petition des Pächters, eben der libellus, 
die doch, genau genommen, den Verpächter gar nicht verpflichten kann, 
als Vertragsinstrument gilt. Ich muß trotz der Polemik P.s nach wie 
vor annehmen, daß diese Form nicht die ursprüngliche gewesen sein 


1) Vgl. meinen Aufsatz über den Codex Bavarus in Mittel. des Instit. 
f. öst. Gesch. XI (1889), wieder abgedruckt in „Zur Wirtschaftsgesch. Italiens 
im frühen Mittelalter“, den P. offenbar übersehen hat. — Siehe übrigens 
auch SCHUPFER a. a. 0. S. 92. 

2) Vgl. oben $. 342 f, 


34 


Leben der Balkanstaaten von A. 
Mesier.) 331 p. 8’. CIIB. To- 
noBa, 06. Rub. 2,00 

Rembowski, A.; Pisma (Geschicht- 
lich- politische Schriften). 830 p. 
8°. Krakau. 06. 

Robertson, J. Mackinnon. A short 
history of freethougt, ancient 
and modern. 2d ed. 2 v. 16, 
480; 13, 455 p. New York, Put- 
nam, 06. $ 6. 

Rosman, H.; Ytterligare om eko- 
nomisk Historia. (Weiteres üb. 
die Wirtschaftsgeschichte.) Hist. 
Tidskr. 05. p. 26-34. 

Ruhland, G.; Die Entstehung der 
Geldwirtschaft und des Kapita- 
lismus im christlichen Abend- 
lande. Mschr. christl. Sozref. 
06. 7. p. 483—493. 

C6opunk® M. Pycck. Ncropnueckaro 
OGmecrBa. 122-4. (Sammlung der 

. K. russischen historischen Gesell- 
schaft. Bd. 122.) 549 p. 8°. 
CIIB. 05. Rnb. 2,50 

Scherr, Johs.; Germania. Zwei 
Jahrtausende deutschen Lebens. 
Neu hersg. H. Prutz. 45. Lig. 
p. 441—450 m. Abb. u. 1 Taf. 4. 
Stuttgart, Union Deutsche Ver- 
lagsgesellschaft. 06. Mk. —,30. 


Schnürer, Gustav; Die historischen 
Grundlagen unserer Kultur. His- 
tor. polit. Bl. kathol. Deutschl. 
06. 12. p. 877-891. 


Sello, Geo.; Oldenburgs Seeschiff- 
fahrt in alter und neuer Zeit. III, 
68 p. gr. 8°. (Pfingstblätter d. 
Hansischen Geschichtsver. 2. Bl. 
1906.) Leipzig, Duncker & Hum- 
blot. 06. Mk. 1,—. 

Simond, C.; Les Légendes de Pa- 
ris, récits historiques. 240 p. 8°. 
Paris, Gaillard. 06. 

Cuonenckif, M. Mcropia kakt Hayka 
H KAKb IIPEAMETE TperlonaBanin. 
TlepeoubHKa HCTOpHUECKAXE 3HAHIH. 
Hcropuko-MerTonororueckif 9TIOA. 
Bein. 1-9. (Smolensky: Die Ge- 
schichte als Wissenschaft und als 
ein Gegenstand des Unterrichts. 
Die Umwertung der geschichtlichen 


Kenntnisse. istorisch- methodolo- 
ische Studie. Tell I) 175p. 8. 
necca. 06. 


1. Allgemeines. Werke über mehrere Perioden und einzelne Sozialgebiete. 
2. Alte Mittelmeerländer. 


Sorel, G.; La storia ebraica ed il 
materialismo storico. (Die he 
bräische Geschichte u. die mate- 
rialistische Geschichtsaufiassg.) 
Divenire soc. 06. 1. Mai. p. 131 
—133. 

CrparonoBd, EM.  OcBo6onurexmot 
ABMIKeHIE BP HCTopin Poccin. (St 
tonow: Die freiheitliche Bewegung 
NS der Geschichte Rußland.) L 


Tobler, Otto; Entwicklung u 
Funktionen der Landesämter in 
Appenzell a. Rlı. vom Ende des 
Jahrhunderts bis zur Gegenwart. 
Diss. Jur. Bern. VIII, 164 p. 8. 
Trogen, U. Kübler, 05. 

Whish, C. W.; Reflections on Some 
Leading Facts and Ideas of His- 
tory: their Meaning and Interest. 
Preliminary Vol. with Chart 
274 p. London, Simpkin, 06. 58. 

Woker, Ph.; Das Toleranzprinzip 
in seiner universalgeschicht- 
lichen Entwicklung. Schweiz. 
Bl. Wirtsch. u. Sozpol. 06. 1—2. 


R.; Philadelphia's 

Revolution. Yale Rev. 06. Vol. 
XV. 1. p. 8-23. 

Wutke, Konrad; Die Vergangen- 
heit des Reichensteiner Berg- 
baus. Schles. Ztg. 06. 480. 





2. Alte Mittelmeerländer. 
2. Les Etats méditerranéens 
de l'Antiquité. 


2. The old Countries of the 
Mediterranean. 





Drumann, W.: Geschichte Roms 
in seinem Übergange von der 
republikanischen zur monarchi- 
schen Verfassung od. Pompejus, 
Cäsar, Cicero u. ihre Zeitge- 
nossen nach Geschlechtern u. m. 
genealogischen Tabellen. XI, 

9 p. gr. 8 2. Afl. 3. Bd. 
Domitii-Juli. Leipzig. Born- 
traeger. 06. Mk. 24,—. 

Ferrero, G.; Grandeur et Déca- 
dence de Rome. Ill. La Fin d'une 
aristocratie. Trad. de l'italien. 
par Urbain Mengin. IIl-339 p. 


Referate. 685 


GEORGES YVER. De Guadagnis (Les Gadaigne) mercatoribus florentinis 
Lugduni, XVI° p. Chr. n. saeculo, commorantibus. Parisiis, 1902, 
Cerf, 111 p. in-8°, 


De toutes les compagnies florentines établies à Lyon, au XVIe siècle, 
celle des Guadagni (Les Gadaigne) a 6t6 la plus célèbre. Deux de 
ses chefs, trop souvent confondus par les historiens, Thomas I], fils de 
Simon, et Thomas II, fils d'Olivier, et neveu du précédent, ont compté, 
sous François Ie’, parmi les premiers financiers du royaume. Ce sont 
ces Gadaigne que Mr Y. a tenté de nous faire mieux connaître. 


Un premier chapitre (p. 1—17) traite de la „nation“ des Florentins 
à Lyon. A partir du milieu du XVe siècle, en effet, des marchands 
florentins viennent dans cette ville, attirés par les grandes foires qu'y 
a linstituées Charles VII. Beaucoup y fondent des comptoirs, et s’y 
fixent sans esprit de retour. En 1522, il n'y en a pas moins de quatre- 
vingt-dix. Certaines rues leur sont réservées. Ils élisent des consuls, 
qui jouent un rôle prépondérant dans les paiements des foires. Ils 
jouissent de privilèges nombreux, qui les assimilent aux bourgeois de 
la ville, mais doivent aussi, malgré leurs récriminations, se soumettre 
aux charges communes. 


Les Guadagni (chap. II) étaient déjà illustres dans leur patrie lors- 
que, exilés par Cosme de Médicis (1434), ils émigrèrent en France. 
Simon Guadagni le premier fit le commerce à Montpellier et à Genève. 
Son fils, Thomas I, né en 1454, vint à Lyon en 1580 ou plus tard, 
comme facteur des Pazzi. Il y fonda une maison de commerce (dra- 
peries et banque), devint en 1505 consul des Florentins, et fit, & la fin 
de 1506 ou au commencement de 1507, un riche mariage en épousant 
Peronette Buatteri, veuve de Gonin Conomir. A partir de ce moment, 
il apparaît comme un des représentants les plus en vue de la nation 
florentine, au nom de qui il s’entremet dans les affaires les plus im- 
portantes. Vers 1515, il entre en relations avec François Ie, à qui, 
de concert avec d’autres marchands, il avance de l’argent. En 1518, 
il rend pareil service au surintendant Semblangay, et à partir de 1520, 
les prêts de ce genre se multiplient. En 1527 lors du procès de 
Semblançay, on l’accuse de complicité avec celui-ci, et il doit se 
réfugier à Avignon. Mais l’orage se passe, et les affaires de Gadaigne 
prospèrent si bien qu'il devient maître d'hôtel et conseiller du roi et 
qu’en 1526 il érige à ses frais une somptueuse chapelle dans l’église 
N.D. de Confort. Après 1528 il renonce au commerce, et vit dans la 
retraite à Avignon jusqu’à sa mort, survenue vers 1541 (p. 19-—52). 


Son neveu, Thomas II, fils de son frère Olivier, est né à Florence 
vers 1495. Très ieune, il se fixe à Lyon, obtient en 1525 des , lettres 
de naturalité“, acquiert la terre de Beauregard, près de S' Genis Laval, 
et en prend le titre. Lorsque son oncle quitte Lyon, il devient le chef 
de la maison Gadaigne. Jusqu'en 1535, son activité nous est mal 
connue. En 1536, il est élu échevin, et réélu, selon l’usage, en 1537. 
Dans ces fonctions, dont il s’acquitte d'ailleurs assez inexactement, il 
se trouve mêlé aux affaires de crédit engagées entre la ville et le 
cardinal de Tournon. Nous savons aussi qu'il acquiert des terres en 


36 8. Europäisches Mittelalter. 


Cohen, Arth.; Die Verschuldung 
des bäuerlichen Grundbesitzes 
in Bayern von der Entstehung 
der Hypothek bis zum Beginn 
der Aufklärungsperiode (1598 — 
1745). Mit e. Einleitg. üb. die 
Entwicklg. der Freiheit der Ver- 
függ. üb. Grund u. Boden unter 
Lebenden im Mittelalter. Forsch. 
z. Geschichte d. Agrarkredits. 
XIX, 470 p. gr. 8. Leipzig, 
Duncker & Humblot, 06 

Mk. 10,80. 

Davenport, Frances, Gardiner; 
Economie Development of a 
Norfolk Manor, 1086 bis 1565. 
Map, 2 plates. 218 p. 8°. Lon- 
don, Camb. Univ. P. 06. 105. 


Traces from extant records changes 
in economic conditions in the Manor 
of Forncett, in Norfolk. . 

Hosxap+-3anonsckif.  [lonaraueckif 


crpoñ anpesHeñ Poccin Bbue u 
KHA3b. (Downar-Sapolsky: Politische 
Ordnung des alten Rußland. Wetsche 
und Fürst.) 63 p. M. 06. Rub. —,20 
Ehwald, Karl; Das Heilig-Geist- 
Hospital zu Frankfurt am Main 
im Mittelalter. Ein Beitrag zur 
Rechtsgeschichte der Stiftg. Il], 
61 p. 8. Gotha, F. A. Perthes. 
06. Mk. 1,20. 
Fischel, Alir.; Studien zur öster- 
reichischen "Reichsgeschichte. V, 
342 p. gr. 8°. Wien, Hölder, 06. 
Mk. 5,20. 


Mährens staatsrechtl. Verhältnis zum 
Deutschen Reiche u. zu Böhmen im 


Mittelalter. — Christian Julius v. 
Schierendorfi, e. Vorläufer des liberalen 
Zentralismus im Zeitalter Josefs I. u. 


Karls VI. — Die Kodifikationsgeschichte 
des S 13 a. G. O. u. die Gerichts- 
sprache in Böhmen u. Mähren. 


Friedensburg, F.; Die schlesischen 
Getreidepreise vor 1740. Z. d. 
Vereins f. Gesch. u. Altertum 
Schlesiens. 06. 40. Bd. 

Gardiner, S.; Rawson, The Con- 
stitutional documents of the Pu- 
ritan Revolution, 1625—1660. 3d 
ed. 64, 467 p. New York, Ox- 
ford University Press, 06. 

$ 2,60. 

Gebauer, Max; Breslau’s kommu- 
nale Wirtschaft um die Wende 
des 18. Jahrh. Beitr. z. Städte- 
geschichte. XI, 362 p. gr. 8°. 
Jena, Fischer, 06. Mk. 9,—. 


Gutmann, Frz.:; Die soziale Gliede- 
rung der Bayern zur Zeit des 
Volksrechtes. XII, 330 p. gr. 8°. 
(Abh. aus d. staatswiss. Seminar 
z. Straßburg i. E. Hrsg. G. F. 
Knapp u. W. Wittich. 20. H.) 
Straßburg i. E., Trübner, 06. 

Mk. 8—. 

Haase, Albert; DasPrivilegium d. 
Dessauer Seilerinnung. Mitt.d. 
Ver. f. Anhaltische Gesch. u. 
Altertumskunde. 06. 3. p. 524- 

4 

Hauberg, P.: Danmarks Mynt- 
væsen i Tidsrummet 11$6-—- 
1241. (Das Münzwesen Däne- 
marks während des Zeitraumes 
1146 — 1241.) Avec un resume 
en francais. Histoire monétaire 
du Danemark de 1146 à 1241. 
Med 6 Tavler. (Vidensk. Selsk. 
Skrifter, 6. Række, historik og 
filosofisk Afd. V, 3.) 80 p. 4. 
(Host). 06. Kr. 4,4. 

Herre, P.; Mittelmeerpolitik im 
16. Jahrhundert. Histor. Vischr. 
06. 3. p. 337—369. 

Hertzog, Aug.; Der Tabakbau in 
Lothringen u. der Metzer Tabak- 
rummel von 1628. Landw.-hist. 
Bl. 06. 6. 

Hötzsch, Otto; Fürst Johann Mo- 


ritz von Nassau - Siegen als 
brandenburgischer Staatsmann 
(1647 — 1672). Forschungen 7. 


Brandenburg. u. Preuß. Gesch. 
06. Bd. 19. 1. Hälfte. p. 89-113. 


Hueppe, Ferdinand; Die Germanen 
und die Renaissance in Italien. 
Z. Soz. Wiss. 06. 7. 8. p. 508-512. 

Janssen, J.; History of the Ger- 
man People at Close of the 
Middle Ages. Vols. 9, 10. 8°. 
London, K. Paul, 06. 

Immich, Max: Geschichte des 
Europäischen Staatensvstems von 
1660 bis 1789. XVI. 463 p. gr. 8°. 
München und Berlin, R. Olden- 
bourg, 05. Mk. 12.—. 

Keutgen, F.: Hansische Handels- 
gesellschaften, vornehmlich des 
14. Jahrhunderts. Vischr. Soz. 
u. Wirtsch. Gesch. 06. 3. p. 461 


514, 
Kopp, Arth.: Johann Balhorn 
Druckerei zu Lübeck 1528 bis 


Referate. 687 


suffisante, puisqu'il néglige, entre beaucoup d’autres, les œuvres de 
canonistes comme Hieronymus de Luca (De cambiis marcharumque diffe- 
rentiis pro Lugduno, 1517), et de commercialistes comme Straccha (De 
mercaturu seu mercatore, 1579). — Contrairement à ce qu’il indique 
(p. 2 et 3), les foires de Genève n’ont point été éransportées à Lyon; 
elles ont seulement été éclipsées par la concurrence des foires lyon- 
naises (Cf. BOREL, Les foires de Genève au XVe siècle, 1892). Les 
foires de Lyon n’ont été transférées à Bourges que jusqu'en 1487, et 
non jusqu’en 1497 (p. 4); etc. | 
Lyon. P. HUVELIN. 


GEORGES YvER. Le commerce et les marchands dans l'Italie méridio- 
nale au XIIIe et au XIV° siècle (Bibliothèque des écoles françaises 
d'Athènes et de Rome, fasc. 88). Paris, 1903, Fontemoing, 139 p. 
gr. in-8°, 12 fres. 


L'idée qui domine le remarquable ouvrage de Mr Y. est la suivante: 
L’av&nement de la dynastie angevine ne marque pas, pour les provinces 
du Midi de l'Italie, le début d’une décadence commerciale. (Charles 
d'Anjou, et ses successeurs, Charles IL et Robert (1265—1343) ne 
rompent point avec la politique économique de Frédéric II, et ils se 
comportent en dignes continuateurs du grand empereur. 

On méconnaissait jusqu’à présent cette activité féconde des Ange- 
vins. Mr X. rend ses conclusions inattaquables en les appuyant sur 
un dépouillement approfondi des sources originales, puisées dans les 
archives italiennes (Vatican, Venise, Florence, et surtout Naples): grâce 
à lui nous surprenons sur le vif l'initiative intelligente des rois angevins. 

Pour apprécier à sa valeur cette initiative, il faut d’abord connaître 
l'œuvre de leurs devanciers, et spécialement de Frédéric II. Mr Y. 
la retrace à grands traits dans son introduction (p. 1—6). Puis il 
examine les conditions générales du milieu économique. Un premier 
chapitre décrit la politique extérieure des Angevins. Ceux-ci, dominés 
par l'ambition de reconquérir Constantinople et de reconstituer à leur 
profit l'empire latin, cherchent sans cesse à étendre leur influence vers 
l'Orient: en Tunisie, où le traité conclu après la mort de St Louis 
leur assure des avantages commerciaux ; sur les côtes de la mer Ionienne, 
où ils se taillent un domaine considérable aux dépens de l’empire grec; 
sur les bords du Danube; en Tartarie, en Georgie, même en Perse, 
où ils envoient des ambassades et des messages. Grâce à ces efforts 
autant qu'à sa situation, le royaume de Naples devient l’entrepöt des 
relations entre l'Orient et l'Occident. En même temps, les Angevins 
acquièrent une situation prépondérante en Italie, en devenant les chefs 
du parti de l'Eglise et des Guelfes, et par là le Midi sort du demi 
isolement où il était jusque là demeuré; les alliés et les protégés du 
roi de Sicile prennent le chemin de l'Italie méridionale (p. 6—22). 

Quant à la politique intérienre des princes angevins, elle ne témoigne 
point de visées désintéressées, de préoccupations vraiment sociales, Ils 
ne sungent guère à assurer le bien-être de leurs peuples. Comme les 


3. Europäisches Mittelalter. — 4. Neuzeit Europas, der europäischen Gründungen 
38 und des Weltverkehrs. 


gime. Vischr. Soz. u. Wirtsch. 
Gesch. 06. 3. p. 515—562. 
Trapenard, C.; Aliénations etUsur- 
pations de Communaux dans le 
canton de Champs (Cantal) au 
XVIIe et XVIlle siècle. Nouv. 
Rev. Histor. 06. 3. p. 277—329. 
Vanderkindere, Léon; Liberté et 
propriété en Flandre du IXe au 
XIIe siècle. Bull. de la classe 
des lettres. 06. 3. p. 151—174. 
Derselbe; La notion juridique de 
la commune. Bull. de la classe 
des lettres. 06. 4. p. 193—219. 
Wilainatz, Milan; Die agrar-recht- 
lichen Verhältnisse des mittel- 
alterlichen Serbiens. (Samm- 
lung nationalôk. u. stat. Abh. des 
staatswiss. Seminars Halle a. d. 
S., hrsg. Joh. Conrad, Bd. 40.) 
311 p. Jena, Gustav 


Wopfner, H.; Das Almendregal d. 
Tiroler Landesfürsten. (Forsch. 
z. inn. Gesch. Österr. Heft 3.) 
XIV, 170 p. gr. 8°. Innsbruck, 
Wagner 06. Kr. 6,—. 

Zenker, Luise; Zur volkswirt- 
schaftlichen Bedeutung der 
Lüneburger Saline für die Zeit 
von 950—1370. VI, 84 p. gr. 8°. 
(Forschungen zur Geschichte 
Niedersachsens. Hrsg. v. histor. 
Ver. f. Niedersachsen. I. Bd. 
2. H.) Hannover, Hahn. 06. 

Mk. 1,50. 





4. Neuzeit Europas, der euro- 
päischen Gründungen und 
des Weltverkehrs. 

4. Les Temps modernes. 
4. Modern Time. 





Ageorges, J.: Le Clergé rural sous 
l’ancien régime. Sa vie et son 
organisation. Epilogue: le röle 
social du curé de campagne au 


XVIIIe siècle; par Georges 
Goyau. 62 p. 16°. (Science et 
Religion. Nr. 394) Paris, 


Bloud et Cic. 06 

Alexander, De Alva Stanwood: A 
political history of the State of 
New York. 2 v. V. I. 1774— 
1832; V. 2, 1833— 1861. 8, 405: 


4, 333 p. New York, H. Holt & 
Co., 06 $5 


O0. . . 
„A history of the movements of poli- 
tical parties in the Empire State from 
1777 to 1861, which traces the causes 
of factional divisions into ..Buckteils” 
and „‚Clintonians‘‘, ..Hunkers‘ and 
„Barnburners‘‘, etc. If upon any spe- 
cial feature, emphasis has been placed 
on the astute methods and sources of 
power by which the brilliant leaders, 
George Clinton, Hamilton, Burr. DeWitt 
Clinton, Van Buren, Seymour and 
Thurlow Weed, each successively con- 
trolled the political destiny of the 
state. The author, who is a member 
of Congress, hopes to complete the 
work by a volume bringing it dowa to 
1906. Index. 40. p- 


ApaameBb, Tl. Tlposuruiarpuar 
anMmHHHCTpaina BO PpaHuin B noc- 
H'BAHIOK NOPy CTaparo LHOPAAKA. 
1774—1789. Tiposanuianpabe HB- 
TeHAAHTHI. T. Il. (Ardaschew: Die 
provinzielle Administration in Frank- 
reich während der letzten Jahre der 
alten Ordnung. 1774—1789. Bd. 
Il.) 733 p. 8°. Kies», 06. Rub. 2,75 

Aron, G.; Etude sur les lois suc- 
cessorales de la R&volution de- 
puis 1789 jusqu’à la promul- 
gation du Code civil. 47 p. 8. 
(Extr. de la Nouv. Rev. hist. de 
droit franc. et étrang.) Paris, 
Larose. 06. 

Bassieux, F.; Théorie des Libertés 
gallicanes du parlement de Paris 
au XVIIIe siècle. N. Rev. Histor. 
06. 3. p. 330—350. 

Battlehner; Die Ablösung der 
Lenzkircher Holzberechtigungen. 
Allg. Forst- u. Jagd-Ztg. 06. 
August. p. 255-259, 

Beck, L.; Die Familie Remy und 
die Industrie am Mittelrhein. 
Ann. d. Ver. f. Nassauische Alter- 
tumskunde u. Geschichtsforschg. 
06. 35. p. 1—129. 

Bbneukifi, A. C60PHHKB NOKYMEHTOBb 
My3ea rpapa M. H. Mypasbega. 
T. I. (Beletzky: Sammlung der 
Dokumente des Museums des Grafen 
M. N. Murawjew. Bd. I.) 233 p. 
4%. BurbHa, ,O-BO peBHHT. Pycck. 
HCTOP. npocBbu.* 06. 

Benn, A. W.; History of rationa- 
lism in the 19th century. 8°. 
London, Longmans & Co. 21 sh. 

Bepnun, Tl. A. Tepmanin nakanynb 
peBonmuin 1848r. Ouepxx o6mecr- 


Referate, 689 


Mercatura, XXXVHD)!) consacre aux foires de Pouille. PEGOLOTTI écrivait 
précisément vers le temps de la mort de Robert. Mr Y. ne cite ici 
cet auteur que de seconde main, d'après la Storia dei Banchieri de 
PERUZZI, ouvrage sans critique et autorité médiocre: Aussi ne mentionne- 
t’il pas quelques unes des foires que PEGOLOTTI recommande comme 
bonnes aux marchands: celle de Tarente (26 avril); les trois foires 
de Bari (6 mai, 28 sept. et 1er déc.); la foire de Trani (26 mai) etc. 
M' Y. aurait encore pu tirer parti d’un manuscrit du XVe siècle, qui 
porte le n° 911 du fonds italien à la Bibliothèque nationale de Paris 
(CHIARINI, Qui commenca uno libro di tutti i costumi, cambi, monete, 
pesi, misure e usange di lettere di cambi e termini...)?). Dans ce 
recueil, de haut intérêt économique, un chapitre est consacré win fine 
aux foires de Pouille (Di che tempo sono le fiere del reame di Puglia). 
On pouvait s’en inspirer même pour le XIV® siècle. 


A côté des routes et des centres d'échange terrestres, et avant eux, 
il faut placer les routes et les centres d'échange maritimes. Le relief 
tourmenté et l'étendue des articulations côtières de l'Italie méridionale 
assurent en effet la prépondérance aux voies de mer sur les voies de 
terre. (C'est par la mer que les relations économiques s’établissent 
surtout. De nombreuses barques et des navires de faible tonnage, 
appartenant aux autochtones, se livrent à la pêche ou pratiquent le 
cabotage d'un port à l’autre (p. 127—134). Entre les ports du royaume 
de Naples et la plupart des grands ports méditerranéens (Barcelone, 
Marseille, Tunis, Bône, Bougie, Tripoli, Zara, Raguse, Rhodes, Fama- 
gouste, Constantinople, Acre, Alexandrie) vont et viennent sans cesse 
de gros navires, le plus souvent pisans, génois, marseillais, et rarement 
angevins (p. 134-153), Les exactions des fonctionnaires, la barbarie 
des habitants, les guerres fréquentes, la piraterie, gênent trop souvent 
la circulation maritime. Les rois ne réussissent pas toujours à prévenir 
les abus de pouvoir de leurs fonctionnaires et à garantir la sécurité 
des navigateurs (p. 153—162). Tout au moins contribuent-ils à la 
création de nouveaux ports, à l'entretien et à l'amélioration des anciens 
(p. 163—170). Une mention spéciale doit être accordée à Naples, à 
son port construit par Charles IT, à ses arsenaux et à ses quartiers 
marchands, en un mot à tout cet outillage économique que la ville 
doit à sa situation nouvelle de capitale, et qui lui permet de devenir 
une des grandes villes commerçantes de la péninsule (p. 170—178). — 
Sur tous ces points on regrettera quo l'auteur n'ait pas cru devoir 
compléter ses développements par des cartes qui auraient éclairé le 
groupement géographique des centres d'échange et les liens nécessaires 
qui existent entre la position des marchés et certains facteurs, naturels 
ou humains: M' Y. a vraiment trop négligé dans son livre le point 
de vue anthropogéographique (proximité des lieux de production ou 


1) Dans PAGNINI, Della decima, III, p. 165. 

2) Cet ouvrage de CHrArını est peut-être le même que celui publié en 1481 
sous le nom de Libro de mercatantie ed usance di paesi. Mais je n’ai pas 
sous la main les moyens de contrôler cette identité, 


LIL INIARUUIDS UL LIRE 


Ss”. London, Longm 


Lemmi, F.; Le origini 
mento italiano (1789- 
Anfänge des italieni: 
gimento.) XII, 458 
lano, U. Hoepli. 

.Inöknextp, B N3® ucto 
XIX 8.  (Licbknechi 
deutschen Geschichte 
M. MsrkoßBt, (6. 

Derselbe. KT B6HIeO® 
pesonmuin. ITlepes. 
AleKcaHıapoBof. (Zu 
der März-Revolution. 
Deutschen von W. 
173p. 8°. CTIE. ,H 


Maflkosp, TI. M. Bron 
Co6ctsenunof E. MH. B. 
1826 --1882. Hcropuuc 
(Maikow: S. M. eig 
zweite Abteilung. 
Eine geschichtliche 
722 p. 8°. CIIB. 06. 

Mapkct, K. K:accoBas 
Ppaxuiu. 1848—1850. 
Klassenkämpfe in Fran 
-&0.) 130 p. 8% 1 
06. 

Mémoires du general 
Pépé, 1783—1540, | 
Mouton. VII, 423 p. 


Darrin & Cire 06 


Referate. 691 


d’ex&cuteurs testamentaires, répondent de leur obéissance aux lois du 
pays, ét notamment du paiement des impôts (p. 196-215). 

Presque toutes les nations commergantes sont représentées à Naples 
et dans l'Italie méridionale au début du XIVe siècle, à l’exception 
toutefois des Anglais et des Allemands. Mais certaines nations occupent 
une situation prépondérante. Ce sont les Marseillais, les Provençaux 
et les Catalans ip. 217—219); ce sont surtout les Italiens du Nord, 
parmi lesquels il faut citer les Siennois (p. 221— 224); les Lucquois 
(p. 224—227); les Pisans (p. 227—232); les Génois (p. 232—244), et, 
au premier rang, les Vénitiens et les Florentins, dont la position respec- 
tive varie avec les époques. Les Vénitiens dominent au XIIIe siècle 
et dans la deuxième moitié du XIV® Leur influence manque s’effacer, 
dans la première moitié du XIVe siècle, devant celle des Florentins, 
à la suite d’un conflit politique et économique dont Mr Y. retrace 
d’une facon fort intéressante les grandes phases. Mais, après et avant 
cette crise, ils jouissent d'importants privilèges commerciaux: droit de 
circuler dans tout le royaume, de 8’y établir, sous la sauvegarde royale, 
d'y trafiquer, en payant des taxes inférieures même à celles des mar- 
chands indigènes, d'y posséder; exemption des droits d’aubaine et 
d’epave, etc. (p. 245—288). — Quant aux Florentins, leurs progrès 
et leurs revers sont liés aux vicissitudes de la politique guelfe en 
Toscane. Bailleurs de fonds de Charles d'Anjou, ils prennent pied 
avec lui dans l'Italie méridionale, et y introduisent le commerce de 
l'argent et du crédit. Les services pécuniaires qu'ils rendent à Charles IT 
après les Vêpres siciliennes consolident leur situation. En garantie ou 
en remboursement de leurs avances, ils recoivent la perception de nom- 
breux droits fiscaux, ou l'exercice des nıonspoles jusque là réservés à 
la royauté. Le règne de Robert marque l'apogée de leur puissance. 
Ils font les frais de la guerre contre Henri VII, disposent de la tiare 
en faveur de Jean XXII, créature du roi de Naples, et vont jusqu’à 
se donner à Robert en choisissant pour seigneur son fils Charles, duc 
de Calabre. On comprend qu'un tel dévouement n’est pas gratuit: les 
Florentins reçoivent des privilèges exorbitants, grâce auxquels ils ex- 
ploitent l'Italie méridionale et en drainent toutes les ressources. Il faut 
lire particulièrement les pages suggestives où M" Y. retrace l’activité 
fébrile dont témoignent, surtout de 1315 à 1325, les grandes compag- 
nies syndiquées des Peruzzi, des Bardi, des Acciajuoli, et quelques 
sociétés de moindre importance (p. 301 317), ou encore celles où il 
rappelle les brillantes destinées de la famille des Acciajuoli (p. 329—334). 
Mais, à partir de 1325, le déclin commence, car les conjonctures poli- 
tiques deviennent moins favorables en Italie et hors d'Italie. La guerre 
de Cent Ans rend difficiles les rentrées sur la France et l'Angleterre. 
Les relations se refroidissent entre les banquiers florentins et le roi 
Robert, qui s'enrichit volontiers en ne payant point ses dettes. Une 
crise financière se déclare, où les compagnies les moins riches sombrent, 
et d'où les autres sortent fort ébranlées. Les luttes intestines qui 
déchirent Florence achèvent leur ruine. En 1345, les Bardi et les 
Peruzzi eux-mêmes font faillite. L’essor des banquiers florentins dans 
l'Italie méridionale est arrêté désormais. 


4. Neuzeit Europas, der europäischen Gründungen und des Weltverkehrs. 
42 ER Andere Wirtschaftskreise. Ostasien usw. 


Gesch. Bayerns. 06. 1—2. p. 136 
—141. 
Swederus, M. B.: Bidrag till 
Kännedomen om Sveriges Bergs- 
handtering under Karl IX:s tid. 
(Beitrag z. Kenntnis des schwed. 
Bergbaues z. Zeit von Karl IX.) 
Ternkontorets Annaler 05. p. 235 


Taine, H.: Les Origines de la 
France contemporaine. Ill. La 


Revolution. L’Anarchie, T. ler. 
25e éd. IV, 299 p. 16°. Paris, 
Hachette et Cie. 06. Fr. 3,50. 


Tapıe, E. Pons c TyaeHuecTBa Bb 
PCROAMIO- WIOHHOMb JBHXKEHIH Bb 
Erponb Bp 1848 r. (Tarle: Die 
Rolle der Studentenschaft in der 
revolutionären Bewegung Europas 
im J. 1848. 28 p à CIIB. 
.CBO6OZHEI À pyar“ 06. Rub. —,8 

Tepentbeßp, M. À. Hauano pesonwuin 
BP Poccin 9. Aus. 1905r. (Terentjew: 
Der Anfang der Revolution in Ruß- 
land am 9/22 Januar 1905.) 28 p. 
80. CTIE. 

Terlinden, Ch.: Guillaume ler, roi 
des Pays-Bas, et l'Eglise catho- 
lique en Belgique. 1814—1830. 
Tome I: La lutte entre l'Eglise 
et l'Etat. 1814—1826. XXII, 
526 p. 8°. Brux. A. Dewit, 06. 

Fr. 5.—. 

Turner, F. J.; The South, 1820-30. 
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Weidenkaff, Klaus; Die Anschau- 
ungen der Franzosen üb. die 


geistige Kultur der Deutschen i 
Verlaufe des 18. u. zu Begi 
des 19. Jahrh. VII, 55 p 8 
(Geschichtl. Untersuch,, Pin 
Karl Lamprecht. II. & E 
Ootha, F. A. Perthes. os 


Wintterlin, Frdr.; Die Organisati 
nen König Wilhelms L bis zu 
Verwaltungsedikt 1822. QG 
schichte der Behôrdenorganis 
tion in Württemberg. Hrsg. 
der Kommission für Landesg 
schichte. 2. Bd.) XI, 3% 
gr. 8. Stuttgart, W. Kobe 
mer. Mk. 3! 

Wischnitzer, M.; Die Universi 
Gôttingen und die Entwickte 
der liberalen Ideen in Rußle 
im ersten Viertel des 19, Ja 
hunderts. Diss. 39 p. 8°. B 
lin. 06. 


5. Andere Wirtschaftskrek 
Ostasien usw. 


5. Autres Groupes &com 
miques. 


5. Other economic 
The East etc. 








Muck, M.; Die Trugspiegelt 
orientalischer Kultur in den v 
geschichtlichen Zeitaltern No 


europas. Mitt. d. Antropei 
Gesellsch. in Wien. 06. 3/4. 
53-91. 


—3—- 


Buchdruckere: Paul Dünnhaupt, Côthen. 


Referate. 693 


quatre coins de son livre. Rien sur l'agencement des établissements 
de vente et d’achat (les comptoirs, les boutiques, les magasins, les 
entrepôts, les ports, etc.); aucune esquisse d'ensemble sur les moyens 
de transport!); rien sur la durée et la division des foires; peu de 
chose sur la condition des marchands (comment vivaient-ils? quelle 
était leur place dans la société ? quelle était l’&ducation d’un marchand ? 
comment s’accomplissait sa carrière? etc.); aucune étude statistique 
sur les prix des principales marchandises an lieu d'origine et au lieu 
de vente, sur le coût des transports (cf. pourtant p. 148, n. 1) et de 
la manutention, sur les bénéfices réalisés, ni sur les fortunes commer. 
ciales. Peu de chose enfin sur les usages et lé droit du commerce. 
On devine, par certaines citations, que M' Y. a eu entre les mains 
des documents intéressants, permettant d'étudier le prêt à intérêt ?), 
la constitution des sociétés de commerce), la règlementation des 
faillites #). Il n’en a point tiré parti. Les papiers de crédit et effets 
de commerce auraient pu aussi retenir son attention, s’il est vrai que 
c'est dans l'Italie méridionale qu'ils sont parvenus à une phase décisive 
de leur évolution: on connaît en effet la pratique suivie, sous Frédéric II, 
par l'administration souabe pour le règlement des dettes royales: on 
autorisait les créanciers à se faire payer sur telle ou telle recette 
locale”), et on leur remettait à cet effet un avis de paiement, en 
forme de lettre close®) adressée au comptable compétent. On a soup- 
çonné ?) que cette lettre close — qu'il ne faut point confondre avec 
le titre récognitif de dette remis originairement aux créanciers (lettre 
patente) — se rapproche de la lettera di pagamento, devancière de la 
traite. Il eût été particulierement intéressant de rechercher si la 
chancellerie angevine a suivi en cette matière les mêmes usages que 
la chancellerie souabe, et si la lettera di pagamento a pris dans l'Italie 
méridionale, au XIIIe siècle, un essor plus rapide que dans le reste 
de la péninsule), Mr Y. n’a fait aucune allusion à tout cela. Lacune 
plus surprenante, il a même à peine prononcé les noms des grands 
statuts maritimes appelés Table d’Amalfi et Ordinamenta de Trani. 
Je sais bien que leurs premières rédactions sont peut-être (?) antérieures 


1) Cf. p. 69 au bas, et 70. 

2) Il ne lui donne que deux petites pages (68—60), à propos de la ré- 
pression de l'usure. 

3) Voy. p. 336 et sqq. 

4) P. 39, 2; p. 317. 

5) Cf. p. 357 et sqq.; 380 et sqq. 

6) Cf. p. 359—360; p. 872, 3 (texte se rapportant vraisemblablement à 
une traite); p. 386. 

7) FREUNDT. Das Wechselrecht der Postglossatoren. Leipzig, 1899, p. 26 
et sqq.; HUVELIN, Travaux récents sur Phistoire de la lettre de change. 
Ann. de dr. commercial, 1901, p. 9. 

8) Cela serait encore rendu vraisemblable pas ce fait que c’est en Sicile, 
et à Naples que nous voyons apparaître, vers le XVIe siècle, l’endossement. 
(girata). Voy. les documents publiés par CUSUMANO, Storia dei banchi della 
Sicilia, 1887 —1892, et AJELLO, I depositi, le fedi di credito e le polisse dei 
banchi di Napoli. Filangieri, VII (1882), p. 641—665; 703-775, — que 
Mr Y. ne paraît pas avoir connus.